Die Macht der Dürre: Wasser und Politik in Brasilien in der Zeit von Epitácio Pessoa (1877-1930) 9783412502607, 9783412501440

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Die Macht der Dürre: Wasser und Politik in Brasilien in der Zeit von Epitácio Pessoa (1877-1930)
 9783412502607, 9783412501440

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LATEINAMERIKANISCHE FORSCHUNGEN Beihefte zum Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas

Herausgegeben von

Thomas Duve, Silke Hensel, Ulrich Mücke, Renate Pieper, Barbara Potthast Begründet von

Richard Konetzke (†) und Hermann Kellenbenz (†) Fortgeführt von

Günter Kahle (†), Hans-Joachim König, Horst Pietschmann, Hans Pohl, Peer Schmidt (†)

Band 45

Die Macht der Dürre Wasser und Politik in Brasilien in der Zeit von Epitácio Pessoa (1877–1930) von

Tim Neufert

2015 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung und des Dekanats der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Zugleich Dissertation an der Universität zu Köln. Umschlagabbildung: Fotomontage aus: Titelblatt der Zeitung A União vom 23.5.1919 (Jg. XXVII), João Pessoa, Paraíba. Wir danken dem Verlag für die freundliche Abdruckgenehmigung. Stauanlage Açude Epitácio Pessoa (Boqueirão, Paraíba, im Sept. 2005). Fotografien und Bildbearbeitung von Tim Neufert.

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin Satz: Reemers Publishing Services, Krefeld Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50144-0

Die natürliche Anstrengung der Menschen scheint zu sein, die externe ‚Natur‘ zu überwinden, anstatt die Überwindung dieser internen ‚menschlichen Natur‘ anzustrengen. Verspürte Mängel, an Land, Wasser oder Macht, führten und führen – in Deutschland, Brasilien oder Somalia – zu Kämpfen und zu Kriegen, deren Spuren und Konsequenzen bisher nur mangelhaft die Wiederholung der von uns verursachten Katastrophen zu vermeiden vermögen.

In Gedenken an Alfred Kuhlmann, der in seinem Leben und seinem Werk des Vorbilds Benedikt Schmittmanns gedachte, um die Zeichen der Geschichte nicht verblassen zu lassen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort......................................................................................................... 13 I. Einleitung............................................................................................. 18

1. Im Geflecht von Ursache und Wirkung: von der Dürre zum Diskurs der Dürre..................................................................... 18 a) Der Nordosten und die Trockenheit in Zahlen................... 18 b) Diskurs und Repräsentation – die soziale Konstruktion der ­Wirklichkeit.................................................................. 24 2. Einordnung in die Geschichtsschreibung zur Dürre und  Zielsetzungen............................................................................ 29 a) Paradoxon der Historiographie – die ‚vergessene‘ vs. ­‚meistbeschriebene‘ Region................................................. 29 b) Themenschwerpunkte und Quellenlage.............................. 33

II.

Der Einfluss der Dürrekatastrophe von 1877–79 auf Gesellschaft und Diskurs................................................................... 40

1. Die Trockenperiode von 1877–79 im Kontext der ­ Dürregeschichte........................................................................ 40 a) Die ‚Große Dürre‘ – ein Begriff auf dem Prüfstand............. 40 b) Gravierende Klimaeinbrüche bis 1877 im Vergleich............ 42 2. Die Wechselwirkung von Dürre und ­Wirtschaftsdepression...... 51 a) Verschärfte Not durch die ökonomische Krise im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts................................................ 51 b) Auflösung des traditionellen Sozial- und Machtgefüges....... 58 c) Bestürzung von Presse und Parlament – die Dürre als nationales Politikum........................................................... 64 d) Die Trockenheit als Einnahmequelle der Agraroligarchien... 72 3. Die diskursive Konstruktion der Dürre und des ­Nordostens...... 82 a) Strategien des Dürrediskurses.............................................. 82 b) Die „Erfindung“ der Dürre – Unglaubwürdigkeit und ­definitorische Unsicherheit ................................................ 88 c) Die „Erfindung“ des Nordostens – Genese einer Region..... 91

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Inhaltsverzeichnis

III. Die sozialen Produktionsebenen und Träger des Dürrediskurses (1877–1922)................................................................ 107

1. Pfründe und Ängste der Kirche................................................. 108 2. Poesia popular – die Stimme des Volkes...................................... 113 a) Essenz, Herkunft und Entfaltung der Volksdichtung im Norden Brasiliens.......................................................... 113 b) Gesellschaftskritische Themen der volkstümlichen Lyrik..... 120 c) Die Dürre in den Strophen der Liedermacher..................... 124 d) Revision des Forschungsstandes: Bedeutungswandel der ­Trockenheit im Volksdiskurs......................................... 141 3. Die seca als literarisches Sujet..................................................... 145 a) Wirkung und Rezeptionsbedeutung literarischer Erzeugnisse......................................................................... 145 b) Os sertões von Euclydes da Cunha........................................ 146 4. Die Wissenschaft und die Trockenperioden – das ­Interesse der Ingenieure........................................................................... 153 5. Der oligarchische Dürrediskurs................................................. 158 a) Grundzüge, Herausbildung und Adaptation....................... 158 b) Die Diskurskompetenz der Dürreredner............................. 165 c) Soziale Einheit im Kampf gegen das Klima – die Opferrolle der Oligarchie.............................................. 167 d) Die Prägung des sertanejo als diskursives Instrument der ­regionalen Obrigkeit........................................................... 173 e) Norden versus Süden – Diskurs und Gegendiskurs............. 182 6. Knotenpunkte der Diskursstränge ............................................ 195

IV. Epitácio Pessoa – Politik und Diskurs im Zeichen der Dürre (1889–1930)........................................................................ 201

1. Eine oligarchische Bilderbuchkarriere vom ­Parlamentarier zum Präsidenten ....................................................................... 201 a) Die politischen Lehrjahre (1889–1912).............................. 201 b) Machtpolitik in Brasilien und Machtübernahme der Pessoas in Paraíba (1912–15).............................................. 208 c) Demokratische Gratwanderung – die Präsidentschaft ­Epitácio Pessoas (1919–22)................................................. 216 2. Der Dürrediskurs Epitácio Pessoas – historische ­Zuordnung und Bewertung.......................................................................... 222 a) Die Dürre als Paradefall für die oligarchische ­Legitimationsstrategie......................................................... 222 b) Die Darstellung der Trockenperioden als Ursache allen Übels.......................................................................... 223

Inhaltsverzeichnis

3.

4.

5.

6.



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c) Akzentuierung der Diskurskompetenz und Solidarisierung mit den Opfern der Dürre.......................... 225 d) Elemente der oligarchischen Dürrepolitik zwischen Paternalismus und Opportunismus..................................... 226 e) Die ‚Dürre‘ als Wirtschaftsfaktor......................................... 236 f ) Nationale Geometrie des Interessenausgleichs zwischen ­Norden und Süden............................................................. 243 Die Kulmination von vierzig Jahren Dürrepolitik in der Regierung Pessoa................................................................. 251 a) Die Erfolgsgeschichte der Dürrebekämpfung seit 1877 aus der Sicht Epitácio Pessoas.............................................. 251 b) Entwicklung und Ergebnisse der nationalen ­Wasserbaulösung (1877–1919)........................................... 253 c) Die Blütezeit der Dürrepolitik in den Jahren 1919–22........ 261 Die Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument in der Ersten Republik.............................................................. 273 a) Eine begriffliche Annäherung an die „indústria da seca“...... 273 b) Der Schauer nach der Dürre – „Diebe in Frack und ­Glacéhandschuhen“ seit 1877............................................. 275 c) Die lukrative Politisierung der Trockenperioden in Paraíba (1889–1919)...................................................... 281 d) Die Dürreindustrie im Brennpunkt der oppositionellen Kritik (1919–22)................................................................ 289 e) Das Geschäft mit der Dürre während der Regierung ­Epitácio ­Pessoas.................................................................. 300 Das Ende der Ära Pessoa........................................................... 315 a) Die Dürrepolitik nach der Präsidentschaft Epitácio Pessoas ................................................................. 315 b) Der allmähliche Niedergang des Epitacismo......................... 324 Die Beurteilung Epitácio Pessoas in der brasilianischen Presse und Historiographie.................................................................. 335 a) Nachruf auf Epitácio Pessoa in der regionalen und ­nationalen Presse................................................................. 335 b) Epitácio Pessoa im Blick zeitgenössischer Autoren aus dem ­politischen Umfeld...................................................... 337 c) Die Rezeption der Pessoa-Politik in der wissenschaftlichen ­Literatur............................................................................. 342

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V.

Inhaltsverzeichnis

Schlussfolgerungen und Ausblick.................................................... 365

1. Die „Erfindung“ der Dürre und des Nordostens seit 1877/79.............................................................................. 365 2. Die Strukturen des Dürrediskurses – Akteure und ­Korrelationen............................................................................ 368 3. Das Kalkül der Dürrebekämpfung am Beispiel ­Epitácio Pessoas (1891–1930)................................................... 373 a) Nationaler Machtausgleich in der Ersten Republik – die coronelistische Dürrepolitik.......................................... 373 b) Die politische Instrumentalisierung der Trockenperioden unter Epitácio Pessoa.......................................................... 375 c) Die Krise der Oligarchien – das Ende des Epitacismo und der Ersten Republik .................................................... 377 4. Das Legat Epitácio Pessoas – Dürrepolitik und Dürrediskurs nach 1930................................................................................. 379 a) Die Dürrebekämpfung nach der Präsidentschaft ­Epitácio ­Pessoas.................................................................. 379 b) Der Zusammenhang von Diskurs und Macht..................... 382 c) Möglichkeiten und Grenzen der Geschichtsschreibung – die Frage der Verantwortung............................................... 383 d) Die Konstruktion der Dürregeschichte – damals und heute................................................................ 387 5. Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jahrhundert.................................................................... 390 a) Die Trockenperiode von 1998/99 aus Sicht der Landarbeiter und Großgrundbesitzer.................................. 390 b) Dürre und Politik im Wahljahr 1998.................................. 392 c) Baubeginn nach 150 Jahren: Wasser aus dem São Francisco (1857/2007)................................................. 395 d) Das Ende der Dürre oder des Dürrediskurses?..................... 399 e) Die Politisierung der Trockenheit – Parallelen auf ­internationaler Ebene.......................................................... 403

Anhang......................................................................................................... 409

1. Das Dürregebiet (Karten).......................................................... 410 a) Die Klimazonen des Nordostens......................................... 410 b) Die Ausdehnung des Dürregebiets...................................... 410 c) Die räumliche Verteilung der Trockenheit........................... 411 2. Chronologie der Trockenperioden, 16. bis ­20. ­Jh. (Tabelle)....... 412

Inhaltsverzeichnis



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3. Sozioökonomische Grunddaten................................................. 414 a) Die demographische Entwicklung....................................... 414 b) Die Besitzverhältnisse.......................................................... 416 c) Die Einkommenskonzentration.......................................... 417 d) Die Lebensbedingungen im Hinterland.............................. 418 4. Umfrage zum Bild des Nordostens............................................ 418 Quellen- und Literaturverzeichnis............................................................ 420

1. Amtlicher Schriftverkehr, Eingaben, offizielle Berichte, Statistiken und Karten............................................................... 422 2. Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Reden aus den Kongressannalen................................................................. 425 3. Zeitungsartikel, v.a. aus der Landeshauptstadt und dem Norden bzw. Nordosten............................................................ 432 4. Private Korrespondenz und gesammelte Schriften ­ Epitácio Pessoas......................................................................... 445 5. Volksdichtung (‚literatura de cordel‘).......................................... 447 6. Wissenschaftliche Publikationen, Biographien, ­ Erinnerungsliteratur und historische Romane............................ 451

Register......................................................................................................... 469

Personenregister.............................................................................. 469 Ortsregister..................................................................................... 480 Sachregister..................................................................................... 485

Quellenanhang mit portugiesischen Originalen: www.boehlau-verlag.com/978-3-412-50144-0 (Downloads/Bonusmaterial)

Vorwort Die „Macht der Dürre“ erlebte ich zuerst im Dürre- und Wahljahr 1998, als im Nordosten Brasiliens die Verknüpfung beider Faktoren allgegenwärtig war. Umso erstaunlicher, dass dieser augenscheinliche Nexus als Instrument zur diskursiven Konstruktion gesellschaftlicher Realität funktionierte und bis heute funktioniert. Den Gegenpol zur Trockenheit bildet das Wasser, welches hier nicht als geologisches, sondern als soziales und politisches Element behandelt wird, als versprochene „Erlösung“ von den „Übeln der Dürre“. Der Anfangspunkt des Betrachtungszeitraums erklärt sich aus der wegweisenden Bedeutung der verheerenden Trockenperiode von 1877–79, sowohl für die Genese des Dürrediskurses als auch für den im Mittelpunkt der Studie stehenden Epitácio Pessoa. Dessen politische Laufbahn sollte maßgeblich durch dieses Ereignis bestimmt werden, und umgekehrt prägte der paraibanische Staatsmann entscheidend die Dürrepolitik. Den Schlusspunkt der historischen Kernanalyse stellt das Ende der Ersten Republik im Jahr 1930 dar, welches mit dem Niedergang des politischen Einflusses Epitácio Pessoas zusammenfiel. Die Ausgangsfragen für die vorliegende Monographie haben sich in drei Phasen ergeben. Im Rahmen eines Postgraduiertenkurses in Economia Brasileira, den ich 1998/99 in Fortaleza an der Universidade Federal do Ceará absolvierte, wählte ich aufgrund der aktuellen Lage die mit dem Regenmangel assoziierten sozioökonomischen Beeinträchtigungen als Materie für die Abschlussarbeit. Der Fokus richtete sich auf das paraibanische Hinterland, da mir während eines dreimonatigen Praktikums beim Staatlichen Rat zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte in Paraíba die für die Recherche notwendigen Kontakte zu Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen ermöglicht wurden. Die Untersuchung verdeutlichte, dass die vielschichtige Problematik der Dürre ohne die geschichtliche Dimension nicht zu erfassen ist. So lag der Entschluss nahe, in der Diplomarbeit meines Studiums der Regionalwissenschaften Lateinamerika an der Universität zu Köln die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge der Trockenperioden von 1877 bis 1998 innerhalb eines historischen Überblicks zu ergründen. In der Oligarchenfigur Epitácio Pessoa zeichnete sich dabei eine überraschende Forschungslücke mit vielversprechenden Ergebnissen für eine Dissertation ab, was sich 2005 nach einem weiteren Studienjahr in Brasilien bestätigte. Zunächst war es meine Absicht, die Zeit von 1877 bis in die Gegenwart gleichwertig zu durchleuchten. Nachdem die hierzu gesammelten Quellen und Werke exzerpiert waren, machte die übermäßige Fülle der Unterlagen eine stärkere Eingrenzung erforderlich. In Anbetracht der auch für die umfassende brasilianische Forschung zum Nordosten neuen Hinterfragung des Beitrags und Bildes Epitácio Pessoas fiel die Entscheidung

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Vorwort

zugunsten seiner Wirkenszeit aus, mit einem Ausblick auf das bis heute in der brasilianischen Wasserbaupolitik zu erkennende Legat Pessoas. Die Dürre ist in Brasilien ein viel beschriebenes und kontroverses Thema; dieselben Quellen erlauben zum Teil diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen. Dies gilt in meinem Fall primär für die Interpretation Epitácio Pessoas und zudem für einige Aspekte der sogenannten literatura de cordel. Darüber hinaus konnten aus der Fachliteratur mannigfaltige Details korrigiert werden, zumal eine kontinuierlich erweiterte und digitalisierte Datenbasis die Voraussetzung dafür bietet. Diesen Umstand habe ich mir ebenso zunutze gemacht, um meine Dissertationsschrift auch nach der Disputation im Juli 2012 immer wieder zu aktualisieren und durch neu gefundene Quellen zu ergänzen. Sinnvollerweise gibt es für die Veröffentlichung zeitliche Befristungen – sonst würde ich jetzt noch damit beschäftigt sein. Zum Stillstand kommt es deshalb jedoch nicht, denn eine wissenschaftliche Abhandlung ist stets als work in progress bzw. als ein Arbeitsbuch zu verstehen, in dem mit dem (Rot-)Stift zur Hand die Geschichte fortgesetzt wird. Auch wenn ich für die vorliegenden Ausführungen – einschließlich aller mir entgangenen und zur Korrektur einladenden Fehler – allein verantwortlich bin, wäre die Studie ohne das Mitwirken zahlreicher Menschen nicht realisierbar gewesen. Als Erstes möchte ich der Betreuerin meiner Promotion, Prof. Dr. Barbara Potthast, für das Vertrauen danken, sowohl hinsichtlich meines Dissertationsprojektes als auch der Aufgaben in der Lehre und im Brasilienressort, solange ich noch in Deutschland lebte. Trotz ihrer vollen Terminpläne als Leiterin der Iberischen und Lateinamerikanischen Abteilung des Historischen Seminars der Universität zu Köln erhielt ich auf meine Fragen jederzeit und von jedem Ort sofortige Antwort, sei es von Argentinien, Paraguay oder Mexiko aus. Mit viel Geduld ließ sie mir alle Freiheiten, um mich in entscheidenden Momenten daran zu erinnern, dem Vorhaben die nötigen Grenzen aufzuerlegen. Von zahllosen wertvollen Ratschlägen mag dieser allen Doktoranden nutzen – die Promotion als Etappe zu verstehen. Dem hinzuzufügen ist die Empfehlung meines Zweitgutachters, Prof. Dr. Michael Zeuske, so früh wie möglich mit dem Schreiben zu beginnen. In diesem Sinne ist auch der Rat einzuordnen, den mir die brasilianische Professorin Maura Penna gab: nicht mehr Material zusammenzutragen, als in absehbarer Frist verarbeitet werden kann. Leider ist es mir nicht immer gelungen, diesen drei Anregungen, die mir sonst viel Zeit erspart hätten, zu folgen. Andererseits bin ich froh über die unschätzbaren Erfahrungen auf meinen Wegen und Umwegen zur Promotion. Als Nächstes möchte ich dem Linguisten und Historiker Martin Becker danken, Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität zu Köln. Aus einer Information zum Denguefieber, die ich 1998 einem unbekannten besorgten Forschungsreisenden in Fortaleza am Telefon gab, wurde eine unmit-

Vorwort



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telbare Freundschaft, als sich nach meiner Rückkehr herausstellte, dass ich das Tutorium zu seinem Kurs in portugiesischer Sprachwissenschaft übernehmen sollte. Seitdem hat er meine Diplom- und Doktorarbeit in anregenden Diskussionen bereichert, Korrektur gelesen und mir den Tipp von einst hundertfach zurückgegeben. Neben der Unterstützung durch die Iberische und Lateinamerikanische Abteilung bzw. die Richard-Konetzke-Stiftung und das Dekanat der Philosophischen Fakultät wurde die Dissertation wesentlich durch die Benedikt und Helene Schmittmann-Wahlen-Stiftung finanziert, zum einen in Form des zweijährigen, von der Stiftung getragenen Rektoratsstipendiums der Universität zu Köln, zum anderen durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Die Schmittmann-Wahlen-Stiftung, deren Stifter Benedikt Schmittmann Ordinarius für Sozialpolitik an der Universität zu Köln war und seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit dem Leben bezahlte, fördert mit ihren Stipendien gesellschaftliches Engagement. Nicht nur angesichts dieses Hintergrunds, sondern auch aufgrund ihres familiären Charakters fühle ich mich der Stiftung sehr verbunden. Hierfür bin ich vor allem dem 46 Jahre als Vorstand dienenden, im April 2014 verstorbenen Dr. Alfred Kuhlmann und seiner Frau Rosemarie von ganzem Herzen dankbar. Meinen Dank möchte ich außerdem der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung aussprechen, die im Zweijahresrhythmus interdiszi­ plinäre Dissertationen mit dem ADLAF-Preis prämiert und meine Analyse 2014 des dritten Platzes für würdig befand. Auch sie hat auf diese Weise dazu beigetragen, dass die Monographie in der Reihe Lateinamerikanische Forschungen des Böhlau Verlags erscheinen kann. Im Böhlau Verlag danke ich, stellvertretend für alle an der Edition Beteiligten, der Projektleiterin Dorothee Rheker-Wunsch für ihre großen Bemühungen, auf meine Rückfragen und Vorstellungen einzugehen. In Bezug auf Brasilien ist die Liste der Danksagungen so lang, dass nur einige der vielen Namen genannt werden können. An erster Stelle steht Gilvan Ramos, den ich 1998 beim Programa de Estudos e Ações para o Semi-Árido (PEASA/ Universidade Federal de Campina Grande) kennenlernte und der mich mit der Articulação do Semi-Árido (ASA) und dem Konzept der „convivência com o semi-árido“ bekanntmachte. Auf Fahrten in den paraibanischen Sertão, die oft einer Reise in die Vergangenheit glichen, konnte ich den PEASA zu Versammlungen in abgelegenen Ansiedlungen begleiten, bei denen in einem mehrjährigen Prozess versucht wird, gemeinsam mit den Kleinbauern nachhaltige, im Einklang mit der Natur stehende und sozialgerechte Lösungen für die vermeintlich mit der Dürre zusammenhängenden Probleme zu finden. Neben seinem Fachwissen als – inzwischen bei der Embrapa tätigen – Agraringenieur schenkte mir Gilvan Ramos, sowohl 1998 als auch 2005, den höchsten Aus-

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Vorwort

druck der sprichwörtlichen brasilianischen Gastfreundschaft und eine bis heute anhaltende enge Freundschaft. Aus wissenschaftlicher Perspektive war und ist Durval Muniz de Albuquerque Júnior die erste und wichtigste Inspiration für meine Untersuchung in Brasilien. Den Flug dorthin richtete ich im November 2004 zeitlich und örtlich so aus, dass wir uns gleich am ersten Tag auf einem Foucault-Kolloquium in Campinas treffen und sondieren konnten, ob ich auf der richtigen Fährte war und mit meinen Thesen tatsächlich Neuland betrat. Die drei Stunden unserer ersten Unterhaltung waren der Auftakt für viele weitere, sowohl über das historische Dissertationsvorhaben als auch meine am Rande damit verbundene Umfrage zur (Selbst-)Wahrnehmung des Nordostens. Diesen Dialog führten wir fort, als er mich als Lektor – mit Blick des Außenstehenden – an einem Band über Vorurteile und Stereotypen im Nordosten teilhaben ließ (Preconceito contra a origem geográfica e de lugar, 2007). Der beeindruckende Erzähler Durval Muniz gewährte mir nicht nur Zugriff auf sein unerschöpfliches Wissen zur Dürregeschichte, sondern auch auf seine extensive Hausbibliothek. Gleiches gilt für den Bücherschatz von Rosa Maria Godoy Silveira und das Privatarchiv Arquivo Maurílio Almeida, welches eine gesamte Etage des Familienanwesens füllt. Ebenso möchte ich allen weiteren Archiven bzw. ihren Mitarbeitern meinen Dank aussprechen und richte ihn stellvertretend an Sátiro Ferreira Nunes, der die langen Tage im Arquivo Nacional leichter machte. Von den – in der Bibliographie angeführten – Einrichtungen danke ich besonders dem Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro (IUPERJ) und der Fundação Joaquim Nabuco (Fundaj, Recife), die mir mit einer offiziellen Einladung als „pesquisador visitante“ zum einjährigen Forschungsvisum verhalfen. Beide unterstützten auch die Umfrage, die ich im Süden, Südosten und Nordosten u.a. in 117 Schul- und Universitätskursen durchführte und mit anschließenden Debatten verbinden konnte. Spezieller Dank gebührt erneut Gilvan Ramos, Durval Muniz und zudem Isabel Lustosa (FCRB), Sérgio Costa (FU Berlin), Cathy Ouellette und Jeffrey Lesser (Emory), die mir hervorragende Kontakte vermittelten, so von Ricardo Pacheco, Tony Hara, João Klug, René Gertz und mehr als dreißig weiteren außerordentlich hilfsbereiten Wissenschaftlern. Überdies bin ich den folgenden mit dem Nordosten befassten Autoren für die instruktiven und konstruktiven Gespräche dankbar: neben den bereits erwähnten Durval Muniz, Maura Penna und Rosa Silveira vor allem José Batista, Iná Castro, Clóvis Cavalcanti, Renato Duarte, Lúcia Ferreira, Alfredo Gomes, Rogério Haesbaert, Fred Neves und Marco Antonio Villa. Außerdem danke ich Jonas Duarte, der mich zur Fazenda seiner Eltern und zum Stausee Boqueirão mitnahm, wo das Fotomotiv für die Collage des Titelbilds entstand. Dankbar für ergiebigen Gedankenaustausch bin ich auch Tobias Schmitt, der sich von Ceará und dem Fachbereich Geographie der Dürre näherte, wäh-

Vorwort



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rend ich es von Paraíba und der Geschichte aus unternahm. Wir erfuhren erst nach der Niederschrift unserer Dissertationen voneinander, konnten aber zumindest für die Vorbereitung der Publikation noch von der komplementären Arbeit und Perspektive des anderen profitieren. Unterstützung ganz unterschiedlicher Art erhielt ich von meinem Bruder Björn, der mir manche Last abnahm, in Kilogramm und Kilobyte gemessen. Fast ohne Gepäck besuchte er mich in Brasilien, um auf dem Rückflug 40 kg meines Recherche- und Umfragematerials mitzunehmen; und in Zeiten langsamer Server lud er für mich in etlichen Stunden unzählige Kilobytes aus den Onlinearchiven herunter. Bei unserer seit über 20 Jahren in Spanien lebenden Familie wollte ich mich einige Zeit nur auf die Dissertation konzentrieren. Ganz ist es zum Glück nicht geglückt – ich lernte meine Frau Candi kennen, so dass aus einem vorübergehenden ‚Exil‘ mein dauerhafter Lebensmittelpunkt wurde. Damals meinte ich, fast fertig zu sein. Bis zur Disputation dauerte es jedoch noch drei Jahre, bis zur Veröffentlichung weitere drei... Candi, gracias für deine Geduld, deinen Beistand und Rat an jedem einzelnen Tag dieser vielen Jahre. Alle Höhen und Tiefen, die eine Dissertation mit sich bringt, haben ebenso meine Eltern, Ortrud und Gerd, mit durchlaufen. Ihnen danke ich hier als Letztes und eigentlich als Erstes. Dafür, dass sie noch einmal zu Lehrern wurden und meinen Text in jeder Schaffensphase aufs Neue Korrektur gelesen und mich nie verschont haben. Dafür, dass sie noch einmal zu Eltern im engeren Sinne wurden, und dafür, welche Eltern sie schon immer waren. Auf Fahrten durch ganz Europa weckten sie in uns die Neugier und den Respekt für fremde Kulturen. Eigene Reisen rund um den Globus folgten, zunächst per Anhalter von Mexiko bis Argentinien. Seither haben mich Lateinamerika und die Lateinamerikaner fasziniert und verändert; seitdem habe ich dort so viel von den Menschen bekommen, dass ich ihnen stets einen Teil davon zurückgeben wollte. Ein kleines Stück mag dieses Buch sein, das ich allen widmen möchte, die es mit ihrer Offenherzigkeit und Großzügigkeit möglich gemacht haben – obrigado!

I. Einleitung

1. Im Geflecht von Ursache und Wirkung: von der Dürre zum Diskurs der Dürre a) Der Nordosten und die Trockenheit in Zahlen Der Nordosten Brasiliens erstreckt sich in seiner heutigen Ausdehnung über neun Bundesstaaten und nimmt fast ein Fünftel der Gesamtfläche des Landes ein. Er ist in vier Klimazonen aufgeteilt – den regenreichen, an Amazonien angrenzenden Meio-Norte, den schmalen Streifen der tropischen Zona da Mata an der Küste, den ebenfalls kleinen und fruchtbaren Agreste weiter im Landesinneren und den halbtrockenen Sertão bzw. Semi-Árido im Hinterland, der flächenmäßig die Hälfte der Region umfasst.1 Wäre der Nordosten ein Land, so wäre es das drittgrößte Südamerikas und größer als Portugal, Spanien und Italien zusammen.2 Von seinen 53  Millionen Einwohnern, die circa dreißig Prozent der brasilianischen Gesamtbevölkerung ausmachen, lebt mehr als ein Drittel im Sertão. Mit annährend 900.000 km2, einer Bevölkerung von rund 1

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Die einzelnen Staaten des Nordostens sind: Maranhão, Piauí, Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba, Pernambuco, Alagoas, Sergipe und Bahia. Gegenüber den 8.547.403,50 km2 Brasiliens umfasst der Nordosten 1.561.177,80 km2 (Brasilienkarte Brasil 2005, São Paulo: Editora Trieste, 2005), nach Angaben der SUDENE sogar 1.760.661 km2; davon liegen 882.081 km2 im Semi-Árido (Duarte, Renato, Do desastre natural à calamidade pública: a seca de 1998–1999, Recife: Fundação Joaquim Nabuco/ Assembléia Legislativa do Estado de Pernambuco, 2002, S. 17). Zu den Klimazonen siehe Karte  a) im Anhang. Zum Meio-Norte siehe außerdem Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Mapas do Brasil – Unidades de relevo, ibge.gov.br; zum Semi-Árido siehe ders., Mapas. Político-administrativo: Semi-Árido brasileiro, ibge.gov. br. Zur Zitierweise: Alle Werke werden ab der zweiten Nennung unter einem Kurztitel aufgeführt, der nicht unbedingt aus den ersten Worten des vollständigen Titels besteht, sondern den Inhalt am besten wiedergibt. Zudem wird das Publikationsdatum (möglichst der Erstveröffentlichung) genannt. Dadurch soll auch in den Kurztiteln eine unmittelbare thematische und zeitliche Einordnung gewährt werden, ohne das Literaturverzeichnis konsultieren zu müssen. Bei Texten aus dem Internet ohne Publikationsdatum wird im Kurztitel o. D. verwendet. Die Internetadressen sind in der Bibliographie in erweiterter Form (sofern für das Auffinden nützlich) und mit dem Datum meines jeweils letzten Zugriffs festgehalten. Eine ältere Jahreszahl als 2015 weist darauf hin, dass die Website bei der letzten Überprüfung nicht mehr abrufbar war. Robock, Stefan H., Desenvolvimento econômico regional. O Nordeste do Brasil, Rio de Janeiro/São Paulo/Lisboa: Ed. Fundo de Cultura, 1964, S. 18.

Von der Dürre zum Diskurs der Dürre



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zwanzig Millionen Menschen und einem Pro-Kopf-Einkommen von lediglich 1200 US-Dollar im Jahr gilt der Trockengürtel des Nordostens als größtes unterentwickeltes Siedlungsgebiet in Amerika.3 Inzwischen haben sich in einigen Teilen des Hinterlands Textil- und Schuhindustrien etabliert, und agrarindus­ trielle Obst- und Gemüseplantagen breiten sich auf der Basis moderner Bewässerungssysteme aus, vor allem entlang des wasserreichen Rio São Francisco und in der Umgebung der wichtigsten Stauseen. Neben diesen Exportoasen der „novos Sertões“ leben im Semi-Árido nach wie vor nahezu zehn Millionen sertanejos von der traditionellen Land- und Viehwirtschaft, meist ohne Zugang zu den Wasserreserven und oft in extremer Armut.4 Wird mit Blick auf das Hinterland des Nordostens von ‚Trockenzone‘ gesprochen, ist immer ‚Halbtrockenzone‘ gemeint, denn nur während einer seltenen seca absoluta herrscht zwölf Monate im Jahr Trockenheit. Die landwirtschaftliche Produktion kann allerdings auch durch eine „grüne Dürre“ (seca verde oder seca agrícola) ruiniert werden, wenn die Niederschläge für die allgemeine Vegetation ausreichen, aber für eine erfolgreiche Ernte zum falschen Zeitpunkt auftreten. In aller Regel handelt es sich dabei nicht um eine seca total, die im gesamten Semi-Árido zu spüren ist, sondern um eine regional beschränkte seca parcial. Der Kern des Dürregürtels, welcher zu 80 bis 100 Prozent von den Trockenzeiten betroffen ist, umschließt den Großteil Cearás, das weite Hinterland von Piauí, Rio Grande do Norte, Paraíba und Pernambuco sowie einen Landstrich im nördlichen Bahia. Innerhalb dieser groben Abgrenzung gibt es von Dürre zu Dürre erhebliche Unterschiede, und besonders gravierende Trockenperioden können auch auf die anderen Bundesstaaten des Nordostens

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Gomes, Gustavo Maia, Velhas secas em novos sertões: continuidade e mudanças na economia do Semi-Árido e dos Cerrados nordestinos, Brasília: IPEA, 2001, S. 251. Duarte gibt für 1998 eine Bevölkerung von 18 Mio. im Trockengebiet an und unterstreicht die – gemessen an den klimatischen Bedingungen – hohe Bevölkerungsdichte von 20 Einwohnern pro km2 in der, so Celso Furtado, am stärksten bevölkerten Halbtrockenzone der Welt. Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 17 f.; Furtado, Celso, Seca e poder: entrevista com Celso Furtado (entrevistadores Maria da Conceição Tavares, Manuel Correia de Andrade, Raimundo Pereira), São Paulo: Editora Fundação Perseu Abramo, 1998, S. 16. Für genaue Bevölkerungsangaben, auch im historischen Überblick, siehe Anhang 3.a. 4 Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 8  f., 24  f., 194, 197–210, 229–234; Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 33, 70. Siehe auch Castro, Iná Elias de/ Magdaleno, Fabiano Soares, „O imaginário da pobreza e a implantação industrial no semi-árido nordestino“, in: Anuário do Instituto de Geociências (UFRJ, Rio de Janeiro), Bd. 19 (1996), S. 21–34 (32). Nähere Angaben zur sozioökonomischen Situation werden weiter unten und in Anhang 3.a/b/c geliefert.

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Einleitung

übergreifen.5 Die Begriffe „Trockenperiode“ und „Trockenzeit“ werden hier synonym zu „Dürre“ verwendet und bezeichnen die sporadische Ausbreitung einer außergewöhnlichen Trockenheit, die über die regulären Trockenmonate von etwa Mai bis November hinausgeht. In Jahren mit normalen Niederschlägen verläuft die Regenzeit je nach Breitengrad von Dezember oder Januar bis April, Mai oder Juni. Die Niederschlagsrate liegt dann in den semi-ariden Gebieten bei 300 bis 800 mm pro Jahr, also zum Teil höher als der Durchschnittswert von 620 mm in der Regenmetropole London. Doch selbst unter diesen Voraussetzungen werden die Anpflanzungen erheblich beeinträchtigt, weil sich die Niederschläge lediglich auf die genannten vier bis sechs Monate konzentrieren und stets ein extrem hoher Verdunstungs- und Versickerungsgrad zu verzeichnen ist. Die tropische Sonneneinstrahlung von 3000 Stunden pro Jahr und Temperaturen von durchschnittlich 20 Grad Celsius Tagesminimum und 30 Grad Celsius Tagesmaximum bringen ein Evaporierungspotential von 3000 mm jährlich mit sich. Hält eine Dürre zwei Jahre an, trocknen Staubecken von weniger als 6 m Tiefe restlos aus. Umgekehrt kommt es angesichts der gewaltigen Unregelmäßigkeit der Niederschläge vor, dass sich an einem einzigen Tag die Hälfte der Regenfälle eines ganzen Monats und in einem Monat die Hälfte der Jahresniederschläge einstellen. Derartige Wolkenbrüche können in Trockenzeiten, wenn die Erde völlig ausgedorrt ist, aufgrund ihrer Konzentration großen Schaden anrichten – so an einem Tag im Dürrejahr 1919 mit 119 mm innerhalb von nur fünf Stunden.6 Etwa alle fünf Jahre ist ein beachtlicher Rückgang der Niederschläge zu registrieren, alle zehn bis zwanzig Jahre fallen 50 Prozent und mehr aus. Diese Trockenperioden können mehrere Jahre anhalten und jegliche landwirtschaftliche Tätigkeit unmöglich machen. Für das 18. bis 20. Jahrhundert sind 78 Jahre an Dürren dokumentiert. Auf ungefähr drei Jahre mit normalen Regengüssen

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Zur Ausdehnung des Dürregürtels siehe Karten b) und c) im Anhang. Für eine detaillierte Klimakarte mit Angabe der Trockenmonate siehe IBGE, Mapas temáticos. Mapas murais: Clima, ftp://geoftp.ibge.gov.br. Siehe des Weiteren Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 76 f.; Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 23. Zu Maranhão siehe Röhrig Assunção, Matthias, Pflanzer, Sklaven und Kleinbauern in der brasilianischen Provinz Maranhão 1800–1850 (Berliner Lateinamerika-Forschungen, Bd. 2), Frankfurt a. M.: Vervuert Verlag, 1993, S. 89. Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 22–25; Heidemann, Dieter, Arbeitsteilung und regionale Mobilität an der Peripherie des Weltmarktes. Zur Binnenwanderung in Nordostbrasilien (Aspekte der Brasilienkunde, Bd. 2), Mettingen: Brasilienkunde-Verlag, 1981, S. 143–145; Cavalcanti, Clóvis de Vasconcelos u.a., Nordeste do Brasil: um desenvolvimento conturbado (Estudos e pesquisas, Bd. 20), Recife: Editora Massangana/ Fundação Joaquim Nabuco, 1981, S. 102.

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folgte demnach ein Trockenjahr.7 Auch wenn es sich hierbei nur in wenigen Fällen um Jahrhundertdürren handelte und die offiziellen Berichte nicht mit objektiven Statistiken zu verwechseln sind, kommt in dieser Relation die Relevanz der Trockenperioden für die Region deutlich zum Ausdruck. Ihre Auswirkungen auf die Agrikultur und die Lebensqualität der sertanejos sind allerdings bei weitem nicht allein durch die klimatische Komponente zu erklären. Die Böden sind im Sertão vielerorts fruchtbar, so dass bei genügend Wasservorräten dauerhafte landwirtschaftliche Aktivitäten möglich wären. Da Regenfälle nicht prinzipiell fehlen, oftmals nur nicht mit den Erfordernissen der Aussaat- und Erntezeiten übereinstimmen, könnte eine gut konzipierte Wasserstrukturpolitik dieses Missverhältnis ausgleichen und die Abhängigkeit vom Klima einschränken. Heute gibt es im Semi-Árido mehr als 70.000 Stauanlagen, mit einem Fassungsvermögen von 37 Milliarden Kubikmetern.8 Abgesehen von der hohen Verdunstung, die technische Verbesserungen bei den Auffangbecken und der Konservierung des Wassers notwendig macht, liegt das Hauptproblem in der Verwendung der Wassermengen. Dementsprechend wird in der vorliegenden Arbeit das Thema Wasser nicht aus geologischer, sondern aus gesellschaftlicher Perspektive untersucht. Die soziale Wirkung des im Nordosten vorhandenen Wassers ist stark begrenzt, weil lediglich zwanzig Prozent der Stauanlagen an ein Verteilungssystem angeschlossen sind. Unter diesen Umständen ist die Mehrheit der Familien im Hinterland, die Subsistenzwirtschaft mit kleiner Viehzucht und Baumwollanpflanzungen kombiniert, fast vollständig auf günstige klimatische Bedingungen angewiesen. In Dürrejahren drohen ein kompletter Ernteausfall und hohe Verluste der Tierbestände. Selbst in regenreichen Wintern sind die Erträge der traditionellen Landwirtschaft gering, so dass keine Reserven für ausgedehnte Trockenperioden aufgebaut werden können. Während die Großgrundbesitzer über Staubecken, Brunnen und finanzielle Ressourcen verfügen, um ihre wertvollen Viehherden zu versorgen oder in andere Gebiete überzusiedeln, lebt das Gros der Bevölkerung in absoluter Armut.9 Die Kleinbauern müssen ihr Land und ihre Tiere zu niedrigen Preisen verkaufen, und zugleich schnellen die Kosten für Grundnahrungsmittel – einschließlich des Wassers – in die Höhe. Die Missstände halten auch nach dem Ende der 7 Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981, S. 143–145; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 75. Siehe die Auflistung der Trockenperioden in Anhang 2 (18.–20. Jahrhundert: 78 Dürren nach Minimalzählung, 98 nach Maximalzählung). 8 Suassuna, João (Agraringenieur, Fundação Joaquim Nabuco), zit. in: „Do rio para o sertão“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd. 2, Nr. 18 (April 2005), S. 22–24 (23). Duarte spricht von 100.000 açudes mit 25 Mrd. m3. Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 26. 9 Ebd., S. 25 f., 31, 33 f., 37, 135 f.; Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981, S. 143– 145; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 261 („economia de pobres, nos anos bons, e de miseráveis, nos anos de seca“).

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Trockenperiode an, denn mit dem verlustreichen Verkauf der Ackerflächen und Nutztiere haben die Menschen ihre einzige Wertanlage, Nahrungsquelle oder Tauschware für Notsituationen eingebüßt. Der Zusammenhang zwischen den Dürreauswirkungen und den Besitzstrukturen liegt auf der Hand. Die traditionelle Landkonzentration im Nordosten hat sich erst seit den 1980er-Jahren geringfügig vermindert, ist mit einem Gini-Koeffizient von 0,78 jedoch weiterhin sehr hoch (in dieser Messung von Ungleichheit steht 0 für minimale und 1 für maximale Benachteiligung).10 Gleiches gilt für die Einkommensverteilung, die im Jahr 2007 im Nordosten einen Gini-Koeffizienten von 0,8 aufwies.11 Im Sertão sind neben den Kleinbauern überwiegend temporäre Lohnarbeiter anzutreffen, deren Beschäftigungsverhältnisse während der Dürren unmittelbar aufgekündigt werden können. Die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen spiegeln sich klar in der traditionell niedrigen Lebenserwartung im Nordosten wider, die zwischen 1940 und 1970 durchschnittlich fünfzehn Jahre geringer als im Süden war, sich anschließend allmählich den Werten im Rest des Landes angenähert hat, aber nach wie vor fünf Jahre darunter liegt. Noch heute umfasst die Region 70 Prozent der ländlichen Armut Brasiliens.12 10

„Série histórica do índice de Gini“, in: Ministério do Desenvolvimento Agrário/Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária, O Brasil desconcentrando as terras. Índice de Gini, Brasília: INCRA, 2001, S. 4 (Anhang 18), www.incra.gov.br (Erhebung aus dem Jahr 2000). Siehe auch Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 39 (0,7918 nach Daten von 1992). Im weltweiten Vergleich zählt Brasiliens Gini-Koeffizient des ländlichen Grundbesitzes zu den höchsten. Melchers, Ingo, „Agrarreform und Armutsbekämpfung in Brasilien“, in: E+Z – Entwicklung und Zusammenarbeit (Frankfurt), Nr. 11 (November 2002), S. 316–318. Zur Besitzkonzentration in Brasilien und im Nordosten im Zeitraum 1950–80 siehe Anhang 3.b. 11 Ribeiro, Luci, „Produção de riqueza no Brasil segue concentrada“, in: „Seu bolso“, Jornal da Tarde (São Paulo) vom 12.8.2010, blogs.estadao.com.br. Siehe dort auch die Angaben für die in ganz Brasilien hohen Werte (im Durchschnitt 0,82). Nach einer unterschiedlichen Bemessungsgrundlage oszillierte der Gini-Index der brasilianischen Einkommensverteilung zu Beginn des 21. Jahrhunderts zwischen 0,56 und 0,58, gegenüber einem Wert von 0,38 in Europa. Vidor, George, „O desafio“, in: O Globo (Rio de Janeiro) vom 10.1.2005, S. 16. Siehe auch Haesbaert, der die Einkommensverzerrungen im Nordosten höher als im übrigen Land einstuft: Haesbaert, Rogério, „‚Gaúchos‘ e baianos no ‚novo‘ Nordeste: entre a globalização econômica e a reinvenção das identidades territoriais“, in: Castro, Iná Elias de/Gomes, Paulo Cesar da Costa/ Corrêa, Roberto Lobato (Hg.), Brasil: questões atuais da reorganização do território, Rio de Janeiro: Bertrand Brasil, 1996, S. 367–415 (388). Siehe außerdem Anhang 3.c zum Einkommensungleichgewicht in Paraíba. 12 Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 40; Silva, Nelson do Valle/Barbosa, Maria Lígia de Oliveira, „População e estatísticas vitais“, in: IBGE, Estatísticas do século XX, Rio de Janeiro: IBGE, 2006, S. 29–57 (39), ibge.gov.br; IBGE, Séries históricas e estatísticas. Esperança de vida, 1910–2000, ibge.gov.br; Melchers, „Agrarreform und Armutsbekämpfung in Brasilien“, in: E+Z (November 2002), S. 316–318. In Anhang  3.d

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Während eines Studienaufenthalts im Nordosten in den Jahren 1998/99 erlebte ich eine ausgedehnte Dürre – und vor allem die Debatte um sie – in den Bundesstaaten Ceará und Paraíba, was mich dazu bewegte, mit einer Forschungsgruppe in das Krisengebiet zu reisen und bei Regierungsstellen Informationen über die aktuelle Situation und die staatlichen Lösungsansätze einzuholen.13 Nach offiziellen Angaben handelte es sich um eine der drei gravierendsten Trockenperioden der vergangenen dreißig Jahre, die mehr als zehn Millionen Menschen im Semi-Árido betroffen habe. Die Presse schrieb von katastrophalen Hungerzuständen und führte aus, dass der Konsum im Nordosten während der Dürre von den normalen 2500 Kalorien am Tag auf durchschnittlich 1400 gefallen sei, in den vom Wassermangel besonders gezeichneten Regionen auf 500. In zahlreichen Städten, sogar im fruchtbaren Agreste und an der Küste, fehlte Wasser für den häuslichen Gebrauch und musste rationiert werden. Im Dezember 1998 wurden 464 Munizipien von 1099 Tankwagen versorgt.14 Das Ausbleiben der Niederschläge beherrschte die Berichterstattung, zumal dieser Aspekt zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich von existentieller Dringlichkeit war. Vom strukturellen, klimaunabhängigen Charakter der regionalen Armut wurde kaum Notiz genommen, obschon die statistischen Erhebungen keinen Zweifel daran lassen, dass ein Großteil der Bevölkerung im Sertão auch in regulären Jahren stets an der Grenze des Existenzminimums lebt.15 Die Frage drängt sich auf, warum die chronische Notlage erst beim Auftreten einer Trockenheit nennenswerte Beachtung findet und meist nur durch sie erklärt wird. werden statistische Informationen zu Armutsfaktoren in Paraíba und im Nordosten gegeben. 13 Daraus entstand die Studie Neufert, Tim, A situação sócio-econômica do Semi-Árido paraibano, relacionada à seca de 1998 (Abschlussarbeit eines Postgraduiertenkurses in Economia Brasileira, unveröffentlicht), Fortaleza: Universidade Federal do Ceará/CAEN, 1998. Die erwähnte Forschungsgruppe war Teil des an der Universidade Federal de Campina Grande (Paraíba) angesiedelten Programa de Estudos e Ações para o Semi-Árido (PEASA), und die meisten Kontakte wurden mir durch ein dreimonatiges Praktikum beim Staatlichen Rat zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte in João Pessoa (Paraíba) ermöglicht, in dessen Namen und zu dessen Nutzung ich die Untersuchung durchführte. Später erarbeitete ich zu dem Thema einen historischen Überblick von 1877 bis 1998: Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Problem (Diplomarbeit Regionalwissenschaften Lateinamerika, unveröffentlicht), Köln: Universität zu Köln/Iberische und Lateinamerikanische Abteilung des Historischen Seminars, 2001. Hierzu vgl. auch das Vorwort. 14 Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE), zit. in: Folha de S. Paulo vom 19.5.1998, S. 5; Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 42, 98, 112; Veja vom 6.5.1998, S. 31, auszugsweise abgedr. in: Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 33; ebd., S. 42. 15 IBGE, Mapa de pobreza e desigualdade 2003, ibge.gov.br. Für kritische Darstellungen in der Presse siehe z.B. den Artikel des Medizin-Professors (UFPb) Torres, Inácio Andrade, „Fome e seca no Nordeste“, in: A União vom 29.5.1998, S. 2 und Kapitel V.5.b.

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b) Diskurs und Repräsentation – die soziale Konstruktion der ­Wirklichkeit Um die tiefere Bedeutung des komplexen Phänomens der ‚Dürre‘ und seine Funktion in der öffentlichen Debatte zu verstehen, muss es über die rein klimatischen Begebenheiten hinaus, d.h. in seiner historischen, gesellschaftlichen und politischen Dimension erfasst werden. Letztere hängt untrennbar mit dem Bild der Dürre und der Dürreregion zusammen, welches im Laufe vieler Jahrzehnte geprägt wurde. Die allgemein verbreiteten Vorstellungen vom Nordosten sind sowohl inner- als auch außerhalb der Region vorrangig von den widrigen Lebensbedingungen im Sertão bestimmt. Dies bestätigt eine Umfrage, die ich 2005 während eines Forschungsjahres in Brasilien parallel zu den Archivrecherchen für mein geschichtswissenschaftliches Dissertationsprojekt durchführte. Von 3284 Befragten unterschiedlicher Gesellschaftsschichten in siebzehn Städten im Nordosten, Südosten und Süden gaben 2042 als spontane Gedankenverbindung zu „Nordosten“ die Dürre an. Ein Drittel der Teilnehmer trug in dem betreffenden Abschnitt des Fragebogens den Begriff „seca“ sogar in eines der ersten drei von zehn Feldern ein (ohne vorgegebene Antwortmöglichkeiten oder thematische Hinweise auf die Untersuchung).16 Angesichts der starken Assoziation des Nordostens mit der Dürre wird verständlich, wie es dazu kommen kann, dass sogar die klimaunabhängigen Armutsfaktoren mit den Trockenperioden begründet werden, und dies nicht nur für das semi-aride Hinterland, sondern ebenfalls für die Küstengebiete der Region. Umso relevanter ist es zu erschließen, wodurch die Dürre im Nordosten diese gewichtige, die eigentliche Naturerscheinung überragende Position erlangt hat. Durval Muniz de Albuquerque bietet hierauf eine Antwort an, indem er die Vorzeichen umkehrt – entgegen der vorherrschenden Ansicht sei die Dürre keine Angelegenheit des Nordostens, vielmehr sei der Nordosten eine Angelegenheit der Dürre.17 Gemeint ist damit die sich vor rund hundert Jahren vollziehende Entstehung des zuvor nicht existenten Nordostens als ‚Region der Dürre‘. Ausgangspunkt dieses Prozesses waren konkrete Ereignisse, doch die entscheidenden Impulse und Iden16

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Bemerkenswerterweise war dieses Bild gerade nicht im Nordosten am stärksten vertreten, sondern im Südosten und noch mehr im Süden. Siehe den genauen Wortlaut der Frage und die detaillierten Ergebnisse in Anhang 4. Es handelt sich um eine von zwanzig offenen Fragen eines Fragebogens, den ich in 46 Schulklassen, 71 Universitätskursen und von Vertretern ausgewählter Berufsgruppen ausfüllen ließ. An den Schulen und Universitäten verband ich die Umfrage mit anschließenden Vorträgen und Diskussionsrunden zum Thema Dürre und Nordosten. Albuquerque Júnior, Durval Muniz de, Falas de astúcia e de angústia: a seca no imaginário nordestino – de problema à solução (1877–1922) (Dissertação de mestrado em história, unveröffentlicht), Campinas: Unicamp, 1988, S. 296 („a seca não é do Nordeste, mas o Nordeste é da seca“).

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titätsmerkmale wurden auf diskursiver Ebene vermittelt. Demgemäß muss eine Annäherung an die Dürre und den Nordosten über den Dürrediskurs erfolgen. Die Diskursanalyse gehört auch in der historischen Forschung längst zum allgemeinen Handwerkszeug, wobei die „relative Unbestimmtheit des Begriffs“ eine große methodische Freiheit mit sich bringt.18 Dieser Spielraum wird von der Historikerin Michelle Perrot ausdrücklich eingefordert. Unter Bezugnahme auf Foucaults Surveiller et punir merkt sie an: „ein faszinierendes Werk, voller Anregungen für die Geschichtsschreibung, solange darin nicht der beruhigende Trost eines Schemas gesucht wird“.19 Für die vorliegende Arbeit kann in Anlehnung an Bourdieu die breit angelegte Leitlinie formuliert werden, die Diskurse im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen den sozialen Bedingungen ihrer Produktion und den Auswirkungen ihrer Zirkulation bzw. Rezeption zu untersuchen.20 Das von Foucault als „Archäologie“ bezeichnete Durchpflügen dieses Feldes soll die gesellschaftlichen Umstände und politischen Verflechtungen zu Tage bringen, die zur Entstehung von Diskursen führen, ihr Funktionieren ermöglichen oder ihren Wandel verursachen.21 Warum, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen haben sich diskursive Formationen entwickelt? Die Antwort steht zwischen den Zeilen: Diskurse verkörpern die „Geschichte (...) der wirklich gesagten Dinge“ gerade nicht durch die expliziten, oft kaum auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfenden Worte, sondern durch die impliziten, unzweifelhaft authentischen Hinweise auf die historische Bedingtheit ihres Seins.22 Ein Diskurs ist Fragment der Historie, dessen Aussagen seine Existenzund Wirkungsbedingungen und die „spezifischen Weisen seiner Zeitlichkeit“ widerspiegeln – er ist „Einheit und Diskontinuität in der Geschichte selbst“.23 Jeder diskursive Bestandteil rekurriert auf vorhergehende Komponenten, die seinen Platz im Aussagesystem determinieren, zugleich aber von ihm neu ge18 Baasner, Rainer/Zens, Maria, Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft: eine Einführung, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2001, S. 137. Siehe auch Leonhard, Jörn, Liberalismus: Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München: Oldenbourg, 2001, S. 52. 19 Perrot, Michelle, Os excluídos da história, Rio de Janeiro: Paz e Terra, 1988, S. 53, zit. in: Neves, Frederico de Castro, „Curral dos bárbaros: os campos de concentração no Ceará (1915 e 1932), in: Revista Brasileira de História (São Paulo), Bd.  15, Nr.  29 (1995), S. 93–122 (95). 20 Bourdieu, Pierre, Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches (Ce que parler veut dire. L’économie des échanges linguistiques, Paris 19821), Wien: Braumüller, 1990, S. 115. 21 Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981, S. 233. Zu den Aufgaben, Methoden und Definitionen der Diskursanalyse siehe ebd., S. 43, 68–108, 146–154, 168, 295. 22 Ebd., S. 184. Siehe auch ebd., S. 172. 23 Ebd., S. 170.

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staltet oder neu organisiert werden, ebenso wie parallele und nachfolgende Elemente in Übereinstimmung mit neuen Situationen auf ihn einwirken.24 Aussagen erlangen nicht durch willkürliches Formulieren Gültigkeit; sie richten sich nach anonymen, im Raum und in der Zeit festgelegten Gesetzen und Regeln und benötigen gesellschaftliche Anerkennung, um in einem bestimmten Kontext „aussagbar“ zu sein.25 In diesem Beziehungsgefüge werden sie miteinander kombiniert, transformiert, angeeignet, institutionalisiert, ins­ trumentalisiert und in Strategien für das Verlangen oder das Interesse eingebunden. Dabei wird den Akteuren lediglich eine Randbedeutung zugeschrieben. Die Diskurstheorie sieht das Subjekt nicht als eigentlich verantwortliche Quelle für den Sinn, den es produziert. Im Unterschied zu den bewusst anvisierten sozialen oder wirtschaftlichen Zielen liegt die übergeordnete diskursive Macht, die von den Redenden und Schreibenden ausgeht, nicht in deren Ermessen. Die im Diskurs zugelassenen Aussagen, auf denen die gängigen Weltdeutungs- und Erkenntnismuster beruhen, sind Ordnungsprinzipien jenseits der einzelnen Sprecher unterworfen. Andererseits sind die Individuen unweigerlich die zentralen Ansatzpunkte für die Diskursanalyse, auch wenn sie an der „subjektdezentrierten“ Gestaltung der Diskurse nur einen eingeschränkten Anteil haben.26 Diskurse konstruieren Gedankenwelten, die auf Realem fußen, über es hinauswachsen und dessen Platz einnehmen, indem sie in die Realität einfließen. Die historisch-soziale Realität ist Ergebnis kontinuierlicher Kreation, zumal allein der Versuch, sie zu verstehen, eine Interpretation und damit eine Transformation ihrer selbst bedeutet. Die Denkstrukturen, die ein Mensch über sich und seine Umgebung entwickelt, sind nicht einfach ein Reflex, eine Reproduktion des Gegebenen; sie sind eine die eigene Wirklichkeit prägende Produktion oder Modifikation. In diesem Sinne umfasst Realität die beiden Phasen der Realisierung – zum einen die Wahrnehmung und das Verständnis, zum anderen die Umsetzung, sprich die Durchsetzung einer bestimmten Vorstellung von der sozialen Welt. Daher ist Realität genau genommen die „Stätte ständiger Kämpfe um die Definition von ‚Realität‘“, in deren Folge die ‚Repräsentation der Realität‘ zur ‚Realität der Repräsentation‘ wird. Die „Macht der Repräsentation“ etabliert imaginäre Grenzen und Gebote des Denkens und Handelns und wirkt

24 Ebd., S. 181. 25 Ebd., S. 187  f.; ders., Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.  M.: Fischer, 20007 (19721), S. 25. 26 Ders., Archäologie des Wissens, 1981, S. 168, 171; Orlandi, Eni Pulcinelli, Terra à vista! Discurso do confronto: velho e novo mundo, São Paulo: Cortez/Campinas: Editora da Universidade Estadual de Campinas, 1990, S. 29; Baasner/Zens, Methoden der Literaturwissenschaft, 2001, S. 138, 146 („subjektdezentriert“), in Bezug auf Michel Foucault.

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sich auf diesem Weg direkt auf das Leben aus.27 Vor diesem Hintergrund wird die Dürre in der vorliegenden Untersuchung nicht in ihrer Eigenschaft als gegebene materielle Dinglichkeit betrachtet, welche der Existenz des Menschen vorausgeht, sondern als ein im Zusammenwirken sozialer Beziehungen ausgearbeitetes Repräsentationsfeld. Ebenso verhält es sich mit der Region der Dürre. Der Nordosten ist heute eine Realität, doch vor kaum mehr als 100 ­Jahren bezeichnete „o nordeste“ lediglich den Nordostwind.28 Die schließlich von suk­ zessiven Gesetzesvorhaben abgesteckte und sanktionierte Region ist, wie jeder von Menschenhand gezogene oder gedachte Landstrich, ein historisches Kons­ trukt, hervorgegangen aus der Korrelation zwischen Natur und Gesellschaft und den hiermit verbundenen symbolischen Repräsentationen. Letztere verfestigen und verstetigen ein Territorium in dem Maße, wie die von ihnen vermittelte Abstraktion der Realität für die eigentliche soziale Realität gehalten und „naturalisiert“ wird.29 Eine Region zu „denaturalisieren“ bedeutet, ihre Geschichtlichkeit im Terrain der Praktiken, Bilder und Diskurse zu suchen, die ihre Identität geprägt haben.30 Dabei stehen weniger die rein geographischen Elemente als vielmehr die mit ihnen zusammenhängenden Machtverhältnisse im Blickfeld. Regio lässt sich etymologisch vom Akt der Grenzziehung (regere fines) ableiten, durch welchen der König (rex, regis) seinen Herrschaftsbereich bestimmte – mit allen militärischen, wirtschaftlichen und fiskalischen Folgen. Auf eine allgemeine gesellschaftliche und politische Ebene übertragen, schreibt Bourdieu über die Charakterisierung von Regionen, dass „praktische Klassifizierungen (...) immer auch praktischen Zwecken untergeordnet und darauf ausgerichtet sind, gesellschaftliche Wirkungen zu erzielen“ und dass „praktische Repräsentationen womöglich erst 27 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 94, 99 (Hervorhebung im Original). Siehe auch ebd., S. 95, 110; Berger, Peter L./Luckmann, Thomas, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M.: Fischer, 1992 (19691), S. 3; Gomes, Alfredo Macedo, Imaginário social da seca. Suas implicações para a mudança social, Recife: Fundação Joaquim Nabuco/Editora Mas­ sangana, 1998, S. 23, 25, 29, 35, 37, 39; Castro, Iná Elias de, „Imaginário político e território: natureza, regionalismo e representação“, in: dies./Gomes, Paulo Cesar da Costa/Corrêa, Roberto Lobato (Hg.), Explorações geográficas: percursos no fim do século, Rio de Janeiro: Bertrand Brasil, 1997, S. 155–196 (173 f.); Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 101. 28 Zu konkreten Beispielen siehe Kapitel II.3.c. 29 Penna, Maura, O que faz ser nordestino. Identidades sociais, interesses e o „escândalo“ Erundina, São Paulo: Cortez Editora, 1992, S. 47, 60 („naturalização“; unter Bezug auf Serge Moscovici). 30 Albuquerque Júnior, Durval Muniz de, A invenção do Nordeste e outras artes (Série Estudos e pesquisas, Bd. 104; vollst. zugl. Diss., u. d. T. O engenho antimoderno, Campinas: Unicamp, 1994), Recife: Massangana/São Paulo: Cortez, 1999, S. 24–26 („desnaturalizar a região“).

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produzieren, was sie scheinbar beschreiben oder bezeichnen“.31 Indem die Provinzen32 des heutigen Nordostens als „Region der Dürre“ klassifiziert wurden, wurde der Nordosten effektiv als Region der Dürre kreiert. Der traditionelle „Norte seco“, der sich bis Ende des 19. Jahrhunderts lediglich auf die Trockenzonen der vier Provinzen Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba und Pernambuco erstreckte, wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts in seinen Randgebieten erweitert, bis er schließlich 1970 auf die gegenwärtigen neun Bundesstaaten des Nordostens angewachsen war.33 Das Toponym „Nordosten“ kam erstmals zu Beginn der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts in Gebrauch und setzte sich im Laufe von zehn bis zwanzig Jahren im politischen und journalistischen Umfeld weitgehend durch. Folglich wird der Terminus in der vorliegenden Arbeit von dieser Periode an verwendet, während für die vorhergehende Epoche der damals übliche Begriff „Norden“ benutzt wird. Den Namen rückwirkend auch für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert einzusetzen, wie von vielen Historikern unternommen,34 beschränkt die Region auf ihre geographische Hülle, ohne 31 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 94–96 (Hervorhebungen im Original), unter Referenz auf Benveniste, E., Le vocabulaire des institutions indo-européennes, Bd. II: „Pouvoir, droit, religion“, Paris: Ed. de Minuit, 1969, S. 14 f. 32 Die brasilianischen Einzelstaaten hießen im Kaiserreich (1822–89) províncias, in der Republik estados. Für die Zeit der Ersten Republik werden beide Ausdrücke in Übereinstimmung mit dem damaligen Sprachgebrauch synonym verwendet. 33 Albuquerque Júnior, Durval Muniz, „Palavras que calcinam, palavras que dominam: a invenção da seca do Nordeste“, in: Revista Brasileira de História (RBH) (São Paulo: ANPUH-Marco Zero), Bd.  15, Nr.  28 (1995), S. 111–120 (116); IBGE, Divisão político-administrativa e regional. Mapa da evolução político-administrativa, ibge.gov.br. 34 Folgende Autoren haben den Begriff „Nordosten“ – avant la lettre – für das 16.– 19.  Jahrhundert gebraucht (nach Publikationsjahren sortiert): Mota, Carlos Guilherme, Nordeste 1817: estruturas e argumentos, São Paulo: Perspectiva, Editora da Universidade de São Paulo, 1972; Monteiro, Hamilton de Mattos, Violência no Nordeste rural: 1850–1889 (Tese de doutorado em história), São Paulo: Universidade de São Paulo (USP), 1978; Batista Neto, José, Como uma luneta invertida (intervenção do Estado no semi-árido nordestino através do discurso ideológico da IOCS/IFOCS) (Dissertação de mestrado em história, unveröffentlicht), Recife: Universidade Federal de Pernambuco, 1986, S. 43; Curran, Mark  J., „A sátira e a crítica social na literatura de cordel“, in: ders./Diegues Júnior, Manuel u.a., Literatura popular em verso. Estudos (Coleção reconquista do Brasil, Nova série: Bd. 94), Belo Horizonte: Editora Itatiaia Limitada/São Paulo: Editora da Universidade de São Paulo/Rio de Janeiro: Fundação Casa de Rui Barbosa, 1986, S. 310–347 (316); ders., História do Brasil em cordel, São Paulo: Editora da Universidade de São Paulo, 2003 (19981), S. 19, 37, 41, 54; Logatto, Rosângela/Andrade, Joaquim Marçal Ferreira, „Imagens da seca de 1877–78 no Ceará. Uma contribuição para o conhecimento das origens do fotojornalismo na imprensa brasileira“, in: Anais da Biblioteca Nacional (Rio de Janeiro), Bd.  114/1994 (1996), S. 71–83 (75); Pietschmann, Horst, „Portugal – Amerika – Brasilien: Die kolonialen Ursprünge einer Kontinentalmacht“/Bernecker, Walther L., „Kolonie – Monarchie –

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



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die gesellschaftlichen und politischen Inhalte zu berücksichtigen, die erst in einer bestimmten historischen Konstellation den „Nordosten der Dürre“ hervorbrachten.35 Durch anachronistische Terminologien trägt die Geschichtsschreibung verstärkt zur Umschreibung der Geschichte bei, ein Aspekt, dem generell im Kontext der Diskursanalyse große Bedeutung zugemessen wird.

2. Einordnung in die Geschichtsschreibung zur Dürre und Zielsetzungen a) Paradoxon der Historiographie – die ‚vergessene‘ vs. ­‚meistbeschriebene‘ Region Die Historiker haben ihren Anteil an der diskursiven Konstruktion sozialer Realität. Daran besteht in der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen kein Zweifel mehr. Allein mit ihrer spezifischen Quellenauswahl, ihrem individuellen Blickwinkel und ihrer stets persönlichen Interpretation schaffen sie einen neuen Diskurs, lassen die Quellen nach ihrem Verständnis sprechen. Positiv ausgedrückt bringen neue Perspektiven neue Chancen mit sich. Indem Dinge von ihrem Platz verrückt werden – oft sind es Gemeinplätze –, entsteht Raum für Neues. Obschon Historiographie unweigerlich subjektiv ist, erweitern mannigfaltige Subjektivitäten das Panorama und die Paradigmen.36 Zugleich ist der Platz zu Republik: Das 19. Jahrhundert“/Zoller, Rüdiger, „Präsidenten – Diktatoren – Erlöser: Das lange 20. Jahrhundert“, in: dieselben, Eine kleine Geschichte Brasiliens, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2000, S. 11–123 (54)/127–212 (200)/215–320 (220) (siehe auch Begriffsklärung, S. 323); Villa, Marco Antonio, Vida e morte no Sertão. História das secas no Nordeste nos séculos XIX e XX, São Paulo: Editora Ática, 2001, S. 22 f.; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 78. Siehe hierzu Kapitel II.3.c. 35 Orts- und Eigennamen werden indessen in heutiger Orthographie wiedergegeben, da es sich lediglich um das Schriftbild und nicht um unterschiedliche Inhalte handelt. Nur in Zitaten – oder ausschließlich auf frühere Zeiten bezogen – werden sie in der ursprünglichen Form belassen, wodurch es zum Teil zu parallelen Schreibweisen kommt („Antonio Conselheiro“ vs. „Antônio Pessoa“; „Epitácio Pessoa“ im Text vs. „Epitacio Pessôa“ oder „Epitacio Pessoa“ in einigen Quellen). Die Provinz „Paraíba“ wird nach den aktuellen, deren Hauptstadt „Parahyba“ nach den zeitgenössischen Regeln angeführt, zumal sie bereits 1930 in „João Pessoa“ umbenannt und somit nicht mehr von den Rechtschreibreformen seit 1943 erfasst wurde (siehe auch Anmerkung in Kapitel II.1.b). 36 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 95; Albuquerque Júnior, Durval Muniz de, „Entrevista: A invenção da fala. Durval Muniz e a arte do historiador“, in: Balaio Universitário. Jornal do Ceres (Informativo da Universidade Federal do Rio Grande do Norte/CERES, Campus de Caicó, Natal), Bd. 1, Nr. 1 (22.9.2005), S. 1, 4–6 (5 f.).

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Einleitung

berücksichtigen, von dem aus Geschichte geschrieben wird. Viele Autoren, die sich dem Nordosten und der Dürreproblematik widmeten und widmen, lassen ein klares Engagement erkennen, wenn auch – naturgegeben – mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen. José Batista begründet seine Untersuchung über die staatliche Intervention im Sertão des Nordostens damit, „einem Landesteil eine Stimme zu geben, der nur unter dem Gesichtspunkt der Negativität in die öffentliche Debatte Eingang fand, als semi-aride Problemregion“.37 Das Thema sei ihm zufolge bisher kaum bearbeitet worden. Diese Einschätzung, sich praktisch als Erster für einen vernachlässigten Sertão stark zu machen, hat Batista mit etlichen Kollegen gemein, was bereits Licht auf das auch in universitären Kreisen verbreitete Bild des Dürregebiets wirft. Ganz im Gegensatz dazu stellt Iná Castro den Nordosten als die Region Brasiliens heraus, welcher die meiste Aufmerksamkeit in Form von Studien und Diskussionen zuteil wurde, gefördert durch wissenschaftliche Einrichtungen und gewichtige Institutionen wie die Entwicklungsbehörde für den Nordosten (SUDENE) und die staatliche Entwicklungsbank des Nordostens (BNB). Die fortbestehenden Probleme seien also nicht aufgrund mangelnder „fórmulas“ ungelöst geblieben.38 Das Forschungsinteresse an der Region ist in Brasilien bei weitem keine neue Erscheinung. Schon in einer Spezialbibliographie aus den 1950er-Jahren wurden über 1000 Titel aufgenommen, und seither sind unzählige hinzugekommen.39 Dementsprechend wies auch Rosa Maria Godoy Silveira den Norden/Nordosten 1984 als meiststudierte Region aus, bezeichnete die quantitativ ausgiebige Produktion jedoch mit Blick auf das 19. und 20.  Jahrhundert als qualitativ lückenhaft, ideologisch dominiert von der regionalistischen Bewegung als Reaktion auf die zentralstaatliche Interventionspolitik.40 Ihrer eigenen 37 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 287 f. 38 Castro, Iná Elias de, O mito da necessidade. Discurso e prática do regionalismo nordestino, Rio de Janeiro: Bertrand Brasil, 1992, S. 57 f. Zur Superintendência do Desenvolvimento do Nordeste siehe http://www.sudene.gov.br, zum Banco do Nordeste do Brasil siehe http://www.bnb.gov.br. 39 Menezes, Rui Simões de, Contribuição à bibliografia das sêcas (Publikation Nr.  22), Fortaleza: Banco do Nordeste do Brasil S. A., 1957, zit. in: Robock, Desenvolvimento do Nordeste, 1964, S. 84. Mehr als 300 Titel aus den Jahren 1950–99 sind aufgeführt in: Ab’Saber, Aziz Nacib, „Referências bibliográficas do Nordeste seco“, in: Estudos avançados (São Paulo: USP), Bd. 13, Nr. 36 (Mai/Aug. 1999), iea.usp.br/revista. Siehe außerdem Caldas Neta, U./Rolim, I.E.F.R., Os 650 títulos da bibliografia da seca na Coleção Mossoroense (Coleção Mossoroense, Serie C, Bd. DLXXV), Mossoró: Coleção Mossoroense, 1990; Medeiros, R./Galvão, C.A.P./Aranha, T. de Q., Otto Guerra. Bib­ liografia e uma visão do semi-árido, Rio Grande do Norte: Fundação José Augusto/ Brasília: Senado Federal, 1992, beide zit. in: ebd., S. 142. 40 Silveira, Rosa Maria Godoy, O regionalismo nordestino: existência e consciência da desigualdade regional, São Paulo: Ed. Moderna, 1984, S. 20 f., in Anlehnung an: Queiroz,

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



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Untersuchung über den Regionalismus im Nordosten schlossen sich zahlreiche thematisch benachbarte Studien an, so dass Silveira bereits eine Dekade später das Thema „Oligarchien und Dürre“ einer von ihr mitbetreuten Arbeit als „klassisch in der regionalen Historiographie“ einstufte.41 Während dem Nordosten und der Dürre im deutschsprachigen Raum nur eine marginale akademische Beachtung zukommt,42 empfiehlt sich für die umfang- und facettenreiche brasilianische Literatur zu dieser Materie zumindest eine skizzenhafte Periodisierung.

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Suely Robles Reis de, Historiografia do Nordeste (Coleção Monografias, Bd.  2), São Paulo: Secretaria de Cultura e Divisão de Arquivo do Estado, 19792, S. 7. Silveira, Rosa Maria Godoy, „Apresentação“, in: Ferreira, Lúcia de Fátima Guerra, Raízes da indústria da seca: o caso da Paraíba, João Pessoa: Centro de Ciências humanas, letras e artes/Editora Universitária, 1993, S. 9–11 (9). Die ursprüngliche Studie Ferreiras Estrutura de poder e secas na Paraíba (1877–1922) (Dissertação de Mestrado em História), Recife: UFPE, 1982, wurde von Prof. Dr. Marc Jay Hoffnagel betreut. In der deutschsprachigen Literatur konnten keinerlei Forschungsbeiträge über Epitácio Pessoa oder neue Erkenntnisse zu den Ursprüngen und zur frühen Entwicklung der Dürrepolitik ausfindig gemacht werden. Vereinzelt werden bestimmte Aspekte der Dürreproblematik in sozialwissenschaftlichen Abhandlungen aufgegriffen; so etwa in Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981; Brühl, Dieter, „Dürre – Modernisierung – soziale Macht: Zu den Ursachen des Elends im brasilianischen Nordosten“, in: Lateinamerika. Analysen – Daten – Dokumentation (Hamburg: Institut für IberoamerikaKunde), Bd. 3 (1985); Franke, Michael, Agrarprogramme im brasilianischen Nordosten. Von Sudene bis Projeto Nordeste (Arbeitsunterlagen und Diskussionsbeiträge/Documentos de trabajo  22), Hamburg: Institut für Iberoamerika-Kunde, 1986; Schwalbach, Michael, Autoritarismus und Wirtschaftspolitik in Brasilien (1964–1985). Zur politischen Ökonomie der wirtschaftlichen Entwicklung der Nordostregion (Europäische Hochschulschriften, Bd. 2419; zugl. Dissertation, Mainz 1993), Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, 1999. Ansonsten liegen Titel aus dem „Dritte-Welt“-Umfeld vor, deren Analyse eine Studie für sich darstellen könnte; z.B. Weskott, Martin, Nichts als Armut: der Nordosten Brasiliens. Textsammlung für Schule, Erwachsenenbildung, Gruppen und Kurse (Dritte-Welt-Materialien, Bd.  114), Katlenburg: Informationszentrum Dritte Welt Hannover, 1999. Eine ausgezeichnete Arbeit zur Diskursanalyse, die sich einem anderen Thema der Region widmet, ist Bartelt, Dawid Danilo, Nation gegen Hinterland. Der Krieg von Canudos in Brasilien: ein diskursives Ereignis (1874–1903) (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, hg. v. Rudolf von Albertini und Eberhard Schmitt, Bd. 87), Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2003. Zudem wird bald eine ebenfalls sehr zu empfehlende Dissertation aus dem Fachbereich Geographie erscheinen: Schmitt, Tobias, Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis. Eine politische Ökologie der Wasserknappheit im Nordosten Brasiliens (Dissertation, unveröffentlichtes Manuskript), Innsbruck: Leopold-Franzens-Universität/Institut für Geographie, Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften, 2013. Siehe auch ders., „O Sertão vai virar mar. Wasser als Schlüssel der Inwertsetzungsstrategien im Nordosten Brasiliens“, in: Geographische Rundschau, Jg. 62, Nr. 9 (Sept. 2010), S. 12–19 und „Globaler Wandel und die soziale Konstitution der Naturverhältnisse im Nordosten Brasiliens“, in: Coy, M./Neuburger,

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Einleitung

In der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts setzte sich eine Strömung traditioneller Historiker der Dürregeschichte aus Intellektuellen der regionalen Oligarchie zusammen, die nach positivistischem Ansatz aus überlieferten Daten Dürrechroniken erstellten und in der Trockenheit die hauptsächliche Ursache der regionalen Probleme sahen.43 Ihnen folgten Autoren, welche die Begebenheiten in einen breiteren Kontext einordneten und ökonomische, politische und gesellschaftliche Implikationen berücksichtigten. Meist in die staatlichen Institutionen zur Dürrebekämpfung eingebunden, boten sie stark technisch ausgerichtete Lösungsmodelle an, die sich – wie schon im Fall ihrer Vorgänger – auf den Wassermangel konzentrierten.44 In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde das Bild von Systemkritikern erweitert, die den Fokus auf die sozioökonomische Ausbeutung und gesellschaftliche Ungerechtigkeit richteten und die Trockenperioden lediglich als einen die Situation noch verschärfenden Zusatzfaktor bewerteten.45 Seit den 1980/90er-Jahren sind einige Autoren ei-

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M. (Hg.), Global change: Herausforderungen für Lateinamerika (Innsbrucker Geographische Studien, Bd. 38), Innsbruck: Leopold-Franzens-Universität, 2011, S. 75–89. Guerra, Phelippe/Guerra, Theóphilo, Seccas contra as seccas (Coleção Mossoroense, Bd. XXIX), Mossoró: Fundação Guimarães Duque/ESAM (Escola Superior de Agricultura de Mossoró), 19803 (19031); Almeida, José Américo de, A Parahyba e seus problemas, Parahyba: Imprensa Official, 1923; Alves, Joaquim, História das secas (séculos XVII a XIX), Edição especial para o Acervo Virtual Oswaldo Lamartine de Faria (19531), Coleção Mossoroense, http://www.colecaomossoroense.org.br; Pompeu Sobrinho, Thomaz, História das secas (século XX), 2. Ausg.: Homenagem ao primeiro centenário da abolição mossoroense (30.9.1883 a 30.9.1983) (Coleção Mossoroense, Bd. CCXXVI), Natal: Assembléia Legislativa do Rio Grande do Norte/Mossoró: Fundação Guimarães Duque/Escola Superior de Agricultura de Mossoró, 19822 (19531). Zu späteren Vertretern dieser Tendenz zählt u.a. Carli, Gileno De, Séculos de secas, Recife: Editora Pernambuco, 1984. Trindade, José Augusto, „As previsões da seca no Nordeste“, in: Boletim da Inspetoria de Obras contra as Secas, Nr. 5 (1915); ders., „Os postos agrícolas da Inspetoria das Secas“, in: Boletim da IFOCS, Bd. 13, Nr. 2 (1940); Duque, José Guimarães, Solo e água no polígono das secas (Serie I, A, Nr. 154), Fortaleza: Departamento Nacional de Obras Contra as Secas (DNOCS), 1949. Siehe außerdem Andrade, José Lopes de, Introdução à sociologia das sêcas, Rio de Janeiro: Editora A Noite, 1948. Aguiar, Manuel Pinto de, Nordeste – o drama das secas, Rio de Janeiro: Civilização Brasileira, 1983; Souza, Itamar de/Medeiros Filho, João, Os degredados filhos da seca. Uma análise sócio-política das secas do Nordeste, Petrópolis: Vozes, 19832; Carvalho, Otamar de, A economia política do Nordeste. Secas, irrigação e desenvolvimento, Rio de Janeiro: Campus/Brasília: ABID-Associação Brasileira de Irrigação e Drenagem, 1988; Ferreira, Indústria da seca, 1993. Zum sozial-politischen Hintergrund siehe Oliveira, Francisco de, Elegia para uma re(li)gião. SUDENE, Nordeste. Planejamento e conflito de classes (Série Estudos sobre o Nordeste, Bd. 1), Rio de Janeiro: Paz e Terra, 19813 (19771); Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984; Carvalho, Inaiá Maria Moreira de/ Haguette, Teresa Maria Frota (Hg.), Trabalho e condições de vida no Nordeste brasileiro,

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



33

nen Schritt weiter gegangen, indem sie das Phänomen „Dürre“ selbst in Frage gestellt, dessen symbolisch-imaginäre Eigenart aufgezeigt und die dahinterstehende historisch-gesellschaftliche Konstruktion nachvollzogen haben.46 Durval Muniz de Albuquerque nennt die Dürre eine Metapher für die Interessen und Bedürfnisse der regionalen Oligarchie – „Dürre an Arbeitskräften, Technologie, Investitionen“.47 Er spricht von einer „Erfindung“ der Dürre und des Nordostens und greift zur Erläuterung auf die fatale Trockenperiode von 1877–79 zurück, in deren Folge die Klimaeinbrüche mit Hilfe des Dürrediskurses zu einem systematischen wirtschafts- und machtpolitischen Instrument wurden und der Nordosten sich als dessen Wirkungsbereich konstituierte.48

b) Themenschwerpunkte und Quellenlage In der vorliegenden Arbeit soll der kritische Ansatz zur Trockenperiode von 1877–79 unter neuen Gesichtspunkten auf die Zeit der Ersten Republik (1889– 1930) ausgedehnt werden.49 Nach einer einleitenden Darlegung der komplexen Zusammenhänge von 1877–79, der Entstehung des ‚Nordostens der Dürre‘ und des Dürrediskurses, wird Letzterer für die folgenden fünf Dekaden aus der Perspektive der wesentlichen Diskursträger analysiert – der Kirche, der breiten Bevölkerung, der gehobenen Literatur, der technisch orientierten WissenSão Paulo/Brasília: Editora Hucitec, 1984. Weitere kritische Analysen führt Gomes, A., Imaginário social da seca, 1998, S. 60, 214 an. Zu der hier umrissenen Periodisierung der Dürregeschichte siehe außerdem Neves, Frederico de Castro, Imagens do Nordeste: a construção da memória regional (Coleção Teses Cearenses), Fortaleza: SECULT, 1994, S. 13 und in erster Linie Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 1. Ein alternativer Ansatz von Ferreira (Indústria da seca, 1993, S. 14 f.) wird in Kapitel IV.6.c vorgestellt. 46 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988; ders., Invenção do Nordeste, 1999; Castro, Iná, O mito da necessidade, 1992; Neves, Imagens do Nordeste, 1994; Gomes, A., Imaginário social da seca, 1998. 47 Albuquerque, Durval Muniz de, im Interview mit Tim Neufert (elektronisch aufgezeichnet), Unicamp/Campinas, 19.11.2004 („seca de tecnologia, seca de mão-de-obra, seca de investimento“). 48 Ders., Invenção da seca, 1995; ders., Invenção do Nordeste, 1999. Vergleichbare Studien zur ‚Erfindung‘ Amerikas, Frankreichs, Afrikas werden von Burke, Peter, O que é história cultural, Rio de Janeiro: Jorge Zahar Editora, 20082 präsentiert. Albuquerque, A invenção da fala, 2005, S. 4. 49 Die Bezeichnung „Erste Republik“ (bzw. zunächst ihre synonyme Variante „Alte Republik“) wurde während der ‚Revolution von 1930‘ geprägt, als die ‚Revolutionäre‘ sogleich die Gewissheit empfanden, dass eine „Neue Republik“ entstand. Melo, Fer­ nando, Epitácio Pessoa. Uma biografia, João Pessoa: Idéia, 2005, S. 186, mit Bezug auf Boris Fausto.

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Einleitung

schaftler und der regionalen Oligarchie. Dabei wirkt sich die Verfügbarkeit der Quellen auf die Schwerpunktsetzung aus. Während zum kirchlichen und technisch-wissenschaftlichen Diskurs vor allem Darstellungen aus der Fachliteratur herangezogen werden mussten und diese Abschnitte deshalb relativ kurz gehalten wurden, konnte zum oligarchischen Diskurs eine große Fülle an relevanten Quellen aus den Kongressannalen, der zeitgenössischen Presseberichterstattung und privater Korrespondenz zusammengetragen und ausgewertet werden. Der literarische Diskurs wird anhand eines zentralen Beispiels untersucht – Os sertões von Euclydes da Cunha, dessen Werk aus dem Jahr 1902 einen herausragenden Stellenwert für die Prägung des Bildes von der Dürre und den Menschen im Hinterland einnahm und nach wie vor einnimmt.50 Die Eingrenzung auf das Opus Eucyldes da Cunhas ist zudem darin begründet, dass die eigentliche Woge der Dürreliteratur erst in den 1930er-Jahren einsetzte und somit aus dem Betrachtungszeitrahmen fällt. Ebenfalls dem literarischen Feld zugehörig, allerdings auf eine andere Zielgruppe ausgerichtet, gibt die mündliche Tradition der Volkslyrik die Stimme der Landbevölkerung wieder. Zwar beherrschten auch in Brasilien seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Druckmedien immer mehr die öffentliche Meinung, doch in einer Gesellschaft ohne breit angelegte Schulbildung, mit einer Analphabetenrate von durchschnittlich 85 Prozent, vollzog sich ein Großteil der Kommunikation, Information und Tradierung elementarer Kenntnisse weiterhin auf der Basis oraler Überlieferung.51 Die Volkspoesie bietet für dieses Gebiet eine der wenigen schriftlichen Quellen und weist für den brasilianischen Norden bzw. Nordosten angesichts ihrer starken Verbreitung eine hohe Repräsentativität auf. Im Nachhinein als literatura de cordel bezeichnet, dienten die an Kordeln zum Verkauf angebotenen Gedichtheftchen als Vorlage zum Gesang und Vortrag durch die wenigen Lesekundigen im Hinterland, wo sie die Funktion eines „gesprochenen Journals“ erfüllten.52 Die hier vorgenommene, im Vergleich zur ausgewählten gehobenen Literatur merklich 50

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Cunha, Euclides da, Os sertões. Campanha de Canudos, Edição comemorativa do 70° aniversário de morte do autor, Rio de Janeiro: Francisco Alves/Instituto Nacional do Livro/Ministério da Educação e Cultura, 197929 (19021). Zur fortwährenden Hochschätzung Cunhas siehe Kapitel III.3.b und exemplarisch Lima, Nísia Trindade, Um sertão chamado Brasil: intelectuais e representações geográficas da identidade nacional (zugl. Dissertation, Rio de Janeiro: IUPERJ, 1997), Rio de Janeiro: Revan/IUPERJ/UCAM, 1999, S. 17, 68. Die genannte Analphabetenrate beziffert den Landesdurchschnitt im Jahr 1890. Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 161. Diégues Júnior, Manuel, „Ciclos temáticos na literatura de cordel“, in: ders./Curran, Mark J. u.a., Literatura popular em verso. Estudos (Coleção reconquista do Brasil, Nova série, Bd. 94), Belo Horizonte: Editora Itatiaia Limitada/São Paulo: Editora da Universidade de São Paulo/Rio de Janeiro: Fundação Casa de Rui Barbosa, 1986, S. 30–177 (176: „jornal falado“). Siehe Kapitel III.2.a.

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



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priorisierte Gewichtung der volkstümlichen Poesie erklärt sich erneut durch den Quellenbestand, genauer gesagt durch einen in den letzten zehn Jahren erheblich verbesserten Quellenzugang.53 Dank des Zugriffs auf virtuelle Datenbanken, in denen inzwischen mehrere tausend Volksdichtungen archiviert sind, konnten aufschlussreiche neue Forschungsergebnisse erzielt werden, was eine ausführlichere Behandlung dieser Thematik nahelegte. Die angestrebte Diskursanalyse ist nicht lexikometrischen Zuschnitts, sondern an rein qualitativen Fragestellungen orientiert.54 Den skizzierten Diskurssträngen entsprechend setzt sich ihr Textkorpus zusammen aus 1.) amtlichem Schriftverkehr und Berichten der zuständigen Behörden und Institutionen; 2.) parlamentarischen Redebeiträgen und Gesetzesprojekten aus den Annalen des Nationalkongresses; 3.) Zeitungsartikeln, in erster Linie aus der Landeshauptstadt und dem Norden/Nordosten; 4.) privater Korrespondenz; 5.) Volksdichtungen; 6.) halbdokumentarischen und historischen Romanen, Erinnerungsliteratur und wissenschaftlichen Publikationen.55 Zwischen den Elaboraten und/oder Verfassern dieser unterschiedlichen Kategorien ist eine intensive wechselseitige Beziehung und Beeinflussung auszumachen. Dies wird besonders am Zeitungswesen deutlich, in dessen Erzeugnissen parlamentarische Sitzungsprotokolle veröffentlicht wurden und Politiker über den begrenzten Raum des Kongresses hinaus ihre Ansichten vertieften oder auf Kritiken reagierten. Die damalige Presse war unverblümt parteilichen Interessen verpflichtet, zumal sie sich weitgehend im Besitz von Politikern befand. Biographien und Memoiren wurden ebenfalls von Zeitungsverlagen publiziert.56 Die Autoren entstammten 53 54 55

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Siehe Pinto, Maria Rosário de Fátima, Catalogação de folhetos de cordel (Cadernos técnicos, Bd. 1, hg. von der Biblioteca Amadeu Amaral), Rio de Janeiro: Funarte/Centro Nacional de Folclore e Cultura Popular, 2002, S. 6. Siehe hierzu auch Daniel, Ute, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001, S. 352. Die verwendeten Quellen und Werke sind in diesen sechs Kategorien in der Bibliographie aufgeführt, einschließlich zugehöriger Hinweise auf Fundstellen und Archive. Die Annalen des Senats und der Abgeordnetenkammer sind mittlerweile komplett im Internet abrufbar unter senado.gov.br bzw. camara.gov.br. Allerdings sind die thematischen Indices dort nicht übernommen worden. Dank der Recherche in den Originalen im Nationalarchiv in Rio de Janeiro konnten die Anais da Câmara dos Deputados für den Betrachtungszeitraum vollständig auf das Thema hin überprüft werden. Für die Anais do Senado musste auf die Suchmaschine des Senats zurückgegriffen werden, was sich in einer geringeren Anzahl an Quellenbeispielen widerspiegelt. Z.B. Fernandes, Carlos D., Politicos do Norte, III: Epitacio Pessôa, Rio de Janeiro: Editor Conde Pereira Carneiro/Officinas Graphicas do Jornal do Brasil, 1919; Trigueiro, Oswaldo, A Paraíba na primeira república, João Pessoa: A União Editora, 1982. Siehe auch Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, Parahyba: Imprensa Official, 1923 und für ein jüngeres Beispiel Epitácio Pessoa (Série Histórica Paraíba — Nomes do Século,

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Einleitung

– wie auch im Metier der prestige- und einflussreichen Romankultur – oft der oligarchischen Agrarelite oder standen ihr zumindest ideologisch nahe. Zur Ausbreitung des Dürrediskurses ist vorwegzunehmen, dass die Trockenperioden nach den einschneidenden Erfahrungen von 1877–79 zwar zu einem wichtigen Aspekt in der nationalen brasilianischen Öffentlichkeit aufstiegen; sie waren jedoch kein omnipräsentes, ununterbrochenes Thema. Selbst unter den politischen und literarischen Vertretern des Trockengürtels waren sie nicht der primäre oder gar ausschließliche Diskussionsstoff, wenngleich in manchen Werken zur Dürregeschichte dieser Eindruck entstehen kann. Die Debatte um das Klimaphänomen war naturgemäß an das Auftreten oder die Erwartung außergewöhnlich schwerer Trockenzeiten gekoppelt, wobei sich die politische ‚Dürresaison‘ meist um einige Jahre über die klimatische hinauszog. Mit der Institutionalisierung der Dürrebekämpfung einhergehend, nahmen die Schilderungen und Forderungen aus dem Norden bzw. Nordosten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Form an und festigten den regionalistischen Diskurs. Die Beharrlichkeit der politischen Argumentation – vor allem gegenüber den Antagonisten aus dem Süden57 – ist ein wichtiges Element des Dürrediskurses und wesentlich für die Erkenntnis, wie sich dessen Aussagen zu einer Selbstverständlichkeit entwickeln und das Selbstverständnis der nordestinos bestimmen konnten. Daher soll dieser Verlauf anhand zahlreicher Quellenbeispiele erfasst werden, mit all seinen Schattierungen, Neuerungen und insbesondere auffälligen Kontinuitätslinien, wo ständige Wiederholungen Teil des Diskurssystems sind.58 Obschon zum politisch motivierten Bild der Dürre eine Reihe kritischer Studien vorliegt, kam eine erstaunliche Forschungslücke zum Vorschein – mit Epitácio Pessoa (1865–1942) blieb einer der maßgeblichen Akteure des Dürrediskurses und der Dürrepolitik weitgehend unberücksichtigt.59 Pessoa war zur

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Bd. 1), João Pessoa: Editora União, 2000. Zum Hintergrund der Presselandschaft siehe Kapitel II.2.c bzw. Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 160. Wenn für die Zeit der Ersten Republik von „Süden“ die Rede ist, sind gemäß des damaligen Usus alle Provinzen südlich von Bahia gemeint, da im Gegensatz zur heutigen Einteilung durch den Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE) noch nicht nach Süden und Südosten unterschieden wurde. Genauere Ausführungen erfolgen in Kapitel II.3.c. Die Beispiele aus den Quellen sind in aller Regel in deutscher Übersetzung als direktes oder indirektes Zitat in den Fließtext integriert. Der Vollständigkeit halber sind die portugiesischsprachigen Originale in einem separaten Quellenanhang aufgeführt, oft auch in erweiterter Form, um ergänzende Details anzubieten. Der Quellenanhang kann von der Internetseite des Böhlau Verlags (www.boehlau-verlag.com) heruntergeladen werden. Geben Sie dazu in der Schnellsuche das Stichwort „Neufert“ ein und klicken Sie in der Rubrik „Downloads“ den Link „Bonusmaterial“ an. Siehe hierzu Kapitel IV.6.c. Der Terminus „Dürrepolitik“ wird bewusst aufgrund seiner semantischen Ambivalenz gebraucht. Zum einen bezeichnet er – dem offiziellen

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



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Zeit der Ersten Republik, der prägenden Phase für die staatliche Dürrebekämpfung, der einzige Präsident aus dem Nordosten (1919–22). Die verheerende Trockenperiode von 1877, die Epitácio Pessoa im Alter von zwölf Jahren im Sertão miterlebte, sollte sich – wie seine Tochter Laurita später schrieb – seinem Gedächtnis unauslöschlich verhaften und seine Zukunft als Staatsmann vorzeichnen.60 Bereits 1891, als junger Abgeordneter im Nationalkongress, forderte er nachdrücklich Dürrehilfen für seine paraibanische Heimatprovinz.61 Dort führte er von 1915 bis 1930 praktisch als Alleinherrscher die dominante Oligarchie an und setzte die Dürrepolitik als Instrument der politischen Patronage und zur Förderung der oligarchischen Wirtschaftsinteressen ein. Dennoch gilt er als großer Wohltäter gerade der einfachen, armen Bevölkerung („obra social“)62, und die ausbleibenden Resultate seiner Vorhaben zur Dürrebekämpfung werden allenfalls mit Widerständen seiner politischen Gegner im Süden des Landes oder sogar in der eigenen Region erklärt. In seinen letzten Lebensjahren wurde er als bedeutendster Sohn Paraíbas, wenn nicht ganz Brasiliens gerühmt, der in den folgenden hundert oder zweihundert Jahren angesichts seiner moralischen Stärke und staatsbürgerlichen Erhabenheit kaum übertroffen werde.63 Das ungebrochene Vertrauen in die Integrität Epitácio Pessoas ist symptomatisch für den Erfolg des Dürrediskurses, auf dessen Grundlage es gelang, das gesellschaftlich herausgebildete Wissen um die Dürre zu einer außer Frage stehenden ‚Wirklichkeit‘ zu erheben und politisch zu nutzen. Dieser Vorgang soll – mit dem neuen Forschungsschwerpunkt Epitácio Pessoa – in drei Stufen von seinen Ursprüngen bis hin zu seiner praktischen Umsetzung auf höchster politischer Ebene durchleuchtet werden: die Politisierung der Dürre im Anschluss an die Trockenperiode von 1877–79 (Kapitel II); die gesellschaftliche Entfaltung des Dürrediskurses (Kapitel III); die Instrumentalisierung des Naturereignisses

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Jargon folgend – eine Vorsorgepolitik gegen die Trockenperioden („combate aos efeitos da seca“ bzw. moderner „políticas anti seca“), zum anderen deutet er eine die Dürrethematik umfassende Machtpolitik an. Siehe zur praktischen Anwendung des Begriffs auch Furtado, Seca e poder: entrevista com Celso Furtado, 1998, S. 27; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 419. Zu den Bekundungen der ältesten Tochter und Biographin Epitácio Pessoas, die ihren Vater in einem sehr positiven Licht erscheinen lässt, siehe Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, „A figura humana de Epitácio Pessoa“, in: Revista do Instituto Histórico e Geográfico Brasileiro (Rio de Janeiro), Bd. 268 (Juli–Sept. 1965), Rio de Janeiro: Departamento de Imprensa Nacional, 1966, S. 65–82 (79 f.) (Quelle I.2.b-01). Siehe Kapitel IV.2.b und IV.4.c. Ebd., S. 79 (Quelle I.2.b-01). „Dr. Epitacio Pessôa“, in: A Ordem. Orgão independente e de interesses sociaes (Campina Grande) vom 2.6.1935, S. 8 (Quelle I.2.b-02).

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Einleitung

im Rahmen der Nordostpolitik Epitácio Pessoas (Kapitel IV).64 Zu veranschaulichen ist dabei, welche historischen Umstände die diskursive Formation der Dürre und Dürreregion hervorbrachten, welche Faktoren den Dürrediskurs und die Dürrebekämpfung gesellschaftlich verankerten und welche politische Konjunktur sie unter dem Staatschef Epitácio Pessoa zum Regierungskonzept werden ließ. Abschließend wird von der historischen Untersuchung Pessoas über die Analyse der historiographischen Aufarbeitung seiner Person und Politik eine Brücke in die Gegenwart geschlagen. Die Rezeptionsgeschichte zur emblematischen Oligarchenfigur Epitácio Pessoa führt die zuvor entworfenen Argumentationsstränge zusammen und zeigt die anhaltende Aktualität der Thematik auf, denn das heutige Bild Pessoas erlaubt zugleich Rückschlüsse auf die herrschenden Vorstellungen von der Dürre und vom Nordosten und auf die überdauernde Bedeutung des Dürrediskurses. Die Politik des eloquenten Präsidenten aus dem Nordosten erweist sich auch aufgrund der Quellenlage als günstiger Angelpunkt der Analyse. Bereits in den 1950er- und 60er-Jahren erschienen die Obras Completas de Epitácio Pessoa in 25 Bänden, welche neben öffentlichen Zeugnissen seiner beispiellosen Karriere auch Privatkorrespondenz und autobiographische Darlegungen umfassen.65 Darüber hinaus konnten in Archivsammlungen seiner Heimatprovinz unveröffentlichte Briefe und Telegramme eingesehen werden, in denen er im Austausch mit Parteifreunden oder Verwandten in hohen Staatsämtern das politische Tagesgeschäft regelte.66 Ergänzt durch Ausführungen aus der regierungseigenen und oppositionellen Presse, gewährt diese breite Quellenbasis einen bemerkenswerten Einblick in den Führungsstil jenes ambivalenten Staatsmannes, der 1919 bei den Verhandlungen zum Versailler Vertrag als weltgewandter Friedensbotschafter auftrat und zugleich in seiner paraibanischen Wirkungssphäre mit eherner Autorität waltete. Für seine regionale und lokale Machtausübung spielte die Repräsentation der ‚Dürre‘ eine essentielle Rolle. Selbst aus dem semi-ariden Hinterland stammend und Spross der Agraroligarchie, brachte der überaus ambitionierte Pessoa die idealen Voraussetzungen mit, dem Dürrediskurs Geltung zu verschaffen und ihn für seine wirtschaftspolitischen Ziele zu verwenden. 64 65

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Zusätzlich zum ausführlichen Inhaltsverzeichnis ist am Ende der Arbeit ein Register angefügt, das ein gezieltes Auffinden auch der thematischen Unterpunkte erleichtert. Pessoa, Epitácio, Obras completas de Epitácio Pessoa, Bd. I–XXV, Rio de Janeiro: Ministério da Educação e Cultura/Instituto Nacional do Livro, 1955–1965. Siehe auch Costa, Adroaldo Mesquita da, „À guisa de explicação“, in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. I, 1955, S. IX–XIX (IX). Dabei handelt es sich um Briefe aus dem Nachlass Antônio Pessoas (Serie Correspondência com Epitácio Pessoa, 1897–1902) und João Pessoas (Serie Correspondência com Epitácio Pessoa, 1912–1928), beide archiviert im Arquivo Dr. Flávio Maroja/Instituto Histórico Geográfico Paraibano (für nähere Angaben siehe Bibliographie, „Private Korrespondenz und gesammelte Schriften Epitácio Pessoas“).

Einordnung in die Geschichtsschreibung und Zielsetzungen



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Vierzig Jahre nach der ‚Erfindung‘ von Dürre und Nordosten erreichte die Dürrepolitik mit der Präsidentschaft Epitácio Pessoas 1919–22 ihren Höhepunkt. Fast hundert Jahre später hat Pessoas damaliger Einsatz für die Region kaum an Anerkennung eingebüßt. Alle drei Prozesse – Erfindung, Umsetzung und Konservierung der Dürrestrategie – sind auf der diskursiven Konstruktion sozialer Realität begründet und sollen im Folgenden unter diesem Schlaglicht erhellt werden.

II. Der Einfluss der Dürrekatastrophe von 1877–79 auf Gesellschaft und Diskurs 1. Die Trockenperiode von 1877–79 im Kontext der ­Dürregeschichte a) Die ‚Große Dürre‘ – ein Begriff auf dem Prüfstand Die von 1877 bis 1879 währende Trockenheit, welche in ihrem Zentrum die Provinzen Ceará, Rio Grande do Norte und Paraíba und im Randgebiet vor allem Piauí und Pernambuco heimsuchte, ging als die „Große Dürre“ in die Geschichte des Landes ein. In der Fachliteratur wird sie fast einhellig als die Geburtsstunde der brasilianischen Dürrepolitik dargestellt, da in ihrer Folge die Trockenperioden des Nordens zu einer Angelegenheit nationaler Verantwortlichkeit wurden.67 Als Auslöser der zentralstaatlichen Hilfeleistungen gilt die übermäßige Härte jener Trockenzeit, die allein in der Provinz Ceará 500.000 Todesopfer gefordert haben soll.68 Die ihr beigemessene Relevanz und Einzigartigkeit wird häufig durch insbesondere im Portugiesischen und Englischen unübliche Majuskeln hervorgehoben. Damit wird im Schriftbild, selbst in kritischen Forschungsbeiträgen, die Klimakomponente eines Phänomens akzentuiert, dessen Auswirkungen nicht auf naturbedingte Faktoren zu reduzieren sind.69 Die Ansichten über die ‚Große Dürre‘ sind zu einem erheblichen Teil auf 67

Pompeu Sobrinho, Thomaz, História das secas (século XX). Edição especial para o Acervo Virtual Oswaldo Lamartine de Faria, Coleção Mossoroense (19531), S. 85, 223, 240; Robock, Desenvolvimento do Nordeste, 1964, S. 19; Della Cava, Ralph, Milagre em Joazeiro (Estudos Brasileiros, Bd. 13), Rio de Janeiro: Paz e Terra, 1976, S. 222; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 16; mit Einschränkungen siehe auch Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 75 f., 216, 245. Zu einer kritischen Position siehe Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 15. 68 Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981, S. 150. 69 Im Folgenden wird die ‚Große Dürre‘ in einfache Anführungsstriche gesetzt, um die nötige Distanz vom Dürrediskurs zu wahren. Ein Beispiel für die Großschreibung ist Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966, S. 79 („a Grande Sêca de 1877“, Quelle I.2.b-01). Beispiele aus der kritischen Literatur: Die „Grande Seca“ ist zu finden bei Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 84 und Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 15, obschon gerade Albuquerque die Zusammenhänge von 1877 hinterfragt. Allerdings verwendet der paraibanische Historiker nicht durchgehend die Großschreibung. Ebd., S. 20. „Great Drought“: Cunniff, Roger L., „The birth of the drought industry: imperial and provincial res-

Die Trockenperiode von 1877 im Kontext der Dürregeschichte



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jahrzehntelange diskursive Praktiken zurückzuführen, die vorrangig im politischen Feld ihren Ausgang nahmen und dort ihre breiteste Nutzung sowie ihren höchsten Nutzen erfuhren. Noch vier Dekaden später, am 21. Mai 1921, bekräftigte Epitácio Pessoa als Präsident der Republik in seiner Jahresansprache an den Kongress den Stellenwert der Trockenperiode von 1877, um anschließend die eigene aktuelle Dürrepolitik zu erläutern: Seit der frühen Kolonialzeit wurde im Nordosten Brasiliens auf die Trockenheit aufmerksam gemacht, doch die Einwirkung dieses Naturereignisses auf die Tatkraft der Regierenden machte sich erst mit dem Bevölkerungsanstieg und der Weiterentwicklung des Landes bemerkbar. Keine der herausragenden Dürren der vergangenen Jahrhunderte, nicht einmal jene der Jahre 1721, 1777 und 1793, weckte in dem Maße eine öffentliche Anteilnahme wie die Trockenperiode von 1877 bis 1879 (...). Jene „große Dürre“, als die sie aufgrund ihrer dramatischen Begebenheiten bekannt wurde, löste den aufrichtigen Eingriff des Staates zum Wohl der leidenden Bevölkerung des Nordostens aus.70

Neben der anachronistischen Verwendung des Begriffs „Nordosten“ enthält diese Passage eine Reihe aufschlussreicher Anhaltspunkte, um die Trockenperiode von 1877–79 und ihre Bedeutung für den Dürrediskurs zu untersuchen und daraufhin – im vierten Kapitel – auch die Position Epitácio Pessoas gegenüber und innerhalb der Dürregeschichte zu erschließen. In dem Zitat wird auf die Haltung der Gouverneure in der Kolonialzeit hingewiesen, den Tro-

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ponses to the Great Drought in Northeast Brazil, 1877–1880“, in: Revista de Ciências Sociais (Fortaleza: UFCE), Bd.  VI, Nr.  1/2 (1975), S. 65–82 (65); Greenfield, Gerald Michael, „The Great Drought and elite discourse in imperial Brazil“, in: Hispanic American Historical Review (Durham/North Carolina: Duke University Press), Bd. 72:3 (1992), S. 375–400; ders., „Drought and the image of the Northeast“, in: Levine, Robert M./Crocitti, John J. (Hg.), The Brazil reader. History, culture, politics, London: Latin American Bureau, 1999, S. 100–103 (101); ders., The realities of images: imperial Brazil and the Great Drought (Transactions of the American Philosophical Society, Bd. 91, Teil 1), Philadelphia 2001. Außerdem: Lewin, Linda, Politics and parentela in Paraíba. A case study of family-based oligarchy in Brazil, Princeton: Princeton University Press, 1987, S. 68 f. Die Autorin überträgt die Majuskeln ebenso auf die „Great Drought of 1888–1890“. Ebd., S. 69. Die „Große Dürre“: Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 86, 300, 333. Auf S. 333 verwendet Bartelt einfache Anführungsstriche. Pessoa, Epitácio, „Mensagem de 1921“, 3.5.1921, in: Mensagens presidenciais; presidência Delphim Moreira, 1919 e presidência Epitácio Pessoa, 1920–1922 (Documentos parlamentares, Bd. 71), Brasília: Câmara dos Deputados, 1978 (19221), S. 259–414 (392). Sämtliche Übersetzungen stammen vom Verfasser, sofern nicht anders angegeben; für die brasilianischen Originale siehe Quellenanhang auf der Homepage des Böhlau Verlags (hier: Quelle II.1.a).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

ckenperioden erst mit dem Anstieg der Bevölkerung und der Weiterentwicklung des Landes Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Offen bleibt die Frage, ob die genannten Dürren von 1721, 1777 und 1793 in Relation zu jener von 1877–79 von weniger folgenschweren Konsequenzen gezeichnet waren oder aus welchen anderen Gründen ihnen nicht dieselbe „öffentliche Anteilnahme“ zuerkannt wurde. Um welche neuartigen Beeinträchtigungen handelte es sich 1877, wen betrafen sie und in welcher Weise vollzog sich der „aufrichtige“ Einsatz des Staates zum Schutz der „leidenden Bevölkerung“? Um die von Epitácio Pessoa prononcierte Sonderstellung der ‚Großen Dürre‘ beurteilen zu können, müssen zunächst die skizzierten Aspekte innerhalb eines Vergleichs mit vorherigen Trockenperioden geklärt werden.

b) Gravierende Klimaeinbrüche bis 1877 im Vergleich Epitácio Pessoa spielte in der zitierten Rede auf Trockenzeiten in den Anfängen der kolonialen Epoche an. Die Kolonisierung Brasiliens begann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der Aufteilung des von Portugal beanspruchten Territoriums in lehnrechtliche Schenkungen, welche nach den militärischen Befehlshabern benannt wurden (capitanias).71 Schon relativ bald nach den ersten größeren Niederlassungen in den Kapitanien des Nordens (Gründung von Olinda 1535, Salvador 1549) berichteten die portugiesischen Siedler von Trockenperioden in der Region, wobei unterschiedliche Angaben über den Zeitpunkt der ersten registrierten Dürre vorliegen. Joaquim Alves, der sich in seiner História das secas auf den Jesuitenpater Fernão Cardim (1540–1625) bezieht, gibt die erste für das Jahr 1583 an. In seinem 1625 veröffentlichten Tratado da terra e da gente do Brasil informiert Cardim, die Zuckerproduktion habe gelitten und die indigene Bevölkerung – von den Kolonisten in die unwirtlichen Gebiete verdrängt – habe bei ihnen Zuflucht gesucht.72 Der Benediktiner Loreto do Couto datiert die erste Trockenperiode auf das Jahr 1564, und Padre Antonio Pires soll bereits 1552 eine Dürre verzeichnet haben. Noch weiter zu71 Die Kapitanien gingen während des Kaiserreichs (1822–89) in die Provinzen über und nach Ausrufung der Republik 1889 in die Staaten, an deren Spitze bis heute ein Gouverneur steht. Thomas, Georg, „Die portugiesische Expansion“ und „Das portugiesische Amerika (1549–1695)“, beide in: Bernecker, Walther u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd. 1, Stuttgart: Klett-Cotta, 1994, S. 297–310 (302 f.) bzw. 597–659 (606). 72 Cardim, Fernão, Tratado da terra e da gente do Brasil, Rio de Janeiro: Editores J. Leite & Cia., 1925 (16251), o. S., auszugsweise abgedr. in: Alves, História das secas (séc. XVII– XIX), Acervo Virtual (19531), S. 9 (Quelle II.1.b-01). Siehe auch ebd. und Villa, Marco Antonio, „Que braseiro, que fornalha“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd. 2, Nr. 18 (April 2005), S. 14–19 (14).

Die Trockenperiode von 1877 im Kontext der Dürregeschichte



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rückgreifend lässt sich anhand geologischer Nachforschungen konstatieren, dass die Regenausfälle seit über 7000 Jahren in der Region auftreten.73 Die Zeit vor der Besiedlung durch die Portugiesen kann hier allerdings ausgespart werden, zumal nicht die klimatisch-meteorologische Herkunft einer Naturerscheinung zu ergründen ist, sondern das in der brasilianischen Dürrepolitik kulminierende Verhältnis der Menschen zur seca. Für den Vergleich mit der ‚Großen Dürre‘ sollen beispielhaft einige der überlieferten Trockenperioden vor 1877 betrachtet werden, einschließlich der von Epitácio Pessoa erwähnten. Da das vorrangig betroffene Hinterland des Nordens bis ins 17. Jahrhundert nur äußerst dünn besiedelt war und dort erst im 18. Jahrhundert mit der Ausdehnung der Viehzucht und der Baumwollanpflanzungen die ersten kleinen Städte heranwuchsen, ist es sinnvoll, für die Gegenüberstellung Trockenperioden des 18. und 19. Jahrhunderts auszuwählen.74 Dies gewährleistet im Hinblick auf die Bevölkerungssituation und die Dokumentation der Dürren eine akkuratere Vergleichsbasis. In den entsprechenden Quellen, etwa in der Korrespondenz zwischen der Provinzverwaltung Paraíbas und der portugiesischen Krone, liegen zahlreiche Hinweise vor. In einer carta regia vom 24.5.1725, mit der König Johann V. von Portugal (Herrschaft 1706– 50) ein Schreiben des paraibanischen Generalkapitäns João de Abreu Castello Branco vom 5.7.1724 beantwortete, finden sich folgende Anmerkungen über den „traurigen Stand“ einer seit 1723 andauernden Trockenheit: Eine „große Zahl an Menschen [schied] dahin, die Herren versagten den Sklaven den Schutz,

73 Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 34, mit Bezug auf den Departamento de Biologia der Universidade Católica de Pernambuco. Siehe auch Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 194 f.; Villa, História das secas, 2001, S. 17. 74 Castro, Iná Elias de, „Natureza, imaginário e a reinvenção do Nordeste“, in: Rosendahl, Zeny/Corrêa, Roberto Lobato (Hg.), Paisagem, imaginário e espaço, Rio de Janeiro: Ed. UERJ, 2001, S. 103–133 (128); Prado Júnior, Caio, História econômica do Brasil, São Paulo: Brasiliense, 198328 (19451), S. 66–68; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 79; Pietschmann, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 120 f.; Holanda, ­Sérgio Buarque de (Hg.), História geral da civilização brasileira, Teil  I: A época colonial, Bd. 2: Administração, economia, sociedade, São Paulo: Difusão Européia do Livro, 1960, S. 221 f. Eine Liste der verzeichneten Trockenperioden vom 16. Jahrhundert bis in die heutige Zeit ist in Anhang 2 aufgeführt. Als schwerste Trockenzeiten bis 1877 gelten die Jahre 1710/11, 1723–27, 1736/37, 1744/45, 1777/78, 1790–93, 1809/10, 1815/16, 1824/25, 1844/45. Andrade, José Lopes de, Oligarquias, secas e açudagem: um estudo de suas interrelações funcionais, João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1980, S. 23. Zur Verbindung von Bevölkerungsanstieg und Dürreauswirkungen siehe auch Gareis, Maria da Guia Santos, „Cangaço e seca no Nordeste – uma história narrada em prosa e verso“, in: Schelsky, Detlev/Zoller, Rüdiger (Hg.), Brasilien. Die Unordnung des Fortschritts (Lateinamerika-Studien, Bd. 33, hg. von Walther Bernecker u.a.), Frankfurt a. M.: Vervuert Verlag, 1994, S. 127–162 (133).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

aufgrund der Unmöglichkeit, sie unterhalten zu können“.75 Castello Branco hatte über die Dürre von 1723/24 und die Aktivitäten der paraibanischen Behörden zur Linderung der Not Nachricht erstattet. Durch die Betonung der von der Provinzverwaltung finanzierten Beschaffung von Maniok-Mehl aus Bahia und Pernambuco hatte der Generalkapitän wahrscheinlich auf Zuwendungen seitens der Krone gehofft. Darauf ging Dom João V. jedoch nicht ein und ordnete stattdessen an, „Müßiggang oder Faulheit“ zu unterbinden und die Bauern, unter Androhung von Strafen, zur Kultivierung von Maniok zu bewegen und die Mindestversorgung während der Dürrejahre zu sichern.76 Derartige Zwangsmaßnahmen waren erforderlich, weil der lukrative Anbau von Zuckerrohr die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln fast vollständig aus den ertragreichen Küstengebieten in das Hinterland verdrängt hatte. Die Konsequenz waren verhängnisvolle Produktionseinbrüche in Zeiten mangelnder Niederschläge. In einer weiteren offiziellen Korrespondenz wurden die engenho-Besitzer als diejenigen bezeichnet, die den meisten Schaden davontrügen, da sie angesichts der Zuckermonokultur für ihren Lebensmittelbedarf, vor allem an Fleisch, gänzlich vom Sertão abhingen.77 Die Zuckergewinnung erscheint in den eingesehenen Quellen der Kolonialzeit als zentrales Thema. Mit der Begründung, der Hunger habe die versklavten Arbeitskräfte dahingerafft und die Zuckerproduktion zum Stillstand gebracht, bat die paraibanische Behörde 1730 den König um neue Sklaven. Seit 1723 leide die Kapitanie unter großer Unfruchtbarkeit.78 Die amtlichen Informationen über die klimatisch bedingten Schwierigkeiten müssen in Anbetracht finanzieller Interessen unter dem Vorbehalt bewusst übertriebener Schilderungen gesehen werden. Die deutliche Herstellung eines Zu75

Carta regia vom 24.5.1725 von Dom João V. an João de Abreu Castello Branco, versandt über den Conselho Ultramarino (Überseerat, seit 1642), abgedr. in: Pinto, Irineu Ferreira (Hg.), Datas e notas para a história da Paraíba, Nachdruck der Ausgabe von 1908, Bd. 1, João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1977, S. 123 (Quelle II.1.b-02). Eine carta regia (königlicher Brief ) konnte eine Mitteilung oder einen Befehl des portugiesischen Königs darstellen und richtete sich an eine bestimmte Behörde oder Amtsperson in Brasilien. Konetzke, Richard, Süd- und Mittelamerika I. Die Indianerkulturen Altamerikas und die spanisch-portugiesische Kolonialherrschaft (Fischer Weltgeschichte, Bd. 22), Frankfurt a. M.: Fischer, 1965 (19561), S. 126. 76 Carta regia vom 24.5.1725, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 123. Siehe ebenso die Aufforderung, den colonos höhere Arbeitsleistungen vorzuschreiben: Carta Regia vom 3.1.1736 von König João V. an den Conde das Galvóas, Vice-Rei do Estado do Brasil, abgedr. in: Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 42 f. Weiteres hierzu in Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 43. 77 Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 82. Der Begriff engenho steht für Zuckermühle und zugleich für die gesamte Zuckerrohrplantage. 78 Carta regia von 1730, zusammengefasst in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd.  1, 19081, S. 129 (Quelle II.1.b-03).

Die Trockenperiode von 1877 im Kontext der Dürregeschichte



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sammenhangs zwischen Trockenheit und Zuckerproduktion war ein wirksames Druckmittel gegenüber der Krone – schließlich war der Zucker trotz Krisenanfälligkeit nach wie vor das wichtigste landwirtschaftliche Exportgut der portugiesischen Kolonie. Das weit entfernte Königshaus hatte nur geringe Möglichkeiten, die aktuelle Klimasituation zu überprüfen. Zu bedenken ist auch, dass zwischen Anfrage aus Brasilien und Antwort aus Portugal stets mehrere Monate bis hin zu einem Jahr vergingen. Andererseits gehen die Historiker aufgrund der mannigfaltigen Dokumentation tatsächlich von einer schwerwiegenden Trockenperiode von 1723 bis 1727 aus, deren Nachwehen durchaus mehrere Jahre spürbar gewesen sein konnten. Zwischenzeitlich kamen ebenso desaströse Überschwemmungen mit großen Verlusten für die Vieh- und Zuckerwirtschaft hinzu, wie der nächste paraibanische Generalkapitän Francisco Pedro de Mendonça Gurjão am 22.6.1729 dem König mitteilte. In seinem Antwortschreiben vom 28.4.1730 ging João V. wohlwollend auf das Hilfsgesuch Gurjãos ein.79 Während einer vor allem Ceará bedrängenden Trockenheit im Jahr 1766 sah sich die portugiesische Krone zu ersten dauerhaften Maßnahmen zur Lösung der Klimaproblematik veranlasst. Die Wahrung der öffentlichen Ordnung zählte dabei zu den ausschlaggebenden Motiven, zumal ausdrücklich das Umherstreifen von Dürreflüchtlingen unterbunden werden sollte. In einer Ordem régia an die Regierung von Pernambuco, welcher noch bis 1799 die Rechtsprechung über Ceará oblag, ordnete Dom João V. an, die „vagabundierenden“ Menschen in Dörfern mit mehr als 50 Haushalten (fogos) an den Flussufern anzusiedeln und das umliegende Land gerecht unter ihnen aufzuteilen. Wer sich der Aufforderung widersetzte, sollte als Straßenräuber bestraft werden.80 Dieser Ansatz einer Agrarreform zeitigte eine positive Wirkung, weil langfristig Schutz bietende Städte (vilas) wie Sobral, Russas, Tauá und Quixeramobim entstanden. Als eigentlich ersten Verwaltungsakt, um den Dürreflüchtlingen durch Anpflanzungsprojekte in ihrer Notlage zu helfen, nennt Joaquim Alves in seiner História das secas die Gründung der Pia Sociedade Agrícola im Jahr 1794 auf Initiative des paraibanischen Gouverneurs José de Melo Castro.81 Dieser Schritt erfolgte im Anschluss an eine dreijäh79

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Carta regia vom 28.4.1730, Antwort des Königs João V. an den paraibanischen Generalkapitän Francisco Pedro de Mendonça Gurjão mit Referenz auf dessen Schreiben vom 22.6.1729, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 127 f. (Quelle II.1.b-04). Zum historischen Kontext siehe Burns, E. Bradford, A history of Brazil, New York/London: Columbia University Press, 1970, S. 59 f.; Jaguaribe, Hélio, Desarrollo económico y desarrollo político, Buenos Aires: Editorial Universitaria de Buenos Aires, 1964, S. 115; Andrade, J., Oligarquias e secas, 1980, S. 23. Ordem Régia (1766) von König João V. an die pernambucanische Regierung, zit. in: Studart, Guilherme (Barão de Studart), Datas e fatos para a história do Ceará, Bd. 1, Fortaleza: Tipografia Studart, 1896, S. 313, auszugsweise abgedr. in: Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 50. Ebd., S. 49 f., 68.

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rige Dürreperiode von 1791–93. In einem Brief aus dem Jahr 1803 beschrieb der Gouverneur Paraíbas die „große Armut (...), ein trauriges Resultat des Hungers, den diese Kapitanie in den Jahren [17]91, 92 und 93 erlitt und unter dem sie im vergangenen Jahre 1802 zu leiden begann“.82 Die Trockenheit habe die Viehund Landwirtschaft des Sertão beeinträchtigt und auch Menschenleben gekostet; wieder war von Nahrungsmittellieferungen aus Bahia die Rede. In Piauí sollen im Verlauf jener Dürre die Viehbestände um die Hälfte dezimiert worden sein. Von diesem Schlag erholte sich die piauensische Wirtschaft mehrere Jahrzehnte nicht, so dass es Rio Grande do Sul gelang, für die heimische Produktion von Trockenfleisch den wichtigen Markt Bahias einzunehmen.83 An diesem Beispiel wird deutlich, wie die Dürre auf komplexe ökonomische Strukturen einwirkte und ihre Konsequenzen über unmittelbare klimatische Einschränkungen hinausgingen. Nach der Proklamation der brasilianischen Unabhängigkeit am 7. September 1822 wartete die Verfassung von 1824 mit einer bedeutenden Erneuerung auf, indem sie jedem Bürger im Fall einer Naturkatastrophe (calamidade) bedingungslose Hilfe garantierte. Dieser konstitutionelle Mechanismus sollte sich für die Präsidenten der entfernten Provinzen im Norden als zunehmende Versuchung erweisen, eine Dürrekatastrophe auszurufen, um aus dem kaiserlichen Hilfsfonds zu schöpfen.84 Die hiermit verbundene Verwendung staatlicher Gelder war schwer zu kontrollieren, insbesondere in einem System, das seit der Kolonialzeit öffentliche und private Macht aufs Engste verknüpfte. Zwar reagierte der erste brasilianische Kaiser Dom Pedro I. zögerlich auf Hilferufe, doch nach seiner Abdankung im Jahr 1831 zeichnete sich unter den Regentschaften von 1831–40 eine vorteilhaftere Ausgangslage für das Dürregebiet ab. Hintergrund war wahrscheinlich der Aufstieg eines neuen politischen Blocks mit einflussreichen Repräsentanten aus dem Norden. Erstmals wurden Gelder der kaiserlichen Regierung bewilligt, um die Folgen einer Dürre zu mildern. In Ceará, Paraíba und Pernambuco wurde 1833 der Bau von Brunnen autorisiert, und José Martiniano de Alencar förderte in seiner ersten Amtszeit als Gouverneur von Ceará (1834–37) den Bau von Stauanlagen durch Prämien für Landbesitzer. Während das Phänomen der Wasserbaulösung erst mehrere Jahrzehnte später an Bedeutung gewinnen sollte, stellten sich die genannten Vorläufer insgesamt als wenig durchgreifend heraus, weil sie bereits 1837 wieder abgebrochen wurden – an-

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Officio do Governador vom 28.2.1803, amtliches Schreiben des paraibanischen Gouverneurs Luiz da Motta Feo, Vizegraf von Anadia, an die portugiesische Königin Maria I. (Herrschaft 1777–1816) bzw. ihren Sohn Johann (seit 1792 Regent), abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 229 f. (Quelle II.1.b-05). 83 Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 84. 84 Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 68 (Quelle II.1.b-06); Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 54.

Die Trockenperiode von 1877 im Kontext der Dürregeschichte



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gesichts ausufernder Missbräuche.85 Als 1845 eine weitere schwere Dürre einen Großteil des Nordens traf, berichtete der paraibanische Provinzpräsident Frederico Carneiro de Campos dem seit 1840 amtierenden Kaiser Dom Pedro II. von der Notsituation im Sertão, die zu großen Migrationswellen geführt habe: „Der Schrecken des Hungers hält an, vorrangig in einigen Gemeinden des Hinterlands, völlig verlassen nach der Auswanderung“. Erneut dienten die Schilderungen des Elends, der verdorrten Anpflanzungen und schwerer Insektenplagen zur Forderung von Hilfsmitteln. Diese wurden schließlich durch einen Minister der kaiserlichen Regierung in Form von Mehllieferungen angeordnet und durch den Präsidenten der Provinz weitergeleitet.86 Die zweite Hälfte des 19.  Jahrhunderts brachte zahlreiche Abhandlungen und Lösungsvorschläge zur Dürre hervor, vor allem seit Einrichtung der Imperial Comissão Científica e Comissão Exploradora das Províncias do Norte im Jahr 1856.87 Diese begutachtete unter anderem das bereits zehn Jahre zuvor entworfene und seit 1857 von Dom Pedro II. unterstützte Vorhaben einer Kanalverbindung des São Francisco mit weniger wasserreichen Flüssen des Nordens. Obwohl der Kaiser im Jahr 1859 persönlich eine Reise in die Region unternahm, bewirkten fehlende Mittel und Zweifel an der technischen Durchführbarkeit die baldige Aufgabe des Projekts. Weitere Bestrebungen der Jahre 1859–61 beinhalteten den Bau von Straßen, Brunnen und Stauanlagen, die darin zu betreibende Fischzucht, meteorologische Stationen und Aufforstungsprogramme. Die Relevanz der hierfür unabdingbaren wissenschaftlichen Beiträge ist nicht zu unterschätzen, zumal noch viele Jahrzehnte lang der Bedarf an grundsätzlichen Erkundungen und Erhebungen groß war. Nennenswerte konkrete Realisierungen oder gar eine systematische Intervention blieben aus. Die allgemeine Lehrmeinung folgt daher dem Urteil des paraibanischen Staatsmannes José Américo de Almeida (1887–1980), bis zur letzten größeren Dürre vor 1877 habe die 85

Details bei Villa, História das secas, 2001, S. 22 f. und ders., Que braseiro, 2005, S. 14. Siehe auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 44–46. Die Missbrauchsangaben stammen von Jaguaribe, Domingos José Nogueira (Ceará), Anais do Senado, Rio de Janeiro, 25.6.1877, S. 222 und Araripe, Tristão Alencar (Ceará), Anais da Câmara dos Deputados, Rio de Janeiro, 27.6.1877, S. 283. Dieser Hintergrund wird von Villa übergangen, dessen Argumentation sich darauf konzentriert, die Vernachlässigung des Nordens durch die Zentralregierung im Süden zu monieren. Eine nähere Beurteilung der Dürregeschichte Villas erfolgt in Kapitel IV.6.c. 86 „Presidência da Província [Paraíba], informando ao Governo Imperial“, Juli 1845, abgedr. in: Pinto, Irineu Ferreira (Hg.), Datas e notas para a história da Paraíba, Nachdruck der Ausgabe von 1916, Bd. 2, João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1977, S. 171 f. (Quelle II.1.b-07). 87 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 206–208. Einige Autoren, z.B. Villa, História das secas, 2001, S. 26, geben als Gründungsjahr 1859 an, vermutlich weil in jenem Jahr die eigentliche Forschungsreise begann.

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

offizielle Unterstützung aus nicht mehr als der „Verteilung von Almosen“ bestanden.88 Ein gewisser Vorbehalt ist bei dieser pauschalisierenden Aussage eines Politikers geboten, der als Chronist, Romancier und Minister seit den 1920erJahren selbst den Dürrediskurs und die Dürrepolitik mitprägte.89 Teilweise bestätigen die untersuchten Quellen seine Bewertung der Hilfeleistungen, die sich in der Kolonialzeit überwiegend auf sporadische Lebensmittellieferungen beschränkten und nur durch Drängen der lokalen Behörden zustande kamen. Andererseits wurden seit der Gründung des Kaiserreichs durchaus langfristige Konzepte angestrebt, die jedoch nicht konsequent verfolgt oder wegen missbräuchlicher Nutzung abgesetzt wurden und sich daher bei erneuten Trockenzeiten als weitgehend fruchtlos erwiesen. Notmaßnahmen, Verpflegung und Unterkünfte für Dürreflüchtlinge waren meist unzureichend. Dies galt sowohl für die Menschen, die in den Hauptstädten des Nordens Zuflucht gefunden

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Almeida, José Américo de, zit. in: Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 204. Siehe des Weiteren Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 19, 44–46; Villa, História das secas, 2001, S. 25; Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 50 f. Almeidas literarische Werke der 1920er-Jahre, in erster Linie A bagaceira von 1928, waren Wegbereiter des regionalistischen romance do Nordeste bzw. des romance de 30. Seine Zugehörigkeit zur Regierung João Pessoa in Parahyba diente ihm als Sprungbrett zu zahlreichen hohen Ämtern auf staatlicher und nationaler Ebene nach 1930. Academia Brasileira de Letras, José Américo de Almeida. Biografia, www.academia.org.br; Mello, Evaldo Cabral de, O Norte agrário e o Império: 1871–1889, Rio de Janeiro: Nova Fronteira/Brasília: Instituto Nacional do Livro (INL), 1984, S. 13. Zu Almeida siehe ebenfalls Kapitel IV.6.b. Zu „Parahyba“: Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz wird hier in der ursprünglichen Orthographie belassen, da sie unter diesem Namen nicht mehr von den Rechtschreibreformen seit 1943 erfasst wurde, welche der Provinz das Schriftbild „Paraíba“ gaben. Gegründet wurde die Stadt 1585 als „Cidade Real de Nossa Senhora das Neves“; umbenannt wurde sie zuerst 1588 in „Filipéia de Nossa Senhora das Neves“ (Hommage an König Philipp II.; Personalunion mit Spanien: 1580–1640), dann 1634 in „Friederickstadt“ (Hommage an Friedrich Heinrich von Oranien; Holländer in der Region: 1624–54), 1654 in „Cidade da Parahyba“ und 1930 schließlich in „João Pessoa“ (zu den Hintergründen siehe Kapitel IV.5.b). Guedes, Carlos Roberto Leite, „Os nomes“, in: ders., Portal da Cidade de João Pessoa. Breve história da cidade, http://paraibanos.com/joaopessoa; Bezerra, Josineide da Silva/Araújo, Luciana Medeiros de, „Reestruturação e centralidade: breves notas sobre a cidade de João Pessoa“, in: Urbana. Dossiê: Cidade, Imagem, História e Interdisciplinaridade (Campinas: CIEC/UNICAMP), Bd. 2, Nr. 2 (2007), S. 1–16 (3), www.ifch. unicamp.br/ciec/revista; „Acordo Ortográfico. Formulário Ortográfico de 1943 – Oficial no Brasil“, in: Instituto de Linguística Teórica e Computacional, Portal da Língua Portuguesa, portaldalinguaportuguesa.org; vgl. auch Pietschmann, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 52, 337–339; Burns, History of Brazil, 1970, S. 288 f.

Die Trockenperiode von 1877 im Kontext der Dürregeschichte



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hatten, als auch für jene, die sich noch im Sertão aufhielten und aufgrund mangelnder Transportmöglichkeiten nicht gerettet werden konnten.90 Die historischen Quellen weisen neben den indígenas und Sklaven die Kleinbauern und Landarbeiter des Sertão als hauptsächliche Opfer der schweren Dürreperioden aus.91 Die Anzahl der Todesfälle lässt sich für die Zeit bis ins 19. Jahrhundert nur durch grobe Schätzungen rekonstruieren. Noch heute sprechen einige Historiker für die Dürrejahre 1877–79 von „mindestens 500.000 Toten“ bzw. 4–5 Prozent der damaligen Bevölkerung Brasiliens.92 In manchen Werken ist gar von 500.000 bis einer Million allein in der Provinz Ceará die Rede.93 Andere Forscher warnen, dass bei derartigen Informationen aus den zeitgenössischen Aufzeichnungen die hohe Wahrscheinlichkeit von Übertreibungen des Katastrophenausmaßes zur Erlangung finanzieller Hilfen bedacht werden müsse. Der Zeitzeuge Rodolfo Teófilo, der sich in beispiellosem Einsatz medizinisch um die Notleidenden bemühte, gab die immer noch erschreckende, aber sehr viel niedrigere Zahl von 128.299 Toten in Ceará an. Entsprechend belaufen sich vorsichtigere Kalkulationen auf 150.000–250.000 Todesopfer im gesamten Norden.94 Diese Einschätzungen sind für den Vergleich mit den vor 1877 liegenden Trockenperioden wichtig. Berechnet man den prozentualen Bevölkerungsanteil der Todesopfer in Ceará 1825 und 1877, ergeben sich 13,9 bzw.

90 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 25; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 87; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 203 f. 91 Hierzu siehe auch ebd., S. 195; Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 114, 118; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 79. 92 Villa, História das secas, 2001, S. 13, 83; Vieira, Msc. Maria de Lourdes Gomes Meira, „Análise das políticas compensatórias e das estratégias de sobrevivência do homem do campo, principalmente no período de seca: um estudo de caso“, in: Mercator – Revista de Geografia da UFC (Fortaleza), Bd. 3, Nr. 6 (2004), S. 131 f. (131) (Vorstellung der gleichnamigen Dissertation von 2004). 93 Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981, S. 150 bzw. Robock, Desenvolvimento do Nordeste, 1964, S. 88. 94 Theophilo, Rodolpho, História da secca do Ceará (1877 a 1880), Rio de Janeiro: Imprensa Ingleza, 1922, S. 139, 256, 360; Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 66; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 196, 204; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 22–24. Albuquerque greift für seine Angaben auf folgende Quellen zurück: Silva, Joaquim Norberto de Sousa, Investigações sobre o levantamento da população geral do império de cada província de per si, tentado desde os tempos coloniais até hoje, Rio de Janeiro: Typografia Perseverança, 1870; Carli, Séculos de secas, 1984, S. 53; Veloso, Pedro Leão (Presidente da Província do Ceará), Relatório apresentado a Assembléia Legislativa do Ceará na sessão ordinária de 1881 pelo Presidente da Província Senador Pedro Leão Veloso, Fortaleza, 1881; Araújo, Maria Mafalda Baldoino de, O poder político e a seca de 1877–79 no Piauí (Dissertação de Mestrado em História), Recife: UFPE, 1985, S. 103; Della Cava, Milagre em Joazeiro, 1976, S. 123.

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13,4 Prozent, womit die sogenannte ‚Große Dürre‘ relativiert wird.95 Auch wenn die Angaben nur Annäherungswerte sind, zeigen sie zumindest, dass es bereits bei Trockenperioden vor 1877 extreme Todesraten gegeben hatte. Die Dürre von 1793 kostete laut offizieller Meldungen einem Drittel der Bevölkerung Pernambucos (86.755 Menschen) das Leben.96 Und während der acht Monate, in denen 1845 die Niederschläge aussetzten, seien allein in der kleinen Stadt Sousa im paraibanischen Hinterland täglich 10–20 Todesfälle zu beklagen gewesen. Diese beiden Trockenperioden von 1790–93 und 1845 werden von Otamar de Carvalho als Jahrhundertdürren bezeichnet, deren direkte Konsequenzen für die Bevölkerung jenen von 1877–79 gleichgekommen sein dürften.97 Weitere Vergleichskriterien sind Ausdehnung, Intensität und Dauer der Trockenzeiten. Die Dürre von 1877–79 umfasste gemäß Durval Muniz de Albuquerque ein kleineres Gebiet und war weniger intensiv als vorherige, da es in dem Zeitraum zu vereinzelten Regenfällen kam, vor allem in den Jahren 1878 und 1879. Konnte damals dank der Niederschläge ein Teil der Viehherden gerettet werden, seien bei der sich auf die gesamte Region erstreckenden Dürre von 1777– 78 praktisch alle Nutztiere verendet und die prosperierende Fleischindustrie Cearás zusammengebrochen.98 Die Dauer der von Epitácio Pessoa in seiner Rede erwähnten und jeweils auf ein Jahr datierten Trockenperioden der Jahre 1721, 1777 und 1793 betrug nach Aussage verschiedener Quellen in allen drei Fällen mehrere Jahre: 1721–25 (bzw. 1723–27), 1777–78 (bzw. 1776–78) und 1790–93.99 Die Gegenüberstellung der Dürre von 1877–79 mit früheren Trockenperioden lässt 95 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 22  f.; Gardner, George, „Um botanico inglez no Ceará, de 1838 a 1839“, in: Revista do Instituto do Ceará (Fortaleza), Bd. 26 (1912), S. 143–205 (149) (darin zu 1825: ca. 30.000 Tote von 215.726 Einwohnern Cearás); Carli, Séculos de secas, 1984, S. 53 (darin zu 1877: ca. 119.000 Tote von 886.276 Einwohnern Cearás). Bei Carvalho ist von 18 % die Rede. Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 197. 96 Mello, Jerônimo Martiniano Figueira de (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 246 (Quelle II.1.b-08); Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 24. 97 Ebd.; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 204. Andere Autoren beziehen noch weitere Dürren ein, z.B. jene der Jahre 1816 und 1825. Seixas, José Pordeus Rodrigues, „Tabella demonstrativa dos annos favoraveis e de sêccas nos Estados do Norte do Brasil, a saber: Pernambuco, Parahyba, Rio Grande do Norte, Ceará e Piauhy“, ursprünglich verfasst am 15.6.1900 in Umary do Pordeus, reproduziert im Artikel „As sèccas“, in: A União Agricola. Orgam mantido pela Sociedade de Agricultura da Parahyba. A UniãoSabbado (Parahyba) vom 15.2.1919, S. 3. 98 Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 112; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 21; Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, 1923, S. 332; Prado Júnior, História econômica do Brasil, 198328 (19451), S. 68. 99 Vgl. Heidemann, Peripherie Nordosten, 1981, S. 141 mit Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 195 und Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 122. Siehe auch die Dürretabelle in Anhang 2.

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also darauf schließen, dass angesichts der relativ vergleichbaren Ausmaße und Auswirkungen die ‚Große Dürre‘ lediglich als eine von mehreren gravierenden Klimaeinbrüchen gelten müsste. Um ihre weit darüber hinausgehende Position in der Dürregeschichte nachvollziehen zu können, sollen nun die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Begleitumstände erfasst werden.

2. Die Wechselwirkung von Dürre und ­Wirtschaftsdepression a) Verschärfte Not durch die ökonomische Krise im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Klimaunabhängige Krisenfaktoren: Abolition, Exporttief und ­Misswirtschaft

Die Untersuchung der Trockenperioden vor 1877 ließ als hauptsächliche Dürreopfer die Sklaven und die mittellose Bevölkerung des Sertão erkennen. Die Sklaven wurden in Zeiten extremer Entbehrung von den Großgrundbesitzern oft ihrem eigenen Schicksal überlassen und überlebten außergewöhnlich lange Dürren meist nicht. In solchen Jahren kam es zur Abwanderung ganzer Landstriche des vorrangig von Kleinbauern besiedelten Sertão, da deren Existenz vom Erfolg jeder einzelnen Ernte abhing. Die Latifundienbesitzer hingegen hatten in der Regel genügend Reserven, um die Klimaeinbrüche zu überstehen und im nächsten Winter neue Sklaven und neues Vieh zu erwerben. Während der Trockenperiode von 1877–79 war die Problematik jedoch komplexer als zuvor. Einer der hierfür verantwortlichen Faktoren war die Entwicklung der Sklavenhaltung: Bevor die Sklaverei – zumindest offiziell – 1888 vollständig beendet werden sollte, hatte das brasilianische Parlament 1850 die Abschaffung des Sklavenhandels beschlossen und 1871 neugeborenen Kindern von Sklavinnen durch das „Gesetz des freien Bauches“ (Lei do ventre livre) die Freiheit gegeben. Die verbleibenden Sklaven waren zu teuer geworden, um sie verhungern zu lassen. Daher versuchten die Landherren des Nordens, sie an die Plantagenbesitzer des Südens zu verkaufen, wo die Steigerung des Kaffeeanbaus die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöht hatte. So erreichte der interprovinzielle Sklavenverkauf seinen Höhepunkt mit der Trockenperiode von 1877, welche auf diese Weise die Verringerung der Sklavenarbeit im Norden beschleunigte.100 Zudem ver100 Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 114; Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 170, 183, 345; Eisenberg, Peter L., The sugar industry in Pernambuco. Mo-

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stärkte die Dürre einen ökonomischen Abwärtstrend, der in erster Linie Folge eines sich ausdehnenden Exporttiefs war. Die Weltwirtschaftskrise von 1873 bis 1896 senkte empfindlich das allgemeine Preisniveau. Wie aus den Relatorios der Provinzverwaltung Paraíbas hervorgeht, waren die Auswirkungen auf die wichtigsten Exportprodukte – Baumwolle und Zucker – besonders gravierend.101 Die klimatisch verursachten Einbußen in den Jahren 1877–79 trafen den Norden in einer schon zuvor prekären Finanzlage. Seit Beginn der Dekade war die wirtschaftliche Situation Paraíbas desolat, trotz guter Baumwollernten 1871 und 1872. Als einer der Gründe wurden in den offiziellen Amtsberichten exzessive und unseriöse Ausgaben für überflüssige Prachtbauten der Provinzregierung genannt.102 Im Nationalkongress klangen zur Zeit der ‚Großen Dürre‘ ebenfalls kritische Töne an, die über eine einfache Erklärung der Probleme durch die ausbleibenden Niederschläge hinausgingen. In einer Parlamentsrede vom 21.  Januar 1879 schrieb ein paraibanischer Abgeordneter die bereits vor der Trockenperiode von 1877 negative Haushaltsbilanz Paraíbas der Misswirtschaft und Verschwendung von Staatsgeldern zu. Um die daraus resultierende Schuldenlast zu senken, habe die Provinz die Steuern erhöht. Gegen diese nach Ansicht des Redners unsolidarische und verantwortungslose Maßnahme habe sich die Bevölkerung zu Recht in der als quebra-quilos bekannt gewordenen Volkserhebung aufgelehnt, benannt nach den neu eingeführten Gewichten zur Bemessung der Steuerabgaben. Die brutale Niederschlagung sei inmitten der Erntezeit erfolgt und habe nicht nur die Ernte, sondern auch die neue Aussaat verhindert. In dieser ohnehin zugespitzten Situation seien die Provinzeinnahmen aus den drei zentralen Wirtschaftszweigen Viehzucht, Baumwolle und Zuckerrohr in dernization without change, 1840–1910, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1974, S. 156 f. Zu genauen Angaben zum interprovinziellen Sklavenhandel 1874–84 siehe Santos, Ana Maria Barros dos, Die Sklaverei und ihre sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Dargestellt am Beispiel Pernambuco, 1840–1889 (Lateinamerika-Studien, Bd. 20, hg. von Titus Heydenreich u.a.; zugl. Dissertation ErlangenNürnberg), München 1985, S. 110. Zur 1888 in der Presse gefeierten Abolition siehe „Homenagem a primeira provincia livre do Brazil. Aos benemeritos libertadores cearenses no dia do seu immortal triumpho“, in: Arauto Parahybano. Periodico Litterario, Noticioso e Abolicionista (Parahyba) vom 25.3.1888, S. 1, 5. 101 Figueiredo, José Paulino de, Relatorio com que o exm. sr. Dr. José Paulino de Figueiredo, 1.° Vice-Presidente, passou a administração da Provincia da Parahyba ao exm. sr. Dr. Esmerino Gomes Parente no dia 24 de abril de 1877, Parahyba do Norte: Typ. do Jornal da Parahyba, 1877, S. 11. Siehe auch Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 170, 173, 200. 102 Vianna, Ulysses Machado Pereira, Relatorio apresentado á Assemblèa Legislativa Provincial da Provincia da Parahyba do Norte pelo presidente exm. sr. Doutor Ulysses Machado Pereira Vianna. Em 1.° de janeiro de 1879, Parahyba do Norte: Typ. Liberal Parahybana, 1879, S. 49 (Rubrik „A secca“) und 64 (Rubrik „Finanças“).

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den Dürrejahren auf unter ein Drittel gefallen. Den gleichen Krisenhergang bestätigte der Parlamentarier Moreira Brandão für seine Heimat Rio Grande do Norte.103 Auch ein Senator Cearás beschränkte sich in einem Kommentar zur mit der Trockenheit assoziierten Notlage seiner Provinz nicht auf das klimatische Phänomen, sondern führte Unvorsichtigkeit und Nachlässigkeit der cearensischen Regierung als mitverantwortliche Ursachen an.104 Ein Blick auf die demographische und ökonomische Entwicklung des Nordens soll den skizzierten Zusammenhang verdeutlichen. Seit der Kolonial­ zeit stellten Vieh- und Subsistenzwirtschaft im Sertão ein Komplement zu den Zuckerplantagen an der Küste dar. Dementsprechend bildeten sich zwei ­Agrareliten im Norden heraus, in der Zona da Mata die Zuckeroligarchie und im Sertão die Viehzuchtoligarchie, in deren Umfeld sich die Baumwollproduktion entfaltete. Die Jahre zwischen den beiden schweren Dürren von 1790–93 und 1845 markierten eine aus klimatischer Sicht relativ lange Periode ohne größere Schwierigkeiten, so dass die Bevölkerung gemessen an den von der Natur und den dominanten Wirtschaftssektoren gegebenen Verhältnissen überproportional zunahm. Auch die Zeit von 1850 bis 1877 war von großem Wachstum geprägt. Zwar wurde der Zuckerabsatz von den ständig fallenden Weltmarktpreisen geschwächt, doch die Baumwolle boomte in den 1860er-Jahren und erreichte optimale Kurswerte. Der florierende Außenhandel war vor allem auf den Sezessionskrieg in den USA (1861–65) zurückzuführen, der den dortigen Anbau lahmgelegt hatte. Der damit verbundene Populationsanstieg im Sertão wurde durch Zulauf von der krisengeschüttelten Küste noch verstärkt. Da die Viehwirtschaft ihrerseits von der Expansion und den aktuell hohen Fleischpreisen profitieren wollte, vergrößerten die Fazenda-Besitzer binnen kurzer Zeit die Viehherden um ein Vielfaches und dehnten die Weideflächen auf bisher gemiedene Trockengebiete aus. Im Gegensatz zum „Zeitalter der Lederwirtschaft“, als der Sertão von Mensch und Vieh noch gering bevölkert war und diese relativ gut mit der Natur harmonisierten, hatte man zu Beginn der 1870er-Jahre die momentan günstigen klimatischen und wirtschaftlichen Konditionen auf bedrohliche Weise ausgereizt.105 103 Vasconcellos, João Florentino Meira e (Paraíba)/Brandão, Moreira (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 61–63. Zur Revolte quebra-quilos von 1874/75 siehe Monteiro, Violência no Nordeste 1850–89, 1978, S. 146–169. 104 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 66 (Quelle II.2.a-01). 105 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 18; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 221; Schwalbach, Entwicklung der Nordostregion, 19931, S. 41 f., 73; Cano, Wilson, Raízes da concentração industrial em São Paulo (Coleção Corpo e alma do Brasil, Bd. LIII), Rio de Janeiro/São Paulo: Difel, 1977, S. 100; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 21 f. (unter Bezug auf Celso Furtado). Zu den Hintergründen des Wandels im Sertão von 1845–76 siehe das Kapitel „Background for tragedy: the changing backlands, 1845–1876“, in: Cunniff, Roger L., The Great Drought: Northeast

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Expansionistische Ambivalenz bzw. Rückschläge belasteten ebenso die Zuckermühlen. Die unter den labilen Weltmarktpreisen leidenden engenhos versuchten im gesamten Verlauf des 19. Jahrhunderts, ihre Verluste durch die Ausweitung der Produktion zu kompensieren. Ihr Anteil am internationalen Handel fiel jedoch von zehn Prozent vor 1850 auf unter sechs Prozent in den 1870er-Jahren, als die Zuckerkrise durch die Konkurrenz der Zuckerrüben in Europa verschärft und die brasilianische Ware vom europäischen Markt verdrängt wurde. Der Sturz der Wechselkurse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts förderte zwar allgemein die Exporte, erschwerte indes die Importe und die von ihnen abhängige Modernisierung, Qualitätsverbesserung und Rationalisierung. Sowohl die Zucker- als auch die Baumwollbranchen, die im Vergleich zu anderen Standorten wie Louisiana und Kuba technologisch weit zurücklagen, wurden vom Sog der Weltwirtschaftsdepression erfasst. Die Tendenz sinkender Preise nach dem Wiener Börsenkrach von 1873 wurde im Fall der Baumwolle noch dadurch akzentuiert, dass in den USA mit dem Ende des Bürgerkriegs die Produktion wieder anlief und auf dem internationalen Markt konkurrierte. In den Jahren 1876–77, also gerade zu Beginn der ‚Großen Dürre‘, hatte Brasilien die niedrigsten Einkünfte zu verzeichnen.106 Ausdehnung der Dürreauswirkungen über die gesellschaftlichen ­Grenzen hinweg

Bedeutete das Wirtschaftstief für den überbevölkerten und seine ökonomischen sowie ökologischen Strukturen überstrapazierenden Sertão einen kaum zu verkraftenden Schlag, so stürzte die Trockenheit die Region endgültig ins Chaos. In dieser Situation ergab sich eine völlig neue Entwicklung für die Landbesitzer, die sich der Spirale wechselseitiger Krisenzuspitzung durch Depression und Dürre nicht entziehen konnten. Ihnen war zum ersten Mal das Schicksal bestimmt, Brazil, 1877–1880 (Dissertation), Austin: University of Texas, 1970, S. 55–124 (55 f.). Zur Lederwirtschaft des Sertão siehe Menezes, Djacir, O outro Nordeste. Ensaio sôbre a evolução social e política do Nordeste da „civilização do couro“ e suas implicações históricas nos problemas gerais, Rio de Janeiro: Editora Artenova, 19702. 106 Eisenberg, Peter  L., Modernização sem mudança. A indústria açucareira em Pernambuco: 1840–1910, Rio de Janeiro: Paz e Terra/Campinas: Universidade Estadual de Campinas, 1977, S. 41–45 (inkl. Tabellen 3–5); Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 170; Burns, History of Brazil, 1970, S. 133 f., 140 (Zucker in der brasilianischen Exportbilanz: 1850er-Jahre 21,2 %, 1870er-Jahre 11,8 %); Leff, Nathaniel H., „Desenvolvimento econômico e desigualdade regional: origens do caso brasileiro“, in: Revista Brasileira de Economia (Rio de Janeiro: FGV), Bd. 26, Nr. 1 (Jan./März 1972), S. 11; Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 14; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 25–27.

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das sonst nur den Armen widerfahren war. Vor allem die Gutsherren mittelgroßer Fazendas wurden in den Ruin getrieben, aber auch viele Latifundisten vermochten sich aus Mangel an verfügbaren Lebensmitteln nicht im Hinterland zu halten und mussten sich dem Strom der Dürreflüchtlinge anschließen.107 Umso verheerender waren die Zustände für die unteren Gesellschaftsschichten. Die Viehzucht und die Baumwollkultur hatten im Sertão das kombinierte System von Latifundium und nicht-kapitalisiertem Minifundium hervorgebracht, in welchem Kleinbauern und Landarbeiter in verschiedenen Pachtformen vom Eigenanbau lebten und zugleich in sklavenähnlicher Knechtschaft für den Großgrundbesitzer arbeiteten. Durch die angespannte Wirtschaftslage hatte die breite Bevölkerung bereits vor der Dürre in ökonomischer und sozialer Misere gelebt. Als mit der Trockenheit die Selbstversorgung unmöglich wurde und die Preise der raren Nahrungsmittel in die Höhe schnellten, war die Mehrheit der sertanejos ihrer Überlebensbasis beraubt.108 Die Folge war ein gewaltiger Anstieg der Migrationsbewegung, die an der Küste zu einem hohen Angebot billiger Arbeitskräfte für die Zuckerplantagen führte. Aufgrund des Exportrückgangs war die Aufnahmefähigkeit von Arbeitern in den engenhos eingeschränkt, so dass in den Küstenstädten die sozialen Konflikte rapide anwuchsen. Die erheblichen Auswirkungen auf das Stadtleben und die Stadtbevölkerung – einfacher und gehobener Verhältnisse – sind am extremen Beispiel Fortalezas leicht nachvollziehbar: Die ursprüngliche Bevölkerung von 40.000 Einwohnern der aufstrebenden Provinzmetropole, die sich damals intensiv um ihre Verschönerung („aformoseamento“) bemühte, erlebte im Jahr 1877 eine Invasion von ca. 120.000 Dürreflüchtlingen.109 Auseinandersetzungen der retirantes untereinan107 Vasconcellos, Zacharias de Góes (Bahia), in den Annalen geführt als Zacarias, Anais do Senado, 27.6.1877, S. 251 (Quelle II.2.a-02); Seixas, „Tabella de sêccas“ (1900), in: A União Agricola vom 15.2.1919, S. 3 (Quelle II.2.a-03). Siehe auch Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 112–114, 116. 108 Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 56 (Rubrik „A secca“). Siehe des Weiteren Leal, Victor Nunes, Coronelismo: the municipality and representative government in Brazil, Cambridge: Cambridge University Press, 1977, S. 9, 145; Burns, E. Bradford, „Cultures in conflict: the implication of modernization in nineteenth-century Latin America“, in: ders./Skidmore, Thomas E. (Hg.), Elites, masses, and modernization in Latin America, 1850–1930, Austin: University of Texas-Press, 1979, S. 11–77 (34); Schwalbach, Entwicklung der Nordostregion, 19931, S. 64; Brühl, Dieter, A terra era nossa vida. Armut und Familie in Nordostbrasilien. Eine Untersuchung zum familiären Wandel im Stadt-Land-Vergleich, Frankfurt a. M.: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, 1989, S. 62, 96 f., 100; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 89; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 35. 109 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 104; ders., „Tragédia oculta“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd. 1, Nr. 2 (Dezember 2003), S. 72–77 (72); Barbalho, Alexandre, „Corpos e mentes dilacerados: O grotesco nas imagens da seca de 1877“, in: Trajetos. Revista de História UFC (Fortaleza), Bd. 3, Nr. 6

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der und mit den Ordnungshütern sowie Plünderungen zählten nun zum Alltag, nicht nur in Fortaleza, sondern auch in anderen Anlaufstätten an der Küste. Im cearensischen Aracati sollen 60–70.000 Menschen aus dem Hinterland Zuflucht gesucht haben, und in Paraíba wurden 30–35.000 Dürreflüchtlinge in der Hauptstadt und ihrer Umgebung gemeldet.110 Es liegen Berichte von Anthropophagie vor, unter anderem von Eltern, die in ihrer Not die eigenen Kinder verspeist haben sollen. Im Tausch gegen Lebensmittel prostituierten sich in Fortaleza Frauen und auch minderjährige Mädchen, oft von den Eltern angetrieben, die keine andere Überlebenschance sahen.111 Gewaltsame Übergriffe nahmen ständig zu, und in den großen Flüchtlingslagern an den Stadträndern breiteten sich Epidemien schnell aus und griffen auf andere Viertel über. Die verzweifelten Dürreflüchtlinge widersetzten sich den strengen Quarantäneauflagen und trugen ihre Krankheiten in die Stadt, um ihr Elend zu zeigen und um Verpflegung zu bitten. In Fortaleza wurden 80.000 Bewohner mit Pocken infiziert, was allein im Dezember 1878 täglich 350 Menschen das Leben kostete. Teilweise lag die Sterberate bei 1000 Todesfällen am Tag. Die Totengräber, meist unter den Dürreflüchtlingen selbst rekrutiert, kamen mit ihrer Arbeit nicht zügig genug voran und ließen die aufgestapelten Leichen bis zum nächsten Morgen liegen. Die Pockenepidemie machte auch vor

(April 2005), S. 139–150 (140); Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 194. Die Angaben schwanken zwischen „mehr als 100.000“ bei Rodrigues Junior (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 463; „108.000“ bei Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 539; „mindestens 114.000“ bei Neves, Frederico de Castro, „A miséria na literatura: José do Patrocínio e a seca de 1878 no Ceará“, in: Tempo. Revista Digital de História (Universidade Federal Fluminense), Bd.  11, Nr.  22 (Jan. 2007), S. 80–97 (91), www.historia.uff.br/tempo; „140.000“ bei Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 73. Zu vergleichbaren Sorgen über eine „Lumpeninvasion unserer schönen Stadt“ während der Dürre von 1915 siehe das Telegramm vom 16.7.1915 aus Sobral (Ceará), vorgetragen von: Serpa, Justiniano de (Ceará), Anais da Câmara, 19.7.1915, S. 732 f. 110 Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 464; Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 50 (Rubrik „A secca“). 111 Theophilo, R., História da secca do Ceará (1877 a 1880), 1922, S. 358; Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 94; Villa, História das secas, 2001, S. 66, 69. An dieser Stelle gelingt es Villa, sich moderater auszudrücken, während er in zahlreichen Passagen seines Buches die Szenen des Schreckens ebenso sensationalistisch präsentiert wie die damalige Presse. Dabei erweckt er den Eindruck, dass Armut, Prostitution und sexuelle Ausbeutung lediglich auf die Dürre und nicht auf die auch außerhalb der Trockenperioden vorherrschenden Sozialstrukturen zurückzuführen seien. Siehe ebd., S. 26, 31, 48, 50–52, 55, 62 f., 65, 67–70, 75 f., 107–109, 118 f., 121, 124.

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den Häusern der Reichen nicht halt; viele fielen ihr zum Opfer, sogar die Frau des Provinzpräsidenten José Julio de Barros.112 Die wohlhabende Bevölkerung war folglich von der Dürre der Jahre 1877– 79 indirekt und direkt betroffen. Zum einen hatten die Latifundisten eine der zentralen Grundlagen ihres Reichtums verloren – ihre Arbeitskräfte, wobei die Aussicht auf Rückgewinnung nach Ende der Trockenheit schlecht war. Die Sklaven waren mit hohen Verlusten verkauft worden oder verhungert, die landlosen Kleinbauern ausgewandert. Sklaven würde es bei der damaligen Entwicklung der Abolitionsfrage in absehbarer Zeit nicht mehr geben, und die Kleinbauern würden kaum zurückkehren, um freiwillig den Platz der Sklaven einzunehmen. Zum anderen waren Latifundisten neben den Massen der armen Landbevölkerung zur Flucht in die Städte gezwungen worden. Dort wurde durch den allgemeinen Ausnahmezustand auch die reiche Stadtbevölkerung mit den Folgen der Trockenheit konfrontiert. Wie parlamentarischen Redebeiträgen zu entnehmen ist, war diese entsetzt, die Bedürftigkeit der Dürreflüchtlinge vor der eigenen Haustür erleben zu müssen. Ihr Anteil an der Misere wird darin beschrieben, dass sie sich zu mehr Almosen genötigt sah und selbst in finanzielle Bedrängnis geriet. Die Kette ausbleibender Schuldzahlungen verlief vom einfachen Ackerbauern des Hinterlands über den Zwischenhändler bis zum Kaufmann der Provinzhauptstadt.113 Die verhängnisvollste Auswirkung für die Stadtbevölkerung war indes die Verbreitung von Epidemien, die keine sozialen Schranken achteten. Die von den Dürreflüchtlingen in die Küstenstädte getragenen Seuchen veranlassten einen Senator Cearás zur Äußerung, dass seine Provinz – gemeint waren offensichtlich primär die sekundären Opfer – ohne die Hilfsmaßnahmen weniger gelitten hätte. Dann hätte jeder Einzelne sich helfen müssen, und die epidemienträchtige Ansammlung der Migranten in der Hauptstadt wäre vermieden worden.114 Ein wesentlicher Unterschied zu vorherigen Trockenperioden war 1877 also die direkte Beeinträchtigung auch der höheren gesellschaftlichen Schichten. Dabei dehnte sich die allgemeine wirtschaftliche Zerrüttung auf die politische 112 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 66; Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 67; Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 468. Die Zahlenangaben stammen von Smith, Herbert H., „Brazil, the Amazonas and the coast“, London: Sampson/Low, 1880, S. 421–428, 431, abgedr. in: Burns, E. Bradford, A documentary history of Brazil, New York: Alfred A. Knopf, 1967, S. 268 f., 272; Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 96, 102; ders., Tragédia oculta, 2003, S. 72. 113 Albano, Ildefonso (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1044–1046 (Quelle II.2.a-04). Zu einer ähnlichen Haltung während der Dürre von 1915 („caridade particular exhaurida“) siehe wiederum das Telegramm vom 16.7.1915 aus Sobral, Anais da Câmara, 19.7.1915, S. 733. 114 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 66 (Quelle II.2.a-05).

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und soziale Ordnung aus und ließ eine anhaltende Schwächung der traditionellen Herrschaft vorhersehen. Der drohende Machtverlust der Oligarchien war aufs Engste mit der massenhaften Abwanderung der Landbevölkerung verbunden und erwies sich als weiteres maßgebliches Merkmal der ‚Großen Dürre‘.

b) Auflösung des traditionellen Sozial- und Machtgefüges Interprovinzielle Migration – die Flucht vor der Dürre

Die Frage der in der Dürre begründeten Auswanderung wird in der brasilianischen Historiographie noch heute ebenso kontrovers diskutiert wie in der damaligen öffentlichen Debatte. In Ceará kamen bereits Mitte 1877 die ersten Forderungen auf, die betroffenen sertanejos in andere Provinzen umzusiedeln, vorrangig nach Pará und in das Amazonasgebiet, welches seit den 1860er-Jahren durch den Kautschukboom attraktiv geworden war. In den Hauptstädten des Trockengürtels hatte sich angesichts des Zustroms vieler tausender Dürreflüchtlinge Angst ausgebreitet. Die ausschließlich dort vollzogene Lebensmittelverteilung wurde als kapitaler Fehler verurteilt, weil sie weitere Menschen aus dem Sertão anlockte. Inzwischen war es augenscheinlich geworden, dass mit den Schutzsuchenden auch Epidemien, Armut und Verbrechen die Zufluchtsorte bevölkerten.115 Weder Regierung noch Kirche, weder Großgrundbesitzer noch städtische Händler konnten oder wollten die Ressourcen aufbringen, um die Hungerleidenden ausreichend zu versorgen, so dass die Migration als beste Lösung erschien. Die lokale Zeitung O Cearense publizierte am 18. März 1877 ein Gesuch aus Sobral im cearensischen Hinterland, mit dessen Hilfe die Abwanderung ins Amazonasgebiet erwirkt und damit sowohl jener Region als auch der allgemeinen Ordnung gedient werden sollte. Im April 1877 wurde die Regierung von derselben Zeitung aufgefordert, die Aussiedlung in fruchtbare und fast unbevölkerte Landstriche anderer Provinzen zu fördern. Der Historiker Marco Antonio Villa versucht anhand dieser beiden Quellen, der Migrationsdarstellung des paraibanischen Wissenschaftlers Celso Furtado zu widersprechen.116 115 Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60 (Quelle II.2.b-01). Vgl. hierzu im Quellenanhang Kommentare von 1898, als die Regierung lieber auf Dürre­ hilfen verzichten als Dürreflüchtlinge in die Hauptstädte locken wollte: Corrêa, Serzedello (Pará; Vertreter der Haushaltskommission), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 76 f.; Monte, Helvecio (Ceará), ebd., S. 70. Siehe außerdem von 1904: Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 76. 116 O Cearense, 18. März 1877; O Cearense, April 1877, beide (ohne weitere Angaben) zit. in: Villa, História das secas, 2001, S. 58.

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In Formação econômica do Brasil, einem Standardwerk der brasilianischen Wirtschaftsgeschichte von 1959, beschreibt Furtado den Widerstand der Latifundisten gegen die staatlich vorangetriebene Auswanderung. Durch die Massenemi­ gration in die entlegenen Gegenden des Amazonas und auch des brasilianischen Südens büßten die Landherren in der Trockenzone endgültig ihre Arbeitskräfte ein. Während sich diese Auslegung auch in jüngeren historischen Studien bestätigt findet, behauptet Villa in seiner Dürregeschichte aus dem Jahr 2001, die Anfechtung der Emigration seitens der dominanten Schichten der Region habe es nie gegeben. Zudem zieht Villa in Zweifel, dass die Auswanderungspolitik von der Regierung in Rio de Janeiro durchgesetzt wurde. Im Widerspruch zu Villas Thesen stehen zum einen zentralstaatliche Transport-Sondergelder aus dem Jahr 1877 und zum anderen der jahrzehntelang im Kongress hervorgebrachte Protest der Nord-Oligarchien gegen die Migrationspolitik.117 Die anfängliche Zustimmung ist keineswegs unvereinbar mit der späteren Ablehnung. Im ersten Moment der Katastrophe war es das Naheliegendste, sich selbst und die eigenen Besitztümer zu retten und sich der Schar der mittellosen Dürreflüchtlinge zu entledigen, deren Elend und Epidemien in den Küstenstädten als große Bedrohung empfunden wurden. Nachdem der erste Schock überwunden war, erkannte die Agrarelite im Verlust der Arbeiter die Reduktion ihrer Wohlstands- und Machtbasis. Diese von Villa diskreditierte Schlussfolgerung Celso Furtados soll im Folgenden durch eine Reihe von Quellen untermauert werden. Zu Beginn der Dürre von 1877–79 erinnerten politische Vertreter des Nordens im Senat an extrem hohe Todeszahlen früherer Trockenperioden. Als Beispiel wurde das Jahr 1790 genannt, als jeder dritte Bewohner Pernambucos gestorben sei. Vor diesem Hintergrund befürworteten sie eine vom Staat geleitete Emigration der gefährdeten Bevölkerung. In Übereinstimmung mit dieser Haltung verfügte die Regierung im Juni 1877 die Beförderung aller Dürreflüchtlinge, die auszuwandern wünschten, auf Dampfschiffen in andere Provinzen. Aus einem Bericht der paraibanischen Regierung geht hervor, dass Paraíba und die Nachbarprovinzen in den folgenden zwölf Monaten von dieser Möglichkeit stark Gebrauch machten, veranlasst durch die „erschreckenden Auswirkungen der massenhaften Zuflucht aus dem Hinterland für die Bewohner der Provinzhauptstadt“.118 Auch im Verlauf späterer Trockenzeiten wurde die „Ent-

117 Vgl. Villa, História das secas, 2001, S. 58 mit den Gegenpositionen von Furtado, Celso, Formação econômica do Brasil, São Paulo: Nacional, 1979 (19591), S. 133; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 204; Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 114; Greenfield, Drought and image of the Northeast, 1999, S. 101; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 40. 118 Mello (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 246; Wanderley, João Maurício (Bahia; Senator, 1877 zugl. Finanzminister), in den Annalen geführt unter seinem Adelstitel

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völkerung der Dürreregion“119 offen als Alternative diskutiert, wobei sie von Politikern des Südens als Maßnahme begrüßt wurde, ihren steigenden Bedarf an Arbeitskräften zu decken und hohe Ausgaben für Stauanlagen im Norden zu vermeiden.120 Wie schon 1877, 1888–90, 1900 und 1905, wurde auch bei der schweren Trockenperiode von 1915 die interregionale Migration staatlich gefördert. Per Dekret vom 15. Juli 1915 finanzierte die Regierung unbegrenzt den Transport der migrationswilligen Dürreflüchtlinge in andere Landesteile, während sie sich mit weiteren finanziellen Zugeständnissen zurückhielt.121 Die Abwanderungswelle erklärte der selbst aus dem Norden stammende Verkehrsund Bauminister Augusto Tavares de Lyra damit, dass die Bevölkerung alles verloren habe, was sie in der Heimat halten konnte. Zugleich wurde angedeutet, dass mit dem Abzug der Arbeiter die wesentliche Quelle der regionalen Wirtschaftseinkünfte versiegte.122 Auch 1919–21, unter dem Einfluss der letzten größeren Trockenheit des Betrachtungszeitraums, wurde in den Zeitungen Rio de Janeiros die Forderung gedruckt, die Menschen aus der Dürrezone systematisch auf die Plantagen im Süden zu befördern bzw. in klimatisch vorteilhaftere Gebiete umzusiedeln.123 Die Migrationskritik war bereits 1877, entgegen der Behauptung Villas, auch im Nationalkongress aus den Reihen der nördlichen Repräsentanten zu vernehmen und wurde im Laufe der folgenden Jahre energischer. Im August 1877 beschrieb der cearensische Senator Jaguaribe die Massenauswanderung der Dürreflüchtlinge als Leidensweg voller Entbehrung und Tod. Zahlreiche Abgeordnete sahen darin eine größere Not als in der Trockenheit selbst.124 Auch

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Barão de Cotegipe, Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249; Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 54 f. (Rubrik „A secca“). Calogeras, João Pandiá (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 653 (Quelle II.2.b-02). Santos, Felicio dos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 303 (Quelle II.2.b-03). Siehe auch den Artikel „A volta aos campos“, in: Jornal do Commercio vom 17.3.1916, vorgetragen von: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1047 f. (1047). Dekret Nr. 2974, Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 308; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 87; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 40. Lyra, Augusto Tavares de (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 309, Reproduktion seiner Ausführungen vom 16.6.1915; Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1029 (Quelle II.2.b-04). Maranhão, Alberto (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 381; Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 52. Beide zitieren den Correio da Manhã (Rio de Janeiro). Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.8.1877, S. 65 f.; Campos, Martinho (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459. Campos ging es vor allem darum, Missbrauch der Migrationspolitik anzuzeigen. Siehe Kapitel IV.4.b bzw. Quelle IV.4.b-03. Siehe auch Barroso, Benjamin Liberato (Gouverneur von Ceará), Telegramm vom

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bei späteren Klimaeinbrüchen, zum Beispiel 1898 mit 30–40.000 cearenses auf der Flucht in andere Staaten, beklagten die Vertreter des Nordens offen den Verlust ihrer Arbeitskräfte und somit den immensen wirtschaftlichen Schaden für die öffentlichen und privaten Haushalte.125 Kamen den Provinzen des Nordens gesunde Männer abhanden, so der Parlamentarier Ildefonso Albano aus Ceará, blieben die seinen Worten nach „wirtschaftlich weniger wertvollen“ Frauen zurück und erhöhten lediglich die Zahl der Bedürftigen.126 Tatsache ist, dass es in Abwesenheit der Männer den Frauen überlassen war, aus eigenen Kräften die Familien zu erhalten.127 Die Migrationsziele Acre, Maranhão, Pará und Amazonas wurden von den Vertretern der Dürreregion in den dunkelsten Farben gezeichnet, und die Provinzregierungen stellten kostenlose Rücktransporte bereit. In der „grünen Hölle“ erwarte die Flüchtlinge skrupellose Ausbeutung in der Kautschukgewinnung sowie Krankheit und Tod durch die unausweichliche Malariaverseuchung.128 Auch die Kaffeeplantagen des Südens, auf denen die Dürreflüchtlinge nicht bezahlt und schlecht verpflegt würden, boten den Repräsentanten des Nordens alarmierende Geschichten des dort erlebten Elends.129 Zudem erin-

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22.5.1915 an den Präsidenten der Republik, Wenceslau Braz Pereira Gomes, vorgetragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 880 f. In ähnlichem Tenor argumentierten Borges, Frederico (Ceará), Anais da Câmara, 23.5.1919, S. 482 und Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 82. Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 68 f. Ebenso zur Dürre von 1915: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1023. Ebd., S. 1029 (Quelle II.2.b-05). Zu dem sich daraus seit den 1920er-Jahren entwickelnden Bild der „starken Frauen“ des Dürregebiets siehe Albuquerque Júnior, Durval Muniz de, „Macho, sim senhor“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd.  2, Nr.  17 (März 2005), S. 32–36 (34). Die Geschlechterrollen im Nordosten behandelt der Autor in ders., Nordestino: uma invenção do falo – Uma história do gênero masculino (Nordeste – 1920/1940), Maceió: Edições Catavento, 2003. Zur Zersplitterung der Familien in Zeiten der Dürre siehe Vieira Júnior, Antonio Otaviano, Entre paredes e bacamartes: história da família no sertão (1780–1850), São Paulo: Hucitec/Fortaleza: Edições Demócrito Rocha/Hucitec, 2004, S. 49 f. Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1028 f. (Quelle II.2.b-06). Siehe auch ebd., S. 1003, 1019, 1021, 1022 f. (dort Correio do Ceará vom 21.9.1916 und O Jornal do Commercio (Manaus) vom 11.10.1916 zitiert). Weitere Beispiele im Quellenanhang: Barroso, Benjamin, Telegramm an Wenceslau Braz vom 22.5.1915, Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 881; Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 3.11.1919, S. 75; „A sêcca“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 13.6.1915 und 28.5.1919, S. 1; „Obras contra as sêccas“ und „Os emigrantes“, in: A União vom 29.5.1919 und 10.6.1919, S. 1. Artikel ohne Titel, in: A Noite vom 20.1.1916 (Rio de Janeiro), vorgetragen von: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1020. Siehe auch Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 381, 389.

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nerten sie an die fatalen Gelbfieberepidemien in Campinas zwischen 1889 und 1897, von denen auch Santos, die Baixada Fluminense und – zum Schrecken der ausländischen Reisenden und Diplomaten – die Landeshauptstadt Rio de Janeiro betroffen waren. Dennoch sei nie empfohlen worden, diese Orte im Süden des Landes zu entvölkern und aufzugeben. Warum also sollte der Dürregürtel auf seine Bewohner verzichten müssen?130 An dieser Argumentation wird deutlich, dass es den Oligarchien weniger um das Leid der Hilfesuchenden ging, sei es im Norden oder im Süden, sondern vornehmlich um die Bewahrung ihrer Arbeitskräfte. Der Bruch des ungeschriebenen Pakts zwischen Landbesitzern und Landarbeitern

Die aufgrund der staatlichen Förderung verstärkte Abwanderungswelle hinterließ 1877–79 in den Kerngebieten der Dürre einen fast menschenleeren Sertão, in dem die Macht- und Produktionsverhältnisse völlig aus den Fugen gerieten. An der Auflösung des Sozialgefüges hatten die Latifundisten einen erheblichen Anteil. Sie ließen im Augenblick der größten Not nicht nur die verbliebenen Sklaven und die mittellosen Landarbeiter im Stich, sondern auch ihre festen Angestellten. Die Allianz aus Treue und Patenschaft, welche den Großgrundbesitzern als „coronéis-pais-patrões“ (Oberst-Vater-Patron) die Unterstützung ihrer Gefolgschaft in schweren Zeiten abverlangte, wurde gebrochen.131 Der Titel des coronel, übernommen von der 1831 gegründeten Nationalgarde, bedeutete losgelöst von militärischen Auszeichnungen Prestige und Einfluss auf regionaler Ebene. Im paternalistischen Abhängigkeitssystem der Fazenda trug der Patron oder coronel die ‚väterliche‘ Verantwortung und erwartete als Gegenleistung absoluten Gehorsam, der über jedes geschriebene Gesetz hinausging. Der traditionelle Pakt täuschte eine gleichberechtigte Behandlung vor, indem Loyalität scheinbar von beiden Seiten gewährt wurde und sich in schichtenübergreifenden Institutionen wie dem compadrio widerspiegelte.132 Mit der allmählichen Kapitalisierung der Arbeitsbeziehungen hatte eine Abwendung vom 130 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1056; Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 52 f. 131 Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 114, 118. 132 Barbalho nennt in diesem Zusammenhang den von Neves geprägten Begriff der „reciprocidade desigual“. Neves, Frederico de Castro, (ohne weitere Angaben) zit. in: Barbalho, O grotesco nas imagens da seca de 1877, 2005, S. 140. Compadrio: enge Verbundenheit und soziale Verpflichtung der Taufpaten (compadres). Siehe weiterhin zum Coronelismo Leal, Coronelismo, 1977, S. 1, 20 f., 24 f., 136 f.; Graham, Richard, Patronage and politics in nineteenth-century Brazil, Stanford: Stanford University Press, 1990, S. 2 f., 21, 250 f.; Vilaça, Marcos Vinicios/Albuquerque, Roberto Cavalcanti

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althergebrachten System eingesetzt, beschleunigt durch die Dürrekatastrophe von 1877–79 und für viele erst durch sie sichtbar und spürbar geworden. Folglich assoziierte ein Großteil der Betroffenen den Wandel mit der Dürre.133 Als das Bündnis zwischen Landbesitzern und Arbeitern noch Bestand hatte, waren jegliche Schwierigkeiten in erster Instanz auf den Fazendas selbst gelöst worden, in Form von favores der fazendeiros: durch die Bereitstellung verlassener Behausungen und brachliegenden Bodens, die vorübergehende Nutzung ertragreicher Landstücke oder die Verteilung von Almosen und Medikamenten durch die Gattinnen der Gutsherren. Im schweren Krisenjahr 1877 war die Besitzerschicht jedoch kaum in der Lage, sich selbst zu versorgen.134 Der sich hieraus ergebende Bruch der sozialen und wirtschaftlichen Bindungen wirkte sich unmittelbar auf die gesamte öffentliche Organisation im Sertão aus. In einigen Provinzen verursachte dies 1878 unter anderem den kompletten Ausfall der anstehenden Wahlen; in anderen wurden die Ergebnisse angesichts der geringen Wahlbeteiligung annulliert.135 Die – nun ausbleibende – Masse der vom Patron abhängigen Arbeiter stand sowohl für dessen ökonomische als auch politische Führungsrolle. Mit dem Schwund dieser Basis wurden sich die Agraroligarchien im Norden des dauerhaften Charakters der Krise bewusst, die eine außerordentliche Einbuße ihres Einflusses oder sogar ihren völligen wirtschaftlichen und politischen Untergang mit sich bringen konnte. Bereits im 18. Jahrhundert hatte ein maßgeblicher Machtverfall im Norden eingesetzt, der mit der Ausbreitung der Goldminen in Minas Gerais begonnen und 1763 mit der Verlegung des administrativen Zentrums von Salvador nach Rio de Janeiro einen Höhepunkt erreicht hatte. Seitdem waren die hauptsächlichen Wachstumsimpulse Brasiliens vom sich immer stärker festigenden Machtdreieck Rio – São Paulo – Minas ausgegangen: die Kaffeeproduktion, die europäische Einwanderung und später die Ansiedlung der Manufakturbetriebe. Während für die Zeit von 1830 bis 1870 noch von einer gewissen Homogenität der brasilianischen Regionen ausgegangen wird („era da homogeneidade“), drifteten diese im teils reißenden Strom der ökonomischen und politischen Entwicklung von 1870 bis 1930 immer stärker auseinander („era da diferenciação regional“).136 de, Coronel, coronéis, Rio de Janeiro: Tempo Brasileiro/Niterói: Universidade Federal Fluminense/EDUFF, 19883, S. 25, 29 f., 35, 228 f. 133 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 108, 116. 134 Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 85; Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 118; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 80. 135 Zum Beispiel Paraíbas siehe Parente, Esmerino Gomes, Relatorio com que o exm. sr.  Dr.  Esmerino Gomes Parente passou a administração da Provincia da Parahyba ao 1.° Vice-Presidente Dr. José Paulino de Figueiredo em 1 de março de 1878, Parahyba do Norte: Typ. Liberal Parahybana, 1878, S. 7 f. (Rubrik „Eleições“). 136 Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 14, mit Bezug auf eine Studie von Nícia Vilela Luz. Zum historischen Kontext siehe Albuquerque, Invenção da seca,

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Als Konsequenz der Dürre von 1877–79 drohte den Oligarchien des Nordens, in ihrer eigenen regionalen Einfluss-Sphäre an politischem Gewicht zu verlieren. Das durch die Wirtschaftskrise und die Trockenheit ausgelöste Chaos brachte einen Prozess zum Vorschein, der sich lange zuvor mit dem Ende der Machtkonzentration im Norden angebahnt hatte. Vor allem seit der Errichtung des Kaiserreichs hatten sich die Oligarchien jedoch gegen die Ausdehnung des Zentralstaats gewehrt und ihre Herrschaftsposition verteidigt. Auf dem politischen Parkett der Nation waren die Zuckerbarone von großer Bedeutung – Pernambuco, das Herzstück der Zuckerproduktion, stellte im Kaiserreich eine hohe Zahl an Ministern, übertroffen nur von Bahia und Rio de Janeiro. Der plötzliche Absturz dieser Agrarelite in die Rolle der Dürreopfer schockierte nicht nur sie selbst, sondern die Bevölkerung des gesamten Landes.137

c) Bestürzung von Presse und Parlament – die Dürre als nationales Politikum Die Entwicklung des Pressewesens und das Leid des Nordens in der öffentlichen Debatte

Während der Kolonialzeit waren Druckerzeugnisse in Brasilien verboten, so dass sich das Pressewesen dort erst nach der Übersiedlung des portugiesischen Hofes im Jahr 1808 entfalten konnte. Bereits kurz nach Ankunft des Königs in Rio de Janeiro erschien die erste Zeitung, und im Anschluss an die Unabhängigkeitserklärung von 1822 entstand eine beträchtliche Menge an Publikationen, die meist von kurzer Lebensdauer waren. Die älteste bis heute zirkulierende Zeitung Lateinamerikas wurde mit dem Diário de Pernambuco 1825 in Recife 1995, S. 114, 117; Pietschmann, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 111 f. Zur Entwicklung der Kaffeeproduktion und der Einwanderung in São Paulo siehe Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 183; Burns, History of Brazil, 1970, S. 187. Zur „Proto-Industrialisierung“ siehe Stols, Eddy, „Brasilien“, in: Buve, Raymond Th. u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd.  2: Lateinamerika von 1760 bis 1900, Stuttgart: Klett-Cotta, 1992, S. 95–141 (114 f.). 137 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 36; Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 226; Dean, Warren, „Latifundia and land policy in nineteenthcentury Brazil“, in: Hispanic American Historical Review, Bd. 51 (1971), S. 606–625 (606); Carone, Edgard, A República Velha (Instituições e classes sociais), São Paulo 1972, S. 249; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 17; Leal, Coronelismo, 1977, S. 136; Singelmann, Peter, „Political structure and social banditry in Northeast Brazil“, in: Journal of Latin American Studies, Bd. 7 (Cambridge: Cambridge University Press, 1975), S. 59–83 (69 f.).

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gegründet. Auf die schmale gebildete Mittel- und Oberschicht ausgerichtet, waren die Periodika im 19. Jahrhundert weitgehend Wort- und nicht Bildmedien. Die seltenen Zeichnungen kamen allenfalls im Anzeigenteil vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die brasilianische Presse von einem beeindruckenden Aufwärtstrend beflügelt, der unter anderem auf die Verbesserung der technischen Möglichkeiten und einen Nachfrageanstieg durch das wachsende Bildungsbürgertum zurückzuführen war. Neue Schreibformen wie Reportagen und Interviews nahmen zu, wobei die Begriffe nur unter Vorbehalt übernommen werden können, da zwischen Nachricht, Bericht, Reportage und Kommentar keine strikte Trennung gemacht wurde. Im Gegensatz zum heutigen Ideal des ‚britischen Journalismus‘ zeichneten sich die damaligen Zeitungen in aller Regel durch literarische und emotionale Sprache, unverhohlene Parteilichkeit und Polemik aus.138 Als erste bedeutende Reportage über die Dürren im Norden Brasiliens gilt die Arbeit von José do Patrocínio, der sich später als herausragender Journalist der Abolition einen Namen machen sollte. Im Mai 1878 reiste Patrocínio für die kaiserliche Textzeitung Gazeta de Notícias nach Ceará, um im Auftrag der Krone qualifizierte Informationen über die Trockenheit einzuholen. Überwältigt schrieb er vom „schockierendsten und erbärmlichsten Szenario“, das er je gesehen habe. „Die kranke und invalide Bevölkerung starb in den Straßen wie verdörrte Insekten“.139 In den Zeitungen überwogen sensationalistische Berichte über die ‚bizarren‘ Ausmaße des Elends, das erstmals auch fotografisch dokumentiert wurde. Die von Joaquim Antonio Correa stammenden und von José do Patrocínio an das Magazin O Besouro weitergeleiteten Bilder von Dürreopfern zählen zu den frühesten Erfahrungen des Fotojournalismus in Brasilien, und dementsprechend groß war ihre mediale Überzeugungskraft. Der Besouro – folha illustrada, humoristica e satyrica, eine erst in jenem Jahr gegründete und ihrem Namen nach eigentlich humoristische und satirische Wochenzeitschrift, publizierte am 20. Juli 1878 die von Rafael Bordalo Pinheiro als Lithografie reproduzierten Fotografien mit deutlichen Worten der Kritik: „Unsere Abbildung vom Titelblatt ist eine erschöpfende Antwort für all jene, welche die Beschreibung der unglücklichen Provinz als Übertreibung anklagten. Mögen sich die

138 Siehe z.B. die widersprüchliche Bezeichnung des paraibanischen Presseorgans A União als „orgão neutro, que obedece a orientação do Presidente do Estado“ in dem polemischen Artikel über parteipolitische Machtkämpfe „De derrota em derrota“, in: Correio de Campina. Orgam Commercial, politico e noticioso. Director e proprietario – Cel. Christiano Lauritzen (Campina Grande) vom 20.1.1915, S. 1. Siehe außerdem Stols, Brasilien, 1992, S. 128; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 161–163, 200; Southamerican Handbook, Bungay: Clays, 1992, S. 470. 139 Logatto/Andrade, Imagens da seca de 1877–78, 1996, S. 75 (Quelle II.2.c-01).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

Regierung und das Volk unsere Abbildung genau anschauen, die eine exakte Kopie des Leidens der cearensischen Bevölkerung ist.“140 Mit den ersten Hungerporträts von 1878 begann eine lange Tradition der Fotografie als Beweisstück (‚fact simile‘) der anrührenden ‚Fakten‘ aus der Dürreregion, denen auch ungläubige Politiker aus dem fernen Süden kaum widersprechen konnten. Nach der schweren Trockenperiode von 1915 präsentierte Ildefonso Albano im Nationalparlament „herzzerreißende“ Bilder von Kindern, denen der Hungertod kurz bevorstand.141 Der cearensische Abgeordnete bedauerte, keine Fotografien vom Höhepunkt der Dürre vorweisen zu können, denn diese würden „noch schrecklicher und trauriger“ sein.142 Ein 163-seitiger Sonderdruck der umfangreichen Rede Ildefonso Albanos vom 15. Oktober 1917 wurde im Folgemonat vom cearensischen Präsidenten João Thomé de Saboya e Silva in Auftrag gegeben, mit ausdrücklichem Wunsch, die Fotografien der Dürreflüchtlinge einzubeziehen – „com os clichés das photographias, que o illustraram.“143 Im Brennpunkt der dreizehn Ablichtungen standen die hochgradig unterernährten Kinder. Je grausamer die Szenen, umso wirkungsvoller konnten sie im Kongress und in der Öffentlichkeit eingebracht werden. Die ‚Kuriosität‘ der Katastrophenregion war fast vierzig Jahre nach der ‚Großen Dürre‘ ungebrochen und hatte sogar einen ‚Dürretourismus‘ ausgelöst. Menschen aus dem ganzen Land fuhren auf Exkursionen in die Trockengebiete, um das „Spektakel“ mit eigenen Augen zu erleben. „Und wer wolle nicht“, so ein lokaler Zeitungsredakteur, der eine dieser Besichtigungsfahrten begleitete, „beim Anblick derartiger Misere Millionen in die Hände der Hungernden legen!“144 Ähnliche Vorstellungen motivierten 1878 Patrocínio, als er die Maßnahmen der Regierung für völlig unzureichend erklärte und bei den Lesern große Entrüstung über die unmoralische „Tragödie nationaler Schande“ her140 „O Ceará“ (Begleitartikel zum Titelbild), in: O Besouro (Rio de Janeiro) vom 20.7.1878, S. 2, zit. in: ebd., S. 77 (Quelle II.2.c-02). Siehe des Weiteren ebd., S. 74; Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 81 f., 89; Barbalho, O grotesco nas imagens da seca de 1877, 2005, S. 141 f., 148. 141 Augusto, José (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1012 f. („É de cortar o coração a exposição destes factos.“), Reaktion auf die von Ildefonso Albano (Ceará) gezeigten Fotografien im Parlament. 142 Albano (Ceará), ebd., S. 1014 (Quelle II.2.c-03). 143 Silva, João Thomé de Saboya e (Gouverneur Cearás), Telegramm an Ildefonso Albano vom 9.11.1917, abgedr. in: Albano, Ildefonso, O secular problema do Nordeste. Discurso pronunciado na Câmara dos Deputados em 15 de outubro de 1917, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 19182, S. 3. Cliché (bzw. nach aktueller Rechtschreibung clichê) = Fotoplatte und ihr fotografisches Produkt. Siehe die Fotografien in ebd., S. 28, 31 f., 39 f., 54. 144 Nicht namentlich benannter cearensischer Journalist, zit. von: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1010 (Quelle II.2.c-04).

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vorrief.145 Seine Eindrücke verarbeitete Patrocínio in dem Roman Os retirantes („Die Dürreflüchtlinge“), der zunächst fragmentarisch in der Gazeta de Notícias zu lesen war und 1879 vollendet wurde.146 Die Romanform wurde von den zeitgenössischen Intellektuellen als profiliertes politisches Medium geschätzt. In Os retirantes erzählt Patrocínio die Geschichte zweier Freundinnen, Töchter angesehener Familien, die durch die Trockenheit ins Elend gestürzt werden. Das vom Roman fokussierte Verderben wohlhabender Familien unterstellt ein universelles Schicksal der Bewohner des Sertão – die Dürre betreffe die Armen und die Reichen gleichermaßen. Die große Schar an Sklaven, Kleinbauern und Landarbeitern, die gemessen an ihrer Not als die eigentlichen Protagonisten des Hungers auftreten müssten, erscheinen in dem Roman lediglich als lebendige Kulisse der Marter, als Schatten ohne Namen, die sich anonym um die zentralen Figuren herum bewegen, sofern es der Handlungsstrang verlangt. Den Halt der Gesellschaft sah José do Patrocínio aus konservativer Perspektive in der sozialen und moralischen Kontrolle der Oligarchien über die von ihnen abhängigen Arbeiterfamilien. Die vielschichtige Krise mache es den Großgrundbesitzern unmöglich, ihre Führungsfunktion auszuüben, so dass die einfache Bevölkerung herrenlos umherziehe. Darin wähnte Patrocínio die eigentliche Katastrophe, die zum gesellschaftlichen Verfall führte.147 Ein weiterer, einige Jahre später erschienener Roman zur Dürre stammte von Rodolfo Teófilo. Ebenso wie Patrocínio hatte Teófilo nicht nur Pharmazeutik studiert, sondern arbeitete auch als Journalist und Schriftsteller und war politisch aktiv. Die Pharmazeutik war als weniger bedeutsamer Medizinzweig angesehen und daher für sogenannte „mulatos“ und unvermögende Bevölkerungsschichten zugänglich.148 José do Patrocínio hatte afrikanisch-europäische Vorfahren, Rodolfo Teófilo kam aus armen Verhältnissen. Beide kannten das Leben in den unterschiedlichsten sozialen Gruppierungen und Sphären. Mit den Ereignissen der Dürrekatastrophe von 1877–79 war Teófilo bestens vertraut, da er sich in jenen Jahren aus eigener Initiative für die Bekämpfung der Pockenepidemie einsetzte. In Fortaleza hatte er Anlaufstellen für Massenimpfungen eingerichtet und sämtliche Stadtviertel auf der Suche nach kranken oder schutzlosen Menschen durchkämmt. Seine Methoden waren wenig konventionell, doch in Relation zur Verbreitung der Infektionskrankheit wirksam.149 Im 145 Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 89. 146 Patrocínio, José do, Os retirantes, 2 Bde., São Paulo: Editora Três, 1973 (18791), zit. in: ebd., S. 90. 147 Ebd., S. 89, 92–96. 148 Ebd., S. 90. 149 Theophilo, Rodolpho, Varíola e Vacinação no Ceará, Fortaleza: Officinas do Jornal do Ceará, 1904; Neto, Lira, O poder e a peste – a vida de Rodolfo Teófilo, Fortaleza: Edições Demócrito Rocha, 1999, beide zit. in: ebd.

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

Mittelpunkt seines Romans A fome („Der Hunger“) steht mit der Familie eines coronel ebenso wie bei José do Patrocínio die Schicht der Agrarelite, die 1877 erstmals von der Dürre mit ins Elend gerissen wurde.150 Die bei Patrocínio und Teófilo vorzufindende Darstellung lässt auf die soziale Besonderheit der Trockenperiode von 1877–79 schließen. Wie bereits veranschaulicht wurde, war der extreme Klimaeinbruch im Jahr 1877 keine Neuheit, da es vergleichbare Situationen mit unzähligen Todesopfern mehrmals gegeben hatte. Neu waren die äußeren Umstände der Dürre, die auf eine stark geschwächte Wirtschaft traf und sie vollends zusammenbrechen ließ, so dass sogar die Großgrundbesitzer dem Phänomen keine Ressourcen entgegenzustellen hatten. Obschon Patrocínio und Teófilo Augenzeugen des Leides zehntausender Flüchtlinge waren, die zum allergrößten Teil der armen Bevölkerung entstammten, wählten sie für ihre Romane als Protagonisten in der Rolle der Dürreopfer Mitglieder der höheren Gesellschaft. Deren Verhängnis war es, welches die Trockenheit zu einer sensationellen Nachricht und einem nationalen Problem allgemeinen Interesses machte. Sowohl in den Romanen als auch den Zeitungsberichten lasen die lesekundigen Bürger erstaunt von Geschehnissen, die ihnen fern und unwirklich vorkamen, Szenen, die sich schon viele Male ereignet hatten, die aber erst Anlass zu größter Besorgnis gaben und öffentliche Panik und Empörung verursachten, als sie nicht nur die Sklaven und Kleinbauern betrafen, sondern die Landherren. Erst in diesem Moment wurde die Dürre zu einem Politikum nationaler Rangordnung. Die Ausdehnung des relativ jungen, stark parteilichen Pressewesens trug zu dieser Entwicklung bei.151 Zuvor war selbst in den Assembléias Provinciais nur selten über die Trockenperioden debattiert worden; jahrhundertelang hatte es lediglich vereinzelte Erwähnungen im Diskurs der lokalen Potentaten gegeben, fast ausschließlich, um im Moment der Not Nahrungsmittel für die am schwersten betroffenen Regionen zu fordern. Nun wurde die Dürre zu einem zentralen Tagesordnungspunkt im kaiserlichen Parlament. Die Krone sah sich plötzlich starker Kritik ausgesetzt, da sie dem Norden den Schutz versage, während sie andere Provinzen – vor allem die Kaffee produzierenden – mit Zuwendungen überschütte.152

150 Teófilo, Rodolfo, A fome, Rio de Janeiro: José Olympio/Fortaleza: Academia Cearense de Letras, 1979 (18901), zit. in: ebd. und ebd., S. 93. 151 In den folgenden Unterkapiteln und Kapiteln werden in den entsprechenden Themenblöcken zahlreiche Beispiele aus der Presse angeführt, die sich meist in Händen der Regierungs- oder Oppositionsparteien befand. 152 Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 116–118; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 24, 408.

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Der Kaiser und die Dürrekatastrophe – parlamentarische Kritik an Dom Pedro II.

Eine ausgedehnte Reise Dom Pedros, die ihn von März 1876 bis September 1877 in die USA, durch Europa und den Nahen Osten führte, gab Anlass zu großer Polemik. Als er nach 18 Monaten zurückkehrte, war die Dürre zur calamidade pública geworden. In einem Leserbrief in der bahianischen Zeitung O Monitor heißt es: „Derweil Eure Kaiserliche Majestät in Ägypten dreitausend Jahre alte Mumien untersuchte, wurde die Bevölkerung im Norden Brasiliens durch Hunger, Nacktheit und Scham ebenfalls zu Mumien. In der Zeit, in der Eure Kaiserliche Majestät die Ruinen bedeutender Metropolen besichtigte, die einstmals blühten und den Ruhm der gewaltigen Reiche des Ostens ausmachten, zerfielen die Städte und Siedlungen des Nordens zu Ruinen“.153 Bereits im August 1877 hatte der cearensische Senator Jaguaribe entrüstet darauf hingewiesen, dass seit über vier Monaten die Trockenheit zum Tagesgespräch gehörte, doch keine staatlichen Aktivitäten das Dürregebiet erreichten. Er nannte es eine Schande für die Regierung, untätig mit anzusehen, wie die Menschen verhungerten.154 Ein halbes Jahr später, inzwischen in Anwesenheit des Kaisers, wies Ratspräsident João Lins Vieira Cansanção de Sinimbu im Staatsrat des Senats auf den fortdauernden Niederschlagsmangel und die Verpflichtung zu verstärkten Hilfeleistungen hin, da die notleidende Bevölkerung schon seit längerer Zeit auf die ihr zustehende Unterstützung warte.155 Durch den beständigen Druck der Presse und der Parlamentarier des Nordens sah sich die kaiserliche Regierung schließlich zur Lösung eines Problems gezwungen, das bisher in der Verantwortung der Provinzen gelegen hatte. Die Staatsgelder wurden zwar viel zu zögerlich eingesetzt, um die humanitäre Katastrophe noch abzuwenden, aber der erste Schritt zu einer nationalen Dürrepolitik war vollzogen.156 Der Kaiser soll sogar verkündet haben, die Edelsteine seiner Krone zur Verfügung zu stellen, damit kein cearense verhungern müsse.157 Der Mythos dieser barmherzigen Losung kann durch zahlreiche Zitate in Kongressreden bestätigt werden, wobei die Wortwahl umso patriotischer ausfiel, je weiter das Ereignis zurücklag. Im Dürrejahr 1915 erinnerte der Abgeordnete Pedro Moacyr an den „heiligen“ Pe153 Ferreira, Manuel Alves, Leserbrief, in: O Monitor (Bahia), (ohne weitere Angaben) abgedr. in: Villa, História das secas, 2001, S. 59 (Quelle II.2.c-05). 154 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.8.1877, S. 66. 155 Sinimbu, João Lins Vieira Cansanção de (Alagoas), in: „Ata da conferência de 10 de abril de 1878“, in: Senado Federal, Atas do Conselho de Estado, Bd. IX: Terceiro Conselho de Estado, 1875–1880, Brasília: Centro Gráfico do Senado Federal, 1973, S. 119–136 (121). 156 Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 68 f. 157 Dom Pedro II., zit. in: Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 56, und mit abweichender Formulierung in: Neves, Tragédia oculta, 2003, S. 77 (Quelle II.2.c-06).

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dro de Alcântara und dessen Worte „Verkauft die Kronjuwelen, lasst nicht einen einzigen Brasilianer im Norden den Hungertod erleiden“.158 Zwei Jahre später nannte Ildefonso Albano ihn den „großen Beschützer der cearenses von 1877“.159 Zur Zeit der Trockenheit von 1920 wurde er von Frederico Borges wie folgt zitiert: „Lieber opfere ich den letzten Juwel der Krone, als auch nur einen einzigen brasilianischen Bürger sterben zu sehen.“160 Auch wenn der Ausspruch des Kaisers in keiner seiner Varianten nachgewiesen ist und die imperiale Krone bis heute in all ihrer ursprünglichen Pracht bewundert werden kann, so ist zumindest mit Gewissheit bekannt, dass Dom Pedro II. Debatten über die Dürre im Instituto Politécnico von Rio de Janeiro organisierte und sich an Spendenkampagnen beteiligte.161 Im Instituto Politécnico wurden sowohl unmittelbare Hilfsaktionen geplant als auch langfristige Lösungen diskutiert, einschließlich einer wirtschaftlichen Umorientierung zu weniger klimaanfälligen Erwerbszweigen. Ende 1877 beauftragte der Kaiser eine Comissão Científica unter der Leitung des Conselheiro Henrique Beaurepaire Rohan, Studien vor Ort vorzunehmen und Vorbeugungsmaßnahmen auszuarbeiten. Nach den Vorstellungen einiger Liberaler sollten die Produktionsweisen des Sertão grundlegend verändert werden, sei es durch Stauanlagen, wie Rohan vorschlug, oder durch Landzuweisungen an Dürreflüchtlinge in fruchtbaren Gebieten, dem Ansatz André Rebouças. Konservative Vertreter wie der Mediziner Liberato de Castro Carreira aus Ceará, der bei Hofe eine große Spendenkampagne leitete und Schatzmeister der lokalen Hilfskommission war, vermieden jegliche Konzepte, die auf eine Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Strukturen hinauslaufen könnten. Stattdessen empfahl er die Konstruktion von Verbindungsstraßen zur Küste, um im Notfall unmittelbar Nahrungsmittel in die Katastrophenregion zu versenden und somit die Migration und die Zersetzung der bestehenden Ordnung zu verhindern. Zusammen mit seinem cearensischen Landsmann Viriato de Medeiros plädierte Castro Carreira für eine schnelle staatliche Intervention. Die flüchtigen Bauern und Landarbeiter sollten in Arbeitsdiensten eingesetzt werden, um sie in Produktivkräfte umzuwandeln, ihr Rebellionspotential zu neutralisieren und zugleich die Provinz infrastrukturell in die moderne Zivilisation einzugliedern.162 158 Aus einer nicht identifizierten Zeitung Rio de Janeiros, zit. von: Moacyr, Pedro (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 19.11.1915, S. 222 (Quelle II.2.c-07). 159 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1038 (Quelle II.2.c-08). 160 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle II.2.c-09). 161 Neves, Tragédia oculta, 2003, S. 77; Brühl, Dürre und soziale Macht im brasilianischen Nordosten, 1985, S. 27. 162 Zu den Empfehlungen des Instituto Politécnico siehe Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 44–46. Siehe außerdem ebd., S. 22; Franke, Agrarprogramme im Nordosten, 1986, S. 5; Cândido, Tyrone A. P., Trem da Seca: sertanejos, retirantes e operários (1877–

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Auch die von einzelnen Politikern des Nordens präsentierten Aktionspläne beschäftigten sich vornehmlich mit dem Ausbau der Infrastruktur zur Stärkung der regionalen Landwirtschaft: Straßen, Schienen und Häfen zum Anschluss der Produktionsgebiete an die Konsumzentren, Stauanlagen, Brunnen und Zisternen als Voraussetzung für eine industrialisierte Agrarwirtschaft. Zur Sicherung der Wasserversorgung schlug die Comissão Científica erneut die Verbindung der Flüsse São Francisco und Jaguaribe durch einen Kanal vor. Das bereits 1857 von Dom Pedro  II. anvisierte und bald darauf fallengelassene Projekt wurde 1877 vom cearensischen Abgeordneten Tristão de Alencar Araripe wieder ins Gespräch gebracht, sechs Jahre später jedoch vom Ingenieur José Américo dos Santos für undurchführbar erklärt. Indessen gingen während der Trockenperiode von 1877–79 die Hilfeleistungen effektiv nicht über Notstandsmaßnahmen hinaus.163 Prompter Beistand für die Dürreopfer kam von Privatpersonen, Vereinigungen und Solidaritätskommissionen, die in fast allen Provinzen und sogar im Ausland gebildet wurden und Lebensmittel und Geld für die Leidenden sammelten. Im Kongress fanden die Spendenkampagnen, die in Rio de Janeiro von der Prinzessin persönlich angeführt wurden, großes Lob und wurden gleichzeitig als Druckmittel genutzt. Schließlich sollte sich die brasilianische Regierung nicht der Schmach preisgeben, weniger für ihre hungernde Bevölkerung zu unternehmen als private und ausländische Spender.164 Die Diskussion in Presse und Parlament trug maßgeblich dazu bei, den Oligarchien im Norden vor Augen zu führen, welche Dynamik die Problematik in sich barg. Die Dürre bewegte die öffentliche Meinung auf nationaler und internationaler Ebene und verhalf der Region zu einer Aufmerksamkeit, die ihr

1880), Fortaleza: Museu do Ceará, 2005, S. 22–39, zit. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 83; ebd., S. 82. 163 Zu den Anregungen von Thomás Pompeu de Souza Brasil, Tristão Alencar Araripe und José Américo dos Santos siehe Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 44–46. Siehe des Weiteren ebd., S. 22; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 53, 60; Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 50 f.; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 87. Das heute abermals aktuelle Projekt der transposição des Flusses São Francisco wird von Kritikern aus ökologischer, ökonomischer und sozialpolitischer Perspektive abgelehnt. „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 22 (zur jüngeren Entwicklung siehe Kapitel V.5.c). 164 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.8.1877, S. 65 (Quelle II.2.c-10); Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 280; Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60. Siehe zudem Bourbon, Isabel Cristina Leopoldina Augusta Miguela Gabriela Rafaela Gonzaga de Bragança e, „Falla da Princeza Imperial Regente Izabel“, vorgetragen im Senat, Anais do Senado, 1.6.1877, S. 2; Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 83; Brühl, Dürre und soziale Macht im brasilianischen Nordosten, 1985, S. 27; Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 114–117.

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seit langem nicht mehr zuteil geworden war und die sich in willkommenen Finanzhilfen konkretisierte.

d) Die Trockenheit als Einnahmequelle der Agraroligarchien Arbeiten statt Almosen, Investitionen statt Barmherzigkeit

Die Dürre wurde von den Landherren des Nordens 1877 als probates Mittel entdeckt, staatliche Gelder in ihre Region und – genau genommen – in ihre eigenen Taschen zu leiten. Im Grunde war dies keine völlig neue Erscheinung, denn schon bei vorherigen Trockenperioden hatten sich besonders schwer betroffene Provinzen bzw. Kapitanien verstärkt um Hilfe von außerhalb bemüht, wie aus den anfangs zitierten Quellen hervorgeht.165 Dabei waren die regionalen und nationalen Machtträger weniger auf die Unterstützung der bedürftigen Bevölkerung als vielmehr auf die Aufrechterhaltung der für sie gewinnbringenden Zuckerproduktion bedacht gewesen. Auch hatten Politiker des Nordens in der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts nach gravierenden Trockenzeiten, insbesondere jenen von 1825 und 1845, erste provinzstaatliche Programme zum infrastrukturellen Schutz gegen die Klimaeinbrüche erwirkt und damit oftmals missbräuchliche Praktiken entfesselt.166 Während der ‚Großen Dürre‘ wurden in dieser Hinsicht allerdings völlig neue Dimensionen erreicht. Die politischen Vertreter der Krisenregion erkannten sehr bald die Vorzüge der Dürrekatastrophe und präsentierten sie offen im Nationalkongress: „Es scheint keine bessere Gelegenheit für die Arbeiten am Hafen Cearás als die gegenwärtige zu geben, denn so kann den unter der Misere leidenden Dürreflüchtlingen bezahlte Arbeit geboten werden, die sich für die Provinz rentiert.“167 Im selben Tenor wurde für die Erweiterung des Eisenbahnnetzes geworben: „Es geht darum, (...) die Umstände zu nutzen, um (...) dringend erforderliche Arbeiten durchzuführen, und das zu einem sehr viel geringeren Preis als zu jedem anderen Zeitpunkt.“168 165 Carta regia vom 24.5.1725; Officio do Governador vom 28.2.1803; „Declaração do Presidente da Paraíba, 1845“, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 2, 19161, S. 171 f. 166 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 25.6.1877, S. 222; Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 283; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 74; ders., Invenção da seca, 1995, S. 115; Souza/Medeiros, Os degredados filhos da seca, 1983, S. 64. 167 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 239 (Quelle II.2.d-01). 168 Ders., Anais do Senado, 25.6.1877, S. 220; siehe ebenso Lopes, João Fernandes (Ceará), „Memoria. Do Sr.  João Fernandes Lopes“, 5.10.1878, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 135–138 (138) (Quelle II.2.d-02).

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Die Repräsentanten des Nordens kalkulierten mit dem Elend und führten ohne jeden Skrupel im Kongress aus, dass die Bauten umso kostengünstiger seien, je länger die Niederschläge ausblieben: „Das ist die Chance, die Eisenbahnlinie nicht nur bis Baturité, sondern bis Icó fortzuführen, in kürzester Zeit und zu sehr geringen Kosten, weil uns heute Arbeiter für 500 Réis am Tag zur Verfügung stehen, und wir werden sie für noch weniger bekommen, in dem Maße, wie die Dürre voranschreitet.“169 Die Trockenheit wurde ausdrücklich als wirtschaftlicher Vorteil angepriesen, das Leid der Bevölkerung als Kapital erkannt und eingesetzt. Vertreter des Südens protestierten: „Bei der Planung neuer oder fortzusetzender Arbeiten darf nicht das Prinzip vorherrschen, die aufgrund des Hungers fallenden Löhne auszunutzen.“170 Die 1877 im Norden propagierte Konzeption, Staatshilfen in Gestalt von Bauvorhaben zu leisten, stieß im Süden auf Skepsis und Widerwillen. Finanzminister Barão de Cotegipe hielt zwar breit angelegte Nothilfen im Dürregebiet für die richtige Lösung, sprach sich aber gegen Arbeiten aus, von denen nur wenige Personen profitierten und deren Löhne lediglich einer sehr beschränkten Anzahl der betroffenen Bevölkerung zukämen. Daher verteidigte er als einzig praktikable Maßnahme die Direkthilfen. Senator Zacarias aus Bahia, dessen Provinz sich damals noch nicht der Dürreregion zugehörig erklärt hatte, lehnte es ebenfalls vehement ab, vom Kongress verfügte Rettungsgelder für Arbeiten umzufunktionieren. Die vom Parlament beschlossenen Leistungen seien dafür vorgesehen, den Mangel an Nahrungsmitteln zu beheben, wobei die begüterten Bürger einen angemessenen Preis entrichten sollten. Indem er die wohlhabenden Dürreopfer finanziell in die Pflicht nahm, verdeutlichte er sein Misstrauen gegenüber ihrer Notlage und ihren Absichten. Er forderte, strikt zwischen Hilfsgeldern und Infrastrukturprojekten zu unterscheiden und nicht karitative Erfordernisse mit Wirtschaftsinteressen zu vermischen. Die klimatische Krise durfte seiner Ansicht nach nicht als Einfallstor für Bautätigkeiten fungieren; über Eisenbahnlinien, Häfen und Ähnliches sei separat vom Kongress zu bestim169 Barroso, José Maximiano (Ceará), Brief an Figueira de Mello vom 10.4.1877, vorgetragen von: Mello, Figueira de (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 242 (Quelle II.2.d-03). Real (Plural: Réis) war die von Portugal eingeführte Währung, die ihrem Titel nach bis zur Währungsreform von 1942 Bestand hatte. Bei höheren Werten waren die üblichen Bezeichnungen Mil-Réis (1 Mil-Réis = 1000 Réis, meist notiert als Rs. 1$000) und Contos de réis (1 Conto de réis = 1.000.000 Réis bzw. 1000 Mil-Réis, meist notiert als R$  1.000.000 oder Rs.  1:000$000). Kornis, Mônica Almeida, „O Brasil dentro do bolso“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd. 2, Nr. 17 (März 2005), S. 61–65 (65). Die Austauschrate für einen Conto lag im 19. Jh. bei 550 US-Dollar. Eisenberg, The sugar industry, 1840–1910, 1974, S. 250. Eine ähnliche Angabe (1 Conto = rund 530 US-Dollar) macht Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 66. 170 Zacarias (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 251 (Quelle II.2.d-04).

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men. In seiner betonten Zurückweisung größerer Investitionsausgaben erhielt er Unterstützung vom Finanzminister. Jener veranschlagte für derartige Bestrebungen sechs Monate, um allein die erforderlichen Gerätschaften zu besorgen. Der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung, die Dürre sei voraussichtlich längst überstanden, noch bevor die Arbeiten beginnen könnten, wurde wiederum von Senator Jaguaribe aus Ceará widersprochen. Man müsse mit mindestens einem Jahr Trockenheit rechnen.171 Diese Diskussion vom Juni 1877 zeigt, dass bereits zu Beginn der ‚Großen Dürre‘ – bevor ihr eigentliches Ausmaß zu ermessen war – den Vertretern des Nordens eine Grundregel der zukünftigen Dürrepolitik bewusst werden musste: Je länger die Trockenheit andauerte, umso eher konnten ihre Infrastrukturpläne durchgesetzt werden. Die Verweigerung bautechnischer Vorhaben war nicht allumfassend. Finanzminister Barão de Cotegipe lenkte ein, dass sinnvolle Arbeiten – z.B. die Expansion des Telegraphennetzes – durchaus von den Dürregeldern finanziert werden könnten, anstatt lediglich „Almosen“ zu verteilen. Senator Zacarias verurteilte solcherlei Ansätze erneut als Spekulation mit den Notleidenden.172 Sämtliche Arbeiten, einschließlich der Stauanlagen, seien Wertschöpfungsmaßnahmen, die nicht unter die Kategorie „soccorros publicos“ fielen und daher mit gesonderten Mitteln zu finanzieren seien.173 Senator Silveira da Motta bezeichnete die „missbräuchliche Zweckentfremdung von Hilfsgeldern“ als „Degenerierung unserer repräsentativen Institutionen“.174 Folgendes hypothetisches Szenario entwarf er gemeinsam mit Senator Zacarias: Blieben von einer bereitgestellten Summe über R$  2.000.000 am Ende der Dürre R$  500.000 übrig, könnten diese nach Gutdünken der Oligarchien für den Hafen von Fortaleza oder das cearensische Schienennetz eingesetzt werden.175 Was hier als abschreckendes Beispiel konstruiert wurde, entsprach schon damals den Wunschvorstellungen der Politiker aus dem Norden. Und während im Nationalkongress noch über die Anwendung der Dürregelder in Bauprojekten gestritten und theoretisiert wurde, hatte sie der cearensische Provinzpräsident Caetano Estellita Cavalcanti Pessôa längst in die Praxis umgesetzt – „in der geeignetesten Weise, nicht nur zur Erleichterung des Elends, sondern im Dienste des Allgemeinwohls, indem den dazu Fähigen Arbeit und Lohn anstelle von Almosen und Müßiggang geboten

171 Ders./Barão de Cotegipe (Bahia)/Jaguaribe (Ceará), ebd., S. 248  f., 251 und ders., Anais do Senado, 26.6.1877, S. 236 (Quelle II.2.d-05). 172 Barão de Cotegipe (Bahia)/Zacarias (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 252; siehe auch die vergleichbare Debatte zwischen Motta, José Inácio Silveira da (Goiás)/Barão de Cotegipe (Bahia), ebd., S. 255 (Quelle II.2.d-06). 173 Zacarias (Bahia), ebd., S. 251. 174 Motta (Goiás), ebd., S. 253 (Quelle II.2.d-07). 175 Ders./Zacarias (Bahia), ebd., S. 254 (siehe ebenfalls Quelle II.2.d-07).

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wurden.“176 Sein Nachfolger José Julio de Barros führte die Initiative fort und ließ das Schienennetz erweitern und öffentliche Gebäude errichten, unter anderem Stadtratskammern und Anstalten für Bettler und Geisteskranke.177 Auch die Provinzregierung Paraíbas folgte dem Beispiel und ließ staatliche Arbeiten durchführen, von der Reinigung und Ausbesserung von Straßen und Stauanlagen bis hin zum Bau von Gefängnissen, Kapellen und Friedhöfen.178 Aus einer Korrespondenz zwischen dem kaiserlichen Finanz- und Innenminister geht die Missbilligung dieser eigenmächtigen Aktivitäten hervor, die nicht einmal in guten Jahren in diesem Umfang angemessen seien.179 Die Verfassung von 1824 garantierte im Katastrophenfall „staatliche Hilfen“ und ließ hinsichtlich der konkreten Realisierung einen breiten Interpretationsspielraum. Allerdings führte ein Gesetz von 1862 aus, dass die Rettungsmaßnahmen nur in Form von Medikamenten, Kleidung und Nahrungsmitteln und nie finanziell zu erbringen seien, also ebenso wenig als Bezahlung für Arbeiten.180 Die derart definierten Direkthilfen wurden von den politischen Vertretern der Region abfällig als entwürdigende „Almosen“ diffamiert.181 Außerdem verleiteten sie ihrer Meinung nach zu schädlichem, allumgreifendem Müßiggang und moralischer Verwerfung.182 Die Erlösung der „Unglücklichen“ aus der Bittstellerschaft, indem Almosen in Arbeitsdienste umgewandelt wurden, hoben sie als „humanitäre Handlung“ hervor.183 Der Schatzmeister der Solidaritätskommissionen am Kaiserhof Castro Carreira gab zu bedenken, dass 176 Araripe (Ceará), ebd., S. 281 (Quelle II.2.d-08). 177 Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 466 (Quelle II.2.d-09). 178 Parente, Relatorio da administração da Parahyba, 1.3.1878, S. 12, 14 (Rubrik „Secca“); Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 59–62 (Rubrik „A secca“) (Quelle II.2.d-10). 179 Figueiredo, Afonso Celso de Assis (Minas Gerais, Finanzminister)/Carvalho, Carlos Leôncio da Silva (Rio de Janeiro, Innenminister), Korrespondenz vom 26. und 31.5.1879, in: A Constituição (Rio de Janeiro) vom 19.6.1879, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 66 f. (Quelle II.2.d-11). 180 Dekret Nr. 2884 vom 1.2.1862, zit. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 85. 181 Zwei von vielen Beispielen sind: „abatimento que ordinariamente resulta do facto de receber esmola“, Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 25.6.1877, S. 220; und: „a esmola avilta“, Rebouças, André, A Sêcca nas Províncias do Norte, Rio de Janeiro: Typ. de G. Leuzinger & Filhos, 1877, S. 43, zit. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 86. 182 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 236 f.; Parente, Relatorio da administração da Parahyba, 1.3.1878, S. 14 (Rubrik „Secca“); Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 2.7.1877, zit. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 86 (Quelle II.2.d-12). 183 Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 58 (Rubrik „A secca“) (Quelle II.2.d-13).

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die Rechtsprechung milde Gaben für die Bedürftigen vorsah und sie nicht zu Arbeitsleistungen verpflichtete. Doch auch er hielt es für unbestreitbar nützlicher, die „100.000 oder 200.000 von der Regierung unterstützten Menschen mit einer Tätigkeit zu beschäftigen, anstatt sie der Faulenzerei und Trägheit zu überlassen“.184 Bereits vor Ende der Trockenzeit von 1877–79 wurde die Vergabe von Almosen als Verschwendung von Staatsgeldern an das „Bettelwesen“ verurteilt und das Versäumnis gewinnbringender Investitionen beklagt. In den folgenden Jahrzehnten sollte diese Anschauung hartnäckig im Diskurs der regionalen Repräsentanten reproduziert werden, bis nur noch Arbeiten als würdige Staatshilfe galten und deren Unterlassung bei der ‚Großen Dürre‘ für spätere Hungerkatastrophen verantwortlich gemacht wurde.185 Auf diese Weise avancierte eine anfangs von den Gegnern der Dürreprojekte als Verfassungsbruch bezichtigte Forderung im Zuge der diskursiven Entwicklung zum einzig ‚Sagbaren‘. Aus dem klimatischen Notfall wurde ein Prinzip zur Erlangung staatlich finanzierter Infrastrukturarbeiten. Die Argumente für die Beschäftigung der Dürreopfer waren widersprüchlich. Einerseits wurde die Schwierigkeit hervorgehoben, Hilfsprodukte in den Krisensektor zu befördern. Andererseits wurde verlangt, gerade dort Arbeitsdienste einzurichten, um die Menschen vor Ort halten zu können und somit das angeblich noch sehr viel größere Übel ihrer Abwanderung zu verhindern. Bedacht wurde offensichtlich nicht, dass auch in diesem Fall Nahrungsmittel in den schwer zugänglichen Gebieten zur Verfügung gestellt werden mussten. Des Weiteren behaupteten die Befürworter der Bauvorhaben, die Notleidenden würden durch einen Arbeitslohn befähigt, sich und ihre Familien zu versorgen, während Almosen nur für eine „Handvoll Mehl und Trockenfleisch“ reichten, die umherirrenden Dürreflüchtlinge ohne Unterkunft auskommen müssten und Seuchen und Prostitution ausgesetzt seien. Diese Position untermauerten sie ausgerechnet mit Beispielen von der miserablen Betreuung in den Auffanglagern in Fortaleza, wo Neuankömmlinge dieselben Schlafstellen bezogen, in denen unmittelbar zuvor Pockenkranke gestorben waren.186 Dabei standen gerade diese Lager mit den Arbeitsmaßnahmen in Zusammenhang und konnten erahnen lassen, wie vergleichbare Unternehmungen im Hinterland ge184 Carreira, Liberato de Castro (Ceará), in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 4.7.1879, zit. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 86 (Quelle II.2.d-14). Zu Castro Carreira siehe auch ders., „Estranhos na Belle Époque: a multidão como sujeito político (Fortaleza, 1877–1915)“, in: Trajetos. Revista de História UFC (Fortaleza), Bd. 3, Nr. 6 (April 2005), S. 113–138 (133). 185 Brandão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 319; Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 463; Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 75 (Quelle II.2.d-15). Siehe auch Kapitel IV.2.d. 186 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 236; 7.8.1877, S. 66; 7.2.1879, S. 66 (Quelle II.2.d-16).

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handhabt worden wären und bei späteren Dürren tatsächlich umgesetzt werden sollten.187 Dem Zeitzeugen Rodolfo Teófilo zufolge wurden die aus dem Sertão ankommenden Schutzsuchenden nur am Tag ihrer Ankunft frei verpflegt. Anschließend mussten die Männer im entfernten Steinbruch für den Straßen- und Schienenbau arbeiten, um sich ihren Proviant zu verdienen – eine Bürde, die der Pharmazeut als unzweifelhaft lebensbedrohlich für die geschwächten Dürreopfer einstufte. Zudem war die Schar der Flüchtlinge so groß, dass jeder Mann lediglich an zwei Tagen pro Woche arbeiten konnte und nur an diesen Tagen die spärliche Ration erhielt, die für die gesamte Familie genügen musste. Unterdessen verrotteten in den öffentlichen Getreidespeichern große Teile der für die Dürreflüchtlinge bestimmten, als Entlohnung für die Arbeitsdienste gehorteten Nahrungsvorräte.188 Skepsis und Widerstand angesichts einer ertragreichen Dürrepolitik

Die Politiker der Dürreregion sahen in den Beschäftigungsmaßnahmen nur Vorteile, im Kongress euphorisch umworben: „Beachten Sie, dass all dies [die bereits durchgeführten Arbeiten in Ceará] ohne größere Belastung für die Staatskasse verwirklicht wurde; denn es wurden die Dürreflüchtlinge genutzt, die ohnehin unterstützt werden mussten, ob sie nun arbeiteten oder nicht; es wurden die Ingenieure genutzt, welche die [cearensische] Regierung auf ihre Kosten zur Untersuchung der Klimaproblematik in der Provinz unterhielt“.189 Aus dieser einseitigen Perspektive der oligarchischen Bauherren musste die Trockenheit als ein Segen erscheinen. Um das System der Dürreprojekte dauerhaft durchzusetzen, standen den Vertretern des Nordens indes noch mehrere Jahre Überzeugungsarbeit bevor. Denn sobald es um Investitionen in die Infrastruktur ging, eskalierten die Machtkämpfe zwischen den Provinzen und zwischen den Regionen. Hinter den begehrten indirekten Staatshilfen vermuteten die Vertreter des Südens die Bedienung individueller Interessen.190 Die kaiserliche Regierung habe der leidenden Bevölkerung stets mit Lebensmitteln beigestanden, so ein Abgeordneter aus Minas Gerais, der nicht einsah, wie die Vergabe 187 Siehe hierzu die in Kapitel  IV.3.b beschriebenen desolaten Zustände in den „Campos de concentração“ von 1915. Zu jenen von 1932 siehe Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 255; Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 109; ders., Tragédia oculta, 2003, S. 74, 76. 188 Theophilo, Rodolpho, Historia da secca do Ceará (1877 a 1880), Fortaleza: Typographia do Libertador, 1883, S. 148 f. (Quelle II.2.d-17). Siehe auch Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 45. 189 Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 466 (Quelle II.2.d-18). 190 Motta (Goiás), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 254 (siehe Quelle II.2.d-07).

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von Geld in einer Hungerkrise von Nutzen sein könne.191 Finanzminister Barão de Cotegipe wurde noch direkter und ließ die Vermutung anklingen, einflussreiche Bürger wollten sich durch die Dürre bereichern. Gemeint war das aus seiner Sicht unlautere Ansinnen der cearensischen Fraktion, Privatunternehmen zinsfreie Darlehen anzubieten und Produktionssteuern zu erlassen. Ebenso wenig war er mit Blick auf die Notstandsmaßnahmen bereit, als Erstes die Provinzbeamten zufriedenzustellen. In einem Gemeinwesen müsse die Last einer Krise von allen getragen werden.192 Die Zentralregierung könne nicht ihre eigenen finanziellen Verpflichtungen vernachlässigen und damit die Funktionsfähigkeit des Staatsapparates gefährden, nur um Steuererleichterungen für die Dürreprovinzen zu ermöglichen. Zugleich erinnerte Finanzminister Barão de Cotegipe an die Zahlung von R$  400.000 nach der schweren Trockenheit von 1845, die nie vollständig ausgegeben wurden, weil sie nicht in voller Höhe erforderlich gewesen seien.193 Damit wollte er zu mäßigeren Forderungen anhalten. Die ­Adressaten seines Appells lernten hieraus eine andere Lektion: Gelang es ihnen, das Konzept der Bauprojekte zuwege zu bringen und bei Ausbruch einer Dürre prompt konkrete Vorhaben vorlegen zu können, würden sie nicht noch einmal in die Situation kommen, vom Kongress zugeteilte Hilfskredite ungenutzt zurückerstatten zu müssen. Überdies sollte sich in den folgenden Jahren eine lehrreiche Faustregel etablieren: Je umfangreicher das aktuelle Programm, umso höher der Referenzpunkt für zukünftige Zahlungen. In diesem Sinne wurden die 1877–79 ausgegebenen Haushaltsgelder zum Maßstab für die finanziellen Erwartungen bei späteren Trockenperioden.194 Schon zu Beginn der ‚Großen Dürre‘ weckten die Beschreibungen der Hungersnot und die Anspruchshaltung des Nordens bei Mitgliedern der Zentralregierung im fernen Rio de Janeiro Misstrauen. Finanzminister Barão de Cotegipe gab am 27. Juni 1877 im Senat die Nachricht des cearensischen Provinzpräsidenten weiter, dass keine Lieferungen von Naturalien benötigt werden, weil diese in der Region zu normalen und sogar niedrigeren Preisen zu erstehen seien. Während sich für die Repräsentanten Cearás daraus die Schlussfolgerung ableitete, die Hilfen monetär statt materiell zu leisten, gab diese Information aus Sicht des Südens Anlass zu berechtigten Zweifeln am Ausmaß der Dürre. Der Finanzminister sprach die Mutmaßung aus, die Katastrophe werde – „wie stets in solchen Fällen“ – von den Betroffenen übertrieben dargestellt.195 Einen 191 192 193 194

Campos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459 (Quelle II.2.d-19). Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 250 (Quelle II.2.d-20). Ebd., S. 249 f. Ein entsprechender Vergleich diente während der Dürre von 1915 als Druckmittel: „Setenta mil contos o Imperio não hesitou em despender [na secca de 1877 a 1879]“. Lima, Alexandre José Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.11.1915, S. 215. 195 Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249 (Quelle II.2.d-21).

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Monat später bezeichnete Minister Antonio da Costa Pinto e Silva die sich häufenden Meldungen von Todesopfern der Hungerkatastrophe als Falschaussagen. Um dies zu belegen, führte er einen Bericht des cearensischen Blattes Retirante an, demzufolge ein Junge in Fortaleza verhungert sei. Nach behördlichen Nachforschungen habe sich erwiesen, dass die Mutter ihren unversehrten Sohn in der Hoffnung für tot erklärt hatte, auf diese Weise das öffentliche Mitleid und die Almosen zu erhöhen.196 Angesichts des Argwohns gegenüber den hoch bezifferten Todesfällen bemühten sich die Vertreter des Nordens, derartige Äußerungen glaubwürdig zu präsentieren, indem sie die Authentizität der offiziellen Dokumente betonten, die von rechtschaffenen und tugendhaften Bürgern unterschrieben seien.197 Immerhin ging es um immense Beträge des Staatsbudgets, das seit dem Tripel-Allianz-Krieg (1865–70) und der Weltwirtschaftskrise der 1870er-Jahre von einem starken Defizit gezeichnet war und die Regierung zu einer rigorosen Sparpolitik zwang.198 Bis zum Ende der Trockenperiode von 1877–79 wurde die – gerade vor diesem Hintergrund – gigantische Summe von rund 70.000 Contos aufgebracht.199 Zum Vergleich: Lagen die staatlichen Einkünfte Cearás in klimatisch guten Zeiten bei annähernd 3000 Contos im Jahr, übertrafen die Dürrekredite in Ceará und Rio Grande do Norte deren reguläre Einnahmen der folgenden zehn Jahre. Der Abgeordnete Felicio dos Santos zweifelte hier offen die Verhältnismäßigkeit an: Selbst wenn man die erhebliche Migrationswelle unberücksichtigt ließe und davon ausginge, dass die gesamte Bevölkerung der Region von 196 Silva, Antonio da Costa Pinto e (Ministro do Imperio), Anais da Câmara, 28.7.1877, S. 249 (Quelle II.2.d-22). 197 Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 61 (Quelle II.2.d-23). 198 Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 69. 199 Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.11.1915, S. 216. Frederico Borges nannte sogar annähernd 100.000 Contos nur für seine Heimatprovinz. Borges (Ceará), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340. Zum Zeitrahmen der Hilfszahlungen: In Paraíba erfolgten sie unter dem Titel „Soccorros publicos“ regulär bis 1879 und in drei Fällen von sogenannten „colonias“ bis Juli 1880. Pereira Junior, José Rodrigues, Exposição com que o Exm. Sr. Dr. José Rodrigues Pereira Junior passou a administração desta Provincia ao Exm.° Sr. Padre Felippe Benicio da Fonceca Galvão – 2.° Vice-Presidente (...) em 30 de abril de 1880, Parahyba 1880, S. 2; Galvão, Felippe Benicio da Fonceca, Exposição com que o 2.° Vice-Presidente Padre Felippe Benicio da Fonceca Galvão passou a administração da Provincia ao 1.° Vice-Presidente Dr. Antonio Alfredo da Gama e Mello no dia 15 de maio de 1880, Parahyba 1880, S. 1; Mello, Antonio Alfredo de Gama e, Exposição com que o exm.° sr. Dr. Antonio Alfredo de Gama e Mello, 1.° Vice-Presidente d’esta provincia passou a administração da mesma ao exm.° sr. Dr. Gregorio José de Oliveira Costa Junior, em 10 de junho de 1880, Parahyba 1880, S. 1 f. Zu weiteren Einzelheiten siehe Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 74–76, mit Ausgabenlisten aus „Terceira Diretoria da Secretaria de Estado dos Negócios do Império em 3 de fevereiro de 1879“, in: Anais da Assembléia Geral do Império, 4.2.1879, Tabellen 2, 3, S. 360 f.

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der Trockenheit in Mitleidenschaft gezogen wurde, könne er nicht einsehen, dass Ceará und Rio Grande do Norte mehr als dreimal so hohe Rettungsleistungen bezogen, als ihre Produktion in den fruchtbarsten Jahren einbrachte.200 Bedenken über die korrekte Verwendung der Gelder wurden im Kongress immer lauter. Senator Jaguaribe aus Ceará behauptete 1879, sie kämen nicht den eigentlichen Hungeropfern zu, sondern würden von „unersättlichen Raubvögeln“ abgefangen, welche die „größte aller Katastrophen zur eigenen Vermögensanhäufung umfunktionierten“. Aus der höfischen Zeitung Reforma zitierte er: „Hunger und Krankheit in Ceará (...) sind eine Frage des Klimas, sagen die einen, eine Frage der Verteilung, sagen andere.“ Er scheute nicht davor zurück, diese Mechanismen genauer zu erläutern: „Die Methoden, zu Wohlstand zu kommen, sind in Ceará wohlbekannt – Kommissionen werden zugeteilt und Gelder ausgeteilt, wobei das größte Kontingent auf den Verteiler entfällt, denn in der Not stehe ich mir selbst am nächsten. Von den Lebensmittelhilfen fällt erneut eine satte Kommission für die Interventoren ab, die sich zwischen die Händler und die Provinzregierung schalten. Dies geschieht öffentlich, jeder weiß es, nur nicht die ehrenwerten Minister.“201 Nach geläufiger Praxis gelangten die Gelder über die „Dienstliche Verteilungsstelle öffentlicher Hilfsmittel in den Provinzen“ (Repartição Provincial de Socorros Públicos) in die Hände der „respektabelsten Persönlichkeiten“, welche die in jeder Gemeinde gebildeten Notstandskommissionen anführten. Diese Funktionäre nutzten fast immer ihre Position für sich aus und begünstigten Verwandte und politische Freunde.202 In einem Bericht des paraibanischen Provinzpräsidenten von 1878 wurde bekräftigt, dass die Lebensmittel mit strengster Neutralität an die Hungernden weitergegeben und die Kommissionen aus vertrauenswürdigen Bürgern zusammengesetzt wurden, ohne dabei Parteiinteressen Genüge zu leisten.203 Das Erfordernis, dies in einer offiziellen Stellungnahme in aller Förmlichkeit hervorzuheben, deutet darauf hin, dass in dieser Hinsicht Probleme bzw. andere Gewohnheiten vorherrschten. Die regierungskritische Zeitung O Combate aus Paraíba erhärtete 200 Santos, Felicio (Minas Gerais), Anais da Câmara, 26.5.1879, S. 374. Die Zahlen stammen von Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 283 und Frota, Luciara Silveira de Aragão e, As secas como tema político-administrativo na história do Ceará (Tese de Doutoramento em História), São Paulo: USP, 1978, S. 114, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 77. 201 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 65, 67 (Quelle II.2.d-24). 202 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 66. 203 Parente, Relatorio da administração da Parahyba, 1.3.1878, S. 9 (Rubrik „Secca“). Ähnliche Beteuerungen, die auf Missstände hinweisen, sind bei späteren Trockenperioden zu finden. Siehe z.B. Barroso, Benjamin Liberato (Gouverneur von Ceará), Telegramm an Gustavo Barroso, o. D. (vermutlich kurz vor dem 13.10.1915 erhalten), vorgetragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 13.10.1915, S. 129  f. (130); Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 449 (Quelle II.2.d-25).

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diesen Eindruck, indem sie von „schmutzigen“ Geschäften der Kommissionen schrieb, die sich 1877 ungeachtet der Armut und Prostitution ganzer Familien bereicherten. Der Zeitung zufolge haben die Nahrungsmittelsendungen damals lediglich die „Bäuche derer gefüllt, die ihrer nicht bedurften“.204 Viele in die Provinzhauptstädte geflüchtete Großgrundbesitzer konnten ihren Einfluss geltend machen, um dort öffentliche ‚Ämter‘ zu bekleiden und die Trockenperiode auf Kosten des Staates zu überbrücken. Auf diesem Weg entgingen sie außerdem den Bitten und Forderungen der leidenden Landbevölkerung sowie den Messern und Gewehren der cangaceiros im Hinterland. Das Banditentum weitete sich während der Dürre von 1877–79 gewaltig aus. Maria Gareis bezeichnet die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vermehrt auftretenden Trockenzeiten als Hauptantrieb für die Ausdehnung des cangaço, welcher seinen Höhepunkt zwischen 1925 und 1935 erlebte.205 Das Phänomen einseitig mit den Dürren in Verbindung zu bringen, bedeutet allerdings eine Ausblendung seiner mannigfaltigen Ursachen. Vielmehr ist das Banditentum unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontexts zu erklären, in gleicher Weise wie das Klima nur eine von mehreren Komponenten der Krise von 1877 war. Ineffiziente Verwaltung und überhandnehmende Korruption ließen den Großteil der Dürreflüchtlinge 1877–79 trotz umfangreicher Staatshilfen hungern. Freie Bürger gerieten im Rahmen der Notprogramme in die Abhängigkeit der politischen Organisatoren, welche den Großgrundbesitzern zu unentgeltlichen Arbeitskräften und somit zu einem modernen Ersatz der Sklaverei verhalfen.206 Während die Hilfsaktionen der armen Bevölkerung keine wirksamen Verbesserungen brachten, verhießen sie den Oligarchien des Nordens gesellschaftspolitische Rettung und ökonomische Gewinne. Im Zuge dieser Entwicklung erlangten die Dürre und die Region der Dürre eine neue, diskursiv gefestigte Bedeutung.

204 Pereira, Mario Soares, „A fome“, in: O Combate (Parahyba), Bd.  2, Nr.  40–3 (21.10.1903), S. 3; „Politica. A secca“, in: O Combate, Bd. 3, Nr. 55–3 (28.2.1904), S. 1 (Quelle II.2.d-26). 205 Gareis, Cangaço e seca no Nordeste, 1994, S. 128, 131, 151, 157. Siehe auch Zilly, Bertold, Anhang zu: Cunha, Krieg im Sertão, 1994, S. 687–756 (744); Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 115 f. und ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 73 f. Weitere Ausführungen zum cangaço erfolgen in Kapitel III.2.b. 206 Ders., Invenção da seca, 1995, S. 114  f., 117. Zur Ausdehnung des Abhängigkeitsverhältnisses über die Trockenperioden hinaus siehe Kapitel III.2.c. Das Thema der Korruption wird in Kapitel IV.4 detailliert dargestellt.

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3. Die diskursive Konstruktion der Dürre und des ­Nordostens a) Strategien des Dürrediskurses Die Superlativierung der Trockenheit als politisches Druckmittel

Als ausschließlich für die Armen bestehendes Problem hatte die Trockenheit eine verhältnismäßig geringe Beachtung gefunden. Mit der ‚Großen Dürre‘ wurde sie zum Streitross der regionalen Agrarelite, die starker Argumente bedurfte, um wirtschaftliche Unterstützung und politische Privilegien einfordern zu können. Die Rolle als Opfer der Natur wurde zur Kernaussage eines viel genutzten Kunstgriffs, um Druck auf die kaiserliche Regierung auszuüben und staatliche Finanzmittel zu erhalten. Andererseits gaben die vermehrten Nachrichten von Unterschlagung und Betrug der Krone ein fundiertes Motiv, die im Laufe der Jahre 1877–79 in astronomische Höhen angestiegenen Zahlungen einzuschränken. Hinzu kam die Kunde vereinzelter Regenfälle im Norden, so dass der Finanzminister schließlich im Mai 1879 die komplette Aussetzung der Hilfen erklärte. Der aus dem Süden stammende Abgeordnete Felicio dos Santos kommentierte zustimmend, es sei nicht Aufgabe der Regierung, als „fahrende Ritter karitativen Missionen nachzugehen“, sondern das Problem wissenschaftlich in Angriff zu nehmen, ohne Unsummen für die Dürrekatastrophe zu „verschleudern“, die er für das nationale Haushaltsdefizit verantwortlich machte.207 Die Oligarchien des Nordens hatten verständlicherweise ein ungebrochenes Interesse an der Fortsetzung der Finanztransfers, und sie hatten gelernt, welche Wirkung die Bilder von Bedürftigkeit, Mangel und Ohnmacht im Inund Ausland erzielten. Kontroverse Begriffe wie „hecatombe“ („Massensterben“ mit Konnotation „Massenmord“) hatten Eingang in das deskriptive Vokabular der Dürre gefunden. Schilderungen von Kadavern, die den Überlebenden als letzte Nahrungsquelle dienten, prägten die Wahrnehmung des Schreckens.208 Die Leiden der Armen wurden hervorgehoben und die imperiale Regierung der Vernachlässigung des Dürregebiets bezichtigt, in welchem sie mit Investitionen 207 Santos, Felicio (Minas Gerais), Anais da Câmara, 26.5.1879, S. 374 (Quelle II.3.a-01). Zu weiteren Hinweisen im Parlament, dass die Zahlungen für das Dürregebiet nicht weiter toleriert würden, und zur darauf folgenden Protestreaktion der Vertreter aus dem Norden siehe Brandão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 319. Siehe auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 22; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 66. 208 Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60 (Quelle II.3.a-02).

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in die Infrastruktur die Todeswelle hätte verhindern können.209 Dabei wurde stets betont, dass es sich um eine große Region des Kaiserreichs handelte, mit einer Bevölkerung von „mehr als 700.000, fast 800.000 Einwohnern“, die es zu retten galt.210 Auf der Grundlage dieser Erfahrungen entstand der Dürrediskurs, mit dessen Hilfe die Trockenheit von einem klimatischen Naturereignis zu einem politischen Instrument wurde. Sobald sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten ein Klimaeinbruch abzeichnete, wurde die nationale Rettungspflicht mit der Erinnerung an die ‚Große Dürre‘ verknüpft: „Abertausende werden verenden, sterben, zu Stapeln aufgetürmt, bis sich das finstere Szenario von 1877 und 1878 wiederholt, als die Bestattungen nicht Schritt hielten und die Leichname brasilianischer Bürger zu Vierhunderten, Sechshunderten und mehr verbrannt wurden!“211 „Jede Verzögerung der Hilfeleistungen“, so der drängende und stets wiederholte Appell der Politiker aus dem Norden, „kostet vielen unserer Brüder in jenen Staaten das Leben.“212 „Es ist unmöglich, dass Leid, Hunger und Tod des brasilianischen Volkes dem Kongress gleichgültig sind“, „wo Tausende von Kindermündern vergeblich um ein Stück Brot bitten, wo Tausende von Vätern und Müttern, an ihre Kinder geklammert, in den letzten Zügen des Hungertods, sich von der Welt verabschieden und das undankbare Vaterland verfluchen.“213 „Tausende von Todesopfern hat die Verzögerung der Hilfsmittel ohne Zweifel bereits gekostet; dieses Sterben muss das Gewissen derer belasten, die nicht ihrer Pflicht nachkamen, es zu verhindern.“214 „In diesem Augenblick, in dem ich hier spreche, verhungert (...) der sertanejo!“215 209 Figueiredo, Relatorio da administração da Parahyba, 24.4.1877, S. 11; Parente, Relatorio da administração da Parahyba, 1.3.1878, S. 9 (Rubrik „Secca“); Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 238; ders., Anais do Senado, 7.8.1877, S. 66 (Quelle II.3.a-03). 210 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 279, 283 f.; Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 239 (Quelle II.3.a-04). 211 Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.5.1904, S. 68; siehe auch Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 73 (Quelle II.3.a-05). 212 Sá, Francisco (Ceará), Anais da Câmara, 17.9.1900, S. 309; siehe auch ders., Anais da Câmara, 18.9.1900, S. 344; Castro, Almeida (Presidente da Commissão Executiva do Commercio de Mossoró, Rio Grande do Norte), Telegramm an Alexandre José Barbosa Lima vom 11. oder 12.5.1904, vorgetragen von: Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 16.5.1904, S. 42 (Quelle II.3.a-06). 213 Ebd.; Rocha, Moreira da (Ceará), Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 152 (Quelle II.3.a-07). 214 „Pelos flagellados do norte“, in: O Imparcial (Rio de Janeiro) vom 15.10.1915, auf Antrag von Gustavo Barroso (Ceará) abgedr. in: Anais da Câmara, 15.10.1915, S. 193– 195 (Quelle II.3.a-08). 215 Ders., Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 873; siehe ähnliche Stellungnahmen von Rocha (Ceará), Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 151; Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1010; Pedrosa, Pedro da Cunha (Paraíba), Senatsrede, publiziert in:

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Der Warnung vor akuter Lebensgefahr unzähliger Bürger konnte sich kaum ein Staatsmann entziehen, ohne unmenschlich zu erscheinen. Selbst die Skeptiker, die Vorbehalte im Kongress zum Ausdruck brachten, wagten es in dieser Situation nicht, ihre Zustimmung zu verweigern.216 Das Misstrauen bei den Politikern des Südens blieb dennoch bestehen. Die Vertreter des Nordens reagierten darauf, indem sie das Ausmaß der Katastrophen immer drastischer beschrieben und auf diese Weise die Forderungen nach Dürregeldern zu legitimieren hofften. So nannte der paraibanische Abgeordnete José Peregrino die Trockenheit von 1898 „gravierender als jene von 1877“.217 Sein Kollege Barbosa Lima verlas während der Dürre von 1904 im Parlament ein Telegramm aus Rio Grande do Norte, demzufolge die Bevölkerung nie dergestalt gelitten habe.218 Auch die Trockenperiode von 1915 wurde als die „größte unserer Geschichte“ bezeichnet – kein Volk leide wie die Bevölkerung des Dürregebiets.219 Im Gegensatz zu früheren Zeiten sei es 1915 zur Anteilnahme im ganzen Land und im Ausland gekommen.220 Angesichts des Elends und der weitreichenden Solidaritätskampagnen von 1877–79 klangen diese Aussagen überzogen, doch das Phänomen „Dürre“ musste stets aufs Neue überboten werden, in Übereinstimmung mit den erhöhten Erwartungen. Im Jahr 1919 sah man ebenfalls Anlass zu Rekordmeldungen. Nie zuvor sei eine Trockenheit „absolut“ gewesen – „eine der größten Dürren, welche die Region je erlebt hat“, „sehr viel schlimmer als 1915“, „womöglich noch gravierender als 1878“.221 Der paraibanische Senator Cunha Pedrosa mahnte: „Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass die Menschen dort sterben, verdursten.“222 Diese Formulierung deutet wiederum darauf hin, dass im Kongress durchaus mit Übertreibungen aus der Dürreregion gerechnet

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Diario do Congresso. Republica dos Estados Unidos do Brasil (Rio de Janeiro), Bd. XXX, Nr. 23 (30.5.1919), S. 388 (Quelle II.3.a-09). Neiva, J.  A. (Herkunft unbekannt), Diskussion des Projecto  149  A [Dürrekredite], Anais da Câmara, 20.9.1900, S. 429 (Quelle II.3.a-10). Peregrino bezog sich auf Schreiben aus dem paraibanischen Hinterland: „peior do que a de 1877“, Altimano, Nicolau Santoro, Bericht des Conselho Municipal von Conceição vom 10.8.1898; „mais grave do que a de 1877“, Ferreira, Alvaro José, Bericht der Presidencia do Conselho Municipal von Pombal vom 5.8.1898, beide vorgetragen von: Peregrino, José (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 530 f. Castro (Commissão do Commercio de Mossoró, Rio Grande do Norte), Telegramm vom 11. oder 12.5.1904, Anais da Câmara, 16.5.1904, S. 42 (Quelle II.3.a-11). Lamartine, Juvenal (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 108; Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 874 (Quelle II.3.a-12). Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1030 (Quelle II.3.a-13). Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388; Borges (Ceará), Anais da Câmara, 23.5.1919, S. 481; Campos, Carlos de (São Paulo, leader da maioria unter Epitácio Pessoa), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 82 (Quelle II.3.a-14). Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388 (Quelle II.3.a-15).

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wurde. Tatsächlich gibt es keine stichhaltigen Hinweise, dass die Krise von 1919 jene der Jahre 1915 oder gar 1877–79 übertroffen habe.223 Fixierung auf das klimatische Phänomen

Auch wenn die politischen Vertreter des Nordens in Zeiten anhaltender Niederschlagsmängel das aktuelle Unheil oft dramatischer als in den Jahren 1877–79 auslegten, galt die ‚Große Dürre‘ langfristig gesehen als unerreichter Maßstab. Die äußeren Umstände der damaligen Notlage wurden dabei meist ausgeklammert, obwohl sie in den zeitgenössischen Kongressdebatten offen diskutiert worden waren: Die Trockenheit hatte die Menschen nach mehr als drei Jahrzehnten klimatisch günstiger Jahre überrascht und zudem inmitten einer ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Krise getroffen, welche die Region verwundbarer gemacht hatte. Die verheerenden Auswirkungen hingen mit der Rezession und Misswirtschaft ebenso zusammen wie mit den Unterdrückungsmechanismen des machtpolitischen und sozioökonomischen Systems. Diese strukturellen Elemente waren bereits zu Beginn der ‚Großen Dürre‘ von den Parlamentariern und Senatoren angeführt worden, und zwar in aller Regel als Kritik an den jeweiligen politischen Gegnern. Eine Ausnahme stellte der aus Piauí stammende Abgeordnete Antonio Coelho Rodrigues dar. Auf dem Agrarkongress in Recife von 1878 forderte er unterschiedslos sämtliche seiner oligarchischen Mitvertreter auf, sich im Antlitz der Krise weder flehend an Gott noch an die Regierung in Rio de Janeiro zu wenden, sondern sowohl die Ursachen als auch die Lösung bei sich selbst zu suchen. Als verantwortlich für die Misere und überdies als Ansatzpunkte für dringende Reformen nannte er Luxus, Selbstsucht und Machtmissbrauch der Landherren, ihren Unwillen zu eigenhändiger Arbeit bei gleichzeitiger Ausbeutung der Sklaven, die systemische Ungerechtigkeit und die sträfliche Ausnutzung öffentlicher Ämter und Kredite, wobei das Beamtentum den Großteil der Steuereinnahmen verschlinge und den Staatshaushalt ruiniere. Des Weiteren kritisierte er das dem Schein nach repräsentative Wahlsystem, welches die Wahlstimmen zu käuflicher Ware verkommen lasse und bei dem es nur um Machterhalt, nicht aber um politische Inhalte und pflichtbewusstes Handeln gehe.224 Auf den stürmischen Applaus seiner Zuhörer antwortete er unversöhnlich: „Ich fürchtete, Euch mit meinen Worten zu verärgern, und Ihr applaudiert auf diese Weise! Glaubt Ihr etwa, ‚unschuldig 223 Siehe Kapitel IV.3.c. 224 Rodrigues, Antonio Coelho (Piauí), „Discurso do Sr. Dr. Antonio Coelho Rodrigues“, 6.10.1878, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 79–95 (80–86, 90) (Quelle II.3.a-16).

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am Blut des Gerechten‘ zu sein? Habt Ihr vielleicht angenommen, in diesem traurigen und erschreckenden Bild lediglich die arglosen und gutgläubigen Opfer zu sein? Dann habt Ihr euch sehr getäuscht.“225 Seine Vorstellungen, so der Redner, entsprächen sicher nicht der mehrheitlichen Meinung.226 In der Tat, das eigene Versagen, den eigenen Anteil am Elend offenzulegen und daraus Konsequenzen für zukünftige Veränderungen zu ziehen, war von den oligarchischen Repräsentanten des Nordens kaum zu erwarten. Das herrschende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche System sollte in seinen Grundfesten nicht hinterfragt werden. Daher wurden im parlamentarischen Umfeld – abgesehen von gegenseitigen Schuldzuweisungen auf dem parteipolitischen Schlachtfeld – die klimaunabhängigen Krisenfaktoren möglichst durch die Dürrethematik überlagert. Die Katastrophe wurde diskursiv aufbereitet, in die Verantwortung genommen als „unvorhersehbares und unvermeidbares“ Phänomen, welchem „die Provinzen des Nordens durch ihre topographische Position fatal unterworfen sind“.227 Die unbesiegbare Natur als Wurzel allen Übels zog sich wie ein roter Faden durch den parlamentarischen Dürrediskurs des Kaiserreichs und der Ersten Republik und wurde in der Presse, in prosaischen und poetischen Texten verarbeitet. In dieser Argumentation wurden nicht die ökonomischen Probleme für das Ausmaß der klimatischen Einflüsse verantwortlich gemacht, sondern das Klima für die wirtschaftliche Rückständigkeit.228 Der Zentralregierung in Rio de Janeiro bot die Fixierung auf die naturgegebene Situation Gelegenheit, diese mit umgekehrten Vorzeichen gegen den Norden einzusetzen. So wurde im August 1877 die Forderung aus der Dürreregion, Schritte zur Abwehr der Katastrophe einzuleiten, von Außenminister Diogo Velho Cavalcanti de Albuquerque lapidar auf einen ‚himmlischen‘ Ausweg reduziert: „Nur wenn man es regnen lassen könnte. (...) Regierungs225 Ebd., S. 83 (Quelle II.3.a-17). 226 Ebd., S. 79 f. 227 Brandão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 320; Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 340 (Quelle II.3.a-18). 228 Siehe z.B. Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 991 f. und Beispiele für die Betonung des Naturphänomens: Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 513; Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 73; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 491; Sá, Meira e, Artikel ohne Titel, in: Jornal do Commercio, o. D., vorgetragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 875 f. (875); Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1003; „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1 (Quelle II.3.a-19). Literarische Beispiele: Junqueiro, Guerra, „A fome no Ceará“, Gedicht, abgedr. im Unterhaltungsblatt (mit Romanzen, Bilderalben etc.) O Contemporaneo (Rio de Janeiro), Bd. 1, Nr. 2 (20.10.1877), S. 11; Nasareth, A., „A secca“, Gedicht, in: O Combate (Parahyba), Bd. 2, Nr. 34–3 (29.8.1903), S. 3; „A secca“, Prosatext über die Übel der Dürre, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 37–3 (27.9.1903), S. 2.

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aktivitäten sind machtlos (...). Lasst uns Gott um Regen bitten; das ist die erlösende Maßnahme.“229 Auch Finanzminister Barão de Cotegipe zog aus dem Klimadiskurs die Konsequenz, dass nur Gott helfen könne. Wie schon erwähnt, gingen andere Politiker des Südens so weit, die Entvölkerung des Nordens zu verlangen, weil die dortigen Witterungsverhältnisse offensichtlich kein normales Leben ermöglichten.230 Um dennoch die Rettung ihrer Heimat und die Erhaltung der hohen Bevölkerungsdichte zu rechtfertigen, mussten die Vertreter des Nordens ihren Diskurs dahingehend verändern, dass sie die Vorzüge der Region betonten, einschließlich der klimatischen. Profilierung des Nordens und Mystifikation der ,Fülle vor der Dürre‘

Zur Verteidigung des Dürregebiets und der Dürreprogramme rühmten die regionalen Repräsentanten seit 1877 und während der gesamten Ersten Repu­ blik „die besten Böden, das beste Klima und die besten Bewohner“ – mit fruchtbaren Feldern für Viehzucht und Landwirtschaft, einem gesunden Klima und fleißigen Arbeitern. Zur Wahrung dieses Potentials bedürfe es lediglich infrastruktureller Vorhaben wie der Errichtung von Stauanlagen.231 Der cearensische Abgeordnete Alencar Araripe schwärmte von der „Fülle und Freude“ vor der Dürre und gelobte, dass nur drei Monate normaler Niederschläge genügten, die Nutztiere zu versorgen, die Äcker zu bestellen und Übermengen zu produzieren.232 Das Bild des von der Natur reich beschenkten Nordens, des glücklichen und gesunden Lebens, in einem Wort des „Paradieses“ auf Erden, solange nur keine Dürre herrschte, wurde in den folgenden Jahrzehnten immer wieder 229 Albuquerque, Diogo Velho Cavalvanti de, Visconde de Cavalcanti (Paraíba, Senator, 1877–78 zugl. Außenminister), in den Annalen geführt unter Diogo Velho, Anais do Senado, 7.8.1877, S. 66, 70 (Quelle II.3.a-20). 230 Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249 (Quelle II.3.a-21). Siehe zudem die entsprechenden Zitate aus dem Unterkapitel „Interprovinzielle Migration – die Flucht vor der Dürre“ (Quelle II.2.b-02/03): Santos, Felicio (Minas Gerais), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 303; Calogeras (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 653; „A volta aos campos“, in: Jornal do Commercio vom 17.3.1916, vorgetragen von: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1047. 231 Ebd., S. 1051 f. Vergleichbare Passagen aus dem Jahr 1877 und späteren Dürrezeiten: Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 279, 281, 284; Barroso, Benjamin (Gouverneur von Ceará), Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878. (Quelle II.3.a-22.) Siehe auch Alves, Honorato (Minas Gerais), Anais da Câmara, 1.12.1920, S. 32. (Anmerkung zur Quellennotation: Ein Quellenhinweis als eigenständiger Satz, mit Punkt innerhalb der Klammern, bezieht sich auf alle vorherigen Literaturangaben der Fußnote, auch wenn diese durch Schlusspunkte getrennt sind.) 232 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 279, 281 (Quelle II.3.a-23).

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beschworen.233 Aus dieser Projektion entstand die mythenhafte Vorstellung, außerhalb der Trockenperioden beschere der Norden all seinen Kindern eine sorgenfreie und zufriedene Existenz. Aus den Reihen der cearensischen Parlamentarier hieß es, dass ihre Provinz bereits mit den ersten Regenfällen nach der ‚Großen Dürre‘ erneut „in Überfluss schwamm“ und ihre Landsleute keiner langen Rekonvaleszenz bedurften, um ihre Kräfte zurückzugewinnen.234 Während generell der Eindruck erweckt wurde, die paradiesischen Zustände beglückten alle Bewohner im Norden gleichermaßen, formulierte ein Abgeordneter Cearás vorsichtiger, „fast alle Menschen hatten vor der überraschenden Dürre von 1877–80 im Genuss des Wohlstands gelebt“.235 Diese Auslegung war indessen nicht weniger euphemistisch, denn nur die schmale Schicht der Oligarchie konnte eine gewisse Opulenz genießen. Dem Gros der mittellosen Landarbeiter war es nicht vergönnt, Überschuss zu produzieren, aus welchem sie Reserven für schlechte Zeiten hätten schöpfen können. So ist es zu erklären, dass die meisten Menschen im Norden vor dem Nichts standen, sobald die regulären Niederschläge ausblieben und es nicht mehr möglich war, von der Hand in den Mund zu leben.

b) Die „Erfindung“ der Dürre – Unglaubwürdigkeit und ­definitorische Unsicherheit Die argumentativen Strategien des Dürrediskurses, speziell das Druckmittel der Todesopfer und die Unausweichlichkeit des Naturphänomens, waren insofern erfolgreich, als sie kaum kategorisch abgewiesen und aus der parlamentarischen 233 Pacheco, Janot (Ingenieur der Obras Contra as Sêccas), „O nordéste. Impressões de viagem * Aspectos diversos * Considerações geraes sobre as obras da Inspectoria de Sêccas * Possibilidades economicas da região“, in: A União vom 12.1.1921, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 6.12.1920. Weitere Beispiele: Pereira, „A fome“, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 40–3 (21.10.1903), S. 3. Ebenso das Gedicht von Nasareth, „A secca“, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 34–3 (29.8.1903), S. 3. Zur erbetenen Hilfe für die Region, wo das Leben vor der Dürre blühte, siehe Lima, João Gomes de (Natuba, Paraíba), „Calamidade“, Leserbrief vom 6.6.1904, in: O Combate, Bd. 3, Nr. 71–3 (26.6.1904), S. 3. Außerdem: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1003; Ausführungen zum Gesetzesvorhaben Nr. 490 A-1920, Anais da Câmara, 1.12.1920, S. 32; Pessoa, E., zit. in: Chateaubriand, Francisco de Assis (Journalist aus Umbuzeiro/Paraíba), „As obras do Nordeste. O govêrno está autori­ zado a vender, como ferro-velho, as instalações e equipamentos mecânicos do grande empreendimento“, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 248–251 (251). (Quelle II.3.a-24.) 234 Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 536 (Quelle II.3.a-25). 235 Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 73 (Quelle II.3.a-26).

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Debatte verbannt werden konnten. Dem entgegen stand die Skepsis, die aus den früheren Erfahrungen missbräuchlicher Instrumentalisierung herrührte, gepaart mit inter- und intraregionalen Antagonismen und den entsprechenden Beschuldigungen der gegnerischen Machtgruppen. Mehrere Formen der Misstrauensbekundung wurden in den vorausgehenden Abschnitten anhand zahlreicher Quellen aus den Kongressannalen vorgestellt. Ihren bemerkenswertesten Ausdruck fanden sie im Begriff der „Erfindung“, der im Folgenden näher untersucht werden soll. Besondere Aufmerksamkeit verdient er zum einen, weil er erstaunlicherweise schon in den ersten Monaten der Trockenperiode von 1877–79 in die politische Diskussion eingeführt wurde, zum anderen, da er sich als prägend erweisen sollte – für den gesamten Dürrediskurs und die Ausgestaltung des Trockengürtels als identitätsstiftende Einheit. Im Juni 1877 argwöhnte ein Repräsentant Bahias im Senat, Bauprojekte würden „erfunden“, um staatliche Dürregelder voll auszuschöpfen und die niedrigen Lohnpreise in Zeiten der Trockenheit auszunutzen.236 Während derselben Plenarsitzung protestierte Senator Silveira da Motta gegen die politische Praxis, angesichts der „aktuellen Neigung zur Dürrehilfe“ die Opfer der Überschwemmungen im Süden zu vernachlässigen. Darauf erwiderte einer seiner Amtskollegen, man müsse sich vom Himmel eine Dürre wünschen.237 Noch deutlicher prägte Senator Jaguaribe aus Ceará die diskursive „Erfindung der Dürre“. Gegen Ende der Trockenperiode von 1877–79 verurteilte er scharf die Unterschlagung von Dürregeldern in seiner Heimat und befürchtete, in Zukunft könnten „künstliche Dürren“ erfunden werden, um eine derartig reiche Ernte erneut einzufahren.238 Im Senatssaal führte der Ausspruch zwar zu heiterem Gelächter, und ein Senator kommentierte spontan, dies sei ebenso wenig möglich wie die Erfindung von Niederschlägen, doch Jaguaribe unterstrich seine Aussage und erläuterte sie mit Hilfe eines Vergleichs: Die Dürre sei für viele ein gutes Geschäft, genau wie die Kriege am Rio da Prata für die Waffenhändler. Dieser Missbrauch sei bekannt, und es heiße, oft seien Kriege nur zur persönlichen Bereicherung angezettelt worden. In gleicher Weise könne es zur Gewohnheit werden, die häufigen partiellen Trockenperioden diskursiv zu großen Dürren zu übersteigern und dem Staat regelmäßig immense Summen zu entlocken.239 Die „Erfindung der Dürre zur Ausblutung der Nation“ wurde in den folgenden 236 Zacarias (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 251 (Quelle II.3.b-01). 237 Motta (Goiás) und ein weiterer, nicht namentlich benannter Senator, Anais do Senado, 27.6.1877, S. 255 (Quelle II.3.b-02). 238 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 66 (Quelle II.3.b-03). 239 Jaguaribe (Ceará) und ein weiterer, nicht namentlich benannter Senator, ebd., S. 64 (Quelle II.3.b-04). Jaguaribes Ausspruch der „Erfindung der Dürre“ wurde vier Tage später im Parlament von Rodrigues (Ceará) zitiert und kritisiert, Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 468.

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Jahrzehnten zum geflügelten Wort, sowohl auf Seiten misstrauischer Politiker des Südens als auch im Widerspruch ihrer Gegenspieler aus dem Norden.240 Spekulationen über etwaige ‚Erfindungen‘ wurden durch die große, damals noch schwer zu überbrückende Distanz zwischen den Dürreprovinzen und dem Machtzentrum in Rio de Janeiro gefördert und fanden zusätzlichen Auftrieb durch die mangelnde Klarheit bei der Bestimmung des Phänomens. Während der Trockenperiode von 1898 trat in einer Parlamentsdiskussion die Dürre nicht als objektiv messbares und erfassbares Naturereignis, sondern als politische Ermessenssache in Erscheinung. Hintergrund des Disputs war die Genehmigung eines Hilfsprojektes für Piauí, Paraíba, Sergipe und Rio Grande do Norte in Höhe von R$ 800.000, ohne Einplanung Cearás. Der cearensische Abgeordnete Ildefonso Lima legte Beschwerde ein, denn Ceará sei ebenso stark von der Dürre betroffen wie die Nachbarstaaten. Sein Landsmann João Lopes hielt dessen Forderung hingegen für unangemessen, zumal der cearensische Gouverneur bislang keine Hilfen der Union erbeten habe. Während diese Version vom zuständigen Vertreter der Haushaltskommission Serzedello Corrêa bestätigt wurde, behauptete der cearensische Parlamentarier Helvecio Monte, aus der Botschaft des Gouverneurs zweifelsfrei herauszulesen, dass Wassermangel herrsche und der Staat nicht über genügend eigene Mittel verfüge. In mehreren Anläufen brachte er Informationen aus der lokalen Presse und von Privatpersonen als Beweisstücke ein. Seiner Auffassung nach würden die Hilfen bei einer späteren Eingabe fatalen Verzögerungen durch den legislativen Prozess ausgesetzt.241 Die Notgelder sollten sozusagen auf Verdacht beantragt werden, für den Fall einer tatsächlichen Zuspitzung der Trockenheit. Wenn dieses Prinzip Schule machen sollte, wäre einem stetigeren und quasi automatisierten Fluss von Dürregeldern der Weg gebahnt. Drohender Missbrauch wurde in der Debatte durch die latente Gefährdung von Menschenleben aufgewogen. Letztlich wurde die Petition aus formalen Gründen abgelehnt, da sie nicht offiziell vom cearensischen Gouverneur eingereicht worden war.242 Bereits 1882 hatte der cearensische Abgeordnete Antonio Pinto die Vertreter seiner Provinz aufgefordert, interne Differenzen zu überbrücken und gemeinsam Druck auszuüben. Nur so könne sich Ceará den Respekt der Zentralregierung verschaffen, welche seiner Ansicht nach bisher lediglich Geringschätzung

240 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1046 (Quelle II.3.b-05). 241 Lima, Ildefonso (Ceará), Diskussion des Projekts Nr. 75 von 1898, Anais da Câmara, 3.10.1898, S. 43 (Quelle II.3.b-06). Die weiteren Diskussionsführer waren Lopes, João (Ceará)/Monte, Helvecio (Ceará)/Corrêa, Serzedello (Pará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 65–67, 69, 75. Siehe dort auch die rhetorische Frage von Helvecio Monte zum Stand der Dürre: „Ha ou não secca no Ceará?“ Ebd., S. 67. 242 Anais da Câmara, 11.10.1898, S. 238.

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und Ungläubigkeit erkennen lasse.243 An diesen Beispielen der Jahre 1882 und 1898 zeigt sich, wie die Erlangung von Dürregeldern an der parteipolitischen Zersplitterung der cearensischen Fraktion scheitern konnte. Nicht nur innerhalb eines Staates, sondern vornehmlich zwischen den Provinzen kamen regelmäßig Konflikte um die begehrten Finanzhilfen auf. Es herrschten Unsicherheit und Uneinigkeit, welches Gebiet sich zu den Dürreopfern zählen und somit von den Dürregeldern profitieren durfte. Die Überwindung dieser Pattsituation sollte zur Entstehung des Nordostens führen.

c) Die „Erfindung“ des Nordostens – Genese einer Region Provinzwettlauf um Hilfsgelder und Herausbildung des Regionalblocks

Die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen waren ein fester Bestandteil der Dürrepolitik – schon zu Beginn der Trockenperiode von 1877 protestierte der piauensische Senator Paranaguá gegen die Bevorzugung Cearás bei den staatlichen Hilfszahlungen, denn Rio Grande do Norte, Paraíba, das Hinterland Pernambucos und Piauí litten nicht minder unter der Dürre. Er bat darum, sein „väterliches Nest“ nicht zu vergessen, woraufhin ihm der cearensische Senator Jaguaribe volle Unterstützung zusagte.244 Ungeachtet seiner oben thematisierten Befürchtung zukünftiger Dürreerfindungen, zählte Senator Jaguaribe 1877 zu den energischsten Befürwortern von Dürregeldern und -arbeiten. Seine Heimat Ceará erlangte als traditionelles Klimaopfer die größte Aufmerksamkeit im Kongress und zog den Neid der Nachbarprovinzen auf sich. Auf deren „Eifersüchteleien“ („ciumes entre as provincias“) reagierte Jaguaribe bei der Verteidigung eines Gesetzesprojekts, indem er jene einlud, ebenfalls Bauten zu beantragen. Keine Provinz des Nordens solle ausgeschlossen werden. Der cearensische Senator erklärte sich bereit, seinen Maßnahmenkatalog auf Piauí, Rio Grande do Norte, Paraíba und sogar die weniger von der Trockenheit betroffene Provinz Pernambuco auszudehnen.245 Indem er diese in die Gruppe der Nutznießer einfügte, vermehrte er das politische Gewicht der Dürreregion und steigerte die Chancen, seinen Gesetzesvorschlag durchzubringen: „Wir wollen die Hilfe der Regierung, und wir glauben, dass sie uns nicht verwehrt wird, handelt es sich doch um ein öffentliches Anliegen, um die Rettung einer so großen 243 Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 535, 537 (Quelle II.3.b-07). 244 Paranaguá, João Lustosa da Cunha (Piauí), Marquês de Paranaguá, Anais do Senado, 25.6.1877, S. 219 und ders./Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 235 (Quelle II.3.c-01). 245 Jaguaribe (Ceará), ebd. S. 236, 239 (Quelle II.3.c-02).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

Bevölkerung.“246 Mit der Erweiterung des Trockengürtels stieg automatisch die Anzahl der Hilfsbedürftigen und somit das moralische Pflichtgefühl, dem Vorhaben zuzustimmen. Zugleich versäumte es Jaguaribe nicht, eine interne Rangordnung der Dürreprovinzen zu etablieren: „Allerdings habe ich anzumerken, dass es unerlässlich sein wird, eine Proportion zu wahren zwischen den komplett und den lediglich begrenzt von der Trockenheit betroffenen Provinzen.“247 Die Botschaft war unmissverständlich – je intensiver die lokale Dürrekatastrophe, umso höher die Zuschüsse. Der potentielle Geldsegen erzeugte gesellschaftlichen Druck auf die Provinzregierungen, wie aus einem Artikel der Gazeta da Parahyba von 1888 he­rauszulesen ist. Darin wurde der Unmut zum Ausdruck gebracht, dass die paraibanischen Abgeordneten weder 1877 noch in der akuten Drangsal vergleichbare Zuwendungen und Arbeiten gewannen wie ihre cearensischen Amtskollegen, obschon die Trockenheit in Paraíba nicht mindere Ausmaße verzeichne.248 Aus den Randgebieten des traditionellen Dürrekerns wurden die Finanzforderungen ebenfalls häufiger, so auch im Jahr 1891, als sich erneut Piauí und sogar Bahia in die Reihe der Bittsteller eingliederten.249 Nach und nach wuchs das Bewusstsein, dass die interoligarchischen und interprovinziellen Rivalitäten im Norden die Staaten auf nationaler Ebene unnötig schwächten. Insbesondere mit Einführung der stark föderalistischen Republik, nach dem Sturz der Monarchie im Jahr 1889, waren die Oligarchien des Nordens darum bemüht, die Trockenheit als nationale Angelegenheit zu erhalten und sie nicht wieder in die frühere Kategorie eines regional beschränkten und dort zu lösenden Problems zurückfallen zu lassen.250 Die Strategie, durch einen Zusammenhalt der Staaten des Nordens lang erwünschte Infrastrukturziele unter dem Vorwand der klimatischen Notlage zu erreichen, wurde 1903 im Senat offen ausdiskutiert, als es um Dürregelder für den Eisenbahnbau in Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará ging. Pires Ferreira aus dem benachbarten Piauí wollte sich den Antragstellern anschließen und bezeichnete dazu den zusätzlichen Streckenabschnitt geflissentlich als Verlängerung des cearensischen Netzes. Sogleich meldete sich Belfort Vieira aus Maranhão zu Wort, um eine Beschwerde einzubringen: „Eure Exzellenz haben uns in Eurem Gesetzessupplement vergessen. (...) Eure Exzellenz haben sich Maranhão gegenüber undankbar

246 Ebd., S. 239 (Quelle II.3.c-03). 247 Ebd. (Quelle II.3.c-04). 248 „As seccas e os grandes açudes“, in: Gazeta da Parahyba. Folha diaria (Parahyba) vom 2.12.1888, S. 1 (Quelle II.3.c-05). 249 Antrag Bahias, Anais da Câmara, 29.10.1891, S. 723; Antrag Piauís, Anais da Câmara, 30.10.1891, S. 746. 250 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 282, 293.

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gezeigt.“251 Daraufhin verteidigte sich Pires Ferreira mit dem Argument, der stets fruchtbare Staat Maranhão sei nicht vom Niederschlagsmangel betroffen. Warum sollten Schienen verlegt werden, wenn sie nicht zur Linderung der Klimaschäden benötigt wurden? Das Prinzip schien eindeutig zu sein: Wer nicht zum Trockengürtel gehörte, erhielt kein von Dürregeldern finanziertes Eisenbahnnetz. Doch aus dem Lager Maranhãos verlautete der nächste Einwand, man habe sehr wohl großen Bedarf, die Not der Dürreopfer mit Hilfe von Eisenbahnlinien zu lindern. Nun zeigte sich der Verfasser des Projekts Pires Ferreira gewillt, in Maranhão Schienen verlegen zu lassen, und zwar durch die Dürreflüchtlinge der angrenzenden Staaten. „Alle Staaten des Nordens“, so Pires Ferreira, „müssen sich gegenseitig helfen, um die erforderlichen Regierungshilfen zu erlangen.“ Maranhão solle seine Wünsche äußern – die bedingungslose Zustimmung Piauís sei garantiert.252 Eisenbahnlinien und Dürregelder wurden im Kongress wie auf einem Bazar gehandelt, unlautere Absprachen wurden unverhohlen vereinbart. Zwei Tage später erinnerten Vertreter Maranhãos daran, das Streckennetz bis in ihre Hauptstadt São Luís fortzuführen, und stießen auf volle Bereitschaft. Auf den obligatorischen Hinweis, damit einen Zufluchtspunkt für die cearensischen Dürreopfer zu schaffen, folgte die Anmerkung, durch die Verbindung der drei Staaten Maranhão, Piauí und Ceará beste wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. So wurde ein Weg gefunden, in von der Trockenheit verschonten Gefilden Dürrearbeiten zu realisieren, orientiert an ökonomischen Interessen. Vergleichbare Unternehmungen seien für Rio Grande do Norte, Paraíba, Pernambuco, den Norden Bahias, Sergipe, Alagoas und den Norden Minas Gerais’ vonnöten, insgesamt ein Gebiet mit einer Bevölkerung von rund zwei Millionen Einwohnern.253 Die Katastrophenregion nahm zu, an Opfern und Gewinnern. Schon bald sollte sich die vergrößerte Dürrezone als feste Instanz erweisen. Bei Bauvorhaben von Stauanlagen und Brunnen im Jahr 1904, die auf Anträge des Vorjahrs zurückgingen, wurden neben Ceará, Rio Grande do Norte und Paraíba auch Piauí und Maranhão von Anfang an aufgenommen, Pernambuco und Bahia nachträglich. Im Jahr 1908 griff die ‚Dürre’ weiter um sich, vom Norden Minas Gerais’ bis nach Piauí.254 Seit sich die „arme Provinz Bahia“, früher 251 Vieira, Manuel Inácio Belfort (Maranhão), Anais do Senado, 15.9.1903, S. 385 (Quelle II.3.c-06). 252 Ders./Ferreira, Firmino Pires (Piauí)/Castro, Gomes (Maranhão), ebd., S. 385  f. (Quelle II.3.c-07). 253 Leite, Benedicto (Maranhão)/Paranaguá, Joaquim Nogueira (Piauí), Anais do Senado, 17.9.1903, S. 397 f. Zur legislativen Verankerung der Praxis, die Bauprojekte auch an den Zufluchtsorten der Dürreflüchtlinge durchzuführen, siehe das Gesetzesvorhaben Nr. 241 von 1915, Anais da Câmara, 25.11.1915, S. 683. (Quelle II.3.c-08.) 254 Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Projektantrag Nr. 117 an die Commissão de Colonização e Obras Publicas, Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 76 f. Calogeras (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 646 (Quelle II.3.c-09).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

ein Gegner überzogener Hilfsgelder, selbst zur notleidenden Region zählte, verlangte sie regelmäßig Eisenbahnlinien, Brunnen und Telegraphenleitungen.255 Die Forderungen des an den Rändern gewachsenen Trockengürtels stärkten die Ansprüche des Kerngebiets. Ein paraibanischer Abgeordneter führte 1908 im Kongress den unter dem Titel „Obras contra os effeitos da secca“ verbuchten Bau von Eisenbahnstrecken in den Staaten Bahia, Rio Grande do Norte, Sergipe und Alagoas auf. Da Paraíba am stärksten unter der Dürre leide, habe der Staat ebenfalls ein Anrecht auf die Finanzierung von Staudämmen, Brunnen, Eisenbahnlinien, Straßen und Hafenanlagen. Es wurde betont, dass die Darstellung von Elend und Misere in Paraíba in keiner Weise übertrieben sei.256 Nachdem sich in einer Botschaft des Präsidenten Hermes da Fonseca aus dem Jahr 1913 das Aktionsfeld der Inspetoria de Obras contra as Secas bereits auf das weitläufige Terrain vom Norden Minas Gerais’ bis nach Piauí erstreckt hatte, einschließlich der Staaten Bahia, Sergipe, Alagoas und Pernambuco, brachte die gravierende Trockenheit von 1915 mit Goiás ein neues Dürreopfer hervor. Während der piauensische Parlamentarier Elias Martins die Zone auf den Abschnitt von Paraíba bis Piauí begrenzte, beanspruchte neben Goiás auch Minas Gerais, den von Jahr zu Jahr stärker spürbaren Niederschlagsmangel als Phänomen anzuerkennen, das über den traditionellen Dürregürtel hinausreiche.257 Im Jahr 1915 wurde zudem an die früheren Bemühungen angeknüpft, die staatlichen Vorhaben sogar auf nicht von der Trockenheit betroffene Regionen auszuweiten. Der paraibanische Abgeordnete Octacilio de Albuquerque plädierte entschlossen dafür, die Straße nach Areia in die Projekte einzubeziehen. Zwar liege die Stadt in einem fruchtbaren Gebiet, das nicht unter der Wasserarmut leide, doch genau aus diesem Grund seien Tausende von Flüchtlingen dorthin aufgebrochen, um Lebensmittel und Arbeit zu finden. Ihnen vor Ort eine Beschäftigung im Straßenbau zu geben, sei daher eine hervorragende Rettungsmaßnahme für die unglücklichen Opfer der extremen Naturkatastrophe.258 Diese Argumentation bot den Vertretern des Nordens Gelegenheit, 255 Franco, Pedreira (Bahia), ebd., S. 654 (Quelle II.3.c-10). Siehe auch ebd., S. 646 f. 256 Centro Parahybano, Petitionsschrift an den Präsidenten der Republik und den für die Dürrebekämpfung zuständigen Ministro da Viação, abgedr. in: Jornal do Commercio vom 31.10.1908, im Parlament eingebracht durch Leal, Simeão (Paraíba), Anais da Câmara, 31.10.1908, S. 673–675 (Quelle II.3.c-11). 257 Fonseca, Hermes Rodrigues da, Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da segunda sessão da oitava legislatura pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1913, S. 107, www-apps.crl. edu/brazil/presidential; Moraes, Hermenegildo de (Goiás), Anais da Câmara, 2.7.1915, S. 287; Lima, Augusto de (Minas Gerais), ebd. S. 289; Martins, Elias (Piauí), Anais da Câmara, 12.7.1915, S. 525 (Quelle II.3.c-12). 258 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 29.10.1915, S. 528–530 (Quelle II.3.c-13). Siehe auch die vergleichbare Begründung zur Anknüpfung Areias

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an jedem beliebigen Landstrich Infrastrukturverbesserungen durchführen zu lassen, denn sobald sich die jeweiligen Pläne herumsprächen, würden Arbeitsuchende in Massen erscheinen, auch unabhängig von einer schweren Trockenperiode. Letztere war allerdings unentbehrlich, um die staatlichen Dürregelder beziehen zu können. Abgrenzung und Identitätsfindung des Trockengürtels

Je mehr die Trockenzeiten und mit ihr die entsprechenden Finanzhilfen ihren temporären Charakter verloren und zu einem permanenten Thema im Kongress avancierten, umso wichtiger wurde es, den Raum der Dürre zu definieren. Zu Beginn der Trockenheit von 1877 war das Phänomen noch kein exklusives Gut des Nordens. Auch wenn das klimatische Problem des Südens eher im Überfluss als im Mangel an Niederschlägen begründet war, wurden der Norden und die Südprovinz Rio Grande do Sul im Juni 1877 von der kaiserlichen Regentin gemeinsam als Leidtragende genannt und unter dem Titel „Von der Dürre betroffene Provinzen“ mit den gleichen Geldern versehen.259 Die offizielle Einbeziehung von Rio Grande do Sul in den Kreis der staatlich versorgten Dürreopfer stieß bei den Politikern des Nordens auf Unverständnis und Ablehnung, so dass ein Senator des Südens sich zu rechtfertigen genötigt sah: „In Rio Grande do Sul herrschte Trockenheit, und darauf folgten Überschwemmungen.“260 Im Zuge der Verteilungskämpfe war der Norden indes auf Abgrenzung der ‚authentischen‘ Dürrezone und Gemeinschaft bedacht, nicht nur gegenüber den Konkurrenten im Süden, sondern ebenso gegenüber den Provinzen im höheren Norden, die von der Trockenheit in keiner Weise berührt waren. Die Notwendigkeit einer geographisch-nominellen Umstrukturierung des Nordens hatte sich bereits während des Kautschukbooms in den 1860er-Jahren durch die Erschließung des Amazonas als dem ‚novo norte‘ angedeutet. Prägend für das Erscheinungsbild des ‚velho norte‘ sollten einschneidende Ereignisse wie die Auslöschung der Bevölkerung in Canudos 1897 und die Ausweitung des Banditentums (cangaço) Anfang des 20. Jahrhunderts sein. Vor allem aber waren es die

an das Schienennetz: Almeida, José Américo u.a., Estrada de ferro central de penetração do Estado da Paraíba. Memorial apresentado ao Exmo. Sr. Presidente da República pelo Comité de Propaganda Areiense, Paraíba, 6.8.1919. 259 Motta (Goiás), Anais do Senado, 16.6.1877, S. 158; Bourbon, Isabel de Bragança e, „Falla da Princeza“, vorgetragen im Senat, Anais do Senado, 1.6.1877, S. 2; Anais do Senado, 19.6.1877, S. 179 (Quelle II.3.c-14). 260 Osório, Manuel Luís (Rio Grande do Sul), in den Annalen geführt unter seinem Adelstitel Marquez do Herval, Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249 (Quelle II.3.c-15).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

Dürre und ihre externen Umstände, welche die Region einten, ihr eine regionale Identität und schließlich eine eigene Bezeichnung verliehen – „Nordosten“.261 Der identitätsstiftende Dürreraum war ein Produkt sich überkreuzender regionalistischer Praktiken und Diskurse, die im 19.  Jahrhundert ihren Anfang genommen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein deutlich erkennbares regionales Bewusstsein geschaffen hatten.262 Die Vereinigung des politischen Diskurses und das zwischenstaatliche Zusammengehörigkeitsgefühl äußerten sich – um eines von vielen Beispielen vorwegzunehmen – in der Formulierung „wir, die Repräsentanten der Nordost-Staaten Brasiliens“263, mit der sich die junge Region im Dürrejahr 1915 in der nationalen Politik positionierte und ihre Forderungen mit einer Stimme dem Präsidenten der Republik vortrug. Der cearensische Abgeordnete Gustavo Barroso verfolgte 1915 die Spuren der ersten Bemühungen um eine Lösung des Dürreproblems im „Nordosten“ sogar bis ins Jahr 1614 zurück.264 Auf diese Weise erhielt das gerade erst aus der Wiege gehobene und neu getaufte Gebiet im parlamentarischen Diskurs eine 300-jährige und somit anachronistische Tradition der Dürrepolitik. Auch Epitácio Pessoa wandte in der eingangs zitierten Rede von 1921 den Begriff rückwirkend an, als er die Dürregeschichte des „Nordostens“ seit der Kolonialzeit beschrieb.265 Noch heute wird sogar in historischen Werken, die sich explizit mit der regionalistischen Thematik befassen, der politische Raum Nordosten in die Zeit vor seiner Existenz transferiert.266 Als Sprössling der Dürrekatastrophe wurde das Problemkind Nordosten über sein ‚Handikap‘ charakterisiert, welches das Augenmerk seiner gesetzlichen Vertreter auf sich zog: „Der brasilianische Nordosten (...) hat wie alle übrigen Regionen der Welt sein Manko zu beheben, und dies geschieht durch die Be-

261 Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 12; Greenfield, Drought and image of the Northeast, 1999, S. 101  f.; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 297, 283 f.; Carone, Edgard, A Primeira República (1889–1930). Texto e contexto, São Paulo: Difel, 1969, S. 33. Zu Canudos und den verschiedenen, diskursiv vermittelten Realitäten siehe Hermann, Jacqueline, „Canudos sitiado pela razão: o discurso intelectual sobre a ‚loucura‘ sertaneja“, in: História. Questões & Debates (Curitiba), Bd. 13, Nr. 24 (Jan.–Juli 1996), S. 126–150. 262 Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 22; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 283. 263 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 150 (Quelle II.3.c-16). 264 Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 872 (Quelle II.3.c-17). 265 Pessoa, Epitácio, Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 392 (Quelle II.3.c-18). 266 Siehe die in Kapitel I.1.b aufgelisteten Autoren.

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kämpfung der Dürre und ihrer Auswirkungen.“267 Seine Bevölkerung wurde mal nach den zugehörigen Staaten auf vier Millionen beziffert, mal wurde sie unter Auslassung des Küstenstreifens auf die zweieinhalb Millionen Einwohner der Dürrezone beschränkt. Selbst in der engeren Auswahl war die Trockenheit zu einem Anliegen eines Zehntels der brasilianischen Gesamtbevölkerung geworden und konnte mit Nachdruck in die politische Debatte eingebracht werden.268 Die Opposition zum gemeinsamen Gegner im Süden, einem weiteren definitorischen Faktor, schweißte die sich etablierende Region zusammen. In diesem Sinne verurteilte der paraibanische Abgeordnete Octacilio de Albuquerque 1921 energisch die „ungerechte, unpatriotische, unmenschliche und grausame“ Hetzkampagne des Correio da Manhã gegen die Dürrepolitik Epitácio Pessoas und etikettierte die große Zeitung des Südens als „eigensinnigen und gehässigen Feind des Nordostens“.269 Die Präsidentschaft Epitácio Pessoas (1919–22) war ein politisch und finanziell äußerst günstiger Moment, zum Nordosten gezählt zu werden. Als während der Trockenheit von 1919/20 die Errichtung von Stauanlagen dekretiert wurde, gehörte der Norden Minas Gerais’ noch nicht regulär zum ‚Nordosten der Dürre‘ und blieb daher zunächst unberücksichtigt. Weil indes auch dort die „unbarmherzige Hitze“ die Menschen in den Ruin treibe, empfahl die Commissão de Obras Publicas, dieses Gebiet nicht nur in das aktuelle Projekt, sondern generell in den „nordeste brasileiro“ aufzunehmen.270 Innerhalb relativ kurzer Zeit war der Nordosten erheblich gewachsen und hatte sich als Region konstituiert, mit neun Staaten, mehr als elf Millionen Einwohnern und einer Gesamtfläche „fast zehnmal so groß wie Frankreich“.271 Dieser Prozess, der die brasilianische Landkarte und die politische Landschaft Brasiliens dauerhaft veränderte, lässt sich aufgrund seines öffentlichen Charakters gut nachvollziehen.

267 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 383 (Quelle II.3.c-19). 268 Ebd. und Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1059 (Quelle II.3.c-20). Vgl. hierzu die demographischen Daten in Anhang 3.a. 269 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 50 (Quelle II.3.c-21). 270 Gesetzesvorhaben 490 A, Anais da Câmara, 1.12.1920, S. 31–33 (Quelle II.3.c-22). 271 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba, Fraktionsführer), im Interview: „Os problemas do nordeste novamente postos em fóco pelas declarações do sr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 21.5.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o.  D. (Quelle II.3.c-23). Die im Zensus von 1920 ermittelten Bevölkerungszahlen des Nordostens und der anderen Landesregionen sind in Quelle II.3.c-23 angegeben. „População do Brasil. Recenseamento realizado em 1.° de setembro de 1920“, abgedr. in: Lustosa Cabral, Bel. Nelson (Hg.), Almanach Administrativo, Historico, Mercantil, Industrial do Estado da Parahyba, 1922, Parahyba: Imprensa Official, 1922, S. 335.

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

Die historische Entwicklung des Nordostens

Bis ins 19.  Jahrhundert war Brasilien in „Norden“ und „Süden“ unterteilt, wobei Bahia als südlichste der elf Provinzen des Nordens galt, der sich bis ins Amazonasgebiet erstreckte. Diese weitläufige Konzeption, die sich noch 1870 im Werk A província des Schriftstellers und Politikers Aureliano Cândido de Tavares Bastos fand, war nicht mit einer Regionalidentität gleichzusetzen.272 Angefangen bei Bahia, deren Oligarchien sich nicht dem Norden zugehörig empfanden, waren die räumliche Wahrnehmung und das Selbstverständnis der dominanten Schichten vornehmlich mit ihrer jeweiligen Provinz verbunden. Erst mit der Zuckerkrise in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts trat der Norden gegenüber der kaiserlichen Regierung als Regionalblock in Erscheinung, in Opposition zum Süden. Die ersten Differenzierungen, die in der fehlgeschlagenen Separationsbewegung Confederação do Equador der Provinzen Pernambuco, Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará im Jahr 1824 einen gewissen Vorläufer fanden, umfassten die vom Absatzmarkt Recife abhängige Exportzone von Sergipe bis Ceará. Das Schlüsselerlebnis, welches den Oli­ garchien dieser Provinzen die Notwendigkeit zu einem engeren Zusammenhalt aufzeigte, war der gemeinsame Ausschluss vom Agrarkongress in Rio de Janeiro 1878 – inmitten der ‚Großen Dürre‘. Daraufhin wurde im selben Jahr in Recife ein eigener Agrarkongress der Provinzen des Nordens abgehalten.273 Die Betitelung „Províncias do Norte“ ließ nach wie vor die einzelstaatliche Herkunft des Zusammenschlusses erkennen. Dessen ungeachtet ging das neue regionale Bewusstsein klar aus den Manifesten der Teilnehmer hervor, dokumentiert in den Trabalhos do Congresso Agrícola do Recife vom Oktober 1878 und in einer Festschrift anlässlich des hundertjährigen Jubiläums 1978 neu aufgelegt.274 Das 272 Greenfield, Drought and image of the Northeast, 1999, S. 101; ders., Great Drought and elite discourse, 1992, S. 375; Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 153; Villa, História das secas, 2001, S. 57. 273 Barreto, Ignacio de Barros, „Extracto do relatorio annual do Gerente da mesma Sociedade, incitando a providenciar-se sobre o exclusivismo do Congresso da Corte“, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 7–24. Siehe auch Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 22 f.; Haesbaert, Rogério, Des-territorialização e identidade. A rede „gaúcha“ no Nordeste, Niterói: Editora da Universidade Federal Fluminense, 1997, S. 77. 274 Festschrift: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agrícola do Recife, outubro de 1878, Recife: Manoel Figueiroa Farias Filho, 1879. Edição fac-similar Comemorativa do Primeiro Centenário: 1878–1978, Recife: Comissão Estadual de Planejamento Agrícola de Pernambuco, 1978, zit. in: Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 153. Zur Originalausgabe von 1879 siehe vorherige Fußnote oder Quelle II.3.a-16. Siehe Quelle IV.4.c-07 für eines von vielen Gegenbeispie-

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Ereignis der Hundertjahrfeier ist symbolisch für das heutige Verständnis dieses Kongresses, der als eine Art Unabhängigkeitserklärung der Region glorifiziert wird, obschon er ursprünglich Ausdruck einer überwältigenden Niederlage war. Zwar drangen 1878 vereinzelt gewagte Forderungen nach einer Herauslösung des Nordens aus der Union an die Öffentlichkeit, doch die verheerenden Auswirkungen der Krise und der erhebliche Wertverlust der Provinzen des Nordens im nationalen Raum ließen solcherlei verbale Machtdemonstrationen wie Seifenblasen erscheinen.275 Die Agraroligarchie, auf landesweiter und lokaler Ebene geschwächt, versprach sich vom Regionalblock eine stärkere Verhandlungsbasis zur Verteidigung ihrer Interessen. In diesem Werdegang der regionalen Identitätsfindung nahm die Dürre eine tragende Funktion ein und bewirkte eine Verschiebung der Wortführerschaft von den Zuckerbaronen der Küste hin zu den Baumwollproduzenten des Hinterlands. Im Kern des Dürregebiets war Ceará die einzige Provinz, deren Territorium fast vollständig in der semi-ariden Klimazone lag und daher bis auf relativ geringe Flächen nicht für die Zuckerproduktion geeignet war. Der dort herrschenden Viehzucht-Baumwolloligarchie, von jeher mit der Problematik der Trockenperioden vertraut, war es 1877 zu verdanken, dass die ‚Große Dürre‘ zum zentralen Thema im kaiserlichen Parlament aufstieg, während sich die von der Zuckerwirtschaft dominierten Fraktionen aus Pernambuco, Paraíba und Rio Grande do Norte vorerst in geringerem Maße an der Diskussion beteiligten, insbesondere im ersten Jahr.276 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass trotz der weit über die Provinz hinausgehenden Dürrekatastrophe im Kongress noch wie in früheren Zeiten von der seca do Ceará die Rede war und Ceará den umfangreichsten Anteil der Ressourcen für sich gewann. Andererseits profitierten auch in den Nachbarprovinzen die Oligarchien des Hinterlen dafür, dass sich das Konkurrenzdenken innerhalb der Region auch in den folgenden Jahrzehnten nicht in jeglicher Hinsicht zugunsten regionaler Strategien auflöste. 275 Siehe z.B. Albuquerque, Herculano Cavalcanti de Sá e (Engenho-Besitzer aus Pernambuco), Rubrik „A pedidos“, in: Diário de Pernambuco von 1878 (ohne weitere Angaben), auszugsweise abgedr. in: Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 11. 276 Tonangebend im cearensischen Lager waren die Parlamentarier Tristão Alencar Araripe (siehe z.B. Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 279) und Rodrigues Junior (Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 463) und die Senatoren Domingos José Nogueira Jaguaribe (Anais do Senado, 25.6.1877, S. 220) und Jerônimo Martiniano Figueira de Mello (Anais do Senado, 26.6.1877, S. 228). Aus den benachbarten Provinzen debattierten ebenso energisch die Abgeordneten Moreira Brandão aus Rio Grande do Norte (Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 320) und Meira e Vasconcellos aus Paraíba (Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 61) sowie im Senat dessen Landsmann Francisco de Paula da Silveira Lobo (Anais do Senado, 13.2.1879, S. 113–115) und João Lustosa da Cunha Paranaguá aus Piauí (Anais do Senado, 25.6.1877, S. 219).

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lands von der neuen nationalen Aufmerksamkeit für die Dürre und nutzten sie zur Machtexpansion gegenüber der Küstenzone. Vor allem in Paraíba und Rio Grande do Norte hatten die Zuckerkrise und der Baumwollboom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Voraussetzung hierfür geschaffen, während in Pernambuco die Zuckeroligarchie ihre Herrschaftsposition wahren konnte. Der ökonomisch-politische Wandel wurde in Paraíba durch die geographische Beschaffenheit der Provinz begünstigt, da sie im Vergleich zu Pernambuco über ein wesentlich kleineres Zuckeranbaugebiet verfügte und somit ein schnelles Erstarken der Agrareliten des Sertão erlebte. Jene griffen in Folge der Trockenperiode von 1877–79 den von Ceará initiierten Diskurs auf und erklärten ihre Heimat zum Dürregebiet.277 Aus der seca do Ceará wurde die seca do Norte,278 aus einer província da seca wurde eine ganze região da seca, wie der cearensische Abgeordnete Alencar Araripe bereits 1877 verkündete: „Herr Präsident, das Land ist Zeuge eines Unheils, das unglücklicherweise nicht eine Provinz, sondern eine große Region des brasilianischen Imperiums vernichtet – ich spreche von der Region, welche das Hinterland der vier Provinzen Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba und Pernambuco umfasst.“279 Das erweiterte politische Gewicht der ausgedehnten Dürrezone gab dem Redner Anlass, ganz Brasilien einer neuen geographischen Unterteilung zu unterwerfen. Selbstbewusst zergliederte er Brasilien in drei Zonen – im Norden das weite Amazonasgebiet, im Süden die Staaten südlich von Pernambuco und im Zentrum die Sertão-Region der vier Dürreprovinzen.280 So wurden im politischen Diskurs die Trockenperioden zum Kriterium der landesweiten Kartographie erhoben und der Dürregürtel als ein Drittel Brasiliens festgeschrieben. Die nicht von der Trockenheit betroffenen Küstenabschnitte des neuen ‚Zentrums‘ fielen aus der brasilianischen Geographie heraus, wie es noch heute oft geschieht, wenn der Nordosten dem semiariden Hinterland gleichgesetzt wird.281 277 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 41 f., 288–290; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 29 f.; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 43. Siehe auch Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 49. 278 Siehe z.B. den Tagesordnungspunkt „Discussão sobre socorros para a sêcca do Norte“, in: Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 296. 279 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 280 (Quelle II.3.c-24). Siehe auch Albuquerque, Invenção da seca, 1995, S. 117. 280 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 283 (Quelle II.3.c-25). 281 Auf diese Tendenz deutet die im Rahmen meines Forschungsaufenthalts in Brasilien im Jahr 2005 durchgeführte Umfrage hin (siehe Kapitel I.1.b und Anhang 4). Für die jüngste Zeit ist die mit dem Tourismusboom einhergehende Aufwertung der Küste als Identitätsmerkmal des Nordostens zu berücksichtigen. Siehe hierzu Castro, Iná u.a., O imaginário da pobreza e a implantação industrial no semi-árido nordestino, 1996, S. 27 f. (Regierungspakt über Tourismus-Image); dies., „Seca versus seca. Novos interesses, novos territórios, novos discursos no Nordeste“, in: dies./Gomes, Paulo Cesar da Costa/

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Die Ausführungen Alencar Araripes brachten 1877 eine regionale Identität der Krisenzone zum Vorschein, lange bevor für sie ein Name existierte. Für die Entwicklung des ausgeprägten Regionalverständnisses spielten die Hilfszahlungen eine herausragende Rolle. Als der Parlamentarier Lacerda Werneck aus Rio de Janeiro 1885 an die hohen Staatsausgaben für die cearensische Dürrebekämpfung erinnerte, wurde er sogleich korrigiert, dass sie nicht allein Ceará, sondern dem „ganzen Norden“ zugekommen seien.282 Zum ‚Norden‘ zählte in dieser Definition jede Provinz, die Dürregelder erhalten hatte. Nach der schweren Trockenheit von 1915 sprach der Abgeordnete Ildefonso Albano im Namen aller cearenses Präsident Wenceslau Braz seinen Dank für die Staatshilfen aus. Der von ihm verwendete Dankesausspruch „aller cearenses“ wurde alsdann von seinem Amtskollegen Juvenal Lamartine aus Rio Grande do Norte auf die Formel „aller Bewohner des Nordostens“ erweitert.283 Damit unterstrich Lamartine, dass der Nordosten längst das Erbe der ‚Dürre Cearás‘ angetreten hatte. Im Regionalisierungsprozess kam der Ausdruck Nordosten relativ spät in Umlauf und setzte sich erst nach mehreren Jahren durch. Die föderalistische Verfassung von 1891, die in Artikel 5 zur Bekämpfung von Naturkatastrophen Gelder bereitstellte, kannte keinen Nordosten. Der französische Geograph Jean Jacques Élisée Reclus nannte 1893 die Küstenregion von Maranhão bis Alagoas „costa equatorial“, und die Brasilianer Said Ali und Delgado de Carvalho betitelten die sich allmählich herauskristallisierende Regionaleinheit in didaktischem Material für die Grundschule 1905 und 1913 als „Norte-Oriental“.284 Dabei ging es den Autoren mehr um die geographische Position als um die Anerkennung eines konkreten Raums mit gemeinsamen Charakteristiken. Noch 1910 wurde Brasilien in Corrêa, Roberto Lobato (Hg.), Brasil: questões atuais da reorganização do território, Rio de Janeiro: Bertrand Brasil, 1996, S. 283–323 (298) und Lessa, Carlos, „Nordeste poderá ser solução do Brasil“, in: Valor econômico (São Paulo) vom 20.6.2005, o. S. (Nordosten als neues Kalifornien). 282 Werneck, Luís Peixoto de Lacerda (Rio de Janeiro)/Borges (Ceará) und ein weiterer, nicht namentlich genannter Abgeordneter, Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 301 (Quelle II.3.c-26). 283 Albano (Ceará)/Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1038 (Quelle II.3.c-27). 284 Guimarães, Fábio de Macedo Soares, „Divisão regional do Brasil“, in: Revista Brasileira de Geografia, Bd. III, Nr. 2 (April–Juni 1941), zit. in: Póvoa Neto, Helion, „A produção de um estigma: Nordeste e nordestinos no Brasil“, in: Travessia. Revista do migrante (São Paulo: Centro de Estudos Migratórios), Bd. VII, Nr. 19 (Mai–Aug. 1994), S. 20–22 (20). Greenfield bezieht sich auf dieselbe Quelle, mit leicht abweichenden Angaben: Guimarães, Fábio de Macedo Soares, Divisão regional do Brasil, Rio de Janeiro: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, 1942, S. 23–27, zit. in: Greenfield, Realities of images: the Great Drought, 2001, S. 105. Siehe auch Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 13.

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einem Werk des Abgeordneten Passos de Miranda lediglich in Norden und Süden unterteilt.285 Ursprünglich zur Benennung des Nordostwinds gebraucht, wird der „Nordöstliche“ („o nordeste“) als Name der Trockenregion in der Fachliteratur – ohne genauere Angaben – grob auf die Präsidentschaft von Hermes da Fonseca (1910–14) datiert.286 Dem Historiker Durval Muniz de Albuquerque zufolge wurde in dieser Zeitspanne im oligarchischen Diskurs begonnen, von den „Dürren des Nordostens“ zu sprechen. Im technischen Diskurs habe die progressive Zweiteilung des Nordens, aus welcher der Nordosten hervorgehen sollte, mit der Dürre von 1915 eingesetzt.287 Indessen bediente sich der Ingenieur Raymundo Pereira da Silva bereits 1907 in einem Vortrag in der Ingenieursvereinigung von Rio de Janeiro mit absoluter Selbstverständlichkeit des Begriffs.288 Auch in einer Publikation der Dürrebehörde Inspetoria de Obras contra as Secas (IOCS) erschien der „Nordosten“ schon im Dezember 1912,289 und in den Kongressannalen jenes Jahres ist die neue geographische Denomination bezeichnenderweise in Verbindung mit der „kons­tanten Dürre“ der Region zu finden. Allerdings wurde selbst 285 Miranda, Passos de (Pará), Monographie, (ohne Angaben) zit. von: Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 109 (Quelle II.3.c-28). 286 Beispiele für den Nordost-Wind: „a monção de nordeste (...), de dezembro a março, pelas costas setentrionais“. Cunha, Os sertões, 197929 (19021), S. 27. Und: „Começou o nordeste a soprar com intensidade“. Sá, P.e Joaquim Cyrillo de, „Os soffrimentos sertanejos“, in: A União vom 16.10.1915, S. 1. Pinto de Aguiar zufolge habe es unter Fonseca in den „Mensagens“ erstmals „secas do Nordeste“ anstatt „secas dos Estados do Norte“ geheißen. Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 71 (Hervorhebung aus dem Original). Villa übernimmt diese von Aguiar nicht mit Beispielen belegte Aussage kommentarlos: Villa, História das secas, 2001, S. 94. In den als „Mensagens“ bekannten Präsidentenreden wird von Hermes da Fonseca in den entsprechenden Abschnitten über die Dürrearbeiten jedoch kein einziges Mal der Begriff „Nordosten“ verwendet. Fonseca, Hermes Rodrigues da, Mensagem apresentada ao Congresso Nacional (...) pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1911, S. 40–42; 1912, S. 7, 63–65; 1913, S. 107–111; 1914, S. 146–150, www-apps.crl.edu/brazil/presidential (Details und vollständige Angaben in Quelle II.3.c-29). 287 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 192, 298. 288 Silva, Raymundo Pereira da, „O problema do Norte. Parecer apresentado ao conselho diretor [do Club de Engenharia] na sessão de 1 de junho de 1907, pelo engenheiro Raymundo Pereira da Silva“, in: Revista do Club de Engenharia (Rio de Janeiro: Imprensa Nacional), Bd. 19 (Mai–Aug. 1909), S. 8–108 (16, 18, 75, 79), bn.br (Quelle II.3.c-30). 289 Siehe den in der Publikationsliste der IOCS/IFOCS aufgeführten Beitrag des botanischen Leiters der IOCS Löfgren, Alberto, „Contribuições para a questão florestal da região do nordéste do Brasil“, in: Publicações da Inspectoria de Obras contra as Seccas, Nr.  18, Serie  I-A, Dez. 19122, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, Anhang II. Zur Gründung und zu den Aufgaben der IOCS, zu deren Distriktleitern Raymundo Pereira da Silva gehörte, siehe Kapitel IV.3.b.

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bei Erwähnung der Dürreinstitution IOCS weiterhin parallel auf den herkömmlichen Terminus „Norden“ zurückgegriffen.290 Im Dürrejahr 1915 wurde der „nordeste brazileiro“ sogar auf höchster politischer Stufe zur gängigen Formulierung – in den offiziellen Ausführungen des zuständigen Ministers, des Präsidenten der Republik und in den entsprechenden Gesetzesvorhaben und Dekreten.291 Im journalistischen Umfeld zählte der Ausdruck 1915 ebenfalls zum geläufigen Vokabular; dennoch wurden sowohl hier als auch im Kongress weiterhin synonym die „Estados do Norte“ benutzt, teilweise in ein und demselben Redeabschnitt.292 Trotz der häufigen Verwendung des „Nordostens“ seit 1915 behauptete Paulo Moraes Barros 1923 in der Zeitungsserie „Impressões do Nordeste“, der Begriff habe sich erst nach der Dürre von 1919 verbreitet.293 Diese Einschätzung dürfte darin begründet gewesen sein, dass einerseits zu Beginn der 1920er-Jahre weiterhin simultan „norte do Brasil“ und „nordéste brasileiro“ verwendet wurden, andererseits mit der umfangreichen Dürrepolitik der Präsidentschaft Epi290 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 492, 496, 499 (Quelle II.3.c-31). 291 Beispiele: „nordeste do Brazil“, Pinto, João Pereira de Castro (Gouverneur von Paraíba), Telegramm an Senator Epitácio Pessoa vom 28.5.1915 (Parahyba), abgedr. in: „A sêcca. O ramal ferreo de Mamanguape. Um telegramma do sr. Presidente do Estado ao senador Epitacio Pessôa. O sr.  dr.  Maximiano de Figueiredo conferencia com o ministro da viação“, in: A União vom 29.5.1915, S. 1; „nordeste brazileiro“, Serpa, Justiniano de (Ceará), Anais da Câmara, 1.11.1915, S. 18; „nordeste brazileiro“, Lyra, Augusto Tavares de (Rio Grande do Norte, Verkehrs- und Bauminister), zit. in: „A sêcca“, in: A União vom 13.6.1915, S. 1; „zona do nordeste“, Gomes, Wenceslau Braz Pereira (Präsident der Republik)/Lyra, A., zit. in: „A sêcca“, in: A União vom 18.7.1915, S. 1; „creditos (...) para (...) zona do nordéste assolada pela secca“, Gesetzesvorhaben Nr. 33, Anais da Câmara, 2.7.1915, S. 20; „zona do nordeste“, Gesetz vom 15.7.1915, Art. 1, vorgetragen von: Lyra, A., Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 306. 292 Beispiele für Norden: „Estados do Norte“, Barroso, Benjamin (Gouverneur von Ceará), Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878; „A espantosa calamidade do Norte“, in: A União vom 18.7.1915, S. 1. Beispiele für parallelen Gebrauch von Norden und Nordosten: „Estados do Norte“ und „nordeste brazileiro“, Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 2.10.1915, S. 53; „Estados do Norte“ und „Nordeste do Brasil“, Pessoa, Epitácio, „Obras contra as secas e serviços públicos“, Senatsrede vom 29.11.1915, in: ders., Discursos parlamentares (Perfis parlamentares, 7), Brasília: Câmara dos Deputados, 1978, S. 375–386 (376). Beispiele für Nordosten: „no nosso grande Nordeste, (...) sumptuosas Repartições de obras contra as sêccas“, Achilles, Arthur (Journalist aus Paraíba), „A proposito da sêcca. Idéas praticas e viaveis. Uma carta de Arthur Achilles“, in: A União vom 1.6.1915, S. 1; „nordeste do Brazil“, aus dem Artikel „A sêcca. A patriotica attitude da bancada nortista no Congresso e as breves providencias do governo federal“, in: A União vom 18.6.1915, S. 1. 293 Barros, Paulo Moraes, „Impressões do Nordeste“, in: O Estado de São Paulo (OESP) vom 10.8.1923, S. 4, auszugsweise abgedr. in: Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 43 (Quelle II.3.c-32).

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

tácio Pessoas ein Höchstmaß öffentlichen Interesses am neuen Nordosten aufkam.294 Der lexikalische Wandel lässt sich an Epitácio Pessoa selbst festmachen, welcher 1919 von den „Estados do norte“ und von sich als „nortista“ sprach, im darauffolgenden Jahr in einem Telegramm an den paraibanischen Provinzpräsidenten „nordéste“ schrieb und am Ende seiner Präsidentschaft im Jahr 1922 als „Sohn des Nordostens“ und verdienter „nordestino“ gewürdigt wurde.295 Insbesondere als Name der Bevölkerung benötigte die neue Terminologie mehr Zeit, um Akzeptanz und Anwendung zu erlangen, handelte es sich hierbei schließlich um ein noch stärkeres und intimeres Identifikationsmerkmal. Im Jahr 1915 galten die Einwohner des „nordeste“ weiterhin als „nortistas“, wie sie im Süden Brasiliens teilweise bis heute genannt werden.296 In einer Rede des paraibanischen Abgeordneten Octacilio de Albuquerque vom 4. November 1919 kamen die „nordestinos“ zum Einsatz, doch die anhaltende Unsicherheit im Sprachgebrauch wird daran deutlich, dass noch 1922 das abweichende Adjektiv „nordestano“ auftauchen konnte.297 Zugleich zeugt eine Reihe von Veröffentli294 Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 382, 391. Und: „sêccas nos Estados do norte do Brasil“, im Artikel „As sèccas“, in: A União Agricola vom 15.2.1919, S. 3; und parallel dazu: „A sêcca do nordeste“, in: A União vom 17.5.1919, S. 1. Sogar im Zusammenhang mit der IFOCS: „Norte“, Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 448. 295 Pessoa, Epitácio, zit. in: „O futuro govêrno do Brasil. O programma do sr. Epitacio Pessôa, novo presidente da Republica“, in: A União vom 20.5.1919, S. 1; „As grandes obras contra as sêccas. Um telegramma do exm. presidente da republica“, in: A União vom 25.1.1920, S. 1; „Filho do Nordeste, (...) Epitacio Pessôa (...) o benemerito nordestino“, Jácome, Epaminondas, „O nordéste e a sua independencia economicofinanceira“, in: A União vom 20.7.1922, S. 1. Andererseits 1917 bereits: „extinção das sêcas no Nordeste brasileiro“. Pessoa, E., Rede auf einem Bankett zu Ehren des offiziellen Präsidentschaftskandidaten Rodrigues Alves vom 23.10.1917 (im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 als Regierungsprogramm Pessoas genutzt), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 35–44 (39) (Hervorhebungen aus dem Original). Dann wieder 1919: „A EXTINÇÃO DAS SÊCAS DO NORTE“. Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.9.1919, in: ebd., S. 266 (Hervorhebungen aus dem Original). 296 „A sêcca. A patriotica attitude da bancada nortista no Congresso“, in: A União vom 18.6.1915, S. 1; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 192. Die Tochter Epitácio Pessoas bezeichnete sich noch 1965 auf einer Konferenz zum 100. Jahrestag der Geburt ihres Vaters als „nortista de coração“. Pessoa, Helena Sayão, „Discurso em nome da família Epitácio Pessoa“, in: Revista do Instituto Histórico e Geográfico Brasileiro (Rio de Janeiro), Bd. 268 (Juli–Sept. 1965), Rio de Janeiro: Departamento de Imprensa Nacional, 1966, S. 135–140 (140) (Hervorhebungen im Original). 297 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 167. In dieser Rede auch: „Estados do nordeste“, ebd., S. 161, und „as seccas do Nordeste“, ebd., S. 168. „Sertão nordestano“, Lopes, Simões (Rio Grande do Sul), Ex-Agrarminister der Regierung Epitácio Pessoa und Mitglied der Kommission Rondon, Interview der Ga-

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chungen von der begrifflichen Stabilisierung des „Nordostens“. Durval Muniz de Albuquerque nennt als erstes Werk mit diesem Titel die wissenschaftliche Publikation O Nordeste brasileiro des Geographen Agamenon Magalhães aus dem Jahr 1922.298 Schon 1920 wurde in der paraibanischen Zeitung A União eine Rezension bzw. Werbeschrift für das Buch O problema do Nordéste von Clodomiro Pereira da Silva abgedruckt.299 In der Presse des Südens war 1920 ebenfalls die neue Schreibweise zu finden, und 1922 entstand in Fortaleza sogar eine eigene, der Katholischen Kirche zugehörige Zeitung mit der Betitelung O Nordeste.300 Wurde der „Nordosten“ anfangs nur mit dem Arbeitsbereich der Dürrebehörde in Zusammenhang gebracht, gewann er durch den Diskurs der politischen Eliten nach und nach eine soziale, kulturelle und historische Bedeutung. Aus einer geoklimatisch orientierten Eingrenzung wurde eine Region mit eigener Identität, Tradition und Geschichte – eine „erfundene“ Region.301 In derselben Geburtsstunde, in welcher die Dürre als Politikum entdeckt bzw. erfunden wurde, gewann der Ort der Dürre seine neue Bestimmung, die sich langsam in das regionale und nationale Bewusstsein einprägte. Dabei von ‚Erfindung‘ zu zeta de Noticias (Rio de Janeiro) über eine Inspektionsreise im Nordosten, auszugsweise veröffentlicht in: „As obras contra as sêccas do Nordéste“, in: A União vom 8.12.1922, S. 1. Der Begriff „Nordestano“ erscheint ebenfalls in Guerra, Phelippe, Ainda o Nordeste, Natal: Typ. d’A Republica, 1927 (Nachdruck im Rahmen der Coleção Mossoroense, Bd. CCCL, 19873), S. 7. 298 Magalhães, Agamenon, O Nordeste brasileiro, Recife: Departamento de Cultura/ Governo do Estado, 19702 (19221), zit. in: Albuquerque, Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 158. Mello fügt noch den Titel Livro do Nordeste von Gilberto Freyre aus dem Jahr 1925 hinzu. Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 13. 299 „‚O problema do Nordéste‘. Pelo dr. Clodomiro Pereira da Silva“, in: A União vom 13.6.1920, S. 1. Andererseits siehe „Norte“ in der Biographie von Fernandes, Politicos do Norte, III: Epitacio Pessôa, 1919. Das Buch wurde zudem rezensiert in: A União vom 13.1.1920, S. 1. 300 „Estados do Nordeste“, im Artikel „As sêccas do nordeste“, in: A União vom 30.1.1920, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 25.1.1920. Zur Kirchenzeitung O Nordeste siehe „O Diário no Ceará – ‚O Nordeste‘ aparece“, in: Diário de Pernambuco (Recife) vom 20.7.1922, S. 3, abgedr. in: Albuquerque, Nor­ destino: uma invenção do falo, 2003, S. 159. Die Behauptung Greenfields, der Terminus „Nordosten“ sei vor 1930 selten vorzufinden, kann angesichts der in diesem Kapitel skizzierten Quellenlage nicht bestätigt werden. Greenfield, Realities of images: the Great Drought, 2001, S. 104. Ebenso wie Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 13, bezieht sich der Autor auf Perruci, Gadiel, A república das usinas. Um estudo de história social e econômica do nordeste: 1889–1930, Rio de Janeiro: Paz e Terra, 1977, S. 92. 301 Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 75 („invenção imagético-discursiva do Nordeste“); siehe auch ders., Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 150 f.

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Der Einfluss der Dürre von 1877 auf Gesellschaft und Diskurs

sprechen, heißt, den Nordosten zu denaturalisieren, zu betonen, dass er nicht von Natur aus gegeben ist, nicht immer existierte. Er ist eine Konstruktion sowohl diskursiver als auch nicht-diskursiver Praktiken, geleitet von mannigfaltigen gesellschaftlichen Zielsetzungen. Der Nordosten ist – ebenso wie die Dürre des Nordostens – nicht das Produkt isolierter Personen oder Gruppierungen, die sie am Reißbrett entwarfen, sondern ein kollektives Geschöpf einer Vielzahl unabhängig agierender und gleichwohl durch die Vernetzungen des Gemeinwesens verbundener Autoren und Akteure. Diese Ausgestaltung bahnte sich prozesshaft seit der Kolonialzeit an und erhielt während der Trockenperiode von 1877–79 den entscheidenden Impuls. Das klimatische Naturphänomen und sein geographischer Raum wurden in dem Maße ‚der Natur entzogen‘, wie sie von sozialen Konzeptionen erfasst und als politische Instrumente vereinnahmt wurden.302 Der Nordosten wird auch als „Fiktion“ interpretiert, was nicht für etwas Irreales oder Illusorisches stehen soll.303 Fiktion besagt, über die Sprache Sinn zu verleihen. Im Fall der Dürre und des Nordostens ist dieses diskursive Erzeugnis keine Erfindung aus dem Nichts, sondern wurzelt in und führt zu Handlungen, die im Feld des Reellen angesiedelt sind.304 Der Begriff ‚Erfindung‘ ist dabei insofern gerechtfertigt, als er die bewusste Schaffung einer Wirklichkeit der Dürre und des Nordostens umschreibt. Zu Elementen der Realität wurden die konstruierten Entwürfe und Bilder, indem sie das gesellschaftliche Geschehen bestimmten und sich auf diesem Weg konkretisierten. Der ihnen zugrunde liegende Dürrediskurs soll im Folgenden mit Blick auf seine unterschiedlichen Produktionsebenen untersucht werden, im kirchlichen, volkstümlichen, literarischen, wissenschaftlich-technischen und oligarchisch-politischen Bereich.

302 Ders., A invenção da fala, 2005, S. 4; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 298. 303 Neves, Imagens do Nordeste, 1994, S. 19. 304 Ebd.; Albuquerque, A invenção da fala, 2005, S. 4.

III. Die sozialen Produktionsebenen und Träger des Dürrediskurses (1877–1922) Der Dürrediskurs schuf mit seiner Argumentation ein Archiv an Eindrücken und Symbolen, die nicht als deskriptiver externer Zusatz zu verstehen sind. Vielmehr waren sie selbst fester Bestandteil des Phänomens der ‚Dürre‘ und zeichneten sich durch gesellschaftliche und geschichtliche Wirkung aus. In un­ terschiedlichsten Kreisen wurden die Trockenperioden als eines der zentralen Probleme der Region fokussiert und mit Fragen in Verbindung gebracht, welche die Diskursträger in diesem historischen Moment beschäftigten. Überzeugun­ gen aus dem Umfeld der Kirche, des Volkes, der Literaten, der Wissenschaftler und der Oligarchien überkreuzten sich und bildeten Teildiskurse zur Trocken­ heit, ohne in einer klaren hierarchischen Ordnung zu stehen. In der Absicht, die jeweilige Variante als Wahrheit zu verankern, wurde sie mit in die Gesamtkons­ truktion des Dürrebilds und der mit ihr in Zusammenhang gesetzten Umstände eingeflochten.305 Über mehrere Jahrzehnte hinweg modelliert, entstand der Dürrediskurs nicht aus einem Guss – er war eine Mischung veränderlicher Elemente, die sich in Abhängigkeit von den Akteuren und ihren Intentionen unterschiedlich kombinieren ließen. Im Kraftfeld der konkreten sozialen Begebenheiten befand sich der Diskurs in konstanter konzeptioneller Bewegung. In diesem Prozess kristallisierte sich aus der Schnittmenge der individuellen Ausführungen eine Version heraus, die als dominant einzustufen ist. Gemeint sind damit nicht die Aussagen der herrschenden oligarchischen Schicht, sondern diejenigen, die am ehesten von allen Gesellschaftsgruppen als Realität verinnerlicht wurden.306 Es handelt sich folglich um ein flexibles Sinngefüge, das kaum als Ganzes greifbar ist. Eine analytische Approximation an den dominanten Dürrediskurs kann da­ her lediglich über die verschiedenen in ihn einfließenden Strömungen gelingen, auch wenn sein bedeutendes – sprich Bedeutung gebendes – Fassungsvermö­ gen nicht auf die bloße Funktion eines Sammelbeckens beschränkt war. Sein diskursives Gesamtgewicht ging über die aufsummierte Relevanz der einzelnen Diskurskomponenten hinaus.

305 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 219, 409 f. Zum diskurstheore­ tischen Kontext siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 36, 43, 63–65, 142, 144 f., 187. 306 Ebd., S. 71, 108 f., 156, 231–235, 295; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 12, 266 f., 410 f.

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1. Pfründe und Ängste der Kirche Die Katholische Kirche war fast vier Jahrhunderte für die ideologische Kon­ trolle der brasilianischen Bevölkerung mitverantwortlich und half, die hege­ monialen Strukturen der Sklavenhaltergesellschaft zu bewahren. Die Priester standen an der Seite der Großgrundbesitzer, unterstützten die offizielle Politik und den Paternalismus und waren bemüht, durch ihre Predigt und ihr Handeln latente Sozialkonflikte zu vermeiden. Aus ihrer inneren Logik heraus erlegte die Kirche den Gläubigen Grenzen auf und rechtfertigte die eigene Existenz und Führerschaft. Einer gewaltigen Herausforderung musste sie sich stellen, als die gesellschaftliche und politische Entwicklung des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihre Macht untergrub, verstärkt durch die allgemeine Wirtschaftskrise und die Dürre von 1877. Die hiermit verbundenen Veränderungen wirkten sich wiede­ rum auf den Dürrediskurs aus.307 Mit dem allmählichen Niedergang der Sklaverei und der einsetzenden Mo­ dernisierung des Sozialgefüges gelang es der Kirche kaum noch, Antworten auf die neuen Fragen zu geben, obschon sie weiterhin gerade auf die Landbevölke­ rung einen erheblichen Einfluss ausübte. Von den coronéis im Stich gelassen, dem Hunger und Tod der Dürrekatastrophe ausgesetzt, nahmen die Menschen einschneidende Umgestaltungen der traditionellen Welt als apokalyptische Omen für das letzte Gericht wahr. Messianische Propheten hatten in dem von Mystizismus und Volkskatholizismus geprägten Hinterland großen Zulauf – ein deutliches Merkmal für die spirituelle Unzufriedenheit der notleidenden und verängstigten Bevölkerung.308 Zwar wurde der catolicismo rústico auch von einigen Mitgliedern der offiziellen Kirche praktiziert, doch die Entfremdung von Hierarchie und Basis wurde zunehmend unüberbrückbar. Dies zeigte sich besonders seit den 1870er-Jahren, als die Katholische Kirche Brasiliens – ge­ schwächt durch die ‚Gefahren‘ der Moderne – mit der Rückkehr zur römischkatholischen Orthodoxie die Flucht zu archaischen Werten suchte. Durch die engere Bindung an die römische Liturgie war man bemüht, das verlorene An­ sehen wiederzugewinnen. Damit distanzierte sich die Kirche umso mehr vom Volk und gab der Verbreitung messianischer Bewegungen weiteren Auftrieb, de­ 307 Carvalho, José Murilo de, „Mandonismo, coronelismo, clientelismo: uma discussão conceitual“, in: König, Hans-Joachim/Wiesebron, Marianne (Hg.), Nation building in nineteenth century Latin America: dilemmas and conflicts (CNWS publications, Bd. 63), Leiden: Research School CNWS, 1998, S. 83–100 (95); Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 11, 153, 158, mit Referenz auf Foucault, Michel, „Sobre a jus­ tiça popular“, in: ders., Microfísica do poder, hg. und übersetzt von Roberto Machado, Rio de Janeiro: Edições Graal, 1984, S. 39–68. 308 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 54 f., 154, 157; siehe auch Mon­ teiro, Hamilton de Mattos, Crise agrária e luta de classes: o Nordeste brasileiro entre 1850 e 1889, Brasília: Horizonte, 1980, S. 86.

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ren Propheten aus den Volksmassen stammten und von ihnen verstanden wur­ den. Indem sich die Kirche in einem strengen Purismus und Konservatismus verschloss, verlor sie nicht nur den Kontakt zur einfachen Bevölkerung, sondern darüber hinaus den Beistand der politischen Machthaber. Die kirchlichen Dog­ men waren mit den neuen kapitalistischen Beziehungen und den sich durch­ setzenden bürgerlichen Idealen der von Moderne, Positivismus, Materialismus und Liberalismus beeinflussten Elite nicht vereinbar. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts büßte die Kirche ihre Position innerhalb der kaiserlichen Herrschaftsstruktur in dem Maße ein, in dem sich der Staat bürokratisierte und wichtige Aufgabenfelder übernahm, die zuvor die Kirche besetzt hatte. So wur­ den 1874 – in ersten Ansätzen bereits 1863 – das Standesamt und 1888 die allgemeine Pflicht zur staatlichen Registrierung von Geburt, Ehe und Tod ein­ geführt. Das Verhältnis von Kirche und Krone wurde in den Jahren 1872–75 zudem durch die questão religiosa belastet, welche den Autoritätskampf zwischen Kanzel und König widerspiegelte.309 Seit Ausrufung der Republik im Jahr 1889 sah sich die Kirche noch unausweichlicher von der weltlichen Obrigkeit be­ droht. War der katholische Glaube im Staatskirchentum des Kaiserreichs noch die federführende Institution gewesen, welche die gesellschaftliche Realität ver­ bindlich definieren konnte und sollte, wurde mit der neuen Regierungsform der Fortschritt zum Leitprinzip erhoben. Aus Sicht der Geistlichen gehörte nun der Republikanismus neben Positivismus, Wissenschaft und Moderne zu den „Zeichen des Zeitenendes“.310 Das Volk teilte den Widerstand der Kirche gegen die Zentralisierungstendenzen des Staates, dessen Vertreter in seinen Alltag ein­ griffen, zählten, maßen, registrierten und Steuern verlangten. Befürworter der republikanischen Modernisierung erklärten umgekehrt die vermeintliche „Wut der Sertanejos auf jegliche Veränderung“ mit Verweis auf die Kirche, die gegen die Säkularisierung anpredigte und „ganz formell den Fluch über die gottver­ achtende Republik ausgesprochen hat“.311 309 Zur questão religiosa oder questão maçônica, die mit der von Dom Pedro II. angeord­ neten Verhaftung zweier gegen die Freimaurerei (maçonaria) predigenden Bischöfe begann, siehe Della Cava, Milagre em Joazeiro, 1976, S. 34 f.; Pang, Eul-Soo, Rezen­ sion zu Vieira, David Gueiros, „O protestantismo, a maçonaria e a questão religiosa no Brasil“, in: The Hispanic American Historical Review, Bd. 62, Nr. 4 (Nov. 1982), S. 689–691. Zur Verteidigung der kirchlichen Standpunkte siehe z.B. den Artikel [Ti­ tel auf Mikrofilm nicht leserlich] in: A Ordem. Orgão Conservador (Baturité/Ceará) vom August 1880 [genaues Datum nicht leserlich], S. 1 („uma arma do Estado para debellar a Egreja“). 310 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 155; siehe auch ebd., S. 56, 62 f., 154–157, 169; Della Cava, Milagre em Joazeiro, 1976, S. 32, 34 f., 43 f.; Carvalho, J. M., Mandonismo, coronelismo, clientelismo, 1998, S. 95. 311 „Manifesto dos estudantes das escolas superiores da Bahia aos seus collegas e aos re­ publicanos dos outros estados“, Bahia (Salvador): Typ. do Correio de Noticias, 1897,

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Für ihre Kritik am Staat nutzte die Kirche die Dürrekatastrophen, die hierzu genügend Ansatzpunkte boten. Zahlreiche Priester beklagten die Vernachlässi­ gung der Region und die Korruption der Oligarchien, die nicht würdig seien, Führer und moralische Instanz des Volkes zu sein. Dieser Aufgabe sei nur die Kirche gewachsen.312 In der oppositionellen paraibanischen Zeitung O Combate wurden die Missbrauchsvorwürfe gegen die „völlig von der Kirche losgelöste Regierung“ mit der Metapher einer „brutalen gewinnsüchtigen Bestie“ verbild­ licht, die sich weder auf provinzstaatlicher noch auf nationaler Ebene des Elends der gottesgläubigen Brasilianer annehme.313 Im Zenit der schweren Trockenpe­ riode von 1915 erinnerte Priester Joaquim Cyrillo de Sá an die „unverzeihliche Sorglosigkeit“ der „schuldbeladenen Regierungen“ und deren „falsche Verspre­ chungen“, wobei er sich als Einheit mit dem Volk verstand – „wir unglücklichen Opfer“.314 Den Druck auf die Regierung erhöhten die Geistlichen, indem sie vor der Unberechenbarkeit des Volkes warnten. Die Masse der armen Bevöl­ kerung könne sich an der mangelnden Moral der politischen Elite ein Beispiel nehmen und das bestehende Regime und die soziale Ordnung beenden.315 Die Dürre wurde für die Kirche auch zum Schlachtfeld in ihrem Kampf gegen die Wissenschaft, den sie Ende des 19. Jahrhunderts immer verzweifelter ausfocht. Viele ihrer ‚ewigen Wahrheiten‘ standen auf dem Spiel und mit ih­ nen ihr Einfluss auf die Bevölkerung. Während der technisch-wissenschaftliche Diskurs die natürlichen Ursachen der ausbleibenden Niederschläge darlegte, verteidigten die Prediger deren übernatürliche Bedeutung. Die Wissenschaft sei als Produkt des Menschen ebenso fehlerhaft wie der Mensch selbst und nicht in der Lage, die Mysterien und Motive der Dürrekatastrophen zu erfassen, wel­ che allein im Willen Gottes begründet seien. Die Trockenheit wurde als Strafe für die Sünden interpretiert, beeinflusst durch den wachsenden Atheismus und die materialistischen Vorstellungen aus Europa.316 Das Bild des himmli­ schen Racheakts fand auf Dürren lange vor 1877 Anwendung, etwa auf jene des Jahres 1776. Sie wurde als „fürchterliche und notwendige Konsequenz“ be­ schrieben, deren Hungerleiden die „Strafe der göttlichen Gerechtigkeit“ voll­

abgedr. in: Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 382 f. (383 bzw. auszugs­ weise Übersetzung von Bartelt auf S. 157). 312 Barbosa, P.e Florentino, „Effeitos da sêcca. Uma trindade macabra [sêcca, fome e morte]. As parcas sertanistas.“, in: A União vom 11.6.1915, S. 1 (Quelle III.1-01). 313 Raynero, Ad., „Sobre a secca“, in: O Combate (Parahyba), Bd. 3, Nr. 63–3 (24.4.1904), S. 3 (Quelle III.1-02). 314 Sá, P.e Joaquim Cyrillo de, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1 (Quelle III.1-03). 315 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 165 f. 316 Ebd., S. 162, 171–174.

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ende.317 Die Ohnmacht des Menschen war ein wichtiges Element des Diskur­ ses. In den Flüchtlingslagern beschworen die Priester während der Dürre von 1877–79, dass Resignation und Vertrauen in Gott die einzige Lösung seien. Damit versuchten sie, Rebellionspotential zu kanalisieren, die Energie des Vol­ kes in mystische Praktiken umzuleiten und durch Buße, Beichten, Opfer und Regen-Prozessionen die „üblen Instinkte“ zu befriedigen und die Gefügigkeit zu bewahren.318 Soziale Unterschiede galten als gottgewollt und wurden nicht hin­ terfragt. Den Schöpfer zu fürchten und seinen Willen zu achten, heiße, nicht gegen das herrschende Gesellschaftssystem und die ihm inhärente Unterord­ nung unter die Autorität von Staat und Kirche vorzugehen. Die Klimaeinbrü­ che waren zu erklären, ohne dass ihre ständige Wiederkehr Unglauben in Gott hervorrufen und zu Verzweiflung und Rebellion führen könnte. Auflehnung, so wurde argumentiert, erhärte den himmlischen Zorn. Die Pein des Volkes habe die Funktion, an die Existenz des Weltenschöpfers zu erinnern, denn das verlo­ rene Schaf finde nur im Moment der Verzweiflung zur Herde zurück. Die Liebe des Allmächtigen lasse die Menschen auf Erden leiden und ermögliche es ihnen, noch im Diesseits Reue zu üben und nicht auf ewig verdammt zu sein. Wenn sie voller Ergebenheit und Geduld ihr Schicksal erlitten, würden sie in einem zukünftigen Leben dafür belohnt werden. Mit diesem Argumentationsmuster sollte die Passivität der Bevölkerung gefördert und die gesellschaftliche Macht der Kirche gestärkt werden.319 Als eines der gefährlichsten Laster betrachtete die Kirche den Müßiggang. Nur die körperliche Tätigkeit könne die von der Trockenheit verursachten Übel aus dem Bewusstsein verdrängen und die Betroffenen davor schützen, Ver­ suchungen zu erliegen. Zugleich helfe die Arbeit, die Zukunft zu verbessern. Dementsprechend propagierten Kirchenvertreter den Fleiß der sertanejos und deren vermeintliche Forderung nach staatlichen Arbeitsdiensten, um in der Heimat der Dürre trotzen zu können. Den kirchlichen Aussagen nach erlitten sie lieber die Not der Trockenperioden, als die Ungewissheit der Emigration in fremde Gebiete auf sich zu nehmen.320 Zumindest den Kirchenoberen war 317 Carli, Séculos de secas, 1984, S. 31, zit. in: Gomes, A., Imaginário social da seca, 1998, S. 65 (Quelle III.1-04). Gomes weist darauf hin, dass bei Carli zahlreiche Zitate an­ derer Autoren nicht als solche ausgegeben werden, so dass deren Entstehungszeitraum nicht nachzuvollziehen ist. Ebd., S. 215. 318 A Ordem (Baturité/Ceará), Nr. 40 (15.8.1880), S. 1, Sp. 1, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 163. Zu Ritualen siehe auch Carli, Séculos de secas, 1984, S. 31, zit. in: Gomes, A., Imaginário social da seca, 1998, S. 66 und Della Cava, Milagre em Joazeiro, 1976, S. 36. 319 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 162 f., 169, 172–174, 176. 320 A Ordem (Baturité/Ceará), Nr. 40 (15.8.1880), S. 1, Sp. 1, zit. in: ebd., S. 166. Sá, P.e Cyrillo, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1; ders., „Os soffrimen­ tos sertanejos“, in: A União vom 16.10.1915, S. 1 (Quelle III.1-05).

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an einer derartigen Präferenz gelegen, zumal sie in dieser Hinsicht völlig mit den lokalen Oligarchien übereinstimmten: „Wir benötigen dringend den Bau der Eisenbahnlinien ins Landesinnere (...), damit die Bedürftigen dort Arbeit erhalten (...). Dies ist die einzige effektive und prompte Vorkehrung gegen die Auswirkungen der Trockenheit“.321 Wie auch der Staat benutzte die Kirche die Dürreflüchtlinge als praktisch kostenlose Arbeitskräfte, um entweder persönli­ chen Besitz zu vergrößern oder Kultstätten zu errichten. Die Beschäftigungen dienten in doppelter Weise der sozialen Kontrolle – zum einen half sie, in Zeiten der Dürre Auflehnung und Verbrechen zu unterdrücken, zum anderen erwei­ terten sie den materiellen und spirituellen Raum, in dem die Geistlichen auf die Gläubigen einwirken konnten. Auf Seiten des Staates waren vergleichbare Mittel gesellschaftlicher Dominanz ähnlich effektiv: In Ceará ließ die Provinz­ verwaltung 1877–79 unter anderem eine Kaserne und 32 Gefängnisse von den Dürreflüchtlingen erbauen, in welchen alsdann etwaige Unruhestifter aus den Reihen der unzähligen retirantes unter Verschluss gehalten werden konnten.322 Diese zwiespältige Instrumentalisierung des Elends brachte Kirche und Regie­ rung Kritik ein: „Das von der Natur und dem Staat verlassene Volk, (...) [ist] seit Jahrhunderten Eurem Joch unterworfen, in Furcht vor Euren Bajonetten und der Verfluchung durch Euren Gott. Wo ist Euer Ehrgefühl, Ihr Richter, wo Euer Mitleid, Ihr heiligen Väter, wo sind Eure Pflichten, Ihr höchsten Führer der Nation? Öffnet Schulen, lasst das Licht in vollem Strahl in die ungebildeten Köpfe fließen (...). Doch ich weiß: Ihr fürchtet das Licht. (...) Euer Gewissen [wird] vom Gold geblendet!“323 Parallelen, aber ebenso Antagonismen fand der kirchliche Diskurs im volks­ tümlichen. Die poesia popular verdient mit Blick auf die Dürre, die Dürrerezep­ tion und -forschung besondere Aufmerksamkeit, vor allem weil in wichtigen Fragestellungen auf der Basis einer umfassenden Quellen- und Datenrecherche neue Erkenntnisse zu vermitteln sind. Um die hiermit verbundenen Zusam­ menhänge richtig einordnen und einschätzen zu können, erfolgt zunächst ein einleitender Exkurs über Ursprung und Evolution sowie die zentralen Inhalte dieser Art der Volksliteratur. Eine ausführliche geschichtliche und thematische Annäherung ist auch deshalb geboten, da es sich um allgemein weniger ver­ traute Sachverhalte handelt, welche indes die Grundlage und Voraussetzung für die sich anschließende Analyse der Dürre-Aspekte bilden.

321 Barbosa, P.e Florentino, „Effeitos da sêcca“, in: A União vom 11.6.1915, S. 1 (Quelle III.1-06). 322 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 167, 396. Zu derartigen Arbeiten siehe die Quellenfunde in Kapitel II.2.d. 323 Chêne, Alvar, „Miseria!“, in: O Combate, Bd. 3, Nr. 66–3 (15.10.1904), S. 1 (Quelle III.1-07).

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2. Poesia popular – die Stimme des Volkes a) Essenz, Herkunft und Entfaltung der Volksdichtung im Norden Brasiliens Die Kunst der „analphabetischen“ Literaten als Realitätsprägung und historische Quelle

„Poeta que espera escola pra começar a escrever tá cravado“ – „wartet ein Dich­ ter auf die Schule, um das Schreiben zu beginnen, kann er lange warten“.324 Die Volkslyriker des Nordens verfügten im 19. und noch weit in das 20. Jahr­ hundert hineinreichend über eine geringe oder keine schulische Ausbildung, sie waren Autodidakten oder erlernten das Alphabet von einem der wenigen des Lesens kundigen Verwandten oder Bekannten. Selbst als sich die schriftli­ che Form der Verse festigte, folgten diese mündlichen Kompositionsschemata. Die ‚Lektüre‘ blieb ebenfalls der oralen Tradition verhaftet. So schrieb der Poet, als ob er erzählte, und die Leser nahmen die Zeilen auf, als ob sie seine poin­ tierte, halb singende Stimme hörten. Die in kleinformatigen Heften (folhetos) verewigten Werke können weder vollständig der schriftlichen noch der münd­ lichen Kultur zugeordnet werden, sie gehören beiden an, sind Mittler zwischen dem auf Papier verfassten und dem im Vortrag erfassten Wort. Im Alter von 74 Jahren sagte der Volksdichter João Martins de Athayde von sich, er habe als Analphabet sein Leben lang von „letras“ gelebt – „Sou um analfabeto que sempre viveu das letras...“.325 Die sogar in schweren Zeiten stets humorvolle Kunst der nordbrasilianischen Volksdichtung lädt in dieser Aussage zu spieleri­ schen Interpretationen ein. Der ironische Gegensatz von analfabeto und letras gewinnt einen subtilen Reiz durch den Facettenreichtum des letzten Wortes, welches die gesamte historische Entwicklung der Volksdichtung umspannt: Letras bezeichnen sowohl Liedtexte (die ursprüngliche Präsentationsweise der volkstümlichen Reime) als auch schlicht Buchstaben und Handschrift (die erste Stufe ihrer schriftlichen Produktion). Ebenso stehen sie für Druck-Typen, das 324 Marcelo Soares über seinen Vater José Soares, den „poeta-repórter“, im Interview mit Orígenes Lessa vom 9.10.1954, in: Lessa, Orígenes, A voz dos poetas, Rio de Janeiro: Fundação Casa de Rui Barbosa, 1984, o. S., zit. in: Abreu, Márcia, „Entre a oralidade e a escrita: um estudo dos folhetos de cordel nordestinos“, in: E.L.O. (Estudos de lite­ ratura oral, Faro: Centro de Estudos Ataíde Oliveira/Universidade do Algarve), Nr. 3 (1997), S. 7–23 (9). 325 Athayde, João Martins de, im Interview mit Orígenes Lessa vom 9.10.1954, in: ebd., S. 7. Siehe auch ebd., S. 8, 15 f., 23.

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Schrifttum, die Belletristik und Geisteswissenschaften, wobei der mestre (in der Mundart des Nordens ein herausragender Musiker des Volkes) im brasiliani­ schen Sprachgebrauch bis zum Magister Artium aufsteigt (mestre em letras). Dies wiederum spiegelt das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommende akademische Interesse an der volkstümlichen Lyrik wider. In eben diesem Ne­ xus entstand der zitierte Satz als Teil eines geisteswissenschaftlich motivierten Interviews von 1954. Der Ausspruch kann daher als humoristische Anspielung auf die studierten Versforscher ausgelegt werden – ‚Ich bin zwar nur ein armer Analphabet, aber von der Wissenschaft der Sprache kann ich allemal leben.‘ In einem Umfeld, in welchem Bücher und Bildung rar waren, zum Teil bis heute sind, war die Volksdichtung von essentieller informativer Bedeutung und genoss große Beliebtheit. Der populäre mündliche Vortrag der Gedichte durch Autoren und Verkäufer auf Märkten und Festen oder im Familien- und Freun­ deskreis ermöglichte eine effektive Verbreitung und war einer der Schlüssel ihres Erfolges. Sollte eine Nachricht die Bewohner des Sertão erreichen, mussten sich diese einen Reim darauf machen und sie nachsingen können. Im Wettrennen um die Lesergunst bzw. Zuhörerschaft kamen hochtrabende Zeitungskolum­ nen oder jegliche prosaischen Texte gegen die gereimte Poesie nicht an. Wichtig war ihre öffentliche Darbietung, damit der Kunde die Geschichte kennenlernte und – falls sie ihm gefiel – kaufte. Sogar Analphabeten erstanden die Hefte und ließen sie sich bei Gelegenheit rezitieren.326 Um seine Klientel für sich einzuneh­ men, musste der Volksdichter deren Wahrheit sagen, d.h. den vorherrschenden Anschauungen und der lokalen Realität entsprechen. Da die meisten Autoren aus ländlichen Gebieten stammten und viele ihnen treu blieben, bestand eine weitgehend übereinstimmende soziale Identität und Identifikation zwischen dem Lyriker und seiner Kundschaft. Aus dem Blickfeld ihres gemeinsamen Hin­ tergrunds ergab sich eine vergleichbare Weltsicht, so dass die Sänger im Sertão als Instrumente eines „kollektiven Gedankenguts“327 verstanden werden kön­ nen, auch wenn derartige Kategorisierungsmodelle angesichts der Individualität jedes Einzelnen, nicht zuletzt des Dichters, unter Vorbehalt verwendet werden müssen. Im Zusammenhang der „memória popular“ zu berücksichtigen ist die 326 Interview mit Volksdichter Manoel de Almeida Filho (1914–95), in: Almeida, Mauro William Barbosa de, Folhetos (A literatura de cordel no Nordeste brasileiro) (Dissertação de mestrado, Departamento de Ciências Sociais), São Paulo: Universidade de São Paulo, 1979, o. S., zit. in: ebd., S. 17 f.; ebd., S. 15 f.; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 86. 327 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 40 („pensamento coletivo“). Albuquerque spricht von einer „memória individual e coletiva“. Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 85, mit Bezug auf Slater, Candace, A vida no barbante: a literatura de cordel no Brasil, Rio de Janeiro: Civilização Brasileira, 1984, S. 21, 191, 211. Siehe auch ebd., S. 28, 30, 148, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 89.

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Wechselseitigkeit der Einflussnahme.328 Die beschriebenen Figuren des Nordens – Helden, Banditen oder Opfer – wurden nicht nur der wahrgenommenen re­ gionalen Wirklichkeit entnommen, sie selbst prägten diese ebenso sehr. Die Volkslyrik wurde zu einem Teil der Wertmaßstäbe und diente zur Beurteilung des sozialen Milieus. Inwieweit sie dabei auf einer Realität historischer Fakten beruhte, ist für die Untersuchung ihrer Position innerhalb des Dürrediskurses weniger relevant. Von Interesse ist vielmehr ihr Potential zur Produktion einer ‚Wahrheit‘, in diesem Fall über die Trockenperioden und deren gesellschaftli­ chen Kontext. Hier gewähren die folhetos Einblick in die Perzeption und Kon­ zeption der regionalen Mentalität. Als Repräsentanten des einfachen Volkes bieten die Poeten aus dem Sertão den Historikern, Anthropologen und Soziologen eine der wenigen schriftlichen Quellen für die dortigen Denkweisen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahr­ hunderts.329 Meist tragen die Verse allerdings kein Datum, d.h. sie können nicht zweifelsfrei der zu analysierenden Periode zugewiesen werden. Das Problem der Datierung korreliert im Zeichen der Zeitlichkeit bzw. Zeitlosigkeit zu einem gewissen Grad mit den nur schwer festzumachenden Charakteristika einer sich über ganze Epochen erstreckenden und somit diffusen „memória social“.330 Den Forschern der Kulturstiftung Fundação Casa de Rui Barbosa, die seit den 1960er-Jahren eine der bedeutendsten Sammlungen der brasilianischen Volks­ dichtung zusammengetragen hat, ist oft zumindest ein ungefähres Datieren ge­ lungen. Hinsichtlich des für uns besonders wichtigen Leandro Gomes de Barros haben sie sich dazu den Umstand häufig wechselnder Wohnstätten zu Nutze gemacht. Dank der in aller Regel auf den folhetos als Verkaufs- und Bezugs­ stätte angegebenen Privatadresse konnten die Werke – mit Hilfe biographischer Recherchen zu den Unterkünften – zeitlich eingeordnet werden.331 Stehen ver­ gleichbare Datierungsmethoden nicht zur Verfügung, bleibt für die historische Untersuchung eines bestimmten Zeitraums der Ausweg, ausschließlich Autoren heranzuziehen, deren Wirkungsphase auf die jeweiligen Jahre begrenzt war. Für die Erste Republik (1889–1930) kommt die sogenannte erste Generation („po­ etas pioneiros“) in Frage, deren kreative Aktivität zwischen 1893 und 1930 lag oder begann.332 Die Ergründung der früheren Zeit, etwa rund um die Dürre 328 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 31, 40. Siehe des Weiteren ebd., S. 172 f. 329 Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 311. 330 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 49. 331 Diese Verfahrensweise wurde bei den folgenden Gedichten Barros’ angewandt: As mi­ serias da epocha (1906 oder früher), O povo na cruz (1907–08), As proezas de Antonio Silvino (1907–08), O nascimento de Antonio Silvino (1910–12), Antonio Silvino o rei dos cangaceiros (1910–12), Um pau com formigas (1912), A secca do Ceará (1915–16) und O sertanejo no sul (1917–18), archiviert in: Fundação Casa de Rui Barbosa (FCRB), Leandro Gomes de Barros. Coleção Digital, casaruibarbosa.gov.br. 332 FCRB, Poetas e cantadores, casaruibarbosa.gov.br/cordel.

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von 1877, wird durch die in Brasilien erst in der letzten Dekade des 19. Jahr­ hunderts einsetzende Schriftlichkeit der volkstümlichen Lyrik eingeschränkt. Portugiesischer Ursprung und brasilianische Evolution der „literatura de cordel“

Die Wurzeln der brasilianischen Volksdichtung reichen über den Atlantik hi­ naus bis in den von mittelalterlichen Helden berittenen Boden der iberischen Halbinsel und Frankreichs, deren Sagen in Epensammlungen (romanceiros) fest­ gehalten wurden. Die Poeten griffen die Themen vergangener Epochen auf und verarbeiteten sie in ihren Versen, die in Portugal seit dem 17. Jahrhundert – und wahrscheinlich bereits früher – unter dem Namen literatura de cordel bekannt waren. Die Bezeichnung hängt mit der Ausstellungsform der an Kordeln (cor­ déis) befestigten Gedichthefte auf Märkten und in Verkaufshäusern zusammen. Fast zeitgleich zur Verbreitung traditioneller Erzählungen des Volkserbes traten in der portugiesischen Kordel-Literatur Beschreibungen kontemporärer gesell­ schaftlicher Ereignisse auf.333 Beide Themenbereiche und die Zurschaustellung an Bindfäden treffen ebenfalls auf die brasilianische poesia popular zu, doch in Brasilien wird der Ausdruck literatura de cordel erst seit Anfang der 1960er-Jahre verwendet, eingeführt durch den Folkloristen Theo Brandão aus Alagoas. Da­ raufhin benutzte ihn der US-amerikanische Sprach- und Literaturwissenschaft­ ler Mark Curran als Titel einer Publikation. Inzwischen hat sich der Termi­ nus allgemein als Genrebezeichnung für die Volksdichtung des brasilianischen Nordens bzw. Nordostens durchgesetzt.334 Ähnlich wie bei ‚Nordeste‘, wird er undifferenziert auf die Zeit vor seiner Prägung angewandt, selbst und gerade von den mit der Materie befassten Institutionen und Forschern. Im Fall der cordéis mag die anachronistische Terminologie weniger bedenklich sein als beim Nordosten, doch sie verbaut die Chance, durch die zeitgenössische Begrifflich­ keit auf die Eigenarten und Eigendeutung der Volkslyrik in ihren verschiedenen Entstehungsetappen zu schließen. Damit einher geht die Gefahr, sie hinter der Maske eines einheitlichen und die Jahrhunderte überspannenden Namens trotz ihres ständigen Wandels und ihrer Vielfältigkeit als inhaltlich unveränderliche und homogene Gattung zu klassifizieren. Dies wäre ebenso fahrlässig, als wolle man die sich in ihr widerspiegelnde Gedankenwelt der Landbevölkerung für monolithisch und unverrückbar erklären. Nach Ansicht der Folkloristen wurde die portugiesische literatura de cor­ del in ihrer mündlichen Überlieferung bereits von den Kolonisten im 16. oder 333 Pinto, M., Catalogação de cordel, 2002, S. 7; Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 31. 334 Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 24; FCRB, Poetas e cantadores, o. D.

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spätestens 17. Jahrhundert im Norden Brasiliens kultiviert. Die ersten folhetos, noch alle in Portugal ediert, wurden für die Zeit um 1850 nachgewiesen. Da­ mals sollen einige Manuskripte brasilianischer Autoren zirkuliert haben. Bevor in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Drucke vor Ort angefertigt werden konnten, war die handschriftliche Vervielfältigung üblich. Ungeachtet dieser Entwicklung überwog noch im gesamten 19. Jahrhundert die orale Tradierung – im Einklang mit den lokalen Ursprüngen der poesia popular im Ambiente öf­ fentlicher Präsentationen und Wettkämpfe im Wechselgesang (desafios, pelejas, cantorias) der Stegreifdichter (repentistas). Bis in die erste Hälfte des 20. Jahr­ hunderts war die Volksdichtung ein fester und festlicher Bestandteil des Markt­ treibens und der familiären Treffen auf den Fazendas, wobei die handgeschrie­ benen und später gedruckten Hefte als Gesangsvorlagen vorgesehen waren. Ihre Ausdehnung erhielt einen wesentlichen Impuls durch den Baumwollboom der 1860er-Jahre, welcher zum einen die Einführung typographischer Maschinen im Sertão, zum anderen einen ökonomischen Aufschwung mit sich brachte, so dass die gedruckten Reime für ein breiteres Publikum erschwinglich wur­ den. Vor allem in Paraíba, Pernambuco, Rio Grande do Norte und Ceará und hier insbesondere im sozialen Umfeld der Viehzucht und Baumwollproduktion reifte die Dichttradition heran. Die im Verlauf des 19. Jahrhunderts allmählich beginnende Alphabetisierung der Bevölkerung, zunächst eines noch sehr klei­ nen Teils, trug ebenfalls zur Entfaltung der folhetos bei. Wann die ersten im bra­ silianischen Norden gedichteten Strophen gedruckt wurden, lässt sich nicht mit Gewissheit nachvollziehen. Das älteste bekannte Exemplar stammt von Leandro Gomes de Barros, der seine Verse erstmals 1893 in einer Druckerei in Vitória de Santo Antão (Pernambuco) vervielfältigen ließ.335 Zu dem Zeitpunkt dichtete der 1865 in Pombal geborene und in Teixeira aufgewachsene paraibanische Poet bereits seit vier Jahren, wie er in der Schlussstrophe von A mulher roubada ver­ merkte.336 Der kleine Ort Teixeira war im 19. Jahrhundert die Wiege der bril­ lantesten Stegreifdichter des Nordens. Später zog Barros nach Pernambuco, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1918 seiner Dichtkunst nachging. Leandro Gomes de Barros gilt als wichtigster Pionier und Patron der literatura popular em verso, weil er als Erster seine Gedichte veröffentlichte, eigenhändig verkaufte und in 335 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 31, 173 f.; Pinto, M., Catalogação de cordel, 2002, S. 7; Abreu, Folhetos de cordel nordestinos, 1997, S. 7; Rossi, Jonas, „A voz do povo“, in: Ocas“ – saindo das ruas (Organização Civil de Ação Social, São Paulo/Rio de Janeiro), Nr. 17 (Dez. 2003), S. 20 f. (20); Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 87 f. 336 Barros, Leandro Gomes de, „Conclusão da mulher roubada“, in: ders., Os dezréis do Governo. Conclusão da mulher roubada. Manoel de Abernal e Manoel Cabeceira, Recife: Typ. Miranda, 1907, S. 5–13, archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cor­ del/Leandro.html.

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jenen Jahren als Einziger ausschließlich davon und dafür lebte. Schon von sei­ nen Zeitgenossen wurde er als „König der Volksdichter“ gefeiert und ging aus den desafios meist als Sieger hervor.337 Sowohl seine hohe schöpferische Pro­ duktivität als auch seine mit unserem Betrachtungszeitraum übereinstimmende Lebens- und Schaffensperiode machen ihn zur idealen Referenz, um Bedeutung und Einfluss der volkstümlichen Literatur auf den Dürrediskurs Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu untersuchen. Zahlreiche Erzeugnisse seines umfangreichen Gesamtwerks sind erhalten, namentlich in einer ihm gewidme­ ten Spezialkollektion der Casa de Rui Barbosa.338 Barros’ früheste Publikation aus dem Jahr 1893 wird als Ausgangspunkt für die erste Generation der schriftlichen Volksdichtung angesetzt, welche in der ers­ ten Dekade des 20. Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebte. Zur zweiten Generation zählen die Poeten, die nach 1930 aktiv wurden, als die meisten Repräsentanten der frühen Ära bereits verstorben waren und als Erbe ein bis in die entferntesten Winkel des Nordens reichendes Netz an Produktions- und Distributionsstruk­ turen hinterlassen hatten.339 Noch in den 1930er- bis 1950er-Jahren, im zweiten goldenen Zeitalter der volkstümlichen Lyrik, übten die dichtenden Meister die zentralen Informations- und Unterhaltungsfunktionen im Hinterland aus. Sie ersetzten Journalisten, Ratgeber und Volkshistoriker, dienten der Zerstreuung und präsentierten ihre Nachrichten, lange bevor andere Medien in die Region vordrangen. Wie in Kapitel  II.2.c näher erläutert, durchlief die brasilianische Presse nach unbeständigen Gehversuchen in der ersten Hälfte des 19.  Jahr­ hunderts erst gegen dessen Ende eine nachhaltige Entwicklung.340 Selbst dann erreichten die Zeitungen der großen Küstenstädte – primär Recife und Forta­ leza – den Sertão über die mangelhaften Transportwege nur mit beträchtlicher Verspätung. Im Versmaß der Volksdichter wurden Neuigkeiten hingegen meist unmittelbar im Anschluss an die berichteten Ereignisse verbreitet. Darüber hi­ naus waren die Reime als „gesprochenes Journal“ direkt auf die Zuhörerschaft zugeschnitten.341 Die bewanderten Versschmiede griffen Informationen des Ta­ 337 FCRB, Leandro Gomes de Barros. Biografia à moda da casa, casaruibarbosa.gov.br/cor­ del/Leandro.html. Siehe auch Maya, Ivone, „Leandro Gomes de Barros. A pesquisa“, in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html; Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 316. 338 FCRB, Cordel – Literatura popular em verso. Apresentação, casaruibarbosa.gov.br/cordel. 339 Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 19, 87; FCRB, Poetas e cantadores, o. D. Zum Einflussgebiet der poesia popular siehe die Auflistung autorisierter Verkäufer von Bahia bis Amazonien auf dem Heftumschlag von Batista, Francisco das Chagas, Inter­ rogatório de Antonio Silvino, Juazeiro do Norte: Editora José Bernardo da Silva, 1957 (ca. 1910–121), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel. 340 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 161 f.; Stols, Brasilien, 1992, S. 128. 341 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 176 („jornal falado“) und ebd., S. 31, 48, 172.

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ges- und Weltgeschehens aus den ihnen zugänglichen Medien auf und rekodi­ fizierten sie für ihre Klientel. Als „natürliche Führer der Gemeinden“ genossen sie mehr Vertrauen als das ferne und den sertanejos fremde Zeitungswesen.342 Folglich bedeuteten die im 19. und 20. Jahrhundert ausgebauten Eisenbahn­ verbindungen, welche den Bezug der Zeitungen erleichterten, nicht etwa das Ende der folhetos. Ganz im Gegenteil verhalfen sie den Poeten und ihrer Poesie ebenfalls zu einer stärkeren Zirkulation.343 Auch aufgrund der hohen Analphabetenrate im Hinterland waren die sich in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts rapide ausdehnenden Zeitungen keine wirkliche Konkurrenz für die Volkslyrik, die erst durch die Erfolgswellen des Transistorradios in den 1930er-Jahren und des Fernsehens zwei Jahrzehnte später eine spürbare Gefährdung erfuhr.344 Seit das Metier zunehmend sein Pub­ likum an Radio und Television verlor, wurde sein gänzlicher Niedergang et­ liche Male vorausgesagt. Tatsächlich verschwanden die folhetos nach und nach von den Märkten, und in einer 1998 abgeschlossenen Studie zur Geschichte der literatura de cordel kündigte Mark Curran das baldige Ende ihrer aktiven Phase an.345 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist jedoch eine neue Generation der längst auch außerhalb akademischer Kreise als literatura de cordel betitelten Kunst herangewachsen. Nicht zuletzt im Internet sind junge cordelistas präsent und setzen sich mit aktuellen Fragen auseinander.346

342 Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 25. Siehe auch ebd., S. 19, 24. 343 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 172. 344 Ebd., S. 31, 41. Zur Ausbreitung des Zeitungswesens in Paraíba siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 332. 345 Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 19. 346 Burckhardt, Eduardo, „Velinho novo em folha“, in: Ocas“ – saindo das ruas, Nr. 17 (Dez. 2003), S. 14–17 (15). Die traditionsreiche Academia Brasileira de Literatura de Cordel aus Rio de Janeiro ist ebenfalls vernetzt (ablc.com.br), und auf der Homepage der Autorengemeinschaft Usina de Letras (Brasília, Campinas, Rio de Janeiro; www. usinadeletras.com.br) sind derzeit 9315 cordéis abrufbar (Stand vom 8.3.2015; am 15.3.2009 waren es 8133). Für den historisch interessierten Forscher bieten zwei wei­ tere Institutionen aus Rio de Janeiro den größten Fundus früher und seltener folhetos: die bereits erwähnte und am besten zugängliche Onlinesammlung der Fundação Casa de Rui Barbosa, mit über 9000 Titeln die größte ihrer Art in Lateinamerika (casaruibar­ bosa.gov.br/cordel/apresentacao.html), und die Cordelteca Digital des Centro Nacional de Folclore e Cultura Popular mit rund 5500 Exemplaren (Biblioteca Amadeu Amaral/ Funarte, cnfcp.gov.br; siehe auch Pinto, M., Catalogação de cordel, 2002, S. 5).

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b) Gesellschaftskritische Themen der volkstümlichen Lyrik Konservation der Moral und Rebellion gegen die Unmoral – ­Canudos  und cangaço

Ebenso wie in anderen Unterhaltungs- und Informationsmedien umfasste die Volksdichtung im 19. und frühen 20. Jahrhundert alle Lebensbereiche, die für ihr Publikum von Interesse sein konnten. In erster Linie vermittelte sie Gesell­ schaftskommentare, d.h. der volksverbundene Liedermacher erörterte die be­ deutsamen Begebenheiten seiner Epoche, berichtete über Alltägliches und die neuesten Sensationen aus dem In- und Ausland. Eines der ersten, wenn nicht das erste Großereignis, das in den gedruckten Heften zeitnah nachgezeichnet wurde, war der „Krieg von Canudos“. Der blutige Konflikt, in welchem die Eigenständigkeit des Volkes und die expandierende Macht des Staates unver­ söhnlich kollidierten, wurde von João Melquíades Ferreira da Silva 1897 als Soldat miterlebt und in seinem Gedicht A guerra de Canudos verarbeitet.347 Vor diesem Zeitpunkt liegende Geschehnisse historischer Relevanz, wie die brasili­ anische Unabhängigkeitserklärung, der Tripel-Allianz-Krieg und die Ausrufung der Republik, wurden rückblickend thematisiert. Neben der Aufbereitung kon­ kreter Einzelereignisse behandelten die Lyriker die generelle Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Viele sahen sich als Sprachrohr einer Volkskul­ tur, deren traditionelle Lebensgewohnheiten sie zu bewahren suchten. Während diese Tendenz ihnen den Ruf des Konservatismus einbrachte, lagen ihnen Re­ volte und Rebellion nicht fern, sobald die in oft stark moralisierenden Versen verteidigten Wertvorstellungen bedroht waren. Leandro Gomes de Barros war der Prototyp des poetischen Gesellschaftskritikers. Seine ermahnende Stimme war vorzugsweise gegen korrupte Würdenträger in Regierung und Justiz gerich­ tet, ohne allerdings individuelle Schuldige zu nennen oder gezielte Reform­ vorschläge zu unterbreiten. Stattdessen verurteilte er in allgemeiner Form die Fehlgriffe des Staates, insbesondere Pflichtverletzungen gegenüber den armen Bevölkerungsgruppen.348 Daraus leitete sich seine beharrliche Bewunderung für 347 Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 27; ders., Crítica social no cordel, 1986, S. 311. Das Gedicht wurde von José Calasans identifiziert: Calasans, José, „A guerra de Canudos“, in: Revista brasileira de folclore (Rio de Janeiro: CDFB), Nr. 14 (Jan.–Apr. 1966), S. 53–64, zit. in: Benjamin, Roberto, „João Melquíades Ferreira da Silva. Bio­ grafia“, in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel. 348 Barros, L., „O povo na cruz“, in: ders., O povo na cruz. Mosca, pulga e persevejo. Se algum dia eu morrer. A intriga da aguardente, Recife: o. V., ca. 1907–08, S. 1–6 (2, 6), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html (Quelle III.2.b-01). Siehe auch Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 37; ders., Crítica social no cordel, 1986, S. 345; Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 125; Albu­

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den cangaceiro Manoel Baptista de Moraes alias Antonio Silvino (1875–1944) ab, den er zum Symbol für den Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit erhob. Das Banditentum mit dem cangaceiro als Helden par excellence, einer Mischung aus Verbrecher und Rächer der Schutzlosen, gehört zu einem der beherrschen­ den Topoi in der volkstümlichen Literatur. Deutlicher als in allen anderen The­ men kommt hier die folkloristische Idealisierung und mythenhafte Verklärung der Realität zum Vorschein. In Antonio Silvino o rei dos cangaceiros ließ Barros den Banditen vom Volk bejubeln, krönte ihn zum Herrn über den Norden, der sittliche Instanz und Legende schon zu Lebzeiten gewesen sei, der die Natur, Gott und die Familie respektiert habe und von diesen drei elementaren Gewal­ ten des Sertão seinerseits geachtet worden sei.349 Für den brasilianischen Kultur­ forscher Luís da Câmara Cascudo war der cangaceiro lediglich ein umherziehen­ der Krimineller, der Reisende und kleine Ansiedlungen im Hinterland überfiel. Bis zu seiner Inhaftierung im Jahr 1914 raubte und mordete Antonio Silvino rücksichtslos, und auch der seit den 1920er-Jahren zu größter Berühmtheit auf­ steigende Virgulino Ferreira (1898–1938) – besser bekannt als Lampião – war ein skrupelloser Schlächter. In den Volkssagen wurde hingegen geschildert, wie die cangaceiros fast immer aus Gründen der Ehre zu Gesetzesbrechern geworden waren, aus Rache für Schandtaten gegen ihre Familie, von der korrupten Justiz ignoriert. Sie trugen Züge eines modernen Robin Hood, welcher der Sage nach die Reichen beraubte und einen Teil der Beute den Armen übergab.350 Francisco das Chagas Batista (1882–1930), geboren in der paraibanischen repentista-Hochburg Teixeira und neben Barros eine der strahlendsten Ikonen der nordbrasilianischen Volksdichtung, rühmte Silvino in etlichen Versen. In Interrogatorio de Antonio Silvino beschönigte er dessen Brutalität nicht, lobte ihn dennoch als guten Banditen, der den Reichen das Geld genommen, es den Armen gegeben habe und den wehrlosen Jungfrauen zur Hilfe geeilt sei. Seine Vergehen, so legte er Silvino dem verhörenden Polizeipräsidenten gegenüber in den Mund, rechneten sich durch seine Wohltaten auf.351 In ähnlicher Manier rechtfertigte Barros dessen Grausamkeit, indem er ihn den Goldschatz eines querque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 89 f. und – zur Volksdichtung nach 1930 – Campos, Renato Carneiro, Ideologia dos poetas populares do Nordeste (Prefácio de Gilberto Freyre. Anotações de Mário Souto Maior), Recife: MEC/Instituto Joa­ quim Nabuco de Pesquisas Sociais/Campanha de Defesa do Folclore Brasileiro/Fu­ narte, 19772, S. 35. 349 Barros, L., Antonio Silvino o rei dos cangaceiros, Recife: Typ. Perseverança, ca. 1910–12, S. 2–15 (4, 14, 15), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Lean­ dro.html (Quelle III.2.b-02). Siehe zudem Maya, Leandro Gomes de Barros – pesquisa, o. D.; Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 60 f. 350 Ebd., S. 62. 351 Batista, F. das Chagas, Interrogatório de Antonio Silvino, ca. 1910–12, S. 10, 16 (Quelle III.2.b-03).

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habgierigen Priesters ausgraben ließ, um mit dem doppelten Diebesgut den Hunger der Notleidenden zu beenden.352 Barros und Batista betonten, dass An­ tonio Silvino erst das „unglückliche Leben“ des cangaço auf sich genommen habe, nachdem die Justiz den Mord seines Vaters ungesühnt gelassen und er so­ gar den Verdacht habe hegen müssen, diese sei selbst darin verstrickt gewesen.353 Trotz seiner Gräuel porträtierten die beiden berühmtesten Volkslyriker Silvino als aufrichtigen, gottesgläubigen und tugendhaften Menschen, dessen Taten seine Ehre nicht verletzten.354 Angesichts der täglich gegen die ausgebeutete Be­ völkerung verübten Vergehen nahmen sie die Gnadenlosigkeit der cangaceiros in Kauf, im Glauben an die Utopie einer gerechteren, humaneren Gesellschaft, auch wenn der Weg dorthin gewaltsam geebnet werden müsse.355 Kritik an korrupten Kirchenvätern und der „teuflischen“ Modernisierung

Bereits an den Gedichten über Antonio Silvino wurde offenkundig, dass Barros und Batista gottesfürchtig waren, deshalb jedoch längst nicht – oder gerade deshalb nicht – die Vertreter der Katholischen Kirche mit ihrer bissigen Satire verschonten. Einerseits konnten sie die Säkularisierung ehemals rein kirchlicher Aufgaben bei Geburt, Hochzeit und Tod durch die neue Zivilrechtsordnung der Republik nicht gutheißen, andererseits nahmen sie Anstoß an der Gewinnsucht, Heuchelei und Korruption des Klerus.356 Mit dieser Haltung verteidigten sie die allgemein akzeptierten Prinzipien einer in aller Regel streng gläubigen und mit 352 Barros, L., Antonio Silvino o rei dos cangaceiros, ca. 1910–12, S. 7 f. (Quelle III.2.b-04). Zur Brutalität Silvinos siehe Barros, L., „As proezas de Antonio Silvino“, in: ders., As proezas de Antonio Silvino. Os calculos de Antonio Silvino, Recife, ca. 1907/08, S. 1–7 (2 f.), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html. 353 Ebd., S. 1 f.; ders., „O nascimento de Antonio Silvino“, in: ders., O nascimento de An­ tonio Silvino. Historia da India, Recife, ca. 1910–12, S. 2–9 (3), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html; Batista, F. das Chagas, Interro­ gatório de Antonio Silvino, ca. 1910–12, S. 4 (Quelle III.2.b-05). 354 Ders., S. 1 (Quelle III.2.b-06). 355 Maya, Leandro Gomes de Barros – pesquisa, o. D. 356 Batista, F. das Chagas, „As victimas da crise“, in: ders., As victimas da crise. História de Antonio Silvino, Recife: Imprensa Industrial, o. D. (zwischen 1902 und 1930), S. 1–8 (3, 4), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel (Quelle III.2.b-07). Zur Habgier der Kirchenoberen siehe auch Barros, L., „O dinheiro“, in: ders., O din­ heiro. Casamento do sapo. Ultimas palavras dum papa, Recife, 1909, S. 1–9 (5–8), archi­ viert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html. Siehe außerdem die Kritik an den Staatssteuern für ehemals in der Verantwortung der Kirche stehende Dienstleistungen in ders., A crise actual e o augmento do sello, Recife: Typ. do Jornal do Recife, 1915, S. 9, archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro. html (Quelle III.2.b-08).

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einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestatteten Bevölkerung im Sertão. Gleichwohl befanden sich die Auffassungen der Poeten nicht schablonenhaft im Einklang mit denen ihrer Landsleute. Ein Beispiel hierfür ist die Darstellung des Paters Cícero Romão Batista (1844–1934) aus Juazeiro do Norte (Ceará), der von unzähligen sertanejos zu Lebzeiten und bis heute als Heiliger verehrt wurde bzw. wird. Nach Beurteilung des Folkloristen Manuel Diégues Júnior habe der Priester wie keine andere Figur die Aufmerksamkeit der Volksdichter auf sich gezogen, er sei eine „kontinuierliche Inspirationsquelle für den poeta popular“ gewesen und stets mit Sympathie bedacht worden.357 Leandro Gomes de Bar­ ros blieb in dieser Einschätzung augenscheinlich unberücksichtigt, denn seine spitze Feder machte vor Padre Cícero nicht halt. In ihm erkannte Barros weniger einen Diener Gottes als vielmehr einen machtpolitischen Akteur. In der aktuel­ len Forschung gilt Cícero Romão Batista als Exempel eines Priester-Coronel, der neben moralischer Führung und materiellen favores seine Herrschaft auf Gewalt und (Wahl-)Betrug aufbaute, ein „Realpolitiker“ und „wichtiger Machthaber im System des regionalen und nationalen Klientelismus“.358 Die Sozialkritik Leandro Gomes de Barros’ wandte sich mit großer Entrüs­ tung gegen den Mangel an Tugendhaftigkeit, welchen er mitsamt den Verände­ rungen des modernen Stadtlebens in den Sertão einzudringen wähnte. Neben der Korruption in Politik, Polizei und Justiz beklagte er den tiefgreifenden und in seinen Worten „teuflischen“ Untergang der traditionellen Welt und Werte, in dessen Sog die Familie als moralischer Halt der Gesellschaft mitgerissen und zerrüttet werde.359 Die Verstöße gegen Anstand und Sitte wurden gemäß Ma­ nuel Diégues Júnior als wahrhafte Attentate gegen Gott interpretiert, gefolgt von der gerechten Strafe des himmlischen Vaters – Hunger und Tod wurden über die Menschen gebracht.360 Der Volksdichter João Martins de Athayde (Pa­ raíba, 1880–1959) beichtete in Foge o povo do sertão seinem Schöpfer die „im­ mense Sünde deines verhungernden Volkes“.361 Nach Meinung des Historikers Durval Muniz de Albuquerque wurden die Dürrekatastrophen als ein Zeichen 357 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 139, 143. 358 Zilly, Anhang zu Krieg im Sertão, 1994, S. 735. Zur Figur des Priester-Coronel siehe Pang, Eul-Soo, Bahia in the first Brazilian republic. Coronelismo and oligarchies, 1889– 1934, Gainesville: University Presses of Florida, 1979, S. 37. Zu Barros’ Urteil über Padre Cícero siehe Maya, Leandro Gomes de Barros – pesquisa, o. D. 359 Barros, L., „O tempo de hoje“, in: ders., O tempo de hoje. O sorteio militar, Guarabira (Paraíba): Pedro Baptista, 1918, S. 1–8 (5  f.), archiviert in: FCRB, Cordel, casarui­ barbosa.gov.br/cordel/Leandro.html; ders., O dinheiro, 1909, S. 2 (Quelle III.2.b-09). Siehe auch Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 319 f.; Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 125, 129. 360 Ebd., S. 129. 361 Athayde, João Martins de, „Foge o povo do sertão“, in: ders., Historia de Roques Ma­ theus do rio de S. Francisco. Foge o povo do sertão, Recife, 1924, S. 6–8 (8), archiviert

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Gottes gedeutet, welcher mit der Abkehr von den althergebrachten Lebensmus­ tern nicht einverstanden gewesen sei und daher die Seelen der Bevölkerung auf dem Leidensweg reinigte.362 In der Poesie beteten die Dürreflüchtlinge zu Gott und ihren Schutzpatronen, weil im Antlitz der alles bezwingenden Macht der Natur, die mit einem „Lächeln der Sonnenstrahlen“ die Dürstenden verdörrte, alle menschliche Anstrengung umsonst erschien.363

c) Die Dürre in den Strophen der Liedermacher Antworten auf die Klimaeinbrüche – resignative Reaktion oder ­eigenständige Aktion?

Gottesfürchtigkeit und Resignation wurden von Forschern der literatura de cor­ del als einzige Antwort der sertanejos auf die vom Himmel gesandte und de­ mütig hinzunehmende Dürre hervorgehoben, wobei in den eingesehenen, mit dieser Frage befassten Studien vor allem Exemplare der Kordel-Literatur aus der Epoche nach 1930 herangezogen wurden.364 Auf der Suche nach Versen zu in: Centro Nacional de Folclore e Cultura Popular (CNFCP), Cordelteca, cnfcp.gov.br (Quelle III.2.b-10). 362 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 94. 363 Barros, L., „O sertanejo no sul“, in: ders., O sertanejo no sul. Debate de Josué Romano e João Carneiro, Parahyba: Popular Editora, ca. 1917/18, S. 1–5 (5); ders., „A secca do Ceará“, in: ders., A secca do Ceará. Panellas que muitos mexem (os guizados da politica), Parahyba: Typ. da Popular Editora, ca. 1915/16, S. 1–8 (6), beide archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html (Quellen III.2.b-12/13). 364 Z.B. Santos, Manuel Camilo dos, Porque é que o mundo está assim tão atrapalhado, Campina Grande: M. C. dos Santos, o. D. („Sofrer com resignação“), auszugsweise abgedr. in: Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 330. Mark Curran versuchte nicht, den unbekannten Verfassungszeitraum zumindest ansatzweise zu erfassen, doch laut biographischer Angaben der Forschungseinrichtung Fundação Casa de Rui Barbosa schrieb Manuel Camilo dos Santos (1905–87) erst seit den 1940er-Jahren eigene Ge­ dichte. Sousa, Maurilio Antonio Dias de, „Manuel Camilo dos Santos. Biografia“, in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel. Weitere Beispiele: Autor unbekannt, Os flagelados da seca no Nordeste, o. O., o. D., S. 7; Fortes, Alberto/Fortes, Sobrinho, A seca no Nordeste, Conceição do Araguaia, o. D., S. 2, beide auszugsweise abgedr. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 111 bzw. 95 (Quelle III.2.c-01). Albuquerque nennt ebenfalls keine Jahreszahlen, bietet gleichwohl selbst an anderer Stelle aufschlussreiche Anhaltspunkte zur Datierung. Er gibt an, „nordestino“ erstmals in einem cordel von 1937 gefunden zu haben. In den allgemeinen Sprachgebrauch der Volksdichtung sei der neue Identitätsterminus jedoch lediglich in den 1950er-Jahren eingegangen. Albuquerque, Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 150; ders., „Ca­

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diesem Thema aus den frühen Jahren der schriftlichen Volksdichtung stellte sich heraus, dass nicht einmal die Autorenschaft eines Künstlers, dessen Lebenszeit auf die entsprechenden Jahre begrenzt war, als sicheres Indiz für die zeitliche Zuordnung gelten kann. So befindet sich im von der Casa de Rui Barbosa archi­ vierten Fundus des Lyrikers Francisco das Chagas Batista der Titel Schrecken des Winters von 60. Die Wehklagen des Volkes im Nordosten.365 Dem ersten Anschein nach muss es sich um einen Rückblick auf den Winter von 1860 handeln, zumal der Poet kein Prophet und 1960 bereits seit 30 Jahren verstorben war. Stutzig macht die zu seinen Lebzeiten in der Volksdichtung noch nicht übliche Verwendung der Bezeichnung „Nordosten“.366 Der Inhalt des Gedichtes löst schnell alle Zweifel – bis auf einen: Wer war der eigentliche Autor? Es wurden eindeutig die „horrores do inverno“ aus dem Jahr 1960 beschrieben, da unter anderem der damals im Bau befindliche Staudamm von Orós in Ceará erwähnt wird. Dieser erlitt im März jenes Jahres, in Übereinstimmung mit den Anga­ ben des Dichters und Informationen der Dürrebekämpfungsbehörde DNOCS, schwere Schäden durch sintflutartige Wolkenbrüche.367 Das Werk von „F. Cha­ gas“, in der bedeutendsten Sammlung der lateinamerikanischen Volksliteratur fälschlicherweise Francisco das Chagas Batista zugeschrieben, fällt folglich um mehr als drei Dekaden aus unserem zeitlichen Rahmen.368 Dennoch kann es zu wichtigen Schlussfolgerungen verhelfen. In ihm wird die armselige Moral der Moderne skizziert, wobei Fußball und Strandbäder in einem Atemzug mit Hass

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bra da peste!“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblioteca Nacional), Bd. 2, Nr. 17 (März 2005), S. 32–36 (36). Es ist davon auszugehen, dass auch der im politischen Diskurs geprägte Terminus „Nordeste“ erst nach 1930 allmählich vom Volksdiskurs aufgegriffen wurde, was auf ein späteres Datum der hier von ihm angeführten Verse hindeutet. Batista, Francisco das Chagas [sic], Os horrores do inverno de 60. O clamor do povo do Nordeste, o. O., o. D., unter diesen Angaben archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibar­ bosa.gov.br/cordel [Autorenname im Versheft: Chagas, F.]. Siehe die Erklärung in der vorvorherigen Fußnote. Ebd., S. 4 f. (Quelle III.2.c-02); DNOCS, Barragem de Orós, dnocs.gov.br. Zu den ersten, erfolglosen Initiativen des seit 1912 anvisierten Staudammbaus in Orós siehe ebd. und Pessoa, E., „Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da segunda sessão da décima primeira legislatura a 3/5/1922“, in: ders., Obras completas, Bd. XVII, 1956, S. 413–603 (552). Siehe hierzu außerdem im Quellenanhang: Cal­ lado, Antônio, Os industriais da sêca e os „Galileus“ de Pernambuco (Aspectos da luta pela reforma agrária no Brasil), Rio de Janeiro: Civilização Brasileira, 1960, S. 15. Ein weiteres Gedicht von Francisco das Chagas bestätigt, dass dieser nicht mit Fran­ cisco das Chagas Batista (1882–1930) identisch sein kann, zumal in dem betreffenden cordel die Präsidenten Garrastazu Médici (1969–74) und Ernesto Geisel (1974–79) erwähnt werden. Chagas, Francisco das, Um poeta abandonado (Série Cordel, Bd. 8), Natal: Fundação José Augusto, o. D., S. 12, archiviert in: CNFCP, Cordelteca, cnfcp. gov.br.

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und Verbrechen genannt werden. Anrüchige, als Gotteslästerung angesehene Moden, im Karneval zur Schau gestellt, würden die himmlische Strafe heraus­ fordern. In Analogie zu biblischen Prophezeiungen der Tempelzerstörung be­ schwöre die blasphemische Haltung der Menschen ihren Untergang herauf. Der göttliche Groll gehe in Gestalt vernichtender Regenfälle und Überschwemmun­ gen auf die Sünder nieder, dazu bestimmt, ihnen Frömmigkeit einzuflößen. Die Rettung vor der Naturgewalt könne nur vom Allmächtigen kommen.369 Die Verbindung von Gott bzw. Gottlosigkeit und Dürrekatastrophe ist hier sehr viel stärker als in den frühen folhetos. Als Ausweg wird vom Volk keine nach vorn ge­ richtete Aktion erwartet, sondern eine resignative Rückkehr zu den als Tradition anerkannten Lebensweisen. Auch die Dichter der ersten Generation appellierten an die Demut, doch sie beschränkten sich nicht darauf. In ihren poetischen Zeilen bekannten sich die Protagonisten ebenfalls zu ihren Sünden, beteten zu Gott und Padre Cícero und baten um Regen, allerdings nicht nur, um der Dürre zu entkommen. In erster Linie fürchteten sie die Ausbeutung, die sie ansonsten umso härter von den Plantagenbesitzern erführen.370 Die frommen sertanejos wandten sich an die Mutter Gottes als spirituelle Führerin und Trostspenderin in ihrer Not. Anstatt sich indes ihrem Schicksal zu ergeben, nahmen sie es selbst in die Hand und durchwanderten das gesamte Land in der Hoffnung auf bessere Lebensbedin­ gungen.371 In A secca do Ceará ließ Leandro Gomes de Barros die Menschen in ihrer Verzweiflung die Zuflucht zu Gott suchen, sprach aber zugleich eine un­ missverständliche Kritik an der für die Misere mitverantwortlichen Regierung aus.372 Die Lyriker erblickten das von Gott über die Sünder gesandte Übel nicht allein in der Dürre, sondern ebenso in anderen Krisenfaktoren wie dem wirt­ schaftlichen Verfall und der staatlichen Steuerlast.373 Die in der späteren Zeit betonte Resignation der sertanejos kam bei den Vertretern der ersten Genera­ tion keiner stillschweigenden Selbstaufgabe gleich. Barros forderte zwar Geduld und deterministische Akzeptanz in den alltäglichen Kämpfen des Überlebens 369 Batista, F. das Chagas [sic], Os horrores do inverno de 60, o. D., S. 1 f., 6 f. (Quelle III.2.c-03). 370 Barros, L., O retirante, Recife: João Martins de Athayde, 1946 (Verfassungsdatum unbekannt), S. 5, archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro. html (Quelle III.2.c-04). 371 Athayde, Foge o povo do sertão, 1924, S. 7 (Quelle III.2.c-05). 372 Barros, L., A secca do Ceará, ca. 1915/16, S. 6–8. Weitere Ausführungen zu diesem Gedicht und zur Regierungskritik folgen im Anschluss. 373 Beispiel: „a crise chegou (...) o Omnipotente (...) mandou o mal“. Batista, F. das Cha­ gas, As victimas da crise, o. D. (zwischen 1902 und 1930), S. 2. Gemeint waren nicht die Trockenperioden, sondern ökonomische und fiskalische Bürden: „O negociante (...) dizia (...) / Além do desgosto / De ficar quebrado, / Me vejo obrigado / A pagar imposto!“ Ebd., S. 4.

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in einer widersprüchlichen Welt,374 ließ die beklagenswerten Zustände der Ge­ sellschaft jedoch keineswegs auf sich beruhen. Mittels seiner Verse brachte er die Ungerechtigkeiten ins Bewusstsein der Bevölkerung und schuf damit die Voraussetzung zur Diskussion und zu einer möglichen Abwendung. Er demons­ trierte seinen Platz an der Seite des Volkes, welches er durchaus zur Rebellion fähig und bereit sah, auch wenn seine Bekundung dieses Potentials vermutlich eher als Warnung an die Obrigkeit denn als Aufruf an die Unterworfenen zu verstehen ist.375 Die Trockenperioden in der frühen Phase der Volksliteratur

Um das Dürrethema in der volkstümlichen Dichtung der ersten drei Dekaden des 20.  Jahrhunderts zu identifizieren, wurden die maßgebenden Exponen­ ten der ersten Generation (1893–1930) untersucht. Hinzugenommen wurde der bereits vorgestellte João Martins de Athayde (1880–1959), welcher von der Fundação Casa de Rui Barbosa erstaunlicherweise zur zweiten Generation gezählt wird, obwohl er neben Leandro Gomes de Barros (1865–1918) und Francisco das Chagas Batista (1882–1930) zu den Publizisten der ersten Jahre gehörte. Barros veröffentlichte seine Poesie erstmals 1893, Batista 1902 und Athayde 1908.376 Dank der speziellen Sammlung zu Leandro Gomes de Barros in der Casa de Rui Barbosa ist in seinem Fall eine thematische Kategorisierung relativ fun­ diert zu bewerkstelligen. Von 208 archivierten Titeln sind dort fünf explizit als Dürremotive ausgewiesen. Bei einer näheren Prüfung können davon drei als dezidierte Dürre-Verse eingestuft werden – O retirante, A secca do Ceará und O sertanejo no sul. In den beiden anderen tritt die Trockenheit nur am Rande in Erscheinung: O sorteio militar schenkt dem Niederschlagsmangel eine einzige beiläufige Zeile, und A crise actual behandelt ihn parallel zur allgemeinen Krise, wobei die Steuern im Mittelpunkt stehen.377 Insgesamt sind die Ausdrücke 374 „Devemos ter passiencia / Lutar com as couzas do mundo / Um nasce para o trabalho / Outro para vagabundo“. Barros, L., „Queixas geral“, in: ders., As miserias da epocha. O mal em paga do bem (conclusão). Queixas geral, Recife: Atelier Miranda, ca. 1906 oder früher, S. 15 f. (Versheft unvollständig: S. 5–14 fehlen), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html. 375 „(...) o povo é rebelde“. Barros, L., Um pau com formigas, Recife, ca. 1912, S. 4, archi­ viert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html. 376 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 46; Abreu, Folhetos de cordel nordestinos, 1997, S. 8. 377 Barros, L., „O sorteio militar“, in: ders., O tempo de hoje. O sorteio militar, Guarabira (Paraíba): Pedro Baptista, 1918 (19051), S. 8–16 (15), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html; ders., A crise actual, 1915, S. 1–12.

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„secca“ (alte Schreibweise) und „seca“ (neue Orthographie) 15- bzw. 24-mal in den von der Casa de Rui Barbosa zusammengetragenen Gedichten von Leandro Gomes de Barros vorhanden.378 Der Großteil dieser Erwähnungen entfällt auf die bereits angegebenen Titel oder ist für unseren Zusammenhang unerheblich, da nicht die „Dürre“ bezeichnet wird, sondern das Wort in der allgemeinen Be­ deutung „trocken“ Verwendung findet. Darüber hinaus wird lediglich in einem weiteren Gedicht, O imposto e a fome, die Dürrekatastrophe angesprochen, und dies ähnlich wie in A crise actual in einem Atemzug mit der generellen ökono­ mischen Notlage. Nur nebensächlich fällt der Begriff in Antonio Silvino, no jury – debate de seu advogado, Os homens da Mandioca und O boi misterioso.379 Somit sind die Trockenperioden beim wichtigsten Autor der ersten Generation von 208 erfassten Gedichten ausschließlich dreimal zentrales Motiv, weitere dreimal ein peripherer Stoff und dreimal eine Marginalie.380 Zum Vergleich sei ange­ merkt, dass die Sucheingabe des im Katalog der Casa de Rui Barbosa indizierten Themas „sogra“ (Schwiegermutter) im Opus von Leandro Gomes de Barros ganze 59-mal, auf 31 Werke verteilt, zum Erfolg führt.381 Die weiteren herausragenden Volksdichter unseres Betrachtungszeitraums im Visier, ergibt sich bei der Erkundung der Dürre im Digitalarchiv der Casa de Rui Barbosa eine noch geringere Ausbeute. Weder die Titel von Francisco das Chagas Batista und João Martins de Athayde noch jene von Silvino Pirauá de Lima (Paraíba, 1848–1913), João Melquíades Ferreira da Silva (Paraíba, 1869– 1933) und José Camelo de Melo Resende (Paraíba, 1885–1964) lassen auf the­ 378 „Temas: Seca“, in: FCRB, Leandro Gomes de Barros, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Lean­ dro_colecao.html, abgerufen am 19.4.2015. 379 Barros, L., O imposto e a fome, Recife, 1909, S. 1–6; ders., Antonio Silvino, no jury – Debate de seu advogado, o. O., o. V., o. D., S. 8; ders., „Os homens da mandioca“, in: ders., Os homens da mandioca. Debate de Josué Romano com Amaro Coqueiro do Piauhy, Parahyba: Tip. da Popular Editora, 1915, S. 1–9 (1); ders., „O boi misterioso“, in: Proença, Manoel Cavalcanti, Literatura popular em verso, 3 Bde., Bd. 1: Antologia, Rio de Janeiro: Fundação Casa de Rui Barbosa/Ministério da Educação e Cultura, 1964 (Verfassungsdatum des Gedichtes unbekannt; zuvor veröffentlicht: Recife, 1948), S. 485–507 (486), alle vier Gedichte archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov. br/cordel/Leandro.html. 380 In dieser Aufstellung wurden jene Gedichte berücksichtigt, die von der Fundação Casa de Rui Barbosa in die Klimarubrik eingruppiert wurden oder „secca“ bzw. „seca“ be­ inhalten. Nicht auszuschließen sind zusätzliche Dürre-Verse, in denen das Wort als solches nicht vorkommt. Ein fragmentarisch überliefertes Beispiel hierfür ist Barros, L., Queixas geral, ca. 1906, S. 15 (Quelle III.2.c-06). 381 Siehe z.B. „Impfung gegen die Schwiegermutter“: Barros, L., „Vaccina para não ter sogra“, in: ders., Vaccina para não ter sogra. Peleja de Josué Romano e Manoel Serrador. Recordações, Recife: o. V., 1911, S. 1–6, archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa. gov.br/cordel/Leandro.html. Suchbegriff „Temas: Sogra“, in: FCRB, Leandro Gomes de Barros, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro_colecao.html, abgerufen am 19.4.2015.

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matisierte Trockenperioden schließen. Von Athayde käme O retirante in Frage, welches Barros zugeschrieben wird und aus seiner Feder bereits einberechnet wurde. Die Bestimmung der Verfasser ist oft ungewiss, weil die folhetos häufig ohne Autorennachweis veröffentlicht wurden oder Editoren, die nie einen Vers zu Papier brachten, als Urheber zeichneten. Dass unter diesen Umständen die heutigen Folkloristen bei der Zuordnung der Gedichte vor teilweise unlösbaren Herausforderungen stehen, wird am genannten Beispiel O retirante deutlich, welches im Archiv der Casa de Rui Barbosa unter den Namen gleich dreier Au­ toren anzutreffen ist – Barros, Athayde und José Bernardo da Silva. Wie Maria Rosário de Fátima Pinto vom Museu do Folclore einräumt, widerfuhr Barros bei mehreren seiner Werke diese doppelte Inanspruchnahme durch seine späteren Verleger Athayde und Silva.382 In Übereinstimmung mit der numerisch erfolglosen Fahndung nach Dür­ restrophen der frühen Volksdichter im Archiv der Casa de Rui Barbosa bietet der Blick in die zweitwichtigste brasilianische cordel-Sammlung, von der Biblioteca Amadeu Amaral betreut, ein vergleichbares Bild. Von den erwähnten Autoren, erweitert um den in der Casa de Rui Barbosa nicht vertretenen Pacífico Pacato Cordeiro Manso (1865–1931), sind dort unter dem Suchbegriff „Dürre“ le­ diglich zwei der Barros-Gedichte und zwei weitere Funde zu verbuchen. Bei den beiden letzteren handelt es sich um die Flucht vor der Trockenheit in Foge o povo von João Martins de Athayde und um die Historia de Bernardo Cintura von José Adão Filho, welche neben der allgemeinen Krise auch das Klima auf­ greift.383 Im Fall von Athayde ist es verblüffend, dass von 344 Markierungen in der Cordelteca nur eine für unsere Fragestellung von Interesse ist. Generell ist nicht die Dürre an sich eine Rarität, sondern lediglich ihre Verarbeitung vor 1930. So bringt der an der alten Schreibweise orientierte Suchbegriff „secca“ in der Cordelteca Digital der Biblioteca Amadeu Amaral zwölf Eintragungen zum Vorschein, die neuere „seca“ 755.384 Diese liegen fast alle außerhalb unserer Un­ tersuchungsperiode, was meist schon an der Verwendung der Begriffe Nordeste und nordestino zu erkennen ist. 382 FCRB, João Martins de Ataíde, casaruibarbosa.gov.br/cordel; Pinto, M., Catalogação de cordel, 2002, S. 13 f. 383 Barros, L., O sorteio militar, 1905; ders., Os novos impostos, Parahyba: Popular Edi­ tora, 1923, archiviert in: CNFCP, Cordelteca, cnfcp.gov.br, offensichtlich eine postume Neuauflage von ders., O imposto e a fome, 1909; Athayde, Foge o povo do sertão, 1924, S. 6–8; Adão Filho, José, Historia de Bernardo Cintura (Allusão a fome no sertão), Re­ cife: Typ. R. Dourado, 1925 (1919 verfasst), S. 1–5, archiviert in: CNFCP, Cordelteca, cnfcp.gov.br. 384 „Pesquisa: Seca“, in: CNFCP, Cordelteca, cnfcp.gov.br, abgerufen am 1.4.2009. Am 8.3.2015 ergab „seca“ nahezu die zweifache Anzahl (1341), während sich das Resultat von „secca“ (16) kaum verändert hatte.

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Angesichts der eher sporadischen Behandlung in der frühen Volksdichtung verwundert die von keinerlei temporalen Differenzierungen eingeschränkte Aussage des Folkloristen Manuel Diégues Júnior, die Natur und dabei insbe­ sondere die Trockenheit seien ein stetiges Motiv in der poesia popular.385 Sogar ausdrücklich im Kontext der ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts nennt Mark Curran in seiner Analyse der „literatura de cordel“ die Dürre an vorderster Stelle der „wahrhaft ernsten Probleme des Nordostens“, noch vor den Steuern, den hohen Lebenshaltungskosten, dem Mangel an Gerechtigkeit und der über­ mäßigen Korruption in der regionalen Politik.386 All diese Punkte können für die Zeit einwandfrei als dominante Themen dokumentiert werden – außer der Dürre.387 Diégues zufolge wurden die berühmten Trockenperioden von 1792, 1877, 1888, 1915 und 1919 von den Volksdichtern rezitiert, wobei keine ein größeres Echo in der Folklore gefunden habe als die Dürre von 1877.388 Auf­ grund der erst Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Publikationen wurden ausschließlich die Trockenperioden von 1915 und 1919 zeitnah – und nicht viele Jahre oder Jahrzehnte zurückblickend – beschrieben. Als Beispiel zitiert Diégues eine Strophe über die Dürre von 1919, welche ihrer „Mutter von 1888“ und ihrer „Großmutter von 1877“ die „Überheblichkeit austreiben“ werde.389 Mehrere historische Quellen widersprechen dieser Einstufung des Klimaein­ bruchs von 1919.390 Die Vertreter der Nordostpolitik Epitácio Pessoas waren hingegen bemüht, der damals aktuellen Trockenperiode eine derartige Bedeu­ tung beizumessen. Ihre Version könnte durchaus die Dichtung beeinflusst ha­ ben. Indem Folkloristen und Historiker den Trockenzeiten im volkstümlichen Poesie-Genre unter Vernachlässigung der inhaltlichen Weiterentwicklung zu Unrecht eine durchgehend prominente Position zuschreiben, adoptieren sie den sich darin widerspiegelnden politischen Dürrediskurs und führen ihn – ebenso wie die literatura de cordel – unbeabsichtigt fort. Dieses noch mit hohem For­ schungsbedarf verbundene Phänomen lässt sich mit der Evolution der nord­ ostbrasilianischen Romanliteratur seit den 1930er-Jahren vergleichen. Durch die Akzentuierung der klimatischen Komponente unterstützte sie den macht­ politisch motivierten Dürrediskurs der Agraroligarchie, obschon die Autoren ursprünglich das Gegenteil bezweckt haben mögen.391 Es ist davon auszugehen, 385 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 94. 386 Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 326. 387 Die nähere Erörterung dieser Gesichtspunkte erfolgt in den entsprechenden Unterka­ piteln. 388 Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 94. 389 Nonato, Pedro, o. T., o. D., o. O., auszugsweise abgedr. in: Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 94 (Quelle III.2.c-07). Weitere Beispiele sind Barros, L., A secca do Ceará, ca. 1915/16, S. 1–8; Adão, Historia de Bernardo Cintura, 1919, S. 4 f. 390 Siehe Kapitel IV.3.c. 391 Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 191 f., 199, 209 f.

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dass die regionalistische Literatur nach 1930 auch auf die zunehmende Thema­ tisierung der Trockenheit in der literatura de cordel hinwirkte. In der frühen Epoche der schriftlichen Volksdichtung waren politische und ökonomische Sachverhalte sehr viel stärker vertreten als die Dürre, welche al­ lenfalls in diese eingebettet mit einbezogen wurde. Die großen sozialen Fragen und in ihrem Zusammenhang das Verbrecher- und Banditentum waren weitere Kernstücke der Versschmiedekunst. Von den 45 folhetos, die eindeutig Fran­ cisco das Chagas Batistas zugeordnet werden können, sind allein 19 dem damals aufsteigenden und um sich greifenden cangaço gewidmet.392 Die wenigen Ge­ dichte, die sich speziell mit den Trockenperioden auseinandersetzen, zeichnen die erschütternden und Aufsehen erregenden Extremfälle der Hungermiseren und die aufreibende Flucht vor der Dürre nach. In Crato, so habe João Martins de Athayde aus erster Hand von einem Fähnrich gehört, verspeisten zwei Frauen in ihrer Verzweiflung ein Mädchen.393 Leandro Gomes de Barros schilderte, wie eine ausgemergelte Mutter ihren Säugling ein letztes Mal an sich drückte, be­ vor beide starben.394 Es sind die herzzerreißenden Szenen, die im Kongress von den Abgeordneten des Nordens beschworen wurden, doch aus dem Mund der Volkslyriker eine größere Authentizität gewannen. Ein weiteres Element, das ebenfalls sowohl im parlamentarischen als auch im volkstümlichen Diskurs eine wichtige Funktion einnahm, ist die Illusion von der Fülle vor der Dürre. Der Mythos von der Fülle und die Idealisierung der Vergangenheit

Ehemals mit Blumen übersäte Flusstäler stehen in der Volksdichtung einer ver­ wüsteten Grabeslandschaft regenloser Jahre gegenüber, das Lachen besserer Zei­ ten verkümmert zum Seufzen während der Hungersnot, die Pracht fruchtbarer Felder macht einer furchtbaren Einöde Platz. Fülle und Freude weichen der Dürre, und selbst bei den Reichen klopft die Armut an die Tür. Sobald die Krise hingegen vorüber ist, herrscht wieder Überfluss, denn außerhalb der Trocken­ perioden erquickt das geliebte Hinterland seine Bewohner mit dem gesündesten Klima.395 Diese Schimäre der Opulenz im mystifizierten Sertão vor der Dürre beruht auf dem Trugbild, dass im Winter, also der Regenzeit, der semi-aride Norden einem Paradies gleichkomme. Mit den Niederschlägen mochte die Na­ 392 Silva, José Fernando Souza e, „Francisco das Chagas Batista. Biografia“, in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel. Siehe auch Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 28. 393 Athayde, Foge o povo do sertão, 1924, S. 8 (Quelle III.2.c-08). 394 Barros, L., A secca do Ceará, ca. 1915/16, S. 3 (Quelle III.2.c-09). 395 Ebd., S. 4; ders., O imposto e a fome, 1909, S. 3; Adão, Historia de Bernardo Cintura, 1919, S. 4 f.; Athayde, Foge o povo do sertão, 1924, S. 7 (Quelle III.2.c-10).

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tur vorübergehend aufblühen und ein karges Überleben sichern, aber die grund­ sätzliche Armut blieb bestehen. Sie wurde von den meisten Menschen hinge­ nommen, bis die nächste Trockenheit über sie hereinbrach und offenbarte, dass in den Tagen der ‚Üppigkeit‘ keinerlei Reserven beiseite gelegt werden konnten, um ein außerordentliches Ausbleiben des Regens zu überstehen. Die mythische ‚Reichlichkeit von einst‘ darf nicht als herausragendes Dürrebzw. Antidürrethema überbewertet werden. Es handelt sich hierbei um einen Aspekt, der im Volksdiskurs in einem breiteren, über das Klimaphänomen hinausreichenden Bezugsrahmen angesiedelt war. Die Verklärung der Vergan­ genheit machte einen bedeutenden Bestandteil der bäuerlichen Ideologie aus, diente als diskursives Mittel, um die Unzufriedenheit mit der Gegenwart kon­ trastiv verstärkt zum Ausdruck zu bringen. Francisco das Chagas Batista gab in As victimas da crise der Wehmut der Landleute eine Stimme, den Verlust der „guten Zeiten“ lamentierend, als niemand an Armut habe denken müssen, die mit einer erleuchteten Kerze nicht zu finden gewesen sei. In der zweiten Stro­ phe beklagte er das „Ende der Fülle“ und die „Ankunft der Krise“, sprach im gesamten Gedicht jedoch in keiner Weise die Trockenheit an.396 Der Mythos des Überschusses und mit ihm einhergehend die Sehnsucht nach jenem legendären „goldenen Zeitalter“397 waren Topoi, die in der poesia popular in einer festen Tradition standen. Sie hatten nicht nur und nicht einmal an erster Stelle die Dürre und die mit ihr verbundenen Veränderungen zum Inhalt, sondern nähr­ ten sich vor allem aus den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Ein drastischer Einschnitt in dieser Beziehung war der Erste Weltkrieg, obwohl die brasilianischen Truppen nicht an den Kampfhandlungen teilnahmen, weil sie erst gegen Ende des Konflikts nach Europa geschickt wurden.398 Die indirekten Auswirkungen, etwa die Absatzminderung der brasilianischen Exportprodukte und die sich auf den Binnenmarkt ausweitende Teuerung der Importe, waren in Übersee unmittelbar zu spüren. Im letzten Kriegsjahr, zugleich seinem letzten Lebensjahr, rief sich Leandro Gomes de Barros dichterisch ins Gedächtnis, wie es zuvor doch alles besser gewesen sei – das Fleisch billig, Kaffee vorhanden und Übel gänzlich unbekannt. Dass er hiermit eher ein Wunschbild als die Wirk­ lichkeit besang, scheint Barros selbst eingestanden zu haben, indem er die her­ beigesehnte paradiesische Welt von früher einen „goldenen Traum“ nannte.399 396 Batista, F. das Chagas, As victimas da crise, o. D. (zwischen 1902 und 1930), S. 1 f. (Quelle III.2.c-11). Vgl. hierzu Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 98. 397 Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 319. 398 Ders., História do Brasil em cordel, 1998, S. 40. Die Kriegserklärung Brasiliens an das Deutsche Reich erfolgte aufgrund der deutschen U-Boot-Offensive von 1917, welcher auch brasilianische Schiffe zum Opfer gefallen waren. FCRB, Leandro Gomes de Barros. Fatos & versos, casaruibarbosa.gov.br/cordel. 399 Barros, L., O tempo de hoje, 1918, S. 3, 6 (Quelle III.2.c-12).

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Die Beschönigung der traditionellen Lebensweisen sollte dazu beitragen, für die Zukunft – zumindest in Gedicht und Gedanken – ein sorgenfreies Dasein zu kreieren, während de facto Vergangenheit und Gegenwart von Gewalt, Konflik­ ten und Entbehrung geprägt waren.400 Allgemeine Armut, Ausbeutung und Anfälligkeit für die Dürre

Der Haushalt der Kleinbauern und mittellosen Arbeiter bewegte sich stets an der Grenze der Subsistenz, da sie einen Großteil ihrer Erzeugnisse an den Pa­ tron abzugeben hatten und die verbleibenden Einkünfte oft vollständig dem obligatorischen Warenbezug in dessen barracão mit äußerst überhöhten Prei­ sen zum Opfer fielen. Die Lebensmittelvorräte reichten im Normalfall maximal sechs Monate, für die Dauer der üblichen Trockenzeit. Mit keinerlei weiteren Rücklagen ausgestattet, war die Landbevölkerung ständig der Gefahr ausgesetzt, in Krisenzeiten unmittelbar unter das Existenzminimum zu fallen. Die Armut versetzte die Menschen in eine Lage engster Abhängigkeit von der Natur, so dass die Angst vor einer ausgedehnten Trockenperiode verständlicherweise stets präsent war. Nach Ansicht des Historikers Durval Muniz de Albuquerque as­ soziierten die sertanejos daher die Dürre mit einer ganzen Reihe von sozialen Problemen, obschon diese – losgelöst vom Naturphänomen – Produkte der Ge­ sellschaftsstruktur waren.401 In seiner Analyse des Volksdiskurses berücksichtigt Albuquerque vornehmlich jüngere Verse über die Dürrekatastrophen. Wie be­ reits erwähnt, war die Trockenheit auch bei den frühen Autoren ein Sorgenkind, gleichwohl eines mit vielen Geschwistern. In O sorteio militar (1905) klagte Leandro Gomes de Barros über die Geißel der Dürre im Norden und zugleich über den quälenden Missbrauch aus dem Süden, als dessen Folterinstrumente er die „Streckbank der Steuerpolitik“ und die „Daumenschraube der militäri­ schen Zwangsrekrutierung“ aufzählte.402 Die Misere bezog er bei weitem nicht allein oder primär auf die ausbleibenden Niederschläge. Seine Kritik traf dort ins Schwarze, wo zentralstaatliche Interessenpolitik der Notwendigkeit, die Not zu wenden, entgegenstand. Anstatt das Los der unter Trockenheit und Teuerung leidenden Bevölkerung zu erleichtern, erschwerte die Regierung deren Schicksal durch zusätzliche Steuern, wie Barros mit scharfzüngiger Satire zu verstehen gab.403

400 Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 100, 142, 377. 401 Ebd., S. 99. Siehe auch ebd., S. 109 f., 123; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 77. 402 Barros, L., O sorteio militar, 1905, S. 15 (Quelle III.2.c-13). 403 Ders., A crise actual, 1915, S. 1 (Quelle III.2.c-14).

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Die ersten zehn Jahre der Republik waren geprägt von politischem und öko­ nomischem Chaos, begleitet von kostspieligen Militäraktionen in der Revolução Federalista in Rio Grande do Sul (1893–95) und in Canudos (1896–97). Im Jahr 1898 übernahm Präsident Manuel Ferraz de Campos Sales die Führung eines nahezu bankrotten Landes. Um die Wirtschaft zu beleben, bemühte sich Campos Sales um Anleihen aus Europa und erhöhte die Steuern. Die Staats­ kasse wurde saniert, doch die Masse der unteren Schichten verarmte noch stär­ ker. Die Steuermarken (selos) wurden in der Volksdichtung zum Sinnbild des in der Bevölkerung allseits wachsenden Unmuts aufgrund der Staatsinterventio­ nen und der politischen Korruption.404 In der ersten Dekade des 20. Jahrhun­ derts wurden die Abgaben auf Konsumgüter weiter angehoben.405 Im Anschluss an heftige Proteste der Bevölkerung wurden sie vorübergehend auf ein Drittel reduziert, bis Finanzminister João Pandiá Calógeras unter Präsident Wenceslau Braz (1914–18) der Steuereintreibung eine neue Dynamik verlieh. Die erneut erhöhten Staatstribute kamen zur damaligen Preissteigerung infolge des Ersten Weltkriegs hinzu, woraufhin sich aus Perspektive der Poeten im ganzen Land nur noch die Regierung wohlauf befinden konnte.406 Schon im Gedicht O im­ posto e a fome aus dem Jahr 1909 wurden die Steuern personifizierend als „Kol­ lege“ des Hungers vorgestellt. Letzterem grauste es vor der Ankündigung des gerade gewählten Präsidenten Hermes da Fonseca (1910–14), die Dürre auszu­ löschen und der Nahrungsnot ein Ende zu bereiten. Sein Freund, der Staatszins, konnte ihn beruhigen – „Die Politik ist auf unserer Seite, (...) solange es eine Regierung gibt, herrschen Hunger und Gebühren“.407 Inmitten des tristen Szenarios wurde die Trockenheit nicht isoliert als Na­ turphänomen gesehen, sondern in einem gesamtgesellschaftlichen Bild parallel zur erdrückenden Abgabenlast. Leandro Gomes de Barros war von der Lösbar­ keit des Problems überzeugt, sofern der politische Wille bestehe. In A secca do Ceará, einem dem Titel nach explizit auf die Dürre ausgerichteten Gedicht, beschrieb er diese neben Krieg und Steuern lediglich als eines von vielen Ele­ menten des Elends. Der Volksdichter war weit davon entfernt, allein auf die Hilfe Gottes zu warten. Vielmehr hatte er die Gewissheit, die Regierung könne die Hungerleidenden retten. Doch von den Potentaten, auf allen Ebenen der 404 Ders., „As miserias da epocha“, in: ders., As miserias da epocha. O mal em paga do bem (conclusão). Queixas geral, Recife: Atelier Miranda, ca. 1906 oder früher, S. 1–4 (1 f.), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html (Quelle III.2.c-15); Curran, História do Brasil em cordel, 1998, S. 28, 38, 57 f. 405 FCRB, Leandro Gomes de Barros. Fatos & versos, o. D. Barros reagierte mit O imposto e a fome, 1909, S. 1–3 (Zitate siehe unten). 406 Barros, L., A crise actual, 1915, S. 9, 12; ders., O tempo de hoje, 1918, S. 6 (Quelle III.2.c-16); FCRB, Leandro Gomes de Barros. Fatos & versos, o. D. 407 Barros, L., O imposto e a fome, 1909, S. 1–3 (Quelle III.2.c-17).

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Macht, erwartete er nur, dass sie gar noch die Knochen der Dürrekadaver auf dem Markt feilböten. Mark Curran zufolge zeigt A secca do Ceará deutlich die im Klima begründete ökonomische Situation des Nordostens.408 Die fehlenden Niederschläge als Ursache des Übels fixierend, kommt Curran dem Dürredis­ kurs näher als die damaligen Volkslyriker. Leandro Gomes de Barros pointierte in erster Linie die unbarmherzige Haltung der Regierung, die in Zeiten größter Bedrängnis ausschließlich an ihre eigenen Einnahmen und Bereicherung ge­ dacht habe. In die gleiche Richtung zielt A crise actual e o augmento do sello. Obgleich von den Forschern der Casa de Rui Barbosa speziell unter der Rubrik „Dürre“ einsortiert, behandelt das Gedicht die Trockenperioden nur nebensäch­ lich als Teil der Krise, nicht als deren Inbegriff.409 Auswirkungen des Wassermangels für Arm und Reich

Ein weiterer Aspekt, der in der jüngeren literatura de cordel identifiziert wurde, in den frühen Versen hingegen differenziert zu beurteilen ist, bezieht sich auf die Meinung, die Dürre treffe sämtliche Bewohner des Hinterlands gleicher­ maßen.410 Bei den Dichtern der ersten Generation litten ebenfalls Menschen aus allen sozialen Schichten: Ein Angestellter verspeiste in seiner Not Bananen­ schalen, und ein Zuckerbaron musste sich mit Küchenresten begnügen und die Taufe seines Kindes beim Vikar „anschreiben“ lassen.411 Allerdings ist auch in diesem Kontext die Assoziation des Unheils mit der Dürre zu relativieren, da die Poeten der ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts erneut andere Krisen­ faktoren wie die aktuelle Wirtschaftslage und die verhasste Steuerpolitik viel stärker betonten.412 In Historia de Bernardo Cintura (Allusão a fome no sertão) aus dem Jahr 1919 wird die verschiedenartig erfahrene Entbehrung vor Au­ gen geführt. Der Reiche weint, weil sein Vieh verendete und sein Wohlstand geschmälert wurde; der Arme weint, weil er seine Arbeit verlor und damit die 408 Ders., A secca do Ceará, ca. 1915/16, S. 6–8 (Quelle III.2.c-18); Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 329. 409 Barros, L., A crise actual, 1915, S. 7 (Quelle III.2.c-19); FCRB, Temas: Seca, casaruibar­ bosa.gov.br/cordel/Leandro_colecao.html, abgerufen am 19.4.2015. 410 Silva, Expedito Sebastião da, Os horrores e a seca do Nordeste, Joaseiro do Norte: Ti­ pografia São Francisco, o.  D., S. 1  f., auszugsweise abgedr. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 99 (Quelle III.2.c-20). Expedito Sebastião da Silva (1928–97) veröffentlichte sein erstes folheto 1948. Academia Brasileira de Literatura de Cordel, O cordel. Grandes cordelistas, ablc.com.br. 411 Barros, L., O tempo de hoje, 1918, S. 7; ders., A crise actual, 1915, S. 3, 6. Siehe außer­ dem ders., Queixas geral, ca. 1906, S. 15. (Quelle III.2.c-21.) 412 Ders., As miserias da epocha, ca. 1906, S. 1, 3; Batista, F. das Chagas, As victimas da crise, o. D. (zwischen 1902 und 1930), S. 2 (Quelle III.2.c-22).

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Voraussetzung seines Überlebens. Während die Bauernfamilie in der Strohhütte erbärmlich hungert, ist der Tisch im Herrenhaus reich gedeckt. In diesem Reim von José Adão stellt und hält das Volk also sehr wohl fest, dass nicht alle un­ terschiedslos unter der Dürre leiden. Der Gutsherr kann die Zeit der Drang­ sal überbrücken und lässt dessen ungeachtet seine Gefolgschaft im Stich. In dem Gedicht wird zunächst bekümmert angenommen, niemand vermöge sich gegen das Verderben zu wehren. Der traurige und dennoch tröstliche Glaube an die allgemeine Ohnmacht des Hungers muss alsbald der enttäuschenden Überzeugung vom egoistischen Machthunger des Patrons weichen. Durch den Gedanken, das Elend hätte vermieden werden können, wird die Last noch un­ erträglicher. „Dann sollte“, so schließt die Strophe, „in gewissen Zeiten besser niemand Reichtümer besitzen“.413 Die Volksdichter kritisierten das ruchlose Verhalten der Landherren, die ihren Wohlstand nicht zum Wohl der Allgemeinheit einsetzten und die eins­ tige Protektion ihrer Arbeiterschaft aufgaben. Im paternalistischen System war es für die Großgrundbesitzer üblich, den abhängigen Fazenda-Bewohnern in ihren Bedürfnissen zur Seite zu stehen, sie mit Milch und etwas Fleisch aus der Viehzucht zu versorgen. Derartige Bräuche verschwanden allmählich, in besonderer Weise spürbar während der Trockenzeiten, weshalb es naheliegend war, den schmerzhaften Wandel als Konsequenz der Dürre zu interpretieren. Diese Schlussfolgerung zog Durval Muniz de Albuquerque aus seiner Analyse des Volksdiskurses, ausgehend von der Annahme, die Bevölkerung habe die ur­ sächlichen Kräfte der Veränderungen nicht erfasst.414 Denkbar ist, dass die Men­ schen es vorzogen, an das Übel der Trockenheit zu glauben statt an den mit ihren Moralvorstellungen unvereinbaren Bruch des traditionellen Schutzbündnisses. Zudem konnten sie kaum die komplexen Zusammenhänge der international verknüpften Kapitalisierung und der mit ihr verbundenen Rationalisierung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse überblicken. Andererseits ist in der frühen Volksdichtung ein intuitives Verständnis dieser Vorgänge zu finden. Auch wenn Leandro Gomes de Barros die neue Welt mit ihren undurchsichtigen und für die arme Bevölkerung ungünstigen Reformen als ein Buch mit sieben Siegeln abzeichnete, ging er in seinen Werken über die unzulängliche Klima-Kausalität hinaus. In O dinheiro argwöhnte der Poet, das Kapital verselbständige sich und mache sich den Globus zum Untertan. Die alles dominierende Macht des Gel­ des ironisierte er angesichts der definitiven Macht des Todes.415

413 Adão, Historia de Bernardo Cintura, 1919, S. 4 f. (Quelle III.2.c-23). 414 Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 133, 211; Albu­ querque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 111, 124. 415 Barros, L., O dinheiro, Recife, 1909, S. 1, 3; ders., Um pau com formigas, ca. 1912, S. 6 (Quelle III.2.c-24).

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Druck auf die Arbeitsbedingungen und vermeintliche ­Verantwortlichkeit des Klimas

Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant steigende Konkurrenz­ druck auf dem internationalen Exportmarkt wurde auf die Produktion übertra­ gen. Als Kompensation für ausbleibende Innovation wurden die Schwächen des Fertigungsprozesses sozialisiert, d.h. die Beanspruchung der Landarbeiter und Bauern wurde verschärft. Ein intensivierter Arbeitsrhythmus und wachsende, oft gewaltsam eingeforderte Ernteabgaben in den Pachtformen von parceria, meação und cambão entzogen ihnen einen Großteil ihrer Agrarerzeugnisse und verringerten Zeit und Boden, die sie sonst für die Subsistenzwirtschaft nutzen konnten.416 Diese Entwicklung war im Prinzip unabhängig von den Trockenpe­ rioden, wurde aufgrund der klimatisch bedingten Hungersnöte für die sertanejos indes noch desolater. Da die Flucht aus dem Hinterland meist in den großen Anpflanzungen an der Küste oder im Süden endete, beschleunigte die Dürre den sozioökonomischen Transformationsprozess. Während die sertanejos aus der Zeit vor der ausbeuterischen „Pseudopacht“417 noch relativ freie Arbeitsbedin­ gungen gewohnt waren, trafen sie in den Plantagen auf ein von der Sklaverei geprägtes Gesellschafts- und Wirtschaftsgefüge. Im Zuge der sukzessiven Ab­ schaffung der Sklavenhaltung zwischen 1871 und 1888 füllten die Dürreflücht­ linge notgedrungen die aufklaffenden Lücken im Regime der unfreien Arbeit, und die erforderliche Reformierung hin zu menschenwürdigeren Konditionen wurde um Jahrzehnte hinausgezögert. Linda Lewin nennt es paradox, dass aus­ gerechnet durch die Auflösung der Sklaverei ein neues Joch aus Armut und Unterwürfigkeit entstand. Andererseits erklärt sich dieser historische Verlauf aus einem über die Jahrhunderte verwurzelten Missbrauch fremder Arbeitskraft und einer stärker wirtschaftspolitisch als humanitär begründeten Abolition.418 416 Cambão (Joch): Land wurde im Austausch gegen sklavereiähnliche Arbeitsdienste ver­ pachtet. Zusätzlich musste ein Ernteanteil (parte > parceria) dem Grundbesitzer über­ lassen werden, je nach Abmachung z.B. die Hälfte (meio > meiação/meação). Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 74–78; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 109; siehe auch Ribeiro, Darcy, O dilema da América Latina. Estrutu­ ras de poder e forças insurgentes, Petrópolis: Editora Vozes, 1978, S. 107; Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 49. 417 Brühl, Armut und Familie in Nordostbrasilien, 1989, S. 91. Siehe ebd., S. 62. 418 Wie in Kapitel II erwähnt, hatte das brasilianische Parlament bereits 1850 die Abschaf­ fung des Sklavenhandels beschlossen, doch erst 1871 wurden mit der Lei do ventre livre Kinder von Sklavinnen für frei erklärt, bis 1888 die Sklaverei – auf dem Gesetzespa­ pier – schließlich vollständig beendet wurde. Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 170, 183, 345. Zu den nationalen und internationalen ökonomischen Abo­ litionsmotiven und der fehlenden humanitär-sozialen Existenzsicherung der befreiten Sklaven siehe ebd., S. 166, 206–210. Siehe außerdem Lewin, Politics and parentela in

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Die Dürreopfer, die seit der schweren Trockenzeit von 1877–79 in die Zuckerproduktion getrieben wurden, arbeiteten dort Seite an Seite mit den Sklaven und wurden praktisch selbst versklavt. In der Schuldenfalle des bar­ racão gefangen, empfanden viele die monetäre Verpflichtung gegenüber dem engenho-Besitzer als einen erniedrigenden Kontrast zur moralischen Bindung an den patrão im Sertão.419 Obschon vergleichbare Arbeits- und Ausbeutungs­ methoden im Hinterland zunehmend den Alltag bestimmten, hingen gerade die aus der Region geflohenen sertanejos einem idealisierten Bild ihrer Heimat nach. Das Leben fern des „paradiesischen Sertão“ erschien ihnen abstoßend, und die Aversion gegen Küste und Süden wuchs in gleichem Maße wie die Sehnsucht nach ihrer Scholle, in vielen Versen wehmütig besungen.420 Hinter der Nostalgie-Rhetorik verbarg sich im Diskurs der Landbevölkerung die tiefe Abneigung gegenüber den neuen Produktionsbeziehungen, die ihr innerhalb des sich ausbreitenden Systems nationaler und internationaler Arbeitsteilung aufoktroyiert wurden.421 Die extrem prekären Lebensumstände stellten die traditionelle Moral und Ehre auf eine harte Probe. Die retirantes hatten die Wahl zwischen Hunger, Un­ terjochung in den Plantagen oder Plünderung. In Historia de Bernardo Cintura (Allusão a fome no sertão) liegt der rechtschaffene sertanejo mit sich im Kampf und wird beim Gedanken an Raub von Gewissensbissen geplagt, da er von Na­ tur aus kein Dieb ist und zudem das Gefängnis fürchtet. Doch freiwillig teilt der reiche Großgrundbesitzer seine Vorräte nicht mit ihm.422 Durch die Ver­ armung wurde die Familie, Herzstück des bäuerlichen Lebens, bis ins Mark getroffen – Väter wurden zu Verbrechern, Kinder wurden ausgesetzt, schutzlose Alte zurückgelassen, Frauen und Mädchen in die Prostitution gedrängt. Wie bereits vermerkt, hat Durval Muniz de Albuquerque aus seiner Untersuchung der literatura de cordel geschlossen, die Bevölkerung des Hinterlands habe in Unkenntnis der komplexeren Ursachen die armseligen Zustände und die Zer­ rüttung der Familien allein auf die Naturkatastrophen als Strafe Gottes für den Sittenverfall zurückgeführt.423 Diese Position ist auch hier insofern zu modifi­ zieren, als in den frühen Manifesten des Volksdiskurses zwar eine vergleichbare Haltung zu finden ist, jedoch ergänzt durch eine dezidierte Kritik an den welt­ Paraíba, 1987, S. 75; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 42; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 132. 419 Barros, L., O sertanejo no sul, ca. 1917/18, S. 3 f. (Quelle III.2.c-25). 420 Athayde, Foge o povo do sertão, 1924, S. 6; Barros, L., O retirante, Verfassungsdatum unbekannt, S. 2, 6 (Quelle III.2.c-26). Siehe auch Quelle III.2.c-04. 421 Zu den Hintergründen siehe Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 94, 131, 138. 422 Adão, Historia de Bernardo Cintura, 1919, S. 4 f. (Quelle III.2.c-27). 423 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 112 f.

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lichen Machthabern. In As miserias da epocha von 1906 denunzierte Leandro Gomes de Barros die Unterdrückung der Arbeiter als „Packesel, denen man die Sporen zu spüren gibt“.424 In jenem Jahr besuchte Präsident Afonso Pena den Norden und wurde auf die ruinöse Abgabenlast angesprochen. Barros schilderte daraufhin in seiner politischen Satire Affonso Penna die Hoffnung der Men­ schen, die in dem Gedicht mit leeren Taschen zum Zug des Präsidenten eilen, weil dieser sie gewiss mit dem Geld aus dem reichen Süden füllen und die arme Region retten werde.425 Die ersehnte Staatshilfe für den Norden blieb aus. Statt­ dessen machten europäische Investoren ein Vermögen, vom Poeten in falschem Portugiesisch parodiert: „Mim compra Brazil / E vende brazileiro“ – „Ich kaufen Brasilien / ich verkaufen Brasilianer“.426 In der sarkastischen Metaphorik des Dichters wurde die einheimische Bevölkerung von den Ausländern ausgetilgt, „wie der Wurm von der Kresse“, einem parasitentreibenden Hausmittel.427 Die Erbostheit des folheto-Pioniers richtete sich in zahlreichen Werken gegen den starken Einfluss des internationalen Kapitals, repräsentiert in erster Linie durch die Briten. In seiner Wahlheimat Recife machten sich die Engländer nicht nur einen Namen, indem sie die überfällige Restaurierung und Erweiterung der von den Niederländern unter Moritz von Nassau im 17.  Jahrhundert angelegten Kanäle in die Wege leiteten. Sie kanalisierten zudem die agrarwirtschaftlichen Erträge der Region und beherrschten finanziell und technisch-maschinell große Teile des Landes, von einem weitläufigen Netz der britischen Eisenbahngesell­ schaften durchzogen. Ihre Kricket- und Fußballclubs sprossen aus dem tropi­ schen Grün, und durch glänzende Vermählungen knüpften sie enge Bündnisse mit der lokalen High Society, die sich gern am Gewinn beteiligte. Barros malte in Gestalt der Engländer nicht einseitig ein externes Feindbild, ohne die eige­ nen Führer zur Verantwortung zu ziehen. In O novo balão sah er die Zeit reif, die brasilianische Oligarchie an den „Galgen“ zu bringen.428 Seine Kritik am Machtmissbrauch enttarnte die antidemokratischen Wesenszüge der Republik, die sich in den Händen der drei dominierenden Provinzen befand. In Panellas 424 Barros, L., As miserias da epocha, ca. 1906, S. 2 (Quelle III.2.c-28). 425 Ders., Affonso Penna, Recife: Imprensa Industrial, 1906, S. 1–6, archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html; Maya, Leandro Gomes de Barros – pesquisa, o. D. 426 Barros, L., Affonso Penna, 1906, S. 5. 427 Ders., O povo na cruz, ca. 1907–08, S. 6 (Quelle III.2.c-29). 428 Ders., „O novo balão“, in: ders., O novo balão. Peleja de José Duda e o cego José Sabino, o. O., o. V., ca. 1912, S. 1–7 (6), archiviert in: FCRB, Cordel, casaruibarbosa.gov.br/ cordel/Leandro.html (Quelle III.2.c-30); Maya, Leandro Gomes de Barros – pesquisa, o. D. Zu den oligarchischen Verbindungen zum englischen und später US-amerika­ nischen Handels- und Finanzkapital siehe Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 35. Eine ausgewogene Darstellung der britischen Rolle in Brasilien liefert Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 140 f., 195–199.

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que muitos mexem („Viele Köche verderben den Brei“) teilen sich diese drei die Staatskasse, was nach ihrer Auffassung nicht als Raub zu bezeichnen ist, denn sie seien der Staat und könnten kaum gemeinsame Sache gegen sich selbst machen. Ebenso versalzen in dem Gedicht die politischen Köche der anderen Provin­ zen den Menschen die Suppe. In den Schlussstrophen wird Brasilien als alter Esel beschrieben, auf dem alle Bundesstaaten im Sattel sitzen und die Zügel in ihren Händen halten wollen, zu allererst die oligarchischen ‚Eselstreiber‘ aus dem Süden, nicht weniger aber jene aus dem Norden. Die an Hunger und Tod gewöhnte Dürreprovinz Ceará ließ Barros gleichermaßen nach dem geschunde­ nen Goldesel schielen. Sie würde ihn aber wohl erst besteigen können, sollte er eines Tages „verwest am Boden liegen“.429 Seine „bedauernswerte“ und „hoff­ nungslose“ Heimat Paraíba nahm der Dichter in O povo na cruz als Spielball der verantwortungslosen Regierung im mächtigen Süden wahr, als „Puppe in den Händen eines Kindes“.430 Die missliche Lage Brasiliens – so die sprichwörtliche Bedeutung des Titels Um pau com formigas – bewegte Barros immer wieder dazu, gegen Korruption und Wahlbetrug der autoritären Obrigkeit dichterisch ins Feld zu ziehen. Die arme Bevölkerung falle auf die (Wahl)-Versprechen der Reichen herein und op­ fere sich für sie ohne Dank auf, doch am Ende wisse sie zumindest, mit wem sie es zu tun habe.431 In seiner Regierungskritik As victimas da crise ging Francisco das Chagas Batista einen Schritt weiter und sprach von der Notwendigkeit zum Streik gegen die aufgebürdeten Lasten des Volkes, da „wir andernfalls alle ver­ loren sind“.432 Anstatt demütige, gottesfürchtige Resignation anzuraten, schlug der sonst meist passive Widerspruch in eine – wenn auch indirekte – Aufforde­ rung zum aktiven Widerstand um.

429 Barros, L., „Panellas que muitos mexem (os guizados da política)“, in: ders., A secca do Ceará. Panellas que muitos mexem (os guizados da politica), Parahyba: Typ. da Popular Editora, ca. 1915/16, S. 8–16 (9, 11 f., 14 f., 16), archiviert in: FCRB, Cordel, casaru­ ibarbosa.gov.br/cordel/Leandro.html (Quelle III.2.c-31). 430 Ders., O povo na cruz, ca. 1907-08, S. 5 f. (Quelle III.2.c-32). Zur Widersprüchlich­ keit der Ersten Republik, die nach außen hin ein demokratisches Gedankengut ver­ trat, andererseits den autoritären Gesellschaftsstrukturen verhaftet blieb, siehe Carone, República Velha, 1972, S. 250; Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. V; Brühl, Ar­ mut und Familie in Nordostbrasilien, 1989, S. 141. 431 Barros, L., Um pau com formigas, ca. 1912, S. 5 (Quelle III.2.c-33). 432 Batista, F. das Chagas, As victimas da crise, o.  D. (zwischen 1902 und 1930), S. 8 (Quelle III.2.c-34).

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d) Revision des Forschungsstandes: Bedeutungswandel der ­Trockenheit im Volksdiskurs In den vorausgegangenen Unterkapiteln wurde mehrfach auf die sich im Laufe der Zeit verändernde Funktion und Deutung der Dürre im discurso popular hingewiesen, der in dieser Beziehung besonders seit den 1930er-Jahren eine sig­nifikante Entwicklung vollzogen zu haben scheint. Diese Hypothese basiert auf den erheblichen Unterschieden zwischen den in der frühen Volksdichtung vorgefundenen Aussagen und den eher auf spätere Jahre zutreffenden AnalyseErgebnissen der berücksichtigten Folkloristen und Historiker, welche zu den Experten auf diesem Gebiet zählen.433 Den thematischen und interpretatori­ schen Wandel innerhalb der volkstümlichen Poesie erörterten sie wahrschein­ lich deshalb nicht, weil sich allein die genaue zeitliche Zuordnung der einzelnen Gedichte und Dichter oft als unüberwindliche Hürde erwies. Dank der inzwi­ schen stark verbesserten Informationslage im Rahmen der cordel-Netzwerke, die auf ihren Internetportalen sämtliche archivierten Verse und zahlreiche Autoren­ daten zur Verfügung stellen, ist es heute möglich, anachronistische Schlussfol­ gerungen zu überarbeiten. Beispielhaft für diese Problematik soll im Folgenden eine Abhandlung des Historikers Durval Muniz de Albuquerque durchleuchtet werden, der sich seit über 25 Jahren intensiv mit den Fragen des Dürredis­ kurses auseinandersetzt und dessen Forschungsbeiträge die Grundlage der vor­ liegenden Arbeit bilden. In seinen Ausführungen zur Volksliteratur aus dem Jahr 1988 können nun unter Nutzung der optimierten Datenbasis einige Fälle der angedeuteten temporalen Verschiebung kausaler Zusammenhänge revidiert werden.434 Eigenen Angaben zufolge hat Albuquerque 41 folhetos verwendet, bei de­ nen er davon ausging, dass sie vor allem Anfang des 20.  Jahrhunderts publi­ ziert wurden. Exemplarisch für ein zu Beginn des Jahrhunderts veröffentlichtes Gedicht nennt er Os horrores e a seca do Nordeste von Expedito Sebastião da

433 Siehe Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986; Curran, Crítica social no cordel, 1986; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988. Auch in den zugänglichen Studien auf den Portalen der Fundação Casa de Rui Barbosa und des Centro Nacional de Fol­ clore e Cultura Popular sind keine Hinweise auf die thematischen Veränderungen seit 1930 zu finden. Um diese präziser zu identifizieren, müsste die Dichtung und ihre Erforschung nach 1930 eingehend auf diesen Aspekt hin untersucht werden, was den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. 434 Es handelt sich konkret um das Kapitel „A poesia do sol (o discurso popular sobre a seca)“, in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S, 84–152. Eine leicht überarbeitete Version wurde online präsentiert: ders., „A poesia do sol (a seca do Norte/ Nordeste na literatura de cordel)“, in: Programa de Pós-Graduação em História/Uni­ versidade Federal do Rio Grande do Norte, Paperufrn, cchla.ufrn.br/ppgh, 2.2.2007.

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Silva.435 Allerdings wurde Silva erst 1928 geboren und brachte sein erstes Vers­ heft (A moça que depois de morta dançou em São Paulo) im Jahr 1948 heraus, womit der Betrachtungszeitraum bis in die dritte Dekade des 20. Jahrhunderts überschritten wird.436 Hinsichtlich weiterer zeitgenössischer Autoren erläutert Albuquerque, ihre Schriften trotz jüngeren Datums in seine Studie einbezogen zu haben, weil die Dürrelyrik aus den verschiedenen Epochen eine „absolute Vergleichbarkeit“ aufweise.437 Ausgehend von dieser Mutmaßung folgert er, der Volksdiskurs habe generell in der Trockenheit den Ursprung jeglichen Übels im Sertão gesehen,438 verantwortlich für den Verfall der traditionellen Moral und für die Reduktion „gesunder Giganten“ zu „gnomenhaften Gerippen“.439 Die Poeten, so Albuquerque, übertrugen die von ihnen gezeichneten Bilder der Dürre und des Dürregebiets auf andere Aspekte des Alltags und erzeugten auf diese Weise eine Identifikation der gesellschaftlichen Umbrüche mit den klima­ tischen Katastrophen.440 Wie in der hier vorgenommenen Revision der frühen Volksliteratur anhand vieler Beispiele gezeigt, brachten die Menschen die so­ zialen Veränderungen und die materielle Verelendung keineswegs nur mit der Trockenheit in Verbindung. Um diesem Widerspruch nachzugehen, wurden die von Albuquerque herangezogenen Verse auf ihre Produktionsperiode hin über­ prüft. Für seine Zitate benutzte er drei Gedichte ohne bekannte Autorenschaft und 24 weitere von insgesamt siebzehn Künstlern, wobei nähere Zeitangaben zur Lebens- und Schaffensphase nicht vorlagen. Aus den neuen Biographien der großen cordel-Archive ist zu entnehmen, dass bis zum Jahr 1922, dem End­ punkt seiner Analyse, von den entsprechenden siebzehn Volkslyrikern lediglich fünf bereits dichteten, während die meisten noch nicht geboren waren oder sich

435 Ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 87. 436 Academia Brasileira de Literatura de Cordel, O cordel. Grandes cordelistas, ablc.com.br. 437 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 88. Siehe auch ebd., S. 85 und in gekürzter Form in der Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 2. 438 Ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 99: „este discurso [do cordel/da ideologia camponesa] (...) passa a considerar a seca como a causadora de todos os males“. In der Onlineversion hat Albuquerque seine Worte leicht abgeschwächt, ohne die Grundaus­ sage zu ändern: „Neste discurso, quase sempre, a miséria cotidiana, a infelicidade antes mesmo da seca, é omitida, o que constrói a imagem deste fenômeno como o causador de todos os males. A naturalização dos problemas sociais é a tônica neste discurso.“ On­ lineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 8. Und: „A seca, neste discurso, é responsabilizada por estes males, que retiram a felicidade do sertão“. Ebd., S. 9. 439 Ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 129 bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 23. 440 Ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 91, 107 f. bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 4, 13, 36.

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in den Kinderjahren befanden.441 Bei den Werken der fünf älteren Autoren han­ delt es sich in den ersten beiden Fällen um titellose Ausschnitte aus einer Mono­ graphie von 1923.442 Im dritten Fall wird Poesias contra os profetas e experiências de chuva443 von Antônio Lobo de Macedo alias Lobo Manso (1888–1960) ange­ führt, welches erst kurz vor dessen Tod veröffentlicht wurde.444 Als einzige mehr oder weniger zuverlässig identifizierbare Quellen innerhalb der Untersuchungs­ zeitspanne konnte Albuquerque auf fünf Publikationen von Leandro Gomes de Barros (1865–1918) und Francisco das Chagas Batista (1882–1930) zurück­ greifen.445 Die Interpretation dieser frühen Zeugnisse wirft Zweifel auf, sobald versucht wird, mit ihrer Hilfe die oben skizzierte Argumentation Albuquerques zum volkstümlichen Dürrediskurs zu untermauern. Anhand zweier Zitate aus As víctimas da crise bezieht der Historiker die in dem Gedicht thematisierte „Krise“ auf das Klimaphänomen, welches darin nicht explizit erwähnt wird.446 Mit Krise ist den Zeilen des Dichters nach der wirtschaftliche Zusammenbruch gemeint, verstärkt durch die Steuerlast der Regierung.447 Auch in O povo na 441 Die zwölf von Albuquerque zitierten jüngeren Dichter sind in Quellenanhang III.2.d-01 aufgelistet, ergänzt durch die in den verschiedenen cordel-Institutionen zu findenden Angaben über ihre Lebens- und/oder Schaffenszeit. 442 Nascimento, Nicandro Nunes do/Nogueira, Bernardo, zit. in: Almeida, José Américo de, A Parahyba e seus problemas, Parahyba: Imprensa Official, 1923, S. 162, Verse ohne Angaben zu Titel, Ort, Datum, auszugsweise abgedr. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 93, 126 bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 5, 22. 443 Manso, Lobo, Poesias contra os profetas e experiências de chuva, S. 9, o. O., o. D., aus­ zugsweise abgedr. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 106 bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 12. 444 Macedo, Dimas, „Anotações sobre Lobo Manso“, in: Revista da Academia Cearense de Letras (Fortaleza), Jg. 100 (Ano C), Bd. 55 (2000), S. 39–48 (47), ceara.pro.br/acl/ revistas/revistas/2000. 445 Dabei hat Albuquerque zwei dieser fünf Gedichte von den Forschern der Fundação Casa de Rui Barbosa abweichend zugeordnet. Die Angaben hierzu sind in Quellenan­ hang III.2.d-02 aufgeführt. 446 Erstes Zitat: Barros, Leandro Gomes de, As víctimas da crise, Joaseiro do Norte, o. V., o. D., S. 2, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 95 bzw. On­ lineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 6. Wie in Quellenanhang  III.2.d-02 erwähnt, wird dieses Gedicht im Archiv der Casa de Rui Barbosa dem Volkspoeten Francisco das Chagas Batista zugesprochen. Zweites Zitat: ebd., S. 1, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 116. Das zweite Zitat fügt Albuquerque in der jün­ geren Onlineausgabe seines Texts deutlicher in den eigentlichen sozioökonomischen Kontext ein, bringt es indes weiterhin mit der Dürre in Zusammenhang. Zudem wird es als Strophe eines anderen Werks ausgegeben: Barros, Leandro Gomes de, O povo na cruz, Joaseiro do Norte, o. V., o. D., S. 1 f., zit. in: Albuquerque, A poesia do sol, 2007, S. 18 f. 447 Batista, F. das Chagas, As victimas da crise, o. D. (zwischen 1902 und 1930), S. 1–8. Zu näheren Ausführungen siehe Kapitel III.2.c.

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cruz stellt Albuquerque einen Zusammenhang zur Dürre her,448 obschon Barros mit „unseren Martyrien“ ganz allgemein den Hunger und weitere Faktoren der Misere ansprach, wie Epidemien, Krieg und Staatsabgaben, die am Volk zehr­ ten. In den übrigen Strophen machte Barros deutlich, dass die Menschen nicht aufgrund eines generellen Mangels an Nahrungsmitteln hungerten. Vielmehr litten sie angesichts der sozialen und politischen Ungerechtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes unnötig Not: „Dies sind die Garantien, / Die den Brasilianern zustehen / Hunger vor vollen Tellern / Armut inmitten des Reichtums“.449 In O imposto e a fome werden zwar die Versprechungen des Präsidenten genannt, die Wasserknappheit zu beenden, doch erneut ging es nicht vorrangig um die Klimakomponente,450 sondern um die politische Verschuldung der Bedürftig­ keit: „Solange es eine Regierung gibt, herrschen Hunger und Gebühren“.451 Zudem waren Leandro Gomes de Barros und Francisco das Chagas Batista in ihrer Gesellschaftskritik keine Einzelkämpfer. Der von Albuquerque zitierte Lobo Manso (1888–1960) hat in seiner Heimat Ceará ebenfalls die Poesie als Waffe gegen die coronelistischen Machenschaften der Oligarchie eingesetzt, wie es seine Biographen ausdrücken.452 Durval Muniz de Albuquerque selbst betont, dass sich der Volksdiskurs gegen die soziale Diskriminierung wandte, jedoch habe er weiterhin die Tro­ ckenheit für die Desorganisation der traditionellen Beziehungen verantwort­ lich gemacht. Die Bevölkerung habe die Dürre und nicht die strukturelle Aus­ beutung als Ursache des Elends und der Verarmung verstanden.453 Während Albuquerque einen allmählichen Wandel des Volksdiskurses zu einer größeren Berücksichtigung und Bezichtigung gesellschaftlichen Unrechts nahelegt, wei­ sen sowohl seine Zitate aus jüngerer Zeit als auch die eingesehenen Werke der frühen Volksliteratur eher auf eine umgekehrte Entwicklung hin. Demnach wurde im volkstümlichen Diskurs gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Trockenheit lediglich als eines von vielen Krisenelementen eingestuft, und erst

448 Barros, Leandro Gomes de, O povo na cruz, Joaseiro do Norte, o. V., 1915, S. 2, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 144 bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 32. 449 Barros, L., O povo na cruz, ca. 1907–08, S. 1–3 (Quelle III.2.d-03). 450 Dieser Nexus wird hergestellt in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 125. 451 Barros, L., O imposto e a fome, 1909, S. 2 (Quelle III.2.d-04). Siehe auch Kapitel III.2.c und Quelle III.2.c-17. 452 Galeno, Alberto, Seca e inverno nas „experiências“ dos matutos cearenses, Fortaleza: Coop­ cultura, 1998, o. S., zit. in: Macedo, Anotações sobre Lobo Manso, 2000, S. 47 f. 453 „A seca é a causadora da miséria, do empobrecimento, e não as relações de exploração a que estão submetidos.“ Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 117.

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nach 1930 scheint sich eine ‚Klimatisierung‘ vollzogen zu haben, hin zu einer verstärkt in Natur und Religion begründeten Erklärung der sozialen Not.454

3. Die seca als literarisches Sujet a) Wirkung und Rezeptionsbedeutung literarischer Erzeugnisse Wie am Beispiel der Volksdichtung verdeutlicht, dient die Literatur der histo­ rischen Forschung in mehrfacher Hinsicht als aufschlussreiche Quelle. Ein lite­ rarisches Werk spiegelt aus dem individuellen Blickwinkel seines Autors dessen Lebenserfahrung wider, unabhängig davon, ob diese in direkter oder indirekter Form, bewusst oder unbewusst verarbeitet wird. Sowohl historisch belegte Per­ sonen als auch idealisierte oder gänzlich fiktionale Figuren sind soziale Rol­ lenträger mit unweigerlichem Bezug zu den gesellschaftlichen Zuständen ihrer Entstehungszeit bzw. zur Perzeptionswirklichkeit des Schriftstellers. Zudem ist es für die Untersuchung der diskursiven Konstruktion sozialer Realitäten uner­ lässlich, literarische Texte als Bestandteile einer Kommunikationssituation zu verstehen. Die Sinnkonstitution ist dabei nicht auf das Werk begrenzt, sondern wird ebenso im Zuge der Rezeption realisiert. Gegenüber der meist vorrangig wahrgenommenen Instanz des Autors wird die Wirkkraft des Lesers aufgewer­ tet, d.h. die Lektüre wird als aktives Schaffen von Wirklichkeiten begriffen, nicht als passive Unterwerfung unter die Tradition. In ihrer Funktion als Bin­ deglied zwischen Literatur und sozialhistorischen Fragestellungen ermöglicht es die Rezeptionsperspektive, die geschichtsbildende Energie des rezipierenden Publikums für wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen. Dies gilt gleicherma­ ßen für das volkstümliche Schrifttum, die Belletristik und sachlich-historische Beiträge.455 Das Gewicht der Literatur als Autorität in sozialen Sinnbildungsprozessen war im Brasilien des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts auffallend groß, als zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – vornehmlich Staatsmän­ ner – zugleich angesehene Literaten waren.456 Eine entsprechend hohe Anerken­ 454 Zu den von Albuquerque angeführten Beispielen aus jüngerer Zeit siehe Kapitel III.2.c. Zur Festigung dieser Vermutung müsste, wie bereits angemerkt, zunächst die Volkspo­ esie nach 1930 untersucht werden. An dieser Stelle kann nur für die Zeit vor 1930 gesprochen werden. 455 Baasner/Zens, Methoden der Literaturwissenschaft, 2001, S. 179 f., 184, 186 f., 190, 228 f. 456 Um nur einige von vielen Beispielen aus dem Norden zu nennen: Tristão de Alen­ car Araripe (1821–1908; Jurist, Politiker, Schriftsteller); José de Alencar (1829–1877;

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nung fanden literarisch manifestierte Bekundungen in Politik und Gesellschaft, auch in Verbindung mit dem Phänomen der Trockenperioden. Während die eigentliche Welle der Dürreliteratur erst in den 1930er-Jahren im Nordosten losbrach und das Land erfasste, war die Klimageißel zuvor lediglich in verein­ zelten poetischen und prosaischen Publikationen Protagonist.457 Noch im Jahr 1921 beklagten Vertreter der Region das landesweite Unwissen über ihre de­ solate Lage: „Das finstere Gemälde der schrecklichen Dürre ist von unseren Schriftstellern und Rednern (...) noch nicht nachgezeichnet worden“.458 Dieses Bild muss mit Rücksicht auf die diskursimmanente Tendenz zu Übertreibungen relativiert werden, denn zu diesem Zeitpunkt konnte zumindest im parlamenta­ rischen Umfeld auf fast ein halbes Jahrhundert ausführlicher Dürrebeschreibun­ gen zurückgeschaut werden. Die relativ geringe Zahl schriftstellerischer Beiträge wurde dadurch ausgeglichen, dass die existente Literatur zur Trockenheit umso häufiger im Kongress zitiert wurde. Die tragende Rolle, sowohl qualitativ als auch quantitativ, spielte Os sertões von Euclydes da Cunha aus dem Jahr 1902. Aufgrund seiner bedeutenden Rezeption und Wirkung in der Ersten Republik (und darüber hinaus) soll dieses monumentale Opus im Folgenden näher be­ trachtet werden. Der Oligarchie des Nordens kamen die Schriften Cunhas sehr gelegen, da seine Interpretation des Sertão und der sertanejos die Argumente des Dürrediskurses unterstützte und prägte.

b) Os sertões von Euclydes da Cunha Euclydes da Cunha, 1866 in der Provinz Rio de Janeiro geboren, zählt nicht zu den als regionalistas bezeichneten Schriftstellern des Nordens, doch sein Œuvre hatte erheblichen Einfluss auf die gesamte intellektuelle Elite und die Oligar­ chien der Region, deren Repräsentanten es immer wieder und sogar seitenlang

Anwalt, Politiker, Journalist, Chronist, Schriftsteller); Joaquim Nabuco (1849–1910; Jurist, Politiker, Diplomat, Historiker, Journalist); Rodolfo Teófilo (1853–1932; Phar­ mazeut, Naturwissenschaftler, Historiker, Romanautor); José Américo de Almeida (1887–1980; Jurist, Politiker, Essayist, Literat, Chronist, Universitätsrektor); Gustavo Barroso (1888–1959; Anwalt, Politiker, Folklorist, Chronist, Schriftsteller). 457 Siehe z.B. das Gedicht von Nasareth, „A secca“, in: O Combate, Bd.  2, Nr.  34–3 (29.8.1903), S. 3; den Prosatext über die Übel der Dürre „A secca“, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 37–3 (27.9.1903), S. 2 und die in Kapitel II.2.c thematisierten Romane von José do Patrocínio und Rodolfo Teófilo. Zu den bedeutendsten Exponenten der Dür­ reliteratur nach 1930 zählen Raquel de Queiróz mit O Quinze (1930) und Graciliano Ramos mit Vidas secas (1938). Siehe hierzu Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 191 f., 199, 209 f. 458 „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1 (Quelle III.3.a).

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im nationalen Parlament zitierten und mit höchstem Lob bedachten.459 Seine schriftstellerische Leistung wird – offensichtlich aus der außerregionalen Pers­ pektive – darin gesehen, wenig bekannte ‚Regionaltypen‘ wie den sertanejo, ­vaqueiro und jagunço mit überragender deskriptiver Stärke vorzustellen. Dies habe ihn in die Nähe Goethes und Victor Hugos gerückt.460 Os sertões war da­ mals und ist noch heute eines der erfolgreichsten Bücher des Landes, mitverant­ wortlich für die Bildung einer Reihe von Mythen rund um die Natur und den Menschen des Nordens.461 Der Roman ist eine Mischung aus historischen Fakten und fiktionalen Fak­ toren und kaum in eine klare Kategorie einzuordnen. Als leidenschaftlicher Vertreter des Positivismus erhob der Autor für sich und seine Arbeit Anspruch auf ‚wissenschaftliche Objektivität‘ – „Seien wir schlichte Protokollanten“462. Inzwischen ist sich die Wissenschaft über die Wissenschaftlichkeit des längst klassischen Texts uneins. Viele Kommentatoren preisen ihn weiterhin als Mei­ lenstein der akademischen Forschung und sogar als Ursprung der Sozialwis­ senschaften in Brasilien an.463 Gerühmt wird nicht nur die Skizzierung der physischen und psychischen Züge des sertanejo, sondern auch die Behandlung von Elementen, welche das Denken über die nationale Identität bestimmten. Dem ist zu erwidern, dass Cunha bei der Erläuterung von ‚Rückständigkeit‘ und ‚Barbarei‘ im Norden nicht über die seinerzeit gängigen – und teilweise überdauernden – Stigmen hinausging. Das von ihm verordnete ‚Rezept‘ von civilização, progresso und modernização stand ganz im Einklang mit den positi­ vistischen und sozialdarwinistischen Modernisierungskonzepten der intellektu­ 459 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912 („tanta verdade pela penna fulgurante de Euclydes da Cunha“), S. 494, mit zahlreichen Zitaten aus Os sertões, ebd., S. 493–495. Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 225. 460 Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 68, 70. Vaqueiro: Rinderhirte; jagunço: Mes­ ser-/Revolverheld, auch im Zusammenhang mit Canudos verwendet. Siehe Zilly, An­ hang zu Krieg im Sertão, 1994, S. 747 f. 461 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 225. 462 Cunha, Euclides da, Krieg im Sertão, Übersetzung von Berthold Zilly, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994 (Os sertões, 19021), S. 130. Siehe auch Albuquerque, Octacilio de (Pa­ raíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 910: „a penna (...) imparcialissima de Euclydes da Cunha“ (vollständiges Zitat in Quelle III.3.b-10). Siehe zu „wissenschaftlicher An­ spruch“ Galvão, Walnice Nogueira, „Introdução“, in: Cunha, Euclides da, Os sertões, 197929 (19021), S. VII–X (X). 463 So z.B. in Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 13, 67. Cunha wurde auch von Burns lobend hervorgehoben. Burns, E. Bradford, „A bibliographical essay on Brazilian historiography“, in: ders. (Hg.), Perspectives on Brazilian history, New York/London: Columbia University Press, 1967, S. 197–206 (206). Für eine kritische Haltung siehe Albuquerque, Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 53, 170.

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ellen Elite Brasiliens.464 Zwar brachte Cunha in seinem Roman Sympathie für die ‚Rebellen‘ von Canudos auf, erklärte deren Verhalten jedoch zugleich mit Hilfe von Theorien, die eine tiefe Verachtung für die Menschen der Region erkennen lassen.465 Zum herrschenden Canudos-Diskurs verhielt sich Os sertões eher paradigmenverdichtend als gegendiskursiv. Der Lehrmeinung, Os sertões habe als Gründungstext einen umfassenden Gegendiskurs etabliert, hält der Historiker Dawid Danilo Bartelt in seiner überzeugenden Analyse entgegen, das Werk habe lediglich die dominante gesellschaftliche Diskussion widerge­ spiegelt und die am europäischen Vorbild orientierten Fortschrittsziele der Re­ publik aufgegriffen. In den Worten Bartelts: „Integration der nationalen Räume und Zeiten zu fordern, gehörte als Modernisierungsdiskurs mittlerweile zum Standardprogramm von Politikern und Journalisten, wenn sie sich einmal dem interior rhetorisch widmeten.“466 Das eigentliche Verdienst von Os sertões war demnach darauf beschränkt, den Sertão einem größeren nationalen und inter­ nationalen Publikum bekannt gemacht zu haben. Als herausragende Aussage und analytische Glanzleistung erachtet, wurde Cunhas These der „Sub-Rasse“ von den Regionalisten der Nordprovinzen be­ sonders rezipiert.467 Die Nachkommenschaft aus indigenen, europäischen und afrikanischen Verbindungen habe nicht einen anthropologischen Typus des Bra­ silianers, sondern verschiedene „ethnische Subkategorien“ hervorgebracht.468 Der sertanejo, welcher sich dank seiner Abgeschiedenheit zu einer „Rasse von curibocas, reinen Mestizen fast ohne Beimischung schwarzen Bluts“ entwickelt habe, verkörpere die ursprüngliche Bevölkerung des Landes: „Jene urwüchsige Gesellschaft, (...) verkannt und vergessen, [ist] der starke Kern unserer werden­ den Nation“.469 Während Cunha in seinem restriktiven Menschenbild sowohl die „Wilden“ als auch die seiner Ansicht nach „anormalen“ ‚mestiços‘ – die „Herabgekommenen“ – abwertete, betonte er stets seine eigene indigene Ab­ stammung mütterlicherseits und erhob den sertanejo zum forte.470 Dieser sei ein ‚Mischling‘, aber der vermeintlichen ‚mestizischen Degeneration‘ an der Küste und der ‚europäischen Entnationalisierung‘ im Süden entkommen – die Isola­ 464 Weitere Ausführungen zu diesen Konzepten erfolgen in Kapitel III.5.d. 465 Galvão, „Introdução“, in: Cunha, Os sertões, 197929 (19021), S. X; Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 125–127. 466 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 328. Siehe auch ebd., S. 18, 326, 339 f. 467 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 499 („sub-raça“). Zitate und nähere Darlegungen hierzu in Kapitel III.5.d. 468 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 124 bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 63 (Quelle III.3.b-01). 469 Ders., Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 115. Curibocas (cariboca/caboclo) = ‚mestiços‘ aus indígenas und Europäern. 470 Ebd., S. 115, 125 f. Siehe auch Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 72.

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tion habe ihn „vor dem Abgleiten in die Irrungen und Laster des fortgeschrit­ tenen Milieus“ bewahrt.471 Daraus leitete Cunha ab: „Er ist der Rückständige, nicht der Entartete.“472 In Parlament und Presse wurden seine Ansichten noch jahrzehntelang reproduziert und in das Gewebe der bestehenden Stereotypen eingeflochten.473 Euclydes da Cunhas These von einer dreihundertjährigen ethnischen Isolie­ rung des Sertão ist historisch nicht haltbar.474 Dessen ungeachtet ist der Dualis­ mus Küste-Hinterland bis heute ein zentraler Pfeiler des brasilianischen Identi­ tätsdiskurses, welcher der „kopierten Zivilisation“ der Küste die „Authentizität der Nation“ im Sertão gegenüberstellt. Dieses Verständnis sieht die Soziologin Nísia Lima begleitet von der „negativen Repräsentation des sertanejo, mit seiner mestizischen Mentalität und Religiosität und seiner ewigen Scheu vor Verände­ rungen“, wobei sich die Wissenschaftlerin nicht von Cunhas Geringschätzung der genannten Assoziationen distanziert. Vielmehr scheint sie ihm beizupflich­ ten, die Bewohner des Hinterlands müssten aus ihrer ‚Rückständigkeit‘ befreit werden, indem sie effektiv in den brasilianischen Nationalstaat inkorporiert würden.475 In diesem Sinne leitet sie ihre Dissertationsschrift mit einem entspre­ chenden Zitat des Soziologen Guerreiro Ramos ein: „Die euclydische Vision Brasiliens ist wieder herzustellen. Ihr geistiges Niveau müssen sich die neuen Soziologen zum Ziel setzen. Sie machte auf dramatische Weise die Entfrem­ dung der brasilianischen Kultur wahrnehmbar.“476 Unberücksichtigt bleibt der Widerspruch, dass einerseits die Beeinflussung aus dem Ausland kritisiert wird und andererseits die zivilisatorischen Errungenschaften eben dieser Einflüsse zu kultivieren seien. Seit der frühen Nationalitätsdebatte mit ihren essentiellen Gegenpolen von Küste als Wirkungszone Europas und Sertão als geschützter Hort der Brasiliani­ 471 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 129. 472 Ebd., S. 129. Siehe auch: „eigentümliche Gestalt unserer zurückgebliebenen Lands­ leute“; sie „leben (...) noch heute mit ihren (...) uralten Bräuchen (...) ihrer bis zum Fatalismus getriebenen Frömmigkeit“. Ebd., S. 130, 116. 473 Siehe z.B. Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 501 und „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.3.b-02). 474 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 318; Albuquerque, Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 171. 475 Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 68. Bei Cunha: „Der ganze Feldzug bliebe ein sinnloses, barbarisches Verbrechen, wenn man die von der Artillerie gebahnten Wege nicht für eine beharrliche, nachhaltige Unterweisungskampagne nutzte, um jene rohen, zurückgebliebenen Landsleute in unser Zeitalter zu holen und unserer Lebens­ form einzugliedern“. Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 585 f. 476 Ramos, Alberto Guerreiro, zit. in: Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 17 (Quelle III.3.b-03). Eine ähnliche Würdigung findet Cunha im Schlusswort von Carli, Séculos de secas, 1984, S. 358.

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tät kristallisierten sich einige wenige, dafür umso markantere Züge des Hinter­ lands heraus. ‚Sertão‘ ist hierbei weniger geographisch als emotional zu verste­ hen, getragen vom verklärten Bild der pionierhaften Erschließung des interior durch Expeditionstrupps auf ihrer Suche nach Gold, Diamanten und Sklaven. Wehmütig beschrieb Cunha den Menschenschlag des bandeirante, jenes einst aus São Paulo aufgebrochenen und dort seit langem ‚ausgestorbenen‘ Abenteu­ rers, der den Sertão erschlossen habe und in ihm nach wie vor zu finden sei.477 Ergänzt wurde die Perzeption des Gebietes durch die beherrschende Präsenz der Großgrundbesitzer, des Banditentums und Messianismus, der Dürre und Landflucht. Ihnen gemeinsam ist ein Gefühl von Exotik, von emotionaler sowie räumlich-zeitlicher Entfernung. Vor diesem Hintergrund wurden die beiden für die brasilianische Nation als konstitutiv betrachteten Faktoren Sertão und civili­ zação stets als einander ausschließende Konzepte vorausgesetzt.478 Auf dem Weg der Integration sollte der Kontrast überwunden, die Zivilisierung des Sertão vollzogen werden. Cunhas Prinzip der „Integration der Rassen“, so Bartelt in seiner Studie, wurde von den Politikern nicht aufgegriffen, nicht einmal ernst genommen. „Zu absurd müsste den politisch Verantwortlichen der Vorschlag erschienen sein, ihre Nation ethnisch nun um eine ‚Sub-Rasse‘ herum zu erbauen, die der Vorschlagende selbst als unrettbar ‚barbarisch‘, ‚rückständig‘ und letztlich dem Untergang geweiht vorstellte.“479 Nach Cunhas Dafürhalten fehlte den sertane­ jos „eigentlich noch die organische Fähigkeit, sich einer höheren Zivilisations­ stufe anzuverwandeln“.480 Sie wurden allgemein als modernisierungsuntauglich eingestuft und kamen dementsprechend kaum als Architekten des nationalen Fortschritts in Frage. Den Siegeszug der technologischen Innovation versprach man sich von europäischstämmigen Experten und Fachkräften aus den natio­ nalen und internationalen Metropolen. In einer Zeit massiver Einwanderungs­ ströme aus Europa, von der brasilianischen Regierung mit hohen Investitionen und Anreizen gefördert, wandte sich Euclydes da Cunha nicht gegen diesen offiziellen Trend. Die gerade erst befreiten Sklaven und die arbeitslose Landbe­ völkerung im Sertão wurden von den Entscheidungsträgern übergangen. Der Modernisierungsdiskurs bewirkte keine gesellschaftliche Angleichung, sondern grenzte das Hinterland als Anti-Modernisierungsraum aus.481 Im euclydischen Opus nehmen zahlreiche Elemente eine zentrale Position ein, die schon Ende des 19. Jahrhunderts im Dürrediskurs fest verankert waren 477 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 114. 478 Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 54. 479 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 328. 480 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 160 bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 96 (Quelle III.3.b-04). 481 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 326, 328, 333.

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und durch ihre literarische Verarbeitung und Verbreitung weiter profiliert und propagiert wurden. Hierzu zählt unter anderem die ambivalente Darstellung des sertanejo, von Cunha als „Herkules-Quasimodo“ tituliert: „Er ist der im­ merfort Ermattete. In allem legt er eine unausrottbare Trägheit an den Tag. (...) Indessen, all dieser Schein trügt.“ Wenn es die Situation erfordert, manifestiere er eine „akrobatische Behendigkeit“ und zeige sein wahres Gesicht: „Der Ser­ tanejo ist, vor allem andern, der Starke“.482 Die Charakterisierung als starker Menschentyp, die wohl meistzitierte Stelle des Werks, erklärte Cunha durch den „Kampf mit der Umwelt, die seinem Organismus und Temperament ihre au­ ßergewöhnliche Rauheit offenbar eingeprägt hat“. Für den Autor gab es keinen Zweifel, dass „diese Rasse (...) unbestreitbar ein anschauliches Beispiel für die Wichtigkeit der Umwelteinflüsse“ war. Im „Gespenst der Dürre“ wähnte Cunha die Ursache des harten Lebens. Das Klima nannte er personifizierend „barba­ risch“ und „grausam“, die Sonne bezeichnete er als „Feind“ und die typische Ve­ getation der caatinga als unwirtlich und „abstoßend“, „vollends ungeeignet zum Leben“ während der Trockenzeiten.483 So wie der sertanejo in Cunhas Wech­ selspiel der Antithesen vom Quasimodo zum Herkules aufstieg, so wurde die Natur in ihren Extremen präsentiert. Die Verwandlung komme mit dem Regen – und „der Sertão ist ein Paradies“. Mit dieser an ufanistische Traditionen des 19. Jahrhunderts anknüpfenden und bereits im Zusammenhang sowohl des po­ litischen als auch des volkstümlichen Diskurses thematisierten Verherrlichung des ‚Sertão vor der Dürre‘ verstärkte Cunha die Auffassung, im Wassermangel liege der Kern der regionalen Probleme.484 Aufs Engste verwoben mit der Paradies-Semantik war bei Cunha der Topos der unzertrennlichen Bindung der Landbevölkerung an ihre Heimat: Sobald die Dürre vorbei war, führe die Sehnsucht den sertanejo zurück in seinen Ser­ tão.485 Damit unterstützte der Autor die Agrarelite, für welche der Exodus den Verlust der Arbeitskräfte bedeutete. Diesen Bruch der wirtschaftlichen und po­ litischen Beziehungen galt es aus oligarchischer Perspektive zu verhindern, unter 482 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 131–134. Siehe auch ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 81 und Barbosa, P.e Florentino, „Effeitos da sêcca“, in: A União vom 11.6.1915, S. 1 (Quelle III.3.b-05). 483 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 48–50, 52 f., 116, 121–124, 136, 159 f. bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 32 (Quelle III.3.b-06). Zu Cunhas Beschreibungen der Dürre und ihres Einflusses auf die Menschen siehe ebd., S. 92–95. 484 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 56 f., 59 bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 36 („E o sertão é um paraíso...“). Siehe auch Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 197 f. Der Begriff ufanismo entstand in Anlehnung an Celso, Affonso, Porque me ufano do meu país, Petrópolis, 8.9.1900, und bezeichnet die Attitüde, die Reichtü­ mer Brasiliens überschwänglich zu loben. Zur Mystifikation der ‚Fülle vor der Dürre‘ siehe Kapitel II.3.a und III.2.c. 485 Cunha, Os sertões, 197929 (19021), S. 95 (Quelle III.3.b-07).

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anderem durch detaillierte Beschreibungen der Ausbeutung in der Kautschuk­ produktion. Das meisterhaft verfasste Material über die „Versklavung“ cearensi­ scher Emigranten im Amazonasgebiet lieferte die „schwungvolle Feder“ Eucly­ des da Cunhas, im Nationalkongress vorgetragen von einem Abgeordneten aus Ceará.486 Zugleich wurde Amazonien zusammen mit Acre, Amapá und der süd­ lichen Landesgrenze herangezogen, um das von Cunha verewigte und von den Vertretern der Dürrezone immer wieder zitierte Heldentum der Männer aus dem Norden zu betonen – furchtlose Eroberer neuer Landstriche und tapfere Verteidiger des Vaterlands und Canudos’.487 Dass sich gerade die Nation in Ge­ stalt der republikanischen Truppen 1897 gegen Cunhas Helden von Canudos gestellt hatte, wurde hier offensichtlich nicht als Widerspruch empfunden. Der Heldenmythos rund um „Antonio Conselheiro“ und seine Gefolgschaft hatte zwanzig Jahre nach deren unrühmlicher Niederschlagung längst ein Eigenle­ ben entwickelt.488 Das Land stehe tief in der Schuld des patriotischen Nordens, so Cunha und mit ihm unisono die politischen Repräsentanten der Region, die ihn als herausragenden Kenner ihrer Heimat anführten und der Regierung mit seinen Argumenten große Versäumnisse vorwarfen. Die Antwort auf die ungelöste Problematik des „hundertjährigen Krieges gegen das Klima“ fanden sie ebenfalls „in den Worten des Wissenschaftlers, des Kundigen, des Weisen“: die Einrichtung permanenter, umfassender Strukturen zur Dürrebekämpfung, beruhend auf professionellen Kommissionen, ungeachtet etwaiger wirtschaft­ licher Schwächen des Landes.489 Mit dieser Referenz rechtfertigte der paraiba­ nische Abgeordnete Octacilio de Albuquerque 1920 das kostspielige NordostProgramm Epitácio Pessoas, welcher aufgrund der nationalen Finanznotlage in anderen Politikbereichen weitreichende Budgetkürzungen vornahm.490 Die Rezeption und Rezitation des Œuvre Euclydes da Cunhas trug erfolg­ reich dazu bei, das vom Dürrediskurs vermittelte Bild des Nordostens zu ­einem Stück Wirklichkeit werden zu lassen und die Forderungen der regionalen Oli­ 486 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1024 (Quelle III.3.b-08). Zu Cun­ has Erläuterungen, wie die cearensischen seringueiros (Kautschukarbeiter/Gummizap­ fer) vom Patron ausgebeutet wurden und der Schuldenfalle nicht mehr entkamen, siehe ebd., S. 1025 f. 487 „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.3.b-09). 488 Die Anführungsstriche sollen den Ausdruck „Antonio Conselheiro“ als konstruiertes und bald ‚naturalisiertes‘ Zeichen markieren. Zu den Hintergründen und der berech­ tigten Kritik, selbst die wissenschaftliche Literatur habe dazu beigetragen, den Men­ schen Antonio Vicente Mendes Maciel hinter diesem Zeichen zu verbergen, siehe Bar­ telt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 165. 489 Octacilio de Albuquerque (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 910, 912 (Quelle III.3.b-10). Siehe Lima, Um sertão chamado Brasil, 1999, S. 91, die auch hier unreflek­ tiert den Diskurs Cunhas und der politischen Elite des Nordostens übernimmt. 490 Dieser Aspekt wird in Kapitel IV.2.e aufgegriffen.

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garchie umzusetzen. Zum Zeitpunkt der Präsidentschaft Epitácio Pessoas wurde in dieser Hinsicht ein Höhepunkt erreicht. Dem vorausgegangen war eine lang­ jährige diskursive Vorbereitung, nicht nur im Metier der Literatur, sondern ebenso und in außerordentlichem Maße auf dem Feld der wissenschaftlichtechnischen Institutionalisierung der ‚Dürre‘.

4. Die Wissenschaft und die Trockenperioden – das ­Interesse der Ingenieure Als erste wissenschaftliche Analysen über die Dürre gelten die Ausführungen des cearensischen Ingenieurs und Politikers Viriato de Medeiros in der Zeitung Correio Mercantil in den Jahren 1859 und 1860. Sie legten den Grundstein für das Konzept der Vorhersehbarkeit und Lösbarkeit des Phänomens durch die Wissenschaft.491 Aus der Expedition der in Kapitel II.1.b erwähnten „Kaiserli­ chen Wissenschaftskommission und Kommission zur Erschließung der Nord­ provinzen“ gingen 1860 und 1861 zwei weitere Abhandlungen über die Dürre hervor, zum einen des Geologen und Ingenieurs Guilherme Schüch, des späte­ ren Baron von Capanema, und zum anderen des Topographen Giacomo Raja Gabaglia.492 Beide Mitglieder der Comissão Científica brachten erstmals die Lö­ sung des aus ihrer Sicht sekundären Dürreproblems mit einer Veränderung der wirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung. Die Forscher waren im Norden zwar nicht auf die von der Krone erhofften Gold- und Edelsteinfunde gestoßen, hatten jedoch beträchtliche Eisenerzvorkommen im semi-ariden Hinterland entdeckt. Da ihnen außerdem die bemerkenswerten Fähigkeiten der cearen­ sischen Handwerker aufgefallen waren, empfahlen sie die Förderung der Me­ tallverarbeitung. Mit Hilfe des technischen Fortschritts sollte eine Ausweitung 491 Medeiros, João Ernesto Viriato de, „O Ceará, Rio G. do Norte e Pernambuco“, in: Correio Mercantil (Rio de Janeiro) vom 8./9./13.5.1859 und Reforma von 1877, aus­ zugsweise abgedr. in: Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 178–180; und Medeiros, „Estudos sobre as secas do Nordeste“, in: Correio Mercantil (Rio de Janeiro), 1860 und Reforma, Mai/Juni 1877, zit. in: Senado Federal do Brasil, Senadores. João Ernesto Viriato de Medeiros. Biografia, senado.gov.br. Der Titel „Estudos sobre as secas do Nordeste“ wurde wahrscheinlich nachträglich vom Senat gewählt. An­ dernfalls wäre es eine Sensation, dass bereits 1860 von „Nordeste“ gesprochen wurde. 492 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 206–208; Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, 1923, S. 323; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 177 f. Zu Schüch siehe auch Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 44 und Zilly, Anhang zu Krieg im Sertão, 1994, S. 701. Ein Enkel Raja Gabaglias heiratete 1922 Epitácio Pessoas Tochter und Biographin Laurita. Familienchronik Família Monteiro de Bar­ ros. Desde 1679. 328 anos de história, fammonteirodeBarros.com.sapo.pt und „Enlace Gabaglia-Pessôa“, in: A União vom 4.6.1922, S. 1.

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der ökonomischen Strukturen vollzogen werden. Die Einführung moderner Methoden legte Schüch, der entsprechende Erfahrungen in Europa gesammelt hatte, ebenfalls für die Agrarwirtschaft nahe. Die Menschen müssten lernen, größeren Nutzen aus ihrem Land zu ziehen und sich unabhängiger vom Klima zu machen, etwa durch eine effizientere Viehzucht, Silos und die Aufbereitung von Milch in Fa­briken. Raja Gabaglia machte ähnliche Vorschläge zur Verbes­ serung der Anpflanzungssysteme und befürwortete darüber hinaus den Ausbau der mangelhaften Infrastruktur, insbesondere des Hafens von Fortaleza, um durch den schnellen Transport von Nahrungsmitteln Hungerkatastrophen zu verhindern.493 Zum damaligen Zeitpunkt wurde mit einer Trockenperiode im Jahr 1865 gerechnet, weil die beiden vorherigen großen Dürren in den Jahren 1825 und 1845 im Abstand von 20 Jahren aufgetreten waren. Als die erwartete Trockenheit ausblieb, glaubten die Menschen an ein Ende des verheerenden Klimazyklus, und die Pläne von Schüch und Raja Gabaglia gerieten in Verges­ senheit. Um so unvorbereiteter und härter wurde die Region in der nächsten Dekade von der ‚Großen Dürre‘ getroffen.494 Durch das katastrophale Ausmaß der Trockenperiode von 1877 und die hef­ tige Reaktion in der Öffentlichkeit war die Nachfrage nach meteorologischen und geologischen Erzeugnissen auf einen Schlag größer als je zuvor. Die Studien von Schüch und Raja Gabaglia kamen erneut ins Gespräch und wurden noch im selben Jahr auf einem Kongress zur Lösung der Dürreproblematik durch Wissenschaft und Technik vorgestellt und anschließend publiziert.495 Die Krone 493 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 206–208; Greenfield, Great Drought and elite discourse, 1992, S. 382 f.; Gabaglia, Giacomo Raja, „Ensaios sobre alguns melho­ ramentos tendentes á prosperidade da provincia do Ceará“, Rio de Janeiro: Typogra­ phia Nacional, 1877 (18611), S. 3 („porto do Ceará“), 5 („productos manufacturados (...) actualmente insignificante“), 7 („communicações pessimas“); siehe hierzu auch die Erläuterungen von Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 191 f., der sich auf die ursprüngliche Ausgabe von 1861 bezieht (Gabaglia lebte von 1826 bis 1872): Gabaglia, Jácomo Raja, „Alguns melhoramentos tendentes à prosperi­ dade da província do Ceará“, 1861, S. 5. Der Historiker Marco Antonio Villa diskre­ ditiert Gabaglia und Schüch und ihre als „Schmetterlingskommission“ („commissão (...) das borboletas“, Mello, Figueira de (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 245, Hervorhebung aus dem Original) bekannt gewordene und von Villa als „Comissão Defloradora“ betitelte Unternehmung. Ebenso wie die zeitgenössischen Vertreter des Nordens sucht Villa die Wurzeln der regionalen Schwierigkeiten nicht in der Region selbst, sondern bei den Politikern im Süden des Landes. Villa, História das secas, 2001, S. 26–31 (26). Zu Villa siehe Kapitel IV.6.c. 494 Bezerra, José Tanísio Vieira, Quando a ambição vira projeto. Fortaleza, entre o progresso e o caos (1846–1879) (Mestrado História Social), São Paulo: Pontifícia Universidade Católica de São Paulo, 2000, S. 111. 495 Gabaglia, Ensaios sobre alguns melhoramentos (Ceará), 1877 (18611); Capanema, Guil­ herme Schüch de, „Apontamentos sobre secas do Ceará“, 1878 und „A seca do Norte“,

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sandte eine Untersuchungskommission unter Henrique Beaurepaire Rohan nach Ceará, und im Oktober 1877 versammelten sich im Instituto Politécnico von Rio de Janeiro die namhaftesten kaiserlichen Ingenieure, um Maßnahmen vorzuschlagen. Sie regten den Bau von Straßen und Schienensträngen an, die Vergrößerung der See- und Flusshäfen sowie die Enteignung des Landes ent­ lang der Eisenbahnlinien, um es an die Dürreflüchtlinge oder colonos nacionais zu verteilen. Die Infrastrukturerweiterung sollte die Lebensmittelversorgung während der Trockenperioden garantieren und die vorhandenen Wirtschafts­ aktivitäten im Sertão ankurbeln, vornehmlich die Baumwollproduktion. Land­ verteilungen und die Bildung von Agrarsiedlungen waren darauf ausgerichtet, die Arbeitskräfte vor Ort zu halten.496 Gemäß der verbreiteten Überzeugung, der Wassermangel sei die Hauptursache der regionalen Probleme, rückte die Wasserbaulösung (solução hidráulica) in den Fokus der Diskussionen. Neben der Errichtung von Brunnen und Stauanlagen wurde das Projekt der bis heute umstrittenen Kanalisierung des São Francisco hin zu Flüssen im Norte seco wie dem Salgado und Jaguaribe debattiert.497 Die Sociedade Auxiliadora da Indústria Nacional, welcher auch Beaurepaire Rohan angehörte, schlug unter der Leitung des Barons von Rio Branco unter anderem die Installation einer Baumwollfabrik, die Einführung von Weizen, die Konstruktion von Silos sowie die Förderung der in der Region existenten Industrie vor. Von den ‚Wundern‘ der kapitalistischen Industrialisierung in Eu­ ropa und den USA begeistert, fassten die brasilianischen Ingenieure technische Vorhaben ins Auge. Ohne fachgerechte Planung und Koordination waren we­ der im Bereich der aufwendigen Wasserbaulösung noch bei der wirtschaftlichen Modernisierung Erfolge zu erwarten, womit sich die Träger des wissenschaft­ lich-technischen Diskurses ihren festen Platz im Dürreapparat sicherten. Mit der föderalistischen Verfassung von 1891, die viele Aufgaben den Provinzen übertrug, wurde es umso wichtiger, die Zentralregierung für die Behebung der Dürreprobleme in die Pflicht zu nehmen. Dadurch stiegen die Möglichkeiten für staatliche Investitionen und den Einsatz der nationalen Ingenieurskunst.498 1901, zit. in: Rios, Dellano, „A seca de 1877 e a identidade cearense“, in: Diário do Nor­ deste (Fortaleza) vom 6.11.2006, Caderno 3. Der in diesem Artikel interviewten Histo­ rikerin Kênia Rios zufolge wurden die Schriften von Gabaglia und Schüch erstmals nach 1877 veröffentlicht. Darauf deuten auch Stellungnahmen im Senat hin: Mello (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 245; Barão de Cotegipe (Bahia), ebd., S. 250. 496 Souza/Medeiros, Os degredados filhos da seca, 1983, S. 67; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 209. Zur Rohan-Kommission siehe auch Kapitel II.2.c. 497 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281 (Quelle III.4-01). Zur transpo­ sição des São Francisco siehe Kapitel V.5.c. 498 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 188, 212–214, 216; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 18 f.

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Ihrem Verständnis nach allein an ein ‚höheres Wissen‘ und den Fortschritts­ gedanken gebunden, betrachteten sich die Vertreter des wissenschaftlichen Diskurses als neutral, unberührt von jeglichen politischen Zielen und Arrange­ ments, fähig zur Verwirklichung von Wandel, Erlösung, Modernisierung und Zivilisierung. Die Ingenieure stellten sich als Repräsentanten der gesamtgesell­ schaftlichen Interessen dar und forderten von den politischen Machthabern, sich ihrer von technischer Rationalität geprägten Leitung zu unterwerfen. Mit Gründung der Inspetoria de Obras Contra as Secas (IOCS) gelang 1909 – nach einigen Vorläufern – die Institutionalisierung der Dürrebekämpfung.499 Zumal sich sowohl die Direktoren der IOCS als auch die Politiker der regionalen Oli­ garchie als Entscheidungsträger empfanden, kam es zu zahlreichen Auseinander­ setzungen. Prävention durch progressive Ingenieursbauten sowie neue Konzepte für das Agrarwesen und andere Wirtschaftszweige wurden von den Großgrund­ besitzern abgelehnt, sobald dies eine Veränderung ihrer Macht­position bedeu­ ten konnte. Vorschläge wie die Diversifizierung und Verbesserung der Anbau­ kulturen, Wetterstationen und Aufforstungen, die ebenfalls von ausländischen Wissenschaftlern empfohlen wurden, fanden keine Zustimmung.500 Im Gegensatz zu den konservativen Gruppierungen der Region zeichnete sich im wissenschaftlich-technischen Kontext eine sichtliche diskursive Expan­ sion ab. Im 19.  Jahrhundert stand die Dürre noch vorrangig als Naturereig­ nis im Mittelpunkt der Bemühungen, die sich folglich auf die Behebung der Wasserknappheit konzentrierten. Sogar die künstliche Beeinflussung des Kli­ mas durch die Anlage vermeintlich regenfördernder Feuchtgebiete wurde an­ gestrebt.501 In Wirtschaftsfragen ging es allenfalls um die Infrastruktur, die seit jeher ein Anliegen der exportorientierten Oligarchie gewesen war und von den Ingenieuren als Maßnahme zur Rettung von Dürreopfern begrüßt wurde. Zu Beginn des 20.  Jahrhunderts erweiterte sich diese Perspektive. Im Juni 1907 führte Raymundo Pereira da Silva in der Ingenieursvereinigung von Rio de Janeiro sozioökonomische und klimaunabhängige Faktoren als fundamentale Ursache des Gesamtproblems an: unzulängliche Arbeitsorganisation und Han­ delsvoraussetzungen (Verkehrswege, Kreditmöglichkeiten), gänzlicher Mangel an materiellen Ressourcen und beruflicher Schulung (verbesserte Anpflanzungs­

499 Nähere Informationen zur IOCS (1919 in IFOCS und 1945 in DNOCS umbenannt) in Kapitel IV.3.b/c und V.4.a. 500 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 180–182, 187; Carvalho, Econo­ mia política e secas, 1988, S. 197, 209; Greenfield, Great Drought and elite discourse, 1992, S. 382. 501 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281 (Quelle III.4-02). Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 201 f.; Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 19.

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systeme und -methoden).502 Die Dürre wurde aus dem natürlichen in das soziale Umfeld verschoben, argumentativ begleitet von internationalen Beispielen. In fortschrittlichen Gesellschaften wie den USA seien Trockenperioden ein ver­ gessenes Phänomen, das zwar in Erscheinung trete, doch keine nennenswerten Auswirkungen auf das Leben der Menschen und die wirtschaftliche Entfaltung habe.503 Die Ingenieure versprachen eine „radikale wissenschaftliche Lösung des Dürreproblems“ und warben für die „wissenschaftlichen und erprobten Mittel“ der infrastrukturellen Modernisierung.504 Meist kreisten die praktischen Ansätze nach wie vor um die Wasserthematik. Ein Ingenieur aus Rio de Janeiro hatte eigens eine spezielle Maschine zur Bohrung von Brunnen im Trockengebiet er­ funden und garantierte in einem Artikel der paraibanischen Regierungszeitung die Erlangung von genügend Trinkwasser für das Hinterland der Provinz.505 So trachteten viele mehr oder weniger qualifizierte Experten danach, am Dürre­ bekämpfungsboom teilzuhaben. Mit Einrichtung der IOCS begann eine neue Flut regionaler Untersuchungen, deren Ergebnisse zehn Jahre später unter Epi­ tácio Pessoa (1919–22) als Grundlage für sein extensives Nordost-Programm genutzt werden sollten. Die von Ingenieuren geleitete Dürrebehörde, im Jahr 1919 nationalisiert und zur Bundesinstitution IFOCS aufgewertet, zielte da­ rauf ab, die Ad-hoc-Hilfen in eine langfristige Politik umzuwandeln.506 Mit die­ ser Forderung befand sie sich in absolutem Einverständnis mit der regionalen Oligarchie, die im Kongress den technisch-wissenschaftlichen Diskurs für ihre Zwecke einzusetzen lernte.

502 Silva, R. Pereira da, O problema do Norte. Parecer apresentado ao conselho diretor [do Club de Engenharia] na sessão de 1 de junho de 1907, 1909, S. 17, 30, 32–34 (Quelle III.403). 503 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 201 f. 504 „A sêcca“, in: A União vom 9.5.1919, S. 1 (Quelle III.4-04); Bouchardt, Jonny (en­ genheiro civil), „Solução radical e scientifica do problema das sêccas. Meios a empregar e resultados provaveis“, in: A União vom 25.5.1915, S. 1. Gemäß Manuel Pinto de Aguiar hatte der Ingenieur bereits zehn Jahre zuvor „visionäre“ und „für seine Zeit zu ehrgeizige“ Projekte ausgearbeitet. Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 51, mit Referenz auf Bauchardet, Joany, O problema do Norte, Rio de Janeiro: Livraria Garnier, o. D. (ca. 1905). Zu Bouchardt siehe auch Kapitel IV.3.c. 505 „A sêcca, o grande problema do Nordeste. – Como resolvel-o pratica e scientifica­ mente“, in: A União vom 3.6.1919, S. 1. 506 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 183, 185 f. Nähere Angaben zur Inspetoria Federal de Obras Contra as Secas erfolgen in Kapitel IV.3.c.

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5. Der oligarchische Dürrediskurs a) Grundzüge, Herausbildung und Adaptation Verhältnis von oligarchischem und dominantem Diskurs

Wie einführend zu diesem Kapitel angedeutet, ist der Diskurs der dominanten, oligarchischen Schicht nicht automatisch als diskursiv dominant zu verstehen, selbst wenn sein Wirkungsbereich überproportional groß war. Die Oligarchien kontrollierten die wesentlichen Kanäle für die Bildung der ‚öffentlichen Mei­ nung‘ und verfügten damit über wichtige Mittel, den Dürrediskurs zu prägen. Andererseits erklärt sich das Attribut der diskursiven Dominanz nicht allein durch soziale Hegemonie. Für den vorherrschenden discurso da seca ist vielmehr entscheidend, dass seine Aussagen alle Gesellschaftsschichten berührten und mehrheitlich als Repräsentation der Realität angenommen wurden. Die für ihn charakteristische Kreuzung aus verschiedenen Diskursen ergab sich durch mehr oder weniger enge Gemeinsamkeiten in maßgeblichen Ansichten und Archety­ pen, die in einem kohärenten Kern zusammenliefen. Die Verfolgung konkreter Ziele und die Umsetzung einzelner Diskursvarianten hingen wiederum von in­ dividuellen Akteuren bzw. Institutionen ab und brachten Ambivalenzen und Antagonismen mit sich. Zudem waren die Argumentationen einem ständigen Wandel unterworfen, gemäß dem sich verändernden Kontext und neuen Anfor­ derungen an den Diskurs.507 Ebenso wie der dominante Dürrediskurs keine konstante Einheit darstellte, waren die ihm zugrunde liegenden Vorbilder Produkte einer beweglichen Ko­ existenz heterogener Inhalte, die aufeinander aufbauten, sich gegenseitig trugen oder ausschlossen, sich anpassten oder ausgrenzten. Der oligarchische Dürre­ diskurs wuchs mit der seit 1877 an Kontur gewinnenden Politisierung der Tro­ ckenheit, indem er nach und nach externe Elemente vereinnahmte und verar­ beitete. Sein großer Einfluss auf die Konstruktion der ‚Dürre‘ ist nicht zuletzt auf diese Integration existenter Diskurse und die Assimilation an wirtschaftli­ che, politische und gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen. Der von Bourdieu skizzierten „strukturellen Zensur“ entsprechend, ist auch oder gerade der Diskurs der dominanten Schicht an die zensierende „Struktur des Feldes“ gebunden. Auf dem „Markt symbolischer Güter“, auf dem die diskursive Aus­ gestaltung der Wirklichkeit nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktioniert, muss sich der Diskurs des autorisierten Sprechers mehr als alle 507 Ebd., S. 12, 266, 357 f., 361.

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anderen den systemimmanenten Normen beugen.508 Ohne eine Verzahnung mit den Werten anderer sozialer Gruppen ist eine Akzeptanz außerhalb des eigenen Kreises nicht zu erwarten. Die Oligarchie war deshalb in besonderer Weise zur Berücksichtigung dieser ungeschriebenen Regeln angehalten, weil für sie der Verlust ihres Machtworts auf dem Spiel stand. Im Gefüge der wechsel­ seitigen Abhängigkeit von politisch-persönlichem Erfolg und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mussten sich die Redner am Horizont ihres Publikums orientieren.509 Regionalistische Motivation, diskursive Motive und Schnittstellen

Im 19.  Jahrhundert nahmen in Brasilien die regionalistischen Diskurse in dem Maße zu, wie sich der nationale Raum vereinte und zentralisierte. Eine der Triebfedern war im Norden das steigende Bewusstsein der Krise, einher­ gehend mit der allmählichen Umkehrung der traditionellen Wirtschafts- und Politikverhältnisse. Die Region wurde im Zuge der ökonomischen Homoge­ nisierung und machtpolitischen Zentralisierung in die Nation integriert, aller­ dings dem Süden untergeordnet, so dass ihre Agrareliten den zunehmenden Staatsinterventionismus und die Wirtschaftspolitik aus der Landeshauptstadt anklagten. Diese fördere ausschließlich die Kaffeeproduktion des Südens, be­ nachteilige indes die Produzenten aus dem Norden, verweigere ihnen finanzi­ elle Zuwendungen, unter anderem zur Substitution der Sklaven, und setze ihre Waren übertrieben hohen Steuern aus.510 Der interregionale Ressourcendisput beherrschte ebenfalls die Dürrethematik, wobei die Stauanlagen zu den primä­ 508 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 118. Zur Zirkulations- und Tausch­ fähigkeit einer Aussage siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 175. Siehe außerdem ebd., S. 36, 43, 63–65, 80, 82, 89 und Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 262 f., 267, mit Verweis auf Foucault, Michel, „Réponse au cercle d’epistémologie“, in: Cahiers pour l’analyse (Paris), Nr. 9 (1968), S. 24 und ders., His­ tória da sexualidade, Bd. 1: A vontade de saber, Rio de Janeiro: Edições Graal, 19824, S. 94 f. 509 In Anlehnung an Baasner/Zens, Methoden der Literaturwissenschaft, 2001, S. 187, 227, ursprünglich auf Literatur bezogen. 510 Albuquerque, Cabra da peste, 2005, S. 34; ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 59 f., 311; ders., Nordestino: uma invenção do falo, 2003, S. 151 f.; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 287; Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. 35; Gurjão, Eliete de Queiróz, Morte e vida das oligarquias, Paraíba (1889–1945) (ursprünglich Dissertação de Mestrado em Sociologia Rural unter dem Titel O poder oligárquico na Paraíba: descontinuidade e recriação (1889–1945), Campina Grande: UFPb, 1985), João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1994, S. 17 f. Weitere Aspekte zur Genese und zu den Motiven des regionalistischen Diskurses in II.3.a, II.3.c und III.5.e.

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ren Streitpunkten gehörten. Während Regierungsmitglieder aus dem Süden die stehenden Gewässer aufgrund der hohen Verdunstung für untauglich hielten und als Biotope epidemischer Keimzellen bezeichneten, verteidigten die Re­ präsentanten des Nordens die Reservoire als einzige Lösung, um in Dürrezeiten das Vieh zu retten und die Bevölkerung – also die Arbeitskräfte – in der Region zu halten.511 Die staatlichen Ingenieure in Rio de Janeiro plädierten seit der Dürrekatastrophe von 1877–79 mehrheitlich für große Sammelbecken als Zu­ fluchtsorte, als Kontrollmechanismen zum Schutz vor Überschwemmungen, als Garant zur Wasserversorgung der Städte und als Grundlage für eine moderne Bewässerungslandwirtschaft. Da die Bauten als staatliche Unternehmung kon­ zipiert waren, sollten sowohl die Ländereien, auf denen sie errichtet würden, als auch die benachbarten Landstücke in öffentlichen Besitz übergehen. Mit einem derart weitreichenden Eingriff in ihr Privatvermögen wollten sich die Oligarchien des Nordens nicht abfinden und verlangten die Alternative kleiner Stauanlagen.512 Der cearensische Abgeordnete Thomaz Pompeu wog 1882 im Kongress ab, ob große oder kleine Wasserbecken vorteilhafter seien. Nur wer die Angelegen­ heit nicht aufmerksam genug studiere und sich von fantastischen Versprechun­ gen verleiten lasse, könne seiner Meinung nach den großen Reservoiren den Vorrang geben. Ausführlich zählte er Pro und Contra der jeweiligen Option auf und untermauerte sie mit mathematischen Formeln und Berechnungen, denen wohl die wenigsten Parlamentarier spontan folgen konnten, die jedoch seine „unparteiische Objektivität“ bezeugen sollten. Die Beurteilung der gro­ ßen Stauanlagen, „wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Charakters, von ge­ lehrten und patriotischen Kennern befunden“, lief letztlich darauf hinaus, dass sich der Staat die höheren Kosten nicht leisten könne. Um überhaupt etwas in Angriff zu nehmen, seien daher die kleineren Becken vorzuziehen.513 Nach den überaus komplexen Reflexionen wirkte diese Schlussfolgerung geradezu faden­ scheinig und verbarg kaum das eigentliche Plus kleiner Reservoire aus Sicht der Landherren: Im Gegensatz zu den großen sollten sie nicht in Regie und unter dem Regiment der Zentralregierung entstehen, sondern – mit staatlicher Teil­ finanzierung – in privater Verantwortung. Die Oligarchien würden die Gelder in eigenen Händen halten und sie nach ihrem Gutdünken einsetzen können. Gegen die großen Stauanlagen brachte Pompeu des Weiteren ein Beispiel aus den Krisenjahren 1877–79 ein. Von Zustimmungsbekundungen seiner Amtskollegen begleitet, beschrieb er die damalige Situation des fruchtbaren und 511 Calogeras (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 650 f. Siehe auch Albu­ querque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 306. 512 Ebd., S. 206–208. 513 Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 341–343, 350 (Quelle III.5.a-01).

Der oligarchische Dürrediskurs



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von der Trockenheit an sich verschonten Cariry-Tals, „als die lokale Bevölke­ rung durch die herbeiströmenden Dürreflüchtlinge verdreifacht wurde und die Felder durch Raub und Gefräßigkeit der Hungernden, die nichts respektier­ ten, zerstört wurden“. Angesichts dieser Erfahrung hielt er es für unzumutbar, die ursprüngliche Population in der Umgebung großer Sammelbecken, die in Trockenzeiten gewaltige Menschenmengen anzogen, dieser ‚Last‘ auszusetzen. Die in klimatische Oasen eindringenden Dürreopfer erschienen in seiner Argu­ mentationskette als Störfaktoren der sozialen Ordnung. Kleine Bewässerungs­ stationen, auf die gesamte Provinz verteilt, würden hingegen die Migration verhindern und allen Bewohnern an ihrem Heimatort zugute kommen. Ob es Pompeu mit „allen Bewohnern“ tatsächlich ernst meinte, ist zweifelhaft, denn ihm zufolge konnte vom Staat nicht erwartet werden, „jedem Bürger einen açude zu konstruieren“. Vielmehr solle sich die staatliche Aktivität auf techni­ sche Einweisungen, Prämien und Vergünstigungen in bestimmten individuel­ len Fällen beschränken.514 Der cearensische Abgeordnete wollte demnach nicht Wasser für alle, er beanspruchte lediglich Subventionen für diejenigen, die über die nötigen Mittel und Kontakte verfügten. Die südlichen Politiker argwöhnten zu Recht, die kleineren Reservoire würden privilegierte Privatpersonen favori­ sieren, die sich durch die Aufwertung ihres Landbesitzes, durch Korruption und Scheinbauten illegal bereicherten.515 Stießen in der Frage der Stauanlagen die Ansichten aus Norden und Süden unversöhnlich aufeinander, vollzog sich in anderen Punkten eine interdiskursive Beeinflussung, die in eine zweckgerichtete Anpassung des Dürrediskurses mün­ dete. So bot die Kritik der Süd-Oligarchien an der mangelhaften Strukturierung der Notstandsmaßnahmen ihren nördlichen Gegenspielern die Rechtfertigung einer permanenten Regionalbehörde.516 Anfang des 20.  Jahrhunderts war es eine Grundforderung des Nordens, die Lösung der Klimaproblematik zu ins­ titutionalisieren und die hierzu unabdingbaren Planungsorgane einzurichten. Letztlich ging es um die Öffnung eines politischen Raums, der von den NordOligarchien eingenommen werden konnte. Die sporadischen ‚Almosen‘ sollten durch dauerhafte Investitionen ersetzt werden, um das Produktionsniveau des

514 Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 343, 349  f. (Quelle III.5.a-02). Açude bezeichnet in Brasilien zugleich Staudamm (meist handelt es sich um einfachere Dämme für Rückhaltebecken), Stauanlage, Staugebiet und Stausee (Di­ cionário Aurélio – Século XXI). 515 Guerra, Phelippe/Guerra, Theóphilo, Seccas contra as seccas, 19031, S. 165–167; Al­ buquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 307. Die Missbrauchspraktiken im Rahmen der Dürrepolitik werden in Kapitel IV.4.e näher ausgeführt. 516 Siehe z.B. Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 912.

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‚bevorzugten‘ Südens zu erreichen.517 Mit dieser Herangehensweise näherte sich der oligarchische Diskurs dem technisch-wissenschaftlichen an. Eine ähnliche Entwicklung ergab sich bei der Interpretation des Naturer­ eignisses. Im 19. Jahrhundert war die politische Oberschicht in Glaubensfragen mehrheitlich konservativ-traditionell ausgerichtet und assoziierte, wie auch etli­ che Stimmen aus Kirche und Volk, die Dürre mit einer schicksalhaften Gottes­ botschaft. Diese Anschauung gab den Kongressmitgliedern des Südens 1877–79 Anlass, gegen Investitionen in die Region zu votieren, denn als Zeichen Gottes sei die Trockenheit nicht durch staatliche Aktionen zu beheben. Folglich könne die Regierung lediglich den Opfern beistehen; alles Weitere hänge von der gött­ lichen Vorsehung ab.518 Um dieser Zwickmühle zu entkommen, suchten die Oligarchien des Nordens einen diskursiven Ausweg im Klimakonzept der nati­ onalen und regionalen Wissenschaftler. Das einstmals unvorhersehbare Phäno­ men, von Gott zur Bestrafung der Sünden geschickt, wurde aus naturwissen­ schaftlicher Perspektive als periodisch und somit prognostizierbar klassifiziert und konnte präventiv und dauerhaft bekämpft werden.519 Scientifizierung und Ökonomisierung des oligarchischen Diskurses

Während bei früheren Trockenzeiten spontan und auf die Dauer des klima­ tischen Desasters begrenzt um Hilfe der Zentralregierung gebeten worden war, setzte sich nach 1877 ein Diskurs durch, der mit der Begründung einer „quasi periodischen Katastrophe“ permanent und systematisch an Legislative und Exekutive appellierte.520 Kaum war die ‚Große Dürre‘ überwunden, wuss­ ten die Vertreter der Nord-Oligarchien von einer bevorstehenden calamidade in den Jahren 1890–93 zu berichten, die ihre dunklen Schatten auf die ge­ deihenden Provinzen vorauswerfe. Ein hundertjähriger Zyklus galt ihnen als „erwiesen“, und der korrespondierende Klimaeinbruch von 1790–93 sei der „grausamste gewesen, am schmerzlichsten in die Erinnerung der Volkstradition eingebrannt“.521 Durch die ‚wissenschaftliche‘ Periodisierung gewannen die For­ derungen aus dem Norden größere Legitimität im Kongress. Die bestechende Analogie der schweren Trockenzeiten von 1625/1677/1691, 1725/1777/1791 und 1825/1877/1891 war in den 1880er-Jahren im brasilianischen Parlament in 517 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 309 f. 518 Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249; Diogo Velho (Paraíba, Ministro dos Negócios Estrangeiros), Anais do Senado, 7.8.1877, S. 70. Zum genauen Wortlaut siehe Kapitel II.3.a bzw. Quellen II.3.a-20/21. 519 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 276 f. 520 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 279. 521 Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 533 (Quelle III.5.a-03).

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aller Munde. Je nach Bedarf wurde die „absolute Periodizität“ der „kosmischen Gesetzmäßigkeiten“ flexibel assimiliert, so dass 1898 und 1900 mit Verweis auf die Dürrejahre 1790–95, 1791–94 und 1796 Gelder beantragt wurden.522 Der cearensische Abgeordnete Ildefonso Albano präsentierte 1917 im Kon­ gress eine akribisch zusammengestellte Dürreliste von 1603 bis 1915, die in den Annalen ganze acht Seiten füllt. Die Glaubwürdigkeit des im Süden immer wieder in seiner Frequenz, Intensität und Extension angezweifelten Naturschau­ spiels versuchte er – unter Beweisstellung seiner internationalen Fachkenntnisse – zu steigern, indem er die „bemerkenswerte Übereinstimmung“ von neun ce­ arensischen Trockenperioden im 18. und 19. Jahrhundert mit ihren indischen Pendants anführte und die Niederschlagsarmut der Jahre 1877–79 als globale Erscheinung herausstellte.523 Im Dürrejahr 1919 wurde ein 1900 verfasster Bei­ trag über die kosmischen Zusammenhänge der Trockenzyklen veröffentlicht. Der Autor wagte Vorhersagen bis ins Jahr 2007, war darin allerdings weniger präzis als in der Rückschau.524 Wichtiger als die meteorologische Treffsicher­ heit waren die politische Zielsicherheit und das Geschick, eine sich anbahnende Trockenheit mittels der Jahrhundertanalogien im Kongress frühzeitig zur regi­ onalen Notlage zu deklarieren und die gewünschten Maßnahmen in die Wege zu leiten. Das Instrument der klimatischen Periodisierung war nur ein Aspekt einer allgemeinen Scientifizierung der oligarchischen Ideologie. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Wissenschaftlichkeit in Brasilien – zumindest in den progressiven Sektoren der Gesellschaft – zu einem der zentralen Paradigmen im öffentlichen Diskurs avanciert. Die einschneidenden Erlebnisse im Tripel-Alli­ anz-Krieg, die seit Jahrzehnten latente Sklavereifrage, mehrere Epidemien sowie andere Herausforderungen der voranschreitenden Urbanisierung und nicht zu­ letzt die belastende Gewissheit über ein extrem niedriges Bildungsniveau übten nach 1870 einen unausweichlichen Modernisierungsdruck aus. Angesichts des sich ausbreitenden grenzenlosen Vertrauens in ein höheres Wissen, aufgefasst als einzig zuverlässige Quelle der Wahrheit und Modernisierung, wurde die Wis­ 522 Werneck, Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 301  f.; Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 68, 72; Sá, Francisco (Ceará), Anais da Câmara, 12.9.1900, S. 210 f. (Quelle III.5.a-04). 523 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 995–1002 (1002) (Quelle III.5.a-05). 524 Als Dürrejahre wurden genannt: 1791–93, 1816, 1824, 1845, 1877–79, 1900, 1909, 1929, 1959–63, 1984, 1993. Seixas, José Pordeus Rodrigues, „Tabella demonstrativa dos annos favoraveis e de sêccas nos Estados do Norte do Brasil, a saber: Pernambuco, Parahyba, Rio Grande do Norte, Ceará e Piauhy“, ursprünglich verfasst am 15.6.1900 in Umary do Pordeus, reproduziert im Artikel „As sèccas“, in: A União Agricola vom 15.2.1919, S. 3. Die tatsächlichen Dürrejahre im 20. Jahrhundert waren 1915, 1919, 1932, 1958, 1979–83, 1990–93, 1998–99 (siehe Tabelle in Anhang 2).

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senschaftlichkeit unentbehrlich für einen parlamentarischen Redner, der über­ zeugen wollte. Ihr Einfluss auf den Dürrediskurs war schon in den Debatten von 1877–79 spürbar und nahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer stärker zu. Im finanz- und wirtschaftspolitischen Streit um die Anerkennung der Tro­ ckenheit wurde die ‚Objektivität‘ der gelehrten Klassifizierungsmacht evoziert, um das Bild der Klimaproblematik in der Färbung der regionalen Oligarchie zu zeichnen. Bei Bourdieu heißt es: „Wenn es diesen ‚wissenschaftlichen‘ My­ thologien gelingt, sich im kollektiven Glauben durchzusetzen und durch ihre Mobilisierungskraft die Bedingungen ihrer eigenen Verwirklichung zu schaf­ fen, können sie nämlich durchaus voraus-schauend ihre eigene Verifizierung erzeugen.“525 Aus der herrschenden Schicht des Nordens gingen mehrere Akademiker hervor, die voluminöse Studien anfertigten, um ihren Ansprüchen gegenüber der kaiserlichen und später der republikanischen Regierung mehr Nachdruck zu verleihen. Die Interessen der Agrarelite wurden so mit dem Etikett wissen­ schaftlich belegter Unerlässlichkeit in die Entscheidungsgremien getragen, was es den politischen Vertretern der anderen Regionen und den oppositionellen Gruppierungen im Norden erschwerte, sie bloßzulegen. Die Technisierung und Ökonomisierung des oligarchischen Diskurses löste die Diskussion um die Dür­ regelder, häufig begleitet von Korruptionsvorwürfen, scheinbar aus dem heiß umkämpften Feld leidenschaftlicher Politik und verlegte sie in das „neutrale“ Gebiet der Wissenschaft. Den Ingenieuren zufolge waren ihre technischen Empfehlungen nur am Allgemeinwohl der Bevölkerung ausgerichtet. Die Re­ präsentanten des Nordens übernahmen diesen Ansatz, ohne zugleich das Zepter der politischen Bestimmungskraft an die ausführende Zunft weiterzureichen.526 In Anlehnung an den wissenschaftlichen Diskurs brachten sie die verheerenden Auswirkungen der Trockenheit verstärkt mit der regionalen Wirtschaftsent­ wicklung in Verbindung.527 Im Kongress wurden methodische Darbietungen und statistische Daten bemüht, um einen Kausalzusammenhang zwischen der Dürre und den Einbußen der nationalen Produktion zu verifizieren.528 Dieser 525 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 101. Siehe auch ebd., S. 100; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 154, 240; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 11, 179. 526 Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 340 (Quelle III.5.a-06). Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 178 f., 379 f. 527 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281; Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 340 (Quelle III.5.a-07). Siehe zudem Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 188, 303 f. 528 Barroso, Benjamin (Gouverneur von Ceará), Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 879 (siehe Kapitel  III.5.e und Quelle III.5.e-32); Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 342; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22./23.7.1915, S. 114 f., 139.

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Perspektivenwandel war grundlegend für das Ziel, den Fortschritt zu finanzie­ ren – das immer umfassender akzeptierte ‚Heilmittel für alle Übel‘.529 In den meisten Stellungnahmen ging es erneut um Schienennetze, Stauanlagen und Bewässerungskanäle, deren Nutzen als „Faktum“ angepriesen wurde, „wissen­ schaftlich erwiesen“ und abgesichert durch die „Gesetze der Meteorologie“ und die „kompetentesten Expertenmeinungen“.530 Welche Aussagen ‚kompetent‘ waren, um im Dürrediskurs mitzuwirken, meinten die Vertreter des Nordens selbst definieren zu können. Daraus leitete sich eine ausgeprägte Thematisie­ rung der Diskurskompetenz ab.

b) Die Diskurskompetenz der Dürreredner Neben der Technisierung ihres Diskurses griffen die Repräsentanten des Nor­ dens auf ein in Zeiten geringer überregionaler Mobilität und Informations­ transfers probates Mittel zurück, um der Kritik aus dem Süden zu entgegnen – sie nahmen jegliche diskursive Kompetenz rund um die Dürreproblematik für sich in Anspruch.531 Gegenstimmen sollten auf diese Weise von vornherein entwertet und aus der Diskussion ausgeschlossen werden, oft mit einem be­ lehrenden Unterton. Schließlich gehe es um das Leben brasilianischer Bürger, und die Amtskollegen aus dem fernen Süden machten sich „keine Vorstellung vom Leiden“ im Dürregebiet. Nur wer aus der Region selbst stamme und die „Grausamkeit der Todeszone“ aus eigener Erfahrung kenne, könne sich ein Urteil erlauben.532 Mit diesen handlichen Argumenten jonglierten die Politi­ ker aus Ceará, Rio Grande do Norte und Paraíba in den Jahren 1877–79 und während der folgenden Trockenzeiten. Als „Augenzeugen“ der ‚Großen Dürre‘ fühlten allein sie sich autorisiert und im Besitz des erforderlichen Wissens, das Phänomen zu deuten. Wenn sich die Regierung in Rio de Janeiro ihren Lö­ sungsvorschlägen widersetzte oder gar an den „Gräueln unserer Geißel“ zwei­ felte, warfen sie ihr Gleichgültigkeit gegenüber der Misere mehrerer Millionen Menschen vor, „begründet wahrscheinlich in der Unkenntnis unserer Lage und 529 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 186, 191, 202. 530 Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 340  f.; Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281. Zur beantragten Einrichtung von Zweigstellen des Banco do Brazil als Exportförderinstitution siehe Paulino, José (Alagoas, aus al­ ter Großgrundbesitzerfamilie), Anais da Câmara, 25.10.1915, S. 237–239. (Quelle III.5.a-08.) Siehe auch Kapitel IV.2.e. 531 Zum Kompetenzbegriff siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 75 f., 100. 532 Brandão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 319; Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 59; Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 463; Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 515 (Quelle III.5.b-01).

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unserer Umgebung.“533 Der Abgeordnete Octacilio de Albuquerque, gebürtig aus Areia im paraibanischen Landesinneren, sprach 1915 sogar den Bewoh­ nern seiner eigenen Provinz die Diskurskompetenz ab, sofern sie in den Küs­ tenstädten lebten und – „zwischen Romanlektüre und Kinobesuchen“ – die „klimatische Zerstörungskraft“ im Hinterland nicht einzuschätzen und nicht zu schätzen wüssten.534 Auslöser seiner Äußerung war oppositionelle Kritik, die in der küstennahen Hauptstadt Paraíbas laut geworden war. Dort sah man nicht ein, warum die staatlichen Arbeitsdienste zur Dürrebekämpfung auf die zwar politisch und ökonomisch bedeutsame, indessen nicht vom Wassermangel be­ troffene Geburtsstadt Albuquerques ausgedehnt werden sollten.535 Als Senator Cunha Pedrosa, ebenfalls aus Paraíba, im niederschlagsarmen Jahr 1919 sein Unverständnis über den langwierigen Genehmigungsprozess der Hilfsgelder zum Ausdruck brachte, sprach er von der „gerechtfertigten Entrüs­ tung all jener, die das Elend der Dürre aus eigener Erfahrung kennen und wis­ sen, dass jeder Verzug Menschenleben kostet“.536 Mit demselben Druckmittel verteidigte die paraibanische Staatspresse die umfangreiche Nordostpolitik Epi­ tácio Pessoas. Wer nicht im Krisengebiet gewesen sei, könne nicht mitreden und die Versäumnisse früherer Regierungen verstehen.537 Dass diese Maxime unter der Staatsführung Pessoas auch für Journalisten in der Landeshauptstadt galt, 533 Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 67; Barroso, Benjamin Li­ berato (Gouverneur von Ceará), Telegramm an Gustavo Barroso vom 17.10.1915, vorgetragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 26.10.1915, S. 312–314 (314). Für Ceará wurden 1,2  Mio. Einwohner angegeben, für die gesamte Region 4  Mio. Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 383. (Quelle III.5.b-02.) 534 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 29.10.1915, S. 527. Weitere vergleichbare Positionen Albuquerques: „A sêcca. Uma entrevista concedida ao O Im­ parcial pelo sr. dr. Octacilio de Albuquerque“, in: A União vom 9.7.1915, S. 1, ur­ sprünglich veröffentlicht in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o. D.; „Um livro opportuno. Em prol do Nordeste. Discursos pronunciados em 1918, na Camara, pelo dr. Octacilio de Albuquerque e editados, em volume, pela casa Bernardes Fréres – Rio“, in: A União vom 25.5.1915, S. 1. (Quelle III.5.b-03.) Zum biographischen Hintergrund Albu­ querques siehe Almeida, Horácio de, „Brejo de Areia. Memórias de um Município“, 1957, Adaptation für die Homepage des Bürgermeisteramts von Areia durch Ney Vi­ tal, in: Prefeitura Municipal Cidade de Areia, Resumos de livros, areia.pb.gov.br. 535 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 29.10.1915, S. 528–530. Zur hohen handelswirtschaftlichen Relevanz Areias siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 49. 536 Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388 (Quelle III.5.b-04). 537 Fernandes, Carlos D. (Chefredakteur der União), „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Brasil (Rio de Janeiro), o. D. (Quelle III.5.b-05).

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bekamen einige Reporter zu hören, als sie den zuständigen Minister nach der Dürrepolitik fragten. Ihnen wurde brüsk geraten, sich ein Bild vor Ort zu ma­ chen, bevor sie aus dem fernen Rio de Janeiro über den Nordosten schrieben.538 Der scharfe Ton war eine Folge der ständigen Pressekritik an den kostspieligen, laut Berichterstattung nutzlosen Regierungsaktivitäten. Nutzlos deshalb, „weil man eine Wüste kaum fruchtbar machen“ könne.539 Aus dem Norden wurde darauf ebenso höhnisch erwidert: „Die Journalisten kennen nur das Brasilien der Avenida Rio Branco [Prachtallee in Rio de Janeiro]; unser Hinterland ken­ nen sie nicht.“540 Epitácio Pessoa, dessen Diskurskompetenz als Staatspräsident und nordestino zweifach legitimiert war, äußerte sich in ähnlicher Weise: „Ge­ gen die Lösung dieses Problems rebellieren nur jene, die nie das zerstörerische Auslöschungswerk der Dürren erlebt haben.“541 Das geteilte Leid und der ge­ meinsame Gegner im Süden schweißten den Nordosten zusammen und boten ihm ein weiteres zentrales Element des Dürrediskurses – die Rolle als Opfer der Krise.

c) Soziale Einheit im Kampf gegen das Klima – die Opferrolle der Oligarchie Die politischen Vertreter des Nordens sicherten sich gegenüber den Repräsen­ tanten der anderen Regionen nicht nur dadurch ab, dass sie ihnen auf dem Ge­ biet der Dürre jegliche Diskurskompetenz absprachen, sie konstruierten außer­ dem einen moralisierenden und folglich schwer angreifbaren Opfertopos: Da die Geschädigten einer Naturkatastrophe keine Schuld an ihrem Unglück treffe, dürfe die Behebung ihrer verhängnisvollen Lage nicht auf ihnen lasten, die oh­ nehin alles verloren haben. Es sei eine Frage der Ehre und der bürgerlichen so­ wie staatlichen Pflicht, dass die Bedürftigen Rettung erführen – durch die vom Elend verschont gebliebenen und in erster Linie durch den Staat als Beschützer seiner Angehörigen. Aus dem konstitutionell verankerten Gebot des nationalen 538 Rio, José Pires do (Ministro da Viação e Obras Públicas), zit. in: „As sêccas do nordéste. Uma palestra com o dr. Pires do Rio. S. exc. não conhece os projectos da camara“, in: A União vom 14.11.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o. D. (Quelle III.5.b-06). 539 Zeitungskommentar (ohne weitere Angaben), vorgetragen von: Albuquerque, Octaci­ lio de (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 910 f. (Quelle III.5.b-07). 540 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 911; siehe auch Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 385 (Quelle III.5.b-08). 541 „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo * O discurso de s. exc. respostando o orador official [Veiga Miranda]“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1 (Quelle III.5.b-09). Zur Diskurskompetenz Epitácio Pessoas siehe Kapitel IV.2.c.

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Katastrophenbeistands ergab sich im oligarchischen Dürrediskurs eine beson­ dere Betonung der Naturgewalt.542 Zudem wurde die Vernachlässigung durch die Zentralregierung im Süden des Landes angeklagt. Die wesentlich für das Elend verantwortlichen politischen und sozialen Strukturen in der eigenen Re­ gion blieben unberücksichtigt und die von ihnen profitierenden Machthaber unbehelligt. Vielmehr zählten diese sich selbst mit zu den Leidtragenden.543 Spätestens seit 1877 wurde der weit ins 20. Jahrhundert aufrechterhaltene – und bereits im Zusammenhang mit dem Volksdiskurs diskutierte – Mythos erschaffen, die Dürre erschüttere „alle sozialen Klassen“ gleichermaßen, „Reiche und Arme“, „große und kleine Höfe“, „alle leiden ausnahmslos“.544 Gewiss hat­ ten die Klimaeinbrüche Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft, allerdings mit divergierendem Ausmaß für Wohlhabende und Mittellose. Während die Subsistenzwirtschaft der kleinen Ackerbauern durch die anhaltenden Trocken­ perioden völlig zum Erliegen kam, verfügten die Großgrundbesitzer über ausrei­ chende Ressourcen, um die Verluste ihrer Baumwollproduktion und Viehzucht in Grenzen zu halten, „denn die letzten Wasserreserven waren eher dem Vieh als der armen Bevölkerung vorbehalten“.545 Im Diskurs der oligarchischen Ver­ treter war hingegen solidarisch vom „Hunger unserer Brüder“ und von „unserer Geißel“ die Rede.546 Mit erschütternden Details und großem Pathos zeichneten die Abgesandten aus dem Norden das Bild des Elends nach, das ihren eigenen Stand in die Scharen der Dürreopfer einschloss und gesellschaftliche Disparitä­ ten en passant verwischte: „Skelettartige Gestalten irren bettelnd umher (...), wie Tote, die ihrem Grab entflohen sind (...): dort ein ehrenhafter alter Herr, einst ein betuchter Landbesitzer, der dem Tod ins Auge blickt (...) und seine jungen Töchter ihrem grausamen Schicksal überlässt.“547 Der Abgeordnete Octacilio de 542 Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 514, 516 (Quelle III.5.c-01). 543 Zur Opferrolle des Nordostens siehe Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 310 („lógica da vitimização“) und Silveira, Rosa Maria Godoy, Questão regional: gênese e evolução, o. D., S. 5 (Manuskript; inzwischen auch abgedr. in: Espaço e Debate, Nr. 20 (1987), S. 7–25), zit. in: Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 24 („for­ malização auto-compassiva“). 544 Paulino, José (Alagoas), Anais da Câmara, 25.10.1915, S. 237; Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281; Gesetzesvorhaben 490 A (zum Norden von Minas Ge­ rais), Anais da Câmara, 1.12.1920, S. 32; Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 67; siehe auch Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1044 und Carli, Séculos de secas, 1984, S. 356 f. (Quelle III.5.c-02). 545 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 127. 546 Sá, Francisco (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1900, S. 344; Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1; Lima, J., „Calamidade“, Leserbrief in: O Combate, Bd. 3, Nr. 71–3 (26.6.1904), S. 3; Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 26.10.1915, S. 314 (Quelle III.5.c-03). 547 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1010 (Quelle III.5.c-04).

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Albuquerque rezitierte die Rolle der Leidtragenden in der ersten Person, indem er die „Zerstörung unserer Heimstätten“ schilderte. Er machte deutlich, dass die Wortführer der Trockenzone ebenso wie ihre unvermögenden Landsleute die staatlichen Hilfeleistungen erwarteten, denn „das Martyrium des Hungers ist nicht nur unter den einfachen Arbeitern zu finden, wie viele denken“. Auch die Oberschicht sei betroffen, weshalb Albuquerque seine Sorge bekundete, die Zentralregierung könne für die Betreuung der Dürrearbeiten Verwaltungs­ beamte aus dem Süden abordnen.548 Attraktive Kommissionsposten und das mit ihnen verbundene klientelistisch-machtpolitische Kapital waren gefährdet. Die Oligarchie präsentierte sich daher durch das ‚wir‘ der Opfer-Semantik mit dem Volk vereint und nivellierte im Diskurs den Unterschied privater und öf­ fentlicher Sphären im Rahmen der Dürrebekämpfungsmaßnahmen. Zum Bei­ spiel war die aus individueller Nutzung resultierende „fortuna particular“ der staatlichen Wasserbecken ihrem Verständnis nach mit der „fortuna publica“ gleichzusetzen, zumal der Fiskus Steuergelder gewinne.549 Das Volk war in die­ ser Kalkulation lediglich als Arbeitsmasse einberechnet und trug zum Vermö­ gen der Großgrundbesitzer bei, ohne selbst auf den geschlossenen Kreislauf der Staatsfinanzen Zugriff zu haben. Aus dem paternalistischen Gesellschaftssystem tradiert, wurde zur Versorgung der breiten Bevölkerung nicht die Möglichkeit eigenständiger Existenzen anvisiert, sondern ihr überkommener Abhängigkeits­ status zementiert. Das vermeintliche Bündnis aller sozialen Gruppierungen in guten wie in schlechten Zeiten fand ein Pendant in der nostalgischen Vision der „blühen­ den“ Heimat, wo „die fruchtbare und liebende Mutter Natur ihre Schätze in demselben Maße auf ihre Kinder verteilt“ und „das Leben im Sertão eine Gemeinschaft in perfekter Harmonie ist“. Geeint in Freud und Leid, „klopft der Hunger an die Tür der Armen“ und „raubt den Reichen ihr Vermögen“.550 Die Neutralität der Natur spiegelte sich im oligarchischen Diskurs in der Ide­ alisierung der gesellschaftlichen Beziehungen wider.551 Dass in einem Moment verhängnisvoller Not ein Provinzpräsident die regionale Oligarchie tatsächlich rigoros und glaubwürdig dazu aufrief, die Last der aktuellen Dürrekatastrophe solidarisch mitzutragen, war dennoch ungewöhnlich. Erstaunlich offen und 548 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 2.10.1915, S. 54. Parallele des betonten Zusammengehörigkeitsgefühls im kirchlichen Diskurs: „wir unglückli­ chen Gefangenen der Not“. Sá, P.e Cyrillo, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1. (Hervorhebungen nachträglich vorgenommen; Quelle III.5.c-05.) 549 Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 382, 387 (Quelle III.5.c-06). Zu den fließenden Übergängen von öffentlicher und privater Macht in der Ersten Republik siehe auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 55. 550 Netto, Mario (Journalist), in: A Cidade (Sobral/Ceará) vom 15.8.1900, auszugsweise abgedr. in: Neves, José do Patrocínio e a seca de 1878, 2007, S. 88 f. (Quelle III.5.c-07). 551 Ebd., S. 88.

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barsch klang die Ermahnung des paraibanischen Gouverneurs João Pereira de Castro Pinto im Dürrejahr 1915. Vergleichbar mit der vielschichtigen Krise von 1877 und belastet durch den Krieg in Europa, befiel die Trockenheit den Nor­ den in der ungeschützten Talsohle eines ökonomischen und finanziellen Tief­ punkts. Angesichts ausbleibender Steuereinnahmen, so das Staatsorgan A União im Namen Castro Pintos, sei nicht einmal abzusehen, um wie viele Monate die Beamtengehälter in Rückstand gerieten. In dieser Situation verbat es sich der Provinzpräsident, auf Kosten des Staatsbudgets um Ämter und Aufschub von Zahlungsfristen zu bitten: „Kommt in günstigen Jahren der Wohlstand allen zu, ist es nur gerecht und dringend erforderlich, dass in schlechten Zeiten jeder seinen Teil der Bürde auf sich nimmt, um das Allgemeinwohl zu erhalten.“552 Wenn ein Gouverneur öffentlich die oligarchischen Bittsteller zur Mäßigung anhalten konnte, ohne sich und dem politischen System eine Blöße zu geben, zeichnet sich darin unverhohlen die sonst gängige und vom Staat genährte Pro­ fitmentalität ab. Jenseits aller brüderlichen Gleichheitsbeteuerungen verbarg sich hinter dem ominösen ‚wir‘ der Dürreopfer eine skrupellose Rollenteilung – die einen bedurften der Hilfe, die anderen beanspruchten sie für sich. Vereinzelte Einwände gegen die vorherrschende Denkweise der Agrarelite waren aus ihrem eigenen Umfeld zu vernehmen und deuteten auf einen po­ tentiellen Wandel hin, entfernten sich meist jedoch nicht weit von ihren ge­ sellschaftlichen Ursprüngen. Inmitten der schweren Dürre von 1915 lenkte der Abgeordnete Juvenal Lamartine aus Rio Grande do Norte die Aufmerksamkeit auf einen Missstand, der in diesem Sachverhalt selten Beachtung erfuhr – die Disharmonie der nationalen Bildung: „Wir sorgen für die Promotion von Dok­ toren der Medizin, der Kriegskunst, des Rechts- und Ingenieurswesens und ver­ gessen darüber die Grund- und Berufsausbildung. Auf diese Art schaffen wir eine Nation aus 90  Prozent Analphabeten, angeführt von einer aufs Stärkste eingeschränkten Klasse von Männern ohne jegliches Gespür für das praktische Leben.“553 Dieser Forderung nach Bildung darf kaum der Wunsch nach einer Revolutionierung der sozialen Verhältnisse zugeschrieben werden. Eher ging es darum, aus den „semi-barbarischen“ sertanejos bessere Landwirte zu machen, wie ein Parlamentarier zwei Jahre später zu verstehen gab.554 Abgesehen davon, dass die Oligarchie es traditionell für durchaus praktikabel hielt, einem weitgehend ungebildeten Volk vorzustehen, bringt die bemerkenswerte Aussage Lamarti­ 552 „Em face da crise“, in: A União vom 5.6.1915, S. 1 (Quelle III.5.c-08). Inwieweit der engere Zirkel der politischen Günstlinge trotzdem die üblichen favores erlangen konnte, ist an dieser Stelle nicht zu erschließen. 553 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 384 (Quelle III.5.c-09). 554 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1058 (Quelle III.5.c-10). Vgl. auch Quelle III.1-07.

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nes über das Bildungssystem die eklatante Kluft der brasilianischen Gesellschaft zum Ausdruck. Im Opferdiskurs der Dürreregion wurde dieser soziale Graben als überwunden ausgegeben – ‚alle litten gleichermaßen unter der Trockenheit, alle waren gleich‘. Ungeachtet jeglicher Ambivalenz reihte sich die Oligarchie des Nordens in den Kreis der Schutzbedürftigen ein und gab sich im selben Atemzug als Beschützer aus. Beides brachte sie durch ihr Auftreten als Sprach­ rohr der hilflosen Bevölkerung in Einklang. In der für den parlamentarischen Redestil damals üblichen rhetorischen Bescheidenheit gab ein cearensischer Ab­ geordneter zu verstehen: „Das Volk ist sehr viel mehr wert als ich, der ich nichts bin. Ich bin lediglich das Echo seiner Traurigkeit und seiner Beschwerden.“555 Ebenso versicherte ein Amtskollege aus Rio Grande do Norte, seine im Kon­ gress manifestierte Meinung sei die des Volkes.556 Die Stimme des Volkes zu sein, implizierte, es zu beschützen und es zu be­ herrschen. Die Landbevölkerung selbst hatte nicht das Recht zu sprechen, ihr wurde keine Stimme verliehen – die Oligarchie sprach und bestimmte für die Untergebenen. Dies war im Zusammenhang der Dürre darin begründet, dass es sich bei ihr neben einer Gefahr für das Volk um eine Gefährdung durch das Volk handelte. In einem Regierungsbericht von 1879 schrieb der paraibanische Pro­ vinzpräsident über die Trockenheit: „Unter diesen äußerst anormalen Umständen (...) ist eine Störung der öffentlichen Ordnung zu befürchten.“557 Ein Landsmann schilderte im Kongress die „Konfusion, Unruhe, Anarchie (...). Das Volk schrie, keifte, stieß Beschuldigungen aus und drohte! (...) wäre diese Bevölkerung nicht so geschwächt gewesen, (...) hätte es zu einem Anschlag auf das Leben, den Besitz kommen können, und wir müssten heute noch dieses Unglück lamentieren.“558 Das Rebellionspotential der armen Gesellschaftsschichten stieg proportional zur Einbuße ihrer Lebensgrundlage. Zusätzlich zu dieser unmittelbaren Bedrohung von Hab und Gut zerbarst mit der dauerhaften Abwanderung der Arbeitskräfte das Fundament oligarchischer Herrschaft. Die Krise traf somit durchaus die La­ tifundisten, lieferte ihnen gleichwohl eine Strategie zum Machterhalt. Als ein häufig von autoritären und reaktionären Diskursen genutztes Mittel, entfaltet die Vorstellung von ‚Krise‘ ihre Wirkung auf zwei komplementäre Weisen: Zum ei­ nen fungiert sie als Erklärung für einen scheinbar außerordentlichen Ausfall einer 555 Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 536 (Quelle III.5.c-11). 556 Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 388 (Quelle III.5.c-12). 557 Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879 (Rubrik „A secca“), S. 57 (Quelle III.5.c-13). 558 Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60 (Quelle III.5.c-14). Weitere Zitate zum Aspekt der ‚Bedrohung durch das Volk‘ werden in Kapitel III.5.d ange­ führt. Siehe außerdem zur Exklusion der Dürreflüchtlinge und den campos de concen­ tração Kapitel IV.3.b.

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ansonsten intakten Ordnung, d.h. die Krise dient dazu, die eigentlichen Probleme zu verbergen. Zum anderen bewirkt sie eine Mobilisierung der sozialen Akteure. Die gesellschaftliche Auflösung vor Augen, werden die Menschen in der Über­ windung der als extern verorteten und die gesamte Gemeinschaft betreffenden Bedrängnis vereint. Der Notstand verhilft zur Unterwerfung unter die Befehlsge­ walt der Retter, die mit der Krisenbekämpfung die Rückkehr zum vermeintlich von allen erwünschten Zustand der Ordnung versprechen.559 Dabei verdecken die Krisenmanager unter dem roten Tuch der Gefahr sowohl die Widersprüche ihres Räsonnements als auch die eigene Schuld an der Zwangslage. Die Dürre wurde verantwortlich gemacht für Hunger, Elend und Verbrechen, als existierten sie nicht schon vor der Trockenzeit, als seien sie nicht Folge und Bestandteil der sozia­ len Strukturen. Die Bevölkerung galt als gut versorgt vor dem Klimaeinbruch und völlig verarmt danach. Gesellschaftliche Ungleichheiten und Konflikte wurden in diesem diskursiven Nexus ausgeklammert. Durch die Homogenisierung der For­ derungen – im Namen der Opfer an die Zentralregierung gerichtet – wurde der Dürregürtel zu einem festen Geflecht verbunden. Die Historikerin Rosa Silveira Godoy bezeichnet den regionalistischen Diskurs des Nordens mit seiner dezidier­ ten Perzeptions- und Willenslenkung als raumgreifende Ideologie. Die angebliche Übereinstimmung der Interessen kaschierte nicht nur die vertikalen Trennlinien der Gesellschaft, sondern ebenfalls die horizontal verlaufenden Zerwürfnisse zwi­ schen den unterschiedlichen hegemonialen Schichten. Das so konstruierte Zu­ sammengehörigkeitsgefühl wurde noch verstärkt, indem die Unzufriedenheit mit den führenden Gruppierungen der ‚anderen Region‘ hervorgehoben wurde. Im Antlitz des gemeinsamen äußeren Gegners, speziell aus dem Machtzentrum der südlichen Kaffeeproduktion, rückten die eigenen regionalen Dominanzstruktu­ ren in den Hintergrund.560 Ähnlich interessenorientiert war die Charakterisierung der Bewohner des Dürregebiets. Zur Umsetzung der von der Agrarelite angestrebten konservati­ ven Modernisierung bedurfte es einer substantiellen Legitimierung inner- und außerhalb des Nordens.561 Hierzu erwies sich der Dürrediskurs als wichtiges Medium, um auf die Projektfinanzierung und die Arbeitsbevölkerung Einfluss auszuüben. Beide Elemente mussten in das Modell einer infrastrukturell pro­ gressiven, aber weiterhin auf abhängiger Arbeitskraft basierten Landwirtschaft eingespannt werden. 559 Chauí, Marilena, Cultura e democracia; o discurso competente e outras falas (Coleção con­ temporânea), São Paulo: Ed. Moderna, 1980, S. 37 f., auszugsweise abgedr. in: Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 55; ebd., S. 54. 560 Ebd., S. 42 f. Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 268 f., 280, 413; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 325; Neves, Imagens do Nordeste, 1994, S. 19. 561 Zur konservativen Modernisierung siehe Kapitel IV.4.e.

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d) Die Prägung des sertanejo als diskursives Instrument der ­regionalen Obrigkeit Der fleißige und faule, intelligente und ignorante sertanejo

Der parlamentarische Dürrediskurs präsentierte den sertanejo, verewigt im Werk Euclydes da Cunhas, als den forte, der trotz aller Widrigkeiten „arbeitet, solange die Kräfte reichen“.562 Fleiß und Liebe zur körperlichen Anstrengung seien ihm eigen. Folglich gebe es für ihn im Hinblick auf die zerstörerische und demorali­ sierende Gewalt der Natur nur einen Ausweg vor dem grausamen Hungertod – Arbeit.563 Hieß es in diesem Sinne einerseits, der sertanejo „kennt keinen Müßig­ gang und keine Faulheit“, wurde andererseits seine „absolute“ und „schädliche Faulheit“ gerügt, sobald er nicht zur Betätigung angehalten werde. Die Vergabe von Almosen verderbe ihn und lasse seine Aktivität verkümmern.564 Mit har­ schen Worten beschrieb die regionale Oligarchie ihre Landsleute als faul, um die eigene rigorose Führungsrolle zu bekräftigen und die staatlichen ‚Almosen‘ in die begehrten Arbeitsdienste umzuwandeln. Zugleich musste sie die Stärke und den arbeitsamen Fleiß der sertanejos beteuern, denn die Politiker des Südens waren nicht gewillt, „aufs Geratewohl unendliche Summen für den Schutz der Schwachen zu verschwenden“.565 In einer Zeit, als Herbert Spencers survival of the fittest große Popularität in der Ausprägung einer später oft unter ‚Sozialdar­ winismus‘ kategorisierten Denkrichtung genoss, wurde es als kapitaler Fehler angesehen, die „wichtige Funktion der sozialen Segregation“ durch staatliche Intervention zu verhindern.566 Damit die Bevölkerung in der Trockenzone nicht 562 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1003 (Quelle III.5.d-01). 563 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 284; Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 535; Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 74. Zur identischen Einstellung im kirchlichen Diskurs siehe Sá, P.e Cyrillo, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1. (Quelle III.5.d-02.) 564 Fernandes, „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919; Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 25./26.6.1877, S. 220, 237; Parente, Relatorio da administração da Parahyba, 1.3.1878 (Rubrik „Secca“), S. 14; Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879 (Rubrik „A secca“), S. 58. Zur erneuten Parallele im Diskurs der Kirchenvertreter siehe Sá, P.e Cyrillo, „Os soffrimentos sertanejos“, in: A União vom 16.10.1915, S. 1. Die Historikerin Silveira Godoy zitiert eine vergleichbare Pas­ sage aus dem Jahr 1857 und verweist damit auf den seit langem bestehenden Fundus an Stereotypen, aus welchem der Dürrediskurs schöpfte. „Retrospecto Semanal“, in: Diário de Pernambuco (Recife) vom 17.8.1857, abgedr. in: Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 221. (Quelle III.5.d-03.) 565 Santos, Felicio (Minas Gerais), Anais da Câmara, 26.5.1879, S. 374 (Quelle III.5.d-04). 566 Ebd. (Quelle III.5.d-05).

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von der verheerenden Welle sozialdarwinistischer ‚Reinigung‘ weggespült und als unwürdig jeglicher Rettungsmaßnahmen eingestuft wurde, war es unerläss­ lich, den Mythos vom überlegenen sertanejo zu pflegen. Ebenso wie die Arbeitsbevölkerung des Sertão im Diskurs mal faul, mal flei­ ßig war, wurde sie je nach argumentativem Bedarf als „intelligent“ gelobt oder als „ignorant“ bedauert.567 In der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts energisch geführten ‚Rassendiskussion‘ sprachen die politischen Repräsentan­ ten des Dürregebiets der „Sub-Rasse des brasilianischen Nordostens“ höchste Qualitäten zu. Das Werk des Dr. Chrokatt de Sá wurde bemüht, um den serta­ nejos „Genügsamkeit, Intelligenz und Frohsinn“ anzuerkennen, wie sie nur bei den wahrhaft „Starken“ vorzufinden seien.568 Umgekehrt wurde ihr „Mangel an cultura superior“ mit den ruinösen Folgen der Trockenperioden in Zusam­ menhang gebracht, wodurch sich die Oligarchien der eigenen Verantwortung für die Bildungssituation zu entziehen versuchten.569 Zudem begründeten sie die wirtschaftliche Rückständigkeit der Region mit dem innovations- und zivi­ lisationsfeindlichen Charakter des ‚typischen sertanejo‘ und verwiesen auf den Anachronismus millenaristischer Bewegungen und das Banditentum.570 Banditentum und Bedrohung der öffentlichen Ordnung

Die umstrittene Vergabe von Almosen, ohne gleichzeitig Arbeit als Gegenleis­ tung zu verlangen, wurde noch vor Ende der Dürre von 1877–79 als unver­ zeihlicher Fehler angeprangert, weil sie nicht nur der Faulheit den Weg bereite, sondern als Konsequenz auch dem Verbrechertum, dem Sittenverfall und der Korruption. Die Bevölkerung bedurfte, so die Schlussfolgerung der Politiker,

567 Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 74; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 491 (Quelle III.5.d-06). 568 Ebd., S. 499; siehe auch Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 704 (Quelle III.5.d-07). 569 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 304. 570 Greenfield, Drought and image of the Northeast, 1999, S. 102; ders., Great Drought and elite discourse, 1992, S. 379, 384. Die Behauptung, der sertanejo lehne moderne Techniken aus Gründen seiner Tradition und Religiosität ab, ist noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in wissenschaftlichen Abhandlungen zu finden. Siehe z.B. Hirschman, Albert O., Política econômica na América Latina, Rio de Janeiro/São Paulo/ Lisboa: Editora Fundo de Cultura, 1965, S. 26. Carvalho erwähnt die These Manuel Figueroas, die ökonomische Rückständigkeit des Nordostens hänge unter anderem von kulturellen Faktoren wie magisch-religiösen Praktiken ab. Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 141. Carvalho selbst schloss sich dieser Theorie nicht an. Ebd., S. 142.

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einer rigiden Organisation in Arbeitsdiensten.571 Auf diese Weise wurde die Kausalkette Trockenheit – Hungersnot – Anstieg der Kriminalität und Ge­ fährdung der öffentlichen Sicherheit als weiteres Druckmittel zur Erlangung staatlicher Finanzhilfen und Bautätigkeiten eingesetzt: „Wer Hunger und Durst hat, kann nicht monatelang ausharren; unvermeidlich wird er entweder dem Unheil erliegen oder angesichts des ausbleibenden Schutzes durch den Staat den Ausweg im Verbrechen suchen, angetrieben vom Recht der Bedürftigen.“572 Der paraibanische Senator Cunha Pedrosa, der hier auf die seit einem Monat erwartete Zustellung bewilligter Gelder zum Straßenbau anspielte, beschuldigte die Zen­tralregierung der sträflichen Nachlässigkeit und lenkte von den struk­ turellen Ursachen des Elends ab. Aus dem Dürregebiet habe Pedrosa telegra­ phisch von den Beamten und Händlern erfahren, dass die „Hungernden mit Gewalt drohten, wenn ihnen nicht Arbeit gegeben werde, um ihre Versorgung zu garantieren“.573 Mit diesem Satz resümierte Pedrosa im Kongress das frag­ liche Telegramm, wenngleich aus dessen genauem Wortlaut ersichtlich wird, dass die Menschen Lebensmittel, nicht Beschäftigung forderten. Seine Interpre­ tation – und die der lokalen Wirtschaftsvertreter – war hingegen: „Das Volk will keine Almosen, das Volk will Arbeit“.574 Die Argumentation der latenten Bedrohung rekurrierte auf ältere SertãoDiskurse, die seit der Kolonialepoche die Paradigmen der „Naturalisierung“ und „Bestialisierung“ aufgebaut hatten und Sertão sowie sertanejo als „gewalt­ tätige Natur bzw. naturhafte Gewalttäter“ kennzeichneten.575 Plünderungen in Zeiten gravierender Trockenheit, obschon in aller Regel sowohl auf Seiten der 571 Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60; Vianna, Relatorio á As­ semblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 9 (Rubrik „Segurança individual e de propriedade“); Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 513 (Quelle III.5.d-08). 572 Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388 (Quelle III.5.d-09). 573 Ebd.; siehe ebenso Fernandes, Alvaro (Deputado, Ceará), Telegramm aus Iguatú vom 4.7.1915, vorgetragen von: Rocha, Moreira da (Ceará), Anais da Câmara, 6.7.1915, S. 323 f. (Quelle III.5.d-10). 574 Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 389. Zum Vergleich siehe das Telegramm vom 26.5.1919, unterzeichnet von 26 Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft aus Alagôa Grande, abgedr. in: ebd., S. 388. Siehe ebenso das Telegramm vom 8.9.1903 aus Assú (Rio Grande do Norte) an die Abgeordneten­ kammer in Rio de Janeiro, vorgetragen von: Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 77 und Pinto, João Pereira de Castro (Gouverneur von Paraíba, 1912–15), Telegramm an Augusto Tavares de Lyra (Verkehrs- und Bauminister) vom Mai 1915, abgedr. in: „A sêcca. Requisição de providencias por parte do governo. A es­ pontanea iniciativa do sr. dr. Maximiano de Figueiredo [leader da bancada da Parahyba do Norte na Camara federal]“, in: A União vom 22.5.1915, S. 1. (Quelle III.5.d-11.) 575 Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 334.

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Hungernden als auch der staatlichen Sicherheitskräfte überwiegend friedlich, wurden zur Untermauerung der Aussage herangezogen.576 Die Leiden der Bevöl­ kerung, ihre Unzufriedenheit und die aus der Not hervorgehenden „kriminellen Banden“ wurden in diesem Kontext mit den „Auswirkungen der Trockenheit“ und nicht den sozialen Widersprüchen erklärt.577 Der paraibanische Journalist, Literat und Rechtsgelehrte Rodrigues de Carvalho schrieb das Banditentum im Sertão des Nordostens in einem Artikel von 1922 drei Faktoren zu: der Dürre, dem mangelhaften Straßennetz und den politischen Machenschaften der Pro­ vinz.578 Mit dem dritten Aspekt wird er die oppositionellen Politiker gemeint und wohl kaum eine Kritik gegen die dominante Oligarchie Paraíbas verbunden haben. Zum einen bekämpfte deren Oberhaupt Epitácio Pessoa zur damaligen Zeit als Präsident der Republik die cangaceiros, zum anderen wäre diese Äuße­ rung sonst nicht im Presseorgan der paraibanischen Regierung abgedruckt wor­ den. Mit den beiden erstgenannten Gesichtspunkten vertrat der Autor plausibel die oligarchischen Interessen: Zur Bezwingung des Banditentums mussten die Trockenperioden besiegt und das Straßennetz verbessert werden.579 Friedfertige und furchtlos kämpfende nordestinos

Wurden einerseits das Verbrechertum und die Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch gewaltwillige Hungerleidende als Rechtfertigung für die Aus­ weitung der Dürrebekämpfung genutzt, galt es andererseits, kriminelle Neigun­ gen nicht zum Stigma und somit zum Nachteil der gesamten Region werden zu lassen. Daher wurden Protestbewegungen – ungeachtet ihrer erheblichen Ausdehnung – im Diskurs lediglich vereinzelten Individuen angelastet und 576 Neves berichtet mit Referenz auf die Zeitung Libertador von einer gewaltsamen Aus­ nahme im Jahr 1889 in Messejana (Ceará). Neves, Frederico de Castro, „Invasão de famintos. A fome em ação“, in: Revista de História da Biblioteca Nacional (Rio de Janeiro), 1.8.2008, revistadehistoria.com.br. Zu Invasionen geringer Ausmaße der bes­ ser versorgten Städte durch die Dürreflüchtlinge 1899/1900 siehe auch ders., Tragédia oculta, 2003, S. 73. 577 Vianna, Relatorio á Assemblèa Legislativa da Parahyba, 1.1.1879, S. 7 (Rubrik „Segu­ rança individual e de propriedade“) (Quelle III.5.d-12). Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 340, 342, 351. 578 Carvalho, J. Rodrigues de, „Noticias do Nordeste. Fala ao ‚A. B. C.‘ o sr. dr. Rodrigues de Carvalho“, in: A União vom 5.7.1922, S. 1, ursprünglich erschienen in: A. B. C., o. D. (Quelle III.5.d-13). 579 Der Anfang der 1920er-Jahre unter Epitácio Pessoa begonnene Straßenbau erweiterte nach und nach die Kommunikation im Hinterland und trug im Laufe der beiden fol­ genden Dekaden tatsächlich dazu bei, dem cangaceirismo ein Ende zu setzen. Diégues, Ciclos temáticos no cordel, 1986, S. 152.

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als ‚Anomalität‘ im Phänomen des cangaço isoliert. Auf diese Weise konnte die allgemeine Bevölkerung als friedfertig ausgegeben werden: „An der beherzten Lebensfreude dieser Menschen ist zu erkennen, dass sie schicksalsergeben, gut­ mütig, couragiert und aufrichtig sind. Sie revoltieren nicht, beschweren sich nicht, lehnen sich nicht auf. Nur die Banditen stören den Frieden des Sertão.“580 Der ‚normale‘ sertanejo zeichne sich durch seine sprichwörtliche Gefügigkeit, Resignation und Folgsamkeit aus – Qualitäten, die er vom harten Leben im Dürregebiet gelernt habe.581 Die Arbeitsdienste sollten dafür sorgen, dass er wei­ terhin resigniert und im Sertão bliebe. Die verschiedenen, teils sich widersprechenden Diskurselemente wur­ den von  den politischen Vertretern der Dürreregion nicht selten vermengt. So mahnte der paraibanische Abgeordnete José Peregrino die potentielle Be­ drohung der öffentlichen Sicherheit und der privaten Besitztümer durch die Hungernden an und lobte zugleich mit den Worten des Provinzpräsidenten die Bevölkerung Paraíbas als „dem Gesetz ergeben, unfähig zu Aufständen und in konfliktvollen Momenten jederzeit bereit, das Vaterland mit ihrem Leben zu verteidigen“.582 Die Erinnerung an die „freiwilligen“ Truppen aus dem Norden im Paraguay-Krieg (1865–70) sollte den Patriotismus der sertanejos unterstrei­ chen und auf diese Weise die moralische Pflicht der Nation ihnen gegenüber in der Frage der staatlichen Dürrebekämpfung hervorheben – „es geht darum, eine alte Schuld zu tilgen“.583 Dieses Argument wurde noch 1920/21, also ein halbes Jahrhundert nach Ende des Tripel-Allianz-Krieges, von den Abgeordneten der

580 Vianna, Victor (Journalist), „Os párias do sertão“, in: Jornal do Commercio, o. D., vor­ getragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 875; siehe ebenso Fernandes, „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919, S. 1 (Quelle III.5.d-14). Zur Revoltenkultur im Norden (u.a. Confederação do Equador 1824, Prai­ eira 1848, Quebra-quilos 1874/75) siehe Haesbaert, Des-territorialização no Nordeste, 1997, S. 77; Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 151  f.; Monteiro, Vi­ olência no Nordeste 1850–89, 1978, S. 146–169; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 42, 350. 581 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 495; Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), zit. in: „A sêcca. Uma entrevista concedida ao O Imparcial pelo sr. dr. Octacilio de Albuquerque“, in: A União vom 9.7.1915, S. 1 (Quelle III.5.d-15). 582 Mello, Antonio Alfredo da Gama e (Gouverneur Paraíbas), Mensagem lida na abertura do Congresso Legislativo, 3.9.1898, vorgetragen von: Peregrino (Paraíba), Anais da Câ­ mara, 27.9.1898, S. 517; siehe auch Pereira, „A fome“, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 40–3 (21.10.1903), S. 3; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 499 (Quelle III.5.d-16). 583 Ders., Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 387; Cunha, Euclydes da, zit. von: Al­ buquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 911 (Quelle III.5.d-17).

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Dürreregion und von Regierungschef Epitácio Pessoa vorgebracht.584 Tatsäch­ lich war die Mehrheit der nortistas, die in Paraguay zum Einsatz gekommen waren, zwangsrekrutiert worden, was sogar Volksaufstände verursacht hatte, an­ geführt vor allem von Frauen aus den armen Bevölkerungsschichten. Während die arbiträre Rekrutierung in der Volksdichtung mit beißender Satire bedacht wurde, erschienen die zwangsverpflichteten Soldaten im Diskurs der Agraroli­ garchie als „Freiwillige des Vaterlands“, deren ‚Heldentod‘ noch Jahrzehnte spä­ ter vergegenwärtigt wurde, um staatliche Ressourcen zu erkämpfen.585 Das Kal­ kül wurde ebenso auf zukünftige Verwendungsmöglichkeiten projiziert: „Vier Millionen Menschen leiden unter den Auswirkungen der katastrophalen Tro­ ckenperioden. Von ihnen können wir 400.000 taugliche Männer abziehen, um sie an die Landesgrenzen zu entsenden, wann und wo immer sich die Ehre und Integrität Brasiliens in Gefahr befinden.“586 Die Hilfe für die Dürreopfer sollte nicht umsonst geleistet werden – „eines Tages werden sie es mit ihrer Arbeits­ kraft vergelten und sogar ihr Blut zur Verteidigung des Vaterlands vergießen.“587 Nomadische Eroberung ferner Gebiete und bodenständige ­Verwurzelung in der Heimat

Neben ihren patriotischen Heldentaten als Soldaten an der Südgrenze wurde den sertanejos immer wieder die Eroberung Acres und die Einnahme Amazo­ niens für die Kautschukproduktion angerechnet – „kollektive Errungenschaf­ ten von höchster Bedeutung für die Wirtschaft und den Fortschritt unseres

584 Pessoa, Epitácio, zit. in: „Excursão presidencial. A visita do sr. presidente da Republica a São Paulo * A viagem na E. F. Central * A chegada a esta capital * As homenagens * O enthusiasmo popular * O programma de hoje * Outras informações“, in: A União vom 20.9.1921, S. 1, ursprünglich unter diesen Titeln in verschiedenen Ausgaben des Estado de S. Paulo erschienen, o. D., und auszugsweise bereits am 25.8.1921 in A União reproduziert (Quelle III.5.d-18). 585 In Barros, L., O sorteio militar, 1905, S. 10–13, 15 wird sarkastisch geschildert, wie alle Männer – ob jung oder alt, blind oder verkrüppelt – gegen ihren Willen zum Militär eingezogen wurden (Quelle III.5.d-19). Siehe auch Curran, Crítica social no cordel, 1986, S. 329; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 343 f. 586 „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.5.d-20). Als Referenz wurde der Heldenmythos von Canudos wachgerufen, ungeachtet des Umstands, dass die sertanejos in Canudos nicht für, sondern gegen die nationalen Trup­ pen kämpfen mussten. Vgl. hierzu Quelle III.3.b-05 und die entsprechenden Anmer­ kungen in Kapitel III.3.b. 587 Lima, J., „Calamidade“, Leserbrief, in: O Combate, Bd. 3, Nr. 71–3 (26.6.1904), S. 3 (Quelle III.5.d-21).

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Landes“.588 Hiermit sollte der Druck auf die Regierung erhöht werden, den „notleidenden und vom Staat vernachlässigten Patrioten“ beizustehen und auf diese Weise die „nationale Ehrenschuld“ zu begleichen.589 Patria und conscien­ cia nacional wurden als wichtige Faktoren in den oligarchischen Diskurs inte­ griert, obschon den Brasilianern und insbesondere den sertanejos in jener Zeit das Verständnis von Vaterland weitestgehend fremd war.590 Sie empfanden al­ lenfalls ihre Provinz und eher noch ihre unmittelbare Umgebung als „terra“.591 Im fernen Rio de Janeiro wurde über die Menschen im Norden als „Brudervolk“ geschrieben, was auf die geringe nationale Einheit hinweist.592 Auch Epitácio Pessoa waren die regionalen Barrieren bewusst, so dass er als Präsident der Re­ publik bei einem Staatsbesuch in São Paulo noch im Jahr 1921 forderte, die „Brudervölker des Südens und Nordens“ anzunähern.593 Dessen ungeachtet be­ scheinigten die politischen Repräsentanten der Dürreregion ihren Landsleuten ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein: „Die Arbeiter des Nordostens (...) wollen Betätigung, weil sie auf diese Weise der Republik dienen. Aus dem Grund be­ harren sie patriotisch auf den stets versprochenen Arbeitsmaßnahmen“.594 Die 588 Lisboa, Arrojado, „O problema do Nordeste. O São Francisco e as sêccas“, in: A União vom 12.9.1919, S. 1; siehe auch Cunha, Euclydes da, zit. von Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1026; Sá, Francisco (Ceará), Anais da Câmara, 12.9.1900, S. 211; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 493, 499; „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.5.d-22). Zur Besetzung des ursprünglich bolivianischen Acre durch brasilianische Kautschuk­ sammler und die 1903 erfolgte Erwerbung des Territoriums siehe Zoller, Kleine Ge­ schichte Brasiliens, 2000, S. 222 f. 589 Silva, Luiz Antonio Domingues da (Maranhão)/Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 876; Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 390 f. (Quelle III.5.d-23). 590 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 348. Siehe z.B. Barroso, Benjamin, Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878 („consciencia naci­ onal“). Pang weist darauf hin, dass im Norden Brasiliens der „Staat“ erst nach 1930 mit Getúlio Vargas Geltung gewann. Vorher dominierten die coronéis den Autoritäts- und Lebensraum der Landbevölkerung. Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. 28. 591 Laut Dicionário Aurélio – Século  XXI steht „terra“ u.a. im Sinne von Heimat für „pátria“. Aus den Fallbeispielen wird der Bezug zur Geburtsstätte deutlich: „terra de seu berço“, Barroso, Benjamin, Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878; „É a saudade da terra nativa“, Moreira, Angela, „Os emigrantes“, in: O Combate (Paraíba), Bd. 3, Nr. 69–3 (12.6.1904), S. 1; „terra natal“, Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1058. 592 Junqueiro, „A fome no Ceará“, in: O Contemporaneo, Bd. 1, Nr. 2 (20.10.1877), S. 11 (Quelle III.5.d-24). 593 „Dr. Epitacio Pessôa. Sua viagem a S. Paulo * Identificação politica do Sul e Norte“, in: A União vom 21.8.1921, S. 1 (Quelle III.5.d-25). 594 Maranhão (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919, S. 382 (Quelle III.5.d-26).

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Tatkraft der Dürreopfer sollte allerdings nicht gerade in Acre oder Amazonien zum Tragen kommen, denn dort nutzten die sertanejos der zurückgebliebenen Agrarelite zu wenig mehr, als sie im Parlament als „unermüdliche und unbe­ zwungene Pionierhelden“ zu feiern.595 Daher war es den regionalen Landherren ein dringliches Anliegen, die allgemeine „Anhänglichkeit an die Heimat“ unter den nortistas zu kultivieren.596 Schließlich ging die Machtposition der Latifun­ dienbesitzer entscheidend aus der Anzahl der ihnen untergebenen Arbeitskräfte hervor, die in einem effizienten System vertikaler Gesellschaftskontrolle ein­ gebunden waren und als Wahlstimmen das fundamentale politische Gut der coronéis darstellten.597 Im Kongress wurden die gegensätzlichen Charakteristiken ‚nomadischer Er­ oberung ferner Gebiete‘ und ‚bodenständiger Verwurzelung mit dem Sertão‘ in Abhängigkeit von den jeweiligen Absichten eingesetzt. Dabei waren sich die Redner aus dem Nordosten in einer Frage einig: Sei es São Paulo oder Ama­ zonien, in den Emigrationsgebieten könne es den sertanejo nicht lange halten. Sobald er die Nachricht von den ersten Niederschlägen vernehme, eile er voller Sehnsucht in seinen geliebten Sertão. Wie im Presseorgan der paraibanischen Regierung berichtet wurde, musste Gouverneur Camilo de Holanda im Dürre­ jahr 1919 beim ersten Anzeichen von Regen auf Ersuchen von Hungerflücht­ lingen kostenlose Rückfahrkarten in das heimatliche Paraíba verteilen.598 Die genauen Begebenheiten sind kaum zu rekonstruieren: Erfolgte zuerst die Bitte der sertanejos, oder ging ihr das staatlich finanzierte Angebot zur Rückreise vo­ raus? War die Organisation ganzer Zug- und später Lastwagenladungen von heimkehrenden retirantes auf eine Vielzahl individueller Anfragen zurückzu­ führen, oder war sie das Ergebnis einer zentral gesteuerten Rückrufaktion der 595 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1005, 1058 (Quelle III.5.d-27). 596 Rodrigues, Thomaz (Ceará), ebd., S. 1019; Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 284; Moreira, „Os emigrantes“, in: O Combate, Bd.  3, Nr.  69–3 (12.6.1904), S. 1 (Quelle III.5.d-28). 597 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 78; Queiroz, Maria Isaura Pereira de, „O coronelismo numa interpretação sociológica“, in: Holanda, Sérgio Buarque de (Hg.), História geral da civilização brasileira, Bd. III: O Brasil republicano, Teil 1: Estrutura de poder e economia (1889–1930), Rio de Janeiro: Bertrand Brasil, 19895, S. 155–190 (172); Ribeiro, Estruturas de poder e forças insurgentes, 1978, S. 107; Car­ valho, J. M., Mandonismo, coronelismo, clientelismo, 1998, S. 87. Zum begrenzten Wert der Wahlstimmen als Verhandlungsmasse in einer Zeit, als mannigfaltige Formen des Wahlbetrugs – vor allem im Rahmen der política dos governadores – genutzt wurden, siehe ebd., S. 87 f. Zur política dos governadores siehe Kapitel IV.1.b. 598 „Os emigrantes“, in: A União vom 10.6.1919, S. 1; siehe auch Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1019; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 499; Barroso, Benjamin, Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câ­ mara, 18.9.1915, S. 878 (Quelle III.5.d-29).

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Regierungen im entvölkerten Trockengürtel? Wahrscheinlich war der Wunsch der regionalen Oligarchie zum Erhalt ihrer Arbeitskräfte größer als deren Be­ gehren, sich wieder Verhältnissen auszusetzen, die auch außerhalb und unab­ hängig von den Trockenzeiten ein hartes Leben voller Entbehrungen mit sich brachten. Ein sicheres Indiz dafür sind die Zahlen der damals und bis heute im gesamten Land verstreut lebenden nordestinos, welche der einstigen Hei­ mat fern geblieben sind.599 Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der ­Agrarrepräsentanten zu verstehen, durch Politik und Diskurs auf die Empfin­ dungen und Entscheidungen der sertanejos einzuwirken. Die Einführung mo­ derner Produktions- sowie Arbeitsmethoden sollte unter Bewahrung des tradi­ tionellen Dominanzgefüges erzielt werden. Angesichts der hierzu erforderlichen Einbindung der Landbevölkerung diente die Herausbildung bestimmter Ste­ reotypen und gesellschaftlicher Erklärungsmuster einer Verhaltensnormierung der Arbeitskräfte. Das Bild des fleißigen und friedlichen – in anderen Worten passiven – sertanejo, der aufs Engste mit seinem Broterwerb und seinen heimi­ schen Wurzeln verbunden ist und trotz aller Widrigkeiten stets zurückkommt, sollte als Mittel der ideologischen Kontrolle von der Bevölkerung des Sertão verinnerlicht werden. Die Aussage „Der nortista liebt seine Heimat, er wandert nicht aus“600 war weniger eine allgemeingültige und auf Faktizität basierende Feststellung als vielmehr eine implizite Aufforderung, Bestandteil eines direkt und indirekt durchzusetzenden Führungskodexes. Je nach Interessenlage wurde der sertanejo positiv oder negativ präsentiert. Gleich blieb in etlichen parlamen­ tarischen Stellungnahmen lediglich die Begründung seiner Charakterzüge mit dem Übel der Dürre.

599 Siehe hierzu „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.5.d-30). Zur anhaltenden Migrationsbewegung aus dem Nordosten (1991–2000 ca. 1,5 Mio., davon 70,9 % in den Südosten) ungeachtet jüngster Rücklauftendenzen angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit in São Paulo und des Tourismusbooms im Nordosten (1991–2000 ca. 0,6 Mio.) siehe IBGE, Atualmente como anda?, ibge.gov.br. Der Zensus von 2010 bestätigt den Nordosten erneut als Region mit der größten Mi­ gration und dem höchsten negativen Migrationssaldo innerhalb Brasiliens. Jardim, A./ Ervatti, L., „Migração interna na primeira década do século XXI“, in: dies./Borges, G. (Hg.), Mudança demográfica no Brasil no início do século XXI (Estudos e análises. Infor­ mação demográfica e socioeconômica, Nr. 3), Rio de Janeiro: IBGE, 2015, S. 102–123 (106), ibge.gov.br. 600 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 495 (Quelle III.5.d-31). Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 339, 341, 349.

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e) Norden versus Süden – Diskurs und Gegendiskurs Die soziale Konstruktion des ‚Nordostens der Dürre‘ war nicht allein auf der diskursiven Argumentation und dem politischen Agieren innerhalb des eigenen Terrains aufgebaut, sondern ebenso auf Diskurs und Handeln seitens und ge­ genüber den Konkurrenten in der südlichen Landeshälfte – die Region war zu einem wesentlichen Teil eine ‚Erfindung‘ des Südens.601 Mehrere Elemente des Gegendiskurses und ihre Wirkung auf den discurso da seca sind bereits in den vorausgegangenen Kapiteln angesprochen worden: Die Ende des 19. Jahrhun­ derts sich häufende Nutzung der Klimaeinbrüche zur Forderung von Ressour­ cen hatte im Kongress Skepsis hervorgerufen und zur Denunziation politischen Missbrauchs geführt. Im Norden reagierten die Oligarchien darauf mit der dis­ kursiven Superlativierung der Trockenzeiten, einer Steigerung der larmoyanten, pathetischen Schilderung ihres Elends und ihrer Opferrolle, gepaart mit einer ausschließlich für sich in Anspruch genommenen Diskurskompetenz in Fra­ gen der Dürre und Dürrebekämpfung.602 Die Beschreibungen des wüstenhaften Trockengürtels veranlassten die Süd-Politiker, staatlichen Hilfsgütern und In­ vestitionen ihre Zustimmung zu verweigern und stattdessen die Evakuierung der semi-ariden Gebiete vorzuschlagen. Von ihrem eigenen taktischen Zug in Schach gehalten, bemühten sich die Nord-Oligarchien, das von ihnen geschaf­ fene Bild der Defizitregion zu revidieren, indem sie die positiven Aspekte der Natur und der Bevölkerung hervorkehrten.603 Auch hier wurde ihre Strategie von den südlichen Antagonisten gegen sie eingesetzt. Auf den Antrag, italie­ nische Immigranten in den geplanten Bewässerungsprojekten anzusiedeln, er­ folgte die abweisende Antwort: „Wenn der cearense so ein geschickter und guter Arbeiter ist, wozu sind dann hundert Familien aus der Lombardei nötig, um unseren Landsmännern zu zeigen, wie eine Ackerfurche gezogen und das Wasser hineingeleitet wird?“604 Trotz oder gerade wegen der interregionalen Kontroversen fanden die An­ sichten aus dem Süden große Beachtung im Norden. Dort wurde es schon als kollektiver Triumph gefeiert, sobald in der über 2500  Kilometer entfernten Landeshauptstadt ein nortista ein Lob empfing, sei es an den Staatschef para­ ibanischer Herkunft Epitácio Pessoa gerichtet oder an den Chefredakteur der paraibanischen Regierungszeitung A União, der über Pessoa schrieb und da­ für im Jornal do Brasil mit würdigenden Kommentaren bedacht wurde. Dies 601 Ders., Invenção do Nordeste, 1999, S. 101. 602 Siehe Kapitel II.3.a, III.5.b und III.5.c. 603 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281 (Quelle III.5.e-01). Zu weiteren Quellenbelegen siehe Kapitel II.3.a und III.5.d. 604 Werneck, Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 306 (Quelle III.5.e-02).

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war im Norden eine Notiz auf den Titelseiten wert.605 Ein weiterer Faktor der ­ambivalenten Hassliebe ging auf die Vorbildfunktion für die angestrebte Mo­ dernisierung zurück, wobei insbesondere São Paulo als „wichtigster Standort all unserer Fortschritte“ gerühmt wurde.606 Wenn sich die politischen Schwer­ gewichte São Paulo und Minas Gerais allerdings als Inbegriff der Republik dar­ stellten, konterte der Norden mit seiner 400-jährigen Tradition als „Wiege des Vaterlands“.607 In Bewegung gehalten wurde sie von der euclydischen Prophe­ zeiung des „starken Kerns unserer werdenden Nation“.608 Auf dieser Grundlage praktizierten die nördlichen Repräsentanten einen rückgewandten Sehnsuchts­ diskurs, der nach einer Harmonisierung von ruhmreicher Vergangenheit und vielversprechender Zukunft trachtete. Die Abwendung der regionalen Krise stand aus ihrer Perspektive somit ganz im Zeichen der nationalen Interessen­ verteidigung.609 Der wirtschaftliche Niedergang der Nordprovinzen war spätestens seit ih­ rem Ausschluss aus dem Agrarkongress inmitten der Dürre von 1877–79 offen­ sichtlich und offenkundig geworden und hatte dazu geführt, dass der regionalis­ tische Diskurs als Kompensation verstärkt die traditionellen Werte akzentuierte. Zumindest auf diskursiver Ebene sollte die nationale Bedeutung der Region gewahrt werden. Ihre Belange wurden als „authentisch brasilianisch“ hervor­ gehoben und ihre Bewohner aus historischer, wirtschaftlicher und physischer Sicht als „Basis des brasilianischen Volkes“ für überlegen erklärt.610 Die bereits zitierten „heldenhaften Eroberer von Acre, Amapá und Amazonien“, welche zu­ dem die südliche Landesgrenze verteidigt hatten, seien „in ihrem Mut und ihrer Hartnäckigkeit noch bewundernswerter als die bandeirantes São Paulos“.611 In der paraibanischen Presse wurde die rhetorische Frage formuliert, ob gerade sie nun dem „egoismo (...) dos homens do Sul“ zum Opfer fallen sollten. Dieser 605 Siehe die entsprechenden Anmerkungen von und über den Chefredakteur der União: Fernandes, „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Brasil (Rio de Janeiro), o. D. 606 „Dr. Epitacio Pessôa. Sua viagem a S. Paulo * Identificação politica do Sul e Norte“, in: A União vom 21.8.1921, S. 1 (siehe Quelle III.5.e-24). 607 Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 23. 608 Cunha, Krieg im Sertão, 1902, S. 115. Näheres zum Ausspruch Euclydes da Cunhas in Kapitel III.3.b. 609 Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 23 f. (S. 23: „o discurso é saudo­ sista“). 610 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1045 (Quelle III.5.e-03). Siehe auch Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 24; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 59 f., 342. 611 „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (der Artikel bezieht sich auf die Rede Epitácio Pessoas in der Villa Militar); Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 493 (Quelle III.5.e-04).

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„Egoismus der Männer des Südens“, die sich ganz „dem Genuss, der Gewinn­ sucht und dem Vergnügen hingeben“, wurde ebenfalls angeführt, um die im Süden vernachlässigte „Reproduktionsfunktion“ dem Norden gutzuschreiben, „einer unbestrittenen Quelle des Populationswachstums“.612 Sämtliche Argu­ mente liefen darauf hinaus, zum Wohle der Nation die Intervention in der Tro­ ckenzone zu fördern. Im Wettstreit zwischen den Regionen klassifizierte der Leiter der Dürre­ behörde (IFOCS) Arrojado Lisboa die Kaffee- und Kautschukproduktion als Hauptpfeiler der brasilianischen Wirtschaft, stellte die Kautschuk gewinnenden Dürreflüchtlinge jedoch noch über die Kaffee kultivierenden paulistas. Denn der sertanejo habe ganz auf sich allein gestellt und ohne Hilfe von Sklaven oder europäischen Immigranten das Amazonasgebiet für die nationale Gemeinschaft erschlossen.613 Rein ökonomisch gesehen überragte während der Ersten Repu­ blik (1889–1930) der Kaffee mit einem Anteil am brasilianischen Gesamtexport von durchschnittlich 60  Prozent deutlich den Kautschuk mit knapp 15  Pro­ zent.614 Die Menschen aus dem Dürregürtel in ihrem Verdienst für das Land den fazendeiros aus São Paulo gleichzusetzen bzw. sie sogar höher einzustufen, war wahrscheinlich nur dank der Präsidentschaft Epitácio Pessoas und durch dessen bahnbrechenden Nordost-Diskurs ‚sagbar‘.615 Ansonsten wären derartige Vergleiche im Süden kaum geduldet worden. Dort scheute man – in diesem Fall vor der Regierungszeit Pessoas – nicht davor zurück, im Kongress die Mängel der nördlichen Produktion durch die vermeintliche Lethargie der Bevölkerung zu erklären.616 Sowohl die ökonomische Relevanz als auch der Heldenmythos des sertanejo wurden im südlichen Gegendiskurs relativiert, indem an den pa­ triotischen Einsatz der in Südbrasilien angesiedelten deutschen Immigranten im Tripel-Allianz-Krieg erinnert wurde, welche außerdem den „wichtigsten Beitrag zur nationalen Prosperität“ leisteten.617 Die Politiker des Nordens sagten in der zweiten Dekade des 20.  Jahrhunderts hingegen voraus, die heimische Baum­

612 „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1 (Quelle III.5.e-05). 613 Lisboa, Arrojado, „O problema do Nordeste. O São Francisco e as sêccas“, in: A União vom 12.9.1919, S. 1 (Quelle III.5.e-06). Lisboa, selbst kein nordestino, sondern carioca, war erst durch Epitácio Pessoas Wahl wieder in das bereits zehn Jahre zuvor von ihm besetzte Amt der IOCS- bzw. nun IFOCS-Leitung zurückgerufen worden. Pompeu, História das secas (séc. XX), 19531, S. 221 f.; Netsaber, Biografias. Miguel Arrojado Ri­ beiro Lisboa, netsaber.com.br. 614 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 228. 615 Zum Begriff der „Aussagbarkeit“ siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 188 sowie Kapitel I.1.b und V.2. 616 Lamartine (Rio Grande do Norte)/Lopes, Ildefonso Simões (Rio Grande do Sul), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 117 (Quelle III.5.e-07). 617 Castro, Valois de (São Paulo), Anais da Câmara, 26.7.1915, S. 263 f. (Quelle III.5.e-08).

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wolle werde den krisenanfälligen Kaffee618 und den inzwischen konjunkturell geschwächten Kautschuk619 als Exportschlager ablösen, und forderten, ihre An­ pflanzungen vor allen anderen Produkten staatlich zu schützen. Zum Zeitpunkt dieser Aussage lag die Baumwolle mit weniger als drei Prozent der brasiliani­ schen Exporteinkünfte weit hinter den Kaffee- und Kautschukausfuhren. Tabelle 1: Zentrale Exportgüter Brasiliens, 1901–40 (Anteil am Gesamtexport)620 Zeitraum

Kaffee

Kautschuk

Baumwolle

1901–10

51,3 %

28,2 %

2,1 %

1911–20

52,4 %

11,4 %

2,0 %

1921–30

69,6 %

2,5 %

2,4 %

1931–40

50,0 %

1,1 %

14,3 %

Das Diskurselement der Bevorzugung des Südens und der ­Benachteiligung des Nordens

Die Erlangung zentralstaatlicher Gelder stand im Mittelpunkt des interregio­ nalen Konkurrenzkampfes, insbesondere seit Entstehen der stark föderativen Republik. Mit der Verfassung von 1891 wurden den Gliedstaaten nicht nur beträchtliche Kompetenzen und Steuereinnahmen (Export-, Immobilien-, In­ dustrie- und Einkommenssteuern) übertragen, sondern einschneidende Ver­ pflichtungen zur Sicherung ihrer ökonomischen Existenz aufgebürdet. Jeder Staat sollte sich durch die eigenen Einkünfte finanzieren. Während die kleineren und weniger einflussreichen Provinzen bald an die Grenzen ihrer Investitionska­ pazitäten stießen, konnte ein politisches Schwergewicht wie São Paulo aus dem Konzept der Eigenverantwortung ausscheren und sich für seine Kaffeeproduk­ tion einer extensiven zentralstaatlichen Subvention bemächtigen. Silveira Godoy argumentiert daher, der Föderalismus der Ersten Republik habe den Regionen nur scheinbar ihre Autonomie zurückgegeben, vor allem aber die Hegemonie der Kaffee-Fraktion akzentuiert und die wirtschaftliche und politische Krise des 618 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 388 (Quelle III.5.e-09). Zum internationalen Preisverfall und Absatzrückgang des Kaffees während des Ersten Weltkriegs siehe Kapitel IV.2.f. 619 Zum „ouro negro“ siehe Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 702. 620 „Tabela I – Principais produtos de exportação do Brasil – 1901–1965“, in: IBGE, Estatísticas do século XX, Rio de Janeiro: IBGE, 2006, S. 432, ibge.gov.br.

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Nordens verschärft.621 Auch wenn in diesem Zusammenhang die Haltung und Handlungen der oligarchischen Politik im Norden nicht außer Acht gelassen werden dürfen, kommt dem Kaffeeprotektionismus zweifellos eine substantielle Bedeutung zu. Unter der Regierung Rodrigues Alves (1902–06) beschlossen die Führer der Staaten São Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro 1906 im Convênio de Taubaté die Aufwertung des Kaffees. Zu den außerordentlichen Maßnahmen gehörte der Aufkauf ganzer Ernten zur Stabilisierung der Preise auf dem internationalen Absatzmarkt, ermöglicht durch Auslandsanleihen und später durch die Emission von Papiergeld.622 Die Repräsentanten des Nordens, denen protektionistische Förderprogramme verwehrt blieben, reagierten auf die Bevorzugung von São Paulo und Rio de Janeiro mit der Intensivierung ihres Dürrediskurses: „Wenn für die Wertsteigerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, für Häfen, Eisenbahnen, die Sanierung und städtische Verschönerung von Rio de Janeiro Staatsschulden aufgenommen, Banknoten gedruckt und hohe Sum­ men ausgegeben werden“, so ein cearensischer Abgeordneter, „dann ist es ein heiliges Gebot der Union, die unglücklichen Brasilianer vor dem Tod und der Trockenheit zu retten“.623 In ihren Ausführungen zur Dürrebekämpfung blie­ ben die Handelsinteressen kaum verborgen: Wenn der Norden erst einmal über lukrative Bewässerungs- und Transportsysteme verfüge, könne er sich furchtlos der Konkurrenz seiner Schwesterprovinzen stellen.624 Angesichts beharrlicher Ablehnungstendenzen gegenüber ihren finanziellen Forderungen625 nahm die Kritik aus dem Norden an verschwenderischen Staats­ ausgaben im Süden einen aggressiveren Ton an: „5000  Contos für die Orgie der Straßenbeleuchtung in Rio de Janeiro, nur um ruhmreich behaupten zu 621 Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984, S. 235. Siehe ebenfalls Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 18 f., 271; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 27; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 367. 622 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 90, 171 f.; Maya, Leandro Gomes de Bar­ ros – pesquisa, o. D.; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 31; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 227. Siehe auch Kapitel IV.2.f. 623 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1057 (Quelle III.5.e-10). Auch in späteren Debatten hielt Albano dem Süden die hohen Kosten des dortigen Eisenbahn­ netzes vor. Ders., Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 162. Zum Nord-Süd-Finanzstreit über Eisenbahnen und Dürrebekämpfung siehe das Wortgefecht von Rodrigues, Thomaz (Ceará)/Valladares, Francisco (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 161. 624 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 284. Pompeu führte hierzu Indien als Vorbild an: Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 341. (Quelle III.5.e-11.) 625 Siehe z.B. die negative Haltung gegenüber Plänen für Stauanlagen, Eisenbahnen, Telegraphenleitungen seitens Werneck, Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 302 und Regierungsvertreter Calogeras (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 652. Zum Thema Schienennetz (etc.) siehe auch Kapitel IV.3.c.

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können, die Illumination der Avenida Central sei sehr viel prächtiger als in der Avenue de l’Opéra und Unter den Linden!“626 Der Regierung wurde vorgewor­ fen, sich jahrzehntelang dem Flehen des Volkes verschlossen zu haben, das nicht Komfort und Zufriedenheit erhoffe, sondern nur das nackte Überleben. „Ist das zuviel verlangt? Dazu bedarf es lediglich eines guten Eisenbahnnetzes, um den mörderischen, demoralisierenden Exodus abzuwenden. Viele haben es erhal­ ten, ohne so viel zu leiden!“627 Gemeint war mit dieser Anspielung der Süden, ein Gegner, der sich alle Vorteile sichere, dem Norden hingegen parlamenta­ rische Steine in den Weg lege und daher als Entwicklungshindernis („espaçoobstáculo“) wahrgenommen wurde.628 Sowohl die Ursachen als auch die Lösung der regionalen Probleme wurden nicht in den eigenen Gefilden, sondern im Süden gesucht. Die vielfach in die Diskussion eingebrachten Komplexe von desigualdade und desequilíbrio waren nur in Relation denkbar – Ungleichheit und Ungleichgewicht im Verhältnis zum fortschrittlichen Antagonisten, wel­ cher als Modell zur Überwindung der Krise und zur Realisierung der lang ge­ hegten Ambitionen herangezogen wurde.629 Als argumentatives Passepartout und Schlüssel zur Staatskasse diente die Dürre. Seit der verheerenden Trocken­ periode von 1877–79 konstruierte die dominante Schicht des Nordens ihren Diskurs, indem sie die Region mit negativen Charakteristiken identifizierte und diese mit den Klimaeinbrüchen in Verbindung brachte – Desorganisation der Produktion, Mangel an Arbeitskräften, Armut, Misere. Andererseits wur­ den dieselben Defizit-Bekundungen, mit denen der Norden seine Belange zur Staatsfrage zu erheben versuchte, vom Süden benutzt, um das Dürregebiet zur nationalen Unbedeutsamkeit zu degradieren und die Sinnlosigkeit dauerhafter Investitionen zu begründen. Die Machthaber in Rio de Janeiro verweigerten ständige Ressourcen für ein episodisches Phänomen: „Die Kredite können nur bei anhaltender Krise gewährt werden. Ist die Katastrophe beendet, endet der Kredit.“630 Daraus ergab sich für die Oligarchien des Nordens, dass die Notlage

626 Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.11.1915, S. 215 (Quelle III.5.e-12). 627 Sá, Chrokatt de, zit. von: Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 499 (Quelle III.5.e-13). 628 Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 23, in Anlehnung an Silveira, Rosa, Regionalismo nordestino, 1984. Zu vermuteten Verzögerungstaktiken des Südens bei Projektanträgen des Nordens siehe Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 78 f. (Quelle III.5.e-14). 629 Zu „desigualdade“ siehe z.B. Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 28.10.1908, S. 598 und zu „desequilíbrios“ siehe Penna, Ser nordestino – identidades sociais, 1992, S. 23. 630 Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 254. Ähnliche Passage zu späterer Dürre: Anais da Câmara, 6.7.1915, S. 329. (Quelle III.5.e-15.) Siehe auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 29 f.

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funktionell für die Vergabe staatlicher Gelder war und zumindest diskursiv fort­ währen musste. Ad-hoc-Hilfsmaßnahmen, welche von der Zentralregierung und den politi­ schen Vertretern des Südens mehrheitlich bevorzugt wurden,631 zeitigten keine wesentlichen Verbesserungen der nördlichen Wirtschaft. Um die erwünschte Modernisierung der Infrastruktur zu erreichen, wurde daher eines der meist­ verwendeten Elemente des Dürrediskurses gefestigt und im Kongress dekla­ miert – die Vernachlässigung des Nordens durch die Union, der „grausamen und geizigen Mutter Brasiliens“.632 Die Repräsentanten der Region forderten die Regierung auf, ihre Pflicht ihnen gegenüber zu erfüllen, wie sie es im Sü­ den des Landes längst praktizierte.633 Während die „Vergünstigungen stets die südlichen Breiten erreichen“, lasse die Staatsführung den nördlichen Raum ab­ sichtlich verfallen: „Dieses Konzept, die von der Dürre heimgesuchten Staaten per Dekret aufzugeben, ist unglücklich, ungerecht, unpatriotisch und unöko­ nomisch, Frucht des engstirnigen Lokalpatriotismus derer, die egoistisch ihre Geburtsheimat begünstigen wollen, zum Schaden eines Landstrichs, den sie nicht kennen.“634 In ähnlicher Weise kritisierte Thomaz Cavalcanti aus Ceará das Vorhaben des Regierungsvertreters Calogeras, ein ursprünglich 2000 Con­ tos umfassendes Hilfspaket für den Trockengürtel auf 500 Contos zu verringern: „Es ist überflüssig, die umfangreichen Geldleistungen an andere Staaten mit den geringfügigen Mitteln zu vergleichen, die der verehrte Parlamentarier uns nun obendrein noch zu streichen gedenkt. Die Ungleichheit der Gefälligkeiten muss der Abgeordnetenkammer bewusst sein.“ Cavalcanti forderte Calogeras auf, die Motive für einen derart „harten Umgang mit den Staaten des Nordens“ offen­ zulegen, da er ihn andernfalls ausschließlich als „Ungerechtigkeit“ interpretieren könne.635

631 Siehe z.B. Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 249 (Quelle III.5.e-16); Carvalho, Pires de (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 116 (Quelle III.5.e-27). 632 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 493 (Quelle III.5.e-17). 633 Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 73 (Quelle III.5.e-18). 634 Barroso, Benjamin, Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 879; Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1053. Weitere Quellenbei­ spiele: ebd., S. 1005; Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882, S. 341; Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1; Fernandes, „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919. (Quelle III.5.e-19.) 635 Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 28.10.1908, S. 597 f.; siehe auch Albu­ querque, Octacilio de, zit. in: „Um livro opportuno. Em prol do Nordeste. Discursos pronunciados em 1918, na Camara, pelo dr. Octacilio de Albuquerque e editados, em

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Das schlagkräftigste Argument nutzten die Vertreter des Nordens durch die Gegenüberstellung umfangreicher Vorrechte im Süden mit Leid und Tod in der Dürrezone. Darüber hinaus dehnten sie ihre Vorwürfe auf das politische System aus und verwiesen als äußersten Ausdruck „antidemokratischer Privilegienpo­ litik“ auf die als café-com-leite („Milchkaffee“) bekannte ‚Wahl‘ der nationalen Regierungspräsidenten durch die führenden Staaten São Paulo (Produktion von Kaffee), Minas Gerais (Milch als Symbol der Viehwirtschaft) und Rio Grande do Sul (Mitspracherecht seit 1910, als sich São Paulo und Minas Gerais nicht einigen konnten und Hermes da Fonseca aus Rio Grande do Sul Staatsober­ haupt wurde). Erst mit der Präsidentschaft Epitácio Pessoas seien die Rechte des Nordostens in der „hohen Politik“ anerkannt und die „Waage der offiziellen favores“ ausbalanciert worden.636 Abgesehen davon, dass hier die Erlangung von favores mit politischen Rechten verwechselt wurde, wuchs der nationale Einfluss des Nordeste ganz erheblich unter dem nordestino Epitácio Pessoa, selbst wenn dieser ebenso wenig demokratisch gewählt worden war wie seine Vorgänger.637 Vor seinem Regierungsantritt hatte Epitácio Pessoa betont, er sei „in ers­ ter Linie Brasilianer“ und wolle die Differenzen zwischen Süden und Norden überwinden.638 Zur gleichen Zeit ließen die Pläne Epitácio Pessoas in der Dar­ stellung des paraibanischen Fraktionsführers Octacilio de Albuquerque einen dezidierten Regionalismus vernehmen: „Die Aussagen über den Nordosten sind bekannt (...). Sobald seine Exzellenz die Regierung antritt, wird er sich in beson­ derer Form um diese Region kümmern, welche trotz der periodischen Krisen eine der wohlhabendsten der Welt sein kann.“639 In einem Artikel der paraiba­ nischen Regierungspresse wurde der Nordosten in einer weniger populistischen

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volume, pela casa Bernardes Fréres – Rio“, in: A União vom 25.5.1915, S. 1 (Quelle III.5.e-20). Lyra, Julio, „Pelo Nordéste“, in: A União vom 26.4.1921, S. 1; siehe auch Neiva, J. A. (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 12.9.1900, S. 213 (Quelle III.5.e-21). Zu den politischen Hintergründen siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 20; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 86 f.; Zoller, Kleine Geschichte Brasi­ liens, 2000, S. 220. Zu café-com-leite bzw. angesichts der häufigen Konkurrenzsituation café-contra-leite siehe Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. VI; Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 35 und Kapitel IV.2.f. Zum systematischen Wahlbetrug und zur Korruption während der Ersten Republik siehe Leal, Coronelismo, 1977, S. 130; Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. 15–17; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 22. Zur Wahl bzw. Auswahl Epitácio Pessoas siehe Kapitel IV.1.c. Pessoa, Epitácio, zit. in: „Dr. Epitacio Pessôa. Sua viagem a S. Paulo * Identificação po­ litica do Sul e Norte“, in: A União vom 21.8.1921, S. 1 (Quelle III.5.e-22; siehe auch III.5.d-25). Albuquerque, Octacilio de, im Interview: „Os problemas do nordeste novamente pos­ tos em fóco pelas declarações do sr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 21.5.1919, S. 1 (Quelle III.5.e-23).

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Eigeneinschätzung indes wirtschaftlich und technisch weit hinter dem Süden eingestuft. Aus diesem Grund sei es nur folgerichtig, dass sich Epitácio Pes­ soa gerade diesem „vernachlässigten Landesteil“ zuwende, um seine Entwick­ lung dem fortschrittlichen Süden anzugleichen.640 Auch in politischer Hinsicht wurde während der Amtszeit Epitácio Pessoas eine Versöhnung der „Brudervöl­ ker“ im Süden und Norden wahrgenommen.641 Dies war allerdings weniger auf eine dauerhafte Harmonisierung ihres antagonistischen Verhältnisses zurückzu­ führen als vielmehr auf den außergewöhnlichen Umstand der Präsidentschaft eines nordestino, mit dem es sich gut zu stellen galt. Entsprechende Rückschritte wurden unmittelbar nach dem Ende seiner Regierungsperiode spürbar.642 Nationalbewusstsein eines einheitlichen Brasiliens oder ­Nord-Süd-Kluft?

Brüderlichkeit und Zusammenhalt zählten zum Kernvokabular des Dürredis­ kurses. Angesichts des Hungertods tausender Brasilianer im Trockengebiet, wo der „vage Begriff der Solidarität zu einer traurigen rhetorischen Figur verwahr­ loste“, wurde von der föderativen Republik uneingeschränkte „fraternidade“ erwartet.643 Während die Repräsentanten des Nordens versicherten, sie wollten jegliche interregionale Opposition überwinden und mit ihren Hilfsforderun­ gen für die lokale Landwirtschaft lediglich nationale Interessen vertreten, wurde ihnen im Kongress entgegnet, sie hätten keine vergleichbare Agrarförderung wie der Süden zu erwarten.644 Letzterer kämpfte um seine Machtposition als führende Kraft der Nation wie der Norden um seine Ohnmachtposition in der Rolle des Dürreopfers. Die große Kluft zwischen Süden und Norden wird auch daran ersichtlich, dass es als bemerkenswerte Ausnahme auffiel, wenn ein SüdVertreter die Nordostpolitik mittrug. Im konkreten Fall handelte es sich um Sampaio Corrêa aus dem Bundesdistrikt Rio de Janeiro, dessen Unterstützung für das Dürreprogramm Epitácio Pessoas vom pernambucanischen Parlamen­ 640 „Dr. Epitacio Pessôa. Sua viagem a S. Paulo * Identificação politica do Sul e Norte“, in: A União vom 21.8.1921, S. 1 (Quelle III.5.e-24). 641 „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1; siehe hierzu Epitácio Pessoas Auffassung im Interview in: „O futuro govêrno do Brasil. O programma do sr. Epi­ tacio Pessôa, novo presidente da Republica“, in: A União vom 20.5.1919, S. 1 (Quelle III.5.e-25; vgl. auch III.5.e-22). 642 Siehe Kapitel IV.5. 643 Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.5.1904, S. 67 (Quelle III.5.e-26). 644 Lamartine (Rio Grande do Norte)/Carvalho, Pires de (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 108, 115 f. (Quelle III.5.e-27). Ungeachtet seiner großartigen Worte zur nationalen Einheit führte gerade Lamartine die Süd-Nord-Vergleiche an und brachte seine Forderungen mit ihnen in Verbindung.

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tarier Estácio Coimbra kommentiert wurde: „Das ist Gerechtigkeit! Und der verehrte Abgeordnete ist nicht nordestino, er ist Brasilianer!“ Fast konnte man annehmen, der Nordosten gehöre nicht zu Brasilien. Gemeint war, dass ein För­ derer der Region als wahrhafter Brasilianer verstanden wurde, im Allgemeinen aber das „asymmetrische Verhalten gegenüber Norden und Süden sich in der Republik offen manifestiert“. Francisco Valladares stritt diese Anschuldigung Coimbras ab, machte als Gegner der Dürreprojekte gleichwohl unmissverständ­ lich klar, dass die Bedürfnisse des Nordens denen der Nation untergeordnet seien. An der Stelle drehte sich die Diskussion im Kreis, indem Octacilio Al­ buquerque aus Paraíba fragte: „Sind wir denn keine Brasilianer?“645 Im selben Tenor warnte der pernambucanische Staatsmann Joaquim Nabuco 1888 vor der Festigung von zwei „Brasis“.646 Die von einigen Politikern artikulierte Vorstel­ lung, es gebe nicht Norden und Süden, sondern nur ein Brasilien, bezeichneten andere als Farce. Ihnen wurde wiederum vorgeworfen, sie fantasierten.647 Sena­ tor Vicente Machado aus Paraná – im Süden des Landes – nannte es den „größ­ ten aller Fehler, zwischen Interessen der Gliedstaaten und der Union zu unter­ scheiden“. Er forderte, die Mängel im Norden systematisch zu beheben, um das Gemeinwesen nicht zu einem „Schattengeschöpf“, einem „Hirngespinst“ verkommen zu lassen.648 Damit untermauerte er das fundamentale Anliegen sei­ ner nördlichen Amtskollegen, die regionalen Schwierigkeiten und deren Lösung zu nationalisieren.649 Die Repräsentanten des Nordens appellierten an das „nationale Gewissen“, um eine dauerhafte Dürrebekämpfung zu institutionalisieren.650 Sie sahen darin eine „Angelegenheit der öffentlichen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung unseres Vaterlands“, zumal der ökonomische Verlust während der Dürrekatas­ trophen das „landesweite Vermögen“ verringere.651 Folglich sei die Trockenheit 645 Coimbra, Estacio (Pernambuco)/Valladares, Francisco (Minas Gerais)/Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 169, 173 (Quelle III.5.e-28). Der von Coimbra für seine Zustimmung zu den Nordostprojekten gelobte Sampaio Corrêa sollte 1925 maßgeblich an deren radikaler Budgetkürzung beteiligt sein. Siehe Kapitel IV.5.a. 646 Mello, Evaldo, O Norte agrário: 1871–1889, 1984, S. 15. Der Autor führt weitere Quellen aus dem 19. Jahrhundert zu dieser Thematik an. (Brasis: portugiesische Plu­ ralform von Brasilien.) 647 Souza, Eloy de (Rio Grande do Norte)/Bezerra, José (Pernambuco)/Cavalcanti, Tho­ maz (Ceará), Anais da Câmara, 28.10.1908, S. 600 (Quelle III.5.e-29). 648 Machado, Vicente (Paraná), Anais do Senado, 15.9.1903, S. 381 (Quelle III.5.e-30). 649 Zu den Anfängen dieser strategischen Ansätze siehe Kapitel II.3. 650 Barroso, Benjamin (Gouverneur von Ceará), Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878 (Quelle III.5.e-31). 651 Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 512; Barroso, Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 879 (Quelle III.5.e-32).

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„ein nationales, nicht regionales Problem“, überdies das „wichtigste in ganz Bra­ silien“, welches ein Zehntel der gesamten Bevölkerung betreffe.652 Vor diesem Hintergrund verstehe es sich von selbst, dass die Finanzierung von Eisenbahnli­ nien, Straßen, Brunnen etc. nur von der Zentralregierung kommen könne, für deren Staatskasse der Norden hohe Abgaben und Steuern zahle.653 Mit den Wor­ ten des paraibanischen Parlamentariers José Peregrino wäre es ein „grausamer Frevel“, der „geheiligten Aufgabe“ des Katastrophenschutzes nicht nachzukom­ men, welche dem Staat durch Artikel  5 der Verfassung auferlegt war. Um die konstitutionelle Verantwortung der Union im Norden zu unterstreichen, erin­ nerte er an Cholera-Epidemien im Süden, die ebenfalls umfangreiche Hilfsmaß­ nahmen für die dortige Bevölkerung ausgelöst hatten. Im Vergleich hierzu be­ deute die Dürre ein sehr viel verheerenderes Verhängnis. Peregrino zufolge wurde staatlicher Beistand im Moment einer Naturkatastrophe zu allen Zeiten, in allen Ländern, von allen Regierungen als unbestrittene Pflicht anerkannt und erfüllt. Allerdings hätte er seine Aussage kaum mit einer 22-seitigen Kongressansprache prononcieren müssen, mit einem Exkurs von den biblischen Pharaonen bis nach China, wenn die von ihm verlangten Vorhaben für den Trockengürtel tatsächlich derart selbstverständlich gewesen wären.654 Sein energischer Einsatz verdeutlicht, dass in Anbetracht des Misstrauens gegenüber Forderungen aus dem Norden der ausführlich von ihm beschriebene Automatismus staatlicher Schutzgarantien erst noch durchzusetzen war. Dies war eines der zentralen Ziele des Dürrediskurses – die Notstandsprogramme als eine Normalität zu etablieren, über die nicht mehr nachgedacht, nicht mehr diskutiert werden musste, die moralisch, historisch und durch internationale Kongruenzen bewiesen und abgesichert war. Die Förderung der europäischen Einwanderung in der Kritik

Die als ungleich und ungerecht empfundene Behandlung der brasilianischen Regionen machten die Vertreter der Dürrezone auch an der staatlich geförder­ ten Einwanderung in den Süden des Landes fest, wo der im 19. Jahrhundert 652 Paiva, Osorio da (wahrscheinlich Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1057; Al­ bano (Ceará), ebd., S. 1045, 1059; siehe ebenso Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 492 (Quelle III.5.e-33). 653 „A sêcca“, in: A União vom 9.5.1919, S. 1; siehe hierzu auch Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1057; Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 493 (Quelle III.5.e-34). 654 Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 514–516 (Quelle III.5.e-35). Der gesamte Diskurs verläuft von S. 512–533. Zu den Gelbfieberepidemien im Süden vgl. auch die in Kapitel  II.2.b angeführten Hinweise von Albano (Ceará), Anais da Câ­ mara, 15.10.1917, S. 1056 und Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 52 f.

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stark angestiegene Kaffeeanbau immenser Arbeiterkontingente bedurfte. Wäh­ rend aus Haushaltsmitteln 900.000 Contos für drei Millionen europäische Im­ migranten ausgegeben worden seien, habe die Zentralregierung im Nordosten drei Millionen Brasilianer hungern lassen, von denen zwei Drittel an den Folgen der Trockenheit oder den unwirtlichen Lebensbedingungen im Zufluchtsgebiet des Amazonas gestorben seien.655 Als Ausgleich für die staatlich finanzierte Be­ reicherung des Südens forderten die Repräsentanten des Nordens eine äqui­ valente Begünstigung ihrer Landwirtschaft. Einige Provinzen verlangten fer­ ner, ebenfalls von der Immigration aus Europa zu profitieren.656 Erste Ansätze und Ansiedlungsprojekte im Norden schlugen wegen mangelnder staatlicher Zuwendungen entweder völlig fehl oder gingen über die Planungsphase nicht hinaus. Zusätzliche Arbeitskräfte waren angesichts des lokalen Überangebots eigentlich unnötig und wurden von den regionalen Oligarchien lediglich aus Gründen der interregionalen Gleichberechtigung angefordert. Es wurde die Meinung geäußert, man benötige ausgebildete Facharbeiter zur Unterweisung und „Zivilisierung“ der sertanejos.657 Im Rahmen der ausgeprägten Tendenz zu „rassischen“ Überlegungen in Politik und Gesellschaft wurden derartige Vorstel­ lungen von den Abgeordneten aus dem Süden unterstützt: „Die niedrigere Pro­ duktion im Norden ist eine Konsequenz der geringen Immigration der starken Rassen, insbesondere der germanischen, die erwiesenermaßen für uns die geeig­ netste ist.“658 Juvenal Lamartine aus Rio Grande do Norte parierte, es gebe keine „ethnische Superiorität der Rassen – diese ist rein gesellschaftlich motiviert, eine Frage der unterschiedlichen Erziehung“.659 Zudem habe der nortista ausgezeich­ nete Leistungen für die Nation erbracht und eine höhere landwirtschaftliche Produktion als der sulista zu verzeichnen. Als Beleg stützte sich Lamartine auf eine Statistik aus der Feder des Parlamentariers Passos de Miranda aus Pará im Mündungsdelta des Amazonas. Zum Vorteil des Nordostens verlief Mirandas

655 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 109, 112. Fortset­ zung der Argumentation durch Rocha (Ceará), Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 151. Siehe auch Bezerra, José (Pernambuco, Landbesitzer/Zuckeroligarchie), Anais da ­Câmara, 28.10.1908, S. 607 f. (Quelle III.5.e-36.) Im Verlauf der staatlich forcierten Einwanderung, v.a. aus Europa, wurden 1884–1939 offiziell 4.158.717 Immigranten registriert. Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 234. Zum historischen Kontext siehe auch Bernecker, ebd., S. 181; Burns, History of Brazil, 1970, S. 135. 656 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 284, 287; Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 513 (Quelle III.5.e-37). 657 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 334, 336. 658 Lopes, Simões (Rio Grande do Sul), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 117 (Quelle III.5.e-38). 659 Lamartine (Rio Grande do Norte), ebd. Ähnlich argumentierte Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1058. (Quelle III.5.e-39.)

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norte von Bahia bis Amazonien, so dass die Kautschukgewinnung die schwarzen Zahlen der Großregion garantieren konnte.660 Andere Abgeordnete der Dürreprovinzen widersprachen nicht prinzipi­ ell der „Theorie der höherwertigen Rassen“, zweifelten jedoch die Integrität der europäischen Arbeiter an, unter denen ungeachtet ihrer „Superiorität“ die „übelsten Charaktere“ mit schlechtem Einfluss auf die gesellschaftliche Ord­ nung zu finden seien.661 Die Politiker des Nordens bekräftigten die weit ver­ breitete Assoziation der Immigranten mit „Streik, Anarchismus und Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“. Für ihren regionalistischen Diskurs nutzten sie die Schwierigkeiten der Süd-Oligarchien mit der Arbeiterbewegung, um den „ge­ fährlichen subversiven Elementen“ aus dem Ausland den vermeintlich „gefü­ gigen nortista“ gegenüberzustellen.662 Unter dem Leitspruch „Die Superiorität des nationalen Arbeiters“ machte Ildefonso Albano aus Ceará eine Studie von J. Papaterra Limongi bekannt, welcher zu dem „ehrenhaften Schluss kam, dass unser Landarbeiter unter adäquater Anweisung dem Europäer an Robustheit, Pflichtbewusstsein, Aufnahmefähigkeit und Ordnungssinn überlegen ist.“ Al­ bano zufolge schätzten die „colonos“ aus Europa an Brasilien nur „das exzellente Klima, unsere wohlwollende Gesetzgebung und unsere Bodenschätze“. „Ihre alma de colono verlieren die meisten nie, ihre Gedanken gelten dem Vaterland, wohin sie jährlich Tausende von contos de réis senden.“ Anstatt den „dubiosen“ Europäern auf Kosten des brasilianischen Staates Ackerland und finanzielle Zu­ schüsse zu offerieren, sollten diese Privilegien den hungernden Brasilianern im Nordosten zukommen.663

660 Den Nord-Süd-Produktionsvergleich bezifferte Lamartine in Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 114 und wiederholte sein Argument am Folgetag mit weiteren Zahlen und Beispielen zu den Errungenschaften des nortista: Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 139 (Quelle III.5.e-40). 661 Rocha (Ceará)/Lima, Barbosa (Pernambuco), ebd., S. 152 (Quelle III.5.e-41). 662 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912, S. 495; „Um grande presidente“, in: A União vom 16.1.1920, S. 1 (Quelle III.5.e-42). Zur Relativierung der vermeintlichen „Gefügigkeit“ siehe Kapitel III.5.d. Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 349 f. 663 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1010, 1055, 1058. Siehe ähnliche Passagen: Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.8.1877, S. 66; ders./Zacarias (Bahia), Anais do Senado, 25.6.1877, S. 222. (Quelle III.5.e-43.) Zu weiteren Einwänden gegen die kostspielige Einwanderung aus Europa siehe Rodrigues, A. Coelho (Piauí), Dis­ curso. Congresso Agricola, 6.10.1878, S. 88.

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6. Knotenpunkte der Diskursstränge Die Kritik der nördlichen Oligarchien an den europäischen Einwanderern und der Immigrationspolitik erinnert an die in der Volksdichtung anklingende Abneigung gegen die übermächtige ausländische Präsenz in Brasilien. Unge­ achtet der voneinander abweichenden Motivation und Intention spiegelt sich darin der gemeinsame Erfahrungshorizont wider, der Eingang in die jeweiligen repräsentativen Diskurse fand. Ähnlich verhielt es sich mit den Äußerungen zur Trockenheit, zumal die Redner und Autoren aus den unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen nicht in einem sozialen Vakuum lebten. Ihre gegensei­ tige Beeinflussung führte zu einer Kreuzung, deren Schnittstellen den domi­ nanten Dürrediskurs ausmachten. Als diskursive Berührungspunkte genossen seine Aussagen allgemeine Akzeptanz und festigten die Widerstandsfähigkeit und Kontinuität der schichtspezifischen Diskurse, auch wenn sich ihre Korrela­ tion untereinander teils stärker durch Kontroverse als durch Konsens auszeich­ nete. Entscheidend für die Erlangung einer grundlegenden Glaubwürdigkeit war die Existenz eines gemeinsamen Kerns und Selbstverständnisses, hier mit dem theoretischen Konstrukt des dominanten Dürrediskurses zum Ausdruck gebracht.664 Um ihn herum bewegten sich die Einzeldiskurse der Kirchenvertre­ ter, Volksdichter, Literaten, Techniker und Politiker. In Anpassung an externe Faktoren waren sie einem ständigen Wandel unterworfen und oft nicht ohne weiteres auseinanderzuhalten. Die Trennlinien verschwammen schon infolge personeller Überschneidungen, gerade in den Sphären des literarischen, tech­ nischen und parlamentarischen Diskurses. Nicht selten waren Kongressmitglie­ der studierte Ingenieure, Schriftsteller oder beides zugleich.665 Parallelen zum kirchlichen Diskurs ergaben sich im oligarchischen und volkstümlichen Bereich durch partielle Übereinstimmungen der religiösen, traditionsbewussten oder konservativen Lebenssituation. Eine Gemeinsamkeit verband alle Stränge des Dürrediskurses – sie richteten sich direkt oder indirekt an den Staat, forderten Maßnahmen oder monierten deren Ausbleiben. Die Umstände ihrer Entstehung näherten die Dürrediskurse einander an, denn sie nährten sich nicht allein aus dem Klimaphänomen, sondern keim­ 664 Siehe hierzu Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 89, 108, 111 f. 665 Für parallele Aktivitäten in Politik und Belletristik siehe die in Kapitel III.3.a genann­ ten Namen: Tristão de Alencar Araripe, José de Alencar, Joaquim Nabuco, Rodolfo Teófilo, José Américo de Almeida, Gustavo Barroso. Zwei Beispiele aus dem techni­ schen Umfeld sind José Matoso de Sampaio Correia (Estado do Rio de Janeiro, 1875– 1946 [?]; Ingenieur, Journalist, Politiker) und José Pires do Rio (Estado de São Paulo, 1880–1950; Ingenieur, Politiker). Zur Überschneidung diskursiver Sphären und zum analytischen Hintergrund siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 36, 43, 63– 65, 142.

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ten im Trümmerfeld der allgemeinen Krise. Die Kirche hatte ihren Einfluss auf wichtige nunmehr staatliche Funktionen eingebüßt, und die politischen Eliten des Nordens erlitten erhebliche Machtverluste im Zuge ihres wirtschaftlichen Niedergangs. Den ökonomischen Verfall bekam vor allem das Volk zu spüren, verschärft durch die Aufkündigung des paternalistischen Schutzes und durch die härteren Arbeits- und Produktionsbedingungen. Die Lyriker und Roman­ ciers vermittelten die Nöte, die sie am eigenen Leib erfuhren. Dies traf sowohl auf die volksnahen Poeten als auch auf Schriftsteller der Belletristik zu, von de­ nen viele Zöglinge der verarmten Landherren waren. Den Staatsinterventionis­ mus und die Steuerlasten klagten die meisten Diskursführer unisono an, sogar wenn sie auf lokaler Ebene selbst die Regierung vertraten. Die Ingenieure, eben­ falls Kinder der Agraroligarchie, boten technische Lösungen an und entwarfen in ihrem wissenschaftlichen Planungseifer nicht zuletzt die eigene Rettung vor der Krise. Sie alle bemühten sich um die diskursive Konstruktion einer Wahr­ heit, die ihrem gesellschaftlichen Milieu und ihren Ansprüchen gerecht wurde. Die reziproke Rezeption der Diskursstränge wirkte zusätzlich auf die Realitäts­ prägung ein – literarische Werke und technische Abhandlungen wurden auf der politischen Bühne zitiert, und deren Botschaften durchdrangen wiederum die Dichtkunst und Wissenschaft. Neben den Diskursträgern gehörten und gehö­ ren die Diskursanalytiker zu den Rezipienten und haben ihren Anteil an der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit. Angesichts der unzähligen Menge beteiligter Akteure und der mannigfal­ tigen Ein- und Rückwirkungen ist die Existenz eines einheitlichen Diskurses sehr unwahrscheinlich. Lediglich die Häufung und Wiederholung bestimmter Äußerungen und Anschauungen ist anhand von individuellen Aspekten fest­ zumachen. Dies gilt für den Dürrediskurs als Ganzes und für seine einzelnen Segmente. Genauso wenig wie die Vertreter von Kirche, Literatur, Politik und Wissenschaft in sich homogene Gruppen bildeten, können ihre Denkweisen undifferenziert zusammengefasst werden. Vereint wurden ihre Überzeugungen durch konkrete gemeinsame Ziele oder Gegner, etwa die Konkurrenten im Sü­ den des Landes. Deren Opposition übte eine tragende Funktion im Prozess der diskursiven Dürregestaltung aus. Ferner waren viele maßgebliche Rivalitäten im Norden angesiedelt, zwischen den verschiedenen Gesellschaftskreisen und innerhalb ihrer jeweiligen eigenen Reihen. So übernahm etwa nur die Avant­ garde der oligarchischen Obrigkeit den Modernisierungsdiskurs, während die traditionelleren Fraktionen dem Konservatismus der Katholischen Kirche ver­ haftet blieben. In ähnlicher Manier gab es unter Ingenieuren und Politikern Kooperation sowie beidseitige Kritik.666

666 Siehe auch Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 265, 363, 366.

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Nachdem in den letzten Kapiteln zahlreiche Fälle diskursiver Parallelen und Antagonismen aus den Quellen zusammengetragen worden sind, sollen diese kurz in einem gebündelten Überblick gegenübergestellt werden: Die Geistli­ chen und das Volk teilten ihre Missbilligung der nachlässigen und korrupten Regierungen, welche insbesondere die armen Bevölkerungsschichten im Stich ließen. Den Repräsentanten von Kirche und Oligarchie war indes gemein, sich einerseits im Diskurs solidarisch in die Masse der Dürreopfer mit einzubeziehen und diese andererseits für Arbeitsdienste zur eigenen Bereicherung auszubeuten. Dementsprechend beklagten sie die zu unterbindende ‚Trägheit‘ der sertanejos, forderten und förderten ihren ‚Fleiß‘ und betonten ihre ‚treue Verbundenheit‘ mit der Heimat. Arbeitsamkeit und Resignation wurden als gottgegebene und gottergebene patriotische Haltung im Antlitz der Not gepredigt, um die Pas­ sivität der rebellionsfähigen Hungernden zu wahren und die soziale Kontrolle über sie zu gewährleisten. In der Volksdichtung wurden gleichfalls Demut und Devotion vor Gott und der Natur beschworen und die Traditionen aus der ‚gu­ ten alten Zeit‘ besungen. Im selben Atemzug wurde allerdings die Figur des vom Staat verfolgten cangaceiro als heldenhafter Sozialrevolutionär im Kampf gegen die Ungerechtigkeit von Justiz, Regierung und Gesellschaft gefeiert. Poet und Parlamentarier, welche beide die qualvolle Pein der leidenden Bevölkerung beweinten, stimmten dissonante Töne an, sobald es um die Frage von Ursache und Lösung der Krise ging. Mehr Harmonie zwischen Literatur und Politik ist aus der Feder Euclydes da Cunhas herauszulesen, in dessen Opus die in der damaligen Modernisierungs- und Brasilianitätsdebatte üblichen Argumente un­ tergebracht sind. Zudem zählt sein Hauptwerk Os sertões zu den in Kammer und Senat wohl meistzitierten Büchern, um die Konzepte der Nord-Oligarchien zu belegen. Die oligarchischen Forderungen nach Investitionen in die Infra­ struktur wurden vom vermeintlich unparteiischen technisch-wissenschaftlichen Diskurs unterstützt, wobei die Agrarherren dessen Fortschrittsgedanken nicht auf freiheitliche Arbeitsrechte zu übertragen gedachten. Aufgrund der vielfältigen wechselseitigen Einflussnahme der Teildiskurse zur Dürre ist in den meisten Fällen kaum nachzuvollziehen, in welchem Seg­ ment eine Aussage ihren Ursprung nahm und auf welchen Wegen sie adoptiert oder adaptiert wurde. Die Urheberschaft prägender Äußerungen, die sich in der Gesellschaft durchsetzen und Bedeutung nachhaltig konstruieren, wird generell diskurskompetenten Eliten zugesprochen, welche Zugang zu den „Verteilungs­ zentren der Sinngebung“ haben.667 Diese Wortführer waren nicht auf die domi­ nanten Schichten aus den politischen, kirchlichen oder akademischen Kreisen beschränkt, sondern ebenso in der Sphäre der dominierten Landbevölkerung zu finden. Die Volksdichter – als Elite ihres sozialen Umfelds – verfügten über 667 Ders., A invenção da fala, 2005, S. 4, in Anlehnung an Félix Guattari.

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Kommunikationsmittel, mit deren Hilfe sie Realität bestimmende Bilder, Sicht­ weisen und Interpretationen der Welt erzeugten. Dabei ist ihre Perspektive, wie diejenige der anderen Träger des Dürrediskurses, nie ausschließlich als ihre ei­ gene zu betrachten, zumal weder eine totale gesellschaftliche Isolierung noch eine vollkommene ideologische Polarisierung denkbar sind. Folglich kann der volkstümliche Diskurs, um bei diesem Beispiel zu bleiben, weder als reines Pro­ dukt des Volkes noch als bloße Widerspiegelung der herrschenden Ideologie kategorisiert werden, auch wenn beide Positionen in der Forschung zu finden sind.668 Durval Muniz de Albuquerque weist auf die mutuellen Einwirkungen hin, erachtet gleichwohl den Volksdiskurs als Ausgangspunkt des politisch-re­ gionalistischen Dürrediskurses. Seinen Ausführungen nach sei die Vorstellung von der Trockenheit als Wurzel allen Übels aus dem Volk hervorgegangen und erst anschließend von den regionalen Machthabern aufgegriffen worden, um von Letzteren bis heute zur Umsetzung ihrer institutionellen und wirtschaftli­ chen Ambitionen genutzt zu werden.669 Gewiss beeinflussten die poetas popula­ res mit ihren Strophen über die Naturkatastrophen den oligarchischen Dürre­ diskurs. Die untersuchten Quellen des Volkserbes räumen den Trockenperioden hingegen in keiner Weise die ihnen in folkloristischen Studien zugeschriebene prominente Position ein. Sollte die Sonderstellung des Dürrethemas für die Zeit nach 1930 zutreffen, wie die von Albuquerque eingebrachten Zitate aus der literatura de cordel nahelegen, könnte dies umgekehrt in der Ausstrahlung des politischen Diskurses begründet sein. Zur ersten Generation der schriftlichen Volksdichtung (1893–1930) ist indessen festzuhalten, dass ihre kritische Auf­ arbeitung der Krise vorrangig den allgemeinen sozioökonomischen und poli­ tischen Kontext in den Blick fasste und nicht primär oder gar ausschließlich die Trockenheit für das Elend verantwortlich machte. Darüber hinaus ist im Vergleich zwischen dem volkstümlichen und oligarchischen Diskurs eine essen­ tielle Divergenz in ihrer Zielsetzung zu verzeichnen.670 Wenn die Versschmiede voller Sehnsucht ein paradiesisches Bildnis des Sertão ersannen und die Ver­ gangenheit idealisierten, so brachten sie mit Hilfe der Kontrastmotive vor allen Dingen ihre Unzufriedenheit mit den herrschenden Lebensbedingungen zum Ausdruck. Sei es in der Heimat oder in der Ferne – das Joch des cambão und 668 Als Vertreter der zweiten These nennt Albuquerque Fausto Neto, Antônio, Cordel e a ideologia da punição (zugl. Diss., Brasília: Universidade de Brasília, 1977), Petrópolis: Vozes, 1979, zit. in: Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 86. Siehe ebd. den Verweis auf Foucault, A vontade de saber, 19824, S. 95 f. 669 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 84, 91, 99 bzw. Onlineausgabe A poesia do sol, 2007, S. 4, 36. 670 Diese Kernaussage liegt auch bei Albuquerque vor, mit dem Unterschied, dass seiner Meinung nach beide Diskurse – ungeachtet ihrer voneinander abweichenden Inten­ tionen – dieselbe „Wahrheit“ über die Dürre vertraten und ihr dieselbe Bedeutung beimaßen. Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 412 f.

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barracão war ihnen hier wie dort verhasst.671 Die oligarchischen und kirchlichen Vertreter bedienten sich im Gegensatz dazu des Topos von der sprichwörtlichen Anhänglichkeit der sertanejos an ihre Scholle und schürten die Aversion gegen den Süden, um die Arbeitskräfte an sich zu binden, ihre Machtbasis zu erhal­ ten und nicht selbst zum Fokus der Frustration zu werden. Zu diesem Zweck förderten sie außerdem die Ansicht, Arm und Reich litten gleichermaßen unter Dürre und Wirtschaftsdepression, was sie dank der immer wieder wachgerufe­ nen Erinnerung an das Unheil von 1877 untermauern konnten. Die Not der hohen Herren, die sich in Zeiten der Entbehrung von Küchenresten ernähren mussten, wurde ebenfalls im Volksreim besungen. Mittels derartiger ‚Sensatio­ nen‘ manifestierten die journalistischen Lyriker das Ausmaß der Misere, ohne deshalb an eine Nivellierung der gesellschaftlichen Kluft zu glauben. Auch wenn die Wohlhabenden mit bescheidener Kost Vorlieb zu nehmen hatten, war ihre Tafel weiterhin gedeckt und entgegen aller Solidaritätsbekundungen den Ar­ men unzugänglich. Das Ausbleiben der Niederschläge war zwar der unmittel­ bare Grund für die Ernteausfälle, die Schuld an den Hungerkatastrophen gaben die Poeten jedoch den habgierigen Potentaten, die nicht ihrer paternalistischen Versorgungspflicht nachkamen. Wurden im oligarchischen, kirchlichen und technisch-wissenschaftlichen Diskurs Klima und Krise machtpolitisch instrumentalisiert und die mit ihnen in Verbindung gebrachten Bilder an die entsprechenden Bedürfnisse angepasst, blieben diese Zusammenhänge den Liedermachern aus dem Volk nicht gänzlich verborgen. Zumindest intuitiv erfassten sie die politischen Hintergründe ihres Leids und klagten diese offen an. Hierin diente der volkstümliche Diskurs nicht minder der Interessenvertretung und bot seinen Rezipienten Erklärungs- und Lösungsmodelle an, die im Rahmen ihrer Realitätswahrnehmung lagen und von denen eine breite Resonanz zu erwarten war. Trotz zahlreicher Diskrepanzen profitierten alle Träger der verschiedenartigen Dürrediskurse von den thema­ tischen Überschneidungen, zumal diese den dominanten Diskurskern prägten und ihm eine weitreichende Anerkennung verliehen, ihn ‚sagbar‘ machten.672 Nachdem in den bisherigen Abschnitten die Grundzüge der Dürreprob­ lematik, die Entstehung des Dürrediskurses und die beteiligten gesellschaftli­ chen Gruppen untersucht worden sind, ist das folgende Kapitel der für diesen Komplex emblematischen Politikerfigur Epitácio Pessoa gewidmet. Wie kein anderer gestaltete er aktiv den Dürrediskurs über drei Jahrzehnte hinweg und setzte die Dürrepolitik auf höchster staatlicher Ebene um. Sein Diskurs und sein Wirken werden unter Berücksichtigung der politischen, ökonomischen und 671 Zu den ausbeuterischen Pachtverhältnissen und Verkaufsläden der Großgrundbesitzer siehe Kapitel III.2.c. 672 Zum System der Sagbarkeit von Aussagen siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 188.

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institutionellen Strukturen analysiert, welche die regionalen und nationalen Handlungsmöglichkeiten der von ihm repräsentierten Oligarchie bestimmten. Pessoas oligarchische Herkunft und Verankerung bildeten das Fundament und Reißbrett für seinen Beitrag zur Dürrepolitik und werden daher einleitend in einem biographischen Überblick von den Anfängen seiner parlamentarischen Laufbahn bis zur Präsidentschaft der Republik dargestellt. In den sich anschlie­ ßenden Kapiteln zum Dürrediskurs und zur Dürrebekämpfung Epitácio Pes­ soas werden dessen gesellschaftspolitische Ansichten anhand konkreter Beispiele weiter veranschaulicht.

IV. Epitácio Pessoa – Politik und Diskurs im Zeichen der Dürre (1889–1930) 1. Eine oligarchische Bilderbuchkarriere vom ­Parlamentarier zum Präsidenten a) Die politischen Lehrjahre (1889–1912) Vorgeschichte: Kindheit und juristische Ausbildung (1865–1889)

Epitácio Lindolfo da Silva Pessoa wurde am 23. Mai 1865 als jüngstes von fünf Kindern von Coronel José da Silva Pessoa und Henriqueta Barbosa de Lucena in Umbuzeiro geboren, einer kleinen Ansiedlung im paraibanischen Hinterland, angrenzend an die südliche Nachbarprovinz Pernambuco. Seine Provenienz aus dem Trockengürtel des Nordens bewirkte in Kombination mit seinem beispiellosen Aufstieg zum einflussreichsten Politiker Paraíbas, dass er zu einem der bedeutendsten Exponenten des Dürrediskurses wurde. Die katastrophale Trockenperiode von 1877–79 sollte sich – wie seine Tochter Laurita schreibt – als stets präsente Kindheitserinnerung und Schlüsselerlebnis für seinen Werdegang und seine Politik erweisen.673 Die geistige und materielle Basis seiner herausragenden beruflichen und politischen Laufbahn waren vortreffliche Referenzen als Jurist und vor allem die Zugehörigkeit zur regionalen Oligarchie. Seine Eltern entstammten der pernambucanischen Landbesitzer-Elite der Zuckerbarone. Nach ihrem frühen Tod durch eine Pockeninfektion im Jahr 1874 kümmerte sich die Familie väterlicherseits um die Waisen, deren Kinderjahre durch den Verlust der Eltern von erheblichen Entbehrungen gezeichnet waren. Für die Ausbildung Epitácio Pessoas wurde indes bestmöglich gesorgt, dank eines Bruders der Mutter, des damaligen pernambucanischen Provinzpräsidenten und später zum Baron geadelten Henrique Pereira de Lucena. Lieblingsneffe und Musterschüler Epitácio besuchte unter der Ägide des Onkels die angesehensten Schulen Recifes und erlangte dafür ein von Lucena arrangiertes öffentliches Stipendium. In den Schulferien kehrte Epitácio Pessoa aus den gehobenen Verhältnissen der pernambucanischen Küstenhauptstadt nach Umbuzeiro zurück. Bis er mit 24 Jahren nach Rio de Janeiro ziehen und dort den Großteil seines Lebens ver673 Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966, S. 79f (Quelle I.2.b-01).

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bringen sollte, waren der Cariri-Sertão und die rauere Gesellschaft Paraíbas fester Bestandteil seiner kulturellen Umgebung.674 Im Jahr 1882 war Lucenas vielversprechender Neffe bereit, in Brasiliens renommierteste intellektuelle Institution einzutreten – die juristische Fakultät in Recife. In der Abschlussklasse von 1886, der brillantesten in der Geschichte der Einrichtung, zählte er zu den Besten. Seine juristische Karriere begann er als Anklagevertreter in Bom Jardim (1886–87) und Cabo (1887–89). Obwohl er 1889 seine Heimatregion bis auf wenige Aufenthalte für immer verließ, hielt er während seines ganzen Lebens eine enge Verbindung zu seinen dortigen Verwandten und politischen Freunden aufrecht, insbesondere zu seinem zwei Jahre älteren und ihm am nächsten stehenden Bruder Antônio da Silva Pessoa. Die Nachkommen seines Bruders Antônio und seiner Schwestern Maria und Mirandola führten die Familiengeschäfte in Umbuzeiro fort und hatten von 1902 an das Monopol auf politische Entscheidungen im Munizip.675 Einstieg in die nationale und paraibanische Politik (1889–91)

Epitácio Pessoa traf im November 1889, wenige Tage vor Ausrufung der Republik, in Rio de Janeiro ein und erlebte das Ende des Kaiserreichs aus der Perspektive der Verschwörer mit. Im Haus seines ältesten Bruders Leutnant José da Silva Pessoa kam er unmittelbar mit drei mächtigen Militärs in Kontakt, die das Schicksal des Landes und seinen eigenen politischen Lebensweg prägen sollten: General Manuel Deodoro da Fonseca, General José de Almeida Barreto und Leutnant João José Soares Neiva. Deodoro da Fonseca, ein guter Freund und compadre seines Onkels Lucena, war ein Held aus dem Tripel-Allianz-Krieg und wurde provisorischer Präsident der in der Nacht vom 14. auf den 15. November proklamierten Republik. Die jüngeren Offiziere der Putsch-Bewegung hatten ihn zur Beteiligung am Sturz der Monarchie überredet. João Soares Neiva war mit Emília Pereira de Lucena verheiratet, der jüngeren Schwester von Epitácio Pessoas Mutter. Nach dem gelungenen Staatsstreich wollte er seinem Bruder Venâncio Augusto de Magalhães Neiva zum Gouverneursposten in Paraíba ver674 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 7, 138, 162, 164, 169; Espinola, Toscano, „Epitacio Pessôa. Conferência realizada pelo Desembargador Toscano Espinola, na Casa da Parahyba, no dia da data natalícia do eminente estadista brasileiro“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 29.6.1952, o. S. 675 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 164, 168, 170; „Epitácio Pessôa“, in: A República (Rio Grande do Norte) vom 15.2.1942, o. S.; Senado Federal do Brasil, Senadores. Epitácio Lindolfo da Silva Pessoa. Biografia, senado.gov.br; Centro de Informação de Acervos dos Presidentes da República (CIAPR)/Arquivo Nacional (Rio de Janeiro), Epitácio Lindolfo da Silva Pessoa. Biografia, an.gov.br/crapp_site.

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helfen. General Almeida Barreto, der seine Männer auf die Seite der Revolutionäre gebracht hatte, wehrte als Militäroberbefehlshaber Paraíbas im Anschluss an den Putsch jeden gegnerischen Kandidaten ab und sicherte Venâncio Neiva auf diese Weise das Amt.676 Venâncio Neiva stellte Ende 1889 die neue paraibanische Regierung aus Verwandten und Freunden zusammen.677 Da es in Paraíba keine etablierte Republikanische Partei gab, griff er auf Mitglieder der Konservativen Partei, welcher er selbst angehörte, und auch der Liberalen Partei zurück. In Absprache mit Lucena und Fonseca wurde Epitácio Pessoa zum Staatssekretär der Provinzregierung bestimmt. Seine beeindruckenden Kenntnisse auf dem Gebiet des konstitutionellen Gesetzes, seine Zugehörigkeit zur Konservativen Partei und sein Familienhintergrund machten ihn zur idealen Besetzung. Sowohl Venâncio Neiva als auch Epitácio Pessoa hatten somit ihren politischen Einfluss der Nähe zu den Putschisten und ihrer Verwandtschaft mit Lucena zu verdanken. Dementsprechend wurde die von Dezember 1889 bis November 1891 in Paraíba herrschende Gruppierung im Nachhinein als Neiva-Lucena-Pessoa-Oligarchie bezeichnet. Lucena sorgte außerdem dafür, dass Epitácio Pessoa einen Sitz im Bundesparlament erhielt. Als Abgeordneter Paraíbas war er in der ersten Verfassunggebenden Versammlung der Republik vertreten, welche von November 1890 bis Februar 1891 die zweite Konstitution Brasiliens ausarbeitete.678 Am 29. Dezember 1890 imponierte der erst 25-jährige Pessoa seine Amtskollegen mit einer gewagten Rede zur Verteidigung einer gleichwertigen Vertretung aller Staaten im Kongress.679 676 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 218–220; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 212. 677 Siehe hierzu die Nepotismus-Vorwürfe durch den ehemaligen paraibanischen Polizeipräsidenten Lisbôa, João Coelho, „A S. Ex.a o Generalíssimo Chefe do Govêrno Provisório. A oligarquia dos Neivas, no Estado da Paraíba do Norte (quadro demonstrativo)“, Rio de Janeiro, April 1890, in: ders., Oligarquias, sêcas do Norte e clerica­ lismo, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1909, S. 96, 98, abgedr. in: Carone, Primeira República, 1969, S. 92–95. 678 Carone, República Velha, 1972, S. 281; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; „Epitacio Pessôa. O falecimento do eminente estadista – Sua vida e sua obra – A sua ação na presidência da República“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 14.2.1942, o. S.; Noleto, Mauro Almeida, Memória Jurisprudencial: Ministro Epitacio Pessôa (Série Memória jurisprudencial), Brasília: Supremo Tribunal Federal, 2009, S. 15, stf.jus.br; Lewin, Poli­ tics and parentela in Paraíba, 1987, S. 221; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 216. 679 Pessoa, E., „Igualdade política dos Estados“, Parlamentsrede vom 29.12.1890, in: ders., Obras completas, Bd. I, 1955, S. 2–11 (siehe Quelle IV.2.f-01).

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Im Februar 1891 wurde Deodoro da Fonseca in der Verfassunggebenden Versammlung zum ersten Präsidenten der Republik gewählt, mit 129 zu 97 Stimmen gegenüber Prudente de Morais, dem Kandidaten São Paulos. Lucena stand ihm als Minister für innere Angelegenheiten zur Seite.680 Sein Neffe zeichnete sich im Parlament weiterhin durch eine große Argumentationsgabe, hohe Eloquenz und politisches Selbstbewusstsein aus. Als Mitglied eines Kons­ titutionsausschusses zur Frage der Strafbarkeit des Präsidenten der Republik vertrat er im Oktober 1891 beharrlich einen von der Kommissionsmehrheit abweichenden Standpunkt und bekam für seinen Beitrag großen Applaus.681 Dank seines juristisch hoch versierten Auftretens in der Verfassunggebenden Versammlung und im Kongress wurde er 1891 zum Professor der Rechtsfakultät von Recife berufen, in welcher er neben seinen politischen Tätigkeiten bis 1902 aktiv war. Seine sprachliche und argumentative Gewandtheit brachte Pessoa auch zum Einsatz, um 1891 im Parlament seinen von der Opposition aus São Paulo attackierten Onkel Lucena in dessen Leitung des Finanzministeriums zu verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Konflikte zwischen der Regierung Fonseca und den Repräsentanten São Paulos empfindlich zugespitzt. Am 3. November 1891 suchte der Präsident, von seiner Amtsausübung physisch und psychisch überfordert, den extremen Ausweg eines Staatsstreiches von oben und dekretierte die Auflösung des Kongresses. Marine und Heer stellten sich gegen ihn, woraufhin Fonseca am 23. November 1891 zurücktrat und schon im folgenden Jahr im Alter von 65 Jahren verstarb. Vizepräsident Marschall Floriano Vieira Peixoto übernahm die Staatsführung. Die in der Konstitution vorgeschriebenen Neuwahlen verweigerte er und setzte sich gegen eine breite Opposition im konservativen Lager und gegen mehrere Revolten mit eiserner Hand durch, was ihm bald den Namen „Eiserner Marschall“ einbrachte.682 Opposition gegen das diktatorische Interimsregime (1891–94)

Floriano Peixoto führte das Land bis 1894 praktisch diktatorisch. Venâncio Neiva hatte den golpe von Deodoro da Fonseca unterstützt und wurde daher mit dem contragolpe von Peixoto von der Macht verdrängt. Die Venancistas wurden in Paraíba durch die Machado-Leal-Oligarchie ersetzt, die im Agreste angesiedelt 680 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 217; Lewin, Politics and parentela in Pa­ raíba, 1987, S. 219. 681 Pessoa, E., Anais da Câmara, 2.10.1891, S. 32–40; ders., Anais da Câmara, 14.10.1891, S. 351–353. 682 „Epitácio Pessôa“, in: A República vom 15.2.1942, o. S.; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 217.

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war, dem fruchtbaren Streifen zwischen Küste und semi-aridem Hinterland. Bis zu seinem Tod im Jahr 1912 dominierte Álvaro Lopes Machado zusammen mit Monsignore Valfredo Soares dos Santos Leal die paraibanische Politik. Beide stammten aus Areia und waren aus der früheren Liberalen Partei der Kaiserzeit hervorgegangen. Als Fundament seiner Herrschaft rief Machado die erste Republikanische Partei Paraíbas ins Leben und besetzte die öffentlichen Ämter – wie auch zuvor Venâncio Neiva – mit Freunden und Verwandten. Neiva und Pessoa gründeten 1892 die Oppositionspartei der Autonomistas.683 Im Nationalkongress zählte Epitácio Pessoa zu den energischsten Gegnern Floriano Peixotos. Pessoa erregte landesweit Aufmerksamkeit, als er Peixoto öffentlich für einen Diktator erklärte. Am 27.  Mai 1892 kam es in der Abgeordnetenkammer zum Tumult, nachdem Pessoa der Regierung Missbrauch und Gewalt sowie die Verletzung der parlamentarischen Rechte und Immunität vorgeworfen hatte.684 Einen Monat später wiederholte er seine Anschuldigungen und verurteilte das Vorhaben Peixotos, die Legislative durch Ausrufung des Ausnahmezustands zu entmachten. Seine deutlichen Worte verursachten Bravorufe im Kongress: „Wollen Sie wirklich, verehrte Repräsentanten der Nation, das Volk im Stich lassen, um den Despoten zu fördern? Wollen Sie wirklich die Freiheit aufgeben, um die Tyrannei zu besiegeln?“685 Am 3.  November 1892 griff er Peixoto erneut offen an: „Ich habe dem Herrn Vizepräsidenten der Republik zu sagen: Genug der Heuchelei, seien Sie ehrlich, zumindest einmal in Ihrem Dasein als Politiker! Zerreißen Sie die Konstitution und bekennen Sie sich zur Diktatur! Dies hätte den Vorteil, dass wir wenigstens wüssten, mit welchem Regime wir es zu tun haben.“686 Epitácio Pessoas viel zitierter „Schneid“ und „Mut“ gegenüber Peixoto sollten ihm während seines gesamten Lebens und darüber hinaus Anerkennung sichern, selbst von politischen Rivalen.687

683 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 229, 240  f.; Carone, Primeira República, 1969, S. 91; ders., República Velha, 1972, S. 281; Prefeitura Municipal Cidade de Areia, Aspectos geográficos, areia.pb.gov.br. 684 Pessoa, E., Anais da Câmara, 27.5.1892, S. 3 (Quelle IV.1.a-01); Fortsetzung ebd., S. 4, 6, 10. Zu den Hintergründen siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 3 f.; Burns, History of Brazil, 1970, S. 210. 685 Pessoa, E., Anais da Câmara, 28.6.1892, S. 421 (Quelle IV.1.a-02). Siehe auch ebd., S. 409, 412 und ders., Anais da Câmara, 27.6.1892, S. 364 f., 376–384. 686 Pessoa, E., Anais da Câmara, 3.11.1892, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. I, 1955, S. 322 (Quelle IV.1.a-03). 687 „Senador Epitacio Pessôa“, in: A União vom 23.5.1915, S. 1; Hollanda, Raphael de, „O dr. Epitacio Pessôa e o ‚Imparcial‘“, in: A União vom 3.1.1919, S. 1; Lacerda, Maurício Paiva de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 12.7.1920, S. 239; Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 445; Palha, Américo (Instituto Brasileiro de Cultura), „As grandes figuras da nossa historia. Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca (Rio de Janeiro)

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Peixoto bemühte sich, das junge Talent auf seine Seite zu bringen, bot ihm die Staatsführung in Paraíba an und forderte im Gegenzug die uneingeschränkte Unterstützung der paraibanischen Fraktion im Parlament. Pessoa antwortete, er wolle eher auf sein Mandat verzichten, als sich auf diesen Handel einzulassen. In einem weiteren Anlauf warb der Präsident Epitácio Pessoa für die Leitung des Außenministeriums an, doch dieser blieb seinen politischen Anschauungen treu und lehnte erneut ab.688 Nach seinen Attacken gegen Peixoto verließ Pessoa Mitte April 1893 Rio de Janeiro in Richtung Paraíba, wo er im Hinterland auf den Anwesen von Freunden Zuflucht fand. Andere Oppositionelle, die den „Eisernen Marschall“ anprangerten, kamen weniger glimpflich davon. Almeida Barreto und zwölf weitere Offiziere forderten in einem Manifest die unmittelbare Ausführung der konstitutionell vorgeschriebenen Neuwahlen. Daraufhin wurden sie aus dem Militär ausgeschlossen, verhaftet und bis zum Ende der diktatorischen Präsidentschaft Peixotos ins Amazonasgebiet verbannt. Epitácio Pessoas selbstgewähltes Exil bot ihm zumindest noch einmal Gelegenheit, länger als zu einem kurzen Besuch in seiner paraibanischen Heimat zu verweilen.689 Am Ende der Legislaturperiode wurde Pessoa 1894 als Abgeordneter Paraíbas wiedergewählt, aber nicht akkreditiert.690 Immerhin konnte er im letzten Jahr der Herrschaft Peixotos nach Rio de Janeiro zurückkehren, wo er sich als Anwalt betätigte. Die Hochzeit mit Francisca Justiniana das Chagas, der Tochter eines Politikers aus Minas Gerais, führte ihn von Mitte 1894 bis Mitte 1895 nach Europa. Dies war die einzige Zeit, in welcher er nicht politisch aktiv war. Nachdem seine Frau bei der Totgeburt ihres Kindes in Paris verstorben war, reiste Epitácio Pessoa wieder nach Rio de Janeiro und arbeitete als Anwalt. Ende vom 13.12.1942, o. S.; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S. (Quelle IV.1.a-04). 688 Ebd.; Saavedra Lamas, Carlos, „Epitacio Pessôa“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 10.5.1942, o. S., ursprünglich erschienen in: La Nación (Buenos Aires) vom 20.2.1942. 689 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 253. Linda Lewin verweist darauf, dass sich Epitácio Pessoa nach 1910 nur dreimal nach Paraíba begab und nie nach Umbuzeiro zurückkehrte. Neben den beiden von ihr aufgeführten Aufenthalten im Januar 1915 und im Sommer 1916 und einem Zwischenstopp auf seiner Rückkehr aus Europa und den USA als gewählter Präsident im Juli 1919 ist ein öffentlicher Auftritt im Teatro Santa Roza in der paraibanischen Hauptstadt am 15.2.1913 dokumentiert. Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 26, 315; „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita á Parahyba do Norte * Recepção de s. exc. e de sua illustre comitiva no porto de Cabedello * Os jubilos da cidade. O almoço em Palacio * O programma das festas publicas * Hospedes e convidados * Notas e pormenores“, in: A União vom 17.7.1919, S. 2; Pessoa, E., Rede im Teatro Santa Roza (Parahyba), in: A União vom 15.2.1913, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 18. 690 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; CIAPR/Arquivo Nacional, Epitácio Pessoa. Biografia, o. D.

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1898 heiratete er Mary Manso Sayão, die Tochter eines berühmten Arztes aus der Landeshauptstadt. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor.691 In den Jahren 1894 bis 1898 übte Pessoa kein öffentliches Amt aus, doch seine Korrespondenz – unter anderem mit Lucena – lässt auf sein Engagement in der staatlichen und nationalen Politik schließen.692 Regierungsbeteiligung (1898–1901) und Wechsel zum Obersten ­Gerichtshof (1902–12)

Dank seiner couragierten Verurteilung der Diktatur Peixotos hatte Epitácio Pessoa viele Bewunderer gewonnen, auch in den höchsten politischen Sphären. Einer von ihnen war Manuel Ferraz de Campos Sales aus São Paulo, der Justizminister unter Deodoro da Fonseca gewesen war, danach Senator und Gouverneur seines Heimatstaats wurde und schließlich von 1898 bis 1902 als vierter Präsident der Republik die Nachfolge seines Landsmannes Prudente de Morais antrat. Campo Sales ernannte Pessoa zum Minister für innere Angelegenheiten mit Verantwortlichkeit in den Bereichen Justiz, Erziehung und Kultur. Im Rahmen des strengen Sparprogramms der Regierung ging Pessoa gegen Verschwendung und Missbrauch in den Ressorts vor.693 Sein Versuch, durch eine Bildungsreform die Mittel- und Hochschulen transparenter und effizienter zu gestalten, scheiterte am Widerstand der Professoren und Schüler.694 Von Seiten des Präsidenten, dessen Popularität durch die Sparpolitik bereits stark angeschlagen war, konnte er mit keiner Unterstützung rechnen. Pessoa verließ die Regierung im August 1901, wurde von Campo Sales jedoch bald darauf zu neuen wichtigen Positionen bestimmt – im Januar 1902 zum Bundesrichter am Obersten Gerichtshof und im Juni 1902 zum Generalstaatsanwalt. Nach Missstimmigkeiten mit dem damaligen Justizminister José Joaquim Seabra wechselte 691 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 197, 255 f. und Anhang B.3 (Stammbaum). Die älteste Tochter Laurita schrieb die Lewins Ansicht nach beste Biographie über Epitácio Pessoa. Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 5. Zu Laurita Pessoa siehe auch Kapitel III.4. 692 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S. 693 Ebd. (Quelle IV.1.a-05); Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 251 f., 255; Noleto, Memória Jurisprudencial: Ministro Epitacio Pessôa, 2009, S. 15. Zu Missbrauch und Verschwendung während seiner eigenen Regierung siehe Kapitel IV.4.c-e. 694 „Epitacio Pessôa. Sua vida e sua obra“, in: Jornal do Comercio vom 14.2.1942, o. S. Zur „Reforma de Epitácio Pessoas (1901)“ siehe Corrêa, Gilvane Gonçalves, „A seriação escolar brasileira: aspectos legislativos“, S. 9, in: V Congresso de Ciências Humanas, Letras e Artes, 28 a 31 de agosto de 2001, Instituto de Ciências Humanas e Sociais/ Universidade Federal de Ouro Preto, www.ichs.ufop.br/conifes.

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Pessoa 1905 wieder zur Rechtsprechung, bis er aufgrund einer lebensbedrohlichen Leberkolik im Jahr 1911 in Frankreich operiert werden musste und auf Anraten der Ärzte im August des folgenden Jahres vom Obersten Gerichtshof pensioniert wurde.695 Dieser Schritt sollte ihm von seinen Kritikern noch viele Jahre lang vorgehalten werden.696 Für sie war es schwer ersichtlich, warum sein Gesundheitszustand nicht mit den Aufgaben eines Richters vereinbar war, ihm andererseits gestattete, noch im selben Jahr das ihm angetragene Amt eines Senators sowie im nächsten Jahr die Parteiführung Paraíbas zu übernehmen. Beide Funktionen übte er bis 1930 aus.697

b) Machtpolitik in Brasilien und Machtübernahme der Pessoas in Paraíba (1912–15)

Antirepublikanische Republik – die „Politik der Gouverneure“ seit dem „Fall Paraíba“

Präsident Campos Sales bemühte sich nicht nur im finanziellen Sektor um Stabilisierung. Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen in den Anfangsjahren der Republik (1893–95 in Rio Grande do Sul, 1896–97 in Canudos)698 verfolgte er eine konsolidierende Strategie des Kompromisses zwischen den verschiedenen Machtbereichen auf nationaler, einzelstaatlicher und lokaler 695 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; „Epitácio Pessôa“, in: A República vom 15.2.1942, o. S.; Palha, „Grandes figuras: Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca vom 13.12.1942, o. S.; CIAPR/ Arquivo Nacional, Epitácio Pessoa. Biografia, o. D. 696 Siehe z.B. das öffentliche Schreiben Senator Pessoas an die Zeitung Paiz, in dem er sich gegen entsprechende Vorwürfe wehrte. Pessoa, E., Brief an die Zeitung Paiz vom 7.12.1912, archiviert in: Arquivo Dr. Flávio Maroja (AFM)/Instituto Histórico Geográfico Paraibano (IHGP, João Pessoa), Briefe aus dem Nachlass João Pessoas, Serie Correspondência com Epitácio Pessoa (CEP), 1912–1928, Dokument 001-15, S. 1–6. Zum selben Thema siehe die beiden handkopierten Artikel vom 27.8.1916 aus den Zeitungen O Imparcial (Artikel ohne Titel, S. 2) und A Noite („Ecos e Novidades“, o. S.), archiviert in: ebd., Dokumente 002-15 bzw. 003-15. Siehe hierzu auch die Diskussion, ob Epitácio Pessoa seine Richterpension zusätzlich zu seinen Bezügen als Präsident der Republik erhalten dürfe. Pessoa, E., „Acumulações remuneradas“, in: ders., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 114 f. 697 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 306; Senado Federal, Senadores. Epi­ tácio Pessoa. Biografia, o. D. 698 Siehe hierzu auch Kapitel III.2.c.

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Ebene. Die von ihm etablierte política dos governadores bzw. in seinen eigenen Worten política dos estados bedeutete, in den Staaten stets die Politik und die Kandidaten der jeweils führenden Oligarchie mitzutragen. Als Gegenleistung wurde voller Rückhalt für die Zentralregierung erwartet. Durch eine Änderung des Wahlgesetzes im Jahr 1900 institutionalisiert, stand es der herrschenden Partei zu, die Wahlstimmen auszuzählen und den ‚Wahlsieger‘ auszurufen.699 Hintergrund dieser Entwicklung war der „Fall Paraíba“, eine Regierungskrise in der nördlichen Provinz im selben Jahr, deren nationale Verstrickung zwei Jahre zuvor ihren Ausgang genommen hatte. Campos Sales war im Präsidentschaftswahlkampf 1898 nicht von den paraibanischen Republikanern unter Álvaro Machado unterstützt worden, so dass er eher auf Seiten der Autonomistas rund um Venâncio Neiva und Epitácio Pessoa stand. Hinzu kam seine freundschaftliche Verbindung zu Pessoa seit ihrer gemeinsamen Zeit als Bundesabgeordnete in der Verfassunggebenden Versammlung von 1891. Als Campos Sales’ Justizminister hatte Epitácio Pessoa darüber hinaus beste Voraussetzungen, um unmittelbar auf ihn einzuwirken. Bei den Wahlen in Paraíba im Jahr 1900 veranlasste Pessoa den Präsidenten, den ihm nahestehenden João Tavares de Melo Cavalcanti von der früheren Konservativen Partei für den Gouverneursposten zu favorisieren. In einer Botschaft an den damaligen Amtsinhaber Antônio Alfredo da Gama e Melo aus dem Umfeld der Alvarista-Oligarchie gab Campos Sales unzweideutig – wenn auch hinter höflichen Floskeln versteckt – zu verstehen, dass Gama e Melo große Probleme bekommen würde, sollte er nicht Cavalcanti zum nächsten Gouverneur ‚wählen‘ lassen. Campos Sales’ Druckmittel lag in den Wahlen zum Nationalkongress begründet. Sie waren zwar bereits am 30. Dezember 1899 abgehalten worden, die Sieger mussten jedoch noch von den entsprechenden Komitees beider Kammern bestätigt werden. Der Regierungschef konnte seinen Einfluss geltend machen und die Sitze in Parlament und Senat den offiziellen Wahlverlierern, also den Autonomistas, zuerkennen. Gama e Melo ignorierte die Drohung des Präsidenten und bestimmte für das Gouverneursamt José Peregrino de Araújo, einen weiteren Vertreter der früheren Liberalen. Andernfalls hätte er mit Cavalcanti einen Sympathisanten der gegnerischen Autonomistas an die Spitze der Staatsführung gebracht und die Dominanz der eigenen Oligarchie erheblich geschwächt. Campos Sales strafte die Alvaristas mit der ersten derartigen „degola“ („Enthauptung“) in der Bundespolitik ab und ließ anstelle ihrer Kandidaten diejenigen der Autonomistas im 699 Sales, Manuel Ferraz de Campos, Da propaganda à presidência, São Paulo 1908, S.  236–241, abgedr. in: Carone, Primeira República, 1969, S. 104–108 (105). Des Weiteren siehe ebd., S. 103 f.; ders., República Velha, 1972, S. 305; Leal, Coronelismo, 1977, S. 132–134; Carvalho, J. M., Mandonismo, coronelismo, clientelismo, 1998, S. 84; Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. 34 f.; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 228.

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Kongress akkreditieren.700 Die Verfahren zur Überprüfung und Bekanntgabe der Wahlsieger wurden 1900 dahingehend abgewandelt, dass die in letzter Instanz zuständige Kommission Verificação de poderes nicht mehr vom ältesten ihrer fünf Mitglieder angeführt wurde, sondern vom scheidenden Präsidenten der jeweiligen Kammer. Damit lag die Benennung der neuen Vertreter garantiert in den Händen der bisherigen Regierungsfraktion, welche die Wahlergebnisse nach ihrem Gutdünken manipulieren und ihre Machtkontinuität sichern konnte.701 Die Regelung verkörperte den Inbegriff der política dos governadores und untergrub die Bedeutung der Wahlen als Grundlage der demokratischen Staatsform, ohnehin geschwächt durch Nepotismus, Korruption, Betrug, Gewalt und die Vorenthaltung von politischen Rechten der Opposition. Von nun an mussten die Gouverneure ihre Kandidatenliste mit dem Regierungsoberhaupt absprechen, um nicht eine degola zu riskieren.702 In Paraíba erklärten sich beide Oligarchien zum Wahlsieger und ihre Gegner zu Wahlbetrügern. Beide nahmen die Amtsgeschäfte auf und lieferten sich rund um die Staatsversammlung erbitterte Straßenkämpfe. José Peregrino und die früheren Liberalen kontrollierten jedoch die Polizeikräfte und waren den Au­ tonomistas in dieser Hinsicht hoch überlegen. Nach sechs Monaten überzeugte Epitácio Pessoa schließlich Venâncio Neiva und andere Schlüsselfiguren seiner Partei, Frieden mit den Alvaristas zu suchen und nicht weiter auf ihrem Gouverneurskandidaten zu beharren.703 Pessoa verzichtete darauf, Campos Sales um Hilfe durch die Bundesarmee zu bitten. Er zog es vor, das gewonnene Terrain zu festigen und nicht die Chance auf eine spätere friedliche Machtübernahme zu verbauen. Immerhin hatten sie durch die degola auf Bundesebene einen Senats- und zwei Parlamentssitze erhalten.704 Erstmals mussten die Alvaristas ihren 700 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 261–263 (262). 701 Carone, Primeira República, 1969, S. 103 f.; ders., República Velha, 1972, S. 305. Zur Verificação dos poderes siehe auch Farhat, Saïd, Dicionário parlamentar e político: o pro­ cesso político e legislativo no Brasil, São Paulo: Editora Fundação Petrópolis/Companhia Melhoramentos, 1996, S. 323; Trevisan, Leonardo, A República Velha (1889–1930), culturabrasil.org. 702 Carone, Primeira República, 1969, S. 103  f.; Pang, Coronelismo 1889–1934, 1979, S. 15–17; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 22, 263; Leal, Coronelismo, 1977, S. 130. Zu den undemokratischen Zügen der Ersten Republik siehe auch Kapitel IV.4.c. 703 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 264, 266; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 24. Siehe zu dieser Entwicklung die Briefe von Epitácio Pessoa an seinen Bruder Antônio vom 3.4., 7.5., 31.7. und 3.10.1900, alle archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass Antônio Pessoas (Serie CEP, 1897–1902) (Quelle IV.1.b-01). 704 Pessoa, E., „Carta a João Tavares [de Melo Cavalcanti, Ministério da Justiça e N ­ egócios Interiores]“, Rio de Janeiro, 27.11.1900, in: ders., Obras completas, Bd.  II, 1965, S. 256 f.

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Antagonisten Beachtung schenken, zumindest im Nationalkongress. Auf Staatenebene wurden die Autonomistas zwar für die verbleibende Legislaturperiode von den aktiven politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, doch in Zukunft sollten sie sich nach und nach als Epitacistas durchsetzen.705 Auch für Campos Sales hatte sich die degola als politischer Erfolg bestätigt und seine Position gestärkt, denn die Disziplinierung der paraibanischen Oli­ garchie war eine Warnung an alle Gouverneure, nicht einen unabhängigen Kurs anzusteuern. Die im Rahmen der Verificação de poderes gesicherte Regierungskontinuität vergrößerte außerdem den parlamentarischen Einfluss der mächtigsten Provinzen, also São Paulo sowie später Minas Gerais und Rio Grande do Sul. Trotz ihrer numerischen Minderheit konnten sie durch den oligarchischen Pakt zuverlässige Mehrheiten für ihre Gesetzesinitiativen erreichen. Dies entsprach der Idealvorstellung Campos Sales’, welcher seine política dos esta­ dos damit rechtfertigte, dass sie den zentrifugalen Kräften der parteipolitischen ‚Kleinstaaterei‘ in den Provinzen entgegenwirkte. Andererseits war gerade die Gouverneurspolitik für den enormen Machtzuwachs der an lokalen Interessen orientierten Oligarchien mitverantwortlich und verhinderte eine wirklich nationale Kongressarbeit sowie die Entstehung von landesweiten Parteien. Die politischen Vorgehensweisen waren während der Ersten Republik nicht den klassischen repräsentativen Verfassungsnormen, sondern den Gesetzen der oligarchischen Gewalt unterworfen und sorgten innerhalb dieser Rahmenbedingungen für relativ stabile Verhältnisse. Nach den Separatistenbewegungen und den inneren Staatskonflikten in den 1890er-Jahren wurde Anfang des 20. Jahrhunderts eine – wenn auch unrepublikanische – Konsolidierung der Republik erreicht.706 Coronelismo und oligarchische Herrschaft in Paraíba unter ­Alvaristas und Epitacistas

Die Erste Republik war die Ära der Oligarchien und des coronelismo, welcher das machtpolitische Arrangement der Gouverneurspolitik in der Verbindung von einzelstaatlichen und munizipalen Regierungen reproduzierte. In diesem Beziehungsgeflecht fungierten die Gouverneure als Mittler zwischen der Zentralregierung und den lokalen coronéis. Mit der Verfassung von 1891 war die Wahl der Staatsgouverneure eingerichtet worden, die im Unterschied zu den früheren Provinzpräsidenten der Kaiserzeit offiziell nicht mehr von der Regierung in Rio de Janeiro bestimmt wurden. Das allgemeine Wahlrecht für die alphabetisierte Bevölkerung sollte dem Volk politische Entscheidungsfreiheit 705 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 266 f., 269 f. 706 Ebd., S. 263, 268 f., 271; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 59, 228.

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geben.707 Tatsächlich wurden die „currais eleitorais“ („Wahlgehege“) von den Großgrundbesitzern kontrolliert und stellten deren Verhandlungsmasse gegenüber den Gouverneuren dar.708 Diese vergaben staatliche Finanzmittel und Posten an die coronéis und erhielten im Gegenzug die Wahlstimmen. Dadurch verfügten sie über eine solide Machtbasis, um die Zentralregierung zu tragen und von ihr getragen zu werden. Die Notwendigkeit zur oligarchisch-coronelistischen Bündnispolitik war Ausdruck einer sich in der Ersten Republik vollziehenden politischen Transformation hin zu einer Schwächung der Agrarelite und einer Stärkung des Staates. Die vom wirtschaftlichen Niedergang und den allgemeinen sozialen Veränderungen betroffenen donos da terra waren nicht mehr mächtig genug, um ihre Vorherrschaft aus eigener Kraft zu behaupten. Der Staat war indessen noch nicht stark genug, um ohne die Zusammenarbeit mit den coronéis regieren zu können.709 Sowohl die Staatsführer als auch die Oligarchen und lokalen Potentaten dominierten ihr jeweiliges Einflussgebiet durch das Wechselspiel von Autorität und favores gegenüber ihrer Anhängerschaft. Dabei erlangte nur die regierende Partei Zuwendungen, so dass die Opposition stets versuchte, sich den Machthabenden anzunähern oder selbst an die Macht zu kommen. Unter diesen Umständen konnte eine funktionale demokratische Opposition mit divergierenden Standpunkten, Programmen und Ideologien nicht heranwachsen. Die Opposition war lediglich die nicht herrschende Variante der herrschenden Fraktion. Paraíba war beispielhaft für eine so beschaffene Parteienausprägung, basierend auf einer streng vertikalen Sozialstruktur mit einer einfachen Exportwirtschaft, in der sich organisierte Gruppen nur langsam entwickelten. In der Ersten Republik beschränkte sich die Führung der Provinz auf zwei Oligarchien, einerseits die Venancistas und Epitacistas rund um Venancio Neiva und Epitácio Pessoa, andererseits die Alvaristas und Valfredistas unter Álvaro Machado und Valfredo Leal. Die Bezeichnungen zeugen vom personalistischen Charakter der Vereinigungen. Der Begriff Oligarchie wurde nur von der Opposition auf die Regierungskoalition angewandt, während diese sich selbst nicht als solche klassifizierte. Beide Oligarchien hielten sich mit ähnlichen Manövern wie dem

707 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 6; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 228; Singelmann, Political structure in Northeast Brazil, 1975, S. 70. Wahlberechtigt war ausschließlich die männliche Bevölkerung. Vorschläge von 1891, 1917 und 1928, das Wahlrecht landesweit auf Frauen auszuweiten, blieben erfolglos. Erstaunlicherweise wurde den Frauen ausgerechnet im traditionsgebundenen Nordosten (Rio Grande do Norte, 1927) als Erstes das Wahlrecht zugestanden. Carone, República Velha, 1972, S. 295. 708 Queiroz, M. I., O coronelismo numa interpretação sociológica, 1989, S. 155. 709 Carvalho, J. M., Mandonismo, coronelismo, clientelismo, 1998, S. 84, 89.

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gewohnten Wahlbetrug an der Macht und waren um keinen weitreichenden gesellschaftlichen Wandel bemüht.710 Nach der gescheiterten Regierungsübernahme von 1900 setzte Epitácio Pessoa auf eine allmähliche Ausdehnung des Einflussbereichs seiner Partei in Paraíba. Im Jahr 1908 handelte er mit den Alvaristas und Valfredistas eine Beteiligung an der Regierung aus. Als Staatsanwalt und Richter am Obersten Gerichtshof (1902–12) hatte Pessoa ein gutes Verhältnis zu allen Präsidenten, vor allem zu General Hermes da Fonseca (1910–14). Als Álvaro Machado Anfang 1912 im Sterben lag, ging Valfredo Leal einen Kompromiss mit Epitácio Pessoa ein, zumal die nationale Politik die Epitacistas favorisierte, die Alvaristas hingegen den Verlust ihrer Dominanz befürchten mussten. Das Abkommen, in dessen Folge Antônio Pessoa im Oktober zum Vizepräsidenten gewählt wurde, war der Anfang vom Ende der Machado-Leal-Oligarchie.711 Nach dem Tod Álvaro Machados verlor Valfredo Leal zunehmend die Macht an seine neuen Bündnispartner der Neiva-Pessoa-Oligarchie. Diese wurde bald ausschließlich als Pessoa-Oligarchie bezeichnet, da Venâncio Neiva kaum noch aktiv war. Als Senator konnte Epitácio Pessoa seit Ende 1912 seine oligarchische Herrschaft auf nationaler Ebene festigen und stieg bereits im Februar 1913 zum Parteichef des paraibanischen Partido Republicano auf. Zwei Jahre später kündigte er die Allianz mit Leal auf und übernahm die alleinige Leitung der Staatsgeschäfte.712 Sein Bruder Antônio Pessoa wurde Gouverneur. Er war für das Amt wie geschaffen, konnte es aus gesundheitlichen Gründen jedoch nur ein Jahr lang ausüben. Er verstarb im Oktober 1916 im Alter von 53 Jahren. Epitácio Pessoa verlor mit ihm seinen engsten und vertrauenswürdigsten Verwandten. Eine derart güns710 Carone, República Velha, 1972, S. 253, 267, 281; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 111; Silva, Janice Theodoro da, Raízes da ideologia do planejamento: Nordeste (1889– 1930), São Paulo: Editora Ciências Humanas, 1978, S. 69; Lewin, Politics and pa­ rentela in Paraíba, 1987, S. 25, 27 f.; Rodrigues, Inés Caminha, A gangorra do poder (Paraíba – 1889/1930), João Pessoa: Ed. da UFPb, 1989, S. 268 f. 711 „Antônio da Silva Pessoa. Dados Biográficos“, in: Ferreira, Lúcia de Fátima Guerra/ Formiga, Zeluiza (Hg.), Inventário das Séries do ,Arquivo Flávio Maroja‘ do IHGP (Instituto Histórico e Geográfico Paraibano), João Pessoa: Ed. Universitária/NDIHR (Núcleo de Documentação e Informação Histórica Regional), 1997, S. 49 f. (49); Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 113, 115; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 25, 281. 712 Ebd., S. 308; Carone, Primeira República, 1969, S. 114–117; ders., República Velha, 1972, S. 281. Zu den Machtkämpfen im Jahr 1915 siehe die Verteidigung Epitácio Pessoas gegen Anschuldigungen seiner Gegner im Presseorgan seines Parteifreundes Lauritzen: „Senador Epitacio Pessôa. Sua passagem em Itabayanna“, in: Correio de Campina. Orgam Commercial, politico e noticioso. Director e proprietario – Cel. Christi­ ano Lauritzen (Campina Grande) vom 17.1.1915, S. 1; „De derrota em derrota“, in: Correio de Campina vom 20.1.1915, S. 1.

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tige Besetzung des Gouverneursamtes sollte ihm nicht wieder gelingen; aber unabhängig davon, wer in den folgenden Jahren an der Staatsspitze stand, lag die primäre Autorität bis 1930 bei Epitácio Pessoa. Er bestimmte die Politik in Paraíba und beherrschte die ‚gewählten‘ Gouverneure, die von ihm ausgewählt wurden.713 Der Epitacismo regiert – autoritärer Führungsstil des neuen Parteichefs

Der Epitacismo markierte den Höhepunkt der oligarchischen Ordnung in Paraíba. Innerhalb des oligarchischen Systems waren Flexibilität und individuelle Handlungsspielräume minimal. Die coronelistischen, oft verfassungswidrigen Praktiken des mandonismo local wurden toleriert, um die Unterstützung von unten nicht zu gefährden. Umgekehrt mussten die hierarchisch untergeordneten Politiker in den Munizipien vorbehaltlos jenen folgen, deren Position auf staatlicher oder nationaler Ebene legitimiert war. Über dieses Beziehungsnetz spannte sich die Partei als institutionelle Hülle, welche die oligarchische Interessenvertretung in Legalität kleidete, wobei in den meisten Provinzen der Wille des Parteiführers als Gesetz galt. Epitácio Pessoa – unbestritten der einflussreichste politische Chef Paraíbas während der Ersten Republik – machte keinen Unterschied zwischen seinen persönlichen Ansichten bzw. Anliegen und denen der Partei. Wer sich gegen seine Weisungen stellte, lehnte sich seinem Verständnis nach gegen die Partei auf. Er war die Partei, ebenso wie es zuvor Álvaro Machado gewesen war.714 Seine Briefwechsel mit den coronéis und Gouverneuren verdeutlichen, dass er in allen Sphären der paraibanischen Politik das fundamentale Machtmittel der Ämtervergabe kontrollierte und von seiner Gefolgschaft uneingeschränkte Gefügigkeit und absolute Treue verlangte.715 Er akzeptierte keine Widerrede und reduzierte die Staatsgouverneure auf bloße 713 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 313; Carone, República Velha, 1972, S. 281; ders., Primeira República, 1969, S. 114. 714 Ebd., S. 117; ders., República Velha, 1972, S. 269 f., 281; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 58, 60; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 210, 270. 715 Zur Ämtervergabe siehe Pessoa, E., Brief an Major Horacio Lins (lokaler Chef in Paraíba) vom 22.4.1915 (Petrópolis), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 003-11; ders., Brief an Feitosa Ventura vom 5.5.1917 (Petrópolis), archiviert in: ebd., ohne Signatur; ders., Brief an Adalberto Pessôa (Campina Grande?) vom 11.9.1928 (Den Haag), archiviert in: ebd., Dok. 12-062; ders., Brief an João Pessoa (Gouverneur Paraíbas) vom 30.10.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 076-5; Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 2.11.1928 (Parahyba), archiviert in: ebd., Dok. 039-1; Pessoa, E., Telegramme an João Pessoa vom 9. und 23.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 088-5 und 105–5.

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Delegierte, die nicht einmal ihre Gehilfen frei wählen durften.716 Gehorsam und die Zurückstellung der eigenen Vorstellungen wurden mit favores und der Protektion von Freunden und Verwandten belohnt. Dies geht unter anderem aus der Korrespondenz mit dem späteren Gouverneur João Suassuna (1924–28) hervor.717 Ungehorsam oder jegliches Anzeichen von Disziplinlosigkeit gegenüber dem Parteichef wurden strikt zurückgewiesen, wenn auch sprachlich in vollendeter Höflichkeit und Eloquenz. Das Paradebeispiel hierfür war Camilo de Holanda. Nach dem Tod seines Bruders entschied sich Epitácio Pessoa 1916 für Francisco Camilo de Holanda als Alternativlösung für das Gouverneursamt, um parteiinterne Konflikte zwischen den jüngeren Anhängern Antônio Pessoas (Jovens Turcos) und den älteren Angehörigen aus dem Lager der früheren Konservativen und der Zeit des Venancismo (Goelas) zu vermeiden.718 Dem paraibanischen Bundesabgeordneten Octacílio de Albuquerque aus Areia erklärte er in einem Schreiben die Motive seiner Auswahl und ließ dabei keinen Zweifel an seiner eigenen Vormachtstellung: „Der Kandidat sollte den Ansprüchen der Partei genügen, aber vor allem musste er mein vollstes Vertrauen genießen.“719 In einem Brief vom 27. November 1916 an Camilo de Holanda hob Epitácio Pessoa hervor, dass er als „Freund ausgewählt worden war, von dem ich nichts zu befürchten hatte.“720 Hintergrund des Schreibens waren die Versuche Holandas, seine Eigenständigkeit gegenüber dem Parteichef zu wahren. Epitácio Pessoa ließ ihm jedoch nicht den geringsten Aktionsradius und wies ihn unmissverständlich in seine Schranken: „Vor Ihrer Kandidatur haben Sie stets bekräftigt, dass im Falle Ihrer Präsidentschaft die Regierungsmitglieder von mir bestimmt würden. (...) Ich war mir Ihrer Aufrichtigkeit sicher, (...) auch weil dieses Prozedere üblich ist. Die staatlichen Führungskräfte sind nie persönliche Vertraute des Präsiden716 Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 210, 269. Siehe auch Kapitel IV.5.b. 717 Suassuna, João (Gouverneur Paraíbas, 1924–28), Brief an Epitácio Pessoa vom 4.2.1928 (Parahyba), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 004, S. 1–4 (3) (vgl. hierzu auch Quelle IV.5.b-02); Pessoa, E., Antwortschreiben vom 18.2.1928 (Rio de Janeiro) auf den Brief João Suassunas vom 4.2.1928, archiviert in: ebd., Dok. 005-12, S. 4 f. (4) (Quelle IV.1.c-02). 718 Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 206 f., 209, 211; Ferreira, In­ dústria da seca, 1993, S. 123. 719 Pessoa, E., „Resposta aos impudentes“, Auszüge aus einem Brief an Octacilio de Albuquerque (politischer Redakteur der Zeitung A União), ursprünglich veröffentlicht in: A União von 1917 (ohne exaktes Datum), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XV, 1962, S. 278–281 (279) (Quelle IV.1.b-03). 720 Pessoa, E., „Carta a Camilo“, Brief an Francisco Camilo de Holanda (Gouverneur Paraíbas, 1916–20) vom 27.11.1916, in: ders., Obras completas, Bd. XV, 1962, S. 266– 272 (271) (Quelle IV.1.b-04).

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ten, sondern politische Vertraute der Partei. So war es zur Kaiserzeit, so ist es in der Republik. Ich war mir gewiss, (...) dass Sie die von mir vorgeschlagenen Namen akzeptieren würden (...). Es entspräche nicht Ihrer disziplinierten Haltung, eigene Präferenzen den vom Parteichef verteidigten Interessen der Partei überzuordnen.“721 In einem weiteren Brief aus dem darauffolgenden April wurde der kritische Ton des Oligarchieführers noch schärfer. Holanda habe sich unpatriotisch verhalten, Vetternwirtschaft betrieben, verfassungswidrige Anstellungen geschaffen und andere illegale Ausgaben autorisiert. Sein schwerwiegendster Fehltritt sei es gewesen, „meine Verwandten und die engsten Freunde meiner Familie als Gegner zu behandeln, (...) die eigentlichen Gegner aber mit allen Ehrerbietungen und Gefälligkeiten zu überschütten.“722 Camilo de Holanda war auf dem besten Weg, sich von Epitácio Pessoa zu lösen, als 1919 dessen überraschende nationale Präsidentschaft die politische Konstellation grundlegend veränderte. War es in der Ersten Republik bereits außerordentlich ungehörig, sich den Anordnungen des übermächtigen Parteichefs zu entziehen, so war es schlichtweg unmöglich, unabhängig vom zukünftigen Staatsoberhaupt zu regieren bzw. gegen ihn zu agieren. Holanda musste folglich für die verbleibende Regierungsperiode Konflikte vermeiden und gegen seinen Willen als Nachfolger im Gouverneursamt Solon de Lucena (1920–24) akzeptieren, den besten Freund des verstorbenen Antônio Pessoa.723 Einmal mehr sollte Epitácio Pessoas Position in der nationalen Politik den Epitacismo auf lokaler und staatlicher Ebene schützen.

c) Demokratische Gratwanderung – die Präsidentschaft ­Epitácio Pessoas (1919–22) Friedensbotschafter in Versailles und Kompromisskandidat in Rio de Janeiro

Die Präsidentschaftskandidatur Epitácio Pessoas kam sogar für ihn selbst völlig unerwartet, zumal es seiner eigenen Aussage nach in der Staatsmaschinerie der Ersten Republik „für den Vertreter einer kleinen Provinz wie Paraíba 721 Pessoa, E., Brief an Camilo de Holanda, 27.11.1916, S. 266 (Quelle IV.1.b-05). 722 Pessoa, E., Brief an Francisco Camilo de Holanda vom April 1917, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XV, 1962, S. 285–289 (286 f.) (Quelle IV.1.b-06). 723 Melo zitiert zu diesen Zusammenhängen – leider erneut ohne Quellenangaben – den aus Umbuzeiro (Paraíba) stammenden Senator Pedro da Cunha Pedrosa. Melo, F., Epi­ tácio Pessoa, 2005, S. 109. Siehe zu Melo auch die Anmerkung im nächsten Unterkapitel.

Oligarchische Karriere vom Parlamentarier zum Präsidenten



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nicht zulässig war, seine Ambitionen so weit zu führen.“724 Nur der Mangel an signifikanten Namen im dominanten System des café-com-leite, gepaart mit einem Zerwürfnis der großen Staaten und einer damit einhergehenden politischen Orientierungslosigkeit hatten Epitácio Pessoa ins Spiel gebracht.725 Ausgangspunkt war eine Regierungskrise Ende Januar 1919, verursacht durch den Tod des bereits bei seinem offiziellen Amtsantritt im November 1918 ernstlich erkrankten Präsidenten Francisco de Paula Rodrigues Alves. Das entstandene Machtvakuum musste schnell gefüllt werden, denn der seit dem 15. November nominell die Staatsgeschäfte ausübende Vizepräsident Delfim Moreira da Costa Ribeiro litt ebenfalls an einer schweren Krankheit. Da der vorherige Präsident Wenceslau Braz (1914–18) aus Minas Gerais stammte, war im alternierenden System des café-com-leite mit Rodrigues Alves ein Vertreter São Paulos gewählt worden. Die an politischem Gewicht gewinnende Provinz Rio Grande do Sul widersetzte sich nun jeglichen Kandidaten aus Minas Gerais und São Paulo. Ohnehin waren diese zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal in ihren eigenen Staaten mehrheitsfähig und entbehrten der erforderlichen Repräsentativität. Auch auf den alternativen Aspiranten Senator Rui Barbosa aus Bahia konnte man sich nicht einigen, so dass schließlich am 25. Februar 1919 der von Borges de Medeiros aus Rio Grande do Sul vorgeschlagene Epitácio Pessoa zum offiziellen Kandidaten erklärt wurde.726 Dieser erfuhr am Rande der Friedenskonferenz in Versailles von seiner Benennung, die er selbst mehr den äußeren Umständen als seiner eigenen Person zuschrieb.727 Die Leitung der brasilianischen Delegation in Versailles war Epitácio Pessoa erst zugefallen, nachdem Rui Barbosa sie abgelehnt hatte.728 Dadurch hatte Barbosa unbewusst seinem baldigen 724 Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd.  XXI, Teil  1), 1957 (19251), S. 33 (Quelle IV.1.c-01). 725 Zu café-com-leite (São Paulo/Minas Gerais) siehe Kapitel III.5.e. 726 Carone, Edgard, A República Velha (Evolução política), São Paulo: Difel, 1971, S. 319– 322; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 4; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S.; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 97, 107; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 93; Villa, História das secas, 2001, S. 126. 727 Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd.  XXI, Teil  1), 1957 (19251), S. 33 (Quelle IV.1.c-02). 728 Angeblich war der größte Rechtsgelehrte der Ersten Republik nicht damit einverstanden, dass Außenminister Domício da Gama mit Epitácio Pessoa und João Pandiá Calógeras neben ihm zwei weitere eminente Persönlichkeiten entsandte. Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 123. Hierbei ist anzumerken, dass die Pessoa-Biographie des Journalisten Fernando Melo nicht als absolut zuverlässige Quelle gelten kann. Melo kopiert oft ohne Kennzeichnung und Nennung der Autoren aus anderen Werke (v.a. Linda Lewins). Seine lose Aneinanderreihung von zum Teil irrelevanten Textauszügen lässt Zusammenhänge und Schlussfolgerungen vermissen.

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

Konkurrenten im Präsidentschaftsrennen die Möglichkeit geboten, durch eine souveräne Vertretung der nationalen Interessen auf internationalem Parkett zu brillieren. Am 13. April 1919 gewann Pessoa in seiner Abwesenheit die Wahlen mit 249.342 zu 118.303 Stimmen gegen Rui Barbosa, welcher bereits zum vierten Mal erfolglos kandidierte. Nach seiner Rückkehr von der Friedenskonferenz trat Epitácio Pessoa am 28. Juli 1919 das Amt an. Mit dieser Krönung seiner politischen Laufbahn erreichte er, was nie zuvor einem Staatsmann in Brasilien gelungen war – in den drei Gewalten Legislative, Judikative und Exekutive hatte er im Laufe der letzten dreißig Jahre jeweils die höchste Position erlangt.729 Regierungsbildung und politische Rigidität in Zeiten des ­sozialen ­Wandels

Für einen Vertreter einer kleinen Provinz aus dem Norden bzw. aus dem sich damals etablierenden Nordosten ging Epitácio Pessoa als Staatsoberhaupt erstaunlich unabhängig vor. Er kündigte nicht nur in seiner ersten Regierungsansprache ein umfassendes Dürrebekämpfungsprogramm für seine Heimatregion an, sondern überraschte die Nation mit dem ersten vollständig zivilen Kabinett in der Geschichte des Landes. Und dies, obwohl er seinen Karrierestart drei Dekaden zuvor einem bedeutsamen Trio von Militärs zu verdanken gehabt hatte. Andererseits hatte Pessoa bereits als junger Politiker ein hohes Maß an Prinzipienstärke und Zivilcourage bewiesen. In gleicher Manier begegnete er jetzt unbeugsam dem Widerstand aus den hohen Rängen des Militärs und der Marine.730 Es sollte nicht die einzige Auseinandersetzung seiner Regierung mit Vertretern der Streitkräfte bleiben. Während seiner Amtszeit bildete sich die Bewegung des tenentismo heraus, wobei die Bezeichnung erst nach 1930 geprägt wurde. Am 5. Juli 1922 erhoben sich junge Militärs, die aus der Mittelschicht hervorgegangen und als Militäringenieure ausgebildet worden waren, in der Festung von Copacabana in Rio de Janeiro gegen die Militärhierarchie und die Staatsführung. Diese konnte mit der Loyalität fast aller älteren Offiziere rechnen und griff hart gegen die Aufständischen durch. Sechzehn Leutnants (tenen­ 729 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o.  S.; Palha, „Grandes figuras: Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca vom 13.12.1942, o. S.; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 318; FCRB, Rui Barbosa. Cronologia (1890–1923), casaruibarbosa.gov.br; Barbosa, Orris, „Exemplo de um grande destino (Palestra realizada em Umbuzeiro, a 23 do corrente, dia natalicio de Epitácio Pessoa)“, in: A União (João Pessoa) vom 25.5.1944, o. S. Siehe auch Dean, Warren, „The Brazilian economy, 1870–1930“, in: Bethell, Leslie (Hg.), The Cambridge history of Latin America, Bd. V, Cambridge u.a.: Cambridge University Press, 1986, S. 685–724 (723). 730 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 219, 318.

Oligarchische Karriere vom Parlamentarier zum Präsidenten



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tes) starben, mehr als 80 junge Offiziere wurden verhaftet.731 Weitere bewaffnete Übergriffe folgten nach Pessoas Amtsperiode mit der Rebelião Paulista (1924) und der Kolonne Prestes (Columna Prestes, 1924–27).732 Am zweiten Jahrestag der Revolte von 1922 versuchten die tenentes, von São Paulo aus die Bundesregierung zu stürzen, wurden nach einem Monat aber von den Staatstruppen unterworfen. Mehrere hundert Rebellen, geführt von den Copacabana-Veteranen Luis Carlos Prestes, Miguel Costa und Eduardo Gomes, schlossen sich zu einer militärischen Kolonne zusammen und marschierten schließlich 30.000 km nordwärts durch das Hinterland, vor allem in den Staaten des Nordostens. Die tenentes verurteilten das herrschende politische System, sahen sich als Träger einer nationalen Regenerierung und verteidigten im Namen des Volkes die Demokratisierung der Institutionen, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, die Einrichtung freier Wahlen und die Durchsetzung einer kostenlosen Schulbildung. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen auf ihrem langen Marsch durch den Sertão lehnten sie sich gegen die oligarchische Machtkonzentration auf und denunzierten die weit verbreitete Armut, die regionale Ungleichheit und die wirtschaftliche Rückständigkeit. Stark voneinander abweichende Tendenzen innerhalb der Bewegung verhinderten jedoch die Umsetzung einer kongruenten Konzeption und durchgreifende Erfolge.733 Kaum Gehör fanden die tenentes in den ländlichen Gebieten, wo die abhängige Bevölkerung meist treu zu ihren Herren hielt. In den bürgerlichen Schichten der küstennahen Städte stießen sie indes mit ihrer sozialpolitischen Kritik auf Sympathie. In der zweiten und dritten Dekade des 20. Jahrhunderts machten sich die gesellschaftlichen Veränderungen in einer zunehmenden Verstädterung, Industrialisierung und Ausdehnung der Lohnarbeit bemerkbar. Neue gesellschaftliche Akteure stellten die geltenden formalen und informellen Regeln der oligarchischen Politik in Frage und brachten das bisherige Machtgefüge aus dem Gleichgewicht. Erstmals erreichten organisierte Aktivitäten der städtischen Mittelschicht und in geringerem Maße der Arbeiterschicht einen nennenswerten politischen Einfluss. Im Jahr 1917 wurde der erste große Streik in Brasilien organisiert, und in Paraíba brachen soziale Unruhen in den urbanen Zentren aus. Auf Protestdemonstrationen wurden Mindestlöhne, der Achtstundentag und das Gewerkschaftsrecht verlangt. Zu Beginn der Präsidentschaft Epitácio Pessoas heizte sich die politische Situation weiter auf. Während eines General731 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 238. Das Ereignis fand auch unmittelbar Eingang in die Volksdichtung: Athayde, João Martins de, A revolução do Rio de Janeiro, Recife, 1922, archiviert in: CNFCP, Cordelteca, cnfcp.gov.br. 732 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 97; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 350. Zu diesen Widerstandsbewegungen siehe auch Kapitel IV.5.a. 733 Ebd., S. 349 f.; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 97; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 239.

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

streiks ergriff Pessoa 1919 als erster Präsident radikale Maßnahmen gegen die Manifestanten. Er ordnete dem Polizeichef von Rio de Janeiro an, fremdländische Arbeiterführer zu deportieren oder ihnen bei ihrer Ankunft in Brasilien die Einreise zu verweigern.734 Die repressive Politik festigte wiederum das neue soziale Bewusstsein in der Mittelschicht und verstärkte die Forderungen nach einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel. Autoritarismus zwischen Kritik und Lob

In der paraibanischen Regierungspresse wurde Epitácio Pessoa für sein hartes Durchgreifen gegen die „im Überfluss vorhandenen anarchischen Elemente (...) aus aller Herren Länder“ als „großer Präsident“ gefeiert. Die „niederschmetternde Energie“ des Staatschefs gegenüber der „gefährlichen (...) Subversion der öffentlichen Ordnung“ in der Landeshauptstadt habe die konservativen Schichten aufatmen lassen. Nur die Autorität – „geleitet von authentischer Demokratie“ – könne zu positiven Ergebnissen führen.735 Aus dieser Perspektive galt Pessoas autoritärer Führungsstil als Stärke und lobenswerter Vorzug, zum „Wohl des Vaterlands“ und zur „Republikanisierung der Republik“.736 Seine Gegner bezichtigten ihn hingegen des „preußischen Autoritarismus“.737 Im Parlament wurde dem Präsidenten von der Opposition vorgeworfen, zwei Gesichter zu haben – einerseits des einstigen Verteidigers der politischen Rechte gegen die Militärdiktatur und andererseits des heutigen „Zarenverschnitts“ und seiner „Frack-und-Zylinder-Diktatur in Zivil“.738 Seine „fast monströs diktatorische Persönlichkeit“ setze sich über die Recht sprechende und gesetzgebende Gewalt 734 Ebd., S. 231; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 329 (mit Bezug auf eine Quelle aus dem Arquivo Epitácio Pessoa, AEP/43), 330, 332, 350; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 109 f.; Dias, Sônia, „Epitácio Pessoa“, in: Centro de Pesquisa e Documentação de História Contemporânea do Brasil (CPDOC)/Fundação Getúlio Vargas (FGV), Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. Zur Skepsis gegenüber den als Anarchisten abgestempelten europäischen Einwanderern siehe Kapitel III.5.e. 735 „Um grande presidente“, in: A União vom 16.1.1920, S. 1 (Quelle IV.1.c-03). 736 Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 14 (Quelle IV.1.c-04). Zur Frage der Autorität siehe auch Prazeres, „O Sr. Epitacio Pessôa e o regime de 1891“, in: Jornal do Brasil (Rio de Janeiro) vom 20.2.1942, o. S. 737 Diese Anschuldigung wurde ursprünglich im Zusammenhang mit den Versailler Friedensverhandlungen in der Zeitung O Imparcial (Rio de Janeiro) hervorgebracht und zurückweisend kommentiert von Hollanda, R., „O dr. Epitacio Pessôa e o ‚Imparcial‘“, in: A União vom 3.1.1919, S. 1 (Quelle IV.1.c-05). 738 Nascimento, Nicanor (Distrito Federal), Anais da Câmara, 9.7.1920, S. 159 („tzarzinho“); ders./Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 88, 90 („duas faces“, „dictadura do frak“) (Quelle IV.1.c-06).

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hinweg.739 Seine „Verbrechen“ gegenüber der Arbeiterbewegung seien „gravierender als jene, die er [1892] Marschall Floriano [Peixoto] nachgesagt hatte“.740 Obschon die Anschuldigungen gegen Epitácio Pessoa unter Berücksichtigung der üblichen Schärfe parlamentarisch-oppositioneller Wortgefechte zu verstehen sind, ist nicht von der Hand zu weisen, dass seine politische Haltung von starken Kontrasten gezeichnet war. Als Parlamentarier und später als Präsident verteidigte er die Prinzipien der Demokratie und umging sie zugleich, sobald es ihm opportun erschien. Während Pessoa in seiner Funktion als Rechtsgelehrter auf der Friedenskonferenz in Paris liberale Ideale vertrat, herrschte er in Paraíba rigoros als unantastbarer Patriarch mit allen Mitteln der oligarchischen Machtpolitik. Aus einer vertraulichen Benachrichtigung des paraibanischen Gouverneurs an Epitácio Pessoa geht beispielsweise hervor, dass der Parteichef durchaus über die Anwendung von Gewalt und Unterdrückung in den lokalen Machtkämpfen auf dem Laufenden war.741 Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Álvaro Machado und den meisten Oligarchen in den übrigen Provinzen hielt sich Epitácio Pessoa andererseits an ein Wahlgesetz von 1901, welches der Opposition ein Fünftel der Sitze im Kongress, der Staatsversammlung und den Stadträten zusprach.742 Allerdings zog er selbst daraus mehr Vorteile als die Opposition. Denn auf diese Weise lag die Entscheidung bei ihm, welche oppositionellen Clanführer am aktiven politischen Geschehen beteiligt wurden und welche – im Jargon der damaligen Zeit – ‚ins Exil mussten‘.743 Aus der Korrespondenz mit seinem Bruder Antônio und mit Parteifreunden wird ersichtlich, dass er zwar stets bemüht war, sich bei der Besetzung von Ämtern und anderen politischen Handlungen innerhalb des Gesetzes zu bewegen, dies jedoch aus taktischem Kalkül tat und weniger aus einer unverrückbaren demokratischen Überzeugung heraus.744 Linda Lewin nennt in diesem Zusammenhang Epitácio Pessoas Fähigkeit, unterschiedliche und sogar konträre

739 Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 4.12.1920, S. 398 (Quelle IV.1.c-07). 740 Ders., Anais da Câmara, 9.7.1920, S. 158 (Quelle IV.1.c-08). 741 Suassuna, Brief an Epitácio Pessoa, 4.2.1928. 742 Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 270; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 314. Siehe hierzu eine entsprechende Bestätigung der „liberalen Politik“ Epitácio Pessoas gegenüber der Opposition, welcher auch nach dem Todesfall eines ihrer Amtsinhaber der Platz in der Kammer freigehalten werde. „A representação das minorias. Uma reaffirmação da politica liberal do sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 22.11.1921, S. 1. 743 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 314 f. 744 Siehe hierzu sein Vorgehen im Kampf um die Machtübernahme in Paraíba 1900 (Kapitel IV.1.b). Ein weiteres Beispiel ist das politische Taktieren um die Besetzung eines Zollamtes durch Antônio Pessoa. Pessoa, E., Brief an Antônio Pessoa vom 16.9.1902, archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass Antônio Pessoas (Serie CEP, 1897–1902) (Quelle IV.1.c-09).

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politische Einstellungen vereinen zu können, eine Grundvoraussetzung für seine erfolgreiche Karriere während der Ersten Republik.745

2. Der Dürrediskurs Epitácio Pessoas – historische ­Zuordnung und Bewertung a) Die Dürre als Paradefall für die oligarchische ­Legitimationsstrategie Kennzeichnend für das oligarchische Politikverständnis des republikanischen Brasiliens von 1889 bis 1930 war es, paternalistisch über die breite Masse der Bevölkerung zu bestimmen, den einstigen Protektionsauftrag des Paternalismus jedoch lediglich als Vorwand im föderalistischen Ressourcenwettkampf zu verstehen und ihn in zentralen Aspekten den eigenen Wirtschaftsinteressen zu opfern. Epitácio Pessoa stand in dieser Hinsicht ganz in der Tradition seiner Zeit, und der wesentlich von ihm in die politische Praxis überführte Dürrediskurs war exemplarisch für die sozioökonomische Legitimationsrhetorik der nordbrasilianischen Oligarchien. Die Dürre bot den parlamentarischen Repräsentanten der regionalen Agrarelite die Gelegenheit, im Namen des Volkes tätig zu werden, welches als unfähig angesehen wurde, selbständig und eigenverantwortlich zu agieren. Als paraibanischer Delegierter im Nationalkongress verwendete Epitácio Pessoa seit 1891 kontinuierlich Aussagen des Dürrediskurses und erhob ihn 1919 als Staatsführer zum offiziellen Regierungsprogramm. Damit verkörperte Pessoa wie kein anderer den Erfolg der Dürrepolitik und verschaffte ihr während seiner Präsidentschaft vorübergehend eine sichere Plattform. Nachdem in den Kapiteln  II und III die Inhalte des Dürrediskurses im Kontext der staatlichen Dürrebekämpfung seit 1877 referiert worden sind, sollen sie nun speziell auf Epitácio Pessoa bezogen werden. Dazu werden ihre Kernelemente herausgegriffen und vor dem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrund der Wirkenszeit Pessoas bewertet. Die Betrachtung ist nicht einer durchlaufenden Chronologie unterworfen, sondern folgt den verschiedenen thematischen Motiven, jeweils unter Berücksichtigung der betreffenden Etappen im Leben Epitácio Pessoas. Als Quellenbasis steht ein umfassender Fundus an Kongressansprachen, Zeitungsartikeln und veröffentlichten sowie unveröffentlichten Briefwechseln mit seinen nächsten Verwandten und politischen Weggefährten zur Verfügung.746 Ausgehend von diesen Reden und Schriftstücken können Rückschlüsse auf Pessoas Beitrag zur Prägung, Fort745 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 5 f. 746 Zur Quellenlage siehe Kapitel I.2.b.

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

politische Einstellungen vereinen zu können, eine Grundvoraussetzung für seine erfolgreiche Karriere während der Ersten Republik.745

2. Der Dürrediskurs Epitácio Pessoas – historische ­Zuordnung und Bewertung a) Die Dürre als Paradefall für die oligarchische ­Legitimationsstrategie Kennzeichnend für das oligarchische Politikverständnis des republikanischen Brasiliens von 1889 bis 1930 war es, paternalistisch über die breite Masse der Bevölkerung zu bestimmen, den einstigen Protektionsauftrag des Paternalismus jedoch lediglich als Vorwand im föderalistischen Ressourcenwettkampf zu verstehen und ihn in zentralen Aspekten den eigenen Wirtschaftsinteressen zu opfern. Epitácio Pessoa stand in dieser Hinsicht ganz in der Tradition seiner Zeit, und der wesentlich von ihm in die politische Praxis überführte Dürrediskurs war exemplarisch für die sozioökonomische Legitimationsrhetorik der nordbrasilianischen Oligarchien. Die Dürre bot den parlamentarischen Repräsentanten der regionalen Agrarelite die Gelegenheit, im Namen des Volkes tätig zu werden, welches als unfähig angesehen wurde, selbständig und eigenverantwortlich zu agieren. Als paraibanischer Delegierter im Nationalkongress verwendete Epitácio Pessoa seit 1891 kontinuierlich Aussagen des Dürrediskurses und erhob ihn 1919 als Staatsführer zum offiziellen Regierungsprogramm. Damit verkörperte Pessoa wie kein anderer den Erfolg der Dürrepolitik und verschaffte ihr während seiner Präsidentschaft vorübergehend eine sichere Plattform. Nachdem in den Kapiteln  II und III die Inhalte des Dürrediskurses im Kontext der staatlichen Dürrebekämpfung seit 1877 referiert worden sind, sollen sie nun speziell auf Epitácio Pessoa bezogen werden. Dazu werden ihre Kernelemente herausgegriffen und vor dem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergrund der Wirkenszeit Pessoas bewertet. Die Betrachtung ist nicht einer durchlaufenden Chronologie unterworfen, sondern folgt den verschiedenen thematischen Motiven, jeweils unter Berücksichtigung der betreffenden Etappen im Leben Epitácio Pessoas. Als Quellenbasis steht ein umfassender Fundus an Kongressansprachen, Zeitungsartikeln und veröffentlichten sowie unveröffentlichten Briefwechseln mit seinen nächsten Verwandten und politischen Weggefährten zur Verfügung.746 Ausgehend von diesen Reden und Schriftstücken können Rückschlüsse auf Pessoas Beitrag zur Prägung, Fort745 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 5 f. 746 Zur Quellenlage siehe Kapitel I.2.b.

Der Dürrediskurs Epitácio Pessoas



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setzung und Festigung des Dürrediskurses gezogen werden. Nach einleitenden Ausführungen zum Bild der Dürre im politischen Diskurs Epitácio Pessoas wird ein besonderes Augenmerk auf sein Verhältnis zur Bevölkerung und auf den ökonomischen Faktor seiner Dürrepolitik gerichtet.

b) Die Darstellung der Trockenperioden als Ursache allen Übels Eine der sichtbarsten Komponenten des Dürrediskurses war die kausale Verknüpfung der Not und wirtschaftlichen Rückständigkeit im Norden mit dem Naturphänomen. Die Verantwortlichkeit der Dominanzbeziehungen und der ökonomischen Ausbeutung der Landbevölkerung wurde auf diese Weise aus der Diskussion um Lösungsansätze ausgeklammert. Auch Epitácio Pessoa lenkte die Aufmerksamkeit auf das „Übel“ der Dürre, welches es zu bekämpfen galt, und verstärkte das Bild der Trockenheit als hauptsächlicher Wurzel des Elends in der Region.747 Während seiner gesamten politischen Karriere rekurrierte er auf das Druckmittel akuter Lebensgefahr, um Hilfsgelder in seine Heimat zu kanalisieren. Schon als junger Abgeordneter redete er im August 1891 seinen Amtskollegen ins Gewissen, dass „Hunger und Misere einen Großteil des paraibanischen Volkes dezimieren“.748 Am 19.  September 1891 wandte er sich abermals an das Plenum, da sein einen Monat zuvor eingereichtes Projekt zur Dürrebekämpfung trotz der von ihm nachdrücklich geschilderten Dringlichkeit noch nicht behandelt worden sei. Energisch ermahnte er: „Wenn die Nation diesen Staaten nicht so schnell wie möglich Rettung bringt, wird das zu beklagende Unglück unermesslich und das aus der Verzögerung resultierende Unheil irreparabel sein.“749 Im Laufe der Jahre schilderte er vor dem Kongress stets aufs Neue pathetisch das Schreckensbild der Dürre und sprach von der „Folter des Hungers und Durstes“, vom „ausgebrannten Tod am Wegesrand“ und den „Tränen der ausgehungerten Kinder“, „wo die einzige Feuchtigkeit ihnen aus den Augen rinnt“.750 Als Präsident der Republik beschrieb er im August 1921 747 Pessoa, E., „Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da primeira sessão da décima primeira legislatura a 3/5/1921“, in: ders., Obras completas, Bd. XVII, 1956, S. 209–412 (386); ders., „Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da terceira sessão da décima legislatura a 3/5/1920“, in: ebd., S. 15–207 (183) (Quelle IV.2.b-01). 748 Ders., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 (Quelle IV.2.b-02). Die letzte gravierende Dürre hatte 1888/89 die gesamte Region heimgesucht; 1891 war ein reduziertes Gebiet von der Trockenheit betroffen (siehe Dürreliste in Anhang 2). 749 Ders., Anais da Câmara, 19.9.1891, S. 377, auch abgedr. in: ders., „A sêca no Nordeste“ (Obras completas, Bd. I), 1955, S. 69 (Quelle IV.2.b-03). 750 Pessoa, E., Senatsrede vom 29.11.1915 (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 376; ders., „Defesa do café e obras do Nordeste“, Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

auf einem feierlichen Empfang in São Paulo unerbittlich die „grausamste Plage jener hart gegeißelten Unseligen“: „Geht und seht selbst (...) die Gebeine jener, die dem Hunger, der furchtbaren Katastrophe nicht entkommen konnten und (...) in den letzten Zügen ihres Lebens der Gefräßigkeit der wilden Tiere zum Opfer fallen. (...) Geht, seht (...) die entstellten Gesichter derer, die sich noch fortschleppen können, mit verwirrtem Blick, ohne Kraft, die Kleinen zu tragen, ohne einen Tropfen Milch, um das traurige Heulen zu beenden; die sich entkräftet, schmerzverzerrt und gemartert im Todeskampf des Hungers winden, (...) mit entzweiter Seele und dem Herzen versunken in Trauer, Verzweiflung und Schmerz.“751 Der viel beachtete Staatsbesuch Epitácio Pessoas in São Paulo wurde von der paraibanischen Regierungspresse als Gelegenheit ergriffen, der brasilianischen Öffentlichkeit die „potentielle Auslöschung dieser Hälfte des Landes durch einen Schicksalsschlag der Natur“ vor Augen zu führen. Die Dramatik war erforderlich, um das in der Kritik stehende „patriotische Hilfsprogramm der Regierung“ zu rechtfertigen.752 Durch seinen eigenen, in der höchsten politischen Sphäre positionierten Diskurs ebnete Epitácio Pessoa im Parlament und in der Presse nahestehenden Aussagen den Weg, die ohne seine Präsidentschaft kaum eine vergleichbare Anerkennung erfahren hätten. In wechselseitiger Beeinflussung fand Pessoa im Umfeld des sich gesellschaftlich ausdehnenden Dürrediskurses die erforderliche Bewegungsfreiheit zur Darbietung seiner Vorstellungen und Forderungen. In den Botschaften an den Kongress von 1919–22 rang er um die legislative Bewilligung des Baus von Stauanlagen im Nordosten,753 indem er an das humanitäre Pflichtgefühl der Delegierten appellierte, an die „mehr als eine Million Todesopfer des Hungers seit 1877“ erinnerte und zur Rettung tausender Menschenleben aufrief.754 Die Angaben Epitácio Pessoas

751

752 753 754

20.8.1921, in: ders., Discursos parlamentares (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 390– 394 (394) (Quelle IV.2.b-04). Ders., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, abgedr. in: „Uma pagina do Nordeste“, in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 299 und ebenfalls abgedr. in: „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1 (Quelle IV.2.b-05). „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1 (Quelle IV.2.b-06). Die politisch-journalistische Auseinandersetzung um die Nordostprojekte wird in Kapitel IV.4.d eingehend betrachtet. Siehe z.B. Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 233– 239. Dieser Punkt wird in Kapitel IV.3.c untersucht. Ders., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 19–24 (21). Mit leicht abweichender Orthographie auch abgedr. in: „O problema da sêcca. A mensagem do sr. Presidente da Republica ao Congresso sobre esse magno assumpto. S. ex. solicita ao Poder Legislativo importantes medidas“, in: A União vom 30.9.1919, S. 1. Fast im gleichen Wortlaut zwei Jahre

Der Dürrediskurs Epitácio Pessoas



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über die katastrophalen Ausmaße und Auswirkungen der Dürre genossen aufgrund seiner Herkunft aus dem Krisengebiet hohe Glaubwürdigkeit. Darin war seine natürliche Diskurskompetenz in Fragen der Trockenperioden und den mit ihnen verbundenen Problemen begründet.

c) Akzentuierung der Diskurskompetenz und Solidarisierung mit den Opfern der Dürre Die Epitácio Pessoa als gebürtigem und gelehrtem sertanejo zufallende Autorität, in Angelegenheiten des Dürregürtels wortführend aufzutreten, gewann durch seine Eigenschaft als Regierungschef zusätzlich an Gewicht. Seine Diskurskompetenz wurde von seinen Anhängern und von ihm selbst als schlagkräftiges Argument gegen den Argwohn seiner Antagonisten ins Feld geführt.755 In der paraibanischen Presse hieß es zu Beginn seiner Präsidentschaft: „Aus diesem Teil der Republik stammt der berühmte Landsmann, der uns regiert, und niemand weiß besser als er, welche Dimensionen die Dürre annehmen kann – jener hundertjährige Unglücksbote des Nordostens“.756 Epitácio Pessoa habe „mit eigenen Augen die Qual der ruinösen Tragödien gesehen, die in wenigen Monaten die langwierige Arbeit von Jahrzehnten zerstört“.757 Durch seine Kindheit im von der Trockenheit geplagten Umbuzeiro sei er geradezu prädestiniert, diesen Landstrich zu erlösen.758 Bei seinem Staatsbesuch in São Paulo im August 1921 forderte Epitácio Pessoa die Widersacher seiner Nordostprojekte auf, sich persönlich in die „glühende Brennkammer“ zu begeben, sich vor Ort ein Bild zu machen und erst dann ihre Meinung zu äußern. Denn gegen die Hilfsmaßnahmen könne sich nur widersetzen, wer nie die vernichtende Kraft

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später: Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 234, ebenfalls abgedr. in: „A mensagem presidencial. Importante documento. Palavras do exmo. sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1. 1925 sprach Pessoa sogar von zwei Millionen Todesopfern. Ders., zit. in: Chateaubriand, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 251. (Quelle IV.2.b-07.) Es sei erneut darauf hingewiesen, dass diese Ziffern nach heutigen Erkenntnissen die tatsächliche Anzahl der Todesopfer bei weitem übersteigen. Hierzu siehe Kapitel II.1.b. Zum Gegenstand der Diskurskompetenz siehe Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 75 f., 100 bzw. die entsprechenden Erläuterungen in Kapitel III.5.b. Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1 (Quelle IV.2.c-01). „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1 (Quelle IV.2.c-02). „Uma pagina do Nordeste“, in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 298 (Quelle IV.2.c-03). Vgl. auch Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966, S. 79 (Quelle I.2.b-01).

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der Dürre erlebt habe.759 In einer Botschaft an den Kongress wies er darauf hin, dass die Lösung der regionalen Probleme nur von jenen zu erwarten sei, „welche durch die harte Erfahrung ihres [verdorrten] Landes das Übel kennengelernt haben“.760 Durch diese Aussagen sprach er den Kritikern aus dem Süden grundsätzlich jegliche Diskurskompetenz ab, solidarisierte sich mit den Geschädigten der Trockenperioden und zählte sich selbst zum Kreis der Leidtragenden. Eine wichtige Funktion des Dürrediskurses war es, den Nordosten als Opfer der Natur herauszustellen und alle sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten der Region mit diesem Verhängnis in Zusammenhang zu setzen. Darüber hi­ naus wies Pessoa die Schuld für die prekäre Lage der „ungerechten und fahrlässigen“ Zentralregierung in Rio de Janeiro und den vermeintlich alle staatlichen Ressourcen monopolisierenden Provinzen des Südens zu.761 Die Verantwortung der eigenen politischen und wirtschaftlichen Elite anzusprechen und die dauerhafte, klimaunabhängige Armut mit dem herrschenden Gesellschaftssystem zu erklären, geschah in den Reihen der regionalen Repräsentanten nur in seltenen Ausnahmefällen, wie in Kapitel  II und III anhand zweier Beispiele dargelegt wurde.762 Weder in den Reden noch in der Korrespondenz Epitácio Pessoas sind derartige Einsichten und Eingeständnisse zu finden. Seinem Verständnis nach gab es im Nordosten lediglich Opfer und keine Täter. Dabei geht aus seinem Diskurs ein gespaltenes Verhältnis zu den eigentlich Betroffenen der Misere aus der breiten Bevölkerung hervor.

d) Elemente der oligarchischen Dürrepolitik zwischen Paternalismus und Opportunismus Die ambivalente Beziehung Epitácio Pessoas zum Volk machte sich bereits im ersten Jahr seiner parlamentarischen Laufbahn bemerkbar. Einerseits lobte er seine Landsleute als „intelligent und fleißig“, wünschte sich andererseits für 759 Pessoa, E., Rede in São Paulo vom 20.8.1921, abgedr. in: „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1 (Quelle IV.2.c-04; vgl. auch Quelle III.5.b-09). 760 Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd.  XVII), 1956, S. 386 (Quelle IV.2.c-05). 761 Ders., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494 (Quelle IV.2.c-06). Die gesamte Passage und weitere Quellen zur „Vernachlässigung“ des Nordostens werden in Kapitel IV.2.f (Quelle IV.2.f-03) geliefert. Zur von Epitácio Pessoa (re)präsentierten Opferrolle siehe auch seine Darstellung der „Verleumdungskampagne“ des Südens in Kapitel IV.4.d. 762 Siehe aus Kapitel  II.3.a Rodrigues, A. Coelho (Piauí), Discurso. Congresso Agricola, 6.10.1878, S. 80–86, 90 (Quelle II.3.a-16) und aus Kapitel  III.5.c Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 384 (Quelle III.5.c-09). Weitere Aspekte zu dieser Frage werden im folgenden Kapitel IV.2.d thematisiert.

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seine Provinz Immigranten zur Entwicklung der lokalen Industrie. Ohne europäische Siedler, welche insbesondere seit dem Verbot der Sklaverei in sehr großer Zahl im Süden Brasiliens angeworben wurden, könne sich der Norden wirtschaftlich kaum behaupten.763 Abgesehen von der unverkennbaren Anspielung auf die seiner Ansicht nach ungerechte Bevorzugung der Einwanderungsförderung in den Süden des Landes, traute er offensichtlich der paraibanischen Bevölkerung die erforderlichen technischen Fähigkeiten nicht zu. In ähnlicher Manier bezeichnete Pessoa während seiner Präsidentschaft die sertanejos als fleißig und lobte ihren Mut und ihre Widerstandsfähigkeit, beklagte jedoch zugleich, dass es im Hinterland des Nordens keine Fachkräfte gebe, sondern lediglich „primitive Landarbeiter“. Von ihnen könne man weder die Realisierung der komplexen Bauvorhaben noch die Denkfähigkeit zum Verständnis ihrer Situation erwarten.764 Mit diesem Standpunkt lag Pessoa weit entfernt von der Einsicht des Geologen und Ingenieurs Guilherme Schüch, welcher Mitte des 19.  Jahrhunderts auf seiner Erkundungsreise durch das Hinterland hohe handwerkliche Fertigkeiten feststellte und daraufhin dem Kaiser industrielles Engagement in der Region empfahl.765 Epitácio Pessoa beschränkte sich hingegen darauf, den Bildungsmangel der Landbevölkerung im Nordosten zu konstatieren, ohne daraus die Konsequenz zu ziehen, ihr Wissen und ihre beruflichen Möglichkeiten durch bessere Schulen für die unteren Gesellschaftsschichten zu erweitern. Während andere Politiker seiner Zeit derartige Forderungen im Parlament artikulierten,766 nutzte Pessoa den niedrigen Bildungsstand lediglich argumentativ aus, um die paternalistische Führungsrolle der politischen Elite zu begründen und die Einstellung ausländischer Facharbeiter zur Durchführung der großen Konstruktionsunternehmungen zu legitimieren. Pessoa trat indes als Philanthrop und Beschützer des einfachen Volkes auf, sobald er damit seinen Zielen näher kommen konnte. Bei der Verteidigung seiner Politik nannte er die Dürreopfer seine „Brüder“ und manifestierte sein Entsetzen angesichts

763 Pessoa, E., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494 (Quelle IV.2.d-01). Zur Einwanderung siehe Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 189–192 und nähere Angaben in Kapitel III.5.e und IV.2.f (im Zusammenhang mit der „Vernachlässigung des Nordostens“). 764 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1920 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 183; ders., Jahresbotschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1; Chateaubriand, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 249 (Quelle IV.2.d-02). 765 Siehe Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 207 f. bzw. Kapitel III.4. 766 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 384 (Quelle III.5.c-09). Siehe auch Chêne, Alvar, „Miseria!“, in: O Combate (Parahyba), Bd.  3, Nr. 66–3 (15.10.1904), S. 1 (Quelle III.1-07).

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der „Lieblosigkeit und Grausamkeit“ ihnen gegenüber.767 Als im Anschluss an seine Regierungsperiode die Stilllegung der gesamten Nordostprojekte drohte, verurteilte er mit bitterem Sarkasmus die ungerechte Behandlung der Menschen in der Region: „Brasilianer zweiter Klasse verdursten und verhungern dort“.768 Die von politischem Opportunismus gezeichnete Einstellung Epitácio Pessoas gegenüber der Landbevölkerung seiner Heimatregion lässt sich besonders anschaulich aus seiner Handhabung der Dürrehilfen erschließen. Im August 1891 benachrichtigte Pessoa das Parlament über die Verschärfung der Trockenheit in Paraíba, Ceará und Rio Grande do Norte, wo die Ernten vollständig verdorben und die Nahrungsvorräte fast komplett verbraucht seien. In diesem Zusammenhang sprach er sich jedoch gegen die kostenlose Verteilung von Lebensmitteln aus, welche die Dürreopfer in die urbanen Zentren locke und so die Pflanzungsgebiete entvölkere. Die Vergabe von „Almosen“ führe zu Müßiggang und Lastern. An das „leichte und bequeme“ Leben des staatlichen Unterhalts gewöhnt, kehrten die Landarbeiter seinen Ausführungen zufolge nicht mehr auf die Felder zurück, selbst wenn das Klima es erlaube.769 Als Alternative schlug Pessoa vor, die nationalen Regierungsgelder in Form von Arbeitsdiensten zur Steigerung des öffentlichen Nutzens einzusetzen – beim Bau von Eisenbahnlinien, Telegraphenleitungen und Stauanlagen. Auf diese Weise müssten die Menschen nicht ihre gewohnte Umgebung verlassen, und die Aktivitäten brächten für Brasilien bzw. die verschiedenen Bundesstaaten eine ökonomische Bereicherung mit sich. In seinem Gesetzesentwurf verwendete Pessoa die Formulierung „indirekte Hilfen für die Dürreopfer“. Alle Zahlungen sollten an die Provinzverwaltungen fließen, welche damit nach ihrem Ermessen verfahren konnten.770

767 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 234 (Quelle IV.2.d-03). 768 Ders., zit. in: Chateaubriand, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 250. Siehe das ausführliche Zitat im Kontext in Quelle IV.5.a-18. 769 Zum weit verbreiteten Bild des Müßiggangs der nordestinos siehe auch Kapitel III.5.d. Untersuchungen späterer Trockenperioden zeigen die vermeintliche Faulheit der Dürreopfer in einem anderen Licht: Während die Bauern bei den ersten Anzeichen von Klimaverbesserungen ihre Äcker aufsuchen wollten, da sie von der Subsistenzwirtschaft besser leben konnten als von den Arbeitsdiensten, wurden sie dort gehalten und verpassten dadurch die Möglichkeit zu einer neuen Aussaat. Coelho, Jorge, As secas do Nordeste e a indústria das secas, Petrópolis: Editora Vozes, 1985, S. 46 (zur Dürre von 1979–83). 770 Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 f. Zu einer gegenteiligen Auffassung über die Almosenvergabe siehe „A fome“, in: Verdade. Orgão progressista e noticioso (Areia, Paraíba) vom 18.8.1892, S. 1. (Quelle IV.2.d-04.)

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Die bereits während der Dürre von 1877–79 ins Gespräch gebrachte und von Epitácio Pessoa seit 1891 vorangetriebene Zielsetzung, die staatlichen Maßnahmen auf der Basis öffentlicher Arbeiten zu realisieren und den Exodus der Landbevölkerung zu verhindern, fanden in den nächsten zwei Dekaden immer mehr Anerkennung.771 Nachdem Pessoa zum Senator und paraibanischen Parteichef aufgestiegen war und sein politisches Gewicht sich erheblich vergrößert hatte, prägte er entscheidend die Ausgestaltung der systematischen Arbeitsdienste mit, die für das gesamte 20. Jahrhundert zum wesentlichen Merkmal der Dürrepolitik wurden. Im Zuge des legislativen Gestaltungsprozesses der socorros beantragte Epitácio Pessoa am 29. November 1915 im Kongress, den Wortlaut eines Gesetzesvorhabens von „Hilfeleistungen für die von der Dürre betroffenen Menschen“ in „Hilfeleistungen für die von der Dürre heimgesuchten Staaten“ zu ändern. Damit wollte er ausdrücklich erreichen, die nationalen Zuwendungen für Unternehmungen der Bundesstaaten ausgeben zu können, anstatt sie direkt an die Dürreopfer weiterleiten zu müssen. An jenem Sitzungstag einigten sich die Kongressmitglieder auf die Version „direkte und indirekte Hilfeleistungen für die Betroffenen der Dürre“. Am nächsten Tag wurde auf Wunsch Pessoas dieser Wortlaut um den Zusatz „bestehend aus Bautätigkeiten und Arbeitsdiensten“ ergänzt, um seine Absichten unmissverständlich festzuschreiben.772 Die Landbesitzerschicht zog daraus einen doppelten Vorteil: Kostenlose bzw. vom Staat bezahlte Arbeiten wurden erledigt, von denen sie stark profitierte; und die billigen Arbeitskräfte blieben ihr auch für die Zeit nach den Trockenperioden erhalten. Die Essenz dieses Ansatzes lag darin, dass nicht die unmittelbaren – jedoch als unmündig erachteten – Dürreopfer freie Unterstützung erhielten, sondern die Großgrundbesitzer. Für die Notleidenden verbesserte sich kaum etwas. Sie mussten im Gegenteil für die geringen staatlichen Lebensmittelhilfen körperlich anstrengende Verrichtungen unter schlechten Bedingungen ausführen, und ihre sozioökonomische Abhängigkeitssituation wurde perpetuiert.773 An diesen Beispielen wird die Tendenz Epitácio Pessoas deutlich, seine Haltung je nach Interessenlage und Intention zu wandeln. Einerseits hob er das Elend der unter den Trockenperioden leidenden Landbevölkerung hervor und lobte ihren Fleiß, um die nationalen Dürregelder im Kongress zu rechtfertigen. Andererseits klagte er die vermeintliche Trägheit der sertanejos an, um die Fi771 Zu den ersten Umsetzungen dieser Praxis siehe Kapitel II.2.d. Zu weiteren Entwicklungen siehe z.B. Gesetzesvorhaben zur Dürrebekämpfung, Anais da Câmara, 20.9.1900, S. 211; Gesetz vom 15.7.1915, Art. 1, Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 306 (Quelle IV.2.d-05) und Kapitel III.5.d. 772 Pessoa, E., „Obras contra as secas“, Senatsreden vom 29./30.11.1915 (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 383, 387 (Quelle IV.2.d-06). 773 Die gesellschaftliche Situation wird in Kapitel III.2.c näher beschrieben.

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nanzhilfen nach seinen Vorstellungen zu lenken.774 Richtunggebend schienen dabei weniger humanitäre als vielmehr ökonomische Motive zu sein. Dies traf auch auf die Frage der Landflucht zu. Aus einem Telegramm Pessoas an den paraibanischen Gouverneur vom 2.  Juni 1915 ging als eine der vorrangigen Funktionen der Staatsaktivitäten hervor, die Abwanderung der für die regionale Agrarwirtschaft unentbehrlichen Landarbeiter zu unterbinden.775 Hinzu kam die seit der ‚Großen Dürre‘ von 1877–79 herrschende Angst des städtischen Bürgertums vor den verheerenden Folgen der Migrationsströme. So wurde in Parahyba im Dürrejahr 1919 Druck auf die Regierung ausgeübt, mit Hilfe von staatlichen Programmen die Invasion der paraibanischen Hauptstadt durch die „hungrige und pestbefallene Masse“ aus dem Sertão zu verhindern.776 Im Reglement der Ende 1919 von Epitácio Pessoa zur Finanzierung seiner Nordostprojekte geschaffenen Caixa Especial wurde entsprechend als primäre Aufgabe die „Bekämpfung des Exodus bei den ersten Anzeichen der Trockenheit“ festgeschrieben. Als Gegenleistung für die auszuführenden Arbeitsdienste wurde „nur das absolut erforderliche Subsistenzminimum“ veranschlagt, d.h. an den Lebensmittelrationen für die Hungernden wurde planmäßig gespart, während diese praktisch unentgeltlich für den Staat arbeiten mussten.777 Die Instrumentalisierung der Dürrehilfen für oligarchische Ziele wurde durch die vom politischen Diskurs belebte Fiktion einer an den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung ausgerichteten Dürrepolitik überdeckt. Epitácio Pessoa sprach seinen eigenen Worten nach die Wünsche des Volkes aus.778 Bereits in der Anfangszeit seiner parlamentarischen Laufbahn nannte er den Ausbau des Schienennetzes in Paraíba das „hauptsächliche Desideratum des paraibanischen Volkes, die einzige rettende Maßnahme, um dem Staat reellen Nutzen zu 774 Zum Hintergrund dieses Diskurselements siehe Kapitel III.5.d. 775 Ders., Telegramm an João Pereira de Castro Pinto (Gouverneur von Paraíba) vom 2.6.1915 (Rio de Janeiro), abgedr. in: „A sêcca“, in: A União vom 4.6.1915, S. 1 (Quelle IV.2.d-07). 776 Diário do Estado (Parahyba) vom 11.4.1919, o. S., auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 95 (Quelle IV.2.d-08). 777 Regulamento da Caixa Especial, Art. 50, § 7, Dokument anlässlich der Gründung der Caixa Especial am 17.3.1920 per Dekret 14.102 im Diário Oficial veröffentlicht, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 136 (Quelle IV.2.d-09). Weitere Informationen zur Caixa Especial werden in Kapitel IV.3.c gegeben. Zu den erbärmlichen Bedingungen in den Arbeitsdiensten siehe Kapitel II.2.d. 778 Das Volk selbst, mit der Stimme der Volksdichter, hat zu Epitácio Pessoas Beitrag zur ‚Rettung der Region‘ in der damaligen Zeit weitgehend geschwiegen. Zumindest sind in den großen Sammlungen der Volkslyrik keine entsprechenden Verse zu finden. Es wurden hierzu die in Kapitel III.2.a aufgeführten cordel-Archive konsultiert. Die relativ wenigen cordéis, in denen Epitácio Pessoa erwähnt wird, handeln entweder nicht von der Dürre oder sind nach 1930 verfasst worden.

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bringen“.779 Volk und Staat (in diesem Fall Paraíba) wurden von ihm gleichgesetzt, als bestehe eine völlige Übereinstimmung der Anliegen. Epitácio Pessoa wurde seinerseits von Vertretern der paraibanischen Öffentlichkeit als größter, wenn nicht alleiniger Hoffnungsträger im Kampf gegen die „alle Ressourcen vernichtende Dürre“ angesehen. Pater Cyrillo Sá schrieb während der schweren Trockenperiode von 1915 im Presseorgan der paraibanischen Regierung: „Noch einmal übermitteln wir, mit letzter Kraft, unsere Klagen dem verdienten Paraibaner, unserem eminenten und ehrwürdigen Staatschef Senator Epitacio Pessôa, welcher sich so sehr um unser Wohl bemüht“. In der von ihm ersehnten Abhilfe für die „ärmsten sertanejos“, die seiner Aussage zufolge nichts so sehr fürchteten wie eine Abwanderung aus ihrer Heimat, lag er mit Pessoa auf einer Linie: „Es mögen dringend die Arbeiten am Staudamm beginnen!“780 Als Epitácio Pessoa 1919 an die Spitze der republikanischen Hierarchie aufstieg, wurde in der Presse von der „beseelten Freude der Landbevölkerung des Nordostens“ berichtet, denn eine bessere Chance zur Lösung der klimatischen Krisen würden die „Kinder der gegeißelten Staaten“ nicht erleben.781 Pater Florentino Barbosa aus Paraíba hielt Epitácio Pessoa für den „einzigen Präsidenten, der jemals ernsthaft die Absicht verfolgt hat, die schrecklichen Auswirkungen der Dürren im Nordosten zu vermindern.“782 Tatsächlich brachten die Großprojekte der von Pessoa angeführten Regierung Bewegung in das Hinterland der Region. Straßen und Siedlungen für die Arbeiter und Ingenieure wurden gebaut. Automobile, Lastwagen und elektrisches Licht strahlten eine neue verlockende Lebensperspektive aus. Die euphorische Betriebsamkeit gab der Bevölkerung die Illusion von Fortschritt und vermittelte ein Trugbild vom Ende der Misere. In vollstem Vertrauen auf ein besseres Dasein wurde trotz der unbedeutsamen Löhne und der prekären Unterbringungen enthusiastisch gearbeitet. Alle Anweisungen der Ingenieure wurden strikt befolgt, zuversichtlich, bald für den eigenen Ackerbau von den Stauanlagen profitieren zu können.783 Epitácio Pessoa ließ in seinem öffentlichen Diskurs keinen Zweifel daran, dass die Dürrepolitik für das Volk konzipiert sei. In seiner ersten Kongressbot779 Pessoa, E., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 495 (Quelle IV.2.d-10). 780 Sá, P.e Cyrillo, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1; ders., „Os soffrimentos sertanejos“, in: A União vom 16.10.1915, S. 1 (Quelle IV.2.d-11; siehe auch Quelle III.1-05). 781 Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1 (Quelle IV.2.d-12). Zur großen Hoffnung, die in Epitácio Pessoa gesetzt wurde, siehe ebenso Kapitel III.5.e bzw. Quelle III.5.e-21. 782 Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União vom 19.4.1922, S. 1, ursprünglich in: A. B. C. (Rio de Janeiro), o. D., o. S. (Quelle IV.2.d-13). 783 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889-1945), 1994, S. 49, mit Bezug auf Barbosa, Orris, Secca de 32 (Impressões sobre a crise nordestina), Rio de Janeiro: Adersen-Editores, 1935, S. 21 f. (Quelle IV.2.d-14); Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, 1923, S. 337.

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schaft als Präsident erklärte er 1919 die Bekämpfung der Trockenheit zu einer der primären Herausforderungen seiner Amtszeit und bezog sich explizit auf die mittellosen Bevölkerungsschichten. Er nannte sein umfangreiches Nordostprogramm eine „Ehrenschuld gegenüber den armen Bewohnern des Sertão, welchen es an fast allem fehlt“.784 Den Beginn der nationalen Rettungsmaßnahmen in Folge der ‚Großen Dürre‘ von 1877–79 bezeichnete Pessoa in seiner Jahresansprache von 1921 als „aufrichtigen Eingriff des Staates zum Wohl der leidenden Bevölkerung“.785 Während er nahelegte, die staatliche Intervention sei den Massen zugutegekommen, waren die eigentlichen Auslöser und Empfänger der Regierungszahlungen die ‚neuen Opfer‘ der Trockenperioden aus den Reihen der Landbesitzer gewesen, wie in Kapitel  II nachvollzogen wurde. In derselben Rede hob Pessoa die gravierenden Konsequenzen der Klimaeinbrüche und das soziale Element der staatlichen Hilfen vor allem im Hinblick auf seine eigene Amtszeit deutlich hervor: „jene verheerende Dürre (...), welche zu Zeiten meiner Vorgänger einsetzte, in voller Härte aber in meiner Regierungsperiode ausbrach, als die Winterregen von 1919 auf 1920 ausblieben. Aus diesem Anlass gab ich die Befugnis zur Ausführung der unerlässlichen Schritte zur sofortigen Unterstützung der Bevölkerung des Nordostens, größtenteils durch den Bau von Straßen und Staudämmen.“786 Auch wenn Epitácio Pessoa offiziell die Dürrebekämpfung als moralische Frage einstufte, war seine Politik wesentlich ökonomisch geprägt.787 Dies kommt im Anschluss an die zitierte Passage zum Ausdruck: „Der unbedingte Fortgang der oben geschilderten Unternehmungen besteht im Ausbau der drei wichtigsten Häfen des Nordostens – in Fortaleza, Natal und Parahyba. Auf diese Weise wird die Verschiffung der Materialien gewährleistet, welche für die im Hinterland laufenden Arbeitsdienste benötigt werden. Außerdem wird die Infrastruktur bereitgestellt, welche der Handel – zukünftig durch die Bewässerungslandwirtschaft verstärkt – erfordern wird. (...) Hunger und Elend, die Produkte der Dürren, zeigen sich in der halbtrockenen Region aufgrund der klimatischen und sozialen Umstände am stärksten in den Bundesstaaten Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará. Daher konzentrieren 784 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.9.1919, in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 266 (Quelle IV.2.d-15, weitere Auszüge dieser Passage in IV.2.d-19 und IV.2.e-04). Siehe zudem Zitate von Laurita und Helena Pessoa, die das Werk ihres Vaters als „obra social“ und „speziell für die Armen“ klassifizierten. Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966 und Pessoa, Helena Sayão, Discurso em nome da família Epitácio Pessoa, 1966 (Hervorhebung im Original, Quellen I.2.b-01 und IV.2.d-15). 785 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 392 (Quelle II.1.a). 786 Ebd., S. 393 f. (Quelle IV.2.d-16). 787 Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd.  XVII), 1956, S. 232 (Quelle IV.2.f-07). Die gleiche Schlussfolgerung zieht Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 110.

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sich folgerichtig die Bemühungen zur Lösung des Problems auf jene Region“.788 Die Fokussierung der staatlichen Tätigkeiten auf Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará begründete Pessoa mit der dort vorhandenen kritischen klimatischen und sozialen Situation. Damit wollte er offensichtlich die direkte Ausrichtung der Regierungshilfen auf die arme Bevölkerung bekräftigen. Zugleich war die Zusage von staatlichen Leistungen für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen von wirtschaftlichen Überlegungen begleitet – einem stets vorzufindenden Merkmal des Dürrediskurses. Im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 versprach Epitácio Pessoa eine erhebliche Vergrößerung der ökonomischen Kapazitäten Brasiliens durch die „Auslöschung der Dürren im Nordosten“, da das Phänomen dem Land „wertvolle Menschenleben raubt und ergiebige Einkommensquellen versiegen lässt“.789 Seine Nordostpolitik ziele auf die „Wiederbelebung einer der Regionen mit dem größten Produktionspotential ab, wo der nationale Reichtum an immensen Einkünften zugewinnen wird“.790 Nach knapp einem Jahr seiner Amtszeit ließ Pessoa über Regierungssprecher Carlos de Campos im Parlament den Erfolg seiner Dürrepolitik verkünden. Erstmals seien aus den Opfern der Trockenperioden „produktive Elemente“ geworden, und zwar durch ihren Einsatz in den Arbeitsdiensten. Im offiziellen Jargon lautete es verheißungsvoll, sie verrichteten die staatlich organisierten Aktivitäten zu ihrem eigenen Besten, um eines Tages einen größeren Schutz vor den Trockenperioden genießen zu können.791 Ebenso gab Epitácio Pessoa zu verstehen, die Errichtung der Staudämme gehe Hand in Hand mit der Konstruktion von Bewässerungssystemen, ohne die ein ausgedehnter Lebensmittelanbau nicht praktizierbar war. Als Nutznießer führte er die von der Dürre betroffene Landbevölkerung an und nannte namentlich die Kleinbauern. Mit ihrem couragierten Eifer würden sie die Bewässerungsgebiete kolonisieren. Diese Oasen

788 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd.  XVII), 1956, S. 389; ders., „Mensagem presidencial por ocasião da abertura do Congresso, 3 de maio de 1921“, in: Gazeta do Norte vom 28.7.1921, auszugsweise abgedr. in: Castro, Therezinha de (Hg.), História documental do Brasil, Rio de Janeiro/São Paulo: Distribuidora Record, 19682, S. 293–295 (294) (Quelle IV.2.d-17). 789 Pessoa, E., Rede auf einem Bankett zu Ehren des offiziellen Präsidentschaftskandidaten Rodrigues Alves vom 23.10.1917 (im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 als Regierungsprogramm Pessoas genutzt), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 35–44 (39) (Quelle IV.2.d-18), im Zusammenhang der Dürrepolitik ebenfalls auf S. 265 f. 790 Ders., Botschaft an den Kongress vom 3.9.1919, in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 266 (Quelle IV.2.d-19). 791 Campos, Carlos de (São Paulo, Regierungssprecher unter E. Pessoa), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 83 (Quelle IV.2.d-20).

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sollten über das auszubauende Schienennetz auch den Menschen aus der entfernteren Umgebung als Zufluchtsort dienen.792 In der Realität blieb entgegen den Beteuerungen Epitácio Pessoas eine wirkungsvolle Orientierung an den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung aus. Im Anschluss an seine Regierung wurde ihm von einer Untersuchungskommission und Vertretern der neuen Staatsführung vorgeworfen, lediglich den Bau von Staudämmen, nicht aber von Bewässerungssystemen vorangetrieben und somit die eigentliche Versorgung der Bevölkerung vernachlässigt zu haben. Dem erwiderte Pessoa, es sei nicht zweckmäßig gewesen, mit diesen Arbeiten noch vor Abschluss der Fundamente und Grundmauern zu beginnen. Aus rein technischer Sicht hätten dies sogar seine Widersacher wie Senator Sampaio Correia aus dem Bundesdistrikt einsehen müssen.793 Der unter Pessoa tätige Leiter der Dürrebekämpfungsbehörde Arrojado Lisboa fügte dem hinzu, die Staubecken erfüllten unabhängig von Bewässerungskanälen ihre Hauptfunktion, denn in anhaltenden Dürrejahren boten sie den Menschen ein Refugium und verhinderten die Migration in die Küstenstädte. Neben der Fischzucht in den Stauanlagen decke die traditionelle cultura de vasantes den Bedarf an Lebensmitteln, welche bei rückgängigem Wasserstand (vazar) direkt auf dem schlammigen Boden angepflanzt wurden. Daraus folgerte Arrojado Lisboa, die Irrigation sei in der Anfangsphase zweitrangig, auch wenn sie für die wirtschaftliche Weiterentwicklung der Region unverzichtbar sei.794 Bezeichnenderweise nannte es auch Arrojado Lisboa – ganz im Sinne der Großgrundbesitzer – eines der zentralen Anliegen der Dürrepolitik, die Menschen im Sertão zu halten. Die Vorteile der Staudämme für die allgemeine Bevölkerung stellte er allzu optimistisch dar. Die cultura de vasantes konnte kaum den durch Bewässerungssysteme ermöglichten Nahrungsmittelanbau ersetzen. Darüber hinaus war ohne eine staatliche Regulierung der Wasser- und Landnutzungsrechte keine sozialgerechte Verteilung der verfügbaren Ressourcen zu erwarten, was einen grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Wandel vorausgesetzt hätte. Die von Arrojado Lisboa angesprochene ökonomische Transformation konnte die Situation dauerhafter Armut der Landbevölkerung 792 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1920 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 183 f. (Quelle IV.2.d-21). Siehe auch ders., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23 (Quelle IV.3.c-06). 793 Ders., Artikel (o. T.) auf Anfrage des Journalisten Francisco de Assis Chateaubriand (Umbuzeiro/Paraíba), in: O Jornal vom 15.3.1925, o. S., auszugsweise abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 148–159 (156, 158) (Quelle IV.2.d-22). Zu näheren Informationen siehe Kapitel IV.5.a. 794 Lisboa, Arrojado, Artikel (o. T.) auf Anfrage des Journalisten Francisco de Assis Chateaubriand (Umbuzeiro/Paraíba), in: O Jornal vom 17.3.1925, o. S., auszugsweise abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 152–163 (157) (Quelle IV.2.d-23).

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nicht verändern, solange die Agrarelite lediglich erreichen wollte, mit Hilfe des angestauten Wassers ihre Viehherden und Baumwollanpflanzungen zu retten.795 De facto bediente die Dürrepolitik Epitácio Pessoas, ebenso wie in den vorhergehenden Dekaden, die Interessen der dominanten Schichten.796 Allerdings kann nicht argumentiert werden, es seien keine Alternativen bekannt gewesen. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auf Strukturreformen ausgerichtete Lösungsansätze öffentlich diskutiert, insbesondere nach den fatalen Auswirkungen der Dürrekatastrophe von 1877–79. Hierzu zählen die bereits behandelten Studien von Guilherme Schüch und Giacomo Raja Gabaglia über die technische Modernisierung der Agrikultur und die Förderung handwerklicher Erwerbszweige.797 Auch aus der Zeit unmittelbar vor Beginn der politischen Karriere Epitácio Pessoas liegen Quellen vor, denen zufolge die Eigenständigkeit der Landbevölkerung gesteigert werden sollte, anstatt ihre Abhängigkeit weiter zu zementieren. Der Ingenieur Francisco Soares da Silva Retumba aus Paraíba übernahm zwar den verbreiteten Diskurs von der Trägheit der sertanejos, hatte aber offenbar auf seinen Reisen in die paraibanische Halbtrockenzone erfahren, dass sich dahinter nicht ein Charakterzug, sondern ein Mangel an Möglichkeiten verbarg. Zumindest empfahl er 1886: „Es wäre angebracht, der armen Bevölkerung einen erheblichen Anteil des Landes zu günstigen Sätzen zu verpachten, so dass alle arbeiten könnten. Dies würde nicht gewährleistet sein, wenn der Boden in den Händen von Privatbesitzern verbliebe, welche ohne Zweifel stärker auf ihre eigenen Vorteile als auf jene der Armen bedacht wären.“798 Aus dieser Beurteilung gehen deutlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – in erster Linie die Frage der Landverteilung – als Ursachen für die regionalen Probleme hervor. In der eingangs zitierten Rede benannte Epitácio Pessoa ebenfalls neben der Klimakomponente die „sozialen Umstände“ als Nährboden für die besondere Notlage im Hinterland des Nordostens. Er zog jedoch keinerlei reformerische Konsequenzen aus dieser Feststellung, sondern kehrte sie im selben Satz um und passte sie dem Aussagefeld des Dürrediskurses an, indem er „Hunger und Elend“ als „Produkte der Dürren“ erklärte, nicht etwa als Resultat der Gesellschaftsstrukturen.799 Es wäre mit seinem paternalistischen Po795 796 797 798

Die Wasser- und Landnutzung wird in den Kapiteln IV.3.b/c gesondert betrachtet. Diese Ansicht vertritt auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 204. Siehe oben und Kapitel III.4. Retumba, Francisco Soares da Silva, „Memória sobre os melhoramentos de que precisa a província da Paraíba, 1886“, in: Revista do IHGP (Parahyba: Imprensa Official), Bd. IV, Nr. 4 (1912), S. 163–228 (211 f.), auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 57 (Quelle IV.2.d-24). Zu Retumba siehe auch ebd., S. 55 f. und Ins­ tituto Histórico e Geográfico Paraibano (IHGP), Francisco Retumba (Cadeira No. 13), ihgp.net/socios.htm. 799 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921, in: Gazeta do Norte vom 28.7.1921, abgedr. in: Castro, Th. (Hg.), História documental do Brasil, 19682, S. 294 (Quelle IV.2.d-17).

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litikverständnis unvereinbar gewesen, der breiten Bevölkerung die Instrumente zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu überlassen und sie damit in größere Selbständigkeit zu entlassen. Mit Empathie und Wohlwollen sprach er von der Landbevölkerung, sofern es seine Argumentation im Parlament verlangte. Ansonsten griff er auf landläufige Stereotypen zurück und bezeichnete sie als unmündig, handlungsunfähig und führungsbedürftig, um ihre Bindung an die Oligarchie zu rechtfertigen. Diese Verzahnung von Paternalismus und politischer Opportunität prägte den Diskurs und das Handeln Epitácio Pessoas und machte aus der Bevölkerung den Spielball der oligarchischen Wirtschaftsziele.

e) Die ‚Dürre‘ als Wirtschaftsfaktor Die Baumwollproduktion in Paraíba – Motor der lokalen Ökonomie und Staatsführung

Die ständige Verknüpfung des Dürrethemas mit wirtschaftlichen Fragen im Diskurs Epitácio Pessoas ist kaum verwunderlich angesichts seiner Herkunft aus einer Familie der pernambucanisch-paraibanischen Agrarelite. In der gerade erst entstandenen Republik mussten sich die regionalen Oligarchien im Ressourcenwettkampf positionieren, so dass politische Repräsentation quasi ein Synonym von oligarchischer Interessenvertretung war. Das Hinterland des Nordens, aus dem Pessoa stammte, wurde von der Viehzucht und in Folge des Baumwollbooms der 1860er-Jahre vom „weißen Gold“ dominiert.800 Die Baumwollproduzenten hegten seit langem den Wunsch, das Schienennetz im Sertão zu erweitern, um durch schnelleren Transport ihre Ware zu verbilligen. Der cearensische Abgeordnete Antonio Pinto wies 1882 im Kongress auf die hochwertige Baumwolle seiner Provinz hin, deren Kultivierung sich allerdings aufgrund der abgeschiedenen Lage nicht rentiere. Er sagte voraus, dass mit der Verbesserung der Verkehrswege die ersprießliche Nutzpflanze zur primären Quelle des regionalen Wohlstands avancieren werde.801 Die auch in Paraíba äußerst beschränkten Transportmöglichkeiten ließen die dortigen Hersteller zum Absatz ihrer Ware auf die Märkte von Mossoró in Rio Grande do Norte und Recife in Pernambuco ausweichen, wodurch der paraibanischen Staatsverwaltung umfangreiche Steuereinnahmen verloren gingen. Dieser Zusammenhang erlangte besondere Bedeutung, nachdem die erste republikanische Konstitution 800 Zum „ouro branco“ und zur Baumwollwirtschaft siehe Souza, Eloy de (Pernambuco/ Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 703 f. sowie Kapitel II.2.a und II.3.c. 801 Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 537 (Quelle IV.2.e-01).

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von 1891 in ihrer stark föderativen Ausrichtung den Provinzen eine umfassende Steuerhoheit eingeräumt und ihnen zugleich eine große ökonomische Eigenverantwortung übertragen hatte.802 Um für die Weiterentwicklung der Infrastruktur dennoch zentralstaatliche Gelder zu erhalten, benutzten die regionalen Politiker die Dürre als Vorwand.803 Im August 1891 forderte Epitácio Pessoa im Parlament den Bau von Eisenbahnstrecken als gemeinnützige Form der Dürre­ hilfe für Paraíba.804 Zwei Monate später setzte er sich erneut für die Ausweitung des Schienennetzes in seiner Heimat ein. Es ging ihm ausdrücklich nicht um einen Anschluss an die Nachbarprovinz Pernambuco, sondern ans Landesinnere. Dies sei von vitaler Relevanz für den Fiskus seiner Provinz, deren Baumwollpflanzer es bisher vorzogen, ihre Produkte auf dem internationalen Markt von Recife anzubieten. Durch eine Eisenbahnverbindung zwischen dem paraibanischen Handelsplatz Campina Grande im Hinterland und der küstennahen Hauptstadt sollten sowohl der Warentransport als auch die fiskalische Kontrolle verbessert werden. Epitácio Pessoa stufte die Ausdehnung der Zugverbindungen in Paraíba als „lebensnotwendig“ ein, um die von der neuen Verfassung auferlegten wirtschaftlichen Pflichten zu erfüllen und die damit einhergehenden „fast unüberwindbaren Schwierigkeiten“ zu meistern.805 Die abrupte Verringerung des Weltmarktpreises Anfang der 1870er-Jahre hatte eine gravierende Krise des brasilianischen Baumwollexports verursacht.806 Wahrscheinlich dank der hervorragenden Qualität der langstapeligen Baumwolle Paraíbas waren die dortigen Ausfuhren von weniger einschneidenden Verlusten gezeichnet. Die weltweit einzigartige Güte der Pflanzen, die nur in den Hinterlandzonen wuchsen, genoss internationale Anerkennung. Die Trockenperioden von 1877–79 und 1888–90 trafen jedoch auch die paraibanische Produktion schwer. Andererseits trug das glaubwürdig und hartnäckig hervorgebrachte Argument der Dürrebekämpfung im Verlauf der Ersten Republik zur Anlegung eines staatsweiten, den Absatz steigernden Straßensystems bei, insbesondere unter der Regierung Epitácio Pessoas. Ein zweiter Baumwollboom von 1900 bis 1930 bewirkte das bisher größte Wirtschaftswachstum in der Geschichte Paraíbas und stellte die ökonomische Basis für den Machterhalt der Baumwolloligarchie aus dem Sertão dar, an deren Spitze in den Jahren 1912 bis 1930 die Familie Pessoa stand. Die Blütezeit der Baumwolle begünstigte indes nur eine schmale Schicht der Bevölkerung, denn die herrschende Oli­ 802 Siehe Kapitel III.5.e bzw. Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 18 f. und Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 27. 803 Siehe hierzu ebd., S. 36. 804 Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 335 (Quelle IV.2.d-04). 805 Ders., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 495 (Quelle IV.2.e-02). Zu den föderalistischen Neuerungen der Verfassung von 1891 siehe Kapitel III.5.e. 806 Nähere Angaben in Kapitel II.2.a.

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garchie nutzte die wirtschaftlichen und politischen Gewinne zum Ausbau der Exportinfrastruktur und zur Festigung ihres parteipolitischen Netzwerkes, nicht aber, um die Armut oder deren Ursachen zu bekämpfen.807 Vielmehr wurden diese im Rahmen des Dürrediskurses und der Dürrepolitik zur Förderung der Agrarwirtschaft instrumentalisiert. Während seiner Präsidentschaft erhielt Epitácio Pessoa im Nordosten großes Lob für die regionalen Hilfsmaßnahmen, die unter anderem die lang ersehnte Vervollständigung der Schienenstränge in Gang setzten. Zugleich löste jegliche Verzögerung der versprochenen Bauvorhaben in der paraibanischen Öffentlichkeit Besorgnis aus, wie die damaligen Presseberichte veranschaulichen. Die Gründe waren dieselben, die Epitácio Pessoa dreißig Jahre zuvor im Parlament vorgebracht hatte – durch den transportbedingten Warenabfluss zu Handelsplätzen der benachbarten Provinzen befürchtete man Verluste für die Kaufleute in der paraibanischen Hauptstadt. Der Klima-Aspekt erschien eher als nebensächlicher, wenn auch quasi obligatorischer Zusatz: „umso dringender, weil das Gebiet am stärksten unter der Plage der Trockenperioden leidet.“808 Einmal mehr wird an diesem Beispiel ersichtlich, dass es bei den Dürrearbeiten längst nicht allein um die Trockenheit ging, sondern um völlig klimaunabhängige Wirtschaftsfaktoren, etwa die interprovinzielle Handelskonkurrenz. Ähnlich verhielt es sich mit den Stauanlagen. Im offiziellen politischen Diskurs dienten die Reservoire dem Schutz der Bevölkerung vor der Dürre. Effektiv kamen sie – wie schon beschrieben – vor allem der Viehzucht und der Baumwollproduktion zugute, welche in den 1920er-Jahren erheblich ausgeweitet wurde.809 Baumwolle benötigt keine außerordentlich nährstoffreichen Böden, lediglich eine hohe Wasserversorgung in der Wachstumsphase. Dank der Stauanlagen konnte dieser Bedarf gedeckt werden. Durch landwirtschaftliche Förderprämien und Agrarkredite zugunsten der Baumwollplantagen gedieh im Zeichen der staatlichen Dürrebekämpfung das Latifundium.810 Der Zensus von 1920 bringt eine klare Disproportion der Besitzverhältnisse in Paraíba zum Vorschein. Während die Mehrheit der Landbesitzer (65 %) über einen geringen Teil des Bodens (11,4 %) in Form von kleinen Parzellen (durchschnittlich 35  ha) verfügte, besaßen 641 Großgrundbesitzer (3,5 %) fast die Hälfte (44 %) der Gesamtfläche (im Mittel jeweils 2577 ha). 807 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 68 f., 79 f., 101, 274. Die Patronage wird in den Kapiteln IV.4.c/e thematisiert. 808 Gaudencio, José, „Serviços publicos das sêccas“, in: A União vom 28.12.1921, S. 1 (Quelle IV.2.e-03). 809 Siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 97 f. und Kapitel III.4, III.5.c und IV.2.d. 810 Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 236; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 37.

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Die verbleibenden 44,6  Prozent der Ländereien befanden sich im Besitz von 31,5  Prozent der Ackerbauern mit einer durchschnittlichen Anbaufläche von 289 Hektar.811 Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Familie im semi-ariden Hinterland mit geringwertigem Boden und ohne eigene Wasserquelle ein Landstück von mehr als 100 ha benötigte, um auch Zeiten anhaltender Dürren überstehen zu können.812 Entsprechend der beschriebenen Besitzstruktur brachten die latifundistischen Baumwoll- und Viehzuchtbetriebe der Provinz die meisten Erträge ein. Der Anteil der Baumwollsteuern an den Staatseinnahmen Paraíbas vervierfachte sich in der Ersten Republik. Von 21,1  Prozent im Jahr 1895 stieg er auf 35,9  Prozent im Jahr 1905, um innerhalb von nur vier Jahren auf ganze 71,9 Prozent hochzuschnellen und sich mit 79,2 Prozent im Jahr 1921 noch einmal zu steigern.813 Diese Zahlen machen zum einen das fiskalische Interesse der Provinzverwaltung an dem Wirtschaftszweig verständlich und demonstrieren zum anderen die Rentabilität der staatlichen Unterstützung. Ganz im Einklang mit ihrer personellen und meist familiären Bindung begünstigten sich Politiker und Produzenten gegenseitig. Das geschlossene System ihrer politischökonomischen Tätigkeit sicherten sie durch ihren Diskurs nach außen ab, der neben rein wirtschaftlichen Argumenten stets auf die Dürre bauen konnte. Eine überzeugende Rechtfertigung der staatlichen Ausgaben war gerade in Zeiten knapper Ressourcen wie in der zweiten Dekade des 20.  Jahrhunderts unumgänglich. Zusammenhang von Wirtschafts- und Dürrepolitik der Regierung ­Epitácio Pessoa

Bei seinem Amtsantritt als Präsident der Republik sah sich Epitácio Pessoa mit einer schwierigen Haushaltslage konfrontiert. Er übernahm 1919 die Regierung mit einem erheblichen Staatsdefizit von mehr als einer Million Contos aus den Jahren 1914–18.814 Aufgrund des Ersten Weltkriegs war zudem die industrielle 811 Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Recenseamento do Brasil: 1920, Bd. III: Agricultura, 1. Teil, Rio de Janeiro: Typ. da Estatística, 1923, abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 38. 812 Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 41. 813 IBGE, Recenseamento do Brasil: 1920, 1923; Tavares, João de Lyra, A Parahyba, Paraíba do Norte: Imprensa Oficial, 1910, S. 345–358; Almanach da Parahyba, 1911, S. 631 f.; Almanach da Parahyba, 1922, S. 350, alle zit. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 37–39. 814 Zum Vergleich: Die bewilligten Gelder für Pessoas Nordostprogramm beliefen sich auf 200.000 Contos für fünf Jahre. Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23. Die Erträge

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Entwicklung stark verzögert worden, weil die erforderlichen Investitionsgüter nicht auf dem internationalen Markt bezogen werden konnten. Angesichts der rudimentären Binnenindustrie mussten in der damaligen Zeit praktisch sämtliche Kapitalgüter und vor allem Materialien und Transportmittel für das Verkehrswesen importiert werden. Folglich stiegen die Einfuhren nach Ende des Krieges rasant an und brachten eine überproportionale Verminderung des Staatsbudgets mit sich, zumal die vorherige Regierung durch die inflationäre Emission von Papiergeld einen für den Import ungünstigen Wechselkurs herbeigeführt hatte. Die Handelsbilanz wurde außerdem durch eine rückläufige Auslandsnachfrage nach Kaffee und somit durch sinkende Einnahmen des wichtigsten brasilianischen Exportprodukts belastet. Darüber hinaus forderten Beamte und Militärs beachtliche Gehaltserhöhungen. Es blieb Epitácio Pessoa nichts anderes übrig, als auf diese Situation mit einer rigorosen und kaum populären Sparpolitik zu reagieren.815 In seiner ersten Präsidentenbotschaft vom 3.  September 1919 kündigte Epitácio Pessoa einen strikten Sparkurs an, wobei er „vitale Sektoren für die Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung“ ausschloss. Konkret nannte er „die militärische Verteidigung, die Sanierung des Hinterlands und die AUSLÖSCHUNG DER DÜRREN IM NORDEN“. In diesen Gebieten müssten „wahrhafte Opfer“ gebracht werden.816 An welchen Bereich er dabei besonders dachte, wird durch die aus seiner Feder stammenden Majuskeln augenscheinlich. Während die Kritiker des von Pessoa anvisierten Dürreprogramms an sein Gelöbnis zur allgemeinen Budgetrestriktion erinnerten und die Vorhaben für ungebührlich hielten, entgegneten die Vertreter des Nordostens, der Präsident habe sich lediglich verpflichtet, überflüssige Ausgaben zu bekämpfen. Schließlich könne man die Bevölkerung nicht verhungern lassen und dürfe nicht wie in der Vergangenheit durch ineffiziente Maßnahmen Regierungsgelder verschwenden.817 Dass trotz des desolaten Staatsetats das umfangreichste und teuerste Inaus dem Kaffeehandel summierten sich damals in vier Jahren auf fast vier Millionen Contos. Espinola, Toscano, „Epitacio Pessôa. Conferência realizada pelo Desembargador Toscano Espinola, na Casa da Parahyba, no dia da data natalícia do eminente estadista brasileiro“, Teil II, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 6.7.1952, o. S. 815 Ebd.; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 228, 233; Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 109 f. Weitere Ausführungen zum Kaffee, der während der Ersten Republik einen Anteil von 60  % am brasilianischen Gesamtexport hielt, in Kapitel III.5.e. 816 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.9.1919, in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 266 (Hervorhebungen aus dem Original) (Quelle IV.2.e-04; vgl. auch Quellen IV.2.d-15/18/19). Siehe hierzu auch ders., „A verdadeira noção de economia“, in: ders., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 226 f. 817 Valladares, Francisco (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 156, mit Bezug auf die Antrittsrede Epitácio Pessoas vom 3.9.1919; Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), ebd., S. 160, 163 (Quelle IV.2.e-05).

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vestitionspaket aller Zeiten für den Nordosten geschnürt werden konnte, war im Wesentlichen drei Aspekten zu verdanken – dem politischen Taktieren Epitácio Pessoas mit den einflussreichen Repräsentanten aus der Kaffee-Region São Paulo, der Trockenperiode seines ersten Amtsjahres und dem erfolgreich eta­ blierten Dürrediskurs. Bevor in späteren Unterkapiteln die beiden ersten Punkte durchleuchtet werden, soll zunächst die bereits skizzierte Verbindung von Dürre und Wirtschaft im Diskurs Epitácio Pessoas näher untersucht werden. Schon 1891 äußerte Pessoa im Parlament seine Ansicht, die Dürre sei für die Armut und die wirtschaftliche Rückständigkeit im Norden verantwortlich.818 Die von ihm vorgeschlagenen Projekte, um die Dürreopfer zu beschäftigen und vor dem Hunger zu bewahren, förderten zugleich Handel, Landwirtschaft und öffentliche Verwaltung. Er plädierte für die Ausweitung des Telegraphen- und Schienennetzes sowie den Bau von Stauanlagen und sprach dabei von einem Nutzen für die gesamte Bevölkerung.819 Der technische Fortschritt sollte in einer Art „trickle-down“-Effekt820 der „Streuung des öffentlichen Reichtums und Wohls“ dienen, wie es ein cearensischer Amtskollege formulierte.821 Umgekehrt nannte Epitácio Pessoa in einer Botschaft an den Kongress vom 19. September 1919 den Tod der seit 1877 „mehr als einer Million Dürreopfer“ einen „kolossalen Verlust an Wirtschaftskräften“.822 Das wiederholte Massensterben („hecatombes“) zu beenden, bedeute, „der Nation die Einbuße dieser Wirtschaftskräfte von höchstem produktiven Leistungsvermögen zu ersparen“.823 Die Dürrepolitik war folglich eine Form der Wirtschaftsförderung. In seiner Jahresansprache von 1921 betonte er demgemäß die „wirtschaftliche Relevanz der Dürrebekämpfung“.824 Er bezeichnete die Trockenheit als „ein Problem, dessen Bewältigung durch die wertvollsten Wirtschaftsinteressen auferlegt ist“ und ihre „Auslöschung“ als eine der „ertragreichsten Komponenten für den materiellen Wohlstand Brasiliens“. Die Bewässerung des Nordostens werde dort „unermessliche Schätze für den nationalen Reichtum hervorbringen“.825 Epitácio Pessoa förderte auch die im Zusammenhang des Volksdiskurses thematisierte Vorstellung, die Regenmonate bescherten den Menschen im Norden „Perio818 Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 335 (Quelle IV.2.e-06). 819 Ebd., S. 333–335 (Quelle IV.2.e-07). 820 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 111. 821 Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 874 (Quelle IV.2.e-08). 822 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 21 (Quelle IV.2.b-07). 823 Ebd., S. 19 (Quelle IV.2.e-09). 824 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 392 (Quelle IV.2.e-10). 825 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 232 f.; ders., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1 (Quelle IV.2.e-11).

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den der Fülle und des Überflusses“, als existierte die chronische Armut nicht.826 Von seinem ersten Jahr als Parlamentarier bis zur Präsidentschaft rühmte er den „fruchtbarsten Boden in ganz Brasilien“, „geeignet für alle Anbaukulturen“ und von „größter Produktivität“ gekennzeichnet.827 Auf diese Weise konnte er die Investitionen in progressive Techniken für die Region zusätzlich legitimieren. Fortschritt durch Dürre: Modernisierung unter dem Deckmantel der Dürrebekämpfung

Die Dürre war eine erschöpfend unerschöpfliche Metapher, um die Bedürfnisse der nordostbrasilianischen Agrarelite zu vermitteln. Sie war besorgt über die ‚Dürre‘ der Infrastruktur, Technologie und Arbeiterkontingente und suchte die Lösung in der Dürrebekämpfung.828 Die Anlegung neuer Straßen, Schienen und Häfen wurde als Rettung der im Sertão von der Trockenheit bedrängten und von der Lebensmittelzufuhr abgeschnittenen Bevölkerung angeführt. Zugleich, wenn nicht zuerst, zielten die Maßnahmen auf die Dynamisierung des Marktes und die Integration in die nationale und internationale Wirtschaft ab. Die verbesserten Kommunikations- und Verkehrswege halfen zudem, die Steuereintreibung effizienter zu gestalten und den Bedarf an saisonalen Arbeitskräften zu sichern. Sogar die Zuckeroligarchie, die in den küstennahen Gebieten nicht direkt unter der Trockenheit zu leiden hatte, begründete mit dem Naturphänomen Staatszuschüsse für die Modernisierung ihrer Produktionsstätten. In Paraíba kamen die Subventionen in erster Linie den Baumwollpflanzungen im Hinterland zugute, deren gesellschaftlichem Umfeld Epitácio Pessoa seine juristische und parlamentarische Laufbahn und seinen politischen Rückhalt verdankte. Da er das Wirtschaftswachstum als Mittel zur Dürrebekämpfung einstufte, sah er keinen Widerspruch darin, die Hilfsgelder an die coronéis der dominanten Agraroligarchie zu verteilen. Dieses – später näher zu betrachtende – System der Patronage festigte das Fundament seiner paraibanischen Herrschaft und war Voraussetzung, um sich auf nationaler Ebene in den Haushaltsdisputen zu behaupten.829 In diesem Kontext und eng verbunden mit den wirt826 Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 335 (Quelle IV.2.e-12). 827 Pessoa, E., zit. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 10.5.1921, S. 1; ders., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494; ders., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 392 (Quelle IV.2.e-13). Vgl. auch Quelle IV.2.b-07. 828 Albuquerque, im Interview mit Tim Neufert, 19.11.2004. 829 Ders., Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 317–319; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 111, 339; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 202. Zur Patronage, zur „konservativen Modernisierung“ und zur politischen Bedeutung sowie staatlichen Förderung der Baumwolloligarchie siehe Kapitel IV.2.e und IV.4.c/e.

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schaftlichen Erwartungen innerhalb des Dürrediskurses, spielte der Aspekt der zentralstaatlichen Vernachlässigung der Region eine herausragende Rolle und wurde vor allem im Kontrast zur privilegierten Stellung des Südens immer wieder im Parlament aufgezeigt.

f) Nationale Geometrie des Interessenausgleichs zwischen ­Norden und Süden Interregionale Diskrepanz der staatlichen Wirtschaftsförderung

Der beeindruckende ökonomische Aufstieg São Paulos führte den Repräsentanten des Nordens vor Augen, welche Faktoren für die industrielle Entwicklung maßgeblich waren: Straßen, Eisenbahnen, Häfen und Arbeitskräfte, insbesondere Immigranten, die Initiative ergriffen und technische Kenntnisse mitbrachten (im Fall São Paulos waren es neben europäischen überwiegend japanische Einwanderer).830 Auf diese Elemente wollten die nördlichen Oligarchien ebenfalls bauen können, um zur einstigen Größe in der nationalen Wirtschaft und Politik zurückzukehren. Schon als 25-jähriger Abgeordneter erhob sich Epitácio Pessoa im Kongress gegen die ungleiche Macht- und Ressourcenverteilung, die von einer geringen Anzahl an Staaten des Südens bestimmt werde und die Belange der im Norden angesiedelten Mehrheit der Provinzen unberücksichtigt lasse.831 Im August 1891 nutzte Pessoa die nationale politische Tribüne, um Regierungshilfen für die Bevölkerung dieser „systematisch vom Staat vergessenen und vernachlässigten Region“ einzufordern. Als Beispiel führte er an, dass Paraíba eine der wenigen Provinzen ohne Telegraphenverbindung ins Hinterland sei. Sein Gesuch um Staatsfinanzierung rechtfertigte er mit der Dürre und dem von der Verfassung garantierten Katastrophenschutz.832 Zwei Monate darauf trug er das Anliegen aufs Neue im Parlament vor. Seine Heimat sei von den Regierungen des alten Regimes „systematisch vernachlässigt“ und „geradezu mit Verachtung behandelt worden“, da sie als kleine Provinz nicht über eine numerisch hohe Vertretung in den politischen Entscheidungsgremien verfügte. In der Republik werde Paraíba nun mit derselben „eklatanten Ungerechtigkeit und verruchten Nachlässigkeit zurückgewiesen, während andere, florierendere und fortschrittlichere Gliedstaaten ausgiebige favores erfahren“. Im Hinblick auf die Kaiserzeit 830 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 231. 831 Pessoa, E., Parlamentsrede vom 29.12.1890 (Obras completas, Bd. I), 1955, S. 2 f., 6 (Quelle IV.2.f-01). 832 Ders., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 (Quelle IV.2.f-02).

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erklärte er dies mit der „erdrückenden Zentralisierung der Regierung in Rio de Janeiro, die sich erst jenes Fragments der brasilianischen Gemeinschaft erinnerte, wenn Hunger und Elend es bereits ins Grab rissen“. Und selbst dann seien ihm nur die „Krumen zugeworfen worden, die von der kriminellen Verschwendung übrigblieben“.833 Pessoa fuhr mit einem direkten Vergleich zwischen den beiden Regionen fort: „Die Staaten des Südens, überflutet von der Einwanderungswelle aus dem Ausland und reich an materiellen Verbesserungen, sind aufs Beste gerüstet, um als autonome Organismen im neu eingeführten föderativen Regime zu bestehen. Die Staaten des Nordens, von der öffentlichen Hand vergessen und in wahrhaftem Stillstand und Rückstand begriffen, entbehren aller unabkömmlichen Bestandteile für ihre Entwicklung und ihren Wohlstand.“834 Nachdem die Erweiterung des paraibanischen Schienennetzes vom Kongress abgelehnt worden war, beschrieb Pessoa die seiner Ansicht nach ungerechte Distribution des Agrarhaushalts mit folgenden Worten: „Die gut versorgten Staaten erhalten viel, die in ihrer Organisation geschwächten wenig; die einen alles, die anderen nichts. (...) Meinem Staat wurde verweigert, was vielen anderen in größerem Ausmaß gewährt wurde.“835 Weiterhin argumentierte er, dass gerade den „verarmten Provinzen wie Paraíba – als einer der bisher am stärksten vernachlässigten – umso freigiebiger die Mittel bereitgestellt werden müssen, auf die sie Anspruch haben.“836 Während der schweren Trockenperiode von 1915 warf Senator Epitácio Pessoa den Politikern des Südens vor, keine Gefühle angesichts der Not im Nordosten zu haben.837 Zwei Jahre später wehrte er sich gegen Misstrauen und Missgunst aus dem Süden gegenüber den Dürrehilfen, indem er abermals die Unverhältnismäßigkeit des regionenspezifischen Staatsengagements anprangerte: „Mehr, sehr viel mehr als dies wurde für weniger vitale Interessen an anderen Orten des brasilianischen Territoriums ausgegeben. Unendlich mehr Wert für die nationale Prosperität hatten jedoch die Menschen und Güter, die im glühenden Ofen der grausamen Geißel verschwanden.“838 In dieser Rede vom 23. Oktober 1917, die im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 als Regierungsprogramm verwendet wurde, verurteilte Epitácio Pessoa eine potentielle „Entzweiung unseres wunderbaren Vaterlands“. Seine Vorstellung von einer An833 Ders., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494 (Quelle IV.2.f-03). 834 Ebd. (Quelle IV.2.f-03). 835 Ebd., S. 495 (Quelle IV.2.f-03). 836 Ebd., S. 494 (Quelle IV.2.f-03). 837 Ders., „Obras contra as secas“, Senatsrede vom 29.11.1915 (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 376 (Quelle IV.2.f-04). 838 Ders., Rede vom 23.10.1917, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd.  XXI, Teil  1, 1957 (19251), S. 39; im Zusammenhang der Dürrepolitik ebenfalls abgedr. auf S. 265 (Quelle IV.2.f-05).

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näherung der „beiden großen geographischen Teile der Republik“ fiel deutlich zugunsten seiner heimatlichen Gefilde aus: „Der politischen Führung Brasiliens kommt es zu, im Sinne einer gerechteren Zuteilung ihrer Fürsorge die Motive für Unzufriedenheit und Beschwerden zu beseitigen. Den Geist von Gleichheit und Gerechtigkeit, auf welchen die Einheiten einer Föderation ein Anrecht haben, hat es in der Vergangenheit unter den Regierenden nicht gegeben. Um dies bestätigt zu sehen, genügt es, die Gegebenheiten des Schienennetzes, der Telegraphen- und Postdienste, der Einwanderung und der landwirtschaftlichen Begünstigungen in den beiden Regionen zu vergleichen, die in keinem Verhältnis zu ihrer jeweiligen Fläche, Bevölkerung und fiskalischen Beteiligung am Staatshaushalt stehen.“839 Als Präsident der Republik wies Epitácio Pessoa 1921 in seiner Jahresansprache an den Kongress darauf hin, dass vor seiner Amtsperiode angesichts der „spärlichen Etats“ die Rettung des Trockengürtels auf Basis der Bewässerungslandwirtschaft unmöglich gewesen war.840 Mit diesen Worten tadelte er indirekt all jene Kongressmitglieder, die der Unterstützung für den Nordosten von jeher skeptisch gegenüberstanden, d.h. vorrangig die Vertreter aus dem Süden. An die „undankbare Nation“ und die „herzlosen“ Gegner seiner Dürrepolitik gewandt, nannte er die frühere Tatenlosigkeit hinsichtlich der Probleme in den Trockengebieten ein „Jahrhundertverbrechen“ und deren Lösung eine nationale moralische Pflicht. Seine umfangreichen Pläne für die Region bezeichnete er folglich als ein „Werk der Wiedergutmachung dieser skandalösen Ungerechtigkeit“.841 Um die Zustimmung zu den Dürrebekämpfungsprojekten zu erlangen, legten die Repräsentanten des Nordostens das wichtigste und zugleich empfindlichste Absatzprodukt des Südens – den Kaffee – in die Waagschale der nationalen Wirtschaftsförderung und stellten ihm das zwingendste Argument ihrer Bedürftigkeit gegenüber – die Kadaver der Dürrekatastrophen. Die politische Nord-Süd-Struktur: Dürre versus café-com-leite

Das Verhältnis zwischen den Staaten des Südens und Nordens war von zahlreichen Konflikten und gegenseitiger Kritik, aber ebenso von bedeutsamen und strategisch ausgefeilten Kompromissen geprägt. In Kapitel III.5.e wurde bereits der sowohl für die Zerwürfnisse als auch für die Zusammenarbeit exemplarische 839 Ebd., S. 39 f. bzw. 265 f. (Quelle IV.2.f-05). 840 Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd.  XVII), 1956, S. 387 (Quelle IV.2.f-06). 841 Ders., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, auszugsweise abgedr. in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 299; ders., „A mensagem presidencial“, in: A União vom 10.5.1921, S. 1 (Quelle IV.2.f-07).

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Fall des Kaffee-Protektionismus São Paulos vorgestellt. Hintergrund war die außerordentliche Machtausdehnung der Kaffeeprovinz in der Ersten Republik. Die wirtschaftliche Vorherrschaft São Paulos war schon im Kaiserreich evident geworden, doch politisch hatten sich die paulistas in den zentralen Staatsorganen unterrepräsentiert gefühlt. Daher war die republikanische Bewegung gerade von ihnen vorangetrieben und die erste Verfassung mit einer dezidiert föderativen Struktur versehen worden. São Paulo hatte alles daran gesetzt, den neuen Gliedstaaten der Republik eine hohe Autonomie zu sichern, um auf diesem Weg den politischen Einfluss Rio de Janeiros zu vermindern und die eigene Kontrolle über die Staatsfinanzen zu vergrößern. Die Rechnung ging auf, und São Paulo wurde zum unbestrittenen Wachstumsmotor Brasiliens. Im Verlauf der Ersten Republik öffnete sich die Schere zwischen Süden und Norden hinsichtlich politischer Dominanz und wirtschaftlicher Entwicklung immer weiter. Mit Prudente de Morais gewann am 1.  März 1894 ein Repräsentant der Kaffeeoligarchie São Paulos die ersten direkten Präsidentschaftswahlen. Auch während der nächsten beiden Amtsperioden standen paulistas an der Spitze der Zentralregierung – Manuel Ferraz de Campos Sales (1898–1902) und Francisco de Paulo Rodrigues Alves (1902–06). Aus Stabilitätsgründen wurde 1906 der zweitstärkste Staat Minas Gerais in das nun alternierende Herrschaftssystems des café-com-leite eingebunden und Afonso Pena (1906–09) zum Präsidenten gewählt. Unterdessen baute São Paulo seine ökonomische Überlegenheit im Zuge des einsetzenden Industrialisierungsprozesses weiter aus. Je unumstößlicher sich die Hegemonie der Kaffee-Oligarchien auf nationaler Ebene etablierte, umso mehr verschärfte sich der interregionale Streit um das Staatsbudget.842 Als Anfang des 20.  Jahrhunderts der Kaffee auf dem Weltmarkt in eine tiefe Absatzkrise geriet, wurden mit dem Valorisationsabkommen von Taubaté im Jahr 1906 die Aufwertung des Produkts und die Stabilisierung des für den Export essentiellen Währungskurses zu den tragenden Achsen der republikanischen Wirtschaftspolitik.843 Die Abgeordneten des Nordens nutzten die Situation für sich aus und machten in den folgenden Jahren aus dem Kaffeehandel einen Kuhhandel. Betont großmütig signalisierten sie ihr Einverständnis für die kostspielige Stützung der Kaffeepreise und erwarteten im Gegenzug die legis842 Bernecker, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 210; Zoller, ebd., S. 219, 231; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 271; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 125; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 228; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 281 f. Siehe Kapitel III.5.e zu café-com-leite (São Paulo: Kaffee; Minas Gerais: Milch/Viehwirtschaft; Rio Grande do Sul: Mitspracherecht seit Präsidentschaft Hermes da Fonsecas, 1910–14). 843 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 227; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 50 f., 171. Zum Abkommen von Taubaté und zur Kaffeestabilisierung siehe Kapitel III.5.e.

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lative Bewilligung ihrer Gesetzesvorhaben zur Dürrebekämpfung.844 Im Süden zeigte man sich wenig erstaunt über den gefälligen Beistand, schließlich seien es die Steuereinnahmen der Kaffeeproduktion, von denen die „ebenso zahlreichen wie unproduktiven Dürreposten der Nord-Oligarchien bezahlt werden“.845 Die politischen Vertreter des Trockengürtels setzten indes in ihrem aufwühlenden Diskurs auf eine makabere Symbolik, in welcher sie die Toten als ihre „einzigen Garanten“ klassifizierten, um eine mit dem Kaffee-Protektionismus vergleichbare Förderung einzuklagen: „Unsere Wirtschaftsgrundlage ist nicht der Kaffee, unser Fundament ist das Humankapital – die Kadaver, die Skelette!“846 Die Bemühungen um einen wirtschaftspolitischen Ausgleich zwischen den Kaffee- und Dürreprovinzen wurden dank der Staatsführung Epitácio Pessoas (1919–22) von besonderem Erfolg gekrönt. Mittlerweile hatten die Konsequenzen des Ersten Weltkriegs die Nachfrage nach dem Luxusgut Kaffee noch drastischer absinken lassen. Der damit einhergehende Preisverfall, welcher bis in die Amtszeit Epitácio Pessoas die Erträge in dem Sektor empfindlich reduzierte, wirkte sich auf die Valorisationspolitik der nächsten zehn Jahre aus. Während das Taubaté-Abkommen 1906 von São Paulo initiiert und durchgesetzt worden war, wurde 1917 das Programm zur Aufwertung des Kaffees von Anfang an von der Zentralregierung unterstützt, obschon deren Oberhaupt Wenceslau Braz (1914–18) aus Minas Gerais stammte. Unter der Präsidentschaft Epitácio Pessoas ging die Finanzierung 1921 ganz auf den Staatshaushalt über. Pessoa war sich der politischen Schwäche seiner Heimatregion im Kongress bewusst und suchte daher den Rückhalt der drei großen Provinzen, die ihn an die Macht gebracht hatten.847 Die Wahl seiner Minister war hierfür symptomatisch: São Paulo erhielt das Außenministerium sowie das Verkehrs- und Bauministerium, Minas Gerais das Kriegs- und Marineministerium, Rio Grande do Sul das Finanz- und Agrarministerium. Die Gunst des republikanischen Riesen São Paulo

844 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 108  f. (Quelle IV.2.f-08). 845 Lacerda (Rio de Janeiro), ebd., S. 109 (Quelle IV.2.f-09). Das Konkurrenzverhalten zwischen Politikern des Südens und Nordens wurde auch vom damaligen US-Gesandten Lorillard festgehalten. Siehe hierzu Lorillard, G. L., „Lorillard to Root“, Bericht vom 4.2.1907, in: Brazilian Dispatches. National Archives of the United States of Ame­ rica. General Records of the Department of State, Bd. 120, Nr. 103, Washington, D. C., abgedr. in: Burns, History of Brazil, 1970, S. 220. 846 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 115  f. (Quelle IV.2.f-10). 847 Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd.  XXI, Teil  1), 1957 (19251), S. 33 (Quelle IV.1.c-01); Burns, History of Brazil, 1970, S. 255, 261; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 110; Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 227; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 93 f., 102.

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sicherte sich Pessoa darüber hinaus durch die Kaffee-Stabilisierung, die er in seinem Diskurs vielmals in Zusammenhang mit der Dürrebekämpfung setzte.848 Sowohl die Kaffee- als auch die Dürrepolitik erreichten in der Regierungsperiode Epitácio Pessoas ihren Höhepunkt, zumal sein Nachfolger Artur Bernardes aus Minas Gerais beiden den Anspruch auf nationale Federführung versagte. Bernardes übertrug im Rahmen seiner Sparmaßnahmen 1924 die Verantwortung für die Kaffeevalorisation wieder São Paulo und stoppte fast vollständig die Bauvorhaben zur Linderung der Trockenheit.849 Daran zeigt sich die Relevanz der politischen Konjunktur für die Realisierung der Dürrepläne im ausgesprochen personalistischen Präsidentialismus Brasiliens. Ohne einen nordestino als Staatschef hätte 1919–22 nicht das bei weitem umfangreichste Nordostprojekt aller Zeiten in die Wege geleitet werden können. Angesichts der Herkunft Pessoas aus einer sekundären Provinz wäre dies ebenso wenig ohne dessen Zugeständnisse an São Paulo möglich gewesen. Die Kaffee-Oligarchie ging im Ringen um die staatlichen Ressourcen nach einer zweigleisigen Strategie vor. Zum einen hob sie die Veruntreuungsskandale rund um die Dürregeschäfte hervor und übte auf diese Weise Druck auf Epitácio Pessoa aus;850 zum anderen spannte sie ihn in ihr Kaffeeprogramm ein.851 Pessoa wusste die politische Konstellation zu seinem Vorteil auszurichten und seinen Beitrag zur Kaffee-Stabilisierung gewinnbringend zu vermarkten. Bei seinem Staatsbesuch in São Paulo im August 1921 nannte er die Kaffeevalorisation ein „patriotisches Werk“ zugunsten Brasiliens und führte zugleich die Dürrebekämpfung als ebenbürtige Angelegenheit nationalen Interesses an.852 Einer der Gastgeber, Carlos Leoncio Magalhães, brachte seine „unendliche Dankbarkeit für den unschätzbaren Dienst des Präsidenten“ zum Ausdruck, fügte aber sofort hinzu, dass es sich bei der „großen Provinz des Südens“ immerhin um die „wichtigste der Föderation“ handle. Auch wenn er den Ausspruch des höchsten Staatsmannes aufgriff und die Entwicklung im Nordosten als „einen der fruchtbarsten Faktoren für den wirtschaftlichen Wohlstand Brasiliens“ bezeichnete, wirkte in seiner Formulierung die Gegenüberstellung der „beiden Säulen“ der Regierungspolitik Epitácio Pessoas geradezu sarkastisch – auf der einen Seite der „produktive Überfluss“ São Paulos, auf der anderen Seite das „Leid der Dürre“.853 848 Siehe hierzu auch Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 47 f. 849 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 227. Das Ende des Dürreprogramms von Epitácio Pessoa wird in Kapitel IV.5.a geschildert. 850 Siehe Kapitel IV.4.d. 851 Silveira, Rosa, „Apresentação“, in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 11. 852 Pessoa, E., indirekt zit. in: „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1 (Quelle IV.2.f-11). 853 Magalhães, Carlos Leoncio, zit. in: „A viagem do Presidente Epitacio a São Paulo“, in: A União vom 27.8.1921, S. 1, ursprünglich erschienen unter dem Titel „Presidente em São Paulo“, in: O Dia (Rio de Janeiro), o. D., o. S. (Quelle IV.2.f-12).

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Die im offiziellen Diskurs konstatierten Solidaritätsbekundungen der paulistas und ihre öffentlich manifestierte Begeisterung für die Dürrebekämpfungsmaßnahmen854 wären vermutlich weniger überschwänglich ausgefallen, hätte der aus dem Nordosten stammende Präsident nicht unmissverständlich die Kaffee- und Dürrehilfen gekoppelt. Während seines Aufenthalts in São Paulo nutzte Epitácio Pessoa jede Gelegenheit, Kapital aus der Kaffeepolitik zu schlagen und die direkte Verflechtung von Kaffeesubvention und Dürregeldern ins Bewusstsein seiner Gastgeber zu prägen, als gebe es hierüber keinen Zweifel, als sei dieser Nexus von ihnen selbst hergestellt worden: „Bemerkenswert, dass ich seit meiner Ankunft in São Paulo im Munde aller Redner diese beiden Aspekte eng verbunden fand: die Aufwertung des Kaffees und die Dürren des Nordostens. Dies bedeutet, dass Ihr sie in Eurem Geist vereint, nicht als regionale Probleme, sondern als nationale Fragen.“855 Epitácio Pessoa sollte mit seiner demonstrierten Zuversicht mittel- und langfristig nicht recht behalten. Ein erstes Anzeichen mag gewesen sein, dass São Paulos Gouverneur Washington Luís bei einem Bankett zu Ehren des hohen Besuchs die Kaffeestabilisierung der Regierung Pessoa lobte, die Dürrepolitik hingegen nicht einmal erwähnte.856 Der Kaffee-Süden tolerierte die neue Aufmerksamkeit für die Heimat des Staatsoberhauptes, allerdings nur notgedrungen und lediglich für die Dauer seiner Amtszeit.857 Gegen Ende der Präsidentschaft Epitácio Pessoas geriet das Nordostprogramm in Anbetracht ausufernder Kosten und ausbleibender Resultate zunehmend in die Kritik. Pessoa hielt den „Verleumdern seiner Regierung“ entgegen, sein Regionalismus sei äußerst bescheiden gewesen. Für vielfältige und umfängliche Arbeiten in sieben Staaten des Nordostens habe er 95.000 Contos aufgebracht, allein für das Schienennetz im Süden jedoch mehr als das Dreifache dieser Summe.858 In seiner Verteidigungsschrift Pela Verdade von 1925 korrigierte Pessoa die Zahlen nach oben, hielt das Verhältnis zu den Aufwendungen für die Eisenbahn im Süden aber aufrecht. Demnach beliefen sich die Ausgaben für die „kolossalen Bauprojekte im Nordosten, verteilt auf acht Staaten der Republik (...) auf 269.559 Contos“. In nur drei Staaten des Südens – São Paulo, Minas Gerais und Rio Grande do Sul – habe seine Regierung 290.000  Contos für das allgemeine Streckennetz und 400.000 Contos nur für die Estrada de Ferro 854 Miranda, Veiga (Deputado de São Paulo), zit. in: „Excursão presidencial (...) a São Paulo“, in: A União vom 16.9.1921, S. 1 (Quelle IV.2.f-13). 855 Pessoa, E., direkt und indirekt zit. in: „Excursão presidencial (...) a São Paulo“, in: A União vom 20.9.1921, S. 1 (Quelle IV.2.f-14). 856 „Excursão presidencial (...) a São Paulo“, in: A União vom 24.9.1921, S. 1. 857 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 319 f. Weitere Ausführungen hierzu erfolgen in Kapitel IV.5.a. 858 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 558 f. (Quelle IV.2.f-15). Einzelheiten zu den Ergebnissen der Dürrepolitik Epitácio Pessoas werden in Kapitel IV.3.c dargeboten.

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Central bereitgestellt. Dazu Epitácio Pessoa: „Und niemand hat protestiert. (...) Warum befällt diese Patrioten die Sparsamkeit ausschließlich, wenn es um den Nordosten geht?“859 Tatsächlich erhielt das Gebiet der Kaffeeanpflanzungen in der Ersten Republik zwei Drittel der neu verlegten Schienenstränge, deren Ausdehnung sich landesweit im Zeitraum 1884–1934 von 3302 auf 33.106 Kilometer verzehnfachte.860 Auch wenn diese Gegebenheit die Darstellung Epitácio Pessoas bekräftigt, sollen die von ihm präsentierten Daten keineswegs als statistischer Nachweis dienen, denn dazu bedürfte es einer neutraleren Quelle. Vielmehr soll anhand seiner Zahlenbeispiele die stetige Gegenüberstellung von Süden und Norden aufgezeigt werden. In seinen Reden hob Pessoa die beeindruckende Menge von sechs bis acht Millionen Einwohnern allein im Dürregürtel hervor und betonte die hohe Anzahl der neun Staaten des Nordostens.861 Damit sollte die Region politisches Gewicht bzw. Gegengewicht zum Süden erhalten, welcher – wie in der oben zitierten Passage – von Pessoa auf drei Kernstaaten seiner eigentlich zehn Provinzen reduziert und so als numerisch geringfügiger ausgegeben wurde.862 Und dies, obschon die drei genannten Staaten Minas Gerais, São Paulo und Rio Grande do Sul mit 12,7  Millionen Menschen die Bevölkerung des gesamten Nordostens (11,3 Millionen) übertrafen.863 Losgelöst aus ihrer untergeordneten politischen und ökonomischen Bedeutung, hatte die Region durch die Präsidentschaft eines nordestino eine nicht zu überhörende Stimme auf dem nationalen Parkett gewonnen. Epitácio Pessoa verwendete und prägte während seiner parlamentarischen Laufbahn die wesentlichen Elemente des Dürrediskurses und wurde durch den eigenen politischen 859 Ders., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251), S. 317 (Quelle IV.2.f-16). 860 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 232. Siehe die Angabe Pessoas, seine Regierung habe das nationale Eisenbahnnetz um 4880 km erweitert: Pessoa, E., „Aquisições e obras novas“, in: ders., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 229. 861 Ders., zit. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 10.5.1921, S. 1 (Quelle IV.2.f-17). 862 Zur Aussage Epitácio Pessoas siehe Quelle IV.2.f-16. Ein ähnlicher Ansatz Pessoas, den politisch dominierenden Süden mit „vier oder sechs Staaten“ gegenüber „fünfzehn oder siebzehn anderen Staaten“ als zahlenmäßige Minderheit zu präsentieren, ist in Pessoa, E., Parlamentsrede vom 29.12.1890 (Obras completas, Bd. I), 1955, S. 2 f. bzw. Quelle IV.2.f-01 zu finden. 863 Zum Süden wurden hier alle Staaten südlich (auch süd-westlich) von Bahia gerechnet. Später wurde dieses Gebiet in Centro-Oeste, Sudeste und Sul unterteilt (zusammen mit Norte und Nordeste bilden sie die fünf seit 1970 konsolidierten Regionen des Landes). Siehe IBGE, Divisão político-administrativa e regional. Mapa da evolução político-ad­ ministrativa, ibge.gov.br. Zu den genauen Bevölkerungsdaten von 1920 siehe Kapitel II.3.c bzw. „Recenseamento de 1920“, abgedr. in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 335 (Quelle II.3.c-23).

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Erfolg zu dessen Symbolfigur. Kraft seiner doppelten Diskurskompetenz, durch Herkunft und Staatsführung legitimiert, artikulierte Pessoa mit Nachdruck die seit 1877 systematisch vorgebrachten und durch ihn auf höchster politischer Ebene verankerten Argumente der Dürrepolitik. An erster Stelle stand hierbei das von der „grausamsten Klimageißel“ verursachte Leid, welches für die außerhalb des Trockengürtels lebenden Bürger unvorstellbar sei.864 Dementsprechend seien die Brasilianer der anderen Landesteile nicht zur Mitsprache in Fragen der Dürre qualifiziert. Verstärkt wurde die Misere Pessoa zufolge durch die zen­ tralstaatliche Vernachlässigung des Nordostens bei gleichzeitiger ökonomischinfrastruktureller Begünstigung des Südens. Diese Anklage sprach er seinem Verständnis nach im Namen aller Bewohner der Region aus, mit denen er sich in der Rolle als Opfer der Natur und der nationalen Ungerechtigkeit solidarisierte. Ungeachtet der Solidaritätsbekundungen nutzte Epitácio Pessoa das vorherrschende Bild der trägen und unmündigen Landbevölkerung, um die staatlichen Hilfsgelder in Arbeitsdienste zur Förderung der regionalen Agrarwirtschaft umzuwandeln. Seine Dürrepolitik war in erster Linie an den ökonomischen Interessen der Baumwolloligarchie orientiert, aus deren Umfeld er selbst hervorgegangen war. Während diese Zusammenhänge im vorliegenden Kapitel aus den Grundzügen des Dürrediskurses Epitácio Pessoas abgeleitet wurden, soll im nächsten Abschnitt die staatliche Dürrebekämpfung an den vorgenommenen Maßnahmen und konkreten Ergebnissen gemessen werden.

3. Die Kulmination von vierzig Jahren Dürrepolitik in der Regierung Pessoa a) Die Erfolgsgeschichte der Dürrebekämpfung seit 1877 aus der Sicht Epitácio Pessoas In seiner Jahresansprache an den Kongress vom 3. Mai 1921 zeichnete Epitácio Pessoa in groben Zügen den Fortgang der Dürrebekämpfung im Nordosten nach. Dabei hob er die Gründung der zuständigen Behörde Inspetoria de Obras contra as Secas (IOCS) im Jahr 1909 hervor, welche für die „notwendige Systematisierung der Arbeiten im Nordosten“ gesorgt habe. Auch wenn er deren „spärliche Jahresetats“ beklagte, haben seiner Ansicht nach „die vergangenen zwölf Jahre unter der Behörde von 1909 einen großen Schritt zur Lösung des Problems erlaubt“: 864 Pessoa, E., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, abgedr. in: ebd., S. 299 (Quelle IV.2.b-05).

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Erfolg zu dessen Symbolfigur. Kraft seiner doppelten Diskurskompetenz, durch Herkunft und Staatsführung legitimiert, artikulierte Pessoa mit Nachdruck die seit 1877 systematisch vorgebrachten und durch ihn auf höchster politischer Ebene verankerten Argumente der Dürrepolitik. An erster Stelle stand hierbei das von der „grausamsten Klimageißel“ verursachte Leid, welches für die außerhalb des Trockengürtels lebenden Bürger unvorstellbar sei.864 Dementsprechend seien die Brasilianer der anderen Landesteile nicht zur Mitsprache in Fragen der Dürre qualifiziert. Verstärkt wurde die Misere Pessoa zufolge durch die zen­ tralstaatliche Vernachlässigung des Nordostens bei gleichzeitiger ökonomischinfrastruktureller Begünstigung des Südens. Diese Anklage sprach er seinem Verständnis nach im Namen aller Bewohner der Region aus, mit denen er sich in der Rolle als Opfer der Natur und der nationalen Ungerechtigkeit solidarisierte. Ungeachtet der Solidaritätsbekundungen nutzte Epitácio Pessoa das vorherrschende Bild der trägen und unmündigen Landbevölkerung, um die staatlichen Hilfsgelder in Arbeitsdienste zur Förderung der regionalen Agrarwirtschaft umzuwandeln. Seine Dürrepolitik war in erster Linie an den ökonomischen Interessen der Baumwolloligarchie orientiert, aus deren Umfeld er selbst hervorgegangen war. Während diese Zusammenhänge im vorliegenden Kapitel aus den Grundzügen des Dürrediskurses Epitácio Pessoas abgeleitet wurden, soll im nächsten Abschnitt die staatliche Dürrebekämpfung an den vorgenommenen Maßnahmen und konkreten Ergebnissen gemessen werden.

3. Die Kulmination von vierzig Jahren Dürrepolitik in der Regierung Pessoa a) Die Erfolgsgeschichte der Dürrebekämpfung seit 1877 aus der Sicht Epitácio Pessoas In seiner Jahresansprache an den Kongress vom 3. Mai 1921 zeichnete Epitácio Pessoa in groben Zügen den Fortgang der Dürrebekämpfung im Nordosten nach. Dabei hob er die Gründung der zuständigen Behörde Inspetoria de Obras contra as Secas (IOCS) im Jahr 1909 hervor, welche für die „notwendige Systematisierung der Arbeiten im Nordosten“ gesorgt habe. Auch wenn er deren „spärliche Jahresetats“ beklagte, haben seiner Ansicht nach „die vergangenen zwölf Jahre unter der Behörde von 1909 einen großen Schritt zur Lösung des Problems erlaubt“: 864 Pessoa, E., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, abgedr. in: ebd., S. 299 (Quelle IV.2.b-05).

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

Die Nützlichkeit der vom Staat unternommenen Aktivitäten, seit der Dürre von 1877–79 bis zu jener der Jahre 1917–19, kann anhand des folgenden Tatbestands beurteilt werden: Letztere Trockenperiode war hinsichtlich der klimatischen Konsequenzen ebenso verheerend wie die große Dürre von 1879; ihre wirtschaftlichen Folgen waren jedoch weitaus geringer, wie der Vergleich zwischen der hohen Todesrate der Trockenheit von 1879 und dem fast kompletten Ausbleiben von Todesopfern während jener letzten Dürre belegt. Der verbesserten Situation im Nordosten, welcher viele Jahrzehnte ständiger Bemühungen zugrunde liegen, sowie der guten Organisation der Arbeitsdienste und Ihrem Antrag [an den Kongress gerichtet], die notwendigen außergewöhnlichen Kredite zu bewilligen, verdanken wir die Wirksamkeit der Notstandsprogramme zur Linderung der Auswirkungen jener letzten Dürre, welche zu Zeiten meiner Vorgänger einsetzte, in voller Härte aber in meiner Amtsperiode ausbrach, als die Winterregen von 1919 auf 1920 ausblieben. Aus diesem Anlass gab ich die Befugnis zur Ausführung der unerlässlichen Maßnahmen zur sofortigen Unterstützung der Bevölkerung im Nordosten, größtenteils durch den Bau von Straßen und Staudämmen.865

In dieser Rede skizzierte Epitácio Pessoa eine positive Entfaltung der staatlichen Dürrepolitik seit 1877. Als Nachweis führte er die in Relation zur ‚Großen Dürre‘ geringfügigen Folgen der letzten Trockenperiode von 1919 an, welche aus klimatischer Sicht ebenso verhängnisvolle Charakteristiken aufgewiesen habe. An der 1909 eingerichteten Dürrebekämpfungsbehörde IOCS bemängelte er lediglich ihre „spärlichen“ Haushaltsmittel. Das erklärte Ziel der Institution – die Bewässerungslandwirtschaft auf Basis großer Stauanlagen – fand hingegen seine uneingeschränkte Unterstützung und wurde von ihm als Generallösung für die Probleme des Nordostens ausgegeben: „Die Irrigation wird diese Übel [Hunger, Tod, Entvölkerung] beseitigen, die aufgrund ihres Ausmaßes und ihrer Beständigkeit den normalen Lebensverlauf in jenen Staaten gehemmt haben.“866 Ganz im Zeichen der wissenschaftlich ausgerichteten Moderne und der mit ihr einhergehenden Scientifizierung des oligarchischen Diskurses867 unterstrich Pessoa die von der „Wissenschaft aufgezeigte Unentbehrlichkeit“ der großen Stauanlagen und Bewässerungssysteme. Deren Zweckmäßigkeit sei „durch nationale und internationale Studien bewiesen“ und durch jahrzehntelange Aufzeichnungen „verifiziert“. Abweichende Meinungen seien in der „fehlenden Kenntnis dieser Daten“ begründet. Pessoa zufolge waren „in Regionen wie dem Nordosten ausschließlich die großen Irrigationsbauten – von 865 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 393 f. (Quelle IV.3.a-01). 866 Ders., zit. in: „O problema da sêcca. A mensagem do sr. Presidente“, in: A União vom 30.9.1919, S. 1 (Quelle IV.3.a-02). 867 Hierzu siehe Kapitel III.5.a.

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weltweiten Erfahrungen bestätigt – in der Lage, trotz der klimatischen Widrigkeiten permanente Produktionszentren zu schaffen, welche den Exodus der Bevölkerung an die Küste und in die anderen Staaten verhinderten.“868 Im Folgenden sollen die von Epitácio Pessoa angesprochenen Errungenschaften der Dürrepolitik von 1877 bis zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 1919 in einem kurzen Rückblick durchleuchtet werden. Anschließend wird sein eigener Beitrag zur Dürrebekämpfung in den Jahren 1919–21 überprüft. In diesem Kontext wird vor allem die von ihm mit der ‚Großen Dürre‘ gleichgestellte Trockenperiode von 1919 untersucht. Besondere Beachtung findet auch die Frage, ob die verkündete „sofortige Unterstützung der Bevölkerung im Nordosten“ tatsächlich bei der breiten Masse der Dürreopfer ankam. Dazu wird unter anderem die Haltung seiner Regierung gegenüber der herrschenden Besitzstruktur dokumentiert.

b) Entwicklung und Ergebnisse der nationalen ­Wasserbaulösung  (1877–1919) Der Quixadá-Damm als erstes Großprojekt der „solução hidráulica“

Im 19.  Jahrhundert spiegelten alle Maßnahmen zur Linderung der Not im Dürregebiet das vorwiegende Verständnis der regionalen Misere als Mangel an Niederschlägen wider. Die Lösungsansätze waren technischer Natur und sollten im nächsten Jahrhundert als „politica hydraulica“ oder „solução hidráulica“ bezeichnet werden.869 Fundament dieser Wasserbaupolitik war die Errichtung von Dämmen und Becken, um die Bewässerungslandwirtschaft zu ermöglichen. Wie bereits in Kapitel II beschrieben, waren die ersten Stauanlagen Anfang des 19. Jahrhunderts konstruiert worden. Der entscheidende Auslöser für ihre zentralstaatliche Finanzierung war indes die desaströse Trockenperiode von 1877– 79.870 Als Reaktion auf die ‚Große Dürre‘ wurde nach mehrjährigen Studien 1882 in einem vom brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. angeforderten Bericht die Anlegung von drei Staudämmen empfohlen. Davon wurde schließlich nur 868 Ders., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 20, 22; ders., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 393 f. (Quelle IV.3.a-03). 869 Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 698 (Quelle IV.3.b-01); Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 19. 870 Siehe Kapitel II.1.a/b und Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 205 f.; Bruno, Ernani Silva, História do Brasil – geral e regional, Bd. II: Nordeste, São Paulo: Editora Cultrix, 1967, S. 172.

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einer erbaut, der Cedro-Damm in Quixadá im cearensischen Hinterland. Die Umstände seiner Konstruktion ließen das Wort Quixadá zu einem Synonym für staatliche Unfähigkeit und Misswirtschaft werden, da sich die Fertigstellung des 1884 begonnenen Baus um 22 Jahre hinauszögerte. Außerdem schöpfte die angesichts unzureichender hydrologischer Grunddaten überdimensionierte Stauanlage bei weitem nicht ihre Kapazitäten aus, und die Böden der umliegenden Felder büßten zum Teil ihre Fruchtbarkeit ein, weil eine fehlerhafte Drainage zu starker Versalzung führte.871 Bei der Einweihung erklärte der damalige, aus Minas Gerais stammende Staatspräsident Afonso Pena (1906–09): „Ein prächtiger Staudamm, aber dies bescheinigt lediglich die Verschwendung öffentlicher Gelder, denn er wird die Dürreproblematik in keiner Form lösen.“872 Die erstaunlich harte Beurteilung war wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der café-com-leite-Präsident aus dem Süden wegen seiner umfassenden Politik der Kaffeeförderung vom Norden kritisiert wurde. Nun boten ihm die Misserfolge rund um den Bau des Cedro-Damms eine gute Gelegenheit, seinerseits Kritik an den nördlichen Gegenspielern anzubringen.873 Mit seiner Prognose sollte er zumindest für absehbare Zeit recht behalten, wie noch am Beispiel der Trockenperioden von 1915 und 1919 veranschaulicht werden wird. Auch in diesen Jahren wurde Quixadá wieder als Sinnbild für das Scheitern der Dürrepolitik angeführt. Bevor hierzu weitere Anmerkungen folgen, soll in Übereinstimmung mit dem chronologischen Hergang zunächst die institutionelle Systematisierung der staatlichen Dürrebekämpfung nachvollzogen werden. Die ,Erfindung‘ der Dürre in ihrer zweiten Phase – Institutionalisierung der Dürrepolitik

Die Repräsentanten des Trockengürtels waren bestrebt, das sporadische Naturphänomen als konstante Ursache des Elends in der Region auszugeben. Auf diese Weise wollte die Agrarelite im Rahmen der staatlichen Dürrebekämpfung ihre wirtschaftspolitischen Interessen bedienen, ohne die gesellschaftlichen Strukturen – und damit die eigentliche Wurzel der chronischen Massenarmut – verändern zu müssen. Nach vereinzelten Erfahrungen mit der Wasserbaulösung auf provinzieller Ebene in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnete die 871 Aguiar, Nordeste – drama das secas, 1983, S. 47; Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 34, 39. Zum sogenannten Revy-Bericht an Dom Pedro II. siehe auch Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 209; Souza/Medeiros, Os degre­ dados filhos da seca, 1983, S. 67. 872 Pena, Afonso, zit. in: Coelho, Jorge, A indústria das secas, 1985, S. 28 (Quelle IV.3.b-02). 873 Zum Kaffee-Dürre-Konkurrenzkampf siehe Kapitel IV.2.f und zur Verarbeitung des Präsidentenbesuchs in der regionalen Volksdichtung siehe Kapitel III.2.c.

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Trockenperiode von 1877–79 den lokalen Potentaten in dieser Hinsicht ungeahnte Perspektiven. Die neue Anteilnahme der Öffentlichkeit und der Zentralregierung an den Belangen der Krisenregion bot einen idealen Ausgangspunkt für die Genese der Dürrepolitik.874 Zu ihrem Ziel wurde es, die Trockenheit über die Schreckensjahre von 1877–79 hinaus als unbestrittenes Problem im politischen Diskurs zu verankern und auf die nationale Ressourcenverteilung einzuwirken. Im Zuge dieser Entwicklung entstand der neu betitelte „Nordosten“ als Region der Dürre und Empfänger der Dürrehilfen. Wie in Kapitel II aufgezeigt, wurde die politische Instrumentalisierung der Dürre sogar in der zeitgenössischen parlamentarischen Debatte als „Erfindung der Dürre“ bezeichnet, ein Begriff, der später von Historikern auf die „Erfindung des Nordostens“ ausgeweitet wurde.875 Mit den Worten Bourdieus bedeutet die „Instituierung einer Identität“ – in diesem Fall des Nordostens – die „Durchsetzung eines Namens, (...) eines sozialen Soseins“.876 Die im Anschluss an die Trockenperiode von 1877–79 nach und nach geschaffene und erwachsene Identität des „Nordostens der Dürre“ war in ihrem Kern eine Strategie zur Erlangung politischer und finanzieller Gewinne. Fundamental für ihr Gelingen war die „kollektive, das heißt objektive, Anerkennung“877 der klimabedingten Opferrolle und der hiermit verbundenen Ansprüche. Einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Konstituierung und Anerkennung der Dürrepolitik verzeichnete die Verfassung von 1891. In Artikel 5 verpflichtete sie die Zentralregierung im Falle einer „calamidade pública“ zur Intervention, sobald die betroffenen Staaten den Ausnahmezustand ausriefen.878 Die Bestimmung trat allerdings nur in Kraft, wenn nachweislich ein Unheil höherer Gewalt vorlag bzw. die Notsituation erfolgreich als solches definiert werden konnte. Diese Rechtslage im Blick, schrieben die Politiker des Nordens die sozioökonomischen Probleme ihrer Region der Dürre zu, um sie unter der Rubrik „Naturkatastrophe“ geltend zu machen. Die Etablierung des politischen Phänomens ‚Dürre‘ vollzog sich zunächst auf diskursiver Ebene, bis es das staatliche und allgemein-gesellschaftliche Handeln beeinflusste und somit zu einer sozialen Realität wurde. Grundlage war ein kausaler Wechselprozess von Diskurs und Politik: Die verbale Konstruktion der permanenten Dürrebedrohung bewirkte politische Maßnahmen, welche wiederum die ‚Dürre‘ institutionalisierten. Die erste Phase der sukzessiven Institutionalisierung oder Erfindung der ‚Dürre‘ setzte mit der Trockenperiode von 1877–79 ein. In ihrem Verlauf wurden die diskursiven Bemühungen der politischen Vertreter aus dem Norden 874 Zu den Details siehe Kapitel II.2.c. 875 Siehe Kapitel II.3.b/c. 876 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 87. 877 Ebd., S. 88. Zum theoretischen Hintergrund des Erfindungsaktes siehe ebd., S. 86, 89. 878 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 276.

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mit punktuellen Sonderkrediten beim Auftreten des Naturereignisses belohnt. Die zweite Phase begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als es den Repräsentanten der Region gelang, die ‚Dürre‘ dauerhaft und unabhängig von konkreten Natureinflüssen durch eigene gesetzlich eingerichtete Institutionen zu fixieren. Seit 1903 wurde im Kongress immer häufiger verlangt, feste Haushaltsmittel zur systematischen Dürrebekämpfung bereitzustellen.879 Die ausgedehnten Trockenperioden von 1888/89, 1900 und 1903/04 wurden dabei als Rechtfertigung gegenüber der Regierung benutzt. Nach der Konsolidierungspolitik von Präsident Campos Sales (1898–1902) hatte sich für dessen Nachfolger Rodrigues Alves (1902–06) die Finanzlage wesentlich verbessert, so dass in dieser Beziehung keine schlagkräftigen Gegenargumente geäußert werden konnten. Tatsächlich wurde 1903/04 der Grundstein zur Institutionalisierung der Dürrepolitik gelegt, indem drei entsprechende Kommissionen mit Sitz in Ceará und Rio Grande do Norte gegründet wurden. Ihr Aufgabenfeld umfasste die Anfertigung von Studien und den Bau von Stauanlagen, Bewässerungssystemen und Brunnen. Im Jahr 1906 wurden sie zur „Forschungs- und Baubehörde gegen die Auswirkungen der Dürren“ (Superintendência de Estudos e Obras contra os Efeitos das Secas) zusammengefasst.880 Schon bald darauf schlug die politische Konjunktur um. Präsident Afonso Pena (1906–09), der den Kaffeepflanzeroligarchien seine Kandidatur zu verdanken gehabt hatte, führte die unter seinem Vorgänger beschlossene Stabilisierungspolitik des Kaffees fort und sah sich zu Kürzungen in anderen Bereichen gezwungen. Bereits 1907 wurde die Superin­ tendência wieder aufgelöst und durch eine einfache „Kommission für Stauanlagen und Bewässerung“ ersetzt.881 Viele Politiker aus dem Norden kritisierten diesen Schritt scharf und konnten sich schließlich mit der Einrichtung einer dauerhaften Behörde durchsetzen. Nach dem plötzlichen Tod Afonso Penas wurde 1909 während der Übergangsregierung Nilo Peçanha (1909–10) die Ins­ petoria de Obras contra as Secas (IOCS) ins Leben gerufen. Ihr Hauptsitz war in Rio de Janeiro angesiedelt und wurde nach Protesten der lokalen Oligarchien im Jahr 1911 durch Distriktsektionen im Norden ergänzt. Mit der IOCS gewann die Dürrebekämpfung einen institutionellen Rahmen, und die Repräsentanten der Region konnten sich einen festen Platz im politischen Geschehen sichern.882 879 Siehe z.B. Paranaguá, Nogueira (Piauí), Anais do Senado, 17.9.1903, S. 396 f.; Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.5.1904, S. 66; Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 77 f. 880 Die einzelnen Kommissionen hießen Comissão de Açudes e Irrigação (in Ceará), Comis­ são de Estudos e Obras contra os Efeitos das Secas, Comissão de Perfuração de Poços (beide in Rio Grande do Norte). 881 Comissão de Açudes e Irrigação. 882 Siehe hierzu auch Kapitel III.5.a und Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 70. Zu den übrigen Daten aus diesem Unterkapitel siehe ders., Falas de astúcia e de angús­ tia, 1988, S. 380–383; Souza, Itamar de/Medeiros Filho, João, A seca do Nordeste: um

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Die Resultate der staatlichen Maßnahmen im Trockengürtel

Zur Planung systematischer Aktivitäten wurde von der Regierung 1909 eine Erhebung der bisher durchgeführten Arbeiten vorgenommen. Die Bestandsaufnahme brachte die denkbar schlechtesten Ergebnisse hervor: Die meisten öffentlichen Stauanlagen befanden sich in einem kläglichen Zustand oder wiesen Konstruktionsfehler auf. Zudem waren die Kosten im Verhältnis zu den erbrachten Leistungen exzessiv hoch, was auf die Veruntreuung von Geldern hinwies. In Dürrezeiten war die Bevölkerung folglich von dem teuren Wasser aus privaten Staubecken im Besitz der Landherren abhängig.883 Von ähnlichen Begebenheiten berichtete der IOCS-Distriktleiter Pereira da Silva in seinem ersten Rapport zur Lage in Paraíba und Rio Grande do Norte. Die Hilfsdienste seien politisch motivierten Zuteilungen unterworfen, und die Bautätigkeiten begünstigten einseitig die lokalen Machthaber. Dadurch sei die erklärte Zielsetzung verfehlt worden, dem Allgemeinwohl zu dienen. Als weitere Missbrauchsbeispiele nannte er die unrechtmäßige Beanspruchung von Fördergeldern. Um einen staatlichen Zuschuss von 50 Prozent zur Errichtung privater Wasserbecken zu erlangen, sei die fiktive Konstruktion von bereits fertiggestellten Reservoiren angegeben worden. In anderen Fällen seien sehr viel höhere Baukosten ausgewiesen worden, so dass die 50-Prozent-Prämie die gesamten Ausgaben abdeckte.884 Die konstatierten Mängel wurden unter der Obhut der Inspetoria nicht behoben, zumal sie selbst von den politischen Repräsentanten der Agraroligarchie kontrolliert wurde.885 Im Jahr 1915 wurde die IOCS zum ersten Mal seit ihrer Gründung durch eine verheerende Trockenperiode auf die Probe gestellt. Die seit nunmehr sechs Jahren tätige Behörde hatte hinsichtlich des wichtigsten Projekts – des seit fast zehn Jahren vollendeten Cedro-Damms von Quixadá – keine Fortschritte gemacht. In jenem Dürrejahr reiste der Agronom Francisco falso problema. A política de combate às secas antes e depois da SUDENE, Petrópolis: Vozes, 1988, S. 31 f.; dies., Os degredados filhos da seca, 1983, S. 34; Greenfield, Drought and image of the Northeast, 1999, S. 103; Franke, Agrarprogramme im Nordosten, 1986, S. 5; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 75–79; Lima, Aline Silva, „‚Um espírito científico, que surgia e se ensaiava promisoramente‘: a Inspetoria de Obras Contra as Secas e a produção de conhecimento científico sobre o semi-árido na Primeira República“, in: Associação Nacional de História, Anais do XIX Encontro Regional de História: Poder, Vi­ olência e Exclusão (8.–12.9.2008), São Paulo: ANPUH/SP – USP, S. 1–7 (2), anpuhsp. org.br; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 25, 39, 41, 47, 169. 883 Ebd., S. 27; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 83. 884 Silva, Raymundo Pereira da, Estudos e trabalhos relativos aos Estados da Paraíba e Rio Grande do Norte, Rio de Janeiro: IOCS, 1910, S. 11, auszugsweise abgedr. in: ebd., S. 85 (Quelle IV.3.b-03); ebd., S. 86 f. 885 Siehe hierzu Kapitel IV.4.e.

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de Assis Iglésias nach Quixadá, um die dort vorgesehene Bewässerungslandwirtschaft kennenzulernen. In dem damals größten Stausee des Nordostens, einem der voluminösesten der Welt, waren enorme Wassermengen vorhanden, aber ein breit angelegter Nahrungsmittelanbau auf der Grundlage von Irrigationssystemen war nicht vorangetrieben worden. So bot sich dem Agronomen, der aus dem Süden des Landes mit progressiven Bewässerungstechniken vertraut war, das paradoxe Bild der vielversprechenden Wassermassen auf der einen und der hungernden Menschenmassen auf der anderen Seite.886 Quixadá war als das anspruchsvollste Vorhaben der zentralstaatlichen Dürrebekämpfung längst zu ihrem Prüfstein geworden. Anstatt ein Aushängeschild für die Wirksamkeit der technologischen Konzeption zu sein, führte es die Ineffizienz einer durch sozioökonomische Interessen zweckentfremdeten Dürrepolitik vor Augen. Trotz kontinuierlicher Hilfsmittel war die Region kaum besser auf die Dürre vorbereitet als zuvor. Zwar waren die Ausgaben für den Nordosten im Zuge einer Finanzkrise im Jahr 1914 auf ein Minimum reduziert worden, doch 1915 wurden gesonderte Notgelder für die Dürreopfer zur Verfügung gestellt. Angesichts ihrer dubiosen Verwendung und verhängnisvoller Rettungsmethoden – z.B. den noch zu beschreibenden Konzentrationslagern – konnten sie indes eine erneute Katastrophe für die Bewohner der Halbtrockenzone nicht verhindern.887 Gemäß vorsichtigen Schätzungen sahen sich 1915 allein im Bundesstaat Ceará 20.000 Menschen zur Flucht aus ihrer semi-ariden Heimat gezwungen.888 Der cearensische Gouverneur sprach im Oktober 1915 von 100.000 Dürreflüchtlingen.889 Bei diesen Angaben ist zu berücksichtigen, dass mit möglichst hohen Ziffern Druck auf die Zentralregierung zur Bewilligung zusätzlicher Arbeitsdienste ausgeübt werden sollte. Nach Ende der Trockenperiode berechnete der cearensische Abgeordnete Ildefonso Albano die Zahl der Betroffenen sogar auf 400.000. Von ihnen emigrierten ihm zufolge fast 40.000 Menschen mit Unterstützung des Staates, ca. 80.000 erhielten öffentliche und rund 100.000 private Hilfe. Die verbleibenden 180.000 Dürreflüchtlinge seien auf der Suche nach Almosen hungernd und hilflos durch die Provinz gezogen. Der Parlamentarier wies zugleich auf die Verteuerung der Lebensmittel hin. Das Maniokmehl – die Ernährungsbasis der armen Bevölkerung – und andere Grundnahrungs886 Iglésias, Francisco de Assis, Caatingas e chapadões; notas, impressões e reminiscências do meio-norte brasileiro (1912–1919) (Brasiliana, Bd.  271), 2  Bde., Bd.  1, São Paulo: Companhia Editora Nacional, 19582, S. 89, auszugsweise abgedr. in: Carvalho, Econo­ mia política e secas, 1988, S. 212. 887 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 30 f., 41 f.; Souza/Medeiros, Os degredados filhos da seca, 1983, S. 34 f.; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 87. 888 Bruno, História do Brasil – Nordeste, 1967, S. 171. 889 Barroso, Benjamin (Gouverneur von Ceará), Telegramm an Gustavo Barroso, o. D., Anais da Câmara, 13.10.1915, S. 129 f. (Quelle IV.3.b-04).

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mittel seien in ihrem Preis um mehr als das Zehnfache angestiegen.890 Die Sterberate in Ceará war 1915 laut Albanos Bericht je nach Gebiet zwei- bis fünfmal höher als in normalen Zeiten. Auch aus anderen Provinzen des Nordostens verdeutlichten eindringliche Appelle, dass die Situation sehr viel ernster war als bei vorherigen Trockenperioden und dass eine große Zahl an Todesopfern zu beklagen war.891 Dabei konnte die Misslage nicht auf die ausbleibenden Niederschläge beschränkt werden, denn während der Dürre von 1915 waren stärkere Regenfälle zu verzeichnen als 1898 und 1900 (586  mm gegenüber 520 und 563). Diese Daten lieferte der cearensische Pharmazeut und Historiker Rodolfo Teófilo, welcher die Ursachen der Misere in den sozialen Bedingungen der Region sah. Für die fatalen Auswirkungen der Trockenperiode von 1915 machte Teófilo die politischen Entscheidungsträger mitverantwortlich und hob die folgenschwere Unterbringung der Dürreflüchtlinge in den sogenannten Konzentrationslagern hervor.892 In Fortaleza wurde 1915 das erste Campo de Concentração auf Initiative des cearensischen Gouverneurs Coronel Benjamin Barroso im peripher gelegenen Alagadiço gegründet, um die Bedürftigen an einem einzigen Ort außerhalb der Hauptstadt zu konzentrieren. Die Flüchtlinge wurden direkt dorthin geleitet und durften das umzäunte und von bewaffneten Männern bewachte Terrain nicht verlassen. Derartige Auffanglager, auch als „Viehställe der Regierung“ verrufen, sollten die in den Jahren 1877–79 erlebten Invasionen der besser versorgten Städte verhindern.893 Der Gouverneur bezeichnete das Konzentrationslager als einen „exzellenten Ort, mit Bäumen bewachsen und gesund“.894 Dagegen beschrieb der cearensische Abgeordnete Ildefonso Albano „herzzerreißende Szenen des Elends“ der im „menschlichen Viehgehege“ eingepferchten Dürreflüchtlinge. Die Menschen seien unter blätterlosen Cashewbäumen Sonne und Regen ausgesetzt gewesen, ohne sanitäre Anlagen und ausreichende Verpflegung, mit unzähligen Typhus-Opfern unter den Insassen und der Stadtbevölkerung.895 Rodolfo Teófilo – in der Bekämpfung urbaner Epidemien wie den Pocken erfahren – hatte sich von Anfang an gegen die Initiative ausgesprochen und dem cearensischen Gouverneur dargelegt, die Ansammlung der Dürreflüchtlinge würde ihren Tod bedeuten. Coronel Barroso ließ sich von seinen 890 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1044 f. (Quelle IV.3.b-05). 891 Ebd., S. 1035–1037, 1043  f.; Martins, Elias (Piauí), Anais da Câmara, 12.7.1915, S. 524–527; Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.11.1915, S. 226. 892 Teófilo, Rodolfo, A seca de 1915, Fortaleza: Ed. UFC, 1980 (19191), S. 135. 893 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 96; ders., Tragédia oculta, 2003, S. 72 f. („currais do governo“). 894 Barroso, B., Telegramm an G. Barroso vom 17.10.1915, Anais da Câmara, 26.10.1915, S. 312 f. (Quelle IV.3.b-06). 895 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1012 (Quelle IV.3.b-07).

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Plänen jedoch nicht abbringen. Binnen Kurzem wuchs die Zahl der Lagerinsassen von den vorgesehenen 3000 auf über 8000 an, ohne dass minimale Hygienevoraussetzungen erfüllt wurden. Krankheiten breiteten sich aus, und die Todesrate schnellte in die Höhe, insbesondere unter den Kindern. Leichname lagen übereinander gestapelt am Eingang, um nach und nach zum Friedhof abtransportiert zu werden. Inner- und außerhalb des Lagers griffen Epidemien weiter um sich. Die prekären Zustände führten im Campo do Alagadiço zu ex­ tremen Konflikten, Mord, Selbstmord und sogar Anthropophagie.896 Die erschütternden Erlebnisse während der Trockenperiode von 1915 riefen die Erinnerung an das Massensterben von 1877–79 wach und boten den Repräsentanten der Region neu aufgelegte Argumente jener Zeit. Harte Kritik an den staatlichen Aktivitäten wurde mit wiederholten Forderungen nach einer Einhaltung und Erweiterung der kontinuierlichen Hilfszahlungen verbunden.897 Senator Epitácio Pessoa trug die Postulate des Dürrediskurses auf höchster politischer Ebene vor. Im Widerspruch zu seiner späteren, oben zitierten Darstellung in der Antrittsrede als Präsident der Republik zweifelte er 1917 in einer Ansprache vor den Führungskräften der Nation deutlich die Wirksamkeit der Dürrebekämpfung an. Die Lage im Trockengürtel rühmte seinen Worten zufolge nicht die Weitsicht bzw. Vorsorge der brasilianischen Regierungen. Mit Ausnahme einiger Bauwerke habe das bisherige Handeln Planung, Konstanz, Ordnung und Zusammenhang vermissen lassen und wenig zur Verbesserung der traurigen Lebensbedingungen im Nordosten beigetragen. Begründet wurden die Missstände von Epitácio Pessoa und seinen Landsleuten in aller Regel mit einem chronischen Finanzmangel, wodurch das Versagen und Fehlverhalten der eigenen regionalen Oligarchie außer Acht gelassen werden konnte.898 Die Lösung wurde nicht in Reformen, sondern in Ressourcen gesehen. Anstatt die Konzeption der Dürrepolitik an sich zu hinterfragen, wurde lediglich die unzureichende Umsetzung einzelner Projekte beanstandet. Und dies möglichst, wenn die Vorhaben in vergangenen Regierungsperioden initiiert worden waren und die damaligen Machthaber nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden 896 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 96–99; ders., Tragédia oculta, 2003, S. 74. 897 Barroso, G. (Ceará)/Silva, L. Domingues da (Maranhão), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 872 (Quelle IV.3.b-08). Siehe auch Barroso, B., Botschaft an den Kongress, in: Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878; Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1045. 898 Pessoa, E., Rede auf einem Bankett zu Ehren des offiziellen Präsidentschaftskandidaten Rodrigues Alves vom 23.10.1917 (im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 als Regierungsprogramm Pessoas genutzt), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 39 und im Kontext der Dürrepolitik ebenfalls auf S. 265; ders., Men­ sagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 387; Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 699 (Quelle IV.3.b-09).

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konnten.899 Am unverfänglichsten war es inzwischen, über die Stauanlage von Quixadá zu richten, deren Konstruktion noch in der Kaiserepoche begonnen hatte und die ohnehin zum Sinnbild für die vielfältigen Fehler im Anfangsstadium der zentralstaatlichen Dürrebekämpfung geworden war. Ildefonso Albano verurteilte 1917 den Bau rundweg: „Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, dass der Ort des Staudamms von Quixadá schlecht gewählt wurde – das hydrographische Becken ist im Verhältnis zum hydraulischen Becken zu klein, der Boden in der Umgebung enthält sehr viel Salpeter und zählt zu den unfruchtbarsten Cearás.“900 Mit der Präsidentschaft Epitácio Pessoas trat ein entscheidender Wandel ein. Die seit der ‚Großen Dürre‘ und verstärkt seit der Institutionalisierungsphase der Dürrebekämpfung anvisierten Ziele wurden erstmals durch umfassende Haushaltsmittel abgesichert in Angriff genommen. Die Bittsteller des Nordostens hatten quasi den Bettelstab durch das Regierungszepter eingetauscht. Allerdings waren die Errungenschaften keinesfalls allein auf die Staatsleitung Epitácio Pessoas zurückzuführen. Ohne die jahrzehntelange Vorarbeit der zahlreichen Repräsentanten des Trockengürtels, die mit Hilfe des Dürrediskurses ihre Version der regionalen Probleme und ihre Vision der Problemlösung verbreitet hatten, wäre die Dürrepolitik Pessoas nicht denkbar, sagbar und realisierbar gewesen. Nicht einmal der konkrete Impuls fiel in die Amtsperiode Epitácio Pessoas, denn die neue Ära der Nordostprojekte war durch die institutionelle Aufwertung der zuständigen Behörde schon von der Vorregierung eingeleitet worden. Ihr Höhepunkt wurde hingegen fraglos unter der Pessoa-Regierung erreicht.

c) Die Blütezeit der Dürrepolitik in den Jahren 1919–22 IFOCS und Caixa Especial – die zentralen Institutionen der Dürrebekämpfung

Im Jahr 1919, als der gerade erst gewählte Staatschef Rodrigues Alves verstarb und Epitácio Pessoa während seiner diplomatischen Mission auf der Pariser Friedenskonferenz in Abwesenheit zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde, erfuhr die Inspetoria de Obras contra as Secas (IOCS) einen bedeutenden Statuswechsel – sie wurde zur Bundesbehörde Inspetoria Federal de Obras contra as Secas (IFOCS) erhoben. Bis heute wird von vielen Historikern die Vorstellung genährt, die IFOCS sei ein Produkt Epitácio Pessoas gewesen und das umfangreiche 899 Siehe auch hierzu das vorherige Zitat Pessoas, in dem die damalige Regierung von der Kritik verschont blieb (Quelle IV.3.b-09). 900 Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1007 (Quelle IV.3.b-10).

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Programm zur Dürrebekämpfung sei von ihm konzipiert und initiiert worden.901 Die Rangerhöhung der Behörde wurde jedoch bereits am 9. Juli 1919 während der Interimsregierung von Delfim Moreira (15.11.1918–28.7.1919) vollzogen. Epitácio Pessoa traf nach Beendigung seiner Auslandsreise erst am 21. Juli 1919 in Rio de Janeiro ein und trat am 28. Juli 1919 das höchste Staatsamt an.902 Auch die verschiedenen Vorhaben, die Epitácio Pessoa im Rahmen der Präsidentschaft verwirklichte, waren von seinen Vorgängern ausgearbeitet worden. Auf diesen Umstand wurde noch vor Ablauf seiner Amtszeit von Politikern des Nordostens hingewiesen. Sie wollten auf diese Weise die Vorwürfe ihrer politischen Gegner entkräften, das Dürreprogramm sei der Vetternwirtschaft Pessoas zu verdanken gewesen, überstürzt und orientierungslos aus dem Nichts erschaffen, um die neuen finanziellen Möglichkeiten auszuschöpfen.903 Noch vor den von Delfim Moreira eingeleiteten Aktivitäten waren unter Rodrigues Alves (1902–06), Nilo Peçanha (1909–10) und Hermes da Fonseca (1910–14) erste wichtige Schritte des in Kapitel IV.3.b geschilderten Institutionalisierungsprozesses unternommen worden.904 Selbst das Kernstück der Dürrepolitik Epitácio Pessoas – die erstmals in weitreichendem Umfang gesetzlich festgeschriebene Bewässerungskonzeption – war lange zuvor vom Abgeordneten Eloy de Souza entworfen worden. Souza, welcher auch das Regelwerk der IOCS im Jahr 1909 verfasst hatte, brachte am 30. August 1911 die Einrichtung von Irrigationssystemen als Gesetzesvorlage im Parlament ein, ohne eine Mehrheit für sie zu erringen. Zum Leidwesen engagierter Vertreter der Wasserbaulösung wie Souza ermangelte es zwischen 1909 und 1919 einer verlässlichen Kontinuität der Gelder und Arbeiten in der Trockenzone. In dieser Phase wurden mehr Studien angefertigt als Projekte ausgeführt, so dass es zu keinen spürbaren Ergebnissen kam.905 Aufgrund dieser Erfahrung setzte Pessoa alles daran, das Nordostprogramm finanziell zu sichern. 901 Eine derartige Fehldarstellung ist u.a. zu finden bei Villa, História das secas, 2001, S. 13, 131; ders., Que braseiro, 2005, S. 17 und sogar Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 319 sowie Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 383, der sich in ders., Preconceito contra a origem geográfica e de lugar: as fronteiras da discórdia (Série Preconceitos, Bd. 3), São Paulo: Cortez, 2007, S. 99 korrigierte. 902 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 97 f., 169; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 97; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S. 903 Borges (Ceará)/Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 341; ders., Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 50–52. 904 Siehe hierzu auch Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 97; Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 137. 905 Ebd., S. 88 f., 137 f.; Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 705–707. Siehe auch den Kommentar von Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1058 (Quelle IV.3.c-01).

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Zu Beginn der Präsidentschaft Epitácio Pessoas war das Budget der neu strukturierten Dürrebehörde IFOCS nicht außerordentlich groß. Der erhöhte Devisenzufluss in der für die brasilianische Wirtschaft diesbezüglich vorteilhaften Zeit nach Ende des Ersten Weltkriegs schuf indes günstige Voraussetzungen für die Steigerung der Nordostaufwendungen auf ihr Maximum 1921–22. Allein von New Yorker Banken konnten in den beiden Jahren 75 Millionen Dollar an Krediten gewonnen werden. In Übereinstimmung mit dem von Pessoa gesetzten Schwerpunkt der Dürrebekämpfung wuchsen die Ausgaben der IFOCS während seiner Regierungsperiode erheblich an: von 6135 Contos im Jahr 1919 bzw. 27.156  Contos 1920 auf 137.270  Contos 1921 und 145.947  Contos 1922. Damit erreichten sie 1921/22 den bis dahin utopischen und auch später nicht wieder erzielten Anteil von fünfzehn Prozent der nationalen Staatseinkünfte.906 Um das hohe Investitionsvolumen der IFOCS zu handhaben und die Bereitstellung dauerhafter Ressourcen für die Vorhaben im Nordosten zu garantieren, leitete Pessoa noch im Dezember 1919 die Gründung einer schon im Gesetzesantrag Eloy de Souzas eingeplanten eigenen Finanzinstitution ein.907 Die aktuelle Dürre bot ihm Gelegenheit, den Abgeordneten die Dringlichkeit ausgedehnter Bautätigkeiten vor Augen zu führen.908 Am 25. Dezember 1919 wurde die Caixa Especial das Obras de Irrigação de Terras Cultiváveis no Nordeste Brasileiro (Sonderkasse für Bewässerungsbauten kultivierbarer Böden im Nordosten Brasiliens) per Dekret eingerichtet und am 17. März 1920 durch eine entsprechende Veröffentlichung im Diário Oficial reglementiert.909 Im Regulamento da Caixa wurden alle Kredite für die Region als unaufschiebbare Rettungsmaßnahmen definiert. Dem Finanzminister wurde die Kompetenz zugeschrieben, alle erforderlichen Mittel für die Arbeiten sofort genehmigen zu können.910 Die Finanzierung der Caixa Especial sollte durch zwei Prozent der Bundeseinnahmen, zwei bis fünf Prozent der Provinzhaushalte und durch Sonderkredite zur Dürrebekämpfung bestritten werden. Im ursprünglichen Entwurf von Eloy de 906 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 43 f.; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 97; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 92. Zu vergleichen ist diese Summe nur mit den Hilfeleistungen bei der ‚Großen Dürre‘ von 1877–79. Siehe hierzu Cunniff, The birth of the drought industry, 1877–1880, 1975, S. 66: „the Empire spent over seventy thousand contos (...) in relief measures, a figure exceeding one fifth of the total Imperial revenues over the three year period.“ 907 Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 699; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 126, 133. 908 Die Umstände der Dürre von 1919/20 werden im folgenden Unterkapitel durchleuchtet. 909 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 394 (Quelle IV.3.c-02). Siehe auch Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 97; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 118, 132. 910 Regulamento da Caixa Especial, Artikel 4 und 6, abgedr. in: ebd., S. 137.

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Souza lag die Beteiligung der Bundesstaaten an den Ausgaben noch bei fünf Prozent. Neben der leichten Verringerung auf „zwei bis fünf Prozent“ wurde unter Epitácio Pessoa dem Gesetz hinzugefügt, dass die einzelstaatlichen Beiträge an den ökonomischen Möglichkeiten der jeweiligen Provinzen auszurichten ­seien.911 Auf diese Weise wurde ein Ausweg geschaffen, die Dürregebiete – unter anderem die Heimat des Präsidenten – von finanziellen Lasten zu verschonen. Die Staaten entledigten sich in der Folge weitgehend ihrer monetären Mitverpflichtung, so dass die Mittel hauptsächlich von der Zentralregierung stammten.912 Für die parlamentarische Autorisierung des außergewöhnlich hohen Projektetats war die Trockenperiode 1919/20, genauer gesagt ihre Aufbereitung im Dürrediskurs, von elementarer Bedeutung. Mit anderen Worten – die klimatische Krise war für die Realisierung der politischen Ziele Pessoas funktional. Stoßrichtung und Konsequenzen des politisch motivierten ­Krisenmanagements

Epitácio Pessoa vermittelte in der eingangs zitierten Kongressansprache vom 3. Mai 1921 eine in sich geschlossene Erfolgsgeschichte der Wasserbaupolitik. Angefangen beim „aufrichtigen Eingriff des Staates zum Wohl der leidenden Bevölkerung“ in den Dürrejahren 1877–79 und den ersten Unternehmungen der IOCS zeigte Pessoa eine stetige Steigerung der staatlichen Hilfsmaßnahmen auf, die in seinem eigenen Beitrag zur Entwicklung des Nordostens gipfelte. Parallel dazu beschrieb er eine zunehmende Verschlimmerung der Trockenheit. Von 1917 bis 1919 sei diese so gravierend wie zur Zeit der ‚Großen Dürre‘ gewesen und habe sich ein Jahr später – nach Beginn seiner Präsidentschaft – nochmals verstärkt. Hiermit nutzte er die zuvor von ihm unterstrichene Sonderstellung der Trockenperiode von 1877–79 als Referenz, um der Dürre seiner Regierungsphase ein überragendes Gewicht zu verleihen. Zugleich wies er auf die „verbesserte Situation im Nordosten“, die „gute Organisation der Arbeitsdienste“ und die „Wirksamkeit der Notstandsprogramme“ in den Jahren 1919 und 1920 hin.913 In Kapitel II wurde bereits nachvollzogen, dass die Sonderstellung der ‚Großen Dürre‘ primär auf die damals neue Mitleidenschaft der Landbesitzerschicht und auf deren Entdeckung des Klimaphänomens als poli911 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 24 (Quelle IV.3.c-03). Siehe auch ebd., S. 23 und Gesetzesprojekt (Artikel 2, Absatz 2) von Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 706. 912 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 135. 913 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 386, 388. Zu Pessoas Aussagen zur ‚Großen Dürre‘ siehe Quelle II.1.a.

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tisches Instrument zu beziehen ist. Das Lob Epitácio Pessoas für die staatliche Dürrebekämpfung seit 1877 und besonders seit Gründung der IOCS erscheint angesichts der in Kapitel IV.3.b dargelegten historischen Begebenheiten kaum überzeugend, zumal sogar Pessoa selbst in einer Rede aus dem Jahr 1917 klare Bedenken äußerte.914 Stringenz gewinnt seine Argumentation, sobald die Relevanz der Dürre für seine eigenen Regierungsaktivitäten im Nordosten in den Mittelpunkt der Betrachtung gezogen wird. Im Zeitraum 1919–20 waren Neuigkeiten über die Zuspitzung der Klimalage opportune Schlagzeilen, da sie dem Präsidenten und dem Dürreprogramm laut A União „absolut recht gaben“.915 Für die politische Durchsetzung der ebenso hochfliegenden wie umstrittenen Vorhaben kam die aktuelle Trockenheit gerade im passenden Augenblick. Der Dürre in der Öffentlichkeit Geltung verschaffen zu können, zur Not auch übergebührlich, war von eminenter strategischer Bedeutung. Schließlich stand eine härtere Trockenperiode für eine größere Gefährdung der Bevölkerung und erforderte höhere Staatshilfen. Folglich nahm die Drangsal in den parlamentarischen Mitteilungen der Politiker aus dem Nordosten noch düsterere Züge als jene des Jahres 1915 an. Hinsichtlich des Wassermangels seien alle Erfahrungen übertroffen worden, selbst in sonst unproblematischen Küstengebieten.916 Rückblickend sind die Ausmaße hingegen als relativ gering einzustufen. Zwar lagen die Regenfälle unter dem Durchschnitt der niedrigsten verzeichneten Werte, doch ihr Ausbleiben war kurz und auf 1919 beschränkt. Während sowohl der vorherige als auch der nächste Winter reguläre Niederschläge brachten,917 wurde die Dürre im politischen Diskurs in ihrer Intensität und Dauer übertrieben dargestellt. So dehnte Regierungssprecher Carlos de Campos aus São Paulo, wie schon zuvor Epitácio Pessoa, die auf wenige Monate begrenzte Trockenperiode auf vier Jahre aus. Im Einklang mit den Aussagen des Staatschefs ordnete er sie über der ‚Großen Dürre‘ von 1877–79 ein, welche bisher als die unzweifelhaft katastrophalste gegolten hatte.918 Zu dieser Inszenierung und Dramatisierung der klimatischen Konditionen 914 Ebd., S. 387 (Quelle IV.3.b-09). 915 „As sêccas do nordeste“, in: A União vom 30.1.1920, S. 1 (Quelle IV.3.c-04). 916 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 23.5.1919, S. 481; Pedrosa, Pedro (Paraíba), Senatsrede, Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388. 917 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 106; Villa, História das secas, 2001, S. 132. Ulysses Albuquerque (1889–1979), der aus eigener Erinnerung über die Dürren schrieb, erwähnte die Jahre 1915 und 1919 als gravierende Trockenperioden; die Jahre 1917/18 führte er nicht auf. Albuquerque, Ulysses, Um sertanejo e o sertão. ­Moxotó brabo. Três ribeiras, Belo Horizonte: Editora Itatiaia Limitada, 1989, S. 96–98. Siehe auch die Auflistung der Trockenperioden in Anhang 2, welcher mehrere Quellen zugrunde liegen. 918 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 393 f. (Quelle IV.3.a-01); Campos, Carlos (São Paulo), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 82 (Quelle IV.3.c-05).

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kam hinzu, dass der Nachhall der verhängnisvollen Trockenperiode von 1915 noch präsent war. Die diskursive Verknüpfung der genannten Faktoren trug wesentlich dazu bei, den Kongress zu einer unvergleichlichen Kreditbewilligung zu bewegen.919 Auf diese Weise gelang es dem Präsidenten aus dem Nordosten, die spektakuläre Summe von 200.000 Contos bzw. 40.000 Contos pro Jahr bei einer Laufzeit von fünf Jahren aufzubringen.920 Die Konstellation aus politischer Hochkonjunktur und pluviometrischen Tiefstwerten animierte die Repräsentanten des Trockengürtels, das Moment „Epitácio Pessoa“ und den Moment des Klimaeinbruchs nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. In aller Offenheit wurde die Trockenheit als Gelegenheit willkommen geheißen, endlich die begehrte Expansion der ökonomischen Infrastruktur zu verwirklichen. Die einzelnen lokalen Anliegen entfalteten sich dabei in Proportion zur nationalen politischen Bereitschaft, ihnen nachzukommen, und überflügelten qualitativ und quantitativ die früheren Forderungen innerhalb der Wasserbaulösung. Im letzten Drittel des 19. und Anfang des 20.  Jahrhunderts hatten die Vertreter des Nordens in erster Linie Schienenstränge verlangt – alles weitere würden die Provinzen aus eigener Kraft besorgen, um das Problem der Dürren aus der Welt zu schaffen.921 Nachdem die Eisenbahnverbindungen nicht mehr zu den vorrangigen Desiderata zählten, da sie die Migration der Arbeitskräfte in andere Landesteile beschleunigten, avancierten die Stauanlagen zum Nonplusultra der Dürrebekämpfungsmaßnahmen.922 Bald wuchsen die Ansprüche auch hierüber hinaus. Im Jahr 1919 verkündete der cearensische Abgeordnete Frederico Borges, „wie viele Staubecken in dieser Provinz auch erbaut, wie viele Schienennetze ausgebaut werden, (...) die Produktion stößt auf ein beachtliches Hindernis: das Fehlen eines Freihafens. Im Hafen von Fortaleza – sofern man diesen ungeschützten Strand als solchen 919 Villa, História das secas, 2001, S. 132 f. 920 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23 (Quelle IV.3.c-06). Siehe auch den endgültigen Gesetzestext in Quelle IV.6.c-35. 921 Zu diesem Aspekt sind etliche Stellungnahmen in den Kongressannalen und der Presse zu finden. Siehe z.B. Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 285; Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 534, 536; Achilles (Journalist aus Paraíba), „A proposito da sêcca“, in: A União vom 1.6.1915, S. 1; Barbosa, P.e Florentino, „Effeitos da sêcca“, in: A União vom 11.6.1915, S. 1; Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 874; Silva, L. Domingues da (Maranhão), ebd., S. 877 (Quelle IV.3.c-07). Siehe ebenso Pessoa, E., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 495 (Quelle IV.2.d-10). 922 Zur Distanzierung von der Schienenlösung siehe Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 3.11.1919, S. 74; „O nordeste e a defeza nacional“, in: A União vom 5.12.1919, S. 1. Zur Hochschätzung der Stauanlagen siehe z.B. Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1051. (Quelle IV.3.c-08.)

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bezeichnen kann – werden sämtliche Export- und Importwaren (...) wegen des schwierigen Be- und Entladens durch hohe Abgaben extrem verteuert.“ Bereits neun Jahre zuvor sei der Bau eines Hafens im Parlament beantragt worden, ohne dass etwas geschehen sei. Dank der beklemmenden Notlage in Ceará habe sich nun der „günstigste und passendste Zeitpunkt ergeben, dieses Werk vom Staat in Angriff nehmen zu lassen“.923 In dieser Aussage kommt das gesamte System des Dürrediskurses und der Dürrepolitik zum Ausdruck: Die Wünsche nach infrastrukturellen Neuerungen bestanden seit langem und waren vom Klima unabhängig. Doch erst im Zenit der Trockenheit durften sich die Vertreter der Region – unter der Schirmherrschaft Epitácio Pessoas – Hoffnung auf eine Realisierung machen. Aufgrund der moralischen Komponente konnte ihnen die Unterstützung kaum ausgeschlagen werden. In der paraibanischen Regierungspresse wurde 1919/20 die Bedrängnis der „armen Arbeiter“, der „bedauernswürdigen sertanejos“ betont, um die Notwendigkeit zunehmender Hilfszahlungen zu begründen.924 Dem Staatschef Epitácio Pessoa dienten die Leiden der Bevölkerung als Druckmittel, um einen „gewissen Handlungsfreiraum bei der Anwendung der für die Tätigkeiten unerlässlichen Finanzmittel“ einzufordern.925 Im Gegenzug erwarteten die Abgeordneten – insbesondere die skeptischen Politiker aus dem Süden – handfeste Erfolgsmeldungen aus dem Krisengebiet.926 Nicht zuletzt weil die Auswirkungen der Trockenperiode im Regierungsdiskurs künstlich verstärkt wurden, war es möglich, auch die Verdienste der Hilfsmaßnahmen hochzuspielen. So konnten Pessoa und seine Kabinettsmitglieder auf die fast vollständige Inexistenz von Todesopfern verweisen und damit die immensen Summen an Staatsgeldern für die Region rechtfertigen.927 Während die Leistungsfähigkeit der solução hidráulica auch von den Verantwortlichen vor Ort angepriesen wurde,928 gaben die tatsächlichen Verhältnisse im Nordosten weniger Anlass zu Optimismus.

923 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 23.5.1919, S. 482  f. (Quelle IV.3.c-09). Weitere Beispiele zur steigenden Erwartungshaltung im Nordosten werden in Kapitel IV.4.c aufgeführt. 924 „Os serviços das obras contra as sêccas na Parahyba“, in: A União vom 22.2.1920, S. 1 (Quelle IV.3.c-10). 925 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23 (Quelle IV.3.c-11). 926 Das Misstrauen der südlichen Politiker wird in Kapitel IV.4.d thematisiert. 927 Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 393; Campos, Carlos (São Paulo), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 82 f. (Quelle IV.3.c-12). 928 Siehe z.B. „Obras do Porto da Parahyba. Uma excursão ao local dos serviços. O que já se tem feito * O que se vae dentro em breve fazer“, in: A União vom 30.10.1921, S. 1 (Quelle IV.4.e-13). Nähere Ausführungen und zusätzliche Zitate hierzu erfolgen in Kapitel IV.4.e.

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Obwohl es sich 1919 um keine exorbitante Trockenperiode handelte, mussten angesichts der unzulänglichen Versorgungsmöglichkeiten im Sertão Tausende von Menschen die Flucht ergreifen. Bereits Ende 1919 trafen allein in Fortaleza 24.000 Dürreflüchtlinge ein, und im folgenden Jahr spitzte sich die Lage weiter zu. Rodolfo Teófilo zufolge waren die Anzahl der Dürreflüchtlinge und deren Not mit der Misere von 1915 komparabel.929 Der Agronom Francisco de Assis Iglésias registrierte in jener Zeit erneut große Missstände bei der Dürrebekämpfung im Nordosten. Die Berichte Iglésias’ bestätigen die Errichtung weiterer Stauanlagen durch die Regierung, aber das Wasser sei nach wie vor nicht zur Durchführung von Bewässerungsprojekten genutzt worden. Nach Abreise der mit dem Bau beauftragten ausländischen Ingenieure habe sich niemand um die Verwendung des Wassers gekümmert. Iglésias merkte deshalb in seinen Aufzeichnungen an: „Man hätte noch [ausländische] Fachleute für die Bewässerung unter Vertrag nehmen sollen.“930 Auch die Mängel rund um den symbolträchtigen Cedro-Damm fanden zum wiederholten Male Erwähnung, etwa in der Stellungnahme des cearensischen Abgeordneten Frederico Borges, der nach einem Besuch in seiner Heimat einräumte: „Ich habe das Großprojekt des Staudamms von Quixadá besichtigt. Unglücklicherweise ist die Wartung des gigantischen Reservoirs nicht wie erwünscht verlaufen – hohe Ausgaben wurden getätigt und geringe Resultate erzielt.“931 In seinem ersten Regierungsjahr konnte Epitácio Pessoa noch glaubwürdig argumentieren, die Aktivitäten im Nordosten befänden sich an ihrem Anfang und würden schon bald beträchtliche Fortschritte aufweisen. Die Situation sollte sich bis zum Ende seiner Amtsperiode nicht grundlegend verbessern.932 Es wurden zwar zahlreiche und überaus kostspielige Konstruktionen in Gang gesetzt, doch nicht abgeschlossen. Lediglich das Straßen- und Schienennetz wurde funktionstüchtig ausgeweitet und kam den Menschen unmittelbar zugute.933 Die Ergebnisse der Wasserbaulösung aus den Jahren 1919–22 waren ernüchternd: Von 29 geplanten öffentlichen Stauanlagen wurde nur bei acht Dämmen die Arbeit begonnen, wobei sie sich in zwei Fällen auf Wiederinstandsetzung beschränkte. Bei den anderen 21 Vorhaben kam man nicht über die 929 Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 106; Souza/Medeiros, Os degredados filhos da seca, 1983, S. 35. 930 Iglésias, Meio-norte brasileiro 1912–1919, Bd. 1, 19582, S. 89, auszugsweise abgedr. in: Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 212 (Quelle IV.3.c-13). 931 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 447 (Quelle IV.3.c-14). 932 Siehe Kapitel IV.5.a. 933 Zum Verkehrsnetz siehe Kapitel IV.4.c und Pessoa, E., Mensagem de 1921 (3.5.1921), 1978 (19221), S. 394; ders., „À Nação – O govêrno de 1919–1922 – Exposição feita a 15/11/1922“, in: ders., Obras completas, Bd. XVII, 1956, S. 605–621 (619) (Quelle IV.3.c-15). Detaillierte Angaben auch in ders., Mensagem 3.5.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 547–550, 556 f.

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Anfertigung der Entwürfe hinaus. Von 23 Studien für private Staubecken wurde ausschließlich eine ausgeführt.934 Substantielle Veränderungen, die ein Leben mit der Trockenheit im Hinterland des Nordostens erleichtert hätten, waren nicht festzustellen. Trotz des aufwendigsten Nordostprogramms aller Zeiten brachte die nächste große Dürre in den Jahren 1930–32 die gleiche Verheerung wie die Trockenperiode von 1915 mit sich.935 Insbesondere das ursprüngliche Hauptziel, die Versorgung der Bevölkerung durch eine breit angelegte Wasserbewirtschaftung zu gewährleisten, blieb hinter den Erwartungen zurück. Diese Entwicklung hing direkt mit der bestehenden Besitzstruktur und der ausbleibenden Landreform zusammen. Verschärfung der Besitzverhältnisse – Privatisierung nationaler ­Ressourcen

In zwei umfangreichen Zeitungsartikeln vom Mai 1915 ermahnte der Ingenieur Jonny Bouchardt die politischen Entscheidungsträger, einzelne Agrarherren und Spekulanten nicht auf Kosten des Steuerzahlers durch staatliche Bewässerungsprojekte im Nordosten zu begünstigen. Der Boden, auf welchem die Irrigationskanäle errichtet würden, müsse enteignet und vom Staat genutzt oder verpachtet werden. In extensiven Berechnungen führte der Autor an, wie auf diese Weise die teuren Konstruktionen kostendeckend und gewinnbringend realisiert werden könnten.936 Als vier Jahre später die Bewässerungslandwirtschaft umgesetzt werden sollte, wurde auch die Frage der Verstaatlichungen berücksichtigt. In einer Botschaft an die „Finanz- und Sonderkommission zur Dürrebekämpfung“ konkretisierte der seit knapp zwei Monaten amtierende Epitácio Pessoa am 19.  September 1919 die entsprechenden Maßgaben. Die über die Caixa Especial abzuwickelnden Bauvorhaben sollten unter anderem durch den Verkauf von entprivatisierten Landstücken und von Parzellen, die von den beteiligten Provinzen zur Verfügung gestellt würden, finanziert werden. Außerdem zählte man auf Einkünfte, die aus der Bewässerungsagrikultur hervorgehen würden. Bis zu ihrer Abbezahlung und Übertragung an die jeweiligen Provinzen 934 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 98 f. Weitere Projekte und ihre Resultate werden in den folgenden Unterkapiteln vorgestellt. Zu „Fehlern und Fehltritten bei den Dürrearbeiten“ siehe auch Kapitel IV.4.e. 935 Greenfield, Realities of images: the Great Drought, 2001, S. 105. 936 Bouchardt, Jonny (engenheiro civil), „Solução radical e scientifica do problema das sêccas. Meios a empregar e resultados provaveis“, in: A União vom 23.5.1915, S. 1 f. und ähnlich in der gleichnamigen Fortsetzung des Artikels vom 25.5.1915, S. 1 f. (Quelle IV.3.c-16). Zu Bouchardt siehe auch Kapitel III.4. Des Weiteren siehe die Kalkulationen von Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 700–702.

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sollten die Stauanlagen von der Zentralregierung verwaltet und bewirtschaftet werden. Vorgesehen waren Irrigationsgebühren und die Verpachtung eines Teils der vergesellschafteten Ländereien. Die Voraussetzungen für Enteignungen und die zugehörigen Modalitäten wurden ebenfalls von Epitácio Pessoa in der zitierten Botschaft skizziert: Zu nationalisieren seien alle Gebiete, die zum Bau der Staudämme erforderlich waren und überflutet würden. Der Ackerboden im Bewässerungsbereich werde zur Verstaatlichung freigestellt, wenn die Besitzer ihn nicht kultivierten oder zwei Jahre mit den Steuerzahlungen im Rückstand lägen. In diesen Fällen sollten sich die staatlichen Entschädigungszahlungen am Grundstückspreis vor der Wertsteigerung durch die Irrigationssysteme orientieren.937 Im drei Monate darauf veröffentlichten Reglement der Caixa Espe­ cial wurden die Vorgaben weiter spezifiziert. Neben den genannten Elementen wurde festgelegt, dass auch dem Bau von Verkehrswegen in der Bewässerungszone die Enteignung der betreffenden Landstreifen vorausgehen müsse. Zudem sei das Terrain im Umkreis von 200 Metern rund um die Stauanlage zu verstaatlichen.938 Das im September 1919 von Epitácio Pessoa vorgestellte Konzept, welches auf den bereits angesprochenen Gesetzesantrag von Eloy de Souza aus dem Jahr 1911 zurückging, wurde im Dekret Nr.  3965 vom 25.  Dezember 1919 verankert und als Lei Epitácio Pessoa betitelt.939 Wie aus den oben aufgeführten Punkten zu erkennen ist, war das Gesetz hinsichtlich der Enteignungen einer entscheidenden Beschränkung unterworfen: Abgesehen von der Verstaatlichung des für die reinen Bauten unbedingt notwendigen Landes waren die Nationalisierungsmöglichkeiten auf brachliegende oder nicht ordnungsgemäß versteuerte Böden begrenzt. Damit blieb die Lei Epitácio Pessoa faktisch wirkungslos, zumal selbst ein Großgrundbesitzer nicht ausgerechnet seine besten Anbauflächen im bewässerten Gebiet vernachlässigt. Außerdem war es äußerst unwahrscheinlich, dass der Staat hart durchgreifen und die Rechtslage nutzen würde, es sei denn als Repressalie gegenüber politischen Gegnern. Nur unter diesen Vorzeichen konnte das Gesetz überhaupt zustande kommen. Von den parlamentarischen 937 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 24; „Redacção final do projecto n. 465, de 1919, que autoriza a construcção de obras de irrigação necessarias ao nordeste do paiz“, in: Anais da Câmara, 28.11.1919, S. 926 f. 938 Zu den exakten Bestimmungen siehe Regulamento da Caixa Especial, Kapitel III, Art. 26, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 140 f. (Quelle IV.3.c-17). Siehe Näheres zur Caixa in Kapitel IV.3.c. 939 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 19.9.1919, abgedr. in: ders., Obras comple­ tas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 269–276 (275 f.); Carneiro, Joaquim Osterne, „O DNOCS e os recursos hídricos do Nordeste semi-árido“, in: Revista do Instituto Histórico e Geográfico Paraibano (João Pessoa), Bd.  XCI, Nr.  32 (Febr./März 2000), ihgp.net/revistas.htm. Zu Eloy de Souza siehe Kapitel IV.3.c.

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Vertretern der Agrarelite – welcher auch Epitácio Pessoa entstammte – war keine Bewilligung legislativer Bestimmungen zu erwarten, die eine Bedrohung des Latifundiums mit sich gebracht hätten.940 In den mehr als 600 Seiten umfassenden Jahresansprachen an den Kongress im Zeitraum 1919–22, in denen Epitácio Pessoa auf alle wichtigen Aspekte seiner Politik detailliert einging, wurde dementsprechend das Thema der Enteignungen nicht einmal erwähnt.941 Zur Erläuterung der arbeitstechnischen und landwirtschaftlichen Prozesse der Wasserbaulösung zog Epitácio Pessoa internationale Beispiele heran – aus Indien, Ägypten und vor allem den USA. Dort habe der vom Staat getragene Bau von Bewässerungssystemen „der Nation immense politische, industrielle und finanzielle Vorzüge eingebracht. (...) Die Abgaben für die bewässerten Landstücke haben die Ausgaben der US-Regierung im Überfluss ausgeglichen.“942 Im Gegensatz zur agrarischen Nutzbarmachung weitläufiger unbesiedelter Trockenzonen in den USA vollzogen sich die vergleichbaren Staatsinterventionen in Brasilien aber innerhalb einer bereits seit der Kolonialepoche konsolidierten Besitzstruktur. Öffentliche Investitionen kamen daher automatisch einzelnen Landwirten zugute, wobei es sich in aller Regel um Latifundisten handelte. Die Umstrukturierung der Besitzverhältnisse war folglich eine fundamentale Vo­raussetzung, um die breite Bevölkerung an den Bewässerungsprojekten teilhaben zu lassen und sie auf diese Weise vor den Auswirkungen der Trockenperioden – und vor der Ausbeutung durch die Großgrundbesitzer – zu schützen. Die Dürrepolitik Epitácio Pessoas lässt jedoch keinerlei Ansätze zu strukturellen Veränderungen erkennen, welche eine effektive Partizipation der einfachen Landbevölkerung an den angestrebten Errungenschaften in Aussicht gestellt hätten. Der Staatschef ging weder auf die gesellschaftlichen Probleme noch auf die ungeheure Besitzkonzentration in den Händen weniger Herrschaftsfamilien ein. Entgegen den Beteuerungen, sich mit der Dürrepolitik für die arme Bevölkerung einzusetzen,943 wurde die Möglichkeit gesetzlicher Verstaatlichungen nicht als Instrument zur Herstellung einer sozialen Gerechtigkeit in Betracht gezogen. Sogar die in der Lei Epitácio Pessoa vorgeschriebene Vergesellschaftung der direkt von den Bewässerungssystemen eingenommenen Landstücke wurde 940 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 213–215, 226. 941 Siehe die Antritts- und Abschiedsrede Epitácio Pessoas als Präsident der Republik sowie die drei Regierungsansprachen zur Eröffnung des Kongresses: Pessoa, E., Mensagem 3.9.1919, 3.5.1920/1921/1922, Exposição 15.11.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 1–621. Davon siehe insbesondere S. 10, 183 f., 232–239, 386–389, 545– 559, 618 f., die sich jeweils mit den Dürren bzw. den Arbeiten im Nordosten beschäftigen. Siehe auch ders., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251), S. 277–284. 942 Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd.  XVII), 1956, S. 233  f. (Quelle IV.3.c-18). 943 Siehe hierzu Kapitel IV.2.d.

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

lediglich in seltenen Fällen durchgeführt.944 Die Enteignungen – wie sie etwa Jonny Bouchard 1915 verlangt hatte – waren nur als theoretisches Beiwerk dem Gesetzeskanon hinzugefügt worden. In der Praxis stellte sich genau die Situation ein, welche der Ingenieur Bouchard befürchtet hatte: Anstatt der geplanten Verstaatlichung des privaten Landbesitzes im Irrigationsbereich wurde quasi die Privatisierung der staatlichen Anlagen betrieben. Den Vorgängen im Nordosten skeptisch gegenüberstehend, beanstandete der oppositionelle Abgeordnete Cincinato Braga aus São Paulo 1919 einen Projektantrag zum Bau von Stauanlagen aus der Feder des paraibanischen Parlamentariers Octacilio de Albuquerque. Dessen Entwurf sei unvollständig, da unter anderem die Kosten für Enteignungen nicht einberechnet worden seien. Dazu Albuquerque: „Meine Absicht war es, ein praktisches und praktikables Gesetzesvorhaben auszuarbeiten. Wie könnte ich also die Nationalisierung bewässerter Äcker erwägen? Dies würde die Initiative im Keim ersticken. Auch Eisenbahnlinien werten das Land auf, welches sie durchkreuzen [die Eisenbahnen verringerten erheblich den zeitlichen und finanziellen Aufwand der sonst auf Eselsrücken ausgeführten Warentransporte]; und bisher ist es niemandem in den Sinn gekommen, es deshalb zu verstaatlichen.“945 Seiner Logik nach rechtfertigte ein Missstand den anderen. In beiden Fällen profitierte die Schicht der Landbesitzer, die zugleich das politische System trug. Die legislative Diskussion um Entprivatisierungen im Bewässerungsgebiet wurde von den politischen Vertretern der Region genau beobachtet und durch Gesetzeszusätze präzisiert. Sie betonten im Kongress vor allem die im Voraus zu leistenden Entschädigungen, wie es die Verfassung verfüge. Ebenso hoben sie Artikel 6 der Lei Epitácio Pessoa hervor, demzufolge die enteigneten Parzellen beim späteren Verkauf durch den Staat vorzugsweise heimischen Bauern der jeweiligen Provinzen anzubieten seien.946 Bei hohen Entschädigungssummen und geringen Rückkaufspreisen konnte die Landelite stattliche Gewinne aus den Transaktionen ziehen – ganz abgesehen von der Aufwertung des Bodens durch die Bewässerungsanlagen.947 944 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 129–131; Duarte, R., A seca de 1998– 1999, 2002, S. 41; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 371. 945 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 3.11.1919, S. 76 (Quelle IV.3.c-19). 946 Cabral, João (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 145, 150; „Redacção final do projecto n. 465, de 1919, que autoriza a construcção de obras de irrigação necessarias ao nordeste do paiz“, Artikel 6, Anais da Câmara, 28.11.1919, S. 927 und vgl. hierzu die für die direkt anliegenden Besitzer noch günstigere Formulierung im Regulamento da Caixa Especial, Kapitel III, Art. 26, § 2, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 141 (Quelle IV.3.c-20). 947 Es würde sich lohnen, zu diesem Aspekt eine gesonderte Studie anzufertigen.

Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument



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Der regierungskritische Abgeordnete Francisco Valladares aus Minas Gerais bemängelte, dass beim Wiederverkauf der enteigneten Landstücke nicht die von der Verfassung vorgeschriebene öffentliche Versteigerung zum Einsatz komme. Sein paraibanischer Kollege Octacilio de Albuquerque konterte, auf diese Weise werde eine Bevorzugung der wohlhabenden Kaufinteressenten verhindert. Dieses Argument ließ Valladares nicht gelten, zumal die wirklich mittellose Bevölkerung ohnehin keine Erwerbschancen besitze. Vielmehr argwöhnte er, dass vor Ort der Günstlings- und Vetternwirtschaft Tür und Tor geöffnet würden. Sowohl bei den Nationalisierungen als auch beim Verkauf des vergesellschafteten Landes vermutete er die üblichen Missbrauchspraktiken, die aus dem fernen Rio de Janeiro kaum zu kontrollieren seien.948 Die Vorwürfe der Opposition richteten sich gegen ein Phänomen, welches die Dürrepolitik von Anfang an begleitete, auch wenn sich seine Denomination erst später prägte – die sogenannte „Dürreindustrie“. Sie ist die gewichtige Kehrseite der staatlichen Dürrebekämpfung. Die ausbleibenden Erfolge trotz gewaltiger Investitionen, die nicht vollzogenen Enteignungen trotz ihrer gesetzlichen Festschreibung, die Armut und Schutzlosigkeit der Landbevölkerung trotz ihrer offiziellen Privilegierung in den Hilfsprogrammen können nur unter Berücksichtigung der indústria da seca erklärt werden. Ihre Untersuchung setzt die versäumte Landreform, die für eine wirksame Unterstützung der breiten Bevölkerung unumgänglich gewesen wäre, in ihren historischen Kontext.

4. Die Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument in der Ersten Republik a) Eine begriffliche Annäherung an die „indústria da seca“ Wörtlich ins Deutsche übertragen wirkt „Dürreindustrie“ zunächst befremdlich, weil wir unter „Industrie“ in erster Linie die „maschinelle Herstellung von Gütern in hoher Stückzahl“ verstehen. Plausibilität erlangt die Bezeichnung, sobald der lateinische Ursprung der industria (Fleiß, Betriebsamkeit) und ihre semantische Breite im Portugiesischen berücksichtigt werden. Dort rückt in­ dústria in die Nähe des ofício (Gewerbe) und drückt darüber hinaus destreza aus (Kunstgriff, Geschicklichkeit, Handfertigkeit). In figurativer Bedeutung steht sie zudem für invenção (Erfindung, Dichtung, Fiktion), astúcia (Schlauheit, Tücke, Arglist) und engenho (Erfindungsgabe, Geschick, Talent).949 Mit geschickter und arglistiger Erfindung hat die Dürreindustrie durchaus zu tun – von der 948 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 178 (Quelle IV.3.c-21). 949 Dicionário Aurélio – Século XXI.

Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument



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Der regierungskritische Abgeordnete Francisco Valladares aus Minas Gerais bemängelte, dass beim Wiederverkauf der enteigneten Landstücke nicht die von der Verfassung vorgeschriebene öffentliche Versteigerung zum Einsatz komme. Sein paraibanischer Kollege Octacilio de Albuquerque konterte, auf diese Weise werde eine Bevorzugung der wohlhabenden Kaufinteressenten verhindert. Dieses Argument ließ Valladares nicht gelten, zumal die wirklich mittellose Bevölkerung ohnehin keine Erwerbschancen besitze. Vielmehr argwöhnte er, dass vor Ort der Günstlings- und Vetternwirtschaft Tür und Tor geöffnet würden. Sowohl bei den Nationalisierungen als auch beim Verkauf des vergesellschafteten Landes vermutete er die üblichen Missbrauchspraktiken, die aus dem fernen Rio de Janeiro kaum zu kontrollieren seien.948 Die Vorwürfe der Opposition richteten sich gegen ein Phänomen, welches die Dürrepolitik von Anfang an begleitete, auch wenn sich seine Denomination erst später prägte – die sogenannte „Dürreindustrie“. Sie ist die gewichtige Kehrseite der staatlichen Dürrebekämpfung. Die ausbleibenden Erfolge trotz gewaltiger Investitionen, die nicht vollzogenen Enteignungen trotz ihrer gesetzlichen Festschreibung, die Armut und Schutzlosigkeit der Landbevölkerung trotz ihrer offiziellen Privilegierung in den Hilfsprogrammen können nur unter Berücksichtigung der indústria da seca erklärt werden. Ihre Untersuchung setzt die versäumte Landreform, die für eine wirksame Unterstützung der breiten Bevölkerung unumgänglich gewesen wäre, in ihren historischen Kontext.

4. Die Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument in der Ersten Republik a) Eine begriffliche Annäherung an die „indústria da seca“ Wörtlich ins Deutsche übertragen wirkt „Dürreindustrie“ zunächst befremdlich, weil wir unter „Industrie“ in erster Linie die „maschinelle Herstellung von Gütern in hoher Stückzahl“ verstehen. Plausibilität erlangt die Bezeichnung, sobald der lateinische Ursprung der industria (Fleiß, Betriebsamkeit) und ihre semantische Breite im Portugiesischen berücksichtigt werden. Dort rückt in­ dústria in die Nähe des ofício (Gewerbe) und drückt darüber hinaus destreza aus (Kunstgriff, Geschicklichkeit, Handfertigkeit). In figurativer Bedeutung steht sie zudem für invenção (Erfindung, Dichtung, Fiktion), astúcia (Schlauheit, Tücke, Arglist) und engenho (Erfindungsgabe, Geschick, Talent).949 Mit geschickter und arglistiger Erfindung hat die Dürreindustrie durchaus zu tun – von der 948 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 178 (Quelle IV.3.c-21). 949 Dicionário Aurélio – Século XXI.

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Konstituierung des Naturphänomens als Angelpunkt des wirtschaftspolitischen Handelns im Anschluss an die katastrophale Trockenperiode von 1877 bis hin zur gesetzlichen Institutionalisierung der Dürrebekämpfung in den ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts. Der Weg dorthin wurde von den gegnerischen Oligarchien des Südens mit zahlreichen Hindernissen verbaut, welche die parlamentarischen Vertreter des Trockengürtels mit Hilfe diskursiver Brücken zu überwinden suchten. Angesichts seines Umfangs allein in den Kongressannalen und in der regionalen Presse erinnert der Dürrediskurs – im oben geschilderten bildlichen Sinne – an ‚industrielle‘ Massenproduktion. Die mit einer Industrie assoziierte Automatisierung kann wiederum auf die Anliegen des Diskurses bezogen werden, zumal er die automatische, sprich nicht hinterfragte oder zu hinterfragende Anerkennung seiner Argumente und Forderungen anstrebte. Die Dürrepolitik sollte ihren festen Platz im politischen Geschehen erhalten, sie sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden, wie es in der damaligen Zeit mit der sanitären Bekämpfung von Epidemien und der Stabilisierung der Kaffeepreise bewerkstelligt worden war. Die Präsidentschaft Epitácio Pessoas ermöglichte diesen wichtigen Etappensieg, welcher im Fieber der gigantischen Bauaktivitäten vorübergehend für die Zielgerade gehalten wurde. Aufgrund der parlamentarischen Kontrollfunktion und Rivalität um den nationalen Finanzhaushalt gelang es der Dürrepolitik letztlich nicht, sich vollends durchzusetzen. In ihrer Inszenierung einer an den Bedürfnissen der armen Bevölkerung ausgerichteten Wasserbewirtschaftung wurde sie immer wieder von der Realität der indústria da seca eingeholt. Deren pejorative Konnotation erklärt sich von selbst durch eine nicht wörtliche, aber ihren Kern treffende Übersetzung – die Geschäftemacherei mit der Dürre. Der heute gängige Terminus „Dürreindustrie“ wurde besonders mit der ­Publikation des Journalisten Antônio Callado Os industriais da sêca e os „Ga­ lileus“ de Pernambuco von 1960 verbreitet.950 Die Wurzeln der Dürreindustrie werden in der Fachliteratur im Umfeld der Trockenperiode von 1877–79 lokalisiert, ohne allerdings die erste Verwendung des Begriffs zu ergründen.951 In den für die vorliegende Arbeit untersuchten Quellen wird die Denomination erstmals 1920 gebraucht. In einer kritischen Stellungnahme zum Nordostprogramm Epitácio Pessoas merkte der oppositionelle Abgeordnete Francisco Valladares am 21.  Dezember 1920 im Kongress an, dass bereits während der ‚Großen Dürre‘ die Existenz einer „industria da secca“ aufgezeigt worden war.952 Der Ausdruck an sich ist in den überlieferten Parlamentsdebatten von 1877–79 nicht zu finden. Seinerzeit war das geflügelte Wort von den „ladrões de casaca 950 Callado, A., Os industriais da sêca e os „Galileus“ de Pernambuco, 1960. 951 Siehe u.a. Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 16; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 373 f.; Castro, Iná, O mito da necessidade, 1992, S. 196. 952 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle IV.4.a).

Dürreindustrie als oligarchisches Machtinstrument



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e luvas de pellica“ („Diebe in Frack und Glacéhandschuhen“) im Umlauf, welches während der Präsidentschaft Pessoas erneut in die politische Diskussion eingebracht wurde.953 Die beiden Epochen zeichnen sich durch zwei markante Gemeinsamkeiten aus – immense Staatsausgaben für das Trockengebiet und damit einhergehend unzählige Missbrauchsvorwürfe. Zwar waren schon frühere staatliche Wasserbauprojekte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Korruption begleitet, doch die systematischen bzw. ‚industriellen‘ Übertretungen entwickelten sich erst im Zuge der ‚Großen Dürre‘ und erzielten ihr Maximum unter Epitácio Pessoa.954 Das ‚Geschäft mit der Dürre‘ kannte viele und vielfältige Akteure. Zu ihnen gehörten einfache Diebe von Hilfsgütern und kleine Händler, die in Trockenzeiten die Lebensmittelpreise extrem anhoben, um aus der Not der Menschen und den Regierungsgeldern Profit zu schlagen. Die Protagonisten der indús­ tria da seca kamen aus der wirtschaftspolitischen Elite, welche die staatlichen Ressourcen für die Region zweckentfremdete und für sich vereinnahmte.955 Ihr methodisches Vorgehen und ihre größtenteils ungeahndeten Vergehen sollen im Folgenden untersucht werden. Nach einem kurzen Überblick über die Anfänge der Dürreindustrie wird ein spezielles Augenmerk auf die Wirkenszeit Epitácio Pessoas, seinen heimatlichen Einflussbereich und seine Person gerichtet, die erstaunlicherweise in der brasilianischen Historiographie aus der Kritik weitgehend ausgespart bleibt.956

b) Der Schauer nach der Dürre – „Diebe in Frack und ­Glacéhandschuhen“ seit 1877 Die Ursprünge und Urheber der Dürreindustrie

Die skrupellose Ausnutzung der Dürrekatastrophe beschäftigte den Kongress bereits zu Beginn der Trockenperiode von 1877. Über „degenerierte Regierungsorgane“ seien unrechtmäßige Staatsgelder erlangt und durch Preisspekulationen

953 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle IV.4.d-26). Weitere Quellenbelege des Ausspruchs werden in Kapitel IV.4.b geliefert. 954 Nähere Informationen zu diesen Zusammenhängen werden in den entsprechenden Unterkapiteln IV.4.b-e gegeben. 955 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 87  f.; Albuquerque, In­ venção da seca, 1995, S. 113; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 126. 956 Der Aspekt der Rezeptionsgeschichte wird in Kapitel IV.6 behandelt.

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unlautere Verdienste gemacht worden.957 Vor allem in Ceará blickten die Gesetzgeber auf langjährige Erfahrungen in der Materie zurück – schon in den ersten Jahren des Kaiserreichs waren staatliche Förderprogramme für die Krisenregion wegen illegaler Praktiken wieder aufgegeben worden.958 Mit den ausgiebigen Hilfsmitteln während der ‚Großen Dürre‘ breitete sich die kriminelle Bereicherung erneut aus und nahm systematische Züge an. Die Zuteilung von Esswaren und Arbeitsplätzen für die Notleidenden wurde in gefälschten Listen nach oben korrigiert und die Differenz kassiert.959 Laut Berichten der höfischen Zeitung Commercio da côrte verschafften sich einige Schifffahrtsgesellschaften die Personenkontingente für die staatlich finanzierten Rettungstransporte dadurch, dass sie die Dürreflüchtlinge von Soldaten auf die Dampfer eskortieren ließen und sie an Bord unter Arrest hielten.960 Die meisten und folgenreichsten Verfehlungen gingen von den Führungsebenen aus, weshalb Innenminister Carlos Leôncio da Silva Carvalho Anfang 1879 von „Dieben in Frack und Glacéhandschuhen“ sprach und mit seiner Äußerung für große Empörung im Kongress sorgte. Die Anspielung richtete sich gegen Missbrauch in großem Umfang in Rio Grande do Norte.961 Der cearensische Senator Jaguaribe weitete die Bezichtigungen auf seine Heimatprovinz aus. Dort hätten Parteifreunde des Gouverneurs José Julio de Albuquerque Barros – seines politischen Gegners – auf Kosten Tausender von Todesopfern in kürzester Zeit ein Vermögen angehäuft. Die Schuldigen seien in Ceará allgemein bekannt, doch Namen nannte er keine. Als er im Senat von Ratspräsident und Finanzminister João Lins Vieira Cansansão de Sinimbú aufgefordert wurde, die Details preiszugeben, sekundierte ihm dessen Vorgänger im Ministeramt Barão de Cotegipe mit der Zwischenbemerkung, eine solche Bloßstellung sei „in diesem Forum nicht üblich“.962 Das schützende Schweigen Jaguaribes wurde nicht gebrochen, woraufhin der Abgeordnete Martinho Campos aus Minas Gerais seine Zustimmung zu neuen Krediten für das Dürregebiet verweigerte. An der Aussage des Senators Jaguaribe werde deutlich, dass neben Rio Grande do Norte auch in Ceará die „neue Klasse von Dieben“ 957 Motta (Goiás), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 253; siehe auch Zacarias (Bahia), ebd., S. 251 und Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877, S. 236 (Quelle IV.4.b-01). 958 Siehe ders., Anais do Senado, 25.6.1877, S. 222; Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 283 bzw. Kapitel II.1.b. 959 Andrade, Souza (Ceará?), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 465 (Quelle IV.4.b-02). 960 Commercio da côrte, zit. von: Campos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459 (Quelle IV.4.b-03). 961 Carvalho, Carlos Leôncio da Silva (Ministro do Imperio), indirekt zit. von: Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 63; Campos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459, 461 (Quelle IV.4.b-04). 962 Jaguaribe (Ceará)/Veloso, Pedro Leão (Maranhão)/Sinimbú, João Lins Vieira Cansanção de (Alagoas, Senator, 1879 zugl. Ratspräsident und Finanzminister)/Barão de Cotegipe (Bahia), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 63 f. (Quelle IV.4.b-05).

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die Trockenheit für sich nutze, die Täter ungestraft blieben und nicht einmal verhört würden.963 Bezerra Cavalcanti von der Opposition aus Rio Grande do Norte bekräftigte die Vorwürfe gegen seine Heimatprovinz, wo Vizegouverneur Vicente Ignacio Pereira mit Staatsgeldern „schwindlerische Rechnungen“ beglichen habe.964 Seitens der cearensischen Regierungsfraktion räumte Rodrigues Junior schwerwiegende Fehler bei der Leitung der Hilfsmaßnahmen ein, erachtete allerdings die vorherige Staatsmacht für verantwortlich und bezeichnete die Angriffe gegen Julio de Barros als ungerecht, parteiisch und falsch. Gerade von Senator Jaguaribe verwundere ihn dessen diffamierendes Verhalten, denn dieser habe sich ehemals selbst über „leichtfertige Verleumdungen“ beklagt.965 Vielleicht nannte Jaguaribe deshalb keine Namen, weil er wusste, wie schnell die Anschuldigungen auf ihn zurückfallen konnten. Außerdem war sogar unter den schärfsten Kritikern der Dürrepolitik, die strengere Kontrollen verlangten, eine gewisse gesellschaftliche Sanktionierung bzw. Toleranz der Korruption festzustellen, zumal sie diese als ein unmöglich zu verhinderndes Übel einschätzten.966 Noch drei Jahre nach Ende der ‚Großen Dürre‘ wurde im Parlament an den Ausspruch Leôncio de Carvalhos über die „ladrões de casaca e luvas de pellica“ erinnert, um die „Moralität der getätigten Ausgaben für die Trockenheit im Norden“ wachsam zu prüfen. Eine erste Untersuchung habe ausufernde Betrügereien aufgedeckt. Dem Abgeordneten Andrade Figueira aus Rio de Janeiro zufolge sei die Hälfte der damals vergebenen Dürregelder – einschließlich der Verwaltungskosten insgesamt 74.000 Contos – nicht den Notleidenden zugute gekommen.967 Sein Landsmann Lacerda Werneck wiederholte 1885 die Vorwürfe gegen den Norden, wurde jedoch von Frederico Borges aus Ceará korrigiert, die Bereicherung habe im Süden stattgefunden. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten verteidigten die Repräsentanten des Trockengürtels unbeirrbar dieses Argument.968 Der paraibanische Abgeordnete João Coelho Lisboa behauptete 1898, die Redewendung „Gauner in Glacéhandschuhen“ habe sich nicht 963 Campos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459, 461 (Quelle IV.4.b-06). 964 Cavalcanti, Bezerra, indirekt zit. von Brandão (Rio Grande do Norte), Anais da Câ­ mara, 21.5.1879, S. 320, welcher vermeintliche „contas fraudulentas“ abstritt – alle Rechnungen seien auf offiziellem Weg überprüft worden. 965 Rodrigues (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 463, 465–467 (Quelle IV.4.b-07). 966 Campos (Minas Gerais), ebd., S. 460; im gleichen Tenor Rodrigues (Ceará), ebd., S. 465 (Quelle IV.4.b-08). Rodrigues widersprach damit seiner eigenen Aussage, bei der guten Amtsführung des aktuellen Gouverneurs sei Missbrauch quasi undenkbar (vgl. Quelle IV.4.b-07). 967 Figueira, Domingos Andrade (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 25.5.1882, S. 97, 99; siehe auch Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 16.6.1882, S. 535 (Quelle IV.4.b-09). 968 Werneck, Lacerda (Rio de Janeiro)/Borges, Frederico (Ceará), Anais da Câmara, 9.7.1885, S. 301  f. (Quelle IV.4.b-10). Zur Verwendung des gleichen Arguments

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

auf die nördlichen Provinzen, sondern einzig und allein auf die Spekulanten des kaiserlichen Hofes bezogen.969 Sein cearensischer Kollege Helvecio Monte wurde noch direkter, indem er die in Rio de Janeiro angesiedelten „verdadeiros gatunos de casaca e luvas de pellica“ bezichtigte, von den für das Dürregebiet bestimmten 72.000 Contos mindestens 20.000 Contos an sich gebracht zu haben – durch ausbeuterische Geschäfte mit größtenteils verdorbenen und überteuerten Lebensmitteln.970 Aus den Reihen der Haushaltskommission schaltete sich Serzedello Corrêa in die Diskussion über die skandalösen Fehltritte von 1877 ein, um den Verdacht aktueller Delikte zu konstatieren. Entrüstet forderte ihn Helvecio Monte auf, seine Mutmaßung zu spezifizieren. Augenblicklich beschwichtigte Serzedello Corrêa, er spreche rein hypothetisch und würde nie einem werten Kollegen gegenüber den gebotenen Respekt vermissen lassen.971 Wie bereits 1879 blieb es bei vagen Andeutungen. Ebenso sprunghaft verhielt sich zwei Jahre später der Parlamentarier J. A. Neiva. Nachdem er am 12. September 1900 neu beantragte Dürrekredite als „Bankett in Frack und Glacéhandschuhen“ verurteilt hatte, dementierte er am 17. September 1900 diese im Diario do Congresso festgehaltene Version und willigte in die Kreditvergabe ein, denn er habe lediglich „frühere Bankette“ getadelt.972 Auch umgekehrt wurden Beschwerden der Repräsentanten aus dem Norden gegen die ‚stiefmütterliche‘ Regierung im Süden mit ergebener Höflichkeit wieder zurückgenommen, sobald konkrete Namen angeführt wurden.973

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durch denselben Parlamentarier (Borges) 35 Jahre später siehe Kapitel  IV.4.d bzw. ders., Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle IV.4.d-26). Lisboa, João Coelho Gonçalves (Paraíba), Anais da Câmara, 4.10.1898, S. 71 (Quelle IV.4.b-11). Monte, Helvecio (Ceará), ebd. (Quelle IV.4.b-12). Siehe im Anhang den vollständigen Auszug aus den Annalen, einschließlich der numerischen Verzerrung der Unterschlagungsvorwürfe von 20.000 Contos auf 42.000 Contos. Corrêa, Serzedello (Pará)/Borges, Frederico (Ceará)/Monte, Helvecio (Ceará), ebd., S. 76 (Quelle IV.4.b-13). Neiva, J.  A. (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 12./17.9.1900, S. 212, 310; Diskussion des Projecto 149 A (Dürrekredite), Anais da Câmara, 20.9.1900, S. 429 (Quelle IV.4.b-14). Siehe weitere Exzerpte dieser Passage in Kapitel  II.3.a (Quelle II.3.a-10) im Kontext der „Superlativierung der Trockenheit als politisches Druckmittel“, dem sich angesichts des beschriebenen Leids der Bevölkerung selbst die Zweifler nicht entziehen konnten. Siehe hierzu z.B. die revidierte Kritik an Präsident Rodrigues Alves in Franco, Pedreira (Bahia)/Souza, Eloy de (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 647. Zu den Hintergründen siehe einerseits die scharfen Angriffe der paraibanischen Zeitung O Combate gegen die Regierung Rodrigues Alves und andererseits die erneut äußerst taktvolle und vorsichtige Erklärung des Abgeordneten Calogeras aus Rio de Janeiro, die Ineffizienz der Arbeiten im Norden sei auf die dortige regionale Inte­ ressenvertretung zurückzuführen. Pereira, „A fome“, in: O Combate, Bd. 2, Nr. 40–3

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Angriff ist die beste Verteidigung – Überlebensstrategie einer ­„politischen Plage“

Die parlamentarische Behandlung der Dürreindustrie war von großer Widersprüchlichkeit geprägt. Sogar in einem offiziellen Bericht der Provinzleitung von Rio Grande do Norte wurde die „unpatriotische“ Nutzung der staatlichen Rettungsmaßnahmen zur Förderung von Parteifreunden und zum Kauf von Wahlstimmen angezeigt – wohlgemerkt in Bezug auf die Amtszeit der abgelösten Vorgänger.974 In aller Regel spielten die Vertreter des Nordens die Missbrauchspraktiken herunter, welche auf die niedrigsten Ausführungsebenen der Dürrebekämpfung beschränkt seien. Es handele sich um einzelne Hinterziehungen geringer Beträge, die geahndet würden und keinen Grund zum Aussetzen der Hilfsleistungen darstellten. Die Anschuldigung der systematischen persönlichen Bereicherung wurde von ihnen als „Legende“ abgetan.975 Im Gegensatz dazu verurteilten Kritiker sowohl aus dem Süden als auch dem Norden im Verlauf der verheerenden Trockenperiode von 1915 erneut die Verschwendung von Staatsgeldern, mit denen die küstennahen Hauptstädte in den Dürreprovinzen verschönert würden, während im Sertão die Menschen verhungerten.976 Zur „Plage der Dürre“ komme die „Plage der Politik“ hinzu. Der aus Rio de Janeiro stammende Abgeordnete Maurício Paiva de Lacerda warf den Oligarchien des Nordens vor, sie beanspruchten für ihre dubiosen ‚Dienste‘ einen erheblichen Anteil der Sonderkredite, weswegen die Bemühungen keine Erfolge zeitigten. Er sei für die Arbeiten, aber gegen die einträgliche Ämterpolitik.977 Juvenal Lamartine aus Rio Grande do Norte bezog Lacerdas Aussage scheinbar arglos auf das reguläre Beamtentum der Dürrebehörde und lenkte somit en passant von der

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(21.10.1903), S. 3; Calogeras (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908, S. 646. (Quelle IV.4.b-15.) Gordo, Adolpho Affonso da Silva, „Extracto do Relatorio do Dr. Adolfo Affonso da Silva Gordo, Governador do Estado do Rio Grande do Norte ao passar o governo em 8 de fevereiro de 1890 ao seu sucessor Dr. Jeronymo Americo Raposo da Camara“, abgedr. in: Silva, R. Pereira da (chefe da 2a secção da Inspectoria de Obras Contra as Seccas), Estudos e trabalhos relativos aos Estados da Parahyba e Rio Grande do Norte, Publikation Nr. 12, Serie I, E, Rio de Janeiro: Ministerio da Viação e Obras Publicas/ Imprensa Nacional, 1910, S. 33–36 (33) (Quelle IV.4.b-16). Lima, Barbosa (Pernambuco)/Oliveira, Hosannaii de (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 19.5.1904, S. 67 (Quelle IV.4.b-17). Rabello, Aristides (Geschäftsmann aus Canindé/Ceará), Telegramm, o. D., vorgetragen von: Lacerda, Maurício Paiva de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 16.10.1915, S. 659 (Quelle IV.4.b-18). Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 23.7.1915, S. 138; ders., Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 109 (Quelle IV.4.b-19).

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weit verbreiteten klientelistischen Korruption ab.978 Eine alternative Methode zum gleichen Zweck wählte der cearensische Abgeordnete Gustavo Barroso. Erstaunlicherweise führte er wie sein Opponent Lacerda die „bis heute praktisch unwirksamen Ansätze zur Lösung der Dürreproblematik“ auf die Ämterwirtschaft zurück, die mehr Ressourcen als die eigentlichen Rettungsvorhaben verschlungen habe. Verantwortlich machte er allerdings den von der Regierung in Rio de Janeiro berufenen Superintendanten und ganz allgemein sämtliche Behörden in Brasilien, wobei er die Vertreter aus dem Nordosten – zu denen auch er zählte – offensichtlich ausklammerte. Heiteres Gelächter im Parlament verursachte der Zwischenruf seines Kollegen Luiz Domingues, die ernannten Funktionäre hätten sich selbst als die hilfsbedürftigsten Opfer verstanden.979 Die Korruption wurde von den Politikern des Trockengürtels als bekannte und allgegenwärtige Gegebenheit präsentiert, solange das eigene Umfeld aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen blieb. In diesem Sinne lobte Gustavo Barroso im Abgeordnetenhaus einen „brillanten“ Zeitungsartikel des Im­ parcial, demzufolge „mehr als die Hälfte der Hilfskredite in den Taschen egoistischer, unbekümmerter Funktionärsgünstlinge verschwand“. Der Imparcial schrieb in dem Bericht der Zentralregierung die Schuld für die fehlgeschlagene Dürrebekämpfung zu. Den Repräsentanten des Südens, namentlich Finanzminister Calogeras, wurde eine parteipolitisch motivierte Verzögerung der vom Kongress beschlossenen Zahlungen unterstellt, die Menschenleben im Krisengebiet koste.980 Ungeachtet aller Ambivalenz und Unglaubwürdigkeit verteidigte sich der Norden gegen den Süden, indem er dessen Anklagen gegen ihn selbst richtete. Die Dreistigkeit der Argumentation, gepaart mit Hartnäckigkeit und einer breiten Unterstützung, triumphierte. Unter dem Schutzschild des über Jahrzehnte hinweg ausgefeilten Dürrediskurses konnte sich die indústria da seca weiter ausdehnen und erreichte in den Jahren 1919–22 – mit Epitácio Pessoa an der Staatsspitze – ihren Gipfel. Pessoa hatte seit den Anfängen der Republik durch seine parlamentarische Tätigkeit und die Festigung des Diskurses den Weg dorthin bereitet. Der Missbrauch in der Dürrebekämpfung wurde von ihm einerseits kritisiert, und zwar an die antagonistische Oligarchie adressiert, und andererseits kultiviert – innerhalb der klientelistischen Beziehungen, auf denen das politische System und seine Macht in Paraíba und Rio de Janeiro basierten.

978 Lamartine (Rio Grande do Norte), ebd. (Quelle IV.4.b-20). 979 Barroso, Gustavo (Ceará)/Silva, L. Domingues da (Maranhão), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 872 f. (Quelle IV.4.b-21). 980 „Pelos flagellados do norte“, in: O Imparcial (Rio de Janeiro) vom 15.10.1915, zit. von: Barroso, G. (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1915, S. 193 f. (Quelle IV.4.b-22).

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c) Die lukrative Politisierung der Trockenperioden in Paraíba (1889–1919) Dürreposten und Vetternwirtschaft in der oligarchischen Herrschaft

Als Abgeordneter des ersten republikanischen Kongresses (1889–91) beschrieb Epitácio Pessoa 1891 die Dürrepolitik der vorherigen kaiserlichen Machthaber als skandalös. Deren politische Gefolgschaft habe die Lieferung von Hilfsgütern monopolisiert und sei mittels astronomischer Preise über Nacht zu Reichtum gelangt, während das Volk schutzlos dem Elend ausgesetzt gewesen sei.981 Mit ähnlicher Kritik brachte Epitácio Pessoa im Jahr 1896 die gegnerische Oligarchie Álvaro Machados in Bedrängnis, die von 1892 bis 1912 seiner Heimatprovinz vorstand. In einem formalen Verfahren bezichtigte er sie der Unterschlagung von Staatsgeldern, welche der Region zwei Jahre zuvor zum Bau kleiner Stauanlagen als Prävention vor den Dürreauswirkungen zugesprochen worden waren. Pessoa berichtete dem zuständigen Minister von Arbeiten zweifelhaften Nutzens und von überzogenen und zum Teil gänzlich fiktiven Abrechnungen. Aus späteren Jahren sind weitere Beschuldigungen dieser Art gegen die Alvaris­ tas dokumentiert.982 Von den drei Oligarchien, die während der Ersten Republik den paraibanischen Staatsapparat dominierten, waren die genannten Unregelmäßigkeiten keineswegs auf die Alvaristas beschränkt. Klare Spuren der indústria da seca hinterließen sowohl die Venancistas, denen Epitácio Pessoa von 1889 bis 1891 als Staatssekretär und Bundesabgeordneter verpflichtet war, als auch die Epitacistas, die er von 1915 bis 1930 als alleinherrschender Parteichef anführte.983 Der Beteuerung des jungen Parlamentariers Epitácio Pessoa, die Regierung Venâncio Neivas habe sich dank ihrer erfolgreichen Dürremaßnahmen einen „prominenten Platz im Herzen des paraibanischen Volkes“ gesichert, stehen zeitgenössische Zeitungsberichte über die Mängel der staatlichen Rettungsaktionen gegen-

981 Pessoa, E., Primeiros tempos (1884–1909) (Obras completas, Bd. II), 1965, S. 112 f. (Quelle IV.4.c-01). 982 Pessoa, E., „Carta a Antônio Olinto [Ministro da Indústria] (Sôbre o açude ‘Macacos’) (1896)“, in: ders., Obras completas, Bd. II, 1965, S. 249 f. (Quelle IV.4.c-02); Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 287; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 113. Zur heftigen Kritik aus der Feder des Politikers João Gonçalves Coelho Lisboa aus dem Jahr 1908 siehe ebd., S. 108. 983 Ebd., S. 107. Einzelheiten zur Dürreindustrie unter Epitácio Pessoa werden in Kapitel IV.4.e referiert. Zu den genauen Daten aus dem Lebenslauf Pessoas siehe Kapitel IV.1.a/b.

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über.984 Hinzu kamen schwerwiegende Vorwürfe des Polizeichefs João Coelho Lisboa, der aufgrund von Meinungsverschiedenheiten von Venâncio Neiva entlassen worden war. Daraufhin sandte Coelho Lisboa dem Präsidenten der Republik Deodoro da Fonseca (1889–91) im April 1890 eine Beschwerdeschrift über illegitime finanzielle und politische Gefälligkeiten im Rahmen der Vetternwirtschaft Venâncio Neivas. Ergänzt wurde das Schreiben durch eine kommentierte Liste mit zwölf Namen von Verwandten und Freunden des paraibanischen Gouverneurs, welche jener in wichtigen Regierungsressorts untergebracht hatte.985 Darunter befand sich Epitácio Pessoa, dessen eigener Führungsstil zwei Dekaden später von dem seiner Vorgänger in dieser Hinsicht nicht abweichen sollte. Nach annähernd zwanzig Jahren in der paraibanischen Opposition spiegelte sich die Machtübernahme der Pessoas in der hohen Anzahl von Neffen, Cousins und angeheirateten Verwandten mit neu gewonnenen politischen Funktionen wider. Allein in der Assembleia Legislativa da Paraíba stammten nach 1912 achtzehn Abgeordnete aus dem Clan; und auf munizipaler Ebene wurden noch sehr viel mehr Posten von Familienmitgliedern eingenommen. Die oppositionelle Presse nannte Pessoa ironisch „Onkel Pita“ (Koseform von Epitácio), da er insbesondere seinen Neffen zu hochrangigen Ämtern und politischen favores verhalf, zumal er selbst keine Söhne hatte. In den Jahren 1916–30 setzte er fünf Neffen im paraibanischen Parlament, einen im Nationalkongress und einen weiteren – seinen Lieblingsneffen João Pessoa – als Provinzpräsidenten ein.986 Abgesehen von dem Aspekt des größeren Vertrauens innerhalb der Verwandtschaft waren öffentliche Anstellungen eine der wenigen Optionen für einen guten Verdienst und somit ein bevorzugtes Instrument zur Versorgung der Familie und zur Belohnung von Parteianhängern. Paraíba war ein vollständig von der jeweiligen Führungsoligarchie beherrschter Staat, in dem klientelistische Praktiken tief verwurzelt waren. Nepotismus, skrupellose Geschäfte und die willkürliche Entlassung unliebsamer Staatsdiener waren Kennzeichen der oligarchischen Politik, die auf die Neivas und Pessoas in Paraíba ebenso zutrafen wie auf die fast omnipotenten Pedrovelhista- und Aciolo-Oligarchien in den Nachbarprovinzen Rio Grande do Norte und Ceará.987 Auch wenn die im 984 Pessoa, E., Primeiros tempos (1884–1909), 1965, S. 112 f. (Quelle IV.4.c-03). Ferreira zitiert einen Artikel vom 19.3.1890, also wenige Monate nach Ausrufung der Repu­ blik. Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 109. 985 Lisbôa, João Coelho, „A S. Ex.a o Generalíssimo Chefe do Govêrno Provisório. A oligarquia dos Neivas, no Estado da Paraíba do Norte (Quadro Demonstrativo)“, Rio de Janeiro, April 1890, in: ders., Oligarquias, sêcas do Norte e clericalismo, 1909, S. 96, 98, abgedr. in: Carone, Primeira República, 1969, S. 92–95. 986 Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 127; siehe auch Lewin, Politics and parentela in Pa­ raíba, 1987, S. 165, 212, 321. 987 Ebd., S. 6, 8; Carone, Primeira República, 1969, S. 92; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 108. Zum ersten republikanischen Führer von Rio Grande do Norte, Pedro Velho

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Nordosten sprichwörtliche Dominanz eines Staates durch eine einzige Familie nur in Ausnahmefällen anzutreffen war,988 veranschaulicht das Phänomen der Vetternwirtschaft die Relevanz des familiären Kollektivs im Kampf um den politischen und ökonomischen Machterhalt. Herzstück der oligarchischen Politik war die parentela – die Großfamilie, erweitert durch nicht blutsverwandte Angehörige, deren Bindung über Patenschaften und Adoptionen verstärkt werden konnte. Zu den Stützpfeilern des Systems zählte die Patronage, d.h. die sich in Günstlingswirtschaft bzw. Klientelismus äußernde Förderung durch eine Führungskraft (‚Patron‘) – meist das Oberhaupt einer hochgestellten Familie – im Tausch gegen politische Loyalität. In der Ersten Republik wurden mehr Verwaltungsressourcen in Form von Zeit und Geld dafür verwendet, diese Beziehungsgeflechte zu pflegen als die eigentlichen Staatsaufgaben zu erfüllen.989 Aus dem Briefwechsel Epitácio Pessoas mit seinem Bruder Antônio („Toinho“) und weiterer Korrespondenz aus dem Nachlass seines Neffen João Pessoa geht deutlich hervor, dass die politischen Aktivitäten in Paraíba zu einem Großteil aus der Vergabe von Ämtern und Lizenzen bestanden und diese Fragen in Rio de Janeiro entschieden wurden. Daher konnte Epitácio Pessoa aus der fernen Landeshauptstadt mehr für die Belange seiner Familie und Partei ausrichten als am Ort des lokalpolitischen Geschehens.990 Seine Position auf dem nationalen Parkett verlieh ihm Einfluss auf provinzieller und munizipaler Ebene; als Abgeordneter, Minister, Richter, Staatsanwalt, Senator und in höchstem Grad als Präsident der Republik konnte Pessoa seine oligarchische Vorherrschaft erweitern und sich für Paraíba stark machen, vor allem vermöge der Dürreprogramme.991

de Albuquerque Maranhão, siehe Oliveira, V. de/Pereira, G. de A./Medeiros Filho, A. E. de, „Da oligarquia Maranhão à política do Seridó“, História do RN n@ WEB (Universidade Federal do Rio Grande do Norte), cerescaico.ufrn.br/rnnaweb/historia/ republica. 988 Siehe hierzu Seabra, José Joaquim (Bahia), Anais da Câmara, 5.9.1898, S. 72 (Quelle IV.4.c-04). Zu weiteren Beispielen der Vetternwirtschaft der Maranhãos in Rio Grande do Norte siehe ebd., S. 73. 989 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 122 f., 127, 131, 216, 327. 990 Zum machtpolitischen Taktieren siehe z.B. Pessoa, E., Brief an Antônio Pessoa vom 16.9.1902 (Rio de Janeiro), archiviert in: AFM/IHGP (AP: CEP) (Quelle IV.4.c-05). Zu Pessoas Steuerung der Partei- und Machtpolitik Paraíbas siehe Pessoa, E., Brief an Major Horacio Lins vom 22.4.1915, in: AFM/IHGP (JP: CEP), Dok. 003-11. 991 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 308. Die politischen Funktionen Epitácio Pessoas, einschließlich der jeweiligen Zeiträume, werden in Kapitel IV.1 im Detail aufgeführt.

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Die Zuwendungen Epitácio Pessoas an seine Heimatprovinz

Der Sturz Dom Pedros II. und die Ausrufung der Republik im November 1889 waren wesentlich darin begründet, die zentrale Regierungsgewalt in Rio de Janeiro durch eine Ausdehnung der einzelstaatlichen Machtbefugnisse zu neutralisieren. An die Stelle des Kaiserreichs traten die „Estados Unidos do Brasil“, deren Repräsentanten im Kongress die Interessen ihres jeweiligen Staates zu verteidigen hatten. Epitácio Pessoa verfolgte dieses Ziel schon als junger Abgeordneter in den ersten Jahren der Republik mit großer Energie und hohem Selbstbewusstsein.992 Ohne jegliche Zurückhaltung, die von dem Vertreter einer kleinen, politisch wenig bedeutenden Provinz im Norden zu erwarten gewesen wäre, forderte er Telegraphenleitungen, Eisenbahnstränge, Zuckermühlen, einen Hafen, Brunnen und Stauanlagen, um die Wirtschaft auszubauen und Schutz vor den „Verderben bringenden Dürrekatastrophen“ zu gewähren.993 Auf die fiskalischen Zugeständnisse gegenüber anderen Gliedstaaten seiner Herkunftsregion anspielend, verlangte er einen Steuererlass für den Import maschineller Webstühle. Ein vergleichbarer Antrag Pernambucos und Maranhãos sei längst bewilligt worden und habe die beiden Provinzen in eine bevorzugte Wettbewerbsposition versetzt.994 Als Justiz- und Innenminister unter Manuel Campos Sales (1898–1902) nutzte Epitácio Pessoa während einer Dürre im Jahr 1900 die Abwesenheit des Präsidenten bei einem Staatsbesuch in Argentinien, um nach eigenem Ermessen die Einrichtung eines Hilfsfonds zur Finanzierung von Arbeiten im Trockengürtel zu veranlassen.995 Diese Anstrengungen reflektieren die Bedrängnis sowohl in als auch aus der Heimat, denn Pessoas Motivation rührte nicht nur von der dringlich zu lösenden Misere der Dürreopfer her, sondern in beträchtlichem Maße vom Drängen der ‚Dürreindustriellen‘ gegenüber den Staatsvertretern in Rio de Janeiro. Groß war die Erwartungshaltung all jener, die aus ihrer lokalen Machtposition heraus die Herrschaft der Pessoas in der Provinz mittrugen und sich im Gegenzug – ohne selbst Not zu leiden – einen Gewinn von den Rettungseinsätzen versprachen. Wurden ihre Aspirationen enttäuscht, blieb nicht einmal der Parteichef von Kritik verschont. Während der Trockenperiode von 1915 sah sich Epitácio Pessoa gezwungen, auf Behelligungen aus Paraíba mit einer öffentlichen Rechtfertigung zu reagieren. Nachdem „Gerüchte über die Tatenlosigkeit der paraibanischen Fraktion im Nationalkongress hinsichtlich der zentralstaatlichen Dürrehilfen“ zu ihm vor992 Zu den Hintergründen der Proklamation der Republik siehe Kapitel IV.2.f; zu Pessoas früher Abgeordnetenzeit siehe Kapitel IV.1.a. 993 Pessoa, E., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494 (Quelle IV.4.c-06). Zur Forderung von Eisenbahnlinien siehe auch Quellen IV.2.d-10 und IV.2.e-02. 994 Ders., Anais da Câmara, 17.6.1892, S. 188 (Quelle IV.4.c-07). 995 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 30, 38.

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gedrungen waren, sandte Senator Pessoa ein Telegramm an den paraibanischen Gouverneur Castro Pinto, welches im Presseorgan A União publiziert wurde: „Die Repräsentanten Paraíbas sind in der Sache der Dürre keinesfalls untätig. Allerdings sind die erforderlichen Schritte nicht möglich, bevor die Regierung über die realisierbaren Projekte informiert und mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet ist. (...) Die Eisenbahnlinien von Campina und Mamanguape befinden sich noch in der Planungsphase und können lediglich wenig Personal beschäftigen. Daher ziehen wir Grabungsarbeiten für die Anlage von Straßen, Telegraphenleitungen und Staubecken vor, wodurch der Exodus der Bevölkerung verhindert werden kann.“ Seine Einstellung bekräftigte Pessoa mit dem Hinweis, dass sogar „der zuständige Minister Tavares de Lyra für seine eigene Provinz [Rio Grande do Norte] bisher nichts unternommen hat“.996 Das Telegramm war zugleich eine Antwort auf eine vier Tage zuvor an ihn gerichtete telegraphische Botschaft des paraibanischen Gouverneurs, der nachdrücklich um den Ausbau des Schienenstrangs nach Mamanguape geworben und sich dazu der aktuellen klimatischen Notlage bedient hatte: „Ich bitte Sie inständig, (...) etwaige Hindernisse aus dem Weg zu räumen und mit der Verwirklichung des Vorhabens den guten Willen der Zentralregierung gegenüber den von den Trockenperioden heimgesuchten Staaten zu bescheinigen.“997 Auch diese Nachricht erschien in der Zeitung A União, womit der öffentliche Druck auf Pessoa erhöht wurde. In dem dazugehörigen Kommentar fand die moralische Komponente eine weitere Akzentuierung; die Verlängerung der Eisenbahnstrecke nach Mamanguape in Zeiten der Dürre sei „ein Beweis für den patriotischen Entschluss der Regierung, den gegeißelten Provinzen beizustehen“.998 Als Mittler zwischen der paraibanischen und nationalen Politikebene wurde „unser eminenter und ehrwürdiger Staatschef Senator Epitacio Pessôa“ in schmeichelndem, aber subtil skeptischem Ton daran erinnert, dass er „gewiss nichts unversucht gelassen hat, um uns Linderung zukommen zu lassen.“999 Die heimatliche Wirtschaft zu fördern, war stets das grundlegende Mandat Pessoas, sei es in Momenten der Dürre, sei es im Rahmen seiner diplomatischen Mission auf der Friedenskonferenz in Versailles im Jahr 1919. Laut A União pro996 Pessoa, E., Telegramm an Castro Pinto (Gouverneur von Paraíba) vom 2.6.1915, abgedr. in: „A sêcca“, in: A União vom 4.6.1915, S. 1 (Quelle IV.4.c-08). 997 Pinto, C., Telegramm an Epitácio Pessoa vom 28.5.1915, abgedr. in: „Um telegramma do sr. Presidente do Estado ao senador Epitacio Pessôa“, in: A União vom 29.5.1915, S. 1 (Quelle IV.4.c-09). 998 „A sêcca. O ramal ferreo de Mamanguape. Um telegramma do sr. Presidente do Estado ao senador Epitacio Pessôa. O sr.  dr.  Maximiano de Figueiredo conferencia com o ministro da viação“, in: A União vom 29.5.1915, S. 1 (Quelle IV.4.c-10). 999 Sá, P.e Cyrillo, „A sêcca na Parahyba“, in: A União vom 29.9.1915, S. 1 (Quelle IV.2.d-11). Siehe auch ders., „Os soffrimentos sertanejos“, in: A União vom 16.10.1915, S. 1 und weitere Auszüge dieses Zitats in Kapitel IV.2.d.

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pagierte der „illustre Diplomat – obschon aufs Höchste von den unaufschiebbaren Verpflichtungen seiner eminenten Aufgabe in Anspruch genommen – den Verkauf unserer Baumwolle an die europäischen Länder“.1000 Aus einem Schreiben Epitácio Pessoas an Gouverneur Camilo de Holanda wird erkenntlich, dass der Erfolg des Pariser Friedensvertrages über die politische Tragweite hinaus für die paraibanischen Baumwollhändler ökonomische Relevanz hatte: „Ich bemühe mich um den Absatz der Baumwolle, woran ich sofort dachte, als es um die Versorgung Deutschlands ging. Doch das einstweilige Embargo auf die Einfuhr von Baumwolle, einem Rohstoff zur Herstellung von Pulver und Sprengstoff, bleibt in Kraft, solange nicht Frieden geschlossen ist. Daraufhin bin ich unverzüglich mit Rumänien in Verkaufsgespräche eingetreten, und die Aussichten sind gut.“1001 Zum damaligen Zeitpunkt hatte sich die nationale und internationale Verhandlungsposition Epitácio Pessoas erheblich gesteigert, nachdem er kurz zuvor – im April 1919 – die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte. In Folge dieses beflügelnden Ereignisses nahmen die Erwartungen seiner paraibanischen Landsleute unmittelbar eine neue Dimension an. Im Presseorgan der Provinzregierung wurde erfreut die Gewissheit zum Ausdruck gebracht, dass der „erlauchte Staatsmann (...) niemals den geliebten kleinen Landstrich vergisst, der ihm als Wiege diente. In diesem Augenblick der wirtschaftlichen und finanziellen Krise aufgrund der aktuellen Trockenheit (...) können wir mit absoluter Sicherheit mit umfassenden und extraordinären Maßnahmen rechnen, um die unheilvollen Konsequenzen der schrecklichen Klimageißel zu bezwingen.“1002 In einem Zeitungsbericht vom September 1919 fasste der Leiter der Dürrebehörde IFOCS Arrojado Lisboa die allgemeine Zuversicht anhand des seit der Kaiserzeit anvisierten São FranciscoProjekts zusammen: „Mit dem Ausbruch der Dürre im Nordosten wird in der Presse abermals die Kanalverbindung der Flüsse São Francisco und Jaguaribe besprochen. Allerdings wird nun neben der Naturkatastrophe ein zusätzlicher Vorteil in der paraibanischen Provenienz des Präsidenten gesehen, so dass die Problematik der Trockenheit definitiv gelöst werden sollte.“1003 Bereits wenig später, im Nachklang der viel beachteten Antrittsrede Epitácio Pessoas, verkündete das Sprachrohr der Provinzregierung A União: „Die Frage der Dürre (...) wird durch die Lösungsansätze [der neuen Staatsführung] ihren Problemcharakter verlieren und 1000 „O nosso algodão“, in: A União vom 15.4.1919, S. 1 (Quelle IV.4.c-11). 1001 Pessoa, E., Schreiben an Camilo de Holanda (Gouverneur von Paraíba) von der Friedenskonferenz in Versailles (o. D.), abgedr. in: „Senador Epitacio Pessôa. S. exc. vem á Parahyba * A venda do nosso algodão * Obras definitivas contra as sêccas“, in: A União vom 24.5.1919, S. 1 („Allemanha“, Quelle IV.4.c-12). 1002 „Senador Epitácio Pessôa. Sua vinda á Parahyba“, in: A União vom 29.5.1919, S. 1 (Quelle IV.4.c-13). 1003 Lisboa, Arrojado, „O problema do Nordeste. O São Francisco e as sêccas“, in: A União vom 12.9.1919, S. 1 (Quelle IV.4.c-14). Zur transposição des São Francisco siehe Kapitel V.5.c.

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sich zu einem positiven, nützlichen Faktum wandeln.“1004 Die Koinzidenz von Trockenperiode und Amtszeit Epitácio Pessoas wurde offen als einmalige Chance für den wirtschaftlichen Fortschritt in Paraíba präsentiert.1005 Auch die Vertreter aus Mamanguape konnten für ihre Eisenbahnpläne neue Hoffnung schöpfen. Unterstützung bekamen sie von dem Schriftsteller und Chefredakteur der União Carlos Fernandes in einem Artikel seiner Zeitung: „Dank der Fürsorge und Beharrlichkeit, mit denen der Präsident der Republik fest entschlossen den vitalen Bedürfnissen jener periodisch von den Dürren befallenen Bevölkerung begegnet, sind die Angelegenheiten des brasilianischen Nordostens in den Fokus gerückt. In dieser Situation ist es gebührlich, den alten und legitimen Bestrebungen der Bewohner Mamanguapes nachzugeben und die Konstruktion jenes kurzen Schienenstrangs oder einer Landstraße zu bewilligen und damit eine dauerhafte Kommunikation zwischen den Produktions- und Konsumzentren herzustellen.“1006 Es war kein Zufall, dass sich Fernandes für Mamanguape einsetzte; denn er selbst stammte aus der Kleinstadt in einem der fruchtbarsten – und von der Trockenheit kaum betroffenen – Küstengebiete im Norden Paraíbas. Der zunehmende Druck aus der Heimat auf das Staatsoberhaupt wird ebenfalls aus den Stellungnahmen Epitácio Pessoas ersichtlich. In einer telegraphischen Mitteilung an den paraibanischen Gouverneur vom 24. Januar 1920 versuchte Pessoa Rechenschaft abzulegen und reduzierte seine politische Funktion praktisch auf die eines verlängerten Arms der lokalen Interessen: „Aus dem Hinterland der Provinz habe ich zahlreiche Telegramme erhalten, in denen Maßnahmen gegen die Auswirkungen der Dürre erbeten werden. Die Situation im Nordosten, dessen Leiden ich mit tiefer Betrübnis verfolge, habe ich nicht vernachlässigt. Bei allen Bauvorhaben, die mir nahegelegt wurden, habe ich die Durchführung angeordnet. Die schon laufenden Arbeiten dürfen auf mein ausdrückliches Geheiß hin nicht abgebrochen werden. (...) Bitte veröffentlichen Sie dieses Telegramm als Antwort für die Menschen, die mir telegraphiert haben. Ich ersuche die Landsleute um etwas mehr Nachsicht und versichere, alles in meiner Macht Stehende zu unternehmen, um ihr großes Unglück zu verringern.“1007 Mit dieser Ankündigung 1004 „Nordeste“, in: A União vom 11.10.1919, S. 1 (Quelle IV.4.c-15). Vergleiche hierzu die in Kapitel IV.2.d zitierte Aussage, die Opfer der Trockenperioden seien erstmals zu „produktiven Elementen“ geworden. Campos, Carlos de (São Paulo, Regierungssprecher unter Epitácio Pessoa), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 83 (Quelle IV.2.d-20). 1005 Vgl. hierzu Quellen IV.2.d-12/13 und Kapitel IV.3.c. 1006 Fernandes, Carlos Dias (Chefredakteur der União), „Negocios do nordéste“, in: A União vom 21.11.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Rio-Jornal (Rio de Janeiro), o. D. (Quelle IV.4.c-16). 1007 Pessoa, E., Telegramm an Camilo de Holanda (Gouverneur von Paraíba) vom 24.1.1920 (Rio de Janeiro), abgedr. in: „As grandes obras contra as sêccas. Um telegramma do exm. presidente da republica“, in: A União vom 25.1.1920, S. 1 (Quelle IV.4.c-17).

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machte er seinen Verbündeten aus Paraíba keine falschen Versprechungen – die Provinz erhielt von den insgesamt 378.000 Contos an IFOCS-Geldern zwischen 1919 und 1923 den Löwenanteil.1008 Der paraibanische Politiker und Zeitzeuge Osvaldo Trigueiro schrieb hierzu später: „Wie vorherzusehen, war Paraíba der meistbegünstigte Staat, d.h. derjenige mit der höchsten Konzentration an Kons­ truktionstätigkeiten. Wir fühlten uns in vollem Recht, denn schließlich war der Präsident Paraibaner.“1009 Pessoa selbst begründete das paraibanische Schwergewicht im Konzept der Dürrepolitik mit dem ungeheuren Entwicklungsrückstand in der Provinz. Dieser müsse – zum Schutz vor den Klimaauswirkungen – durch Investitionen in Technologie und Infrastruktur behoben werden.1010 Dementsprechend war es 1919 eine seiner ersten Amtshandlungen, den Straßenbau in der Region zu verfügen. Mit über 1015 Kilometern wurden in Paraíba die meisten Straßen angelegt, welche bis zu den großen Bauprojekten in den 1950er-Jahren zu den besten und ausgedehntesten Verkehrsnetzen in ganz Brasilien zählten.1011 Zuvor war der Transport in weiten Sektoren der Provinz noch mit Lasttieren üblich gewesen, weil die alten Wege in aller Regel schlecht waren, Brücken fehlten und in der Regenzeit kaum an ein Vorankommen zu denken war.1012 Aus Sicht der lokalen Agrarelite rechtfertigten diese Zustände zweifelsfrei die bevorzugte Aufmerksamkeit des Präsidenten für seinen Heimatstaat. Die Opposition hegte hingegen ein profundes Misstrauen gegenüber der Nordostpolitik Epitácio Pessoas und äußerte im Parlament und in der Presse gravierende Vorwürfe, insbesondere unter Verweis auf offenkundig dubiose Verhältnisse und Vorgehensweisen bei der Dürrebekämpfung in Paraíba. 1008 Hirschman, Albert O., Journeys toward progress. Studies of economic policy-making in La­ tin America, New York: The Twentieth Century Fund, 1963, S. 30 bzw. ders., Política econômica na América Latina, 1965, S. 43 (Quelle IV.4.c-18). Epitácio Pessoa nannte 361.000 Contos abzüglich 91.000, die nicht für Dürrebekämpfungsprojekte ausgegeben wurden. Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251), S. 316 f. Zum wirtschaftlichen Wert der Dürregelder siehe Kapitel IV.2.e und IV.3.c. Für ein konkretes Beispiel der Bevorzugung Paraíbas mit entsprechenden Vergleichszahlen siehe Kapitel IV.4.e zum Hafenbau. 1009 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 68 (Quelle IV.4.c-19). Das von Trigueiro konstatierte und manifestierte oligarchische Politikverständnis wird in Kapitel IV.6.b näher behandelt. 1010 Zu Pessoas Forderung aus dem Jahr 1921, den notleidenden Provinzen Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará wirtschaftspolitische Priorität einzuräumen, siehe Kapitel IV.2.d (Quelle IV.2.d-17). Zur gleichen Argumentation seit Beginn seiner politischen Laufbahn siehe Kapitel IV.2.e (Quellen IV.2.e-06/07). Zur Hervorhebung der besonderen Notlage seiner Heimatprovinz siehe Kapitel IV.2.f (Quellen IV.2.f-02/03). 1011 Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 54. Zum Vergleich: Noch 1955 gab es im gesamten Land lediglich 3133 km asphaltierter Straßen. Zoller, Kleine Ge­ schichte Brasiliens, 2000, S. 264. 1012 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 92 f., 320.

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d) Die Dürreindustrie im Brennpunkt der oppositionellen Kritik (1919–22) Bezichtigung der „indústria da seca“ im parlamentarischen Diskurs

Anderthalb Monate nach Bekanntmachung des extensiven Rettungsprogramms für den Nordosten durch Epitácio Pessoa erfolgte am 4.  November 1919 im Kongress eine intensive und vernichtende Beurteilung durch den Oppositionspolitiker Francisco Valladares aus Minas Gerais. Dieser führte eine bedenklich lange Serie von Bauprojekten der Regierung an, deren Vorstudien durchweg Fehler oder Fehlerhaftes aufwiesen. Seine spöttisch präsentierte Darlegung sollte unmissverständlich die offizielle Planung lächerlich und die ausufernden Kosten unglaubwürdig machen. Die Mängelliste fand kein Ende, und bei jedem Punkt sah sich der zuständige Regierungsvertreter Sampaio Correia aus dem Bundesdistrikt genötigt einzuwerfen, das jeweilige Objekt sei folgerichtig nicht in das Programm aufgenommen worden. Unter diesen desolaten Umständen der Projektorganisation hielt Valladares die beantragten 200.000 Contos nicht für gerechtfertigt. Der Parlamentarier José Augusto aus Rio Grande do Norte entgegnete ihm, „bei der Bevollmächtigung derartiger Konstruktionsvorhaben ist es nicht gebräuchlich, auf technische Details einzugehen.“1013 Zwei Wochen darauf wurde der Widerspruch aus den Reihen der Opposition noch schärfer. Der Abgeordnete Maurício de Lacerda aus Rio de Janeiro votierte gegen eine freizügige Bewilligung umfangreicher, von jeglicher Haushaltskontrolle losgelöster Kredite: „Die Regierung will die Leiden der Söhne im Nordosten als Sprungbrett nutzen, um unsere parlamentarische Zustimmung wie einen triefenden Schwamm ihrer Wünsche auszudrücken. (...) Sie will das Feld dem Wolfsrudel überlassen, welches gierig die fetten Staatsfinanzen umkreist. Anstatt das Unglück in diesem Winkel des brasilianischen Vaterlands zu lindern, (...) wird es instrumentalisiert, um sich vollzustopfen, sich zu bereichern“.1014 Nachdem die gewaltige Summe von 200.000 Contos für den Nordosten trotz aller Kritik genehmigt und die Arbeiten angelaufen waren, warf Lacerda der Regierung im folgenden Jahr vor, „die Hilfsgelder für ungehörige Zwecke zu unterschlagen“.1015 Die Anschuldigungen gegen die Staatsführung nahmen zu und wurden formalisiert. In legislativen Untersuchungsanfragen wurde die Rechtmäßigkeit der Dürreausgaben angezweifelt – mit besonderer Betonung 1013 Valladares, Francisco (Minas Gerais)/Correia, José Matoso Sampaio (Distrito Federal; damalige Orthographie: Corrêa)/Augusto, José (Rio Grande do Norte), Anais da Câ­ mara, 4.11.1919, S. 174–176 (Quelle IV.4.d-01). 1014 Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 18.11.1919, S. 45 (Quelle IV.4.d-02). 1015 Ders., Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 449 (Quelle IV.4.d-03).

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auf den Heimatstaat Epitácio Pessoas. Der Abgeordnete Nicanor Nascimento aus São Paulo erläuterte mit ironischem Unterton seine parlamentarische Eingabe: „Wem gehören die Ländereien, die von den Maßnahmen profitieren, vor allem in Paraíba? (...) Ich möchte wissen, mit welch liebevoller Sorgfalt der Präsident seine Geburtsstätte hegt und pflegt, und wie viel uns dies bisher gekostet hat. Angenommen, aus der Antwort auf dieses Gesuch geht hervor, dass Ihre Exzellenz große Geldmengen nach Paraíba geschickt und dort umfassende Bautätigkeiten in Gang gesetzt hat. Verdient die Regierung dann Lob oder Tadel?“ An dieser Stelle wurde Nascimento durch den Zwischenruf eines Vertreters aus dem Nordosten unterbrochen: „Und wenn es nicht so war?“ Darauf erwiderte der Redner zynisch und unter Preisgabe seiner eigentlichen Vermutung: „In dem Fall wird er mit Sicherheit von seinen Freunden in Paraíba getadelt, nicht aber von mir.“1016 Die Bedenken der Opposition schienen berechtigt, zumal Regierungssprecher Carlos de Campo die von den Arbeiten im Dürregebiet begünstigten Landgüter nicht benennen konnte. Er musste zugeben, dass entgegen den gesetzlichen Vorschriften die erforderlichen Enteignungen nicht vor Beginn der Bautätigkeiten vorgenommen worden waren. Die akute Lebensbedrohung der Hungernden während der Trockenperiode von 1919 habe keinen Aufschub erlaubt. Der paraibanische Fraktionsführer Octacilio de Albuquerque kam ihm mit der Erklärung zu Hilfe, dass die angelegten Verkehrswege keine individuellen Landbesitzer, sondern generell die Staaten Ceará, Paraíba und Rio Grande do Norte förderten. Die Vorwürfe der Günstlingswirtschaft wies Carlos de Campo energisch zurück und fügte hinzu, im Norden gebe es ohnehin in aller Regel keinen Großgrundbesitz.1017 Abgesehen von der erstaunlichen Behauptung über das angeblich inexistente Latifundium erhärtete die mangelnde Informationsvergabe zusätzlich die Skepsis der Opposition, weil die Regierung „offensichtlich etwas zu verbergen hat“.1018 Unter dem Vorwand der dringlichen Notlage konnten sich die Kommissionäre im Nordosten leicht über Formalitäten und Reglements hinwegsetzen und aus den Dürrearbeiten Profit schlagen. Diese Zusammenhänge weiter erforschend, lastete Nicanor Nascimento dem Staatsoberhaupt am 8. Juli 1920 die Vorenthaltung von Informationen über die Projekte im Trockengürtel an. In gleicher Manier habe Epitácio Pessoa den Kongress im Dunkeln gelassen, als er während der jüngsten Streikbewegungen den Ausnah1016 Nascimento, Nicanor (Abgeordneter für den Distrito Federal, gebürtig aus São Paulo), Parlamentarische Anfrage, Anais da Câmara, 1.7.1920, S. 3; ders./Burlamaqui, Armando (Piauí), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 95 f. (Quelle IV.4.d-04). 1017 Campos, Carlos de (São Paulo)/Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), ebd., S. 73 (Quelle IV.4.d-05). Zu den Besitzverhältnissen in Paraíba siehe Kapitel IV.2.e. 1018 Nascimento (Distrito Federal), ebd., S. 93; siehe ebenso Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 9.7.1920, S. 151 (Quelle IV.4.d-06).

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mezustand verhängte; und dies, obwohl er in seiner frühen Abgeordnetenzeit ähnliche Einwände gegen Floriano Peixoto prononciert und ihn der „blutigen Tyrannei“ bezichtigt habe.1019 Dem cearensischen Parlamentarier Frederico Borges, der sich zur Verteidigung des Präsidenten in die Diskussion einbrachte, wurde mit dem geflügelten Wort des „Polit-Dürreopfers“ („flagellado politico“) Opportunismus und Missbrauch vorgeworfen. Als Regierungsmitglied unter Diktator Peixoto hatte er 1892 die Anklage des jungen Oppositionellen Epitácio Pessoa für absurd erklärt. Knapp dreißig Jahre später unterstützte er als Nutznießer der Dürrepolitik Regierungschef Pessoa.1020 Den Verdacht des Betrugs und der Verschwendung von Staatsgeldern in der Trockenzone machte Nicanor Nascimento an konkreten Sachverhalten fest. Seinen Ausführungen gemäß enthielten die Gehaltslisten – wie es schon oft vorgekommen sei – eine unermessliche Menge imaginärer Empfänger. Die von Regierungssprecher Carlos de Campos vermittelten Angaben seien falsch und nur geschickte Zahlenspiele zur Verwirrung der Abgeordneten. In den Baukommissionen wähnte Nascimento Mechanismen, um die Protegés der Obrigkeit mit „Pfründen“ („sinecuras“) zu überschütten. Als Paradebeispiel nannte er den Neffen des Präsidenten Sylvio Luiz da Silva Pessoa, den „unvermeidlichen Epita­ cinho“. Seinen hohen Tagessatz beziehe dieser nicht etwa für Ingenieursarbeiten im Dienst der Dürrebekämpfung, sondern schlicht und ergreifend als Kommission. Ein weiterer Neffe habe immense Summen erhalten, ohne dass sein Name in den Dokumenten erscheine. Aus diesen Gründen, so Nicanor Nascimento, verweigere die Regierung genaue Auskünfte über die kaum zu kontrollierenden Unternehmungen im fernen Hinterland des Nordostens.1021 Die Angehörigen Epitácio Pessoas und insbesondere seine Neffen – als gefräßige „Heuschrecken“ diskreditiert – waren ein leichtes Ziel und ein wirksamer Angriffspunkt der oppositionellen Kritik.1022 Hier traf sie die Achillesferse Pessoas, der als fürsorglicher Vater ein ausgeprägtes Privatleben führte und als politisch erfolgreichstes Familienmitglied um den Zusammenhalt und Ruf seiner parentela bemüht war.1023 Zur großen Erbitterung des Staatsoberhauptes war die parlamentarische Evaluation der Dürrepolitik immer wieder mit Vorhal1019 Dies., Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 87 (Quelle IV.4.d-07). Zu Pessoas aufsehenerregendem Widerstand gegen den „Eisernen Marschall“ (1891–94) siehe Kapitel IV.1.a. 1020 Dies./Borges (Ceará), ebd., S. 88 (Quelle IV.4.d-08). 1021 Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 9.7.1920, S. 141–149 (Quelle IV.4.d-09). Zur Abwehr der Vorwürfe Nascimentos siehe Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 10.7.1920, S. 185 f. 1022 Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 12.7.1920, S. 234 (Quelle IV.4.d-02). Siehe auch ders./Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 90 („bengala“/„bigstick dos sobrinhos“, Hervorhebung aus dem Original, Quelle IV.1.c-06). 1023 Zum „bewundernswerten Vater“ und „Familienmenschen“ Epitácio Pessoa siehe Pessoa, Helena Sayão, Discurso em nome da família Epitácio Pessoa, 1966, S. 136 (Quelle

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tungen gegen seine Person oder sein persönliches Umfeld verbunden. Mängel fielen unweigerlich auf ihn zurück. Im Oktober 1920 war es erneut Nicanor Nascimento, der im Kongress die Entwicklung der Nordostprojekte und die Verwicklung der Pessoas herausfordernd hinterfragte. Seiner Aussage zufolge habe er selbst für die Bauvorhaben in der Krisenregion gestimmt und setze sich weiterhin für die Rettung der Bevölkerung ein. Als völlig unverständlich und untragbar bezeichnete er jedoch den Tatbestand, dass nach einem Jahr lediglich erste Studien, aber keine Arbeiten realisiert worden seien. Ohne das Elend verringert zu haben, seien bereits 40.000 Contos „im Schlund versunken“. Die für die Bevölkerung des Trockengürtels bestimmten Hilfsgelder seien völlig nutzlos verschwendet worden, aus Mangel an technischer Fähigkeit und aus Mangel an moralischen Werten des Führungspersonals. Die hohen Ausgaben für den Nordosten – auf der Basis teurer Auslandsanleihen – dienten nur dazu, „den Appetit der Freunde, Familie und Geschäftspartner des Präsidenten zu stillen“. Auch der Leiter der Dürrebekämpfungsbehörde Arrojado Lisboa habe die Gelder unter seinen Verwandten und den Angehörigen Epitácio Pessoas verteilt – „an die Raffgier der einen und die Kumpanei der anderen“. Sogar die Gehaltsabrechnung Lisboas sei zu dessen Gunsten gefälscht worden.1024 Ein Abgeordneter Cearás wehrte sich gegen die Schmähworte über die mangelnde Moral und erklärte die ausbleibenden Resultate stattdessen mit dem üblichen und angesichts des hoch dotierten Regionalbudgets kaum glaubwürdigen Argument, es fehle an Ressourcen. Daraufhin wiederholte Nascimento seine Verdächtigung, das meteorologische Phänomen werde als „Ausrede verwendet, um die Verwandten, Freunde und Gevattern zu begünstigen (...) und öffentliche Einnahmen zu verschlingen.“ Die Bevölkerung im Dürregebiet werde „weniger von der Sonne ausgedörrt als vielmehr von der Unredlichkeit der Amtmänner ausgelaugt, von der Schamlosigkeit der eigenen Landsleute aufgezehrt“. Die Skrupellosigkeit gehe so weit, „das Unglück der Hungernden für den unstillbaren Appetit frevelhafter Geldsucht auszunutzen (...), um die fetten Kommissionen aus den internationalen Krediten an die Verwandten des Präsidenten verschenken zu können“.1025 Nascimento erinnerte daran, dass die kommissarischen Unterhändler der Bauverträge den erheblichen Satz von 15 Prozent al-

IV.2.d-15) und Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 171; zu seiner familiären Verbundenheit siehe auch Kapitel IV.1.a. 1024 Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 26.10.1920, S. 427–429, 434–436 (Quelle IV.4.d-10). Zu den erbosten Reaktionen Epitácio Pessoas siehe das übernächste Unterkapitel. 1025 Rocha, Moreira da (Ceará)/Nascimento (Distrito Federal), ebd., S. 436  f. (Quelle IV.4.d-11). Siehe dort auch die Verteidigung Pessoas durch seinen paraibanischen com­ patriota Oscar Soares.

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ler anfallenden Kosten kassierten.1026 Je höher die Ausgaben, umso größer die Kommissionen, und zwar unabhängig vom Fortschritt der Arbeiten und von der Funktionstüchtigkeit der angestrebten Bewässerungswirtschaft. Es wurden folglich keine sichtbaren Ergebnisse prämiert, sondern unüberschaubare Exzesse der staatlichen Zahlungen, als würden sich mit ihnen automatisch die gewünschten Errungenschaften einstellen. Die parlamentarische Anfrage der Opposition über den Stand und die Umstände der Dürrebekämpfung im Nordosten nahm Ende 1920 weiterhin den Kongress in Anspruch. Im Senat beschuldigte der Fraktionsführer aus Rio Grande do Sul Soares dos Santos den Regierungschef, er habe ihn aus der Finanzkommission abzuziehen beabsichtigt, um die legislative Kontrolle über die Staatsausgaben zu verhindern. Diese Beschwerde ermutigte Nicanor Nascimento, seine desavouierenden Vorstöße gegen Epitácio Pessoa noch deutlicher zu wagen: „Es ist erwiesen, dass Herr Epitácio tatsächlich die 200.000  Contos wollte, um sie unbehelligt an seine parentela zu vergeuden (...) und seinen skandalösen Raub perfekt zu machen, ohne Aussicht auf Wiedergutmachung. Das ist das große Verbrechen, das große Faktum. Der Präsident wollte die Autorisation, um sofort die gesamten 200.000 Contos an sich zu reißen und sie mit Hilfe jenes fürchterlichen Herrn Arrojado Lisboa an seine Schützlinge zu verteilen. Dann wären die Gelder ein für alle Mal verloren, verschleudert für die Packards [Luxuslimousine aus den USA] seiner Neffen, für die Orgien seines Clans, für das liederliche Leben dieser Leute. (...) Der Mangel an Integrität charakterisiert den Herrn Präsidenten der Republik. (...) Der hervorragende Referent des Verkehrsetats [Senator Soares dos Santos] wird seinen Wachposten im Fiskus dieser Schurkenregierung verteidigen.“1027 Die Anschuldigungen Nicanor Nascimentos umfassten selbst das für den Präsidentenpalast angeschaffte Mobiliar. Auf Vermittlung der Verwandten Epitácio Pessoas habe dieses 25 Prozent über dem Marktwert gelegen – eine weitere Einnahmequelle für die Familie des Staatsoberhauptes.1028 Mit der gezielten und geballten Kritik an Epitácio Pessoa und seiner Anhängerschaft unterschied sich der oppositionelle Feldzug gegen die Dürreindustrie in den Jahren 1919–22 von den früheren, eher zahnlosen Angriffen, als es – wie im skizzierten Fall des Senators Jaguaribe – eine Art parlamentarischer Ehrenkodex bzw. Immunität verhindert hatte, dass konkrete Namen und damit strafrechtlich zu verfolgende Individuen genannt worden waren.1029 Vorwürfe 1026 Nascimento (Distrito Federal), ebd., S. 439 (Quelle IV.4.d-12). Dieser Aspekt wird in Kapitel IV.4.e weiter ausgeführt. 1027 Ders., Anais da Câmara, 4.12.1920, S. 402, 405 (Quelle IV.4.d-13). 1028 Ders., Anais da Câmara, 26.10.1920, S. 438 (Quelle IV.4.d-14). 1029 Siehe Quellen IV.4.b-05/07. Siehe auch Borges, der an die Missbrauchsanschuldigungen von 1877 erinnerte und – irrtümlicherweise – noch 1920 meinte, es könne

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waren in aller Regel erst präzisiert worden, sobald die Beschuldigten nicht mehr in Amt und Würden waren und keine Rechenschaft ablegen mussten.1030 Ansonsten hätten sich die Ankläger dem Risiko ausgesetzt, ihrerseits für die in allen Parteien anzutreffenden Missbrauchspraktiken zur Verantwortung gezogen zu werden. Eine neue Qualität der oppositionellen Offensive manifestierte sich in den unerbittlichen und kompromisslosen Bloßstellungen des amtierenden Präsidenten Epitácio Pessoa durch Maurício de Lacerda und Nicanor Nascimento. Diese spezifische Entwicklung war in einen breiteren historischen Kontext eingebettet, der sich durch wegweisende gesellschaftliche Umbrüche auszeichnete. Alte Machenschaften im Sog einer neuen gesellschaftlichen ­Protestwelle

Seit den Anfängen der Dürreindustrie im Anschluss an die Trockenperiode von 1877 waren zahllose hitzige Diskussionen um die Betrügereien im Krisengebiet entbrannt.1031 Oft zielten sie weniger darauf ab, die eklatanten Missgriffe und Fehltritte wirklich aufzuklären und die Maßnahmen zur Dürrebekämpfung zu korrigieren; vielmehr äußerte sich darin der stetige Machtkampf um die Staatsgelder in einem System, das von Nepotismus und Korruption durchdrungen war. In der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts setzte in Brasilien eine allmähliche Transformation der sozialen Rollenverteilung und der gesellschaftspolitischen Anschauungen ein. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch den Ersten Weltkrieg, zum einen aufgrund der erhöhten Immigration aus dem industriell geprägten Europa1032 und zum anderen als Folge der rasant steigenden Lebenshaltungskosten. Dies war der Nährboden für eine Protestbewegung, der sich neben Arbeitern auch unzufriedene Angestellte aus der wachsenden Mittelschicht anschlossen. In den Jahren 1917–19 erzwang eine Serie von Generalstreiks – vor allem in São Paulo und Rio de Janeiro – einen Wandel der parlamentarischen Agenda. Teile der politischen Elite hatten schon zu Beginn der Dekade ein Umdenken eingeleitet und im Kongress die soziale Komponente der Arbeitsverhältnisse hervorgehoben. Maurício de Lacerda und Nicanor Nascimento, 1911 und 1912 von Rio de Janeiro in die Abgeordnetenkammer gewählt, zählten zu den frühen radikalen Verteidigern des Arbeitsrechtes. Im Jahr 1917 brachten sie den Kongress dazu, eine ambitionierte Arbeitsgesetzge-

wie damals „kein einziger Name genannt werden“. Borges (Ceará), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle IV.4.d-26). 1030 Siehe hierzu Kapitel IV.3.b und Pessoas Verschonung der damals aktuellen Regierung bei einer Rede vom 23.10.1917 (Quelle IV.3.b-09). 1031 Siehe Kapitel IV.4.b. 1032 Siehe hierzu Kapitel III.5.e.

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bung zu beantragen.1033 Von nun an sollte jede Regierung mit dem Thema konfrontiert werden; Präsidentschaftskandidaten wie Rodrigues Alves (1918) und Rui Barbosa (1919) bezogen es sogar in ihre Wahlkampagne ein. Eine Ratifizierung wurde allerdings nicht erreicht, und die Staatsführer griffen in den 1920er-Jahren weitgehend repressiv gegen die Streikbewegung durch. Auf die ‚­anarchistische Bedrohung‘ antwortete Epitácio Pessoa bereits in den ersten Monaten seiner Amtsperiode mit einem rigorosen Vorgehen gegen die Demonstranten und später mit einem Gesetz zur Deportation ‚subversiver Elemente‘.1034 Vor diesem Hintergrund wird die leidenschaftliche Härte der verbalen Attacken Maurício de Lacerdas und Nicanor Nascimentos gegen Epitácio Pessoa verständlich. Prinzipiell befürworteten sie weitreichende Rettungsmaßnahmen für das Dürregebiet, sofern sie tatsächlich der bedürftigen Bevölkerung zugute kamen.1035 Sie waren nicht darauf bedacht, die staatlichen Ausgaben im Nordosten möglichst gering zu halten, um stattdessen die Interessen ihrer südlichen Wirtschaftseliten zu bedienen. Ganz im Gegenteil handelte es sich bei ihnen um progressive Politiker, die gegen die Strömung der oligarchischen Dominanz anschwammen und im Strudel der sozialen Auseinandersetzungen an mehreren Fronten für die breite Bevölkerung kämpften. In der Frage der Arbeitsgesetzgebung rangen sie um Entschädigungen bei Arbeitsunfällen, den Achtstundentag und eine Regulierung der Nachtarbeit von Frauen und Kindern. Als Mitbegründer der Liga Socialista im Dezember 1919 und aktive Unterstützer der Streikund Arbeiterbewegung waren ihre Ansichten der autoritären Haltung Epitácio Pessoas diametral entgegengesetzt.1036 So ist es nicht verwunderlich, dass sie auch seiner Dürrepolitik misstrauten und im Parlament Nachweise für deren Wirk1033 Borges, Dain Edward, The family in Bahia, Brazil, 1870–1945, Stanford: Stanford University Press, 1992, S. 145; Centro de Pesquisa e Documentação de História Contemporânea do Brasil/FGV, A era Vargas: Anos 20. Questão social, cpdoc.fgv.br/producao/dossies. Zur parlamentarischen Verteidigung der Arbeitsrechte siehe Lacerda (Rio de Janeiro)/Nascimento, Nicanor (Distrito Federal), Diário do Congresso Nacional, Rio de Janeiro, 13./14./18.7.1917, S. 908  f., 956–958, 989–993. Siehe auch Mendes, Mauricio Matos, A experiência anarquista no Brasil: reflexos das greves de 1917 na Câ­ mara dos Deputados (Monografia de Pósgraduação no Centro de Formação da Câmara dos Deputados/Cefor), Brasília: Câmara dos Deputados, 2009, S. 37 f., 46–49. 1034 CPDOC/FGV, A era Vargas, o. D.; Borges, D. E., The family in Bahia, Brazil, 1870– 1945, 1992, S. 145. Siehe zu diesen Zusammenhängen auch Kapitel IV.1.c. 1035 Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 449 (Quelle IV.4.d-03); Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 26.10.1920, S. 428 (Quelle IV.4.d-10). 1036 Wolfe, Joel, Working women, working men. São Paulo and the rise of Brazil’s industrial working class, 1900–1955, Durham (North Carolina): Duke University Press, 19983 (19931), S. 25 f.; Pechman, Robert, „Maurício Paiva de Lacerda“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. Zur Stärkung der Arbeitsrechte von Minderjährigen durch Nicanor Nascimento siehe Moura, Esmeralda Blanco Bolsonaro, „Meninos e meninas na rua: impasse e dissonância na construção da identidade da criança e

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samkeit verlangten. Ihnen ging es um den Schutz der Notleidenden, sei es unter den Werktätigen in den Großstädten des Südens oder unter der Landbevölkerung im Trockengürtel des Nordostens. Dort schienen die Staatsgelder vornehmlich in den Taschen der Kommissionäre zu verschwinden, ohne bei den Dürreopfern anzukommen. Diese von Lacerda und Nascimento im Kongress vorgebrachten Mutmaßungen wurden im Nachhinein von Mitgliedern der Regierungskoalition bekräftigt, zum Beispiel von den oben zitierten Abgeordneten Carlos de Campos aus São Paulo und José Matoso de Sampaio Correia aus dem Bundesstaat Rio de Janeiro. Nachdem die paulistas und fluminenses mit der Kaffeestabilisierung ihr Quantum des Staatsetats von Epitácio Pessoa empfangen hatten, war es für ihre politischen Vertreter naheliegend, bei den parlamentarischen Anfragen der Opposition über den Missbrauch im Nordosten ‚gute Miene zum bösen Spiel‘ zu machen. Notdürftig und mit teilweise fadenscheinigen Argumenten versuchte Regierungssprecher Carlos de Campos die Wogen der Kritik zu glätten; und Sampaio Correia musste in einer ähnlich beengten Lage für die beschämende Mängelliste der Bauvorhaben Rede und Antwort stehen.1037 Zum Ende der Amtszeit Pessoas distanzierten sich beide vom scheidenden Präsidenten aus Paraíba. Carlos de Campos zog sich schon im Dezember 1920 von der Position des Regierungssprechers zurück, da es ihm unmöglich wurde, für die offizielle Politiklinie einzustehen.1038 Sampaio Correia wurde nach 1922 zum Widersacher und Scharfrichter der Nordostprojekte.1039 Sie unterstützten Epitácio Pessoa nur solange, wie dieser ihnen als Staatsoberhaupt ein nützlicher Freund war und zu einem gefährlichen Feind werden konnte. Solche opportunistischen Abwägungen stellten Maurício de Lacerda und Nicanor Nascimento nicht an, da sie ohnehin keine persönlichen Begünstigungen erwarteten. Forum der oppositionellen Kritik war neben den Debatten im Kongress die meist parteigebundene Presse, welche als historische Quelle einen aufschlussreichen Eindruck über das Ausmaß der politischen Grabenkriege rund um die Dürrebekämpfung bietet. do adolescente na República Velha“, in: Revista Brasileira de História (RBH, São Paulo: Associação Nacional de História), Bd. 19, Nr. 37 (Sept. 1999), S. 8 f. 1037 Siehe Quellen IV.4.d-01/05 und auch die Fortsetzung des Wortgefechts zwischen den Oppositionellen Nicanor Nascimento (Distrito Federal), Maurício de Lacerda (Rio de Janeiro) und dem Regierungssprecher Carlos de Campos (São Paulo), Anais da Câ­ mara, 9.7.1920, S. 155. 1038 Zu seinem Rücktritt, den er in erster Linie auf eine parteiinterne Ablehnung der Steuerpolitik Epitácio Pessoas zurückführte, siehe die von ihm vorgetragene Deklaration der São Paulo-Fraktion (bancada paulista) und seine persönliche Begründung in Campos, Carlos (São Paulo), Anais da Câmara, 23.12.1920, S. 449, 452 (Quelle IV.4.d-15). 1039 Zu José Matoso de Sampaio Correia (Abgeordneter des Bundesdistrikts von 1918–20 und Senator von 1921–27) siehe Kapitel IV.2.d und zu seiner Mitwirkung an der Auflösung der Nordostprojekte siehe Kapitel IV.5.a.

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Schlagabtausch auf dem diskursiven Schlachtfeld der Presse

Bereits vor Beginn seiner Präsidentschaft hatte Epitácio Pessoa zahlreiche Gegner, was sogar in einer Lobrede vom Juni 1919 zur Sprache gebracht wurde.1040 Während seiner Regierungsperiode entwickelten sich die Skandale der Dürrearbeiten zu einem Dauerthema für die Zeitungen in der Landeshauptstadt.1041 Dort sei die „mutige und zutiefst humanitäre Initiative des Präsidenten“ täglich diffamiert worden, wie der paraibanische Abgeordnete Octacilio de Albuquerque am 18. Dezember 1920 im Parlament beklagte.1042 Nicht einmal im Almanach Paraíbas und in einem Artikel mit Glückwünschen zum Geburtstag des Staatsoberhauptes blieb die Kritik seiner politischen „Feinde“ und der „opportunistischen Presse Rio de Janeiros“ unerwähnt.1043 Die Negativschlagzeilen bestimmten das Tagesgespräch und waren selbst in Laudationen, die normalerweise ausschließlich positive Aspekte hervorhoben, nicht zu umgehen. Als Reaktion auf die „Unterstellungen“ der Antagonisten wurden diese vom ehemaligen paraibanischen Gouverneur Castro Pinto (1912–15) als „Intriganten“ abgestempelt, die verärgert seien, nicht die „üblichen Schmiergelder“ erhalten zu haben.1044 Das gleiche Argument gebrauchte Edmundo Bittencourt, Direktor und Besitzer der großen Tageszeitung Correio da Manhã aus Rio de Janeiro, und untermauerte es mit dem Fallbeispiel eines vermeintlich korrupten portu-

1040 Muniz, Arthur (Senator von Pernambuco), zit. in: „Senador Epitacio Pessôa“ in: A União vom 11.6.1919, S. 1, ursprünglich veröffentlicht in: A Provincia (Recife), o. D. (Quelle IV.4.d-16). 1041 Kommentiert wird diese Situation beispielsweise in „As obras contra as sêccas. O bom andamento dos serviços federaes. As estradas de Itabayana, Barra de Natuba, Umbuzeiro e Limoeiro * A nossa reportagem ‚in loco‘“, in: A União vom 4.6.1922, S. 2 (Quelle IV.4.d-17). 1042 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 909 (Quelle IV.4.d-18). 1043 Bezerra, Alcides, „Epitacio Pessôa“, in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. V–VII (V); „Dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 24.5.1921, S. 1 (Quelle IV.4.d-19). 1044 Pinto, João Pereira de Castro, „Dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 8.6.1921, S. 1, ursprünglich veröffentlicht in: Gazeta do Norte (Rio de Janeiro) vom 23.5.1921 (Quelle IV.4.d-20). Zu weiteren Kritiken und Gegenkritiken siehe Bezerra, Octavio, „A mensagem do dr. Epitacio Pessôa ao Congresso Nacional“, in: A União vom 18.6.1921, S. 1; „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1 und ebenso die Reaktion des Senators Cunha Pedrosa (Paraíba) auf Senator Irineu Machado (Distrito Federal), zit. in: „Um discurso notavel. O sr. senador Cunha Pedrosa defende o seu eminente amigo o sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 16.6.1921, S. 1, ursprünglich veröffentlicht in: Diario Official und Jornal do Commercio, o. D.

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giesischen Journalisten.1045 Gerade der Correio da Manhã wurde indessen von Octacilio de Albuquerque als „anführendes Organ der gehässigen Hetzkampagne“ gegen Epitácio Pessoa und den Nordosten denunziert.1046 Die Trennlinie zwischen Freund und Feind war offenbar fließend. Der Staatschef sah sich in seinen Jahresbotschaften an den Kongress vom Mai 1921 und 1922 genötigt, auf die mannigfaltigen „Verleumdungen“ einzugehen, wobei er die Dürrepolitik als eine der favorisierten Materien der Opposition herausstellte.1047 Pessoa konterte mit Sarkasmus: „Die Anklagen haben eine neue Wendung genommen. Jetzt geht es nicht mehr um den Nutzen der Arbeiten oder das Vorankommen ihrer Ausführung, sondern um den schamlosen Lokalpatriotismus und Familiensinn der Regierung. Fast 200.000 Contos seien eigennützig und im Interesse meiner Landsleute und Verwandten auf die schmählichste und verruchteste Weise vergeudet worden. Währenddessen sei im Nordosten nichts vollbracht worden, mit Ausnahme der Anschaffung von Baustoffen, die schändlich am Straßenrand verrotteten.“1048 Derartige Bewertungen meinte Pessoa als die unglaubwürdige Auffassung eines „halben Dutzends des­ pektierlicher Zeitungen“ bagatellisieren zu können.1049 Die Kritik ließ jedoch ebenso wenig nach wie die Enthüllungen weiterer Misserfolge und Manipulationen im Dürregebiet. Auch nach Ende seiner Amtszeit am 15. November 1922 fand Epitácio Pessoa in dieser Hinsicht keine Ruhe. Besondere Aufregung verursachten Pläne seiner Gegner, die niederschmetternden Pressenachrichten über den Ex-Präsidenten ins Französische zu übersetzen und gesammelt zu veröffentlichen. Dieses Pamphlet sollte allen Mitgliedern des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag übergeben werden, an welchen Epitácio Pessoa kurz zuvor als Richter (1923–30) berufen worden war. Seine Anhänger erzürnten sich über „dergleichen ehemals undenkbare Machenschaften“ und den „schockierenden Mangel an Patriotismus“.1050 Epitácio Pessoa reagierte mit 1045 Bittencourt, Edmundo, „O sr. Epitacio Pessôa e o director do ‚Correio da Manhã’. Insuspeito attestado“, in: A União vom 13.8.1921, S. 1, ursprünglich erschienen in: Cor­ reio da Manhã vom 21.1.1921 und Gazeta do Norte (Rio de Janeiro) vom 28.7.1921, o. S. (Quelle IV.4.d-21). 1046 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 1.10.1921, S. 50, 52 (Quelle IV.4.d-22). Hierzu siehe auch Kapitel II.3.c bzw. Quelle II.3.c-21. 1047 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 7./10.5.1921, S. 1 (Quelle IV.4.d-23). 1048 Ders., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1922, abgedr. in: „Mensagem Presidencial. Obras do Nordéste“, in: A União vom 1.6.1922, S. 1 (Quelle IV.4.d-24). 1049 Ders., indirekt zit. in: „Excursão presidencial (...) a São Paulo“, in: A União vom 10.9.1921, S. 1 (Quelle IV.4.d-25). 1050 „Pregões“, Zeitungsartikel ohne Angaben (gedrucktes Original, sehr knapp ausgeschnitten), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 004-15.

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einer 600-seitigen Verteidigungsschrift seiner Regierungshandlungen, die 1925 unter dem viel versprechenden Titel Pela Verdade („Um der Wahrheit willen“) publiziert wurde.1051 In der für ihre politische Satire bekannten Zeitschrift O Malho erschien am 7.  April 1925 eine Karikatur von José Carlos de Brito e Cunha, in welcher die römische Göttin Veritas verstört Epitácio Pessoa fragt, warum so viel Aufsehen um sein Werk gemacht werde. Seine Antwort: „Plagiatoren! Alle wollen plötzlich ihre eigene Wahrheit herausgeben!“1052 Pessoas Verdade setzte sich weitgehend aus seinen früheren Reden und Stellungnahmen zusammen und brachte daher keine neuen Erkenntnisse ein. Während der gesamten Staatsführung Epitácio Pessoas waren die politischen Repräsentanten des Nordostens bemüht, den schwerwiegenden Vorwürfen durch Erfolgsmeldungen und persönliche Erfahrungsberichte entgegenzuwirken. Nach einer Inspektionsreise durch seine Provinz bescheinigte der paraibanische Gouverneur Solon Barbosa de Lucena (1920–24), ein Vetter zweiten Grades Epitácio Pessoas, den Dürrearbeiten einen „hervorragenden Eindruck“.1053 In Zeitungsartikeln der regierungsnahen União wurde die „produktive Tatkraft des Präsidenten der Republik“ belobigt und die „ewige Dankbarkeit Parahybas“ beteuert.1054 Der cearensische Abgeordnete Frederico Borges hob 1920 nach einem Besuch in seiner Heimat das gute Vorankommen eines Teils der Projekte im Nordosten hervor und begründete das Misslingen anderer Vorhaben mit den „spärlichen, äußerst geringfügigen Hilfsgeldern“. Außerdem habe die „drückende Notlage der leidenden Bevölkerung“ sofortige Maßnahmen erfordert, welche ohne die notwendige Planung in Angriff genommen werden mussten und unter diesen Voraussetzungen zwangsläufig „Versagen und Defekte“ mit sich brachten. Er verglich die prekäre Situation der aktuellen Dürrebekämpfung mit den Jahren 1877–79. Damals seien ebenfalls Fehler begangen und daraufhin einige seiner Landsleute im Kongress als „Diebe in Frack und Glacéhandschuhen“ verunglimpft worden. Tatsächlich aber seien jene Missbrauchsfälle vom Kaiserhof ausgegangen, wie er bereits 35 Jahre zuvor identisch im Parlament dargelegt hatte. Die von Borges selbst festgestellten „Pannen“ und „kleineren Unregelmäßigkeiten“ seien indes bei komplizierten und komplexen Unternehmungen in Krisengebieten kaum zu vermeiden.1055 Mit dieser diffusen 1051 Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251). 1052 Cunha, José Carlos de Brito e, „Pela Verdade“ (Karikatur), in: O Malho vom 7.4.1925, abgedr. in: Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 319. 1053 „Dr. Solon de Lucena. Sua excursão a Bananeiras. O regresso a esta capital * Visita ás obras contra as sêccas * Manifestações ao chefe do govêrno * As impressões de s. exc.“, in: A União vom 21.5.1921, S. 1. 1054 „Operosidade do sr. presidente da Republica. As obras do nordéste * O serviço de prophylaxia rural * A gratidão eterna da Parahyba“, in: A União vom 7.6.1921, S. 1. 1055 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 446  f.; ders., Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 (Quelle IV.4.d-26). Zu seinen Aussagen über die „Diebe in Frack

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Erklärung wehrte er die Rügen seiner Kollegen aus dem Süden ab, ohne ihre kaum zu leugnende Grundlage bestreiten zu müssen. Eine ähnliche Rückendeckung erhielt der Staatschef aus den Reihen der heimischen Kirchenvertreter. Pater Florentino Barbosa aus Paraíba schrieb in A União, vor der Regierung Pessoa seien immense Summen ineffizient und verschwenderisch ausgegeben worden; das Geld sei „wie verhext verschwunden“, noch bevor die Arbeiten begannen. Erst die „fruchtbare“ und „weise“ Amtsführung Epitácio Pessoas und seine „wachsame Kontrolle“ habe jener „Bande von Pfründenfunktionären“ ein Ende bereitet, auch wenn es aufgrund der Skrupellosigkeit vieler Beamter immer noch Unterschlagungen gebe. Die Verantwortung für die Missstände wälzte Pater Barbosa auf einzelne schwarze Schafe vor Ort ab und versuchte, den Präsidenten auf diese Weise von den Verdächtigungen weißzuwaschen.1056 Die Politiker aus dem Trockengürtel waren bestrebt, die Anschuldigungen der Opposition im öffentlichen Diskurs auf ‚unvermeidliche sporadische Verfehlungen geringer Dimension‘ zu reduzieren. Aufsummiert ergibt sich daraus das Bild einer weit ausgedehnten Dürreindustrie. Diese geradezu systematische Erscheinung soll im Folgenden anhand der machtpolitischen Interaktionen im Rahmen des Nordostprogramms Epitácio Pessoas untersucht werden.

e) Das Geschäft mit der Dürre während der Regierung ­Epitácio ­Pessoas Coronelistische Vereinnahmung der Inspetoria Federal de Obras ­contra as Secas

Die Dürrepolitik Epitácio Pessoas war in ihrem Kern auf die technische Behebung des Wassermangels beschränkt, ohne zu berücksichtigen, dass Armut und Elend vor und nach den Trockenperioden ebenso existierten und durch die ausbleibenden Niederschläge lediglich erschwert wurden.1057 Der offizielle Ansatz zur Lösung der regionalen Probleme war durch die zuständige Institution IFOCS legitimiert, die angesichts ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung als ‚neutral‘ galt – ausschließlich der Vernunft und den Anliegen der breiten Bevölkerung unterworfen. Im Widerspruch zu diesem Postulat wurde die Behörde zum Schützengraben der coronelistischen Interessen und zum Sprachrohr der dominanten und Glacéhandschuhen“ von 1877–79 aus dem Jahr 1885 siehe Kapitel IV.4.b bzw. Quelle IV.4.b-10. 1056 Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União vom 19.4.1922, S. 1 (Quelle IV.4.d-27). 1057 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 127. Siehe hierzu Kapitel IV.3.a/c.

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Agrarelite, die ihre Argumente an das technisch-wissenschaftliche Vokabular der Moderne anpasste, ihr ursprüngliches Ziel wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hegemonie aber beibehielt. Im adaptierten Dürrediskurs verschmolzen der Idealismus der Ingenieure und die Ideologie der Oligarchen. Das Wohl der Menschen wurde auf die gemeinsame Fahne geschrieben, und die Vertreter der IFOCS und der lokalen Politik – nicht selten in Personalunion – verteidigten gegenseitig ihre Standpunkte. Im Endergebnis lief die ersprießliche Zusammenarbeit auf die Stärkung der bestehenden Machtstrukturen hinaus.1058 Anstelle eines reformerischen Wandels zur Ausbalancierung des sozioökonomischen Ungleichgewichts wurde das Gegenteil erreicht. Die IFOCS, deren öffentliche Bauten zur privaten Bereicherung missbraucht wurden, erwies sich als ein Werkzeug der Dürreindustrie. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Präsidentschaft Epitácio Pessoas.1059 Die in den Jahren 1919–22 mehr als zwanzigfach gesteigerte Staatsintervention im Nordosten war von fundamentaler Bedeutung für die Stärkung der coronelistischen Herrschaft,1060 wobei die IFOCS der Region einen neuen politischen Raum eröffnete, den vorrangig die Oligarchien des Hinterlands besetzten. Nach der ruinösen Wirtschaftskrise im auslaufenden 19. Jahrhundert brachte die Dürrebekämpfung den geschwächten coronéis die politische und ökonomische Rettung, denn dank der staatlichen Gelder und Posten, die sie über die neuen institutionellen Kanäle empfingen und an ihre Anhänger verteilen konnten, gelang es ihnen, das paternalistische Gesellschaftssystem und ihre Autorität aufrechtzuerhalten.1061 Zugleich implizierte die Abhängigkeit von der nationalen Finanzierung eine Machtverschiebung zum Vorteil der Zentralregierung und der Provinzgouverneure, welche die Staatsgelder an die munizipale Ebene weiterleiteten. In Paraíba bündelte sich die Führerschaft in der Person Epitácio Pessoas, der als Präsident der Republik die politische Leitlinie definierte und als übermächtiger paraibanischer Parteichef die Entscheidungen der Gouverneure kontrollierte. Mit Hilfe der Dürrepolitik intensivierte Pessoa die klientelistischen Beziehungen zu den Lokalpotentaten, insbesondere in den Hinterlandzonen, die 1920 die doppelte Stimmenanzahl im Verhältnis zu den küstennahen Gebieten aufwiesen. Die Bautätigkeiten der IFOCS setzte er als Mittel der Patronage ein, festigte damit seinen Einfluss und ließ die Dürreindustrie prosperieren.1062 1058 Zur Verflechtung der oligarchischen und technisch-wissenschaftlichen Positionen siehe auch Kapitel III.5.a. 1059 Ebd., S. 122; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 210; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 391. 1060 Zu den genauen Zahlen siehe Kapitel IV.3.c. 1061 Ebd., S. 384–386, 393; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 86 f. Zu den ökonomischen Hintergründen siehe Kapitel II.2.a. 1062 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 320, 322.

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Missbrauch der Dürreprojekte und Kommissionsämter

Die erwähnte parlamentarische Anfrage Nicanor Nascimentos vom 1.  Juli 1920 zu Einzelheiten der staatlichen Maßnahmen im Nordosten beschäftigte den Kongress mehrere Monate. Spezielle Aufmerksamkeit und Entrüstung der Regierungsvertreter verursachte die Frage, wer genau begünstigt wurde, vor allem in der Heimat des Staatsoberhauptes.1063 Entgegen den ausweichenden Angaben, die Unternehmungen kämen allgemein den notleidenden Provinzen zugute, waren die herrschenden Großgrundbesitzer – namentlich die paraibanischen – eindeutig die privilegierten Nutznießer.1064 Wie in Kapitel IV.3.c geschildert, wurden die vorgeschriebenen Enteignungen in der Umgebung der öffentlichen Stauanlagen in aller Regel nicht realisiert. Kam es doch dazu, räumten die ausführenden Richtlinien des Nordostprogramms den alteingesessenen Landbesitzern ein bevorzugtes Rückkaufsrecht ein. Auch beim staatlich subventionierten Brunnenbau erhielt die begüterte Agrarelite automatisch den Vorzug. Kleine Ackerbauern und Pächter wurden praktisch von vornherein ausgeschlossen, da eine für sie unerreichbare finanzielle Selbstbeteiligung zur Auflage gemacht wurde.1065 Die Latifundisten verfügten über die nötigen monetären und politischen Ressourcen, um diese Hürde bei der Antragstellung offiziell zu überwinden und sie bei der Umsetzung inoffiziell zu unterlaufen. Am Beispiel der 50%-Prämien zur Errichtung privater Wasserbecken wurde bereits aufgezeigt, dass der gesetzliche Eigenanteil widerrechtlich ausgespart wurde. Als die Kontrolleure der IFOCS zunächst mehrere offenkundig unzulässige Ansprüche ablehnten, intervenierte in Rio de Janeiro der paraibanische Abgeordnete Octacilio de Albuquerque zugunsten seiner Landsleute. Daraufhin wurden die erforderlichen Inspektionen wohlwollend vollzogen und die unberechtigten Prämien vergeben.1066 Die coronéis profitierten auf vielen Wegen, Umwegen und Abwegen von den Regierungsmaßnahmen. Als Zwischenhändler machten sie immense Gewinne; ihre Ländereien wurden durch die Stauanlagen, Brunnen und andere Bauten 1063 Nascimento (Distrito Federal)/Borges (Ceará)/Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 341; ders., Anais da Câmara, 8.7.1920, S. 95 (Quelle IV.4.e-01). Zur parlamentarischen Anfrage Nascimentos vom 1.7.1920 siehe Quelle IV.4.d-04. 1064 Siehe hierzu Kapitel IV.4.c und konkret Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 92; Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd.  XXI, Teil  1), 1957 (19251), S. 316 f.; Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 68. 1065 Regulamento da Caixa Especial, Kapitel  III, Art.  26, §  2 (Quelle IV.3.c-20) sowie Art. 17, § 1 u. 2, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 140 f. 1066 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 99  f. Siehe auch Kapitel  IV.3.b bzw. Quelle IV.3.b-03.

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aufgewertet; und als Resultat stieg die Besitzkonzentration an.1067 Weil die Wasserbaulösung einseitig auf die Landherren ausgerichtet war, brachten die donos da terra neben dem Bodenmonopol auch das Wassermonopol an sich. Auf diese Weise konnten sie auf eine weitere wirkungsvolle Methode zur Beherrschung der Volksmassen zurückgreifen. Die mittellosen Landarbeiter und Kleinbauern waren darauf angewiesen, im Moment der Not vom Großgrundbesitzer mit Wasser versorgt zu werden. Indem der coronel als Protektor auftrat, erfüllte er scheinbar wieder den alten paternalistischen Pakt, wenn auch aus fremden Quellen schöpfend. Gleichzeitig wurde die traditionelle Abhängigkeit erhärtet, so dass aus emanzipatorischer Sicht die staatliche Intervention im Nordosten für die arme Bevölkerung kontraproduktiv war, obschon sie laut Aussage der Politiker ausdrücklich ihr dienen sollte.1068 Das Räderwerk der Unterdrückung funktionierte mit gewaltiger Präzision, von den Schaltstellen der Macht bis zu den Helfershelfern vor Ort. Nach Berichten der União waren öffentliche Brunnen von „vagabundos“ zugeschüttet worden;1069 es werden jedoch kaum vagabundierende Vandalen gewesen sein, sondern verdingte Handlanger derjenigen, die in Trockenzeiten mit dem ertragreichen Verkauf von Wasser ein blühendes Geschäft betrieben. Die oben zitierten Vorwürfe der Opposition wandten sich gegen eine direkt auf Epitácio Pessoa und seine parentela bezogene ‚heuchlerische Dürrebekämpfung‘, symbolisiert und manifestiert im Missbrauch der kommissarischen Bauleitungen durch die Günstlinge („Wolfsrudel“) und Angehörigen („Heuschrecken“) des Präsidenten.1070 Mit den Großprojekten der Pessoa-Regierung boomte untrüglich der Betrug im Nordosten, wie Pater Florentino Barbosa anhand der gängigen Praxis, Materialien doppelt abzurechnen, schilderte. Zudem zogen es ihm zufolge einige Beamte vor, ihre großzügigen Gehälter in den Hauptstädten an der Küste auszugeben, anstatt die Bautätigkeiten im Hinterland zu betreuen.1071 Indessen bekamen die von den Kommissionären vermittelten Arbeiter ihre geringen Löhne oft nur in Form von Gutscheinen, die sie in den extrem überteuerten Läden (barracões) der coronéis einlösen mussten. In diesem Sinne beschrieb der paraibanische Politiker Osvaldo Trigueiro die ‚gol1067 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 31, 87. Nähere Informationen zur Besitzkonzentration sind in Kapitel IV.2.e zu finden. 1068 Siehe Kapitel  IV.2.d bzw. Quelle IV.2.d-15 und Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 387, 389. 1069 „O problema do nordéste. A perfuração de poços * A salsugem das aguas“, in: A União vom 26.11.1919, S. 1 (Quelle IV.5.a-21). 1070 Siehe Kapitel  IV.4.d bzw. Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 18.11.1919, S. 46 und ders., Anais da Câmara, 12.7.1920, S. 234 (Quelle IV.4.d-02). 1071 Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União vom 19.4.1922, S. 1 (Quelle IV.4.e-02). Barbosas konkrete Anschuldigungen umfassten auch die Situation in Ceará.

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denen Jahre‘ der Dürrepolitik aus eigener Erfahrung: „Unter Epitácio herrschte so viel Enthusiasmus angesichts der Vorhaben, dass notorische Unregelmäßigkeiten geflissentlich übersehen wurden.“1072 Trigueiro nannte unter anderem gefälschte Lohnquittungen und manipulierte Lieferbescheide. Die kommissarischen Bauverwalter seien weder Ingenieure noch spezialisierte Unternehmer gewesen, sondern die „doutores e coronéis da política“. Die Konstruktionsverträge schlossen sie ohne Kostenvoranschläge ab, investierten selbst kein Kapital und gingen kein Risiko ein. Dafür erhielten sie zehn Prozent aller getätigten Ausgaben. Gemäß Trigueiro wurden alle namhaften Politiker berücksichtigt, darunter zahlreiche Verwandte des Staatsoberhauptes und des Provinzgouverneurs, ferner Senatoren, Abgeordnete und die wichtigsten munizipalen Chefs.1073 Die paraibanischen Historiker José Joffily und José Octávio de Arruda Mello bestätigen diese Darstellung; ihren Ausführungen nach kämpften die Oligarchien regelrecht um öffentliche Ämter und die einträgliche Bauleitung von Straßen und anderen mit Dürregeldern finanzierten Maßnahmen. Neben den hohen Kommissionen von zehn bis fünfzehn Prozent aller anfallenden Aufwendungen boten die Organisationsposten die vorzügliche Möglichkeit, über die Auftragsvergabe die politische Klientel zu festigen und auszuweiten. Unter diesen Konditionen zogen sich die Arbeiten unendlich in die Länge, verschlangen ergebnislos einen Großteil der Projektbudgets und waren in vielen Fällen schon von ihrer unzureichenden Konzeption her in keiner Weise realisierbar. Mehrere angeblich im Bau befindliche Stauanlagen waren Scheinkonstruktionen („obras fantasma“), und unzählige Verkehrswege waren offensichtlich darauf ausgelegt, möglichst hohe Kosten – und Kommissionen – zu verursachen.1074 Trigueiro hob den Vorrang politisch-personeller Faktoren vor technischen Kriterien am Beispiel der Eisenbahnlinie nach Bananeiras hervor. Ihre Errichtung habe im Rahmen der paraibanischen Dürrebekämpfung absolute Priorität genossen, weil Provinzgouverneur Solon de Lucena der politische Kopf des Munizips war.1075 Der Ausbau des Schienennetzes war über Jahrzehnte hinweg von etlichen, in den Kongressannalen dokumentierten Auseinandersetzungen begleitet. Aus dem Kreis der lokalen Potentaten wollte jeder die für ihn günstigste Streckenführung durchsetzen. Völlig in den Hintergrund rückte dabei das offizielle

1072 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 70 (Quelle IV.4.e-03). 1073 Ebd. 1074 Joffily, José, Porto político, Rio de Janeiro: Civilização Brasileira, 1983, S. 24 und Mello, José Octávio de Arruda, A revolução estatizada, João Pessoa: A União Editora, 1978, S. 266, beide zit. in: Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 59; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 376 („obras fantasma“). 1075 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 69.

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Ziel, die Eisenbahnstränge durch die am stärksten bevölkerten und von den Trockenperioden am meisten bedrohten Gebiete zu leiten.1076 Sogar in den Bestimmungen der im Dezember 1919 gegründeten Caixa Especial kam die oligarchische Nutznießung beim Straßenbau zum Ausdruck. Die Transportwege in den Bewässerungsgebieten sollten „den ökonomischen und politischen Interessen der verschiedenen Staaten“ dienen.1077 Darin spiegelt sich ein politisches Verständnis wider, das Klientelismus und Vetternwirtschaft als legitime Systemkomponenten auffasste, die lediglich von wenigen sozialreformerischen Idealisten wie Maurício de Lacerda und Nicanor Nascimento angefochten wurden. Normalerweise nahm niemand daran Anstoß, dass sich gerade João Pessoa – der Lieblingsneffe Epitácio Pessoas – im Verkehrsministerium und in der Dürrebehörde persönlich um die zügige Bewilligung des Straßenbaus im Hinterland seiner Heimatprovinz bemühte, einschließlich seiner Geburtsstadt Umbuzeiro. In Paraíba fand das Engagement der Pessoas rund um ihre Besitztümer allgemeines Lob und eine vorbehaltlos positive Beurteilung in der Presse.1078 Laut Bericht der regierungsnahen A União über die Konstruktion der Umbuzeiro-Straße entstammten der einflussreichen Familie des Präsidenten sowohl der leitende Ingenieur Carlos Pessoa als auch der kommissarische Verwalter Coronel José Pessoa, dessen „großes Anwesen in der Nähe der (...) grandiosen Straße liegt“.1079 Während die Grundstoffbelieferung, die Bereitstellung der Arbeitskräfte und die technische Planung der anzulegenden Transportwege in die Hände der 1076 Zu den Anfängen derartiger Dispute im Anschluss an die ‚Große Dürre‘ siehe den parlamentarischen Streit zwischen den Vertretern der cearensischen Oligarchien von Aracaty (pro Eisenbahnstrecke Aracaty-Icó) und Fortaleza (pro Baturité-Ipu-Cariry): Caminha, Alvaro (Ceará) vs. Amaral, Paulino Franklin do (Barão de Canindé, Ceará)/Pinto, Antonio (Ceará)/Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 15.6.1882, S. 498–502, 530, 533 f., 536, 538 f., 542. Eine weitere Eisenbahnstrecke, die nicht durch ein Trockengebiet führte, sondern reine Wirtschaftsinteressen bedienen sollte, beantragte unter der Rubrik ‚Dürrebekämpfung‘ Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 28.10.1908, S. 598. Für ein paraibanisches Beispiel siehe Cavalcanti, Manuel Tavares (Paraíba), Anais da Câmara, 26.11.1909, S. 715–718. 1077 Regulamento da Caixa Especial, Kapitel III, Art. 14, zit. in: Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 139 (Quelle IV.4.e-04). 1078 Pessoa, João (Paraíba, Auditor Geral de Marinha), Telegramm an Camilo de Holanda (Gouverneur von Paraíba) vom 7.6.1919 (Rio de Janeiro), abgedr. in: „A sêcca“, in: A União vom 10.6.1919, S. 1. Siehe zum Straßenbau in Umbuzeiro ebenfalls „Obras contra as sêccas“, in: A União vom 1.8.1919, S. 1. 1079 „As obras contra as sêccas. O bom andamento dos serviços federaes. As estradas de Itabayana, Barra de Natuba, Umbuzeiro e Limoeiro * A nossa reportagem ‚in loco‘“, in: A União vom 4.6.1922, S. 2 (Quelle IV.4.e-05). Zum Stammbaum der Pessoas siehe „The Pessoa Lineages: Silva Pessoa, Pessoa Cavalcanti de Albuquerque, and Pessoa de Queiroz“, Schaubild B.3 (Anhang), in: Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987.

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lokalen Oligarchien und der ihnen zugehörigen Ingenieure fiel, beanspruchte Epitácio Pessoa für die Projekte der kolossalen Staudämme weltweit anerkannte Konstruktionsunternehmen. Hierzu gelang es ihm, wie im Folgenden nachvollzogen wird, nicht auf die regulären Auswahlverfahren und somit die Zustimmung der Legislative angewiesen zu sein. Dieser politische Spielraum ermöglichte es dem Staatsführer, bei der Vertragsvergabe etwaige Interessen der internationalen Kreditgeber zu berücksichtigen, ohne deren Kapital sein umfangreiches Nordostprogramm nicht zu verwirklichen war. Oberste und unabhängige Entscheidungsgewalt Epitácio Pessoas

Im Gesetzesantrag zur Einrichtung von Bewässerungssystemen des Abgeordneten Eloy de Souza aus dem Jahr 1911, auf welchen die Lei Epitácio Pessoa vom 25.  Dezember 1919 zurückging, war die öffentliche Ausschreibung der Bauvorhaben („concurrencia publica“) festgeschrieben.1080 Epitácio Pessoa änderte diese Klausel in dem nach ihm betitelten Dekret zugunsten der sogenannten administração contratada. Die Regierung war demnach nicht mehr verpflichtet, die Bauaufträge durch einen offenen Wettbewerb zu erteilen. Ungebunden von parlamentarischer Kontrolle konnte sie für die Leitung der Arbeiten eine Firma ihrer freien Wahl unter Vertrag nehmen.1081 Erneut war es Maurício de Lacerda, der im Kongress den Verzicht auf die „concurrencia“ stark kritisierte und hinter der Auftragsvergabe „por contracto“ Amtsmissbrauch und „dunkle Geschäfte“ befürchtete. Lacerda argwöhnte, die Preisgabe der wettbewerbsoffenen Ausschreibung bedeute den „Ausschluss des nationalen Kapitals und die Versklavung der brasilianischen Nation durch das nordamerikanische Kapital.“ Der Regierungsvertreter Sampaio Correia bemühte sich entgegenzuhalten, das nationale Ingenieurswesen sei zur Bewerkstelligung der Konstruktionen befähigt, so dass kein Bedarf an ausländischer Technik bestehe. Darauf Lacerda: „Doch das Kapital wird aus dem Ausland kommen! (...) Was geschieht, wenn die internationalen Geldinstitute verlangen, auch die Umsetzung der Bauprojekte Ausländern anzuvertrauen?“ Sampaio Correia antwortete: „Ja, es wird eine Fremdfinanzierung sein (...), aber wenn die Investoren derartige Forderungen stellen, würde ich – als Regierung – jenen auf keinen Fall die Arbeiten übertragen.“ Diese Versicherung konnte Lacerda nicht beruhigen, zumal Sampaio Cor-

1080 Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 30.8.1911, S. 706. Zum ursprünglichen Antrag und zur Lei Epitácio Pessoa siehe Kapitel IV.3.c. 1081 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1 (Quelle IV.4.e-06).

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reia einräumen musste, selbst keinen Einfluss auf die endgültige Entscheidung zu haben. Sie lag beim Staatschef.1082 Als Reaktion auf die parlamentarische Kritik wurde das Konzept der öffentlichen Ausschreibung zumindest als anzustrebendes Ziel in das Gesetz aufgenommen.1083 Letztlich hielt sich Epitácio Pessoa nicht an diesen fakultativen Passus; den Zuschlag für die großen Staumauern und Hafenanlagen bekamen – wie von Lacerda vorausgesehen – per administração contratada ausländische Firmen (Dwight P. Robinson aus den USA sowie Northon Griffiths und C. H. Walker aus England).1084 Der Abgeordnete André Gustavo Paulo de Frontin aus Rio de Janeiro beanstandete, dass die lukrativen Vorhaben nicht wenigstens zum Teil von nationalen Ingenieuren und Bauherren ausgeführt würden. Diese hätten seiner Ansicht nach am Staudamm von Quixadá und anderen Unternehmungen bewiesen, vergleichbaren Projekten gewachsen zu sein.1085 Epitácio Pessoa präsentierte Quixadá und außerdem die Staudämme von Acarape, Gargalheira und Santo Antônio das Russas umgekehrt als Beispiele für das Versagen brasilianischer Firmen. Ihnen fehle es an Erfahrung, Kapital und der hoch spezialisierten Ausrüstung. Die Option der „administração contractada“ habe hingegen in São Paulo, Europa und den USA beste Ergebnisse hervorgebracht. Nachdem vier inländische Betriebe in Vorverhandlungen ihre begrenzten Möglichkeiten zur Realisierung der Entwürfe eingestehen mussten, habe sich für Epitácio Pessoa die Lösung aus dem Ausland als alternativlos bestätigt.1086 Der Kritiker Paulo de Frontin vertrat einen konträren Standpunkt: „Aus den von der Regierung abgeschlossenen Kontrakten wird ersichtlich, dass die Vertragspartner keine technische Eigenverantwortung übernehmen und weder für die Vorarbeiten noch für die Bereitstellung und Installation der Gerätschaften in nennenswerte finanzielle Vorleistung treten müssen. Alles wird im Voraus bezahlt, und die Entlohnung setzt sich aus einem Prozentsatz der Gesamtkosten zusammen, inklusive der lokalen Aufwendungen für Personal, Material und Sonderposten. Unter diesen Bedingungen stehen zweifellos nationale Ingenieure und Bauunternehmer zur Verfügung, die bei früheren 1082 Lacerda (Rio de Janeiro)/Correia, Sampaio (Distrito Federal), Anais da Câmara, 18.11.1919, S. 49, 59 f. (Quelle IV.4.e-07). 1083 Baptista, Alvaro (Rio Grande do Sul), „Emendas ao Projecto N.  465  B, de 1919 (3a  ­discussão), N.  1, Art.  1.°“, in: Anais da Câmara, 21.11.1919, S. 310 (Quelle IV.4.e-08). Siehe auch die Abänderungsvorschläge von Cabral, João (Herkunft unbekannt), ebd., S. 311 und die Entscheidung der Commissão Especial de Obras Contra as Seccas, Anais da Câmara, 23.11.1919, S. 394. 1084 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921/22 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 237 f./551, 554 f. 1085 Frontin, André Gustavo Paulo de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 5.11.1920, S. 149, 151. 1086 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1 (Quelle IV.4.e-09).

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Anfragen von der Regierung als geeignet eingestuft, über die öffentliche Ausschreibung ausgewählt und weniger kostspielig vergütet wurden.“1087 Nach Pessoas Auskunft betrug der von Frontin angesprochene Unternehmensgewinn 12,5 bis 15 Prozent der effektiven Ausgaben.1088 Im Nachhinein wurden diese großzügigen Vertragsabschlüsse, deren Endbeträge sich angesichts der im Nordosten üblichen Missbrauchspraktiken jeglicher Kontrolle und Berechenbarkeit entzogen, als „völlig unhaltbar“ bewertet.1089 Zudem erwiesen sich die ausländischen Firmen nicht als Garant für eine erfolgreiche Ausführung des anvisierten Entwicklungsprogramms. Pessoas Pläne fanden gerade im Prestigeobjekt seiner Heimatprovinz das augenfälligste Zeugnis ihres Scheiterns. Der Hafenskandal als Symbol für Fehler und Fehltritte bei den ­Dürrearbeiten

Einer der größten Eklats der Nordostpolitik Epitácio Pessoas spielte sich in den Gewässern seines heimischen Hafens ab. Um die Abwanderung der paraibanischen Exportwaren nach Recife im benachbarten Pernambuco zu verhindern, sollte Paraíba einen eigenen internationalen Hafen und somit direkten Zugang zum Weltmarkt erhalten.1090 In Abstimmung mit der Associação Comercial der paraibanischen Hauptstadt beschloss Pessoa, den dortigen Flusshafen im Stadtteil Varadouro zu diesem Zweck vertiefen zu lassen. Außer Acht blieb die einhellige Schlussfolgerung von Untersuchungen, welche die Unzulänglichkeit des Ortes und die technische Undurchführbarkeit des Vorhabens belegten. Empfohlen wurde von den Ingenieuren die Nutzung des natürlichen Atlantikhafens im 18 Kilometer entfernten Cabedelo. Die gegenteilige Entscheidung Pessoas für den teuren und quasi impraktikablen Hafenausbau in der Hauptstadt war vor allen Dingen politisch motiviert. Das Projekt unter Leitung der englischen Firma C.  H. Walker stellte gewaltige Profite für die lokalen und dem Präsidenten nahestehenden Interessengruppen in Aussicht. Zu ihnen gehörten die Besitzer der für die Anlage erforderlichen Landstücke, die Materiallieferanten, Händler und Transportgesellschaften.1091 Mit einem Budget von 30.000 Contos 1087 Frontin, Paulo de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 5.11.1920, S. 154 (Quelle IV.4.e-10). 1088 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 238. 1089 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 69 (Quelle IV.4.e-11). 1090 Siehe entsprechende Erläuterungen Epitacio Pessoas bereits aus seinem ersten Jahr als Abgeordneter: Pessoa, E., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 495 (Quelle IV.4.e-12). 1091 Joffily, Porto político, 1983, S. 24, 35 f., zit. in: Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889– 1945), 1994, S. 59 f.; Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 69; Pessoa, E., Mensagem 3.5.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 555.

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vereinnahmte der Hafenbau in Paraíba einen erheblichen Anteil des gesamten Fünfjahresetats für den Nordosten von 200.000 Contos. Die Hafenkonstruktionen in Rio Grande do Norte und Ceará waren mit 10.000 und 14.000 Contos wesentlich niedriger dotiert.1092 Nachdem die Arbeiten angelaufen waren, wurden öffentlich – auch seitens des paraibanischen Gouverneurs – die „ordentlichen Fortschritte“ bekundet und allenfalls externe Verzögerungen eingestanden.1093 Als die Mängel immer sichtbarer wurden und sich der Betrugsverdacht verdichtete, war in der paraibanischen Regierungszeitung A União verharmlosend von „anfänglichen Mogeleien“ die Rede. Sie wurden der „Schamlosigkeit“ einiger Unternehmer angelastet, ohne jegliche Verantwortlichkeit dem Staatsoberhaupt als unumstritten „gutem Sohn seiner Heimat“ zu übertragen.1094 Epitácio Pessoa selbst betonte in seiner Jahresbotschaft von 1922 das „ansehnliche Vorankommen“ der Bautätigkeiten am Hafen, deren „exzellenter Eindruck“ auch vom Journalisten und Rechtsgelehrten Rodrigues de Carvalho bestätigt wurde.1095 Laut Angabe der União attestierte eine offizielle Überprüfungskommission den positiven Fortgang und sagte die Fertigstellung für das folgende Jahr voraus. Die Materialien befänden sich in bester Ordnung und in einwandfreiem Zustand. In seiner Abschiedsrede vom 15.  November 1922 verkündete Epitácio Pessoa, die anspruchsvollen Ziele am Sanhauá seien fast erreicht.1096 Die zu diesem Zeitpunkt getätigten Ausgaben ließen ebenfalls auf einen fortgeschrittenen Stand des Hafenprojekts schließen. Während in Natal und Fortaleza 1922 ein Viertel der

1092 Inspetoria Federal de Obras contra as Secas (IFOCS), Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, que se estão executando no Nordeste do Brasil, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1923, S. 16, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 105. Siehe vollständige Tabelle weiter unten. 1093 „Obras do Porto da Parahyba“, in: A União vom 30.10.1921, S. 1 (Quelle IV.4.e-13); „Operosidade do sr. presidente da Republica“, in: A União vom 7.6.1921, S. 1; „Uma palestra com o dr.  Octacilio de Albuquerque. A successão presidencial * Como vae a Parahyba * As obras do Nordéste“, in: A União vom 9.9.1921, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Recife) vom 28.8.1921, o. S. 1094 Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União vom 19.4.1922, S. 1 (Quelle IV.4.e-13). 1095 Pessoa, E., zit. in: „Mensagem Presidencial. Obras do Nordéste“, in: A União vom 3.6.1922, S. 1; Carvalho, Rodrigues de, „Noticias do Nordeste“, in: A União vom 5.7.1922, S. 1 (Quelle IV.4.e-14; vgl. dort die kritische Berichterstattung gegenüber Natal und Fortaleza mit der realitätsfernen Darstellung der Arbeiten in Parahyba). 1096 „As obras do Nordéste. O parecer da commissão Rondon. Confirmação publica do bom e remunerativo emprego dos dinheiros publicos pelo sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 19.11.1922, S. 1; Pessoa, E., Exposição 15.11.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 618 f. (Quelle IV.4.e-15).

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eingeplanten Finanzen erschöpft waren, hatte das paraibanische Flussbett mehr als drei Viertel des Budgets verschlungen: Tabelle 2: Hafenbaukalkulation der IFOCS, 1919–221097 Stadt

Bisherige Kosten

Ausstehende Kosten

Gesamtetat

Fortaleza

3.004:787$112

11.000:000$000

14.004:787$112

Natal

2.749:951$362

7.250:048$362

9.999:999$724

22.418:736$024

6.700:000$000

29.118:736$024

Parahyba

Ungeachtet aller Beteuerungen und optimistischen Verlaufsberichte hatten in Paraíba die ausgedehnten Arbeiten und exorbitanten Ausgaben zu keiner konstruktiven Leistung geführt. Als einzig greifbares Ergebnis ragten einige unbrauchbare Pfeiler aus dem Sanhauá und erinnerten die Passanten an das vollständig gescheiterte und schließlich verworfene Vorhaben.1098 Einmal mehr erwiesen sich die Dürrehilfen – in mittlerweile vierzigjähriger Tradition – als Fass ohne Boden, in welches die Staatsgelder hineinflossen, um im sandigen Grund der oligarchischen Politik zu versickern. In einem Brief des Gouverneurs João Pessoa aus dem Jahr 1928 verständigte dieser seinen Onkel Senator Epitácio Pessoa, dass die verbleibenden Materialien des Hafenbaus inzwischen zum größten Teil verrottet waren.1099 Erst nach 1930, als die Ära Pessoa bereits beendet war, wurde der neue Hafen errichtet, dieses Mal in Cabedelo und mit geringeren Kosten.1100 Die von seinen Anhängern 1921 beschworene „produktive Tatkraft des Präsidenten der Republik“1101 spiegelte sich offensichtlich nicht immer in tatkräftiger Produktivität wider. Angesichts der aufgewendeten Ressourcen konnte das Standardargument der „spärlichen Hilfsgelder“1102 kaum das Misslingen erklären. Gemessen am Ausmaß der Unterschlagungen überzeugte ebenso wenig die 1097 IFOCS, Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, 1923, S. 16, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 105. 1098 Nóbrega, Apolonio, História republicana da Paraíba, João Pessoa: Imprensa Oficial, 1950, S. 153, auszugsweise abgedr. in: ebd. Siehe auch Kapitel  IV.6.c bzw. Quelle IV.6.c-05. 1099 Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 24.11.1928 (Parahyba), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 059-1. 1100 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 69. Weitere Ausführungen zur Bloßstellung und Blamage des Hafenskandals erfolgen in Kapitel IV.6.b. 1101 „Operosidade do sr. presidente da Republica“, in: A União vom 7.6.1921, S. 1 (siehe Kapitel IV.4.d). 1102 Borges (Ceará), Anais da Câmara, 13.7.1920, S. 447 (Quelle IV.4.d-26).

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Behauptung, einzelne schwarze Schafe seien hierfür verantwortlich, während die „fruchtbare“ und „weise“ Amtsführung Epitácio Pessoas eine „wachsame Kontrolle“ der „Bande von Pfründenfunktionären“ sicherstelle.1103 Allerdings waren die Maßnahmen im Nordosten nicht ausschließlich von Misserfolgen gekennzeichnet. Sie setzten durchaus einen Modernisierungsprozess in Gang, auch wenn sich dieser im Rahmen des konservativen Machterhalts bewegte. Konservative Modernisierung – technischer Fortschritt und politische Stagnation

Der US-amerikanische Soziologe Barrington Moore Jr. wandte in seinen komparativen Studien über die Modernisierung von Agrargesellschaften den Terminus der „konservativen Modernisierung“ auf den preußischen Landadel an, welcher den Übergang zur Moderne zu dominieren vermochte und ihn – vor allem hinsichtlich der Industrialisierung – sogar stimulierte, ohne die Herrschaft über die Menschen und den aus Zeiten des Feudalismus datierenden Besitz zu verlieren.1104 In Brasilien waren die Latifundisten die Akteure der konservativen Modernisierung, denen es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gelang, von den neuen technischen Entwicklungen zu profitieren und die alten diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen zu bewahren.1105 Der Begriff „konservative Modernisierung“ birgt angesichts seiner auf den ersten Blick konträren Komponenten eine Zwiespältigkeit in sich, die sich zum Teil dadurch auflöst, dass beide Phänomene eine substantielle Durchlässigkeit aufweisen. Weder ist der Konservatismus starr und statisch, noch lässt sich die Modernität auf das zukunftsträchtige und unfehlbare Allheilmittel reduzieren, als welches sie oft gehandelt wird.1106 Ambiguität und Ambivalenz der Moder1103 Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União vom 19.4.1922, S. 1 (Quelle IV.4.d-27). 1104 Moore, Barrington, Social origins of dictatorship and democracy: Lord and peasant in the making of the modern world, Hardmondsworth: Penguin, 1966, zit. in: Domingues, José Maurício, „A dialética da modernização conservadora e a nova história do Brasil“, in: ders., Ensaios de sociologia. Teoria e pesquisa, Belo Horizonte: Editora UFMG, 2004, S. 187–208 (188). Speziell zur deutschen Geschichte siehe auch Moore, Barrington, Injustice. The social bases of obedience and revolt, London 1978; hierzu Sünker, Heinz, „Moore, Barrington – Ungerechtigkeit. Die sozialen Ursachen von Unterordnung und Widerstand“, in: Oesterdiekhoff, Georg  W. (Hg.), Lexikon der soziologischen Werke, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2001, S. 482. 1105 Domingues, J.  M., A dialética da modernização conservadora, 2004, S. 188; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 312. 1106 Zu einer kritischen Analyse der Modernitätskonzeption siehe Haesbaert, Des-territori­ alização no Nordeste, 1997, S. 106–116.

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nisierung wurzeln im Primat ihrer technisch-ökonomischen Bedeutung über die Sozialisierung ihrer materiellen Errungenschaften. Innovationen im produktiven Bereich können die Arbeits- und Machtbeziehungen tiefgreifend verändern, indem sich allmählich politische Partizipation und demokratische Praktiken entfalten und daraus eine Stärkung der sozialen Gerechtigkeit resultiert. Wirtschaftlicher Fortschritt geht indes nicht automatisch mit einer progressiven Politik einher. Wie auch in anderen Ländern wurde in Brasilien die Produktivitätssteigerung von einer rigorosen Kontrolle der Arbeiterschaft überschattet, sei es in der aufkommenden Industrie oder im Agrarsektor. Aus gesellschaftlicher Sicht wurden folglich die essentiellen Forderungen der Moderne unterdrückt – Freiheit und Egalität in ihren verschiedenen Facetten der Bürgerrechte. Trotz Sklavenbefreiung und Ausrufung der Republik blieb dem Gros der Bevölkerung der Wandel von Machtobjekten zu Rechtssubjekten verwehrt, zumal der arme Freie seiner sozialen Position nach mehr Sklave als Staatsbürger war. Die konservative Modernisierung reproduzierte die Ausbeutungsmechanismen der kolonialen Epoche und war über weite Strecken des 20. Jahrhunderts von extremer gesellschaftlicher Ausgrenzung markiert. Dennoch eröffnete sie erste Perspektiven zur Infragestellung und Erneuerung, unterminierte graduell die Grundlagen des Konservatismus und führte langfristig – nach Überwindung zweier diktatorischer Perioden (1930–45/ 1964–85) – zu breiteren Sozialreformen.1107 Während der Ersten Republik war die konservative Modernisierung im Norden bzw. Nordosten aufs Engste mit der Dürrepolitik verbunden. Seit der Trockenperiode von 1877–79 setzte die regionale Agrarelite alles daran, den erheblichen Vorsprung an technischen Neuheiten im Süden des Landes unter dem Etikett der Dürrebekämpfung aufzuholen. Zu den energischsten Fürsprechern von Telegraphenleitungen, Verkehrswegen und landwirtschaftlicher Infrastruktur zählte Epitácio Pessoa, dessen Präsidentschaft in jeglicher Hinsicht zur Klimax der konservativen Modernisierung seiner Heimat wurde. Politischer Konservatismus und technische Modernität waren die zwei Seiten der Medaille, die seine Amtsführung prägten. Einerseits schritt er mit unnachgiebiger Härte gegen die Streikbewegung der erwachenden Arbeiterschaft ein, andererseits importierte er modernste Gerätschaften und verpflichtete renommierte internationale Firmen zur Realisierung des bisher ehrgeizigsten Wachstumsprogramms für den Nordosten.1108 Seine Rechnung ging jedoch nicht auf, denn das von ihm selbst getragene und intensiv geförderte klientelistische System vereitelte die Pläne. Die lokalen Machthaber, denen Pessoa seinen politischen Halt verdankte 1107 Ebd., S. 108, 267; Castro, I., Seca versus seca. Novos interesses, novos territórios, novos discursos no Nordeste, 1996, S. 290; Domingues, J.  M., A dialética da modernização conservadora, 2004, S. 189 f.; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 102. 1108 Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, 1923, S. 336–339. Zu Pessoas Repression der Streikbewegung siehe Kapitel IV.1.c und IV.4.d.

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und die zu großen Teilen seiner eigenen Familie entstammten, forderten ihren Tribut. Noch bevor das Richtfest gefeiert werden konnte, war die gigantische Baustelle des Trockengürtels weitgehend geplündert. Korruption und Zweckentfremdung im Zuge der Dürreindustrie bremsten den mit staatlichen Mitteln angeheizten Entwicklungsmotor stark aus. Nur aufgrund der schieren Masse der Maßnahmen kam die Infrastrukturmaschinerie nicht völlig zum Erliegen. Speziell im Transportbereich bewirkten die umfangreichen Bautätigkeiten eine nachhaltige Dynamisierung der regionalen Wirtschaft. Allein die Beförderung der aus dem Ausland eingeführten Großapparaturen machte die Verlegung zusätzlicher Schienenstränge zu den Schauplätzen der Staudammkonstruktionen erforderlich – auch wenn die meisten Dämme letztlich nicht fertiggestellt wurden. Die Organisation der Unternehmungen setzte zudem telegraphische Kommunikation voraus, und zur Unterbringung der Arbeitskräfte und des Führungspersonals entstanden neue Siedlungen einschließlich sanitärer Anlagen.1109 Obschon viele Arbeiter zur Einlösung ihrer Entgelte in den Läden der coronéis genötigt wurden, vollzogen sich die Lohnzahlungen prinzipiell in Bargeld und kurbelten den Handel an. Die Kombination aus hohen Staatszuschüssen und geringem Warenangebot begünstigte Spekulationen und verschaffte privilegierten Geschäftsmännern fabulöse Erträge,1110 die wie ein Magnet weitere Kaufleute anzogen. Das vergrößerte Verkehrsnetz erleichterte den früher auf Lasttieren ausgetragenen Gütertransport und ebnete dem außerregionalen Handelskapital den Weg in den Sertão. Die darauf folgende Durchdringung des Marktes von Artikeln aus dem Süden und dem Ausland verschärfte die Konkurrenz für die heimischen Erzeugnisse. Zugleich stieg die Produktion im Hinterland ihrerseits durch die verbesserten Export- und Kommerzialisierungsmöglichkeiten an, was sich unmittelbar mit Beginn der Bautätigkeiten bemerkbar machte. Die Eisenbahnwagons, die Zement und andere Konstruktionsmaterialien von der Küste ins Dürregebiet beförderten, waren auf der Rückfahrt mit lokalen Waren gefüllt, insbesondere Baumwolle.1111 Das umfassende Nordostprogramm initiierte auch eine sukzessive Umgestaltung der gewohnten Arbeitsverhältnisse. Unzählige Subsistenzbauern wechselten von ihrer traditionellen Selbstversorgung zu den Dürreprojekten, deren 1109 Almeida, J. A., A Parahyba e seus problemas, 1923, S. 337 f.; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 374, 376 f. Siehe hierzu auch Kapitel IV.2.d. 1110 Ebd., S. 376. Zu den barracões der coronéis siehe Kapitel IV.4.e (Unterkapitel „Missbrauch der Dürreprojekte und Kommissionsämter“). 1111 Ebd., S. 369; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 87 und 31 f., mit Bezug auf Barbosa, Orris, Secca de 32, 1935, S. 12; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 179 f. Zur „Vereinigung des nationalen Marktes“ und „Unterordnung der Wirtschaft des Nordens“ siehe ebd., S. 306; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 374. Ein gewisser Vorläufer dieser Konzeption äußert sich in Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 25.6.1877, S. 221 (Quelle IV.4.e-16).

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hohes Finanzvolumen außerdem städtische Tagelöhner aus dem Exportsektor anlockte. Die sich daraus ergebende Verknappung der Arbeitskräfte in den urbanen Zentren einerseits und das vorübergehend hohe Arbeitsangebot der IFOCS andererseits führten in den 1920er-Jahren zu steigenden Lohnforderungen, verstärkt durch die florierende Baumwollwirtschaft. Die staatliche Dürrebekämpfung trug also direkt und indirekt zur Ausbreitung der kapitalistischen Arbeitsbeziehungen in der Region bei. Lediglich begrenzte Wirkung hatten diese Transformationsansätze deshalb, weil sie – wie bereits beschrieben – unter der Ägide der coronéis standen. Indem ihnen die Bauleitungen übertragen und übermäßige persönliche Gewinne ermöglicht wurden, ging die Modernisierung der Produktion und Infrastruktur mit einer Festigung des konservativen Herrschaftsgefüges einher.1112 Die perpetuierte Machtstruktur war in den folgenden Dekaden für das Weiterbestehen der verheerenden Dürreauswirkungen mitverantwortlich, denn ohne eine breit angelegte und allgemein zugängliche Bewässerungslandwirtschaft war die solução hidráulica nur für die Latifundisten eine Lösung.1113 Sie konnten in den Trockenperioden ihre Anpflanzungen und Viehherden retten und das hilfsbedürftige Volk an sich binden. Daher waren die Staudämme dem Verständnis der Agrarelite nach nützlicher, solange sie die offiziell angestrebte soziale Funktion nicht erfüllten. Für Epitácio Pessoa stellten sie ein herausragendes Instrument der politischen Patronage dar, welches er in großem Stil zur Stabilisierung seiner paraibanischen Führungsposition einsetzte.1114 Dieser Missbrauch, der sich von der niedrigsten bis zur höchsten politischen Ebene erstreckte und unter Pessoa seinen Gipfel erreichte, machte aus der Dürrepolitik die Dürreindustrie und verhinderte, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen die Not der armen Bevölkerungsschichten beendeten. Während Epitácio Pessoa die Fäden der Macht in seinen Händen hielt, versuchte er, im Nordosten und insbesondere in seiner Heimatprovinz einen möglichst flächendeckenden Teppich aus Großbaustellen auszubreiten. Abgesehen 1112 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 330; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 389. Zu den gesellschaftlichen Hintergründen siehe auch Kapitel III.2.c. 1113 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 125; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 50. Zu den folgenschweren Dürren von 1932, 1958 und 1979–83 siehe Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Problem, 2001, Kapitel 4.1.1, 4.1.2 und 4.3.1 bzw. zu Details Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 52–54; Rios, Kênia Sousa, Isolamento e poder: Fortaleza e os Campos de Concentração na seca de 1932 (Pós-Graduação em História), São Paulo: Pontifícia Universidade Católica de São Paulo, 1998, S. 59; Neves, Campos de concentração no Ceará, 1995, S. 113; Callado, A., Os industriais da sêca e os „Galileus“ de Pernambuco, 1960, S. 30; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 255, 258, 261–270; Coelho, Jorge, A indústria das secas, 1985, S. 37, 39, 43–47. 1114 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 98, 320, 322.

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von seinem engmaschigen oligarchischen Netzwerk in Paraíba glückte es ihm hingegen nicht, einflussreiche nationale Verbündete dauerhaft auf seine Seite zu ziehen.1115 Sie fehlten ihm, als sich seine Präsidentschaft im Wettkampf um die auslaufende Zeit dem Finale näherte, die Arbeiten im Trockengürtel jedoch längst nicht zum Abschluss gekommen waren.

5. Das Ende der Ära Pessoa a) Die Dürrepolitik nach der Präsidentschaft Epitácio Pessoas Vorboten einer politischen Klimaveränderung

Die Vertreter des Nordostens sahen in Epitácio Pessoa die einzige Hoffnung für die Umsetzung ihrer infrastrukturellen Modernisierungswünsche.1116 Unmittelbar nach dessen Amtsübernahme war daher der Tenor in der Region: „Die Maßnahmen sind dringend durchzuführen, da endlich eine Regierung von ihnen überzeugt ist“.1117 Auch der Staatschef selbst drängte schon 1919 auf sofortige umfassende Arbeiten und begründete sie mit der Notwendigkeit zügiger Hilfe für die bedürftige Bevölkerung.1118 Wie er später in einem Brief an den früheren Inspektor der Dürrebehörde Aarão Reis schrieb, war ihm bewusst, das Gesamtprojekt nicht während seiner eigenen Präsidentschaft vollenden zu können. Daher wollte er es an möglichst vielen Punkten gleichzeitig in Gang setzen und durch einen Fünfjahresplan mit entsprechenden vertraglichen Bindungen über seine Regierungszeit hinaus absichern.1119 Der oppositionelle Abgeordnete Francisco Valladares aus Minas Gerais rügte die „Phantastereien“ des Staatsoberhauptes und ermahnte ihn, „nicht auf Sand zu bauen“. Er erinnerte an die verkürzte Amtsperiode Epitácio Pessoas von nur drei Jahren, deren zeit1115 Villa, Que braseiro, 2005, S. 17. 1116 Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1 (Quelle IV.2.d-12). 1117 Komenacker, Victor, „O problema das sêccas. Barragens e irrigação. II“, in: A União vom 17.10.1919, S. 1 (Quelle IV.5.a-01). 1118 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23 (Quelle IV.5.a-02). 1119 Pessoa, E., Brief an Aarão Reis vom 16.4.1925, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XX, 1965, S. 83 f. (Quelle IV.5.a-03). Zum Ingenieur und Politiker Aarão Leal de Carvalho Reis (Pará) siehe „Os serviços da sêcca na Parahyba. ‚A União‘ entrevista o sr. dr. Aarão Reis [inspector das obras contra a sêcca]. O açude de Bodocongó e a estrada de rodagem“, in: A União vom 27.10.1915, S. 1.

Das Ende der Ära Pessoa



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von seinem engmaschigen oligarchischen Netzwerk in Paraíba glückte es ihm hingegen nicht, einflussreiche nationale Verbündete dauerhaft auf seine Seite zu ziehen.1115 Sie fehlten ihm, als sich seine Präsidentschaft im Wettkampf um die auslaufende Zeit dem Finale näherte, die Arbeiten im Trockengürtel jedoch längst nicht zum Abschluss gekommen waren.

5. Das Ende der Ära Pessoa a) Die Dürrepolitik nach der Präsidentschaft Epitácio Pessoas Vorboten einer politischen Klimaveränderung

Die Vertreter des Nordostens sahen in Epitácio Pessoa die einzige Hoffnung für die Umsetzung ihrer infrastrukturellen Modernisierungswünsche.1116 Unmittelbar nach dessen Amtsübernahme war daher der Tenor in der Region: „Die Maßnahmen sind dringend durchzuführen, da endlich eine Regierung von ihnen überzeugt ist“.1117 Auch der Staatschef selbst drängte schon 1919 auf sofortige umfassende Arbeiten und begründete sie mit der Notwendigkeit zügiger Hilfe für die bedürftige Bevölkerung.1118 Wie er später in einem Brief an den früheren Inspektor der Dürrebehörde Aarão Reis schrieb, war ihm bewusst, das Gesamtprojekt nicht während seiner eigenen Präsidentschaft vollenden zu können. Daher wollte er es an möglichst vielen Punkten gleichzeitig in Gang setzen und durch einen Fünfjahresplan mit entsprechenden vertraglichen Bindungen über seine Regierungszeit hinaus absichern.1119 Der oppositionelle Abgeordnete Francisco Valladares aus Minas Gerais rügte die „Phantastereien“ des Staatsoberhauptes und ermahnte ihn, „nicht auf Sand zu bauen“. Er erinnerte an die verkürzte Amtsperiode Epitácio Pessoas von nur drei Jahren, deren zeit1115 Villa, Que braseiro, 2005, S. 17. 1116 Lustosa, N., „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1 (Quelle IV.2.d-12). 1117 Komenacker, Victor, „O problema das sêccas. Barragens e irrigação. II“, in: A União vom 17.10.1919, S. 1 (Quelle IV.5.a-01). 1118 Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 23 (Quelle IV.5.a-02). 1119 Pessoa, E., Brief an Aarão Reis vom 16.4.1925, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XX, 1965, S. 83 f. (Quelle IV.5.a-03). Zum Ingenieur und Politiker Aarão Leal de Carvalho Reis (Pará) siehe „Os serviços da sêcca na Parahyba. ‚A União‘ entrevista o sr. dr. Aarão Reis [inspector das obras contra a sêcca]. O açude de Bodocongó e a estrada de rodagem“, in: A União vom 27.10.1915, S. 1.

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lichen Rahmen die Finanzierung des Nordostprogramms nicht überschreiten dürfe.1120 Valladares sagte bereits in diesem Moment vorher, dass sich die Folgeregierung kaum an Verträge ihrer Vorgängerin halten und auch hohe Entschädigungssummen mit immensen Verlusten für den nationalen Haushalt in Kauf nehmen werde.1121 Pessoa ließ sich von den Warnungen nicht einschüchtern und verfolgte genau diese laut Valladares zum Scheitern verurteilte Kontraktstrategie, indem er den angeworbenen Firmen aus den USA und England für den Fall einer Vertragskündigung seitens der brasilianischen Regierung einen Entschädigungssatz von fünf Prozent der ausbleibenden Unternehmungen garantierte.1122 Der gewaltige Umfang dieser potentiellen Zahlung offenbart sich im Vergleich zur regulären Entlohnung von fünfzehn Prozent des Gesamtwerts aller realisierten Arbeiten.1123 Sollten die Vorhaben abgebrochen werden, würden die Konstruktionsfirmen also ohne weitere Gegenleistung ein Drittel ihres vereinbarten Gewinns als Abfindung erhalten. Mit dieser für die ausländischen Vertragspartner überaus großzügigen und für das brasilianische Staatsbudget ruinösen Konzession glaubte Epitácio Pessoa seinen politischen Widersachern eine prohibitive Hürde in den Weg gestellt zu haben. In seiner Jahresbotschaft von 1921 rechtfertigte er die Vorgehensweise mit dem zentralen Ziel seiner Dürrepolitik, den Bau mehrerer großer Stauanlagen schnell und simultan zu verwirklichen. Pessoa wies ausdrücklich darauf hin, dass die Entschädigungsklausel eine „unüberlegte Aufhebung durch die Folgeregierung verhindern soll, denn gerade der Mangel an Kontinuität hat die Lösung dieses und anderer nationaler Probleme bisher unmöglich gemacht.“1124 Der Oppositionspolitiker Paulo de Frontin hatte schon zu Beginn der parlamentarischen Verhandlungen aus den Plänen Pessoas die Schlussfolgerung gezogen: „Sie verdeutlichen die Vorstellung, die sich die aktuelle Regierung vom nächsten Präsidenten macht, welcher noch nicht einmal bekannt ist.“1125 1120 Epitácio Pessoa war nur drei Jahre Präsident, da er die Amtszeit des verstorbenen Rodrigues Alves vollendete (siehe Kapitel IV.1.c). 1121 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 165  f., 183  f. (Quelle IV.5.a-04). 1122 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1; Klausel XXII aus dem Vertrag der Arbeiten im Nordosten, zit. von Frontin, André Gustavo Paulo de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 13.11.1920, S. 649 f. (Quelle IV.5.a-05). 1123 Siehe Kapitel IV.4.e. 1124 Pessoa, E., Botschaft an den Kongress vom 3.5.1921, abgedr. in: „A mensagem presidencial“, in: A União vom 11.5.1921, S. 1 (Quelle IV.5.a-06). 1125 Frontin, Paulo de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 13.11.1920, S. 650, mit Bezug auf Klausel XXII aus dem Vertrag der Nordostprojekte (vgl. Quelle IV.5.a-05) und den Zeitungsartikel „Moinhos de vento“, in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 9.11.1920, o. S. (Quelle IV.5.a-07).

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Aussagen des Staatschefs und seiner Fürsprecher über die vermeintlich gesicherte Zukunft des Nordostprogramms klangen wie ein Wunschdenken und ließen ihre Sorge erkennen, nach 1922 könnte sogar die Existenz der Dürrebehörde IFOCS gefährdet sein.1126 Seinen bisher namenlosen Nachfolger versuchte Epitácio Pessoa bereits im Voraus moralisch unter Druck zu setzen: „In diesem Werk der Wiedergutmachung einer schockierenden Ungerechtigkeit wird mich ganz Brasilien – dessen bin ich mir gewiss – unterstützen; und wenn ich nicht mehr der Regierung vorstehe, dann wird die Unterstützung darin demjenigen gelten, der mich ersetzen wird.“1127 Sobald Artur Bernardes aus Minas Gerais als offizieller Präsidentschaftskandidat feststand, wurde im Nordosten seine „aufrichtige Absicht zur Fortsetzung der vorbildlichen Amtsführung Epitacio Pessôas“ betont, wohl ebenfalls in der Hoffnung, mit diesem Diskurs die Realität zu prägen.1128 Am 3. Mai 1922 verkündete Pessoa dem Kongress, die aufgrund unzureichender Ressourcenfreistellung verzögerten Arbeiten an den großen Stauanlagen erforderten eine Bauzeit von fünf, sechs oder mehr Jahren.1129 In einem offiziellen Bericht wurde für die einzelnen planmäßigen Abschlüsse der begonnenen Stauanlagen der Zeitraum von März 1923 bis November 1926 angesetzt.1130 Dementsprechend sprach die regierungsnahe Presse 1922 von der „Anfangsphase der Studien und ersten Realisierungen“, doch rückblickend war es längst die Endphase der von Epitácio Pessoa ersehnten Dürreprojekte.1131 Kurz vor Ablauf seiner Präsidentschaft wurde es immer offensichtlicher, dass nicht nur die Zeit gegen ihn spielte. 1126 Zum ‚Wunschdenken‘ der regionalen Vertreter siehe Pacheco, Felix (Piauí)/Pessoa, E., indirekt zit. in: „As sêccas do nordeste. A assignatura do decreto“, in: A União vom 6.1.1920, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Recife), o. D., o. S.; siehe außerdem die vorsichtig formulierte Hoffnung auf ein Bestehen der IFOCS für weitere zehn Jahre eines ihrer Ingenieure: Pacheco, Janot, „O nordéste. Impressões de viagem * Aspectos diversos * Considerações geraes sobre as obras da Inspectoria de Sêccas * Possibilidades economicas da região“, in: A União vom 14.1.1921, S. 2, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 6.12.1920, o. S. (Quelle IV.5.a-08). 1127 Pessoa, E., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, auszugsweise abgedr. in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 299 (Quelle IV.5.a-09). 1128 „A candidatura Arthur Bernardes“, in: A União vom 13.8.1921, S. 1 (Quelle IV.5.a-10). Ebenso nach der Amtsübernahme: Lyra, Julio, „Obras contra as sêccas“, in: A União vom 1.12.1922, S. 1. 1129 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 551 f. (Quelle IV.5.a-11). 1130 Zwischenbericht der Rondon-Kommission zu den Arbeiten in Ceará und Paraíba, zit. in: „As obras do Nordéste. O parecer da commissão Rondon. Confirmação publica do bom e remunerativo emprego dos dinheiros publicos pelo sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 19.11.1922, S. 1. 1131 Carvalho, Rodrigues de, „Noticias do Nordeste“, in: A União vom 5.7.1922, S. 1 (Quelle IV.5.a-12).

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Abbruch der Arbeiten unter Artur Bernardes

Die Skepsis Epitácio Pessoas über die Weiterführung des Nordostprogramms rührte nicht zuletzt von der im Süden getroffenen Wahl seines designierten Nachfolgers her. Artur Bernardes, ein Repräsentant der südlichen Kaffee-Oligarchien, war nicht von ihm favorisiert worden.1132 Einer der Gründe hierfür mag gewesen sein, dass Bernardes als Gouverneur von Minas Gerais dem Staatsoberhaupt die notwendige Zustimmung zu einer Lizenzvergabe im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie verweigert hatte – Pessoa zufolge „einem Problem größter Tragweite für die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens“.1133 Zumindest verhielt sich Epitácio Pessoa während des Wahlprozesses gegenüber der Kandidatur des mineiro ausdrücklich neutral, angeblich weil seine Position diese Einstellung von ihm verlangte.1134 Bernardes ging als offizieller Kandidat in das Rennen um die Präsidentschaft, verfehlte bei den Wahlen im März 1922 jedoch einen klaren Sieg gegen seinen Rivalen Nilo Peçanha aus Rio de Janeiro, der von Rio Grande do Sul und anderen, kleineren Staaten unterstützt wurde. Der Kongress hatte seine Funktion zu erfüllen, die Stimmen ‚auszuzählen‘.1135 Minas Gerais und São Paulo setzten sich durch, und Bernardes wurde auf Kosten der nationalen Einheit zum Gewinner erklärt. Epitácio Pessoa gab öffentlich Bernardes’ Präsidentschaft bekannt, privat war er allerdings der Meinung, dem Land hätte ein Rückzug des falschen Wahlsiegers eher gedient. Als Bernardes von dieser Auffassung erfuhr, zeigte er Epitácio Pessoa und dem Nordosten gegenüber keinen guten Willen mehr. Selbst bei der Entscheidung über den Vizepräsidenten wurde nicht die Präferenz Epitácio Pessoas respektiert. Daher gab es zwischen den Regierungen Pessoa und Bernardes keine Kontaktpunkte zur Beeinflussung, keine Verpflichtungen und keine zu begleichende Schuld aus Dankbarkeit für den persönlichen Aufstieg.1136 Auch wenn die Zeitungen im Nordosten insistierten, der zukünftige Präsident habe sich für das Fortbestehen der Dürreprojekte verbürgt, wurde kurz vor der Amtsübernahme bereits offen die Befürchtung ausgesprochen, er könne 1132 Villa, Que braseiro, 2005, S. 17. 1133 Pessoa, E., „O contrato da Itabira Iron“, in: ders., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251), S. 321–340 (340); siehe hierzu auch Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S.; Dias, Epitácio Pessoa. Verbete biográfico, o. D. (Quelle IV.5.a-13). 1134 Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), zit. in: „Uma palestra com o dr. Octacilio de Albuquerque. A successão presidencial * Como vae a Parahyba * As obras do Nordéste“, in: A União vom 9.9.1921, S. 1 (Quelle IV.5.a-14). 1135 Zu den undemokratischen Wahlmechanismen während der Ersten Republik siehe Kapitel IV.1.b. 1136 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 328; Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 199.

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die Arbeiten abbrechen. Tatsächlich waren die Worte Artur Bernardes’ in dieser Hinsicht verhaltener geworden und signalisierten spürbare Einschränkungen, zumal er Investitionen im Nordosten nun von der Wirtschaftslage abhängig machen wollte.1137 Unter dieser Prämisse ließen sich leicht Kürzungen begründen. Ein ebenso dehnbarer Begriff war die klimatische Situation. Bald würde der Region kein presidente nordestino beistehen, der zur Not eine Dürre ‚erfinden‘ konnte. Hinzu kamen die nach wie vor in Presse und Parlament artikulierten Beschwerden über Unregelmäßigkeiten im Zuge der Dürrebekämpfung. Sie veranlassten Epitácio Pessoa, einen Monat vor Ende seiner Präsidentschaft eine Untersuchungskommission unter Leitung des Generals Cândido Mariano Rondon einzurichten. Am 2.  Februar 1923, bereits zur Amtszeit von Artur Bernardes, präsentierte die Comissão Rondon ihren Abschlussbericht. Obschon aus den darin veröffentlichten Statistiken die Veruntreuungen und Betrügereien der Dürreindustrie abgeleitet werden konnten, wurden sie nicht explizit thematisiert. Vielmehr erhielt Epitácio Pessoa für seine Unternehmungen Lob, denn „während frühere Hilfeleistungen meist auf Ernährung und Transport der Dürreopfer beschränkt waren und keine nachhaltige Wirkung hatten, zielen die aktuellen Maßnahmen darauf ab, die Bevölkerung durch landwirtschaftliche Versorgungszentren vor neuen Katastrophen zu bewahren.“1138 Die Kommission führte jedoch auch beträchtliche Bedenken an. Es wäre ihrer Ansicht nach besser gewesen, die sekundären Infrastrukturerweiterungen erst vorzunehmen, wenn die ersten ökonomischen Erfolge diesen Schritt erfordert und gerechtfertigt hätten. Stattdessen habe der kostenaufwendige und risikoreiche Ausbau unzähliger Verkehrswege und überdimensionierter Hafenanlagen dazu geführt, dass die eigentliche Hauptaufgabe der Errichtung von Bewässerungssystemen

1137 „Dr.  Epitacio Pessôa. Seu regresso de Minas – As obras do nordéste – Uma declaração do presidente Arthur Bernardes“, in: A União vom 10.10.1922, S. 1; Gespräch des Abgeordneten Francisco Pessôa de Queiroz (Pernambuco), Direktor des Jornal do Commercio (Recife), mit dem designierten Präsidenten Artur Bernardes, in: „O futuro govêrno. Em territorio mineiro, em amistosa palestra com o sr. dr. Pessôa de Queiroz, o presidente eleito da Republica faz importantes declarações – As grandes obras do Nordéste – Como o sr. Arthur Bernardes encara o palpitante problema“ in: A União vom 15.10.1922, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Recife) vom 11.10.1922, o. S. (Quelle IV.5.a-15). 1138 IFOCS, Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, 1923, S. 36 f., auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 104 f. (Quelle IV.5.a-16). Siehe auch die optimistische Schlagzeile über einen Vorbericht der Kommission: „As obras do Nordéste. O parecer da commissão Rondon. Confirmação publica do bom e remunerativo emprego dos dinheiros publicos pelo sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 19.11.1922, S. 1.

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nicht bewältigt wurde.1139 Den Gegnern des Nordostprogramms bot dieses Urteil neue Argumente für drastische finanzielle Einschnitte. Der Haushaltsreferent des Verkehrs- und Bauministeriums Senator Sampaio Correia aus dem Bundesdistrikt befand es für angebracht, von den zahlreichen Vorhaben lediglich „eines oder zwei auszuwählen, welche in absehbarer Zeit zu bewerkstelligen sind und nicht allen, aber wenigstens einem großen Teil der armen Dürreopfer helfen können.“1140 Der Senator plädierte für die Beibehaltung der Staudammprojekte von Orós in Ceará und Pilões in Paraíba und forderte den Verkauf der für die übrigen Stätten bereits angeschafften Großapparaturen. Später könnten die in Orós und Pilões eingesetzten Maschinen anderen Standorten zugewiesen werden.1141 Ex-Präsident Epitácio Pessoa hielt dagegen, dass die Gerätschaften nach mehreren Jahren ausgiebiger Grabungsarbeiten nicht einwandfrei für weitere Konstruktionen verwendet werden könnten und diverse Komponenten ersetzt werden müssten. Zudem sei das wertvolle Erdräumungsequipment zu äußerst günstigen Konditionen erworben worden und würde nach Pessoas Einschätzung bei einer Neuerstehung drei bis vier, vielleicht sogar sechsmal so viel kosten. Daher bemühte er sich, durch Alternativvorschläge wie Ausgabenreduktionen die parallelen Projekte zu verteidigen oder zumindest die Aufbewahrung des Equipments für bessere Zeiten zu bewirken. Doch Sampaio Correia brachte seinen Gesetzesentwurf für die Budgetbestimmungen von 1925 durch.1142 Nachdem bereits im Januar 1923 per Dekret sämtliche noch bestehenden Rettungsmaßnahmen im Dürregebiet annulliert und im März 1924 mit der Caixa Especial ihre finanzielle Verwaltungsinstitution aufgelöst worden waren, wurden bis 1925 circa 90 Prozent der laufenden Bauaktivitäten im Nordosten gestoppt. Die meisten verbleibenden Materialien und Maschinen wurden auf Auktionen

1139 IFOCS, Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, 1923, S. 42, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 104. 1140 Correia, Sampaio (Senador Distrito Federal), zit. in: Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 15.3.1925, o.  S., auszugsweise abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 158 (Quelle IV.5.a-17). 1141 Correia, S., zit. in: O Jornal vom 15.3.1925, abgedr. in: ebd., S. 159, 178. Zum Staudamm von Orós, der erst 1961 fertiggestellt wurde, siehe Kapitel III.2.c bzw. DNOCS, Barragem de Orós, o. D. 1142 Siehe die auf dem Gesetzesantrag Correias basierende Lei do orçamento da despesa (1925), Art. 15 und die schwer überprüfbaren Aussagen Pessoas in: Chateaubriand, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, beide abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 248–251 (Quelle IV.5.a-18). Siehe auch ders., Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 15.3.1925, o. S., abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/ IFOCS, 1986, S. 159–161.

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mit großen Verlusten versteigert, die Arbeiter entlassen und einer schweren regionalen Arbeitskrise überlassen.1143 Im Zuge der ökonomischen Umorientierung der Nachkriegszeit hatte Artur Bernardes – wie schon sein Vorgänger Epitácio Pessoa – mit kontinuierlichen Etatengpässen zu kämpfen. Die Abwertung der nationalen Währung nahm gravierende Ausmaße an, und Auslandsanleihen verteuerten sich zunehmend. In dieser Lage war die radikale Streichung der kostspieligen Nordostausgaben die erste Handlung der neuen Regierung zur Sanierung der Finanzen. Anhänger Epitácio Pessoas warfen Bernardes später vor, unter dem Vorwand der Haushaltskonsolidierung IFOCS-Tätigkeiten eingestellt, zugleich aber 70.000 Contos für das Schienennetz in seiner Heimatprovinz Minas Gerais veranschlagt zu haben. Mit der Hälfte dieser Summe hätten die Projekte im Nordosten fortgesetzt werden können.1144 Doch sogar die Witterung kam Bernardes zu Hilfe. Stürmische Regenfälle im Winter 1924 und 1925 festigten den Beschluss des Präsidenten – es gab offensichtlich keine Trockenheit, und Gelder wurden nur bei akuter Dürregefahr bewilligt.1145 Darüber hinaus ist die innenpolitische Situation zu berücksichtigen, die sich seit der Revolte der tenentes (Leutnants) in der Festung von Copacabana in Rio de Janeiro am 5. Juli 1922 unaufhörlich zuspitzte. Bernardes übernahm die Staatsführung im Ausnahmezustand und erneuerte ihn immer wieder während seiner gesamten Amtszeit. Der tenentismo, welcher sich des Weiteren in der Revolta Paulista von 1924 und in der Columna Prestes von 1924–27 manifestierte, richtete sich vor allem gegen die korrupte Politik der herrschenden Oligarchien.1146 Paradoxerweise machten sich deren Vertreter im Süden des Landes den moralisierenden Diskurs der antagonistischen tenentes zu eigen, um die Beendigung des Entwicklungsprogramms für den Nordosten zu legitimieren. Dieses komme nur einigen wenigen Familien

1143 Siehe die Bundesgesetze Nr. 16.769 vom 7.1.1923 und Nr. 16.403 vom 12.3.1924, zit. in: Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 98. Zur Arbeitskrise in Paraíba nach 1923, die eine unkontrollierbare nomadische Arbeiterschar und den Anstieg des Banditentums mit sich brachte, siehe ebd., S. 331. Siehe außerdem Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 136, 161 177; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 32, 49. 1144 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle IV.5.a-19). 1145 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 196, 198  f.; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 100. 1146 Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 238 f.; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889– 1945), 1994, S. 97; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 350. Zur Revolte von Copacabana, zur Rebellion in São Paulo und zur Kolonne Prestes siehe Kapitel IV.1.c.

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zugute, sei zu regionalistisch und ermangele zudem technischer und adminis­ trativer Expertise.1147 Insgesamt wandten Artur Bernardes und die Gegner der Dürrepolitik zum Erreichen ihrer Zielsetzung eine ähnliche Strategie an wie Epitácio Pessoa, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Hatte der nordestino versucht, mit allen Mitteln seine Projekte über die eigene Amtszeit hinaus zu erhalten, unternahm der mineiro entgegengesetzte Anstrengungen. Indem er die für hohe Summen im Ausland erworbene Maschinerie aus Sicht der Nordostpolitiker als „Altmetall“ abstieß,1148 entzog er den Vorhaben im Trockengürtel auch für die Zukunft ihre materielle Grundlage. Ansonsten hätten die Arbeiten, etwa durch einen späteren, dem Nordosten wohlwollender gesonnenen Präsidenten, ohne allzu große Kosten wieder aufgenommen werden können. In geringem Umfang geschah dies dennoch, nicht mehr mit nationaler Finanzierung, sondern auf provinzieller Ebene. Neue Pakte der Dürreindustrie im Schatten des nationalen Baustopps

Nachdem die zentralstaatliche Dürrebekämpfung unter Artur Bernardes fast vollständig zum Erliegen gekommen war, wurde sie durch verschiedene Kooperationsvereinbarungen zwischen einzelnen Provinz- und Munizipalregierungen und dem zuständigen Bauministerium bzw. der nach wie vor bestehenden Dürrebehörde IFOCS substituiert. Bahia schloss ein solches Abkommen im August 1925 ab, und weitere Übereinkünfte folgten mit Sergipe, Alagoas, Pernambuco, Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará.1149 Am stärksten schritt die Zusammenarbeit in Bahia und den drei Provinzen des traditionellen Trockengürtels Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará voran. Die IFOCS übernahm dabei die technische Leitung und stellte die nach den Versteigerungen verbliebenen Materialien und Gerätschaften zur Verfügung. Die Partner vor Ort waren für 1147 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 193–195, 199, 276. 1148 Dieser Begriff, den Chateaubriand in der Überschrift seines Interviews mit Epitácio Pessoa nutzte, wurde von Historikern übernommen: Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 98 („even the expensive earthmoving equipment reached the government auction block as scrap“); Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 136, 151, 177 („ferro velho“). Zum Original und Pessoas Argumenten siehe Chateaubriand, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 250 f. bzw. Quelle IV.5.a-18. Ob der in diesem Zitat kommentierte Abschlag von 20 % den Ausdruck „Altmetall“ rechtfertigte, könnte nur durch zeitnahe Kostenuntersuchungen bestätigt werden. 1149 Ministério da Viação e Obras Públicas/IFOCS, Relatório dos trabalhos executados em 1926 apresentado ao Sr. Dr. Vitor Konder pelo Inspetor J. Palhano de Jesus, S. 4, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 184.

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die Bezahlung der Arbeitskräfte und deren Transport verantwortlich.1150 Indessen wies Generalinspektor José Palhano de Jesus (1927–30) im Namen und im Interesse der Zentralregierung auf den für das Staatsvermögen schadhaften Charakter dieser neuen Art der Kooperation hin. Seinen Berichten über die Jahre 1925–27 sind zahlreiche Fälle von Unterschlagung und Zweckentfremdung der Mittel zu entnehmen.1151 Die geschilderten Betrügereien lassen deutlich eine lückenlose Fortsetzung der Dürreindustrie erkennen: Gelder aus dem Nationalbudget versickerten unter falschen Angaben oder ohne Gegenleistung in den Kassen der Provinzregierungen, etwa als die paraibanische Staatsführung 1925 den Kredit für die Eisenbahnlinie Independência-Picuí zweimal einstrich. Maschinen aus dem Bundesbestand wurden an die Provinzen verliehen, welche sie wiederum dauerhaft einzelnen Landbesitzern abtraten, so dass es sich praktisch um die Privatisierung öffentlichen Eigentums handelte.1152 Ebenso verhielt es sich mit staatlich finanzierten Brunnen und Staubecken, die ohne vorherige Enteignung auf Privatgrundstücken angelegt wurden. Eines der dokumentierten Beispiele ist die Stauanlage von Formosa in Ceará, welche vollständig umzäunt wurde und lediglich dem anliegenden Landbesitzer zugute kam. Diese abträgliche Situation, so das Resümee des Inspektors, sei allgemein bei den öffentlichen Staudämmen festzustellen.1153 Die kriminellen Aktivitäten wiederholten sich in ihrem gesamten Spektrum. Mehrere Brunnen, die in Bahia in der Umgebung von Feira de Santana die Bevölkerung mit kostenlosem Trinkwasser versorgten, wurden – wie schon zu Zeiten Epitácio Pessoas – von den Betreibern des konkurrierenden Wasserhandels zugeschüttet.1154 Weiterer aus früheren Jahren bekannter Missbrauch wurde bei der Vergabe von Prämien für die Konstruktion privater Staubecken aufgedeckt. In Komplizenschaft mit den zuständigen Kontrolleuren wurden die Bautätigkeiten auf dem Papier in die Länge gezogen

1150 Ebd., S. 183–185, 275. 1151 Ministério da Viação e Obras Públicas/IFOCS, Relatório dos trabalhos de 1927, S. 8 und dies., Relatório dos trabalhos de 1925, S. X–XI, abgedr. in: ebd., S. 185 f. Zu Palhano de Jesus (im Amt: März 1927–15.9.1930) siehe die negative Beurteilung in Pompeu, História das secas (séc. XX), Acervo Virtual (19531), S. 41, 409 f. Pompeu zählte zu einer Reihe konservativer Historiker aus dem Kreis der Oligarchien des Nordostens, welche die Dürregeschichte meist in Form von Memoiren und positivistisch wiedergaben. Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 1. 1152 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 187 f. 1153 Ministério da Viação e Obras Públicas/IFOCS, Relatório dos trabalhos de 1927, S. 14, 52, abgedr. in: ebd., S. 208, 212 (Quelle IV.5.a-20); dies., Relatório dos trabalhos de 1926, S. 30–36, abgedr. in: ebd., S. 207. 1154 Dies., Relatório dos trabalhos de 1927, S. 15, abgedr. in: ebd., S. 280. Vgl. hierzu Kapitel IV.4.e bzw. „O problema do nordéste. A perfuração de poços * A salsugem das aguas“, in: A União vom 26.11.1919, S. 1 (Quelle IV.5.a-21).

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und fiktive Fortschritte vorgetäuscht, so dass die an die jeweiligen Bauphasen gekoppelten Prämien über Jahre hinweg unrechtmäßig ausgezahlt wurden.1155 Auch die Arbeitskräfte wurden nach althergebrachten Mustern betrogen und ausgebeutet. Den Untersuchungsberichten Palhanos zufolge erhielten sie zwischen 1923 und 1926 ihren Lohn in Form von Gutscheinen (vales), für die sie lediglich bei ausgewählten Händlern überteuerte Lebensmittel und andere Waren bekamen. Gegen Bargeld wurden die Gutscheine nur selten oder weit unter ihrem eigentlichen Wert eingetauscht.1156 Oft zahlte der Staat die Vergütungen erst mit etlichen Monaten Verzug, nachdem die Arbeiter längst die Region verlassen hatten. In diesem Fall blieb ihnen keine andere Wahl, als die Lohn-Gutscheine mit großen Einbußen bei Spekulanten einzulösen, welche später von den Behörden die volle Summe empfingen. Diese Transaktionen eröffneten zusätzliche Bereicherungsmöglichkeiten, indem die vales gefälscht oder Zahlungen doppelt ausgeführt wurden. In Ceará waren mindestens drei Handelsbetriebe in das verbrecherische Geschäft mit Schuldscheinen involviert.1157 Während sich die Grundfesten der Dürreindustrie nach der Amtszeit Epitácio Pessoas kaum gewandelt hatten, standen dem Ex-Präsidenten große Veränderungen bevor, die innerhalb weniger Jahre seine politische Autorität beenden sollten.

b) Der allmähliche Niedergang des Epitacismo Ferngesteuerte Provinzpolitik

In einer Dankesrede vom 16. November 1922, einen Tag nach der Regierungsübergabe, brachte Epitácio Pessoa seine Ermüdung vom Amt zum Ausdruck.1158 Dies bedeutete allerdings nicht, dass er auch in seiner Heimat die Machtfäden aus der Hand gab. In Paraíba stand er weiterhin der führenden Oligarchie vor und vertrat von 1924 bis 1930 die Provinz im Senat. Außerdem wurde ihm die Ehre zuteil, als Richter an den Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag berufen zu werden (1923–30). Dort nahm er den Platz des 1923 verstor1155 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 208. Zu den entsprechenden Fehltritten während der Regierungszeit Epitácio Pessoas siehe Kapitel IV.3.b und IV.4.e. 1156 Ebd., S. 224. 1157 Palhano de Jesus, J., in: Ministério da Viação e Obras Públicas/IFOCS, Relatório dos trabalhos de 1927, S. 21–23, abgedr. in: ebd., S. 225 f. (Quelle IV.5.a-22). 1158 Pessoa, E., zit. in: „Dr. Epitacio Pessôa. O discurso de s. exc. á colonia parahybana“, in: A União vom 22.11.1922, S. 1. Siehe auch Bezerra, Alcides, „Epitacio Pessôa“, in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. VII.

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benen Rui Barbosa ein, seines Rivalen aus dem Präsidentschaftswahlkampf von 1919 und des nach allgemeiner Auffassung bis dahin bedeutendsten Rechtsgelehrten Brasiliens.1159 Hatte Epitácio Pessoa nach dem Ende seiner Präsidentschaft und dem Versiegen der nationalen Finanzquellen für den Nordosten eindeutig den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn überschritten, konnte er dank seines regionalen und internationalen Prestiges den paraibanischen Machtapparat der Familie Pessoa zunächst aufrechterhalten. Entscheidend waren hierfür die steigenden Staatseinnahmen aus der boomenden Baumwollproduktion.1160 Wenn auch auf niedrigerem Niveau als in den Jahren zuvor, ermöglichten sie die Fortsetzung der Patronage und sicherten das ökonomische Fundament seiner oligarchischen Herrschaft. Dies war besonders deshalb von großer Bedeutung, weil Epitácio Pessoa seit 1923 – vor allem in Verbindung mit seiner Tätigkeit am Ständigen Internationalen Gerichtshof – mindestens sechs Monate im Jahr in Europa verbrachte. Seine persönliche Oberaufsicht der paraibanischen Politik konnte er folglich nicht mehr in gleichem Maße über regelmäßige Kontakte wahren, die er zuvor durch vertrauliche Boten zwischen Rio de Janeiro und Parahyba verwirklicht hatte. Umso stärker hing er von Gouverneur João Urbano Pessoa de Vasconcelos Suassuna (1924–28) ab, welcher Solon Barbosa de Lucena (1920– 24) ablöste. Suassuna stammte aus dem Sertão, kannte die coronéis und war mit vielen von ihnen durch Freundschaft und Patenschaft verbunden.1161 Dies waren unerlässliche Voraussetzungen, um sich in dem bestehenden politischen System zu behaupten. Epitácio Pessoa konnte sich auf die Loyalität Suassunas verlassen, was Pessoa besonders zu schätzen wusste, nachdem er in dieser Hinsicht mit Camilo de Holanda als Gouverneur (1916–20) bittere Erfahrungen gemacht hatte.1162 Aus der Korrespondenz zwischen Epitácio Pessoa und João Suassuna gehen der uneingeschränkte Einfluss Pessoas und die ihm trotz Meinungsverschiedenheiten entgegengebrachte Unterwürfigkeit Suassunas hervor.1163 Der Gouverneur hatte zum Beispiel erhebliche Bedenken gegen eine Staatsleitung 1159 Palha, „Grandes figuras: Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca vom 13.12.1942, o. S.; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle IV.5.b-01); Cour Permanente de Justice Internationale, Rapport Annuel de la Cour Permanente de Justice Internationale (1er janvier 1922 – 15 juin 1925) (Serie E, Nr. 1), Leiden: Société d’Éditions A. W. Sijthoff, 1925, S. 10. 1160 Siehe Kapitel IV.2.e bzw. Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 79. 1161 Ebd., S. 347, 371; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 250. 1162 Siehe hierzu Kapitel IV.1.b. 1163 Siehe die im Folgenden zitierte Korrespondenz und Pessoa, E., Telegramme an João Suassuna (Gouverneur Paraíbas, 1924–28) vom 21. und 24.4.1928 zur Regelung von Staatsangelegenheiten (o. O.), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dokumente 013-12 und 01.

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durch João Pessoa nach Ende seiner eigenen Amtsperiode. In einem Brief an Epitácio Pessoa vom Februar 1928 äußerte er Zweifel, ob Pessoa seinen Neffen als temperament- und anspruchsvollen Richter wirklich dem „gnadenlosen Kampf der Provinzregierung, (...) der ernsten Gefahr für sein Leben, den moralischen Zusammenstößen und täglichen Enttäuschungen“ aussetzen wolle. Allein Epitácio Pessoa könne auf João Pessoa einwirken, denn nur er habe seinen Neffen „ungeachtet aller Nachteile für ihn und seine Familie zu einer derartigen Prüfung hinreißen können“. Dies habe Suassuna von João Pessoa selbst mehrfach vernommen. Zugleich betonte der Gouverneur in dem S­ chreiben, dass er sich gegen seine Überzeugung der Ansicht Epitácio Pessoas beugen werde: „Mein verehrter Freund, (...) Sie können jedoch für die Umsetzung Ihrer Pläne und Vorstellungen auf ganzer Linie mit mir rechnen.“1164 In seiner Antwort versicherte Pessoa dem Gouverneur, der Entschluss über die Nachfolge werde nur in Übereinstimmung mit ihm gefällt. Und da Suassuna offenbar mit der von ihm getroffenen Wahl einverstanden sei, „ist es hiermit beschlossene Sache, den Namen João Pessoa bei Zeiten dem Parteiplenum zu präsentieren“.1165 Auch den ersten und zweiten Vizegouverneur nominierte Epitácio Pessoa im Alleingang, ohne die Vorstellungen Suassunas zu berücksichtigen.1166 Nicht in jeder Hinsicht hatten die Amtshandlungen João Suassunas für Epitácio Pessoa positive Auswirkungen. Die Kehrseite des guten Verhältnisses Suassunas zu den coronéis war, dass Letztere zunehmenden Raum in der öffentlichen Verwaltung Paraíbas gewannen und Epitácio Pessoa im Zuge dieser Entwicklung nach und nach die Herrschaft entglitt. Daher wollte Pessoa 1928 ein enges Mitglied seiner Familie an der Staatsspitze wissen, von dem er sich während seiner Abwesenheit eine bessere Kontrolle der lokalen Chefs versprach. João Pessoa kam die Aufgabe zu, als neuer Gouverneur die Kontinuität der institutionellen und familiären Dominanz zu garantieren.1167 Dieser Schritt sollte sich aus persönlicher und parteipolitischer Perspektive als fataler Fehler erweisen. Er lief nicht nur auf den Tod des Lieblingsneffen hinaus, sondern trug wesentlich zum Machtverlust Epitácio Pessoas und sogar zum Zusammenbruch der Ersten Republik bei.

1164 Suassuna, Brief an Epitácio Pessoa vom 4.2.1928, in: AFM/IHGP (JP: CEP), Dok. 004, S. 3 (Quelle IV.5.b-02). Vgl. hierzu auch Quelle IV.1.c-02. 1165 Pessoa, E., Brief an João Suassuna vom 18.2.1928, in: AFM/IHGP (JP: CEP), Dok. 005-12, S. 4 f. (4) (Quelle IV.5.b-03). 1166 Ebd., S. 5. 1167 Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 258; Lewin, Politics and paren­ tela in Paraíba, 1987, S. 371.

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Aufstieg und Fall João Pessoas

Seit 1915 hatte Epitácio Pessoa die quasi allmächtige Lenkung der provinziellen Politik dadurch bewahrt, dass er erfolgreich seine Position als Parteichef über jener des Gouverneurs ansiedelte. War es dem abtrünnigen Gouverneur Camilo de Holanda (1916–20) nicht gelungen, sich von Epitácio Pessoa als designiertem Präsidenten der Republik loszulösen,1168 erfuhr der Patriarch ironischerweise den wirksamsten Widerstand durch seine engste familiäre Vertrauensperson João Pessoa im Gouverneursamt (1928–30). Mit der Natürlichkeit seiner ihm als Lieblingsneffen gegebenen Sonderrolle nahm sich João Pessoa gegenüber der autoritären Dominanz seines Onkels weitreichende Freiheiten heraus. Epitácio Pessoa versuchte, sich gegen seinen Neffen durchzusetzen, allerdings nicht mit derselben Beharrlichkeit wie zuvor. Die an João Pessoa adressierten Briefe Epitácio Pessoas aus den Jahren 1928– 30 sind in dem für ihn charakteristischen resoluten Ton verfasst, der keine Widerworte gestattete. So legte er dem Gouverneur etwa in wichtigen Angelegenheiten der Ämterbesetzung nahe, von den eigenen Vorstellungen abzusehen und die seines Onkels zu übernehmen. Dabei veranschaulichen Aussagen über die Machtverhältnisse und Geschehnisse vor Ort, wie gut Epitácio Pessoa trotz seiner dauerhaften Distanz von der Heimat informiert war.1169 Obwohl sich der Parteichef mit mehreren Entscheidungen João Pessoas höchst unzufrieden zeigte, wich dieser nicht von seinen Standpunkten ab.1170 Die vom Neffen bewiesene Eigenständigkeit wurde schließlich vom Onkel akzeptiert.1171 Zwar sahen viele lokale Führer weiterhin in Epitácio Pessoa ihre Bezugsperson und wandten sich mit ihren Beschwerden und Wünschen an ihn, wobei es sich in aller Regel um Posten handelte,1172 doch mit João Pessoa hatte sich eindeutig die Machtkonstellation verschoben. Auch inhaltlich setzte João Pessoa neue Akzente, mit denen er in zahlreichen Punkten von den politischen und gesellschaftlichen Anschauungen seines Onkels abrückte. Im Bereich der Dürrebekämpfung geht dies aus einer Korrespondenz vom November 1928 hervor. Das Vorhaben Epi1168 Siehe Kapitel IV.1.b. 1169 Pessoa, E., Brief an João Pessoa (Gouverneur Paraíbas, 1928–30) vom 31.8.1928 (Den Haag), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 023-5, S. 1 f. 1170 Ders., chiffriertes Telegramm an João Pessoa vom 25.10.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 068-5; Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 26.10.1928 (Parahyba), archiviert in: ebd., Dok. 037-1. 1171 Pessoa, E., chiffriertes Telegramm an João Pessoa vom 27.10.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 070-5. 1172 Ders., Brief an João Pessoa vom 21.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 102-5.

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tácio Pessoas, 400  Contos von einem 2400  Contos umfassenden Staatskredit zur Dürrebekämpfung für den Bau einer Straße zum Hafen von Cabedelo zu verwenden,1173 wurde von seinem Neffen abgeblockt: „Es ist nicht angemessen, 400 Contos von dieser Summe für die Cabedelo-Straße zur Küste abzuziehen, wo kein Hunger herrscht.“ Seinem Schreiben zufolge hatte der Gouverneur gerade aktuelle Informationen von „Tonho“ erhalten, der soeben voller Betrübnis aus dem Hinterland zurückgekehrt sei. Gemeint war wahrscheinlich der älteste Sohn seines verstorbenen Onkels Antônio Pessoa, welcher dem Regierungskabinett seines Cousins angehörte. Aus dem Sertão berichtete dieser von einer großen Hungersnot und dringend benötigter Hilfe.1174 Dazu schrieb João Pessoa in einem weiteren Telegramm an Epitácio Pessoa: „Meine Anstrengungen und Absichten sind darauf ausgerichtet, der Bevölkerung zu helfen. Tonho wird alles erläutern, was ich aus Zeitmangel nicht schreiben konnte. Anschließend werde ich gerne eine Antwort entgegennehmen.“1175 Offensichtlich waren ihm seine Amtsgeschäfte wichtiger als die Erfüllung der Gewohnheitspflicht, den Parteiführer minutiös auf dem Laufenden zu halten und dessen Anweisungen abzuwarten. Die Anteilnahme João Pessoas am Schicksal der Bevölkerung klingt aufrichtig. Epitácio Pessoa schien hingegen stärker am Ausbau der für den Handel wichtigen Straße nach Cabedelo interessiert gewesen zu sein, denn die Haltung seines Neffen veranlasste ihn nicht etwa dazu, angesichts der desolaten Situation der Dürreopfer noch weitere Kredite für das Hinterland zu gewinnen. Stattdessen bemühte er sich um zusätzliche Gelder für die Cabedelo-Straße.1176 In seinem politischen Handeln manifestierte João Pessoa im Vergleich zu seinem Onkel zwar eine größere Nähe zur breiten Bevölkerung, doch diese Orientierung war von Widersprüchen begleitet und bedeutete nicht nur für seine Heimatprovinz Paraíba, sondern auch für ihn selbst eine neue Entwicklung. Als Bundesrichter am Obersten Militärgericht (1919–28) hatte er die revoltierenden tenentes, welche die Oligarchien zerschlagen wollten, hart verurteilt. Erst als paraibanischer Gouverneur bekämpfte er selbst mit radikalen Reformen 1173 Ders., Telegramm an João Pessoa vom 9.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 086-5 (Quelle IV.5.b-04). 1174 Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 10.11.1928 (Parahyba), archiviert in: ebd., Dok. 041-1 (Quelle IV.5.b-05). Zum Juristen und Politiker Antônio Pessoa Filho siehe „Antônio Pessoa Filho. Dados Biográficos“, in: Ferreira/Formiga (Hg.), Inventário das Séries do ,Arquivo Flávio Maroja‘ do IHGP, 1997, S. 55. Zum Vater siehe „Antônio da Silva Pessoa. Dados Biográficos“, in: ebd., S. 49. 1175 Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 16.11.1928 (Parahyba), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 047-1 (Quelle IV.5.b-06). 1176 Pessoa, E., Telegramm an João Pessoa vom 15.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 96-5 (Quelle IV.5.b-07). Siehe auch ders., Brief an João Pessoa vom 21.11.1928, in: ebd., Dok. 102-5.

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den coronelistisch-oligarchischen Machtapparat, weil er dessen Anachronismus in der von sozialem Wandel geprägten Zeit erkannt hatte. Durch eine antizipierende Anpassung wollte er die politische Führung der Pessoa-Familie auf ein neues Fundament erheben, um sie vor den absehbaren Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen zu schützen. In diesem Sinne stand er ganz im Einklang mit dem Gouverneur von Minas Gerais, Antônio Carlos Ribeiro de Andrada (1926–30), welcher 1929 die Bildung des Reformbündnisses Aliança Liberal mit dem Ausspruch begründete: „Machen wir die Revolution, bevor es das Volk tut!“1177 So warb João Pessoa in Paraíba für viele progressive Themen, die sich später die Aliança Liberal auf ihre Fahnen schrieb, z.B. geheime Wahlen. Seine Amtszeit wurde rückblickend und mit Referenz auf die populistische Politik zwischen 1930 und 1964 als protopopulistische Phase eingestuft und zeichnete sich vor allem durch eine neue Rhetorik und neue Mobilisierungsstrategien aus.1178 Nach Abschluss seines Jurastudiums in Recife im Jahr 1903 hatte sich João Pessoa 1909 fest in Rio de Janeiro niedergelassen und dort erlebt, dass die alte soziale Ordnung der Agrargesellschaft bereits überholt war. Die Folgen von Urbanisierung und Industrialisierung waren unübersehbar, und eine organisierte Arbeiterschaft bildete sich heraus. In den 1920er-Jahren bahnten sich diese gesellschaftlichen Prozesse ebenfalls im Nordosten an und brachten neue Aspekte auf die politische Agenda, denen sich João Pessoa als Gouverneur öffnete. Er sprach die erwachende untere Mittelschicht und das aufkommende städtische Proletariat an, welche arbeitsrechtliche Garantien wie den Achtstundentag vom Staat erwarteten. Es war jedoch nicht seine Absicht, die urbanen Schichten gegen die Agrarbevölkerung aufzuwiegeln. Vielmehr wollte er eine Koalition erwirken, die auch die schlechter gestellten kleinen Landbesitzer und Landarbeiter mit einbezog.1179 Obschon seine Verurteilung des mandonismo unverkennbar darauf abzielte, möglichst öffentlichkeitswirksam zu sein, handelte es sich nicht um leere Worte. João Pessoa ging gegen mehrere einflussreiche coronéis vor, die für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt waren, und unterhöhlte durch Gesetzesreformen die Hauptpfeiler des Machtmissbrauchs: ausbeuterische Pachtsysteme, private Gewalt, unterlassene Strafverfolgung der Landherren und ihrer Handlanger, Unterschlagung von Staatsgeldern durch lokale Beamte und fiskalische Verantwortungslosigkeit. Damit griff er gebräuchliche coronelistische Praktiken an, 1177 Malin, Mauro, „Antônio Carlos [Ribeiro de Andrada]“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. 1178 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 70 f.; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 372, 377. 1179 Coutinho, Amélia, „João Pessoa“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc. fgv.br; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 373.

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welche auch der Wahlmaschinerie seines Onkels stets die Stimmen verschafft hatten.1180 Mit entsprechender Verständnislosigkeit reagierte Epitácio Pessoa in seinen Briefen an den Neffen auf die umwälzenden Maßnahmen, etwa das Verbot zur Wiederwahl der Bürgermeister.1181 In einer telegraphischen Antwort berief sich João Pessoa lakonisch auf die ausufernde Verschwendung und Zweckentfremdung von Staatsgeldern, welche er auf diese Weise einzudämmen versuche. Hierbei sprach er von den kritisierten Zuständen, als seien sie Epitácio Pessoa völlig unbekannt und nicht etwa Teil dessen eigener Machtbasis.1182 Epitácio Pessoa warnte seinen Neffen vor potentiellen Revolten im Hinterland. Er riet ihm, behutsam und in kleinen Schritten vorzugehen, und erinnerte ihn daran, dass die herrschenden Verhältnisse über viele Jahre hinweg zur Gewohnheit geworden waren und somit die Schuld derjenigen, die sie als legitim erachteten, zu relativieren sei.1183 João Pessoa wandte sich hingegen von der klientelistischen Politik seines Onkels ab. Jener musste sich darauf beschränken, ihm seinen Missmut zu bekunden.1184 Die Entmachtung angesehener coronéis, Bürgermeister und Richter brachte zahlreiche Elitefamilien im Hinterland gegen João Pessoa auf. Wichtige politische Führer brachen im Laufe des Jahres 1929 mit der Provinzregierung und wechselten zur Opposition. Große Entrüstung entstand angesichts der direkten Intervention João Pessoas in lokale Angelegenheiten. Hierdurch verstieß er gegen den coronelistischen Pakt der política dos governadores, demzufolge die Potentaten in ihrer jeweiligen Machtsphäre freie Hand erhielten, solange sie der höher stehenden Ebene die Wahlstimmen und ihre Unterstützung garantierten. Besonderes Misstrauen und Missbilligung verursachten seine Pläne, die allgemeine Zivilbevölkerung zu entwaffnen und in Mordfällen die Zusammenstellung der Jury der munizipalen Kontrolle zu entziehen. Auf diese Weise würden die coronéis ganz der Staatsgewalt ausgeliefert sein.1185 Kaum weniger turbulent gestaltete sich 1929 die nationale Politik. Für die im folgenden Jahr anstehende Präsidentschaftswahl wurde von Amtsinha1180 Ebd., S. 373 f., 376 f.; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 260 f. 1181 Pessoa, E., Telegramm an João Pessoa vom 29.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 108-5; ders., Brief an João Pessoa vom 5.12.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: ebd., Dok. 119-5. 1182 Pessoa, João, Telegramm an Epitácio Pessoa vom 1.12.1928 (Parahyba), archiviert in: ebd., Dok. 071-1. 1183 Pessoa, E., „Correspondência com João Pessoa (1928–30)“, in: ders., Obras completas, Bd. XXIV, 1965, S. 1–37 (3, 19, 24) (Quelle IV.5.b-08). 1184 Ders., Telegramm an João Pessoa vom 29.11.1928 und Brief an João Pessoa vom 5.12.1928, beide archiviert in: AFM/IHGP (JP: CEP), Dok. 108-5 bzw. 119-5. 1185 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 376, 378 f., 381; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 259 f., 262. Zur política dos governadores siehe Kapitel IV.1.b.

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ber Washington Luís (1926–30) aus São Paulo erwartet, im Rahmen der cafécom-leite-Alternanz einen Kandidaten aus einem anderen Staat anzugeben, am ehesten einen mineiro oder gaúcho. Dessen ungeachtet ernannte er mit Gouverneur Júlio Prestes (1927–30) erneut einen paulista und provozierte dadurch die Gründung des Oppositionsbündnisses Aliança Liberal unter der Führung der verärgerten Gouverneure von Minas Gerais und Rio Grande do Sul, Antônio Carlos Ribeiro de Andrada (1926–30) und Getúlio Vargas (1928–30). Auf Anraten Epitácio Pessoas untersagte João Pessoa dem offiziellen Kandidaten ebenfalls seine Zustimmung. Als ihm daraufhin von den Vertretern der Aliança Liberal angeboten wurde, an der Seite ihres Präsidentschaftskandidaten Getúlio Vargas als Vizepräsident in den Wahlkampf einzutreten, wollte João Pessoa erst ablehnen. Epitácio Pessoa ermutigte ihn jedoch zur Kandidatur. Auf diese Weise könne er die Probleme überwinden, die er sich als Gouverneur in Paraíba zugezogen hatte.1186 Epitácio Pessoa selbst hatte zehn Jahre zuvor durch seine Präsidentschaft die drohende Machteinbuße der Familie verhindert. Allerdings waren die aktuellen Auseinandersetzungen in Paraíba sehr viel ungezähmter und gefährlicher als die indirekte Auflehnung durch den paraibanischen Gouverneur Camilo de Holanda in den Jahren 1916–20.1187 Dies zeigte sich vor allem, nachdem sich im Februar 1930 auch der politische Führer des Munizips Princesa, José Pereira Lima, gegen João Pessoa gestellt hatte. Die Abspaltung José Pereiras bedeutete die größte Herausforderung für João Pessoa, weil Pereira einer der prestigereichsten coronéis des Nordostens und der mächtigste in der Provinz Paraíba war. Die Reformen João Pessoas trafen ihn nicht nur im oben beschriebenen Bereich der politisch-institutionellen Entmachtung, sondern ebenso in direkter wirtschaftlicher Hinsicht. Princesa liegt im hohen Sertão an der Grenze zum Nachbarstaat Pernambuco, über dessen Hafen in Recife José Pereira seinen gesamten Handel abwickelte. Zur Steigerung der Staatsfinanzen hatte João Pessoa am 17. November 1928 im Rahmen einer Steuerreform den imposto de incorporação geschaffen. Die Vermarktung und Versteuerung innerhalb der Provinzgrenzen sollten gegenüber dem bis1186 Epitácio Pessoas Tochter und Biographin Laurita Pessoa bewertete dessen Anschluss an die Aliança Liberal nicht als Opportunismus, sondern als Ausdruck seines unbeugsamen Rechtsgefühls. Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, Epitacio Pessôa (1865–1942) (Coleção Documentos Brasileiros, Bd. 67), São Paulo: Livraria José Olympio Editora, 1951, S. 822 (Quelle IV.5.b-09). Zum Echo auf die Kandidatur siehe „A successão presidencial da Republica. A Alliança Liberal rompe os debates na Camara e no Se­ nado. Novos telegrammas de applausos e solidariedade recebidos pelo presidente João Pessoa“, in: A União. Orgam official do Estado (Parahyba) vom 6.8.1929, S. 1. Siehe auch Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 389 f.; Palha, „Grandes figuras: Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca vom 13.12.1942, o.  S.; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 265. 1187 Siehe hierzu Kapitel IV.1.b.

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her bevorzugten Recife gestärkt werden, indem alle Waren, die nicht über die Hauptstadt Paraíbas abgesetzt wurden, mit Steuern bis zu 1000 Prozent belegt wurden. Pereira Lima widersetzte sich in der Revolta de Princesa mit massiver Waffengewalt, welcher die paraibanischen Streitkräfte nicht gewachsen waren. Zugleich hatte sich João Pessoa mit der Kandidatur zum Vizepräsidenten auf nationaler Ebene isoliert, wodurch die Bekämpfung der Revolte zusätzlich erschwert wurde – die Aufständischen konnten nun von der Unterstützung der mit João Pessoa angefeindeten Zentralregierung profitierten. Umgekehrt schmuggelten die Verbündeten der Aliança Liberal aus Rio Grande do Sul und Minas Gerais Waffen über das pernambucanische Territorium nach Paraíba. Der Schmuggel von Schusswaffen war mit großem Risiko verbunden, da sie oft abgefangen wurden und in falsche Hände gerieten. Aus diesem Grund durchsuchte die paraibanische Staatspolizei die Häuser von bekannten Sympathisanten José Pereiras nach Waffen und Munition, unter anderem im Juli 1930 die Residenz und Anwaltskanzlei von João Duarte Dantas. Inzwischen war João Pessoa in seiner Rhetorik und seinem Gebaren gegenüber der Opposition immer aggressiver und skrupelloser geworden. Sogar der britische Konsul stellte unangenehm überrascht fest, wie gewalttätig sich João Pessoa ausdrückte und mit welchem Ingrimm er die Privatsphäre seiner Gegner verletzte. Er schreckte nicht davor zurück, die Preisgabe persönlicher Verhältnisse öffentlich gegen jene einzusetzen, womit er sich auch unter früheren Freunden viele Feinde machte. Während der Polizeiaktion gegen João Dantas wurden dessen Mutter, Schwester und Schwägerin beleidigt und eingeschlossen. Aus einem Safe wurden vertrauliche Dokumente beschlagnahmt; darunter sollen sich Liebesbriefe seiner Geliebten befunden haben, der Grundschullehrerin und Poetin Anaíde Beiriz. Das Presseorgan der paraibanischen Regierung A União berichtete, das Material sei zum Teil zu anstößig, um es zu publizieren, versprach aber, es für Interessierte in der Redaktion auszulegen. Mit diesem Affront war der Gouverneur aus Sicht João Dantas’ eindeutig zu weit gegangen. Kurz darauf reiste João Pessoa trotz berechtigter Bedenken seiner Mitarbeiter nach Recife und wurde dort am 26. Juli 1930 in einem Café von João Dantas erschossen.1188 Obwohl es sich um einen persönlichen Racheakt verletzter Ehrgefühle handelte, wurden indirekt die nationale Politik und Präsident Washington Luís für den Tod des Kontrahenten verantwortlich gemacht. João Pessoa wurde als Märtyrer der Widerstandsbewegung gefeiert, die paraibanische Hauptstadt noch im 1188 Ebd., S. 263 f., 266; Coutinho, João Pessoa. Verbete biográfico, o. D.; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 400–402; Dimitrov, Eduardo, O Brasil dos espertos. Uma análise da construção social de Ariano Suassuna como „criador e criatura“ (Dissertação de Pós-Graduação em Antropologia Social), São Paulo: Universidade de São Paulo, 2006, S. 54; „Assassinato de João Pessoa“, in: Centro de Referência da História Republicana Brasileira/Museu da República, www.republicaonline.org.br.

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selben Jahr nach ihm benannt und das tragische Ereignis für die Aliança Libe­ ral politisch instrumentalisiert. Getúlio Vargas und João Pessoa hatten sich am 1. März 1930 an den Urnen wie erwartet nicht gegen den offiziellen Kandidaten durchsetzen können, zumal eine brasilianische Regierung in der ersten Republik dank weitreichender Möglichkeiten zur Manipulation nie eine Wahl verlieren musste. In dieser Situation lieferte der Mord João Pessoas der geschwächten „Koalition der Unzufriedenen“ den Katalysator, den sie nach der Wahlniederlage zur Wiederbelebung ihrer Unternehmung benötigte.1189 Die Anhänger Vargas’ initiierten am 3. Oktober 1930 einen bewaffneten Aufstand und brachten schließlich das Militär auf ihre Seite. Washington Luís wurde am 24. Oktober kurz vor Ablauf seiner Amtszeit durch einen Staatsstreich abgesetzt, und mit Vargas begann am 3. November eine neue, populistische Ära.1190 Im Nachhinein wurde es als Ironie des Schicksals bezeichnet, dass gerade João Pessoa mit seinem Tod die sogenannte ‚Revolução de 30‘ anfachte und den Amtsantritt des offiziellen Kandidaten und Wahlsiegers Júlio Prestes verhinderte. Denn João Pessoa hatte stets die Verbindung zu den radikaleren tenentes missbilligt und sich darüber hinaus bereits am 30. Dezember 1929 bei der Eröffnung des Wahlkampfes ausdrücklich gegen eine mögliche Revolution ausgesprochen: „Ich ziehe Júlio Prestes tausendmal einer Revolution vor.“1191 Rückzug Epitácio Pessoas aus der Politik

Epitácio Pessoa war vom Tod seines Lieblingsneffen schwer getroffen, umso mehr, weil er selbst ihn entgegen den Warnungen des vorherigen Gouverneurs Suassuna und entgegen João Pessoas eigenen Ansichten an die Spitze des paraibanischen Staates gestellt und ihm anschließend die Teilnahme an der Aliança

1189 Füchtner, Hans, Die brasilianischen Arbeitergewerkschaften, ihre Organisation und ihre politische Funktion, Frankfurt a.  M., 1972, S. 29  f., zit. in: Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, S. 241. Siehe auch ebd., S. 242, 245; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 406. Zur Wahlmanipulation siehe die in Kapitel IV.1.b beschriebene Änderung des Wahlgesetzes, im Jahr 1900 von Campos Sales durchgesetzt. 1190 Kontrovers diskutiert wird in der Fachliteratur der Einfluss der Weltwirtschaftskrise auf die ‚Revolution von 1930‘. Vgl. hierzu Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 240 („Die Weltwirtschaftskrise von 1929 versetzte der Ersten Republik schließlich den Todesstoß.“) und Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 184, der unter Bezugnahme auf Boris Fausto die Bedeutung der Weltwirtschaftskrise für das Ende der Ersten Republik geringer einstuft. 1191 Pessoa, João, zit. in: Coutinho, João Pessoa. Verbete biográfico, o. D. Siehe auch Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 81; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 266.

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Liberal nahegelegt hatte.1192 Die Trostlosigkeit über den persönlichen Verlust ging einher mit einer tiefen Desillusion über die politischen Aktivitäten.1193 Im August 1930 beendete Epitácio Pessoa nach sieben Jahren seine Tätigkeit am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Noch von Europa aus signalisierte er zunächst, die Bewegung gegen Washington Luís zu unterstützen, kritisierte jedoch deren militärische Tendenzen. Später verurteilte er vehement die Verflechtung der – damals gegen seine Regierung gerichteten – Revolte der tenentes vom 5. Juli 1922 mit der ‚Revolution von 1930‘.1194 Die Einladung Getúlio Vargas’, inzwischen Präsident der Übergangsregierung, Brasilien in den USA als Botschafter zu repräsentieren, lehnte Pessoa ab. Nach seiner Rückkehr aus Europa und einer Unterredung mit Vargas gewann Epitácio Pessoa den Eindruck, jener wolle dauerhaft die Macht an sich reißen und würde weder die angekündigte Volksabstimmung durchführen noch die Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung ausrufen. Endgültig distanzierte sich Pessoa von der neuen Regierung und zog sich komplett aus der Politik zurück, nachdem im Februar 1931 vier Richter des Obersten Gerichtshofes unter dem Vorwand von Sparzwängen entlassen worden waren. Zum einen war er mit der Staatsführung Getúlio Vargas’ nicht einverstanden, zum anderen spürte er, dass seine politische Autorität zu einem bloßen Erinnerungswert verblasste und sein Einfluss auf die aktuellen Regierungsentscheidungen nichtig geworden war.1195 Aus der Perspektive des Vargas-Regimes beschränkte sich die Bedeutung Epitácio Pessoas in erster Linie auf die indirekte Förderung der ‚Revolution von 1930‘, indem er João Pessoa in Paraíba an die Macht gebracht und somit dessen „schicksalhaften“ Beitrag zur Reformbewegung ermöglicht hatte.1196 Seit 1936 zeigten sich bei Epitácio Pessoa Anzeichen der Parkinson-Krankheit, verschärft durch mehrere Herzattacken im folgenden Jahr. Am 13. Februar 1942 verstarb er im Alter von 76 Jahren auf seinem Landgut in Petrópolis in der Provinz Rio de Janeiro.1197 Zehn Jahre später wurde vom Nationalkongress beschlossen, seine gesammelten Werke zu veröffentlichen, die von 1955 bis 1965 in 25 Bänden erschienen.1198 Zum 100. Jahrestag seiner Geburt wurde – 23 Jahre nach seinem Tod – die Urne mit seinen sterblichen Überresten von Rio de Janeiro nach 1192 Siehe Quellen IV.5.b-02/03. 1193 Ebd., S. 266 f. 1194 Pessoa, E., zit. in: Dias, Epitácio Pessoa. Verbete biográfico, o. D. (Quelle IV.5.b-10). 1195 Ebd.; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o.  S.; Alves, Miguel Falcão de, „Epitacio Pessôa“, in: A União (João Pessoa) vom 18.3.1942, o. S. 1196 Barbosa, Orris, „Exemplo de um grande destino“, in: A União vom 25.5.1944, o. S. (Quelle IV.5.b-11). 1197 Dias, Epitácio Pessoa. Verbete biográfico, o. D. 1198 Costa, A., À guisa de explicação (Obras completas de E. Pessoa, Bd. I), 1955, S. IX; Pessoa, E., Obras completas, Bd. I–XXV, 1955–1965.

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Paraíba überführt. Der feierliche Anlass wurde im Senat von paraibanischen Politikern genutzt, um Gelder für die „arme Region“ zu erbeten, insbesondere für die Straße von Cabedelo in die Hauptstadt, „welche sich in einem kläglichen Zustand befindet“.1199 Damit wurde an eine der letzten Forderungen angeknüpft, um die sich Epitácio Pessoa innerhalb seiner Dürrepolitik bemüht hatte, bevor die ‚Revolution von 1930‘ seine politische Laufbahn beendete.1200 Das Gedenken an Epitácio Pessoa hat bis heute Bestand, ebenso wie die Ziele seiner Dürrepolitik und die Inhalte seines Dürrediskurses. Es ist den Politikern des Nordostens auch nach 1930 immer wieder gelungen, die wechselnde politische Konjunktur und das konstante Klima der Halbtrockenzone für ihre wirtschaftspolitischen Anliegen einzunehmen – sei es während des Vargas-Regimes, der demokratischen Phase von 1945–64, der Militärdiktatur oder der Redemokratisierung seit 1985.1201 Dies näher zu analysieren, würde aus dem gesetzten Rahmen der vorliegenden Arbeit fallen. In direktem Bezug zum Betrachtungszeitraum steht hingegen das Bild Epitácio Pessoas und seiner Nordostpolitik, welches im Laufe der letzten Jahrzehnte vermittelt wurde und nun abschließend in einem gesonderten Kapitel zur Rezeptionsgeschichte untersucht werden soll. Ausgangspunkte sind vorrangig geschichtswissenschaftliche Werke, aber auch populärwissenschaftliche Beiträge und Darstellungen zeitgenössischer Publizisten und Politiker.

6. Die Beurteilung Epitácio Pessoas in der brasilianischen Presse und Historiographie a) Nachruf auf Epitácio Pessoa in der regionalen und ­nationalen  Presse Es ist kaum verwunderlich, dass während der Präsidentschaft Epitácio Pessoas das paraibanische Presseorgan der Regierung A União die „ewige Dankbarkeit Paraíbas“ verkündete und dessen Chefredakteur Carlos Fernandes das Staatsoberhaupt in einer Biographie als Vorbild für die Menschheit präsentierte.1202 1199 Figueiredo, Argemiro de (Paraíba), Anais do Senado, Brasília, 4.6.1965, S. 152; Carneiro, Ruy (Paraíba), ebd., S. 150 (Quelle IV.5.b-12). 1200 Siehe Quellen IV.5.b-04/07. 1201 Siehe Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirt­ schaftliches und politisches Problem, 2001, S. 55–84. 1202 „Operosidade do sr.  presidente da Republica. As obras do nordéste * O serviço de prophylaxia rural * A gratidão eterna da Parahyba“, in: A União vom 7.6.1921, S. 1; Fernandes, Politicos do Norte, III: Epitacio Pessôa, 1919, S. 5 f.

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Paraíba überführt. Der feierliche Anlass wurde im Senat von paraibanischen Politikern genutzt, um Gelder für die „arme Region“ zu erbeten, insbesondere für die Straße von Cabedelo in die Hauptstadt, „welche sich in einem kläglichen Zustand befindet“.1199 Damit wurde an eine der letzten Forderungen angeknüpft, um die sich Epitácio Pessoa innerhalb seiner Dürrepolitik bemüht hatte, bevor die ‚Revolution von 1930‘ seine politische Laufbahn beendete.1200 Das Gedenken an Epitácio Pessoa hat bis heute Bestand, ebenso wie die Ziele seiner Dürrepolitik und die Inhalte seines Dürrediskurses. Es ist den Politikern des Nordostens auch nach 1930 immer wieder gelungen, die wechselnde politische Konjunktur und das konstante Klima der Halbtrockenzone für ihre wirtschaftspolitischen Anliegen einzunehmen – sei es während des Vargas-Regimes, der demokratischen Phase von 1945–64, der Militärdiktatur oder der Redemokratisierung seit 1985.1201 Dies näher zu analysieren, würde aus dem gesetzten Rahmen der vorliegenden Arbeit fallen. In direktem Bezug zum Betrachtungszeitraum steht hingegen das Bild Epitácio Pessoas und seiner Nordostpolitik, welches im Laufe der letzten Jahrzehnte vermittelt wurde und nun abschließend in einem gesonderten Kapitel zur Rezeptionsgeschichte untersucht werden soll. Ausgangspunkte sind vorrangig geschichtswissenschaftliche Werke, aber auch populärwissenschaftliche Beiträge und Darstellungen zeitgenössischer Publizisten und Politiker.

6. Die Beurteilung Epitácio Pessoas in der brasilianischen Presse und Historiographie a) Nachruf auf Epitácio Pessoa in der regionalen und ­nationalen  Presse Es ist kaum verwunderlich, dass während der Präsidentschaft Epitácio Pessoas das paraibanische Presseorgan der Regierung A União die „ewige Dankbarkeit Paraíbas“ verkündete und dessen Chefredakteur Carlos Fernandes das Staatsoberhaupt in einer Biographie als Vorbild für die Menschheit präsentierte.1202 1199 Figueiredo, Argemiro de (Paraíba), Anais do Senado, Brasília, 4.6.1965, S. 152; Carneiro, Ruy (Paraíba), ebd., S. 150 (Quelle IV.5.b-12). 1200 Siehe Quellen IV.5.b-04/07. 1201 Siehe Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirt­ schaftliches und politisches Problem, 2001, S. 55–84. 1202 „Operosidade do sr.  presidente da Republica. As obras do nordéste * O serviço de prophylaxia rural * A gratidão eterna da Parahyba“, in: A União vom 7.6.1921, S. 1; Fernandes, Politicos do Norte, III: Epitacio Pessôa, 1919, S. 5 f.

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Erstaunlich ist vielmehr, dass sogar zahlreiche Gegner der Dürrepolitik die Integrität des Präsidenten betonten und ihre Kritik nicht auf ihn, sondern lediglich auf korrupte Mittelsmänner im fernen und schwer zu überwachenden Nordosten bezogen.1203 Trotz aller Vorwürfe im Kongress und in der Presse, trotz aller folgenschweren Fehler und Verfehlungen innerhalb der Dürrebekämpfungsmaßnahmen Epitácio Pessoas sollte auch in späteren Zeiten diese Empfindung der Dankbarkeit und Hochachtung anhalten, selbst von kritischer Seite. In den letzten Jahren seines Lebens und nach seinem Tod wurde Epitácio Pessoa in aller Regel als großartiger Staatsmann von außerordentlicher Intelligenz dargestellt. Auch wurden seine moralische Stärke, Rechtschaffenheit und Vaterlandsliebe hervorgehoben, welche er bereits 1892 als junger Parlamentarier mit seiner Verurteilung der Diktatur Peixotos demonstriert habe.1204 Zwei Dekaden darauf sei der politische Sieg Epitácio Pessoas in Paraíba das Ergebnis der ersten freien Wahlen Brasiliens gewesen.1205 Den damit einsetzenden Epitacismo beschrieb der paraibanische Journalist Orris Barbosa 1944 rückblickend als eine lobenswerte Ausnahme von der „krankhaften“ Staatsführung in der Alten Republik. Unter dem „herausragenden Chef“ Epitácio Pessoa habe die Provinz aus eigenem Antrieb, mit den eigenen Ressourcen den Fortschritt aufgebaut.1206 Alcebiades Delamare, Staatssekretär der Regierung Epitácio Pessoa, verteidigte ihn, der so viel für sein Land und seine Leute getan, so oft den Hunger der Menschen gestillt und Familien gerettet habe, gegen die unzähligen „grundlosen Feinde“.1207 Was dem Präsidenten aus Paraíba zu Lebzeiten von seinen Gegnern als Vetternwirtschaft vorgehalten worden war, wurde in seinem Nachruf zu einem „edlen Charakterzug“ hochstilisiert – Epitácio Pessoa habe „nie einen Gefallen unbeantwortet gelassen“, „sich nie undankbar gezeigt“ und

1203 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919, S. 178 f. (Quelle IV.3.c-21); siehe ebenso Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 18.11.1919, S. 45 f. (Quelle IV.4.d-02). 1204 „Dr. Epitacio Pessôa“, in: A Ordem. Orgão independente e de interesses sociaes (Campina Grande) vom 2.6.1935, S. 8 (Quelle I.2.b-02); Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952 und 6.7.1952 (Teil II), o. S. (Quellenanhang IV.6.a-01, mit Zitaten von weiteren vierzehn Zeitgenossen). Zur offenen Kritik Pessoas gegenüber Peixoto siehe Kapitel IV.1.a. 1205 Ders., „Epitacio Pessôa“, in: Jornal do Comercio vom 29.6.1952, o. S. (Quelle IV.6.a-02). 1206 Barbosa, Orris, „Exemplo de um grande destino (Palestra realizada em Umbuzeiro, a 23 do corrente, dia natalicio de Epitácio Pessoa)“, in: A União (João Pessoa) vom 25.5.1944, o. S. (Quelle IV.6.a-03). 1207 Gama, Alcebiades Delamare Nogueira da, „Às sextas-feiras. Epitacio Pessôa“, in: Folhe­ tim do „Jornal do Commercio“ (Rio de Janeiro) vom 24.5.19?? (Datum nicht vollständig; wahrscheinlich wenige Jahre vor dem Tod Epitácio Pessoas am 13.2.1942), o. S. (Quelle IV.6.a-04).

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seine „kleine und gute Heimat“ nie vergessen.1208 Die Dürrebekämpfung sei von seiner Regierung mit bewundernswerter Intensität in Angriff genommen worden und spiegele sich in der „unvergänglichen Erinnerung“ an Pessoa wider.1209 Sogar Autoren aus dem entgegengesetzten politischen Lager des Vargas-Regimes rühmten seine Dürrepolitik und stuften deren abrupte Beendigung unter Artur Bernardes als kriminell ein.1210 Mit den „gravierenden und notorischen Irrtümern“ Epitácio Pessoas, die am Rande von den Kommentatoren angedeutet wurden, war seine ablehnende Haltung gegenüber der Reformbewegung in den 1920er-Jahren und dem politischen Wandel nach 1930 gemeint. Davon abgesehen wurde Pessoa ein „großer Brasilianer“ und „überragender Republikaner“ genannt, gemeinsam mit Rui Barbosa der „wichtigste Ausdruck des geistigen Schaffens in Brasilien“, von „unermüdlicher moralischer Kraft“.1211 Dieses positive Gesamturteil setzte sich in Monographien zur brasilianischen Geschichte bzw. Zeitgeschichte fort, wobei deren Verfasser oftmals selbst aus dem politischen Metier stammten.

b) Epitácio Pessoa im Blick zeitgenössischer Autoren aus dem ­politischen Umfeld Der Jurist, Politiker und Literat José Américo de Almeida (1887–1980) gehörte als Neffe von Monsignore Valfredo Leal ursprünglich zur gegnerischen Machado-Leal-Oligarchie und griff die 1915 siegreichen Epitacistas in Artikeln im Diário do Estado der Valfredistas an. Von den Reformplänen João Pessoas angezogen, wurde er in dessen Provinzregierung (1928–30) Staatssekretär für innere Angelegenheiten und Justiz. Nach 1930 übernahm er unter Getúlio Vargas hohe politische Ämter und erlangte in Paraíba die zentrale, zuvor von den Pessoas eingenommene Machtposition.1212 Abgesehen von pragmatischen An1208 Góes, Raul de, „Reminiscencias do velho Epitacio“, in: O Jornal (Rio de Janeiro) vom 11.4.1943, o. S.; Barbosa, Orris, „Exemplo de um grande destino“, in: A União vom 25.5.1944, o. S. (Quelle IV.6.a-05). 1209 Alves, M. Falcão, „Epitacio Pessôa“, in: A União vom 18.3.1942, o. S.; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle IV.6.a-06). Siehe auch „Epitacio Pessôa. Sua vida e sua obra“, in: Jornal do Comercio vom 14.2.1942, o. S. 1210 Palha, „Grandes figuras: Epitacio Pessoa“, in: Diario Carioca vom 13.12.1942, o. S. (Quelle IV.6.a-07). 1211 Ebd. (Quelle IV.6.a-08). 1212 Zu den Valfredistas siehe Kapitel IV.1.a/b und zu José Américo de Almeida II.1.b. Nach 1930 war Almeida Senator (1935, 1947–1951), Gouverneur von Paraíba (1951–1953), Minister des Verkehrs- und Bauamts der Nationalregierung (1930–34, 1953–54) sowie Mitgründer der Universität von Paraíba und deren zweiter Rektor (1956–57). Seit

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näherungen an die Epitacistas unter dem Einfluss João Pessoas kann er nicht zur ideellen Anhängerschaft Epitácio Pessoas gezählt werden. Dennoch hinterließ Almeida in seinen Abhandlungen zum Nordosten und zur Dürreproblematik ein äußerst vorteilhaftes Bild Pessoas. In A Paraíba e seus problemas von 1923 lobte er die política contra as secas von Epitácio Pessoa und brachte die vorherigen Maßnahmen in Misskredit. Diese hätten ausschließlich die lokalen politischen Führer begünstigt, zumal ein Großteil der Gelder für Parteiinteressen verwendet worden sei. Auch die Dürrebehörde IOCS habe keine Veränderungen bewirkt und bis 1919 nur unbedeutsame Arbeiten in Paraíba verrichtet. Von der Regierung Epitácio Pessoas sei die Aufgabe hingegen ernsthaft angegangen worden.1213 Almeida porträtierte Pessoa als selbstlosen Wohltäter der Bevölkerung im Trockengebiet: „Das Leben der Paraibaner vor den Schicksalsschlägen des Klimas und der Epidemien zu schützen, (...) die Ehre der sertanejos zu wahren, allen Menschen bessere Lebensbedingungen durch die Nutzung der naturgegebenen Ressourcen zu eröffnen – dies ist die Vision Epitácio Pessoas, sein Streben nach Glück.“1214 In dem an das Parlament gerichteten Traktat As sêcas do Nordeste von 1953 nannte Almeida das Dürreprogramm Epitácio Pessoas den „Traum des großen Epitácio Pessoa“, welcher lediglich an einer mangelhaften Organisation und fehlenden Kontinuität gescheitert sei.1215 Eine ähnliche Einschätzung ist bei dem Paraibaner Osvaldo Trigueiro de Albuquerque Melo (1905–89) zu finden, dessen Beziehung zu Epitácio Pessoa ebenso wenig wie im Fall von José Américo de Almeida eine per se gutgesinnte Beurteilung erwarten lässt. Trigueiro war Jurist, Sozial- und Politikwissenschaftler und betätigte sich neben seinen politischen Ämtern auf provinzieller und nationaler Ebene unter anderem als Anwalt und Ökonomieprofessor. Im Präsidentschaftswahlkampf von 1930 unterstützte 1911 gehörte er dem Instituto Histórico e Geográfico Paraibano an, seit 1965 der Acade­ mia Paraibana de Letras und seit 1967 der Academia Brasileira de Letras. Senado Federal do Brasil, Senadores. José Américo de Almeida. Biografia, senado.gov.br; Pantoja, Sílvia, „José Américo de Almeida“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv. br; IHGP, José Américo de Almeida (Cadeira No. 50), ihgp.net/socios.htm; Academia Brasileira de Letras, José Américo de Almeida. Biografia, academia.org.br; Fundação Casa de José Américo, José Américo de Almeida - Cronologia, fcja.pb.gov.br; Universidade Federal da Paraíba, Reitores. José Américo de Almeida, ufpb.br; Villa, História das secas, 2001, S. 142; Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 105. 1213 Almeida, J. A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), S. 323, 392 f., zit. in: ebd., S. 30 f. 1214 Almeida, J. A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), S. 555, zit. in: Ferreira, In­ dústria da seca, 1993, S. 92 (Quelle IV.6.b-01). 1215 Almeida, J. A., As sêcas do Nordeste (Exposição lida na Câmara dos Deputados em 10-111953. Debates e repercussão) (Coleção Mossoroense, Bd. CLXXVII), Rio de Janeiro: Serviço de Documentação. Ministério da Viação e Obras Públicas/Mossoró: Fundação Casa de José Américo/Fundação Guimarães Duque, 19812, S. 17 (Quelle IV.6.b-02).

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er den offiziellen Kandidaten und stellte sich somit gegen João Pessoa und die Aliança Liberal.1216 Seine kritische Meinung gegenüber der Pessoa-Oligarchie geht auch aus seinem Werk A Paraíba na primeira república hervor. Darin bekundete er Sympathie und Anerkennung für Camilo de Holanda, welcher sich als paraibanischer Gouverneur (1916–20) gegen die autoritäre Herrschaft Epitácio Pessoas aufzulehnen versucht hatte.1217 Umso bemerkenswerter ist es, dass er für die Misserfolge und Korruption innerhalb der Dürrepolitik nicht Epitácio Pessoa selbst verantwortlich machte. Trigueiro berichtete zwar von den Mängeln der Arbeiten und der Verschwendung öffentlicher Gelder, ging aber davon aus, der Regierungschef sei in der fernen Landeshauptstadt ahnungslos gewesen, „überrascht und erschüttert von den Vorfällen in Paraíba“. Trigueiro zufolge habe Epitácio Pessoa das Präsidentenamt ohne größere administrative Erfahrungen angetreten und sei mit der „harten Wirklichkeit“ nicht vertraut gewesen. In einigen praktischen Dingen sei er „nicht bewandert, über andere gewiss schlecht informiert“ gewesen. Mit dieser Argumentation entschuldigte Trigueiro Fehler der obras contra as secas, die zu unkontrollierbarem Missbrauch vor Ort geführt hatten und die er rückblickend als völlig untragbar bezeichnete.1218 Angesichts der langen und beeindruckenden politischen Karriere Epitácio Pessoas, die über zahlreiche wichtige Positionen verlief und die absolute Führung seiner Heimatprovinz beinhaltete, verwundert die Aussage in Bezug auf seine angebliche Unerfahrenheit. Zudem hat sich Pessoa stets sorgfältig erkundigt, wie aus seinen Briefen und Schriften hervorgeht.1219 Die Auffassung, Epitácio Pessoa sei über die ominösen Geschehnisse im Nordosten nicht auf dem Laufenden gewesen, wurde ebenfalls von José Joffily Bezerra de Melo (1914–94) geteilt. Auch Joffily zählte – seiner politischen Überzeugung nach zu urteilen – nicht zur Anhängerschaft Pessoas. Bereits als Schüler beteiligte er sich an Bürgerrechtsbewegungen und strebte als Bundesabgeordneter für Paraíba (1946–63) Sozialreformen an. Sowohl unter Getúlio Vargas als auch der Militärdiktatur von 1964 wurde er aufgrund „sozialistischer Ideale“ verhaftet (1935 und 1965).1220 Der Jurist, preisgekrönte Journalist und 1216 Trigueiro wurde später Bürgermeister der paraibanischen Hauptstadt (1935–37), Gouverneur von Paraíba (1947–50), Bundesabgeordneter (1951–54) und Richter am Obersten Gerichtshof (1965–75) mit Vorsitz in den Jahren 1969–70; neben anderen Institutionen gehörte er der Académie Internationale des Sciences Politiques e d’Histoire Constitutionelle und der Academia Paraibana de Letras an. FGV, „Osvaldo Trigueiro“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. 1217 Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 53–57. 1218 Ebd., S. 53 f., 69 (Quelle IV.6.b-03; vgl. auch Quelle IV.4.e-11). Zu dem von Trigueiro geschilderten Missbrauch siehe ebd., S. 70 bzw. Kapitel IV.4.e. 1219 Siehe Kapitel IV.1 und IV.5.b. 1220 Academia Paraibana de Letras, Acadêmicos atuais. José Joffily Bezerra de Mello, aplpb. com.br; siehe auch Fundação Getúlio Vargas, „José Joffily“, in: CPDOC/FGV, Acervo.

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

Historiker war dafür bekannt, sich in seinen Büchern „unbequemen Themen“ zu widmen und die „offizielle Linie der Geschichtsschreibung“ zu hinterfragen.1221 Doch selbst er führte in seinem kritischen Werk Porto político mildernde Umstände an, die Epitácio Pessoa entlasten. Joffily zitierte einen Dialog zwischen dem Paraibaner César de Oliveira Lima und Epitácio Pessoa in Rio de Janeiro im Jahr 1937, überliefert von Lima, dem ein fotografisches Gedächtnis nachgesagt wurde; außerdem habe Pessoas Neffe Antonio Pessoa das Gespräch bezeugt: „Bis heute bedauern wir den Fall des Hafens. – Das ist wahr. Dort wurden 27.000 Contos ausgegeben, ohne ein jegliches Resultat zu erzielen. Nie war ich so schlecht informiert.“ Die Unterhaltung soll von Epitácio Pessoa mit den Worten beendet worden sein: „Nach einer derartigen Demütigung werde ich nie wieder in meine Heimat zurückkehren.“1222 Joffily hob den „unwiderstehlichen Druck der paraibanischen Händler“ hervor, welcher dazu geführt habe, entgegen den Expertisen der Ingenieure den Hafen in der Hauptstadt und nicht im 18 Kilometer entfernten Cabedelo an der Atlantikküste zu bauen.1223 Obwohl dem Regierungschef die Untauglichkeit des Stadthafens aus den offiziellen Studien bekannt gewesen sein musste, wird hier der Eindruck erzeugt, er selbst sei von den Lobbyisten hintergangen worden. Toscano Espinola, Staatssekretär unter Epitácio Pessoa, untermauerte diese Sichtweise mit einer weiteren Aussage des früheren Staatsoberhauptes; über die Verteidigungsschrift Pela Verdade von 1925 habe Pessoa ihm gesagt: „Darin habe ich weniger über mein eigenes Handeln Rechtschaffenheit abgelegt als vielmehr über das meiner Gehilfen, von dem ich oftmals erst nach Ende meiner Präsidentschaft erfuhr.“1224 Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. 1221 Millarch, Aramis, „Mais um título para o paraibano Joffily“, in: Estado do Paraná (Curitiba) vom 30.11.1991, S. 20. Joffily war Mitglied der Academia de Letras de Campina Grande, Academia Paraibana de Letras, Academia de Letras e Artes do Nordeste Brasileiro, Instituto Histórico e Geográfico Paraibano, Instituto Histórico e Geográfico do Rio Grande do Norte, Academia Paulistana de História, Instituto Histórico, Geográfico e Etnográfico Paranaense, Instituto Histórico e Geográfico do Estado de Santa Catarina. Siehe APLPB, Acadêmicos atuais. José Joffily, o. D. 1222 Lima, César de Oliveira/Pessoa, E., zit. nach: Joffily, José (ursprünglich festgehalten durch den Schriftsteller Alfio Ponzi), ohne weitere Quellenangaben zit. in: Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 139 (Quelle IV.6.b-04). 1223 Joffily, Porto político, 1983, S. 35 f., zit. in: Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 60 (Quelle IV.6.b-05). In Kapitel IV.6.c erfolgen nähere Ausführungen zu Gurjão, die den Schwerpunkt auf die Rolle der Händler vor Ort legt („Epitácio ging auf das Gesuch der Händler ein“, ebd., S. 59), und Melo, der ebenfalls diese Passage reproduziert (wie meist ohne jegliche Quellenangaben: Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 139). Zum Hafenskandal siehe Kapitel IV.4.e. 1224 Pessoa, E., zit. in: Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle IV.6.b-06).

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Besonders die Darlegungen Osvaldo Trigueiros veranschaulichen, wie fundierte Kritik an Epitácio Pessoa im selben Atemzug durch Gegenargumente abgeschwächt wurde. Einerseits nannte Trigueiro seinen paraibanischen Landsmann das „Gegenteil eines Demokraten“ mit „Hang zum Feudalen“ und „autoritärer Parteileitung“, andererseits rechtfertigte er Pessoas Verhalten mit dem Zeitgeist: „So war die Politik in jenen Jahren; ihr entsprach Epitácios Führungsstil. Die Regierungs- und Parlamentsposten [in Paraíba] hingen ausschließlich von seiner Verfügungsgewalt ab, und nur durch seine Entscheidung konnte man gewählt werden.“ Und: „Er war in der Ersten Republik überaus erfolgreich, weil die Politik oligarchisch war. Seine brillante Partei- und Staatsleitung war von Rio de Janeiro delegiert, denn in keiner kleinen Provinz wurde die Staatsgewalt demokratisch bestimmt“.1225 Des Weiteren führte Trigueiro die Bereicherung der Parteifreunde und Familienangehörigen Epitácio Pessoas im System der Dürrearbeiten an, lenkte aber ein, dass die nepotistische Privilegienvergabe damals im Allgemeinen nicht beanstandet, sondern allenfalls beneidet wurde. Dieses Handlungsmuster begründete er ebenfalls mit den herrschenden Anschauungen der Epoche: „Es darf nicht vergessen werden, dass sich gewisse Moralvorstellungen mit den Zeiten und Umständen ändern. (...) Daher ist es nicht verwunderlich, dass im Nordosten die Prämien, welche die Regierungsmitglieder ihren Freunden verschafften, als legitim erachtet wurden (...) und keinen Widerspruch erfuhren.“1226 Trigueiro schloss sich offensichtlich diesen Standpunkten an, zumal er auch die personalistisch-klientelistischen Züge des brasilianischen Präsidentialismus akzeptierte: „Wie zu erwarten, war Paraíba die am stärksten bevorzugte Provinz, in der die meisten Arbeiten durchgeführt wurden. Wir fühlten uns im Recht, denn schließlich war der Präsident ein Paraibaner.“1227 Zugleich rechnete er Epitácio Pessoa einen „aufrichtigen“ und aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht „wahrhaft revolutionären“ Einsatz gegen das Hunger- und Todeselend der Dürre an.1228 Hier verdrängte er – ebenso wie Epitácio Pessoa im politischen Diskurs – den eklatanten gesellschaftlichen Unterschied zwischen den eigentlichen Dürreopfern und den effektiven Nutznießern der Dürrepolitik. Nur so ist zu erklären, dass Trigueiro von einer außerordentlich verheißungsvollen Bilanz der Bauprojekte sprach, vor allem für Paraíba. Erstmals habe sich die Bevölkerung im Nordosten als Brasilianer empfinden können, „fast auf Augenhöhe mit den reichen Brüdern im Süden“. Mussten bis 1225 Trigueiro, O., ohne Quellenangaben zit. in: Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 76; Trigueiro, A Paraíba na primeira república, 1982, S. 54, 56 (Quelle IV.6.b-07). Siehe im Quellenanhang, wie Trigueiro zugleich Pessoas mangelnde autoritäre Fähigkeit kritisierte, seine untereinander zerstrittene Gefolgschaft in Zaum zu halten (ebd., S. 54). 1226 Ebd., S. 71; siehe auch ebd., S. 70 (Quelle IV.6.b-08). 1227 Ebd., S. 68 (Quelle IV.4.c-19). 1228 Ebd., S. 67 (Quelle IV.6.b-09).

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Epitácio Pessoa – Politik im Zeichen der Dürre (1889–1930)

1919 zwei Drittel der Provinz noch auf Eselsrücken bereist werden, war 1922 bereits ihr gesamtes Gebiet mit dem Auto zu durchqueren. „Es ist leicht sich zu vergegenwärtigen, was dies für den sozialen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung der begünstigten Region bedeutete.“1229 Augenscheinlich fällte Trigueiro sein Urteil aus der Perspektive derer, die sich ein Automobil leisten konnten und vom ausgedehnten Handel profitierten. Das einnehmende Bild Epitácio Pessoas, der trotz mannigfaltiger Widersprüchlichkeiten von seinen Zeitgenossen als ausgezeichneter Staatsmann und Wohltäter der Bevölkerung betrachtet wurde, ist auch Grundlage der jüngeren Geschichtsschreibung, sogar wenn sich deren Autoren explizit von der älteren Generation abgrenzen.

c) Die Rezeption der Pessoa-Politik in der wissenschaftlichen ­Literatur Kritik am System vs. Lob für dessen Exponenten

Die paraibanische Historikerin Lúcia de Fátima Guerra Ferreira unterteilt in ihrem Werk zu den Ursprüngen der Dürreindustrie die akademische Literatur über die Trockenperioden in zwei Strömungen. Die erste habe das Klima als zentrale Ursache für die ökonomischen und sozialen Probleme der Region aufgezeigt und sei unter anderem von Irineu Joffily und José Américo de Almeida vertreten worden.1230 Die zweite habe das Phänomen in einem breiteren Kontext wahrgenommen und nicht mehr die Dürre als bestimmenden Faktor der sozioökonomischen Situation des Nordostens identifiziert; stattdessen haben seit den 1950er-Jahren Autoren wie Celso Furtado und Francisco de Oliveira die wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen der regionalen Oligarchien berücksichtigt.1231 Obschon sich Ferreira unmissverständlich dieser zwei1229 Ebd., S. 68 (Quelle IV.6.b-10). Melo übernimmt unkritisch die Aussage Trigueiros als Informationsbeleg für die Dürrepolitik Epitácio Pessoas: Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 132. 1230 Joffily, Irineu, Notas sobre a Parahyba, Brasília: Thesaurus, 19772 (18921); Almeida, J. A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), beide zit. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 14. Irineu Ciciliano Pereira Joffily (1843–1902) war der Großvater des oben erwähnten José Joffily Bezerra de Melo. Für nähere Informationen siehe IHGP, Irineu Ceciliano Pereira Joffily (Cadeira No. 2), ihgp.net/socios.htm; Mayer, Jorge Miguel, „Irineu Joffily“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv.br. 1231 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 14 f. bezieht sich auf Oliveira, Francisco de, Elegia para uma re(li)gião, Rio de Janeiro: Paz e Terra, 1977, S. 44–50. Zu Furtado siehe z.B. Furtado, Formação econômica do Brasil, 19591 und ders., Seca e poder: entrevista com

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ten, progressiven Denkrichtung zugehörig versteht, wird sie im Klappentext ihres eigenen Buches in eine vermeintlich ehrwürdige ‚Ahnenreihe‘ an der Seite von Irineu Joffily und José Américo de Almeida eingeordnet, von denen sie sich selbst distanziert.1232 Andererseits wächst sie in ihrer Kritik an der oligarchischen Dürrepolitik in einem Aspekt kaum über die orthodoxen Ansichten Almeidas hinaus – auch sie tendiert dazu, Epitácio Pessoa nicht direkt anzugreifen. Mit dieser Haltung stellt sie innerhalb der neueren wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Produktion zu dem Thema keine Ausnahme, sondern die Regel dar. Lúcia Ferreira definiert die indústria da seca als „Handhabung der kargen Ressourcen für die Region zu Gunsten der Elite“.1233 In Paraíba sei das Phänomen während der gesamten Ersten Republik (1889–1930) präsent gewesen – also auch unter der Epitacista-Ägide (1915–30) – und habe zur Zeit der Präsidentschaft Epitácio Pessoas (1919–22) ihren Höhepunkt erreicht.1234 Epitácio Pessoa selbst, den Anführer der genannten politischen und wirtschaftlichen Elite, scheint sie hingegen aus den Reihen der hierfür Verantwortlichen auszuschließen. Im Zusammenhang mit der Nepotismus-Kritik an der VenancistaOligarchie (1889–91) weist sie nicht darauf hin, dass auch der Name Epitácio Pessoa auf der Günstlingsliste zu finden war.1235 Als Staatssekretär unter Venáncio Neiva hob Epitácio Pessoa dessen Dürrepolitik lobend von der „skandalösen Bereicherung“ der Vorregierung ab.1236 Ferreira widerlegt diese positive Beurteilung der Neiva-Regierung auf der Basis zeitgenössischer Presseberichte, fühlt sich aber genötigt, die fragwürdige Aussage Pessoas mit seiner zur Linientreue verpflichtenden Position im Staatsdienst zu begründen, als gelte es, ihn in Schutz nehmen und sein Verhalten rechtfertigen zu müssen. Wenn sie von der allgemeinen Ausbreitung der politischen Machenschaften im Nordosten spricht und weitere involvierte Herrschaftsfamilien aufzählt, bleibt Epitácio Pessoa erneut unerwähnt.1237 An einer anderen Textstelle zitiert sie in einem kurzen Auszug die Kritik des Abgeordneten Nicanor Nascimento, welcher 1920 die Verschwendung und Veruntreuung von Dürregeldern verurteilte. Der parlamentarischen Anklage fügt die Historikerin den Kommentar hinzu, sie habe Celso Furtado, 1998. Vgl. auch die Periodisierung der Dürrehistoriographie in Kapitel I.2.a. 1232 Galvão, Walter, Klappentext, in: Ferreira, Indústria da seca, 1993; ebd., S. 14. 1233 Ebd., S. 126. 1234 Ebd., S. 107, 122. 1235 Lisboa, João Gonçalves Coelho, Problemas urgentes: oligarquias, secas e clericalismo (dis­ cursos), Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1909, S. 98, zit. in: ebd., S. 108. Vgl. hierzu Kapitel IV.4.c bzw. Lisbôa, João Coelho, Oligarquias, sêcas do Norte e clericalismo, 1909, S. 96, 98, abgedr. in: Carone, Primeira República, 1969, S. 92–95. 1236 Pessoa, E., Primeiros tempos (1884–1909), 1965, S. 112 f. (Quellen IV.4.c-01/03). 1237 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 108 f.

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sich – „neben vielen anderen“ – auf Verwandte des Präsidenten und des Direktors der Dürrebehörde bezogen.1238 Ferreira scheint die Anschuldigungen gegen Epitácio Pessoa und Arrojado Lisboa durch den Zusatz „neben vielen anderen“ abschwächen zu wollen. Tatsächlich richtete sich Nicanor Nascimento in der zitierten Passage, die sich in den Annalen insgesamt über fast 20 Seiten erstreckt, direkt und ausschließlich gegen diese beiden obersten Repräsentanten der Dürrepolitik.1239 Zu den sozialreformerischen Bemühungen Nascimentos, der sich ebenso für die Landbevölkerung im Nordosten wie für die städtische Arbeiterschaft im Süden einsetzte, macht Ferreira keine Angaben. Anstatt diese Zusammenhänge herauszustellen und auf die berechtigten Vorwürfe gegen die Pessoa-parentela einzugehen, folgert sie mit bemerkenswerter Zurückhaltung, die Projektleiter im Nordosten „seien im Grunde genommen die Verantwortlichen für die Ausbeutung (...) und die unzureichenden Ergebnisse“.1240 Hiermit meint sie die unzähligen und schwer zu überprüfenden Bauherren vor Ort und nicht deren politischen Führer. Zumindest erklärt sie unmittelbar im Anschluss Epitácio Pessoa für unschuldig, was sie durch dessen Berufung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Dürrearbeiten als erwiesen erachtet. Mit den Worten José Américo de Almeidas gibt sie zu verstehen: „Allein diese offenherzige Entscheidung [Epitácio Pessoas] zeigt sein reines Gewissen und (...) enthebt ihn bereits im Voraus von der Verantwortung für jegliche Fehler, die möglicherweise in der umfassenden Unternehmung zu Tage kommen sollten“.1241 Lúcia Ferreira spricht verallgemeinernd vom „período epitacista“ und nicht von Epitácio Pessoa selbst, wenn sie den Missbrauch im Rahmen der indús­ tria da seca unter dessen oligarchischer Herrschaft beschreibt. Ihrer Darstellung nach stieß die Durchführung von Pessoas Vorhaben auf „enorme Hindernisse innerhalb der eigenen Oligarchie im Nordosten – in Form der indústria da seca. Trotz aller Kontrollmaßnahmen kam es immer wieder zur Unterschlagung und

1238 Ebd., S. 103, mit Referenz auf Nascimento (Distrito Federal), Anais da Câmara, 26.10.1920, o. S. 1239 Ebd., S. 427–444 (siehe Quelle IV.4.d-10). Vgl. auch ders., Anais da Câmara, 4.12.1920, S. 402 (Quelle IV.4.d-13) und weitere zitierte Ausschnitte in Kapitel IV.4.d. 1240 Dabei stützt sich Ferreira auf den paraibanischen Journalisten Orris Barbosa, der in seiner Studie über die Dürre von 1932 auch die Regierungszeit von Epitácio Pessoa kommentierte: Barbosa, Orris, Seca de 32, Rio de Janeiro: Anderson [sic], 1935, S. 22, zit. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 103 f. (Quelle IV.6.c-01). 1241 Almeida, J.  A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), S. 654, zit. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 104 (Quelle IV.6.c-02). Zu den von Ferreira dargestellten Ergebnissen der Kommission siehe Kapitel IV.5.a bzw. IFOCS, Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, 1923, S. 36 f., 42, auszugsweise abgedr. in: ebd., S. 104 f.

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Zweckentfremdung von Hilfsgeldern.“1242 Während Ferreira die Akteure der Dürreindustrie also in den Reihen der herrschenden Oligarchie des Nordostens wähnt, sieht sie zu deren Oberhaupt keine Verbindung gegeben. Selbstverständlich hatte Epitácio Pessoa nicht den Überblick über jede Ladung Baumaterial, die falsch abgerechnet wurde; die essentiellen Voraussetzungen für Korruption und favoritismo gingen derweil von seinen Planungszentren aus: Welcher Materiallieferant erhielt den Zuschlag für die aufwendigen Arbeiten, welcher Viehzüchter durfte vom Bau einer Stauanlage auf seinen Besitzungen profitieren, welcher Baumwollpflanzer konnte seine Transportkosten minimieren, indem die neue Eisenbahnlinie oder Straßenverbindung sein Grundstück erreichte, obschon es nicht im gefährdeten Bereich des Trockengürtels lag. Auf diesem Entscheidungsniveau wurden die großen Geschäfte der Dürreindustrie besiegelt und die politischen Freunde sowie Verwandten des Präsidenten begünstigt.1243 Ferreira zählt Pessoa indessen unzweifelhaft zur Gruppe jener, „welche an die Pläne und Projekte der präventiven Dürrebekämpfung geglaubt, die Macht der oligarchischen Interessen jedoch unterschätzt hatten und angesichts der geringen Resultate bitter enttäuscht wurden.“1244 Am Beispiel des Hafenbaus in der paraibanischen Hauptstadt, dem größten Skandal der Dürremaßnahmen unter Epitácio Pessoa, verteidigt Ferreira mit einem Zitat des Historikers Apolonio Nóbrega die aufrichtigen Absichten des Staatschefs: „Unglücklicherweise wurden dort mehr als 20.000  Contos ausgegeben und schlechtere Bedingungen als vor den Bautätigkeiten erzielt. Lediglich ein paar Pfeiler lagen am Ufer des Sanhauá begraben und verrieten die Anstrengungen eines Mannes und die Unehrlichkeit einer Epoche“.1245 Eine ähnlich ambivalente Auslegung der Rolle Epitácio Pessoas innerhalb der oligarchischen Politik liegt bei Eliete de Queiroz Gurjão Silva und José Batista Neto vor. Die ebenfalls aus Paraíba stammende Gurjão schildert, wie die Staatsintervention im Rahmen der Dürrebekämpfung unter Epitácio Pessoa die Besitzkonzentration förderte, den coronéis als Zwischenhändlern der staatlichen Arbeiten zu immensen Gewinnen verhalf und die oligarchische Macht in Paraíba stärkte.1246 Auf Epitácio Pessoa und seine Vetternwirtschaft geht sie in diesem Kontext nicht ein. Wie auch Lúcia Ferreira übernimmt Eliete Gurjão von José Américo de Almeida die würdigende Charakterisierung Pessoas und bringt ihn nicht mit der von ihr beschriebenen Bereicherung der Geschäfts-

1242 Ebd., S. 103 (Quelle IV.6.c-03), 121. 1243 Zu Missbrauch und Patronage unter Epitácio Pessoa siehe Kapitel IV.4.c/e. 1244 Ebd., S. 127 (Quelle IV.6.c-04). 1245 Nóbrega, Apolonio, História republicana da Paraíba, 1950, S. 153, auszugsweise abgedr. in: ebd., S. 105 (Quelle IV.6.c-05). 1246 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 31, 86 f.

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leute, Bauunternehmer und lokalen Potentaten in Zusammenhang.1247 Und dies, obschon sie den Höhepunkt der oligarchischen Herrschaft in Paraíba eindeutig der P ­ eriode des Epitacismo zuordnet – ohne allerdings die beiden Phänomene direkt zu korrelieren. Darüber hinaus erläutert sie, dass in der politischen ­Hierarchie der Ersten Republik die untergeordneten Führer, deren Einfluss auf die Staats- oder Munizipalebene begrenzt war, uneingeschränkt jenen folgten, deren Prestige sich auf die Landesebene ausdehnte. Als den damals fraglos einflussreichsten politischen Chef in Paraíba hebt sie Epitácio Pessoa hervor.1248 Setzt man beide Aussagen zusammen, müsste eigentlich feststehen, dass Pessoa an der Schaltstelle der oligarchischen Politik für deren Auswirkungen verantwortlich war. Diese Schlussfolgerung wird aber umgangen, indem – sowohl bei Gurjão als auch bei Ferreira – der Epitacismo als ein Abstraktum behandelt wird, als sei er unabhängig von dem Menschen Epitácio Pessoa. Die Kritik Gurjãos trifft ihn nie unmittelbar. Selbst wenn sie sich dem annähert, werden positiv belegte Wörter wie „Prestige“1249 gewählt, anstatt Pessoas Durchsetzungsgewalt der eigenen Interessen zu dokumentieren. In gleicher Weise verbindet Fernando Melo in seiner Pessoa-Biographie Darlegungen zum autoritären Führungsstil des paraibanischen Oligarchieoberhaupts mit dem anerkennenden Kommentar: „Es darf nicht vergessen werden, dass Epitácio unbestritten ein aufgeklärter und geachteter Partei- und Staatschef war.“1250 Ebenso wie Ferreira und Gurjão nimmt der pernambucanische Historiker José Batista Neto eine äußerst kritische Position gegenüber der oligarchischen Politik während der Ersten Republik ein, ohne seine oftmals scharfzüngigen Angriffe auf Epitácio Pessoa zu beziehen. Hier argumentiert er lediglich, dessen Regierung hätte sich ohne den politischen Halt der Landbesitzerschicht nicht behaupten können. An der Stelle versäumt es Batista, deutlich zu machen, dass Epitácio Pessoa nicht nur machtpolitisch auf die Agrarelite angewiesen, sondern gesellschaftlich ein Teil von ihr war. Batista beschreibt zwar die Ambiguität der aus rein technischer Sicht modernen, im Hinblick auf die Machtstrukturen aber zutiefst konservativen Dürrepolitik, vollzieht dabei jedoch eine unrealisti1247 Almeida, J. A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), S. 328; Barbosa, Orris, Secca de 32, 1935, S. 12, beide zit. in: ebd., S. 31 f. (Quelle IV.6.c-06). Vgl. auch die oben zitierten Passagen, in denen Gurjão unkritisch die Darstellungen Almeidas und Joffilys übernimmt: Almeida, J. A., A Paraíba e seus problemas, 19803 (19231), S. 323, 392 f., zit. in: ebd., S. 30 f.; Joffily, Porto político, 1983, S. 35 f., zit. in: ebd., S. 59 f. (Quelle IV.6.b-05). Zu Ferreiras Almeida-Zitat siehe Quelle IV.6.b-01. 1248 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 58, 60 (Quelle IV.6.c-07). 1249 Ebd. 1250 Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 77 (Quelle IV.6.c-08). Melo bezieht sich hier auf die in Quelle IV.6.b-07 zitierte Passage. Auch die in Quellen IV.6.b-03/04/10 zitierten Darlegungen Trigueiros werden von Melo unkritisch übernommen. Vgl. Melo, F., Epi­ tácio Pessoa, 2005, S. 132 f., 139.

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sche Trennung zwischen Epitácio Pessoa und der Landbesitzerschicht, als habe Letztere ursprünglichen Reformabsichten ihres politischen Führers („projeto modernizador epitacista“) enge Grenzen auferlegt. Als Beispiel für die von ihm wahrgenommene Machtbeschränkung Pessoas nennt Batista dessen aussichtslosen Versuch, in Brasilien das US-amerikanische Modell zur Dürrebekämpfung durch Verpachtung staatlicher Bewässerungsgebiete einzuführen, welches aufgrund der unterschiedlichen Besitzverhältnisse nur habe scheitern können. Während die US-amerikanische Regierung ihre Irrigationsflächen in kleine Landstücke unterteilen und verpachten konnte, wurden die brasilianischen Maßnahmen innerhalb einer seit der Kolonialzeit vom Latifundium eingenommenen Besitzstruktur angesetzt. In Anbetracht der schließlich ausbleibenden Bodenreform von einer „Schwäche“ der Regierung Epitácio Pessoas zu sprechen, bedeutet, ihr Reformziele anzurechnen, die sich in der politischen Realität nicht abzeichneten.1251 Dennoch wird Epitácio Pessoa auch von dem Historiker Marco Antonio Villa eine „große Kühnheit“ zugeschrieben, weil er in der Ära der Oligarchien einen Generalplan zur landwirtschaftlichen Modernisierung, Enteignung von brachliegendem Land und Abgabenerhebung für staatliche Bewässerungssysteme entworfen habe.1252 In seinem Enthusiasmus missachtet Villa, dass eine Auflösung oder Zerlegung des Latifundiums in keiner Weise angestrebt wurde. Epitácio Pessoa ging es lediglich darum, seine Infrastrukturprojekte realisieren zu können. Waren Enteignungen erforderlich, so sollten die Betroffenen angemessen – in der Praxis sogar höchst vorteilhaft – entschädigt werden. Eben jene Landbesitzer waren zudem die unmittelbaren Nutznießer der Stau- und Bewässerungsanlagen, Straßen oder Eisenbahnlinien.1253 Villa sieht es hingegen als erwiesen an, dass sich bei einer konsequenten Durchführung der Vorhaben im Sertão eine ökonomische Revolution mit günstigen Folgen für die regionale Politik vollzogen hätte, unter anderem dank einer größeren Autonomie der sertanejos gegenüber der coronelistischen Macht.1254 Hier blendet Villa aus, dass gerade die coronéis durch die staatliche Intervention im Nordosten

1251 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 120 f., 127, 129–131 (Quelle IV.6.c-09). Siehe im Quellenanhang auch die folgende Passage, die Batistas positive Einschätzung der Intentionen Epitácio Pessoas zusätzlich verdeutlicht: „Epitácio ging davon aus, dass das US-amerikanische Modell [der Bewässerungslandwirtschaft] ebenso für Brasilien funktionieren müsste. (...) Ihm zufolge bezweckte seine Strategie, eine seit langem etablierte Situation zu überwinden.“ Ebd., S. 122. Hintergrundinformationen zur Besitzstruktur und deren Behandlung unter Epitácio Pessoa werden in Kapitel IV.3.c gegeben. 1252 Villa, História das secas, 2001, S. 128 f. 1253 Siehe Kapitel IV.3.c und IV.4.e. 1254 Ebd., S. 129.

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unterstützt wurden.1255 Dessen ungeachtet werden die Dürreprojekte Epitácio Pessoas in der Geschichtsschreibung grundsätzlich positiv bewertet. Zustimmung zur Dürrepolitik und politischen Haltung Epitácio Pessoas

Bereits in einer Abhandlung Albert Hirschmans aus dem Jahr 1963 findet die Wasserbaupolitik Epitácio Pessoas („solução açude“) volle Akzeptanz.1256 Wie in Kapitel IV.2.d und IV.5.a beschrieben, wurde dem scheidenden Staatsoberhaupt von der Untersuchungskommission aus dem Jahr 1922/23 vorgeworfen, beim Bau der Staudämme die Errichtung von Bewässerungssystemen und somit die effektive Versorgung der Bevölkerung vernachlässigt zu haben.1257 Hirschman verteidigt jedoch die Vorgehensweise Pessoas und greift dazu auf dessen eigene Argumentation über die Notwendigkeit einer konsekutiven und nicht synchronen Bewältigung der verschiedenen Arbeiten zurück. Dahinter vermutet Hirschman eine Vorsichtsmaßnahme von Epitácio Pessoa und dem Leiter der Dürrebehörde Arrojado Lisboa, denen „das Risiko eines mächtigen Widerstands gegen (...) Irrigationsanlagen zweifelsfrei bewusst gewesen war“.1258 Um die Nordostprojekte angesichts potentieller Widersprüche seitens der Landbesitzerschicht nicht im Keim ersticken zu lassen, habe die Regierung daher die von der Agraroligarchie seit langem geforderte Konstruktion der Staudämme vorgezogen. Die für die breite Bevölkerung essentiellen Bewässerungsvorhaben sollten später umgesetzt werden, so Hirschmans Annahme, sobald die Bereitwilligkeit der Landherren mit dem nächsten Schritt auf die Probe gestellt werden konnte. Demnach ordnet auch Hirschman Epitácio Pessoa ideologisch außerhalb der coronelistischen Machtbasis ein, als habe Pessoa versucht, sich gegen die – wohlgemerkt eigene – Oligarchie durchzusetzen und mit gesellschaftspolitischen Reformen über den Status quo der Besitzstruktur hinauszugehen. Dem Wissenschaftler zufolge glaubte Epitácio Pessoa fest daran, durch intensive staatliche Aktivitäten die Dürre bzw. deren Auswirkungen bezwingen zu kön1255 Siehe hierzu u.a. Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 309 bzw. Kapitel IV.4.e. 1256 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 39 bzw. im englischen Original: ders., Journeys toward progress, 1963, S. 27 („açude solution“). Siehe auch ders., Política econômica na América Latina, 1965, S. 32 f., 40, 94. Zu Hirschman siehe außerdem Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirt­ schaftliches und politisches Problem, 2001, S. 43–54. 1257 IFOCS, Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, 1923, S. 42, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 104. 1258 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 57. Vgl. auch Quelle IV.2.d-22.

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nen; er habe den Nordosten in ein neues Ägypten oder Mesopotamien verwandeln wollen. Der Vergleich mit den mediterran-vorderasiatischen Zivilisationen des Altertums zeigt, dass Pessoa und in diesem Passus ebenso Hirschman die technisch-wirtschaftlichen Errungenschaften und nicht den sozialen Nutzen im Blick hatten.1259 Sogar Linda Lewin, die als eine von wenigen Autoren die Vertretung der oligarchischen Interessenpolitik im Rahmen der Dürrebekämpfung direkt auf Epitácio Pessoa zurückführt,1260 kommentiert die vom Staatschef vorgebrachte Analogie zum bewässerten Niltal in folgender Weise: „[Epitácio Pessoa] war naiv genug, um zu glauben, die ‚Auslöschung der Dürren‘ könne durch eine massive Durchdringung von Technologie erreicht werden.“1261 In diesem Kontext von Naivität zu sprechen, schmeichelt dem politischen Strategen aus der paraibanischen Agraroligarchie, für den die technologische Infrastruktur unabhängig vom Erfolg der Dürrebekämpfung eine wichtige ökonomische Aufwertung und ein zentrales Mittel zur Patronage bedeutete. Jede Straße, Eisenbahn- und Telegraphenverbindung erleichterte den Baumwollabsatz, jedes Staubecken sicherte die Viehzucht im Trockengebiet. Die prinzipielle Anerkennung der Person und der Positionen des paraibanischen Staatsführers ist auch in der jüngeren wissenschaftlichen Literatur Konsens. In der heiklen Frage der versäumten Schritte zur Kanalisierung und Bereitstellung des angestauten Wassers in allgemein zugänglichen Irrigationsprojekten greift Batista ebenso wie Hirschman lediglich auf die Argumente Arrojados und Pessoas zurück, obschon gerade in dieser Angelegenheit die oligarchische Ausrichtung der Nordostpolitik hervorsticht.1262 Die verständnisvolle Haltung Batistas gegenüber der Regierung Pessoa wird besonders durch den Kontrast deutlich, mit welcher Aufwallung er sich über den Abbruch der Arbeiten unter Präsident Artur Bernardes entrüstet. Dessen Maßnahme, das Gros der teuren Erdräumungsmaschinen im Trockengürtel für einen Bruchteil ihres Kaufwerts abzustoßen, nennt Batista „niederträchtig, unverschämt, antipatriotisch und gegen das Volk gerichtet“. Epitácio Pessoa und Arrojado Lisboa seien sich hingegen des „hohen sozialen Einsatzes, welcher mit der Beschaffung der Materialien verbunden war, bewusst gewesen“ und haben deren Veräußerung daher aufs Schärfste verurteilt. Mit dieser Wortwahl vermittelt Batista den Eindruck eines 1259 Ebd., S. 37, 45. In einer anderen Passage seiner Studie geht Hirschman durchaus der sozialen Funktion der Bewässerungslandwirtschaft nach. Siehe ebd., S. 58. 1260 Siehe Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 97, 110 f. bzw. Kapitel IV.2.d/e. 1261 Ebd., S. 110 (Quelle IV.6.c-10). Vgl. Pessoa, E., Pela Verdade (Obras completas, Bd. XXI, Teil 1), 1957 (19251), S. 266 („EXTINÇÃO DAS SÊCAS DO NORTE“), 269 (zum Niltal im Altertum), 297–299 (zum zeitgenössischen Ägypten). 1262 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 156–158, mit Bezug auf Lisboa, Arrojado, Artikel (o.  T.) in: O Jornal vom 17.3.1925, o.  S. und Pessoa, E., Artikel (o.T.) in: O Jornal vom 15.3.1925, o. S. Siehe auch Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 161–164.

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ausgeprägten sozialen Bewusstseins auf Seiten der beiden Politiker, obwohl es jenen in dem zitierten Auszug explizit um die „ökonomischen Interessen des Nordostens“ ging.1263 Marco Antonio Villa hebt in seiner Geschichte der Tro­ ckenperioden im 19. und 20. Jahrhundert die Dürrepolitik Epitácio Pessoas als einzige positive Ausnahme hervor, gerade weil sie in ihrem „ganzheitlichen Ansatz“ in erster Linie die wirtschaftliche Entwicklung der Region ins Auge gefasst habe.1264 Die streng oligarchische Zielsetzung der Infrastrukturmaßnahmen, die gesellschaftlichen Hintergründe und Konsequenzen werden von Villa nicht thematisiert. Vielmehr betont er die „innovativen Vorschläge Epitácio Pessoas“, obschon sie genau genommen – wie in Kapitel IV.3.c referiert – nicht einmal auf Initiativen Pessoas zurückgingen.1265 Auch bei Batista erscheint Epitácio Pessoa als Innovator, welcher mittels seines Führungsstils im Präsidentenamt den „Lastern und Tücken der Staatsbürokratie“ zu entkommen versucht habe. Die Regierung Pessoa habe sich wie keine andere „wirksam um die Belange der Trockenzone bemüht“ und erstmals „sichtbare, handfeste und konkrete Lösungen für das Problem der Dürre geliefert“. Die Absicht, mit den Investitionen in die Region „alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen zu begünstigen“, wird Epitácio Pessoa von Batista quasi automatisch zugeschrieben, auch wenn sie sich letztlich nicht erfüllt habe.1266 Eliete Gurjão lässt ebenfalls die Erwartung anklingen, die Vorhaben wären der breiten Bevölkerung zugute gekommen, hätte Präsident Bernardes sie nicht 1923 abrupt beendet.1267 Lúcia Ferreira geht in ihrer positiven Schilderung Epitácio Pessoas noch einen Schritt weiter. Sie klammert ihn nicht nur aus dem Kreis der korrupten Oligarchieführer aus, sondern zitiert ihn als Ankläger von Betrügereien bei der Verwendung staatlicher Dürregelder in Paraíba – allerdings im Zeitraum vor seiner eigenen Herrschaftsperiode.1268 Die Rolle des Kritikers, nicht des Kritisierten, fällt ihm außerdem bei der Verurteilung des bestechlichen, von Gewalt und Unterdrückung geprägten Wahlapparats im Jahr 1894 zu.1269 Des Weiteren stellt Ferreira den Präsidenten Epitácio Pessoa als überzeugten Demokraten vor, 1263 Ebd., S. 159 und 152, mit einem Zitat von Lisboa, Arrojado, Artikel (o.T.) in: O Jornal vom 17.3.1925, o. S. (Quelle IV.6.c-11). Zur drastischen Einsparmaßnahme der „Lei do orçamento da despesa“ (1925) und den dazugehörigen Ambivalenzen siehe Kapitel IV.5.a bzw. Quelle IV.5.a-18. 1264 Villa, História das secas, 2001, S. 127 f.; siehe ebenso ders., Que braseiro, 2005, S. 16 f. Auf Villa verweisend, übernimmt diese Meinung auch Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 93. 1265 Villa, História das secas, 2001, S. 13. Weitere Darlegungen zu Villas Dürregeschichte erfolgen im nächsten Unterkapitel. 1266 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 109, 135, 166–168 (Quelle IV.6.c-12). 1267 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 49. 1268 Siehe Kapitel IV.4.c bzw. Quelle IV.4.c-02. 1269 Pessoa, E., Primeiros tempos (1884–1909), 1965, S. 227 f. (Quelle IV.6.c-13).

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welcher das Wahlsystem sanieren und die repräsentative Demokratie fördern wollte.1270 In beiden Punkten forderte er mehr ein – und wurde ihm von Ferreira mehr zugetraut –, als er in seiner Heimatprovinz einhielt. Dort bestimmte er von 1915 bis 1930 autoritär und faktisch als Alleinherrscher über die Geschicke der Partei und Provinzpolitik.1271 Dennoch porträtiert ihn die Historikerin als unbeugsamen Verfechter von Aufrichtigkeit, Egalität und Gerechtigkeit, als Fels in der Brandung in einem Meer von Korruption und Ineffizienz. In diesem Sinne zitiert sie einen Pressebericht aus der Zeit kurz nach Beginn seiner Präsidentschaft: „Vor einigen Jahren wurde in Paraíba mit staatlichen Dürregeldern der Bau einer Straße initiiert. Dem ausführenden Ingenieur gelang es, mit 80 Contos eine komplizierte Strecke von zehn Kilometern fertigzustellen. Nach überstandener Trockenheit übernahm die Bundesbehörde die Leitung und ersetzte als Erstes den Ingenieur durch eine Kommission von zehn anderen. Neue Ausgaben von über 200 Contos mussten getätigt werden, und die Gehaltszahlungen schnellten in die Höhe. Gestern hat der Präsident dem Treiben ein Ende gesetzt, indem er den unnötigen Abfluss öffentlicher Gelder unterband, die gesamte Kommission entließ und die Arbeit einem einzigen Ingenieur übertrug, übrigens demselben, der sie begonnen hatte.“1272 Diese anekdotenhafte Glorifizierung der Verteidigung des Gemeinwohls durch das Staatsoberhaupt verstärkt Ferreira noch mit Hilfe eines Schreibens Epitácio Pessoas an den paraibanischen Gouverneur Solon de Lucena vom 7.  Dezember 1921: „Soeben habe ich zu meiner großen Betroffenheit erfahren, dass einige Landbesitzer zwischen Alagoa Grande und Alagoa Nova einen Anwalt eingeschaltet haben und nun gegen den dortigen Bau der Durchgangsstraße vorzugehen drohen, sollte ihnen nicht im Voraus eine überhöhte Entschädigung gezahlt werden. Es ist kaum zu glauben, dass es Paraibaner gibt, die auf diese Weise eines der ältesten und dringlichsten Anliegen der Provinz ihrer Gewinnsucht unterordnen. Ich bitte Sie, die Ingenieure so weit wie möglich vor dieser Böswilligkeit in Schutz zu nehmen.“1273 Die Frage, ob es sich in dem Fall um Mitglieder der Gegenpartei handelte und ob sie daher den Zorn des Regierungschefs auf sich 1270 Ders., Pela Verdade, Teil 1, Rio de Janeiro: Instituto Nacional do Livro, 1925, S. 52, 54, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 94 (für seinen Amtsantritt im Jahr 1919 nutzte Pessoa die hier zitierte Rede, die er 1917 zu Ehren des gewählten Präsidenten Rodrigues Alves gehalten hatte); siehe auch Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 177, 181, der – ohne nähere Literaturangaben zu machen – auf die Biographie von Laurita Pessoa zurückgreift, um den paraibanischen Staatsführer als großen Verteidiger der repräsentativen Demokratie darzustellen (Quelle IV.6.c-14). 1271 Siehe Kapitel IV.1.b/c. 1272 Diário do Estado (Parahyba) vom 25.9.1919, o. S., auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 121 f. (Quelle IV.6.c-15). 1273 Pessoa, E., Brief an Solon de Lucena (Gouverneur Paraíbas, 1920–24) vom 7.12.1921, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XV, 1962, S. 340 (Quelle IV.6.c-16).

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zogen, wirft Ferreira nicht auf. Tatsächlich gehörte Alagoa Grande bis Mitte des 19. Jahrhunderts zum benachbarten Munizip Areia, dem politischen Zentrum der gegnerischen Alvarista-Valfredista-Oligarchie, und auch das nahegelegene Alagoa Nova hat sich erst Anfang des 20.  Jahrhunderts als eigene Gemeinde emanzipiert.1274 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der Brief an den Provinzgouverneur nicht unbedingt vertraulichen Charakters war, zumal derartige Korrespondenz häufig in der regierungsnahen Zeitung A União veröffentlicht wurde. Es könnte durchaus ein gezieltes Druckmittel gegen die oppositionelle Partei gewesen sein. Jedenfalls deutet Lúcia Ferreira aufgrund einer von Pessoa selbst stammenden Aussage eine patriotisch-altruistische Mentalität des Präsidenten an, ohne den Sachverhalt anhand der politischen Realität bzw. reeller Handlungen zu überprüfen. Diese Vorgehensweise ist in der mit Epitácio Pessoa zusammenhängenden Darstellung der Dürregeschichte so verbreitet, dass zwischen dem historisch geprägten Bild und der historiographischen Reflexion oftmals kaum ein Unterschied existiert. Die schmale Trennlinie zwischen Dürrediskurs und Dürrehistoriographie

Die voluminösen Publikationen Epitácio Pessoas, bestehend aus parlamentarischen Reden, ausgewählten Briefwechseln und politischen Verteidigungsschriften, bieten einen breiten Fundus, um den facettenreichen Diskurs, die parteipolitischen Strategien und das gesellschaftliche Selbstverständnis zu analysieren.1275 Eine unzulässige Verengung entsteht jedoch, wenn in der Geschichtsschreibung einzelne historische Begebenheiten oder ganze Themenkomplexe allein auf dieser Grundlage erläutert werden. Auf diese Weise überlässt man Epitácio Pessoa das Urteil über seine eigene Politik, ohne Gegenstimmen einzubringen. So wird zum Beispiel in einer für den Schulunterricht zusammengestellten Quellensammlung von 1968 ein Auszug aus der Jahresbotschaft des Präsidenten Epitácio Pessoa an den Kongress angeführt, in welcher er die Geschichte der Trockenperioden resümiert und seine Dürrepolitik skizziert.1276 Offensichtlich wurde die Ansprache als informatives Dokument eines Zeitzeugen herangezo-

1274 Prefeitura de Alagoa Grande, Aspectos Históricos, alagoagrande.pb.gov.br; Portal dos Municípios, Alagoa Nova. História, www.famup.com.br. Z.B. stammte Osvaldo Trigueiro aus Alagoa Grande, der – wie bereits erläutert – nicht zur Anhängerschaft Epitácio Pessoas zählte. Zur Alvarista-Valfredista-Oligarchie siehe Kapitel IV.1.a. 1275 Pessoa, E., Obras completas, Bd. I-XXV, 1955–1965. 1276 Ders., Mensagem 3.5.1921, in: Gazeta do Norte vom 28.7.1921, abgedr. in: Castro, Th. (Hg.), História documental do Brasil, 19682, S. 293–295 (Quelle IV.2.d-17). Zur Zielsetzung der Quellensammlung siehe ebd., S. 5, 9.

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gen, um den Schülern die Bedeutung der Trockenperioden zu veranschaulichen, und nicht, um sie kritisch in ein differenziertes Gesamtbild einzuordnen. Auch in jüngerer Zeit wird auf Epitácio Pessoa als vertrauenswürdigen Informanten über die Dürre, ihre gesellschaftlichen Konsequenzen und politischen Erfordernisse gesetzt. Der Agronom, Publizist und Politiker Gileno De Carli beschränkt sich in dem Kapitel „Epitácio Pessoa e as secas“ seines Buches Séculos de secas großteils darauf, Redebeiträge Pessoas zu zitieren.1277 Darin wird dessen politisches Wirken als ein patriotischer Kampf gegen „Hunger und Elend (...) des paraibanischen Volkes“ beschrieben.1278 Carli kommentiert: „Epitácio Pessoa, stark, brillant, überzeugend und furchtlos, war der Mann, den der Nordosten brauchte, um in jeglicher Beziehung die Kluft zwischen den gegebenen Verhältnissen und den Bedürfnissen der Region zu überwinden.“1279 Die Zeit nach der Präsidentschaft Pessoas, vom Abbruch der Arbeiten durch Artur Bernardes gezeichnet, tituliert Carli als „dunkle Ära“.1280 Der pernambucanische Autor stand der Agrarindustrie des Nordostens nahe, so dass seine Lobpreisung Pessoas mit einer generellen Übereinstimmung der ökonomischen Interessen und gesellschaftlichen Einstellung erklärt werden kann.1281 Dies trifft auf die zitierten Historiker der jüngeren Generation Lúcia Ferreira, José Batista und Marco Antonio Villa nicht zu; doch auch sie übernehmen weitgehend, zum Teil völlig vorbehaltlos, die Argumente Epitácio Pessoas. In ihrem Fall scheint die Solidarisierung mit dem Präsidenten aus dem Nordosten in einer gemeinsamen Aversion gegen die Konkurrenzregion im Süden des Landes begründet zu sein. Wie bereits beschrieben, hat Lúcia Ferreira zwar nicht den Oligarchieführer Epitácio Pessoa, wohl aber den oligarchischen Missbrauch der Dürrearbeiten im Nordosten dafür verantwortlich gemacht, dass ein nachhaltiger sozialer Nutzen der Projekte ausblieb. Darüber hinaus habe das Entwicklungsprogramm Epitácio Pessoas „größte Widerstände seitens der Oligarchien im Süden“ erfahren.1282 Die politische Machtposition der Kaffeeregion markiert Ferreira als unüberwindbare 1277 Carli, Séculos de secas, 1984, S. 107–124, mit Reden Epitácio Pessoas aus den Jahren 1891, 1915, 1919, 1921. Gileno De Carli (Recife, 1908–97) war unter anderem Bundesabgeordneter für Pernambuco in den Jahren 1959–63. Für nähere Ausführungen siehe FGV, „Gileno De Carli“, in: CPDOC/FGV, Acervo. Verbete biográfico, cpdoc.fgv. br. 1278 Pessoa, E., Parlamentsrede vom 20.8.1891, zit. in: Carli, Séculos de secas, 1984, S. 107 (Quelle IV.6.c-17). Zum Original siehe Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 (Quelle IV.2.b-02 bzw. IV.2.e-07). 1279 Carli, Séculos de secas, 1984, S. 111 (Quelle IV.6.c-18). 1280 Ebd., S. 124, 129. 1281 Zu einer kritischen Haltung gegenüber Carlis politischen Aktivitäten im Rahmen der Entwicklungsbehörde für den Nordosten (SUDENE) siehe Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 119. 1282 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 103 (Quelle IV.6.c-19), 125 f.

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Barriere. Pessoa habe einige Male gegen die dominanten Politiker aus dem Süden anzukämpfen versucht, letztlich jedoch seine Grenzen gegenüber den Gruppierungen, die ihn zum Regierungschef ernannt hatten, anerkennen müssen. Der Präsident aus der kleinen Provinz Paraíba, auf sich selbst gestellt und ohne solide politische Basis auf nationalem Niveau, habe trotz seiner Bemühungen unmöglich eine Wende bringen können. Dafür hätten die Projekte noch mehrere Jahre fortgesetzt werden müssen, was von seinem Nachfolger Artur Bernardes verhindert wurde. Den eingeschlagenen Weg Epitácio Pessoas stuft Ferreira also auch an dieser Stelle als prinzipiell richtig ein. Sie beklagt indessen knappe Ressourcen für den Nordosten und eine allgemeine staatliche Begünstigung des Südens.1283 Dies sind Leitgedanken des Dürrediskurses, die jahrzehntelang in Parlament und Presse hervorgebracht wurden. Der von den südlichen Repräsentanten geäußerten Kritik am kostspieligen Nordostprogramm Epitácio Pessoas entgegnet Ferreira ebenfalls mit den Erklärungen des damaligen Präsidenten – seine Regierung habe im Süden sehr viel höhere Ausgaben als im Nordosten geleistet. Lúcia Ferreira übernimmt hierzu die Ausführungen und Zahlenangaben Pessoas, ohne sie zu überprüfen oder zu hinterfragen.1284 José Batista verfährt in gleicher Weise, mit demselben Beispiel. Das genannte Argument bezeichnet er als „Schwergewicht der Verteidigung Epitácio Pessoas“, mit dessen Hilfe jener „die Positionen des Südens fulminant auseinandernimmt“. Dabei unterstreicht Batista die von Pessoa hervorgehobene Passage, dass „in den Provinzen des Südens allein für Eisenbahnen mehr als dreimal so viel ausgegeben wurde wie die komplette Summe für den Nordosten“.1285 Außerdem rechtfertigt er die Ausgaben im Nordosten mit der auf hohen Papiergeldemissionen beruhenden Kaffeeaufwertung im Süden und zieht die Schlussfolgerung, dass „der politische Diskurs im Südosten von regionalistischen Interessen gesteuert wird“ und „die dort herrschenden Schichten (...) das vom Staat zur Verfügung gestellte öffentliche Kapital regionalisieren und privatisieren“.1286 In seiner gesamten Arbeit fokussiert Batista – ebenso wie der Dürrediskurs – die politische Dominanz des Südens und die wirtschaftspolitische Diskriminierung der übrigen Regionen. Batista zufolge war die zentralstaatliche Unterordnung der Anliegen des Nordostens unter jene des Südens 1283 Ebd., S. 125 f. (Quelle IV.6.c-20), 102. 1284 Ebd., S. 101. Zur betreffenden Rede im Original siehe Quelle IV.2.f-16. 1285 Pessoa, E., Mensagem Presidencial 1922, Brasília: Câmara dos Deputados, 1978, S. 524, zit. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 149. Zum Original siehe Pessoa, E., Mensagem 3.5.1922 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 558 f. (Quelle IV.2.f-15). Siehe auch ders., Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 15.3.1925, o. S., abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 151. 1286 Ebd., S. 149  f. (Quelle IV.6.c-22). Batista benennt die historische Region „Süden“ anachronistisch nach ihrer heutigen Bezeichnung „Südosten“.

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entscheidend für die Probleme im Trockengürtel. Als Nachweis beruft er sich auf die Beschwerden Epitácio Pessoas hinsichtlich der mangelnden Hilfsgelder für Paraíba und rühmt ihn in diesem Kontext als „unermüdlichen Kämpfer für die regionalen Belange“. Epitácio Pessoa wird als Vertreter der „excluídos“ abgebildet, welcher dank seiner Präsidentschaft eine gerechtere Machtverteilung auf nationaler Ebene erreichen konnte. In der politischen Debatte sei es Pessoa gelungen, „den Nordosten dem Südosten gleichzustellen“. Mittels ihrer Tatkraft habe die Regierung Epitácio Pessoas das „ökonomische Entwicklungspotential“ der nördlichen Provinzen aufgezeigt.1287 Batista legt diese Errungenschaften wie einen persönlichen Sieg gegen den Süden aus, als wolle er entgegen allen Prognosen die Stärke seiner Heimatregion beweisen. Auf die Anschuldigungen des Nepotismus und der Verschwendung staatlicher Gelder antwortet Batista mit den bereits zitierten sarkastischen Abwehrreaktionen Epitácio Pessoas.1288 Zwar räumt Batista ein, die Anklagen entbehrten nicht jeglichen Fundaments, unterzieht diese Aspekte aber keiner weiteren Prüfung. Stattdessen diskreditiert er deren Autoren: „Die Kritiken sind leicht zuzuordnen – sie stammen von Parlamentariern und Journalisten, die sich der Interessenvertretung des Südens verschrieben haben.“1289 In diesem Zusammenhang nennt Batista Nicanor Nascimento, dessen außerordentliches sozialreformerisches Engagement jedoch nichts mit einer „Interessenvertretung des Südens“ zu tun hatte. Auf die progressive politische Gesinnung Nascimentos geht Batista ebenso wenig ein wie Lúcia Ferreira. Erneut greift Batista auf die von Epitácio Pessoa stammende Verteidigung aus Kongressansprachen und einer Serie von Zeitungsartikeln aus dem Jahr 1925 zurück. Den als homogene Gruppe präsentierten Politikern des Südens entzieht er – mit den Worten Pessoas – die Diskurskompetenz in Fragen der Trockenperioden, indem er ihnen Unkenntnis und vorgeprägte Meinungen über die Region vorhält. Auch hiermit reproduziert Batista eines der üblichen Elemente des Dürrediskurses.1290 Angesichts seiner kategorischen Skepsis gegenüber den Oligarchien der Ersten Republik ist José Batista eigentlich prädestiniert, auch Epitácio Pessoa deutlich in seine Kritik einzubeziehen. Daher überrascht es, dass er im Gegensatz zu seinen ansonsten sehr detaillierten Ausführungen lediglich in zwei Passagen 1287 Ebd., S. 34 f., 42, 49, 69, 101, 114, 167, 189, 295, 297 (Quelle IV.6.c-23). Zur zen­ tralstaatlichen Vernachlässigung des Nordostens siehe auch ebd., S. 47. 1288 Pessoa, E., Mensagem Presidencial 1922, 1978, S. 514, zit. in: ebd., S. 113 f.; des Weiteren unterstützt Batista die betreffende Argumentation Epitácio Pessoas auf S. 173 (Quelle IV.6.c-24). 1289 Ebd., S. 147 f. (Quelle IV.6.c-25). 1290 Pessoa, E., Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 15./26.3.1925, o. S.; Lisboa, Arrojado, Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 17.3.1925, o. S., beide zit. in: ebd., S. 148, 150. Vgl. auch Quellen IV.2.d-22/23 und IV.5.a-17. Zur Diskurskompetenz siehe Kapitel III.5.b und IV.2.c.

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seiner Monographie Bedenken hinsichtlich der Dürrepolitik des paraibanischen Staatschefs äußert. Zum einen wirft er die Frage auf, wer letztlich von den Arbeiten im Nordosten profitierte, und beantwortet sie, indem er zum anderen den extrem restriktiven, auf die Agrarelite ausgerichteten Maßnahmenkatalog herausstellt. Die Akkumulation von Wasser erfüllte keinen gesellschaftlichen Nutzen, solange die Landstruktur unverändert blieb.1291 Für einen vehementen Kritiker wie Batista müsste dies genug Sprengstoff sein, um eine ausgiebige Argumentationskette zu dynamisieren. Batista bringt hingegen Verständnis für Epitácio Pessoa auf und misst dessen Politik und jene des Südens offensichtlich mit zweierlei Maß. Seine Parteilichkeit spiegelt sich sowohl in einer generell unausgewogenen Darstellung als auch in den konkreten Formulierungen wider – zurückhaltend und nüchtern, wenn es um Epitácio Pessoa geht, bissig verurteilend, sobald er seine Erbitterung über das „unpatriotische“ Vorgehen des Südens zum Ausdruck bringt.1292 Den Gesetzesentwurf zur radikalen Streichung der Nordostprojekte, von Senator Sampaio Correia aus Rio de Janeiro im Jahr 1925 verfasst, bezeichnet Batista als „schlüpfrig“ bzw. „unwürdig“.1293 Die Einwände der Abgeordneten aus dem Süden gegen Pessoas Dürreprojekte rügt er in einem sprachlichen Sturzbach der Empörung als „unsauber, (...) verlogen, zynisch, verächtlich, (...) falsch, substanzlos, parteiisch, tendenziös (...) und ideologisch motiviert“. Dem fügt er hinzu: „Jede Aussage bezeugt die soziale und politische Position ihres Autors.“1294 Während er diesen allgemeingültigen Rückschluss – der auch auf ihn selbst zutrifft – als Tadel an die Adresse der Parlamentarier aus dem Süden versteht, führt er einen ähnlichen Ausspruch zur Verteidigung Epitácio Pessoas an: „Ein historischer Akteur ist das Produkt seiner historischen Umstände.“1295 Batista begründet und entschuldigt die gesellschaftliche Haltung Epitácio Pessoas mit den Zwängen seiner Zeit, seiner Schichtzugehörigkeit und seiner politischen Laufbahn, welche seit ihren Anfängen bis hin zur Präsidentschaft vom oligarchischen Machtapparat getragen wurde.1296 Einerseits ist es wichtig, hinter den politischen Entscheidungsträgern das soziale Gefüge und den historischen Kontext zu erkennen. Andererseits darf nicht der individuelle Entscheidungsfreiraum missachtet werden, gerade im präsidentiellen Regime Brasiliens mit einer beträchtlichen Machtkonzentration in den Händen des Staatschefs. Nur so war es möglich, dass Epitácio Pessoa ein derart 1291 Ebd., S. 120, 167 f. (Quelle IV.6.c-26). 1292 Ebd., S. 159 (Quelle IV.6.c-11). 1293 Ebd., S. 151 („escabroso projeto de Sampaio Correia“). Zu weiteren Beispielen dieser Art siehe ebd., S. 152, mit Zitaten von Lisboa, Arrojado, Artikel (o. T.) in: O Jornal vom 17.3.1925, o. S. 1294 Ebd., S. 165 (Quelle IV.6.c-27). 1295 Ebd., S. 168 (Quelle IV.6.c-28). 1296 Ebd., S. 115, 168.

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umfangreiches Nordostprogramm in die Wege leiten konnte. Sein Neffe João Pessoa ging als Gouverneur Paraíbas einen Schritt weiter und versuchte, das klientelistische Räderwerk zu reformieren – und zwar gegen die eindringlichen Ratschläge seines Onkels, des Parteiführers.1297 Wie in Kapitel  III.4, IV.2.d, IV.3.c und IV.4.d beschrieben, gab es darüber hinaus zahlreiche Gegenstimmen und Alternativen zur Dürrepolitik Epitácio Pessoas. Folglich wurde ihm die konservative Ausrichtung nicht allein durch die äußeren Umstände aufgezwungen, sondern stimmte mit seiner eigenen Einstellung überein. Er war auch Subjekt, nicht nur Objekt der damaligen Machtstrukturen. Die Tatsache, dass er selbst von kritischen Historikern wie José Batista in erster Linie als Opfer der dominanten Oligarchien aus dem Süden behandelt wird, veranschaulicht den bis heute anhaltenden Erfolg des Dürrediskurses. Andere Autoren, so vor allem Marco Antonio Villa, haben in ihren Abhandlungen zu den Trockenperioden die Aussagen des Dürrediskurses sogar noch stärker assimiliert. Im Vorwort zu Villas Dürregeschichte schreibt der cearensische Senator Lúcio Alcântara: „Dieses Buch handelt von einem Thema, das zum Tabu wurde – die Dürre im brasilianischen Nordosten im 19. und 20. Jahrhundert. Sich an dieses Thema zu wagen, erfordert Mut, denn es bedeutet, sich mit der regionalen Politik und der dortigen oligarchischen Macht anzulegen und Stereotypen zu hinterfragen, die in den letzten 120 Jahren geprägt und durch ständiges Wiederholen gefestigt wurden. (...) Das Buch von Professor Marco Antonio Villa ist gewiss polarisierend (...) [und] setzt die Politik ins Zentrum der Geschichte, stets um eine globale Sicht des Problems bemüht.“1298 In Anbetracht der umfassenden akademischen Literatur zu den unterschiedlichsten Komponenten der Dürrepolitik kann kaum von einem Tabu gesprochen werden. Dies erinnert eher an eines der gängigen Statements des Dürrediskurses, welchem zufolge die Belange des Nordostens kaum zur Kenntnis genommen werden.1299 Auch die Villa zugeschriebene Kritik am oligarchischen System der Region, die Aufdeckung der stereotypen Dürregeschichte und deren profunde Aufarbeitung sind nicht auszumachen. Das Gegenteil ist der Fall, wie im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt werden soll. Der aus São Paulo stammende Villa sieht sich selbst zwar als unbeirrten Kritiker, der sich für die Dürreopfer des Nordostens einsetzt, doch tatsächlich kommen seine Ausführungen einer Neuauflage des oligarchischen Dürrediskurses nahe. Villa versucht, der leidenden Bevölkerung eine Stimme zu geben: „Dem sertanejo blieben nicht viele Auswege. Trotz aller Widrigkeiten an seiner Wohnstätte zu verweilen, war die bevorzugte Alternative. Die Liebe zum Land be1297 Siehe Kapitel IV.5.b und Quelle IV.5.b-08. 1298 Alcântara, Lúcio (Ceará, Senator 1995–2003), „Apresentação“, in: Villa, História das secas, 2001, S. 7–9 (7 f.) (Quelle IV.6.c-29). 1299 Siehe Kapitel III.3.a bzw. Quelle III.3.a.

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stimmte immer sein Leben.“1300 Dabei gibt der Autor nicht zu verstehen, dass dies insbesondere aus Sicht der Agrarelite die bevorzugte Alternative war. Sie verbreitete im Dürrediskurs jahrzehntelang das von Villa wiedergegebene Bild der passiven, bodenständigen Landbevölkerung, weil ihre politische und wirtschaftliche Macht davon abhing, die Arbeitskräfte nicht zu verlieren. In diesem Zusammenhang bestreitet Villa sogar das Bestreben der Großgrundbesitzer, die Auswanderung aus ihren Territorien abzuwenden.1301 Vermutlich glaubt er, hiermit die Gleichgültigkeit der Patrone zu offenbaren, verbirgt aber deren entscheidendes ökonomisches Interesse am Erhalt der Arbeitsbevölkerung. Ebenso wähnt sich Villa an der Seite der Dürreopfer, wenn er seine Studie mit dem Satz beginnt: „Dieses Buch erzählt vom Massaker an Millionen von nordestinos, das schließlich vergessen wurde, als sei es eine unbequeme Erinnerung für die Brasilianer, namentlich für die Machthaber.“1302 Abgesehen davon, dass Villa gerne gewaltige und nicht immer akkurate Begriffe wie „Massaker“ verwendet (ein Blutbad im engeren Sinne hat es nicht gegeben), ist seine Schlussfolgerung in Frage zu stellen. Die Dürre und ihre Opfer zählen in Brasilien zu einem der meistbeschriebenen Themen im universitären Umfeld, und gerade die Machthaber des Nordostens haben im Nationalkongress stets an die unzähligen Todesfälle erinnert, um ihre Forderungen im Bereich der Dürrebekämpfung durchzusetzen. Von der ‚Großen Dürre‘ bis in die Regierungszeit Epitácio Pessoas sind in ihrem Diskurs Termini wie „Hekatombe“ zu finden, die auch Villa benutzt.1303 Wahrscheinlich bezieht sich Villa auf die Machthaber des Südens, die er in seinem Werk – wie noch zu zeigen sein wird – hauptsächlich für die Misere im Dürregebiet verantwortlich macht. Die Zahl der Todesopfer wurde in der Fachliteratur längst nach unten korrigiert, in keiner Weise jedoch aus dem Blickfeld verdrängt. Francisco de Oliveira resümiert: „Millionen von nor­

1300 Ebd., S. 84; siehe auch ebd., S. 52 und Almeida, José Américo de, A bagaceira, Rio de Janeiro: José Olympio, 198522 (19281), S. 4 (Quelle IV.6.c-30). 1301 Villa, História das secas, 2001, S. 58. Siehe ausführliche Informationen zu dieser historisch und historiographisch widersprüchlichen Position Villas in Kapitel II.2.b. 1302 Ebd., S. 13; siehe auch ebd., S. 250 (Quelle IV.6.c-31). 1303 Siehe Kapitel  II.3.a und IV.2.e bzw. Vasconcellos (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879, S. 60 (Quelle II.3.a-02); Pessoa, E., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 19 (Quelle IV.2.e-09) und Villa, História das secas, 2001, S. 61 („hecatombe“). Hekatombe kann „Massensterben“ bedeuten (Duden: „einem unheilvollen Ereignis o. Ä. zum Opfer gefallene, erschütternd große Zahl von Menschen“), gewinnt bei Villa durch die synonyme Verwendung zu „Massaker“ (Quelle IV.6.c-31) hingegen die ihr im Portugiesischen eigene Konnotation von „Massenmord“, „Gemetzel“ (Dicionário Aurélio – Século XXI: hecatombe = matança humana, carnificina).

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destinos starben, Opfer eines Unterdrückungssystems“.1304 Während Oliveira die Strukturen durchleuchtet, welche Abhängigkeit und Armut im Nordosten perpetuierten und die Menschen anfällig für gravierende Klimaeinbrüche machten, geht Villa kaum darüber hinaus, die Todesopfer zu zählen. Seine Dürregeschichte ist weitgehend darauf beschränkt, das Ausmaß der Naturkatastrophen zu beschreiben, ohne dabei die Angaben aus den von ihm spärlich oder nicht belegten Quellen zu überprüfen oder die Hintergründe zu erforschen. So erklärt er die verheerenden Auswirkungen der ‚Großen Dürre‘ von 1877 nicht mit der seit Beginn der Dekade desolaten Wirtschaftslage, sondern führt lediglich die Vernachlässigung durch den Staat an, der späteren Grundsatzrechtfertigung des Dürrediskurses. Gemäß Marco Antonio Villa erfolgten ökonomischer Niedergang und politische Isolierung der Region als Nachwirkung auf die Trockenperiode von 1877–79, ungeachtet der Tatsache, dass diese Prozesse lange vor der ‚Großen Dürre‘ eingesetzt hatten und durch sie nur verstärkt wurden.1305 Auch bei der Betrachtung der folgenden Jahrzehnte schenkt Villa den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen im Nordosten kaum Beachtung, mit Ausnahme einiger seltener Randbemerkungen, die er nicht in seinen allgemeinen Argumentationsstrang integriert bzw. nicht konsequent verfolgt. Einerseits weist er auf den paradoxen Zustand hin, dass die vollen Staubecken im Dürregebiet weder ökonomisch genutzt wurden noch den Menschen während der Trockenperioden zugute kamen, andererseits spricht er weiterhin vom Wassermangel als Kern der regionalen Probleme.1306 Die Aussage des Bundesabgeordneten Josué de Castro, es seien strukturelle Veränderungen, eine Landreform und eine sinnvolle Verwendung der Investitionen in die Region erforderlich, wird von Villa ausgehöhlt, indem er Castro vorwirft, die Bedeutung des Naturphänomens herunterzuspielen.1307 Villa konzentriert seine Kritik auf die Bevorzugung des Kaffee anbauenden Südens („República do Café“) mit der Kehrseite der finanziellen und wirtschaftspolitischen Benachteiligung des Nordostens. Die 1304 Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 15 (Quelle IV.6.c-32). Zur Zahl der Todesopfer siehe auch Kapitel II.1.b. 1305 Villa, História das secas, 2001, S. 83, 105, 110; ders., Que braseiro, 2005, S. 15. Zum historischen Kontext siehe Kapitel II.2.a und II.3.c. 1306 Ders., História das secas, 2001, S. 200 f., 214, 251. Zu einer der wenigen Andeutungen der lokalen politischen Dimension der Dürreproblematik siehe ebd., S. 97 (Quelle IV.6.c-33). 1307 Castro, Josué de, Rede von 1956, ohne weitere Quellenangaben zit. in: ebd., S. 187. Auch viele andere Autoren vermitteln noch heute den Eindruck, die Dürre sei die Ursache allen Elends im Sertão. Siehe z.B. Oliveira, Flávia, „Vida severina: Esperança no semi-árido. Unicef inicia mobilização para espalhar por 1.444 cidades ações que salvam crianças“, in: O Globo (Rio de Janeiro) vom 13.3.2005, S. 31: „Dieser Flecken Brasiliens, der seit jeher von der Dürre gepeinigt wird, weist die schlechtesten Sozialindikatoren des Landes auf.“

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Dürrebekämpfung der Regierung Pessoa habe seitens der café-com-leite-Provinzen vehementen Widerstand erfahren: „Epitácio Pessoa beantragte beim Nationalkongress die Autorisierung von Hilfsgeldern über 200.000 Contos. Obschon es erneut ein Dürrejahr war [1919], erlangte er aufgrund der starken Opposition der São Paulo-Fraktion nicht die angestrebte Summe, initiierte aber dennoch ein umfangreiches Bauprogramm für den Sertão.“1308 Indem Villa betont, Pessoa habe sich mit seinen Kreditforderungen nicht vollständig gegen die Parlamentarier aus dem Süden durchgesetzt, bekräftigt er deren negative Rolle für die Entwicklung der Dürreprovinzen. Allerdings ist den Quellen zu entnehmen, dass es dem Präsidenten aus dem Nordosten sehr wohl gelang, die volle – bis dahin unvorstellbar hohe – Summe für seine Heimatregion zugesprochen zu bekommen. Bezeichnenderweise erreichte er dies durch umfassende Zugeständnisse an die Kaffeeoligarchie des Südens.1309 Villa setzt Epitácio Pessoa hingegen in ein heroisches Licht, weil er mit seiner Nordostpolitik eine für das System des café-comleite unübliche politische Unabhängigkeit bewiesen und sich nicht dem Willen der dominierenden Provinzen des Südens untergeordnet habe.1310 Teilweise hat er damit durchaus recht, wie in Kapitel IV.1.c veranschaulicht wurde. Villa ist indessen vorzuhalten, dass er durch Schwarz-Weiß-Malerei und die einseitige Fokussierung auf den Nord-Süd-Konflikt viele Schattierungen ausblendet, vor allem die Schattenseiten der repressiv-autoritären Politik Epitácio Pessoas. In ihren Grundzügen stimmt Villas Dürregeschichte mit den Kernaussagen des oligarchischen Dürrediskurses überein: Er legt das Hauptgewicht auf den Aspekt der Naturkatastrophe, lobt den einzigartigen Einsatz Epitácio Pessoas für die leidende Bevölkerung und klagt die Opposition aus dem Süden und die sich daraus ergebende Verweigerung von Hilfeleistungen an. Im Gegensatz zu Villas Darstellung war das primäre Problem nicht der Mangel an Staatsgeldern, sondern deren Verwendung, sprich deren Zweckentfremdung durch die Kommissionäre und coronéis.1311 Obwohl Villa stellenweise das Handeln der Oligarchien aus dem Nordosten in Zweifel zieht, schwächt er letztlich deren Verantwortung für die regionalen Probleme ab: „Es entstand eine regelrechte 1308 Villa, Que braseiro, 2005, S. 17 (Quelle IV.6.c-34); ders., História das secas, 2001, S. 88, 124 f., 129, 132 f., 175, 250. 1309 „Redacção final do projecto n. 465, de 1919, que autoriza à construcção de obras de irrigação necessarias ao nordeste do paiz“, in: Anais da Câmara, 28.11.1919, S. 926 (Quelle IV.6.c-35). Auf die dort genannte Summe von 200.000 Contos bezog sich Epitácio Pessoa auch in seiner Jahresbotschaft an den Kongress aus dem Jahr 1922 (Quelle IV.4.d-24). Siehe hierzu Kapitel  IV.3.c bzw. Quelle IV.3.c-06. Zu Pessoas Kompromisspolitik gegenüber der Kaffeeregion siehe Kapitel IV.2.f. 1310 Villa, História das secas, 2001, S. 127, 137. Zur Politik des café-com-leite siehe auch Kapitel III.5.e. 1311 Zu Villas Position siehe z.B. ebd., S. 102, 104, 114 (Quelle IV.6.c-36), zu den konträren historischen Begebenheiten siehe Kapitel IV.4.e.

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‚Anschuldigungsindustrie‘ [gemeint sind die Anklagen der Abgeordneten aus dem Süden], als ob jegliche Unternehmung der Zentralregierung im Nordosten in einer Unterschlagung der Gelder zu Gunsten der Oligarchien resultiere.“1312 Mit diesem Wortspiel, einer ironischen Anspielung auf einen südlichen Konterpart zur Dürreindustrie, verharmlost der Autor deren Ausmaß und Bedeutung. Dies ist – vorsichtig formuliert – nachlässig, wenn man allein an das Beispiel des Hafenbaus unter der Regierung Pessoa denkt, wo Unsummen ergebnislos im Morast der paraibanischen Hauptstadt versickerten.1313 Im letzten Absatz seines Buches äußert Villa eine pointierte Systemkritik, die sich von der restlichen Arbeit abhebt: „Bis zum Ende der Regierung Figueiredo [1979–85] waren zwei essentielle Fragen nicht gelöst worden, um der Dürre zu entgegnen und mit ihr zu leben: Land und Wasser. Das brachliegende Latifundium und das Wassermonopol verhinderten jeglichen sozioökonomischen Wandel. (...) Die Bewahrung der Privilegien in Händen der Mächtigen – die von Joaquim Nabuco bereits im 19. Jahrhundert denunzierten landlords – führte zur Verewigung des Elends und zur Wiederholung eines makabren Schauspiels bei jeder Dürre, mit Abertausenden von Toten.“1314 Lässt man seinen Hang zu in­adäquaten Ausdrücken wie „makabres Schauspiel“ als Bezeichnung für die Todesopfer einmal außer Acht, stellt Villa in aufschlussreicher Weise die ungerechte Verteilung und missbräuchliche Verwendung von Land und Wasser durch die lokalen Potentaten als wesentliche Ursachen für die ­Misere im Nordosten heraus und spannt in diesem Zusammenhang einen Bogen vom 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Umso mehr verwundert es, dass er trotz dieser Erkenntnis Epitácio Pessoa – zwei Dekaden lang das uneingeschränkte Oberhaupt der paraibanischen Führungsoligarchie – aus seiner Kritik ausschließt. Darüber hinaus ist anzumerken, dass Villa den Eindruck erweckt, die Trockenperioden hätten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ungebrochen hohe Zahlen an Todesopfern gefordert. In Wirklichkeit hat durch die verbesserte Infrastruktur im Hinterland die Sterblichkeitsrate seit der Ersten Republik ­ oelho, der seit den 1970er-Jahren im Rahmen der stark abgenommen. Jorge C Associação Brasileira de Reforma Agrária konstruktive Kritik an den Regierungsprogrammen übt, beschreibt in seinem Werk As secas do Nordeste e a indúst­ ria das secas zwar ebenfalls das große Elend während der Dürre von 1979–83, doch von Todesopfern spricht er nicht. Um nicht verhungern zu müssen, habe 1312 Ebd., S. 252; zu den kritischen Randbemerkungen siehe ebd., S. 248, 251 f. (Quelle IV.6.c-37). 1313 Siehe Kapitel IV.4.e. 1314 Ebd., S. 253 f. Auch in einem Zeitungsartikel von 2005 liefert Villa ein nuancierteres Bild der regionalen Problematik; ders., „Transposição: uma idéia ultrapassada“, in: Folha de S. Paulo (São Paulo) vom 16.2.2005, S. A3 (Tendências/Debates). (Quelle IV.6.c-38.)

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sich die Landbevölkerung über alle Maßen bei den Händlern verschuldet und es habe zahlreiche Plünderungen gegeben. Im Gegensatz zur ‚Großen Dürre‘ von 1877–79 sei die Bevölkerung hundert Jahre später indessen nicht mehr im Hinterland an den Konsequenzen der Dürre gestorben, sondern habe zuvor in die Küstengebiete ausweichen können. Allerdings seien dort die sozioökonomischen Strukturen kaum vorteilhafter als im Sertão und dementsprechend die Entbehrungen ebenso groß gewesen.1315 Zu diesem Ergebnis gelangen auch Otamar de Carvalho und Gustavo Maia Gomes. Carvalho zufolge lebte zur Zeit der Dürre von 1979–83 die Hälfte der Bevölkerung des Nordostens unterhalb der Armutsgrenze; Todesfälle als unmittelbares Resultat der ausbleibenden Niederschläge seien aber nicht zu verzeichnen gewesen.1316 Maia Gomes vermerkt in seiner Auflistung der Trockenperioden, dass es seit den 1940er-Jahren nur noch in Einzelfällen zu Todesopfern gekommen sei. Ein Massensterben habe es nicht mehr gegeben, und selbst die Zahl der Dürreflüchtlinge habe drastisch abgenommen.1317 Villa behauptet hingegen, es habe noch bei der Dürre von 1979–83 mehr als 100.000 Tote gegeben und bezieht sich dabei auf vermeintliche Aussagen der Gouverneure aus dem Nordosten, ohne irgendwelche Quellen anzugeben.1318 Auch an dieser Stelle geht Villa nicht darauf ein, dass die Politiker der Region ein Interesse daran hatten, durch Katastrophenberichte die Aufstockung zentralstaatlicher Finanzhilfen zu erwirken. Carvalho legt dar, dass etwa im klimatisch unproblematischen Jahr 1982 die Dürregelder nur aus politischen Gründen weitergezahlt wurden. So hatte noch 60 Jahre nach der Präsidentschaft Pessoas dessen Legat der ‚politischen Dürre‘ Bestand.1319 Epitácio Pessoa, in der Ersten Republik das einzige Staatsoberhaupt aus dem Nordosten, genießt bis heute in weiten Teilen der Geschichtsschreibung eine Art regionalspezifischer Immunität. Nur wenige Autoren führen unmissverständlich und kompromisslos die Zwiespältigkeit seiner Dürrepolitik vor Augen, wie etwa Linda Lewin (University of California, Berkeley) und Rosa Maria Godoy Silveira (São Paulo, später Universidade Federal da Paraíba). Lewin grenzt das ehrwürdige Gedenken an Pessoa klar ein: „Nach der Wahl zum Präsidenten versprach er seiner Heimatprovinz, sich ihr gegenüber dankbar zu zeigen, was er mit dem von seiner Regierung geförderten Dürrehilfsprogramm bestätigte. Er wird dort und im gesamten Nordosten nach wie vor als der Staatschef in Erinnerung gehalten, welcher nicht nur während seiner eigenen Amtszeit ein gestärktes IFOCS-Programm ins Leben rief, sondern den Grundstein 1315 Coelho, Jorge, A indústria das secas, 1985, S. 39, 42, 60. 1316 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 261 (Quelle IV.6.c-39). 1317 Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 91, 93. 1318 Villa, História das secas, 2001, S. 247. 1319 Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 265–269. Zur politisch opportunen Trockenperiode im ersten Regierungsjahr Epitácio Pessoas siehe Kapitel IV.3.c.

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für die massiven staatlichen Dürreprojekte unter der Vargas-Diktatur und den folgenden populistischen Regierungen legte. Andererseits festigte sein Einsatz für die Dürrebekämpfungsmaßnahmen in Paraíba – mittels der von ihm an seine Gouverneure kanalisierten Patronage – langfristig die Herrschaft der Elitefamilien in der Region (...).“1320 Im selben Tenor schreibt Silveira: „Epitácio Pessoa handelte vor einem oligarchischen Hintergrund, und die Errichtung der Stauanlagen, Straßen und Brunnen konsolidierte das Bollwerk seiner Gleichgesinnten und damit seines Machtkreises, der solidesten und langlebigsten Führungsoligarchie des paraibanischen Staates. Verlierer dieses Wettkampfes war die Bevölkerung.“1321 Diese Einschätzung stammt aus dem Vorwort zur Studie von Lúcia Ferreira über die Ursprünge der Dürreindustrie, womit Silveira in ihrer kurzen Einleitung sehr viel deutlichere Worte zu Epitácio Pessoa findet als Ferreira in der eigentlichen Untersuchung. Gemäß Lúcia Ferreira war die Präsidentschaft Pessoas die goldene Periode der Dürreindustrie, weil durch seinen Einsatz immense Summen an Regierungsgeldern in die Region flossen, die missbraucht werden konnten. Eine direkte oder indirekte Partizipation oder Interessenvertretung seinerseits deutet sie jedoch nicht an. Ganz im Gegenteil präsentiert sie Epitácio Pessoa als Exempel eines rechtschaffenen Staatsdieners, der nur auf das Wohl des Volkes bedacht war und dessen ehrenhafte Rettungspläne für den Nordosten von den Machenschaften unpatriotischer Zeitgenossen durchkreuzt wurden.1322 Auch der paraibanische Journalist und Biograph Fernando Melo sieht in Epitácio Pessoa einen überzeugten Mann des Gesetzes, der nie Unrecht begangen habe, selbst wenn er angesichts der schwierigen Umstände seiner Präsidentschaft viel kritisiert worden sei. In diesem Kontext würdigt Melo ihn mit einem Zitat von Aristoteles: „Größe bedeutet nicht, Ehrung zu empfangen, sondern sie zu verdienen.“1323 Offensichtlich hat Melo, wie so viele seiner Landsleute in Geschichte und Gegenwart, das Gefühl, Epitácio Pessoa und mit ihm seine Heimatregion seien nicht ausreichend beachtet und geachtet worden. Mit Blick auf Pessoas weit verbreitete Hochschätzung in der brasilianischen Politik und Historiographie trifft eher das Gegenteil zu – trotz seiner restriktiven, auf die schmale Schicht der wirtschaftspolitischen Elite ausgerichteten Aktivitäten scheuen sogar Skeptiker vor harscher Kritik zurück. Dies ist wohl darin begründet, dass Epitácio Pessoa dem Nordosten zeitweise zu einer erhöhten Position auf nationaler Ebene verholfen und den Menschen Hoffnung gegeben hat; sie 1320 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 308 f. (Quelle IV.6.c-40). 1321 Silveira, Rosa, „Apresentação“, in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 11 (Quelle IV.6.c-41). 1322 Ebd., S. 122; siehe auch die oben zitierten Beispiele in Quellen IV.6.c-13/14/15/16. 1323 Aristoteles, ohne Quellenangabe zit. in: Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 8 (Quelle IV.6.c-42; siehe dort auch ein Zitat Epitácio Pessoas).

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scheint sich bis heute erhalten zu haben, obschon sie faktisch enttäuscht wurde. Ausgehend von der fragwürdigen Vorstellung eines einzigartigen „Retters“ seiner Heimatregion,1324 hat sich ein ungebührlicher Respekt vor seiner Person etabliert, wodurch eine unvoreingenommene Annäherung an seinen ambivalenten Charakter erschwert wird. Seine vermeintlich „kühne“1325 Konfrontation mit den dominanten Gruppierungen des Südens hat dem Präsidenten aus dem Nordosten dauerhafte Sympathie und Solidarität in der Region gesichert. Besonders bei José Batista sticht hervor, dass er nicht die Distanz eines Außenstehenden wahrt und sich zum verlängerten Arm der polemischen Diskussion um die interregionalen Divergenzen zwischen Norden und Süden macht. Auf diese Weise bleibt das vom Dürrediskurs geschaffene Bild bestehen und wird – vermutlich unbewusst und ungewollt – sogar von ansonsten kritischen Autoren kultiviert. Eine differenziertere Darlegung der sozialpolitisch motivierten Einwände gegen Pessoas Dürrepolitik hätte wahrscheinlich nicht nur das Ansehen des „verdienten“ Paraibaners1326 beeinflusst, sondern die Wirkung des Dürrediskurses insgesamt beeinträchtigt.

1324 Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966, S. 79 („redentor“, Quelle I.2.b-01). 1325 Villa, História das secas, 2001, S. 129. 1326 Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 8 (Quelle IV.6.c-42).

V. Schlussfolgerungen und Ausblick

1. Die „Erfindung“ der Dürre und des Nordostens seit 1877/79 Albert Hirschman nannte die Dürre „das ursprüngliche und lange Zeit einzige mit Klarheit wahrgenommene Problem des Nordostens“ und griff zur Erläute­ rung auf die verhängnisvollen Jahre von 1877–79 zurück.1327 Jene dreijährige Trockenzeit stellte einen richtungweisenden Einschnitt für die Perzeption und Bedeutung der Trockenperioden dar. Seit jeher waren die Menschen in der Re­ gion durch das Klima belastet worden, doch erst die sogenannte ‚Große Dürre‘ ließ die brasilianische Zentralregierung aktiv werden. Starke Proteste im Parla­ ment und in der Presse nötigten das kaiserliche Kabinett, sich einer bisher auf die regionalen politischen und gesellschaftlichen Sphären beschränkten Angele­ genheit anzunehmen. In den zeitgenössischen Berichten und der traditionellen Historiographie wird auf die unübertroffen hohe Zahl an Todesopfern verwie­ sen. Beim Vergleich mit vorherigen Trockenperioden stellt sich indessen he­ raus, dass es mehrere Jahrhundertdürren mit ähnlichen Verlusten gegeben hatte, zumindest in Relation zur jeweiligen Bevölkerungsdichte. Der wesentliche Un­ terschied war 1877–79 weniger die Anzahl der Dürreopfer als vielmehr deren soziale Herkunft. Waren zuvor in erster Linie Sklaven und mittellose Landarbei­ ter den Klimaeinbrüchen wehrlos ausgeliefert gewesen, mussten sich nun auch unzählige Landbesitzer – sogar Latifundisten – den Zügen der Dürreflüchtlinge anschließen. Dieses Bild der Misere, die selbst die höchsten gesellschaftlichen Schichten erfasste, verursachte Mitleid und Schrecken, rief landes- und welt­ weite Hilfskommissionen ins Leben und führte zur Nationalisierung der Dürre­ bekämpfung. Die damalige Auflösung der hergebrachten Strukturen war jedoch zu umfassend, um allein durch die Trockenperiode erklärt werden zu können, zumal die Region schon vor der Dürrekatastrophe zu einem sozialen Unruhe­ herd geworden war: Messianische Bewegungen, Revolten, Banditentum und gewaltsame Konflikte zwischen den Landherren waren ein deutliches Zeichen für eine allgemeine gesellschaftliche Unzufriedenheit und Desorganisation. Sie waren die Folge tiefgreifender Veränderungen im nationalen und internationa­ len Gefüge der ökonomischen und sozialen Beziehungen. Die traditionellen Arbeitsverhältnisse wurden allmählich durch kapitalistische Modelle ersetzt, wobei der Süden des Landes längst die einstige wirtschaftliche Führungsrolle des Nordens übernommen hatte. Dies wurde bereits im 18. Jahrhundert in der 1327 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 23.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Verlegung des Regierungsapparates von Salvador nach Rio de Janeiro ersicht­ lich. Verschiebungen auf dem Weltmarkt und die Gründerkrise der 1870erJahre besiegelten weiter den Niedergang der regionalen Exportproduktion. In dieser Situation traf die außerordentliche Trockenperiode von 1877–79 den Norden ohne Abwehrkräfte und wurde zum Sinnbild der gesellschaftlichen Zerrüttung.1328 Die Oligarchie wurde nicht nur erstmals zu einem direkten Dürreopfer, sie musste außerdem durch die massenhafte Abwanderung der Landbevölkerung – also ihrer Arbeitskräfte und Herrschaftsgrundlage – einen empfindlichen und dauerhaften Machtverlust im eigenen regionalen Einfluss­ bereich befürchten. Wie sich bald zeigte, sollte es jedoch anders kommen; denn dank der schlagartigen nationalen Aufmerksamkeit erwies sich das Problem der klimatischen Drangsal zugleich als Lösung für die wirtschaftlich geschwächte Agraroligarchie. Die Dürre wurde zum argumentativen Passepartout, um erst unregelmäßige Hilfsgelder, dann vereinzelte Staatsinvestitionen in die unterent­ wickelte Infrastruktur und schließlich permanente Institutionen zur Dürrebe­ kämpfung zu erzielen. Technologische Errungenschaften wie moderne Hafen­ anlagen, Eisenbahnlinien und Telegraphenleitungen, die im Süden des Landes der Prosperität den Weg ebneten, wurden von den Oligarchien des Nordens im Namen der unter den Trockenperioden leidenden Bevölkerung eingefordert. Im Zuge der ‚Großen Dürre‘ erfuhr das Phänomen der Trockenperioden des Nordens folglich eine essentielle Veränderung: Aus einem mehr oder weni­ ger regulären Ausbleiben der Niederschläge, das jährlich ungefähr von Mai bis November auftrat und sich im Durchschnitt alle vier Jahre über die gewohnten Monate hinaus ausdehnen und vorübergehend die Landwirtschaft lahmlegen konnte, wurde ein systematisches Instrument zur zentralstaatlichen Förderung der regionalen Agrarelite. Dieser Mechanismus rief im Nationalkongress fast unmittelbar Skepsis hervor, worauf sich wiederum die Nachdrücklichkeit der Elendsbeschreibungen aus dem Norden verstärkte. Die Kritiker argwöhnten, „künstliche Dürren“ und fiktive Maßnahmen zur Dürrebekämpfung könnten „erfunden“ werden, um Hilfskredite in die Region zu kanalisieren und voll auszuschöpfen.1329 Unzählige bekannt gewordene Fälle von Unterschlagungen während der Trockenperiode von 1877–79 bestätigten die Befürchtungen. Mit dem Begriff der „Erfindung“ von Naturkatastrophen wurde in erstaun­ lich treffender Weise das diskursive Element der aufkeimenden Dürrepolitik angedeutet. Der Dürrediskurs erzeugte nach und nach eine soziale Realität, die

1328 Monteiro, Violência no Nordeste 1850–89, 1978, S. 181, 184; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 44, 64, 408. 1329 Jaguaribe (Ceará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 66 (Quelle II.3.b-03); Zacarias (Ba­ hia), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 251 (Quelle II.3.b-01).

Die „Erfindung“ der Dürre und des Nordostens seit 1877/79



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es zuvor nicht gegeben hatte und die politisch genutzt werden konnte.1330 Zwar war die Argumentation auf reellen Begebenheiten begründet – den Trockenpe­ rioden und der erdrückenden Armut im Hinterland des Nordens –, doch der verbindliche, andere Interpretationen ausschließende Nexus zwischen beiden Faktoren wurde erst im Diskurs hergestellt. Die Erfahrung der ‚Großen Dürre‘ mit Hunderttausenden von Todesopfern erlaubte es den Repräsentanten der Region, das Klima überzeugend als Wurzel allen Übels auszugeben. Die düstere Prophezeiung, das Massensterben würde sich ohne umfangreiche Staatshilfen wiederholen, brachte selbst die misstrauischen Gegenspieler aus dem Süden zum Schweigen und erwirkte die parlamentarische Bewilligung der staatlichen Dürrebekämpfung. Angesichts dieser Entwicklung war es plötzlich von Vorteil, zum Trockengürtel zu gehören und Hilfszahlungen zu empfangen. Immer mehr Gebiete erhoben entsprechende Ansprüche, so dass eine klare geographische Ab­ grenzung erforderlich wurde. Als Resultat zeichnete sich auf der brasilianischen Landkarte eine neue Untergliederung ab: Aus dem von den Trockenperioden betroffenen Teil des Nordens bildete sich der Nordosten als ‚Region der Dürre‘ heraus. Die wirtschaftlichen Umstände der ‚Großen Dürre‘ und deren gesell­ schaftspolitische Konsequenzen hatten die Trockenperioden zum maßgeblichen Charakteristikum der Region werden lassen oder genauer gesagt den Nordos­ ten unter diesem Kriterium überhaupt erst erschaffen. Wo über Jahrhunderte hinweg die lukrativen Zuckerplantagen an der Küste und die stolze Kultur der Viehzucht im Hinterland identitätsstiftend waren, wo die Trockenheit ledig­ lich als sporadische Widrigkeit der Natur wahrgenommen worden war, sollte Letztere nun den Mittelpunkt eines energisch verfochtenen Regionalismus dar­ stellen.1331 Der Nordosten, dessen allgemeine Notsituation sozioökonomische Ursachen hatte, jedoch mit der Dürre assoziiert wurde, erwuchs also aus einer Schwäche. Umso stärker waren die Argumente zur Verteidigung seiner noch nicht gesicherten Existenz. Die Rückständigkeit im Vergleich zum Süden, derer man sich früher geschämt hätte, wurde nun unter neuen Prämissen offen auf die politische Agenda gesetzt. Die Dürre ermöglichte es, die erbärmliche Wirt­ schaftslage zum Aushängeschild der Region zu machen und vom Süden hu­ manitären, brüderlichen Beistand zu erbitten, ohne das Gesicht als ehemaliges Produktionszentrum der brasilianischen Kolonie zu verlieren; denn für den Re­ genmangel konnten die Abgeordneten schwerlich zur Verantwortung gezogen werden. Seit die kaiserliche Regierung 1877 die Dürre zu einer nationalen Auf­ gabe erhoben hatte, gingen die Politiker aus den Trockengebieten sogar so weit, die Verantwortlichen für die ungelöste Dürreproblematik in Rio de Janeiro zu suchen. Zudem boten die parlamentarischen Debatten ausreichenden Anlass, 1330 Siehe hierzu Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 20007 (19721), S. 34 („Man muß den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun“). 1331 Greenfield, Realities of images: the Great Drought, 2001, S. 104.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

alte Ressentiments aufbrechen zu lassen und die Bevorzugung des Südens ge­ genüber den „systematisch vom Staat vergessenen und vernachlässigten“ Provin­ zen des Nordens aufs Schärfste zu verurteilen.1332 Zur effektiveren Durchsetzung ihrer Interessen schlossen sich die politischen Vertreter der Dürrestaaten im Nationalkongress immer mehr zu einem Regio­ nalblock zusammen und sprachen mit einer Stimme. Insbesondere der Wider­ stand aus dem Süden und die gemeinsame Opposition gegenüber den südlichen Antagonisten schweißten die sich einander annähernden Provinzen des Norte seco zum ‚Nordosten der Dürre‘ zusammen. Dessen Eigenarten wurden stets mit Blick auf die klimatischen Einflüsse und die Andersartigkeit im Verhältnis zum Süden definiert und sukzessive als zentrale Erkennungsmerkmale der neuen Re­ gion verinnerlicht. Dieser Prozess vollzog sich größtenteils diskursiv bzw. im Austausch mit dem Süden interdiskursiv; das heißt, die sich dabei herauskristal­ lisierende regionale Identität war in weiten Stücken diskursiv konstruiert. Der Erfolg und Erhalt des ihr zugrundeliegenden Dürrediskurses war allerdings bei weitem nicht auf das hier skizzierte politische Umfeld beschränkt.

2. Die Strukturen des Dürrediskurses – Akteure und ­Korrelationen Wie ist zu erklären, dass sich der Dürrediskurs mit seiner durchsichtigen – um nicht zu sagen fadenscheinigen – Argumentationsbasis jahrzehntelang gegen beachtliche Widerstände, vor allem aus dem Süden, behaupten konnte, es zum Teil bis heute erreicht? Drei miteinander verbundene Elemente sind dafür fun­ damental – der flüchtige Charakter sozialer Realität, die Diskurskompetenz und die „symbolische“ Macht von Diskursen.1333 Die von uns wahrgenommene Wirklichkeit ist unweigerlich individuell, weil wir sie immer nur durch unsere eigenen Filter aufnehmen können. Mit jedem Perspektivenwechsel, sei es unse­ rerseits oder von außen, ändert sich unsere Situierung in und gegenüber der sich in ständiger Bewegung befindlichen sozialen Welt. Folglich erkennen wir uns in den verschiedensten, mitunter gegensätzlichen Diskursen und Klassifizierungen wieder, ohne darin einen Widerspruch zu vermuten; denn die Sinngebung ist ebenso flexibel und unbeständig wie die in wechselseitiger Abhängigkeit zu ihr stehende Realität. Werden aus einer Position diskursiver Kompetenz Aussagen geäußert, die sich glaubwürdig in der kollektiven Vorstellung verwurzeln kön­ nen, tragen sie zur Verwirklichung dessen bei, was sie verkünden. Voraussetzung hierfür ist das Funktionieren der „symbolischen Herrschaft“, die nicht greifbar 1332 Pessoa, E. (Paraíba), Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 (Quelle IV.2.f-02). Siehe auch ders., Anais da Câmara, 21.10.1891, S. 494 f. (Quelle IV.2.f-03). 1333 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 26–28.

Der Dürrediskurs – Akteure und Korrelationen



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ist, sich hingegen latent über den Diskurs auswirkt, in Unkenntnis sowohl des Redners als auch des Rezipienten. Beide sind ihr unterworfen, und nur dann kann sie ausgeübt werden.1334 Es handelt sich nicht um die konkreten mate­ riellen oder ideologischen Ziele, die mit einem bestimmten Diskurs verfolgt werden, sondern um die unterschwellige Struktur des ‚Sagbaren‘. Finden die Symbole des Gesagten keine Akzeptanz, so sind sie nicht in der Lage, Realität zu vermitteln, zu schaffen.1335 Würde die ‚Dürre‘ nicht als ein in die soziale Welt hineinreichendes Phänomen anerkannt, wäre sie bedeutungslos für die mit ihr in Zusammenhang gebrachten Probleme. Andere Lösungen müssten gesucht, andere Symbole würden wirksam werden. Ein wesentlicher Grund für die große Ausdehnung und Kontinuität des Dürrediskurses ist die gesellschaftliche Mannigfaltigkeit der Diskursträger – im kirchlichen, volkstümlichen, literarischen, wissenschaftlich-technischen und politisch-oligarchischen Bereich. Dementsprechend breit ist das Spektrum der unterschiedlichen Auslegungen und Umsetzungen. Entscheidend ist jedoch, dass sich in deren Schnittmenge die Gemeinsamkeiten bündeln und von diesem elasti­ schen Kern aus die interpretatorischen Randgebiete festigen. Jener Knotenpunkt, in dem sich trotz markanter Gegensätze im Detail alle Diskursteilnehmer treffen und repräsentiert fühlen, stellt den dominanten Dürrediskurs dar. Im Folgenden sollen die ihn durchkreuzenden, in vielen einzelnen Strängen verlaufenden Analo­ gien und Antagonismen in einem Überblick aufgezeigt werden. Die Trennlinien zwischen den einzelnen Diskurssegmenten verlieren schon deshalb an Schärfe, weil die Diskursträger häufig in mehreren Wirkungskreisen aktiv waren. Zahlreiche Parlamentarier waren Ingenieure oder betätigten sich als Schriftsteller, so dass gegenseitige Beeinflussungen alltäglich waren. Auf der ei­ nen Seite färbten politische Anschauungen die Wissenschaften sowie die Dich­ tung, auf der anderen wurden technische Traktate und gehobene Literatur im Kongress als Referenzen vorgetragen. Im Fall der Dürrepolitik war Os sertões von Euclydes da Cunha das wohl meistzitierte Werk, um im Rahmen des damals in Brasilien verbreiteten Modernisierungsdiskurses zentralstaatliche Investitionen in die Region zu propagieren. Das oligarchische Interesse an einer technisierten Dürrebekämpfung wurde von den Ingenieuren geteilt, was kaum verwunderlich war, zumal sie nur in großen staatlichen Projekten ihr Wissen und ihre Inge­ nieurskunst effektiv einbringen konnten. Die Einwirkung der volkstümlichen Dürrelyrik auf den politisch-regionalistischen Diskurs wird hingegen über­ schätzt. Zumindest in der Zeit der frühen schriftlichen Volksdichtung (1893– 1930) hatten die Trockenperioden als Sujet keineswegs die herausragende Re­ levanz, die ihnen von der Forschung bisher beigemessen wird. Die sogenannte 1334 Ebd., S. 27. Siehe auch ebd., S. 105, 109; Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Kons­ truktion der Wirklichkeit, 19691, S. 23, 26, 124. 1335 Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 20007 (19721), S. 25.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

erste Generation der poetas populares hat sich vielmehr des politischen Kontexts und der allgemeinen gesellschaftlichen Krisenthemen angenommen, ohne die Trockenheit vorrangig oder gar ausschließlich für die Misere verantwortlich zu machen. Indessen könnte ein thematischer Wandel, hin zu einer energischeren Behandlung der Dürreproblematik nach 1930, umgekehrt durch den seit den 1920er-Jahren gestärkten politischen Dürrediskurs verursacht worden sein. Einig waren sich die Poeten und Politiker des Nordens in ihrer Kritik an der europäischen Ausbreitung in Brasilien, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während sich die Vermittler der Volksstimme durch die übermäch­ tige Präsenz ausländischer – vor allem englischer – Kapitalunternehmen in ih­ ren traditionellen Lebensformen bedrängt fühlten, fürchteten die politischen Vertreter subversive Aufstände durch die aus Europa an Gewerkschaftsbewe­ gungen gewöhnten Arbeiter. Die Vorbehalte gegenüber der nationalen Einwan­ derungspolitik rührten seitens der nördlichen Oligarchien zugleich von deren Missfallen her, im Gegensatz zum Süden des Landes wirtschaftlich nicht von einer staatlichen Förderung der europäischen Immigration zu profitieren. Die je nach gesellschaftlicher Schicht verschiedenartige, aber generelle Opposition zum Süden war ein weiteres wichtiges Motiv des Dürrediskurses und half, die divergenten Diskursstränge einander näherzubringen. Andererseits gab es auch Rivalitäten innerhalb der Region, die den Diskurs bestimmten. So schloss sich etwa nur die Avantgarde der nordbrasilianischen Agrarherren den Modernisie­ rungsvorstellungen ihrer studierten Söhne an; die traditionsgebundenen Seg­ mente blieben dem Konservatismus der Katholischen Kirche ergeben. Eine elementare Gemeinsamkeit, die alle Gruppierungen des Dürrediskur­ ses teilten und die den Stellenwert der klimatischen Komponente relativiert, ist die grundsätzliche Bedrohung der überkommenen Lebenswelt durch die kom­ plexe Krise. Die Kirche büßte bis Ende des 19.  Jahrhunderts ihre einst vom König- und Kaiserreich garantierte und inzwischen von der Republik usurpierte zentrale Gesellschaftsposition weitgehend ein. Die politische Elite des Nordens erfuhr durch das Zusammentreffen von Wirtschaftsdepression und Dürrekatas­ trophe im eigenen Terrain schmerzhafte Einschnitte, nachdem sich auf natio­ naler Ebene bereits seit dem 18. Jahrhundert ein spürbarer Machtverlust mani­ festiert hatte. Die Sprösslinge jener im Verfall begriffenen Landbesitzerschicht verkörperten eine neue Generation von Ingenieuren und Intellektuellen, die einen essentiellen Abschnitt des Dürrediskurses besetzten. Hatten sogar diese vormals erhabenen Mitglieder der gehobenen Gesellschaft unter der Krise zu leiden, musste die Basis der breiten Bevölkerung deren Gewicht im gesamten Ausmaß tragen. Zusätzlich zu den direkten ökonomischen Auswirkungen wurde ihr der paternalistische Schutz entzogen und durch härtere Arbeitsbedingungen ersetzt. Als Folge der Notsituation wandten sich alle Akteure mit Kritik und Forderungen an den Staat, einschließlich derjenigen, die ihn vor Ort selbst re­

Der Dürrediskurs – Akteure und Korrelationen



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präsentierten. Sie erwarteten Investitionen und wiesen Interventionismus – vor allen Dingen in Form von Vorschriften und Steuerlasten – zurück. Die Politiker, die am ehesten für die klimaunabhängigen Faktoren der Misslage zur Rechen­ schaft gezogen werden konnten, unterstrichen am stärksten das Naturphäno­ men und grenzten sich durch ihren vehement regionalistischen Diskurs von der Zentralregierung im Süden ab. Hierzu zählte auch, den Parlamentariern und Pressevertretern in der fernen Landeshauptstadt jegliche Diskurskompetenz in Angelegenheit der Trockenperioden abzusprechen. Die Feindseligkeit gegenüber dem Süden schien im Norden Kirche, Oligar­ chie und Volk zu vereinen; allerdings zeichnet sich bei einer genaueren Betrach­ tung eine weit auseinanderstrebende Interessenlage ab. Die Landbevölkerung war voller Sorge angesichts einer entbehrungsreichen Abwanderung aus der vertrauten Heimat, zeigte sich im Laufe der brasilianischen Siedlungsgeschichte aber stets bereit, in anderen Landesteilen bessere Lebensbedingungen zu suchen. Die kirchlichen und oligarchischen Repräsentanten beschworen hingegen eine regelrechte Angst vor dem Süden herauf und betonten die sprichwörtliche – auch von Euclydes da Cunha beschriebene – Anhänglichkeit der sertanejos an ihre Scholle.1336 Auf diese Weise wollten sie die Menschen zum Bleiben ver­ anlassen, weil sie andernfalls ihre Arbeitskräfte und Machtbasis verlören. Im Diskurs solidarisierten sich die Landherren mit der Masse der Dürreopfer und konnten mit Blick auf die Erlebnisse von 1877–79 behaupten, Arm und Reich litten gleichermaßen unter den Klimaeinbrüchen. Doch sobald es um die prak­ tischen Maßnahmen zur Dürrebekämpfung ging, richteten sie diese in Gestalt von Arbeitsdiensten und Bauvorhaben einseitig auf ihren Nutzen aus. Unter­ stützung erhielten sie von der Kirche, die Resignation und Arbeitsamkeit als gottgegebenes und patriotisches Gebaren predigte, um die Passivität der Unter­ gebenen und die soziale Kontrolle über sie aufrechtzuerhalten. Weiteren diskur­ siven Beistand suchten die regionalen Politiker auch in diesem Zusammenhang im Werk von Euclydes da Cunha, dessen Schilderung von den Bewohnern des Sertão ihre Standpunkte untermauerte. In Os sertões fanden sich die gängigen Argumente der damaligen Debatte um die ‚Brasilianität‘ wieder, mitsamt ihren Widersprüchlichkeiten. Einerseits bekräftigte Cunha, es gebe keinen authen­ tischen Brasilianer, andererseits bezeichnete er die sertanejos als die urtümliche Bevölkerung des Landes, als den „starken Kern unserer werdenden Nation“.1337 Vor diesem Hintergrund postulierte er die Integration des Nordens in die ‚mo­ derne Zivilisation‘, obschon er die ‚Barbaren‘ des Sertão eigentlich als ‚zivili­ sationsunfähig‘ einstufte. Cunhas zivilisatorisches Vorbild waren zweifelsfrei die in Europa aufkommenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle, wobei er paradoxerweise die europäischen Einflüsse im Süden des Landes als ‚dege­ 1336 Cunha, Os sertões, 197929 (19021), S. 95 (Quelle V.2). 1337 Ders., Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 115.

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neriert‘ ablehnte. Dies führte ihn wiederum zurück zum sertanejo, denn jener sei „der Rückständige“, aber nicht „der Entartete“.1338 Mit seiner Mischung aus Verherrlichung und Verachtung des sertanejo lieferte Euclydes da Cunha den Oligarchien des Nordens hinlängliche Vorlagen, um die Menschen im Hinter­ land je nach argumentativer Notwendigkeit zu typisieren. In Übereinstimmung mit den Charakterisierungen des Schriftstellers konnten sie die Bewohner der Dürreregion zugleich loben und verurteilen – als fleißig und faul, intelligent und ignorant, als bedrohliche Banditen und Verteidiger des Vaterlands, als no­ madische Eroberer und sesshafte Siedler. Als oberste Erklärung für ihr raues und rückständiges Wesen nannte Euclydes da Cunha das Klima und forderte als Konsequenz die Schaffung permanenter, vom Staat finanzierter Strukturen zur Dürrebekämpfung.1339 Die Politiker des Nordens wussten die Aussagen Cunhas für sich zu nutzen und instrumentalisierten die diskursive Prägung des sertanejo, um ihre Ziele im Kongress durchzusetzen. Auch die Kirche machte die Dürreopfer zum Werkzeug ihrer Interessen; doch etliche Priester – insbesondere aus dem Volkskirchentum – stellten sich als moralische Instanz auf die Seite der armen Landbevölkerung und kritisierten die Korruption der oligarchischen Obrigkeit. Hierin sprachen sie die gleiche Sprache wie die Volkslyriker, die den Staat mit bissiger Satire angriffen. Die poetas populares zeigten deutlich auf, dass die Armen und Reichen nicht gleichermaßen unter den Trockenperioden litten und die Letzteren trotz ihres Schutzauftrages die Ersteren im Stich ließen. Die Ausbeutung durch die Grundbesitzer – im Sertão oder in den Migrationsgebieten des Südens – klagten sie sehr viel entschiedener an, als dass sie die Dürre beklagten. In diesem Kon­ text ist auch die volkstümliche Idealisierung der Vergangenheit und der ‚para­ diesischen‘ Zeit vor der Trockenheit anzusiedeln. Darin schienen die Poeten mit den konservativen Kirchenvätern und Agrarherren in Einklang zu stehen, doch auch hier verbargen sich hinter einem gemeinsamen diskursiven Motiv diame­ tral entgegengesetzte Motivationen. Die kirchlichen und oligarchischen Reprä­ sentanten glorifizierten die ehemalige Bedeutung der Region für die brasiliani­ sche Nation mit der Absicht, ihre zukünftige Rolle auf der nationalen Bühne zu sichern. Die Politiker förderten darüber hinaus die Vorstellung von der ‚Fülle vor der Dürre‘, um ein vorteilhaftes Bild vom landwirtschaftlichen Potential des Nordens zu zeichnen und die Investitionen in die regionale Bewässerungsagri­ kultur zu rechtfertigen. Indem Euclydes da Cunha schrieb, die Verwandlung 1338 Ebd., S. 129. Siehe auch ebd., S. 125–127, 160 bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 96; Galvão, „Introdução“, in: ebd., S. X; Bartelt, Canudos: ein diskursives Ereignis, 2003, S. 326, 328, 333, 339 f. 1339 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 48–50, 52 f., 116, 121–124, 136, 159 f. bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 32, 92–95; Octacilio de Albuquerque (Paraíba), Anais da Câmara, 18.12.1920, S. 910, 912 (Quelle III.3.b-10) bzw. Kapitel IV.2.e.

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komme mit dem Regen – und „der Sertão ist ein Paradies“ –, verstärkte er die Ansicht, die regionalen Probleme seien allein im Wassermangel begründet.1340 Im Gegensatz dazu stellt der Lobgesang auf die Vergangenheit und den Sertão in den Strophen der volkstümlichen Liedermacher eine Kontrastfigur dar, um die Unzufriedenheit mit den herrschenden Lebensbedingungen auszudrücken. Auf die Resignation und Passivität, die ihnen im kirchlichen und oligarchischen Diskurs nahegelegt wurden, antworteten die Volksdichter mit Ruhmesgeschich­ ten über die cangaceiros, verklärt als heroische Sozialrevolutionäre im Kampf gegen die Ungerechtigkeit von Justiz, Regierung und Gesellschaft. Allen Dis­ kurssträngen war gemein, dass sie eine hohe Anpassungsfähigkeit aufwiesen – sei es der oligarchische mit seiner an den technischen angelehnten Scienti­ fizierung oder die Volksdichtung, die als ‚sprechendes Journal‘ Elemente aus sämtlichen ihr zugänglichen Bereichen aufnahm. Das Ergebnis war stets die diskursive Kons­truktion einer Wirklichkeit, welche dem jeweiligen gesellschaft­ lichen Umfeld gerecht wurde und den entsprechenden Anliegen diente. Beispiel­ haft hierfür sind die Bemühungen der ihrem erklärten Selbstverständnis nach unparteiischen Ingenieure, die mit ihren technisch-wissenschaftlichen Konzepten der Dürrebekämpfung nicht zuletzt die eigene Rettung aus der Krise entwarfen. Jeder Teildiskurs spiegelt die soziale Situation seiner Akteure und die gegenseitige Beeinflussung im Zusammenspiel mit den übrigen Diskurssträngen wider. Auch wenn dabei in vielen Einzelaspekten die Kontroversen im Vordergrund standen, wurde hintergründig die von allen berührte Schnittmenge des dominanten Dis­ kurskerns gefestigt. Dieser dem eigentlichen Diskurs übergeordnete Prozess, der losgelöst von den bewusst formulierten Forderungen und Zielen zu verstehen ist, machte die ‚Dürre‘ als gesellschaftliches Phänomen ‚sagbar‘ und prägte dadurch die Realität der Dürreerfahrung, Dürrevermittlung und Dürrepolitik.

3. Das Kalkül der Dürrebekämpfung am Beispiel ­Epitácio Pessoas (1891–1930) a) Nationaler Machtausgleich in der Ersten Republik – die coronelistische Dürrepolitik Die diskursive Prägung des sich nach und nach etablierenden Dürrebildes war eine entscheidende Voraussetzung für die Realisierung der Dürrepolitik. Der zweite zentrale Faktor waren die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbe­ dingungen, die zunächst von der allgemeinen Krise in den 1870er-Jahren und 1340 Cunha, Krieg im Sertão, 1994 (19021), S. 56 f., 59 bzw. ders., Os sertões, 197929 (19021), S. 36 („E o sertão é um paraíso...“).

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seit 1889 von der Ausgestaltung der Republik bestimmt wurden. Insbesondere São Paulo setzte sich 1891 für eine stark föderative Verfassung ein, um den Gliedstaaten einen hohen Grad an Autonomie zu verleihen und auf diese Weise gegenüber Rio de Janeiro eine größere politische und fiskalische Machtposition zu erringen. Den Einzelstaaten wurde in relevanten Sektoren die Finanz- und Steuerhoheit zugesprochen, womit eine erhebliche Eigenverantwortung für das Erlangen einer positiven Haushaltsbilanz verbunden war. Die kleineren und ökonomisch labilen Provinzen des Nordens sahen sich dieser Aufgabe kaum gewachsen, so dass sie in der nationalen Dürrebekämpfung ein willkommenes Instrument erkannten, staatliche Kredite für den Ausbau ihrer defizitären In­ frastruktur zu gewinnen. Ausgehend von der verheerenden Trockenperiode von 1877–79 dauerte es insgesamt vierzig Jahre, bis sich die Dürrepolitik voll entfaltete. Wie bereits an­ gedeutet, beschränkte sie sich im Anfangsstadium ihrer Entwicklung auf spon­ tane Hilfsgesuche im Notfall und rekurrierte zu diesem Zweck auf die kons­ titutionell garantierte Schutzfunktion des Staates bei Naturkatastrophen. Um die Jahrhundertwende wurden mit erhöhter Frequenz präventive Maßnahmen eingefordert, in Form von Arbeitsdiensten und Bauprojekten unter Leitung der Provinzregierungen. Hierfür konnten in der ersten Dekade des 20.  Jahr­ hunderts Institutionen mit regulären Anteilen am Staatsbudget durchgesetzt werden. Ihren Höhepunkt in der Ersten Republik erreichte die Dürrepolitik, als 1919 die Dürrebehörde IOCS in die nationale IFOCS umgewandelt wurde und ihr unter Epitácio Pessoa (1919–22) jährliche Zuwendungen von bis zu fünfzehn Prozent des Staatsetats zugestanden wurden. Die Organe der Dürreapparatur trugen wesentlich dazu bei, die lokalen und nationalen Machtstrukturen der „Gouverneurspolitik“ zu reproduzieren und kon­ servieren. Dabei sorgten die untergeordneten politischen Ebenen für die Kontinu­ ität der Zentralregierung und erhielten im Gegenzug Staatskredite und freie Hand in ihrem Einflussbereich. Die coronéis legten der von ihnen abhängigen Arbeitsbe­ völkerung in ihrem „Wahlgehege“ („curral eleitoral“) das Zaumzeug („cabresto“) an, d.h. Letztere wurde durch Gefälligkeiten oder Gewalt gezwungen, den offizi­ ellen Kandidaten ihre Stimme zu geben („voto de cabresto“).1341 Die favores, die als Schmiermittel das Getriebe der oligarchischen Staatsmaschinerie in Gang hiel­ ten, waren im Nordosten zum großen Teil der Dürrepolitik zu verdanken. Wich­ tige Ämter und Posten konnten besetzt und die grundlegenden coronelistischen Netzwerke durch Patronage gepflegt werden. Dieser politische Pakt zwischen den verschiedenen Machtsphären war zugleich Ausdruck einer doppelten, wenn auch differenzierten Schwäche – die donos da terra waren mittlerweile zu schwach, um ihre einstige Herrschaftsposition aus eigenem Vermögen zu verteidigen, und die 1341 Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 387. Siehe auch ebd., S. 386, 393; Carvalho, J. M., Mandonismo, coronelismo, clientelismo, 1998, S. 84, 89.

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sich ausdehnende Zentralgewalt war noch zu schwach, um ohne den Rückhalt der lokalen Agraroligarchien zu regieren.

b) Die politische Instrumentalisierung der Trockenperioden unter Epitácio Pessoa Der Aufstieg der Dürrepolitik bis in die höchste nationale Regierungsebene unter Epitácio Pessoa war von einer Vielzahl historischer Determinanten bedingt, die zum Teil ein halbes Jahrhundert zurückreichten. In der paraibanischen Heimat Epitácio Pessoas bewirkten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei entge­ gengesetzte Konjunkturbewegungen eine Verschiebung des traditionellen Macht­ gefüges. Während die weltweiten Zuckerpreise durch ein erhöhtes Angebot aus der Karibik und Europa ständig fielen, profitierte die Baumwolle von einer güns­ tigen internationalen Marktlage, die insbesondere durch den Ausfall der US-ame­ rikanischen Konkurrenz aufgrund des Sezessionskrieges (1861–65) zu erklären war. Die wirtschaftlich angeschlagenen Zuckerbarone wurden in Paraíba – und ebenso in Rio Grande do Norte – auch politisch mehr und mehr von den Baum­ wollpflanzern des Hinterlands überragt. Im Zuge dieser Entwicklung gelang es dem aus dem Sertão stammenden Epitácio Pessoa, die dominante Oligarchie aus Areia, im Zuckeranbaugebiet des Agreste, von der Macht zu verdrängen. Nach einer beispiellosen juristischen und politischen Karriere seit 1886 koalierte Pessoa 1912 zunächst mit der Machado-Leal-Oligarchie und übernahm von 1915–30 ganz die politische Führung der Provinz. Die mit Epitácio Pessoa verbundene Vorherrschaft der Sertão-Oligarchie ging einher mit der vom semi-ariden Hinter­ land geprägten Herausbildung des ‚Nordostens der Dürre‘. Die Dürre war sowohl sinnbildlich als auch politisch die treibende Kraft der werdenden Region. Bereits in seinen ersten Jahren als Abgeordneter Paraíbas griff Epitácio Pessoa auf die seit 1877 kursierende Darstellung der Trockenperioden als Ur­ sache allen Übels in der Region zurück. Im Kongress kritisierte er die bevor­ zugte Ausstattung des Südens mit Eisenbahnlinien, Telegraphenleitungen und Postdiensten sowie die unverhältnismäßige Förderung der Einwanderung und ­Agrarwirtschaft. Dabei nutzte er das Bild der Dürre, das Mitleid erregen oder gar ein schlechtes Gewissen hervorrufen sollte, um Anspruch auf diese im Sü­ den anzutreffenden Elemente der Moderne zu erheben. Die Infrastrukturmaß­ nahmen bezeichnete er als Kernstück der Dürrebekämpfung und somit als Er­ rungenschaft für die breite Bevölkerung, welche dank ihres „Fleißes“ und ihres „Mutes“ die Bewässerungslandwirtschaft kultivieren würde.1342 Als nordestino 1342 Pessoa, E., Mensagem 3.5.1920 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 183. Siehe auch ebd., S. 184; ders., Rede vom 23.10.1917, abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 266.

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hatte Pessoa einen Vertrauensvorsprung, sich „aufrichtig“ für seine von den Tro­ ckenperioden heimgesuchte Herkunftsregion einzusetzen.1343 Tatsächlich ließ er dem Nordosten unter seiner Präsidentschaft einen größeren Anteil des Staats­ haushaltes zukommen als je zuvor, woraufhin in allen Gesellschaftsschichten der Region die Illusion herrschte, die Krise werde endgültig überwunden.1344 Pessoas Diskurs und Handeln folgten jedoch stets der politischen Opportu­ nität. So zeichnete er etwa von der Bevölkerung des Hinterlands je nach Be­ darf ein idealisiertes oder karikatureskes Porträt. Weit entfernt von der zitierten Charakterisierung der sertanejos als „fleißig“ und „couragiert“, warnte Pessoa im Parlament vor ihrer Neigung zu Müßiggang und Lastern, um von der Vertei­ lung direkter Hilfen an die Dürreopfer abzuraten. Stattdessen setzte er sich im Verlauf mehrerer Jahre mit großer Beharrlichkeit dafür ein, dass die nationalen Zuwendungen nicht den „von der Dürre betroffenen Menschen“, sondern den „von der Dürre betroffenen Staaten“ zukamen. Die von der regionalen Oligar­ chie allgemein abgelehnten „Almosen“ wurden auf diese Weise in Staatskredite umgewandelt, über deren Verwendung – in paternalistischer Tradition – die Provinzregierungen zu entscheiden hatten.1345 Mit der Präsidentschaft Pessoas verschwammen Dürre- und Wirtschafts­ politik im Nordosten vollständig. Zum einen wurden die Trockenperioden als Wurzel der wirtschaftlichen Probleme fokussiert, zum anderen sollte der Ausbau der ökonomischen Strukturen die Region gegen das Klima schützen. Letztlich liefen die sich überkreuzenden Argumentationsstränge darauf hinaus, dass in aller Offenheit die Trockenperioden als beste Gelegenheit begrüßt wurden, die seit langem erwünschten infrastrukturellen Verbesserungen zu realisieren. Die Dürre von 1919, in ihrem klimatischen Ausmaß überbewertet, begünstigte in diesem Sinne die parlamentarische Genehmigung des umfangreichen Nord­ ostprogramms. In den folgenden drei Jahren investierte die Regierung Pessoa die Gelder für die Dürrebekämpfung in die Wasserbaulösung, ohne allerdings den unentbehrlichen Schritt zu vollziehen, durch die versprochene Bewässe­ rungslandwirtschaft eine Lebensgrundlage für die notleidende Bevölkerung zu schaffen. Die Vorteile von den Hafenanlagen, Dämmen und Straßennetzen hat­ ten vorrangig die Großgrundbesitzer – durch die besseren Anbau- und Absatz­ möglichkeiten ihrer Produkte und die Wertsteigerung ihres Landbesitzes. Um 1343 Pessoa verwendete den Begriff „Aufrichtigkeit“ im Zusammenhang mit dem Staats­ einsatz während der ‚Großen Dürre‘. Ders., Mensagem 3.5.1921 (Obras completas, Bd. XVII), 1956, S. 386. 1344 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 43; Albuquerque, Falas de astúcia e de angústia, 1988, S. 392. 1345 Pessoa, E., Anais da Câmara, 20.8.1891, S. 334 f. (Quelle IV.2.d-04); ders., „Obras contra as secas“, Senatsrede vom 29.11.1915 (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 383 (Quelle IV.2.d-06).

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das gestaute Wasser in Bewässerungsprojekten zugunsten der breiten Bevölke­ rungsschicht gebrauchen zu können, wäre eine Umverteilung des Landbesitzes notwendig geworden. Aufgrund der Machtposition der Latifundisten und der oligarchischen Ausrichtung der Politik Epitácio Pessoas wurden derartige Re­ formen und der potentiell mit ihnen verbundene hohe soziale Nutzen nicht verwirklicht; vielmehr verschärfte die Privatisierung nationaler Ressourcen die Besitzkonzentration. Vor diesem Hintergrund muss das Verdienst Pessoas als ‚Präsident des Nordostens‘, der sich in besonderer Weise für die nordestinos ein­ gesetzt habe, auf die oligarchischen Kreise der Region beschränkt werden. Die Opposition, vor allem aus dem Süden des Landes, und die Unterstützer der erwachenden Gewerkschaftsbewegung fanden in der Politik Epitácio Pessoas zahlreiche Ansatzpunkte für fundierte Kritik. Vom großen Geschäft mit den Tro­ ckenperioden, das schon 1877–79 „Diebe in Frack und Glacéhandschuhen“1346 angelockt hatte und später als „Dürreindustrie“1347 bezeichnet wurde, profitierte besonders die Heimatprovinz Epitácio Pessoas. Die Dürrebehörden und Kommis­ sionen zur Organisation der Bauprojekte wurden von den lokalen coronéis verein­ nahmt und ließen die Vetternwirtschaft aufblühen. Unter dem Deckmantel der Dürrebekämpfung wurde der technische Fortschritt vorangetrieben, ohne jedoch progressive Strukturen auch auf das politische Regime zu übertragen. Epitácio Pessoa symbolisierte wie kein anderer diese „konservative Modernisierung“, denn während er die technologisch neuartigsten Methoden und Maschinen interna­ tionaler Unternehmen importierte, blieb er politisch dem traditionellen streng autoritären Führungsstil verhaftet. Auf die Manifestationen der gesellschaftlichen Transformation reagierte er mit absoluter Härte, sei es gegenüber den sozialkriti­ schen Jungoffizieren der tenentes oder den für weiterreichende Rechte einstehen­ den Demonstranten aus der städtischen Arbeiterschaft.

c) Die Krise der Oligarchien – das Ende des Epitacismo und der Ersten Republik Die Militärrebellionen und Protestbewegungen der 1920er-Jahre, die offen das politische System verurteilten und soziale Reformen anstrebten, zeigen deutlich die Erschöpfung des oligarchischen Blocks auf. Auch hier ist Epitácio Pessoa in 1346 Carvalho, Carlos Leôncio da Silva (Ministro do Imperio), zit. von: Jaguaribe (Ce­ ará), Anais do Senado, 7.2.1879, S. 63; Campos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879, S. 459, 461 (Quelle IV.4.b-04); siehe ebenso Figueira, Domingos Andrade (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 25.5.1882, S. 97 bzw. Quelle IV.4.b-09 („ladrões de casaca e luvas de pellica“). 1347 Valladares (Minas Gerais), Anais da Câmara, 21.12.1920, S. 340 bzw. Quelle IV.4.a („industria da secca“).

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vielerlei Hinsicht ein Gradmesser der aufgeheizten gesellschaftlichen Situation. Bereits der Umstand, dass Pessoa als Vertreter einer kleinen, unbedeutenden Provinz zum Präsidenten der Republik bestimmt wurde, bringt die kritische Lage der nationalen Politik zum Ausdruck. Die unerwartete und insbesondere Epitácio Pessoa selbst überraschende Entscheidung kam nur zustande, weil sich São Paulo und Minas Gerais, die großen Führungsstaaten der café-com-leiteVorherrschaft, im damaligen Moment auf keinen gemeinsamen Kandidaten ei­ nigen konnten, genauer gesagt nicht einmal über eigene repräsentative Persön­ lichkeiten verfügten.1348 Als Staatsoberhaupt verstand es Epitácio Pessoa, sich mit den einflussreichen Kaffeeoligarchien zu arrangieren und die Unterstützung seiner umfangreichen Dürrepolitik durch die ebenso kostspielige Stützung der Kaffeepreise zu erkaufen. Damit setzte er eine alte Forderung der Dürreprovin­ zen um, die ihre Ansprüche innerhalb eines regionalen Interessenausgleichs mit den Opfern der Trockenheit geltend machten: „Unsere Wirtschaftsgrundlage ist nicht der Kaffee, unser Fundament ist das Humankapital – die Kadaver, die Skelette!“1349 Während sich Epitácio Pessoa einerseits in die gegebene Machtordnung ein­ gliederte, bewies er andererseits eine erstaunliche Eigenständigkeit. Er berief das erste vollständig zivile Kabinett und trug mit verschiedenen Entscheidun­ gen – auch wenn er dies in keiner Weise beabsichtigte – zur Fragmentierung der nationalen Obrigkeit bei. Im Verlauf seiner Präsidentschaft begann die militärische und zivile Elite spürbar auseinanderzudriften, was schließlich die ‚Revolution von 1930‘ entfesseln sollte.1350 Ein zusätzlicher Brandbeschleuniger für die landesweit aufflammenden Revolten war seine kompromisslose Haltung gegenüber der Arbeiterschaft, die von seinem Nachfolger Artur Bernardes über­ nommen wurde. Inmitten des nationalen Industrialisierungs- und Modernisie­ rungsprozesses verstärkte die staatliche Repression das neue soziale und poli­ tische Bewusstsein der Bevölkerung.1351 An der ‚Revolução de 30‘ hatte Pessoa auch insofern indirekten Anteil, als er seinen Neffen João Pessoa 1929 zur Kan­ didatur für das Amt des Vizepräsidenten unter Getúlio Vargas bewegte. João Pessoa hatte sich als paraibanischer Gouverneur (1928–30) viele Feinde durch weitreichende antioligarchische Reformen gemacht, von denen sein Onkel ihm mehrfach ohne Erfolg abgeraten hatte. In der Vizepräsidentschaft sah Epitácio 1348 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 318, 349; Gurjão, Oligarquias (Pa­ raíba 1889–1945), 1994, S. 68. 1349 Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 22.7.1915, S. 115 (Quelle IV.2.f-10). 1350 Ob die Weltwirtschaftskrise von 1929 der Ersten Republik den „Todesstoß“ versetzte (Zoller, Kleine Geschichte Brasiliens, 2000, S. 240), wird in der Fachliteratur unter­ schiedlich eingeschätzt (siehe Melo, F., Epitácio Pessoa, 2005, S. 184). 1351 Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 318, 329.

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Pessoa für seinen Neffen einen Ausweg aus der Pattsituation in Paraíba, die zu einem bedrohlichen Machtkampf zwischen den antagonistischen coronéis eska­ liert war. João Pessoa griff im Rahmen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zu außergewöhnlichen Mitteln und schreckte nicht vor Verletzungen der famili­ ären Ehre seiner Gegner zurück. Dieser Bruch des gültigen Ehrenkodexes führte dazu, dass er am 26. Juli 1930 von João Dantas aus Rache erschossen wurde. Der Mord wurde von den Anhängern des in den ‚Wahlen‘ gescheiterten Präsi­ dentschaftskandidaten Getúlio Vargas politisch ausgenutzt und entfachte erneut die Widerstandsbewegung der Aliança Liberal, die im Oktober 1930 den Sturz der Regierung bewirkte. Weder Epitácio noch João Pessoa hatten jemals einen Putsch befürwortet, und weitere Uneinigkeiten mit Getúlio Vargas veranlassten Epitácio Pessoa, sich nach und nach ganz von der aktiven Politik loszusagen. João Pessoa hatte die Zeichen des sozialen Wandels erkannt und die eigene Oligarchie durch reformerische Zugeständnisse zu retten versucht, womit er die coronelistische Basis der epitacistischen Herrschaft untergrub. Während sich also das Ende des Epitacismo schon mit der politischen Positionierung João Pessoas anbahnte, wurde es durch dessen Ermordung definitiv besiegelt. João Pessoa hatte weder die Wahrung der familiären Dominanz noch die Verwirk­ lichung seiner pragmatischen Reformziele erreicht, zumal das Vargas-Regime nicht die erhofften Veränderungen mit sich brachte.1352 Ausschlaggebend für den politischen Rückzug Epitácio Pessoas waren die Enttäuschung über die Re­ volutionsregierung und nicht zuletzt der große persönliche Schmerz angesichts des Todes seines Lieblingsneffen.

4. Das Legat Epitácio Pessoas – Dürrepolitik und Dürrediskurs nach 1930 a) Die Dürrebekämpfung nach der Präsidentschaft E­ pitácio ­Pessoas Im Wissen um die Kurzlebigkeit der nationalen Zustimmung zur Dürrepolitik, die an seine temporäre Macht als Staatsoberhaupt gekoppelt war, fasste Epitá­ cio Pessoa von Anfang an zwei ebenso aggressive wie umstrittene Strategien ins Auge, um gegen die verrinnende Zeit anzukämpfen. Erstens bemühte er sich, möglichst viele Bauvorhaben im Nordosten parallel und mit einzigartigem fi­ nanziellem Aufwand in Gang zu setzen. Zweitens sicherte er den beauftragten Firmen für den Fall eines Vertragsbruches von Seiten der brasilianischen Re­ gierung eine prohibitiv hohe Entschädigungssumme zu. Auf diese Weise sollte 1352 Ebd., S. 372; Rodrigues, O poder na Paraíba (1889–1930), 1989, S. 266.

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sein Nachfolger davon abgehalten werden, die Arbeiten vor ihrer vollständigen Beendigung abzubrechen. Genau dies wurde jedoch von Artur Bernardes, ei­ nem Vertreter des café-com-leite-Bündnisses aus Minas Gerais, relativ bald nach Übernahme der Präsidentschaft im November 1922 veranlasst. Aus der Retros­ pektive lässt sich bestätigen, dass eine Konzentration auf wenige, dafür aber innerhalb der Amtsperiode fertigzustellende Stauanlagen vorzuziehen gewesen wäre. Einige der unvollendeten Projekte wurden nach 1925 in Verantwortung der Provinzregierungen wieder in Angriff genommen, allerdings mit sehr viel geringerem Finanzaufkommen und durch dieselben aus vorherigen Jahren bekannten Missbräuche beeinträchtigt. Sogar in den offiziellen Berichten der Dürrebehörde IFOCS wurden zahlreiche Vorkommnisse von Unterschlagun­ gen vermerkt. Öffentliche Gelder wurden demnach weiterhin in großem Stil zu privater Bereicherung zweckentfremdet, und auch die Ausbeutung der Arbeits­ kräfte ist ausführlich dokumentiert.1353 Die politische Entwicklung nach 1930 ließ die Schere zwischen Norden und Süden noch mehr auseinandergehen. Während sowohl das administrative Machtzentrum als auch die wesentlichen Modernisierungsimpulse und Indus­ triesektoren im Süden angesiedelt waren, nahm der Nordosten in der natio­ nalen Politik und Wirtschaft erneut eine untergeordnete Position ein. Nach dem euphorischen, aber kurzen Intermezzo der Präsidentschaft Epitácio Pessoas verringerten sich die staatlichen Investitionen in die Region drastisch auf ein Minimum. Die geschwächte Agrarelite übertrug den Großteil der Lasten auf die Arbeiterschaft, indem sie die nicht-kapitalistischen Arbeitsformen ausdehnte und ungeachtet der Revolutionsrhetorik an den oligarchisch-coronelistischen Handlungsweisen festhielt. Im Nachhinein muss der revolutionäre Charak­ ter der ‚Revolução de 30‘ revidiert werden, denn die maßgeblichen Strukturen informeller Politik wurden in jener Zeit keinen größeren Veränderungen un­ terzogen.1354 In Paraíba setzten sich zwar neue Gruppierungen durch, doch sie herrschten auf der Grundlage der alten Machtregeln. Die führende Position nahm José Américo de Almeida aus der früheren Leal-Oligarchie ein, der unter João Pessoa Staatssekretär gewesen war und nun in der Regierung von Getúlio Vargas das wichtige Verkehrs- und Bauministerium leitete. Damit saß ein Pa­ raibaner an der Schaltstelle für die nationale Dürrebekämpfung, was sich im Zusammenhang mit einer gravierenden Trockenperiode im Jahr 1932 äußerst günstig auf die staatlichen Zuwendungen an die Provinz auswirkte. Unter Al­ 1353 Ministério da Viação e Obras Públicas/IFOCS, Relatório dos trabalhos de 1925/1926/1927, S. X–XI/30–36/8, 14 f., 21–23, 52, abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 185–188, 207 f., 212, 224–226, 280. 1354 Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 130, 195, 197 f.; Albuquerque, ­Invenção do Nordeste, 1999, S. 74; Lewin, Politics and parentela in Paraíba, 1987, S. 413.

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meida wurde eine Reihe der Großprojekte Epitácio Pessoas mit dem Restbe­ stand der Erdräumungsmaschinen reaktiviert. Die Konzeption der regionalen Problemlösung blieb bestehen – der Wassermangel stand im Mittelpunkt der Bemühungen, so dass sich die Arbeiten auf die Errichtung von Stauanlagen, Brunnen und Zugangswegen beschränkten. Die Besitzkonzentration und die aus ihr resultierende Notwendigkeit zur Bodenreform wurden vom Revoluti­ onsminister ebenso wenig berücksichtigt wie von seinen Vorgängern in der Ers­ ten Republik.1355 Auch nach dem Ende der Vargas-Diktatur im Jahr 1945 hat­ ten die Oligarchien des Nordostens keine Schwierigkeit, ihre vereinten Kräfte zu organisieren und sich der neuen Situation anzupassen. Die Dürrebehörde IFOCS wurde – wie bereits unter Vargas vorgesehen – in den DNOCS um­ gewandelt, der nach wie vor von der Agraroligarchie kontrolliert und zur Per­ petuierung der sozioökonomischen Verhältnisse instrumentalisiert wurde.1356 Vorübergehende Hoffnungen der Reformbewegung aus den 1950er/60er-Jah­ ren, mit Gründung der SUDENE (1958) einen Wandel einzuleiten, wurden spätestens durch die Errichtung der Militärdiktatur (1964–79) enttäuscht. So­ gar – oder gerade – in der Transitionsphase zur Demokratie (1979–85), die von einer schweren Trockenperiode in den Jahren 1979–83 begleitet wurde, trug die Dürrebekämpfung eminent politische Züge und war von Korruption und Missbrauch überschattet.1357 Das System der Dürrepolitik erneuerte sich kontinuierlich, in Abhängigkeit von den politischen Strömungen und den zu gewinnenden Ressourcen. Zeitgemäße gesellschaftliche und technologische Tendenzen wurden durch argumentative Verknüpfungen in den Dürrediskurs integriert und ermöglichten auf diese Weise, den Kern der Dürrepolitik – mit wechselnden Hüllen versehen – zu bewahren. 1355 Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 124; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S.  213; Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 51–53; Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 181, 227, 234, 241; Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S.; Villa, Que braseiro, 2005, S. 17; ders., História das secas, 2001, S. 158 f. Zur weite­ ren Lage der IFOCS siehe auch „Á I.F.O.C. Seccas“, in: Voz da Borborema (Campina Grande) vom 16.7.1937, S. 4 („honesto funccionalismo das Seccas“). 1356 Die IFOCS wurde 1945 per Dekret 8846 in Departamento Nacional de Obras Contra as Secas (DNOCS) umbenannt, welcher bis heute besteht, wenn auch mit einem ein­ geschränkten Aufgabenbereich. DNOCS, Instituição. História, dnocs.gov.br. Zu den Hintergründen siehe Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889–1945), 1994, S. 198; Oli­ veira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 52, 53; Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 74; Villa, História das secas, 2001, S. 166 f. 1357 Zur Superintendência do Desenvolvimento do Nordeste (SUDENE) und zur Dürrepolitik der Jahre 1956–83 siehe Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesell­ schaftliches, wirtschaftliches und politisches Problem, 2001, S. 60–78. Zum ‚politischen‘ Dürrejahr 1982 siehe auch Kapitel IV.6.c.

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b) Der Zusammenhang von Diskurs und Macht Das Beispiel Epitácio Pessoas veranschaulicht die Interaktion von Diskurs und Macht. Beide sind untrennbar miteinander verbunden und bedingen sich ge­ genseitig, zumal die diskursive Durchsetzung einer ‚Wirklichkeit‘ Macht vo­ raussetzt und zugleich herstellt oder erhärtet. Epitácio Pessoa festigte einerseits die vom Dürrediskurs vermittelte Realität durch seine doppelt legitimierte Dis­ kurskompetenz – als nordestino und als Präsident der Republik. Andererseits verhalf ihm der Dürrediskurs zur Realisierung seiner politischen Ziele, indem die für seine Argumentation erforderlichen Denkmuster und Bilder in einem Jahrzehnte andauernden Prozess als nicht hinterfragtes Wissen im „kollektiven Bewusstsein“ verankert worden waren.1358 Hierzu steuerten die – oben aufge­ führten – verschiedensten, teilweise in ideologischer Hinsicht widerstreitenden Akteure des Dürrediskurses ebenso bei wie die konkreten Wegbereiter der staat­ lichen Dürrebekämpfung, von denen Epitácio Pessoa im Betrachtungszeitraum das stärkste Glied einer langen Kette verkörperte. Die Dürremaschinerie gibt auch Aufschluss über das allgemeine Politikver­ ständnis in der Ersten Republik und kann als Seismograph für den Demokrati­ sierungsverlauf herangezogen werden. Auf lokaler und regionaler Ebene repro­ duzierte sie die wesentlichen Elemente der beschriebenen Gouverneurspolitik, mit fundamental antirepublikanischen bzw. undemokratischen Attributen. Dazu zählen in erster Linie Wahlbetrug, Korruption, Gewalt und Nepotismus. Die Dürrepolitik verlängerte zudem die aus der kolonialen Ära übernomme­ nen paternalistischen Abhängigkeitsverhältnisse, die eine politische und gesell­ schaftliche Emanzipation der Bevölkerung im Hinterland um mehrere Dekaden hinauszögerte. Nach eigener Auffassung waren die oligarchischen Landherren angesichts der verheerenden Trockenperioden verpflichtet, für die als unmündig angesehenen Landarbeiter tätig zu werden. In Vertretung der Zentralregierung übten sie die staatliche Schutzfunktion im Fall von Naturkatastrophen aus, was ihnen allerdings erst durch die nationalen Dürrehilfen möglich war. Im Endef­ fekt dienten die Trockenperioden als legitimatorischer Vorwand für die oligar­ chische Machtausübung auf der Basis öffentlicher Finanzen. Die wirtschaftlich geschwächte Agrarelite des Nordostens ergriff mit der Dürrepolitik den letzten Hebel, um ihren ökonomischen Absturz und die politische Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Die Trockenperioden erwiesen sich im Verteilungskampf zwi­ schen Nord und Süd zunehmend als hoch probates Mittel, um Staatskapital zu mobilisieren und zu privatisieren. 1358 Landwehr, Achim, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse (Historische Einführungen, Bd.  8), Tübingen: Edition Diskord, 2001, S. 35. Siehe auch Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 16; Berger/Luckmann, Die gesell­ schaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 19691, S. 128.

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Alle Fäden dieses Gewebes liefen in Epitácio Pessoa zusammen. Durch seine Herkunft aus dem semi-ariden Hinterland und seine Zugehörigkeit zur domi­ nanten Baumwoll-Oligarchie, deren provinzinterne Führungsposition von pro­ vinzexterner Förderung abhing, und nicht zuletzt durch seinen beeindrucken­ den politischen Aufstieg war Pessoa prädestiniert, die oligarchische Strategie der Dürrepolitik auf nationaler Ebene umzusetzen. Aus sozialpolitischer Perspektive war er ein Abbild der damaligen Oligarchengesellschaft – liberal in der äußeren Form und streng autoritär im praktischen Umgang, sei es gegenüber Vertretern der Opposition, seinen Untergebenen oder der allgemeinen Bevölkerung. Sein Programm zur Dürrebekämpfung war interessen- und nicht problemorientiert. Als ihm beispielsweise sein Neffe João Pessoa als Gouverneur Paraíbas im No­ vember 1928 besorgt über die prekäre Lage der Dürreopfer im Sertão schrieb, beharrte Epitácio Pessoa auf der zweckfremden Verwendung von Dürregeldern für eine Handelsstraße von der paraibanischen Hauptstadt zur Küste.1359 Auch den politischen Reformbestrebungen seines Neffen – selbst wenn sie dem Erhalt des familiären Einflusses zugute kommen sollten – stand Epitácio Pessoa ableh­ nend gegenüber. So war es kein Zufall, dass Epitácio Pessoa, dessen politische Laufbahn 1889 mit der Proklamation der Republik begonnen hatte, sich nach dem Sturz der Ersten Republik durch die ‚Revolution von 1930‘ von der aktiven Politik verabschiedete.

c) Möglichkeiten und Grenzen der Geschichtsschreibung – die Frage der Verantwortung Im Jahr 1952, eine Dekade nach dem Tod Epitácio Pessoas, erklärte Oberlan­ desgerichtsrat Toscano Espinola, ehemaliger Sekretär des Präsidenten, in einer Konferenz zu dessen Ehren: „Wären die ursprünglichen Vorhaben Epitacios so­ fort und vollständig umgesetzt worden, müssten wir uns jetzt nicht um die Er­ nährung sorgen. Der Nordosten wäre die Getreidekammer Brasiliens.“1360 Kurz nachdem Epitácio Pessoa 1919 zum Staatsoberhaupt ernannt worden war, hatte die paraibanische Regierungspresse mit ähnlicher Zuversicht vorausgesagt, er werde das Problem der Trockenperioden noch vor Ablauf seiner Amtszeit gelöst haben.1361 Heute wissen wir, dass weder er noch seine Nachfolger, unabhängig von ihrer politischen Couleur, die ‚Dürre‘ bezwingen sollten. Wäre es gesche­ hen, hätte dies zugleich das Ende der Dürrepolitik bedeutet. Eine Quelle wäre 1359 Siehe Quellen IV.5.b-05/06/07 bzw. Kapitel IV.5.b. 1360 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle V.4.c-01). 1361 „Os serviços das obras contra as sêccas na Parahyba“, in: A União vom 22.2.1920, S. 1 (Quelle V.4.c-02).

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versiegt, die der regionalen Führungsschicht eine größere Liquidität verschafft hat, als es die angestauten Wassermassen je vermochten. Dies soll nicht hei­ ßen, dass bewusst die Absicht verfolgt wurde, die klimatischen Bedrängnisse im eigenen Interesse zu erhalten. Ebenso wenig kann behauptet werden, die Maßnahmen zur Dürrebekämpfung hätten der breiten Bevölkerung keinerlei Fortschritte gebracht. Im Unterschied zur ‚Großen Dürre‘ von 1877–79 gab es seit den 1940er-Jahren selbst bei gravierenden Trockenperioden nur noch ver­ einzelte Todesopfer und deutlich weniger Dürreflüchtlinge und Migranten als zuvor, auch wenn einige Dürrehistoriker wie Marco Antonio Villa vom Gegen­ teil überzeugt sind.1362 Die enorm verbesserten Verkehrswege, die Stauanlagen und die Tankwagen konnten das Schlimmste verhindern. Andererseits ist er­ wiesen, dass die Agraroligarchie bei weitem den größten Nutzen aus den staatli­ chen Zuwendungen gezogen hat, während sich die Armut der Landbevölkerung kaum verminderte. Hierbei ist zu bedenken, dass die prekäre sozioökonomische Lage in den Trockengebieten größtenteils durch klimaunabhängige Faktoren der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen begründet ist. An dieser Stelle zeigt sich die nachhaltige und kontinuierliche Wirksamkeit des Dürrediskurses: In derselben Weise, wie es dem politischen Diskurs der Ers­ ten Republik gelang, die Trockenperioden als alleinige Ursache des regionalen Elends auszugeben, bestand nach den 1930er-Jahren eine analoge funktionelle Dürrehandhabung dank ihrer diskursiven Aufarbeitung fort. Sogar Historiker wie Marco Antonio Villa tragen noch heute dazu bei, indem sie das seit 1877 vom Dürrediskurs konstruierte Szenario und argumentative Repertoire bestä­ tigen.1363 Es sei allerdings noch einmal darauf hingewiesen, dass weder Villa noch Pessoa deshalb zu einer wie auch immer gearteten Dürreverschwörung gehörten, die bewusst die Wahrnehmung bzw. soziale Realität der Dürre ma­ nipulierten. Denn der Dürrediskurs und folglich auch die auf ihm basierende Dürrepolitik sind überindividuelle Phänomene; losgelöst von den einzelnen Akteuren, verbirgt sich hinter dem Dürrediskurs ein relativ autonomer, sinn­ stiftender Kommunikationsprozess. Auch wenn viele verschiedene strategische Kalküle in ihn einfließen, ist er nicht das Resultat eines rational konzipierten Machtplans. Dies widerspräche seinem diskursimmanenten Charakter, der durch Flexibilität und Komplexität der ihn bestimmenden sozialen Beziehun­ gen gekennzeichnet ist.1364 Angesichts der offenen Struktur des Dürrediskurses kann unmöglich eine einzelne Person oder Gruppierung mit ihren spezifischen Anliegen für ihn verantwortlich gemacht werden. Dementsprechend sucht die 1362 Siehe Villa, História das secas, 2001, S. 247 und als Gegenstimmen Coelho, Jorge, A in­ dústria das secas, 1985, S. 60; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 261; Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 91, 93 bzw. Kapitel IV.6.c. 1363 Siehe Kapitel IV.6.c. 1364 Siehe hierzu Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 108.

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Diskursanalyse keine Täter; vielmehr durchleuchtet sie die inneren und äuße­ ren Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen diskursiver Formationen. In den Reden Epitácio Pessoas sind die Spuren der Geschichte eingraviert, wobei explizite und implizite Intentionen kaum zu überprüfen sind. Messbar sind am Ende nur die Ergebnisse. Bedeutung – sowohl für die Vergangenheit als auch die Zukunft – gewinnen sie durch den Vergleich alternativer Mittel und Wege, nicht aus heutiger, sondern aus zeitgenössischer Perspektive. Epitácio Pessoa handelte im Geiste seiner Epoche: Zwischen Modernisierungswünschen und paternalistischer Bevormundung bewegte er sich auf sicheren Pfaden eines an­ erkannten Weltbildes. Alternativen waren jedoch schon damals, zum Teil seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Andere Politiker betonten die Notwendigkeit, in die Schulbildung der unteren Bevölkerungsschichten zu investieren. Inge­ nieure und Agronomen forderten, eine den Kleinbauern zugängliche Bewässe­ rungslandwirtschaft zu errichten, um ihnen eine größere Unabhängigkeit vom Klima – und von den Landherren – zu gewähren. Mit dieser Zielsetzung wurde außerdem die Entfaltung des handwerklichen Gewerbes empfohlen, wofür im Hinterland der Region sowohl Begabung als auch Rohstoffe vorgefunden wor­ den waren.1365 Epitácio Pessoa könnte tatsächlich gehofft haben, die Förderung der Agrar­ elite würde sich durch eine Anhebung des allgemeinen Wohlstands auch auf die unteren Gesellschaftsschichten auswirken. Direkte Schritte in diese Richtung hat er selbst nicht unternommen. Die intellektuellen und ethischen Vorausset­ zungen für eine progressivere Lebensanschauung lagen bei ihm unzweifelhaft vor, doch letztlich überwogen die traditionsgebundenen Züge seines ambiva­ lenten Wesens und manifestierten sich in einer reaktionären Politik. Seine Mit­ menschen sahen in Pessoa den Ehrenmann, der sich als junger Parlamentarier mutig gegen das diktatorische Interimsregime Peixotos auflehnte (1891–94) und bei der Friedenskonferenz in Versailles (1919) würdig die brasilianische Nation repräsentierte. Er wird als liebevoller Familienvater geschildert und als Held seiner paraibanischen Heimat gefeiert. Andererseits war er als autoritärer Führer der dominanten Oligarchie unerbittlich, gegenüber Feinden und Freun­ 1365 Siehe Lamartine (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 384 (Quelle III.5.c-09) bzw. Kapitel III.5.c; Retumba, Francisco Soares da Silva, „Memória sobre os melhoramentos de que precisa a província da Paraíba, 1886“, in: Revista do IHGP (Parahyba: Imprensa Official), Jg. IV, Bd. 4 (1912), S. 211 f., zit. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 57 (Quelle IV.2.d-24) bzw. Kapitel IV.2.d; Bouchardt, Jonny (engen­ heiro civil), „Solução radical e scientifica do problema das sêccas. Meios a empregar e resultados provaveis“, in: A União vom 23.5.1915, S. 1 f. (Quelle IV.3.c-16) bzw. Kapitel IV.3.c; Carvalho, Economia política e secas, 1988, S. 206–208; Greenfield, Great Drought and elite discourse, 1992, S. 382 f.; Gabaglia, Ensaios sobre alguns melhoramentos (Ceará), 1877 (18611), S. 3–7; Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 191 f. bzw. Kapitel III.4.

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den, und begründete seine Macht auf coronelistischen Verbindungen und da­ mit auf Missbrauch, Gewalt und Korruption. Die Frage der historischen Verantwortung ist für die Diskursanalyse, wie bereits angedeutet, sekundär. War Epitácio Pessoa wirklich von der universel­ len Einwirkung der Trockenperioden auf alle regionalen Begebenheiten über­ zeugt? Vertraute er darauf, mit seiner Wasserbaulösung der breiten Bevölkerung ein besseres Leben zu ermöglichen? Mit anderen Worten – glaubte er an die Aussagen des Dürrediskurses, an seine eigenen Argumente? Diese Innenansicht gäbe Aufschluss über seine Gesinnung und sein Verhältnis zur Bevölkerung; sie wäre für die Interpretation der persönlichen Ebene relevant, die zu einem gewissen Grad auf seine Gesellschaftsschicht übertragen werden könnte. Für das Verständnis und die Funktionsweise des Diskurses ist es indessen von unterge­ ordneter Bedeutung, ob die Sprecher im Einzelnen ihre Äußerungen ‚ehrlich‘ meinten.1366 Wahrscheinlich traf dies beim Dürrediskurs in vielen Fällen sogar zu, weil er ein überindividuelles Gebilde ist und die Diskursträger sich nicht gezwungenermaßen über den Wirklichkeitsgehalt im Klaren sein mussten. Epi­ tácio Pessoa war nicht Urheber, sondern Exponent des Dürrediskurses, dessen Essenz weder Pessoa noch eine andere Person oder Personengruppe als Gesamt­ konzept erfunden hatte. Jeder Diskurs ist oberhalb seiner Akteure angesiedelt; diese können ihn nutzen und Nutzen aus ihm ziehen, ihn gestalten, festigen oder schwächen, aber eine alleinige Verfügungsgewalt haben sie nicht. Epitácio Pessoa war einer von vielen individuellen Trägern des überindividu­ ellen Dürrediskurses, wenngleich sein Beitrag zu dessen Erfolg durch seine ge­ sellschaftliche Provenienz und seinen politischen Rang eine besondere Stellung einnahm. Die Genese des Dürrediskurses kann durchaus in ein ‚vor und nach Epitácio Pessoa‘ unterteilt werden. Als Parlamentarier der ersten Legislaturpe­ riode der jungen Republik griff Pessoa auf den existenten Dürrediskurs zurück und erweiterte ihn im Laufe seiner politischen Karriere. Darin glich er anderen herausragenden Politikern der Region, wie beispielsweise Ildefonso Albano aus Ceará, Juvenal Lamartine aus Rio Grande do Norte und Octacilio de Albu­ querque aus Paraíba.1367 Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass Epitácio Pessoa den Dürrediskurs in die höchste Entscheidungs­ ebene der Republik einführte und die Dürrepolitik zur Regierungspriorität er­ hob. Auch wenn sein umfangreiches Nordostprogramm von seinem Nachfolger 1366 In Anlehnung an Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 19691, S. 129. 1367 Weitere wichtige Vertreter des regionalistischen Diskurses waren Tristão Alencar Ara­ ripe, Gustavo Barroso, Frederico Borges, Helvecio Monte, Antonio Pinto, Thomaz Pompeu und Thomaz Rodrigues aus Ceará, Augusto Tavares de Lyra aus Rio Grande do Norte, Pedro da Cunha Pedrosa, José Peregrino und Meira e Vasconcellos aus Pa­ raíba.

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im Präsidentenamt größtenteils ausgesetzt wurde, hatte die staatliche Dürrebe­ kämpfung ihren festen Platz auf der politischen Agenda erobert. Von dieser Po­ sition prinzipieller bzw. zumindest inzipienter Akzeptanz ausgehend, gelang es in den folgenden Dekaden immer wieder, die Dürrepolitik mehr oder weniger extensiv zur Geltung zu bringen.

d) Die Konstruktion der Dürregeschichte – damals und heute Im Dürrediskurs wurde ein Bild der Region konstruiert, das sich auch gegen zahlreiche skeptische Stimmen durchsetzte, sich sogar auf ansonsten kritische Autoren abfärbte. Nur so ist zu erklären, dass die Dürre, wie eingangs zitiert, als „das ursprüngliche und lange Zeit einzige mit Klarheit wahrgenommene Problem des Nordostens“ bezeichnet werden konnte.1368 Selbst Historiker, die den oligarchischen coronelismo der Ersten Republik denunzieren, klammern Epitácio Pessoa – einen der bedeutendsten Vertreter dieser Politik – weitgehend aus ihrem Verdikt aus. Obschon einige Forscher expressis verbis den sozialen Nutzen seiner Maßnahmen hinterfragen, loben sie Pessoa als einen der weni­ gen, wenn nicht den alleinigen Politiker, der sich je wirklich der Region und ihrer Bewohner angenommen und sie vorangebracht habe.1369 An der schieren Unmöglichkeit, bei derartigen Aussagen zwischen Dürrehistoriographie und Dürrediskurs zu unterscheiden, wird die „symbolische Herrschaft“ des Diskur­ ses deutlich.1370 Sie wirkt über die Worte, ohne dass sich die Sprecher dessen bewusst sind. Mit ihren ungeschriebenen Gesetzen, die mit der Entwicklung des Diskurses Schritt halten und von den Diskursträgern unwissentlich kreiert und akzeptiert werden, bestimmt sie über das ‚Sagbare‘. Der diskursiven Macht ist es zu verdanken, dass Epitácio Pessoa nach wie vor als „Retter“1371 der Region gilt und die Dürre über Jahrzehnte hinweg mehr Aufmerksamkeit erfuhr als die Menschen, deren Lebenssituation vermeintlich von ihr abhing. Die ‚erfundene‘ Dürre wurde zur sozialen Realität und prägte als solche effektiv das Dasein im ‚erfundenen‘ und auf diesem Fundament ebenso reellen Nordosten. Der Einfluss des Dürrediskurses sei nur zu überwinden, so Durval Mu­ niz de Albuquerque, indem man die ihm zugrundeliegenden Dominanz- und Wissensstrukturen offenlegt.1372 Bereits vor zwanzig Jahren meinte Rosa Ma­ 1368 Hirschman, Política econômica na América Latina, 1965, S. 23. 1369 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 109, 166–168 (Quellen IV.6.c-12/26); Villa, História das secas, 2001, S. 127 f. Siehe auch Kapitel IV.6.c. 1370 Bourdieu, Was heißt sprechen?, 1990 (19821), S. 26–28. 1371 Gabaglia, Laurita Pessoa Raja, A figura humana de Epitácio Pessoa, 1966, S. 79 („reden­ tor“, Quelle I.2.b-01). 1372 Albuquerque, Invenção do Nordeste, 1999, S. 21.

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ria Godoy Silveira im Bollwerk der regionalen Oligarchie Risse zu erkennen, die Hoffnungsschimmer durchscheinen ließen.1373 Drei Jahre später schrieb Frederico de Castro Neves, die wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Strukturen des regionalistischen Machwerks „Nordosten“ seien inzwischen er­ schöpfend dargestellt worden.1374 Zugleich gestand er jedoch seine „Perplexi­ tät in Anbetracht der sich wiederholenden Geschichte“ ein und betonte die Notwendigkeit, sich auch weiterhin mit dieser „am meisten untersuchten und am wenigsten verstandenen Region Brasiliens“ zu beschäftigen und mit den bestehenden Auffassungen zu brechen.1375 Dieses Erfordernis leitet sich aus dem Verständnis von Geschichte als einem nie abgeschlossenen Prozess ab; denn die Vergangenheit wird letztlich in der Gegenwart geschrieben und gewinnt dort ihre konkrete Bedeutung. Vergangene Traditionen, Normen und Werte werden ‚erfunden‘ bzw. unentwegt umgedeutet, um gegenwärtige Hegemonie auf ihnen aufzubauen. So fokussierten und rekonstruierten die politischen Vertreter des sich konstituierenden Nordostens während der Ersten Republik ausgewählte, ihrer Argumentation dienliche Aspekte der mehrere Jahre und sogar Jahrzehnte zurückliegenden katastrophalen Trockenperiode von 1877–79. In ähnlicher Weise wird heute aus der Retrospektive auf Epitácio Pessoa zurückgeblickt und durch die positive Rezeption seiner Person und Politik der Dürrediskurs fortge­ führt. Diese Kontinuitätslinie, die sich vom initiierenden Moment der ‚Großen Dürre‘ über die prägende Phase der Ersten Republik bis in unsere Zeit verfolgen lässt, verdeutlicht die funktionale Verbindung von Vergangenheit und Gegen­ wart im Vorgang der diskursiven Konstruktion sozialer Realität. Der Dürredis­ kurs schöpft fortlaufend Legitimität aus der Vergangenheit – eine unerlässliche Voraussetzung seiner Existenz. Angesichts des von unzähligen Akteuren ausgefochtenen Wettstreits um die Gestaltung der ‚Wirklichkeit‘, die in diesem Spannungsfeld kollidierender In­ teressen einer kontinuierlichen Instabilität ausgesetzt ist, kann Realität nicht arbiträr erschaffen werden. Sie muss gesellschaftliche Anerkennung erlangen und ihren Glaubwürdigkeitsanspruch durch diskursive Kohärenz absichern. Im Fall des Dürrediskurses wurde immer dann mit besonderer Intensität Überzeu­ gungskraft im klimatischen Phänomen gesucht, wenn sich die Diskursträger in ihrer Machtposition – sowohl der politischen als auch der symbolischen – bedroht fühlten und herausgefordert waren, ihre Argumentation zu verteidi­ 1373 Silveira, Rosa Maria Godoy, „Apresentação“, in: Gurjão, Oligarquias (Paraíba 1889– 1945), 1994, S. 9–11 (11) (Quelle V.4.d-01). 1374 Neves, Imagens do Nordeste, 1994, S. 13, unter Verweis auf die Studien von Francisco de Oliveira, Rosa Maria Godoy da Silveira, Paulo H. Martins und Inaiá M.  M. de Carvalho. 1375 Ebd., S. 14; Silva, José Borzacchiello da, „Apresentação“, in: ebd., S. 9–11 (11) (Quelle V.4.d-02). Siehe auch ebd., S. 16 f., 19, 113 f.

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gen oder an neue Umstände anzupassen. Die Regierung Epitácio Pessoas war in dieser Beziehung zu einer außerordentlichen diskursiven Produktivität ge­ zwungen, da im Rahmen seines Nordostprogramms finanzielle Aufwendungen unbekannter Ausmaße ebenso große Widerstände provozierten. Seine Gegner stammten hauptsächlich aus dem Süden, was sich auf den ersten Blick durch den traditionellen Antagonismus der beiden Regionen erklären lässt. Überprüft man indessen genauer die Biographien der tonangebenden Kritiker im Parlament, so stößt man auf einen sozialpolitischen Background, der in die seit 1917 offen und öffentlich manifestierte Reformbewegung fällt und kaum etwas mit der oligarchischen Nord-Süd-Konkurrenz zu tun hat. Dieser Zusammenhang wird in der Dürrehistoriographie völlig ausgeblendet, so dass lediglich die aus der späten Kolonial- und Kaiserzeit herrührende Bevorzugung des Südens gegen­ über einem vernachlässigten Norden aufgeführt wird. Bei zahlreichen, nicht nur aus der Region selbst stammenden Autoren nimmt die mehr oder weniger deut­ lich bekundete Sympathisierung mit dem ‚seit jeher benachteiligten Nordosten‘ Formen eines regelrechten Solidarisierungstopos an. Aus dieser Perspektive ge­ winnt Epitácio Pessoa den Status eines seine bedrängte Heimatregion verteidi­ genden Helden – eine Vorstellung, die bis heute sein Andenken bestimmt.1376 Wahrscheinlich hätte sich ein differenzierterer, kritischerer Eindruck von ihm herausgebildet, wären die Opponenten seiner Dürrepolitik nicht im Lager der rivalisierenden Südoligarchien, sondern unter den Befürwortern progressiver Sozialreformen gesucht worden. Wenn herausragende Verteidiger von Arbeitsund Bürgerrechten den Maßnahmen zur Dürrebekämpfung misstrauten, dann nimmt dies in der Gesamtbeurteilung ein entschieden höheres Gewicht ein, als wenn hinter den Anschuldigungen lediglich eine Hetzkampagne gegnerischer Oligarchien vermutet wird. Die hier untersuchten Geschichtsschreiber, die sich mit der Dürre und Epitácio Pessoa befassten, haben in dieser Hinsicht dessen ‚Beweisführung‘ übernommen und die begründeten Zweifel der zeitgenössi­ schen Kritiker als „Interessenvertretung des Südens“ diskreditiert.1377 Die von Epitácio Pessoa angeordnete Niederschlagung der städtischen Protestbewegun­ gen und die gewaltigen Skandale seiner oligarchischen Dürrepolitik sind so in den Hintergrund gerückt, verdeckt von der strahlenden Erscheinung des ersten nordestino im Präsidentenamt – des ersten Politikers, der sich ‚wirklich‘ für den Nordosten eingesetzt habe. Die fragwürdige Darstellung Epitácio Pessoas illustriert die stets zu berück­ sichtigende perspektivische Brechung der ‚Wirklichkeit‘, die von den histori­ schen Akteuren ebenso wie von der Historiographie geformt wird. Jede Erfor­ schung der Vergangenheit ist in diesem Sinne zugleich eine ‚Erfindung‘ in der 1376 Siehe hierzu die Ausführungen über Lúcia de Fátima Guerra Ferreira, Eliete de Queiroz Gurjão Silva, José Batista Neto und Marco Antonio Villa in Kapitel IV.6.c. 1377 Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 147 (Quelle IV.6.c-25).

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Gegenwart.1378 Die mit ihr verbundene symbolische Macht, die jenseits der bewussten Absichten waltet, bleibt dem ‚Erfinder‘ in aller Regel verborgen. So werden Ermittler des Dürrediskurses selbst zu dessen Mittlern. In seiner Archäo­ logie des Wissens ermahnt Michel Foucault, „die unreflektierten Kontinuitäten außer Kurs zu setzen, durch die man im Voraus den Diskurs organisiert, den man zu analysieren vorhat“. Es ist gewiss unmöglich, die eigene Befangenheit bzw. das Gefangensein in den uns vertrauten Denkstrukturen auszuschalten. Zumindest kann die Distanz des Außenstehenden helfen, sich dem Thema des Dürrediskurses unter einem anderen Blickwinkel zu nähern, „sich von ei­ nem ganzen Komplex von Begriffen zu lösen, (...) jene völlig fertiggestellten Synthesen, jene Gruppierungen in Frage [zu] stellen, die man gewöhnlich (...) anerkennt“.1379 Den ‚Nordosten der Dürre‘ zu denaturalisieren, bedeutet, das so natürlich Wirkende zu hinterfragen, die Dürre und ihre Region als ein soziales Gewebe zu erkennen und zu entflechten.

5. Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jahrhundert a) Die Trockenperiode von 1998/99 aus Sicht der Landarbeiter und Großgrundbesitzer Nachdem die Bedeutung der im Laufe der Ersten Republik gestalteten Dürre­ politik für die Zeit bis zur Redemokratisierung bereits in einem kurzen Abriss aufgezeigt worden ist, wird nun die letzte größere Trockenperiode des 20. Jahr­ hunderts untersucht und anschließend ein Blick auf die erste „seca secular“ des 21. Jahrhunderts geworfen.1380 Wie in der Einleitung ausgeführt, zählte die Dürre von 1998/99 nach offiziellen Angaben zu den schwersten der vorausge­ gangenen drei Dekaden, mit mehr als zehn Millionen betroffenen Menschen im 1378 Albuquerque, A invenção da fala, 2005, S. 5. 1379 Foucault, Archäologie des Wissens, 1981, S. 33 f., 38. 1380 Bastos, Paulo Cesar (Ingenieur und Landwirt), „Seca secular“, Kommentar zum Ar­ tikel „Nordeste tem 1.134 municípios em estado de emergência por causa da seca“, in: Globo Rural (Rio de Janeiro) vom 18.7.2012, o. S., revistagloborural.globo.com; Teixeira, Richard („A seca é secular“), Kommentar zum Artikel „Seca altera festejos ju­ ninos“, in: Tribuna da Bahia (Salvador) vom 11.5.2012, tribunadabahia.com.br; Grilo, Margareth, „Busca pela sobrevivência vence o amor pelo campo“, in: Tribuna do Norte (Natal/Rio Grande do Norte) vom 27.5.2012, o.  S., tribunadonorte.com.br; „SOS Nordeste! Seca produz primeiros capítulos de um drama secular“, in: Porteiras online – O portal de notícias de Porteiras Ceará (Porteiras) vom 1.11.2012, http://porteirason­ line.com.br („A primeira grande seca do século XXI“).

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Nordosten. An dieser Stelle soll allerdings weniger der faktische Hintergrund als vielmehr die Wahrnehmung der Dürre im Mittelpunkt stehen. Während der Trockenperiode von 1998/99 hat die Entwicklungsbehörde für den Nordosten (SUDENE) bei der Fundação Joaquim Nabuco (Fundaj) eine Erhebung mit dem Titel „Die sozioökonomische Lage der Dürre von 1998 im Nordosten“ in Auftrag gegeben.1381 Unter anderem wurden 147 Frauen und 503 Männer befragt, die im Kern des Trockengürtels – Piauí, Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba und Pernambuco – in staatlich finanzierten Arbeitsbeschaffungs­ maßnahmen zur Dürrebekämpfung tätig waren. Für unseren Zusammenhang besonders aufschlussreich ist der letzte Abschnitt der Umfrage, in dem die Teil­ nehmer ihre Erwartungen und Forderungen an die zuständigen Institutionen formulieren konnten. Fast die Hälfte der Eingaben (44,4 %) konzentrierten sich auf den Aspekt der Wasserversorgung, in Form von Staubecken, Brunnen, Be­ wässerungsprojekten und der Ableitung von Wasser aus dem Fluss São Francisco. Knapp ein Viertel der Petitionen (24  %) stand in direktem Bezug zur akuten Dürrekrise: Beibehaltung der Notprogramme und Tankwagen, Erhöhung der Listenplätze und Löhne in den Arbeitsdiensten (frentes produtivas). Des Weiteren wurden Kredite für kleine Landwirte, Dienstleistungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit sowie die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen (Wohnstätten, Stromversorgung in ländlichen Gebieten) verlangt. Nur ein gerin­ ger Anteil der Befragten dachte an eine Agrarreform (ca. 1 %).1382 Neben den 650 Teilnehmern aus den frentes produtivas wurden auch 55 Großgrundbesitzer in die Umfrage einbezogen. Eine klare Mehrheit (72,7 %) erachtete – ebenso wie die Landarbeiter – den Wassermangel als das ursächliche Problem der Notsituation, mit empfindlichen Verlusten für die Agrarerzeug­ nisse, die Tierherden und Weideflächen. Nur einer der fazendeiros hatte keiner­ lei Schwierigkeiten während der Dürre, da er über ausreichende Wasserreserven verfügte. Insgesamt waren die Mittel der Landbesitzer, die regenlose Zeit zu überbrücken, jedoch unvergleichlich ergiebiger als im Fall der Landarbeiter. Ei­ nen noch besseren Schutz vor den Trockenperioden hielten fast alle befragten fazendeiros (94,5 %) für möglich, und zwar durch Vorkehrungen der Regierung. Genannt wurden Staubecken und Brunnen (41,2  %), Agrarkredite (32  %), Wasserkanalisation (9,3 %) und die Verbreitung neuer Technologien (8,2 %). Lediglich ein Großgrundbesitzer schlug eine Agrarreform vor. Die Existenz der Arbeitsdienste bewerteten drei Viertel der Latifundisten (74,5  %) als positiv, wobei mehr als die Hälfte (54,1 %) die Landarbeiter als die primär Begünstig­ 1381 Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 7 („O quadro sócioeconômico da seca de 1998 no Nordeste“). Duarte ist selbst Mitarbeiter der Fundaj und war für die Studie verantwortlich. Die Fundaj hat auch meine empirische Untersuchung zum Dürrebild im Jahr 2005 institutionell unterstützt. 1382 Ebd., S. 50, 54, 126 f., 129, 133.

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ten angab. Nur einige (12 %) sahen den eigentlichen Gewinn auf Seiten der Landbesitzer und Politiker. Hierzu erläutert der Autor der Studie, dass zweifellos die fazendeiros den hauptsächlichen Nutzen aus den staatlichen Bautätigkeiten zogen, die auf deren eigenem Grund und Boden durchgeführt wurden. Darüber hinaus profitierten die Politiker, indem sie die Hilfsgelder und Aktionen steu­ erten und zur Sicherung ihrer Wahlstimmen einsetzten. Ein weiterer Vorteil für die Latifundisten und Politiker war die verringerte Anspruchshaltung der Be­ völkerung, zumal die größten Entbehrungen durch die in den frentes produtivas garantierte Mindestversorgung aufgefangen wurden. Auf diese Weise blieben die Landarbeiter in der Region, was als Zustimmung zum Status quo gedeutet werden konnte.1383 Bei den Ergebnissen der Umfrage fällt auf, dass sich trotz der sozialen Ge­ gensätze die Antworten der landlosen Arbeiter und Kleinbauern kaum von den Ansichten der Großgrundbesitzer unterscheiden. Außerdem sticht die konzep­ tionelle Beständigkeit der staatlichen Dürrebekämpfung ins Auge, die ungeach­ tet der bemerkenswerten gesellschaftlichen Fortentwicklung in ganz Brasilien praktisch auf dem Niveau der Ersten Republik verharrt. Eine vom Dürredis­ kurs geprägte Rede Epitácio Pessoas aus dem Jahr 1919 könnte mit wenigen stilistischen Veränderungen hundert Jahre später vorgetragen werden, ohne als historisches Relikt zu wirken.

b) Dürre und Politik im Wahljahr 1998 Die von Epitácio Pessoa wesentlich angetriebene Politisierung der Trocken­ perioden trat 1998 besonders in Erscheinung, weil die Dürre in jenem Jahr mit den Präsidentschaftswahlen zusammenfiel. Dementsprechend war die öf­ fentliche Debatte von verstärkt polemischen Zügen gezeichnet. Die Opposi­ tion warf der Regierung kriminelle Verantwortungslosigkeit vor, denn obwohl die Trockenheit ein Jahr zuvor vorausgesehen worden war, habe die Regierung nicht früh genug eingegriffen. Tatsächlich hatte das Nationale Institut für Welt­ raumforschung (INPE) im Oktober 1997 für die in die Wintermonate fallende Regenzeit 1998/99 eine gravierende Trockenperiode prognostiziert, woraufhin die Presse die „größte Dürre des Jahrhunderts“ ankündigte.1384 Seit Januar und 1383 Ebd., S. 154, 156, 158 f., 167. 1384 „Nordeste enfrenta a pior seca do século. O Nordeste brasileiro deve enfrentar uma das piores secas deste século, entre os meses de março e maio do próximo ano“, in: Folha de S. Paulo vom 18.12.1997, S. 3/12, auszugsweise abgedr. in: Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 32. Siehe auch Galvão, Etério (Präsident des Landgerichts von Pernambuco), „Seca“, in: Folha de S. Paulo vom 20.5.1998, S. 8; Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 46, mit Bezug auf den Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais.

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mit erhöhter Frequenz seit März 1998 ermahnten die Abgeordneten aus dem Nordosten die Bundesregierung zur humanitären Intervention. Prominente Vertreter der Landlosenbewegung (MST) schlossen sich den immer vehementer vorgebrachten Vorwürfen an und wiesen das von staatlicher Seite geäußerte Ar­ gument der Unvorhersehbarkeit der Trockenperioden zurück. Sie beriefen sich darauf, dass die Dürrewarnungen von den staatlichen Organen selbst ausgespro­ chen worden waren.1385 Die Opposition gab zu verstehen, die Regierung habe bewusst keine präventiven Programme eingesetzt, um im Moment der Dürre – und im Moment der Wahlen – die Bevölkerung durch Ad-hoc-Maßnahmen wie die Verteilung von Nahrungsmittelkörben und die Zuteilung von Arbeits­ diensten für sich zu gewinnen. In diesem Zusammenhang existiert seit langem das geflügelte Wort „in einem Dürrejahr verliert die Regierung keine Wahl“.1386 Sprichwörtlich sind auch die kleinen Geld- oder Sachgeschenke, die gegen die Zusage von Wahlstimmen vergeben werden – zur Hälfte vor, zur Hälfte nach der Wahl, sobald sich der Sieg eingestellt hat. Gegen die Anschuldigung der Tatenlosigkeit verteidigte sich Präsident Fer­ nando Henrique Cardoso (1995–2002) damit, dass er nicht über die Natur zu regieren vermöge: „Die Dürre kann ich nicht beenden, denn das hängt von göttlichen Kräften ab“.1387 In seinen Ausführungen klang die vom Dürredis­ kurs seit über hundert Jahren gefestigte Vorstellung an, das Klima sei das es­ sentielle Problem der regionalen Notlage. Ähnlich war bereits 1877 befunden worden: „Regierungsaktivitäten sind machtlos (...). Lasst uns Gott um Regen bitten; das ist die erlösende Maßnahme.“1388 Diese Ansicht wurde 1998 von der Opposition nicht geteilt; die beiden aussichtsreichsten Gegenkandidaten Luiz 1385 Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 32; Stedile, João Pedro (Wirtschaftswis­ senschaftler und Vertreter des MST), „Violação dos direitos humanos“, in: Folha de S. Paulo vom 18.5.1998, S. 5. Der 1984/85 gegründete Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, von Celso Furtado die wichtigste Sozialbewegung des 20. Jahrhun­ derts genannt, übt durch Landbesetzungen Druck auf die Regierung aus, um eine durchgreifende Bodenreform zu erwirken. Furtado, Seca e poder: entrevista com Celso Furtado, 1998, S. 28. Siehe auch Schürger, Wolfgang, „,Gottes Erde, Land für alle‘ – Landprobleme in Brasilien und die Rolle der Kirchen“, in: Bernecker (Hg.), Latein­ amerika-Studien, Bd. 33, 1994, S. 225–259 (238 f.). 1386 Barreira, César, „Os pactos na cena política cearense: passado e presente“, in: Revista do Instituto de Estudos Brasileiros (São Paulo: USP), Nr. 40 (1996), S. 31–49 (35) (Quelle V.5.b-01). 1387 Cardoso, Fernando Henrique, zit. in: Neves, Tragédia oculta, 2003, S. 77. Eine ähnli­ che Stellungnahme Cardosos erwähnte Maria da Conceição Tavares im Interview mit Celso Furtado: „er behauptet, die Dürre sei ein Problem des heiligen Petrus, ein Prob­ lem der Natur.“ Tavares, Maria da Conceição, in: Furtado, Seca e poder: entrevista com Celso Furtado, 1998, S. 30. (Quelle V.5.b-02.) 1388 Diogo Velho, Anais do Senado, 7.8.1877, S. 70 (Quelle II.3.a-20).

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Inácio Lula da Silva und Ciro Gomes machten die Kritik an den Zuständen im Nordosten zum Wahlkampfthema. Lula da Silva, der in Pernambuco gebo­ ren, aber in São Paulo aufgewachsen war, klagte die politische Manipulation der Berichterstattung über die Dürre an. Ciro Gomes, der umgekehrt aus São Paulo stammt, jedoch in Ceará beheimatet ist, nannte in unmissverständlichem Widerspruch zu Fernando Henrique Cardoso als Ursachen der durch die Tro­ ckenheit offengelegten Armut die traditionelle, vom Großgrundbesitz geprägte Agrarstruktur und die überholten Produktionssysteme der Landwirtschaft. Der Wissenschaftler Andrade Torres bemängelte fehlende Investitionen in die grundlegenden Bereiche der Gesellschaft (Erziehung, Gesundheitswesen, Agri­ kultur) und bezeichnete die Dürreauswirkungen als Folge der ungerechten Ein­ kommensverteilung sowie der ausgebliebenen Landreform.1389 Die Bodenpasto­ ralkommission (CPT) verurteilte gleichermaßen die praktizierte Agrarpolitik, welche ausschließlich den Exportsektor der Großunternehmen fördere. Die CPT warf der Regierung außerdem fehlenden politischen Willen und die Be­ teiligung am fortbestehenden Geschäft mit der Dürre, der indústria da seca, vor. So seien laut Zeitungsberichten Gelder, die eigentlich für die Dürrebekämpfung bestimmt waren, von verschiedenen Regierungsinstitutionen für andere Zwecke verwendet worden. Celso Furtado merkte 1998 an, Cardoso seien hinsichtlich der Dürreproblematik die Hände gebunden, da seine Regierung von der Unter­ stützung der konservativen regionalen Machthaber abhänge.1390 1389 Miguel, Luis Felipe, „Mídia e eleições: a campanha de 1998 na Rede Globo“, in: Da­ dos. Revista de Ciências Sociais (Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro), Bd. 42, Nr. 2 (1999), o. S., scielo.br (Quelle V.5.b-03); Gomes, Ciro, „O Estado contra as oligarquias“, in: Folha de S. Paulo vom 18.5.1998, S. 1; Torres, „Fome e seca no Nordeste“, in: A União vom 29.5.1998, S. 2. Zu den historischen und aktuellen Hin­ tergründen (z.B. Pseudolohnverhältnisse) siehe Cavalcanti, Nordeste do Brasil: um de­ senvolvimento conturbado, 1981, S. 88 f., 110 f.; Chilcote, Ronald H., „Família e classe dominante em duas comunidades sertanejas do Nordeste brasileiro“, in: Revista Bra­ sileira de Estudos Políticos (Belo Horizonte), Bd. 67/68 (1988/89), S. 181–208 (206); „Reforma agrária é mentira“, in: Folha de S. Paulo vom 15.6.1998, S. 5; Stedile, „Mais recursos para a reforma agrária“, in: Folha de S. Paulo vom 22.3.1998, S. 3; „Brasil é 62° em relatório da ONU“, in: Correio da Paraíba vom 10.9.1998, S. 12; Felippe, Ana, „Analfabetismo atinge 47 % dos paraibanos“, in: Correio da Paraíba vom 2.11.1997, S. 10; Instituto de Desenvolvimento Municipal e Estadual da Paraíba, Anuário Estatí­ stico da Paraíba, Ano 1996, João Pessoa 1997, S. 59. 1390 Comissão Pastoral da Terra, „Carta das CPTs do Nordeste à Nação brasileira“ (Teil 1), in: Articulação do Semi-Árido, Semi-Árido Paraibano (Campina Grande), Jg. 4, Nr. 3 (Juni 1998), S. 2; „Verba para combater a seca é desviada“, in: O Norte (João Pessoa) vom 7.5.1998, S. 4; Furtado, Seca e poder: entrevista com Celso Furtado, 1998, S. 79. Die CPT fordert seit ihrer Gründung 1975 aktiv Agrarreformen, veranstaltet Seminare und erstellt Studien, vor allem über Landkonflikte. Schürger, Landprobleme in Brasi­ lien, 1994, S. 248. Zur damaligen Sklavenarbeit in Brasilien siehe Comissão Pastoral da

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Letztlich hat sich unbestritten ein übermäßiges Hinauszögern der Staats­ hilfen für die Dürreopfer herausgestellt: Die erste Regierungsinitiative erfolgte mit dem Einsatz von Arbeitsdiensten am 5. Juni 1998, und die ersten Gelder wurden am 30. Juni freigegeben, vier Monate nachdem die Presse dramatische Szenen aus dem Sertão veröffentlicht hatte. In den folgenden drei Monaten, also unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl im Oktober 1998, wurden im wichtigsten Nachrichtenprogramm des Landes Jornal Nacional der Rede Globo hingegen nur noch positive Neuigkeiten aus dem Dürregebiet berichtet. Gemäß einer vom Forschungsinstitut IUPERJ vorgenommenen Auswertung des Jornal Nacional vom 13. Juli bis zum 3. Oktober wurde das Thema der Notsituation im Nordosten von der Rede Globo regelrecht unterdrückt. Der Verdacht liegt nahe, dass der einflussreiche Sender hiermit gezielt den von ihm favorisierten Kandidaten Fernando Henrique Cardoso unterstützte.1391 Während Cardoso am 4. Oktober 1998 die Wiederwahl ins Präsidentenamt gelang, war die Bilanz der Dürrebekämpfung ernüchternd. Von den zehn Millionen akut von der Dürre betroffenen Menschen erhielten nur wenig mehr als zehn Prozent (1,2 Mio.) durch die Arbeitsdienste Hilfeleistungen. Es wurden zwar hohe Summen aus­ gegeben (ca. 4 Mrd. Reais), doch zur Milderung der nächsten Trockenperiode waren davon kaum Resultate zu erwarten, denn langfristige oder nachhaltige Maßnahmen wurden nicht geschaffen.1392 Auch wenn viele der oben aufgeführten Aussagen unter den Einwirkungen des Wahlkampfes standen und daher mit der gebotenen Vorsicht zu betrachten sind, veranschaulicht der Einblick in die öffentliche Dürredebatte deutlich die ungebrochene politische Brisanz und Aktualität des Themas an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Als habe sich der staatliche Umgang mit den Trocken­ perioden in keiner Weise weiterentwickelt, wurden Anschuldigungen, Forde­ rungen und Gegenargumente hervorgebracht, deren Ursprünge bis in die Zeit der ‚Großen Dürre‘ zurückreichen. Hierzu zählt unter anderem das Vorhaben, Kanalverbindungen vom São Francisco in die Trockenzone zu konstruieren.

c) Baubeginn nach 150 Jahren: Wasser aus dem São Francisco (1857/2007) Im Wahlkampf 1998 hatte Fernando Henrique Cardoso die Kanalisierung von Wasser aus dem São Francisco in den Trockengürtel des Sertão versprochen – Terra, Conflitos no campo. Brasil 1997, Goiânia: CPT, 1998, S. 57; für die jüngere Zeit siehe cptnacional.org.br. 1391 Miguel, Mídia e eleições: a campanha de 1998 na Rede Globo (Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro/IUPERJ), 1999, o. S., scielo.br. 1392 Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 42, 46, 98, 172.

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wie bereits bei den vorherigen Wahlen im Jahr 1994.1393 Der Bau eines Kanals zwischen dem zweitlängsten Fluss Brasiliens und weniger wasserreichen Flüssen der Region war erstmals 1857 und erneut 1877 anvisiert, doch immer wieder aufgrund fehlender Mittel oder technischer Undurchführbarkeit fallen gelassen worden. Auch Cardoso sollte weder in seiner ersten noch zweiten Amtszeit das Wahlversprechen einhalten.1394 Sein Nachfolger von der oppositionellen Arbei­ terpartei (PT) Luiz Inácio Lula da Silva (2003–10) nahm es schließlich gemein­ sam mit Ciro Gomes als Minister für Nationale Integration in Angriff. Der São Francisco entspringt in Minas Gerais, fließt durch Bahia, bildet im Norden des Bundesstaats die natürliche Grenze zu Pernambuco und trennt auf seinem weiteren Verlauf Sergipe von Alagoas, bevor er in den Atlantik mündet. Mit der transposição wird das Ziel verfolgt, Flüsse und Staubecken des semiariden Nordostens in Pernambuco, Paraíba, Rio Grande do Norte und Ceará dauerhaft mit ausreichendem Wasser zu versorgen. Dazu sind Aquädukte, Tun­ nel, Pumpanlagen und andere Bauwerke erforderlich. Experten und Politiker aus Minas Gerais, Bahia, Sergipe und Alagoas befürchten durch die Umleitung eines gewaltigen Wasservolumens Nachteile für ihre Provinzen. Aus dem zustän­ digen Integrationsministerium werden solche Einwände als rein politische Inte­ ressenvertretung abgewehrt. Die südlichen Anrainerstaaten dürften das Wasser des São Francisco nicht als ihnen zustehende ökonomische Reserve für die Zu­ kunft behandeln, während in den nördlich gelegenen Gebieten „die Menschen in Folge der Dürre sterben“. Und weiter: „Es geht darum, die Bevölkerung vor dem Elend zu retten, unter dem sie seit Jahren aufgrund der Trockenperioden leidet“. Auf die Frage, warum die Kanalisierung erst jetzt verwirklicht werde, antwortete der Generalkoordinator Pedro Brito im Jahr 2005: „Die früheren Regierungen hatten sich nicht verpflichtet gefühlt, zwölf Millionen nordestinos vor der Geißel der Dürre zu bewahren.“1395 Auch aus akademischen Kreisen wird das Projekt euphorisch und ganz im Sinne des Dürrediskurses präsentiert: „Der São Francisco beweist heute seine herausragende nationale Bedeutung (...). Denn dank der Ableitung seines Wassers wird er sogar helfen, die klimati­

1393 „FHC agora promete desvio do São Francisco“, in: Folha de S. Paulo vom 11.5.1998, S. 1/7, auszugsweise abgedr. in: Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 52. 1394 Araripe (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877, S. 281 (Quelle III.4-01); Aguiar, Nor­ deste – drama das secas, 1983, S. 50 f.; Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 53, 60; Go­ mes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 53. Villa nennt einen noch früheren Antrag aus dem Jahr 1818 durch José Raimundo de Passos Barbosa, den ersten ouvidor von Crato. Villa, História das secas, 2001, S. 36 f. 1395 Brito, Pedro (Kabinettschef im Ministerium für Nationale Integration und Generalko­ ordinator des Ableitungsprojektes), zit. in: „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 23 (Quelle V.5.c-01). Siehe auch ebd., S. 22.

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schen Auswirkungen in den von den Trockenperioden heimgesuchten Staaten des Nordostens zu mildern.“1396 Selbst wenn der Widerstand einiger Bundesstaaten politisch motiviert ist, sind die ökologischen Bedenken nicht von der Hand zu weisen. João Suassuna, Agraringenieur und Forscher der Fundação Joaquim Nabuco, lehnt das pharao­ nische Vorhaben angesichts der unkalkulierbaren Umwelteinflüsse ab und weist zugleich auf gangbare Alternativen hin. Von den 58 Milliarden Kubikmetern an Mündungswasser der regionalen Flüsse genüge ein Drittel, um 47 Millio­ nen Einwohner zu versorgen und zwei Millionen Hektar Land zu bewässern. Im Nordosten fassen 70.000 Stauanlagen annähernd 37 Milliarden Kubikmeter Wasser, das aufgrund unzureichender Konservierung zu 70 Prozent verdunstet. Anstatt Wasser aus 500 km Entfernung heranzuschaffen, schlägt Suassuna die naheliegende Lösung vor, die vorhandenen Wassermassen effizienter zu lagern und durch ein breit gefächertes Distributionssystem tatsächlich zu verteilen.1397 In gleicher Weise beanstandet die Weltbank, die Konsequenzen für die Natur seien nicht hinreichend untersucht worden, und empfiehlt den Bau kleiner und mittlerer Kanäle und die Verbesserung der bestehenden Wasserleitungen, auch in den Städten. Vor allem aber sieht die Weltbank keine Rechtfertigung für eine öffentliche Investition gegeben, weil sie generell die volkswirtschaftliche Renta­ bilität des Großprojekts in Frage stellt. Aus einer zweijährigen Studie resultie­ rend, bescheinigt die Weltbank dem Plan eine anspruchsvolle technologische und kommerzielle Zielsetzung, welche jedoch nicht die von den Dürren betrof­ fene Bevölkerung erreichen würde. Dem Abfluss von Wasser aus dem São Fran­ cisco wird ein geringer Einfluss auf die Verringerung der Armut zugeschrieben. In Anbetracht der hohen Landkonzentration müsse insbesondere die Besitzfrage in den entsprechenden Arealen geklärt werden.1398 Die Befürworter der transposição, beispielsweise der Wirtschaftsprofessor Carlos Lessa (UFRJ), heben die wichtige Versorgung der Städte, der neuen In­ dustrien und Landwirtschaft hervor. Laut Regierungsentwurf sind 71 Prozent des Wassers für die Irrigationsagrikultur, 25 Prozent für die Städte und 4 Pro­ zent für die ländlichen Ansiedlungen vorgesehen. Allerdings teilen zahlreiche Kommentatoren die skeptische Position der Weltbank und vermuten, dass in 1396 Brasil, Vanessa Maria, „Um rio, uma nação“, in: Nossa História (Rio de Janeiro: Biblio­ teca Nacional), Bd. 2, Nr. 18 (April 2005), S. 20 f. (21) (Quelle V.5.c-02). 1397 Suassuna, João (Agraringenieur, Fundação Joaquim Nabuco), zit. in: „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 23. 1398 Furtado, Bernardino, „Banco Mundial rejeita transposição“, in: Estado de Minas (Belo Horizonte) vom 2.2.2005, S. 8; Nankani, Gobind T. (Direktor der Weltbank in Bra­ silien), Schreiben an Integrationsminister Fernando Bezerra vom 6.3.2001, zit. in: Furtado, Bernardino, „[Transposição:] Baixo impacto contra a pobreza“, in: Estado de Minas (Belo Horizonte) vom 2.2.2005, S. 9.

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erster Linie die urbanen Zentren und Großunternehmen gefördert werden.1399 Dies haben schon vorherige Umleitungen von Flusswasser gezeigt, so etwa die Anfang der 1990er-Jahre begonnenen Kanalbauten der Adutora do Oeste im Sertão do Araripe (Pernambuco) und des Canal do Trabalhador in Ceará. Letz­ terer sicherte unter Federführung des ehemaligen Bürgermeisters von Fortaleza und damaligen Gouverneurs von Ceará Ciro Gomes die schwindenden Wasser­ bestände der cearensischen Hauptstadt an der Atlantikküste. Die Bedürfnisse der Kleinbauern im Hinterland wurden jedoch nicht vorrangig berücksichtigt. Folglich gibt es bei der aktuellen São Francisco-Konzeption erhebliche Zwei­ fel, wer effektiv von den Wassermengen profitieren wird. Offiziell sind die an­ sässigen Agrarbetriebe auf familiärer Basis als Nutznießer festgeschrieben, und bereits in der ersten Projektphase sollen 40 Prozent der Bevölkerung im Sertão begünstigt werden. Indessen sind derartige Bestimmungen erfahrungsgemäß nicht langlebig oder werden ausgehebelt, indem finanzkräftige Exportunterneh­ men das bewässerte Land aufkaufen.1400 Der Geographieprofessor Aziz Ab’Saber (Universität von São Paulo/USP) nennt die Argumente für die Wasserableitung „phantastisch und verlogen“, sobald sie vorgeben, die sozialen Probleme des semi-ariden Hinterlands lösen zu wollen. Ebenso wie der Agraringenieur João Suassuna ist er überzeugt, das kanalisierte Wasser werde nicht der breiten Be­ völkerung des Nordostens, sondern den industriellen Großproduzenten von Früchten, Blumen und Garnelen zukommen.1401 Nach Ansicht von Aziz Ab’Saber und anderen Kritikern dient das Kanali­ sierungsprojekt den Politkern vor allen Dingen als Wahlpropaganda.1402 Diese Aussage gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man die Hintergründe des Welt­ 1399 Ebd.; Lessa, Carlos, „Nordeste poderá ser solução do Brasil“, in: Valor econômico (São Paulo) vom 20.6.2005, o. S.; ders., „O sertão vai virar mar“, in: Valor econômico (São Paulo) vom 6.7.2005, o.  S.; „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 22. 1400 Ebd., S. 23; Gomes, A., Imaginário social da seca, 1998, S. 64; Ramos, Gilvan (Ag­ ronom mit Spezialisierung in Agribusiness, Wirtschaftsanalyst der Empresa Brasileira de Pesquisa Agropecuária/Embrapa), Korrespondenz mit Tim Neufert vom 18.8.2011 und 8.4.2012 (Campina Grande/Paraíba). 1401 Ab’Saber, Aziz, „A quem serve a transposição das águas do São Francisco“, in: CartaCa­ pital (São Paulo) vom 22.3.2011, o. S., cartacapital.com.br („argumentos (...) fantasio­ sos e mentirosos“); ders., „A transposição de águas do São Francisco: análise crítica“, in: Revista USP (São Paulo), Nr. 70 (Juni/Aug. 2006), S. 6–13 (13), revistas.usp.br; „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 23. Siehe auch Fernandes, Vivian, „Transposição do rio São Francisco custa R$ 3,4 bi a mais que o previsto“, in: Brasil de Fato (São Paulo) vom 23.3.2012, o. S., brasildefato.com.br. 1402 Ab’Saber, A transposição de águas do São Francisco: análise crítica, 2006, S. 13. Siehe auch Villa, Transposição: uma idéia ultrapassada, 2005, S. A3. Erstaunlicherweise zählt Villa, dessen Dürregeschichte stark am Dürrediskurs angelehnt ist, gerade zu einem der heftigsten Gegner des Kanalisierungsprojektes.

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bank-Gutachtens hinzuzieht. Die unabhängige Untersuchung war ursprünglich auf Anfrage der brasilianischen Regierung initiiert worden. Im Jahr 2001 infor­ mierte die Weltbank Präsident Fernando Henrique Cardoso in einem vertrau­ lichen Schreiben über die negative Einschätzung des Vorhabens und bestätigte ihren Standpunkt gegenüber der Nachfolgeregierung von Luiz Inácio Lula da Silva in den Jahren 2003 und 2004. Weder Cardoso noch Lula da Silva veröf­ fentlichten die Expertise. Lula da Silva warb stattdessen mit einer aufwendigen Kampagne für das Großprojekt, das 2004 von der Regierung konkretisiert und verabschiedet wurde. Die Bautätigkeiten sollten 2005 starten und zwei Jahre in Anspruch nehmen. Nach dem tatsächlichen Beginn 2007 wurde die anvi­ sierte Fertigstellung erst auf 2010 und mittlerweile auf 2016 verschoben. Die voraussichtlichen Kosten stiegen von ursprünglich 1,5 Milliarden Reais (1998) auf 4,8  Milliarden (2005) bzw. 8,2  Milliarden (2015). Zahlreiche zusätzliche Probleme werfen kein gutes Licht auf die Umsetzung; mehrere Abschnitte der Arbeiten wurden von den Konstrukteuren aufgegeben und wiesen schon bald Risse und weitere Verfallserscheinungen auf.1403 Zudem wurde Missbrauch in Form erhöhter Abrechnungen bekannt, und entlang der Kanalachsen setzte eine ausufernde Immobilienspekulation ein. Korruptionsvorwürfe wurden gegen den früheren Integrationsminister Ciro Gomes vorgebracht, der in seiner ce­ arensischen Heimat Vetternwirtschaft betrieben und öffentliche Gelder zweck­ entfremdet haben soll.1404

d) Das Ende der Dürre oder des Dürrediskurses? Einen überragenden politischen Erfolg bedeutete die transposição des São Fran­ cisco, das teuerste Projekt innerhalb des „Programms zur Wachstumsbeschleu­ nigung“ (PAC), für Dilma Rousseff. Die erste Präsidentin der Republik (seit 1403 Furtado, B., „Banco Mundial rejeita transposição“, in: Estado de Minas vom 2.2.2005, S. 8; „Do rio para o sertão“, in: Nossa História, April 2005, S. 22; Folha de S. Paulo vom 11.5.1998, S. 1/7, zit. in: Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 52; Fernandes, V., „Transposição do rio São Francisco custa R$ 3,4 bi a mais que o previsto“, in: Brasil de Fato vom 23.3.2012, o. S., brasildefato.com.br. Siehe auch Ministério da Integração Nacional, „Integração Nacional vistoria obras do Projeto São Francisco em Custódia (PE)“, in: Portal Brasil (Brasília) vom 16.3.2012, o. S., brasil.gov.br und die offizielle Präsentation des Vorhabens unter Ministério da Integração Nacional, Projeto São Fran­ cisco. O que é o projeto?, 23.2.2015, www.integracao.gov.br. 1404 Ramos, Gilvan (Wirtschaftsanalyst der Embrapa), Korrespondenz vom 18.8.2011 und 8.4.2012; Villa, Transposição: uma idéia ultrapassada, 2005, S. A3; „Polícia Federal in­ vestiga escândalo que envolve os irmãos Ciro e Cid Gomes. Documentos apreendidos apontam o desvio de 300 milhões de reais das prefeituras do estado entre 2003 e o fim do ano passado“, in: Veja (São Paulo) vom 18.9.2010, o. S., veja.abril.com.br.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Januar 2011 im Amt, im Oktober 2014 wiedergewählt) war unter ihrem Vor­ gänger Lula da Silva als Kabinettschefin für den PAC verantwortlich, der im Nordosten „die Dürre beenden“ sollte. Ihre Rolle als „Mutter des Wachstums­ programms“ verschaffte ihr in den Präsidentschaftswahlen 2010 extrem hohe Stimmenanteile im Nordosten, speziell in den vom Kanalbau direkt berührten Gebieten (75–95 %).1405 Ein ‚Ende der Dürre‘ ist indessen nicht absehbar. Fast fünfzehn Jahre nach der letzten gravierenden Trockenperiode in den Jahren 1998/99 wurde im Mai 2012 in 1016 von 1794 Munizipien des Nordostens der Notstand ausgerufen und – für die Verteilung der Hilfsgelder entscheidend – anerkannt. Das Integrationsministerium stellte 70 Millionen Reais frei, um mit Tankwagen (carros-pipa) Wasser in die betroffenen Gemeinden zu transpor­ tieren.1406 Im Vorfeld der Munizipalwahlen von 2012 kündigten die Kandidaten über ‚ihre‘ lokalen TV-Kanäle die Wasserverteilung an – die Stadträte und Bür­ germeister von heute sind in dieser Beziehung die coronéis von einst. Die Abhän­ gigkeit im Moment der Dürre ist geblieben, und sei es von den carros-pipa, denn für eine längere Trockenzeit sind die Wasservorräte für Mensch und Tier in den kleineren Zisternen nicht ausreichend. Nach Auffassung des Agraringenieurs Gilvan Ramos würden sämtliche Maßnahmen zur Dürrebekämpfung seit der Regierung Lula da Silva die Auswirkungen einer mehrjährigen totalen Trocken­ periode nicht abfedern können.1407 In der Gegend um Olivença in Alagoas wurde 2012 von einer „dramatischen Lage“ für die Viehzucht gesprochen. Fazendeiro Ulisses Ferraz, geboren im letz­ ten Jahr der Ersten Republik, äußerte sich erstaunt: „Ich bin 83 Jahre alt, mein Vater war Züchter, ich war es mein Leben lang, aber solch einen Zustand habe

1405 Fernandes, V., „Transposição do rio São Francisco custa R$ 3,4 bi a mais que o pre­ visto“, in: Brasil de Fato vom 23.3.2012, o. S., brasildefato.com.br; Bresciani, Eduardo/ Pedrosa, Wilson, „Governo abandona transposição do São Francisco após eleição de Dilma“, in: Estadão (São Paulo) vom 3.12.2011, o. S., estadao.com.br („mãe do Pro­ grama de Aceleração do Crescimento“). Auch für ihre knappe Wiederwahl (51,6 %) am 26. Oktober 2014 war der Sieg in allen Staaten des Nordostens (20 Mio. Stim­ men/72 % der Stimmen in der Region) ausschlaggebend. Für eine differenzierte Dar­ stellung siehe Toledo, José Roberto u.a., „Os sete mitos das eleições de 2014“, in: Es­ tadão (São Paulo) vom 28.10.2014, o. S., estadao.com.br. 1406 „Seca castiga estados do Nordeste“, in: Globo Rural (Rio de Janeiro) vom 1.4.2012, o. S., g1.globo.com; Madeiro, Carlos, „Seca no Nordeste. Seca leva Ceará a decretar emergência em 168 municípios“, in: UOL Notícias (São Paulo) vom 29.5.2012, o. S., noticias.uol.com.br. Zu weiteren Dürreschlagzeilen siehe Quellenanhang V.5.d-01 (u.a. 2013: „916 Mio. Reais für Tankwagen“; 2015: „die schlimmste Dürre der letzten 50 Jahre“). 1407 Ramos, Gilvan (Wirtschaftsanalyst der Embrapa), Korrespondenz vom 8.4.2012 und 13.1.2015.

Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jh.



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ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen.“1408 Mit seinem hohen Alter spannt Ulisses Ferraz eine Brücke in die Zeit Epitácio Pessoas. Damals wie heute ist der Dürrediskurs in Gebrauch, offenbar ohne sich zu erschöpfen. Er erneuert sich kontinuierlich und gibt der Trockenheit immer wieder den Anschein eines außerordentlichen Ereignisses nie gesehener Ausmaße. Von Ulisses Ferraz und vielen anderen vor ihm so empfunden, ist die in ihrer Wahrnehmung stets neue Qualität des Phänomens für den Erhalt des Dürrediskurses von elementarer Re­ levanz. Der hiermit zusammenhängende Überraschungsfaktor ist eine der ver­ wunderlichsten Begleiterscheinungen der Trockenperioden: Sowohl 1877–79, 1919, 1979–83, 1998–99 als auch im Jahr 2012 wurde die Bevölkerung von den Klimaeinbrüchen überrascht, trotz aller Vorhersagen und Vorkehrungen. In diesem Notstandsszenario werden die Aussagen des Dürrediskurses mit der größten Selbstverständlichkeit hervorgebracht, als bezögen sie aus den aktuellen Begebenheiten ihre Legitimität und würden nicht umgekehrt durch die trau­ rige Wiederholung der Geschehnisse diskreditiert. Die Krise wird als eine von der Natur verursachte Ausnahmesituation angenommen, so dass sich bisher die meisten Dürreopfer – abgesehen von jüngeren Protest- und Widerstandsbewe­ gungen1409 – wie in den Jahren 1998/99 mit Ad-hoc-Programmen zufrieden geben und lediglich um Wasser bitten, anstatt auch nach dem Ende des spo­ radischen Regenmangels tiefgreifende Gesellschaftsreformen zu verlangen oder anzustoßen. Die politischen Akteure des Dürrediskurses sind in allen Lagern beheimatet, und die wirtschaftlichen Nutznießer der Dürrepolitik haben lediglich die Fas­ sade der Herrenhäuser dem Zeitgeist angepasst – aus den alten Agraroligarchien wurden im Zuge der ökonomischen Entwicklung die neuen Agrarindustriellen. Mit der bekannten Begründung, die Landbevölkerung vor den Trockenperio­ den zu schützen, sichern sie sich die Wasserversorgung für Obst- und Gemü­ seplantagen im sogenannten „neuen Nordosten“. Dieser ist nicht die „Getrei­ 1408 Ferraz, Ulisses, zit. in: „Seca castiga estados do Nordeste“, in: Globo Rural vom 1.4.2012, o. S., g1.globo.com (Quelle V.5.d-01). 1409 Zur ersten wichtigen Woge des Widerstands in den 1950er-Jahren bis zum Militär­ putsch von 1964 (Bauernligen unter Francisco Julião, Gewerkschaften und Treffen der Bischöfe im Nordosten) siehe Callado, A., Os industriais da sêca e os „Galileus“ de Pernambuco, 1960, S. 40, 104, 128, 145 (Ligas Camponesas) und Oliveira, Elegia para uma re(li)gião, 19813 (19771), S. 106, 112 (Encontros dos Bispos no Nordeste) bzw. für ei­ nen Überblick Neufert, Tim, Dürreperioden im Nordosten Brasiliens als gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Problem, 2001, S. 60–71. Zu neueren Protestbewegun­ gen seit der Redemokratisierung siehe ebd., S. 82–84 und Schmitt, Tobias, Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis. Eine politische Ökologie der Wasserknappheit im Nordos­ ten Brasiliens (Dissertation, unveröffentlichtes Manuskript), Innsbruck: Leopold-Fran­ zens-Universität/Institut für Geographie, Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissen­ schaften, 2013, Kapitel 12.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

dekammer Brasiliens“ geworden, von der schon die Anhänger Epitácio Pessoas geschwärmt hatten,1410 sondern eine von vielen brasilianischen Exportoasen, die lediglich einer kleinen Wirtschaftselite zugute kommen. In diesem Sinne unter­ scheiden sie sich kaum von den Zuckeranpflanzungen der Kolonialepoche, wel­ che den Nahrungsmittelanbau aus den fruchtbaren Landstrichen verdrängten. Die Last trug und trägt die breite Bevölkerung. Ihre armutsbedingte Abhängig­ keit – vom Klima und den neuen donos da terra – wird wohl nur durch eine wei­ tere Verbesserung der Bewusstseins- und Allgemeinbildung zu verringern sein, so dass die Menschen nicht mehr überrascht werden, weder von der Dürre noch von den donos do poder. Das vom Dürrediskurs vermittelte Bild des Nordostens und der Trockenpe­ rioden wird zum Teil nach wie vor an brasilianischen Schulen und sogar Uni­ versitäten gelehrt – beruhend auf den Darstellungen von Euclydes da Cunha, Epitácio Pessoa und ihren Nachfolgern.1411 Foucault bemerkte zum Verhältnis von Erziehung, Diskurs und Macht: „Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode, die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verändern.“1412 Auf eine breitere Basis versetzt, lässt sich mit einer Entlehnung aus der Sprachphilosophie sagen: „Die Grenzen mei­ ner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“1413 Zu verstehen sind hierun­ ter zugleich die Grenzen möglichen Wandels. Solange die ‚Dürre‘ zusammen 1410 Espinola, „Epitacio Pessôa“ (Conferência na Casa da Parahyba), Teil II, in: Jornal do Comercio vom 6.7.1952, o. S. (Quelle V.4.c-01). 1411 Zur Verwendung von Pessoas Reden als Lehrmaterial siehe Castro, Th. (Hg.), História documental do Brasil, 19682, S. 293–295 (Quelle IV.2.d-17) bzw. Kapitel IV.6.c. Im Rahmen meiner Umfrage an Schulen und Universitäten im Jahr 2005 zeigte sich, dass noch 100 Jahre nach der Veröffentlichung von Os Sertões das von Euclydes da Cunha mitgeprägte Bild der Region reproduziert wird. Eine fortschrittlichere Sichtweise stellt das Konzept der convivência com a seca (wörtlich: Zusammenleben mit der Dürre) dar, das ich 1998 bei der Begleitung des PEASA in den Sertão kennenlernte. Zum PEASA (Universidade Federal de Campina Grande) siehe auch das Vorwort und Programa de Estudos e Ações para o Semi-Árido (neue Schreibweise: Programa de Estudos e Ações para o Semiárido), Semiárido, peasa.paqtc.org.br; Yres, Jana, PEASA – Programa de Es­ tudos e ações para o Semiárido, 13.5.2014, janayresespgeo.wordpress.com/2014/05/13; zur „convivência com o semi-árido“ siehe „Editorial“, in: Articulação do Semi-Árido, Semi-Árido Paraibano (Campina Grande), Jg. 4, Nr. 3 (Juni 1998), S. 2; zu neuen Unterrichtsformen über diesen nachhaltigen Umgang mit der Natur siehe Schmitt, Tobias, Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis. Eine politische Ökologie der Wasser­ knappheit im Nordosten Brasiliens, 2013, Kapitel 12 (Manuskript). 1412 Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 20007 (19721), S. 30. 1413 Wittgenstein, Ludwig, „Tractatus logico-philosophicus“, in: ders., Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 199912, S. 5.6, zit. in: Landwehr, Geschichte des Sagbaren, 2001, S. 15. Landwehr, für den Wittgensteins Sprachphilosophie von zentraler Bedeutung für die historische Diskursanalyse ist, erörtert die in der Geschichtswissenschaft unübliche He­

Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jh.



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mit dem Einmaleins in der Schule als etwas Selbstverständliches verinnerlicht wird, werden die ihr zugrundeliegenden Strukturen nicht hinterfragt. Rational betrachtet ist der Diskurs vom ‚tragischen Verhängnis der Dürre‘ aufgebraucht, innerlich entleert. Seit den ersten kritischen Analysen der 1980erund 1990er-Jahre ist er immer klarer als ein autoreferentielles System demaskiert worden, welches sich lediglich auf ein von ihm selbst erfundenes Gedanken­ konstrukt stützt. Daraus bezog der Dürrediskurs stets seine reproduktive Kraft, doch darin kann auch seine Schwäche liegen. Sobald die Trockenperioden als ein rein meteorologisches Phänomen wahrgenommen werden und ihre soziale Dimension verlieren, können die klimaunabhängigen Ursachen der Armut – bislang der Trockenheit zugeschrieben – durch wirksamere Ansätze behoben werden.1414

e) Die Politisierung der Trockenheit – Parallelen auf ­internationaler  Ebene In mehreren Gegenden der Erde herrschen ähnliche klimatische Bedingungen wie im brasilianischen Nordosten, ohne dass sie zu einer analogen gesellschaftlichen Problematik und regionalen Identitätskomponente geworden sind. In den trocke­ nen Gebieten Kaliforniens und Israels wurden die landwirtschaftlichen Voraus­ setzungen durch Irrigationstechniken wesentlich verbessert. Andererseits veran­ schaulicht der Fall Indiens mit der zweitgrößten Bewässerungsagrikultur der Welt, dass damit nicht notwendigerweise die sozialen Nöte gelöst sind, denn die Mehr­ heit der indischen Bevölkerung lebt an der Grenze des Existenzminimums.1415 Verelendung und Hunger können nicht allein durch Einflüsse der Natur oder den technischen Entwicklungsstand erklärt werden. Chronische Armut und akute Bedrängnisse, die im Mangel an Wasser als unentbehrlicher Lebensressource ihren äußersten Ausdruck finden, hängen in aller Regel mit einer strukturellen Vertei­ lungsungerechtigkeit oder einem Unrechtsregime zusammen. Im Folgenden soll abschließend auf einige Beispiele hingewiesen werden, welche die Erarbeitung vergleichbarer bzw. vergleichender Länderstudien nahelegen. ranziehung Wittgensteins im Zusammenhang mit der von jenem ebenso wie von His­ torikern postulierten „Hinterfragung des Selbstverständlichen“. Ebd., S. 13–22 (14). 1414 Castro, I., Seca versus seca. Novos interesses, novos territórios, novos discursos no Nor­ deste, 1996, S. 317 f. Siehe auch dies., Reinvenção do Nordeste, 2001, S. 104 f. (Quelle V.5.d-02). Zu konkreten Lösungsvorschlägen siehe Andrade, J., Oligarquias e secas, 1980, S. 24; Duarte, R., A seca de 1998–1999, 2002, S. 47 f., 171, 174 f. 1415 Schwalbach, Entwicklung der Nordostregion, 19931, S. 135; Gomes, A., Imaginário so­ cial da seca, 1998, S. 37; Coelho, Jorge, A indústria das secas, 1985, S. 69; Caritas In­ ternational, Chancen für Chancenlose. Indien: Raus aus der extremen Armut, April 2013, caritas-international.de.

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Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Vereinten Nationen haben die einzigartige Bedeutung und Dringlich­ keit der Wassersituation hervorgehoben, indem sie am Weltwassertag 2005 (22.  März) die internationale Dekade „Wasser zum Leben“ ausriefen. Nach Einschätzung von Experten bietet die Erde ausreichend Wasser, um die Grund­ bedürfnisse ihrer Bewohner zu decken. Die Schwierigkeiten resultieren weniger aus den geringen und abnehmenden Vorkommen als vielmehr aus deren Ver­ teilung, Verwendung und nicht zuletzt Verschwendung. Dies trifft vorrangig auf die landwirtschaftlichen Sektoren zu, welche die größten Wassermengen verbrauchen. Sie sind hauptsächlich für die weit verbreitete nicht nachhaltige Nutzung verantwortlich und nehmen zugleich ein erhebliches Gewicht im politischen Entscheidungsprozess ein. Gerade in trockenen Regionen ist die Verfügung über die Wasserreserven für eine Politisierung anfällig; hier wird oft nicht rational oder gar humanitär entschieden, sondern auf Basis ideologi­ scher Grundsätze, innenpolitischer Zwänge oder nationaler und internationaler Prestigeziele. Ein herausragendes Exempel ist der Bau von Stauanlagen. In den vergangenen fünfzig Jahren sind weltweit mehr als 40.000 große Staudämme konstruiert worden, obschon sie – vor allem im Verhältnis zu den ökologischen und ökonomischen Kosten – insgesamt keine positive Erfolgsbilanz aufweisen. Dennoch erhielten sie bisher aus politischen Motiven den Vorzug vor dezentra­ len Lösungen, welche sich an den lokalen Erfordernissen orientieren und auch die breite Bevölkerung erreichen würden.1416 Besonders prekär ist die Wasserversorgung in unzähligen Gebieten Afrikas. Zum einen hält die Errichtung sanitärer Anlagen nicht Schritt mit der rapiden Verstädterung, zum anderen führen innergesellschaftliche Spannungen zu Kon­ flikten bei der Wasseraufteilung zwischen Landwirtschaft, Industrie, Stadt- und Landbevölkerung oder zwischen ethnischen Gruppen. Vielerorts sind die Men­ schen aufgrund von Bürgerkriegen kaum in der Lage, sich selbst zu verpflegen, geschweige denn Reserven anzulegen. Hungersnöte in Zeiten ausgedehnter Tro­ ckenperioden wie in Somalia im Jahr 2011 beruhen dementsprechend zu gro­ ßen Teilen auf den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht nur auf dem Ausbleiben der Niederschläge. Außerordentlich erschwert wird das Unheil durch die Instrumentalisierung der Dürrekatastrophen und der humanitären Hilfe seitens der verschiedenen Kriegsparteien.1417 1416 Gleick, Peter (Präsident des unabhängigen Pacific Institute in Oakland/Kalifornien), zit. in: „Wer Wasser hat, hat Macht“, in: Deutsche Welle vom 20.3.2005, dw.de; „Le­ benselixier Wasser“, in: Deutsche Welle vom 15.8.2008, o. S., dw.de; Fröhlich, Christi­ ane, „Zur Rolle der Ressource Wasser in Konflikten“, in: Bundeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 25/2006 (19.6.2006), S. 32–37 (33, 37). 1417 Zu Auseinandersetzungen entlang der großen Flussläufe in Afrika, im Nahen Osten und Indien siehe ebd., S. 32, 34–36; zur Situation in Afrika siehe „Versorgungskrise.

Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jh.



405

Politisch verursachter Wassermangel ist ebenfalls im Süden Europas anzu­ treffen. In Sizilien, ähnlich wie im brasilianischen Nordosten, wurde Wasser frü­ her als Gefälligkeit im Wahlkampf zugeteilt. Noch heute ist der unter anderem durch illegale Abzweigungen provozierte Notstand für private Wasserverkäufer ein gutes Geschäft, das sich in den Händen des organisierten Verbrechens be­ findet. Bei einer effizienteren Konservierung der existenten Ressourcen könnte die Versorgung der Inselbewohner gewährleistet werden, doch 75 Prozent des Wassers gehen in den maroden Stauanlagen und Leitungen verloren und ein unkalkulierbarer Anteil der EU-Subventionen für deren Restauration versickert in dubiosen Kanälen. Derweil manifestieren die Politiker ‚Solidarität‘ mit der Bevölkerung und fordern „Wasser für alle Sizilianer“.1418 Auch in der Südhälfte Spaniens wurde mit dem simplen Schlagwort „Was­ ser für alle“ auf komplexe Zustände reagiert, als im Jahr 2005 die schwächsten Niederschläge seit fast 60 Jahren verheerende Konsequenzen für die Agrikultur hatten.1419 Nach einem annähernd regenlosen Winter wurde im Frühjahr 2012 für die Sommermonate sogar mit einer noch gravierenderen Trockenheit ge­ rechnet. Das Landwirtschaftsministerium bat – ebenso wie das portugiesische – um die vorzeitige Auszahlung eines Großteils der Spanien zustehenden EUHilfsgelder (5,5 von 7,5  Mrd. Euro).1420 Agrarexperten und Umweltschützer Wassermangel bedroht Städte Afrikas“, in: Spiegel Online vom 21.3.2011, spiegel.de; Diakonie Katastrophenhilfe, Somalia – Dürre, Krieg, Armut und Hunger, Juli 2011, S. 1–4, diakonie-katastrophenhilfe.de; Höhne, Markus, Die Koproduktion von Hun­ ger durch Dürre, Krieg und externe Interventionen (Fachgespräch), Halle/Saale: MaxPlanck-Institut für ethnologische Forschung, 2011, S. 5, 8, http://zukunftderernaeh­ rung.org; Eder, Teresa, „Terror in Somalia. Kenia wird das nächste Ziel al-Shabaabs sein“, Interview mit Markus Höhne, in: Der Standard (Wien) vom 24.10.2011, der­ standard.at. Siehe auch die Analysen von Amartya Sen über Hungerkatastrophen, die politische Gründe hatten und nicht einfach auf einen Mangel an Nahrung zurückzu­ führen waren. Müller, Jan-Werner, „In der Identitätsfalle. Amartya Sen schreibt gegen einen Schicksalsglauben an“, in: Neue Zürcher Zeitung vom 22.6.2006, S. 27, mit Re­ ferenz auf Sen, Amartya, Identity and Violence: the illusion of destiny, New York: W. W. Norton, 2006. 1418 Pieper, Anke, „Wassermangel auf Sizilien. Sparen allein hilft nicht weiter“, in: Deutsch­ landradio vom 21.12.2001, dradio.de/dlf; „Genug Wasser wäre da. Sizilien: Proteste wegen Wasserknappheit“, in: Handelsblatt vom 5.6.2002, handelsblatt.com; „Wasser­ mangel: Sizilianer sitzen auf dem Trockenen“, in: Berliner Morgenpost vom 16.5.2002, morgenpost.de. 1419 Koch, Marc, „Dürre in Spanien. Demoralisierte Bauern, ratlose Politiker“, in: Die Nachrichten der ARD (ARD-Hörfunkstudio Madrid) vom 22.3.2006, tagesschau.de; „Spanien in einem Dürrejahr. Die Verteilung raren Wassers wird zum Politikum“, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ Online) vom 19.7.2005, nzz.ch. 1420 „Spanien fordert wegen Dürre 5,5 Milliarden Euro EU-Hilfen“, in: Tiroler Tageszeitung (Onlineausgabe) vom 19.3.2012, tt.com; Zinke, Olaf, „Spanien: Trockenheit lässt Ge­

406 

Schlussfolgerungen und Ausblick

halten hingegen die bewässerungsintensive Landwirtschaft in den trockenen Regionen – noch dazu durch Subventionen gefördert – für eine Fehlentwick­ lung. Das Wasser, seit langem ein Politikum erster Ordnung, wird durch ökolo­ gisch folgenschwere Flussumleitungen oder genauso teure Entsalzungsanlagen beschafft. Paradoxerweise bietet das trockene Spanien dem Endverbraucher die niedrigsten Wasserpreise im europäischen Vergleich und stimuliert damit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch in Europa. Eine vernünftigere Verwendung der vorhandenen Wasserbestände, die oft illegal ausgebeutet werden, ist Vorausset­ zung, um auch in regenarmen Jahren keine Engpässe zu erleiden. Als ebenso wenig unumstrittene Regulierungsmöglichkeit werden kostendeckende Wasser­ preise genannt, welche die Zuspitzung entschärfen, die Sanierung des veralte­ ten Kanalnetzes finanzieren und den Verlust großer Wassermengen verhindern sollen.1421 Gemein ist den hier skizzierten Vorgängen, dass ein an sich unpolitisches Thema – die Trockenheit bzw. der Wassermangel – von der Politik vereinnahmt und zur Durchsetzung meist wirtschaftlicher Interessen benutzt wird. Diese Ins­ trumentalisierung der Dürre ist sozialen Macht- und Verteilungskämpfen un­ terworfen und wird von gesellschaftlichen Gruppierungen betrieben, welche die im Diskurs behandelte Problematik letztlich nicht lösen, sondern im Gegenteil perpetuieren. Von geringerer Dauer sind indessen die partiellen Errungenschaf­ ten; symbolhaft für das Missverhältnis von Politisierung und Realisierung sind zwei Momentaufnahmen vom Kanalisierungsprojekt im Nordosten: Das erste Bild (aus einer Regierungsquelle) zeigt den gefeierten Präsidenten Lula da Silva im Oktober 2009, wie er in einem frisch zementierten Kanalabschnitt in Per­ nambuco werbewirksam einen Konstruktionshelm schwenkt. Die zweite Fo­ tografie (eines unabhängigen Journalisten) dokumentiert ein schon zwei Jahre später von der Witterung völlig zerstörtes Kanalsegment, noch bevor überhaupt Wasser aus dem São Francisco dorthin geleitet wurde.1422 Zeitlich zwischen treideernte stark schrumpfen“, in: Agrarheute (Deutscher Landwirtschaftsverlag) vom 5.4.2012, agrarheute.com. 1421 Koch, „Dürre in Spanien“, in: Die Nachrichten der ARD vom 22.3.2006, tagesschau. de. Zur bedenklichen Führung von Golfplätzen in den wasserarmen Touristengebieten an der Küste siehe „Spanien in einem Dürrejahr“, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ On­ line) vom 19.7.2005, nzz.ch. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der kapitalis­ tischen Inwertsetzung von Natur, auch in Bezug auf Wassergebühren und die generelle Hinterfragung von Wasser als Produkt, siehe Schmitt, Tobias, Dürre als gesellschaftliches Naturverhältnis. Eine politische Ökologie der Wasserknappheit im Nordosten Brasiliens, 2013, Kapitel 13 (Manuskript). 1422 Stuckert, Ricardo, Fotografie von Luiz Inácio Lula da Silva, aufgenommen in Cabrobó/ Pernambuco, veröffentlicht in: „Um ‚tiquinho‘ de água para quem muito precisa“, in: Blog do Planalto (Governo do Brasil) vom 16.10.2009, blog.planalto.gov.br; Pedrosa, Wilson, Fotografie eines defekten Kanalabschnitts, veröffentlicht in: Bresciani/Pedrosa,

Kontinuität im Wandel – der ,Nordosten der Dürre‘ im 21. Jh.



407

den beiden Ablichtungen liegt eine preisgekrönte Sonderreportage des Diário de Pernambuco aus dem Jahr 2010, die den Eindruck eines erfolgreichen und volksnahen Staatsoberhauptes vermittelt. Der gebürtige pernambucano Lula da Silva von der Arbeiterpartei wird darin mit dem paraibano Epitácio Pessoa, dem ersten Präsidenten aus dem Nordosten, in Verbindung gebracht. Der Bericht würdigt Pessoa als den Politiker, der die umfangreichsten Investitionen in die Region initiierte und den höchsten Anteil des Staatsbudgets für das Trockenge­ biet bereitstellen ließ. Seine Maßnahmen zur Dürrebekämpfung seien nur mit jenen der Regierung Lula da Silva zu vergleichen.1423 So werden Vergangenheit und Gegenwart im politischen Diskurs gegenübergestellt und gegenseitig legi­ timiert: Die Assoziation Epitácio Pessoas mit populären Politikern der heutigen Zeit hält sein hohes Ansehen aufrecht, und umgekehrt stärkt die positive Re­ zeption Pessoas die aktuelle Politik. Zu berücksichtigen sind andererseits die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Popularitätseinbußen sowohl von Lula da Silva als auch seiner Nachfolgerin im Präsidentenamt Dilma Rousseff, begrün­ det vor allem im weitgehenden Ausbleiben der erhofften und versprochenen Reformen. Eine kritischere Bewertung der Dürrepolitik Epitácio Pessoas kann helfen, die gegenwärtigen Misserfolge und Missstände aus ihren historischen Ansätzen heraus zu veranschaulichen und den weiterhin vorherrschenden Dür­ rediskurs offenzulegen. Im Jahr 1922 vermerkte der paraibanische Jurist, Chronist und Politiker José Américo de Almeida im Almanach der Provinz Paraíba: „Die Geschichte verhält sich wie unsere schwankende Jurisprudenz: Sie liefert für ein und denselben Fall Elemente der Verteidigung und der Anklage“.1424 Damals, vor fast hundert Jahren, wurde Epitácio Pessoa als scheidender Präsident der Republik angesichts ausufernder Missbräuche in der Dürrebekämpfung von vielen Seiten angegrif­ fen. Seine nationale Machtposition einbüßend, fand er nur noch aus seiner pa­ raibanischen Heimat Unterstützung, etwa durch den späteren ‚Dürreminister‘ José Américo de Almeida.1425 Für die Geschichte ist Epitácio Pessoa hingegen gestärkt aus dem Prozess hervorgegangen – die Verteidigung hat sich im Laufe der Jahre gegenüber der Anklage durchgesetzt, sie hat Pessoas Einsatz für den Nordosten als heroische Leistung festgeschrieben und frühere antagonistische „Governo abandona transposição do São Francisco após eleição de Dilma“, in: Estadão vom 3.12.2011, o. S., estadao.com.br. 1423 Santiago, Vandeck, „O Nordeste depois de Lula. 30 presidentes e duas verdades in­ cômodas“, Sonderreportage von 2010, in: Diário de Pernambuco (Especiais on-line), diariodepernambuco.com.br (Quelle V.5.e). 1424 Almeida, José Américo de, „O libertador“, in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Pa­ rahyba, 1922, S. I–IV (I) (Quelle V.4.d-03). 1425 Almeida war Verkehrs- und Bauminister und als solcher für die Dürremaßnahmen zuständig (siehe Kapitel V.4.a).

408 

Schlussfolgerungen und Ausblick

Stimmen verstummen lassen. Die hiermit zusammenhängenden immateriellen und materiellen Quellen, sowohl der Dürrehistoriographie als auch der Dürre­ politik, sind dieselben geblieben, doch je nach Standpunkt des Historikers oder Politikers liefern sie verschiedene Ergebnisse und Erträge. In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, das Bild Epitácio Pessoas und seinen Beitrag zum Dürre­ diskurs und zur Dürrepolitik neu zu interpretieren und einen Gegenpol zur do­ minierenden einseitigen Zustimmung herzustellen. Mögen die aufgeworfenen Fragen und angebotenen Antworten, die Erkenntnisse oder auch Versäumnisse Anregung zu weiteren Recherchen sein; denn im Unterschied zur Rechtspre­ chung ist der historische Prozess nie abgeschlossen, das Verteidigungsmittel der Verjährung existiert nicht. Die Vergangenheit ist immer in der Gegenwart prä­ sent, und die Dürreproblematik ist nach wie vor ein prägender Bestandteil des Nordostens und anderer weltweiter Gebiete semi-ariden Klimas. Erst wenn der Dürrediskurs an Kraft im stetigen Ringen um die Konstruktion gesellschaftli­ cher Realität verliert, wenn die ‚Macht der Dürre‘ versiegt, kann der Fokus auf die eigentlichen Herausforderungen fallen, die im Nordosten wie auch in zahl­ reichen weiteren Regionen vergleichbarer Lebensbedingungen primär mit dem Mangel an sozialer Gerechtigkeit verbunden sind.

Anhang 1. Das Dürregebiet (Karten) 2. Chronologie der Trockenperioden, 16. bis 20. Jh. (Tabelle) 3. Sozioökonomische Grunddaten 4. Umfrage zum Bild des Nordostens Zum Quellenanhang mit den portugiesischen Originalen siehe: www.boehlau-verlag.com (Stichwort „Neufert“ in der Schnellsuche/„Downloads“/ „Bonusmaterial“).

410 

Anhang

1. Das Dürregebiet (Karten) a) Die Klimazonen des Nordostens

b) Die Ausdehnung des Dürregebiets

Das Dürregebiet (Karten)



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c) Die räumliche Verteilung der Trockenheit

Quellen: Karten a und b: Cavalcanti, Clóvis de Vasconcelos u.a., Nordeste do Brasil: um desenvolvimento conturbado (Estudos e pesquisas, Bd. 20), Recife: Editora Massangana/ Fundação Joaquim Nabuco, 1981, S. 103 (mapa 3 – Nordeste: limites da zona semi-árida), 105 (mapa 4 – Polígono das secas). Karte c: Duarte, Renato, Do desastre natural à calamidade pública: a seca de 1998-1999, Recife: Fundação Joaquim Nabuco/ Assembléia Legislativa do Estado de Pernambuco, 2002, S. 27 (mapa –„Freqüência de incidência de secas“; ursprüngliche Quelle: SUDENE). Wir danken dem Verlag und den Autoren für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Anhang

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2. Chronologie der Trockenperioden, 16. bis ­20. ­Jh. (Tabelle) 16. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

20. Jh. 1900

1602 1603

T

1803

p

1902/03 p

k

1804

p

1904

k

1606–08 T 1609

1905 1709–11 T 1710/11

1614

T

1809/10 p

G

1814

G

p

1720–27 T

1817

1721*

1819–20 p

1722

k

1723–27 T

G

1728 1730

p

1824/25 T

G

1827

p

k

1833–35 p

k

1844/45 T

G

1830*

1735–37 T T

1907

p

1915

T

G

1919

T

G

1931/32 T

G

G

T

1815/16

1645

T

1736/37

T

G

1744/45

T

G

1744–46*

1846

1942

p

1951

T

G

1958

T

G

1966

p

k

1970

T

G

T

1744–47 T 1748–51 p 1552 p

1754

p

1559 p

1652

T

1760

p

1564 p

1766

p

1952/53 1860

1771–72 p 1772

1869

p

1972

1776–78 T 1583 p 1587 1592

1692

T

1777/78

T

1784

p

1790–93 T

1877–79 T

G

G

1976

p

1979–83 T 1888/89 T

G

1891

Legende: T = im gesamten Trockengürtel (seca total); p = regional beschränkt (seca parcial); G = groß; k = klein.

1898

G

1987

G

T

p

1990–93 T

G

1898–99 T

1998–99 T

G

Chronologie der Trockenperioden, 16. bis ­20. ­Jh. (Tabelle)



413

Hinweise zur Dürretabelle: Die Liste spiegelt die Aufführung von Trockenperioden in der Literatur wider, ohne das tatsächliche Auftreten des Phänomens zu bescheinigen. Die normal und fett gedruckten Ziffern stellen einen weitgehenden Konsens dar, wobei die fett gedruckten Jahreszahlen für eine sowohl totale als auch große Dürre stehen.(a) Die kursiven und mit Sternchen versehenen Daten sind Ergänzungen.(b) Quellen: a) Inspetoria Federal de Obras Contra as Secas (IFOCS), Boletim da Inspetoria Federal de Obras Contra as Secas (Fortaleza), Bd. 15, Nr. 1 (1941), abgedr. in: Andrade, José Lopes de, Introdução à sociologia das sêcas, Rio de Janeiro: Editora A Noite, 1948, S. 191 und ders., Oligarquias, secas e açudagem: um estudo de suas interrelações funcionais, João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1980, S. 23; Carvalho, Otamar de, A economia política do Nordeste. Secas, irrigação e desenvolvimento, Rio de Janeiro: Campus/Brasília: ABID-Associação Brasileira de Irrigação e Drenagem, 1988, S. 220, 233 253; Souza, Itamar de/Medeiros Filho, João, Os degredados filhos da seca. Uma análise sócio-política das secas do Nordeste, Petrópolis: Vozes, 19832, S. 29–39; dies., A seca do Nordeste: um falso problema. A política de combate às secas antes e depois da SUDENE, Petrópolis: Vozes, 1988, S. 28. b) Kursive Jahreszahlen: Gomes, Gustavo Maia, Velhas secas em novos sertões: continuidade e mudanças na economia do Semi-Árido e dos Cerrados nordestinos, Brasília: IPEA, 2001, S. 78, 80 f., 85–87, 91 f. (sehr detaillierte Angaben). Ziffern mit Sternchen: Albano, Ildefonso (Ceará), Anais da Câmara dos Deputados, Rio de Janeiro, 15.10.1917, S. 995–1002 (Dürreliste von 1603 bis 1917; siehe hierzu auch Kapitel III.5.a).

Anhang

414 

3. Sozioökonomische Grunddaten a) Die demographische Entwicklung Bevölkerungswachstum Trockengürtel des Nordostens/übriger Nordosten/gesamter Nordosten/Brasilien, 1970–1996: 1970 Gebiet

1980

1991

1996

Gesamtbevölkerung

Trockengürtel

14.105.000

16.555.000

19.285.000

20.027.000

Übriger NO

14.004.000

18.259.000

23.125.000

24.739.000

Gesamter NO

28.109.000

34.814.000

42.410.000

44.766.000

Brasilien

93.127.000 119.010.000 146.858.000 157.078.000

Gebiet

Städtische Bevölkerung

Trockengürtel

4.343.000

6.454.000

9.622.000

10.865.000

Übriger NO

7.412.000

11.112.000

16.118.000

18.326.000

Gesamter NO

11.755.000

17.566.000

25.740.000

29.191.000

Brasilien

52.094.000

80.435.000 110.862.000 123.080.000

Gebiet

Landbevölkerung

Trockengürtel

9.762.000

10.101.000

9.663.000

9.162.000

Übriger NO

6.592.000

7.147.000

7.007.000

6.413.000

Gesamter NO

16.354.000

17.248.000

16.670.000

15.575.000

Brasilien

41.033.000

38.575.000

35.996.000

33.998.000

Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, Censos demográficos de 1970, 1980 e 1991, e contagem populacional de 1996, zit. in: Gomes, Velhas secas em novos sertões, 2001, S. 136. Für die genaue Bevölkerungsaufteilung in den einzelnen Zonen des Hinterlands am Beispiel Paraíbas siehe Governo do Estado da Paraíba, Plano de desenvolvimento sustentável. 19962010, João Pessoa: Secretaria do Planejamento-SEPLAN-PB, 1997, S. 10.

Sozioökonomische Grunddaten



415

Bevölkerungswachstum Brasilien/Nordosten, 1872–2010: Jahr

Bevölkerung Brasiliens

Bev. im Gebiet des heutigen Nordostens

Anteil des Nordostens an Gesamtbev.

1872

9.930.478

4.638.560

46,7 %

1900

17.438.434

6.749.507

38,7 %

1920

30.635.605

11.245.921

36,7 %

2000

169.590.693

47.693.253

28,1 %

2010

190.755.799

53.081.950

27,8 %

IBGE, Séries históricas e estatísticas. População presente e residente, 1872–2010, seriesestatisticas.ibge.gov.br.

Anhang

416 

b) Die Besitzverhältnisse Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe in Brasilien (prozentualer Anteil in Relation zur Größe), 1960/1980: Größen­ klassen (in ha)

Betriebe (Anteil an der Gesamtmenge)

Boden (Anteil an der Gesamt­ fläche)

1960

1980

1960

1980

unter 10

45,1 %

50,5 %

2,4 %

2,4 %

10 bis 99

44,4 %

39,1 %

17,0 %

17,4 %

100 bis 999

9,4 %

9,4 %

35,2 %

34,3 %

1000 bis 9999

0,9 %

0,9 %

29,3 %

28,6 %

0,06 %

0,04 %

16,0 %

17,2 %

von 5.157.016

von 243.333.086 ha

von 369.587.921 ha

10.000 plus

Gesamtanzahl von 3.313.551 bzw. -fläche

Instituto Brasileiro de Análises Sociais e Econômicas, Notas e reflexo, 1986, S. 3, abgedr. in: Schwalbach, Michael, Autoritarismus und Wirtschaftspolitik in Brasilien (1964–1985). Zur politischen Ökonomie der wirtschaftlichen Entwicklung der Nordostregion (Europäische Hochschulschriften, Bd. 2419; zugl. Dissertation, Mainz 1993), Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, 1999, S. 63.

Verteilung der Agrarbetriebe im Nordosten (prozentualer Anteil in Relation zur Größe), 1950/1975: Kategorie

1950

1975

(in ha)

Betriebe

Fläche

Betriebe

Fläche

unter 100

88,8 %

20,0 %

94,0 %

28,6 %

100 bis 499

8,9 %

27,0 %

5,0 %

29,7 %

500 bis 999

1,4 %

13,5 %

0,6 %

12,5 %

1000 plus

0,9 %

39,5 %

0,4 %

29,2 %

Gesamtanzahl bzw. -fläche

von 844.510*

von 58.341.459 ha

von 2.351.416**

von 78.688.888 ha

*/** Enthält 71 bzw. 2286 Betriebe ohne Angabe der Fläche. Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística, Censo Agropecuário, 1975 (Bd. 1, T. 5–13, Maranhão a Bahia), Rio de Janeiro: IBGE, 1979, abgedr. in: Carvalho, Economia política e secas, 1988, Anhang: Tabelle 3.1-A.

Sozioökonomische Grunddaten



417

c) Die Einkommenskonzentration Einkommensverteilung gemessen in Mindestlöhnen (ML), Paraíba 1991: Einkommen (in Mindest­ löhnen)

Einkommensbezieher

Anteil an der Erwerbs­ bevölkerung

Anteil am Gesamt­ einkommen

unter ½ ML

361.008

26,96 %

3,7 %

½ bis 1 ML

377.984

28,23 %

8,9 %

> 1 bis 2 ML

248.871

18,59 %

10,6 %

> 2 bis 3 ML

94.706

7,07 %

6,9 %

> 3 bis 5 ML

115.287

8,61 %

13,2 %

> 5 bis 10 ML

85.340

6,37 %

17,7 %

> 10 bis 20 ML

39.765

2,97 %

16,8 %

mehr als 20 ML

16.087

1,20 %

22,1 %

1.339.048

(100 %)

(99,9 %)

Gesamt

Daten, leicht überarbeitet, von: Melo, Ademir Alves de, Participação relativa das pessoas e da renda (unveröffentlichte Studie), João Pessoa: Universidade Federal da Paraíba, 1998, S. 32.

418 

Anhang

d) Die Lebensbedingungen im Hinterland Armutsfaktoren in den ländlichen Gebieten Paraíbas, 1990/91: Angemessene Wasserversorgung

6,6 %

Sanitäre Anlagen

22,7 %

Kindersterblichkeit

65 von 1000 Geburten

Alphabetisierungsrate (15 J. und älter)

39,7 % (58,3 % in urbanen Zentren)

Kinderarbeit (10–13 J.)

23,1 % (16,7 % in urbanen Zentren)

Bevölkerung an der Armutsgrenze (Gesamtfamilieneinkommen = 1 Warenkorb)

72 % (47 % in urbanen Zentren)

Governo do Estado da Paraíba, Plano de desenvolvimento sustentável. 1996-2010, 1997, S.  34  f. Vergleichbare Daten für den gesamten Nordosten liefert Oliveira, Flávia, „Vida ­severina: ­Esperança no semi-árido. Unicef inicia mobilização para espalhar por 1.444 cidades ações que salvam crianças“, in: O Globo (Rio de Janeiro) vom 13.3.2005, S. 31 (Untersuchung im Namen von UNICEF). Ihr zufolge sind von Kleinkindern bis zwei Jahren im Nordosten 8,3 % unterernährt, viermal mehr als im Süden. 75 % der Kinder leben in Familien mit einem Prokopfeinkommen von weniger als einem halben Mindestlohn.

4. Umfrage zum Bild des Nordostens Umfrage (Tim Neufert, Brasilien 2005), Frage 2 (von insgesamt 20): „Quando se fala em Nordeste, quais as dez primeiras coisas em que você pensa?“/ „Woran denken Sie zuerst, wenn vom Nordosten die Rede ist? Geben Sie bitte zehn Punkte an.“

Umfrage zum Bild des Nordostens



419

In der folgenden Tabelle wird ausschließlich die Antwort „Dürre“ erfasst: Position Befragte im ­Nordosten 0: 863 1: 315 1–3 (total): 2: 179 638 3: 144 (= 30,48 % 4: 5: 6: 7: 8: 9: 10: 0–10: 1–10:

der Befragten) 105 100 103 101 74 55 54 2093 1230 (= 58,77 % der Befragten)

Befragte im ­Südosten 158 61 1–3 (total): 37 141 43 (= 33,81 %

Befragte im Süden Befragte (gesamt) 221 195 1–3 (total): 96 365 74 (= 47,16 %

1242 571 1–3 (total): 312 1090 261 (= 33,19 %

der Befragten) 20 20 19 22 17 10 10 417 259 (= 62,11 % der Befragten)

der Befragten) 40 38 27 26 27 16 14 774 553 (= 71,45 % der Befragten)

der Befragten) 165 158 149 149 118 81 78 3284 2042 (= 62,18 % der Befragten)

Legende: „0“: Der Begriff „Dürre“ wurde in den zehn freien Feldern (offene Antwortmöglichkeit) nicht erwähnt. „1“ bis „10“: Jeweilige Position der zehn freien Felder, an der „Dürre“ eingetragen wurde. „0–10“: Anzahl aller Teilnehmer. „1–10“: Gesamte Erwähnungen von „Dürre“. Teilnehmer der Umfrage: 46 Schulklassen, 71 Universitätskurse und Vertreter ausgewählter Berufsgruppen in siebzehn Städten im Nordosten, Südosten und Süden. Den Befragten war nicht bekannt, dass meine Untersuchung von der Dürre handelt. Zentrales Ergebnis (siehe auch Kapitel I.1): 2042 von insgesamt 3284 Teilnehmern gaben als spontane Assoziation mit dem Nordosten die Dürre an; 1090 Befragte trugen den Begriff „seca“ sogar in eines der ersten drei von zehn möglichen Feldern ein. Im Vergleich zwischen den Regionen wird deutlich, dass die Vorstellung vom „Nordosten der Dürre“ im Nordosten selbst zwar stark vertreten ist, noch mehr jedoch im Südosten und am stärksten im Süden.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Amtlicher Schriftverkehr, Eingaben, offizielle Berichte, Statistiken und ­Karten 2. Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Reden aus den Kongressannalen 3. Zeitungsartikel, v.a. aus der Landeshauptstadt und dem Norden bzw. Nordosten 4. Private Korrespondenz und gesammelte Schriften Epitácio Pessoas 5. Volksdichtung (‚literatura de cordel‘) 6. Wissenschaftliche Publikationen, Biographien, Erinnerungsliteratur und historische Romane Eine Unterteilung in Quellen und Literatur ist für die vorliegende Arbeit nicht sinnvoll, zumal auch die (Fach-)Literatur als Quelle des Dürrediskurses untersucht wird, insbesondere in Kapitel  IV.6 zur Rezeptionsgeschichte. Um eine übersichtlichere Gliederung der Bibliographie anzubieten, wurde die Einteilung in sechs formale Rubriken vorgenommen. Hierbei stammen die Texte der Ru­ briken 1–5 aus Archiven (Archivangabe in Klammern bzw. im Fall der Kongressreden und Zeitungsartikel in einer einleitenden Zusammenfassung) oder aus Quellensammlungen und Quellenuntersuchungen (vermerkt durch den Hinweis „abgedruckt in“). In Rubrik  4 handelt es sich bei der Privatkorrespondenz Epitácio Pessoas, sofern nicht auf dessen gesammelte Werke verwiesen wird, um unveröffentlichte Briefe und Telegramme aus dem Nachlass der Familie Pessoa (mit jeweiliger Archiv- und Serienangabe). Die Volksdichtung aus Rubrik 5 wurde vor Ort im Centro Nacional de Folclore e Cultura Popular des Museu do Folclore und in der Fundação Casa Rui Barbosa recherchiert und wird hier nach deren Onlinearchiven zitiert. Auch in Rubrik 6 wird bei älteren, seltenen Büchern die Fundstelle angeführt; neben den unten aufgelisteten Archiven und Bibliotheken in Brasilien zählt dazu das Ibero-Amerikanische Institut Preußischer Kulturbesitz in Berlin (IAI). Wie auch in der Einleitung angemerkt, werden alle zitierten Werke ab der zweiten Nennung unter einem Kurztitel geführt, der nicht unbedingt aus den ersten Worten des vollständigen Titels besteht, sondern den Inhalt am besten wiedergibt. Bei Texten aus dem Internet ist in der Bibliographie das Datum meines jeweils letzten Zugriffs festgehalten. Eine ältere Jahreszahl als 2015 weist darauf hin, dass die Website bei der letzten Überprüfung nicht mehr abrufbar war. Die verwendeten unveröffentlichten Archivquellen und seltenen Werke (obras raras) sind mit dem entsprechenden Archivsigel in der Bibliographie vermerkt. Von den genutzten Bibliotheken und Forschungseinrichtungen sind im

Quellen- und Literaturverzeichnis



421

Folgenden nur diejenigen aufgeführt, die entweder von speziellem Interesse für den Themenschwerpunkt „Dürre“ sind oder die vorliegende Studie institutionell unterstützt haben.1426 Rio de Janeiro Arquivo do Instituto Histórico Geográfico Brasileiro (IHGB) Arquivo Epitácio Pessoa (AEP/IHGB) Arquivo Nacional (AN) Biblioteca da Casa Rui Barbosa/Fundação Casa Rui Barbosa (FCRB) Biblioteca do Museu Nacional (BMN) Biblioteca Nacional (BN) Centro de Pesquisa e Documentação de História Contemporânea (CPDOC/ FGV) Centro Nacional de Folclore e Cultura Popular (CNFCP, Cordelteca Digital) Fundação Getúlio Vargas (FGV) Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro (IUPERJ) Museu do Folclore/Biblioteca Amadeu Amaral (MF/BAA) Recife Biblioteca da Superintendência de Desenvolvimento do Nordeste (SUDENE) Fundação Joaquim Nabuco (Fundaj) João Pessoa Arquivo do Coronel Antônio da Silva Pessoa (AAP/IHGP) Arquivo Dr. Flávio Maroja (AFM/IHGP) Arquivo dos Governadores (AG) Arquivo de João Pessoa Cavalcanti de Albuquerque (AJP/IHGP) Arquivo de José Américo de Almeida (AJAA/FCJA) Arquivo Maurílio Almeida (AMA) Arquivo Público Estadual (APE) Biblioteca do Instituto Histórico e Geográfico Paraibano (IHGP) Fundação Casa de José Américo (FCJA) Fortaleza Arquivo Público do Estado do Ceará (APEC) Biblioteca do Banco do Nordeste do Brasil (BNB) Biblioteca do Departamento Nacional de Obras Contra as Secas (DNOCS) Biblioteca Pública Gov. Menezes Pimentel (BPMP) 1426 Bereits im Voraus erfolgte institutionelle Unterstützung durch den IUPERJ (Rio de Janeiro) und die Fundaj (Recife), die mir mit einer offiziellen Einladung als „pesquisador visitante“ das einjährige Forschungsvisum ermöglichten.

422 

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Amtlicher Schriftverkehr, Eingaben, offizielle Berichte, Statistiken und Karten Almeida, José Américo de u.a., Estrada de ferro central de penetração do Estado da Paraíba. Memorial apresentado ao Exmo. Sr. Presidente da República pelo Comité de Propaganda Areiense, Paraíba, 6.8.1919 [AJAA/FCJA]. Altimano, Nicolau Santoro, Bericht des Conselho Municipal von Conceição (Paraíba) vom 10.8.1898, vorgetragen von: Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 530. Barreto, Ignacio de Barros, „Extracto do relatorio annual do Gerente da mesma Sociedade, incitando a providenciar-se sobre o exclusivismo do Congresso da Corte“, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 7–24. Carta Regia vom 24.5.1725 von König João V. an den paraibanischen Generalkapitän João de Abreu Castello Branco, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 123. Carta Regia vom 28.4.1730, Antwort des Königs João V. an den paraibanischen Generalkapitän Francisco Pedro de Mendonça Gurjão mit Referenz auf dessen Schreiben vom 22.6.1729, abgedr. in: ebd., S. 127 f. Carta Regia vom 3.1.1736 von König João V. an den Conde das Galvóas, ViceRei do Estado do Brasil, abgedr. in: Alves, História das secas (séc. XVII–XIX), Acervo Virtual (19531), S. 42 f. Carta Regia von 1730, Schreiben der paraibanischen Verwaltungsbehörde an König João V., zusammengefasst in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 129. Cour Permanente de Justice Internationale, Rapport Annuel de la Cour Permanente de Justice Internationale (1er janvier 1922 – 15 juin 1925) (Serie  E, Nr. 1), Leiden: Société d’Éditions A. W. Sijthoff, 1925. „Declaração do Presidente da Paraíba, 1845“, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 2, 19161, S. 171 f. Departamento Nacional de Obras Contra as Secas (DNOCS), Barragem de Orós, dnocs.gov.br/barragens/oros/oros.htm, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Instituição. História, dnocs.gov.br, abgerufen am 15.3.2015. Figueiredo, José Paulino de, Relatorio com que o exm. sr.  Dr.  José Paulino de Figueiredo, 1.° Vice-Presidente, passou a administração da Provincia da Parahyba ao exm. sr. Dr. Esmerino Gomes Parente no dia 24 de abril de 1877, Parahyba do Norte: Typ. do Jornal da Parahyba, 1877 [AMA]. Galvão, Felippe Benicio da Fonceca, Exposição com que o 2.° Vice-Presidente Padre Felippe Benicio da Fonceca Galvão passou a administração da Provincia ao 1.° Vice-Presidente Dr. Antonio Alfredo da Gama e Mello no dia 15 de maio de 1880, Parahyba 1880, S. 1 [AMA].

Amtlicher Schriftverkehr, offizielle Berichte, Statistiken und Karten



423

Gordo, Adolpho Affonso da Silva, „Extracto do Relatorio do Dr.  Adolfo Affonso da Silva Gordo, Governador do Estado do Rio Grande do Norte ao passar o governo em 8 de fevereiro de 1890 ao seu sucessor Dr. Jeronymo Americo Raposo da Camara“, abgedr. in: Silva, R. Pereira da, Estudos e trabalhos relativos aos Estados da Parahyba e Rio Grande do Norte, Publikation Nr. 12, Serie I, E, Rio de Janeiro: Ministerio da Viação e Obras Publicas/ Imprensa Nacional, 1910, S. 33–36. Governo do Estado da Paraíba, Plano de desenvolvimento sustentável. 1996-2010, João Pessoa: Secretaria do Planejamento-SEPLAN-PB, 1997. Inspetoria Federal de Obras Contra as Secas (IFOCS), Relatório apresentado ao Governo Federal pela Comissão incumbida de visitar as obras contra as secas, que se estão executando no Nordeste do Brasil, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1923, auszugsweise abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 105. Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Atualmente como anda?, http://www.ibge.gov.br/ibgeteen/datas/migrante, abgerufen am 4.12.2009. Ders., Divisão político-administrativa e regional. Mapa da evolução político-administrativa, teen.ibge.gov.br/mao-na-roda/divisao-politico-administrativae-regional, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Estatísticas do século XX, Rio de Janeiro: IBGE, 2006, seculoxx.ibge.gov. br, abgerufen am 18.4.2015. Ders., Mapa de pobreza e desigualdade 2003, ibge.gov.br, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Mapas do Brasil – Unidades de relevo, ibge.gov.br, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Mapas. Político-administrativo: Semi-Árido brasileiro, ibge.gov.br, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Mapas temáticos. Mapas murais: Clima, ftp://geoftp.ibge.gov.br, abgerufen am 19.4.2015. Ders., Recenseamento do Brasil: 1920, Bd. III: Agricultura, 1. Teil, Rio de Janeiro: Typ. da Estatística, 1923, abgedr. in: Ferreira, Indústria da seca, 1993, S. 38 f. Ders., Séries históricas e estatísticas. Esperança de vida, 1910–2000 (código POP209), seriesestatisticas.ibge.gov.br, abgerufen am 16.4.2015. Ders., Séries históricas e estatísticas. População presente e residente, 1872–2010 (código CD90), seriesestatisticas.ibge.gov.br, abgerufen am 16.4.2015. Instituto de Desenvolvimento Municipal e Estadual da Paraíba, Anuário Estatístico da Paraíba, Ano 1996, João Pessoa 1997. Jardim, Antonio de Ponte/Ervatti, Leila Regina, „Migração interna na primeira década do século XXI“, in: dies./Borges, Gabriel Mendes (Hg.), Mudança demográfica no Brasil no início do século XXI. Subsídios para as projeções da população (Estudos e análises. Informação demográfica e socioeconômica, Nr. 3), Rio de Janeiro: IBGE, 2015, S. 102–123, biblioteca.ibge.gov.br/visualizacao/livros/liv93322.pdf, abgerufen am 20.6.2015.

424 

Quellen- und Literaturverzeichnis

Lisbôa, João Coelho, „A S. Ex.a o Generalíssimo Chefe do Govêrno Provisório. A oligarquia dos Neivas, no Estado da Paraíba do Norte (quadro demonstrativo)“, Rio de Janeiro, April 1890, in: ders., Oligarquias, sêcas do Norte e clericalismo, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1909, S. 96, 98, abgedr. in: Carone, Primeira República, 1969, S. 92–95. Lopes, João Fernandes (Ceará), „Memoria. Do Sr.  João Fernandes Lopes“, 5.10.1878, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 135–138. Lorillard, G. L., „Lorillard to Root“, Bericht vom 4.2.1907, in: Brazilian Dispatches. National Archives of the United States of America. General Records of the Department of State, Bd. 120, Nr. 103, Washington, D. C., abgedr. in: Burns, History of Brazil, 1970, S. 220. Lustosa Cabral, Bel. Nelson (Hg.), Almanach Administrativo, Historico, Mercantil, Industrial do Estado da Parahyba, 1922, Parahyba: Imprensa Official, 1922, S. 14 [AMA]. Mello, Antonio Alfredo de Gama e, Exposição com que o exm.° sr. Dr. Antonio Alfredo de Gama e Mello, 1.° Vice-Presidente d’esta provincia passou a administração da mesma ao exm.° sr. Dr. Gregorio José de Oliveira Costa Junior, em 10 de junho de 1880, Parahyba 1880 [AMA]. Ministério da Integração Nacional, Projeto São Francisco. O que é o projeto?, 23.2.2015, www.integracao.gov.br/o-que-e-o-projeto, abgerufen am 30.3.2015. Officio do Governador vom 28.2.1803, amtliches Schreiben des paraibanischen Gouverneurs Luiz da Motta Feo, Vizegraf von Anadia, an die portugiesische Königin Maria I. (1777–1816) bzw. ihren Sohn Johann (seit 1792 Regent), abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 1, 19081, S. 229 f. Parente, Esmerino Gomes, Relatorio com que o exm. sr. Dr. Esmerino Gomes Parente passou a administração da Provincia da Parahyba ao 1.° Vice-Presidente Dr. José Paulino de Figueiredo em 1 de março de 1878, Parahyba do Norte: Typ. Liberal Parahybana, 1878 [AMA]. Pereira Junior, José Rodrigues, Exposição com que o Exm. Sr. Dr. José Rodrigues Pereira Junior passou a administração desta Provincia ao Exm.° Sr. Padre Felippe Benicio da Fonceca Galvão – 2.° Vice-Presidente (...) em 30 de abril de 1880, Parahyba 1880. Pinto, Irineu Ferreira (Hg.), Datas e notas para a história da Paraíba, Nachdruck der Ausgabe von 1908, Bd. 1, und 1916, Bd. 2, João Pessoa: Editora Universitária/UFPb, 1977. „População do Brasil. Recenseamento realizado em 1.° de setembro de 1920“, abgedr. in: Lustosa Cabral (Hg.), Almanach da Parahyba, 1922, S. 335 [AMA].

Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Kongressreden



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Portal dos Municípios, Alagoa Nova. História, http://www.famup.com.br/portal/index.php?run=historia, abgerufen am 14.11.2011. Prefeitura de Alagoa Grande, Aspectos Históricos, http://www.alagoagrande. pb.gov.br, abgerufen am 14.11.2011. Prefeitura Municipal Cidade de Areia, Aspectos geográficos, areia.pb.gov.br, abgerufen am 19.3.2012. „Presidência da Província [Paraíba], informando ao Governo Imperial“, Juli 1845, abgedr. in: Pinto, Datas da Paraíba, Bd. 2, 19161, S. 171 f. Rodrigues, Antonio Coelho (Piauí), „Discurso do Sr. Dr. Antonio Coelho Rodrigues“, 6.10.1878, in: Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, 1879, S. 79–95. „Série histórica do índice de Gini“, in: Ministério do Desenvolvimento Agrário/ Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária, O Brasil desconcentrando as terras. Índice de Gini, Brasília: INCRA, 2001, S. 4 (Anhang 18), www.incra.gov.br, abgerufen am 18.4.2015. Silva, Nelson do Valle/Barbosa, Maria Lígia de Oliveira, „População e estatísticas vitais“, in: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Estatísticas do século XX, Rio de Janeiro: IBGE, 2006, S. 29–57, seculoxx.ibge.gov. br, abgerufen am 18.4.2015. Sociedade Auxiliadora da Agricultura de Pernambuco, Trabalhos do Congresso Agricola do Recife em outubro de 1878, Recife: Typ. de Manoel Figueiroa de Faria & Filhos, 1879. „Tabela I – Principais produtos de exportação do Brasil – 1901–1965“, in: Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE), Estatísticas do século XX, Rio de Janeiro: IBGE, 2006, S. 432, seculoxx.ibge.gov.br, abgerufen am 18.4.2015. Vianna, Ulysses Machado Pereira, Relatorio apresentado á Assemblèa Legislativa Provincial da Provincia da Parahyba do Norte pelo presidente exm. sr. Doutor Ulysses Machado Pereira Vianna. Em 1.° de janeiro de 1879, Parahyba do Norte: Typ. Liberal Parahybana, 1879 [AMA].

2. Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Reden aus den Kongressannalen Übersicht (mit Archivsigeln und erfassten Jahrgängen): Anais da Câmara [AN]/Anais do Senado [AN]/Diário do Congresso Nacional [IHGB]: 1877, 1879, 1882, 1885, 1891, 1892, 1893, 1898, 1900, 1903, 1904, 1908, 1909, 1911, 1912, 1915, 1917, 1919, 1920, 1921, 1965.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Detailauflistung der zitierten Kongressdiskurse: Albano, Ildefonso (Ceará), Anais da Câmara dos Deputados, Rio de Janeiro, 15.10.1917/4.11.1919. Ders., O secular problema do Nordeste. Discurso pronunciado na Câmara dos Deputados em 15 de outubro de 1917, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 19182 [BPMP]. Albuquerque, Diogo Velho Cavalvanti de, Visconde de Cavalcanti (Paraíba, Senator, 1877–78 zugl. Außenminister), in den Annalen geführt unter Diogo Velho, Anais do Senado, Rio de Janeiro, 7.8.1877. Albuquerque, Octacilio de (Paraíba), Anais da Câmara, 2.10.1915/29.10.1915/ 3.11.1919/4.11.1919/8.7.1920/10.7.1920/18.12.1920/21.12.1920/ 1.10.1921. Almeida, José Américo de, As sêcas do Nordeste (Exposição lida na Câmara dos Deputados em 10-11-1953. Debates e repercussão) (Coleção Mossoroense, Bd.  CLXXVII), Rio de Janeiro: Serviço de Documentação. Ministério da ­Viação e Obras Públicas/Mossoró: Fundação Casa de José Américo/ Fundação Guimarães Duque, 19812. Alves, Honorato (Minas Gerais), Anais da Câmara, 1.12.1920. Amaral, Paulino Franklin do (Barão de Canindé, Ceará), Anais da Câmara, 15.6.1882. Andrade, Souza (Ceará?), Anais da Câmara, 11.2.1879. Araripe, Tristão Alencar (Ceará), Anais da Câmara, 27.6.1877. Augusto, José (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 15.10.1917/4.11.1919. Baptista, Alvaro (Rio Grande do Sul), „Emendas ao Projecto N. 465 B, de 1919 (3a discussão), N. 1, Art. 1.°“, in: Anais da Câmara, 21.11.1919, S. 310. Barroso, Benjamin Liberato (Gouverneur von Ceará), Botschaft an den Kongress (mit einem Telegramm vom 22.5.1915 an den Präsidenten der Republik, Wenceslau Braz Pereira Gomes), vorgetragen von: Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9.1915, S. 878–881 (880 f ). Ders., Telegramm an Gustavo Barroso, o.  D. (vermutlich kurz vor dem 13.10.1915 erhalten), vorgetragen von: Barroso, Gustavo, Anais da Câmara, 13.10.1915, S. 129 f. Ders., Telegramm an Gustavo Barroso vom 17.10.1915, vorgetragen von: Barroso, Gustavo, Anais da Câmara, 26.10.1915, S. 312-314. Barroso, Gustavo (Ceará), Anais da Câmara, 18.9. und 15.10.1915. Barroso, José Maximiano (Ceará), Brief an Figueira de Mello vom 10.4.1877, vorgetragen von: Mello, Figueira de (Ceará), Anais do Senado, 27.6.1877, S. 242. Bezerra, José (Pernambuco), Anais da Câmara, 28.10.1908.

Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Kongressreden



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Borges, Frederico (Ceará), Anais da Câmara, 8.7.1885/9.7.1885/4.10.1898/ 23.5.1919/13.7.1920/26.10.1920/21.12.1920. Bourbon, Isabel Cristina Leopoldina Augusta Miguela Gabriela Rafaela Gonzaga de Bragança e, „Falla da Princeza Imperial Regente Izabel“, vorgetragen im Senat, Anais do Senado, 1.6.1877, S. 2. Brandão, Moreira (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 21.1.1879/21.5.1879. Burlamaqui, Armando (Piauí), Anais da Câmara, 8.7.1920. Cabral, João (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 4.11.1919/21.11.1919. Calogeras, João Pandiá (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 29.10.1908. Caminha, Alvaro (Ceará), Anais da Câmara, 15.6.1882. Campos, Carlos de (São Paulo, leader da maioria unter Epitácio Pessoa), Anais da Câmara, 8.7.1920/9.7.1920/23.12.1920. Campos, Martinho (Minas Gerais), Anais da Câmara, 11.2.1879. Carneiro, Ruy (Paraíba), Anais do Senado, Brasília, 4.6.1965. Carvalho, Pires de (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 22.7.1915. Castro, Almeida (Presidente da Commissão Executiva do Commercio de Mossoró, Rio Grande do Norte), Telegramm an Alexandre José Barbosa Lima vom 11. oder 12.5.1904, vorgetragen von: Lima, Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 16.5.1904, S. 42. Castro, Augusto Olímpio Gomes de (Maranhão), Anais do Senado, Rio de Janeiro, 15.9.1903. Castro, Valois de (São Paulo), Anais da Câmara, 26.7.1915. Cavalcanti, Manuel Tavares (Paraíba), Anais da Câmara, 26.11.1909. Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904/28.10.1908. Ders., Projektantrag Nr. 117 an die Commissão de Colonização e Obras Publicas, Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 76 f. Coimbra, Estacio (Pernambuco), Anais da Câmara, 4.11.1919. Commissão Especial de Obras Contra as Seccas, Anais da Câmara, 23.11.1919, S. 394. Corrêa, Serzedello (Pará), Anais da Câmara, 4.10.1898. Correia, José Matoso Sampaio (Distrito Federal), Anais da Câmara, 4.11.1919/18.11.1919 (damalige Orthographie: Corrêa). Dekret Nr. 2974, Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 308. „Discussão sobre socorros para a sêcca do Norte“, in: Anais da Câmara, 21.5.1879, S. 296. Fernandes, Alvaro (Deputado, Ceará), Telegramm aus Iguatú vom 4.7.1915, vorgetragen von: Rocha, Moreira da (Ceará), Anais da Câmara, 6.7.1915, S. 323 f. Ferreira, Alvaro José, Bericht der Presidencia do Conselho Municipal von Pombal (Paraíba) vom 5.8.1898, vorgetragen von: Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 531.

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Ferreira, Firmino Pires (Piauí), Anais da Câmara, 17.6.1892. Ders., Anais do Senado, 15.9.1903. Figueira, Domingos Andrade (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 25.5.1882. Figueiredo, Argemiro de (Paraíba), Anais do Senado, Brasília, 4.6.1965, S. 152. Fonseca, Hermes Rodrigues da, Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da terceira sessão da setima legislatura pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1911, www-apps.crl.edu/brazil/presidential, abgerufen am 14.4.2015. Ders., Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da primeira sessão da oitava legislatura pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1912, www-apps.crl.edu/ brazil/presidential, abgerufen am 14.4.2015. Ders., Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da segunda sessão da oitava legislatura pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1913, www-apps.crl.edu/ brazil/presidential, abgerufen am 14.4.2015. Ders., Mensagem apresentada ao Congresso Nacional na abertura da terceira sessão da oitava legislatura pelo Presidente da Republica Marechal Hermes Rodrigues da Fonseca, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 1914, www-apps.crl.edu/ brazil/presidential, abgerufen am 14.4.2015. Franco, Pedreira (Bahia), Anais da Câmara, 29.10.1908. Frontin, André Gustavo Paulo de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 5.11.1920/13.11.1920. Gesetz vom 15.7.1915, Art. 1, vorgetragen von: Lyra, Augusto Tavares de (Rio Grande do Norte, Ministro de Viação e Obras Publicas), Anais da Câmara, 23.11.1915, S. 306. Gesetzesvorhaben Nr. 241 von 1915, Anais da Câmara, 25.11.1915, S. 683. Gesetzesvorhaben Nr. 33, Anais da Câmara, 2.7.1915, S. 20. Gesetzesvorhaben Nr. 490 A-1920, Anais da Câmara, 1.12.1920, S. 31–34. Gesetzesvorhaben zur Dürrebekämpfung, Anais da Câmara, 20.9.1900, S. 211. Jaguaribe, Domingos José Nogueira (Ceará), Anais do Senado, Rio de Janeiro, ­25.6.1877/26.6.1877/27.6.1877/7.8.1877/7.2.1879. Lacerda, Maurício Paiva de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 22.7.1915/­ 23.7.1915/18.11.1919/8.7.1920/9.7.1920/12.7.1920/13.7.1920. Ders., Diário do Congresso Nacional, Rio de Janeiro, 13.7.1917/14.7.1917/ 18.7.1917. Lamartine, Juvenal (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 7.12.1912/ 22.7.1915/23.7.1915/23.11.1915/15.10.1917/18.12.1920. Lei do orçamento da despesa (1925), Art. 15, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd. XIX, 1965, S. 248 f. Leite, Benedicto (Maranhão), Anais do Senado, 17.9.1903.

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Lima, Alexandre José Barbosa (Pernambuco), Anais da Câmara, 19.5.1904/ 23.7.1915/19.11.1915. Lima, Augusto de (Minas Gerais), Anais da Câmara, 2.7.1915. Lima, Barbosa (siehe Lima, Alexandre José Barbosa). Lima, Ildefonso (Ceará), Diskussion des Projekts Nr.  75 von 1898, Anais da Câmara, 3.10.1898, S. 43. Lisboa, João Coelho Gonçalves (Paraíba), Anais da Câmara, 4.10.1898. Lobo, Francisco de Paula da Silveira (Paraíba), Anais do Senado, 13.2.1879. Lopes, Ildefonso Simões (Rio Grande do Sul), Anais da Câmara, 22.7.1915. Lopes, João (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898. Lyra, Augusto Tavares de (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 23.11.1915. Machado, Vicente (Paraná), Anais do Senado, 15.9.1903. Maranhão, Alberto (Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, 20.5.1919. Martins, Elias (Piauí), Anais da Câmara, 12.7.1915. Mello, Antonio Alfredo da Gama e (Gouverneur Paraíbas), Mensagem lida na abertura do Congresso Legislativo, 3.9.1898, vorgetragen von: Peregrino (Paraíba), Anais da Câmara, 27.9.1898, S. 517. Mello, Figueira de (siehe Mello, Jerônimo). Mello, Jerônimo Martiniano Figueira de (Ceará), Anais do Senado, 26.6.1877/ 27.6.1877. Moacyr, Pedro (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 19.11.1915. Monte, Helvecio (Ceará), Anais da Câmara, 4.10.1898. Moraes, Hermenegildo de (Goiás), Anais da Câmara, 2.7.1915. Motta, José Inácio Silveira da (Goiás), Anais do Senado, 16.6.1877/27.6.1877. Nascimento, Nicanor (Abgeordneter für den Distrito Federal, gebürtig aus São Paulo), Anais da Câmara, 1.7.1920/8.7.1920/9.7.1920/26.10.1920/­ 4.12.1920/21.12.1920. Ders., Diário do Congresso Nacional, 14.7.1917. Neiva, J.  A. (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 12.9.1900/17.9.1900/ 20.9.1900. Oliveira, Hosannaii de (Herkunft unbekannt), Anais da Câmara, 19.5.1904. Osório, Manuel Luís (Rio Grande do Sul), in den Annalen geführt unter seinem Adelstitel Marquez do Herval, Anais do Senado, 27.6.1877. Paiva, Osorio da (wahrscheinlich Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917. Paranaguá, João Lustosa da Cunha (Piauí), Marquês de Paranaguá, Anais do Senado, 25.6.1877/26.6.1877. Paranaguá, Joaquim Nogueira (Piauí), Anais do Senado, 17.9.1903. Paulino, José (Alagoas), Anais da Câmara, 25.10.1915. Pedrosa, Pedro da Cunha (Paraíba), Senatsrede, publiziert in: Diario do Congresso. Republica dos Estados Unidos do Brasil (Rio de Janeiro), Bd.  XXX, Nr. 23 (30.5.1919), S. 388.

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Präsidentenbotschaften, Gesetzesprojekte und Kongressreden



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Ders., „Mensagem às Commissões Especial de Obras Contra as Seccas e de Finanças“, in: Anais da Câmara, 19.9.1919, S. 19–24. Ders., „Mensagem de 1921“, 3.5.1921, in: Mensagens presidenciais; presidência Delphim Moreira, 1919 e presidência Epitácio Pessoa, 1920–1922 (Documentos parlamentares, Bd. 71), Brasília: Câmara dos Deputados, 1978 (19221), S. 259–414. Ders., „Mensagem presidencial por ocasião da abertura do Congresso, 3 de maio de 1921“, in: Gazeta do Norte vom 28.7.1921, auszugsweise abgedr. in: Castro, Therezinha de (Hg.), História documental do Brasil, Rio de Janeiro/São Paulo: Distribuidora Record, 19682, S. 293–295. Ders., „Obras contra as secas e serviços públicos“, Senatsreden vom 29./30.11.1915, in: ders., Discursos parlamentares (Perfis parlamentares, 7), 1978, S. 375–386/386–387. Ders., Rede im Theatro Municipal in São Paulo vom 20.8.1921, abgedr. in: „Dr.  Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo * O discurso de s. exc. respostando o orador official [Veiga Miranda]“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1. (Vgl. auch ders., „Defesa do café e obras do Nordeste“, Rede vom 20.8.1921.) Pinto, Antonio (Ceará), Anais da Câmara, 15.6.1882/16.6.1882. Pompeu, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 7.6.1882/15.6.1882/16.6.1882. Rabello, Aristides (Geschäftsmann aus Canindé/Ceará), Telegramm, o. D., vorgetragen von: Lacerda, Maurício Paiva de (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 16.10.1915, S. 659. „Redacção final do projecto n.  465, de 1919, que autoriza à construcção de obras de irrigação necessarias ao nordeste do paiz“, in: Anais da Câmara, 28.11.1919, S. 926 f. Regulamento da Caixa Especial, Dokument anlässlich der Gründung der Caixa Especial am 17.3.1920 per Dekret 14.102 im Diário Oficial veröffentlicht, auszugsweise abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 136, 139–141. Rocha, Moreira da (Ceará), Anais da Câmara, 23.7.1915/26.10.1920. Rodrigues Junior (Ceará), Anais da Câmara, 11.2.1879. Rodrigues, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917/4.11.1919. Sá, Francisco (Ceará), Anais da Câmara, 12.9.1900/17.9.1900/18.9.1900. Santos, Felicio dos (Minas Gerais), Anais da Câmara, 26.5.1879/9.7.1885. Seabra, José Joaquim (Bahia), Anais da Câmara, 5.9.1898. Serpa, Justiniano de (Ceará), Anais da Câmara, 1.11.1915. Silva, Antonio da Costa Pinto e (Ministro do Imperio), Anais da Câmara, 28.7.1877. Silva, João Thomé de Saboya e (Gouverneur Cearás), Telegramm an Ildefonso Albano vom 9.11.1917, abgedr. in: Albano, I., O secular problema do Nor-

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Quellen- und Literaturverzeichnis

deste. Discurso pronunciado na Câmara dos Deputados em 15 de outubro de 1917, Rio de Janeiro: Imprensa Nacional, 19182, S. 3 [BPMP]. Silva, Luiz Antonio Domingues da (Maranhão), Anais da Câmara, 18.9.1915. Sinimbu, João Lins Vieira Cansanção de (Alagoas), in: „Ata da conferência de 10 de abril de 1878“, in: Senado Federal, Atas do Conselho de Estado, Bd. IX: Terceiro Conselho de Estado, 1875–1880, Brasília: Centro Gráfico do Senado Federal, 1973, S. 119–136. Ders. (1897 Ratspräsident und Finanzminister), Anais do Senado, 7.2.1879. Soares, Oscar (Paraíba), Anais da Câmara, 26.10.1920. Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte), Anais da Câmara, ­28.10.1908/29.10.1908/30.8.1911. Telegramm vom 16.7.1915 aus Sobral (Ceará), vorgetragen von: Serpa, Justiniano de (Ceará), Anais da Câmara, 19.7.1915, S. 732 f. Telegramm vom 26.5.1919, unterzeichnet von 26 Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft aus Alagôa Grande, abgedr. in: Diario do Congresso, 30.5.1919, S. 388. Telegramm vom 8.9.1903 aus Assú (Rio Grande do Norte) an die Abgeordnetenkammer in Rio de Janeiro, vorgetragen von: Cavalcanti, Thomaz (Ceará), Anais da Câmara, 20.5.1904, S. 77. Valladares, Francisco (Minas Gerais), Anais da Câmara, 4.11.1919/21.12.1920. Vasconcellos, João Florentino Meira e (Paraíba), Anais da Câmara, 21.1.1879. Vasconcellos, Zacharias de Góes (Bahia), in den Annalen geführt als Zacarias, Anais do Senado, 25.6.1877/27.6.1877. Veloso, Pedro Leão (Maranhão), Anais do Senado, 7.2.1879. Vieira, Manuel Inácio Belfort (Maranhão), Anais do Senado, 15.9.1903. Wanderley, João Maurício (Bahia), in den Annalen geführt unter seinem Adelstitel Barão de Cotegipe, Anais do Senado, 27.6.1877/7.2.1879. Werneck, Luís Peixoto de Lacerda (Rio de Janeiro), Anais da Câmara, 9.7.1885.

3. Zeitungsartikel, v.a. aus der Landeshauptstadt und dem Norden bzw. Nordosten Übersicht (mit Archivsigeln und zeitlicher Zuordnung): Einzelne Jahreszahlen stehen für isolierte Ausgaben in dem genannten Jahr. Sind Zeiträume angegeben, so wurde die betreffende Zeitung für diese Periode vollständig untersucht. Während in dieser Übersicht nur die in Archiven eingesehenen Zeitungen aufgeführt sind, umfasst die anschließende Detailauflistung alle zitierten Presseartikel.

Zeitungsartikel



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A Noite (Rio de Janeiro) [AFM/IHGP] 1916 A Ordem. Orgão Conservador (Baturité, Ceará) [BPMP] 1880 A Ordem. Orgão independente e de interesses sociaes (Campina Grande, Paraíba) [AMA] 1935 A República (Rio Grande do Norte) [IHGB] 1942 A União. Orgam do Partido Republicano (Parahyba) [AMA] 1915 (1.–5.1.) A União. Diario official do Estado (Parahyba) [AMA] 1915 (6.1.–3.12.) A União. Diario official do Estado (Parahyba) [APE] 1919 (3.1.–21.11.) 1919 (25.4.–5.12.) A União. Diario official do Estado (Parahyba) [AMA] 1920 (6.1.–31.12.) 1921 (11.1.–28.12.) 1922 (19.1.–8.12.) 1929 A União. Orgam official do Estado (Parahyba) [AMA] A União (João Pessoa) [IHGB] 1942, 1944 1998 A União (João Pessoa) [AG] A União Agricola. Orgam mantido pela Sociedade de Agricultura da Parahyba [AMA] 1919 Arauto Parahybano. Periodico Litterario, Noticioso e Abolicionista (Parahyba) [AMA] 1888 Correio da Paraíba [AG] 1997 Correio de Campina. Orgam Commercial, politico e noticioso. Director e proprietario – Cel. Christiano Lauritzen (Campina Grande) [AMA] 1915 (17.1.–19.12.) Diario Carioca (Rio de Janeiro) [IHGB] 1942 Gazeta da Parahyba. Folha diaria (Parahyba) [AMA] 1888 1942 Jornal do Brasil (Rio de Janeiro) [IHGB] 1942, 1952 Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) [IHGB] O Combate (Parahyba) [AMA] 1903/04 O Contemporaneo (Rio de Janeiro) [AMA] 1877 O Imparcial (Rio de Janeiro) [AFM/IHGP] 1916 O Jornal (Rio de Janeiro) [IHGB] 1943, 1951 O Norte (João Pessoa) [AG] 1998 Verdade. Orgão progressista e noticioso (Areia, Paraíba) [AMA] 1892 Voz da Borborema (Campina Grande) [AMA] 1937 Detailauflistung der zitierten Presseartikel: „A candidatura Arthur Bernardes“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 13.8.1921, S. 1. „A espantosa calamidade do Norte“, in: A União vom 18.7.1915, S. 1.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

„A fome“, in: Verdade. Orgão progressista e noticioso (Areia, Paraíba) vom 18.8.1892, S. 1. „Á I.F.O.C. Seccas“, in: Voz da Borborema (Campina Grande) vom 16.7.1937, S. 4. „A mensagem presidencial. Importante documento. Palavras do exmo. sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 10./11.5.1921, S. 1. „A representação das minorias. Uma reaffirmação da politica liberal do sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 22.11.1921, S. 1. „A sêcca“, in: A União vom 13.6.1915, 18.7.1915 und 9.5.1919, S. 1. „A secca“, in: O Combate (Parahyba), Bd. 2, Nr. 37–3 (27.9.1903), S. 2. „A sêcca do nordeste“, in: A União vom 17.5.1919, S. 1. „A sêcca do nordeste. Discurso do sr. senador Cunha Pedrosa“, in: A União vom 11.6.1919, S. 1. „A sêcca, o grande problema do Nordeste. – Como resolvel-o pratica e scientificamente“, in: A União vom 3.6.1919, S. 1. „A sêcca. A emigração continúa * Fala o deputado Lamartine. O nosso credito não chega * Augmenta a tortura dos flagellados * Novo appêllo ao govêrno federal“, in: A União vom 28.5.1919, S. 1. „A sêcca. A patriotica attitude da bancada nortista no Congresso e as breves providencias do governo federal“, in: A União vom 18.6.1915, S. 1. „A sêcca. O deputado Alberto Maranhão apresenta um momentoso projecto á Commissão de Finanças da Camara. Um telegramma alviçareiro do sr. dr. Maximiano de Figueiredo. O sr. Presidente da Republica [Wenceslau Braz] dirige a respeito uma mensagem ao Congresso Nacional“, in: A União vom 13.6.1915, S. 1. „A sêcca. O ramal ferreo de Mamanguape. Um telegramma do sr. Presidente do Estado ao senador Epitacio Pessôa. O sr. dr. Maximiano de Figueiredo conferencia com o ministro da viação“, in: A União vom 29.5.1915, S. 1. „A sêcca. Uma entrevista concedida ao O Imparcial pelo sr. dr. Octacilio de Albuquerque“, in: A União vom 9.7.1915, S. 1, ursprünglich veröffentlicht in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o. D. „A successão presidencial da Republica. A Alliança Liberal rompe os debates na Camara e no Senado. Novos telegrammas de applausos e solidariedade recebidos pelo presidente João Pessoa“, in: A União. Orgam official do Estado (Parahyba) vom 6.8.1929, S. 1. „A viagem do Presidente Epitacio a São Paulo“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 27.8.1921, S. 1, ursprünglich erschienen unter dem Titel „Presidente em São Paulo“, in: O Dia (Rio de Janeiro), o. D., o. S. „A volta aos campos“, in: Jornal do Commercio vom 17.3.1916, vorgetragen von: Albano (Ceará), Anais da Câmara, 15.10.1917, S. 1047 f.

Zeitungsartikel



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Ab’Saber, Aziz, „A quem serve a transposição das águas do São Francisco“, in: CartaCapital (São Paulo) vom 22.3.2011, o. S., cartacapital.com.br, abgerufen am 15.3.2015. Achilles, Arthur, „A proposito da sêcca. Idéas praticas e viaveis. Uma carta de Arthur Achilles“, in: A União vom 1.6.1915, S. 1. Albuquerque, Octacilio de, im Interview: „Os problemas do nordeste novamente postos em fóco pelas declarações do sr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 21.5.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o. D. Alves, Miguel Falcão de, „Epitacio Pessôa“, in: A União (João Pessoa) vom 18.3.1942, o. S. Aquino, Osmar de, „Epitacio Pessôa“, in: A União vom 27.2.1942, o. S. Artikel [Titel auf Mikrofilm nicht leserlich] in: A Ordem. Orgão Conservador (Baturité/Ceará) vom August 1880 [genaues Datum nicht leserlich], S. 1 [BPMP]. „As grandes obras contra as sêccas. Um telegramma do exm. presidente da republica“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 25.1.1920, S. 1. „As obras contra as sêccas. O bom andamento dos serviços federaes. As estradas de Itabayana, Barra de Natuba, Umbuzeiro e Limoeiro * A nossa reportagem ‚in loco‘“, in: A União vom 4.6.1922, S. 2. „As obras do Nordéste. O parecer da commissão Rondon. Confirmação publica do bom e remunerativo emprego dos dinheiros publicos pelo sr. dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 19.11.1922, S. 1. „As sèccas“, in: A União Agricola. Orgam mantido pela Sociedade de Agricultura da Parahyba. A União-Sabbado (Parahyba) vom 15.2.1919, S. 3. „As sêccas do nordeste“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 30.1.1920, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Rio de Janeiro) vom 25.1.1920. „As sêccas do nordeste. A assignatura do decreto“, in: A União vom 6.1.1920, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Commercio (Recife), o. D., o. S. „As sêccas do nordéste. Uma palestra com o dr. Pires do Rio. S. exc. não conhece os projectos da camara“, in: A União vom 14.11.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Imparcial (Rio de Janeiro), o. D. „As seccas e os grandes açudes“, in: Gazeta da Parahyba. Folha diaria (Parahyba) vom 2.12.1888, S. 1. Barbosa, Orris, „Exemplo de um grande destino (Palestra realizada em Umbuzeiro, a 23 do corrente, dia natalicio de Epitácio Pessoa)“, in: A União (João Pessoa) vom 25.5.1944, o. S. Barbosa, P.e Florentino, „A redempção do nordéste“, in: A União. Diario Official do Estado (Parahyba) vom 19.4.1922, S. 1, ursprünglich in: A. B. C. (Rio de Janeiro), o. D., o. S.

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Ders., „Effeitos da sêcca. Uma trindade macabra [sêcca, fome e morte]. As parcas sertanistas.“, in: A União vom 11.6.1915, S. 1. Bastos, Paulo Cesar (Ingenieur und Landwirt), „Seca secular“, Kommentar zum Artikel „Nordeste tem 1.134 municípios em estado de emergência por causa da seca“, in: Globo Rural (Rio de Janeiro) vom 18.7.2012, o. S., revistagloborural.globo.com, abgerufen am 15.3.2015. Bezerra, Octavio, „A mensagem do dr. Epitacio Pessôa ao Congresso Nacional“, in: A União vom 18.6.1921, S. 1. Bittencourt, Edmundo, „O sr.  Epitacio Pessôa e o director do ‚Correio da Manhã‘. Insuspeito attestado“, in: A União vom 13.8.1921, S. 1, ursprünglich erschienen in: Correio da Manhã vom 21.1.1921 und Gazeta do Norte (Rio de Janeiro) vom 28.7.1921, o. S. Bouchardt, Jonny (engenheiro civil), „Solução radical e scientifica do problema das sêccas. Meios a empregar e resultados provaveis“, in: A União vom 23. und 25.5.1915, S. 1 f. „Brasil é 62° em relatório da ONU“, in: Correio da Paraíba vom 10.9.1998, S. 12. Bresciani, Eduardo/Pedrosa, Wilson, „Governo abandona transposição do São Francisco após eleição de Dilma“, in: Estadão (São Paulo) vom 3.12.2011, o. S., estadao.com.br, abgerufen am 16.3.2015. Buarque, A. de Paula, „Um grande brasileiro“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 15.3.1942, o. S. Campos, Ana Cristina, „Seca no Semiárido deixa açudes em situação crítica no Nordeste“, in: Agência Brasil (Brasília) vom 13.10.2013, memoria.ebc.com. br/agenciabrasil, abgerufen am 21.3.2015. Carvalho, J. Rodrigues de, „Noticias do Nordeste. Fala ao ‚A. B. C.‘ o sr. dr. Rodrigues de Carvalho“, in: A União vom 5.7.1922, S. 1, ursprünglich erschienen in: A. B. C., o. D. Chateaubriand, Francisco de Assis, „As obras do Nordeste. O govêrno está autorizado a vender, como ferro-velho, as instalações e equipamentos mecânicos do grande empreendimento“, Interview mit Epitácio Pessoa, in: O Jornal vom 12.2.1925, abgedr. in: Pessoa, E., Obras completas, Bd.  XIX, 1965, S. 248–251. Chêne, Alvar, „Miseria!“, in: O Combate (Parahyba), Bd.  3, Nr.  66–3 (15.10.1904), S. 1. Centro Parahybano, Petitionsschrift an den Präsidenten der Republik und den für die Dürrebekämpfung zuständigen Ministro da Viação, abgedr. in: Jornal do Commercio vom 31.10.1908, im Parlament eingebracht durch Leal, Simeão (Paraíba), Anais da Câmara, 31.10.1908, S. 673–675. „De derrota em derrota“, in: Correio de Campina. Orgam Commercial, politico e noticioso. Director e proprietario – Cel. Christiano Lauritzen (Campina Grande) vom 20.1.1915, S. 1.

Zeitungsartikel



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„Dr.  Epitacio Pessôa“, in: A Ordem. Orgão independente e de interesses sociaes (Campina Grande) vom 2.6.1935, S. 8. „Dr. Epitacio Pessôa“, in: A União vom 24.5.1921, S. 1. „Dr. Epitacio Pessôa. O discurso de s. exc. á colonia parahybana“, in: A União vom 22.11.1922, S. 1. „Dr.  Epitacio Pessôa. Seu regresso de Minas – As obras do nordéste – Uma declaração do presidente Arthur Bernardes“, in: A União vom 10.10.1922, S. 1. „Dr.  Epitacio Pessôa. Sua viagem a S. Paulo * Identificação politica do Sul e Norte“, in: A União vom 21.8.1921, S. 1. „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita á Parahyba do Norte * Recepção de s. exc. e de sua illustre comitiva no porto de Cabedello * Os jubilos da cidade. O almoço em Palacio * O programma das festas publicas * Hospedes e convidados * Notas e pormenores“, in: A União vom 17.7.1919, S. 2. „Dr. Epitacio Pessôa. Sua visita a São Paulo * O discurso de s. exc. respostando o orador official [Veiga Miranda]“, in: A União vom 23.8.1921, S. 1. „Dr.  Solon de Lucena. Sua excursão a Bananeiras. O regresso a esta capital * Visita ás obras contra as sêccas * Manifestações ao chefe do govêrno * As impressões de s. exc.“, in: A União vom 21.5.1921, S. 1. „Ecos e Novidades“ (handkopierter Artikel), in: A Noite vom 27.8.1916, S. 2, archiviert in: Arquivo Dr. Flávio Maroja (AFM)/Instituto Histórico Geográfico Paraibano (IHGP, João Pessoa), Briefe aus dem Nachlass João Pessoas, Serie Correspondência com Epitácio Pessoa, 1912–1928 (CEP A6 G1.P1), Dokument 003–15. Eder, Teresa, „Terror in Somalia. Kenia wird das nächste Ziel al-Shabaabs sein“, Interview mit Markus Höhne, in: Der Standard (Wien) vom 24.10.2011, o. S., derstandard.at, abgerufen am 22.3.2015. „Em face da crise“, in: A União vom 5.6.1915, S. 1. „Enlace Gabaglia-Pessôa“, in: A União vom 4.6.1922, S. 1. „Epitácio Pessôa“, in: A República (Rio Grande do Norte) vom 15.2.1942, o. S. „Epitacio Pessôa. O falecimento do eminente estadista – Sua vida e sua obra – A sua ação na presidência da República“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 14.2.1942, o. S. Espinola, Toscano, „Epitacio Pessôa. Conferência realizada pelo Desembargador Toscano Espinola, na Casa da Parahyba, no dia da data natalícia do eminente estadista brasileiro“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 29.6. und 6.7.1952 (Teil II), o. S. „Excursão presidencial. A visita do sr.  presidente da Republica a São Paulo * A viagem na E. F. Central * A chegada a esta capital * As homenagens * O enthusiasmo popular * O programma de hoje * Outras informações“, in: A União vom 10., 16., 20. und 24.9.1921, S. 1, ursprünglich unter diesen

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Titeln in verschiedenen Ausgaben des Estado de S. Paulo erschienen, o. D., o. S., und auszugsweise bereits am 25.8.1921 in A União reproduziert. Felippe, Ana, „Analfabetismo atinge 47 % dos paraibanos“, in: Correio da Paraíba vom 2.11.1997, S. 10. Fernandes, Carlos Dias, „Negocios do nordéste“, in: A União vom 21.11.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: O Rio-Jornal (Rio de Janeiro), o. D. Ders., „O Nordeste do Brasil“, in: A União vom 19.10.1919, S. 1, ursprünglich erschienen in: Jornal do Brasil (Rio de Janeiro), o. D. Fernandes, Vivian, „Transposição do rio São Francisco custa R$ 3,4 bi a mais que o previsto“, in: Brasil de Fato (São Paulo) vom 23.3.2012, o. S., brasildefato.com.br, abgerufen am 16.3.2015. Fleiuss, Max, „Recordando...“, in: Jornal do Comercio (Rio de Janeiro) vom 1.3.1942, o. S. Folha de S. Paulo vom 19.5.1998, S. 5. Furtado, Bernardino, „[Transposição:] Baixo impacto contra a pobreza“, in: Estado de Minas (Belo Horizonte) vom 2.2.2005, S. 9. Ders., „Banco Mundial rejeita transposição“, in: Estado de Minas (Belo Horizonte) vom 2.2.2005, S. 8. Galvão, Etério, „Seca“, in: Folha de S. Paulo vom 20.5.1998, S. 8. Gama, Alcebiades Delamare Nogueira da, „Às sextas-feiras. Epitacio Pessôa“, in: Folhetim do „Jornal do Commercio“ (Rio de Janeiro) vom 24.5.19?? (Datum nicht vollständig; wahrscheinlich wenige Jahre vor dem Tod Epitácio Pessoas am 13.2.1942), o. S. Gaudencio, José, „Serviços publicos das sêccas“, in: A União vom 28.12.1921, S. 1. „Genug Wasser wäre da. Sizilien: Proteste wegen Wasserknappheit“, in: Handelsblatt vom 5.6.2002, o.  S., http://www.handelsblatt.com/archiv/genugwasser-waere-da-sizilien-proteste-wegen-wasserknappheit/2172104.html, abgerufen am 22.3.2015. Góes, Raul de, „Reminiscencias do velho Epitacio“, in: O Jornal (Rio de Janeiro) vom 11.4.1943, o. S. Gomes, Ciro, „O Estado contra as oligarquias“, in: Folha de S.  Paulo vom 18.5.1998, S. 1. Grilo, Margareth, „Busca pela sobrevivência vence o amor pelo campo“, in: Tribuna do Norte (Natal/Rio Grande do Norte) vom 27.5.2012, o. S., tribunadonorte.com.br, abgerufen am 15.3.2015. Handkopierter Artikel ohne Titel, in: O Imparcial vom 27.8.1916, S. 2, archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 002-15. Hollanda, Raphael de, „O dr. Epitacio Pessôa e o ‚Imparcial‘“, in: A União vom 3.1.1919, S. 1.

Zeitungsartikel



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„Homenagem a primeira provincia livre do Brazil. Aos benemeritos libertadores cearenses no dia do seu immortal triumpho“, in: Arauto Parahybano. Periodico Litterario, Noticioso e Abolicionista (Parahyba) vom 25.3.1888, S. 1, 5. „Hymno do Nordéste“, in: A União vom 24.8.1921, S. 1. Jácome, Epaminondas, „O nordéste e a sua independencia economico-financeira“, in: A União vom 20.7.1922, S. 1. Junqueiro, Guerra, „A fome no Ceará“, in: O Contemporaneo (Rio de Janeiro), Bd. 1, Nr. 2 (20.10.1877), S. 11. Koch, Marc, „Dürre in Spanien. Demoralisierte Bauern, ratlose Politiker“, in: Die Nachrichten der ARD (ARD-Hörfunkstudio Madrid) vom 22.3.2006, tagesschau.de, abgerufen am 16.3.2012. Komenacker, Victor, „O problema das sêccas. Barragens e irrigação. II“, in: A União vom 17.10.1919, S. 1. „Lebenselixier Wasser“, in: Deutsche Welle vom 15.8.2008, o. S., dw.de, abgerufen am 21.3.2015. Lessa, Carlos, „Nordeste poderá ser solução do Brasil“, in: Valor econômico (São Paulo) vom 20.6.2005, o. S. Ders., „O sertão vai virar mar“, in: Valor econômico (São Paulo) vom 6.7.2005, o. S. Lima, João Gomes de, „Calamidade“, Leserbrief vom 6.6.1904, in: O Combate (Paraíba), Bd. 3, Nr. 71–3 (26.6.1904), S. 3. Lisboa, Arrojado, Artikel (o. T.) auf Anfrage des Journalisten Francisco de Assis Chateaubriand (Umbuzeiro/Paraíba), in: O Jornal vom 17.3.1925, o. S., auszugsweise abgedr. in: Batista, Discurso da IOCS/IFOCS, 1986, S. 152–163. Ders., „O problema do Nordeste. O São Francisco e as sêccas“, in: A União vom 12.9.1919, S. 1. Lopes, Ildefonso Simões, Interview der Gazeta de Noticias (Rio de Janeiro), auszugsweise veröffentlicht in: „As obras contra as sêccas do Nordéste“, in: A União vom 8.12.1922, S. 1. Lustosa, Nelson, „As crises climatericas do Nordeste e a sua solução“, in: A União vom 23.11.1919, S. 1. Lyra, Julio, „Obras contra as sêccas“, in: A União vom 1.12.1922, S. 1. Ders., „Pelo Nordéste“, in: A União vom 26.4.1921, S. 1. Madeiro, Carlos, „Seca no Nordeste. Imagens de satélite mostram 80  % do semiárido nordestino afetado por maior seca em 30 anos“, in: UOL Notícias (São Paulo) vom 29.4.2012, o.  S., noticias.uol.com.br, abgerufen am 21.3.2015. Ders., „Seca no Nordeste. Seca leva Ceará a decretar emergência em 168 municípios; NE já tem mais de mil cidades afetadas“, in: UOL Notícias (São Paulo) vom 29.5.2012, o. S., noticias.uol.com.br, abgerufen am 17.3.2015.

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Volksdichtung (‚literatura de cordel‘)



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Ders., Rede auf einem Bankett zu Ehren des offiziellen Präsidentschaftskandidaten Rodrigues Alves vom 23.10.1917 (im Präsidentschaftswahlkampf von 1919 als Regierungsprogramm Pessoas genutzt), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XXI, Teil 1, 1957 (19251), S. 35–44. Ders., „Resposta aos impudentes“, Auszüge aus einem Brief an Otacílio de Albuquerque, ursprünglich veröffentlicht in: A União von 1917 (ohne exaktes Datum), abgedr. in: ders., Obras completas, Bd. XV, 1962, S. 278–281. Ders., Telegramme an João Pessoa vom 9./15./23. und 29.11.1928 (Rio de Janeiro), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912– 1928), Dokumente 086–5 und 088–5 (beide 9.11.1928)/96–5/105–5 und 108–5. Ders., Telegramme an João Suassuna vom 21. und 24.4.1928 (o. O.), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dokumente 013–12 und 014. Pessoa, João, Telegramme an Epitácio Pessoa vom 26.10./2.11./10.11./16.11./ 24.11. und 1.12.1928 (Parahyba), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dokumente 037–1/039–1/041–1/047– 1/059–1 und 071–1. Suassuna, João, Brief an Epitácio Pessoa vom 4.2.1928 (Parahyba), archiviert in: AFM/IHGP, Nachlass João Pessoas (Serie CEP, 1912–1928), Dok. 004.

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Register Im Personen-, Orts- und Sachregister werden zusätzliche Informationen angeboten, die angesichts des umfassenden Betrachtungszeitraums und der großen Anzahl an Einträgen zum besseren Verständnis beitragen sollen. Dies schien vor allem für das Personenregister auch deshalb erforderlich, da sich die Nachnamen häufig wiederholen (z.T. mit identischen Vornamen) und der zweite Nachname im praktischen Gebrauch nicht immer – wie es das bibliographische Regelwerk vorsieht – den Vorzug erhält (siehe entsprechende Querverweise und darüber hinaus Hinweise auf orthographische Veränderungen). Die Angaben zu Amtsperioden und Tätigkeitsbereichen sind nicht vollständig, sondern beschränken sich auf den hier relevanten Kontext. Sofern es für die vorliegende Untersuchung von besonderer Bedeutung ist, werden auch die Lebenszeiten genannt (z.B. bei den Volksdichtern). Fett gedruckte Seitenzahlen deuten auf zentrale Passagen im Text hin, kursive auf die Bibliographie.

Personenregister A

Ab’Saber, Aziz (Geographieprofessor/USP) 30, 398, 435, 451 Adão Filho, José (Paraíba; Volksdichter) 129, 447 Albano, Ildefonso (Ceará; 1917/1919 Bundesabgeordneter, 1923–24 Gouverneur) 57, 60–62, 66, 70, 83–84, 86–88, 90, 97, 101, 152, 163, 168, 170, 173, 179–180, 183, 186, 188, 192–194, 258–262, 266, 386, 413, 431, 434, 446 Albuquerque, Diogo Velho Cavalvanti de [in Annalen: Diogo Velho] (Visconde de Cavalcanti; Paraíba; 1877 Senator, 1877–78 Außenminister) 86–87, 305, 426 Albuquerque, João Pessoa Cavalcanti de (siehe Pessoa, João) Albuquerque, Octacilio de [heute: Otacílio] (Areia/Paraíba; 1915–23 Bundesabgeordneter und Senator; paraibanischer Fraktionsführer; politischer Redakteur

der União) 60–62, 94, 97, 103–104, 147, 152, 161, 166–167, 169, 177, 188–189, 191–192, 215, 240, 262, 266, 272–273, 290–291, 297–298, 302, 305, 318, 372, 386, 426, 434–435, 444, 447 Albuquerque, Ulysses (Pernambuco; 1889–1979; Autor) 265, 452 Albuquerque Júnior, Durval Muniz de (Paraíba; Historiker/UFRN) 16, 24, 33, 46, 50, 61, 102, 105, 123, 133, 136, 138, 141–145, 198, 387, 451, 456 Alcântara, Lúcio (Ceará; 1995–2003 Senator) 357, 452 Alcântara, Pedro de (siehe Pedro II., Dom) Alencar, José de [José Martiniano de Alencar] (Ceará, 1829–1877; Schriftsteller) 145, 195 Alencar, José Martiniano Pereira de (Ceará; 1834–37/1840–41 Gouverneur; Vater von José de Alencar) 46

470 

Register

Almeida, José Américo de (Areia/Paraíba; Jurist, Autor, Politiker, 1928–30 Staatssekretär unter João Pessoa, 1930–34 Verkehrs- und Bauminister) 32, 35, 47–48, 94–95, 146, 195, 337–338, 342–344, 346, 358, 380, 407, 421, 422, 426, 451–452, 459, 461, 464, 466, 468 Almeida Filho, Manoel de (Paraíba; 1914–95; Volksdichter) 114 Altimano, Nicolau Santoro (Paraíba; 1898 im Conselho Municipal von Conceição) 84, 422 Alves, Francisco de Paulo Rodrigues (São Paulo; 1902–06/1918 Präsident der Republik) 186, 217, 246, 256, 261–262, 278, 295, 316 Alves, Honorato (Minas Gerais; 1920 Bundesabgeordneter) 87, 426 Alves, Joaquim (Ceará; 1894–1952; Publizist) 32, 42, 45, 452 Amaral, Paulino Franklin do (Barão de Canindé/Ceará; 1882 Bundesabge­ ordneter) 305, 426 Andrada, Antônio Carlos Ribeiro de (Minas Gerais; 1926–30 Gouverneur) 329, 331, 462 Andrade, Souza (Ceará?; 1879 Bundes­ abgeordneter) 276, 426 „Antonio Conselheiro“ (siehe Maciel, Antonio Vicente Mendes) Araripe, Tristão de Alencar (Ceará; 1877 Bundesabgeordneter) 47, 71–72, 75, 80, 83, 87, 99–101, 145, 155–156, 162, 164–165, 168, 173, 180, 182, 186, 193, 195, 266, 276, 386, 396, 426 Araújo, José Peregrino de (Paraíba; Liberale Partei; 1900–04 Gouverneur; siehe auch Peregrino, José) 209–210 Athayde, João Martins de [heute: Ataíde] (Paraíba; 1880–1959; Volksdichter) 113, 123, 126, 127–129, 131, 138, 219, 447 Augusto, José (Rio Grande do Norte; 1917/1919 Bundesabgeordneter) 66, 289, 426

B

Baptista, Alvaro (Rio Grande do Sul; 1919 Bundesabgeordneter) 307, 426 Barbosa, Florentino (Paraíba; Pater) 110, 112, 151, 231, 266, 300, 303, 309, 311, 435 Barbosa, Orris (Paraíba, Journalist) 334, 336–337, 344, 435, 453 Barbosa, Rui [früher: Ruy] (Bahia; 1849–1923; Jurist, Politiker, Publizist) 217–218, 295, 325, 337, 459 Barreto, Ignacio de Barros (Pernambuco; Agrarkongress 1878) 98, 422 Barreto, José de Almeida (Paraíba; General) 202–203, 206, 218 Barros, José Julio de Albuquerque (Ceará; 1878–80 Provinzpräsident) 57, 75, 276–277 Barros, Leandro Gomes de (Paraíba; 1865–1918; Volksdichter) 115, 117–118, 120–124, 126–127, 128–136, 138–140, 143–144, 178, 447–450, 459, 462 Barroso, Benjamin Liberato (Ceará; 1891/1892/1914–16 Gouverneur) 60–61, 80, 87, 103, 164, 166, 179–180, 188, 191, 258, 259–260, 426 Barroso, Gustavo (Ceará; 1888–1959; Anwalt, Autor, Politiker) 61, 80, 83–84, 86, 96, 146, 166, 168, 177, 179, 195, 241, 260, 266, 280, 386, 426, 441, 444 Barroso, José Maximiano (Ceará; Groß­ vater Gustavo Barrosos) 73, 426 Batista, Cícero Romão (Ceará; 1844–1934; coronel, Pater) 123, 126 Batista, Francisco das Chagas (Paraíba; 1882–1930; Volksdichter) 118, 121–122, 125–127, 128, 131–132, 135, 140, 143–144, 450, 453 Batista Neto, José (Pernambuco; Historiker/UFPE) 16, 28, 30, 345–347, 349–350, 353–357, 364, 387, 389, 431, 439, 441 Beiriz, Anaíde [früher: Anayde] (Paraíba; 1905–30; Poetin) 332

Personenregister Bernardes, Artur da Silva [früher: Arthur] (Minas Gerais; 1918–22 Gouverneur, 1922–26 Präsident der Republik) 248, 317–318, 319, 321–322, 337, 349–350, 354, 378, 380, 433, 437, 440 Bezerra, Fernando (Rio Grande do Norte; 1999–2001 Integrationsminister) [nicht identisch mit Fernando Bezerra Coelho; Pernambuco; 2011–13 Inte­ grationsminister] 397 Bezerra, José (Pernambuco; 1908 Bundesabgeordneter) 191, 193, 426 Bittencourt, Edmundo (Rio de Janeiro; 1921 Inhaber des Correio da Manhã) 297–298, 436 Borges, Frederico (Ceará; 1885/1898/1919–20 Bundesabge­ ordneter) 61, 70, 79–80, 84, 101, 104, 205, 262, 265–268, 275, 277–278, 291, 293–294, 299, 302, 310, 386, 427 Bouchardt, Jonny [Bauchardet, Joany] (Ingenieur) 157, 269, 385, 436 Bourbon, Isabel Cristina Leopoldina Augusta Miguela Gabriela Rafaela Gonzaga de Bragança e [früher: Izabel] (Rio de Janeiro; 1877 Princeza Imperial Regente) 71, 95, 427 Bourdieu, Pierre (Frankreich; 1930–2002; Soziologe) 25, 27–28, 158–159, 164, 255, 368, 382, 387, 454 Brandão, Moreira (Rio Grande do Norte; 1879 Bundesabgeordneter) 53, 76, 82, 86, 99, 165, 277, 427 Brandão, Theo (Alagoas; Folklorist) 116 Brasil, Thomás Pompeu de Souza (siehe Pompeu, Thomaz) Brasil, Vanessa Maria (Historikerin/ Universidade de Brasília) 396–397, 454 Braz, Wenceslau (siehe Gomes, Wenceslau Braz Pereira) Brito, Pedro (Ceará; 2005 General­ koordinator des Ableitungsprojektes, 2006–07 Integrationsminister) 396 Burlamaqui, Armando (Piauí; 1920 Bundesabgeordneter) 290, 427

C



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Cabral, João (Herkunft unbekannt; 1919 Bundesabgeordneter) 272, 307, 427 Callado, Antônio (Provinz Rio de Janeiro; 1917–97; Journalist) 125, 274, 314, 401, 454 Calogeras, João Pandiá [heute: Calógeras] (Rio de Janeiro; 1897–1899/ 1903–1914 Bundesabgeordneter für Minas Gerais, 1914–15 Agrarminister, 1915–17 Finanzminister, 1919–22 Kriegsminister) 60, 87, 93, 134, 160, 186, 188, 217, 278–280, 427 Caminha, Alvaro (Ceará; 1882 Bundes­ abgeordneter) 305, 427 Campos, Carlos de (São Paulo; 1920 Bundesabgeordneter und Regierungssprecher unter Epitácio Pessoa) 84, 233, 265, 267, 287, 290–291, 296, 427 Campos, Martinho (Minas Gerais; 1879 Bundesabgeordneter) 60, 78, 276–277, 377, 427 Campos Sales (siehe Sales, Manuel Ferraz de Campos) Capanema, Guilherme Schüch de (siehe Schüch, Guilherme) Cardoso, Fernando Henrique (Rio de Janeiro; 1995–2002 Präsident der Republik) 393–396, 399 Carli, Gileno De (Recife; 1908–97; Politiker) 32, 110–111, 149, 353, 455, 459 Carneiro, Ruy (Paraíba; 1965 Senator) 335, 427 Carreira, Liberato de Castro (Ceará; Mediziner; 1882–89 Senator) 70, 75–76 Carvalho, Carlos Leôncio da Silva (Rio de Janeiro; 1878–80 Innen­ minister) 75, 276–277, 377 Carvalho, José Rodrigues de (Paraíba; 1867–1935; Jurist, Autor) 176, 309, 317, 436 Carvalho, Otamar de (Ceará; Agronom, Wirtschaftswissenschaftler) 32, 49–50, 56, 153–154, 156, 174, 227, 271, 362, 384, 455, 461

472 

Register

Carvalho, Pires de (Herkunft unbekannt; 1915 Bundesabgeordneter) 188, 190, 427 Castro, Almeida (Rio Grande do Norte; 1904 Presidente da Commissão Executiva do Commercio de Mossoró) 83–84, 427 Castro, Augusto Olímpio Gomes de (Maranhão; 1903 Senator) 93, 427 Castro, Iná Elias de (Geographie­ professorin/UFRJ) 16, 30, 46, 403, 455–456, 460 Castro, Josué de (Pernambuco; 1908–73; Geograph, Politiker) 359, 427 Castro, Valois de (São Paulo; 1915 Bundesabgeordneter) 184, 427 Cavalcanti, Bezerra (Rio Grande do Norte; 1879 Oppositionspolitiker) 277 Cavalcanti, Clóvis de Vasconcelos (Pernambuco; Wirtschaftswissenschafter/ Fundaj) 16, 394, 411, 456 Cavalcanti, João Tavares de Melo (Paraíba; Konservative Partei) 209–210, 446 Cavalcanti, Manuel Tavares (Paraíba; 1909 Bundesabgeordneter) 305, 427 Cavalcanti, Thomaz (Ceará; 1904/1908 Bundesabgeordneter) 58, 76, 93, 175, 187–188, 191, 256, 305, 427, 432 Chagas, Francisca Justiniana das (1872–1895; erste Gattin Epitácio Pessoas) 206 Chagas, Francisco das (siehe Santos, Francisco Rodrigues dos) Chateaubriand, Francisco de Assis (Um­ buzeiro/Paraíba; 1892–1968; Journalist, Medienmogul) 88, 225, 227–228, 234, 320, 322, 436, 439, 441 Cícero, Padre (siehe Batista, Cícero Romão) Coelho, Jorge (Agraringenieur) 228, 254, 314, 361–362, 384, 403, 456 Coimbra, Estacio (Pernambuco; 1919 Bundesabgeordneter) 191, 427 Cordeiro Manso (siehe Manso, Pacífico Pacato Cordeiro) Corrêa, José Matoso Sampaio [heute: Correia] (Bundesdistrikt; 1918–20 Bundesabgeordneter, 1921–27 Sena-

tor) 190–191, 195, 234, 289, 296, 306–307, 320, 356, 427 Corrêa, Serzedello (Pará; 1898 Bundes­ abgeordneter) 58, 90, 278, 427 Costa, Miguel (Buenos Aires; Militär; 1922/24 Copacabana-/São PauloRevolten, 1924–27 Kolonne Prestes) 218–219 Costa, Rogério Haesbaert da (siehe Haesbaert, Rogério) Cotegipe, Barão de (siehe Wanderley, João Maurício) Cunha, Euclydes da [heute: Euclides] (Provinz Rio de Janeiro; 1866–1909; Militäringenieur, Publizist) 34, 146–152, 173, 177, 179, 183, 197, 369, 371–373, 402, 457, 459, 468 Curran, Mark (USA; Sprach- und Literaturwissenschaftler) 28, 116, 119, 124, 130, 135, 141, 457

D

Dantas, João Duarte (Mamanguape/ Paraíba; 1888–1930; Anwalt, Journalist) 332, 379 Delamare, Alcebiades (siehe Gama, Alcebiades Delamare Nogueira da) Diégues Júnior, Manuel (Alagoas; 1912–91; Folklorist) 114, 123, 130, 141, 457 Diogo Velho (siehe Albuquerque, Diogo Velho Cavalvanti de) Duarte, Renato Santos (Piauí; Wirtschaftswissenschaftler/Fundaj) 16, 391, 395, 411, 458

E

Espinola, Toscano (Paraíba; Staatssekretär unter Epitácio Pessoa) 340–341, 383, 401–402, 437

F

Fernandes, Alvaro (Ceará; 1915 Bundesstaatsabgeordneter) 175, 427 Fernandes, Carlos Dias (Mamanguape/ Paraíba; Publizist/Chefredakteur der União) 35, 166, 183, 287, 335, 438, 458

Personenregister Ferreira, Alvaro José (Paraíba; 1898 Conselho Municipal von Pombal) 84, 427 Ferreira, Firmino Pires (Piauí; 1892 Bundesabgeordneter, 1903 Senator) 92–93, 428 Ferreira, Lúcia de Fátima Guerra (Paraíba; Historikerin/UFPb) 16, 31–33, 342–346, 350–355, 363, 389, 423, 452, 458, 467 Ferreira, Virgulino (siehe Silva, Virgulino Ferreira da) Figueira, Domingos Andrade (Rio de Janeiro; 1882 Bundesabgeordneter) 277, 377, 428 Figueiredo, Afonso Celso de Assis (Minas Gerais, 1879 Finanzminister) 75 Figueiredo, Argemiro de (Paraíba; 1965 Senator) 335, 428 Figueiredo, João Baptista de Oliveira (Rio de Janeiro; 1979–85 Präsident der Republik) 361 Figueiredo, José Paulino de (1877/78 Provinzpräsident von Paraíba) 52, 83, 422, 424 Figueiredo, Maximiano de (Paraíba; 1915 paraibanischer Fraktionsführer) 103, 175, 285, 434, 442 Fonseca, Hermes Rodrigues da (Rio Grande do Sul; 1910–14 Präsident der Republik) 94, 102, 134, 189, 213, 246, 262, 428 Fonseca, Manuel Deodoro da (Alagoas; Militär; 1889–91 Präsident der Republik) 202–204, 207, 282 Foucault, Michel (Frankreich; 1926–84; Philosoph) 16, 25–26, 107–108, 159, 165, 184, 195, 198–199, 225, 367, 369, 384, 390, 402, 458 Franco, Pedreira (Bahia; 1908 Bundes­ abgeordneter) 94, 278, 428 Frontin, André Gustavo Paulo de (Rio de Janeiro; 1920 Bundesabgeordneter) 307–308, 316, 428, 440 Furtado, Celso (Paraíba; 1920–2004; Wirtschaftswissenschaftler) 58–59, 342–343, 393–394, 459

G



473

Gabaglia, Giacomo Raja [auch: Jácomo] (Montevideo; 1826–72; Topograph) 153–155, 235, 385, 459 Gabaglia, Laurita Pessoa Raja (Tochter und Biographin Epitácio Pessoas) 37, 153, 201, 207, 225, 232, 305, 331, 351, 364, 387, 437, 459 Galvão, Felippe Benicio da Fonceca (1879/80 Provinzpräsident von Paraíba) 79, 422, 424 Gama, Alcebiades Delamare Nogueira da (São Paulo; Staatssekretär unter Epitácio Pessoa) 336, 438 Gama, Domício da (Provinz Rio de Janeiro; Außenminister unter Delfim Moreira) 217 Geisel, Ernesto (Rio Grande do Sul; 1974–79 Präsident der Republik) 125 Godoy, Rosa (siehe Silveira, Rosa Maria Godoy) Gomes, Alfredo Macedo (Pernambuco; Soziologe/UFPE) 16, 33, 46, 111, 460 Gomes, Cid (Ceará; Bruder von Ciro Gomes; 2007–15 Gouverneur) 399, 442 Gomes, Ciro (São Paulo; 1991–94 Gouverneur von Ceará, 2003–06 Integrationsminister unter Lula da Silva) 394, 396, 398–399, 438, 442 Gomes, Eduardo (Provinz Rio de Janeiro; Militär; 1922/24 Copacabana-/São Paulo-Revolten) 218–219 Gomes, Gustavo Maia (Pernambuco; Wirtschaftswissenschaftler) 350, 362, 384, 460 Gomes, Wenceslau Braz Pereira [heute: Venceslau Brás] (Minas Gerais; 1914–18 Präsident der Republik) 61, 103, 426 Gordo, Adolpho Affonso da Silva (São Paulo; 1890 Gouverneur von Rio Grande do Norte) 279, 423 Gurjão, Eliete de Queiróz (Paraíba; Historikerin/UEPB) 340, 345–346, 350, 389, 460, 467 Gurjão, Francisco Pedro de Mendonça (Portugal; 1729–34 Generalkapitän von Paraíba) 45, 422

474 

Register

H

Haesbaert, Rogério (Rio Grande do Sul; Geographieprofessor/UFF) 16, 311, 460 Herval, Marquez do (siehe Osório, Manuel Luís) Hirschman, Albert O. (Berlin; 1915– 2012; Sozialwissenschaftler/USA) 174, 348–349, 365, 387, 461 Holanda, Francisco Camilo de (Paraíba; 1916–20 Gouverneur) 180, 215–216, 286–287, 305, 325, 327, 331, 339, 441–442, 445–446

I

Iglésias, Francisco de Assis (Provinz São Paulo; Agronom) 257–258, 268, 461

J

Jaguaribe, Domingos José Nogueira (Ceará; 1877–79 Senator) 47, 53, 57, 60, 69, 71–72, 74–76, 80, 83, 89, 91–92, 99, 173, 194, 276–277, 293, 313, 366, 377, 428 Jesus, José Palhano de (siehe Palhano de Jesus, José) João V., Dom (1706–50 König von Portugal) 44–45, 422 Joffily, Irineu Ciciliano Pereira [heute: Irineu/Irinêo Ceciliano] (Paraíba; 1843–1902; Jurist, Publizist) 342–343, 461–462 Joffily, José [José Joffily Bezerra de Melo] (Paraíba; 1914–94; Historiker) 304, 339–340, 342, 346, 440, 451, 459, 461 Julião, Francisco (Pernambuco; 1915–99; Anwalt, Politiker, 1955 Führer der Bauernligen) 401

L

Lacerda, Maurício Paiva de (Rio de Janeiro; 1915/1917/1919–20 Bundesabgeordneter) 205, 220, 247, 279–280, 289–291, 294–296, 303, 305–307, 336, 428, 431, 464

Lacerda Werneck (siehe Werneck, Luís Peixoto de Lacerda) Lamartine, Juvenal (Rio Grande do Norte; 1912/1915/1917/1920 Bundesabgeordneter) 84, 86, 96–97, 101–103, 147–149, 164, 166–167, 170, 174, 177, 179–181, 183–185, 187–188, 190, 192–194, 226–227, 247, 279–280, 378, 385–386, 428, 434 Lampião (siehe Silva, Virgulino Ferreira da) Leal, Monsignore Valfredo Soares dos Santos (Areia/Paraíba; 1855–1942; Priester, Politiker; Liberale Partei/ Republikanische Partei; siehe MachadoLeal-Oligarchie) 205, 212–213, 337 Leal, Simeão (Paraíba; 1908 Bundes­ abgeordneter) 94, 436 Leal, Victor Nunes (Minas Gerais; 1914–85; Jurist) 55, 62, 64, 189, 209–210, 461 Leite, Benedicto (Maranhão; 1903 Senator) 93, 428 Lessa, Carlos (Rio de Janeiro; Wirtschaftsprofessor/UFRJ) 101, 397–398, 439 Lewin, Linda (USA, Historikerin/Berkeley) 137, 206–207, 221–222, 238, 241, 283, 301–302, 305, 349, 362–363, 462 Lima, Alexandre José Barbosa (Pernambuco; 1904/1915 Bundesabgeordneter) 78–79, 83–84, 187, 190, 194, 256, 259, 279, 427, 429 Lima, Augusto de (Minas Gerais; 1915 Bundesabgeordneter) 94, 429 Lima, César de Oliveira (Paraíba) 340 Lima, Ildefonso (Ceará; 1898 Bundes­ abgeordneter) 90, 429 Lima, José Pereira (Paraíba; politischer Führer des Munizips Princesa) 331–332 Lima, Nísia Trindade (Rio de Janeiro; Sozialwissenschaftlerin) 34, 147, 149, 152, 462 Lima, Silvino Pirauá de (Paraíba; 1848–1913; Volksdichter) 128

Personenregister Lisboa, João Coelho Gonçalves [Carone, Primeira República, 1969: Lisbôa, João Coelho; Ferreira, Indústria da seca, 1993: Lisboa, João Gonçalves Coelho] (Areia/Paraíba; 1894–99 Bundesabgeordneter, 1905–08 Senator) 203, 277–278, 281–282, 343, 424, 429 Lisboa, Miguel Arrojado Ribeiro (Rio de Janeiro; 1909–12/1920–27 Leiter der Dürrebehörde) 179, 184, 234, 286, 292–293, 344, 348–350, 355–356, 439 Lobo, Francisco de Paula da Silveira (Paraíba; 1879 Senator) 99, 429 Lobo Manso (siehe Macedo, Antônio Lobo de) Lopes, Ildefonso Simões (Rio Grande do Sul; 1915 Bundesabgeordneter; Agrarminister unter Epitácio Pessoa) 104, 184, 193, 429, 439 Lopes, João (Ceará; 1898 Bundesabge­ ordneter) 90, 429 Lucena, Emília Pereira de (Schwester von Henriqueta Lucena) 202 Lucena, Henriqueta Barbosa de (Mutter Epitácio Pessoas) 201–202 Lucena, Henrique Pereira [Barão de Lucena] (Pernambuco; Onkel Epitácio Pessoas; Jurist; 1872–75/1890 Provinzpräsident, 1891 Minister) 201–204, 207 Lucena, Solon Barbosa de (Paraíba; Vetter Epitácio Pessoas; 1920–24 Gouverneur) 216, 299, 304, 325, 351, 437, 446 Luís, Washington [früher: Luiz] (São Paulo; 1920–24 Gouverneur, 1926–30 Präsident der Republik) 249, 331–334 Lyra, Augusto Tavares de (Rio Grande do Norte; 1915 Bundesabgeordneter/ Verkehrs- und Bauminister) 60, 103, 175, 285, 386, 428–429, 442

M

Macedo, Antônio Lobo de [alias Lobo Manso] (Ceará; 1888–1960; Volks­ dichter) 143–144, 462



475

Maciel, Antonio Vicente Mendes [„Antonio Conselheiro“] (Ceará; 1830–97; Wanderprediger; siehe auch Canudos) 29, 152 Machado, Álvaro Lopes (Areia/Paraíba; Liberale Partei/Republikanische Partei; Oligarchieführer; siehe Machado-LealOligarchie) 204–205, 209, 212–214, 221, 337, 375 Machado, Irineu (Bundesdistrikt; 1921 Senator) 297 Machado, Vicente (Paraná; 1903 Senator) 191, 429 Magalhães, Carlos Leoncio (São Paulo; 1875–1931; Fazendeiro, „KaffeeKönig“) 248 Manso, Pacífico Pacato Cordeiro [Cordeiro Manso] (Alagoas; 1865–1931; Volksdichter) 129 Maranhão, Alberto (Rio Grande do Norte; 1919 Bundesabgeordneter) 60–61, 104, 167, 169, 171, 179, 429, 434 Maranhão, Pedro Velho de Albuquerque [Pedro Velho] (Rio Grande do Norte; 1856–1907; Oligarchieführer) 283, 464 Martins, Elias (Piauí; 1915 Bundesabgeordneter) 94, 259, 429 Medeiros, Antônio Augusto Borges de (Rio Grande do Sul; 1898–1908/1913–28 Gouverneur) 217 Medeiros, João Ernesto Viriato de (Ceará; 1823–1900; Ingenieur, Militär, Politiker) 70, 153, 440, 466 Médici, Emílio Garrastazu (Rio Grande do Sul; 1969–74 Präsident der Republik) 125 Mello, Antonio Alfredo da Gama e [heute: Melo, Antônio] (Paraíba; 1880/1882/1883 Provinzpräsident, 1896–1900 Gouverneur, AlvaristaOligarchie) 79, 177, 209, 422, 424, 429 Mello, Jerônimo Martiniano Figueira de (Ceará; 1877 Senator) 50, 59, 73, 99, 154–155, 426

476 

Register

Mello, José Octávio de Arruda (Paraíba; Historiker) 304 Melo, Fernando (Paraíba, Journalist) 216–217, 340–342, 346, 351, 363–364, 378, 462 Melo, José Joffily Bezerra de [früher: Mello] (siehe Joffily, José) Melo, Osvaldo Trigueiro de Albuquerque (siehe Trigueiro, Osvaldo) Miranda, Passos de (Pará; Politiker, Autor) 102, 193 Miranda, Veiga (1921 Abgeordneter/ São Paulo) 167, 249, 431, 437 Moacyr, Pedro (Rio de Janeiro; 1915 Bundesabgeordneter) 69–70, 429 Monte, Helvecio (Ceará; 1898 Bundesabgeordneter) 56–58, 61, 83, 86, 88, 90, 163, 166, 168, 173–174, 188, 278, 386, 429 Moore, Barrington (USA; Soziologe) 311, 463, 467 Moraes, Hermenegildo de (Goiás; 1915 Bundesabgeordneter) 94, 429 Moraes, Manoel Baptista de [alias Antonio Silvino] (Pernambuco; 1875–1944; cangaceiro) 121 Morais, Prudente de (São Paulo; 1894–98 Präsident der Republik) 204, 207, 246 Moreira, Delfim (siehe Ribeiro, Delfim Moreira) Motta, José Inácio Silveira da (Goiás; 1877 Senator) 74, 77, 89, 95, 276, 429 Muniz, Arthur (Pernambuco; 1919 Bundesstaatssenator) 297 Muniz, Durval (siehe Albuquerque Júnior, Durval Muniz de)

N

Nabuco, Joaquim (Pernambuco; 1849–1910; Abolitionist) 146, 191, 195, 361, 397 Nascimento, Nicanor (São Paulo; 1917/1920 Bundesabgeordneter/ Distrito Federal) 220–221, 290–296, 302, 305, 344, 355, 429

Neiva, J. A. (Herkunft unbekannt; 1900 Bundesabgeordneter) 84, 189, 278, 429 Neiva, João José Soares (Militär; Bruder Venâncio Neivas; verheiratet mit Emília Pereira de Lucena) 202 Neiva, Venâncio Augusto de Magalhães (Paraíba; 1849–1939; Oligarchieführer; siehe Neiva-Oligarchie) 202–205, 209–210, 212–213, 282, 343 Neves, Frederico de Castro (Ceará; Historiker/UFC) 16, 46, 62, 106, 388, 463–464, 467 Nóbrega, Apolonio (Paraíba; Historiker) 310, 345

O

Oliveira, Francisco de (Pernambuco; Sozialwissenschaftler) 342–343, 353, 358–359, 388, 464 Oliveira, Hosannaii de (Herkunft unbekannt; 1904 Bundesabgeordneter) 279, 429 Osório, Manuel Luís [in Annalen: Marquez do Herval] (Rio Grande do Sul; 1877 Senator) 95, 429

P

Pacheco, Felix (Piauí; 1909–20 Bundes­ abgeordneter, 1920–28 Senator) 317 Pacheco, Janot (1920 Ingenieur der IFOCS) 88, 317, 441 Paiva, Osorio da (wahrscheinlich Ceará; 1917 Bundesabgeordneter) 192, 429 Palhano de Jesus, José (Maranhão; Ingenieur; 1927–30 Generalinspektor der IFOCS) 322–324 Paranaguá, João Lustosa da Cunha (Marquês de Paranaguá; Piauí; 1877 Senator) 99, 429 Paranaguá, Joaquim Nogueira (Piauí; 1903 Senator) 91, 93, 256, 429 Paranhos Júnior, José Maria da Silva (Baron von Rio Branco; Rio de Janeiro; 1845–1912; Jurist, Geograph, Diplomat) 155

Personenregister Parente, Esmerino Gomes (Ceará; 1877–78 Provinzpräsident von Paraíba) 63, 422, 424 Patrocínio, José do (Provinz Rio de Janeiro; 1853–1905; Journalist) 65–68, 146, 463–464 Paulino, José (Alagoas; 1915 Bundesabgeordneter) 165, 168, 429 Peçanha, Nilo (Rio de Janeiro; 1909–10 Präsident der Republik) 256, 262, 318 Pedro II., Dom [Dom Pedro de Alcântara João Carlos Leopoldo Salvador Bibiano Francisco Xavier de Paula Leocádio Miguel Gabriel Rafael Gonzaga de Bragança e Habsburgo] (1840–89 amtierender Kaiser von Brasilien) 47, 69–70 Pedrosa, Pedro da Cunha (Umbuzeiro/ Paraíba; 1919 Senator) 83–84, 166, 175, 216, 265, 297, 386, 429, 434, 444 Peixoto, Floriano Vieira [„Eiserner Marschall“] (Alagoas; 1891–94 Präsident der Republik) 204–206, 221, 291, 336 Pena, Afonso (Minas Gerais; 1906–09 Präsident der Republik) 139, 246, 254, 256, 448 Penna, Maura (Paraíba; Sozialwissenschaftlerin/UFPb) 14, 16, 183, 465 Peregrino, José (Paraíba; 1898 Bundesabgeordneter) 84, 86, 165, 168, 175, 177, 191–192, 193, 386, 422, 427, 429, 430 Pereira, José (siehe Lima, José Pereira) Pereira, Raymundo (siehe Silva, Raymundo Pereira da) Pereira, Vicente Ignacio (Rio Grande do Norte; 1879 Vizegouverneur) 277 Pereira Junior, José Rodrigues (1879–80 Provinzpräsident von Paraíba) 79, 424 Pessôa, Adalberto (Neffe Epitácio Pessoas) 214, 445 Pessoa, Antônio da Silva [„Toinho“] (Umbuzeiro/Paraíba; 1863–1916; Bruder Epitácio Pessoas; 1915–16 Gouverneur) 29, 202, 213, 215–216, 221, 283, 305, 328, 421, 445, 452



477

Pessôa, Caetano Estellita Cavalcanti (Pernambuco; 1877 Provinzpräsident von Ceará) 74 Pessoa, Carlos (Ingenieur; Neffe Epitácio Pessoas) 305 Pessoa, Epitácio Lindolfo da Silva [früher: Epitacio Pessôa] (Umbuzeiro/Paraíba; 1891–93 Bundesabgeordneter, 1898–1912 Minister, Richter, Staatsanwalt, 1912–19/24–30 Senator, 1919–22 Präsident der Republik) 4, 13–14, 29, 31, 36–39, 41–43, 50, 96–97, 104, 130, 152–153, 157, 166–167, 176, 178–179, 182–184, 189–190, 199–245, 247–253, 260–272, 274–275, 280–303, 305–312, 314–328, 330–331, 333–358, 360–364, 368, 373–389, 392, 401–402, 407–408, 420–421, 430–431, 434–438, 440–447, 453–459, 462–466, 468 Pessoa, Helena Sayão (Tochter Epitácio Pessoas) 104, 232, 291, 305, 465 Pessoa, João [João Pessoa Cavalcanti de Albuquerque] (Umbuzeiro/Paraíba; Neffe Epitácio Pessoas; 1928–30 Gouverneur) 282–283, 305, 310, 326–334, 337–339, 378–380, 383, 421, 434, 441, 446–447, 453, 457 Pessoa, José da Silva (Bruder Epitácio Pessoas; Leutnant) 202, 305 Pessoa, José da Silva (Vater Epitácio Pessoas) 201, 305 Pessoa, Laurita (siehe Gabaglia, Laurita Pessoa Raja) Pessoa, Sylvio Luiz da Silva (Neffe Epitácio Pessoas) 291, 305 Pessoa Filho, Antônio [„Tonho“] (Neffe Epitácio Pessoas; Jurist, Politiker) 305, 328, 340, 453 Pinto, Antonio (Ceará; 1882 Bundesabgeordneter) 88, 90–91, 171, 173, 236, 266, 277, 305, 386, 431 Pinto, João Pereira de Castro (Paraíba; 1912–15 Gouverneur) 103, 169–170, 175, 230, 285, 297, 442

478 

Register

Pompeu, Thomaz [bzw. Thomás Pompeu de Souza Brasil/ heute: Tomás Pompeu de Sousa Brasil] (Ceará; Sohn des gleichnamigen Senators (1818–77); 1878–86 Bundesabgeordneter) 56, 71, 86, 160–162, 164, 186, 188, 305, 386, 431 Pompeu Sobrinho, Thomaz (Ingenieur, Autor) 32, 323, 465 Prestes, Júlio (São Paulo; 1927–30 Gouverneur) 331, 333 Prestes, Luis Carlos (Rio Grande do Sul; Militär; 1922 Copacabana-Revolte, 1924–27 Kolonne Prestes) 218–219

Q

Queiroz, Francisco Pessôa de (Pernambuco; Neffe Epitácio Pessoas; Politiker; Direktor des Jornal do Commercio) 305, 319, 440

R

Rabello, Aristides (Canindé/Ceará; 1915 Geschäftsmann) 279, 431 Ramos, Alberto Guerreiro (Bahia; 1915–82; Soziologe, Politiker) 149 Ramos, Gilvan (Paraíba; Agronom/Embrapa) 15–16, 398–400, 465 Rebouças, André (Bahia; 1838–98; Ingenieur) 70, 75 Reis, Aarão Leal de Carvalho (Pará; 1853–1936; Ingenieur; 1913–15 Inspektor der Dürrebehörde) 315, 441, 445 Resende, José Camelo de Melo (Paraíba; 1885–1964; Volksdichter) 128 Retumba, Francisco Soares da Silva (Paraíba; 1856–90; Ingenieur) 235, 385, 461 Ribeiro, Delfim Moreira da Costa (Minas Gerais; Interimsregierung 1918–19) 217, 262 Rio, José Pires do (Provinz São Paulo; 1880–1950; Ingenieur, Politiker) 167, 195, 435

Rio Branco, Baron von [Barão do Rio Branco] (siehe Paranhos Júnior, José Maria da Silva) Rocha, Moreira da (Ceará; 1915/1920 Bundesabgeordneter) 83, 175, 193–194, 292, 427, 431 Rodrigues, Antonio Coelho (Piauí; Agrarkongress 1878) 85, 194, 226, 425 Rodrigues, Thomaz (Ceará; 1917/1919 Bundesabgeordneter) 180, 186, 386, 431 Rodrigues Junior (Ceará; 1879 Bundesabgeordneter) 56–57, 75–77, 89, 99, 165, 277, 431 Rohan, Henrique Beaurepaire (Provinz Rio de Janeiro; 1812–94; Militär, Politiker) 70, 155 Rondon, Cândido Mariano (Mato Grosso; 1865–1958; Militär; siehe auch Rondon-Kommission) 319, 435 Rousseff, Dilma (Minas Gerais; Kabinetts­ chefin unter Lula da Silva, seit 2011 Präsidentin der Republik) 399, 407

S

Sá, Francisco (Ceará; 1900 Bundesabgeordneter) 83, 163, 168–169, 173, 179, 431 Sá, Joaquim Cyrillo de (Pater) 102, 110–111, 231, 285, 443 Sales, Manuel Ferraz de Campos (São Paulo; 1898–1902 Präsident der Republik) 134, 207–211, 246, 256, 284, 333 Santos, Felicio dos (Minas Gerais; 1879/1885 Bundesabgeordneter) 60, 79–80, 82, 87, 173, 431 Santos, Francisco Rodrigues dos (wahrscheinlich identisch mit Francisco Rodrigues da Silva, auch bekannt als Chagas Ramalho oder Francisco das Chagas; Paraíba; 1912–90; Volks­ dichter) 125–126, 450, 466 Santos, José Américo dos (Ingenieur) 71 Santos, Luís Soares dos (siehe Soares dos Santos, Luís)

Personenregister Santos, Manuel Camilo dos [Manoel] (Paraíba; 1905–87; Volksdichter) 124, 467 Sayão, Mary Manso (zweite Gattin Epitácio Pessoas) 207 Schüch, Guilherme (Baron von Capanema; Minas Gerais; 1824–1908; Naturwissenschaftler, Ingenieur) 153–155, 227, 235 Seabra, José Joaquim (Bahia; 1898 Bundesabgeordneter, 1902–06 Justizminister) 207, 283, 431 Serpa, Justiniano de (Ceará; 1915 Bundesabgeordneter) 56, 103, 431–432 Silva, Antonio da Costa Pinto e (1827–77; 1877 Ministro do Imperio) 79, 431 Silva, Eliete de Queiroz Gurjão (siehe Gurjão, Eliete) Silva, Expedito Sebastião da (Ceará; 1928–1997; Volksdichter) 135, 141–142 Silva, João Melquíades Ferreira da (Paraíba; 1869–1933; Volksdichter) 120, 128, 453 Silva, João Thomé de Saboya e (Ceará; 1917 Gouverneur) 66, 431 Silva, José Bernardo da (Alagoas; 1901–1971; Volksdichter, Verleger) 129 Silva, Luiz Antonio Domingues da (Maranhão; 1915 Bundesabgeordneter) 179, 260, 266, 280, 432 Silva, Luiz Inácio Lula da (Pernambuco/ São Paulo; 2003–10 Präsident der Republik) 393–394, 396, 399–400, 406–407 Silva, Manoel Cândido da (Paraíba; 1922–2005; Volksdichter; siehe Quelle III.2.d-01) 143 Silva, Raymundo Pereira da (Ingenieur; Distriktleiter der IOCS) 102, 156–157, 257, 279, 423, 466 Silva, Virgulino Ferreira da [alias Lampião] (Pernambuco; 1898–1938; cangaceiro) 121 Silveira, Rosa Maria Godoy (São Paulo/ Paraíba; Historikerin/UFPb) 16,



479

30–31, 172–173, 185–186, 362–363, 387–388, 467 Silvino, Antonio (siehe Moraes, Manoel Baptista de) Sinimbú, João Lins Vieira Cansanção de [heute: Sinimbu] (Alagoas; 1878 Senator, 1897 Ratspräsident und Finanz­ minister) 69, 276, 432 Soares, Oscar (Paraíba; 1920 Bundesabgeordneter) 292, 432 Soares dos Santos, Luís (Rio Grande do Sul; 1916–27 Senator) 293 Souza, Eloy de (Pernambuco/Rio Grande do Norte; 1908/1911 Bundesabgeordneter) 174, 185, 191, 236, 253, 260, 262–264, 269–270, 278, 306, 432 Stedile, João Pedro [auch: Stédile] (Rio Grande do Sul; Wirtschaftswissenschaftler/MST) 393, 444 Suassuna, João (Agraringenieur, Fundação Joaquim Nabuco) 21, 397–398 Suassuna, João Urbano Pessoa de Vasconcelos (Paraíba; 1924–28 Gouverneur) 215, 221, 325–326, 333, 445, 447

T

Teófilo, Rodolfo [früher: Theophilo, Rodolpho] (Bahia/Ceará; 1853–1932; Pharmazeut, Autor) 49, 56, 67–68, 77, 146, 195, 259, 268, 467 Trigueiro, Osvaldo [Osvaldo Trigueiro de Albuquerque Melo; früher: Oswaldo] (Alagoa Grande/Paraíba; 1905–89; Jurist, Sozialwissenschaftler, Politiker) 35, 288, 302–304, 308, 310, 338–339, 341–342, 346, 352, 459, 468 Trindade, José Augusto (Agraringenieur) 32

V

Valladares, Francisco (Minas Gerais; 1919/1920 Bundesabgeordneter) 186, 191, 240, 273–274, 289, 315–316, 377, 432 Vargas, Getúlio (Rio Grande do Sul; 1928–30 Gouverneur, 1946–51

480 

Register

Senator, 1930–45/51–54 Präsident der Republik) 179, 331, 333–335, 337, 339, 363, 378–381, 421, 456 Vasconcellos, João Florentino Meira e (Paraíba; 1879 Bundesabgeordneter) 53, 58, 71, 79, 82, 99, 165, 171, 175, 358, 386, 432 Vasconcellos, Zacharias de Góes [in Annalen: Zacarias] (Bahia; 1877 Senator) 55, 73–74, 89, 194, 276, 366, 432 Veloso, Pedro Leão (Maranhão; 1879 Senator, 1881 Provinzpräsident von Ceará) 49, 276, 432 Vianna, Ulysses Machado Pereira (1878–79 Provinzpräsident von Paraíba) 52, 55–56, 60, 75, 171, 173, 175–176, 425 Vieira, Manuel Inácio Belfort (Maranhão; 1903 Senator) 92–93, 432

Villa, Marco Antonio (São Paulo; Historiker/UFScar) 16, 29, 47, 56, 58–60, 102, 154, 262, 347, 350, 353, 357–362, 364, 381, 384, 387, 389, 396, 398–399, 452, 468

W

Wanderley, João Maurício [in Annalen: Barão de Cotegipe] (Bahia; 1856–75/ 1877–89 Senator, 1875–78 Finanzminister) 59, 60, 73–74, 78, 87, 155, 162, 187–188, 276, 432 Werneck, Luís Peixoto de Lacerda (Rio de Janeiro; 1885 Bundesabgeordneter) 101, 163, 182, 186, 277, 432

Z

Zacarias (siehe Vasconcellos, Zacharias de Góes)

Ortsregister A

Acarape (Stauanlage bei Baturité/Ceará) 307 Acre (Bundesstaat im Norden Brasiliens) 61, 152, 178–180, 183 Açude de Bodocongó (Stauanlage in Campina Grande/Paraíba) 315, 441 Açude do Cedro (Stauanlage bei Quixadá/ Ceará) 254, 257, 268 Açude Epitácio Pessoa [„Boqueirão“] (Stauanlage in Boqueirão bei Campina Grande/Paraíba) 4 Açude Formosa (Stauanlage in Palmácia im Raum Baturité/Ceará) 323 Açude Gargalheiras [früher: Barragem da Gargalheira; offiziell: Barragem Marechal Dutra] (Stauanlage in Acari/ Rio Grande do Norte) 307 Açude Santo Antônio das Russas [auch: Santo Antônio de Russas] (Stauanlage bei Russas/Ceará) 307

Adutora do Oeste [„Zuleitung des Westens“] (Kanal im Sertão do Araripe, Pernambuco) 398 Afrika 33, 404–405, 444 Agreste (Subregion im Nordosten zwischen Küste und Sertão) 18, 23, 204, 375 Ägypten 69, 271, 349 Alagadiço (Peripherie von Fortaleza/Ceará) 259–260 Alagoa Grande [früher: Alagôa Grande] (Gemeinde bei Areia/Paraíba) 175, 351–352, 425, 432 Alagoa Nova (Gemeinde bei Areia/Paraíba) 351–352, 425 Alagoas (Bundesstaat im Nordosten) 18, 93–94, 101, 322, 396, 400, 429, 432 Amapá (Bundesstaat im Norden Brasiliens) 152, 183 Amazonien (Einzugsgebiet des Amazonas, im Norden Brasiliens) 18, 58–59, 61, 95, 98, 100, 118, 152, 178, 180, 183–184, 193–194, 206

Ortsregister Aracati [früher: Aracaty] (Küstengemeinde in Ceará) 56, 305 Areia (Stadt im Agreste von Paraíba) 94, 166, 205, 215, 352, 375, 425, 433–434, 452 Assú [heute: Assu] (Stadt im Hinterland von Rio Grande do Norte) 175, 432

B

Bahia (Bundesstaat im Nordosten) 18–19, 36, 44, 46, 64, 73, 89, 92–94, 98, 118, 194, 217, 250, 322–323, 396, 428, 431–432, 443, 454, 464 Baixada Fluminense (Ballungsgebiet im Bundesstaat Rio de Janeiro) 62 Bananeiras (Stadt im Agreste von Paraíba) 299, 304, 437 Barragem de Orós (Staudamm von Orós/Ceará) 125, 320, 422 Baturité (Stadt im Norden Cearás) 73, 109, 111, 305, 433, 435 Bodocongó (siehe Açude de Bodocongó) Boqueirão (Gemeinde bei Campina Grande im Cariri Oriental/Paraíba) 4, 16 Brasília (Hauptstadt Brasiliens seit 1960; Zentral-Westen) 425, 427–428, 430–432, 436, 440, 443, 455, 460, 462–464

C

Cabedelo [früher: Cabedello] (Stadt mit Atlantikhafen in der Mata Paraibana) 206, 308, 310, 328, 335, 340, 437 Campina Grande [„Campina“] (Stadt im Agreste von Paraíba) 15, 23, 237, 285, 340, 402, 433–434, 436–437, 456, 458, 464–465 Campinas (Stadt im Bundesstaat São Paulo) 16, 62, 451–452 Campo do Alagadiço (Lager für Dürre­ flüchtlinge bei Fortaleza/Ceará, 1915/32) 259–260 Canal do Trabalhador [„Kanal des Arbeiters“] (Kanalisierung von Wasser aus dem Fluss Jaguaribe ins Ballungszentrum Fortaleza/Ceará) 398



481

Canindé (Ceará) 279, 305, 426, 431 Canudos (Gemeinde in Bahia; siehe auch „Guerra de Canudos“ im Sachregister) 95, 120, 134, 148, 152, 178, 208 Cariri Oriental (Region in Paraíba zwischen Umbuzeiro und dem Cariri Ocidental) 202 Cariry [heute: Cariri] (Region im Süden Cearás) 161, 305 Ceará (Bundesstaat im Nordosten) 13, 16, 18–19, 23, 28, 40, 45–46, 49–50, 53, 57–58, 61, 65–67, 70, 72, 74, 77–80, 88–93, 98–101, 112, 117, 123, 125–127, 134–135, 140, 144, 152, 154–155, 163, 165–166, 169, 176, 188, 194, 228, 232–233, 256, 258–259, 261, 267, 275–277, 282, 288, 290, 292, 303, 305, 309, 317, 320, 322–324, 386, 391, 394, 396, 398, 421, 424, 426–429, 431–435, 439–441, 443–444, 448, 450, 459, 462–463, 467 Cedro (Gemeinde in Ceará; siehe Açude do Cedro) Centro-Oeste (siehe „Zentral-Westen“) Conceição (Gemeinde im Sertão Paraibano) 84, 422 Copacabana (Stadtteil von Rio de Janeiro; siehe auch „Copacabana–Revolte“ im Sachregister) 218, 321 Custódia (Gemeinde im Sertão do Moxotó/ Pernambuco) 399, 440

D

Deutschland [bzw. „Deutsches Reich“] (siehe auch „Preußen“ und im Sach­ register „Deutsche Einwanderung und Einflüsse in Brasilien“) 5, 14, 31, 132, 286, 311

E

Europa (siehe auch „Europäische Einwanderung“ im Sachregister) 22, 54, 63, 69, 110, 132, 134, 139, 148–150, 154–155, 170, 184, 192–195, 206, 220, 227, 243, 286, 294, 307, 325, 334, 370–371, 375, 405–406, 461

482 

Register

F

Feira de Santana (Stadt in Bahia) 323 Formosa (siehe Açude Formosa) Fortaleza (Küsten-/Hauptstadt des Bundesstaats Ceará) 13–14, 55–56, 67, 74, 76, 79, 105, 118, 154, 232, 259, 266, 268, 305, 309–310, 398, 421, 442, 453, 457, 459, 462–465, 468

G

Gargalheira (siehe Açude Gargalheiras) Guarabira (Stadt im Agreste von Paraíba) 449

I

Icó (Gemeinde bei Iguatu/Ceará) 73, 305 Iguatu [früher: Iguatú] (Stadt im Hinterland von Ceará) 175, 427 Independência (Gemeinde im Hinterland von Ceará) 323 Indien 186, 271, 403–404, 455 Ipu (Gemeinde im Hinterland von Ceará) 305 Israel 403

J

Jaguaribe (Fluss in Ceará) 71, 155, 286 João Pessoa (Hauptstadt des Bundesstaats Paraíba; für die Zeit 1654–1930 siehe vorherigen Namen „Parahyba“) 23, 29, 48, 421, 433, 453, 460

K

Kalifornien 101, 403–404 Karibik 375

M

Mamanguape (Paraíba) 103, 285, 287, 434, 442 Maranhão (Bundesstaat im Nordosten) 18, 20, 61, 92–93, 101, 427–428, 432, 466 Meio-Norte (Subregion im Nordosten, an Amazonien angrenzend) 18, 461 Messejana (Gemeinde in Ceará; seit 1921 Stadtteil von Fortaleza) 176

Minas Gerais (Bundesstaat im Südosten, mit semi-aridem Klima im nördlichen Teil) 63, 77, 93–94, 97, 168, 183, 186, 189, 206, 211, 217, 246–250, 254, 273, 276, 289, 315, 317–318, 321, 329, 331–332, 378, 380, 396, 426–427, 429, 431–432 Mossoró (Stadt in Rio Grande do Norte) 83–84, 236, 426–427, 452, 460, 465 Moxotó [Rio Moxotó] (Fluss in Pernambuco) 265, 452

N

Naher Osten 69, 404 Natal (Küsten-/Hauptstadt des Bundesstaats Rio Grande do Norte) 232, 309–310, 438, 450–451, 460, 465 Natuba [früher: Barra de Natuba] (Gemeinde bei Umbuzeiro im Agreste von Paraíba) 88, 297, 435 Norden [Norte] (Region Brasiliens; umfasste früher auch den heutigen Nordosten) 28, 30, 34–36, 40, 42–43, 46–49, 51–53, 59–65, 68–74, 77–79, 81–88, 90–95, 97, 98–103, 105, 113–118, 121, 131, 133, 139–140, 145–147, 152–154, 159–162, 164–165, 167–168, 170–172, 177, 179, 182–194, 196, 201, 218, 223, 227, 236, 240–241, 243–251, 254–256, 266, 277–280, 284, 290, 312–313, 364–368, 370–372, 374, 380, 389, 420, 432 Nordosten [Nordeste] (Region Brasiliens; zählte früher zum Norden; siehe auch „o nordeste“ im Sachregister) 13, 16, 18–39, 41, 61, 82, 91, 96–98, 100–106, 116, 125, 129–130, 135, 146, 152–153, 167–168, 174, 176, 179–182, 189, 191, 193–194, 212, 218–219, 224–227, 231–233, 235, 238, 240–241, 244–245, 248–253, 255, 258–269, 271–272, 280, 283, 286–287, 289–293, 295–296, 298–299, 301–303, 308–309, 311–312, 314–323, 325, 329, 331, 335–336, 338–339, 341–345,

Ortsregister 347–350, 353–365, 367–368, 374–377, 379–383, 387–391, 393–408, 409–419, 420–421, 423, 426, 430–432, 434–444, 450–452, 454–456, 458, 460, 463–468 Norte-Oriental (frühere Regionalbezeichnung) 101 Norte seco (traditionelle Trockenzone: Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba, Pernambuco und später auch Piauí) 28, 155, 368 Novo Nordeste [„Neuer Nordosten“] (v.a. agroindustrielle Monokulturen, z.B. Soja; siehe auch Novos Sertões) 22, 401–402, 460 Novo norte [„Neuer Norden“] (Amazonasgebiet; siehe auch „Amazonien“) 95 Novos Sertões [„Neues Hinterland“] (v.a. Exportoasen für Obst- und Gemüseplantagen) 19, 460

O

Orós (Stadt im Hinterland von Ceará bei Iguatu; siehe auch Barragem de Orós) 125, 320, 422

P

Pará (Bundesstaat im Norden Brasiliens) 58, 61, 102, 193, 315, 427 Parahyba [im Text in dieser ursprüng­ lichen Orthographie] (Hauptstadt des Bundesstaats Paraíba; für die Zeit nach 1930 siehe den seither gültigen Namen „João Pessoa“) 29, 48, 230, 232, 299, 309–310, 325, 351, 422–425, 430, 433–437, 439–444, 447–450, 452–453 Paraíba [früher: Parahyba; im Text – außer bei Zitaten – in neuer Orthographie] (Bundesstaat im Nordosten) 4, 13, 15, 17–19, 22–23, 28–29, 31, 35, 37–38, 40, 43–48, 50, 52, 56, 58–59, 63, 65, 75, 79–80, 84, 88, 90–95, 97–100, 103–105, 110, 117, 119, 121, 123, 128, 140, 152, 157, 165–166,



483

170–171, 175–177, 180, 182–183, 186, 189, 191–192, 201–206, 208–216, 219–225, 227–233, 235–239, 242–244, 257, 267, 272–273, 277–278, 280–288, 290, 292, 296–297, 299–305, 308–310, 314–315, 317, 320–326, 328–329, 331–346, 349–351, 353–357, 361–364, 375, 378–380, 383, 385–386, 391, 396, 398, 407, 417–418, 421–430, 432–434, 436–443, 445–446, 449, 451, 453, 455–456, 458, 460–463, 465–468 Pernambuco (Bundesstaat im Nordosten) 18–19, 28, 40, 44–46, 50, 59, 64, 91, 93–94, 98–100, 117, 190–191, 201, 236–237, 284, 308, 322, 331–332, 346, 353, 391–392, 394, 396, 398, 406–407, 422, 424–427, 429, 432, 440, 443, 453–455, 458, 466 Petrópolis (Stadt im Bundesstaat Rio de Janeiro; ehemalige kaiserliche Sommerresidenz) 334 Piauí [früher: Piauhy] (Bundesstaat im Nordosten) 18–19, 40, 46, 50, 85, 90–94, 128, 163, 391, 425, 427–429, 443, 449 Picuí (Gemeinde im Hinterland von Paraíba) 323 Pilões (Gemeinde bei Areia im Agreste Paraibano) 320 Polígono das secas [wörtlich: „Vieleck der Dürren“] („Trockengürtel“ (siehe unten); ca. 1350 Gemeinden in Alagoas, Bahia, Ceará, Minas Gerais, Paraíba, Pernambuco, Piauí, Rio Grande do Norte, Sergipe; zum Kerngebiet siehe Norte seco) 32, 411 Pombal (Stadt im Sertão Paraibano) 84, 117, 427 Preußen (siehe auch „Deutschland“) 220, 311, 420 Princesa (Gemeinde im Sertão Paraibano) 331–332, 446

484 

Register

Q

Quixadá (Gemeinde im Sertão de Quixeramobim/Ceará) 253–254, 257–258, 261, 268, 307 Quixeramobim (Gemeinde im Hinterland von Ceará) 45

R

Recife (Küsten-/Hauptstadt des Bundesstaats Pernambuco) 16, 64, 85, 98, 118, 139, 201–202, 204, 236–237, 308, 329, 331–332, 353, 421–422, 424–425, 435, 440, 443–444, 447–451, 453–456, 458, 460 Rio de Janeiro (Hauptstadt des gleich­ namigen Bundesstaats; 1763–1960 Landeshauptstadt) 16, 35, 59–63, 64, 66, 70–71, 78, 85–86, 90, 98, 101–102, 105, 119, 146, 155–157, 160, 165, 167, 175, 179, 186–187, 190, 201–202, 206, 211, 216, 218–220, 226, 244, 246, 256, 262, 273, 277–280, 283–284, 289, 294, 296–297, 302, 307, 318, 321, 325, 329, 334, 340–341, 356, 366–367, 374, 421, 423–429, 431–448, 451–468 Rio Grande do Norte (Bundesstaat im Nordosten) 18–19, 28, 40, 50, 53, 79–80, 84, 90–94, 98–101, 117, 165, 170, 193, 228, 232–233, 236, 256–257, 276–277, 279, 282–283, 285, 288–290, 309, 322, 375, 386, 391, 396, 423, 426–429, 432–433, 437–438, 443, 451, 464–465 Rio Grande do Sul (Bundesstaat im Süden) 46, 95, 134, 189, 208, 211, 217, 246–247, 249–250, 293, 318, 331–332, 426, 429 Russas (Stadt im Sertão von Ceará; siehe auch Açude Santo Antônio das Russas) 45

S

Salgado (Fluss in Ceará) 155 Sanhauá (Fluss bei João Pessoa/Paraíba) 309–310, 345

Santo Antônio das Russas (siehe Açude Santo Antônio das Russas) Santos (Hafenstadt im Bundesstaat São Paulo) 62 São Francisco (Fluss in Minas Gerais, Bahia, Pernambuco, Sergipe, Alagoas; siehe auch „transposição” im Sachregister) 19, 47, 71, 155, 286, 391, 395–399, 406–407, 424, 435–436, 438–440, 451 São Paulo (Bundesstaat im Südosten und dessen gleichnamige Hauptstadt) 63–64, 142, 150, 179–181, 183–186, 189, 204, 207, 211, 217, 219, 223–225, 241, 243, 246–251, 265, 272, 290, 294, 296, 307, 318, 321, 331, 357, 360, 362, 374, 378, 394, 398, 427, 429–431, 434–439, 442, 444, 451–455, 457–459, 461–468 Semi-Árido [inzwischen: Semiárido] (Halbtrockenzone; siehe auch Sertão) 15, 18–21, 23–24, 30, 38, 99–100, 131, 153, 182, 205, 239, 257–258, 375, 383, 394, 398, 402, 408, 411, 413, 418, 423, 436, 439, 441, 453, 455–456, 458, 460, 462–464, 468 Sergipe (Bundesstaat im Nordosten) 18, 90, 93–94, 98, 322, 396 Sertão (hier: Subregion im Nordosten; semi-arides Hinterland) 15, 18, 21–24, 29–31, 34, 37, 44, 46–47, 49, 51, 53–55, 58, 62–63, 67, 70, 77, 100, 104, 114–115, 117–118, 121, 123, 131, 138, 142, 146, 148–151, 155, 169, 174–177, 180–181, 198, 202, 219, 230, 232, 234, 236–237, 242, 268, 279, 313, 325, 328, 331, 347, 359–360, 362, 371–373, 375, 383, 395, 398, 402, 439, 443–444, 447, 452, 457–458, 462, 468 Sertão do Araripe (Pernambuco) 398 Sizilien 405, 438, 442 Sobral (Stadt im Sertão von Ceará) 45, 56–58, 169, 432 Somalia 5, 404–405, 437, 457 Spanien 17–18, 48, 405–406, 439, 444–445

Sachregister Süden [Sul] (Region Brasiliens; umfasste früher auch die heutigen Regionen Zentral-Westen und Südosten) 16, 22, 24, 36–37, 47, 51, 59–62, 66, 73, 77–78, 82, 84, 87, 89–90, 95, 97–98, 100, 102, 104–105, 133, 137–140, 148, 152, 154, 159–163, 165, 167–169, 172–173, 178–179, 181–194, 196, 199, 201, 226–227, 243–251, 254, 258, 267, 274, 277–280, 295–296, 300, 312–313, 318, 321, 341, 344, 353–361, 364–368, 370–372, 375, 377, 380–382, 389, 418–419 Südosten [Sudeste] (Region Brasiliens; zählte früher zum Süden) 16, 24, 36, 181, 250, 354–355, 419

T

Tauá (Stadt im Sertão de Inhamuns in Ceará) 45 Taubaté (Stadt im Bundesstaat São Paulo; siehe „Valorisationsabkommen von Taubaté“ im Sachregister) Teixeira (Gemeinde im Sertão Paraibano) 117, 121 Trockengürtel (siehe auch Polígono das secas und zum Kern des Dürregürtels Norte seco) 19–20, 36, 58, 62, 89, 92–95, 100, 172, 181–182, 184, 188, 192,



485

201, 225, 245, 247, 250–251, 254, 257, 260–261, 266, 274, 277, 280, 284, 290, 292, 296, 300, 313, 315, 322, 345, 349, 355, 367, 391, 395, 412, 414

U

Umbuzeiro (Stadt im Agreste von Paraíba) 88, 201–202, 206, 216, 225, 297, 305, 435, 439, 441 USA 53–54, 69, 155, 157, 206, 271, 293, 307, 316, 334

V

Varadouro (Stadtteil von João Pessoa [früher: Parahyba] am Fluss Sanhauá) 308 Velho norte („Alter Norden“: die Nord­ region ohne Amazonien) 95 Versailles (siehe „Pariser Friedenskonferenz“ im Sachregister) Vitória de Santo Antão (Stadt in der Mata Pernambucana) 117

Z

Zona da Mata (Subregion im Nordosten an der Küste) 18, 53 Zentral-Westen [Centro-Oeste] (Region Brasiliens; zählte früher zum Süden) 250

Sachregister A

A bagaceira (1928; Roman von José Américo de Almeida zur Zeit der ­Dürren von 1898/1915) 48, 358, 452 A fome (1890; Roman von Rodolfo Teófilo über den „Hunger“ der Trockenperiode von 1877) 68, 467 A seca de 1915 (1919; zeitgeschichtliches Werk von Rodolfo Teófilo über die Dürre von 1915) 259, 467 Abolition (siehe Sklaverei)

Agrarstruktur (Besitzverhältnisse, Wasser-/ Landnutzung, Bodenreform; siehe auch „konservative Modernisierung“, „MST“ und „Protestbewegungen“) 19, 21–22, 45–46, 51, 55, 85, 120, 136–137, 154–156, 159–161, 168, 170–172, 199, 229, 234–235, 238–239, 253, 260, 269–273, 290, 301–303, 311, 323, 329, 345–348, 359, 361, 370, 372, 376–377, 381, 384–385, 391–394, 397–398, 401,

486 

Register

407, 416, 425, 442, 444, 454, 458, 462–463 Aliança Liberal (Oppositionsbündnis, Präsidentschaftswahlkampf 1929/30) 329, 331–333, 379, 446 Alte Republik (siehe Erste Republik) Alvaristas (siehe „Machado-LealOligarchie“ unter Álvaro Machado) Anthropophagie („Menschenfresserei“) 56, 260 Arbeitsbeziehungen, Arbeiterbewegungen, Arbeitsrechte (siehe auch „Sklaverei“) 22, 44, 59, 62, 85, 87, 133, 136–139, 140, 150–153, 156, 169, 180–181, 194, 196–197, 219–221, 290, 294–295, 303, 305, 312–314, 329, 333–334, 337, 339, 344, 355, 358, 365, 370, 374, 377, 380–381, 389, 401, 407, 418, 460 Arbeitsdienste (Beschäftigung der Dürreopfer in „obras públicas“) 70, 72–77, 91, 93–95, 111–112, 166, 169, 173, 175, 177, 179, 197, 228–233, 238, 251–252, 258, 264, 371, 374, 391–393, 395 Archive/Bibliotheken/Forschungseinrichtungen (nur Übersichten angeführt) 16, 35, 420–421, 425, 432–433 Articulação do Semi-Árido/ASA (Netzwerk zur Förderung des nachhaltigen Umgangs mit dem Semi-Árido; „convivência com o semi-árido“) 15, 394, 402, 456, 458 Autonomistas (1892 von Venâncio Neiva und Epitácio Pessoa als paraibanische Oppositionspartei gegründet; NeivaPessoa-Oligarchie bzw. PessoaOligarchie später als Epitacistas bekannt) 205, 209–211

B

Baiano (hier: aus dem Bundesstaat Bahia gebürtige Person) 460 Bandeirantes (Expeditionstrupps, die den Sertão erschlossen) 150, 183 Barracão/barracões (überteuerte Verkaufs­ läden der Großgrundbesitzer) 133, 138, 199, 303, 313

Baumwollwirtschaft (in Paraíba mit der Oligarchie aus dem Sertão verbunden) 21, 43, 52–55, 99–100, 117, 155, 168, 185, 235–239, 242, 251, 286, 313–314, 325, 345, 349, 375, 383, 440–441 Bildung (Allgemeinbildung, Erziehungs­ system) 34, 65, 113–114, 163, 170–171, 174, 219, 227, 385, 391, 394, 402 Brunnen (öffentliche und private Brunnen im Dürregebiet) 21, 46–47, 71, 93–94, 155, 157, 192, 256, 284, 302–303, 323, 363, 381, 391

C

Café-com-leite (alternierende Präsidentschaft der „Kaffee mit Milch“-Staaten São Paulo und Minas Gerais, ab 1910 auch Rio Grande do Sul) 189, 217, 245–246, 254, 360, 378, 380 Caixa Especial [Caixa Especial das Obras de Irrigação de Terras Cultiváveis no Nordeste Brasileiro] (Sonderkasse für Bewässerungsbauten kultivierbarer Böden im Nordosten Brasiliens) 230, 261, 263, 269–270, 272, 302, 305, 320, 431 Cambão [Joch] (ausbeuterische Pachtform) 137, 198 Campos de Concentração (Auffanglager für Dürreflüchtlinge; currais do governo: „Viehställe der Regierung“) 77, 171, 258–259, 463, 465 Cangaceiros/cangaço (Banditen/Banditentum im Sertão) 81, 95, 120–122, 131, 176–177, 197, 373, 448, 460 Carioca (aus der Stadt Rio de Janeiro gebürtige Person; vgl. auch fluminense) 184 Columna Prestes (1924–27; siehe „Kolonne Prestes“ und auch Luis Carlos Prestes und tenentismo) Comissão Científica [Imperial Comissão Científica e Comissão Exploradora das Províncias do Norte] (Kaiserliche Wissenschaftskommission und Kommission zur Erschließung der Nordprovinzen; 1856) 47, 153–154

Sachregister Comissão Científica [„Rohan-Kommission“] (Kaiserliche Kommission zur Erkundung von Dürremaßnahmen unter Leitung von H. Rohan; 1877) 70–71, 155 Comissão Pastoral da Terra/CPT [„Bodenpastoralkommission“] (1975 gegründet; Forderung von Agrarreformen) 394–395, 456 Comissão Rondon (Kommission zur Bewertung der Dürrepolitik Epitácio Pessoas; Leitung: General Rondon; 1922/23) 104, 309, 317, 319, 435 Congresso Agrícola do Recife (Agrarkongress in Recife, Oktober 1878) 72, 98, 224, 422, 424–425 Contos/Contos de réis (brasilianische Währung bis 1942) 73 Convênio de Taubaté (siehe Valorisations­ abkommen von Taubaté) Convivência com a seca (wörtlich: „Zusammenleben mit der Dürre“) 15, 402 Copacabana-Revolte (Militärrevolte in Rio de Janeiro, 5.7.1922; siehe auch tenentismo) 218–219, 321 Cordel/cordéis [„literatura de cordel“] (heutige Bezeichnung der Volkslyrik im Norden/Nordosten) 14, 34, 113–145, 178, 198, 219, 230, 421, 447–451, 453, 457, 459, 462, 465–467 Coronelismo (Machtsystem der coronéis (im Singular: coronel, Oberst) in der Ersten Republik, v.a. in Anlehnung an Leal, Coronelismo, 1977) 62, 123, 144, 179–180, 189, 211–212, 214, 242, 300–305, 313–314, 325–326, 329–331, 345, 347–348, 357, 360, 373–375, 377–380, 383, 386–387, 400, 421, 455, 461, 464–465, 468

D

Denaturalisieren (den ‚Nordosten der Dürre‘ denaturalisieren) 27, 106, 390 Departamento Nacional de Obras Contra as Secas/DNOCS (Nationale Dürrebehörde mit Sitz in Fortaleza/Ceará, seit 1945; 1909–19 IOCS, 1919–45 IFOCS) 125, 156, 381, 421, 422, 455



487

Deutsche Einwanderung und Einflüsse in Brasilien (siehe auch „Deutsches Reich/ Deutschland“ im Ortsregister) 184, 193–194 „Diebe in Frack und Glacéhandschuhen“ [„ladrões de casaca e luvas de pellica“] (Unterschlagung/Zweckentfremdung von Dürregeldern, 1877–79) 274–277, 299, 377 Diskurs (Diskursanalyse, Sehnsuchts­ diskurs, Gegendiskurs, Modernisierungsdiskurs, Solidarisierungstopos) 24–29, 148, 150, 182–185, 196, 369, 389 Diskursive Konstruktion sozialer Realität 13, 24, 29, 33, 39, 82, 106–107, 145, 158, 182, 196, 255, 373, 382, 386, 387–388, 408, 453 Diskursive Macht („symbolische Herrschaft“/‚Macht des Diskurses‘) 13, 368, 387–388, 390, 408 Diskursive, unterschwellige Struktur des ‚Sagbaren‘ (‚Sagbarkeit‘ von Aussagen) 26, 76, 184, 199, 261, 369, 373, 382, 387, 461 Diskurskompetenz (Durchsetzungskraft des legitimierten Sprechers) 165–167, 182–183, 225–226, 251, 355, 368, 371, 382 Dominanter Dürrediskurs (Schnittstelle aller Diskurse zur Dürre) 107, 158–159, 195, 197, 199, 369, 373, 375 Dürreindustrie (indústria da seca) [früher: industria da secca] (Geschäftemacherei mit der Dürre) 273–275, 279–282, 284, 289, 293–294, 300–301, 313–314, 319, 322–324, 342–345, 361, 363, 377, 458, 467 Dürren (siehe Trockenperioden)

E

Empresa Brasileira de Pesquisa Agropecuária, Embrapa (Forschungsinstitut/ Agrarministerium) 15, 398–400, 465 Engenho [Zuckermühle/-plantage] (siehe Zuckerwirtschaft)

488 

Register

Epitacistas (paraibanische Führungs­ oligarchie unter Epitácio Pessoa, 1915–30; siehe auch Autonomistas) 211–214, 216, 281, 324, 336–338, 343–344, 346–347, 375, 377–379 „Erfindung der Dürre und des Nordostens“ (siehe auch „diskursive Konstruktion sozialer Realität“) 33, 39, 88–91, 105–106, 182, 254–255, 273, 319, 365–366, 386–390, 403, 451–452, 455, 460 Erste Republik (1889–1930) [auch: Alte Republik/República Velha] 13, 33, 115, 211, 284, 336, 374, 383 Erster Weltkrieg 132, 134, 170, 185, 239, 247, 263, 294 Europäische Einwanderung (v.a. in den Süden Brasiliens) 63–64, 139, 150, 182, 184, 192–195, 220, 227, 243–245, 294, 370–371, 375

F

Fluminense (aus dem Bundesstaat Rio de Janeiro gebürtige Person; siehe auch „Baixada Fluminense“ im Ortsregister) 296 Frauenwahlrecht (Rio Grande do Norte, 1927) 211–212 „Fülle und Überfluss vor der Dürre“ ­(politische Strategie und Volksdichtung) 87, 131–132, 151, 242, 372 Fundação Joaquim Nabuco/Fundaj ­(Forschungseinrichtung in Recife/ Pernambuco) 16, 391, 411, 421

G

Gaúcho (hier: aus dem Bundesstaat Rio Grande do Sul gebürtige Person) 331, 460 Gouverneurspolitik [política dos governadores; Präsident Campos Sales: política dos estados] (Pakt zwischen politischen Ebenen zum Machterhalt, mit Einfluss auf Wahlergebnisse; siehe hierzu Verificação de poderes) 180, 208–211, 330, 374, 382

„Guerra de Canudos“ [„Campanha de Canudos“] („Krieg von Canudos“; Militärintervention in Canudos, 1896–97) 31, 34, 95–96, 109–110, 120, 134, 147–148, 152, 175, 178, 208, 211, 453, 457, 459–460

H

Hafenskandal (Binnenhafen am Fluss Sanhauá in der paraibanischen Hauptstadt) 94, 232, 242–243, 266–267, 284, 288, 307–310, 319, 328, 340, 345–346, 361, 366, 376, 461 „Hecatombe“ [„Hekatombe“] („Massensterben“, im Portugiesischen Konnotation „Massenmord“) 82, 241, 358

I

Indústria da seca [früher: industria da secca] (siehe „Dürreindustrie“) Inspetoria de Obras contra as Secas/IOCS (Dürrebehörde mit Hauptsitz in Rio de Janeiro, 1909–19; 1919–45 IFOCS, seit 1945 DNOCS) 32, 94, 102–103, 105, 156–157, 184, 251–252, 256–257, 261–262, 279, 315, 338, 374, 462 Inspetoria Federal de Obras contra as Secas/ IFOCS (Nationale Dürrebehörde, 1919–45; vorher IOCS, seit 1945 DNOCS) 104, 157, 184, 261, 263, 286, 288, 300–302, 305, 309–310, 314, 317, 321–322, 344, 348, 362, 374, 377, 380–381, 413, 423 Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro/IUPERJ (Forschungs­ institut) 16, 395, 421, 462–463

J

Jovens Turcos (Paraíba; Anhänger Antônio Pessoas) 215

K

Kaffeewirtschaft (Kaffeeanbau und Protektionismus im Süden; siehe auch cafécom-leite und „Valorisationsabkommen von Taubaté“) 51, 61, 63–64, 68, 159,

Sachregister 172, 184–186, 189, 193, 239–241, 245–250, 254, 256, 274, 296, 318, 353–354, 359–360, 378 Kautschukgewinnung (v.a. Amazonien; siehe auch seringueiro) 58, 61, 95, 152, 178–179, 184–185, 194 Kolonne Prestes [Columna Prestes] (Protestmarsch von 1924 bis 1927; siehe hierzu Luis Carlos Prestes und tenentismo) 219, 321 Konservative Modernisierung (Modernisierung der Produktionsstrukturen unter Wahrung des politischen Dominanzgefüges) 172, 181, 197, 242, 311–312, 314, 377, 463, 467 Konservative Partei (in Paraíba Umfeld der Neiva-Pessoa-Oligarchie) 203–204, 209, 215 Konstitution von 1891 (siehe Verfassung) „Konzentrationslager“ (siehe Campo de Concentração)

L

„Ladrões de casaca e luvas de pellica“ (siehe „Diebe in Frack und Glacéhand­ schuhen“) Lei do orçamento da despesa (Haushalts­ gesetz von 1925 zur drastischen Kürzung der Dürrebekämpfungsmaßnahmen) 320, 350, 428 Lei do ventre livre [„Gesetz des freien Bauches“] (1871; Freiheit für neugeborene Kinder von Sklavinnen; siehe auch „Sklaverei“) 51, 137 Lei Epitácio Pessoa (Dekret Nr. 3965 vom 25.12.1919 innerhalb der Dürre­ politik Epitácio Pessoas, zurückgehend auf ­einen Gesetzesantrag von Eloy de Souza, 1911) 270–272, 306 Liberale Partei (in Paraíba Umfeld der Machado-Leal-Oligarchie aus Areia) 203, 205, 209–210 Ligas Camponesas (Bauernligen im Nord­ osten unter Francisco Julião, 1955) 401 Literatura de cordel (siehe „cordel“)



489

M

Machado-Leal-Oligarchie (paraibanische Führungsoligarchie unter Álvaro Machado und Valfredo Leal, 1892–1912; 1912–15 Pakt mit der Neiva-Pessoa-Oligarchie; 1915–30 Führung der Pessoa-Oligarchie) 204, 209–213, 281, 337, 352, 375 Migration (hier v.a. Flucht vor der Dürre bzw. den mit ihr assoziierten Lebensbedingungen; siehe auch „Europäische Einwanderung“) 47, 55, 58–62, 70, 79, 87, 111, 161, 180–181, 230, 234, 266, 372, 384, 423, 440–441, 465 Mineiro (hier: aus dem Bundesstaat Minas Gerais gebürtige Person) 318, 322, 331, 440 Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra/MST (Landlosenbewegung; 1984/85 gegründet) 393

N

Neiva-Oligarchie [auch: Neiva-LucenaPessoa-Oligarchie] (1889–91 paraibanische Führungsoligarchie unter Venâncio Neiva und Epitácio Pessoa) 202–205, 209–210, 212–213, 215, 281–282, 343, 424 Nordeste [„o nordeste“] (Nordostwind; zur Region „Nordosten“ siehe Orts­register) 27, 102

O

Os retirantes [„Die Dürreflüchtlinge“] (1879; Roman von José do Patrocínio über die Dürre von 1877) 67, 464 Os sertões (1902; Roman von Euclydes da Cunha über den „Krieg von Canudos“; siehe auch Cunha, Euclydes da) 34, 102, 146–153, 197, 369, 371–373, 402, 457, 459 Ouro branco [„weißes Gold“] (siehe ­Baumwollwirtschaft) Ouro negro [„schwarzes Gold“] (siehe Kautschukgewinnung)

490 

P

Register

Paraguay-Krieg (1865–70) (siehe TripelAllianz-Krieg) Pariser Friedenskonferenz (1919, Schloss Versailles) 38, 216–218, 220–221, 261, 285–286, 385, 441 Parteien/politische Gruppierungen/Oli­ garchien (siehe Konservative, Liberale, Republikanische Partei, Alvaristas, Autonomistas, Epitacistas, Valfredistas, Venancistas) Partido Republicano (siehe Republikanische Partei Paraíbas) Paternalismus (Bevormundung/Schutz der abhängigen Bevölkerung durch den ‚coronel-Vater-Patron‘) 62, 108, 136, 138, 169, 196, 199, 222, 226–227, 235–236, 301, 303, 370, 376, 382, 385 Patronage (Patron-Klient-Verhältnis: favores/politische Loyalität) 37, 238, 242, 283, 291, 301, 314, 325, 345, 349, 363, 374, 460 Paulista (aus dem Bundesstaat São Paulo gebürtige Person) 184, 246, 249, 296, 331 Paulistano (aus der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaats São Paulo gebürtige Person) 340 Política dos governadores (siehe Gouverneurspolitik) Programa de Estudos e Ações para o SemiÁrido/PEASA [neue Schreibweise: Programa de Estudos e Ações para o Semiárido] (Studien- und Aktionsprogramm für das paraibanische Halbtrockengebiet; Universidade Federal de Campina Grande/Paraíba) 15, 23, 402, 464, 468 Protestbewegungen (siehe auch Quebraquilos, 1874/75; tenentismo, 1922; Ligas Camponesas, 1955 und Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, 1985) 134, 176, 194, 219–221, 290, 294–296, 312, 339, 370, 377–378, 381, 389, 393, 401

Q

Quebra-quilos (Revolte im Norden, 1874/75, benannt nach dem Protest der Bevölkerung gegen die neue Maßeinheit Kilo und v.a. die damit verbundenen Steuern) 177

R

Real (Plural: Réis)/Mil-Réis (brasilianische Währung bis 1942) 73 Rede Epitácio Pessoas im Theatro Municipal von São Paulo am 20.8.1921 (zu dieser zentralen Rede über die Dürrepolitik, in der er sich gemäß Laurita Pessoa auf seine Erinnerungen von 1877–79 bezog, siehe auch Quelle I.2.b-01) 223–224, 226, 245, 251, 317, 430–431 Republikanische Partei Paraíbas [Partido Republicano] (1892 von Álvaro Machado gegründet und bis 1912 geleitet; 1913–30 unter Führung Epitácio Pessoas) 204–205, 213–214, 221, 433 Revolta de Princesa (Revolte der Gemeinde Princesa/Paraíba, 1930; siehe auch José Pereira Lima) 332 Revolta Paulista [auch: Rebelião Paulista] (Revolte von São Paulo, 1924; siehe hierzu tenentismo) 219, 321 ‚Revolução de 30‘ [‚Revolution von 1930‘] (Putsch unter Getúlio Vargas; Ende der Ersten Republik) 33, 333–335, 378, 380, 383 Rondon-Kommission (Untersuchungskommission unter Leitung des Generals Cândido Mariano Rondon, 1922/23; siehe Comissão Rondon)

S

Seringueiro (Kautschukarbeiter/Gummizapfer) 152 Sertanejo (hier: Bewohner des Sertão, dem semi-ariden Hinterland im Nordosten; siehe auch Sertão im Ortsregister) 19, 21, 55, 58, 109, 111, 119, 137, 146–152, 173–181, 184, 193, 197,

Sachregister 199, 227, 357, 371–372, 376, 443, 449, 452 Sklaverei (zu sklavenähnlichen Verhältnissen weit über die Abolition von 1888 hinaus bis in die heutige Zeit siehe Comissão Pastoral da Terra, cptnacional. org.br) 43–44, 49, 51–52, 55, 57, 62, 67–68, 81, 85, 108, 137–138, 150, 152, 159, 163, 184, 227, 312, 365, 394–395, 466 Solução hidráulica (siehe „Wasserbaulösung“) Stauanlagen (öffentliche und private Auffangbecken und Dämme im Dürregebiet) 16, 19–21, 46–47, 60, 70–71, 74–75, 87, 93–94, 97, 125–126, 155, 159–161, 165, 186, 224, 228, 231–235, 238, 241, 252–254, 256–258, 261, 266, 268–269, 270, 272, 281, 284–285, 302, 304, 307, 313–314, 316–317, 320–321, 323, 345, 347, 348–349, 359, 363, 377, 380–381, 384, 391, 396–397, 404–405 Superintendência do Desenvolvimento do Nordeste/SUDENE (Entwicklungsbehörde für den Nordosten, 1958 gegründet) 30, 353, 381, 421, 458, 464, 467

T

Tenentismo/tenentes (Reformbewegung der tenentes/Leutnants) 218–219, 321, 328, 333–334, 377 Transposição (Wasserableitung aus dem São Francisco; Baubeginn 2007) 47, 71, 155, 286, 391, 395–399, 406–407, 424, 435–436, 438–440, 451 Tripel-Allianz-Krieg (Paraguay-Krieg, 1865–70) 79, 120, 163, 177, 184, 202 Trockenperioden (Auflistung der wichtigsten Dürren, 18.–20. Jh.) 1790–93: 43, 50, 53, 162, 412 1825: 49–50, 72, 154, 162, 412 1845: 50, 53, 72, 78, 154, 163, 412 1877–79/1915/1919: 412 (zu diesen drei Zeiträumen werden keine detaillierten Angaben gemacht, da sie praktisch in der vollständigen Arbeit erscheinen, insgesamt 1123 mal)





491

1932: 163, 314, 344, 380, 412, 463, 465 1979–83: 163, 228, 314, 361–362, 381, 401, 412 1998–99: 163, 401, 412

U

Umfrage zum Nordosten (Tim Neufert, Brasilien 2005) 16–17, 24, 100, 391, 402, 418–419

V

Valfredistas (siehe „Machado-Leal-Oligarchie“ unter Álvaro Machado und Valfredo Leal) Valorisationsabkommen von Taubaté [„Convênio de Taubaté“] (Abkommen zur Kaffeestabilisierung; Taubaté/São Paulo, 1906) 186, 246–248 Venancistas (siehe „Neiva-Oligarchie“ unter Venâncio Augusto de Magalhães Neiva) Verfassung von 1891 (zweite Konstitution Brasiliens; siehe besonders Artikel 5 zum Katastrophenschutz) 101, 155, 185, 192, 203–205, 211, 236–237, 243, 246, 255, 374 Verificação de poderes [auch: Verificação dos poderes] (Kommission zur ‚Überprüfung‘ und Bekanntgabe der Wahlsieger) 210–211 Verkehr und Transport (Eisenbahnlinien, Straßennetz, Transportwege) 47, 49, 59–61, 65, 70–75, 77, 92–95, 112, 118–119, 139, 154–156, 165, 175–176, 186–187, 192, 228, 230–232, 234, 236–238, 240–245, 248–250, 252, 266, 268, 270, 272, 276, 284–285, 287–288, 290, 293, 304–305, 308, 312–313, 319, 321, 323, 345, 347, 349, 351, 354, 363, 366, 375–376, 384, 400 Viehwirtschaft [„civilização do couro“/ „Zeitalter der Lederwirtschaft“] (Viehzuchtoligarchie im Sertão) 19, 21, 43, 45–46, 50–55, 87, 99–100, 117, 135–136, 154, 160, 168, 189, 235–236, 238–239, 246, 314, 345, 349, 367, 400

492 

W

Register

Wasser/solução hidráulica/política hidráulica [früher: politica hydraulica] (Wasserbaulösung/-politik; zur Wassernutzung siehe auch „Agrarstruktur“; siehe außerdem „Brunnen“, „Stau­ anlagen“ und die verschiedenen açudes und barragens im Ortsregister) 14, 46, 155, 234–235, 253–254, 257, 262, 264, 266–268, 271, 275, 303, 314, 323, 348, 356, 376, 386, 404

Z

Zuckerwirtschaft (v.a. küstennahe Plantagen, besonders dominierend in Pernambuco) 42, 44–45, 52–54, 55, 64, 72, 98–100, 135, 138, 193, 201, 242, 273, 284, 367, 375, 402, 451, 458

JAHRBUCH FÜR GESCHICHTE L ATEINAMERIK AS – ANUARIO DE HISTORIA DE AMERICA LATINA HERAUSGEGEBEN VON THOMAS DUVE, SILKE HENSEL, ULRICH MÜCKE, RENATE PIEPER, BARBARA POTTHAST

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DIE GUAPORÉEXPEDITION (1933–1935) EIN FORSCHUNGSTAGEBUCH AUS DEM NACHLASS HERAUSGEGEBEN VON ROTGER M. SNETHLAGE, ALHARD-MAURITZ SNETHLAGE UND GLEICE MERE

Dr. Emil Heinrich Snethlage hat während seiner ethnologischen Expedition 1933/34 in das Guaporégebiet zwölf einheimische Stämme besucht, ihre Kulturen und Sprachen dokumentiert, ihre Kontakte mit anderen Stämmen beschrieben und Objekte ihrer materiellen Kultur gesammelt. Das bislang nicht veröffentlichte Forschungstagebuch spielt eine essentielle Rolle als Sammelstelle all dieser Informationen. Ethnohistorisch und sprachwissenschaftlich ist das Guaporé-Gebiet eines der interessantesten Gebiete Südamerikas. Die Verschiedenheit der einheimischen Sprachen ist unübertroffen. Die Aufzeichnungen bilden die einzige Quelle für die erste Kontakt periode der Urbevölkerung mit den Zivilisierten und sind daher ein entscheidender Beitrag zu den heutigen Versuchen der Guaporévölker, ihre ursprüngliche Kultur zu revitalisieren. 2015. 1211 S. 228 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22468-4

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