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German Pages 372 [362] Year 1999
Table of contents :
Titelblatt
Inhalt
Vorwort
1. Prähistorische Vorläufer
2. Das Christentum inspiriert zu neuen Formen
Die früheste Buchmalerei: der Cathach und andere Manuskripte
Metallarbeiten bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts
3. Das 7. Jahrhundert
Das Book of Durrow
Die ersten Steinmonumente mmit Kreuzornamenten
4. Das 8. Jahrhundert: Das Goldene Zeitalter der Feinschmiedkunst
Die Fibeln von Tara und Hunterston
Das Buchreliquiar von Lough Kinale und die Kalotte von Steeple Bumpstead
Der Schatz von Donore
Der Kelch von Ardagh
Der Schatz von Derrynaflan
5. Die Buchmalerei im 8. und frühen 9. Jahrhundert
Die Taschen-Evangeliare
Die Manuskripte von St. Gallen und Turin
Das Book of Kells
6. Die Feinschmiedekunst des späten 8. und des 9. Jahrhunderts
Reliquienschreine in Form von Sarkophagen
Das Gürtelreliquiar von Moylough
Fibeln
Fragmente von Reliquiaren
Die Kreuzigungsplatte von St. John’s (Rinnagan)
7. Steierne Hochkreuze des 9. und 10. Jahrhunderts
Die Kreuze von Kells
Die Kreuze von Monasterboice
Die Kreuze von Durrow und Clonmacnoise
Die Inschriften
Die Gruppe der Ahenny-Kreuze
Die Kreuze von Castledermot und Moone
8. Die ersten Kirchen
Die Holzkirchen
Oratorien des Gallarus-Type
Frühe Kirchen aus Stein
9. Das künstlerische Schaffen kurz vor der Jahrtausendwende
Manuskripte aus dem 9. Jahrhundert
Fibeln aus dem 9. Jahrhundert
Stabreliquiare aus dem 8. bis 10. Jahrhundert
Die Rundtürme
10. Brüche und Traditionen um die Jahrtausendwende
Das 11. Jahrhundert und der Aufstieg von Dublin
Buchreliquiare aus dem 11. Jahrhundert
Manuskripte aus dem 11. und 12. Jahrhundert
Die Kirchenreform und ihre Folgen
11. Feinschmiedearbeiten aus dem späten 11. und dem 12. Jahrhundert
Stabreliquiare
Glockenschreine
Das Kreuz von Cong
Das Armreliquiar des heiligen Lachtin
Das Reliquiar des heiligen Manchan
Der Breac Maedhóg
Kreuzigungsplaketten und Kruzifixe
12. Romanische Kirchen und Skulptur des 12. Jahrhunderts
Die Cormac’s Chapel und verwandte Kirchen
Hochkreuze aus dem 12. Jahrhundert
Spätromanische Kirchen
Die Monumentalskulptur
Die Kirche des Frauenklosters in Clonmacnoise und die Kirchen von Tuam, Clonfert und Killaloe
Epilog
Literatur
Glossar
Register
Peter Harbison Die Kunst des Mittelalters in Irland
PETER
HARBISON
Ö lE kUNST ÖES ffilTTELALTERS lN lRLANÖ aus dem Englischen von Bernardin Schellenberger
zodiaque · echter
4
~
7
Vorwort
1 11
Prähistorische Vorläufer
2 15 27
29
33
Inhalt~
Inhalt
5
271
Stabreliquiare
8
273
Glockenschreine
274
Das Kreuz von Cong
191
Die ersten Kirchen
275
191
Die Holzkirchen
Das Armreliquiar des heiligen Lachtin
193
Oratorien d es Gallarus-Typ s
295
Das Reliquiar des heiligen Manchan
Die Feinschmiedekunst des späten 8. und des 9. Jahrhunderts
194
Frühe Kirchen aus Stein
296
Der Breac Maedh6g
297
Kreuzigungsplaketten und Kruzifixe
Die Buchmalerei im 8. und frühen 9. Jahrhundert
88
Die Taschen-Evangeliare
99
Die Manuskripte von St. Gallen und Turin
102
Das Book of Kells
6 133
9
Metallarbeiten bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts
133
Reliquienschreine in Form von Sarkophagen
209
Das künstlerische Schaffen kurz vor der Jahrtausendwende
3
134
Das Gürtelreliquiar von Moylough
209
301
135
Fibeln
Manuskripte aus dem 9. Jahrhundert
Romanische Kirchen und Skulptur des 12. Jahrhunderts
137
Fragmente von Reliquiaren
212
Fibeln aus d em 9. Jahrhundert
301
Die Cormac's Chapel und verwandte Kirchen
148
Die Kreuzigungsplatte von St. John' s (Rinnagan)
214
Stabreliquiare aus dem 8. bis 10. Jahrhundert
307
Hochkreuze aus dem 12. Jahrhundert
245
Die Rundtürme 322
Spätromanische Kirchen
327
Die Monumentalskulptur
347
Die Kirche des Frauenklosters in Clonmacnoise und die Kirchen von Tuam, Clonfert und Killaloe
Das 7. Jahrhundert
36
Das Book of Durrow
41
Die ersten Steinmonumente mit Kreuzornamenten
7
4 67
Feinschmiedearbeiten aus dem späten 11. und dem 12. Jahrhundert
87
Das Christentum inspiriert zu neuen Formen Die früheste Buchmalerei: der Cathach und andere Manuskripte
271
Das 8. Jahrhundert Das Goldene Zeitalter der Feinschmiedekunst
151
Steinerne Hochkreuze des 9. und 10. Jahrhunderts
159
Die Kreuze von Kells
10 249
Brüche und Traditionen um die Jahrtausendwende
12
70
Die Fibeln von Tara und Hunterston
161
Die Kreuze von Monasterboice
249
72
Das 11 . Jahrhundert und der Aufstieg von Dublin
Das Buchreliquiar von Lough Kinale und die Kalotte von Steeple Bumpstead
163
Die Kreuze von Durrow und Clonmacnoise
351
EPILOG
261
Buchreliquiare aus dem 11 . Jahrhundert
352
Literatur
264
Manuskripte aus dem 11. und 12. Jahrhundert
361
Glossar
269
Die Kirchenreform und ihre Folgen
365
Register
73
Der Schatz von Donore
83
Der Kelch von Ardagh
85
Der Schatz von Derrynaflan
164
Die Inschriften
166
Die Gruppe der Ahenny-Kreuze
168
Die Kreuze von Castledermot und Moone
5
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DONEGAL
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x7 VORWORT ehr als drei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem der Verlag Zodiaque in den Jahren 1963-1965 Franc;oise Henrys dreibändiges Werk L' Art Irlandais veröffentlichte. Es wurde rasch zum Standardwerk über dieses Thema und ist es bis heute auch geblieben. Mit diesen Bänden krönte Franc;oise Henry ihr Lebenswerk, das sie ganz ihrer Wahlheimat Irland widmete. Viele ihrer Ideen hatte sie dort schon in den dreißiger Jahren entwickelt, als Europa noch im Bann nationalistischen Gedankenguts stand. Die Fundamente, die sie im Laufe der Jahre gelegt hatte, sind solid geblieben, aber einige Elemente des darüber errichteten Gebäudes sind in der Zwischenzeit erneuerungsbedürftig, und andere sind glücklicherweise neu dazugekommen. Es wäre töricht, mit der Leistung von Franc;oise Henry in Konkurrenz zu treten oder gar sie überbieten zu wollen. Der begrenzte Raum gestattet es mir nicht, hier auch nur das Wesentliche ihrer Dokumentation in Kürze wiederzugeben. So ist es besser, deren Lektüre vorauszusetzen und die Thematik zwar weniger detailliert, dafür aber unter Berücksichtigung von neuen Entdeckungen und Ergebnissen der jüngeren Forschung nochmals vorzustellen. Nicht mit allen Ausführungen wäre Franc;oise Henry einverstanden gewesen. Die Namen vieler Fachleute, die zur eufassung dieser Gesamtdarstellung beigetragen haben, werden im Text genannt, eine Auswahl ihrer Werke findet sich im Literaturverzeichnis. Ohne sie und ohne Dr. Henrys bahnbrechende Studien wäre es nicht möglich gewesen, das vorliegende Werk zu schreiben. Unser besonderes Anliegen bestand darin, die Geschichte der frühmittelalterlichen Kunst Irlands im Kontext des politischen und religiösen Geschehens darzustellen, das ihre Entwicklung maßgeblich mitbestimmt hat.
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Stele mit Vogel und Kreuz in Caherlehillan (Kerry). Das alte irische Kloster Glendalough (Wicklow).
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1 Prähistorische Vorläufer enes Irland, das der heilige Patrick und sein Vorgänger Palladius im 5. Jahrhundert christianisieren sollten, war ein Land mit einer bereits langen und reichen künstlerischen Tradition, die bis in die Steinzeit zurückreicht. Hätte in der Urzeit ein Europäer von einem Gipfel der Alpen aus die Insel sehen können, dann hätte er sie für eine weit entlegene Festung gehalten, die dem Anprall der Wogen des Atlantiks trotzte und eine Art Finis Terrae am nordwestlichen Ende seines Kontinents darstellte. Aber für die prähistorischen Völker, die auf den Seewegen vor der westeuropäischen Küste verkehrten, lag Irland an der Meeresroute zwischen Spanien und Skandinavien gerade auf halbem Weg. Von daher lag es mitten im Zentrum des atlantischen Küstengebiets Europas. Im Lauf des 9. Jahrhunderts sollten die Wikinger das für sich neu entdecken. So überrascht es nicht, daß das früheste Zeugnis künstlerischen Schaffens in Irland in einem bestimmten Grabtypus der Neusteinzeit erhalten ist, der sich nach Norden zu den Orkney-Inseln hin sowie nach Britannien und auch - in geringerem Maß - weiter südlich zur Iberischen Halbinsel hin ausgebreitet hat. Es handelt sich um große Steine mit Gravierungen in Ganggräbern und deren Umfeld aus der Zeit von ungefähr 3000 v. Chr., die über die ganze irische Landschaft verstreut sind. Die am kunstvollsten verzierten Beispiele sind im County Meath in der Nähe der Ostküste nördlich von Dublin konzentriert. Das bekannteste von ihnen ist Newgrange. Dort fallen bei der Wintersonnenwende die Strahlen der aufgehenden Sonne durch einen 20 Meter langen Gang genau in die Mitte des Grabes. Vor dem Grabeingang befindet sich einer der schönsten gemeißelten
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Steine, der uns aus dem prähistorischen Europa erhalten ist - ein großer Findling, der mit rautenförmigen Mustern, Wellenlinien und einer Dreifachspirale verziert ist. Die Spirale ließe sich als das Urbild der Vorliebe Irlands für die Spiralform betrachten, die in vielfältigen Varianten bis ins Mittelalter hinein fortlebt. Andernorts im County Meath, in Sliabh na Calliaghe, Loughcrew, findet man Steingravuren von kleinen Kreisen mit strahlenförmigen Linien, die auf eine Darstellung der Sonne hindeuten - zweifellos also der Naturgottheit, die die Erbauer der Gräber verehrt haben. Wenn es sich tatsächlich um ein Sonnensymbol handelt, kann man sich fragen, was wohl die anderen Motive darstellen, die man in der megalithischen Kunst in Irland und anderswo findet: die Rhombenform, die Zickzacklinie oder das schildförmige Motiv. Es muß sich dabei für die Steinzeitmenschen um mächtige Symbole gehandelt haben, und wir heute können nur hoffen, mit Hilfe unserer Vorstellungskraft hinter ihren Sinn und ihre Bedeutung zu kommen. Diese Zeichen sollten offenbar den im Totenhaus Begrabenen Hoffnung und Trost schenken, und auch denen, die noch lebten. Der Stein ist gewöhnlich das letzte in einer langen Reihe von Materialien, auf dem sich künstlerische Kreativität niederschlägt. So dürfen wir uns durchaus vorstellen, daß dieselben Motive schon früher in den Häusern der Lebenden inzwischen längst verfallene Gegenstände verziert haben, etwa in Form von geschnitzten Holzoberflächen oder vielleicht sogar Webwaren, die als Wandbehang dienten. Doch wäre es ein Fehler, die Kunst der Ganggräber als rein symbolische Kunst zu sehen; schließlich tauchen darin auch figürliche Dar-
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Prähistorische Vorläufer
Stein der Türschwelle zum Grabtumulus von Newgrange (Meath).
stellungen auf, wenn auch in stark stilisierter Form. Die Kammer in Newgrange weist eine Gravur auf, die stark an einen Farn erinnert, und anderswo finden sich interessante Vorkommen menschlicher Figuren. Die sympathischste ist vielleicht der kleine lächelnde Mann im Grab von Fourknocks, County Meath. Eine weitere Figur erscheint auf dem Orthostat 49 der westlichen Kammer des großartigsten Werkes der megalithischen Kunst Irlands (oder überhaupt Europas), nämlich dem mächtigen Tumulus zu Knowth, etwas über einen Kilometer von Newgrange entfernt. In der anderen, östlichen Grabkammer wurde das hervorragendste Zeugnis jener Epoche gefunden: ein mit Spiralen verzierter flacher Keulenkopf, der sicher als stilisierte Darstellung des menschlichen Gesichts gedeutet werden muß (Bild 3). Die nachfolgende Entdeckung und Verwendung von Metall verschaffte dem Kunsthandwerker ein neues Material, auf das er während der Bronzezeit (ca. 2000 bis 550 v. Chr.) seine
Fähigkeiten anwenden konnte. Es handelte sich dabei nicht nur um Bronze, sondern auch um Gold, wovon Irland zur damaligen Zeit die reichsten Ressourcen in ganz Nordwesteuropa besessen zu haben scheint. Die Oberflächen der Metalle wurden mit geometrischen Ornamenten verziert, die frühen, hostiendünnen Halbmöndchen oft mit Dreiecken und Zickzackmustern. Als das Gold während der späten Bronzezeit, ab ungefähr 700 v. Chr., noch reichlicher zur Verfügung stand, wurden häufiger konzentrische Kreise verwendet. Während die Arbeit mit Metall und die Anbringung von geritzten und punzierten geometrischen Ornamenten auf die Metalloberfläche Männern vorbehalten war, stellten die Frauen Tongefäße mit hochkomplizierten Mustern her, die während der früheren Bronzezeit, also gegen 1500 v. Chr., den Gräbern beigegeben wurden. Wahrscheinlich war es während der Bronzezeit, daß die früheren Bevölkerungsgruppen langsam, aber stetig durch einwandernde indoeuropäische Gruppen verstärkt wurden.
Prähistorische Vorläufer
Diese brachten eine Sprache mit, die die Vorgängerin des Gälischen ist, das heute noch in iemand Teilen Westirlands gepflegt wird. \ ·eiß, wann genau diese keltisch Sprechenden zum ersten Mal auftauchten. Doch spätestens ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. hatten sie begonnen, in der nördlichen Hälfte des Landes die puren ihrer Kunst zu hinterlassen. Das war zu er Zeit, als sich auf dem europäischen Festland bereits die Latene-Kultur ausbreitete, und zwar im Stil von Walda lgesheim, für den sich Q"rüßartige und originelle Beispiele von der . Iame bis nach Mähren finden lassen. Sein genialer Zug besteht darin, von der klassischen Kunst Griechenlands und Etruriens abgeleitete . lotive zu verarbeiten, jedoch derart zu stilisieren, daß die ursprünglichen Komponenten gar nicht mehr direkt in Erscheinung treten . Das Ergebnis ist eine Umgestaltung, eine Metamorphose, durch die ein völlig neues Repertoire an _ [ustern geschaffen w urde, das optisch mit dem Gegensatz von voll und leer, positiv und negativ spielt. Zudem verfüg ten sie über eine raffinierte Asymmetrie, die häufig das Auge auf eine Reihe kunstvoller, endlos sich w indender Kurven und Wellen fixiert. Die Ver\\·erfung der klassischen Formen entsprach einer Vorliebe der Kelten: Sie überließen es den Griechen und Etruskern, die menschliche Gestalt und die Pflanzenmotive in naturnaher und idealer Weise wiederzugeben; sie dagegen verlegten ihre Aufmerksamkeit lieber darauf, die Natur mit phantasievollen neuen, \ibrierenden und stilisierten Formen zu verehen. [n höchster Vollendung wurde diese Kunst auf Metall angewandt. Die außergewöhnlichen keltischen Kunstwerke verbreiteten sich über den größten Teil Mitteleuropas und von dort über den Ärmelkanal nach England, wo sie d urch einen ungemeinen Einfallsreichtum neue Ausdruckskraft fanden. Beispiele für ihren Stil der Verzierung von Schwertern findet
~
man nicht nur von Ostgallien bis ins ferne Ungarn, sondern auch noch an der Nordostspitze von Irland. Wie und wann sie bis dorthin gelangten, ist schwer zu beantworten. Wahrscheinlich stellte gegen das 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. eine Werkstatt, die im Auftrag keltischer Krieger am Unterlauf des Flusses Bann arbeitete, bronzene Schwertscheiden her (Bild 6) . Sie gehören zu den raffiniertesten Beispielen der frühen Latene-Kultur in Irland. Als in den Jahrhunderten um die Zeitenwende geometrische, mit dem Zirkel gezogene Muster üblich wurden, verzierten die Bronzeschmiede damit Bronzegegenstände wie die Schale von Somerset, County Galway (Bild 7), und erzielten dabei raffinierte Wirkungen. Die Goldschmiede schufen keltische Ornamente im Hochrelief, wie man sie auf dem Ring von Broighter, County Derry, sieht, wo sich die Spiralen aus der glatten Oberfläche wie Schneckenhäuser herauswinden. Die gleiche Art Hochrelief sieht man auf Bronzeschalen wie derjenigen von Monasterevan, County Kildare, die ihrem Umriß nach einem menschlichen Gesicht ähneln. In einem viel älteren Ganggrab in Loughcrew, County Meath (Bild 4), wurden Knochenplättchen mit Kreisornamenten entdeckt. Vergleicht man damit die Vorliebe für die geometrische Verzierung und die Stilisierung des menschlichen Gesichts, wie man sie auf irischen Objekten aus der Latene-Zeit beobachtet, so könnte man sich vorstellen, daß die Kunsthandwerker der Insel bewußt die Kunst der megalithischen Steinzeitgräber fortgeführt haben. Allerdings ist diese Hypothese ziemlich unwahrscheinlich. Die in Irland gefundene Latene-Ornamentik ist sicher von Vorbildern des europäischen Festlands, vor allem Galliens, inspiriert, die über England nach Irland gelangten. Dennoch steht sie in ihrer Qualität und Originalität in nichts den in ganz Europa im Latene-Stil verzierten Gegenständen nach.
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Prähistorische Vorläufer
Die im Latene-Stil verzierten Gegenstände aus Irland können nicht genau datiert werden. Ab ungefähr 300 v. Chr. tauchen sie über ein halbes Jahrtausend lang oder noch länger immer wieder auf. Die Frage, bis wann dieser Stil verbreitet war, muß leider offen bleiben, obwohl
Geritzte Zeichnung auf einem Knochen (Hirschjagd), Loughcrew (Meath).
ihre Beantwortung wichtig wäre, und zwar deshalb, weil sich Elemente des Latene-Stils latent noch in den frühesten erhaltenen Manuskripten Irlands bemerkbar machen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Jahrhundert zwischen 575 und 675 n. Chr. stammen.
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2 Das Christentum inspiriert zu neuen Formen ir wissen wenig über die Jahrhunderte, die dem Erscheinen der ersten irländischen Manuskripte voraus. gen. Allerdings deutet alles darauf hin, daß =ie sehr unruhig waren. Während Britannien romanisiert wurde - von der Zeitenwende an in zunehmendem Maß -, war das in Irland nicht der Fall. Folglich fand sich Irland mehr und mehr von seinen früheren keltischen :\.'achbarn isoliert. Der Zustrom an Inspirationen aus den Kernländern des keltischen Galliens und dann über Südengland begann seit der Eroberung durch Cäsar zu versiegen. Die Römer beherrschten in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende zunehmend die atlantischen Seerouten, so daß die Mobilität der irischen Seefahrer, die vormals gewöhnlich aus Frankreich und England neue Ideen mit heimgebracht hatten, stark eingeschränkt war. Doch heißt das nicht, daß die beiden Schweterinseln nicht mehr in Kontakt miteinander gestanden hätten. Es können durchaus romanisierte Briten gewesen sein, die um den Erdwall von Newgrange goldene Münzen und Schmuckstücke abgelegt haben. Dieser Erdwall muß nämlich weiterhin die Gläubigen als akrale Kultstätte angezogen haben, so daß er eines der touristischen Wunder der damaligen Welt der Barbaren darstellte. Ein bleiernes Siegel und andere Artefakte aus der Zeit von un0efähr 300 n. Chr., die man auf den sogenannten Rath of the Synods, dem symbolträchtigen Hügel von Tara, County Meath, gefunden hat, weisen sicher auf Verbindungen mit der römischen Welt hin. Man kann das so deuten, daß wohl römische Briten einen der sakralsten
W
Königssitze Irlands zu besuchen pflegten. Aber es könnte auch ein Zeichen dafür sein, daß Menschen aus Irland ins römische Britannien und darüber hinaus gereist und wieder hierher zurückgekehrt waren. Tatsächlich gibt es gute Gründe zur Annahme, daß irische Söldner in der römischen Armee Dienst taten. Umgekehrt deuten Funde auf der Insel Lambay und auf dem benachbarten Festland zu Loughshinny im nördlichen County Dublin auf die mögliche Anwesenheit römischer Briten - Siedler oder Flüchtlinge? - während des 2. Jahrhunderts n. Chr. hin. Der römische Schriftsteller Tacitus berichtete, sein Schwiegervater Agricola habe einen irischen Prinzen beherbergt, der infolge eines Aufstands aus seinem Königreich vertrieben worden sei; zweifellos hatte er bei Agricola um Hilfe zur Rückeroberung gebeten, wie es Diarmaid MacMurrough 1100 Jahre später mit katastrophalen Folgen bei den Normannen tun sollte. Das gab den Anlaß zu Agricolas Äußerung gegenüber seinem Schwiegersohn, eine römische Legion und ein paar Hilfstruppen würden genügen, um Irland zu erobern, und daß es zu Britanniens Vorteil wäre, wenn römische Waffen auf beiden Seiten herrschten »und die Freiheit von der Landkarte getilgt wäre«! Diese Äußerung mag man fast zweitausend Jahre später für arglos halten, aber sie zeigt, daß die Römer durchaus mit dem Gedanken der Eroberung Irlands gespielt haben. Dennoch verfolgten sie ihn nicht weiter, und das nicht etwa, weil sie nicht den Mut dazu aufgebracht hätten, sondern sicher, weil sie es als nicht lohnend erachteten.
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Das Christentum inspiriert zu neuen Formen
Obwohl Irland nie von Rom erobert wurde, verdankt es der römischen Welt doch, daß es der Vorgeschichte entwuchs. Die früheste aus Irland bekannte Form des Schreibens ist die Ogham-Schrift, ein Ziffernsystem oder Alphabet, das aus neunzehn in vier Gruppen eingeteilten Buchstaben besteht, wobei eine dieser Gruppen aus den Vokalen AOUEI besteht. Man ist sich allgemein darüber einig, daß das Ogham-Alphabet zwar anders als das lateinische ist, weil es aus horizontalen und schrägen Kerben, den Oghams, besteht, die auf einer zentralen Vertikallinie quer oder auf einer der beiden Seiten angeordnet sind. Dennoch muß bei seiner Entwicklung das lateinische Alphabet Pate gestanden haben. Ursprünglich wurde zwar auf Holz oder Metall geschrieben, doch sind uns die frühesten erhaltenen Ogham-Inschriften auf Stein überliefert. Diese Inschriften reichen vermutlich frühestens ins 4. Jahrhundert zurück, erfreuten sich im 6. und 7. weiter Verbreitung und tauchen dann noch sporadisch bis ins 19. Jahrhundert hinein auf. Die in Ogham-Schrift verfaßten Inschriften dienen dem Gedächtnis einzelner Personen, deren Namen erst noch gründlicher mit Persönlichkeiten in Beziehung gesetzt werden müssen, die in historischen und genealogischen Quellen erwähnt werden. Aber sie werfen schon jetzt ein wenig Licht auf die Menschen Irlands jener so wenig erschlossenen Zeit - die ersten erhaltenen Handschriften wurden erst Ende des 6. Jahrhunderts verfaßt. Paradoxerweise wurde dieses römisch inspirierte Alphabet, das sich in Irland entwickelte, ins römische Britannien zurückgetragen, als sich im 5. Jahrhundert irische Emigranten in Wales und Cornwall niederließen. Hier findet man denn auch Steine mit zweisprachigen Inschriften: sowohl in der Ogham-Schrift als auch in lateinischer Sprache. Doch das größte Geschenk, das das Römische Reich Irland bescheren sollte, kam nicht aus dem römischen Britannien, sondern aus dem
römischen Gallien: das Christentum. Die ersten Bemerkungen über das Christentum in Irland finden sich in der Chronik des Prosper von Aquitanien (ca. 390 - vermutlich 463). Dort heißt es, ein gewisser Palladius sei von keinem Geringeren als Papst Cölestin zum Priester geweiht und dann von diesem als erster Bischof zu den Iren, die an Christus glaubten, geschickt worden. Das verrät uns, daß es bereits vor der Ankunft des Palladius im Jahre 431 in Irland Christen gab. Wir können nur vermuten, daß sie über den Osten und Südosten des Landes verstreut waren. Wenn ihrer Bitte um einen Bischof entsprochen wurde, muß ihre Zahl schon genügend groß gewesen sein - es ist jedenfalls das erste Mal, daß dies außerhalb der Grenzen des Römischen Reiches geschieht. Die Mission des Palladius wurde von derjenigen, die dann später der heilige Patrick unternahm, ganz in den Schatten gestellt. Das lag daran, daß diejenigen, die im frühen 7. Jahrhundert den Kult des heiligen Patrick und seine Verbreitung vorantrieben, alle näheren Einzelheiten über Palladius tilgten, der - wie sie befürchteten - den Eindruck der Leistung ihres Patrons, der Irland im Lauf weniger Jahrzehnte christianisierte, hätte schmälern können. Palladius, ein gallorömischer Aristokrat, kam aus Auxerre, das zur damaligen Zeit das Zentrum der gallischen Kirche war, und so kann man von Irland sagen, daß es seine religiöse Organisation direkt aus der Quelle der orthodoxen gallischen Kirche bezogen hat. Wie diese Organisa tion in ihren Ursprüngen beschaffen wa r, läßt sich allerdings nur noch schwer sagen. Über das Wirken des Palladius ist uns praktisch nichts überliefert, und weitere, ihm nachfolgende Bischöfe sind erst anderthalb Jahrhunderte nach seiner Ankunft erwähnt. So wissen w ir so gut wie nichts darüber, welche Struktur die Kirche des Landes besaß, in das er als Missionar kam. Die kirchlichen Autoritäten, die Palladius aus-
Das Christentum inspiriert zu neuen Formen
sand ten, haben uns keine Berichte über seine _ · ionstätigkeit hinterlassen. Daoegen wissen wir mehr über den heiligen Patrick, der anscheinend die weitere Missionie:.uno Irlands aus eigener Initiative unternahm, nachdem er in einem Traum die Berufung dazu erhalten hatte. Er war ein bescheidener Mensch, eriüllt vom tiefen Glauben, daß Gott ihn führe und ihm helfe. In seiner autobiographischen C.011 essio berichtet er, daß er im römischen Brirannien aufgewachsen und von einfallenden Iren als Sklave geraubt worden sei. Später gelang ihm wieder die Heimkehr, doch vernahm er d en Ruf der Iren, er solle zurückkommen. Diesem Ruf folgte er und verbrachte bei ihnen sein weiteres Leben bis zu seinem Tod, der ,·errnutlich eher 493 als ins üblicherweise genannte Jahr 461 zu datieren ist. Allerdings berichtet Patrick selbst uns wenig über seine · ionarische Tätigkeit. Vieles, was wir über ihn zu glauben wissen, stammt aus der schmeichelhaften Heiligenlegende, die zweihundert Jahre nach seinem Tod verfaßt wurde. Auch wenn wir keine gesicherten Quellen afür haben, so ist doch anzunehmen, daß der heilige Patrick ein ähnliches Netzwerk von Bischofssitzen errichtete, wie es bereits in seinem Geburtsland bestand. Zugleich muß er auch das Mönchsleben gefördert haben, denn er erzählt uns, daß manche seiner eubekehrten ~önche und Nonnen wurden. Das Mönchtum hatte sich in Ägypten und im ahen Osten ent\\ickelt und war nach Gallien über die kleine Insel Lerins vor der Mittelmeerküste bei Cannes eingeführt worden. Palladius wird die klösterlichen Einrichtungen in Gallien gut oekannt haben, und von Frankreich aus möglicherweise über Zwischenstationen wie \ hithorn im schottischen Galloway oder St. David's in Wales - wurde die mönchische Lebensweise nach und nach auch in Irland einoeführt. Dort sollte sie im Lauf des 6. Jahrhunderts das Land umformen und ein ganz
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eigenartiges Kirchensystem einrichten. Beda Venerabilis von Northumbria (673/74-735) fand es höchst merkwürdig, daß der Abt des 563 von einem Iren auf einer Insel der Inneren Hebriden gegründeten Klosters Iona Herrscher über die gesamte Provinz einschließlich der Bischöfe war. Bedas Beobachtung zeigt deutlich die bemerkenswerte Veränderung, die die irische Kirche im 6. Jahrhundert erfuhr: An die Stelle des Diözesansystems trat die Einrichtung, daß einzelne Klöster die religiöse Führungsaufgabe der Bischöfe übernahmen, während die Bischöfe bei der Priesterweihe und anderen Funktionen weiterhin eine wichtige Rolle als Sakramentenspender spielten. Diese eigenwillige Organisation setzte Irland vom übrigen Europa ab und wurde beibehalten, bis die Insel schließlich im Zug der Kirchenreform des 12. Jahrhunderts an das normale Diözesansystem der römischen Kirche angeglichen wurde. Schon früh erlangten bestimmte Klöster während des Goldenen Zeitalters des irischen Mönchtums eine ganz besondere Bedeutung. Dazu gehörte Clonard, County Meath, wo die dortige Gründung St. Finnians zur »Pflanzschule von Heiligen« wurde. Aus ihr ging eine Reihe von Männern hervor, die selbst wiederum bedeutende Klöster gründen sollten Ciaran von Clonmacnoise, Brendan von Clonfert (der große Seefahrer), Colum von Terryglass und - einer der größten von ihnen allen der heilige Columba von Derry und Iona. Wir werden einigen dieser Stätten noch als Zentren künstlerischen Schaffens begegnen. Die Klöster waren gewöhnlich eng mit wichtigen Dynastien und Familien ihrer jeweiligen Umgebung verquickt und verfügten daher über die erforderlichen Mittel, um innerhalb der Klostermauern die Künste und das Studium fördern zu können. In den ersten Jahrhunderten nach ihrer Gründung wurden Kirche und Wohnräume der Mönche - und möglicherweise auch
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Bildlegenden
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Keulenkopf, verziert mit Spiralen. Stilisierte Darstellung eines Menschengesichts, gefunden in Knowth (Meath).
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Knochenplättchen mit Gravuren aus Loughcrew (Meath).
5
Detail eines Stücks von einem Pferdegeschirr, gefunden in Attymon (Galway).
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Schwertseheide mit Gravuren aus Lisnacroghera (Antrim) .
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Deckel einer Bronzebüchse aus dem Schatz von Somerset (Galway).
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Fragmente der »Petrie-Krone« im National Museum of Ireland in Dublin.
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Initiale im Cathach in der Royal Irish Academy in Dublin.
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Seite des Cathach mit der Initiale Mund dem Text von Psalm 56,1-5.
11 und 12 Fibel und Gewandspange aus emaillierter Bronze, National Museum of Ireland, Dublin.
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Reliquiar von Clonmore (Armagh) im Ulster Museum in Belfast.
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Emailliertes Wappenschild der großen Hängeschale von Sutton Hoo.
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Große Ringfibel von Ballinderry (Westmeath) und zwei gefiederte Nadeln, National Museum of Ireland, Dublin.
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Vergoldete Bronzescheibe mit Goldfiligran, Unterseite vom Fuß des Kelchs von Ardagh (Limerick).
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Das Christentum inspiriert zu neuen Formen
Standkreuze - aus Holz errichtet und sind folglich, jahrhundertelang dem irischen Wetter ausgesetzt, verschwunden. Von Clonard blieb nichts übrig, und wie wir sehen werden, stammen auch die in Stein erhaltenen Monumente an anderen Stellen meistens aus der Zeit nach 800, sind also folglich mehrere Jahrhunderte jünger als das Datum der Klostergründung. Die Regeln dieser Klöster waren in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens extrem streng und asketisch. Die menschlichen Entsagungen, die sich die Mönche auferlegten, standen in direkter Tradition zum Geist der Gründer der ägyptischen Wüstenväter. Als neue Form der Selbstentäußerung kam das freiwillige Exil auf, was bedeutete, daß man seine Heimat verließ und auf peregrinatio, Pilgerschaft, ging, dabei betete, eine äußerst strenge Lebensordnung einhielt und unter den Heiden das Evangelium Christi verbreitete. Einer der ersten, die diesen Weg wählten, war der heilige Columba, ein bemerkenswerter Sprößling der Königsdynastie Ui eill im ordwesten Irlands. Er gründete Klöster in Derry, in Durrow im Binnencounty von Offaly-sowie auf der Insel Iona, wo er 597 im Exil starb. Es waren Mönche aus diesem letztgenannten Kloster, die nur etwas mehr als zweihundert Jahre später auf dem Festland Zuflucht suchten, sich in Kells im County Meath niederließen und dabei Reliquien ihres heiligen Gründers und - so nehmen manche an - das berühmte Book of Keils mitbrachten. Dieses, das Book of Durrow und das Book of Lindisfarne (in einem Tochterhaus von Iona geschrieben) entstammen also der paruchia, dem auf den heiligen Columba zurückgehenden Klosterverband, weshalb dessen Bedeutung für die Inselkunst unschätzbar groß ist.
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Die früheste Buchmalerei: der Cathach und andere Manuskripte ine weitere Handschrift, die oft mit dem heiligen Columba selbst in Verbindung gebracht wurde, ist als der Cathach, ein irisches Wort für »Krieger«, bekannt. Diesen amen erhielt es, weil es von seinen einstigen Besitzern, den O'Donnells, der Familie, der Columba angehörte, als Talisman in die Kriege mitgenommen wurde. Das heute in der Bibliothek der Royal Irish Academy in Dublin verwahrte Manuskript lag jahrhundertelang in einem Schrein verschlossen (vgl. S. 263), der erst 1813 geöffnet wurde. Das Manuskript, das man darin entdeckte, befand sich in einem bedauernswerten Zustand, doch wurde es restauriert und seither unter hervorragenden Bedingungen konserviert. Der Cathach ist das früheste erhaltene Manuskript der Insel. Er enthält einen unvollständigen Text der Psalmen, und zwar in der Fassung der ursprünglichen Korrektur des lateinischen Psalters durch den heiligen Hieronymus, bekannt als Gallicanum, allerdings mit einer geringen Beimischung altlateinischer Lesarten (Vetus Itala). E. A. Lowe beschreibt den Cathach als »die Essenz der irischen Kalligraphie«, laut H. J. Lawlor ausgeführt von einem »Federkünstler von überdurchschnittlich großer Begabung«. Er ist in einer klaren irischen Majuskelschrift geschrieben (Bild 9 und 10), die wenig oder keine Beziehung zu den auf dem europäischen Festland während der Spätantike verwendeten Schriften aufweist. Der Cathach zeigt uns, daß die Iren zur Zeit seiner Herstellung gegen 600 bereits ihren eigenen Schreibstil entwickelt hatten, und wir können nur noch mutmaßen, daß es ganze Generationen früherer, jetzt verlorener Manuskripte gab, in denen die Iren ausgehend von den Büchern, die die ersten Missionare ihnen gebracht hatten, nach und nach ihre
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Initiale im Cathach des heiligen Columba mit Fisch.
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Initiale im Cathach des heiligen Columba.
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eigene charakteristische Schrift entwickelten. Für ein Volk, das ausschließlich in einer ihm fremden Sprache, dem Latein, zu schreiben gelernt hatte, brachten sie es mit bemerkenswertem Erfolg zuwege, Fortschritte bei der Ausprägung ihres ganz individuellen Schreibstils zu machen. Das zeigt auch eine Reihe von Psalmen, die man auf Wachstäfelchen im Moor von Springmount, County Antrim, gefunden hat und die vielleicht sogar noch älter als der Cathach sind. Während der Zeit, als in den Manuskripten der irische Schreibstil entwickelt wurde, hat man wohl auch die ersten tastenden Schritte zur Buchmalerei unternommen. Das lassen im Cathach die Anfangsbuchstaben jedes Psalms erkennen. Diese Initialen bieten uns eine bereits ausgereifte Ornamentik, die von den wohlerprobten traditionellen keltischen Motiven der Trompetenspiralen beherrscht ist. Darin zeigt sich nicht nur, daß man die überlieferten heidnischen Muster beibehalten hat, sondern es wird zugleich auch deutlich, wie sehr sich der irische Schreiber bereits von den spätantiken Manuskripten auf dem Kontinent gelöst hatte. Die Initiale stand nicht mehr auf der gleichen Grundlinie wie die anderen Buchstaben der ersten Zeile, sondern konnte sich bis über drei Textzeilen erstrecken, und die nachfolgenden Buchstaben wurden stufenweise verkleinert, bis sie die Höhe der normalen Textbuchstaben erreichten. Auf diese Weise wird der Anfangsbuchstabe auf eine bislang unbekannte Weise hervorgehoben, und er wird dadurch zu einem
Seite aus dem Cathach des heiligen Columba. Die Initiale verkleinert sich bis zur Größe des laufenden Texts.
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dekorativen Motiv, das den wichtigen Anfang des heiligen Texts unterstreicht, mit dem er über die stufenweise sich verkleinernden folgenden Buchstaben organisch verbunden ist. Die mit brauner Tinte gezeichneten und zuweilen von roten Punkten umgebenen Initialen vermutlich vom selben Kopisten verfertigt, der auch den Text schrieb - scheinen ein- und auszuatmen und ermöglichen eine Ausweitung oder Verengung der Linien des Buchstabens. Die Enden dieser Buchstaben können in Spiralen, Kreisdreiecke, Trompetenspiralen, ja sogar in einen Fisch oder ein Kreuz auslaufen; die beiden letzteren Motive sind auf fol. 6a miteinander kombiniert. Beim Fisch handelt es sich vermutlich um einen Delphin, von irischer Hand und nach irischer Vorstellung gezeichnet. Dieses Schmuckelement könnte also noch aus der Mittelmeerwelt stammen. Aber über welche Wege gelangte das Bild des Delphins vom Mittelmeer aus an die Gestade Irlands? Manche Experten waren der Meinung, daß er - wie bestimmte andere figürliche Motive des Cathach - über Irlands ersten, wirklich wichtigen direkten Kontakt mit der künstlerischen Welt der mediterranen Christenheit nach Irland gekommen sei, nämlich über das ums Jahr 614 durch den irischen Missionar Columban kurz vor seinem Tod (622) gegründete Kloster Bobbio im Vorgebirge des Apennin in Norditalien. Von den wenigen Manuskripten, die aus dem ersten Jahrzehnt des Klosters erhalten sind, ist vor allem eines von Interesse (Mailand, Bibliotheca Ambrosiana, MS. S 45. sup.). Durch eine Inschrift konnte es mit Atalanus, dem ersten Nachfolger Columbans als Abt, in Verbindung gebracht werden. Weil zwei der vier Schreiber, die am Codex des Atalan gearbeitet haben, in einem Stil schrieben, der starke Ähnlichkeit mit dem des Cathach hat, glaubten einige Experten daraus folgern zu dürfen, daß Bobbio die Zwischenstation für die Weitergabe mediterraner Vor-
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stellungen an die irischen Schreibschulen war, womit für den Cathach ein Datum nach 614 gegeben wäre. Der Vergleich eines Details zwischen dem Cathach und einer der Hängeschalen (Bild 14) im Bestattungsschiff von Sutton Hoo von ca. 625 veranlaßten David Wright zur Vermutung, der Cathach könne sogar erst aus den 30er Jahren des 7. Jahrhunderts stammen. Obwohl es sich beim Cathach um eines der frühesten erhaltenen irischen Manuskripte handelt, ist er, wie wir gesehen haben, keineswegs das erste. Der ausgereifte Stil seiner Schrift und Verzierung war vermutlich die Frucht einer allmählichen Entwicklung der Schreibkunst, die bereits viele Jahrzehnte gepflegt wurde. Die Entdeckung von Töpferwaren des 6. Jahrhunderts aus dem Mittelmeerraum sowohl in Britannien wie in Irland zeigt, daß die Kontakte zwischen den Mittelmeerländern und der nordwesteuropäischen Inselwelt schon lange geknüpft waren, ehe Bobbio überhaupt gegründet wurde. Damit würde ein noch früheres Datum für den Cathach möglich. Einer alten Tradition zufolge soll der heilige Columba, der 597 starb, den Cathach selbst geschrieben haben. Wenngleich es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß es irgendeine Verbindung zwischen unserem Manuskript und einer anderen Handschrift gibt, die der heilige Colurnba angeblich vor 563 unerlaubterweise kopiert haben soll, ist es dennoch aus paläographischer Sicht nicht ausgeschlossen, daß das Manuskript dem späten 6. Jahrhundert angehört, und nicht unvorstellbar, daß es von der Hand Columbas geschrieben sein könnte. Die gleicharmigen Kreuze mit sich verbreiternden Enden auf fol. 6a, 48a und 50b des Cathach sind eindeutig dem Typus von Kreuzen nachempfunden, die aus dem damaligen östlichen Mittelmeerraum und Italien wohlbekannt sind. Ein ähnliches Kreuz findet sich auf einem anderen frühen irischen Manuskript, bekannt als Usserianus Primus (Trinity College Library,
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