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German Pages [244] Year 1996
Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Friedrich Schleiermacher
A. Der Beitrag der philosophischen Theologie zur Gotteslehre
B. Die dogmatische Gotteslehre
II. Karl Barth
A. Die frühe Gotteslehre
B. Die Gotteslehre der Prolegomena
C. Die endgültige Fassung der dogmatischen Gotteslehre
III. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Namenregister
Claus-Dieter Osthövener Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth
W DE
G
Theologische Bibliothek Töpelmann
Herausgegeben von O. Bayer - W. Härle · H.-P. Müller
Band 76
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1996
Claus-Dieter Osthövener
Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1996
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek. — CIP Kinheitsaufnahme Osthövener, Claus-Dieter: Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleierrnacher und Karl Barth / Claus-Dieter Osthövener. - Berlin ; New York : de Gtuyter, 1996 (Theologische Bibliothek Töpelmann ; Bd. 76) Zugl.: Gattungen, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-11-015055-7 NE: GT
© Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Eins pei ehe rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Vorwort
Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1994 von der Theologischen Fakultät der GeorgAugust-Universität zu Göttingen angenommen wurde, Herr Professor Dr. Joachim Ringleben hat nicht nur die Arbeit angeregt und begleitet, sondern darüber hinaus in langjährigen Gesprächskreisen einen gedanklichen Austausch gepflegt und gefördert, der meiner Arbeit in jeder Hinsicht zugute gekommen ist. Herr Professor Dr, Dietz Lange, dessen Sozietäten ich ebenfalls angehören durfte, hat das Koreferat übernommen, Beiden sage ich für ihre Unterstützung meinen herzlichen Dank. Herausgebern und Verlag danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Theologische Bibliothek Töpelmann. Ein besonderer Dank geht an Herrn Professor Dr. Ulrich Barth, dessen beharrliche Diskussionsbereitschaft und ermutigende Kritik stets hilfreich war, und dessen Göttinger Gesprächskreis ich viele Einsichten und Anregungen verdanke. Hannover, den 29. Juni 1996
Claus-Dieter Osthövener
I nh altsverzeichnis
Vorwort Inhaltsverzeichnis
V ,
VII
Einleitung
I
I. Friedrich Schleiermacher—
7
A. Der Beitrag der philosophischen Theologie zur Gotteslehre
10
1. Der Gottesgedanke in den ,Reden*... 2. Die Einleitung der ,Glaubenslehre' a) Die Grundlagen der Gotteslehre b) Die begriffliche Präzisierung des Gottesgedankens c) Zur Stellung der Gotteslehre in der Dogmatik d) Das Problem der Gottesbeweise B. Die dogmatische Gotteslehre
10 ,
12 13 20 25 27 32
1. Die allmächtige Erhaltung der Lebenswelt a) Schöpfung und Erhaltung der Welt b) Methodische Grundlagen für die Entfaltung götdicher Eigenschaften c) Die göttliche Allmacht d) Die göttliche Ewigkeit e) Gottes Innerlichkeit und Lebendigkeit
32 32
2. Die heilige Bewahrung der Gemeinschaft a) Die Grundlagen des Begriffs der Sünde b) Die Sünde als religiöse Deutung sozio kultureller Vermitdungsprozesse , c) Das Gottesbewußtsein im Zustand der Sünde
56 56
38 44 48 51
59 61
VIII
Inhaltsverzeichnis
d) Das Weltbewußtsein im Zustand der Sünde e) Die göttliche Heiligkeit und Gerechtigkeit
63 65
3. Die erlösende Liebe als weltgestaltende Kraft .. 71 a) Die Neubestimmung des Gottesbewußtseins in Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie 72 b) Die göttliche Weisheit und Liebe 91 c) Die Trinitatslehre 96 II. Karl Barth A. Die frühe Gotteslehre
99 102
1. Erste theologische Entwürfe a) Religion und Wissenschaft b) Die Persönlichkeit Gottes
103 105 108
2. Die ,Gb'ttinger Dogmatik' a) Die Grundlagen der dogmatischen Gotteslehre b) Die Eigenschaften Gottes c) Die Erwählungslehre
111 112 120 124
B. Die Gotteslehre der Prolegomena
127
1. Der Ansatzpunkt der Dogmatik
127
2. Die Grundlagen der Gotteslehre a) Menschliches und göttliches Subjekt b) Die Anerkennung als Vermittlungsstruktur c) Die Einheit des Wortes Gottes
130 131 134 140
3. Die Trinitätslehre als Analyse der Offenbarung
142
C. Die endgültige Fassung der dogmatischen Gotteslehre...
152
1. Das Subjekt der Gotteserkenntnis a) Die Wiederaufnahme des Erkenntnisproblems b) Die Gegenständlichkeit Gottes
152 153 155
2. Gott als Vereinigung von Liebe und Freiheit a) Die Differenz von Wesen und Wirken Gottes. b) Die Liebe als Basis göttlicher Selbsterschließung c) Die Freiheit als Vollzug göttlicher Selbsterschließung d) Die Einführung des Freiheitsbegriffs
159 160 166 169 171
Inhaltsverzeichnis
e) Die Absolutheit der Freiheit f) Die Antinomie der Freiheit , g) Die christologische Überwindung der Antinomie
IX
176 — 177 179
3. Die göttlichen Eigenschaften a) Die Stellung der Eigenschaftslehre... b) Die göttlichen Eigenschaften im Überblick . c) Die göttliche ADmacht d) Die göttliche Heiligkeit und Gerechtigkeit e) Die Herrlichkeit Gottes
181 ...181 184 190 197 201
4. Die Funktion der Erwählungslehre
..203
III. Zusammenfassung
213
Literaturverzeichnis
224
Namenregister
231
Einleitung
Die Verhältnisbestimmung zwischen Schleiermacher und Barth bezieht sich auf eine Konstellation, die Karl Barth mit Bezug auf Albrecht Ritschi folgendermaßen zum Ausdruck brachte: „Wie ist es nur möglich, daß das unsern Vätern doch weithin als lösendes Wort imponieren und ein wenig überall zur eigentlichen KrrcAenleitungstheologie werden konnte?"1 Ein Vierteljahr hundert später war Barth seinerseits auf dem Wege, „der Normaltheologe des 20. Jahrhunderts zu werden", 2 und gegenwärtig hat sich wiederum jene „Distanz" auch zu Barths Theologie eingestellt,3 die er selbst gegenüber Ritschi empfunden hatte. Insofern darf nun endgültig auch Barth, von Schleiermacher gilt dies ohnehin, unter die „Objekte der wissenschaftlichen Theologie" statt zu den „Propheten und Zeugen" gezählt werden, 4 Diese Lage macht sich die vorliegende Arbeit zunutze, indem sie von vornherein darauf verzichtet, sich auf das unsichere Terrain einer allgemeinen Bewertung des Verhältnisses zwischen Schleiermacher und Barth zu begeben; eine Unsicherheit, die nicht zuletzt daher rührt, daß ein sei es auch kritischer Konsens, wie er sich in bezug auf Sehleiermachers Bedeutung für das 19. Jahrhundert herausgebildet hat, für die Stellung Barths innerhalb unseres Jahrhunderts noch nicht abzusehen ist. Die folgenden einleitenden Bemerkungen wollen daher lediglich einige Aspekte des fraglichen Verhältnisses herausgreifen und damit zugleich die Intention der Untersuchung verdeutlichen. Eine Interpretation, die sich mit Barth und Schleiermacher befaßt, ist mit dem Sachverhalt konfrontiert, daß Barth seinerseits als Interpret Schleiermachers aufgetreten ist und sich darüber hinaus in ein pointiert
1 Am 5.8.1928 an Thurneysen; BwTh II 598f. 2 Oskar Weitbrecht, Schleiermacher und Karl Bank 18. 3 Eberhard Busch, Weg und Werk Karl Barths 281. 4 Adolf von Harnack im Nachtcort zu, meinem offenen Brief an Herrn Professor Karl Bank (1923); in: Karl Barth, Theologische Fragen und Antworten 30.
2
Einleitung
artikuliertes Verhältnis zu diesem gesetzt hat. Die hermeneutische Aufklärung solcher komplexen Interpretationsgefüge orientiert sich zweckmäßigerweise an Kants berühmter These, „daß es gar nichts Ungewöhnliches sei", einen Autor „sogar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand",5 Diese häufig mißverstandene Meinung Kants hat es nun keineswegs mit dem Zugriff auf eine ,intentio auctoris' zu tun. Denn das bessere Verständnis ergibt sich allein „durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äußert" und im Zuge dieses Verfahrens mag sich dann ergeben, daß dieser „seinen Begriff nicht genugsam bestimmte".6 Diese Absage an das Aufspüren einer genuinen Intention des Autors hat sich auch Schleiermacher zu eigen gemacht, „weil wir keine unmittelbare Kenntnis dessen haben, was in ihm ist". Er verschärft die These noch dahingehend, daß auch die Selbstauslegung des Autors dieser Restriktion verfällt. Sollte dieser „reflektierend sein eigener Leser" sein, gilt gleichwohl: „Auf der objektiven Seite hat er auch hier keine ändern Data als wir".7 Daß man eine Auslegung auch strikt entgegen der Selbstdeutung eines Autors ausrichten kann, belegt dann Karl Barths Rezeption der Kantschen These.8 Wohl wissend, daß Wilhelm Herrmann mit seinen Ausführungen alles andere als einverstanden wäre, meint er doch: „man muß hier mit Bewußtsein an seinem eigenen Protest vorübergehen".9 Es wird sich in den folgenden Interpretationen der Autoren Barth und Schleiermacher von allen genannten hermeneutischen Maximen etwas finden lassen; es soll jedoch der von Kant eingeklagte rationale Kern einer jeden Auslegung, nämlich ihre Orientierung an den in Begriffen niedergelegten Gedanken eines Schriftstellers, im Vordergrund stehen. Am Ende zielt zwar eine jede Interpretation auf etwas ,hinter' dem Text, aber eben nicht auf eine Absicht des Autors, sondern auf den begrifflichen Gehalt der verwendeten Begriffsausdrücke.10 Für dessen Erhebung hat zwar 5 6 7 8 9 10
KdrV B 370. Ebd. (Hhg.v.Vf.). Hermeneutik und Kritik 94. Vgl. VklA 1922-1925, 582. AaO. 595. „Wenn man sich verständigen will, ist es oft besser, sich mißverstehen zu wollen" (Römerbrief, Erste Fassung 67), Diese Differenz bildet den Hintergrund der eingangs zitierten Passage aus Kants erster Kritik. Sich nur auf die Begriffsausdrücke zu beschränken, gilt Kant als bloßes „Wortforschen" (Werke 5, 373), während es sehr wohl angeht, daß „man seinen (sc. des AutorsJ Formeln einen Sinn unterlegt, den er sich dabei zwar nicht
Einleitung
3
der Interpret selber einzustehen; er wird aber zugleich den vermeintlichen oder tatsächlichen Protest des Autors zumindest als kritische Anfrage gelten lassen. Was nun die Selbstdeutung Barths und insbesondere seine Selbstverortung hinsichtlich der Theologie Schleiermachers betrifft, ist der Verfasser mit Schleiermacher der Meinung, daß an erster Stelle die ,objektiven Data' dieses Verhältnisses zu erheben sind. Zwar hat sich die Forschung oftmals an der theologiegeschichtlichen Perspektive Karl Barths orientiert.11 Demgegenüber macht diese Arbeit ausdrücklich keinen Gebrauch von Barths eigenen Beiträgen zur Deutung seines Verhältnisses zu Schleiermacher.12 Sie darf sich in dieser Haltung nicht zuletzt von Barth selber bestätigt sehen: „Schleiermacher hat seine Sache zweifellos gut, glänzend gemacht. Es genügt nun nicht, zu wissen und zu sagen, daß er ein Erzketzer ist und daß eine andre Sache gemacht werden müßte, sondern es bedürfte des Wissens, Könnens und Vollbringens, diese andre Sache mindestens annähernd ebenso gut zu machen wie er die seinige".13 Diese Untersuchung wird demzufolge die jeweilige Sache des Autors in den Mittelpunkt stellen, ohne sich dabei, soweit das möglich ist, von Gesichtspunkten leiten zu lassen, die dieser Sache äußerlich sind. Zwar wird sich eine jede Auslegung an einem begrifflichen Interpretationsrahmen orientieren müssen. Gleichwohl soll vermieden werden, den eigenen Interpretationshorizont für wichtiger zu halten als den Interpretationsgegenstand.14 Die folgende Untersuchung wird sich nicht die Aufgabe stellen, das Gesamtwerk der beiden Autoren vor Augen zu führen, sondern sie widmet sich einem vergleichsweise eingegrenzten Gebiet: der Lehre von den göttlichen Eigenschaften. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht in methodischer Hinsicht darin, daß ein hohes Maß an Textnähe erreicht deutlich gedacht haben mag, den sie aber doch verstatten daraus zu entwickeln, oder hinein zu legen" {Werke 7, 344). 11 Typisch für einer solchen Standpunkt ist die Arbeit von W. Hassiepen. Es geht ihm ausdrücklich „nicht um die Nachprüfung der Interpretationen und kritischen Stellungnahmen Karl Barths auf die Rechtmäßigkeit ihres Urteüs im Blick auf Schieiermachers Aussagen, sondern um die Nachfrage nach dem , Ertrag* dieser Auseinandersetzungen für die Theologie Karl Barths selbst" (Der Reiigionsbegriff Karl Banks in seiner Auseinandersetzung mit der Theologie Schleiermachers VII). 12 Die Materialien hierzu werden von Dietmar Lutz, Homo Viator. Kasl Barths Ringen, mit Schleiermacher, präsentiert. 13 Brunners Schleiermacherbuch (1924), VklA 1922-1925, 424. 14 Vgl. Dietrich Korschs Kritik an der .Münchener' Barth-Interprelation (Chnstologie und Autonomie 142-144. 161).
4
Einleitung
werden kann und damit eine detaillierte Rekonstruktion des Gedankengangs möglich wird. Darüber hinaus wird auf diese Weise ein dogmatisches Teilgebiet erschlossen, das bei beiden Autoren trotz mancher Vorarbeiten noch nicht hinreichend gewürdigt worden ist.15 Schließlich scheint es nicht ohne Reiz zu sein, Barth und Schleiermacher gleichsam , innen', also von der materialen Dogmatik aus, in den Blick zu nehmen.16 Zu Schleiermachers philosophischer Theologie liegen zahlreiche Untersuchungen vor und auch Barths dogmatische Prinzipien haben eigenständige Beachtung gefunden, so daß die Interpretation sich an diesen Stellen entsprechend kurz fassen kann. 17 Sie legt das Hauptgewicht auf den selten thematisierten Zusammenhang der jeweiligen prinzipiellen Grundlagen mit der materialen Dogmatik. Damit wird nicht nur gefragt, inwiefern die explizit entfalteten Prinzipien in der Dogmatik angewandt werden, sondern es soll auch umgekehrt die Rekonstruktion des faktischen dogmatischen ArgumentationsverLaufs Aufschluß liefern über die zugrundeliegenden methodischen Leitperspektiven. Indem dieser Zusammenhang im Vordergrund des Interesses steht, ist auf der anderen Seite auch eine Beschränkung hinsichtlich der materialen Dogmatik benannt. Es wird nicht angestrebt, die einzelnen göttlichen Eigenschaften im Detail zu präsentieren. Auch in bezug auf die Eigenschaften selbst soll vielmehr nach ihrem Zusammenhang untereinander und vor allem nach ihrer Verknüpfung mit dem sie tragenden dogmatischen Kontext gefragt werden. Daher wird die Aufmerksamkeit in be15
16
17
Zu Schleierm acher vgl. insbesondere Gerhard Ebeling, Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften und Friedrich Beißer, Schleiermachers Gotteslehre. Zu Karl Baith vg!. Eberhard Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, Ingrid Spieckermann, Gotteserkenntnis und Wolf Krötke Das Problem konkreter Rede von Gott. Erwägungen zur Lehre von den,Eigenschaften' Gottes. Wie ertragreich ein solches Unternehmen sein kann, belegen die Arbeiten von Wilhelm Grab: Die sichtbare Darstellung der Versöhnung und Predigt als Mitteilung des Glaubens. Zu den götdichen Eigenschaften bei Barth und Schleiermacher vgl. Harald Klemm, Die Lehre von den Eigenschaften Gottes als Anleitung zum. Reden von Gott. Zu Schleiermacher vgl. Ulrich Barth, Christentum und Selbstbewußtsein und Konrad Cramer, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von, Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins. Zu Barth vgl. Bent Flemming Nielsen, Die Rationalität der Offenbarungstheologie. Zum Vergleich hinsichtlich der theologischen Grundlagen: Tina Manferdini, // Problema delta Religione, Dietrich Korsch, Won Gottes oder Frömmigkeit? und James 0. Duke / Robert F. Streetman (Hrsgg,): Barth and Schleiermacher.
Einleitung
5
sonderen! Maße methodischen und dispositionellen Fragen gelten. Das legt sich nicht zuletzt deswegen nahe, weil sowohl Schleiermacher als auch Barth die Probleme der Gotteslehre von Grund auf zu lösen versuchten, so daß ein bloß punktueller Vergleich allenfalls die Nuancen der Darstellung aber nicht deren innere Gründe erfassen könnte. Der Schwerpunkt der Untersuchung besteht in der Rekonstruktion der beiden Entwürfe, innerhalb derer bei Gelegenheit auf Gemeinsamkeiten und Differenzen hingewiesen wird, die abschließend in einer kurzen Zusammenfassung miteinander konfrontiert werden. Die Arbeit sieht ihr Ziel erreicht, wenn zumindest einige der vielfältigen und spannungsreichen Beziehungen zwischen Schleier m acher und Barth zur Klarheit gelangen.
I. Friedrich Schleiermacher
Die früheste uns bekannte Auseinandersetzung Schleiermachers mit den göttlichen Eigenschaften ist nur indirekt überliefert. Sie findet sich in einem nicht erhaltenen Brief an seinen Onkel S, E. T. Stubenrauch und kann nur über dessen Antwort erschlossen werden. Er schreibt; „Auch darin bin ich mit Ihnen sehr einig, daß so wie unsre Vorfahren vielleicht in ihren etwas zu menschlichen Schilderungen von Gottes Strafgerechtigkeit zu weit gingen und darüber die Betrachtung seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit gegen den gefallenen Menschen beinahe aus den Augen verloren, so im Gegentheil in unsern Tagen von sehr vielen nur Gottes Allvatergüte gepriesen wird, und wenn vormals die Leute vielleicht allzusehr durch Gottes strenge Gerechtigkeit geschrekkt wurden, sie anjezt auf der ändern Seite durch beständige Hinweisung auf Gottes Güte gleichsam eingeschläfert und nur träge gemacht werden".1 Nun ging es Schleier m acher nicht darum, das Pendel wieder in die entgegengeset2te Richtung ausschlagen zu lassen, denn auch die Vorstellung von der göttlichen Strafgerechtigkeit wollte sich mit seiner Vorstellung des höchsten Wesens nicht vereinigen lassen. In seinem berühmten Brief an den Vater vom 21. Januar 1787 führt er aus, „Gott könne die Menschen, die Er offenbar nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich darum ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind".2 Zwar reagiert der Vater einigermaßen entsetzt, aber nicht auf diesen Einwurf, sondern auf Schleiermachers Unbehagen an der Christologie. Dagegen prägt er seinem Sohn nachdrücklich ein, sich nicht bei den Vorstellungen von Gottes Gerechtigkeit aufzuhalten, sondern zu bedenken, daß Gott die Liebe ist und, „da er einig ist, auch nur einen Zweck haben könne. Der näm-
1
KGA V/l, Brief Nr. 399-
2
AaO. Brief Nr. 5331-33.
vom 14.3.1786.
8
Friedrich Schleiermacher
lieh: daß seine Liebe, sein Lob und seine Verherrlichung unsere jezige und künftige Seligkeit werde, und ewig bleibe".3 Schleiermacher hat es nicht dabei belassen, das Unbehagen an der Gotteslehre seiner Privatpost anzuvertrauen, sondern nutzte die Gelegenheit, auch seine Predigthörer mit dem Problem zu konfrontieren. Im Jahre 1791, also etwa ein Jahr nach seinem theologischen Examen, begann er seine Predigt über Philipper 2,12 („Schaffet daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern")4 mit einer Betrachtung über die verschiedene Weise, den Gottesgedanken auf die menschliche Lebensführung zu beziehen. Machen die einen „den betäubenden Schrekken vor der Strafgerechtigkeit Gottes zu dem Hauptpunkt, von welchem der Abscheu des Menschen vor dem bösen ausgehn müsse", so trösten sich die anderen „durch den Gedanken an einen Gott, dessen Natur es schon so mit sich bringe, daß er sie mit unerschöpflicher Geduld immerfort ertrage".5 Schleiermacher verhehlt seinen Hörern nicht, daß er es für ausgeschlossen hält, diese beiden Einstellungen allein anhand des Gottesgedankens miteinander auszusöhnen.6 In dieser Meinung weiß er sich auch mit den Worten des Apostels einig: „Paulus sagt uns nicht, daß wir vor Gott zittern sollen, überhaupt sagt er uns gar nicht, worauf sich diese Furcht bezieht, und eben das zeigt uns an, daß wir den Gegenstand derselben nicht weit zu suchen haben. - ... vor uns selbst sollen wir uns fürchten". 7 Die unmittelbare Verknüpfung der eigenen Befindlichkeit mit einer entsprechenden Vorstellung des höchsten Wesens wird also verworfen und auch im weiteren Gang der Predigt nicht wieder aufgegriffen. Statt dessen werden die gegensätzlichen religiösen Einstellungen dort miteinander vermittelt, wo sie auftreten: im religiösen Subjekt. Auch die anderen Predigten Schleiermachers aus dieser Zeit gehen stets nur am Rande auf Fragen der Gotteslehre im engeren Sinn
3 4 5 6
AaO. Brief Nr. 5442-44 vom 8.2.1787. SW II/7, 91-103. AaO. 92 und 93. Wenn auch „sowol der Gedanke an die vergeltende Gerechtigkeit als an die langmüthige Liebe Gottes, zwar von guten Gemüthern auf eine herrliche des Christenthums würdige Art benuzt werden kann", so muß gleichwohl gesagt werden, daß dieser Gedanke „eigentlich fiir sich nicht die Empfindungen enthält, welche jeden Christen bei seinem Bestreben nach der Heiligung immer begleiten ... müssen"