Die kritische Darstellung der Gesellschaftsformation: Systematische Untersuchungen zur Marxschen Methode [1 ed.] 9783428559244, 9783428159246

Das Anliegen dieser Arbeit besteht in der systematischen Untersuchung der methodischen Darstellungsweise des gesellschaf

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Die kritische Darstellung der Gesellschaftsformation: Systematische Untersuchungen zur Marxschen Methode [1 ed.]
 9783428559244, 9783428159246

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Hegel-Jahrbuch Sonderband 14 Die kritische Darstellung der Gesellschaftsformation Systematische Untersuchungen zur Marxschen Methode Von Pablo Pulgar Moya

Duncker & Humblot

PABLO PULGAR MOYA

Die kritische Darstellung der Gesellschaftsformation

HEGEL-JAHRBUCH Herausgegeben von Brady Bowman, Myriam Gerhard, Jure Zovko Begründet von Wilhelm Raimund Beyer (†)

Sonderband 14

Die kritische Darstellung der Gesellschaftsformation Systematische Untersuchungen zur Marxschen Methode

Von Pablo Pulgar Moya

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Philosophische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahr 2019 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2199-8167 ISBN 978-3-428-15924-6 (Print) ISBN 978-3-428-55924-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das vorliegende Buch ist Resultat einer intensiven Forschung zum Marxschen Begriff der Gesellschaft und langjähriger Erarbeitung einer Hypothese zur Möglichkeit einer „vernünftigen Rede“ über die kritische Darstellung. Diese Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen und anschließend für die Veröffentlichung überarbeitet. Ich möchte mich besonders bei Prof. Dr. Anton Fr. Koch für seine Hilfe über den ganzen Promotionsprozess hinweg, auch bei der Diskussion über verschiedene philosophische Aspekte, für seine Verfügbarkeit, für seine sowohl persönliche als auch fachliche Verfügbarkeit und schließlich für seine Geduld, sich mit den Fassungen meiner Arbeit auseinanderzusetzen, bedanken. Bei Prof. Dr. Friedrike Schick bedanke ich mich ebenso herzlich für ihre präzisen Beobachtungen, ihre ausführlichen Kommentare sowie für ihre zahlreichen Anmerkungen und Diskussionen jedes einzelnen Aspekts dieser Dissertation in Heidelberg und Tübingen. Eine bessere philosophische Betreuung hätte ich mir nicht wünschen können. Ein großer Dank geht außerdem an M. A. Carlos Meneses Probst für seine professionelle Sprachkorrektur, seine Auseinandersetzung mit der Arbeit und die interessanten und erkenntnisbringenden Gesprächsinhalte. Von 2013 bis 2014 ermöglichte mir die Αριστοτέλειο Πανεπιστήμιο Θεσσαλονίκης (Aristoteles-Universität Thessaloniki) einen Forschungs- und Sprachaufenthalt, von dem ich erheblich profitiert habe. Dem CONICYT danke ich für die ganze Promotionsförderung durch das staatliche Stipendium für Doktoranden, das mich in die Lage versetzte, mich intensiver meinem Forschungsthema widmen zu können. Ich möchte mich überdies bei allen bedanken, die diese Arbeit im Vorfeld ganz oder teilweise gelesen und mir dazu hilfreiche und konstruktive Rückmeldungen gegeben haben, insbesondere Volker Rühle †, Hans Fr. Fulda, Klaus Vieweg, Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Ingo Stützle, Valeria Bruschi, Malte Faber, Lukas Lutz, Kwon Young Woo, Rafael Aragués, Márcio Schäfer, Saša Hrnjez, Antonio Gómez Ramos, Leire Urricelqui, Alberto Toscano, Sebastian Stein, Ermylos Plevrakis, Angelo Narváez, Roberto Vargas, Fernanda Medina, Pedro Sepúlveda, meinem nahen Umfeld in Deutschland David, Tigran und Jana und alle Kollegen des Doktorandenkolloquiums von Herrn Koch, des Hegel-Lesekreises der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und des Marx-Lesekreises der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung. Außerdem möchte ich mich bei Duncker & Humblot und den Herausgebern der Internationalen Hegel-Gesellschaft für die Aufnahme meines Buches sowie bei Herrn Dr. Andreas Arndt und Frau Dr. Myriam Gerhard für ihre Geduld und die reibungslose Kommunikation bedanken. Heidelberg 2021

Pablo Pulgar Moya

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Kapitel 1



Zur Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur des Kapitals. Erste Elemente der Analyse 23

1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung der politischen Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk . . . . . 30 Kapitel 2

Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel: Die Herr-Knecht-Dialektik als grundlegendes Element der Methodenbildung 44

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Marxschen Frühauffassung der Herr-KnechtDialektik. Kritischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Kapitel 3

Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt 68

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.1.1 Auflösung des bürgerlichen Gesellschaftsbegriffs und die ökonomische Kategorie der Gesellschaft bei Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.1.2 Der Gesellschaftsbegriff im Marxschen Spätwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1.3 Das Gesellschaftliche als Produktionsorganismus. Die bürgerliche Gesellschaft als Summe der menschlichen Relata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx.  Personenauffassung als notwendiges ökonomisches Element der Gesellschaftsformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.2.1 Die Rolle des menschlichen Charakters in der gesamten Gesellschafts­ formation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.2.1.1 Menschliches Verhältnis der Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.2.1.2 Menschliche Substanz: Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

8

Inhaltsverzeichnis 3.2.2 Personifizierung bzw. menschlicher Charakter der Ware im Unterabschnitt über Fetischismus (vgl. MEW 23; MEGA II/5: DK I 1.4) . . . . . . . . . . . . . . 91 3.2.2.1 Entsachlichung der Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.2.2.2 Personifizierung der Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3.2.3 Die Person im Privateigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.2.3.1 Entmenschung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.2.3.2 Personifizierung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.2.3.3 (Privat-)Eigentum als Verfügungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

3.3 Der Herrschaftsbegriff als wesentliche Bestätigung des gesellschaftlichen Charak­ ters des Menschen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Kapitel 4

Darstellungsweise als Kritik. Zur Diskussion um das Paradigma der kritischen Darstellung der Ökonomie 117

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.1.1 Kritikbegriff bei Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.2 Entwurf einer Marxschen Übernahme des kritischen Verfahrens seiner Vordenker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.2 Skizze der allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung über die Logik Hegels  126 4.2.1 Hegel: Metaphysik und kritische Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.2.1.1 Kritische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.2.1.2 Selbstrealisierung des Begriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.2.2 Marx: kritische Entontologisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.1 Methodische Darstellung in der Werttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.2 Notwendigkeit eines Endpunktes der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Kapitel 5

Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft als Endpunkt der Darstellung 142

5.1 Notwendigkeit einer systematischen Rückkehr zur Genese der Darstellung . . . . . . 144 5.2 Zur Darstellung des Wertes als allgemeiner Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5.2.1 Über Reichtum im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5.2.1.1 Beziehung zwischen Gesellschaft und Reichtum . . . . . . . . . . . . . . . 148

Inhaltsverzeichnis

9

5.2.1.2 Präzisierung: Jede Form des Reichtums enthält eine Form von Herr­ schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.2.2 Beziehung zwischen Reichtum und Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Zusammenfassung und Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1.

2.

Hauptliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1.1

Zitierte Werke von Marx und Engels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

1.2

Zitierte Werke von Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Abkürzungen Anti-Dühring De. an. De. part. an. DI

DK DN EN Enz I Grund GW

KPhR KpÖ KS

Man MEW MEGA

Phä PhR Pol The W

WdL I WdL II

Karl Marx. Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft Aristoteles. De anima Aristoteles. De partibus animalium Karl Marx. Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philo­ sophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten Karl Marx. Das Kapital Friedrich Engels. Dialektik der Natur Aristoteles. Ethica Nichomachea G. W. F. Hegel. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Bd. I Karl Marx. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie G. W. F.  Hegel. Gesammelte Werke. Im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1957–1968; Nordrhein-Westfalen Akademie, 1968; Hegel-Archiv, Bochum, ab 1968; Felix Meiner, Hamburg, 1957– Karl Marx. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des He­ gelschen Staatsrechts (§§ 261–313) Karl Marx. Zur Kritik der politischen Ökonomie Immanuel Kant. Gesammelte Werke. „Akademieausgabe.“ Im Auftrage der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.), Reimer, Berlin, 1900–1922; Walter de Gruyter, Berlin, ab 1922 (bisher 29 Bände) Karl Marx. Ökonomisch-philosophische Manuskripte Karl Marx /  Friedrich Engels. Werke. Dietz, Institut für Marxismus-Leninismus (Hrsg.). Berlin, ab 1956 Karl Marx / Friedrich Engels. Historisch-Kritische Gesamtausgabe. Werke / ​ Schriften / Briefe. [MEGA1] Im Auftrage des Marx-Engels-Instituts Moskau. Borissowitsch Rjasanow, Dawid (Hrsg.). Frankfurt a. M. 1927–1940; Marx-Engels-Gesamtausgabe. Dietz, Im Auftrage des Instituts für Marxismus-Leninismus, Berlin, 1960–1990 und Akademie, bis 2013/Walter de Gruyter, ab 2013, im Auftrage der Internationalen Marx-Engels Stiftung, Berlin, 1990– G. W. F. Hegel. Phänomenologie des Geistes G. W. F. Hegel. Grundlinien der Philosophie des Rechts Aristoteles. Politica Karl Marx. Thesen über Feuerbach G. W. F.  Hegel. Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe. Eva Moldenauer und Karl Markus Michel (Hrsg.). Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1970 G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik; Objektive Logik G. W. F. Hegel. Wissenschaft der Logik; Subjektive Logik

Einleitung Die einzig reelle Definition ist die Entwicklung der Sache selbst, und diese ist aber keine Definition mehr. F. Engels (MEW 20, S. 578)

Diskussionen über den „logisch-systematischen Charakter“, die „dialektische Methode“ und die „epistemologische Bewegungsstruktur“ im Spätwerk Marx’ wurden bereits am Ende des 19. Jahrhunderts geführt. Nach Wladimir I. Lenin und Isaak Rubin, haben Autoren wie Jindřich Zelený und Hinrich Fink-Eitel, Mark Rosental in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausführliche Methodenformulierungen vorgelegt. Aber was wir in der vorliegenden Arbeit unter dem Titel „Methodenstreit“ bezeichnen, ist die kontemporäre Debatte über den Marxschen Methodenbegriff, die den Entstehungszusammenhang der werttheoretischen Formen in Frage stellt. Die Haug-Heinrich-Kontroverse lieferte bisher eine der interessantesten Auseinandersetzungen über den Marxschen Methodenbegriff. Die Argumentation Heinrichs und der sogenannten Neuen-Marx-Lektüre übt eine starke Kritik an der logisch-historischen Lesart des methodischen Untersuchungsgegenstandes von Wolfgang Fritz Haug und Klaus Holzkamp und betont demgegenüber: „die Darstellung des historischen Prozesses der Herausbildung dieses Ganzen liegt außerhalb der dialektischen Entwicklung der Kategorien.“1 Ohne diesen durchaus wichtigen Punkt allzu sehr vertiefen zu wollen, ist darauf hinzuweisen, dass diese Polemik weitergehende Positionen hervorgebracht hat.2 Die Wahl des Themas dieser Arbeit ist nicht unwesentlich durch die fortbestehende Debatte über die Marxsche methodische Darstellung der bürgerlichen Ge 1

Heinrich, Michael, Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Westfälisches Dampfboot, Münster, 20064, S. 177. 2 Jan Hoff resümiert kompakt andere aktuelle Debatten zwischen Marx-Kennern: „Zu den bekanntesten Forschungskontroversen der letzten Jahre zählen überdies: die Auseinandersetzung des Kreises um Michael Heinrich mit der ‚traditionellen‘ Marx-Interpretation im Hinblick auf die Problematik der Geldware; die Debatte um Dieter Wolf und Helmut Reichelt zum spezifischen Zusammenhang von Wertform, Geldgenese und Austauschprozess; sowie schließlich die Auseinandersetzung zwischen Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich u. a. zur Problematik der ‚monetären Werttheorie‘.“ (Hoff, Jan, Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965. Akademie, Berlin, 2009, S. 95) Dazu wäre auch der aktuelle Streit über die Reduktion der Dialektik auf die methodische Argumentationsstruktur zwischen Dieter Riedel („Grenzen der dialektischen Darstellungsform“, in: MEGA-Studien, Heft 1, Akademie, Berlin, 1997, S. 3–40) und Reichelt („Grenzen der dialektischen Darstellungsform – oder Verabschiedung der Dialektik? Einige Anmerkungen zur These von Dieter Riedel“, in: MEGA-Studien, Heft 1., Akademie, Berlin, 2000, S. 100–126) zu erwähnen.

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Einleitung

sellschaft bestimmt. Im Umfeld dieser Methodendebatte wird der von Karl Marx geprägte Terminus „Gesellschaftsformation“ als ein zentraler Begriff aufgefasst. Eine diesem Begriff immanente Schwierigkeit besteht darin, dass er sich nicht auf eine Definition reduzieren lässt. Gesellschaftsformation umfasst, Marx zufolge, die Totalität seiner Kritik der politischen Ökonomie, was einleuchtet, wenn man berücksichtigt, dass für Marx die begriffliche Entwicklung aller unterschiedlichen ökonomischen Formen gerade in der Entwicklung bzw. Formation der Gesellschaft besteht. Marx wie Engels verwenden den Terminus „Gesellschaftsformation“ als Bezeichnung für die genetische Organisation unterschiedlicher geschichtlicher Stufenfolgen wie etwa Rohkommunismus, Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus, u. a.3 Für Marx zeichnen sich unterschiedliche Epochen der Weltgeschichte durch verschiedene Gesellschaftsformen aus. Um das Verständnis dieser Formen zu vertiefen, muss die Art und Weise ihrer Bereicherung erforscht werden, oder, was dasselbe ist, die Art und Weise der Entwicklung ihrer Produktionsverhältnisse.4 Die formationstheoretischen Grundlagen nach Marx begreifen die Geschichte der ökonomischen Verhältnisse als eine progressive Herausbildung ihrer Form des Reichtums. Dem Verständnis der grundlegenden Zusammenhänge einer gesellschaftlichen Formation muss damit die Einsicht in die Momente und Bestimmungen der gesamten Produktionsverhältnisse, welche eine spezifische Reichtumsform bilden, vorausgehen. Die philosophisch-historische Analyse der Reichtumsformation definiert demzufolge die Gesellschaftsformation. Durch die geschichtliche Herausbildung des Reichtums wird das Wesen einer spezifischen Gesellschaft formiert, welche wiederum durch die nicht-empirische Darstellung der Reichtumsproduktion sich von anderen Gesellschaftsformen differenzieren lässt.5 Gegenstand unserer Dissertation ist jedoch weder die Analyse verschiedener historischer Gesellschaftsformen, noch die Definition der Formation der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen. Vielmehr soll es um die Darstellung derselben gehen. Genauer gefasst, besteht das Anliegen dieser Arbeit in der systematischen Untersuchung der methodischen Darstellungsweise des gesellschaftlichen Kapitalwesens in Marx’ Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft. Unser Ziel ist es, die entwicklungsmethodologische Relevanz der sogenannten Marxschen Dar 3 Wir verwenden synonym zu „Gesellschaftsformation“ den Adorno’schen Terminus „Vergesellschaftung“, insofern dieser auch den Prozess der Formation, Bildung und Entwicklung einer Form der Gesellschaft bezeichnet. Literatur über die Entstehung der Diskussion über Gesellschaftsformation, siehe: Jaeck, Hans-Peter, „Die materialistische Erklärung des gesellschaftlichen Formationsprozesses. Zur Entstehung des Kategoriensystems der dialektischmaterialistischen Geschichtsauffassung von Karl Marx und Friedrich Engels“, in: Engelberg, Ernst / Küttler, Wolfgang (Hrsg.), Formationstheorie und Geschichte. Akademie, Berlin, 1978 und Eichhorn, Wolfgang, „Über Gesellschaftsformation und -transformation“, in: Sitzungs­ berichte der Leibniz-Sozietät Nr. 8/9, Berlin, 1995, S. 58 ff. 4 KpÖ, MEW 13, S. 8 f. 5 In einer gemeinsamen Epoche können unterschiedliche Formen des Reichtums koexistieren. Aber was eine Epoche definiert, ist die Herrschaft einer Produktionsweise über alle anderen.

Einleitung

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stellung der modernen Gesellschaftsformation zu beleuchten – eine Problematik, die wesentlichen Einfluss auf den marxistischen Methodenstreit der letzten dreißig Jahre in der deutschsprachigen Literatur hatte. Unsere Frage gilt der Genese der Darstellungsstrategie in Marx’ Denken, das sich ausgehend von frühen, in theoretischer Hinsicht noch unausgereiften Ansätzen hin zu einer systematischen Entfaltung und präzisen Analyse der menschlichen Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt und einer intensiven Auseinandersetzung mit Hegels kritischer Darstellung des selbstdenkenden Denkens entspringt, die das entwicklungsgeschichtliche Instrumentarium für die Rekonstruktion der kritischen Gesellschaftsdarstellung liefert. Marx und Hegel trugen beide zur Entwicklung der Methode der systematischen kritischen Darstellung bei. Obwohl Marx selbst nur sehr knapp in seinen wenigen methodologischen Schriften explizit über diese kritische Darstellungsweise geschrieben hat, sind diese Überlegungen über seine eigene Methode unter den polemischsten bis in die zeitgenössische Debatte. Die Einheit von Kritik und Darstellung, die wir hier herausarbeiten, lässt sich in einer ähnlichen Weise in der Hegelschen epistemologischen Selbstdarstellung des denkenden Denkens wiederfinden. Die spekulative Methode Hegels beweist sich als besonders nützlich, um die terminologischen Stärken der systematischen Kapitalismuskritik zu verdeutlichen. Ein kritischer Dialog mit Hegels Philosophie erlaubt unserer gesellschaftstheoretischen Analyse, entwicklungsgeschichtlichen Charakter anzunehmen. Das Kapital versucht eine wissenschaftliche Methode zur Synthese von Wissen über die kapitalistische Gesellschaft zu entwickeln und damit zum systematischen Verständnis der politischen Ökonomie beizutragen. Die entwicklungsmethodologische Frage nach der kritischen Darstellung bei Marx erlaubt, die unterschiedlichen Erscheinungsformen als grundlegende Elemente der Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft zu bestimmen. Hauptaugenmerk unserer Untersuchung ist, die Rekonstruktion der Marxschen systematischen Vergesellschaftung weder zu überhegeln, noch zu unterhegeln.6 Die von uns als Form wissenschaftlicher Begründung begriffene „kritische Darstellungsweise“ der politischen Ökonomie wird von der marxistischen Doxographie vielfältig gedeutet und bezeichnet: als dialektische Darstellung (Heinrich, Reichelt, Henning, Arthur, F. O. Wolf)7, als systematisch-dialektische Darstellung 6

In seinem Vorwort zu Geschichte und Klassenbewusstsein (Red Star Press, London, 2000, S. 23) spricht György Lukács über die Gefahr „Hegel zu überhegeln“. Wir verwenden diese Figur hier, um auf die weit verbreitete Interpretation Marx’ als Schüler Hegels (Marx überhegeln) hinzuweisen. Dieser Standpunkt widerspricht einer reduzierenden Lektüre der Kritik der politischen Ökonomie als einer „unter- bzw. überhegelten Anwendung“ der epistemologischen Ansprüche Hegels. 7 Vgl. u. a. die zeitgenössischen Werke: Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert. a. a. O., 19911, S. 144–151; Reichelt, Helmut, „Die Marxsche Kritik ökonomischer Kategorien. Überlegungen zum Problem der Geltung in der dialektischen Darstellungsmethode im Kapital“. Fetscher, Iring et al. (Hrsg.), Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der ‚Warentausch-

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Einleitung

(Reuten, Williams, Gallas)8, als wissenschaftliche Darstellung (Elbe, D. Wolf)9, als immanente Darstellung (Arndt, Brentel)10 oder auch als methodische Darstellung (D. Wolf)11. Diese unterschiedlichen Betonungen fungieren als zutreffende Charakterisierung der Darstellung insgesamt, aber nur wenn ihre epistemologischen Unterschiede ins Auge gefasst werden, eben weil „kritisch“, „dialektisch“, „methodisch“ oder „wissenschaftlich“ nicht unmittelbar gleichzusetzen sind. Die Frage nach der Darstellung selbst ist eine der wichtigsten in der Auseinander­setzung mit der Marxschen Methodenbildung.12 In der vorliegenden Untersuchung ist die einheitliche Charakterisierung der Darstellung als Kritik der bürgerlichen Gesellschaftsformation der von uns vertretene Standpunkt, um die Marxsche Methode zu deuten. Dieser spezifische Charakter des Kritikbegriffes ist aber nicht unmittelbar als „negativ“ oder „dialektisch“ zu verstehen. Die darstellungsorientierte Kritik der politischen Ökonomie im Kapital enthält einen korrigierenden Charakter bezüglich der Erscheinungsformen, nicht unmittelbar in Form einer Entlarvung als Täuschung, sondern in der Form einer begrifflichen Rekonstruktion der stufenweisen Vergesellschaftung. Der skeptische Grundzug in der Darstellung ist notwendig, um die Genese der programmatischen Abstraktionsstufen im Kapital zu verstehen. Die genetisch-begriffliche Erläuterung und systematische Auseinandersetzung mit der Darstellung und der ihr zugrundeliegenden Methode ist eine der HauptGesellschaft‘ und Perspektiven der Transformation. Neue Kritik, Frankfurt a. M. 2002; Henning, Christoph, Philosophie nach Marx. 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozial­ philosophie der Gegenwart in der Kritik, Bielefeld, 2005, S. 145 f.; Arthur, Christopher, The New Dialectic and Marx’s Capital. Brill, Leiden, 2004, S. 79 ff.; Wolf, Frieder Otto, „Marx’ Konzept der ‚Grenzen der dialektischen Darstellung‘, in: Hoff, Jan et al. (Hrsg.), Das Kapital neu lesen. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2006, S. 159–188. 8 Vgl. Reuten, Geert / Williams, Michael, Valueform and the state. The tendencies of accu­ mulation and the determination of economic policy in capitalist society. Routledge, London, 1989 und auch Reutens „An Outline of the Systematic-Dialectical Method: Scientific and Political Significance“, in: Hegel’s Logic and Marx’s Capital: A Reexamination. Historical Materialism Book Series Nr. 64, Brill, Leiden / Boston, 2014, S. 243–268; Gallas, Alexander, [Rezension zu] D. Wolf / H. Paragenings, Zur Konfusion des Wertbegriffs. Beiträge zur KapitalDiskussion. Wissenschaftliche Mitteilungen 47, Nr. 261, Argument, Hamburg, 2005, S. 403. 9 Vgl. Wolf, Dieter, Zur Konfusion des Wertbegriffs. Beitrag zur Kapital-Diskussion. Wissenschaftliche Mitteilungen Heft 3, Argument, Hamburg, 2004, S. 23, 35 ff.; auch mehrmals als Beschreibung anderer Konzeptionen der Marxschen Darstellung Elbe, Ingo, Marx im Westen. Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965. Akademie, Berlin, 2010. 10 Vgl. Arndt, Andreas, Karl Marx: Versuch über den Zusammenhang seiner Theorie. Germinal, Bochum, 19851, S. 9, 12; Brentel, Helmut, Soziale Form und ökonomisches Objekt. Studien zum Gegenstand und Methodenverständnis der Kritik der politischen Ökonomie. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1989, S. 301 f. 11 Vgl. Wolf, D., Zur Konfusion des Wertbegriffs, a. a. O. 12 „‚Darstellung‘ ist für Marx nicht einfach die didaktisch geschickte Anordnung des zu präsentierenden Stoffes. Vielmehr hat die Ordnung der Darstellung, die den Zusammenhang der dargestellten Kategorien ausdrückt, selbst noch einen bestimmten Informationsgehalt“ (Heinrich, Michael, „Individuum, Personifikation und unpersönliche Herrschaft in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie“, in: Elbe, Ingo et al. (Hrsg.), Anonyme Herrschaft. Zur Struktur moderner Machtverhältnisse. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2012, S. 19, Fn. 6).

Einleitung

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aufgaben der heutigen Marx-Forschung. Im Nachwort zur zweiten Auflage des Kapital insistiert Marx auf einer programmatischen Unterscheidung zwischen Darstellungsweise und Forschungsweise.13 Während die Forschungsweise in einer empirischen, geschichtlichen, analytischen Untersuchung besteht, ist die Darstellungsweise die begriffliche theoretische Bildung und Einordnung des erforschten „Materials“ in Erscheinungsformen. Wir konzentrieren uns in dieser Untersuchung auf eben diese darstellungsorientierte Theoriebildung, nicht auf ihre Forschungsweise. Die Formation der bürgerlichen (= kapitalistischen) Gesellschaft wird im Spätwerk nicht in einem chronologischen historischen Sinne widergegeben, sondern als abstrakt-wissenschaftliche Systematisierung. Die kritische Darstellung Marx’ hat mit der wissenschaftlichen Darstellungsweise in Hegels Logik gemein, dass beide als skeptisch und als nicht-empirisch zu kennzeichnen sind. Ein Hauptunterschied der unkonventionellen Marxschen Darstellung zu den meisten anderen Ansätzen der modernen politischen Ökonomie – wie z. B. der Arbeitswerttheorie Ricardos14 – besteht im systematisch-dialektischen Charakter, worin ein Schlüssel zum korrekten, adäquaten Verständnis des Wirtschaftswesens in der Verknüpfung aller relevanten Kenntnisse über eine Gesellschaftstotalität liegt. Die Darstellung der Gesellschaft ist dementsprechend die Darstellung einer Totalität. Diese gesellschaftliche Totalität bildet heute das, was man unter Kapitalismus bzw. Herrschaft des Kapitals bezeichnet. Das Vorhaben unserer Untersuchung besteht jedoch auch nicht in der bloßen Paraphrasierung der Momente und Erscheinungsformen des Kapital, noch in einer linearen Kommentierung der darin vorkommenden Kategorien. Unser Anliegen zielt vielmehr darauf ab, die abstrakt-methodischen Grenzen der Einheit von Kritik und Darstellung zu bestimmen. Deswegen beginnt unser Text auch nicht mit der Erklärung des Wertbegriffs (als erster Erscheinungsform der ganzen Gesellschaftsbildung), sondern mit einer genetischen Analyse der Marxschen Frühauffassung der Gesellschaftsformation in Auseinandersetzung mit seinen zeitgenössischen, für ihn durchaus einflussreichen Quellen. Entsprechend der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft beschreibt das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit das Wesen der Vergesellschaftung im Sinne einer konkreten (= entwickelten) Herrschaft des Kapitals über den tätigen Menschen.15 Das Kapital bestimmt das

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„Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren.“ (MEW 23, S. 27). 14 „Die politische Ökonomie hat nur zwar, wenn auch unvollkommen Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsproduktes darstellt?“ (MEW 23, S. 94 f.). 15 „Marx nimmt hier wesentliche Motive des Hegelschen Arbeitsbegriffes auf, wie sie im Abschnitt über Herrschaft und Knechtschaft in der Phänomenologie des Geistes entwickelt wurden“ (Heinrich, Wissenschaft vom Wert, a. a. O., 19911, S. 103).

16

Einleitung

Kapital16 als entfaltete „Herrschaft“ eines spezifischen gesellschaftlichen Organismus. Eine gewisse „anthropologisierende“ Wissenschaftsauffassung im Marxschen Frühwerk resultiert in einer empiristischen Kritik der Gesellschaft innerhalb des „entfremdenden“ ökonomischen Determinismus. So ging es etwa im frühen Werk Ökonomisch-philosophische Manuskripte darum, die Gesellschaftlichkeit des menschlichen Gattungswesens, den Menschen als entfremdetes und von der arbeitsteiligen Gesellschaft instrumentalisiertes Wesen zu erörtern. Erst auf Grundlage dieser Auseinandersetzung sind wir in der Lage, die genetische Kontinuität im Begriff der Gesellschaftsformation beim jungen Marx der Pariser Manuskripte (1844) und dem späten Marx des Kapital (1867) zu verstehen. Die theoretische Auflösung seiner anthropologischen Konzeption strukturiert wiederum den Diskurs über die Gesellschaftlichkeit und die Rolle des Menschen in seiner Darstellung. Nur als begrifflich „entmenschter“, nicht anthropologisierter Mensch kann das Subjekt in einer nicht-empirischen Darstellung theoretisiert werden.17 Ein abstrakt gedachter Mensch, der lediglich die Ware „zu Markte“ tragen darf, ist nichts anderes als die bloße Repräsentation der Ware. Nicht mehr als entfremdetes menschliches „Wesen“, sondern als personifizierte Erscheinungsform der ganzen Produktionsweise wird der Mensch in der Darstellung also kritisch gedacht. Die Ware, die er repräsentiert, ist der eigentliche Ausgangspunkt der Kritik der politischen Ökonomie, nicht die Arbeit, nicht der Mensch und nicht die Urgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft. Der Waren(wert) ist daher die wirkliche Genese des Kapitals. Schon der erste Satz des Corpus des Kapital definiert den ganzen Zweck der kritischen Darstellung der kapitalistischen Vergesellschaftung. Es gilt, die herrschende Produktionsweise des kapitalistischen „Reichtums“ zu analysieren, worin die Ware als „Elementarform“ der ganzen rekonstruktiven Genese erscheint.18 Die Gesellschaftstotalität ist in der Wertformentwicklung die abstrakte Erscheinungsform dessen, was sich als Kapitalreichtum in einer konkreteren Bestimmung darstellt. Nur in einer dialektischen Weise ist diese Analyse der Gesellschaft zu verstehen, d. i. nicht als Definition, sondern als Bewegung zwischen Synchronstufen, welche jeweils die methodischen „Momente“ bilden.19 Der Ausgangspunkt ist

16 Wir folgen der standarisierten Schreibweise der zeitgenössischen Marx-Rezeption und verwenden im Laufe des vorliegenden Textes den Terminus „Kapital“ zweierlei: i) im Kursivschrift [Kapital], wenn wir das Werk Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie zitieren und referieren und ii) in Druckschrift [Kapital], wenn wir irgendeine Bestimmung „Kapital“ verwenden wollen, in der das Kapital nicht nur eine Erscheinungsform, sondern auch einen Oberbegriff für die gesamte Darstellung der Gesellschaftsformation bildet. 17 In stricto sensu zeigt die Abstraktionsweise im Kapital nicht-empirische Kategorien (Wert, Person, Mehrwert, Klasse usw.), welchen die empirischen Kategorien (Geld, Profit, Zins, Rente usw.) zugrunde liegen. 18 Vgl. MEW 23, S. 49. Dazu siehe das fünfte Kapitel der vorliegenden Arbeit. 19 Wir unterscheiden hier semantisch das Marxsche und Hegelsche Dialektikverständnisses. Dialektik im Sinne Marx’ meint die skeptische negative Charakterisierung der Bewegungs-

Einleitung

17

ein allumfassendes Moment, das die Ganzheit der Gesellschaft enthält. Der Wert erfasst demzufolge abstrakt alle menschlichen Verbindungen aller notwendigen bestimmenden Momente der Gesellschaft. Der Wertbegriff erscheint somit als das absolut abstrakteste Dasein des gesellschaftlichen Reichtums. Der Weg der progressiven Abstraktionsstufung verläuft über eine konkrete Vernetzung der kapitalbestimmenden Momente, wobei die sich entwickelnde Konkretisierung des Werts die progressive Konkretisierung des Reichtums der Gesellschaft widerspiegelt. Die Werttheorie als grundlegende Konstruktion der Marxschen Abstraktionsstufung enthält die reichsten philosophischen Passagen, um die kritische Darstellung organisch zu verstehen. In unserer Arbeit konzentrieren wir uns auf die werttheoretische Anatomie der Gesellschaftsdarstellung mit besonderem Fokus auf den ersten zwei Kapiteln des Kapital, um die stufenartige Abstraktionsweise zu untersuchen. Aufgrund dieses veränderten Verständnisses ist die Erläuterung des Wertes vielleicht die wichtigste Debatte in der Marx-Rezeption seit der Veröffentlichung der MEGA-Ausgabe.20 Geert Reuten z. B. beschreibt die gesellschaftliche Totalität der Abstraktionsstufung des Wertes in einem dialektischen Schema einer metaphorischen Pyramide, um systematisch den steigendenden Komplexitätsgrad der Methode als notwendigen Ausgangspunkt der umfassenden Darstellungsdialektik zu erfassen. Diese „heuristische“ Pyramide (Figur 1.) versucht die immanenten Verbindungen aller dialektischen Synchronstufen zu zeigen. Die Verbindung der gesellschaftlichen Momente wird in absteigender Folge der dialektischen konzeptuellen Bewegung zwischen Synchronstufen konkretisiert. Jedes βi-Moment bezeichnet jeweils eine synthetische Bestimmung, welche die gesellschaftliche Totalität darstellt.

struktur der Methode, wie Marx seine Darstellung selbst qualifiziert. Im Gegenteil dazu bezeichnen wir mit Dialektik im Sinne Hegels nicht eine Charakteristik seiner Methode, sondern schränken sie hier lediglich zur negativen Entgegensetzung auf Herr-Knecht-Dialektik ein. Wenn wir die Hegelsche Methode in einem Ausdruck charakterisieren wollen, ziehen wir den Terminus „spekulativ“ vor. So Fulda: „Für Hegel ist das Dialektische als das negativ Vernünftige nur eines von mehreren Momenten der Methode und nicht einmal das erste unter ihnen. Der Widerspruch gar, als Ingrediens eines jeden Schrittes im methodisch geregelten Fortgang, ist nur ein Moment dieses Moments: die letzte, dem Hervortreten einer neuen Einheit vorausgehende Entwicklungsphase eines Verhältnisses zweier. Indem für Marx dagegen der Widerspruch zum Innersten und zur Springquelle aller Dialektik wird, wird ‚Dialektik‘ legitimer Ausdruck für ein systematisches Ganzes an Methode.“ (Fulda, Hans Fr, „Dialektik als Darstellungsmethode im Kapital von Marx“, in: Suomen Filosofisen Yhdistyksen vuoskirja, N° 37, Ajatus, Helsinki, 1978, S. 192). 20 Die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) dokumentiert und klassifiziert die Werke, nachgelassene Handschriften und Briefe mit einer detaillierten Editionsmethode. Diese kritische Ausgabe eröffnet auch mit neuen Bearbeitungen der Texte (z. B. die neue Fassung von DK III, welche von Engels stark bearbeitet wurde)  eine Diskussion über die methodischen Deutungen.

18

Einleitung Ausgangspunkt der systematischen Darstellung

β1 β2

βi-Momente von den abstrakten zu den konkreten

Synthetische konkrete Realität

α

βn γ Verständnis der konkreten empirischen Realität [Endpunkt der systematisch-dialektischen Darstellung] Abbildung 1: systematische Forschung und Darstellung21

Dieser Versuch einer Rekonstruktion der Darstellung skizziert den Vergesellschaftungsprozess in einem Makroschema, von welchem wir in dieser Untersuchung nur den verketteten Charakter der Systematisierung der Gesellschaftsformation als progressiv-konkretisierender Wertbildung β1, β2 … βn)22 aufgreifen. In der vorliegenden Arbeit führen wir einen wissenschaftlichen Dialog mit den zeitgenössischen Denkern, die eine Debatte über die einheitliche Darstellungsmethode vertiefen und den philosophischen Kontext für unseren Standpunkt bilden. Dieter Wolf, Ingo Elbe, Michael Heinrich, sowie Hans Fr. Fulda werden mehrmals im Verlauf der Darlegung der Marxschen Metakritik zitiert, insofern sie (unterschiedliche) wissenschaftliche Argumente für die metatheoretische Einheit von Darstellung und Kritik liefern. Wir können dies dahingehend deuten, dass die kategoriale Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft eine dialektische gesellschaftliche Reproduktion der Momente der Warenproduktion beschreibt. Die dem Kapital zu 21

Figur in: „An Outline of the Systematic-Dialectical Method“, a. a. O., S. 245. Übers. von P. P. Änhliche Bemühungen unternehmen Enrique Dussel mit einem kreisenden Schema der dialektischen Methode (La producción teórica de Marx. Un comentario a los Grundrisse. Siglo XXI, Mexiko Stadt, 1985, S. 50 ff.) und Michael Lebowitz (Following Marx. Method, Critique, and Crisis. Historical Materialism Book Series Nr. 64, Brill, Leiden / Boston, 2009, S. 203). 22 Reuten erläutert hierzu, dass Moment α in seiner Pyramide „an all-encompassing conception of some object-totality“ bezeichnet, während das Moment γ „its full-concreteness“ (Ebd., S. 244 f.).

19

Einleitung

grundeliegende eigentümliche Logik belegt, dass „[…] seine Darstellung zugleich Kritik einer in dieser Verkehrung befangenen Wissenschaft [ist]“.23 Die Wissenschaftlichkeit der metatheoretischen „Logik des Kapitals“ zeigt sich in der begrifflichen Konkretisierung der gesellschaftlichen Momente. Ausgehend vom Ausgangspunkt (Warenwert) muss eine kritische Darstellungsmethode die unmittelbare Existenzbedingung eines Moments erfassen, d. h. die unmittelbaren Anforderungen, die für die Konzeptualisierung dieses bestimmten Moments erforderlich sind. Unsere Verteidigung der Werttheorie als Gesellschaftsrekonstruktion ist dementsprechend Resultat eines organischen Denkens der Abstraktionsstufung. Die kritische Darstellung manifestiert die epistemologische Unzulänglichkeit des Scheins, welche durch einen korrigierenden Akt in der dialektischen Bewegung als begriffliche Konkretisierung aufgehoben wird. Diese begriffliche Strukturierung hat einen immanenten Bezug zur Hegelschen Selbstdarstellung des Denkens und wir können zahlreiche terminologische Treffpunkte finden, sollten uns aber davor hüten, die beiden Methoden der kritischen Darstellung einfach zu parallelisieren. Trotz ihrer ausführlichen Analysen des Marxschen Kapital und der Logik Hegels tendieren Autoren wie Christopher Arthur24 und Enrique Dussel die gesellschaftliche Abstraktionsstufung auf ein koinzidentes Schema der Erscheinungsformen zu reduzieren. Dussel erarbeitet die Ähnlichkeiten der Marxschen Realabstraktion mit Hegels Logiksystem in einer isomorphen Darstellungsmethode (Figur 2), um die logische Kohärenz im Kapital Schritt für Schritt aufzuzeigen. Bestimmung

Momente in WdL

Momente in DK

Inhaltsloser abstraktester Ausgangspunkt der Darstellung

Sein

Wert

Ontischer Ausgangspunkt

Dasein

Ware

Erste immanente inhaltliche Bestimmung

Qualität

Gebrauchswert

Erste unmittelbare äußerliche Bestimmung des Systems

Quantität

Tauschwert

Beziehung von Quantitäten

Maß

Geld

Abwandlung der Abstraktionsebene

Übergang zum

Verwandlung in

Vermitteltes Wesen

Wesen

Kapital

… usw.





Abbildung 2: Ähnlichkeiten der Strukturen der Wissenschaft der Logik und des Kapital25 23

Heinrich, Wissenschaft vom Wert, a. a. O., S. 246. Eine interessante Diskussion über diese Marx-Hegel-Homologie These findet sich im Band 11:1 der englischen Zeitschrift Historical Materialism zwischen Tony Smith und Christopher Arthur. Siehe: Smith, Tony, „On the Homology Thesis.“ Historical Materialism, Nr. 11. Heft 1, Brill, Leiden / Boston, 2003, S. 185–194 und die Antwort darauf von Arthur, Christopher „Once more on the Homology Thesis: A Response to Smith’s Reply.“ Historical Materialism, 11:1, 195–198 25 Tabelle und Übers. von P. P. gemäß Enrique Dussels eigener Parallelisierung in: Dussel, Enrique, Kapitel Historia de la filosofía latinoamericana y filosofía de la liberación. Nueva América, Bogotá, 1994. Besonders Kapitel IX, S. 187 ff. 24

20

Einleitung

Diese theoretische Homologie ist aber zu schwach, um die konkreten Anschlusspunkte der isomorphen Momente beider Systeme zu erklären. In einem propädeutischen Sinne ist diese Tabelle ein nützliches Mittel, um die epistemologischen Ansprüche Marx’ zu verdeutlichen. Es scheint aber willkürlich, diese Reihe von Momenten eins-zu-eins miteinander zu vergleichen, ohne deren epistemologische Basis vorab zu klären. Vor allem funktioniert diese Isomorphie nicht mehr, sobald und sofern sich die Mehrheit der geschichtlichen Ökonomiebestimmungen im Marxschen Spätwerk nicht auf onto-logische Kategorien reduzieren lassen. Mit der Veröffentlichung der Pionierarbeit Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital von Roman Rosdolsky im Jahre 196826 begann eine ausführliche Debatte über die epistemologischen Ansprüche des Spätwerkes, zusammen mit einer wissenschaftlichen Reinterpretation der Bedeutsamkeit der Grundrisse in der Methodendiskussion. Das Werk Rosdolskys gab neue interpretative Impulse für die Deutung der Marxschen kritischen Methode vor dem Hintergrund der empirischen Abstraktionsweise Ricardos und der Wissenschaft der Logik Hegels. Die gesellschaftsstrukturelle Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie positioniert sich demgemäß im sogenannten „westlichen Marxismus“ als eine neue Marx-Lektüre, in der die klassischen marxistischen Paradigmen in Frage gestellt werden. So ermöglicht die Problematisierung der Wissenschaftlichkeit der Gesamtdarstellung eine epistemologische Begründung spezifisch marxistischer Theorien wie: Krisentheorie, Theorie des tendenziellen Falls der Profitrate, Staatstheorie, Weltmarktwirtschaftstheorie, Geld-Kredit-Theorie, Dependenztheorie usw. Die empirische Forschungsweise liefert das Material für die Darstellung der Gesellschaft als einer organischen Totalität. In der empirischen Forschung können wir zwar die historischen sozialen Widersprüche aufdecken, aber erst in der abstrakten Darstellung wird deren wissenschaftliche Erklärung lokalisiert. In der Darstellung müssen wir das Erscheinende erklären, die Vielfalt der äußeren Formen, in denen sich das Wesen manifestiert. Es ist nicht das Hauptanliegen der kritischen Darstellung, zu zeigen, warum das Kapital (als Ganzheit) historisch erscheint, sondern, wie die Zusammenfügung dieser Bestimmungen die gleichen Tendenzen, die sich aus der immanenten Analyse der Ware ergeben, erzeugt. Die kreisende Analyse resultiert in einer Wiederherstellung der realen Welt als gesellschaftlicher Totalität.

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Rosdolsky, Roman, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital. Der Rohent­ wurf des Kapital 1857–1858. 3 Bände. Europäische Verlagsanstalt / Europa Verlag, Frankfurt a. M. / Wien, 1974 (Erstausgabe: 1968, Posthum veröffentlicht).

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Einleitung

Reale Welt

Abstraktes Denken

[Moment I: Forschung des Konkreten]

[Moment II: Entwicklung des Totalitätsbegriff]

Totalität (Wesen)

Daseinsformen (Erscheinung)

[Moment III: Einheit von Wesen und Erscheinung] Realitätsbegriff [Moment IV: „prüfende Versöhnung“ des Begriffes und seinem Objekt] Abbildung 3: Methodologisches Projekt Marx’ als Ganzes27

Das pauschale Diagramm von Lebowitz (Figur 3) resümiert diese gesellschaftliche Totalität als zirkulierende selbstprüfende Darstellung dessen, was er als „reale Welt“ bezeichnet. Ab den 70er Jahre bildet diese selbstzirkulierende Darstellung das Hauptargument der unterschiedlichen gesellschaftsstrukturellen Marx-Rezeptionen. In Deutschland sind es vor allem Hans-Georg Backhaus28 und Helmut Reichelt,29 welche den Grundstein für eine rekonstruktive Vergesellschaftungstheorie gesetzt haben. Derzeit entwickeln zahlreiche Theoretiker in Deutschland diesen rekonstruktiven Ansatz weiter. U. a. in Berlin, Tübingen und München haben sehr aktive Studiengruppen bereits komplexe Ausführungen vorgelegt.30 Aber nicht nur die Neue-Marx-Lektüre prägt den heutigen Diskurs. In der gegenwärtigen Debatte über diesen Aspekt der Marxschen Theorie hat die Londoner Zeitschrift Historical 27

Lebowitz, Following Marx. Method, Critique, and Crisis, a. a. O., S. 203. In seiner Erklärung ist aber nicht klar was er unter „testing-reconciliation“ (prüfende Versöhnung) versteht. Ob er damit eine Versöhnung à la Hegel zwischen dem Realen und seinem Begriff meint, ist hier nicht weiter auszuführen. Wir beschränken auf den propädeutischen Gehalt dieser grafischen Zusammenfassung. 28 Backhaus, Hans-Georg, (1971) „Zur Dialektik der Wertform“, in: Schmidt, Alfred (Hrsg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie. Suhrkamp, Frankfurt a .M., 1971, S. 146. 29 Reichelt, Helmut, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx (Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a. M., 1973 (Buch von seiner Dissertation in 1968). 30 Besonders produktiv, nach der Neuen Marx-Lektüre, ist die Tübinger Krisis-Gruppe: „2004 hat sich die Krisis-Gruppe in zwei Lager gespalten. Das eine um Norbert Trenkle, Ernst Lohoff und Franz Schandl führt die Zeitschrift Krisis weiter, das andere und Robert Kurz und Roswitha Scholz hat sich um die Zeitschrift Exit gruppiert. Moishe Postones Beitrag wird ebenfalls in diesem Rahmen behandelt, da auch er als wichtiger Vertreter eines spezifischen Typus von ‚Wertkritik‘ gelten darf, der dem der ‚Krisis‘ inhaltlich nahe steht.“ (Elbe, Marx im Westen, a. a. O., S. 514, Fn. 3)

22

Einleitung

Materialism exzellente, ausführliche und propädeutische Analysen hervorgebracht und auch in Italien und den Vereinigten Staaten sind bemerkenswerte Entwicklungen zu beobachten. Alle theoriegeschichtlichen Anmerkungen dieser Einleitung sollen zum Verständnis der Genese der dialektischen Methode Marx’ beitragen. Diese Untersuchung verfolgt jedoch keine theoriegeschichtliche Darstellung einer methodologischen Fragestellung. Der vorliegenden Arbeit liegt die weitergehende These zugrunde, dass Marx mit der Thematisierung der einheitswissenschaftlichen kritischen Darstellungsmethode einen neuen wissenschaftlichen Aspekt beleuchtet, der zugleich die kategoriale Entwicklung der Marxschen Selbstreflexion widerspiegelt. Die Aktualisierung dieses Diskussionsstandpunktes ist auch mit Blick auf Lateinamerika ein drängendes Motiv für die Durchführung dieser Untersuchung. Die Kritik der vorherrschenden zeitgenössischen Interpretation einer „überhegelten“ Gesellschaftsformation enthält nicht zuletzt auch persönliche Motive. Gemäß dieser Aufgabe wird diese Arbeit programmatisch in fünf Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel enthält eine Zusammenfassung der methodischen Hintergründe in einer genetischen Rekonstruktion. Im zweiten Kapitel wird die Frühkonzeption der Herrschaftsdialektik als primäre Grundlage der Forschung für eine kritische Darstellungskonzeption beschrieben. Das dritte Kapitel untersucht den Gesellschaftsbegriff als Objekt der gesamten kritischen Darstellung, wobei die handlungstheoretischen Schnittpunkte zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Person herausgearbeitet werden. Im vierten Kapitel werden die Grundsätze und Methoden der Einheit von Kritik und Darstellung anhand der Wertformentwicklung beschrieben. Im fünften Kapitel findet sich schließlich die Beschreibung der Reichtumsformation als Vollendung der Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft. Innerhalb dieser Kapitel werden Unterkapitel und Unterabschnitte fortlaufend nummeriert und für interne Querverweise verwendet.

Kapitel 1

Zur Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur des Kapitals. Erste Elemente der Analyse Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Auf­ gabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik. K. Marx (MEW 1, S. 379) Die Dialektik ist aber weiter nichts als die Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengesellschaft und des Denkens. F. Engels (MEW 20, S. 131 f.)

In diesem Kapitel diskutieren wir die ersten Spuren einer bestimmten Darstellungsweise in Marx’ Kapitaltheorie. Wir werden hier die ersten Elemente der Theorie thematisieren, die im Marxschen Spätwerk die Setzung der Kategorien in der Kritik der politischen Ökonomie strukturieren wird. Dazu müssen wir erklären, weshalb Hegels Wissenschaft der Logik zur Erläuterung des Darstellungsproblems dient. Die Tragweite der Hegelschen Logik wirft die Frage nach der methodologischen Strukturierung der kritischen Darstellung des Kapitalwesens auf. Wir werden im Laufe des vorliegenden Kapitels die grundlegende Konfrontation der Marxschen Kapitalstruktur1 mit dem Hegelschen Werk thematisieren. Die ökonomische Methode von Marx und Engels wird oft als eine Sachlogik bezeichnet, die eine intersubjektive Art der Darstellung vorschlägt. Die Untersuchung 1 Wir werden im Laufe dieser Arbeit Ausdrücke wie „Kapitalstruktur“, „Kapitalbildung“, „Kapitalwesen“, „Kapitalherrschaft“ oder „Kapitalkritik“ verwenden, insofern wir eine starke Betonung auf das Kapital als Objekt der ganzen Analyse des Marxschen Werkes legen. Das Kapital oder die Kapitalform bestimmt die ganze Produktion und Reproduktion des bürgerlichen Reichtums als Entwicklung der Produktivkräfte in ihrer Totalität.

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

einer möglichen Dialektik von Herr- und Knechtschaft in der Phänomenologie des Geistes bietet nicht nur die Komponenten eines Dialogs mit den Marxschen Frühschriften über abhängige Herrschaftsverhältnisse, sondern auch für eine korrekte Lesart der Rolle der Herrschaft als Moment in der Generaldarstellung im Kapi­ tal. Für die Entwicklung der Grundfrage nach der kritischen Darstellung der Gesellschaftsformation müssen wir eine kontextuelle und hermeneutische Vorarbeit leisten. Das Ziel dieses Kapitels ist somit eine Skizze und eine organische Sammlung jener Begriffe, die wesentlich den Aufbau einer stabilen Verwirklichung der kritischen Abstraktionsweise im Spätwerk ausmachen. Die Wichtigkeit eines philosophischen Dialogs mit Hegelschen Termini sollte jedoch nicht einfach nur willkürlich behauptet werden, sondern korrespondiert mit der organischen Form der Gesellschaft im Kapital. Eine Bearbeitung dieser Begriffe erfordert also, die wesentlichen Einflüsse und Problemstellungen in unterschiedlichen Unterabschnitten zu klassifizieren. Wir erproben eine strategische Erläuterung in zwei Punkten: 1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung der politischen Ökonomie. 1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk. Die vorliegende Arbeit soll Klarheit in die viel diskutierte Mehrdeutigkeit von Frühbegriffen wie Herr- und Knechtschaft, Eigentum und Entfremdung bringen. Marx beobachtete, dass die Logik Hegels ein Instrumentarium bot, um seine eigenen Begriffe von metaphysischen Elementen zu befreien und einen entsprechenden Materialismus aufzubauen. Marx problematisiert dementsprechend das Kapital als eine Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse, die aneinander gekettet sind. Die Annahme einer Abstraktionsentwicklung von den „Zellenformen“ (Warenformen) bis zur gesamten kritischen Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft findet in Hegel ein klares epistemologisches Modell, welches nicht einfach zu imitieren oder zu kritisieren wäre, sondern die Aufgabe sei, die spekulative Philosophie „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. So schreibt er in einer weithin bekannten Passage im Nachwort zur zweiten Auflage des Kapital: „Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“2

Diese kritische Aufgabe an Hegels Logik ist nicht lediglich eine Frage des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern muss unter Zugrundelegung der rezeptionsgeschichtlichen Indizien auf eine kritisch-generative Methodendarstellung, die auf die Hegelsche Dialektik bezogen ist, zurückgeführt werden. Wir weisen aber sogleich darauf hin, dass unser Vorschlag keine einfache Parallelisierung beider Philosophen darstellt, sondern eine kritische Entwicklung, die zu einer entspre 2

MEW 23, S. 27. Herv. von P. P.

1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung 

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chenden materialistischen Epistemologie führt. Ziel und Anspruch dieses Kapitels ist somit eine programmatische Erzeugung relationaler Frühkategorien, die im Kapital eine Ausgangssituation des Austauschprozesses bilden. Eine exegetische Hermeneutik der Konflikte Marx’ mit der Theorie Hegels ist entscheidend für das Ergebnis einer möglichen Formulierung einer Entwicklung des Kapitalverfahrens als einer dialektischen Methodik. Dazu werden wir drei kurze Abschnitte in diesem vorliegenden Kapitel anbieten, die hilfreich sind, um die Genese dieser Problematik zu rekonstruieren. Im nächsten Unterabschnitt unternehmen wir eine historisch-philosophische Analyse der diskursiven Einflüsse, die als Quellen für die Gedanken des jungen Marx gelten.

1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung der politischen Ökonomie Die Fragestellung nach dem Ausgangspunkt der Analyse des Marxschen Darstellungs- und Dialektikbegriffs in seinem Spätwerk, vor allem in Das Kapital, stellt eine besondere Problematik dar. In der vorliegenden Arbeit verteidigen wir die Hypothese, dass Marx zunächst durch eine Abstraktion, den präzisen Begriff negativer Wirklichkeit in der modernen politischen Ökonomie erörtern will. Durch die kontinuierliche Bestimmung des Wertes eröffnet er dazu eine kritische Methode der politischen Ökonomie. Diese Methode ist aber eine kritische Verfahrensweise anhand der Kategorien und nicht lediglich eine Beschreibung des status quo der politischen Ökonomie. Unsere Untersuchung unternimmt eine Überprüfung der Möglichkeit eines dialektischen Aufbaus der Gesellschaftsstruktur. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war die hegelianische Prosa ein populäres Mittel im philosophischen Diskurs.3 Marx selbst benutzt diese Art von Begriffen sogar in einem kritischen Sinne. Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach fungieren so als primäre Hegel-Kenner, welche die Marxschen systemischen Frühgedanken nährten. Mit einer werttheoretischen Realabstraktion wird uns gesagt, dass die ersten Momente der Ware als korrekter Springpunkt4 der ganzen zu konkretisierenden Analyse des Kapitalwesens erscheinen. Unsere Darstellung will nicht einfach werttheoretische Grundlagenreflexionen paraphrasieren, sondern den philosophischen 3

„System“, „Struktur“, „Dialektik“, u. a. sind Begriffe, die Marx oft als Darstellungsmethode der kapitalistischen Gesellschaft verwendet. 4 Marx nach, sei der „Ausgangspunkt“ bzw. „Springpunkt“ seiner Kritik der politischen Ökonomie die Beschreibung des doppelten Charakters der Ware: Gebrauchs- und Tauschwert: „Ursprünglich erschien uns die Ware als ein Zwiespältiges, Gebrauchswert und Tauschwert. Später zeigte sich, dass auch die Arbeit, soweit sie im Wert ausgedrückt ist, nicht mehr dieselben Merkmale besitzt, die ihr als Erzeugerin von Gebrauchswerten zukommen. Diese zwiespältige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch nachgewiesen worden. Da dieser Punkt der Springpunkt ist, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht, soll er hier näher beleuchtet werden.“ (Ebd., S. 56).

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

Status des Marxschen Methodenbegriffes in den ersten Kapiteln des Kapitals darlegen. Das bedeutet, dass die Aufgabe dieser Arbeit ist, (i) die Frage nach der Möglichkeit, eine Methode und Darstellungsweise im Marxschen Spätwerk zu identifizieren; (ii) zu untersuchen, ob es eine zutreffende Verbindung mit den logischen Auffassungen Hegels gibt; (iii) die Quellen für die Umformulierung der Marxschen Früh- und Spätgedanken zu überprüfen. Die Darstellung der geschichtlich-philosophischen Hintergründe wird eine wichtige Aufgabe für die Rekonstruktion der Struktur der Kritik der politischen Ökonomie sein. Marx, Engels und ihre Zeitgenossen erlebten eine Epoche der politischen, ökonomischen und philosophischen Veränderung, gegenüber denen sie nicht gleichgültig blieben. Die Studentenzeit Marx’ in Berlin fällt mit der Blütezeit der Wirkungen des Hegelianismus in Deutschland – vor allem der Philosophie des Rechts (PhR)5  – zusammen. Der Linkshegelianismus nach Bauer, Stirner, Strauss und Feuerbach beeinflusste die frühen Gedanken des jungen Marx. Entgegen dieser Strömung gab Schelling noch immer Unterricht in der vakanten Berliner Stelle nach dem Tod Hegels, an welchem neben anderen großen Denkern auch Engels teilnahm. Die revolutionäre Atmosphäre hatte eine gravierende Wirkung auf den philosophischen Zeitgeist der unterschiedlichen politischen Positionen. Zweck des vorliegenden Kapitels ist es, einige Beobachtungen zum philosophischen Einfluss auf die Marxsche Denkweise zu identifizieren, um danach die Genese und Entwicklung der sogenannten dialektischen Darstellungsweise bei Marx im Spätwerk, spezifisch in den Grundrisse[n] der Kritik der politischen Ökonomie und Das Kapital zu erläutern. Die Entfaltung des Marxschen Grundgedankens vollzieht sich als eine kritische Auseinandersetzung mit der naturwüchsigen Darstellungsweise der Nationalökonomen des Wirtschaftswesens, insbesondere ist der Streit mit der  – zuerst von Ricardo vorgeschlagenen und dann von Smith bearbeiteten – Arbeitswerttheorie von Interesse für das Verständnis der Marxschen Methodenproblematisierung.6 Wir können aber noch andere philosophische Einflüsse, die oftmals in den Frühschriften kritisiert werden, erkennen. Darunter können wir einige Hauptquellen ausmachen, von denen wir vier besondere Strömungen erwähnen werden: (i) Die sogenannten Frühsozialisten, nach Marx „utopische Sozialisten“, (Owen, Sismondi, 5 Wir werden auf die Philosophie des Rechts mit dem Kürzel „PhR“ Bezug nehmen und nach der Theorie-Werkausgabe des Suhrkamp-Verlages (Eva Moldenauer und Karl Markus Michel (Hrsg.). Frankfurt a. M., 1970) zitieren. Auf die Phänomenologie des Geistes werden wir uns mit dem Kürzel „Phä“, auf die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften mit „Enz“ und auf die Wissenschaft der Logik mit „WdL“ beziehen. Wir zitieren mit Angabe der Bandzahl, wenn ein Werk aus mehreren Teilen besteht: z. B. WdL II, W 6, S. 301. Da sich die Angaben größtenteils auf Paragrafen beziehen, zitieren wir dazu den Paragraf mit der Abkürzung „§“: z. B. Enz I, W 8, § 103, S. 216. 6 Die (Arbeits-)Werttheorie fungiert als Ausgangspunkt der ganzen politischen Ökonomie für Smith und Ricardo als auch für Marx. Marx übernimmt diese Theorie, aber in einem stark kritischen Sinne. Vgl. Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1.

1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung 

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Fourier und Saint-Simon, u. a.)7, (ii) die kritische Philosophie Feuerbachs8, (iii) die damalige einflussreiche Schule der Nationalökonomen, vor allem Smith, Ricardo und Stuart Mill und (iv) die logische Begrifflichkeit der Hegelschen Philosophie. Es sei jedoch bemerkt, dass diese Hauptquellen sich in ihrer Wirkung auf die Marxsche Theorie elementar unterscheiden können. Man muss die in diesem Kapitel entworfenen vier Einflüsse auf bzw. Quellen für das Werk Marx’ im Rahmen der philosophischen Theorie skizzieren, um sich mit dem Anfang seines Denkens zu befassen. In gewisser Weise spielte sogar die griechische Philosophie, wie Epikur und die hellenistische Schule, eine wichtige Rolle für die Marxschen Frühschriften.9 Proudhon, den Marx in Das Elend der Philosophie (1847) energisch kritisiert, und Rousseau selbst, welchem er sich in der Kritik der Marktgesellschaft annahm, können außerdem als einflussreiche Literatur verstanden werden. Eine der zentralen theoretischen Fragen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, wie die Denkstruktur der Marxschen Theorie umformuliert und unter welchen Paradigmen die Interpretation der Texte von Marx und Engels klassifiziert werden können. Aus der Thematisierung dieser Denkstruktur entwickelten sich Richtungen verschiedener, gegeneinander streitender Schulen, wie z. B. der Positivismus oder die historische Schule. Aber wir müssen ebenso beachten, dass spätere kritische Interpretationen dieser methodologischen Frage hervorgetreten sind.10 Dieser Beitrag thematisiert jedoch nur die Einflüsse der spekulativen Philosophie Hegels, welche sich nicht auf einen positiven (formalwissenschaftlichen) Denkprozess beschränkt, sondern auf eine Kritik der logischmetaphysischen Bearbeitung abzielt. Im Hinblick auf das Spätwerk handelt es sich um eine Analyse der dialektisch-historischen Entwicklung der Produktionsverhältnisse,11 die einen Übergang von einem „unkritischen“ Bewusstsein (hier in Bezug auf den entfremdeten Arbeiter) zum Klassenbewusstsein darstellt, zur Selbstbe 7 U. a. beziehen sich diese Autoren geschichtlich auf die Ökonomiewissenschaft und bezeichnen sie als kontinuierlich-kategorische Entwicklungsstufe. Die utopischen Sozialisten hatten bei Marx und Engels zuerst das Problem des Klassenkampfes thematisiert, hatten aber das Proletariat nur als leidende, passive Stufe der Gesellschaft verstanden. Die Rolle der proletarischen Masse wurde rein auf eine Hoffnung der Glückseligkeit in Zusammenhang mit einem Arbeitskommunismus der Klassen eingeschränkt. Sie haben jedoch den Grundstein zum Arbeitskampf gelegt, den Marx und Engels später in der Produktionsweise des Kapitalismus und zum materialistischen Sozialismus betrachtet haben. 8 „Von Feuerbach datiert erst die ‚positive‘ humanistische und naturalistische Kritik. Je geräuschloser, desto sichrer, tiefer, umfangsreicher und nachhaltiger ist die Wirkung der ‚Feuerbachischen‘ Schriften, die einzigen Schriften seit Hegels Phänomenologie und Logik, worin eine wirkliche theoretische Revolution enthalten ist.“ (Man, MEW 40, S. 468) 9 Siehe: seine Promotionsarbeit an der Universität Jena 1841: Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange, MEW 40, S. 257 ff., oder die Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie, Ebd., S. 13 ff. 10 Es wäre zudem wichtig, die Lektüre des Comteschen Positivismus in Betracht zu ziehen, um die soziologischen Missverständnisse vor der Zeit Marx’ besser zu verstehen. 11 Wobei die Diskussion mit den Nationalökonomen bemerkenswert wichtiger für die Darstellung der Wertformentwicklung als die mit Hegel erscheint.

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

stimmung und Selbstentwicklung des Menschen als Arbeiter, als Verwandler der Natur im Rahmen des Bewusstseins. Obgleich die Theorie der sogenannten utopischen Sozialisten bzw. Frühsozialisten als Entwurf des späteren kommunistischen Programms von Marx angesehen werden kann, dienten sie in summa nicht als Grundlage der Produktionstheorie in seinen Hauptwerken. Sie waren jedoch die Denker, die den Begriff „Sozialismus“ entwickelten und etablierten,12 und stellten somit einen wichtigen Bezug zur emanzipierenden Bedeutung dar, welcher für Marx im Hegelschen System der Philosophie nicht besteht. Auf der einen Seite brachten sie ein geschichtlich-wissenschaftliches System zur Befreiung im Allgemeinen (Entwicklung des Begriffs der Geschichte als Auflösung der sozialen Widersprüche) hervor, auf der anderen Seite, die Darstellung einer notwendigen Thematisierung des früheren Kommunismus (u. a. Verteilung, Ordnungsweise der Institutionen). Für Marx verkörperten sie eine unklare Bemühung zur theoretischen Befreiung der Arbeiterklasse. Sie boten in diesem Sinne nur eine oberflächliche Restrukturierung der gesellschaftlichen Verteilung an, ohne an einen Begriff von Emanzipation des Menschen13 vom Wertdiktat der menschlichen Arbeit zu denken. Im Gegensatz hierzu, ist es zwingend zu konstatieren, dass Ludwig Feuerbach in hohem Maß – viel mehr als die utopischen Sozialisten – die Marxsche Lesart der Rolle des philosophischen Denkens in der Entwicklung der sozial-ökonomischen Produktionsphasen beeinflusste. Marx übernahm die Terminologie der Feuerbachschen Diskussion gegen den deutschen Idealismus und übte eine ähnliche Kritik an der Hegelschen Geistesphilosophie, eben so wie der „idealistische“ Gedanke14 im Rahmen der Religion kritisiert wurde.15

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Die ersten Nachweise dieser Begriffsbildung kann man in ersten Zügen im 18. Jahrhundert finden, wobei Rousseau dessen bekanntester Vertreter ist. Wir beziehen uns jedoch hier auf den um ca. 1830 entstandenen Sozialismusbegriff, der generell mit der Auffassung des gerechten Idealstaates der Frühsozialisten wie M. Hess, Saint-Simon, Fourier, Owen, u. a. verbunden ist. 13 Der Menschen- bzw. Personenbegriff ist eine wichtige definitorische Aufgabe, die im dritten Kapitel der vorliegenden Arbeit weiterentwickelt wird. Vgl. hierzu Kapitel 3.2. Dieses Diktat des Wertes über die Arbeit bildet eine der wichtigsten Herrschaftsrelationen im Spät­ werk. Im Laufe dieser Dissertation versuchen wir damit den Herrschaftsbegriff als Kern derselben Darstellungsformation zu erörtern. 14 Vom Standpunkt des historischen Materialismus unterscheiden Marx und Engels in ihren jungen Jahren das Unternehmen Hegels als objektiven Idealismus von dem subjektiven Idealismus der Junghegelianer. Eine detaillierte Darstellung dieses Problems wurde in Die deutsche Ideologie gegeben, vor allem im ersten Teil, S. 17 ff. 15 Bei Hegel muss die irreflexive und unmittelbare Verbindung der Identitätsform durch den Begriff, als weiterer Schritt des Erkenntnisprozesses, aufgehoben werden. Das heißt, man muss zum „Reich der Freiheit“ kommen. Das reine Sein gilt als Anfang und Substrat der logischen Entfaltung Hegels und muss durch den Ablauf der Übergänge negiert bzw. korrigiert werden. Weil das Sein unmittelbar strukturiert, unbestimmt und unartikuliert ist, muss die unbestimmte Unmittelbarkeit des Seins negiert werden, um die Wahrheit aufzubauen. Wie Hegel sagte: „Das Sein ist das unbestimmte Unmittelbare; es ist frei von der Bestimmtheit

1.1 Skizze der philosophischen Hintergründe der Marxschen Frühauffassung 

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Damit stellt Feuerbach eine Voraussetzung für Marx’ Konzept des dialektischen Materialismus16 dar. Man kann sagen, dass de facto ein großer Teil der politischen Kritik an Hegels Rechts- und Logiklehre aus Feuerbachschen Quellen stammt. Zuletzt wird die Beziehung der Hegelschen Philosophie zur Theorie der Produktionsweise bei Marx berücksichtigt. Hegel – vor allem der Jenaer Hegel –, von welchem Marx das methodologische Modell für den Aufbau dialektisch-kategorischer Zusammenhänge in den ökonomischen Produktionsverhältnissen, die Grundlage des Ableitens und die negierende Entwicklung des Klassenstatus übernahm, übte bemerkenswerterweise einen großen Einfluss auf die frühesten Schriften von Marx, d. h. den juristisch-philosophischen Marx, aus. Marx identifizierte in der Staatstheorie Hegels innerliche Gegensätze, die zuerst von Feuerbach bearbeitet worden sind. Feuerbachs Formulierung des Religionswesens gilt für Marx als Kern der Kritik des deutschen spekulativen Idealismus. Es ist bekannt, dass Feuerbach die Problematik der Religion als Produkt der begrenzten Vorstellung des Individuums (men­ talis ens) umformulierte. Das heißt, er anthropologisierte das Problem, das in der klassischen deutschen Philosophie deistisch betrachtet wurde. Das noch nicht gewordene Selbstbewusstsein lasse, Feuerbach zufolge, eine Umkehrung der menschlichen Eigenschaften in dem jeweiligen Gottesbild schildern. Die Idee Gottes stelle damit einen Ausgang des Volkes zur Auflösung der sozialen Unterdrückung dar. Die Religion erscheine dadurch als kontinuierliche abstrakte Spiegelung der materiellen Dynamik des Menschen und der Welt durch eine Verdopplung der Welt in Äußerlichkeit (metaphysisch) und Innerlichkeit (physisch). Obgleich Marx mit dieser Einstellung im großen Maße einverstanden war, bezieht er Stellung gegen die einfache Gruppierung des gesellschaftlichen Problems in der Kritik der religiösen Denkweise und gegen die neuhegelianische Anthropologie, mit denen Feuerbach die Religion als Problem des abstrakten menschlichen Bewusstseins durchdachte, ohne die geschichtlich-strukturellen Aspekte der Religion zu berücksichtigen. Anders als Feuerbach verstand Marx die religiöse Stellung als Bei-

gegen das Wesen sowie noch von jeder, die es innerhalb seiner selbst erhalten kann.“ (WdL I, W 5, S. 82) Das reine opake Sein wird durch den Begriff, der seinerseits mittels des negierenden Wesens transparent wird, aufgehoben. Diese Vorgehensweise der großen Logik wurde gewissermaßen in der Phänomenologie formuliert, wobei „die Vermittlung […] nichts anderes als die sich bewegende Sichselbstgleichheit [ist], oder sie ist die Reflexion in sich selbst, das Moment des fürsichseienden Ich, die reine Negativität oder, auf ihre reine Abstraktion herabgesetzt“ (Phä, Vorrede, S. 25). Das Wirkliche ist der Begriff in dem Maße, wie er, in seiner Selbstentfaltung (= Selbstkorrektur) das Widersprüchliche zwischen Sein und Wesen (seine Negativität) auflöst. Nun ist er, welcher die Negativität negiert, nicht schlechthin Zerstörung und Vernichtung des Seins, sondern Versöhnung bzw. als Wahrheit des Seins und Wesens. 16 Das Wort Materialismus wurde hier nur sensu lato angenommen, d. h. in dem Sinne der Umkehrung der Objekt-Subjekt-Dialektik im Vergleich zum klassisch-deutschen Idealismus. Eine Erklärung dieser „Umkehrung“ im Rahmen der Erkenntnistheorie resultiert in einer wissenschaftlichen Sachlogik. Betrachtungen dazu werden in den folgenden Kapiteln angeboten.

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

spiel für die Entgegensetzung seiner Konzeption einer bürgerlichen Gesellschaft mit dem Staatswesen.17

1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk Das Werk Hegels spielt innerhalb einer Vertiefung der Kritik der politischen Ökonomie unterschiedliche Rollen bezüglich der Entfaltung der Marxschen Begriffe. Die Berliner Philosophie des Rechts legte einerseits ein Fundament für das frühe Marxsche Denken, wobei Marx als Ausgangspunkt die wissenschaftliche Kritik des Idealismus, den er „Mystifikation“ nennt, dient. Obwohl Hegel selbst die Verbindung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat „nach dem Modell des Zusammenhangs von Reflexionslogik und Begriffslogik“18 fixierte, bezeichnete die Staatsphilosophie Hegels, dem jungen Marx zufolge, ein bürgerliches Verständnis der sozialen Klassenverhältnisse. Die Hegelsche Struktur des Staates läuft auf einen Akt der Transsubstantiation des Menschen im politischen Staat hinaus, ohne eine reale Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche zu ermöglichen.19 Die Phänomenologie war andererseits unzweifelhaft ein Kerntext für weitere Überlegungen Marx’. Die Figuren Herr und Knecht in der Sektion über das Selbst­ bewusstsein können mit dem Begriff des Marxschen Klassenbewusstseins und der Herrschaftsverhältnisse verbunden werden.20 Diese Formulierung liefert einen Marxschen Interpretationsschlüssel, mit dem die materiellen Widersprüche und die Entäußerung des Menschen im Allgemeinen enthüllt werden. Die Philosophie Hegels findet ihren Höhepunkt in der Struktur der „großen Logik“21 mittels der Entfaltung des Logischen als selbstdenkenden Denkens, welches Marx als Hilfsmittel 17

„Der politische Staat verhält sich ebenso spiritualistisch zur bürgerlichen Gesellschaft wie der Himmel zur Erde. Er steht in demselben Gegensatz zu ihr, er überwindet sie in der Weise wie die Religion die Beschränktheit der profanen Welt, d. h., indem er sie ebenfalls wieder anerkennen, herstellen, sich selbst von ihr beherrschen lassen muß.“ (MEW 1, S. 355). 18 Theunissen, Michael, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1978, S. 477. 19 Vgl. MEW 1, S. 282. 20 Obgleich daher Kojèves Interpretation der Herr-Knecht-Dialektik Hegels nicht als tragbare Darstellung der Phänomenologie im Sinne von hinreichender Klarheit der Begriffe gilt, muss man seine Arbeit als ersten Ansatz einer Theorie der hegelianischen Anerkennung und als Alternative zum orthodoxen Marxismus verstehen. Die Dialektik von Herr und Knecht bei Kojève reinterpretiert nicht nur die Absicht Hegels, sondern auch die des jungen Marx. Es ist weiter anzuerkennen, dass diese Lesart nicht der „emanzipatorischen“ Marxschen Auffassung widerspricht. Daher ist es nötig, eine kritische Darstellung dieser Problematik in der vorliegenden Behandlung einzuleiten, um diese Deutung, die im Paris der 1930er Jahren an der Sorbonne entstanden ist, besser beurteilen zu können. 21 Wie in der hegelianischen Tradition schon angenommen, nennen wir große Logik oder einfacher Logik die Wissenschaft der Logik und im Kontrast dazu, kleine Logik den ersten Teil der Enzyklopädie.

1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk 

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zur Rekonstruktion seiner eigenen methodologischen Vorgehensweise in der Ökonomiekritik für das Verständnis des Staatswesens und als Hintergrund für seine spätere Philosophie der Kapitalverhältnisse dient. Marx untermauerte Das Kapi­ tal (fortan: DK)22 durch einen philosophischen Dialog mit den epistemologischen Ansprüchen in der Logik Hegels und nahm die Figurenstruktur als Analogon für die allgemeinen Begriffe seiner Werttheorie.23 Mit diesen Hintergründen zur Hegelschen Philosophie kann die Untersuchung der theoretischen Bedingungen für Marx’ Denken in verschiedenen Bereichen beginnen.24 22

Wie bei Hegels Werken, werden wir die Werke von Marx und Engels mit Kürzeln bezeichnen. Wir werden uns auf die Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, auch als Pariser Manuskripte bekannt, mit dem Kürzel „Man“ beziehen und nach den MarxEngels-Werken (= MEW) des Dietz-Verlages (Institut für Marxismus-Leninismus (Hrsg.). Berlin, ab 1956) zitieren. Auf Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, auch als Kreuz­ nacher Manuskripte bekannt, werden wir mit dem Kürzel „KPhR“, auf Thesen über Feuerbach mit „The“, auf Die deutsche Ideologie mit „DI“, auf Zur Kritik der politischen Ökonomie mit „KpÖ“, auf Dialektik der Natur mit „DN“ und auf Das Kapital mit „DK“ Bezug nehmen. In dem Fall der Thesen über Feuerbach, die in nummerierter Form gegeben sind, zitieren wir die entsprechende Nummer der These: z. B. The III, MEW 3, S. 5. Nur die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (fortan: Grund.) werden wir nach allen wichtigen Ausgaben zitieren, nämlich: (i) Europa Verlag, Wien, 1941; (ii) dem 42. Band der MEW; und (iii) der zweiten kritischen Aufgabe von MEGA, Bd, II/1.1 unter dem Titel Ökonomische Manuskripte 1857/1858 benannt. Alle drei Druckfassungen differieren stark nach ihrer doxografischen Art. Ich werde mich hauptsächlich auf die Varianten des Textes (i) und (ii) beziehen und nur in notwendigen Fällen auf (iii). 23 Was es an der Logik im Kapital gibt, ist eine Fragestellung, die mit dem Hegelmarxismus des 19. Jahrhunderts anfing. Diese Problematik wird u. a. von Lenin und Lukács umformuliert. Das logische Verhältnis zwischen der Marxschen Werttheorie und der selbstreflexiven Logik Hegels erteilt eine Frage nach der Strukturentsprechung zwischen dem Logischen und dem Verwertungsprozess. Um die Verfassung des ökonomischen Gegenstandes (hier = die Ware, oder noch stärker die verkörperte, kristallisierte abstrakt-menschliche Arbeit unter der Produktion) als dialektisches Relatum des kapitalistischen Wirtschaftsmodells zu verstehen, müssen wir auf die Weiterführung des Hegelschen logischen Handlung abzielen. Der „kritische“ Marxismus stellt eine ökonomische Logik als Sachlogik dar, die auch Erkenntnisprobleme (als intersubjektive Logik) der Setzung und der Weiterentwicklung der ökonomischen Verwertung impliziert. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Werttheorie nicht nur mit dem Produkt verbunden ist, sondern auch mit einer kritischen Gesellschaftsdiagnose, d. h. mit einem Sachverhalt als gesellschaftlich-notwendige Verfassung des Wertes. Um einen deutlichen Vergleich zwischen Marx’ und Hegels Methodologie zu unternehmen, wäre es auch hilfreich zu berücksichtigen, dass Marx in den Pariser Manuskripten außerdem eine frühere Analyse über die Hegelsche Logik unternommen hat. In diesem Punkt stimmen wir mit der Interpretation Dieter Wolfs überein, insofern er den heutigen Anspruch denunziert, Marx von einer Hegelschen Logizität zu trennen. Der aktuelle Forschungsstand zur darstellungsorientierten Methodenproblematik ist häufig voller Vorurteile über den Forschungsstand „hegelianisierender“ Elemente bei Marx, sie verpasst so die Marxsche Adaptation einiger logischen Argumentationsweisen, welche aus dem Hegelschen Denken stammen. 24 Eine Analyse dieser Problematik, würde den Rahmen unserer Behandlung sprengen. Trotzdem müssen wir beachten, dass diese Verbindung zu erklären ist, um Das Kapital als umfassendes methodologisches System zu verstehen. In dieser Fußnote wollen wir die Diskussion allgemein skizzieren, um uns die Wichtigkeit dieses exegetischen Vergleichs vor Augen zu führen. Die Logik des Marxschen Philosophierens wird immer noch gemäß einer Logizi-

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

Mit den vorliegenden Betrachtungen sollen die Unterschiede, Einflüsse und Vergleiche ausgearbeitet werden, die die Verschiedenheit beider Autoren (Hegel und Marx) erkenntlich machen. Diese Aufgabe limitiert jedoch das grundlegende Ziel dieser Arbeit, d. i. die methodische Darstellungsweise im Marxschen Spätwerk, spezifisch im Kapital abzubilden und zu rekonstruieren. Dabei muss man sicherstellen, eine kritische Analyse anzuwenden, um auf diese Weise die gewöhnlichen, oftmals fehlgeleiteten Interpretationen zu vermeiden. Derzeit kann man in der spezifischen Literatur lediglich einige flüchtige und erratische Untersuchungen dieses Verhältnisses finden. Die Forschungslage zu den theoretischen Schnittmengen beider Denker hat nach und nach neue Rezeptionen hervorgebracht. Sowohl die hegelianische Doxographie als auch die marxistische, entwickelten neue weitgehende Analysen, welche in ihren Deutungen teilweise stark divergieren.25 Die Hegel-Marx-Spannungen begründeten während des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Missverständnisse in Bezug auf die Möglichkeit tät der ableitenden Kategorien untersucht, welche (diese Logizität) aus der WdL kommt. Viele Denker – u. a. M. Theunissen, D. Henrich, Chr. Iber, A. Arndt – thematisieren und bearbeiten diesen vergleichenden Bereich. Im Moment gibt es verschiedene Lesarten, die den epistemologischen Einfluss der großen Logik auf Das Kapital unterstreichen. Die Mehrheit der Autoren, die einen hegelianisierenden Zugang zum Marxschen System der Ökonomie wählen, vertreten die Meinung, dass die ökonomischen Kategorien in DK auf der Lehre vom Wesen basieren, weil DK als Realisierung eines Moments der negierenden Reflexion interpretierbar sei. Diese Interpretationen haben bisher in unterschiedlichen Ergebnissen geführt (Autoren wie J. Zelený und H. Fink-Eitel teilen sie). Es gibt außerdem eine Schule, die DK als Instanz der WdL liest, d. h. dass jede Kategorie einer anderen der Lehren der WdL entspricht (z. B. E. Dussel, Chr. Arthur). Die Affirmation dieser korrelativen Entsprechung unterliegt jedoch zahlreichen Problemen, weswegen diese Stellung nicht vollständig entwickelt wurde und sich auf einen theoretischen Vergleich zwischen der Seinslehre und dem Produktionsprozess des Kapitals beschränkt. Eine relativ neue Lesart beschäftigt sich mit einer Interpretation der Marxschen ökonomischen Produktionsverhältnisse als Begriffsverhältnisse. Im Gegenteil zur „Dialektisierung“ der Marxschen Wirtschaftslehre, gab es die Oxforder Schule (u. a. G. Cohen und E. Wright) der 70er Jahre, die versuchte, einen analytischen Marxismus zu entwickeln, d. h. ohne den Zusammenhang einer hegelianischen Wirkung auf den Marxschen Ablauf der Ökonomie. Eine weitere Erklärung dieser Schule ist aber nicht Thema dieser vorliegenden Untersuchung. 25 Um nur einige davon zu nennen und die vielfältigen Interpretationen zu erwähnen, die von Hegel und Marx kommen, empfehlen wir die folgenden Werke (unter zahlreichen Einführungen, Studien, Untersuchungen und Wörterbücher): Über die Hegel-Rezeption sind Hegels Erbe – Eine Einleitung (Halbig, Christoph et al. (Hrsg.). Suhrkamp, Frankfurt a. M., 2004); The New Hegelians: Politics and Philosophy in the Hegelian School (Moggach, Douglas (Hrsg.). Cambrige University Press, Cambridge, 2006, vor allem SS. 200–260); Der französische He­ gel (Schneider, Ulrich Johannes (Hrsg.). Akademie, Berlin, 2007) und Ludwig Sieps Artikel „Wandlungen der Hegel-Rezeption“ (in Zeitschrift für philosophische Forschung, Nr. 38, Heft 1 (Jan.- Mär., 1984), SS. 111–122) gute Annährungen. Über die Marx-Rezeption sind Ingo Elbes Marx im Westen (a. a. O.); Christoph Hennings Philosophie nach Marx. 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik (Transcript, Bielefeld, 2005) und Jan Hoffs Kritik der klassischen politischen Ökonomie. Zur Rezeption der werttheoretischen Ansätze ökonomischer Klassiker durch Karl Marx (PapyRossa, Köln, 2004) akkurate Sammlungen der heutigen Interpretationen seines Denkens.

1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk 

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einer theoretischen Erbschaft Hegels auf Marx. Man konstatiert die Grenzen der dialektischen Darstellungsweise im Kapital, wenn man die Symptome der intentionalistischen Lesarten mit Bezug auf den Forschungsstand dieser Beziehung erkennen kann. In der Reduktion und Subsumtion einer Philosophie auf die andere besteht der häufigste Irrtum. Die hegemonialen Deutungsmuster der sowjetischen Schule des Marxismus betonen das argumentative Potential der Marxschen Darstellungsmethode, aber beinhalten auch eine Menge von Missverständnissen, Etikettierungen und Dogmatisierungen des gesamten Marxschen Korpus in der Konfrontierung mit der Hegelschen „Dialektik“.26 Kollegen in Deutschland, England und vor allem in Frankreich haben einerseits einige sorgfältige Exegesen über die methodologische Ökonomiekritik verfasst, die bisher noch immer die Interpretation der Marxschen Systematisierung der Kategorien beeinflussen. Im engen Zusammenhang mit dem Verzicht auf dogmatische Positionen darf andererseits der Marx-Leser die methodische Auffassung der Hegelschen Logik weder als Grundlage der darstellungsorienterten Struktur des Kapital, noch als dessen exegetisches Erkenntnismodell reduzieren. Die Marxschen und Engelsschen Schriften wurden durch die Hegelsche Logik beeinflusst, insbesondere in der Art und Weise ihrer begrifflichen Abbildung der ökonomischen Kategorien – wie bereits erwähnt, vor allem der Werttheorie, die die Kategorie als verdinglichte bzw. versachlichte Form der sozialen Produktion versteht – sowie die Kritik an der Systematizität des kapitalistischen Formalismus. Die außerordentliche Nähe beider kritischer Methodologien verpflichtet keineswegs zur Annahme der These, es gebe eine intentionale Eins-zu-eins-Umsetzung der spekulativen Denkstruktur auf die abstrahierte Ökonomiekritik. Derartiges theoretisches „Durchbuchstabieren“ verlässt die Marxsche Umkehrung der ökonomischen Abstraktionsformen und verwandelt sie in eine bloß instanziierte Realphilosophie. Eine solche Aufgabe ist im Marx-Engels-Werk nirgendwo zu finden. Josú Zabaleta ist diesbezüglich der Meinung, den Wert als Vermittlungsprozess zu lesen, bei welchem z. B. die Geldform (= Preis) als Inbegriff der Kategorie des Maßes gelten kann, oder anders ausgedrückt, das Selbständige des Wertes (= die Ware) als Einheit des Qualitativen und des Quantitativen27 des Wertes bzw. als Wertausdruck, d. i. Vorstellung des Wertes28 definiert werden kann.29 Eine Lek-

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Wie in unserer Einleitung erwähnt, machen wir einen Unterschied zwischen den Dialektikbegriffen von Marx und Hegel. Ein häufiger Fehler der sowjetischen und hegelmarxistischen Tradition war es, die spekulative Methode Hegels auf reine Dialektik zu reduzieren. 27 WdL I, W 5, S. 387 ff. 28 MEW 23, S. 70 ff. 29 Diese Art von Beispielen findet man bei Josu Zabaletas „Dinero como lo singular universal. Una lectura del concepto de dinero en Marx desde la categoria de Medida de Hegel“ (in Bajo Palabra, Bd. 2 N° 5, Universidad Autónoma de Madrid, Madrid, 2010). Der Charakter des Geldes wird hier als konkretes Allgemeines bzw. als für-sich-bestimmte Einheit verstanden. Genauso kann die allgemeine Wertform (MEW 23, S. 79) als Reihe von Maßverhältnissen (WdL I, W 5, S. 416 ff.) definiert werden, wobei:

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

türe der Wissenschaft der Logik kann so von großer Relevanz für die Strukturierung der Marxschen Ökonomiekritik sein, aber keineswegs eine vorgeschlagene Ersatzlogik. Eine konstante hegelianische Fehllektüre bezüglich der Rolle des Logischen als programmatischer Korrektur der Ökonomiekritik führt zu einer oberflächlichen Lesart seitens vermeintlicher Marx-Kenner. Die Einschätzung des HegelMarx-Verhältnisses wird historisch verfälscht, wenn der systematische Marx als schematischer Anwender der logischen Bewegungsmuster Hegels reduziert wird. Gegen diese Position reklamiert u. a. Theunissen: „Wir erleben heute das, würde Hegel sagen, ‚sonderbare Schauspiel‘, daß gut zur selben Zeit, zu der die von Marx kritisch dargestellte Gesellschaftsformation nach einer langen Phase scheinbarer Krisenfestigkeit sich umzuwälzen beginnt, der wir ein Bewußtsein von wesentlichen Gründen des Umwälzungsprozess verdanken, zunehmend mehr wie eine Antiquität ohne aktuelle Relevanz behandelt wird. So ist es denn auch bei den bürgerlichen Philosophen wieder Mode geworden, Marx einer oberflächlichen Rezeption Hegels zu bezichtigen […] Ja, im 19. Jahrhundert war Marx vielleicht der einzige, dem aufgegangen ist, worauf die Hegelsche Logik in materieller Hinsicht hinaus will.“30

Es ist zu zeigen, dass die Systematik, die dem spekulativen Verfahren der Lo­ gik innewohnt, als ein Werkzeug zur Erklärung des ökonomischen Widerspruchs in Bezug auf den Begriff des Besitzes im Kapital agiert. Einseitige Rezeptionstendenzen laufen aber Gefahr die Aufgabe der ganzen bürgerlichen Gesellschaftsdiagnose zu missdeuten, wenn diese Systematizität in Reduktionismus übersetzt wird.31 ­Einige Hegel-Kenner sind der Auffassung, dass die Logik und die Rechts-

allgemeine Wertform: Übergang zur Geldform: = 20 Ellen Leinwand = 2 Unzen Gold (→ × Geld) × Ware A… ½ Tonne Eisen Das Selbständige des Wertes (= Ware) erscheine, Zabaleta nach, nur mit seinem Ausdruck als fixierte Erörterung des Maßverhältnisses, d. h. Maßeinheit. Die Ware wird in der Geldform vorgestellt. Wir erkennen, dass hiermit eine Lektüre nach der Hegelschen Logik jedenfalls zu plausibilisieren ist. Die Aufgabe muss aber kritisch unternommen werden, und nicht als Identifizierung dieser Kategorie als Reproduktion einer spekulativen Form. (vgl. Zabaleta. „Dinero como lo singular universal“, a. a. O., S. 18). 30 Theunissen, Sein und Schein, a. a. O., S. 474. Herv. von P. P. Die Worte Theunissens denunzieren einen common place in der philosophischen Tradition: Marx zuerst als „Kopist“ der Hegelschen Gedanken in einer ökonomischen Sprache zu interpretieren und zweitens die Relevanz der Logik in der Marxschen Auffassung der Gesellschaftsformation hervorzuheben. Wir distanzieren uns aber von seiner Lektüre der Marxschen Methodologie. Autoren wie Theunissen, Fulda oder Heinrich skizzieren eine Interpretation durch eine sehr starke hegelianische Philosophie. Eine derartige Lesart betrachten wir als akzeptabel, aber vermeiden gleichzeitig, diese hier zu reproduzieren. Für eine derartige Kritik an diesen Autoren, mit denen wir in großem Maße übereinstimmen, vgl. Wolf, Dieter, Der dialektische Widerspruch im Kapital. VSA; Hamburg, 2009, in seiner Einleitung, vor allem ab S. 14 ff. 31 Um dies präziser zu fassen, werden wir die Passage Eric Weils Marx et la philosophie du droit in Hegel et l’État zitieren. Sein Essay beginnt mit der folgenden Vorbemerkung: „Bien que la littérature traitant des rapports de Marx à Hegel soit d’une importance numérique énorme,

1.2 Rekonstruktion der frühen Marxschen Auseinandersetzung mit Hegels Werk 

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lehre Hegels durch die Marxsche Deutung missinterpretiert wurden. Viele dieser Denker gehen dabei von der marxistischen Lesart in den 20er und 30er Jahren aus. Ein Beispiel davon ist die (phänomenologische) Interpretation von Ramón Valls Plana.32 Zwar gibt er einen detaillierten Kommentar und eine treffende Lesart des Begriffs des Ich und der Rolle des Bewusstseins bei Hegel ab, bleibt aber gleichzeitig bei einer oberflächlichen Kritik am Konzept des Bewusstseins bei Marx. Wie andere Autoren folgte auch Benedetto Croce einer karikativen Interpretation der Beziehung zwischen Marx und Hegel, wie es für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts üblich war. Croce bereicherte die Interpretation der Hegelschen Philosophie, verlor sich aber mit seiner Kritik am Marxschen Bewusstseinsbegriff oft in erra-

elle comporte, à notre connaissance et dans les langues qui nous sont accessibles (c’est-à-dire, surtout à l’exclusion du russe), peu de travaux de détail et peu de recherches se heurte dès le début à de grosses difficultés: vivant dans une atmosphère hégélienne, reprenant la lecture des œuvres hégéliennes toujours de nouveau, considérant Hegel comme la dernier philosophe, Marx et Engels présupposent partout une connaissance de Hegel qui ne se rencontrait déjà plus lorsqu’ils étaient arrivés au zénith de leur influence. Les critiques qu’ils adressaient à Hegel sont donc rapidement devenues incompréhensibles et, à peu d’exceptions près (tels Plékhanov ou Lénine), les marxistes se sont contentés de répéter ces critiques sans se demander quelle en était la portée, ce que ces critiques laissaient debout du système hégélien, ce qu’elles établissaient même comme principe de toute critique qui pourrait prétendre être ’à la hauteur’. L’incident Liechtenstein, dont nous avons parlé plus haut, en fournit une illustration“ (Librairie philosophique J. Vrin, Paris, 1950, S. 105. Herv. von P. P.). Im Kontext dieses Verweises wollen wir anmerken, dass diese Affirmation, die als Grundstein des Philosophierens verstanden wird, bereits von Engels fixiert wurde. Es gibt zahlreiche Beispiele von vulgären Deutungen der Hegelschen Theorie durch frühere marxistische Lektüren. Eines dieser Missverständnisse stammt etwa von André Piettre, welcher die Methodologie Hegels schlechthin mit einem rationalistischen Pantheismus verwechselt (vgl. Piettre, André. Marx et marxisme. Presses Universitaires de France, Paris, 1973, 20 ff.). Eine weitere gewöhnliche Lesart der Marxisten des 20. Jahrhunderts (vor allem, der sogenannte orthodoxe Marxismus) besteht darin, die Hegelschen Termini des Wesens der Dialektik mit denen von Fichte oder Feuerbach zu vermischen (vgl. Ebd. S. 49; auch Hyppolites Lektüre ist ein Beispiel für diese Verwechslung). 32 Valls Plana, Ramón. Del yo al nosotros. Lectura de la Fenomenología del Espíritu. Estela, Barcelona, 1971. Hier entwickelte der Autor eine berühmte kritische Analyse in der spanischen Literatur zur Phänomenologie des Geistes. Nach Valls Plana, gelte die Phänomenologie als Maßstab und Voraussetzung der „kontinuierlichen“ Entwicklung des Bewusstseins für das idealistische Denken, d. h. als (i) Entfaltung des absoluten Wissens und (ii) als konstitutiver und wesentlicher Teil des logischen Systems. Er wollte die Phänomenologie als notwendige Auffassung des Wissens wiederherstellen und diese nicht nur als Vorbegriff bzw. dunkle Skizze der Logik ablesen. Ausgehend von diesem Urteil kommentiert und kritisiert Valls Plana (unserer Meinung nach zu Recht) Kojèves Lesart der Rolle der Phänomenologie, welcher die Position vertritt, „dass klar und suggerierend ist, aber einseitig und deswegen falsch. Kojève projiziert auf Hegel seine eigene marxistisch-heideggerianische Denkweise und damit zerstört er das innerlichste Einheitszentrum der Phänomenologie“ (Valls Plana. Del yo al nosotros. a. a. O.; S. 15 f. Herv. und Übers. von P. P. Im Original: „que es clara y sugerente, pero unilateral y por lo mismo falsa. Kojève proyecta sobre Hegel su propia mentalidad marxista-heideggeriana y de esta manera destruye el centro de unidad más íntimo de la Fenomenología“).

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Kap. 1: Grundfrage der methodischen Darstellungsweise und Generalstruktur  

tischen Exegesen.33 Nach Croce, habe das Marxsche System mit seinem Emanzipationsbegriff die sozialen und ökonomischen Widersprüche zu einer Philosophie des Progressismus geführt. Da er davon ausgeht, dass das Marxsche DialektikModell auf „orthodoxe“ Reformulierung der Hegelschen Philosophie34 hinausläuft. Er ignoriert aber die Übereinstimmung von Hegel und Marx darin, dass die Geschichte nicht nur äußerlich (Historie als „Faktensammelei“) aufzufassen bzw. fassbar ist, sondern, dass sie einerseits als Gewordenes (und nicht als Gegebenes) verstanden werden muss, und andererseits, dass bei Marx der Ursprung ihres materialistischen Begriffs in den sozialen Einflüssen (als gewordener Prozess) und in den entwickelten Verhältnissen gesucht werden muss. Anders ausgedrückt: Marx versteht die Geschichte als gesellschaftliche Entwicklung der menschlichen Verhältnisse, wo die moderne Geschichte als Entwicklung gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse überhaupt interpretiert wird.35 Entgegen dem „progressistischen“ Denken muss diese ökonomisch-kritische Widerspruchsauflösung noch immer als Aufhebung der vorreflexiven Thesen in der Sphäre der bürgerlichen Ökonomie verstanden werden. Für das Postulat des Aufbaus einer nicht-bürgerlichen Gesellschaftsform ist es unabdinglich, zuerst die materiellen Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft zu problematisieren. Die Marxsche positive Frühphilosophie eines kommunistischen Gesellschaftsmodells fällt mit dem Aufbau einer kritischen 33

Ein Eindruck davon ist in seinem ersten Kapitel seines Materialismo storico ed economia marxistica (Editori Laterza, Bari, 1973, SS. 1–19) zu gewinnen, wo Croce eine starke Kritik am Marxschen „gefährlichen“ Geschichtsbegriff übt. 34 Benedetto Croce, zusammen mit Giovanni Gentile, waren einige der stärksten Kritiker des jungen Marx aus einer hegelianischen Sicht. Croce qualifiziert mehrmals die Marxsche Interpretation als eine „scholastische Orthodoxie“ der Hegelschen Methode („L’ortodossia hegeliana di Marx“, in Quaderni della ‚Critica‘ diretti da B. Croce, Nr. 8, Juli 1947, S. 6). In Deutschland waren Hermann Glockner, Richard Kroner und Theodor Litt die bekanntesten Kritiker einer Marxschen Interpretation der Logik Hegels. 35 Die Produktionsverhältnisse wirken auf die Struktur einer Gesellschaft überhaupt und die Produktionsweise des materiellen Lebens und dessen Relata (als politische, kulturelle, u. a. Verbindungen bzw. dialektische Momente der ökonomisch-gesellschaftlichen Termini). Andere Präzisionen des Begriffes der Geschichte in der Einleitung von KpÖ (MEW 13, S. 8 f.): „Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenz-bedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktions-prozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.“

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Darstellung des kapitalistischen Ökonomie-Modells zusammen. Solche Konstruktionen, die im Kapital nur in der Form einer Gesellschaftskritik erscheinen, hängen von einer Erörterung der immanenten36 Subjektbeziehungen ab. Wenn Marx vom Kommunismus als gesellschaftlicher Aufhebung des kapitalistischen Produktionsorganismus in einem Revolutionsprozess spricht, muss man diesen Prozess in diesem Kontext einer begrifflichen Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche verstehen, die einen entsprechenden Bewusstseinsbegriff implizieren. Materielle Prozesse benötigen subjektive Erkenntnisansprüche, die reale gesellschaftliche Gegensätze identifizieren. So ist die Erkenntnis der grundlegenden Widersprüchlichkeit auf Grund der kapitalistischen Produktionsweise sogleich der Schlüssel zu deren Aufhebung. Wie auch Marx in Theorien über Mehrwert37 erklärt, ist es der gesellschaftlich-notwendige Bewusstseinsbegriff, der die materielle Abschaffung kapitalistischer Gesellschaftsform ermöglicht. Mit diesem Hintergrund ist die immanente, genetische Struktur determinierend für alle Erkenntnis eines jeden Bewusstseins.38 Diese Anmerkung legt die Frage nahe, worin Marx jeweils den epistemologischen Mangel und Reichtum in der logischen Darstellung Hegels sieht. Um eine vergleichende Untersuchung beider Philosophen zu unternehmen, müssen zuerst die theoretischen Elemente dieses Vergleichs gesetzt werden. Diese minima criteria der Vergleichshandlung sind zudem eine Voraussetzung aller weiteren Untersuchungen dieser Arbeit und sollen den ersten Schritt darstellen, um allzu vereinfachende Lesarten zu vermeiden. Unterschiedliche marxistische Strömungen entwickelten bisher gegenseitige Auslegungen bezüglich der erkenntnistheoretischen Ansprüche in der Marxschen Frühtheorie, vor allem in Bezug auf die Rekonstruktion des Verhältnisses dieser Auffassung anhand der darstellungsorientierten Spätphilosophie Marx’. Von einem materialistischen Humanismus (Bloch, Mondolfo, Garaudy) bis zu einer strukturalistischen Theorie (Althusser, Balibar, Poulantzas) existieren starke Differenzierungen über das Hegel-Marx-Verhältnis in Bezug auf die Gesellschaftsformation. Im Grunde genommen liegt die Wurzel dieses Interpretationsunterschiedes in einer rekonstruktiven Subjektsauffassung. In diesem Kapitel wollen wir weder eine triviale Verteidigung der Marxschen Theorie, noch eine marxistische Lektüre ausgehend von den Texten Hegels wiedergeben. Das Ziel dieser Behandlung besteht darin, methodologisch eine solche oberflächliche Auslegung zu vermeiden. Eine Zusammenstellung beider entsprechenden Methodologien würde nach jetzigem Stand nichts Neues hervorbringen, insofern die theoretischen Lücken bei Marx 36 Nach der Deutung von Ortega y Gasset wird die Marxsche Struktur „intrahistorisch“ verstanden, im Gegenteil zu einer „transhistorischen“ Geschichtsauffassung (vgl. Ortega y Gasset, José, Hegel. Notas de estudio. Hernández, Domingo. (Hrsg.), Abada, Madrid, 2007, S. 145 f., Fn. 51). Wir folgen der Marxschen Terminologie in diesem Fall und bevorzugen den Begriff „immanent“, eben weil er sowohl eine inhärente Eigenschaft, als auch die mögliche Entgegensetzung zur Transzendentalphilosophie betont. 37 MEW 26.2, S. 261 f. 38 Vgl. KpÖ, MEW 13, S. 8 f.

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und die Aufgaben des Marxismus nur als ein reiner praktischer Neuhegelianismus gedacht werden. Im Zusammenhang damit, kann man sagen, dass „Hegel zu ‚marxifizieren‘ oder […] Marx zu ‚hegelianisieren‘ kein ungewöhnliches, sondern weit verbreitetes Unternehmen darstellt.“39 Bei der folgenden Analyse werden wir daher Acht geben, die Gedankengänge von Hegel und Marx stabil40 abzulesen. Die Notwendigkeit dieses Vergleichs liegt darin, genetische Maßstäbe für unsere Erläuterung der methodischen Darstellungsweise bei Marx zu setzen. Dieses Vorhaben ist nur dann möglich, wenn die entsprechenden Kategorien beider Philosophen nicht entstellt werden. Dennoch werden wir beachten, dass eine präzise kritische Auseinandersetzung einen Vergleich der Marxschen und Hegelschen Systeme der Philosophie voraussetzt. Somit werden wir hier die genetische Spekulation einer möglichen doxographischen Analyse einiger Begriffe wie Erscheinung, Wesen, Darstellung und Methode beginnen, welche ein Hauptthema dieser Untersuchung ist. Dafür sollte zuerst die Vorgehensweise geklärt werden. Diese kann als eine analogische Erforschung der entsprechenden Philosophien auf zwei Weisen durchgeführt werden. Die folgenden Punkte können dazu dienen, die Unterschiede in der Entwicklung ihrer philosophischen Systeme zu analysieren und eine hermeneutische Arbeit bzw. eine gegenüberstellende Analyse der Methode der Texte zu leisten: (i) Die erste exegetische Auseinandersetzung betrifft Marx’ sogenannte Pariser Manuskripte (1843–1844) und Die deutsche Ideologie (1845–1846), sowie Hegels Phänomenologie (1807) als Hauptwerke, um das Verhältnis der unterschiedlichen Erkenntnis-Modelle zu untersuchen. Diese korrelativen Werke systematisieren ungleichartig die Rolle des Bewusstseins in Bezug auf die Charakterisierung der Menschengattung. Marx übt jedoch Kritik an der „Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt“41, indem er die methodologischen Ansprüche des Hegelschen Erkenntnis-Modells als mystifizierte Denkformen einordnet. Die frühe Marxsche Kritik lässt eine offene Tür für die Identifizierung von Schnittmengen, die in der Erläuterung des frühen Herrschaftsbegriffes zu finden sind. Bei Marx, in der Wiederherstellung des Konkreten selbst, also der bürgerlichen Gesellschaft, lassen sich die Widersprüche der unmittelbaren Subsumtion der kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse aufdecken; diese programmatische Darstellung in der Form 39

„‚marxificar‘ a Hegel o… ‚hegelizar‘ a Marx […] no sería cosa muy extraña dado que tales operaciones están muy difundidas.“ Bovero, Michelangelo, „El modelo hegeliano-marxiano.“, in: Bobbio, Norberto / Bovero, Michelangelo, Sociedad y Estado en la filosofía moderna. El modelo iusnaturalista y el modelo hegeliano-marxiano. Fondo de Cultura Económica, Buenos Aires, 2000, S. 131. Bei diesem Vorgehen handelt es sich um eine Erklärung der philosophischen Methodologie Marx’, welches für das spekulative Denken tatsächlich Gültigkeit besitzt. Man darf aber die grundlegende Ausrichtung beider Philosophien nicht unberücksichtigt lassen. 40 Wir werden in dieser Arbeit den Terminus „stabil“, im epistemologischen Sinne von „stark“. Das wird bezeichnen, wenn eine Theorie adäquat ist. 41 Vgl. Man, MEW 40, S. 568 ff.

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einer Kritik an der unbestimmten Klassenordnung des Kapitalismus (bei Marx Aufhebung des knechtischen Bewusstseins42) zeigt Übereinstimmungen mit der kritischen Darstellung des (Selbst)Erkennens. Die starke Kritik von Marx an der deutschen Philosophie konzentriert sich auf einen Reformationsbedarf der epistemologischen Ansprüche der Selbstständigkeit der philosophischen Aufgabe. Marx zufolge müsse eine materialistische Philosophie Elemente aufgeben, um eine gewisse Widersprüchlichkeit zu übergehen. Für den jungen Marx ist die Auflösung dieser Widersprüche möglich nur in der Aufhebung der Herrschaft der bürgerlichen Klasse, wobei die Versöhnung nur mittels der (produktiven) Arbeiterklasse realisierbar ist. Diese Eingliederung, diese Subsumtion der herrschenden Klassen in das Proletariat fungiert als Anerkennung des Menschen in seiner Klasse. Marx’ Diagnose zu Hegel lässt sich etwa so paraphrasieren: die Identifikation der Herrschaftsverhältnisse der modernen Gesellschaft findet eine epistemologische Reflexion in der spekulativen Architektonik der Phänomenologie des Geistes, aber gleichzeitig erfordert dieses Werk eine materialistische Korrektur der rein spekulativen Abstraktionsweise. Um die genannte Identifizierung durchzuführen, muss erst die dialektische Dynamik43 zwischen den beiden Momenten, Natur und Mensch, geklärt werden: einerseits die menschliche Natur (Objekt) und andererseits der natürliche Mensch (Subjekt). Damit können die Unterschiede der entsprechenden spekulativen Konzepte identifiziert und eine Marxsche „Antwort“ auf Kojèves Begriff des Herrschaftsverhältnisses formuliert werden, d. h. die Theorie der Marxschen Subsumtion als Korrelat der Hegelschen Selbstbewusstseinslehre zu verstehen. (ii) Die zweite mögliche Auseinandersetzung besteht in einer Parallaxe zwischen der Philosophie des Rechts (1821) und deren Marxschen Kritik (1843–1844).44 Die Philosophie des Rechts wird hier für die Analyse herangezogen, weil in ihr die logische Methodologie von Hegel im Rahmen der Rechtsverhältnisse übernommen wird.45 Marx zufolge ist die Staatsform Hegels eine Folge der bürgerlichen 42

Man benutzt diesen Terminus, um das falsche Vorbewusstsein des Arbeiters (individuum) zu benennen. Der Arbeiter, der sich noch nicht selbst als Hauptteil der Produktionsweise bzw. als subjektives Hauptelement zur Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse mittels des Klassenbewusstseins (genus) anerkannt hat. Dieses Bewusstsein gehört der Sphäre des Herrschaftsverhältnisses an, worin eine institutionelle, gewordene und asymmetrische Verbindung der gesellschaftlichen Akteure beobachtet werden kann. 43 Siehe: nächster Abschnitt. 44 Dazu muss die entsprechende Einleitung (1844) betrachtet werden, welche später geschrieben wurde. Diese Parallaxe stellt den klassischen Vergleich zwischen Marx und Hegel dar, weil Marx hier selbst eine Korrektur und Kritik an den letzten Paragraphen der PhR (insbesondere an der Staatslehre) vornahm. Es ist wesentlich zu bemerken, dass die Lektüre Marx’ auf das Rechtswesen Hegels im großen Maße der Erwiderung des hegelianischen Juristen Eduard Gans entspringt. 45 Diese „Übernahme“ lässt sich aber hier grob als eine Aufeinanderfolge der begrifflichen Bestimmungsentwicklung verstehen. „Auf keiner dieser Ebenen erfolgt der Fortgang nach einem direkt aus der ‚Logik‘ zu beziehenden, vorgefertigten Schema. Vielmehr organisieren sich die Bestimmungen der ‚Logik‘ nach Prinzipien, die sich aus der Natur und Entwicklungsrichtung des Geistes ergeben; und sie werden inhaltlich von der Theorie des Geistes aus neu

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Entwicklung der Freiheit überhaupt auf Grundlage der Rechtfertigung des bürger­ lichen Wesens (seiner Regierung, seiner Souveränität). Am bedeutendsten für Marx sind die Elemente der Systematisierung des Politikwesens, die er der Hegelschen Rechtslehre entlehnt. Das Hegelsche Rechtssystem funktioniere, nach Marx, als eine solche Struktur der „politischen“ Kategorien. Es handelt sich daher nicht mehr um eine Darstellung der Natur des politischen Systems selbst, sondern mehr um eine kritische Darstellung der politischen Erscheinungsformen der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Das wirkliche Interesse beim jungen Marx liegt nicht allein auf Staatsformation, sondern auf der Kritik an der vorherrschenden politischen Doktrin der liberalen Ökonomen.46 In diesem Kontext kritisiert Marx den Mangel einer Sachlogik bei Hegel, welche diese Kritik erlauben könnte. Kurz gefasst: „Hegel gibt seiner Logik einen politischen Körper; er gibt nicht die Logik des politischen Körpers“.47 Die Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie Marx’ dient als ein Gegensatz zur Beurteilung der Hegelschen staatlichen Politik,48 wobei die einfache Identität zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat abgelehnt werden muss: „Diese Identität ist nach Hegel selbst sehr oberflächlich, ein mixtum compositum, eine ‚Mischung‘. So oberflächlich diese Identität ist, so scharf ist der Gegensatz.“49 Die Herausforderung von Marx ist, die moderne politischen Konzeption zu „dehegelianisieren“, d. h. einen Schritt in der „Verfassung“ des politischen Wissens vom bürgerlichen Staat – damit auch des Staats im Stil der linkshegelianischen Philosophie der Gesellschaft – zum Materialismus überzugehen. In diesem Kontext erwähnen wir, dass die entgegengesetzte Entzweiung der bürgerlichen Gesellschaft und des Staats als Modell für die Begründung der kritischen Darstellung der eigenen Marxschen Gesellschaftsformation zu rekonstruieren ist. Zusammenfassend halten wir methodologisch die folgende duale Problematisierung fest: Der Punkt (i) ist als Stufe der Entfaltung oder Veräußerung des theoregedeutet.“ (Fulda, Hans, „Zum Theorietypus der Hegelschen Rechtsphilosophie“, in: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Heinrich, Dieter / Horstmann, Rolf-Peter (Hrsg.). Klett-Cotta, Stuttgart, 1982, S. 423, Fn. 35). 46 Domenico Losurdo zufolge, sei diese Kritik eine Kritik am „liberalen Holismus“, welcher auch in Hegels Rechtswesen zu finden ist. (Siehe: Marx e il bilancio storico del Novecento. Diotima, Neapel, 2012, S. 41 f. und auch Hegel e la libertà dei moderni. Riuniti, Roma 1992, Cap. VII–VIII). 47 KPhR, MEW 1, S. 250. Marx nimmt bereits seit seinen Frühschriften Hegel als Logiker ernst. Die Bezeichnung wird bis zur Verfassung des Kapital, wo Marx Hegel als „Springquelle aller Dialektik“ (MEW 23, S. 623) versteht, gültig sein. In diesem Punkt kann man den theoretischen Ursprung der Marxschen Widerspruchsauffassung biografisch nachvollziehen. 48 PhR, W 7, § 257 ff., S. 398 ff. 49 KPhR, MEW 1, S. 251. Polemisch ausgedrückt, hier in Bezug auf die Möglichkeit jedes Bürgers, ein Staatsbeamter zu werden (PhR, W 7, § 291, S. 460 f.): „Die Identität, die er ­[Hegel] zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat konstruiert hat, die Identität zweier Heere, wo jeder Soldat die ‚Möglichkeit‘ hat, durch ‚Desertion‘ Mitglied des ‚feindlichen‘ Heeres zu werden und allerdings beschrieb Hegel damit richtig den jetzigen empirischen Zustand“ (KphR, MEW 1, S. 253).

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tischen Systems eines Erkenntnis-Modelles zu verstehen und der Punkt (ii) zeigt eine Begründungsproblematik der Realisierung der Vernunft, welche bereits die Ableitungsweise ihres Gegenstandes (Recht) für die politische Philosophie assimiliert hat. Beide sind grundlegend, um die darstellungsorientierte Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft im Marxschen Spätwerk zu verdeutlichen. Der Schwerpunkt liegt darin, dass Marx keine Gleichsetzung einer (möglichen) „Philosophie der Politik“ und der „Politik“ anstrebt,50 um den Missverständnissen zwischen Praxis und Theorie der Praxis51 vorzubeugen. Hier handelt es sich nicht lediglich darum, die Handlung der politischen Strategien zur Materialisierung selbst zu skizzieren, sondern vielmehr darum die Basis der Praxis, d. h. die Elemente für eine Auflösung der politisch-ökonomischen Widersprüche als begriffliche Analyse zu fixieren.52 Es mag sonderbar erscheinen, dass die größten Werke (WdL und DK) 50 Das ist keine postmarxistische Bemerkung. Die Politik als Hauptproblem bei Marx muss als instanziiertes immanentes Moment der Naturbeherrschung der sozialen Produktionsordnung überhaupt verstanden werden. Diese „Realisierung“ wird aber in der Regel nicht teleologisch verstanden. Trotzdem muss man bei der Bezeichnung „Politik“ darauf achten, sie nicht unmittelbar als Überbau zu verstehen, da eine solche Interpretation zur positivistischen Lektüre der sozialen Verbindungen führt. 51 Mit diesem Begriff korrigiert man die Vorstellung der Marxschen Aufgabe von Joachim Ritter als simple „Philosophie der Revolution“ (vgl. Ritter, Joachim. Hegel und die Franzö­ sische Revolution. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1989, S. 13 ff.). Das heißt, die ganze Aufgabe Marx’ bietet eine Theoretisierung des Übergangs zur Emanzipation und Praxis überhaupt und nicht nur als Praxis des Übergangs zur Emanzipation als solcher: Die Emanzipation gehört der Praxis selbst an. Für eine weitere Präzision der Praxisdebatte siehe: Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich,  Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis. Karl Alber, Freiburg / München, 2018, SS. 76 ff. 52 Diese Absicht Marx’ entspricht im großen Maße, vor allem den Hauptwerken: Das Ka­ pital (I: ¹1867, II: 1885 und III: 1894), Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), die Grundrisse (1850–9) Die deutsche Ideologie (1845–6) und Zur Kritik der politischen Öko­ nomie (1859). Bei Hegel kann man jedoch nicht so einfach sagen, dass er ein Werk schrieb, welches eine Theorie der Praxis widerspiegelt (möglicherweise kann man so etwas wie eine kritische Aufgabe der politischen Tätigkeit in dem noch kantischen unveröffentlichten Pamphlet Die Verfassung Deutschlands finden). Es wäre falsch die „emanzipatorische“ Fragestellung des Marxismus in Hegel als Hauptquelle zu projizieren. Die politische Behandlung Hegels ist nicht reduzierbar auf eine politische Absicht de facto und – noch weniger – der ökonomischen Produktionsverhältnisse. Sein Werk beschränkt sich teilweise auf logische Denkbestimmungen im Rahmen der Politik, die in der Wissenschaft der Logik als Methode der Ableitungsweise der Kategorien überhaupt abgelesen werden können. Das Unternehmen der Hegelschen Logik will eine Darstellung der Bestimmung des sich entwickelnden Denkens bzw. Selbstbestimmungen des Logischen als solches sein, wobei die Dialektik auch einen Teil ausmacht. Die Darstellung Hegels darf aber nicht mit einer vulgären bzw. gewöhnlichen Logik verwechselt werden, sondern muss als Selbstkorrektur (im doppelten Sinn, als Auflösung des Unmittelbaren und als Aufbau des Begriffs) der Vorstellung (als thematisierte vortheoretische Stellung) verstanden werden. Anders ausgedrückt, „alles, was es gibt, ist in den Augen Hegels eine Weise der Realisierung des Begriffs“ (Sans, Georg, „Hegels Schlusslehre als Theorie des Begriffs“, in: Arndt, Andreas et al. (Hrsg.), Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Akademie, Berlin, 2006, S. 231). Nach dem ersten Zitat Theunissens, bestehe die vernünftige Aufgabe Marx’ auch in der Materialisierung der dargestellten logischen Sphäre Hegels im Rahmen der Kritik an den geschichtlich-notwendigen Produktionsverhältnissen des Kapitalismus. Marx’

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beider Autoren, mit denen sie sich einen beträchtlichen Teil ihrer theoretischen Arbeit beschäftigten, in der bisherigen Untersuchung nicht behandelt wurden. Diese beiden Werke bleiben dennoch nicht unberücksichtigt, sondern was hiermit hervorgehoben werden soll, ist die erhellende Verbindung der beiden Spätwerke Wissenschaft der Logik und Kapital in den genannten Punkten. Diese Werke repräsentieren das culminum der jeweiligen Gedankenlogik als System und Kategorienlehre. Die marxistische Sekundärliteratur streitet noch immer über die wirklichen Grundlinien zwischen der kritischen Darstellung der politischen Ökonomie und der kritischen Darstellung der selbstdenkenden Denkformen. Die WdL beschreibt, hier grob skizziert, eine immanente Kritik der klassischen Metaphysik anhand der Behandlung der Denkformen, die eine systematische, subjektlose Ideenbildung, während DK eine gesamte Lehre und kritische Darstellung der ökonomisch-politischen Verhältnisse anbietet. Auf diese Weise muss Das Kapital als Darstellung der begrifflich-ökonomischen Entfaltung und darüber hinaus als Kritik des wirtschaftspolitischen Formalismus verstanden werden. Die Entfaltung des modernen „Kapitals“ überhaupt besteht in einer Entwicklung der Produktions- und Zirkulationsweise im Kapitalismus und seiner ökonomischen Produktionsverhältnisse, d. h. die gesellschaftliche Notwendigkeit in den entwickelten Produktionsphasen, die in der Regel die Klassengesellschaft durch Akkumulation des Kapitals umformen.53 Nach Marx, verschaffe die Hegelsche Logik, die theoretischen zufolge, müsse man dazu die Elemente zur Aufhebung dieser Verhältnisse denken, die sich in einem Klassenwiderspruch manifestieren. Anders ausgedrückt, alles, was es gibt, ist in den Augen Marx’ eine Weise der Realisierung des Inbegriffs. Die vernünftige Natur der Marxschen Philosophie entspringt größtenteils dem Problem der Denkstruktur Hegels. Er fixiert jedoch die Verwirklichung des Vernünftigen nicht in dem Begriff, sondern in dem Übergang von der Philosophie selbst zur materiellen Aufhebung. 53 Das wird Thema unseres vierten Kapitels sein. Trotz der Bedeutung des Marxismus für die Nachwelt, kann man die Produktionsphasen nicht mit Hegels Gedanken ohne Reinterpretation des Marxschen Zweckes verbinden. Das Kapital zeigt die programmatische Bemühung einer kritischen Darstellung der Konkretisierung bzw. Verdinglichung der kapitalistischen Widersprüche. Man darf aber daraus nicht ableiten, dass, obwohl die Darstellung der Selbstentwicklung des Kapitals im Kapital angereichert ist mit Passagen über die Philosophie Hegels, dass Das Kapital einfach eine Realisierung der absoluten Idee darstellt bzw. Teil des „ungeschriebenen“ Hegelschen Gedankens sei. Die Kritik Marx’ ist weit entfernt von der absoluten Idee als zirkulierender bzw. realphilosophischer Wiederherstellung des Begriffs in der Identität. Obgleich das Marxsche Vorhaben ein kritisches ist, wäre es zu kurz gegriffen, das als Wiederherstellung oder Nachfolgedisziplin des Kantianismus gegenüber der Hegelschen Philosophie zu verstehen. Deswegen kann man mit der Position der kantisch-marxistischen Schule, aus welcher u. a. Karatani kommt, nicht darin übereinstimmen, wenn sie feststellt: „Capital reveals the fact that capital, though organizing the world, can never go beyond its own limit. It is a Kantian critique of the ill-contained drive of capital / reason to self-realize beyond its limit.“ (Karatani, Kojin, Transcritique. On Kant and Marx Cambridge, MIT Press, 2003, S. 9, Zitat in: Slavoj Žižek, The parallax view. MIT Press, Cambridge / Massachusetts, 2006, S. 84). Die Marxsche Begrifflichkeit impliziert auf keinen Fall eine Folge des schematisierten Gedankens Kants und gleichermaßen auch keine einfache Folge bzw. Spiegelung der Selbstrealisierung der absoluten Idee Hegels. Karatani – beeinflusst durch die „ökonomisierende“ Schule von Marburg, Cohen, Natorp, Adler und vor allem durch den Neukantianismus Vorländers (vgl.

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Elemente für die Versöhnung der Form mit dem Inhalts im Sinne einer gesellschaftlichen Vernunft. Für das frühe Marxsche Vorhaben, dienen die logischen Ansprüche Hegels als bearbeitende Thematisierung des Wissens als ein theoretisches Werkzeug zur Auslegung einer Sachlogik und deren entsprechende realisierende Praxis. Diese Philosophie beinhaltet einen theoretischen Schlüssel für die materielle Aufhebung der sozialen Widersprüche und, wie bemerkt werden kann, verstärkt sie die Plausibilität, einen Schluss von einer politischen Folge aus dem Logischen selbst zu ziehen. Marx dokumentiert auch in seinem Spätwerk diese Absicht Hegels in seiner spekulativen Verkehrung des Objekts und Subjekts54, um das Vernünftige zum Materialen bzw. zum Konkreten verändern zu können. Er re-interpretiert in einer kritischen Weise die aufhebende Selbstkorrektur des Denkens (Logik) – im doppelten Sinne von Vernichtung und Aufbau – als Selbstkorrektur der ökonomischen Produktionsverhältnisse und deren Praxis. Mit diesen Hintergründen können wir vorläufig festhalten, was die frühe Orientierung der Marxschen Untersuchung zugleich will: (i) eine kritische Gesellschaftsdiagnose in einem philosophischen Raum (als praktisch-historische des Lebensprozesses), (ii) die Darstellung einer möglichen Aufhebung und Zerstörung der herrschenden kapitalistischen Wertproduktion in einem politischen Bereich und (iii) eine stabile Verdinglichung (= Konkretisierung) des emanzipatorischen Denkens. Dieses Denken differiert stark zu seiner späteren Auffassung einer kritischen Darstellung der Gesellschaftsformation. Wir werden in den folgenden Kapiteln auf die Rekonstruktion dieser Darstellung kapitalistischer Gesellschaftsformation (= Vergesellschaftung) eingehen. Der erste Schritt dieser Rekonstruktion ist eine Auseinandersetzung des Marxschen Herrschaftsbegriffes mit der Hegelschen HerrKnecht-Dialektik, welche wir im nächsten Kapitel durchführen werden.

Kant und Marx. Ein Beitrag zur Philosophie des Sozialismus. Mohr, Tübingen, 1911¹) – liest Das Kapital einerseits als kritische Aufgabe einer analytischen Transzendentalphilosophie des Kapitals und als moralisches Phänomen, das in der Erfahrung überprüft werden müsse. Dieses Argument der Verifikation des Marxismus in der empirischen Realität wurde später von Popper übernommen, um die ganze Theorie in Verruf zu bringen. Nicht wenige Theoretiker stimmten den Aussagen der Relevanz von Kant über die Problematik der Aufhebung der kapitalistischen Widersprüche zu, u. a. Habermas, Balibar und Althusser. Letzterer wollte die ganze Philosophie der Wissenschaft als gesamten Einheitsorganismus des Wissens auflösen. Unserer Meinung nach geht die Denkweise Marx’ von der logischen Methode aus, wobei er nicht nur eine Dialektik für die Kategorisierung findet, sondern die Produktionsverhältnisse in Bezug auf die allgemeinen Formen der gesellschaftlich-notwendigen Produktionsprozesse (= Arbeit) verstand. Er ergriff die Elemente zur Aufhebung des sozialen Status mittels des Klassenkampfes. Das Resultat dieses Klassenkampfes ist keine Prüfung der Analyse der kapitalistischen Kategorien, sondern eine Korrektur der sozialen Widersprüche ohne Rückkehr. Vor dieser kantischen Stellung war die Hegelsche Verteidigung von Adorno, Horkheimer, Marcuse und der französischen Schule Hyppolites bekannt. 54 Marx zufolge, repräsentiere die Dialektik Hegels eine „Entmystifizierung“ des Denkprozesses (vgl. MEW 23, S. 27 f.).

Kapitel 2

Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel: Die Herr-Knecht-Dialektik als grundlegendes Element der Methodenbildung Die Produktivität des Kapitals besteht zunächst […] in dem Zwang zur Mehrarbeit, zum Arbeiten über die unmittelbare Bedürftigkeit hinaus, einem Zwang, den die kapitalistische Produktionsweise mit früherer Produktionsweise teilt, aber in einer der Produktion günstigeren Weise ausübt, vollbringt. K. Marx (MEW 26.1, S. 366)

Die Hegelsche Logik1 wird oft als ein Instrument, um die Struktur der Rechtsphilosophie verständlich zu machen, genutzt.2 Die Logik plausibilisiert die Real 1

Vgl. Enz, § 377. Es ist erforderlich den Begriff „Logik“ mit den Worten des Autors begreiflich zu machen. Dafür sollte man die Passage Enz I, W 8, § 79, S. 168 lesen: „Das Logi­ sche hat der Form nach drei Seiten: α) die abstrakte oder verständige, β) die dialektische oder negativ-vernünftige, γ) die spekulative oder positiv-vernünftige. Diese drei Seiten machen nicht drei Teile der Logik aus, sondern sind Momente jedes Logisch-Reellen, das ist jedes Begriffes oder jedes Wahren überhaupt …“ Hegel zeigt die „näheren“ Aspekte der Logik die in einer Einheit der drei Momente besteht. Diese Einheit besteht aber nicht schlechthin in Aggregaten oder Stufen, sondern in einer operativen Entfaltung aus dem Gegebenen der Erkenntnis (das reine Sein) zum Reich des Begriffs, wobei das Abstrakte, das Dialektische und das Spekulative als Präzisionsprozesse der Sache selbst zu verstehen sind. Dieser Prozess ist eine Aufhebungsbestimmung, in dem die Form der Präzisierung des spekulativen Verlaufs dient. Ausgehend von dieser Berücksichtigung versteht man die Logik als Bearbeitung und Korrektur der unmittelbaren Gedankenstruktur: „The task of philosophy, for Hegel – in particular that of the Logic – is to free us from such possible misunderstanding and to render our theoretical and practical activity more intelligent and clear-headed by determining in a rigorous and disciplined way how the basic categories of thought are to be conceived.“ (Houlgate, Stephen, The opening of Hegel’s Logic. Purdue University Press, Indiana, 2006, S. 11). Jedes Moment der Logik wird durch diese Bearbeitung als abhängige Phase der Erkenntnis selbst verstanden und deshalb ist jedes notwendig in seiner entsprechenden Begrenzung zu begreifen, womit das Dritte immer in der Identität die anderen Faktoren aufhebt. In diesem Sinne sind die Momente Sein und Nichts, am Anfang der WdL, also dasselbe bzw. gleichwertig (Sein = Nichts) in dem Maße, wie die gesetzte Identität die Einheit des Werdens selbst ist (als conti­ nuum). Diese Identitätsaussage scheint widersprüchlich zu sein, aber dieses Resultat (das Aufgehobene) zeigt, wie unmöglich es ist das Sein unkonkret als Ungewordenes zu denken. Die Aufgabe der Hegelschen Logik sei keine „einfache“ adaequatio rei et intellectus, sondern eher umgekehrt eine darstellungskritische Organisation und Strukturierung der Ontologie: so kann die „Realisierung“ des Begriffs verstanden werden. Die Logik sei in Hegels Sicht eine Wissenschaft des reinen Denkens, die radikal kritisch mit dem metaphysischen Dogmatismus ist.

Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel

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philosophie in 2Kerngedanken verschiedener darzustellender Momente. Die Begriffsbildung der Logik ist das Gerüst zur Selbstrealisierung der absoluten Idee in den unterschiedlichen Formen der realphilosophischen Gedanken. Im Gegenteil dazu präsentiert sich die Phänomenologie systematisch als eine intendierte Darstellung des individuellen menschlichen Geistes, sie ist aber kein erratischer grober Vorbegriff der Logik. Die Geistphilosophie steht in Verbindung mit einer Rekonstruktion verschiedener konkreter Momente der logischen Idee.3 Die „Umformung“ der logischen Idee, die die Philosophie des Geistes anbietet, findet in ihren spezifischen Erkenntnisfragen eine umfangreiche Behandlung des Wissens.4 So können wir betonen, mit den Worten Hegels in der zweiten Hälfte der Einleitung der Phä, dass, die Phänomenologie des Geistes als „Darstellung des erscheinenden Wissens vorgenommen werden“5 und definiert werden soll. Die Phä ist im Grunde genommen eine Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, die das Immanente und Aprioristische der Phänomena systematisiert: als Ich-Bearbeitung der im Raum und Zeit begrenzten Erscheinung. Die unterstellte Logizität des Werkes fördert eine Wissensorientierung des Subjekts in Form einer methodischen Lehre. Diese phänomenologische Lehre deutete Marx in seinen Frühkommentaren über die 2 Über die relative Autonomie der PhR in Bezug auf die WdL können wir hier dreierlei behaupten, i) dass die Rechtsphilosophie einen spezifischen philosophischen Wert hat, ii) dass dieser spezifische Wert wiederum die Notwendigkeit eine erkenntnistheoretische Methodik benötigt und iii), dass die Anerkennung einer erkenntnistheoretischen Methodik einen systematischen Totalitätsbegriff voraussetzt. Zu diesem Thema siehe: Pippin, Robert, „In What Sense is Hegel’s Philosophy of Right „Based“ on His Science of Logic?“, in: Hegel’s Political Philosophy: On the Normative Significance of Method and System. Brooks, Thom / Stein, Sebastian. Oxford University Press, 2017; Narváez León, Angelo, Hegel y la economía mundial. Crítica y génesis de la economía política del colonialismo. EUV, Valparaíso, 2019, SS. 73–80 und Giusti, Miguel, „¿Se puede prescindir de la Ciencia de la Lógica en la Filosofía del Derecho de Hegel?“, Areté, XXV, Nr. 1, 2013. 3 Die Diskussion über das Verhältnis der Phänomenologie und der Logik ist eine der reichsten in der hegelianischen Tradition. Wir sind in der Lage, „dieses Verhältnis aus der Perspektive der Logik [zu] sehen, man kann es aber auch aus der Phänomenologie betrachten.“ (Horstmann, Rolf-Peter, „Der Anfang vor dem Anfang Zum Verhältnis der Logik zur Phänomenologie des Geistes“, in: Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik. Koch, Anton Fr. et al. (Hrsg.), Felix Meiner, Hamburg, 2014, S. 43). Einige wichtige Quellen zum Diskussionsstand kann man finden in: Fulda, Hans Friedrich, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Klostermann, Frankfurt, 1965 und, mit einem klar differenzierten Standpunkt, Pöggeler, Otto, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Karl Alber, Freiburg, 1973 sowie Trede, Johann Heinrich, „Phänomenologie und Logik. Zu den Grundlagen einer Diskussion.“ in: Hegel-Studien 10, Felix Meiner, Hamburg, 1975, SS. 173–209. 4 Die Verbindung beider Werke wird hier nur grob dargestellt, um die innerliche Beziehung zu charakterisieren. Nichtsdestotrotz ist die Diskussion über die Bedeutung der Phänomeno­ logie in folgenden drei Punkten zu resümieren: (i) als didaktische Einleitung bzw. Hinführung (nicht argumentative) zum System; (ii) als system-externe selbständige Variante des ganzen Systems und (iii) als erster Bestandteil des Hegelschen Systems, welche den Rechtfertigungscharakter teilen. Wenn wir von „Umformung“ der Phänomenologie durch die Logik sprechen, beziehen wir uns auf die Variante (iii), welche erlaubt, die phänomenologische system-interne Deutung als Teil der einheitlichen metaphilosophischen Begründung anzusehen. So vermeidet man die mögliche Verdoppelung der epistemischen Explikationsformen. 5 Phä, W 3, S. 71.

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Wissenschaft um, bis zu einem Dissens mit der organisch-systematischen Abstrak­ tionsweise. Im Folgenden werden wir aber nicht auf die ganze Deutung Marx’ dieses Werks eingehen, sondern wir werden uns auf seine („hegelianische“) Frühauffassung der Herrschaftsproblematik konzentrieren, insofern sie als hilfreiches Element für die Erklärung der darstellungsorientierten Rolle des Herrschaftsbegriffes agiert, den wir in unserem dritten Kapitel ausarbeiten werden. Aufgabe dieses Kapitels ist eine konsequente Präsentation der Marxschen (Um) Deutung dieses Werks Hegels in Bezug auf die Verbindung von Herrschaft und bürgerlicher Gesellschaft. Das Korrektiv der starken Marxschen Kritik ist aber keine doxographische Korrektur des Phänomenologie-, Logik- oder Rechtsphilosophie-Programms,6 sondern übernimmt einige Elemente als hinreichende Spur für seine Systematik. Der Zusammenhang der Marxschen Frühmanuskripte mit diesen Werken liegt daher besonders nahe, um die Marxschen Gedanken nicht nur als Entwurf einer rein hegelianischen Korrektur Hegels, sondern auch als Assimilation einiger epistemologischer Ansprüche zu werten. Diese Interpretation müssen wir aber auf der einen Seite als fehlgeleitet verstehen. Marx würdigt sie als eine enorme philosophische Leistung Hegels. Die innerliche Verbindung beider Philosophien läuft aber Gefahr, Missdeutungen anheimzufallen, wenn beide Systeme auf eine künstliche Koinzidenz der Abstraktionsformen reduziert werden. Das ist etwas, das wir nicht ohne Widerrede hinnehmen können. (Frühe) Rechts- und Praxisformen bei Marx verbinden epistemologische Korrekturen der Hegelschen Auffassung, jedoch nicht als Parallaxe oder einfache Übernahme systemischer Formen. Marx will keine Verdeutlichung der Hegelschen Abstraktionsweise vornehmen. Die Verwendung der spekulativen Logik in seiner eigenen methodologischen Position ist nicht allein als biografisches Element zu verstehen. Er nutzt im Gegensatz dazu die Hegelsche spekulative Wissenschaft als kritische Formendarstellung seiner eigenen materialistischen Wissenschaftsdarstellung. Auf der anderen Seite müsste ebenso unstrittig sein, dass die Marxsche „Koketterie“7 mit 6 Die Philosophie des Rechts erlaubt ihrerseits die Konstruktion und Entwicklung des äußeren Rechtsbegriffs im Bereich der Denkstruktur zu unternehmen, d. h. sie ist auch dahingehend zu interpretieren, dass die Idee des Rechts, die auf eine objektive Weise auf sich selbst zurückkehrt, die Verfassung der Wirklichkeit an und für sich in einer normativen Lage darstellt. Die spekulative Bearbeitung der Rechtsphilosophie erstreckt sich ihrerseits auf drei andere Momente, nämlich abstraktes Recht, Moralität und Sittlichkeit. Die bürgerliche Gesellschaft sei, der späteren Auffassung Marx’ nach, der Grundstein der ganzen Staatsformation. Der Staat wird notwendigerweise von der Konstitution der modernen kapitalistischen Gesellschaft hergeleitet. Dieser Punkt markiert einen interessanten Konflikt des Hegel-MarxVerhältnisses und demonstriert die Art der Abstraktionsform der Marxschen Sachlogik bzw. eigentümlichen Logik. Um dennoch der Methodologie der vorliegenden vergleichenden Analyse der Texte von Marx und Hegel zu folgen, werden die Schritte der theoretischen Figuren des Herren und des Knechts bei Hegel (vgl. Ebd., S. 145 ff.) mit der Marxschen Begrifflichkeit verglichen (vgl. Man). Eine solche Analyse wird aber in diesem Kapitel nicht unternommen. Das Ziel dieses Kapitels ist die Darlegung der Herrschaft in Bezug auf Subjektbeziehungen, nicht auf der Staatsform. 7 Marx verwendet den pauschalen Terminus „Koketterie“ im Sinne einer näheren Beziehung zur Dialektik und Methode Hegels im Kapital. Vgl. MEW 23, S. 27. Schumpeter u. a. re-

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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den Hegelschen Werken sich nicht nur auf eine eingeschränkte, vereinfachte Terminologie begrenzt. Eine logisch-systematische Lektüre à la Althusser versteht häufig unnötig die Marxsche Systemphilosophie im Vergleich mit der Hegelschen Methodenbildung, wohingegen Marx’ Ausführungen über das Kapitalwesen als selbsterklärendes System zu begreifen sind.8 Mit den folgenden Unterabschnitten wollen wir jedoch zeigen, dass die Marxsche Gesellschaftsformation9 eine kritische Darstellung einer Methodenreflexion konstruiert, welche bereits in den Frühmanuskripten als Kritik an der Hegelschen Metaphysik zu finden ist. Wir müssen dann wiederum die Hintergründe der Frühverbindungen in diesem historiographischen Kapitel analysieren. Dafür werden wir folgende Punkte bearbeiten: 2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Marxschen Frühauffassung der HerrKnecht-Dialektik. Kritischer Überblick. 2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Marxschen Frühauffassung der Herr-Knecht-Dialektik. Kritischer Überblick10 Ein Blick auf das Hegelsche System. Man muß beginnen mit der Hegelschen Phänomenologie, der wahren Geburtsstunde und dem Geheimnis der Hegelschen Philosophie. K. Marx (MEW 1, S. 379)

In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das von Hegel konzise untersuchte Problem der Dialektik der Herrschaft und Knechtschaft bzw. der Herr-Knecht-Dialektik im Zuge der Marxschen Philosophie wieder aufgenommen. Marx selbst basierte duziert aber die Marx-Hegel-Verbindung allein auf eine „kokettierende“ Lexikographie: „Marx liebte es, von seinem Hegelianismus Zeugnis abzulegen und die Hegelsche Ausdrucksweise zu gebrauchen. Das ist aber auch alles. Nirgends hat er die positive Wissenschaft an die Metaphysik verraten“ zitiert nach Rosdolsky, Roman, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital. Bd. 1. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurter a. M. 1968, S. 8. 8 Althusser und Balibar sind der Meinung, man könne nicht so viel aus der Umkehrung der Dialektik Hegels in Marxschen epistemologischen Ansprüchen interpretieren. In Lire le Capital (Bd. 2, Librairie François Maspero, Paris, 1969, S. 211 f.) lehnen sie jede methodologische Verbindung zwischen beiden Denkern ab. Für einen ausführlichen Überblick siehe: Fineschi, Roberto, Marx e Hegel Contributi a una rilettura. Carocci, Roma, 2006, pp. 89–118 9 Hauptsächlich nach den unterschiedlichen Auffassungen der Kritik der politischen Öko­ nomie, also beim späten Marx. 10 Ein Vergleich zwischen dem jungen Marx und der Phänomenologie Hegels wurde mehrmals von den französischen Hegelianern unternommen. Wir stimmen mit dieser Interpretation nicht überein, insofern sie eine politisch-interessierte Anthropologisierung der Hegelschen Problematik bildet. Man sollte trotzdem an den Weg zur Kritik der Dialektik des Herren und Knechts denken, die Hegels Stellung zur Theorie der Praxis wiederherstellen lässt und folgend

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seine frühere Theorie in gewisser Weise auf dieser Dialektik als einem Ausgangspunkt zur emanzipatorischen Betrachtung der Kapitalverhältnisse. Diese Dialektik, die in dem Abschnitt über das „Selbstbewusstsein“ der Phänomenologie formuliert wurde, ist bis heute für viele Hegel-Kenner von Bedeutung und gleichsam für viele Marxisten. Im Prinzip brachte die Nutzung dieser dialektischen Figuren (Herr und Knecht) einerseits eine maßlose Überschätzung oder Überinterpretation über die Rolle der Herrschaftsverhältnisse in der Marxschen Auseinandersetzung, andererseits eine (mögliche) Verfälschung der Zwecke Hegels und Marx’ in Bezug auf die Bewusstseinsproblematisierung hervor. Trotz dieser Warnung und unserer Bedenken bezüglich dieser Position, können wir sehen, dass eine solche Analyse zumindest als mögliche Lektüre unternommen werden kann, zumal die Interpretationen von Hyppolite, Kojève und zuletzt Axel Honneth11 das Verständnis des Bewusstseinskapitels der Phä maßgeblich geprägt haben. Der ganze Prozess der Selbstentwicklung des Hegelschen Systems erfordert eine spekulative Betrachtung des konkreten Vermögens des Geistes. Die Entfaltung der unterschiedlichen Denkbestimmungen kann nur als wissenschaftlich betrachtet werden, wenn sie als System verstanden wird,12 in dem die Philosophie des Geistes auch Teil des spekulativen Ganzen ist. Wie im Epigraf des vorliegenden Unterabschnittes erwähnt, war der junge Marx der Auffassung, dass das System Hegels mit einer kritischen Analyse der Phänomenologie beginnen muss.13 Sein Anspruch basiert aber nicht auf der Anerkennungsdiskussion von 1807, sondern auf einem langwierigen Streit innerhalb des deutschen Idealismus. Kojève revitalisierte das dialektische Modell des Herren und des Knechts und damit die Anerkennungsdebatte. Die marxistische Rezeption der Marx Lektüre der Phä hat sich auch während der letzten dreißig Jahre weiterentwickelt, vor allem mit der Erscheinung der kritischen Ausgabe der Marxschen und Engelschen Opera (MEGA). Ludwig Siep, Axel Honneth oder Roberto Finelli u. a. bieten – mit großen Unterschieden – eine neue Interpretation des Marxschen Bezuges auf das vierte Kapitel der Phänomenologie über das Selbstbewusstsein an. Hier versuchen wir im Folgenden einige Anmerkungen zum Problem, konzentriert im vierten Kapitel, zu identifizieren. eine Wiederherstellung dieses Problems durch den Begriff der Subsumtion auflöst, indem diese Denker, in Fuldas Meinung, „sachlich wichtig bleibende Motive der Konzentration auf anthropologischen Themen in sorgfältige Exegesen des ganzen Werks integriert und (dank einer neuen Übersetzung) ein sensibilisiertes Verständnis für die literarischen Qualitäten der philosophischen Sprache entwickelt, [haben] […]“ (Fulda, Hans Fr. „Hegels Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes. Programm und Ausführung“, in: Gerten, Michael (Hrsg.), Hegel und die Phänomenologie des Geistes: Neue Perspektiven und Interpretationsansätze. Königshausen u. Neumann, 2013, S. 33. Herv. von P. P.). 11 Hier besonders interessant ist die Position von Honneth zum Bezug der Marxschen Analyse der Marxschen „Anerkennungsforderung“ als Reinterpretation der Herr-Knecht-Dialektik. (Vgl. Honneth, Axel, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1994, S. 230 ff.). 12 Vgl. Enz I, W 8, § 14. 13 „– Ein Blick auf das Hegelsche System. Man muß beginnen mit der Hegelschen Phä­ nomenologie, der wahren Geburtsstätte und dem Geheimnis der Hegelschen Philosophie. –“ (Man, MEW 40, S. 571).

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In den Worten Hegels kann man sagen, dass wir in der phänomenologischen Analyse mit dem Selbstbewusstsein „[…] in das einheimische Reich der Wahrheit [eintreten].“14 Nach Ansicht Hegels ist in der Darstellung des Selbstbewusstseins, wo die ursprüngliche ontologische Dimension entsteht. Ihr Wahrheitsanspruch wird der Zusammengehörigkeit von Welt (Ansich-) und Selbstbewusstsein (Fürsichsein) primär zum Ausdruck gebracht. In Bezug auf die an-und-für-sich-seiende Selbstbewegung der Erkenntnis ist die des Selbstbewusstseins der erste Schritt für den Aufbau der Wahrheit als „Totalität“.15 Vor der Sphäre des Selbsterkennens16 sehen wir im ersten Teil dieser phänomenologischen Dialektik die ersten Stadien des Bewusstseins. Der Bereich der sinnlichen Gewissheit bildet das Moment, welches sich von sich selbst in formeller Weise auf einen Anderen bezieht, der für das Bewusstsein nur als Gegenteil des Ich galt. Anders ausgedrückt, das in sich selbst zurückgezogene Bewusstsein entdeckt, dass die Erscheinung des da-seienden Objekts – oder des Ereignis, das als ganz als Anderes erscheint – sich hinter der Form des Selbstbewusstseins verdeckt. Bewusstsein und Welt befinden sich in diesem Punkt von Angesicht zu Angesicht, indem das Objekt dem Bewusstsein gegenübergestellt wird. Das letzte bedeutet, dass dieses Objekt als Sein für andere verstanden wird, z. B. als ein gegenständliches und thematisiertes Wesen, das dem Inneren gegenübergestellt wird. Das Selbstbewusstsein muss der einheitlichen Aufhebung der leeren Dualität des unmittelbaren ersten Stadiums des subjektiven Geistes17 und seines entsprechenden, ärmeren Wahrheitsanspruches den Weg ebnen, um in einer Identitätsform des Ansichseins und des Für-sich-Seienden den Erkenntnisstand der kognitiven Wendung der Ich-Selbstbildung zu erkennen. Das Selbstbewusstsein korrigiert die Erscheinung des reinen Lebens des Bewusstseins. Am Leben (positives Moment des Bewusstseins) erscheint das Sein als an-sichSein, d. i. das Ich in qualitativer Innerlichkeit des Selbst, welches dem äußerlichen 14

Phä, W 3, S. 138. Im Prinzip müssen Totalität bzw. das entwickelte Ganze (vgl. Ebd., S. 24) bei Hegel als Vorbedingung des Wahrheitsbegriffs verstanden werden. Diese Wahrheit ist durch die philosophische Aufgabe zu erklären, wonach die Philosophie (allgemein hier als Bewegung der Erkenntnis) selbst Wissen der Wahrheit des Ganzen (d. h. das absolute Wissen) sei und wodurch sie als innerlicher Charakter des Geistes zu verstehen sei, um das Wahre zu entwickeln. 16 „so ist es [das abstrakte Bewusstsein] als diese Gewißheit seiner selbst gegen das Objekt der Trieb, das zu setzen, was es an sich ist – d. i. dem abstrakten Wissen von sich Inhalt und Objektivität zu geben und umgekehrt sich von seiner Sinnlichkeit zu befreien, die gegebene Objektivität aufzuheben und mit sich identisch zu setzen“ (Enz III, W 10, § 425, S. 213). Die Wahrheit des Bewusstseins ist das Selbstbewusstsein, wobei zuerst das Objekt als ein Anderes mir selbst und gleichzeitig Ich als Ich (Ich = Ich, als eine abstrakte Freiheit gedacht) erscheinen. Dazu kann man sagen, dass die Anerkennung der Freiheit nur stattfindet, wenn das Ich (das Subjekt) sich als subjektiviertes Objekt identifiziert. Das Objekt ist genauso subjektiv wie die Subjektivität selbst, weil das ebenfalls Inhalt der Denkstruktur ist, d. h. Inhalt für sich. Das Selbstbewusstsein ist also nur wahrheitsgemäß, indem es an und für sich ist. (Phä, W 3, IV, S. 137 ff.; Enz III, W 10, § 424 ff., S. 213 ff.). 17 Man muss nun ins Auge fassen, dass Marx nicht meinte, der Geistbegriff Hegels beleuchte eine rudimentäre Subjektivitätsauffassung, obgleich Marx den phänomenologischen Prozess des Selbsterkennens mehrmals in seinen Früh- und Spätwerken kritisierte. 15

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

Dasein entgegengesetzt ist. Die Bewusstseinsbewegung (hin zum Selbstbewusstsein) verrichtet so eine kritische Komplettierung der natürlichen Wahrnehmung. Die kritische, selbstprüfende Bildung des Selbstbewusstseins versucht, nach der Marxschen Redeweise, eine Vergegenständlichung einer erkenntnistheoretischen Problematik auszuführen. Im Kontext der Marxschen Herrschafts- und Knechtschaftsdialektik ist zu berücksichtigen, dass das Selbstbewusstsein lediglich in Verbindung auf ein Anderes ist. Ein definierendes Merkmal dieser Dialektik in einer Rubrik der Marxschen Perspektive, ist die Entäußerung des Anderen durch einen „Bewusstseinskampf“, wobei diese Dialektik eine Differenz zweier Faktoren im Rahmen des Privateigentums der gesellschaftlichen Produktionsmittel impliziert. Die Realisierung der Kraft des Einen (u. a. des herrschenden Eigentümers) trägt zur Machtlosigkeit des Anderen (u. a. des knechtischen Lohnarbeiters) bei.18 Der Kampf, der diese Bewusstseine formt, besteht herrenseits auf Grund der Notwendigkeit einer Anerkennung durch den Anderen als Herren. Damit einhergehend wird, dem jungen Marx zufolge, eine Klassenteilung durch die Aneignung (die eine „Kapitalherrschaft“19 bildet) der Reproduktion des Kapitals bzw. der ganzen Produktionsmittel überhaupt anerkannt. Im Sprachgebrauch Hegels ist der Herr Herr seines für-sich-seienden Bewusstseins, welches „durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist.“20 Der Herr wird Herr, wenn er ein Objekt für sich beherrscht. Aber seine Herrschaft bezieht sich auf sich selbst nur in Bezug auf den Knecht (= knechtisches Bewusstsein), der ihn als Herr bzw. Kraftträger zur Verwandlung des selbständigen Objekts anerkennt bzw. anerkennen „muss“. Dieses Anerkennungsverhältnis ist zwischen dem Anerkannten und dem Anerkennenden ein deutlich einseitiges, asymmetrisches, in dem Maße, wie die Befriedigung des Objekts des Einen in der NichtBefriedigung des Anderen zu Stande kommt. Der Knecht gilt als ein Mittel des Begehrens des Anderen bzw. zum Erreichen des Willens des Herren und nicht für dessen Selbst, d. h. nicht als bestimmtes fürsichseiendes Selbstbewusstsein zur Befriedigung am Gegenstand, sondern im Gegenteil dazu, fällt dem Knecht die Betätigung (bei Marx, = Verwandlung der Natur) am Gegenstand (= Arbeit) zu. Die Arbeit versteht man als eine „gehemmte Begierde“,21 mit welchem der Knecht den Gegenstand durch seine Kraft objektiviert (was, in der Marxschen politischen Ökonomie als „Arbeitskraft“ bezeichnet wird). Herr und Knecht, beide entgegengesetzte bewusstseinstheoretische Bestimmungen, stehen im Zusammenhang zur

18 Obwohl diese Dialektik von Kraft und Macht in Marx nicht weiter vertieft wird, bilden sie zusammenhängende Bestimmungen. Macht bezeichnet schlechthin die potenzielle Verwirklichung der Subjektivität. Kraft ist die zweckmäßige Energie, welche die Macht materiell instanziiert. 19 Gesellschaftsformation unter Klassenverhältnissen wird im Unterabschnitt 1.3 unseres dritten Kapitels betrachtet. 20 Phä, W 3, S. 150. 21 Ebd., S. 153.

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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Befriedigung des Begierdeobjekts (des Anderen), welcher zur Asymmetrie im Bewusstseinskampf um Anerkennung des Anderen beiträgt. Hegel drückt das dahingehend aus, dass das Selbstbewusstsein mit der Andersheit in einem compo­ situm besteht. Die Begierde einer Selbstbestätigung des Ich kann aber nur in einer gegenseitigen Verbindung mit einem fremden Selbstbewusstsein stattfinden.22 So erläutert Stephen Houlgate: „Die Begierde, sich selbst in unserer Beziehung zu anderen sicher zu sein, wird nicht durch Konsum von Sachen erfüllt, sondern durch Interaktion mit einem anderen Selbstbewusst­ sein – einem, das nicht nur zur abstrakten Selbstwahrnehmung fähig ist, sondern auch die Form der Begierde annimmt und sich auf ein anderes Selbstbewusstsein bezieht“23

Mit der Rolle des Herren und des Knechts in einer korrigierenden Bewusstseinslehre verstand Marx, dass diese Hegelsche Erkenntnisentfaltung einen gesellschaftlichen Grund betreffe, womit das Leben des Seins die Standpunkte der Bewusstseinsmomente bestimme und nicht umgekehrt, im Sinne der Prämisse: „die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.“24 Im Rahmen dieser bewusstseinstheoretischen Konzeption der Herrschaftsverhältnisse, welches Hegel als Erkenntnisprozess betrachtet, re-interpretiert Marx diese Verhältnisse als gesellschaftliche Verhältnisse des Eigentums, genauer gesagt, als gesellschaftliche bzw. geschichtlich-begriffliche Produktionsentfaltung des materiellen Lebens. Das heißt, als ökonomisches Herrschaftsverhältnis reflektiert sich das Bewusstsein des Herren in dem Eigentum25 und das Bewusstsein des Knechts in der Arbeit.26 Der Herr

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Vgl. Ebd., S. 139. „The desire to be certain of ourselves in our very relation to others is fulfilled not by consuming things, but by interacting with another self-consciousness – one that is not only capable of abstract self-awareness, but also takes the form of desire and relates to a self-consciousness other than itself.“ (Houlgate, Stephen, „G. W. F. Hegel: the Phenomenology of Spirit“, in: The Blackwell Guide to Continental Philosophy. Solomon, Robert et al. (Hrsg.). Blackwell, Oxford, 2003, S. 13. Herv. und Übers. von P. P.). 24 KpÖ, MEW 13, S. 8 f. 25 Nichts anderes als privater ein Eigentümer der gesellschaftlich-ökonomischen Produktionsmittel ist der Herr im Rahmen der ökonomischen Kritik Marx’. Dieser Punkt ist von großer Wichtigkeit, da er uns im nächsten Kapitel dieser Arbeit dienen wird, den Marxschen Eigentums- und Personenbegriff im Spätwerk zu identifizieren. 26 Marx geht von der Sphäre der metaphilosophischen Deutung der Ich-Lehre zu einer Makroebene des gesellschaftlichen Daseins des Bewusstseins über. Im Gegenteil zu Hegels Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstsein findet die gewordene gesellschaftliche Bewusstseinsinterpretation Marx’ ihre Wahrheitsansprüche in der Analyse der Vergesellschaftung, die die einzelnen Bewusstseine formt. Das Selbstbewusstsein des „Knechts“ wird so nur in dem Bewusstsein der gesellschaftlichen Herrschaft des Kapitals über den Menschen besprochen. Diese gesellschaftliche Herrschaftsform erscheint als direkte arbeitsteilige Entgegensetzungen, welche die Klassen ausmachen. Die Marxsche Bewusstseinskonzeption kann nur als Klassenbewusstsein verstanden werden, wenn der „Knecht“ sich als Produzent, Arbeiter versteht, um gesellschaftlich in Verbindung mit den anderen Arbeitern den gesellschaftlichen Status der asymmetrischen Klassenordnung aufzuheben. 23

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bildet also eine gesellschaftliche Rolle,27 die eigene (Privat)Interessen verfolgt. Der selbstbewusste Knecht nimmt auch eine gesellschaftliche Rolle zur Aufhebung der gesellschaftlichen Verhältnisse ein. Die Herrschafts- bzw. Eigentumsverhältnisse reproduzieren sich durch einen Akkumulationsprozess des Produktionsmittels,28 welche Mittel zur Befriedigung der Begierde sind. Mit diesen Bedingungen wächst die trennende Funktion des Konsums und der Produktion: Einer produziert das, was der Andere konsumiert. Der kontinuierliche Besitz der Produktionsmittel schafft den Reichtum des Einen, indem er den Kreislauf entgegengesetzter Waren „immobilisiert“29 und den gesellschaftlichen Wert im Allgemeinen (= den Gegenstand)30 partikularisiert. Die Auflösung der Widersprüche der Klassengesellschaft zur Aufhebung des ökonomisch-kapitalistischen Sachverhaltes beginnt notwendigerweise mit der Verschaffung der strukturierenden Bedingungen des herrschenden Teils dieser Gesellschaftsstruktur – hier, der akkumulierenden Klasse. Man muss hier wieder zur Hegelschen Beziehung des Selbstbewusstseins und der Begierde zurückkehren, um das Problem der Begierde aufzufassen. Die wissenschaftliche Dimension der Herr-Knecht-Dialektik bildet eine verflochtene Dynamik, die in der Hegelschen Sprache vielfältig dargestellt wird. Im Laufe der Darstellung des Selbstbewusstseins wird der Herr nie isoliert frei anerkannt, ohne ein anerkennendes Anderssein gegenüber zu beachten. Der Herr beherrscht indirekt das Dasein des Knechts und verhängt seine Begierde über ihn. Die metatheoretische Darlegung der Begierde und des Selbstbewusstseins stellt die Abhängigkeit des Herren von dem Gegenstand (dem Anderen) dar, d. h. er wird in diesem Punkt gleichzeitig Knecht seiner Begierde, Knecht eines äußerlichen Gegenstandes. In diesem Prozess verliert der Herr seinen herrschenden Status, und muss deshalb als Herr durch ein Außersichseiendes anerkannt werden, um seine Herrschaft wiederzugewinnen.31 Dieser Prozess präsentiert eine ungleiche, asymmetrische Spiegelung der entgegengesetzten Bewusstseine, die Kòjeve zufolge nur in einer gegenseitigen Versöhnung bzw. gegenseitigen Anerkennung als frei „harmoniert“ werden können. So sei der offensichtliche Fichtesche Einfluss auf die Bewusstseinslehre die große Aufgabe der phänomenologischen Charakterisierung des Be 27 Was Hegel mit dem Selbst des Bewusstseins beschreibt, wird von Marx in einem gesellschaftlich-notwendigen ökonomischen Raum reinterpretiert, dahingehend, dass die herrschende „Selbstheit“ des Bewusstseins des Herren die Einheit des Ich (an sich) und des Mir ( für sich) sei. Die herrschende Selbstheit im Bewusstsein des Knechts ist die Einheit des Wir (an sich) und des Uns ( für sich). Allerdings gleicht die Hegelsche Gestalt des Knechts in der Phä eher einem Sklaven oder Leibeigenen als einem Fabrikarbeiter. Für Marx’ reife Theorie, wie er sie im Spätwerk entwickelt, gibt die Phä insofern wenig her. 28 Vgl. MEW 23, S. 590. 29 Vgl. „Schatzbildung“, in: Ebd., S. 144. 30 Der Wert im Allgemeinen (Gebrauchs- und Tauschwert) ist noch immer Wert für das Subjekt. Die spätere Darstellung des Wertes in den Grundrissen oder im Kapital betrifft jedoch eine methodologische Abstraktion menschlicher Bestimmungen. Bestimmungen des Subjektes des (nicht-dinglichen) Gegenstands „Wert“ werden erst als Personifizierung objektiver Verhältnisse der Waren verstanden (siehe: drittes Kapitel dieser Untersuchung). 31 Vgl. Phä, W 3, S. 146.

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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wusstseins, wobei die Freiheit des Ich lediglich als Befreiung des Wir verstanden werden kann: „Nur derjenige ist frei, der alles um sich herum frei machen will.“32 Diese „Sozialisierung“ des spekulativen Selbstbewusstseins betrachtet das äußerliche Andere als Selbstbestimmung des Ich selbst. Lediglich in diesem Moment befreit sich das Ich, und wird von dem Anderen als frei anerkannt. Kojève glaubte so die Phänomenologie paraphrasieren zu dürfen: „Der Mensch, als frei und selbstständig, erkennt an, dass die Anderen genauso frei und selbstständig sind. Und umgekehrt ist er nicht frei und selbstständig bis er freiwillig als Selbst für die Anderen anerkannt wird.“

In diesem Kontext fährt Kojève an einer anderen Stelle fort: „der Mensch sucht von den Anderen anerkannt zu werden: die einfache Begierde wird Begierde nach Anerkennung.“33 32 Fichte, J. G.. Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794), in: Sämtliche Werke, Bd. 6, Gabler, Leipzig / Jena, 1845–1846, S. 309. Dieser Ausdruck beeinflusst die Position hinsichtlich der Identität der Bewusstseine bei Hegel, wonach „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.“ (Phä, S. 145). 33 „L’homme, en étant libre et autonome, reconnaît que les autres sont également libres et autonomes. Et inversement il n’est libre et autonome que s’il est librement reconnu comme tel par les autres. […] L’homme cherche à être reconnu par les autres: le simple désir (Begierde)  devient désir de reconnaissance.“ (Kojève, Alexander, Introduction à la lecture de Hegel. Gallimard, Paris, 1992, S. 52. Herv. und Übers. von P. P.) Es ist wichtig den Begriff zu präzisieren, worunter man „Begierde“ versteht. Ob er ὄρεξις (wie bei Aristoteles, als Neigung des Geistes), oder libido (Désir – Wunsch – wie bei Hyppolite, Kojève und Garaudy) bedeutet, trägt zu einer großen Diskussion bei. „Das Selbstbewusstsein ist Begierde überhaupt“ (Phä, W 3, S. 139), weil es eine natürliche, tierische Begierde herstellt, aber gleichzeitig durch sie sucht das Selbstbewusstsein in Bezug auf den Anderen selbst als Wahres anerkannt zu werden. In diesem Kontext identifizieren wir hier mindestens drei Momente der Begierde, die den Begriff in der Phä ausmachen: (i) Begierde als Begierde der Selbstbestätigung eigener Einheit; (ii) Begierde eines Anderen, als wahrnehmendes Objekt und (iii) Begierde als Be­ gierde nach Anerkennung des Ich, des Eigenen, durch einen Anderen. Diese Komplexität des Begriffes plausibilisiert die Begierde als Selbstbewusstsein zu charakterisieren. Die Psychoanalyse Lacans hat diesen dreiteiligen Begriff angewendet, um eine Theorie des Bewusstseins philosophisch zu begründen. Man kann daher nicht ein Werturteil dieser theoretischen Einrichtung treffen, die auf den Kojèveschen Bemerkungen zur Dialektik von Herren und Knecht basiert. Für Lacan, „car dans Hegel, c’est au désir, à la Begierde, qu’est remise la charge de ce minimum de liaison qu’il faut que garde le sujet à l’antique connaissance, pour que la vérité soit immanente à la réalisation du savoir.“ (Lacan, Jacques, Écrits, Bd. 2, Éditions du Seuil, Paris, 1971, S. 162). Mit dem „französischen“ Hegel (vor allem Hyppolite, Kojève, Garaudy und Lacan) wurde eine neue psychologische Wendung der Begriffe in Hegels Bewusstseinslehre genommen, auf Grund einer Dialektik der Begierde. Gleichzeitig interpretierten diese Autoren die Marxsche begriffene Entäußerung als extrapoliertes Resultat der dialektischen Struktur des Herren und Knechts. Unsere Untersuchung versucht keinesfalls, dieser psychologischen Interpretation beizupflichten, stattdessen ist zu bemerken, dass sich der Begriff der Entäußerung und damit des Klassenbewusstseins in den in 1844 geschriebenen ökonomischphilosophischen Manuskripten auf diese Dialektik kritisch bezieht. Gegen diese Fehlinterpretationen des Selbstbewusstseinsbegriffes und vor allem des Begriffs von Begierde wurde in dieser Zeit viel geschrieben. So Stephen Houlgate: „In my view, however, Kojève seriously distorts Hegel’s account of selfconsciousness in the Phenomenology by conflating the idea that

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Um dies zu verdeutlichen, muss wieder der Anfang der dialektischen Sphäre des Herren und des Knechts betrachtet werden. Es kann an dieser Deutung gezeigt werden, dass im Bewusstsein ein Kampf auf Leben und Tod zwischen dem Verstand und dem Gegenstand beginnt.34 Dieser Gegenstand (das ob-iectus), der als ein Anderes als Ich gesehen wird, wird zunächst in der Selbstheit des Ich (in dem Fürsichsein) negiert, d. h., das Fürsichsein wird nur als Akt der Negation verstanden. Man muss aber darauf achten, dass der notwendige Gegenstand eine Notwendigkeit bzw. Abhängigkeit des Selbst ist. Das Anderssein bildet ein Moment des Selbstseins und muss in dem Selbstbewusstsein als Selbstbestimmung anerkannt werden, d. h. als „Gewißheit seiner selbst.“35 Es gibt jedoch keine Spiegelung mit dem äußerlichen Gegenstand, der auch nicht selbst den Anderen bejahen bzw. negieren kann. Er ist widerstandslos gegenüber dem Subjekt. Das andere Selbstbewusstsein ist also „ein Subjekt kraft der ganzen Reflexion des Lebensbegriffes, welchen dieses realisiert.“36 Wie oben gesagt, geschieht in dieser Entfaltung ein Zusammenstoß beider Bewusstseine, die Hegel den Kampf um Anerkennung nennt: „Das Verhältnis beider Selbstbewusstseine ist also so bestimmt, daß sie sich selbst und einander durch den Kampf auf Leben und Tod bewähren.“37 Das andere Selbstbewusstsein – d. h. der Gegenstand, der andererseits auch ein selbstbewusstes Subjekt ist – erscheint in dem negierenden Selbstbewusstsein der Individualität des Ich. Die immanente Bewegung zum Anderen ist seine Wahrheit: das Selbstbewusstsein zeigt sich selber als ein Anderes. Diese Dialektik des Selbstbewusstseins ist die Aufhebung des isolierten Individuums durch die Zusammengehörigkeit beider Relata: Objekt und Subjekt. Man muss erfassen, was diese Aufhebung bedeutet, um die Versöhnung der entgegengesetzten Bewusstseine zu verstehen. Es ist selbstverständlich, dass in der Negation des selbstbewussten Anderen noch keine Wahrheit besteht, weil das Selbstbewusstsein noch nicht in dem Gegen-stand (ob-iectus) als Bestimmung des Subjekts (sub-iectus) liegt (iacet). Die Darstellung des Selbstbewusstseins stellt das Moment der Aufhebung des natürlichen, abstrakten Bewusstseins (das Wissen des Anderen) dar.38 Das Aufgehobene ist demnach die unklare Setzung des unmittelbaren Daseins, das in der Phä als sinnliche Gewissheit gezeigt wird. Diese Setzung der ersten Bewusstseinsbestimmungen besteht in einem Akt, den die Welt durch eine einzelne Struktur des Ansichseins besitzt. Die gesetzte Unmittelbarkeit des Bewusstseins desire is the activity of negation with the further idea that the subject of desire is essentially ‚empty’. According to Kojève, the desiring subject is ‚an emptiness (vide) greedy for content; an emptiness that wants to be filled by what is full’“ („G. W. F. Hegel, the Phenomenology of Spirit,“ a. a. O., S. 13). 34 Phä, W 3, S. 149. 35 Ebd., S. 148. 36 „[…] un sujeto en virtud de la reflexión completa del concepto de vida que él realiza.“ (Valls Plana, Del yo al nosotros, a. a. O., S. 117). 37 Phä, W 3, S. 149. 38 Am Ende dieses Erkenntnisprozesses ist das Selbstbewusstsein das einzige reale Bewusstsein.

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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besteht in einer metatheoretischen Dialektik des Anfangs bzw. des Ansatzpunkts der Erkenntnistheorie. In Bezug auf das abstrakte Rechtswesen vertritt Engels die Ansicht, das Privateigentum stelle eine Folge der geschichtlichen Trennung der Gesellschaft und dem kontinuierlichen Zusammenstoß der widersprüchlichen Klassenstufen dar.39 Der methodische Anfang des Eigentumsverhältnisses, kann nur als schon kristallisierte Arbeit verstanden werden, d. h. indem der unmittelbare Gegenstand ein gewordenes (vermittelbares) Produkt sei. Mit der Bestimmung „Unmittelbarkeit“40 wird – nicht nur in der Phä, sondern auch in der WdL – der Gegenstand als nichtdurchgearbeiteter Anfang des systematischen Erkenntnisprozesses herausgebildet. Deshalb handelt das Paradigma davon, eine Korrektur des Denkens zu unternehmen, d. h. die angenommene Unmittelbarkeit zur epistemisch-stabilen Selbstbestimmung aufzuheben. Wir werden aber mit diesem Auftrag nicht weit kommen, um eine große Untersuchung der Funktion des Anfangs und der Anschauung des ersten Kapitels der Phänomenologie durchführen zu können. Alles was in der Bewusstseinslehre Hegels entsteht, gehört zu einer problematisierten Konstellation der reflektierten Entfaltungsweise der bestimmt-bestimmenden spekulativen Momentmerkmale. Nach dieser Betrachtung der ersten Phase der Bewusstseinsbestimmung sollten wir nun zu dieser Auffassung der Identität bzw. Versöhnung der entgegengesetzten Bewusstseine zurückkehren. Wie oben gesagt, die gesetzte Unmittelbarkeit muss mittels des Selbstbewusstseins negiert werden. Aber die Negation des einfachen Bewusstseins kann nur als Affirmation des Selbstbewusstseins verstanden werden. In dem Stadium unseres bestimmenden Aktes lässt sich dazu die Notwendigkeit einer Korrektur des phänomenologischen Denkens bezeichnen. Das Sein an sich wird so nur in der negierenden Charakterisierung des Fürsich bestimmt. Und das Anderssein reflektiert sich in dem Ich-Sein. Das Ich wird nur durch die Versöhnung mit dem Objekt bewusst, in Zusammenhang mit dem Anderssein. Genauso ist die Versöhnung der Bewusstseine im Rahmen der Herr-Knecht-Dialektik. Das andere Selbstbewusstsein ist auf Grund der Aufhebung der Individualität und daher entsteht die Identität beider wechselwirkenden Begrifflichkeiten: Herrschaft und Knechtschaft. Hiermit lässt sich teilweise die Dynamik beider Figuren beleuchten. Einer der beiden Teile der gegenübergestell 39 Vgl. Engels, Friedrich, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, MEW 21, S. 25 ff. 40 Auch in Marx’ Redeweise sind die Termini „unmittelbar“, „Unmittelbarkeit“ – und ihre Gegensätze – Bestimmungen der politischen Ökonomie. Es ist aber Feuerbach, der zuerst das „Unmittelbare“ in seiner Hegelkritik erörtert hat (Grundsätze der Philosophie der Zukunft. Literarische Comptoir Zürich und Winterthur, Zürich, 1843, § 24) und in der Folge Marx, wie wir vermuten, als Begrifflichkeit übernommen hat. Die Koinzidenz mit dem Hegelschen Schreibstil in Marx’ Werk geht aber über terminologische Referenzen hinaus und zeigt vor allem epistemologische Treffpunkte. „Unmittelbare Austauschbarkeit“ (MEW 23, SS. 74–76; 82–84), „unmittelbare Verhältnisse“ (Ebd., S. 93, 98), „unmittelbare Inkarnation aller menschlichen Arbeit“ (Ebd., S. 107) u. a. sind Ausdrucke, die Eigenschaft eines nicht-vermittelten Unentwickelten betonen.

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

ten Bewusstseine hat sich über den anderen hinweggesetzt, aber nur rein an-sichselbst. So setzt sich das Individuum selbst mittels der Anerkennung des anderen Bewusstseins. Der Herr ist Herr immer im Vergleich zu jemandem, der von ihm beherrscht wird. Auf keinen Fall finden sie sich auf dem gleichen Niveau der Selbstbestimmung wieder. Auf diese Weise: „[Der Herr] ist das für sich seiende Bewußtsein, aber nicht mehr nur der Begriff desselben, sondern für sich seiendes Bewußtsein, welches durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist.“41

Der Herr ist ein Sein für-sich durch ein anderes Bewusstsein. Dahingehend sind wir in der Lage zu betonen, dass man eine grundlegende Andersheit im Selbstbezug auf die Lehre der Anerkennung beobachtet. Das Gegenüber wird vom Herren als ein Anderes anerkannt. Seine Herrschaft wird von dem Knecht widergespiegelt. Ohne Knecht gibt es keinen Herren. Der Herr beherrscht die Welt unter seiner Herrschaft. Trotzdem hängt er grundlegend von der Knechtschaft ab, um sich als Selbst zu behaupten. In der Marxschen rechtsphilosophischen Sprache muss er immer noch Besitzer seines Eigentums sein. Er reflektiert das Bewusstsein seiner Herrschaft und der Asymmetrie zwischen dem anerkannten und dem anerkennenden Sein. Der Knecht ist jener, welcher die Begierde und die Erfüllung des Herren anerkennt und realisiert. Mit anderen Worten: er ist Mittel und Werkzeug für seinen Genuss. In Bezug auf dieses Thema hat Feuerbach die herrschende Rolle des christlichen Gottes im Alt- und Neutestament an zahlreichen Fällen exemplifiziert: Gott erkennt sich in seinem Werke an, denn durch seine Selbstbetrachtung bringt er nur sich selbst auf eine unmittelbare Weise hervor. Das Geschaffene bestätigt die Gottheit Gottes durch die Bejahung der Schöpfung. Der Schöpfer selbst muss den Menschen, Knecht und verlorenen Sohn, schaffen, damit die Menschen mit seinem Gottsein und seiner Vatersein Kult betreiben können.42 Marx übt aber auch eine weitere Kritik an Feuerbachs abstrakter Kritik der Religion. Die kritische Analyse der bewusstseinstheoretischen Herrschafts- und Knechtschaftsdialektik Hegels übt der junge Marx anhand einer immanenten Argumentation, welche die Genese der modernen Gesellschaft erklärt. Die dialektische Figur „Herr“, in einer ökonomisch-philosophischen Ausdrucksweise, erfordert eine eigentümliche Logik für die Anerkennung seiner Herrschaft. Das verpflichtet den Herren die Erfüllung seiner eigenen Gier ohne Abnutzung seiner Produktionskräfte zu verfolgen. Seine Herrschaft ist eine Verfügungsgewalt über die Arbeit des Anderen. Diese Herrschaft bildet den Grundstein der modernen Produktion. Die Bestätigung bzw. Anerkennung dieser Verfügungsgewalt repro 41

Phä, S. 117. Dieses Beispiel stammt aus der Feuerbachschen Philosophie und stellt hier eine Kritik an der Äußerung der Idee Gottes dar. Diese Kritik des religiösen Denkens wurde später von Marx geübt, aber – wie gesagt – noch stärker vergesellschaftlicht. Siehe: Feuerbach, Ludwig, Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 85: „Die Bitte iſt das Mittel, unter dem Scheine der Demuth und Unterwürfigkeit, seine Herrſchaft und Superiorität über ein andres Weſen auszuüben.“ 42

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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duziert die Warenzirkulation, in der die Waren immer wieder abgenutzt werden. Andererseits, die Figur „Knecht“ erscheint in dem gleichen Prozess der Objektivierung des Subjekts als Subjekt der Arbeit, als Wandler der Natur,43 wobei sich der Herr durch die Aneignung der Natur und durch den Zusammenstoß mit dem unterwürfigen, knechtischen Bewusstsein erhebt, auf Grund der Aneignung der Produktionsmittel aus der Natur. Das heißt, er eignet sich auch den Gegenstand der Realisierung anderer Selbstbewusstseine an, die noch nicht ihren Natur-Status aufgehoben haben. Auf diese Weise kann das doppelte Gesicht der Dialektik hervortreten, wonach das Privateigentum auf Grund der entfremdeten Arbeit entsteht und die entfremdete Arbeit wegen des Privateigentums weiter reproduziert wird.44 Kojève interpretiert diese doppelte Aufgabe der Dialektik so: „Aber der Herr kämpft wie ein Mensch (für die Erkennung) und konsumiert wie ein Tier (ohne gearbeitet zu haben). Das ist seine Unmenschlichkeit. Er bleibt also Mann der Begierde (die er befriedigt hat). Er kann nicht daraus fliehen, weil er müßig ist. Er kann als Mensch sterben, aber er kann nur als Tier leben“.45

In der frühen Marxschen Kritik der politischen Ökonomie erscheint der Mensch als ein „Werkzeug“ für die bürgerliche Bereicherung (= Vergesellschaftung46), aufgrund seiner Arbeitskraft, mit welcher das realisierte Objekt (= Produkt) vergegen­ ständlicht wird. Der Mensch erscheint nur als Personifizierung, als Repräsentation einer Ware. Diese Personifizierung des Menschen ist zugleich seine Instrumen 43 „Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen“ (Man, MEW 40, S. 517). Hegel formulierte dieses Problem in anderen Termini: „Individuen teilen sich denselben nach natürlichem Talent, nah Geschicklichkeit, Willkür und Zufall zu. Solcher bestimmten, festen Sphäre angehörig, haben sie ihre wirkliche Existenz, welche als Existenz wesentlich eine besondere ist, und in derselben ihre Sittlichkeit als Recht­ schaffenheit, ihr Anerkanntsein und ihre Ehre.“ (Enz III, W 10, § 527, S. 323). 44 Nach der Bestimmung dieses doppelten Charakters, kann man nun mit dem jungen Marx in Bezug auf die Ableitung der entäußerten Arbeit und des Privateigentums zustimmen, dass „also durch die entfremdete, entäußerte Arbeit erzeugt der Arbeiter das Verhältnis einer der Arbeit fremden und außer ihr stehenden Menschen zu dieser Arbeit. Das Verhältnis des Arbeiters zur Arbeit erzeugt das Verhältnis des Kapitalisten zu derselben, oder wie man sonst den Arbeitsherrn nennen will. Das Privateigentum ist also das Produkt, das Resultat, die notwendige Konsequenz der entäußerten Arbeit, des äußerlichen Verhältnisses des Arbeiters zu der Natur und zu sich selbst […] Wir haben allerdings den Begriff der entäußerten Arbeit (des entäußerten Lebens) […] als Resultat aus der Bewegung des Privateigentums gewonnen. Aber es zeigt sich bei Analyse dieses Begriffes, daß, wenn das Privateigentum als Grund, als Ursache der entäußerten Arbeit erscheint, es vielmehr eine Konsequenz derselben ist, […]“ (Man, MEW 40, S. 519 f.). 45 Kojève, Introduction à la lecture de Hegel, a. a. O., S. 55. „Mais le Maître combat en homme (pour la reconnaissance) et consomme comme un animal (sans avoir travaillé). Telle est son inhumanité. Il reste par là homme de la Begierde (qu’il réussit à satisfaire). Il ne peut dépasser ce stade, parce qu’il est oisif. Il peut mourir en homme, mais il ne peut vivre qu’en animal!“. 46 Im fünften Kapitel dieser Arbeit analysieren wir die innerliche Zusammengehörigkeit der Bewegungsprozesse von Bereicherung und Vergesellschaftung.

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

talisierung, er ist immer Werkzeug für jemand Anderen. Der Herr des Kapitals (= Kapitalist) wird von einer Vergesellschaftung bestimmt, welche für eine reproduzierende „Entäußerung“ eines anderen produzierenden Subjekts steht. Die Produktionsbestimmung in einer kapitalistischen Gesellschaft sieht im Arbeiter ein Mittel, um den Genuss des Herrn zu maximieren: „Aus der Nationalökonomie selbst, mit ihren eignen Worten, haben wir gezeigt, dass der Arbeiter zur Ware und zur elendsten Ware herabsinkt, dass das Elend des Arbeiters im umgekehrten Verhältnis zur Macht und zur Größe seiner Produktion steht.“47

Der Herr will seine Begierde erfüllen. In seiner Begierde ist die Akkumulation ein Zweck, der seine eigene Selbstrealisierung fortlaufend bestimmt. Für die Produzenten von Gütern ist ihre eigene Begierde von dem Genuss dessen, der die Kommandogewalt über die Arbeit ausübt, abhängig, weil die Bedingungen für ihre minimale Freiheit und Genuss von der Vermittlung der Produktionsmittel kommandiert wird: „wenn seine Tätigkeit ihm [dem Arbeiter] Qual ist, so muss sie einem andern Genuss und die Lebensfreude eines andern [des Eigentümer der Produktionsmittels] sein.“48 Der Knecht arbeitet für den Herren und nicht für sich selbst: so ist es verständlich, dass der Knecht (der Arbeiter) die Gelegenheit hätte, seinen unterwürfigen, knechtischen Zustand aufzuheben und Bewusstsein von seinem gesellschaftlichen Zustand (des Seins für anderes) in einer kritischen Weise (als unterdrücktes Sein) zu erlangen. Er findet in seiner Selbstentäußerung den Kern für die Verwandlung ihrer materiellen Bedingungen, welche durch die Teilung der Arbeit beherrscht werden.49 Der Knecht sieht sich gezwungen den Herren als frei (und gleichzeitig sich selbst als nicht-frei) anzuerkennen. Der Arbeiter, in der Erkennung eigener Ausbeutung, erkennt unter diesen Bedingungen andere Subjekte gleichermaßen als entäußert an. Das Bewusstsein über die begrifflich-entfaltete Anatomie der kapitalistischen Gesellschaftsformation ist auch als ein gesellschaftliches Bewusstsein zu verstehen.50 Es dient einer möglichen Befreiung von der Kommando­gewalt, wenn der Arbeiter (= Produzent von Warenwerten) die gesellschaftlichen Bestimmun 47

Man, MEW 40, S. 510. Um den Begriff der Ware an dieser Stelle zu verdeutlichen, ist es notwendig sich auf die folgende Passage des Kapital zu beziehen: „Waren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswert oder Warenkörpern, als Eisen, Leinwand, Weizen usw. Es ist dies ihre hausbackene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waren, weil Doppeltes, Gebrauchsgegenstände und zugleich Wertträger. Sie erscheinen daher nur als Waren oder besitzen nur die Form von Waren, sofern sie Doppelform besitzen, Naturalform und Wertform.“ (MEW 23, S. 62). 48 Man, MEW 40, S. 519. Herv. P. P. 49 „Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt. Von diesem Augenblicke an kann sich das Bewußtsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewußtsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen – von diesem Augenblicke an ist das Bewußtsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der ‚reinen‘ Theorie, Philosophie, Moral etc. überzugehen.“ (vgl. DI, MEW 3, S. 31). 50 Wie davor bemerkt, ist die Marxsche Bewusstseinskonzeption allein durch Makroebene von Klassenbewusstsein zu verstehen.

2.1 Das Problem des Bewusstseins in der Herr-Knecht-Dialektik

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gen über die Produktion negiert. Er negiert die gesellschaftliche Natur der herrschenden Gesellschaftsreproduktion, welche in einer unkritischen Perspektive als gegebene erscheint. In dieser Lage kann der Arbeiter keineswegs mehr als naturgegebener (κατὰ φύσιν) Knecht gelten.51 Das Bewusstsein seiner (unterwürfigen) Instrumentalisierung für einen fremden Genuss vermag eine Bewegung anzustoßen, um diese Bedingung zu zerstören. Die Marxsche Frühauffassung der Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse entwickelt sich in der organischen Totalität der kritischen Gesellschaftsformation. Die Abstraktion des Kapitals als Zwang eines fremden Willens über die Arbeit konstituiert die Konzeption, die die ganze Erklärung im Kapital strukturiert. Die Kommandogewalt über die Arbeit ist eine Realabstraktion, welche die praktische Interpretation einer „politischen“ Lektüre der Marxschen kritischen Darstellung der Erscheinungsformen erlaubt.52 „Im Wesentlichen handelt es sich darum, eine Wissenschaft und eine Technik aus einer Philosophie zu erreichen, sich für die Realisierung dieser Philosophie als rein hypothetische Notwendigkeit zu entscheiden und nach den verfügbaren und unbedingt notwendigen begrifflichen und politischen Mitteln zu suchen; den Idealismus der Philosophie (und alle theoretische Wissenschaft) in historischen und politischen Materialismus zu übersetzen.“53

Ohne die starke Betonung Eric Weils den Materialismus als eine entsprechende „Übersetzung“ zu bezeichnen, ist es aber hier anzuerkennen, dass sich der Wissenschaftscharakter der Kritik Marx’ nur aus der Philosophie entwickeln kann. Das größte theoretische Erbe des Hegelschen Denkens in Marx’ Begrifflichkeit besteht darin, dass die Philosophie außer dem rein abstrakten Denken gleichermaßen einen Übergang von der Natürlichkeit zur Geschichtlichkeit aufweist.

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Über das Wesen und die Natur des Sklaven, fasste Aristoteles ab: „Wer nämlich von Natur nicht sich selbst angehört, sondern zu einem Anderen gehört, und doch ein Mensch ist, der ist von Natur Sklave [φύσει δοῦλός]. Ein Mensch gehört zu einem Anderen, wenn er als ein Besitzstück [κτῆμᾰ] ist, und die Definition von Besitzstück lautet: ein von den Benutzenden körperlich getrenntes, tätiges Werkzeug [ὄργανον πρακτικὸν καὶ χωριστόν]“ (Pol, I 4, 1254a 14–17). Der stagirische Philosoph stellt en détail die Idee der politischen Dynamik in seiner eigenen Dialektik von Herren und Knecht vor, die später Hegel korrigierte. 52 Im Spätwerk versteht Marx die Bezeichnung „politisch“ als Synonym von „gesellschaftlich“ als wesentliche Eigenschaft der Ökonomie. Weder die Politik, noch die Ökonomie können sich von allein erklären. Nur die philosophische Darstellung der politischen Ökonomie kann die Totalität der politischen Verbindungen erklären. 53 Weil, Hegel et l’État, a. a. O., S. 114. Herv. und Übers. von P. P.: „Quant à l’essentiel, ils’agit de tirer d’une philosophie une science et une technique, d’opter pour la réalisation de ce que la philosophie énonce comme pure nécessité hypothétique et d’en chercher les moyens conceptuels et politiques disponibles et indispensables, de traduire l’idéalisme de la philosophie (et de toutes science théorétique) en matérialisme historique et politique.“

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  Das Hauptaugenmerk in Marx’ Frühschriften liegt auf der kritischen Entwicklung der kardinalen Elemente eines Entwurfs zur Kritik des beherrschenden kapitalistischen Systems und der begrifflichen Auseinandersetzung mit dem Subsumtions-Charakter der kapitalistischen Arbeit, welcher fortlaufend sachliche Widersprüche reproduziert. Diese Kritik wirft die Frage nach der ökonomischen Gesellschaftsordnung und der Genese ihrer entsprechenden Klassenunterschiede auf, die auf Grund der Akkumulation und Aneignung fremder Arbeitskraft entstehen. Der kritisch-systematische Kerngedanke des jungen Marx zielt direkt auf die politische Praxis und Praxeologie und, noch weiter, auf die Praxis als Verwirklichung der kritischen Kategorien,54 die sich aus der Untersuchung und Darstellung des ökonomischen kapitalistischen Reichtums im Kapital ergeben und beim frühen Marx in der Aufgabe einer Dechiffrierung der Bedingungen für eine mögliche Auflösung des entfremdeten Status der Arbeiter unter der Herrschaft des Kapitals besteht. Die praktische Fragestellung durchzieht das gesamte Frühwerk wie ein roter Faden. Mit der oben behandelten Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft zeigt man ein weiteres praktisch-theoretisches Problem, welches die Entstehung des entfremdeten Menschen gegenüber seiner fremden Arbeit thematisiert. Im Heft I der Pariser Manuskripte und, noch deutlicher, im sogenannten Millexzerpt55 ist diese „praktische Frage“ nach der entfremdeten Arbeit grundlegend für die Auseinandersetzung der Menschengattung mit dem „Naturknecht Arbeiter:“56 „Die Entfremdung des Arbeiters in seinem Gegenstand drückt sich nach nationalöko­ nomischen Gesetzen so aus, daß, je mehr der Arbeiter produziert, er um so weniger zu konsumieren hat, daß, je mehr Werte er schafft, er um so wertloser, um so unwürdiger wird, daß, je geformter sein Produkt, um so mißförmiger der Arbeiter, daß, je zivilisierter sein Gegenstand, um so barbarischer der Arbeiter, daß, um so mächtiger die Arbeit, um so ohnmächtiger der Arbeiter wird, daß, je geistreicher die Arbeit, um so mehr geistloser und Naturknecht der Arbeiter wird.“57

Die hier dargestellte Rehabilitierung des Entfremdungsbegriffes als Kernmoment für das Verständnis der Rolle des Menschen in der kritischen Darstellung ist Aufgabe des vorliegenden Unterkapitels.58 Das Marxsche Frühverständnis des entfremdeten „Seins“ durch das herrschende „Haben“ zeigt die Intention, das 54 „[…] die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage. (The III, MEW 3, S. 5.). 55 Auszüge aus James Mills Buch Eléments d’économie politique, MEW 40 SS. 443–463. 56 Man, MEW 40, S. 513. 57 Ebd. Herv. von P. P. 58 Es ist für unseren Zweck daher förderlich, hier die vier Dimensionen der Entfremdung unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die Marx in den Pariser Manuskripten unterscheidet, zugrunde zu legen:

2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  

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Menschenwesen unter politisch-ökonomischen Bedingungen zu betrachten.59 Bei Marx, so können wir betonen, impliziert diese Entfremdung ein herrschendes principium individuationis, nach dem der Herr durch den Knecht und der Knecht durch den Herrn personalisiert werden. Der Kapitalist, Herr unter dem Mandat des Kapitals, verfügt über Herrschaft über fremde Arbeit zu seinem eigenen Nutzen. Er hat Verfügungsmacht über die Arbeitskraft. Aufgrund dessen leistet der Arbeiter, Knecht unter dem Mandat der Arbeit, entfremdete Arbeit für eine fremde Herrschaft. Die anthropologische Lesart des jungen Marx bezieht sich mehrmals kritisch auf die selbstverständliche Interpretation des Privateigentums der (klassischen) Nationalökonomen. Heinrich hat Recht, wenn er sagt, „Marx [in den Pariser Manuskripten] bemüht sich darum, die Nationalökonomie zunächst immanent zu kritisieren.“60 Die phänomenologische Auffassung von Entfremdung und Entäußerung61 hingegen spielt auch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der kritischen Darstellung Marx’, wovon der Entfremdungsbegriff ein frühes Resultat ist und epistemologische Elemente zum Aufbau seiner Ökonomiekritik liefert. Der knechtische Status der modernen Arbeiter, welchen Marx in den Frühschriften auch Entäußerung nennt, hat einen doppelten Charakter: Einerseits gilt er als Werkzeug der kapitalistischen Interessen und andererseits ist er ein Mittel zur Befriedigung der Begierde des Kapitalisten.62 Der Arbeiter im Kapitalismus wird durch den Verkauf seiner eigenen Arbeitskraft an ein fremdes Subjekt vergegenständlicht, aber dieser Status birgt Marx zufolge die Elemente, damit das knechtische Bewusstsein aufgehoben werden kann. Da letzteres mit den mateEntfremdung des Arbeiters vom Gegenstand seiner Tätigkeit. Der Arbeiter erscheint in dieser Analyse seinem Arbeitsprodukt gegenüber als „fremdes Wesen“ (Man, MEW 40, S. 511). Entfremdung des Arbeiters innerhalb seiner Tätigkeit. Solange der Arbeiter „Mittel“ für fremden Genuss ist, ist „die Arbeit dem Arbeiter äußerlich“ (Ebd., S. 514). Entfremdung des Arbeiters vom Menschenwesen. Die Erzeugung des Arbeitsgegenstandes ist „daher die Vergegenständlichung des Gattungsleben des Menschen“ (Ebd., S. 516), solange der individuelle Arbeiter keine für-sich-eigennützliche Tätigkeit realisiert, sondern vom indirekten Genuss im Rahmen der Lohnarbeit abhängt. Entfremdung des Arbeiters von anderen Menschen. Das Arbeitsprodukt gehört nicht seinem Produzenten an, wenn dieser „unter der Herrschaft, dem Zwang und dem Joch eines andern Menschen“ steht (Ebd., S. 519). Alle diese vier Dimensionen bilden unterschiedliche Momente eines einheitlichen Begriffes. Entfremdung ist das äußerliche Wesen der kapitalistischen Arbeitsform. 59 Man, MEW 40, S. 540. 60 Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, a. a. O., 19911, S. 96. 61 Darunter nicht nur Hegel, sondern auch die Hegelianer, welche Marx’ Gedanken beeinflusst haben, wie Friedrich Feuerbach oder Bruno Bauer. Erich Fromm, Margaret Fay, Ingo Elbe, Michael Quante gehören zu den Verteidigern einer Marxschen Hegelrezeption in der Rekonstruktion der Entfremdung. Michael Heinrich sieht hingegen keine methodische Beziehung, sondern einen direkten Dialog vor allem mit Adam Smith und James Mill. 62 Man kann am Anfang der Phänomenologie des Geistes (vgl. Abteil: sinnliche Gewissheit) dieses Beispiel (aber bezüglich der Natur der Erkenntnis) finden: „wir gebrauchen in beiden Fällen ein Mittel, welches unmittelbar das Gegenteil seines Zwecks hervorbringt; oder das Widersinnige ist vielmehr, daß wir uns überhaupt eines Mittels bedienen“ (Phä, W 3, S. 68 f.).

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

riellen Bedingungen konfligiert, negiert der Knecht zuerst de ratio und dann de facto seine Arbeit für den Herrn. Die Marxsche Konzeption der Widersprüche der modernen Herr-Knecht-Dialektik gibt zu verstehen, dass die kritische Darstellung der Vergesellschaftung begrifflich zur Auflösung dieser kapitalistischen Widersprüchlichkeit führt.63 Dadurch, dass der Knecht sich selbst als einem Mittel für die Befriedigung der Begierde des Herrn bewusst wird, kann er seinen status quo als Knecht aufheben. Durch die Einstellung zu seiner eigenen Aktivität, seiner Arbeit (ἔργον) als Knecht wird der Herr als Herr, d. h. sein herrschender Status, negiert und damit versteht der Knecht sich selbst als Herr seiner objektivierenden Aktivität, sprich über seine Arbeitskraft (ἐνέργεια). Der Entfremdungsbegriff enthält somit eine Entäußerung des menschlichen Gattungswesens unter der Entwicklung der privaten Herrschaft, also unter der Figur des Privateigentums: „Das Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht, daß ein Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unsrem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz, gebraucht wird. Obgleich das Privateigentum alle diese unmittelbaren Verwirklichungen des Besitzes selbst wieder nur als Lebensmittel faßt und das Leben, zu dessen Mittel sie dienen, ist das Leben des Privateigentums Arbeit und Kapitalisierung. An die Stelle aller physischen und geistigen Sinne ist daher die einfache Entfremdung aller dieser Sinne, der Sinn des Habens getreten.“64

Wie Adorno betonte, geschieht diese Entfremdung der Arbeiter nur wenn eine „Selbsterhaltung ohne Selbst“65 ermöglicht wird. Das Marxsche Frühverständnis dieser eigennützlichen Instrumentalisierung des Arbeiters im Rahmen politischer Ökonomie als bezweckte Arbeit für ein fremdes Wesen, zeigt, dass die Entfremdung als eine spezifische immanente Dimension der politischen Ökonomie zu verstehen ist. Mit dieser theoretischen Aufgabe kann zumindest eine handlungstheoretische Behauptung im Marxschen Frühwerk bezeichnet werden, nämlich, dass die rechtlichen, willentlichen Widersprüche der Herrschaft des Kapitals aufzuheben sind.66 63

Begriffe wie „Emanzipation“ oder „Befreiung“ sind aber im Spätwerk nicht wiederzufinden. Sie werden als politisch-ökonomische Begriffe neu interpretiert. Anstatt von einer menschlichen Emanzipation (Vgl. Zur Judenfrage, MEW 1, S. 370) zu reden, spricht Marx von einer Systematisierung der Kritik der politischen Gesellschaftsformation, in der Termini wie „Emanzipation“ nicht mehr als kategoriale Termini des Corpus des Kapital, Grundrisse oder Zur Kritik erscheinen. Anstatt von einem möglichen Zustand völliger menschlichen Emanzipation auszugehen, spricht Marx hier von der Möglichkeit, den Stoffwechsel mit der Natur rationell zu regeln und unter gemeinschaftliche Kontrolle zu bringen. 64 Man, MEW 40, S. 540. 65 Adorno, Theodor, „Theorie der Halbbildung“, in Soziologische Schriften I. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1979, S. 115. 66 Eine Marxschen Kritik an der Hegelschen Staatstheorie muss aber nicht im Sinne einer normativen Kritik reduziert werden. Die Hervorhebung der Marxschen Kritik am kapitalistischen System als normative Kritik wird oft als normatives Verständnis dieses Systems missdeutet. Marx versteht aber die kapitalistische Organisation der Gesellschaft auf Grundlage einer Realabstraktion der menschlichen Beziehungen.

2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  

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Eine normative Interpretation der Entfremdung in der politisch-ökonomischen Struktur unterschätzt die Rolle der gesellschaftlich notwendigen Realabstraktion der zwischenmenschlichen Verhältnisse. Man muss zunächst beachten, dass Marx nie eine explizite Affirmation einer möglichen Moralphilosophie geschrieben hat,67 weshalb eine ausführliche Erläuterung dieses Themas von seinem epistemologischen Standpunkt in den sehr frühen Texten abhängig ist.68 Die ethische und normative Problematik in der Marxschen Theorie beschäftigte die klassischen Marxisten zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa, erreichte jedoch selten ein konkretes Resultat. Die Fragestellung lautete, ob die Marxsche Wirtschaftssystematik als eine Wirtschaftsethik zu bezeichnen wäre. Die Hypothese bringt aber Verwirrung in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit der handlungstheoretischen Darstellung. Marx verstand durch sein gesamtes Werk hinweg seine Ökonomiekritik als immanente selbstbewegende Erscheinungsweise der Gesellschaft. In Bezug darauf, einen ethischen materialistischen Marxismus betrachtend, stimmt die Mehrheit der Marx-Kenner darin überein, dass ein Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und dem notwendigen Theoriegebäude der Ökonomiedarstellung im Forschungsprogramm nicht plausibel erscheint.69 Marx zufolge wäre seine eigene Darstellung der ökonomischen Verhältnisse und der kapitalistischen Funktionalität ein Werkzeug für den Warenproduzenten, den Arbeiter, um sich selbst von den produzierten Widersprüchen zu befreien. Mit seinem anthropologischen Entfremdungsbegriff versucht Marx, die widersprüchliche Dynamik der Reproduktionsmechanismen und der immanenten Abhängigkeitsverhältnisse des sich entwickelnden Kapitalismus zu erklären. Darum entwickelt er seine erste bedeutende kritische Analyse der Nationalökonomie zur Aufhebung der knechtisch gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeiter, die unter der Kondition eines knechtischen Bewusstseins existieren. Der Zweck der Marxschen Frühwerke ist einerseits theoretisch, insofern seine anthropologische Darlegung als erste systematische Auseinandersetzung mit der irreführenden Darstellung des führenden Ökonomiemodells verstanden wird,70 und andererseits praktisch, sofern

67 Wir können jedoch durchaus Passagen von Marx als moralische Interpretationen der sozialen Widersprüche (wie Vergegenständlichung, Entfremdung, Fetischcharakterisierung, u. a.) ansehen. So Marx: „Beiläufig bemerkt, musste die deutsche Philosophie, weil sie nur vom Bewusstsein ausging, in Moralphilosophie verenden, wo dann die verschiedenen Heroen einen Hader um die wahre Moral führen.“ (DI, MEW 3, S. 349). 68 Diese Schriften können einige konkrete Resultate hierzu liefern, im Gegenteil zu denen nach 1875. 69 Autoren wie Georg Lohmann, Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich sind renommierte Vertreter (mit Unterschieden) dieser Position. Demgegenüber ist Maximilien Rubel einer der bekanntesten Verteidiger einer ethischen Interpretation des Marxschen Theoriegebäudes (Vgl. Karl Marx. Essai de biographie intellectuelle, Marcel Rivière et Cie, Paris, 1957, S. 341 ff. u. 400). 70 Sowohl Bewusstsein als auch Entfremdung finden sich bei Hegel und Feuerbach ausschließlich auf der Ebene des (Selbst)Bewusstseins oder (Selbst)Wissens. Während für Hegel der Geist das Bewusstsein vervollständigt, ist es für Feuerbach der Mensch. Dagegen ist für

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

die inneren, materiellen, reellen Widersprüche unversöhnlich mit den kritischen Reproduktionsbedingungen der „Herrschaft“ des Privateigentums erscheinen und tatsächlich in der Realität materiell aufzuheben sind. Der Entfremdungsbegriff ist eine epistemologische Bedingung für seine eigenen emanzipatorischen Ansichten, wie etwa in seiner jugendlichen Revolutionstheorie.71 Marx versucht die wissenschaftlichen Elemente und dessen nachweisbare Grundlage zu erfassen, welche eine Überwindung der materiellen Knechtschaft und der materielle Entäußerung des Subjekts in seiner Selbstobjektivierung (= Arbeit)72 plausibilisieren. Die Realisierung der Bedürfnisbefriedigung macht die Objektivierung des Menschen in der Arbeit aus. Das Produkt der Arbeit erlangt einen Wert (genauer gesagt, gesellschaftlichen Tauschwert)73, den der Arbeiter erst mittels seiner Tätigkeit produziert. Auf Grund dieser Aufgabe fungiert der Arbeiter als Verwandler eines Objekts überhaupt, der parallel auch selbst als Produkt mit einem bestimmten Wert (hier dem Tauschwert des Arbeitslohns) gilt. Der Arbeiter (das Subjekt der Arbeit) präsentiert sich als Objekt für das andere Subjekt (Subjekt des Genusses fremder Arbeit) durch den Verkauf seiner Arbeitskraft. So schreibt der junge Karl Marx in der folgenden Passage der Pariser Manuskripte: „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihm als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich gemacht hat, es ist die Vergegen­ ständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung. Diese Verwirklichung der Arbeit scheint in dem nationalökonomischen Zustand als Ent­ wirklichung des Arbeiters, die Vergegenständlichung als Verlust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung als Entfremdung, als Entäußerung.“74

Marx der Mensch nur in Verbindung mit anderen Menschen, die die moderne (= bürgerliche) Gesellschaft reproduzieren, d. h. den Produzenten. 71 „Zur Erstürmung dieser emanzipatorischen Stellung und damit zur politischen Ausbeutung aller Sphären der Gesellschaft im Interesse der eignen Sphäre reichen revolutionäre Energie und geistiges Selbstgefühl allein nicht aus. Damit die Revolution eines Volkes und die Emanzipation einer besonderen Klasse der bürgerlichen Gesellschaft zusammenfallen, damit ein Stand für den Stand der ganzen Gesellschaft gelte, dazu müssen umgekehrt alle Mängel der Gesellschaft in einer andern Klasse konzentriert, dazu muß ein bestimmter Stand der Stand des allgemeinen Anstoßes, die Inkorporation der allgemeinen Schranke sein, dazu muß eine soziale Sphäre für das notorische Verbrechen der ganzen Sozietät gelten, so daß die Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeine Selbstbefreiung erscheint.“ (KPhR, MEW 1, S. 388) 72 Der junge Marx denkt die Arbeit überhaupt – in Bezug auf Menschengattung – als Selbstrealisierung bzw. Selbstobjektivierung des Subjektes. Das bedeutet, dass der Mensch sein Wesen in der produzierenden Tätigkeit schafft. Dabei ist zu beachten, dass die Entfremdung des Menschen im kapitalistischen System eine Derealisierung bzw. Deobjektivierung ist. Zu dieser Derealisierung und seinen Vergleich mit Hegels Denken, Vgl. Schmidt am Busch, HansChristoph, Hegels Begriff der Arbeit. Akademie, Berlin, 2001, S. 114. 73 „Der Wert einer Ware ist selbstständig ausgedrückt durch seine Darstellung als ‚Tauschwert‘“ (MEW 23, S. 74) 74 Man, MEW 40, S. 511 f.

2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  

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In der Arbeit verwirklichen sich zwei verschiedene Momente: Insofern das Subjekt der produktiven Arbeit (hier, dem produzierten Objekt, dem Warenwert, usf.) entspricht, gilt die Arbeit als ἔργον des Subjekts bzw. als Selbstobjektivierung (Marx zufolge, entsprechend der Selbstverwirklichung). Die Arbeit jedoch realisiert das Subjekt nicht nur, sondern entwirklicht, derealisiert es auch, weil im Produktionsprozess, worin der Mensch sich in Bezug auf sein Objekt aufhebt, er (genauer, der Arbeiter auf Grund seiner Arbeitskraft) zum gesellschaftlichen Werkzeug wird, insofern er die Bedürfnisse eines Anderen befriedigt. Gesell­ schaftliche Arbeitstätigkeit personalisiert den Arbeiter als Warenproduzenten. Im Hinblick auf die Objektivierung des Menschen wird die Entfremdung als Resultat der gesellschaftsformativen Herrschaftsverhältnisse, in welcher die De­ realisierung des socialis individui75 die Kommandogewalt des Kapitals über die Arbeit reproduziert. Der Arbeiter ist auch Knecht seines Arbeitsgegenstandes (= Produkt der Arbeit) im Getriebe der sozial-produktiven Maschinerie, sodass er sich von sich selbst entfernt, denn er objektiviert nicht sich selbst, sondern er wird durch die produktiven Bedürfnisse objektiviert. Er hat schlechthin den Wert eines produktiven Objekts (= Arbeitskraft, um die unvermittelte Sache zu verändern), weil sein materielles Leben derealisiert, denaturalisiert und gleichzeitig instrumentalisiert wird: „Je mehr also der Arbeiter die Außenwelt, die sinnliche Natur, durch seine Arbeit sich an­ eignet, um so mehr entzieht er sich Lebensmittel nach der doppelten Seite hin, erstens, daß immer mehr die sinnliche Außenwelt aufhört, ein seiner Arbeit angehöriger Gegenstand, ein Lebensmittel seiner Arbeit zu sein; zweitens, daß sie immer mehr aufhört, Lebensmit­ tel im unmittelbaren Sinn, Mittel für die physische Subsistenz des Arbeiters zu sein.“76

Man kann feststellen, dass diese Überlegungen über die Herrschaftskonzeption einer generellen Darstellung der Frühgedanken Marx’ entsprechen. In den Pariser Manuskripten kann man eine theoretische Schnittmenge ausmachen, die „Sein“, „Haben“ und „Tun“ aufeinander beziehen und den Formen von Menschengattung, Privateigentum und Arbeit entsprechen. Es ist die produktive Arbeit (Tun), welche das Eigentum (Haben) und den Menschen (Sein) vermittelt. Fremde und entfremdete Arbeiten reproduzieren die immanente Asymmetrie der Produktionsverhältnisse, also den Widerspruch zwischen Privateigentum und Arbeiter. Kein „selbstzweckhaftes Tun“77 führt der entfremdete Arbeiter aus, sondern seine Zwangsarbeit als Negation seines ontologischen Zustandes. So impliziert die Entfremdung einen nicht-entfremdeten Status, der zur Aufhebung ihrer Widersprüchlichkeit beiträgt. 75 Daher versteht man den Menschen erst in seiner notwendig gesellschaftlichen Rolle, d. h. sensu lato aristotelisch ausgedrückt, als ζῷον πολιτικόν (Pol, I 1, 1253a 9). 76 Man, MEW 40, S. 513. 77 Begriff in Elbe, Ingo, „Entfremdete und abstrakte Arbeit Marx’ Ökonomisch-philosophische Manuskripte im Vergleich zu seiner späteren Kritik der politischen Ökonomie“, in: Elbe, Ingo et al (Hrsg.), Oldenburger Jahrbuch für Philosophie 2012. BIS, Oldenburg 2014, S. 11.

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Kap. 2: Erörterung der Auseinandersetzung Marx’ mit Hegel 

Marx entlehnt seine eigene Begriffsverwendung von methodologischen und terminologischen Elementen aus Hegels Philosophie, die seine anthropologische Theorie stützen. Für den jungen Marx ist Hegel kein „toter Hund“78, sondern ganz im Gegenteil fungiert die Hegelsche Terminologie als sprachlich-philosophisches Instrumentarium für seinen eigenen Menschenbegriff, welcher im Spätwerk mit dem Fetischbegriff einen werttheoretischen Charakter annimmt. Die Entfremdung als frühe nicht-empirische Figur in der Darstellung der kapitalistischen Gesellschaft ist mehr ein entwicklungsgeschichtliches Element für die spätere Darstellung des Personenbegriffes als Warenträger, als ein notwendiges Moment der Gesellschaftsformation. Sowohl Marx’ kritische Auslegung Hegels, als auch die Modifikation seiner frühen anthropologischen Auffassungen brachten unterschiedliche Lektüren über die Rolle des Hegelschen Denkens in Bezug auf die Rekonstruktion einer methodischen Gesellschaftsdarstellung hervor. Einige dieser Lektüren führten im 20. Jahrhundert zu zahlreichen Missverständnissen, vor allem zu einer groben Idealisierung der Hegelschen Logik.79 Im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung steht keineswegs eine Anpassung der Marxschen Methodenbegriffe an die Hegelschen, sondern ein Korrelat, das einige Abstraktionen erklärt, die die Marxsche Auffassung über die Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft betreffen. In dieser vom jungen Marx neu-definierten Herr-KnechtDialektik spielt die Hegelsche Logik eine bedeutende Rolle, nicht nur um eine epistemologische Struktur zur Abstraktionsweise der Logik zu entwerfen, sondern diese kritische Form der Darstellung des Denkens und seiner logischen Kategorien80

78 Wir benutzen hier den Ausdruck aus dem Vorwort des Kapital, welcher kurz die Entwicklung der Meinung Marx’ über die Hegelsche Dialektik beschreibt: „Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des Kapital ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als „toten Hund“. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.“ (MEW 23, S. 27. Herv. von P. P.) 79 Diese Vereinfachungen beherrschten die marxistische Lesart über Hegels Philosophie bis zu der Interpretation von Lukács, welche besagte, die Marxsche Aufgabe „[…] bedeutet den damals vielleicht radikalsten Versuch, das Revolutionäre an Marx durch Erneuerung der Hegelschen Dialektik und seiner Methode wieder aktuell zu machen“ (Geschichte und Klas­ senbewusstsein, a. a. O., S. 21). 80 Hier benutzen wir den Terminus „Kategorie“ in sensu lato, also nur als Ausdruck im Allgemeinen, als Vorbegriff, um die logische Tradition der Philosophie nachzuvollziehen. Hegel nutzt sie in diesem Sinne in vorwissenschaftlichen Kontexten, z. B. in seiner Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik (Vgl. WdL I, W 5, SS. 20–21; 24) und besonders in der Nürnberger Propädeutik (Vgl. W 4, S. 192). Johann E. Erdmann, einer der prominentesten Schüler von Hegel, sieht das System der Logik als eine Wissenschaft der Kategorien, so erklärt

2.2 Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Entfremdung  

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fungieren als Muster für die Entwicklung der kritischen Darstellungsweise der kapitalistischen Vergesellschaftung im Spätwerk. Diese Vergesellschaftung ist Thema unseres nächsten Kapitels.

er: „Denkbestimmungen, welche ebensowohl subjective Gedanken als auch zugleich objective Verhältnisse der Wirklichkeit sind“ (Grundriss der Logik und Metaphysik. Georg Olms, Hildesheim, 1841 [2006], § 6, S. 3). Wir können aber feststellen, dass im System der Logik die begriffliche Kategorie sich auf den Rahmen der Seinslogik beschränkt, im Unterschied zu den Bestimmungen und Momenten, welche logisch zum Wesen und Begriffe gehören. Marx macht hingegen keinen Unterschied zwischen diesen Begriffen.

Kapitel 3

Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für die Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag. K. Marx (MEW 23, S. 16. Herv. von P. P.) ὁ γὰρ δεσπότης οὐκ ἐντῷκτᾶσθαι τοὺς δούλους, ἀλλ’ ἐντῷχρῆσθαι δούλοις. ἔστι δ’ αὕτη ἡ ἐπιστήμη οὐ δὲν μέγα ἔχουσα οὐδὲσεμνόν: ἃ γὰρτὸνδοῦλον ἐπίστασθαι δεῖ ποιεῖν, ἐκεῖνονδεῖ ταῦτα ἐπίστασθαι ἐπιτάττειν. διὸὅσοις ἐξουσία μὴ αὐτοὺς κακοπαθεῖν, ἐπίτροπός λαμβάνει ταύτην τὴν τιμήν, αὐτοὶδὲ πολιτεύονται ἢ φιλοσοφοῦσιν. (Denn der Herr -Kapitalist- betätigt sich als solcher nicht im Erwerben der Sklaven -dem Kapitaleigentum, das die Macht gibt, Arbeit zu kaufen –, sondern im Benutzen der Sklaven – der Verwandlung von Arbeitern – heute Lohnarbeitern im Produktionsprozeß. Es ist aber mit dieser Wissenschaft nichts Großes oder Erhabnes; was nämlich der Sklave zu verrichten verstehen muß, das soll jener verstehn zu befehlen. Wo die Herren sich selbst damit zu placken nicht nötig haben. Da übernimmt der Aufseher diese Ehre, sie selbst aber trieben Staatsgeschäfte oder philosophieren.) Aristoteles. Pol. I, 7. Zitiert nach Marx eigener Übersetzung, im Kapital III (MEW 25, S. 398)

Die Frage nach Marx’ Methode zur Darstellung der Gesellschaftsformation beschäftigt eine Vielzahl von Denkern bis in die Gegenwart. Soziologen, Politikwissenschaftler und Philosophen spekulieren über die vielfältigen Bedeutungen und Implikationen des Begriffes „Gesellschaft“ im organischen System Marx’. Nach der Erörterung der Marxschen Interpretation der Hegelschen Herrschaftsproble-

Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt

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matik, fährt unsere Untersuchung mit den ersten Grundrissen einer dialektischen Darstellungsweise bei Marx fort. Unsere Leitfrage konzentriert sich hier auf die begrifflich fundierte Formation der sogenannten „bürgerlichen Gesellschaft“. Die These, die im Laufe dieses Kapitels entfaltet werden soll, lässt sich folgendermaßen formulieren: Die grundlegende Aufgabe des Kapital und des ganzen Spätwerkes ist die Rekonstruktion des Konkreten, insofern dieses Konkrete mit dem Begriff der Gesellschaft identifiziert wird. Diese Rekonstruktion ist aber nicht einfach nur dessen Darstellung, sondern auch und hauptsächlich deren Kritik. Der Aufbau des Marxschen Gesamtwerkes kann in unterschiedlichen Perioden der Denkweise und den daraus resultierenden Systematisierungen eingeteilt werden. Das ganze Theoriegebäude wäre zu umfassend, wenn wir uns nicht ausschließlich auf die genealogische Entwicklung der Begriffe beziehen würden. Deshalb ist das erste Kapitel der vorliegenden Untersuchung fundamental für das Verständnis der folgenden Punkte. Kapitalismuskritik ist in einer gewissen Weise, erstens, eine Kritik an einer bestimmten Form der Vergesellschaftung und, zweitens, eine Nebenkritik an einem bestimmten Begriff des Individuums. Diese Vergesellschaftung bzw. Gesellschaftsformation behandelt der erste Unterabschnitt dieses dritten Kapitels. Wir werden hier die Frage nach der Rolle der Gesellschaft und des Gesellschaftlichen in Bezug auf die Darstellungsweise stellen. Alle Entwürfe einer Gesellschaftskritik bei Marx tragen mit einer entsprechenden Methode zur Kritik am kapitalistischen System der Produktion bei. Wir versuchen hier seine Gesellschaftsdiagnose und die entsprechende Kritik in drei Phasen zu erläutern: Das Gesellschaftliche als Totalität. Menschen- und Personenbegriff bei Marx. Die Person als notwendiges ökonomisches Element der Gesellschaftsformation. Der Herrschaftsbegriff als wesentliche Bestätigung des gesellschaftlichen Cha­ rakters des Menschen. Zunächst ist zu bemerken, dass bei Marx eine innerliche Verbindung zwischen der Gesellschaft und dem Menschen durch die jeweilige Art der Herrschaft (hier, die des Kapitals) besteht. Marx zeigt einen Unterschied zwischen den verschiedenen Rekonstruktionen des Menschenbegriffes in Bezug auf die vorherrschende Gesellschaftsformation auf. Die Gesellschaft herrscht über den Menschen. Um dies erläutern zu können, konzentrieren wir uns auf die Konzeption der Gesellschaft und, noch spezifischer, auf das Gesellschaftliche im Spätwerk, worin Marx eine holistische Konzeption im strengen Zusammenhang zur Entfaltung der gesamten menschlichen Verbindungen verfasste. Der Gesellschaftsbegriff umfasst und resümiert die kontinuierlichen Untersuchungen über das Kapitalwesen, wodurch dieser Begriff die komplette Konstellation von besonderen Bestimmungen der politischen Ökonomie verkettet und strukturiert. Das Ziel dieses Kapitels ist aber zu verdeutlichen, dass die (bürgerliche) Gesellschaftskonzeption eine bestimmte Herrschaft über die Individuen reproduziert, infolgedessen eine asymmetrische Beziehung zwischen Individuen auf Grundlage des gesellschaftlichen Organismus produziert.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität Der erste Schritt für eine Erläuterung der Vergesellschaftungskritik ist die Abbildung der Gesellschaft als solcher bei Marx. Wir müssen aber betonen, dass eine solche Untersuchung durch den Umstand erschwert wird, dass bei ihm die bürgerliche Gesellschaft nicht in einer isolierten Definition vorliegen kann, sondern immer als Ergebnis der vollständigen Untersuchung menschlicher Verhältnisse aufzufassen ist. Die entsprechende Erläuterung werden wir in folgenden Schritten durchführen: 3.1.1 Auflösung des bürgerlichen Gesellschaftsbegriffs und die ökonomische Kategorie der Gesellschaft bei Marx. 3.1.2 Der Gesellschaftsbegriff im Marxschen Spätwerks. 3.1.3 Das Gesellschaftliche als Produktionsorganismus. Die bürgerliche Gesellschaft als Summe der menschlichen Relata.

3.1.1 Auflösung des bürgerlichen Gesellschaftsbegriffs und die ökonomische Kategorie der Gesellschaft bei Marx Ausgehend von einer Re-Lektüre der Werke der englischen Nationalökonomen entwarf Marx schon in frühen Jahren eine scharfe Kritik an Hegels Realphilosophie, welche wir bereits im vorigen Kapitel erwähnt haben. Im Laufe der Jahre verlor er jedoch das Interesse an einer sorgfältigen Analyse des allgemeinen und philosophischen Rechtswesens und begann stattdessen seine darstellungsimmanente Kritik am Kapital. Die normative Kritik an der Herrschaft des Kapitals (= Kapitalismus) ging somit in eine strukturelle Analyse der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaftsformation über.1 Obwohl Marx’ Lektüre der Hegelschen Philosophie als eine Bearbeitung und Korrektur ausgelegt werden muss, ähnelt sie der Denkstruktur Hegels, zumal nach seiner Entfernung vom Linkshegelianismus ab dem Jahr 1844, eine Interpretation der Methodenlehre und der erkenntnistheoretischen Passagen der Logik, die er „wieder durchgeblättert“2 hatte, erneut unternahm. Trotz der Kritik, die an der deutschen Philosophie (inkl. an Hegel) als Ent 1 In seiner Doktorarbeit mit dem Titel Die Phänomenologie des Widergeistes (Nomos, Baden-Baden, 2012) verteidigt Volkan Çidam eine Interpretation Marx’ als normative Kritik am Kapitalismus. Das 2012 erschienene Buch hat (in einer kritischen Weise) unsere eigene Interpretation in dieser Doktorarbeit beeinflusst. Die Thematisierung des Personenbegriffs dort ist planmäßig in unsere Interpretation des strukturellen Gesellschaftsbegriffs bei Marx aufgenommen worden. Unser Standpunkt unterscheidet sich von jenem Çidams, auch von der Lukácssche Lesart, ebenso wie von den näheren Problemformulierungen einer normativ kritischen Gesellschaftsformation. Çidams Werk ist dennoch von Bedeutung in der folgenden Diskussion über Darstellungs-, Methoden- und Kritikauffassungen. (Vgl. Edb., S. 177 ff.). 2 MEW 29, S. 260.

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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mystifizierung der dialektischen Formen3 bereits in Frühschriften wie Die heilige Familie und den Pariser Manuskripten geübt wurde, behielt Marx noch 1858 – als die Grundrisse verfasst wurden – eine enge Verbindung zu jener rationalen Methode bei, worin das Logische als notwendiger Teil des ganzen Entwicklungsprozesses des Kapitalwesens begriffen wird. „Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen.“4

Die kritische Tragweite der Logik fällt mit der Anwesenheit einer operativen Lesart des kategorialen Verfahrens zur ökonomischen Bestimmung der Warenproduktion zusammen, worin auch der Gesellschaftsbegriff verwickelt ist. Diese Interpretation wird kritisch analysiert, sofern Marx in seinem Spätwerk den Begriff der Gesellschaft als eine zu entwickelnde Phase der allgemeinen Produktion positioniert, aber auf keinen Fall diesen Begriff von einem „System reiner Logik“ ableitet, sondern sie (die Gesellschaft im Allgemeinen) als einen bestimmten status quo menschlicher Verbindungen ansieht. In einem Brief an Kugelmann beschrieb Marx 1868 die Problematik der Abstrahierung des bürgerlichen Gesellschaftsbegriffs folgendermaßen, „daß apriori keine bewußte gesellschaftliche Reglung der Produktion stattfindet“.5 Die Gesellschaft wird zuerst als Resultat der ganzen Systementwicklung der Kapitalformen verstanden und solange diese Gesellschaft unter den Bedingungen der modernen Produktionsweise bestimmt wird, ist diese eine bürgerliche. Die Idee einer Gesellschaft als konkretisierender Phase des kontinuierlichen Verfahrens des Kapitals verstärkt sich in der progressiven Entwicklung der Marxschen Denkweise und versteht sich gleichzeitig als Kritik an den Methoden der klassischen Ökonomen, welche die Situation dieser Gesellschaft als gegebenen Ausgangspunkt vorausgesetzt haben. Nach Marx mythologisieren die Nationalökonomen die Selbstentwicklung des Gesellschaftlichen: „In Gesellschaft producierende Individuen – daher gesellschaftlich bestimmte Production der Individuen ist natürlich der Ausgangspunkt. Der einzelne und vereinzelte Jäger und Fischer, womit Smith und Ricardo beginnen, gehört zu den phantasielosen Einbildungen des 18t Jhh. Robinsonaden, die keineswegs, wie Kulturhistoriker sich einbilden, blos einen Rückschlag gegen Ueberverfeinerung und Rückkehr zu einem mißverstandnen Naturleben ausdrücken. […] In dieser Gesellschaft der freien Conkurrenz erscheint der Einzelne losgelöst von den Naturbanden u.s.w. die ihn in früheren Geschichtsepochen zum Zubehör eines bestimmten, begrenzten menschlichen Conglomerats machen. Den Propheten des 18t Jhh., auf deren Schultern Smith und Ricardo noch ganz stehn, schwebt dieses Individuum des 18 t Jhh. – das Product einerseits der Auflösung der feudalen Gesellschaftsformen, andrerseits der seit dem 16t Jhh. neu entwickelten Productivkräfte – als Ideal vor, dessen Existenz eine vergangne sei. Nicht als ein historisches Resultat, sondern als Ausgangspunkt

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MEW 23, S. 27; MEGA² II/6, S. 709. MEW 29, S. 260. 5 MEW 32, S. 552. 4

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt   der Geschichte. Weil als das Naturgemäße Individuum, angemessen ihrer Vorstellung von der menschlichen Natur, nicht als ein geschichtlich entstehendes, sondern von der Natur gesetztes.“6

Nach dem Verwerfen eines normativen Gesellschaftsbegriffes in den sogenannten Kreuznacher Manuskripten (1844) fasst Marx fortan die Gesellschaft als ökonomischen Oberbegriff auf. Die hegelianischen Auffassungen wurden in den Pariser Manuskripten diskutiert und die bürgerliche Gesellschaft als ökonomische Kategorie eingeführt.7 Ähnlich vertritt Engels in seinen letzten Schriften, dass die Gesellschaft eigenständig definierbar ist, wenn deren ökonomische Bedingungen bereits zuvor geklärt wurden, das heißt, wenn die ganzen Kapitalverhältnisse, die dem Gesamtbegriff „Gesellschaft“ vorhergehen, in ihrer Besonderheit entfaltet wurden. Was aber den Gehalt dieser ökonomischen Verhältnisse angeht, wird im Laufe der Erläuterung der Selbstproduktion der Gesellschaft erklärt. So in einem Brief an Borgius, wo er Nachdruck auf die Rolle der Technik in der Gesellschaftsformation legt, schreibt Marx das Folgende: „Unter den ökonomischen Verhältnissen, die wir als bestimmende Basis der Geschichte der Gesellschaft ansehen, verstehen wir die Art und Weise, worin die Menschen einer be­ stimmten Gesellschaft ihren Lebensunterhalt produzieren und die Produkte untereinander austauschen (soweit Teilung der Arbeit besteht)“8

Die enge Verbindung zwischen den Produktionsverhältnissen und der Produktionsweise als Wesen der Gesellschaft erlaubt in den nächsten Punkten dieses Kapitels eine Reflexion über die Begrifflichkeit der Gesellschaft in den Passagen des Kapital, in welchen die Gesellschaft als Summe aller menschlichen Verbindungen verstanden wird. Auf diese Weise werden alle Momente der Darstellung des Kapitals als Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft gewertet. Im Kontext des späten Marx können wir behaupten, dass ab diesem Punkt der Wert, als erstes Moment in der Darstellung, im Allgemeinen als der tatsächliche Ausgangspunkt der ganzen Entfaltung des Kapitals erscheint. Die Analyse der Ware ist im Marxschen Spätwerk als eine abstrakte Untersuchung über die bürgerliche Gesellschaft zu verstehen und auf Grund dessen ist die Ware und genauer der Warenwert9 die „Elementarform“ des ganzen „Reichtums der Gesellschaften“.10

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MEGA II/1.1, S. 22 f., Herv. von P. P. Wir werden uns mit der Verbindung zwischen Individuum bzw. Person und Gesellschaft im nächsten Punkt beschäftigen. Die Dialektik zwischen Individuum und Gesellschaft reproduziert einen der größten Konflikte von Marx mit Hegel und gleichzeitig erlaubt sie die Rekonstruktion der Kritikstrategie in den Marxschen Spätschriften über eine immanente (mögliche) Subjektivitätstheorie. 7 Vgl. MEGA I/2, S. 176 ff. 8 Engels. Brief an Borgius. Braslau, 25. Januar 1984. MEW 39, S. 205., Herv. von P. P. 9 Vgl. MEW 23, S. 49 f. 10 Ebd.

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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3.1.2 Der Gesellschaftsbegriff im Marxschen Spätwerks Bisher haben wir untersucht, wie der Begriff der Gesellschaft bei Marx einen innerlichen und kritischen Bezug zur Hegelschen Konzeption einer bürgerlichen Gesellschaft aufweist. Der Begriff „Gesellschaft“ erlebte aber in den darauffolgenden Jahren, vor allem nach dem Bruch mit dem deutschen Idealismus seit 1860, einige Veränderungen, weil das Verständnis dieses Begriffes im Laufe der Zeit in einen stärkeren Zusammenhang zum ökonomischen Produktionsorganismus gestellt wurde. Auf den folgenden Seiten legen wir dar, dass es im Marxschen Spätwerk keinen expliziten Gesellschaftsbegriff in sensu lato gibt, sondern nur einen ökonomisch-kontextualisierten, d. h. was wir hier erläutern wollen, ist, dass die Gesellschaft trotz ihrer Zentralität nicht als methodologische Voraussetzung der Wertanalyse betrachtet wird, sondern ganz im Gegenteil als Zuspitzung in der ganzen kritischen Darstellung aller Produktionsformen. In Zur Kritik der politischen Ökonomie verwirft Marx definitiv die „hegelianische“ Betrachtung der Gesellschaft als Netz zwischen Zivilgesellschaft und Staat und verlagert die komplette Analyse des Begriffes in den Bereich der politischen Ökonomie. In diesem Sinne gelte die Staatsphilosophie Hegels, laut Marx, als irreflexive Rechtfertigung der Bourgeoisierung der Klassenverhältnisse, eben weil deren Rechtsbeziehungen – und damit die ganze Struktur des Staates – nur als Versachlichung bürgerlicher Gesellschaft und ihrer Eigenschaften dargestellt wird. D. h. Marx zufolge setzte Hegel die bürgerliche Gesellschaft als willkürlichen Ausgangspunkt voraus, indem deren Bestimmungen nicht kritisch gesetzt bzw. deren gesellschaftliche Widersprüche nicht explizit gemacht wurden. Anders formuliert: die Gesellschaft wird in einer Hegelschen Lektüre nicht in ihren Grundzügen berücksichtigt, sondern lediglich als bloße Anwendung der logischen Begriffe auf die bürgerliche Gesellschaft und den Staat dargestellt. Das Marxsche Frühwerk präsentiert einerseits umgekehrt die bürgerliche Gesellschaft und den Staat als real entgegengesetzte Momente, unvereinbar in einer sittlichen Einheit.11 Das Spätwerk thematisiert andererseits nicht nur, dass die ganze Darstellung des Hegelschen Rechtswesens innerliche Widersprüche in Bezug auf die kategoriale Setzung beinhaltet, sondern auch, dass dieselben Begriffe keinen festen Gehalt haben. Laut Marx mystifiziere Hegels Rechtsphilosophie inhaltslose Bezüge auf das Rechtswesen, die willkürlich gesetzt seien, ohne eine weitere kritische Entgegensetzung zu entfalten. Man kann folglich verstehen, weswegen Marx im Laufe der Jahre besonders den Begriff des Eigentums bei Hegel als Ausgangspunkt der

11 Der Konflikt zwischen Gesellschaft und sittlichem Staat im Marxschen Frühwerk findet eine schlagkräftige und aktualisierte Analyse im letzten Werk Márcio Schäfers Bürgerliche Gesellschaft und Staat. Zur Rekonstruktion von Marx’ Theorie und Kritik des Staates (Königs­ hausen / Neumann, Würzburg, 2018); dazu gibt das erste Kapitel des schon klassischen Buchs von Andreas Arndt, Karl Marx (a. a. O., S. 26 ff.) auch starke Elemente für die Debatte über Marx’ kritische Revision der Hegelschen Staatsauffassung.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

bürgerlichen Gesellschaft kritisierte.12 Bereits in den Grundrissen wird der Begriff der Zivilgesellschaft verworfen und gegen den der Gesellschaft schlechthin ausgetauscht. Gesellschaft wird anders als in der Hegelschen Auffassung und jener der Nationalökonomen verstanden. Die „Gesellschaft“ gelte erstens als eine Kollektivbezeichnung, wie Nation, Staat oder Volk, die als abstrakte Verallgemeinerung oder Summe der „Individuen“ aufgefasst werden muss. Zweitens sollte der Begriff der Gesellschaft nach Marx die nötige Komplexität aufweisen, indem dieser auch eine Summe menschlicher Verbindungen darstelle, d. h. eine Zusammenstellung ihrer Relata, nicht von Menschen oder Personen13. „Die Gesellschaft besteht nicht aus Individuen, sondern drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehn.“14 Diese Summe bzw. diese Vereinigung erscheint als Wesen des Gesellschaftlichen, gleichzeitig erscheint die Einzelheit des Individuums in einer oberflächlichen Analyse als prius der Gesellschaft, indem „die Trennung […] als das normale Verhältnis in dieser Gesellschaft“15 verstanden 12 Vgl. MEGA II/15, S. 604, Fn. 26. Mit dieser Anmerkung im dritten Band des Kapital, entwickelte Marx, unserer Meinung nach, eine der stärksten Kritiken an Hegels Denkweise, die bereits mit den Kreuznacher Manuskripten einsetzen. Die Position Marx’ dehegelianisiert die unreifen Bestimmungen der Frühschriften und führt eine fach-wirtschaftliche Sprache ein, um den Gesellschaftsbegriff zu konkretisieren. Ohne zu bemerken, reproduziere Hegel, laut Marx, einen schwachen Apriorismus des Rechts und des Staates, wodurch die bürgerliche Gesellschaft bestimmt werde. Die Analyse Hegels zeige willkürlich die Bestimmung der Rechtsphasen, dagegen theoretisiert Marx kritisch und ironisch. Die Marxsche Lektüre ist bereits in den Frühschriften kritisch im Umgang mit den Kernbegriffen Hegelscher Rechtsdimension, mit Nachdruck auf dem Problem des systematischen Anfangs und einer möglichen Abstraktionsweise. Die Diskussion über eine methodologische Abstraktion tritt in der Thematisierung des Gesellschaftsbegriffes hervor, indem die Aufklärung der Gesellschaft wesentlich abhängig von ihrer Entfaltung als Totalität ist. In diesem Sinne ist die Negierung des strukturierenden Beginns der Zivilgesellschaft als Eigentum zu verstehen: „Nichts kann komischer sein als Hegels Entwicklung des Privateigenthums. Der Mensch als Person muß seinem Willen Wirklichkeit geben als der Seele der äußern Natur, daher diese Natur als sein Privateigenthum in Besitz nehmen. Wenn dies die Bestimmung ‚der Person‘ ist, des Menschen als Person, so würde folgen, daß jeder Mensch Grundeigenthumer sein muß, um sich als Person zu verwirklichen. Das freie Privateigenthum an Grund und Boden – ein sehr modernes Produkt – ist nach Hegel nicht ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältniß, sondern ein Verhältniß des Menschen als Person zur ‚Natur‘.“ 13 Adorno (Vgl. Negative Dialektik. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1970, 139 ff.) nach müsse man eine Unterscheidung zwischen den Begriffen von Individuum, Person und Selbst machen. Personen seien die Individuen mit einer spezifischen Charaktermaske. Eine Person sei Gegenteil des Individuums, soweit der Mensch in der Gesellschaft als kapitalistisches Ganzes eine bestimmte Rolle personifiziert. Eine derartige Person erfülle eine von außen bestimmte Funktion auf Grund einer Entfremdung durch die kapitalistische Arbeitsteilung, insofern sie als Vermittlung der Einheit der kapitalistischen Produktion gilt. Um das Selbst-sein zu verstehen, muss sich diese Person des kritischen Charakters dieser Entfremdung bewusst werden, also über die Bedingungen, die das Ganze der Gesellschaft ausmachen, d. h. die Begriffe, die „dünnere Abstracta“ darstellen (Vgl. MEGA II/1.1., S. 36 f.). Im nächsten Unterkapitel werden wir den Personenbegriff thematisieren, insofern er eine primäre Rolle für die Erklärung des Gesellschaftlichen spielt. 14 MEGA II/1.1, S. 188. 15 MEW 26.1, S. 384.

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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wird. Die Totalität der menschlichen Verhältnisse ist sicher keine bloße Addierung, sondern das Resultat einer verketteten sich selbstbewegenden Rekonstruktion der abstrakten Genese der bürgerlichen Gesellschaft. Marx verstand in seinem Spätwerk die Gesellschaft als reflexive Komplexität, die nicht isoliert erklärt werden kann und damit nicht als Ausgangspunkt für die Analyse der Produktionsformen gelten könne, sondern nur als Gesamtheit aller vor-betrachteten Bestimmungen. Gesellschaft wird einerseits als die einfachste dynamische und sich entwickelnde Lage aller abstrakten Verbindungen zwischen Menschen verstanden, andererseits als allgemeine Bestimmtheit der materiellen Lebensprozesse, indem sie die komplexeste Auseinandersetzung aller konkreten Lebensformen des Menschen im Allgemeinen synthetisiert. Gesellschaft wird demnach bei Marx als Konkretheit einer Summe von Relata bestimmt.16 Sie bildet, soweit es die Textbezüge zulassen, ein globales Ganzes sozialer Bestimmungen, eine zeitlich-geschichtlich und örtlich-geographisch begrenzte Totalität der menschlichen Verhältnisse. Je mehr Semantik der Begriff „Gesellschaft“ enthält, desto weniger Stabilität kann er aufweisen. Folglich sei nach Marx eine solche Gesellschaft schlechthin (d. i. als Voraussetzung in einer methodologischen Darlegung betrachtet) ein gleichmäßig schwaches und bedeutungsarmes Konzept. Um den Begriff vollständig ins Auge zu fassen, muss man seine Bedingungen darstellen. Damit hätten wir dennoch ein neues Problem: Woraus der Begriff „Gesellschaft“ bestünde, wäre völlig von der Darstellungsweise derartiger Bestimmungen abhängig. Darin besteht das kontinuierliche Unternehmen der kritischen Analyse der kapitalorientierten Produktionsweise, nämlich die gesellschaftlichen Phasen in einer Darstellung von den abstracta bis hin zu den concreta zu präzisieren. In diesem Sinne besteht der „gesellschaftliche Charakter“, welcher die „Gesellschaft“ ausmacht, aus einer kooperativen Zusammensetzung zwischen bestimmten Individuen in Bezug auf eine einheitliche Produktion.17 Die Produktion setzt sich aus verschiedenen Aufgaben zusammen, die auf bestimmte Arbeitskräfte verteilt werden müssen, damit die Gesamtheit dieser Arbeit eine notwendige Einheit reproduziert: Die Gesellschaftlichkeit dieses Prozesses ist eine abstrakte Zusammenfügung der Einzelarbeiten, Einzelproduzenten bzw. Wertproduzenten. Die Gesellschaft ist 16

Die Marxsche Kritik an Hegels Methode ist schon seit den Grundrissen bekannt. Die Methode wird bei Marx als Weg zur Konkretisierung der Theorie betrachtet: „Das Concrete ist concret weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist […] Hegel gerieth daher auf die Illusion, das Realle als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden, und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode vom Abstrakten zum Concreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist sich das Concrete anzueignen, es als ein geistig concretes zu reproducieren. Keineswegs aber der Entstehungsprocess des Concreten selbst.“ (MEGA II/1.1, S. 36). 17 Soweit die ganze Beschreibung des Marxschen Spätwerks auf das Produktionsverfahren bezogen ist.

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demzufolge die konkrete Sammlung aller sozialen Bestimmungen, während das Gesellschaftliche als einheitlicher Charakter der Relata die Voraussetzung der Gesellschaft schlechthin darstellt.18 Als Kategorie des Ökonomischen betrachtet, verliert der Gesellschaftsbegriff seine Zentralität, die er in den Frühschriften noch ausdrücklich innehatte. Dazu kommt der (Zivil)Gesellschaft bereits eine untergeordnete Bedeutung zu. Es ist richtig zu denken, dass der Marx nach den 1857er Manuskripten weniger als früher auf den Begriff der Gesellschaft konzentriert war, aber dies darf nicht dahingehend gedeutet werden, dass der Begriff aus der Theorie gerissen wurde. In Schriften wie Zur Kritik der politischen Ökonomie findet eine neue Formulierung dieses Begriffes statt, die näher an den Auffassungen des Kapital ist. Obwohl der Entwurf des Marxschen Programms über das Kapital noch nicht ausgereift war, als die Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1857/58) verfasst wurden, kann man einige Bezüge zu diesem Thema herstellen. Kraft ihrer spekulierenden bzw. philosophischen Abstraktionen, repräsentierten die Grundrisse eine bedeutende Rolle für den Aufbau des Kapital, indem sie eine erste komplexe Phase der Marxschen Darstellungsweise von kapitalistischen Erscheinungsformen bilden. Aber ob ein fester Begriff der Gesellschaft bereits in den Grundrissen existiert, die mit denen im Kapital vorkommenden Denkformen übereinstimmen, ist problematisch. In diesen Werken werden der Gesellschaftsbegriff und darüber hinaus auch verschiedenen Arten des „Gesellschaftlichen“ dahingehend aufgefasst, dass der Begriff auf die unterschiedlichen Phasen der kritischen Entwicklung des Kapitals bezogen ist. Man spricht aber nicht über Gesellschaft als solche, sondern unvermeidlich über Gesellschaft im Sinne einer bürgerlichen. Zudem liegt die Bedeutung der Bürgerlichkeit für das Gesellschaftliche im abstrakten Wesen der Warenformen. Die bürgerliche Gesellschaft als Ganzes der sozialen Relata, wie die Grundrisse zeigen, ist zuerst eine dynamische Einheit von produktiven Bestimmungen, welche als objektiv begriffen werden müssen, d. h., soweit das Gesellschaftliche eine Objektivität charakterisiere, müsse die ganze Darstellung des Verfahrens des Kapitals als objektive Entwicklung des ökonomischen Verfahrens des Kapitalwesens begriffen werden. Dieses Konzept wird im Kapital in Bezug auf derartig dargestellte Formen der Produktion reproduziert, aus denen hervorgeht, dass die unterschiedlichen Momente „[…] gesellschaftlich gültige, also objective Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion [sind]“19. Die kritischen Denkbestimmungen (in Bezug auf Produktion im Allgemeinen) seien objektive Bezeichnungen, soweit diese Bezeichnungen von der Gesamtheit bestimmter Wert-

18

In einer ähnlichen Weise verstand Henri Lefèbvre diese Problematik, nach der das Gesellschaftliche als Zusammenfallen sozialer Relata verstanden werden muss: „Was den Terminus gesellschaftlich angeht, so bezeichnet er das Ganze der zwischenmenschlichen Beziehungen.“ (Probleme des Marxismus, heute. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1965, S. 74) 19 MEGA² II/6, S. 106 ff.

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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verhältnisse20 getrennt behandelt werden. Diese Wertverhältnisse sollten jedoch nicht willkürlich dargestellt werden, sondern kritisch (bzw. für die Marxsche Tradition, dialektisch) und mit den einfachsten Erscheinungsformen des Wirtschaftlichen kontrastiert werden. Um jedoch die richtige Darstellung dieser objektiven Formen zu dechiffrieren, müsse man – Backhaus nach in Bezug auf das Wertwesen21– verstehen, dass, neben dem objektiven Charakter der Gesellschaftlichkeit, auch eine subjektive, sowie eine intersubjektive Gültigkeit der Kapitalkritik22 bestünde. Backhaus versucht diese Problematik zu erhellen, weil ihm bewusst ist, dass die Konzeption des Gesellschaftlichen zur gesamten Konzeption der Arbeitswerttheorie beitragen muss. „Abstrakte Wertgegenständlichkeit ist für Marx gesellschaftliche Objektivität schlechthin. Dadurch daß diese Dimension der Wirklichkeit subjektiv und objektiv zugleich ist, unterscheidet sie sich von jenen sozialen Beziehungen, die allein durch bewußtes Handeln konstituiert werden.“23 Auf diese Weise ist der Gesellschaftsbegriff als objektive Kategorie innerhalb eines kritischen Rahmens denkbar. Der Gesellschaftsbegriff drückt eine komplexe Totalität innerhalb der Kritik der politischen Ökonomie aus, er ist das Objekt, das die Darstellung unterschiedlicher Produktionsweisen im Allgemeinen zusammenfasst.24 Keineswegs ist dieser so entwickelte Begriff inhaltslos, sondern umgekehrt, indem er als Summe der zwischenmenschlichen Beziehungen verstanden wird, drückt er die mannigfaltige Einheit der wesentlichen Kapitalbestimmungen aus. Die Einheit bzw. die Summe der mannigfaltigen Produktionsmomente drückt eine gesellschaftliche „Natur“25 des Wertes bzw. des zu reproduzierenden kapitalistischen Reichtums überhaupt aus, wo die Kategorie Geld (als Daseinsform dieser Wertgegenständlichkeit) u. a. als eine sichtbare Manifestierung der gesellschaftlichen Handlung dargestellt wird. Geld gilt in diesem Fall nicht nur als Mittel zweier Produzenten, sondern als objektive bzw. gesellschaftliche Vermittlungsform 20 Die Wertform ist die grundsätzliche Bestimmung des Kapitals überhaupt, deswegen versteht man die ganze Analyse des Kapital als eine Korrektur der Darstellung ihrer unterschiedlichen Erscheinungsformen. 21 Vgl. Backhaus, „Zur Dialektik der Wertform“, a. a. O., S. 146. 22 Also die Kritik der verschiedenen Formen des Kapitals. 23 Ebd. 24 Der Gesellschaftsbegriff als Totalität, der aus der Entwicklung der Momente des Kapitals hervorgeht, schafft die Grundlagen für eine objektive Soziologie (Vgl. „Zuvor“, in: Kirchhoff, Christine et al. Gesellschaft als Verkehrung: Perspektiven einer neuen Marx-Lektüre. Ça ira, Freiburg, 2004, S. 10). 25 M. E. bedeutet das nicht, dass dieses gesellschaftlich-historische Verfahren gleich­ bedeutend mit einem zeitlichen ist, eben weil die Kontinuität der Kategorien nicht auf eine einfache Entwicklung der Geschichte bezogen ist. Marx erklärte selber, dass das Unternehmen der politischen ökonomischen Kritik keine Verbindung mit einer erzählenden Entstehung der ökonomischen „Sache“ überhaupt aufzeige, sondern, dass es mehr um eine Gesellschaftsbzw. Marktanalyse gehe, die gleichzeitig den ganzen Erfahrungsprozess bestimmter kapitalistischer Produktionsweisen und ihres stufenförmigen Ablaufs – von den Nationalökonomen unterstützt – negiert. Es handelt sich also um die Korrektion des ökonomischen Verfahrens überhaupt.

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des dynamischen Handelns überhaupt. Die Geldform gruppiert und exemplifiziert den sozialen Charakter aller Relata in der Ökonomiekritik und wird gleichzeitig als Grundform der Vergesellschaftungsphasen verstanden, indem das Geld als der Ausgangspunkt profitorientierten Handelns (G-W-G’) dargestellt wird: Eine monetäre Position ist also der Anfang des Kapitalismus, wobei die prä-monetären Relata als einfachste Formen des Austauschs im Allgemeinen präsentiert werden. Gesellschaft ist daher ein allumfassender Organismus, der die Arbeitswert- bzw. Produktionsformen als stabile Einheit erklären kann. In der Erscheinungsform Geld versteht man das Gesellschaftliche als daseiende (Wert-)Form und diese erscheint dementsprechend als einfache Relation in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt. Mit dem Bezug des Gesellschaftsbegriffes auf die Werttheorie kann sicherlich festgestellt werden, dass nur eine schwache Verbindung des Spätwerks mit jener der ersten Marxschen Frühmanuskripte existiert. Marx revidiert sein frühes Verständnis der Gesellschaft in der Rheinischen Zeitung, wo er eine kritische Konzeption der Zivilgesellschaft erläutert und diesen Begriff als einen umwandlungsfähigen Organismus versteht26, d. h. als mannigfaltigen corpus, der alle Phasen und Prozesse als Zusammen-fassung bzw. als Synthese enthält. Die (in den Produktionsformen realisierte) Gesellschaft manifestiert nichts anderes als das Zusammenfallen verschiedener Faktoren des ökonomischen Handelns und dieses Zusammenfallen muss als Einheit bzw. Summe von sozialen Beziehungen aufgefasst werden. Marx betont, dass alle Gesellschaftskritik prima facie wortlos wäre und keinen bedeutenden Inhalt zustande brächte, wenn sie keine Betrachtung der mannigfaltigen Beziehungen zuerst unternähme. Die Gesellschaft wäre dementsprechend als der letzte Oberbegriff eines rein methodologischen Verfahrens des Kapitalwesens zu beschreiben. Sie ist schon die Summe entfalteter Bedingungen der Klassen und der konkreteste Moment der ganzen Entwicklung der Kapitalformen, soweit man sie in concreto als mannigfaltige Zusammensetzung versteht. Sie wird im besten Fall als strukturierter Organismus aufgenommen. „Eine Masse gegensätzlicher Formen der gesellschaftlichen Einheit, deren gegensätzlicher Charakter jedoch nie durch stille Metamorphose zu sprengen ist. Andrerseits, wenn wir nicht in der Gesellschaft, wie sie ist, die materiellen Productionsbedingungen und ihnen entsprechenden Verkehrsverhältnisse für eine klassenlose Gesellschaft verhüllt, wären alle Sprengversuche Donquichoterie.“27

Nur wenn die Gesellschaft als eine Totalität der Verhältnisse zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen verstanden wird, kann ihre begriffliche Unkonkretheit aufgehoben werden. Nur als Ganzes ist die Gesellschaft wahr. Wir müssen uns in der vorliegenden Arbeit auf die Frage nach der Methode konzentrieren: Wenn wir die Darstellungsweise im Nachwort der vierten Auflage des Kapital ernst nehmen, müssten wir anerkennen, dass Gesellschaft schlechthin die konkreteste 26 Vgl. MEGA II/5, S. 14: „die jetzige Gesellschaft [ist] kein fester Krystall, sondern ein unwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus.“ 27 MEGA II/1.1, S. 92.

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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Kategorie repräsentieren muss und nicht umgekehrt die abstrakteste. In seinem Spätwerk verstand Marx das Konkretum als gesammelte Form aller Verbindungen, die die materiellen Zustände erklären können und das Abstraktum als einfachste Form, die eine minimal bestimmte Relation zwischen zwei Individuen erläutern kann. Der Gesellschaftsbegriff erfordert eine methodische Darstellungsweise, da er selbst das letzte Stadium in der Entfaltung der mannigfaltigen Momente der kapitalistischen Produktionsweise ist. Die Analyse der Gesellschaft beginnt jedoch gemäß dem ersten Satz des Kapital28, mit einer Bemerkung über den „Reichtum der Gesellschaften“29, der als Sammlung von Waren dargestellt wird. Ware als „Elementarform“ ist die erste Erscheinung des Reichtums, aber nicht des Reichtums überhaupt, sondern Erscheinungsform des Reichtums der Gesellschaften, also der ganzen organischen Sammlung menschlicher Verhältnisse. Marx unternimmt im Kapital keine kritische Auseinandersetzung mit der Produktion überhaupt, sondern mit dem „bürgerlichen (= gesellschaftlichen)“30 Reichtum. Was uns hier gesagt wird, ist, dass die Ware als gesellschaftliche Zellenform des durch Kapital entstandenen Reichtums zu verstehen ist. Gesellschaft in der Kritik der politischen Ökonomie erscheint hier nur in einem schwachen Zusammenhang mit der Entwicklung der Kapitalformen.

3.1.3 Das Gesellschaftliche als Produktionsorganismus. Die bürgerliche Gesellschaft als Summe der menschlichen Relata Die Marxsche Aufgabe in Bezug auf die Bestimmung des Produktionsorganismus ist nicht, den Gesellschaftsbegriff schlechthin zu identifizieren bzw. zu präzisieren, sondern es handelt sich um die Lokalisierung des Begriffes durch seine Bedingungen. Diese Bedingungen machen im Prinzip die Begriffsreihe aus, in der die ganze Sphäre der Gesellschaft als Abstraktum festzustellen ist. Das Gesellschaftliche als sozialer Charakter setzt folglich die Gesamtheit dieser Faktoren. 28

Vgl. MEGA² II/6, S. 69. Ebd. Herv. von P. P. 30 Wir betonen im Laufe dieser Untersuchung die Identitätsbeziehung (=) zwischen den Termini „gesellschaftlich“, „bürgerlich“ sogar „kapitalistisch“ und „intersubjektiv“. Diese Identität ist aber nicht zufällig. Das Adjektiv „gesellschaftlich“ markiert besonders die Qualität, „von der kapitalistischen Gesellschaft“ zu entstehen. Gleichzeitig ist „kapitalistisch“ als Qualität „von der herrschenden Produktionsweise des Kapital bestimmt zu sein“ mit den epochalen Termini von „bürgerlich“ und „modern“ zu identifizieren. Im Marxschen Sinne, wäre es nur für die Sozialwissenschaft interessant zu unterscheiden. Andererseits erlauben sich die Philosophie und die Kritik der politischen Ökonomie diese Konzepte unter einer spezifischen Produktionsweise zu bestimmen. Marx selber benutzt diese Termini als austauschbar, indem sie alle den herrschenden Charakter betonen (Vgl. KpÖ, MEW 13, S. 9) Mit „intersubjektiv“ bzw. „zwischenmenschlich“ meinen wir stattdessen die kognitive Beziehung auf die Realabstraktionen der kapitalistischen Verhältnisse. Die produktiven Verhältnisse, die das Kapital (re)produzieren, entstehen auf Grund des menschlichen Charakters, welcher in einer Beziehung zwischen Individuen hervortritt. 29

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Sie ist die Interdependenz menschlicher Beziehungen. Die Gesellschaft ist deshalb das kommunizierte / kommunizierende Mannigfaltige. Wie oben gesagt, ist der Gesellschaftsbegriff die konkreteste Entwicklungsstufe des Kapitals; dieses „Konkretum“ verliert aber gleichzeitig semantische Kraft im Vergleich zu anderen Bestimmungen der Kapitalbildung. „Das Gesellschaftliche umfaßt also die Klassenbeziehungen. Die Klassen entstehen aus den Produktivkräften zusammen mit Erscheinungen, die noch komplexer sind: den spezifisch gesellschaftlichen Verhältnissen. Kein gesellschaftliches Leben ohne Organisation dieser Verhältnisse.“31 Der Gesellschaftsbegriff sagt wenig, wenn er keinen direkten Bezug auf den Klassenbegriff besitzt, d. h. wenn die Kontextualität des historischen Charakters der modernen Gesellschaftsstruktur nicht berücksichtigt wird. Die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft versucht keine Definition festzulegen, sondern nur ihre verkettete Entstehungsweise durch eine „aufsteigende“ Untersuchung der ökonomischen Produktionsbedingungen darzustellen. In diesem Sinne ist die begriffliche Erklärung der Klasse eine Bedingung für die Erklärung bürgerlicher Gesellschaft, aber nicht wie im Zitat Lefèbvres vorgeschlagen wird, dass die Gesellschaft unerklärbar bliebe, wenn andere Momente der Kritik der politischen Ökonomie nicht beobachtet würden. Die Entfaltung des Gesellschaftsbegriffes verlangt den historischen Charakter der modernen Gesellschaft, welcher mit der Aneignung der Produktionsmittel verbunden ist. Klassen gehen diesbezüglich mit der Entstehung des Privateigentums einher, weswegen in der Marxschen Methodologie die Erklärung des Privateigentums das Primat der Darstellung ist. In diesem Licht versuchen wir uns aber nicht an einer Erläuterung der Klassen und auch nicht der ganzen Klassengesellschaft, sondern wir betonen hier lediglich, was der Gesellschaftsbegriff mit der ganzen Darstellungsweise zu tun hat. Gesellschaft, im Sinne einer bürgerlichen, kann nur durch die Produktions- und Verkehrsbedingungen in abstracto definiert werden.32 Die Gesellschaft als Gesamtheit der Faktoren kann man auf keinen Fall nur „deiktisch“ begreifen, deswegen ist sie simpliciter bloße Erscheinung einzelner Bedingungen. Nach Marx ist Gesellschaft Resultat, Produkt und ein Gewordenes des wechselseitigen Handelns,33 indem sie den ganzen Produktionsorganismus umfasst. Sie darf also nicht als Ausgangspunkt einer politisch-ökonomischen Analyse gesetzt werden. Eine solche Gesellschaft ist die ganze begriffene Mannigfaltigkeit und, als bürgerliche, ist sie eine Mannigfaltigkeit der spezifisch profitorientierten Produktions- und Verkehrsverhältnisse der kapitalistischen Bestimmungen. Resümierend können wir schließen, dass die Marxsche Begrifflichkeit bezüglich der Gesellschaft in seinem Spätwerk eine theoretische Umkehrung zu einer 31

Lefèbvre, Probleme des Marxismus, heute, a. a. O., S. 76 f. Vgl. MEGA III/13, S. 362 f. 33 Vgl. MEGA III/2, S. 70. Brief von Marx an Pawel Wassiljewitsch Annenkow 28. 12. 1846. Original auf Französisch: „Qu’est ce que la société, quelle que soit sa forme? Le Produit de l’action réciproque des hommes. Les hommes sont-ils libres de choisir telle ou telle forme sociale? Pas du tout.“ 32

3.1 Das Gesellschaftliche als Totalität 

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kritisch-methodologischen Konzeption erfährt. So gesehen, sollte jede Analyse und kritische Präsentation der ökonomischen Theorie den Gesellschaftsbegriff als wesentliches Element einer Untersuchung der Marxschen Methodologie betrachten. Der Begriff der Gesellschaft bestätige den politischen Charakter der ökonomischen Analyse, indem er als letztes verkettendes Glied aller Verbindungen in der kritischen Entfaltung der Kapitalformen genommen wird. Die Kritik an der modernen Gesellschaft entwickelt sich so im Laufe der Darstellung selbst. Konsistent beschreibt Adorno in der Auffassung seiner Gesellschaftstheorie die Marxsche Konzeption der Gesellschaft als ein theoretisches Ganzes. Obwohl wir nur partiell mit seiner Interpretation der Marxschen Gesellschaftsauffassung übereinstimmen, gibt er dem Marxschen Gesellschaftsbegriff einen zentralen Rang innerhalb seiner Darstellung der Kapitalformenbestimmung zurück: „Weil Gesellschaft weder als Begriff nach der gängigen Logik sich definieren noch ‚deiktisch‘ sich demonstrieren läßt, während doch die sozialen Phänomene unabweislich ihren Begriff fordern, ist dessen Organ die Theorie. Bloß eine ausgeführte [Theorie] der Gesellschaft könnte sagen, was Gesellschaft ist. Neuerlich wurde der Einwand laut, es sei unwissenschaftlich, auf Begriffen wie dem der Gesellschaft zu insistieren, denn es könne nur über die Wahrheit oder Falschheit von Sätzen, nicht von Begriffen geurteilt werden. Der Einwand verwechselt einen emphatischen Begriff wie den der Gesellschaft mit einem herkömmlich-definitorischen. Er ist zu entfalten, keiner vermeintlichen Sauberkeit zuliebe willkürlich terminologisch festzusetzen.“34

In diesem Sinne ist die Gesellschaft nur möglich, als eine Zusammenfügung und kontinuierliche Verkettung von ökonomischen Verhältnissen. Die Totalität der Gesellschaft als Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bestimmt auch den Menschen selbst in seiner Beziehung zur Natur. Der entwickelnde Organismus „Gesellschaft“ drückt eine bestimmte Dialektik zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen aus, die gleichzeitig die Gesellschaft umformen. Gesellschaftsformation ist in diesem Sinne unverständlich ohne einen Zusammenhang mit der Entstehung des Individuums. Die Gesellschaftsformation bzw. die Vergesellschaftung erklären den wechselwirkenden Charakter der Menschen untereinander und der Menschen mit der Natur. Eine Auffassung des Individuums oder des Menschen muss sich zunächst im Rahmen dieser Formation lokalisieren. Deswegen handelt die Frage nicht mehr vom Menschen überhaupt, vom Wesen des Menschen, sondern von seiner Rolle in einer bestimmten Gesellschaftsform. Die Reproduktion der (bürgerlichen) Gesellschaft als Ganzes beruht auf dem Fakt der Vergesellschaftung aller Individuen, also ihrer Relata. Der wechselwirkende Charakter der sozial geprägten Beziehungen der Menschen in der „bürgerlichen“ Gesellschaft erscheint als Besonderung der Gesellschaft, aus diesem Grund gehen wir zur Frage nach dem Menschen als „Person“ über.

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Adorno, Negative Dialektik, a. a. O., S. 11. Anmerkung von P. P.

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3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx.   Personenauffassung als notwendiges ökonomisches Element der Gesellschaftsformation Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftli­ chen Verhältnisse. K. Marx. (MEW 3. Herv. von P. P.)

Im Folgenden möchten wir eine Analyse der Marxschen Konzeption der kapitalistischen Vergesellschaftung durchführen, welche von einer bestimmten Stufe der Subjektsauffassung abhängt. Wir reduzieren unsere Betrachtung auf die ersten zwei Kapitel des Kapital, wo Personen- und Personalitätscharakter häufig erwähnt werden. Die These, die in diesen Passagen verteidigt wird, betrifft die Charakterisierung des Individuums, der Person, des Menschen oder / und der einzelnen Subjekte im Rahmen des Marxschen Spätwerks.35 Die Abhängigkeit der Gesellschaftsformation und der Personenauffassung wurde schon in dem vorherigen Abschnitt dieses Kapitels zur Sprache gebracht, wo dargelegt wurde, dass die immanente Verbindung und Wechselwirkung des einzelnen Individuums mit der jeweiligen Gesellschaft dem dialektischen Charakter der methodischen Gesamtdarstellung der unterschiedlichen Kapitalformen entspricht. Die Problematisierung des vorliegenden Abschnittes zeigt anhand der Entwicklungsverhältnisse in der Gesellschaftsanalyse, dass erstens Mensch und Person unmittelbar keine austauschbaren Begriffe sind; dass zweitens Mensch qua Individuum oder qua menschliches Wesen im Spätwerk nicht mehr vorzufinden sind; dass drittens das Menschliche, die menschliche Eigenschaft bzw. – in der Marxschen Sprache – der menschliche Charakter im Gegenteil zum Individuum „Mensch“ ein wesentlicher Kern der begrifflichen Rekonstruktion der Gesellschaft ist; dass viertens, der menschliche Charakter sich nur im Kontext einer ka 35

In Marx Kapital haben diese Termini in gewissem Maße eine austauschbare Bedeutung. Die Subjektsauffassung ist aber weit entfernt von den drei ersten genannten Namen. Es scheint so zu sein, dass der Menschenbegriff gewissermaßen der Ausgangspunkt sei, von dem aus die Person in verschiedene gesellschaftliche Rollen schlüpfen kann. „Individuum“ (Vgl. MEGA II/5, S. 24) und „Subjekt“ (Vgl. MEW 3, S. 6) werden teils synonym zum Begriff „Mensch“ gebraucht, jedoch oszilliert letzterer oft dazwischen, da es sich um den Menschen in einer gesellschaftlichen Rekonstruktion handelt. Unser Fokus liegt auf der Bestimmung des Mensch­ lichen in Bezug auf das Gesellschaftliche und der Personifizierung als wesentliche Arbeitsmodalität im Kapitalismus, als das Hauptwesen des gesellschaftlichen Handels. Während in Marx’ Forschung eine „Kritik der politischen Ökonomie“ wieder rekonstruiert wird, werden von dem heutigen Marxismus Frühwerke in einer bestimmten Lektüre von den letzten Werken abgetrennt. Die kritische Rezeption der Texte darf nicht die Entwicklung des Marxschen Denkens vergessen, wo Begriffe wie Person und Mensch gründlich abgewogen werden.

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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pitalistischen Arbeitsform entwickeln wird und fünftens, dass der Personenbegriff (= Charaktermaske) erst mit der programmatischen Entfaltung des Handelns in der Gesamtdarstellung erscheint. Die Entwicklung dieser Punkte wird zeigen, a) dass auf den Menschen als Wesen keine Definition mehr zutrifft; b) der menschliche Charakter als eine Eigenschaft in der reinen Darstellung der Arbeit erscheint und c) der (im zweiten Kapitel des Kapital verwendete) Personenbegriff als rein gesellschaftlich anerkanntes Rechtsverhältnis erscheint. Eine Warnung: Marx’ Grundlinien als Polemik gegen den Hegelschen Personenbegriff bilden einen Konflikt, den wir hier nur kurz wiedergeben wollen. Autoren wie Lohmann und, kürzlich, Çidam haben diesen Konflikt unter einem sehr starken Einfluss durch die Lukács’sche Gesellschaftstheorie wieder aufgenommen. Wir werden versuchen, die Diskussion über die Rolle der Personen bzw. des fetischisierten Individuums im Theoriegebäude des Kapital – und damit auch der Grundrisse – zu integrieren. Wir begrenzen uns hier jedoch auf die Bildung dieses Konzepts als Charakterisierung der kritischen Darstellung der kapitalistischen Vergesellschaftung, getrennt von einer (normativen) „Rehegelianisierung“ der Wertgegenständlichkeit. Wir verstehen die Ansätze Çidams, Lohmanns, Honneths u. a. als Resultat einer „orthodoxen“ Trennung zwischen dem wissenschaftlichen Marxismus und dem Humanismus. Ansätze, denen wir auch größtenteils zustimmen, aber uns von normativen Interpretationen abhalten. Von einer enormen Bedeutung ist die Anmerkung, dass diejenigen, welche den Personenbegriff als prius der Gesellschaftsformation betrachtet haben, in unterschiedlichen Weisen auf Hegels Entwurf des Privateigentums zurückkommen. Auf der Suche nach den bestimmenden Umständen der Personen müssen wir auf unseren Unterabschnitt 3.2.3.3, der Marxschen Auffassung des Eigentums, vorgreifen. Dieser Punkt ist grundlegend für das Verständnis des Marxschen Menschen- und Personenbegriff, da gewisse Bestimmungen der Person mit der Auffassung des Eigentums zusammenfallen. Um diese Frage zu beantworten, ist es nicht so wichtig, ob der Personenbegriff als „hegelianisch“ zu bezeichnen sei, sondern, ob unter dem Marxschen Begriff der Person auch eine bürgerliche Vergesellschaftung dem Einzelmenschen (in diesem Fall, dem Eigentümer) zugrunde liegt. Um unsere Antworten zu begründen, benötigen wir zunächst eine programmatische Klassifizierung des Menschenbegriffs. Die oben genannten Aufgaben werden hier in den folgenden Unterabschnitten behandelt: 3.2.1 Die Rolle des menschlichen Charakters in der gesamten Gesellschaftsformation. 3.2.2 Personifizierung bzw. menschlicher-Charakter-der-Ware im Unterabschnitt über Fetischismus (vgl. MEW 23; MEGA II/5: DK I 1.4) 3.2.3 Die Person im Privateigentum.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

3.2.1 Die Rolle des menschlichen Charakters in der gesamten Gesellschaftsformation 3.2.1.1 Menschliches Verhältnis der Sachen Im Voraus muss hier eine Anmerkung zur Argumentationslinie der vorliegenden Untersuchung gemacht werden: Unsere Frage nach dem Menschen- und Personenbegriff bei Marx ist keine Fragestellung nach einem allgemeinen „Menschenbild“. Das Gattungswesen Mensch wird in diesem Sinne kein Objekt des folgenden Abschnittes sein. Vor der Eröffnung des folgenden Arguments wollen wir betonen, dass im Marxschen Spätwerk keine Passage über das „Wesen des Menschen“ oder über eine „allgemeine Menschennatur“36 zu finden ist, obwohl er durchaus in zahlreichen Frühschriften über das menschliche Gattungswesen sprach. Auf Grund seiner neuen Darstellungsweise der Gesellschaft findet eine Setzung der menschlichen „Natur“ keinen Platz mehr. In den Frühschriften gibt es einige Absätze über eine Emanzipationstheorie, die ein bestimmtes Menschenbild entwerfen.37 In Werken wie Das Kapital oder Grundrisse wird dagegen eine verstärkte Suche nach der Erklärung der menschlichen Verhältnisse allein im Bereich des kapitalistischen Gesellschaftswesens vorgenommen. Nach wie vor Konsens in der Marxforschung ist hingegen das Bild von Marx als dem Denker der Gesellschaftsformation. Die unterschiedlichen Lektüren gehen zwar in ihrer Auffassung auseinander, vor allem über die Einheit gewisser „menschlicher Verhältnisse“. Obwohl die Marxsche Philosophie gewissen Änderungen im Laufe der Jahre unterzogen wurde, bleibt die Interpretation der phänomenologischen Interpretation der menschlichen Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft relativ konstant, jedoch mit der bereits erwähnten Streichung der Rolle des Menschen als Gattung. Wie Marx in der – oben zitierten – sechsten These über Feuerbach erläutert, wird der Menschenbegriff immanent mit dem Problem der Vergesellschaftung verbunden. Unser Augenmerk liegt erstens auf der Notwendigkeit eines Begriffs des Menschen im Verhältnis zur Warenwelt und damit zur ganzen gesellschaftlichen Darstellungsweise und zweitens auf der differentia specifica zwischen menschlichem und gesellschaftlichem Charakter. An der historischen Entwicklung des Personenbegriffes fällt auf, dass die philosophische Tradition gewissermaßen mit einer Erörterung des Menschenbegriffes einsteigt. Person und Mensch sind aber mitnichten austauschbare Begriffe (weder bei Aristoteles und seiner polemischen Konzeption des Sklaven, noch weniger bei z. B. Kant, der die Person als Zweck-an-sich betrachtete).38 Person zu sein 36

Vgl. MEGA I/5, S. 535 f. Eine umstrittene Interpretation über die Menschennatur ist bei dem breit diskutierten Werk von Erich Fromm, Das Menschenbild bei Marx (Europäische Verlagsanstalt, Mannheim, 1963, SS. 32–48) zu finden. Wir distanzieren uns von seiner Humanismus-orientierten Lektüre der Marxschen Schriften, aber sie ist hilfreich, um weitere Beiträge über dieses Thema zu betrachten. 38 Überlegungen über die Selbstzweckformel des Menschen kann man in Kants Werken in zahlreichen Passagen finden. Siehe exemplarisch: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, KS IV, S. 429 ff. 37

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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ist für Marx ein intentionaler Akt, eine Personifizierung oder Anerkennung, die sich von der Hypostasierung der ontologischen Tradition abspalten will.39 Im Rahmen einer Untersuchung über das Problem des Menschen bei Marx sind noch einige Besonderheiten zu bemerken. Wir haben in dem vorherigen Punkt 2.1 des aktuellen Kapitels die Problematik des Marxschen Gesellschaftsbegriffes und -prozesses (Vergesellschaftung) im Zusammenhang mit ihrer Rolle in der Aufklärung des Darstellungsbegriffes behandelt. Als Summe menschlicher Verhältnisse wird die Gesellschaft zusammenfassend als ein komplexer Prozess verstanden, d. h., was über den Begriff „Gesellschaft“ hinausgeht, wird nur begriffen und definiert, wenn ihre entsprechenden menschlichen Verhältnisse bereits davor entfaltet werden. Die mannigfaltigen „menschlichen“ Verhältnisse und ihre Bestimmungen machen das Gesamte der strukturellen Gesellschaftsformation aus. Auf Grund der Art der Marxschen Darstellung des Wertes erscheint erst das ökonomische Verhältnis – im ersten Kapitel des Kapital – als eine abstrakte Verbindung zwischen Gegenständen (hier, Waren). Etwa wird Menge x Ware A gegen y Ware B ausgetauscht auf Grundlage von Willensakten. In dieser Beziehung erscheinen ausschließlich Sachen, Gegenstände bzw. „Produkte“, aber kein Akteur. Aufgrund der Abstraktionsstufe im ersten Kapitel ist es nicht möglich bestimmte Züge des homo œconomicus abzuleiten. Der Wert enthält aber einen menschlichen Charakter, vor der ersten programmatischen darstellungsorientierten Beschreibung des Menschen als Person. Am Anfang des ersten Kapitels – bis zum 4. Abschnitt über den Fetischcharakter der Ware – wird die personen- bzw. akteurlose Bestimmung des Wertes, ergo der einfachsten abstrakten Substanz des Kapitals, dargestellt. Der menschliche Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse ist von der Personenbestimmung (= Bestimmung des homo œconomicus) darstellungsmäßig abgetrennt. Diese Verhältnisse erscheinen erst im zweiten Kapitel des Kapital im Allgemeinen als ökonomische Verhältnisse zwischen Individuen, also als Repräsentaten von Waren (z. B. im Kaufakt). 3.2.1.2 Menschliche Substanz: Menschlichkeit Die Gesellschaftsform besteht ihrem „verkehrlichen“ Wesen nach in der Entwicklung ihres Reichtums.40 So gesehen kann man die kapitalistische Gesellschaft nur als Resultat der Entwicklung der vorherrschenden Austauschformen begrei Aus dem altgriechischen Begriff ὑπόστασις (Unterlage, von ὑπό ἴστημι: darunter legen) entsteht der interpretative und nicht-akkurate lateinische Begriff substantia (Substanz, von sub sto: darunter stehen). In der christlichen Theologie wird das Wort „Person“ (persona) verwendet, um sich auf die dreiteilige und unverwechselbare „Substanz“ Gottes zu beziehen. Die „Hypostase“ der Heiligen Dreieinigkeit charakterisiert dementsprechend drei singuläre substanzielle Personen. Diese hypostatische Ontologie repräsentiert für Marx auch einen Gegenstand seiner Kritik. 40 Der Verkehrungsbegriff bildet einen Kernbegriff der Marxschen Gesellschaftsrekonstruktion und zeigt in der Darstellung den widersprüchlichen Charakter der politisch-ökono 39

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

fen, welche die kapitalschaffende bzw. produktive Arbeit formen. Das Resultat dieser Arbeit, der durch Arbeit substantiierte Gegenstand, ist ergo Produkt schlechthin. „Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die sich in den Werten der Warenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen Arbeitskräften besteht.“41

Alle Arbeit ist per definitionem „gleiche“, „unterschiedlose“, „abstrakt“ mensch­ liche Arbeit42 unabhängig von der historischen Mannigfaltigkeit der Gesellschaftsformen.43 Der spezifische Unterschied der Arbeit im System der politischen Ökonomie ist jedoch in der Bildung ihrer Wertsubstanz zu finden, da sie mit anderen unterschiedlichen Tätigkeiten ausgeglichen bzw. gleichgesetzt werden kann, indem die menschliche Arbeit, immer „gleiche“ menschliche Arbeit bedeutet. Die „Gleichheit“ verschiedener Tätigkeiten (im Tauschakt44) wird, Marx nach, bis auf die Kerneigenschaft des Wertes reduziert, ergo die Fähigkeit der (produktiven) Arbeit unter Annahme ihrer Gleichwertigkeit gleichgesetzt. Diese Annahme basiert auf „abstrakt menschlicher“ Arbeit. Unterschiedliche nützliche, konkrete Arbeiten werden in der der bürgerlichen Gesellschaft in Form eines „Gemeinsamen“ abstrahiert. Arbeit im Kapitalismus wird dementsprechend auf Grund dieses „Gemeinsamen“ unter zwei Bedingungen substantiiert: Menschlichkeit und Abstraktheit.

mischen Erscheinungsformen. In der zeitgenössischen Rekonstruktionsdebatte wird die Verkehrung als das Wesen der Kritik der politischen Ökonomie, als korrektives Unternehmen der Erscheinungsformen bezeichnet. Die kritische Darstellung exponiert die immanente Widersprüchlichkeit des Kapitalismus, der auf Grund der „skeptischen“ Kritik als das verkehrliche Wesen ihrer Formen erscheint. Verkehrung ist weder „falsch“, noch „voraussetzungslos“, sie bedeutet vielmehr, dass der Kapitalismus wesentliche Gegensätze in „der realen Welt“ reproduziert. Die bürgerliche Gesellschaft reproduziert so „eine verkehrte Welt“ für „ein verkehrtes Weltbewußtsein“ (KPhR, MEW 1, S. 378). Hendrik Wallat u. a. interpretiert die Verkehrung als „Schlüssel“ der Gesellschaftsformation, solange ihre Kategorien und Figuren (z. B. Ware als Person; Der Mensch als entfremdeter Arbeiter) als entäußerte, instrumentalisierte Figuren erscheinen: „Mit der Ware beginnt die Verkehrung bzw. genauer: in der Warenform des Produkts erscheint bereits die basale Verkehrung des sozialen Seins und ihr Fetischcharakter. Sie ist die spezifische ökonomische Form, in der das Wesen kapitalistischer Vergesellschaftung zur Erscheinung kommt“ (Wallat, Hendrik, „Der Begriff der Verkehrung im Denken von Marx“, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2008, Akademie, Berlin, 2009, S. 93). 41 MEW 23, S. 52 f. Herv. u. Anmerkung von P. P. 42 Ebd. 43 Wie Marx später im fünften Kapitel des Kapital (Arbeitsprozess und Verwertungsprozess) ausführt: „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber.“ (Ebd., S. 192). 44 Wir bleiben noch, im Grunde genommen, bei einfachen Tauschrelationen. Andere Bestimmungen sind hier nicht vorhanden.

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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„Die Gleichheit toto coelo verschiedener Arbeiten kann nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn, in der Reduktion auf den gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Arbeit, besitzen.“45

Man darf die Begriffe von menschlicher Arbeit und abstrakt menschlicher Arbeit nicht verwechseln. Die conditio sine qua non der Analyse der Arbeit in einer derartigen Kapitalismuskritik betrifft beide Bestimmungen als organischer Eigenschaft der Arbeit. Mit der „Menschlichkeit“ des Wertes beginnt dessen messbare Eigenschaft in der produktiven Arbeit. Vorausgesetzt in dieser „Menschlichkeit“ ist jedoch ihre „Gesellschaftlichkeit“. Das bedeutet, dass die produktive Arbeit nicht von dem Einzelnen (z. B. bei Ricardo, der vereinzelte Jäger und Sammler) aus begriffen werden kann, sondern allein unter dem Primat der Allgemeinheit. Die Mannigfaltigkeit sei in diesem Kontext nicht nur einfache Totalität, sondern auch die Grundlegung des Einzelnen (der jeweiligen menschlichen Relata einerseits, der einzelnen Individuen andererseits), – in Adornos Sprache – ein Prinzip der Vereinzelung.46 Ein Prinzip, dem sich alle Elemente des organischen Gesellschaftssystems unterordnen.47 Demnach setzt das Allgemeine, wie wir im ersten Abschnitt dieses Kapitels dargelegt haben, die kapitalistische Gesellschaftsauffassung als prozessierende Entwicklung aller ökonomischen Verhältnisse voraus. Diese Verhältnisse werden im Grunde genommen nicht zufälligerweise menschliche Verhältnisse genannt, sondern sie beziehen sich auf eine spezifische Eigenschaft des Menschen. Die Spezifität der Gesellschaft generiert und vermittelt demnach das Individuum. Nicht umgekehrt. Über die Selbstständigkeit des Individuums erscheint in den ersten Passagen des Kapital keine Bestimmung gegenüber dem Ganzen der Gesellschaft. Ganz im Gegenteil kann man nur feststellen, dass das einzelne Individuum auf die Bedingungen der rekonstruktiven Gesellschaftsauffassung reduziert ist. Kapitalistische Gesellschaft aber kann begrifflich nur erklärt werden, wenn die „menschlichen Verhältnisse“ der Gesellschaftsformation bereits entfaltet worden sind.48 Eine unmittelbare Definition der Gesellschaft und des Menschen ist somit im Sinne der Marxschen Darstellung unmöglich. Die wechselwirkende Dialektik des Menschen und der Gesellschaft zeigt, dass die kapitalorientierte Gesellschaft als organische, einheitliche Sammlung von Relata aufzufassen ist, in der dieselben Verhältnisse ohne den gesellschaftlichen Charakter nur „ästhetische[r] Schein“ bleiben.49 Auf den Eröffnungsseiten des ersten Buchs des Kapital versucht Marx, getrennt von einer normativen, humanistischen oder „subjektivistischen“ Interpretation, die „dünneren“ Abstracta des Wertwesens zu erläutern. Wert, als Ausgangspunkt der 45

Ebd., S. 87 f. Ausdruck aus Adornos Negative(r) Dialektik. Das zeigt, dass die Individualisierung des Einzelmenschen von einem bestimmten Gesellschaftsmodell abhängig ist. 47 Vgl. Grund, S. 189. 48 Wie oben betont, ist Gesellschaft nicht die Summe von Individuen, sondern ihrer Verhältnisse. Siehe auch u. a.: MEW 42, S. 92. 49 Vgl. Grund, S. 5. 46

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

ganzen ökonomischen Analyse, erscheine – Marx zufolge – als primäre Stufe der Rekonstruktion des Konkreten bzw. der (bürgerlichen) Gesellschaftstotalität.50 Der Wert einer Ware manifestiert sich zuerst in der Erscheinung einer allgemeinen „Eigenschaft“ der Arbeitsproduktion und – noch genauer gesagt – desselben Arbeitsproduktes. Ware ist eine Ware, allein aufgrund ihres Warenwerts.51 Dies besagt, dass die Ware Wertträger ist, nur weil sie selbst Resultat der gesellschaftlichen Arbeit ist. Marx zufolge ist die Ware per definitionem das im (Tausch)Wert52 ausgedrückte Objekt. Das Produkt ist aus diesem Grund ein werttragender Gegenstand. Welche Rolle spielt aber der Mensch in dieser Bestimmung des Wertes? Was bedeutet es, einen Wert zu haben? In welchem Sinne meint Marx, dass ein Produkt – z. B. ein Holztisch – einen bestimmten, gesteigerten Wert hat? Alle diese Fragen drängen sich auf, wenn wir die Verbindung Gesellschaft-Mensch-Person aufklären wollen. Die Substanz des Wertes ist tatsächlich das Wesen der kapitalistischen Produktion, diese Substanz ist, wie oben gesagt, die menschliche Arbeit. Der Wert wird von einem menschlichen Charakter der Arbeit substantiiert. Jedes Produkt ist also potenziell austauschbar, in einem Preis ausdrückbar und kommensurabel auf Grund des menschlichen Charakters aller Tätigkeiten, die durch den Kapitalismus beherrscht werden. Als erste Bestimmung dieses Charakters müssen wir bemerken, dass bei Marx das „Menschliche“ als die direkte Entgegensetzung zum 50 Dieser rekonstruktive Charakter bildet, unserer Meinung nach, den stärksten Treffpunkt der Darstellungsweise von Marx mit der Hegelschen Logik. Eine korrektive Rekonstruktion der absoluten Idee, worin die Wissenschaft der Logik abschließt, interpretiert in einem steigenden Darstellungsmodell alle Momente der Metaphysik. Gleichzeitig begründet man mit diesem Abschluss das ganze philosophische System. Der entwickelte Begriff erlaubt die vorherigen Momente der logischen Wissenschaft vollständig zu verstehen. Erst dann ist der Leser in der Lage z. B. die „unbestimmte Unmittelbarkeit“ des Seins wieder zu interpretieren, aber nun vermittelt mit dem Resultat des Systems, also durch eine methodische Ableitung. Dieses gleiche Phänomen betrifft im Marxschen Spätwerk das Moment des Warenwertes. Das, obwohl beide Systeme unterschiedliche Grundlagen haben, um den entsprechenden Gegenstand darzustellen. Hegels Ansprüche werden durch die Entfaltung der Eigenschaften der Ware, die die „Elementarform“ (MEW 23, S. 49) des totus manifestiert. Der Wert einer Ware wird im Reichtum der Gesellschaft wiederhergestellt. Der Wert manifestiert auf diese Weise das prius der dialektischen Methode von Marx und enthält in seiner Abstraktheit – als unkonkreter Begriff der politischen Ökonomie – den Kern für die systematische Gesellschaftsrekonstruktion. Die dargelegte Entwicklung des Wertes verkettet das System der Totalität, so wie bei Hegel in seiner Logik, das einen Organismus bildet. Gesellschaft ist diese konkrete, organische, und strukturelle Totalität und es gibt keine abgekürzte Definition, ohne das Verständnis aller Glieder der Darstellung, also ohne menschliche Verhältnisse. 51 Diese „Eigenschaft“ ist eine gesellschaftliche. Ware ohne (Tausch-)Wert findet man aber oft in der Weltmarktwirtschaft. Der Verkauf eines unbearbeiteten Bodens veräußert einen bestimmten Wert, eine bestimmte Messbarkeit, die nur eine menschliche Relation ausdrückt, keine Natureigenschaft. So deklariert Marx ironisch: „Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perlen oder Diamant entdeckt.“ (Ebd., S. 98). 52 Marx benutzt unklar die Begriffe von Wert und Tauschwert. Oft verwendet er den Begriff Wert, wenn er Tauschwert meint. In unserer Arbeit begrenzen wir uns auf einen Wertbegriff innerhalb einer Tauschrelation und deswegen auf den Tauschwert.

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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„Natürlichen“ erscheint. Der menschliche Charakter der ökonomischen Verhältnisse zeigt in diesem Sinne einen denaturalisierenden Anspruch in der doktrinären Darstellung insgesamt. Die Individuen der bürgerlichen Gesellschaft streben nach Befriedigung (gesellschaftlich-)bestimmter Bedürfnisse, die in Folge von spezifischen „Subjektbeziehungen“ in der Form der Gesellschaft generiert werden.53 Die Dialektik, die hier reproduziert wird, zeigt, dass menschliche Verhältnisse als zweite Natur bzw. als natürliche Verhältnisse am Werk sind. Die menschlichen Verbindungen erscheinen in diesem Licht für die Mehrheit der bürgerlichen Ökonomen als natürlich gegebene, wie Marx es selbst mehrmals denunziert. Sofern diese Verhältnisse sozial mythologisiert werden, können wir in sensu lato die kritische Darstellung des Kapitals hier als eine entmythologisierende Darstellung bezeichnen. Diese zentrale Aufgabe des Kapital übersetzt sich nicht nur in einer Darstellung der Formen der politischen Ökonomie, sondern auch in einer entsprechenden Denaturalisierung und Entkulturalisierung der menschlichen Verhältnisse und einer gewissen Personifizierung der Produktionsrelata.54 „Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen sind durch die gesellschaftlichen Verhältnisse der Sachen vermittelt. Man kann nun, wie Marx das tut, auch noch zeigen, warum und auf welche Weise sie ihnen unbewusst sind. Es gehört daher zur methodischen […] Selbstverständlichkeit, dass diese gesellschaftlichen Verhältnisse der Sachen unter Abstraktion z. B. von den handelnden Menschen, für sich betrachtet werden müssen, um das zu erklären, was sich unsichtbar innerhalb der Warenzirkulation und für sie unbewusst in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Sachen hinsichtlich des Werts und der Entwicklung seiner Formen abspielt.“55

53 Dieses Verlangen wird aber rückwärts nicht einseitig bestimmt. Die Betonung in diesem Paragrafen liegt auf dem menschlichen Charakter der Gesellschaft, aber nur wenn wir gleichzeitig soziale und kulturelle Regelsysteme ins Auge fassen. Die „Bedürfnisbefriedigung“ durch den Gebrauch entspricht mannigfaltigen Faktoren, die nicht einfach durch das isolierte Subjekt bestimmt werden. Diese hier erörterte „Subjektbeziehung“ entfaltet sich aber gleichzeitig als eine intersubjektive Relation des Individuums mit seiner gesellschaftlichen Umgebung. In der marxistischen Literatur ist über das Verständnis der zweckmäßigen Bestimmung des Gebrauches gestritten worden. Marx betont dagegen, dass das Problem der menschlichen Subjektivität weder an sich von Natur aus gegeben ist, noch durch eine einseitige Selbstbestimmung erkennbar ist. Diese Bestimmung ist relativ zu den mannigfaltigen objektiven und subjektiven Faktoren. Im Grunde genommen sind alle diese Faktoren intersubjektiv, wo  – wechsel­wirkend – das Objekt als „Menschlichkeit“ durch „das Dasein seines Gegenstandes, durch die vermenschlichte Natur“ (MEW 40, S. 541) beherrscht wird. 54 Im ersten Kapitel des Kapital beschränken wir uns auf die Tauschrelata. Die Stufe der Produktionsweise bleibt auf den ersten Seiten unbeachtet. Natur und Kultur im Kapital werden aber nicht synonym betrachtet. Eine kulturalisierte bzw. gewordene Natur des Kapitalismus wird als integrierte Konzeption der Menschenrelata, als anthropogenetische Konstitution der modernen Geschichte verstanden; vgl. DI, MEW 3, S. 56. 55 Wolf, Dieter. „Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters. Zum ‚Methodenstreit‘ zwischen Wolfgang Fritz Haug und Michael Heinrich“, in: Ingo Elbe et al. Gesellschaftliche Praxis und Ihre Wissenschaftliche Darstellung. Wissenschaftliche Mitteilungen Heft 6, Argument, Berlin, 2008, S. 48 f. Herv. von P. P.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

Statt eine Definition der Personen oder des Menschen zu geben, beginnt Marx bereits mit der Eingrenzung der Arbeitsbestimmung auf den Kontext abstrakt menschlicher Tauschrelationen. Das Menschliche bzw. der menschliche Charakter, als exklusive Eigenschaft, ist als Entgegengesetztes zum Natürlichen oder Naturwüchsigen zu verstehen. Die dialektische Polarisierung Mensch – Natur ist Bedingung der anfänglichen Warenanalyse. Der methodischen Darstellung von Marx geht es jedoch nicht um die Erläuterung dieser Entgegensetzung, sondern um die kritisch organische Rekonstruktion aller „menschlichen“ Verhältnisse. Mensch­ liche Verhältnisse mittels Waren werden einerseits in Bezug auf produktive Arbeit verstanden; Personen werden anderseits in diesem Sinne nur als Charaktere, als Personifikationen widergespiegelt, wobei Marx zufolge es sich „[…] hier um Personen [handelt] nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen.“56 Der einfache Warenaustausch repräsentiert also die abstrakteste Ebene des gesellschaftlichen Verhältnisses zwischen Menschen, wobei die Menschen hier noch keine Handlungen vornehmen. Die Rolle des Menschen in diesen Tauschrelata bleibt abstrahiert von sinnlichen, bedürfnis- und zweckmäßigen Ebenen der Gesellschaftsdarstellung, während die Produkte „des menschlichen Kopfes [als] mit eignem Leben begabte“57 erscheinen. Die Marxsche Untersuchung im ersten Kapitel des Kapital handelt allein von einer „Analyse der Ware“58, also des Arbeitsproduktes in einer Tauschrelation, in der der Mensch unter der Kategorie der Ware subsumiert wird. Diese passive Ausgangssituation (auf Seiten des Menschen) geht von der qualitativen und quantitativen Seite der Produkte zur mystifizierenden Seite der Ware über, infolgedessen zur programmatischen Entdeckung des Personencharakters. Der Wert ist Wert, indem er abstrakt einen menschlichen Charakter beinhal­ tet. Ware bildet ergo eine personalisierte Verbindung. Die objektive Struktur des Kapitals ist der darin enthaltene (Subjekt-)Menschencharakter der Produkte. Die Natur wird vom Menschen durch seine produktive Arbeit vergegenständlicht und als Produkt „substantiiert“, d. h. das Produkt erscheint als eine bearbeitete Natur, als „Behältnis“ der menschlichen Arbeit.59 Wie dieser Substanzcharakter gerechtfertigt wird, der eine Reduktion der Komplexität eines Produktes auf einen messbaren Ausdruck erlaubt, erklärt Marx mit dem Begriff des Fetischismus in der Warenbeziehung.60 Das Wesen aller ökonomischen Relata, aller Verhältnisse, 56

MEW 23, S. 16. Herv. von P. P. Ebd., S. 86. 58 Ebd., S. 49. 59 Siehe: Kommentar von Michael Heinrich in Die Wissenschaft vom Wert (a. a. O., 19911, S. 237): „Bei der angesprochenen Substanz handelt es sich um abstrakt menschliche Arbeit, also etwas rein gesellschaftlich bestimmtes. Insofern kann man sagen, diese Substanz sei selbst gesellschaftliche Substanz: Sie drückt nicht irgendwelche natürlichen Eigenschaften aus, sondern eine bestimmte gesellschaftliche Beziehung.“ 60 Vgl. MEW 23, S. 85 ff. 57

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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indem sie grundsätzlich Wertverhältnisse sind, besteht aber aus einem menschlichen Charakter, d. h. aus einer innerlich verknüpften Gesellschaftlichkeit der ökonomischen Handlungen, welche zu einer messbaren immanenten Subjektivität beiträgt. Diese immanente Subjektivität ist die abstrakt menschliche Arbeit. Im ersten Kapitel (2 bis 4) des Kapital wird mehrmals betont, dass eine Charakterisierung der Ökonomie als naturwüchsig nicht zutreffend sei, vielmehr, dass die Ökonomie als Resultat einer organischen Entfaltung der persönlichen Warenverhältnisse zu verstehen ist, die in der aktuellen Gesellschaftsform, eine Hegemonie des Kapitals erzeugt. Nur „als Personifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel,“61 also in der Charakterisierung des Menschen als handelndem Akteur. Dieses Phänomen wird im Folgenden erläutert.

3.2.2 Personifizierung bzw. menschlicher Charakter der Ware im Unterabschnitt über Fetischismus (vgl. MEW 23; MEGA II/5: DK I 1.4) Der Exkurs über den Fetischcharakter der Ware im Kapital konzentriert sich vollständig auf die Seite der Warenanalyse, immer noch unabhängig von den Handlungsbestimmungen, die erst im zweiten Kapitel des Kapital zum Thema gemacht werden. Also beschränkt sich der Diskurs im Unterabschnitt über den Fetischismus62 vollständig und exklusiv auf Beziehungen zwischen Gegenständen (Produkten) zueinander. Sicherlich wird in der marxistischen Literatur behauptet, dass der Personenbegriff eine immanente Relation zur Konzeption des Fetischismus konstituiert. Der Personenbegriff ist genau hier aber nicht mit dem Begriff des Menschen bzw. des Menschenwesens gleichzusetzen. Der Begriff der Person betont die Übernahme einer bestimmten Rolle: nämlich als Repräsentant von Waren.63 Im Folgenden werden wir versuchen, die unterschiedlichen Bestimmungen des Menschen und die verschiedenen Bedeutungsebenen im berüchtigten Fetischismuskapitel zu erläutern. Dabei ist vor allem die Wortwahl Marx’ zu beachten, die sich hier bemerkenswerterweise vermehrt aus dem Fundus der Dramaturgie bedient: Begriffe wie Maske, Rolle etc. müssen zunächst im Gesamtkontext eingeordnet werden, um ihre Verwendung zu erhellen und einer umfassenden Interpretation zugänglich zu machen. Eines der wichtigen theoretischen Momente im Kapital hat mit der Personifizierung der Ware bzw. ihrer mystischen Charakterisierung zu tun. Besonders interes 61

Ebd., S. 618. Vgl. Ebd., SS. 85–98. 63 So Heinrich: „Dass Marx die Personen dennoch als Personifikation ökonomischer Kategorien betrachtet, ist keine willkürlich gewählte Perspektive, sondern Resultat bestimmter Einsichten über die Art und Weise der bürgerlichen Vergesellschaftung, die durch die Darstellung im Kapital aber erst zu begründen sind.“ („Individuum, Personifikation und unpersönliche Herrschaft in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie“, a. a. O., S. 19). 62

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

sant ist die Theatersprache des 18. Jahrhunderts, mit der Marx die menschlichen Verhältnisse im Kapitalismus als eine bestimmte gesellschaftliche Funktion des Warenaustauschs beschreibt. Die Individuen verhalten sich als „Akteure“, welche „Charaktermasken“ in der bürgerlichen Gesellschaft tragen so als ob, diese Gesellschaftsform eine „Bühne“ bilden würde. Diese Ausdrucksweise beschreibt die Funktion der Menschen in einem personifizierten Verhältnis, welches eine bestimmte gesellschaftliche Eigenschaft darstellt.64 Das Individuum, und somit auch die Ware, spielt eine wesentliche Rolle im ökonomischen Schauspiel, das von Marx an einigen Stellen „mystisch“ dramatisierend in Szene gesetzt wird. Ware trägt in diesem Kontext die ursprüngliche altgriechische Bedeutung von πρόσωπον: Charaktermaske. Der Personenbegriff zeigt auf diese Weise einen einseitigen dramatischen Sinn.65 Eine Person nimmt eine „Rolle“ gegenüber einer anderen ein. Diese ist vorwiegend eine gesellschaftliche Rolle. Im kapitalistischen Schauspiel übernimmt nun die Ware auch eine solche eigene, sich verselbständigende Rolle. Fetisch bzw. mystisch will eine gewisse übersinnliche „Erscheinung“ der Ware kennzeichnen, charakterisieren. Der Fetischismus präsentiert in diesem Sinne bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse als personale Eigenschaften der Dinge. Als Fetischismus bezeichnet man grundsätzlich die Verselbständigung sozialer Prozesse (bei Marx: gesellschaftlicher Produktionsprozesse). Es scheint aber zunächst so, als ob die Ware sich „selbstständig“ als Person verhalten würde. Marx als ausgezeichneter Kenner der klassischen griechischen Philosophie ist sich bewusst über die weitreichende Konnotation des Personenbegriffes in der deutschen Sprache und pendelt absichtlich zwischen dramaturgischem (Person, Charaktermaske) und religiösem Jargon (Fetisch, mystisch). Die Analyse des Abschnitts über Fetischismus erforderte eine genaue Untersuchung Satz für Satz. Wir konzentrieren uns hier für unsere Zwecke auf die Tragweite des Personenbegriffes für das Darstellungsverständnis.

64 Althusser und Balibar interpretieren diese Metapher so: Dadurch, dass das Individuum eine gesellschaftliche Charaktermaske trägt, repräsentiert es nichts mehr als „Gefangene von Texten- und Rollenbeschränkungen, deren Autoren sie nicht sein können. Denn dieses Theater ist im Wesentlichen ein Theater ohne Autor [théâtre sans auteur].“ (Lire le Capital, B.2., a. a. O., S. 71). 65 In dieser Dissertation werden wir keine Hermeneutik des historischen Personenbegriffes unternehmen. Wir müssen dennoch einige Aspekte eingehend verdeutlichen. Das altgriechische Wort für „Person“ (πρόσωπον) unterscheidet sich vom lateinischen persona dadurch, dass letztere oft mit dem Menschenbegriff verschmilzt Die christlich-traditionelle Interpretation des Personenbegriffes als Substanz wird von Marx nicht thematisiert. Die Individualisierung der Person besteht hingegen bei Marx nur auf Grund der Anerkennung von anderen und durch andere Subjekte, und nicht auf Grund einer individua substantia. Die Person bei Marx distanziert sich von der Boethius’schen substantialistischen Tradition und einer ontogenischen Konzeption. Näher daran ist der „phänomenologische“ Personenbegriff Hegels in der Phäno­ menologie des Geistes und Philosophie des Rechts. Für eine ausführliche Interpretation der genetischen Bedeutung des Charaktermaskenbegriffes, siehe: Lohoff, Ernst, „Die Anatomie der Charaktermaske. Kritische Anmerkungen zu Franz Schandls Aufsatz ‚Maske und Charakter‘“, in: Krisis Nr. 32, Nürnberg, 2008.

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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Wichtig bei der folgenden Untersuchung ist die Charakterisierung der Ware als Person, insofern Marx in der Warenanalyse eine neue Art der Subjektivität in die materialistische Sachenbestimmung einführt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass ein Subjektcharakter hier als eine objektive Realität erscheint. Die Ware erzeugt also in diesem Schauspiel einen Personencharakter. Das bringt mindestens zwei Ergebnisse, die wir im Folgenden ausführen werden: a) Die Ware geht über ihren bloßen Sachencharakter hinaus;66 b) die Ware personifiziert tatsächlich einen anderen Charakter, als den einer Sache.67 Anders ausgedrückt, in der Tauschrelation wird der einfache Gegenstand als eine personalisierte übersinnliche Form dargestellt. „Die Form des Holzes z. B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding.“68

In dieser Passage tritt die Doppelsinnigkeit des Fetischismus der Ware hervor. Einerseits a) als negative Bestimmung, in ihrer Entsachlichung, andererseits b) als positive, als ihre Personifizierung. Den ersten Aspekt verstehen wir als Bedingung für den zweiten und wichtig dabei ist, diesen nicht als „zeitlich“69 erstes programmatisches Moment des Fetischismus, sondern beide als ein zusammenfallendes Moment in der Darstellung zu verstehen sind. Personifizierung (der Ware) verwirklicht sich simultan zu ihrer Entsachlichung. 3.2.2.1 Entsachlichung der Waren Der hier verwendete Begriff „Entsachlichung“ kann problematisch erscheinen, insofern die Marxsche Aufgabe der Wertanalyse als sachliche Vermittlung menschlicher Verhältnisse betrachtet wird. Entsachlichung ist aber in Bezug auf die Rolle des Personenbegriffes nur eine intentionale Betonung der Ware, da sie auch einen Gebrauchswert hat. Die hier betonte Entsachlichung trägt nicht nur zur Verselbstständigung der Ware bei, sondern zur negativen Bestimmung des begrifflichen Verzichts auf ihre physischen Dingeigenschaften. In der Analyse der Ware erscheint die Sache als Träger von übersinnlichen Eigenschaften. Für Marx sind aber die Dingeigenschaften der Waren in der Analyse der Ware völlig uninteressant. Was damit gesagt wird, ist nicht, dass Ware keine Sache an sich sei, weil in 66

„Der mystische Charakter der Ware entspringt also nicht aus ihrem Gebrauchswert.“ (MEW 23, S. 85). 67 Offensichtlich ist es nicht die Ware selbst, die den Charakter annimmt. In der Art der Darstellung haben wir bisher keine anderen Akteure als die Produkte. Es scheint so zu sein, als ob sie sich von selbst austauschen würden. Deswegen ist es hier der Begriff der Person nicht mit dem des Menschen zu verwechseln. Was hier als Person erscheint, ist die Ware. 68 Ebd., S. 85. 69 Nochmals ist hier zu erwähnen, dass die progressive Darstellung des Wertes gar nichts Zeitliches enthält.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

der Tat „Waren Sachen [sind]. Was sie sind, müssen sie sachlich sein oder in ihren eignen sachlichen Beziehungen zeigen“.70 Sachlichkeit der Warendinge ist der notwendige geschlossene Bereich für alle Darstellungsformen ihrer Gesellschaftlichkeit, aber die Gesellschaftlichkeit der Ware an sich ist das spezifische Objekt der Untersuchung. An der Fragestellung des vierten Unterabschnitts im ersten Kapitel des Kapital ist eine Paradoxie ersichtlich. Sachen, die sich als Personen verhalten, werden in diesem verwertenden Prozess entsachlicht. Darüber hinaus treten Sachen (präziser, Produkte) miteinander nur als Waren auf, weil sie bereits davor von ihrem nützlichen Sachencharakter abstrahiert wurden. Die Gegenständlichkeit bzw. Sachlichkeit und ihre mannigfaltigen Eigenschaften der (einzelnen) Ware sind in der Entfaltung des Wertes nicht mehr von politisch-ökonomischem Interesse, sondern Ausdruck ihrer Gesellschaftlichkeit.71 Die Analyse des kapitalistischen Wertwesens erfordert zunächst das Absehen von ihrem Gebrauchswert. Die Ware in ihrer erscheinenden Form ist als ein „triviales Ding“ zu betrachten,72 aber sobald die argumentative Warenanalyse einsetzt, entdeckt man, dass es sich um ein Ding „voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“73 handle. Unreflektiert scheint die Ware ein einfacher Gegenstand zu sein, in Folge ihrer Analyse erscheint sie aber als mysteriöses Ding. Einen ersten Schritt zur Erklärung der Ware macht Marx bereits in den ersten Sätzen dieses Unterabschnittes: Es handle sich in erster Linie nicht um ein selbstverständliches Ding, um eine gewöhnliche Sache. Die dinglichen Eigenschaften der Ware sind in der Darstellung des Kapital kein Thema. Dieses notwendige Moment nennen wir die Entsachlichung von der Wareneigenschaft, weil die „Sache-Ware“ außernatürliche Eigenschaften zu besitzen scheint. Die Waren werden von ihren nützlichen Eigenschaften abgetrennt, damit sie in der Tauschrelation mit anderen Waren gleichgesetzt werden können. In der Beziehung von Gegenständen zueinander als Waren ist somit das Absehen vom Gebrauchswert eine Vorbedingung. Die eigentliche Frage, die Marx stellt, ist jene nach dem Charakter, den die Ware besitzt; dazu wird erläutert, dass sie keine gewöhnliche nützliche Sache ist. In der Entsachlichung trennt sich die Sache selbst von ihrer Eigenschaft ein ordinärer Gegenstand zu sein. Der Übergang von der 70

MEGA II/5, S. 30. Wir haben diese Konzeption von Gesellschaftlichkeit schon im letzten Abschnitt entfaltet. Wir resümieren diesbezüglich mit den Worten Dieter Wolfs über das Gesellschaftliche: „Es besteht auf vollkommen rationale Weise eine Verbindung der Sachen mit dem Gesellschaftlichen, insofern sie nicht auf mystisch-irrationale Weise etwas Gesellschaftliches sind, sondern, auf rationale Weise etwas Gesellschaftliches bedeuten. Nur innerhalb eines Verhältnisses kann eine Sache in Beziehung zu einer anderen eine Bedeutung haben, die von dem, was die Sachen unmittelbar sind, verschieden ist. Dies ist das Besondere, wodurch sich die Beziehung der Waren zueinander als ein ökonomisch-gesellschaftliches Verhältnis von Sachen auszeichnet.“ (Wolf, Dieter, „Abstraktionen in der ökonomisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit und in der diese Wirklichkeit darstellenden Kritik der politischen Ökonomie“, in http:// www.rote-ruhruni.com/texte/wolf_abstraktion.pdf, 2004, S. 27 f.). 72 Vgl. erster Satz des Unterabschnittes, MEW 23, S. 85. 73 Ebd. 71

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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Sache zur Ware geht in diesem Kontext mit der Aufgabe einer Korrektur des unmittelbaren „Scheins“ einher.74 Der gegenständliche Schein einer Sache ist zum einen als Gebrauchswert zu verstehen. Der gegenständliche Schein des Tisches z. B. ist sein Potenzial zweckgemäß als Tisch gebraucht zu werden. So gesehen, erscheint er nicht mehr als eine scheinende Trivialität, gar nichts Unbekanntes. Zum anderen scheint auch die Sache einen gegenständlichen Schein zu besitzen, worin sich die Produkte „gesellschaftliche Natureigenschaften“ aneignen. Das Potential des Tisches gegen einen zweiten Gegenstand ausgetauscht zu werden liegt aber an seinem Fetischcharakter. Dieser ist nichts anders als der Inhalt der Warenform: die Gesellschaftlichkeit der Natureigenschaften.75 Die Ware scheint hier nichts Übersinnliches, Rätselhaftes, Mysteriöses zu besitzen. Völlig umgekehrt, kommt es im Markt kaum zur Frage, ob eine Ware eine außergewöhnliche Eigenschaft (Wert) besitzt. Deswegen ist die rhetorische Frage im dritten Paragraf des Unterabschnittes „Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt?“76 ein wesentlicher Teil der methodischen Darstellungsweise. Dieser „rätselhafte Charakter“ ist kein Resultat der unmittelbaren Überlegung, sondern Ergebnis seiner Analyse. Die übernatürliche Eigenschaft einer Ware koinzidiert mit ihrer sinnlichen Eigenschaft nur, wenn eine reflexive Prüfung vorgenommen wird. Marx zeigt damit auf, dass der nicht analysierte Wert etwas Oberflächliches für die begriffliche Entwicklung der Produktionsverhältnisse darstellt. Andererseits charakterisiert sich das Produkt der Arbeit in der bisherigen Abstraktionsstufe als „gespenstig“.77 Im anfänglichen 74 Den Begriff „Schein“ versteht man in der Marxschen Redeweise, als ein unwesentliches Moment der Darstellung, als täuschende Form einer Bestimmung, die zu korrigieren ist. Interessante Positionen zur entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung des Begriffes lassen sich erkennen. Besonders interessant ist die Übersetzungsdiskussion über den Scheinbegriff. Für Igor Hanzel („The Circular Course of Our Representation: ‚Schein‘, ‚Grund‘ and ‚Erscheinung‘ in Marx’s Economic Works“, in: Moseley / Smith (Hrsg.), Hegel’s Logic and Marx’s Capital: A Reexamination, a. a. O., 2014, S. 228 ff.) fungiert der Schein als erste apparence einer argumentativen Reihe (Schein → Wesen → Erscheinung), welche eine selbstkorrigierende Entwicklung reproduziert. Im Gegenteil dazu übersetzen in einem sehr hegelianischen Schreibstil Riccardo Bellofiore („Lost in Translation: The Hegel-Marx Connection“, in: Ebd., S. 175) und Christopher Arthur („Marx, Hegel and Value-Form“, in: Ebd., S. 277) ihn als mere semblance, insofern der Schein einen illusorischen, phantasmagorischen Charakter aufweist. Wir betonen demgegenüber, wie in der Hegelschen Sprache (vgl. WdL I, W 5, S. 28), dass Marx den Scheinbegriff als etwas Unwesentliches, als ein Werden versteht. Der Schein ist in diesem Sinne eine zu korrigierende „δόξα“. 75 Vgl. MEW 23, S. 86. 76 Vgl. Ebd., S. 86, Herv. von P. P. Diese Frage wird bemerkenswerter Weise erst in der vierten Ausgabe formuliert. 77 In dieser Linie bemerkt Heinrich: „Damit wird deutlich, dass diese früheren Formulierungen wie gespenstig oder übernatürlich, keineswegs stilistische Eigenheiten von Marx waren, sondern einen bestimmten Sachverhalt ausdrücken, der jetzt systematisch behandelt wird.“ (Wie das Marxsche Kapital lesen?. Bd. 1. Schmetterling, Berlin, 2008, S. 165)

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

Verwertungsprozess wird der Tisch (Ware)  als „sinnlich übersinnliches“ Ding betrachtet,78 wobei seine Übersinnlichkeit als das Besondere des Wertes sinnlich erscheint. Die Entsachlichung ist das Absehen von der konkreten nützlichen Naturalform, nur in dieser sinnlichen Weise erscheint die Sache-Ware selbst und darin scheint sie, einen übersinnlichen Charakter zu besitzen. Die Sache-Ware wird so gesehen rückwärts personifiziert. 3.2.2.2 Personifizierung der Waren Während die ersten Sätze des zweiten Kapitels uns zeigen, woher dieser rätselhafte Charakter nicht herkommt, werden wir in den nächsten Passagen des Ka­ pital79 mehr über den Inhalt des personalen Charakters der Ware erfahren. Im Hinblick auf die Darstellung der Ware ist eine detaillierte Erwähnung des Fetischcharakters als Personifizierung zu beachten. Michael Heinrich hat ausführliche Studien über die Fetischismuspassagen geschrieben, mit ihm betonen wir die ex­ trem provokative Intentionalität des Wortes „Fetischcharakter“ und „Fetischismus“ als etwas irrationales.80 Wir beginnen diesen Punkt mit den folgenden Passagen des Kapital, um uns mit Klarheit des Problems annehmen zu können: „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen.“81

und „Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.

Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Privatarbeiten sind.“82 78 MEW 23, S. 85. Marx’ Formulierung argumentiert, dass die materielle Fertigung eines Produktes menschlicher Arbeit sich in ein käufliches Ding verwandelt, welches einen übersinnlichen Wert (für den Käufer) besitzt. 79 MEW 23, S. 87 ff. 80 Vgl. z. B. Es ist „deutlich, dass Fetischismus als etwas Primitiv-Irrationales galt, von dem die bürgerliche Gesellschaft, die ihrem Selbstverständnis nach völlig rational ist, weit entfernt sein wollte. Daher war es im 19. Jahrhundert eine größere Provokation als heute, wo sich die Rede vom Fetischismus verallgemeinert hat, wenn Marx die kapitalistischen Verhältnisse als fetischistisch charakterisiert und damit deren Rationalität in Frage stellt.“ (Heinrich, Wie das Marxsche Kapital lesen?, a. a. O., S. 163). 81 MEW 23, S. 86, Herv. von P. P. 82 Ebd., S. 87, Herv. von P. P. Es ist interessant für den Leser die unterschiedlichen Auflagen des Kapital ins Auge zu fassen, hauptsächlich im Bezug darauf, was die Auffassung des

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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Wir beziehen uns zunächst auf diese zwei Zitate, weil sie die klarsten Stellen des Unterabschnittes sind, in denen der Begriff des Fetischismus bzw. des Fetischcharakters gefasst wird. Einerseits besteht der gesellschaftliche Charakter – wie oben erwähnt  – in der Zusammenfügung der unkoordinierten Einzelarbeiten. Unterschiedliche Arbeiten formen eine gesellschaftliche Gesamtarbeit bzw. eine Arbeit für die Gesamtgesellschaft, ihre so erzeugten Waren stehen dadurch faktisch in einem Gesamtzusammenhang, obwohl sie unabhängig voneinander produziert werden. Der Warenfetisch bzw. das – gerade zitierte – „Geheimnisvolle der Warenform“ der kapitalistischen Produktionsweise besteht andererseits darin, dass den Personen nicht unbedingt bewusst wird, dass die Wertgegenständlichkeit ihrer Waren nur die Gleichsetzung ihrer eigenen Arbeit mit abstrakt menschlicher Arbeit, also mit ihren eigenen gesellschaftlichen Verhältnissen ist. Obwohl die Gebrauchsgegenstände zweckmäßigerweise ihrem Warenwert entsprechen, werden diese von den Menschen oft als „gegebene“ Eigenschaft betrachtet. Ohne eine „Entdeckung“ des Wertes als vergesellschafteten Akt, als menschlichen Akt, kann der Mensch den entsprechenden mystifizierten Charakter der Ware hinter der Wertform nicht entziffern. Dass der abstrakt (bzw. eigentümliche) menschliche Charakter der Arbeit als das Gemeinsame aller verschiedenen, voneinander unabhängigen Privatarbeiten wirkt und „die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt“, gilt andererseits nur in einer auf die Warenproduktion ausgerichteten Gesellschaft. Die Eigenschaft, einen gesellschaftlichen Charakter zu haben, zeigt, dass sich hinter dem Tauschwert die gesellschaftlich nützliche Arbeit verbirgt, als „endgültiges“ Naturgesetz, als Sachzwang, als „gegenständlicher Schein“,83 als Beziehung zwischen Waren; die Werte haben, besitzen demgemäß vermeintlich immanente Wareneigenschaft. Wohingegen Marx im Wert „ein unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis“ zwischen Personen sieht.84 Dieser Warenfetisch kommt dadurch zustande, dass tatsächlich Gegenstände, die Privatarbeiten enthalten, in eben jener Form von Waren erscheinen, über die Produzenten miteinFetischismus-Unterabschnittes betrifft. Die erste Auflage ist unserer Meinung in ihrer Formulierungsweise am interessantesten, insofern diese an den betreffenden Stellen den Begriff des Fetischismus am klarsten verdeutlicht. Wir suggerieren ein komplementäres Lesen des ersten Kapitels in seiner ersten Version, wo eine betonte hegelianische Lexikologie häufiger erscheint, als in den nächsten drei (vor allem ab der 3. Auflage). Der Urtext fasst den zitierten Text folgendermaßen zusammen: „Der Mysticismus der Waare entspringt also daraus, daß den Privatproduzenten die gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Privatarbeiten als gesellschaft­ liche Naturbestimmtheiten der Arbeitsprodukte, daß die gesellschaftlichen Produktionsver­ hältnisse der Personen als gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen zu einander und zu den Personen erscheinen.“ (MEGA II/5, S. 47. Erste Fassung des Kapital). Diese erste Version kompaktiert nicht nur dieses Zitat, sondern auch die Erwähnung am Ende des Paragrafen über die Personen-Sachen-Dialektik: „Den letzteren [den Produzenten] erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen.“ (MEGA² II/6, S. 104. Das Kapital² – gültig auch für die zwei neuesten deutschen Auflagen). 83 MEW 23, S. 88, Fn. 27; auch in: KpÖ, MEW 23, S. 21. 84 Ebd.

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ander in Beziehung treten: Erstens durch den Austausch von Waren und zweitens vermittelt über diese Waren, die sich ihrerseits über ihre Werte zueinander ins Verhältnis setzen.85 Mit dem Fetischismus-Begriff will Marx zwar den falschen Schein entlarven bzw. die naturalisierte Menschenbeziehung sichtbar machen, jedoch keineswegs ausdrücken, es handele sich bei der Wahrnehmung der Marktteilnehmer um ein Hirngespinst. Was ihnen erscheint, ist eine reale, tatsächliche Beziehung: Ihre Waren (Produkte) stehen dank ihrer Wertformen anders als ihre Produzenten selbst tatsächlich in einem gesellschaftlichen Verhältnis. Eine analoge Überlegung gilt auch für die Geldware: Aus der Beliebigkeit der Warenart, die sich zur Geldform transformiert, kann man jedoch ebensowenig auf die – Marx zufolge irrige – Auffassung schließen, dass Geld als Konvention zu verstehen sei. Als ob der Wert des Geldes ein Phantasieprodukt des Menschenwillens wäre. Nichts unrealistischer als das. Wie jede andere Ware drückt sich Geld in seiner Wertform über einen sachlichen Charakter der gesellschaftlichen Bestimmung der Arbeit aus.86 Alle diese Formen bilden intersubjektive Gedankenformen, die in einem fiktionalen Kontext als objektiv erscheinen.87 Die ganze Bemühung des ersten Kapitels des Kapitals versucht die Vorstellung des Wertes als einer Natureigenschaft der Waren zu vermeiden, wo – im Abschnitt über Fetischismus – die Personen nur tauschende Personen, Repräsentanten von Waren, sind. Marx schließt das erste Kapitel über die Warenbestimmungen mit der Kritik an der naturwüchsigen Wertkonzeption ab, um geradezu im Austauschprozesskapitel (zweiten Kapitel) mit einer personifizierten Relation wieder einzusetzen. Die erste Relation der Waren mit dem Menschen wird resümiert unter einer primären Form: dem (Privat)Eigentum.

3.2.3 Die Person im Privateigentum „Das Recht des Privateigentums ist das ‚jus utendi et abutendi‘, das Recht der Willkür über die Sache […] Der eigentliche Grund des Privateigentums, der Besitz, ist ein Faktum, […] kein Recht“ K. Marx. (MEW 1, S. 315)

3.2.3.1 Entmenschung des Menschen Die Abstraktheit der Warenanalyse erfordert ein Absehen von den tatsächlichen, ausführenden Akteuren des Tauschaktes. Die menschlichen Verhältnisse werden dabei als intersubjektive Verhältnisse anerkannt, auf Grund ihres menschlichen, 85

Vgl. Ebd., S. 87 f. Vgl. Ebd., S. 105 f. 87 Vgl. MEW 26.3, S. 445. 86

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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gesellschaftlichen Wesens. Die Art der Darstellung im Kapital zeigt dahingehend nicht nur eine prozessierende kritische Rekonstruktion der Gesellschaft (Vergesellschaftung), sondern auch eine kritische Rekonstruktion des Menschen (Vermenschlichung) als homo oeconomicus. Die Rekonstruktion des Menschen richtet sich in der Analyse auf die Subjektivitätsformation.88 Der Mensch erscheint aber in der primären Analyse der Waren89 erst als eine externe Beziehung der Ware, d. h. er erscheint als Moment einer Reihe von Austauschrelationen (im zweiten Kapitel des Kapital), exklusiv als Träger einer Ware. Anhand dieser methodischen Analyse bestehen die Ware und ihre Eigenschaften in diesem Punkt nur in ihren Beziehungen zueinander. Es handelt sich im Endeffekt um ein Relatum der Warenzirkulation, worin der Mensch erst mit dem „Prozess“ des Austauschens personalisiert wird. Wenn wir hier den Terminus „Entmenschung“ verwenden, beziehen wir uns nicht auf den abstrakten Charakter der Warenanalyse, sondern auf den „denaturierten“ Charakter des Menschen in der Darstellung als Warenbesitzer.90 Die menschlichen Beziehungen in den Warenverhältnissen erscheinen als sachliche Relata derselben, also als dialektische Bestimmungen der Gegenstände, die nicht mit den Menschen als Subjekte verwechselt werden dürfen. Die Art der Analyse im ersten Kapitel besteht darin, die Subjekte des Austauschs untereinander anhand der ansichseienden Verbindungen mittels Waren zu bestimmen. Die einzigen „Subjekte“ in den ursprünglichen Formen der Darstellungsstufe sind die subjektlosen bzw. menschenlosen Waren. Der Mensch erscheint und kommt erst im zweiten Kapitel zur Sprache in der Funktion des Aneignens. Dieses Aneignen ist eine Rechtsform und wird unter der konkreten Form des Eigentums vergegenständlicht. Das (Pri­ vat)Eigentum ist dann das erste gesellschaftliche Moment der Rechtsbeziehungen im Kapital überhaupt, das eine problematische Unvereinbarkeit zwischen dem Privaten und dem Gesellschaftlichen zeigt. Skizzen dieser Problematik im Kapi­ tal sind in den Pariser Manuskripten zu finden, wo Marx eine grobe Darstellung des Privateigentums als widersprüchlichem Ursprung der Entfremdung liefert. „Indem [die Nationalökonomen] das Privateigentum in seiner tätigen Gestalt zum Subjekt machen, also zugleich den Menschen zum Wesen und zugleich den Menschen als Unwesen

88 Karl Polanyi (vgl. The great Transformation. Beacon Press und Rinehart / Company, Boston, 197111) examiniert die Ökonomie als fragmentierte Wissenschaft im Vergleich zu den Sozialwissenschaften und wie diese Ökonomie durch die Gesellschaftsformation unsere Subjektivität prägt. 89 Vgl. erstes Kapitel des Kapital, MEW 23. 90 Der Terminus „Entmenschung“ erscheint bereits in den Frühmanuskripten. Marx benutzt aber den Terminus nicht in einer wissenschaftlichen Form: „Die Produktion produziert den Menschen nicht nur als eine Ware, die Menschenware, den Menschen in der Bestimmung der Ware, sie produziert ihn, dieser Bestimmung entsprechend als ein ebenso geistig wie körperlich entmenschtes Wesen.“ (MEW 40, S. 534. Herv. von P. P.) Hier verstehen wir unter „denaturierten Charakter“ des Menschen auf dieser Stufe des Austauschprozesses das Folgende: Besitzer zu sein für den Menschen, ist keine natürliche Eigenschaft, sondern Resultat eines Verzichtens auf subjektiven Faktoren.

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zu Wesen machen, so entspricht der Widerspruch der Wirklichkeit vollständig dem widerspruchsvollen Wesen, das sie als Prinzip erkannt haben.“91

Obwohl der Diskurs im Kapital weit entfernt ist von einer Theorie der Menschengattung, verdeutlicht das Zitat den personenbezogenen Widerspruch im Privateigentum. Im zweiten Kapitel dagegen formuliert Marx unter dem Titel des Austauschprozesses, was er in seinen Frühschriften über das Menschenwesen an den Nationalökonomen kritisiert hatte. Ohne die Feuerbachsche Formulierungsweise der Pariser Manuskripte nimmt Marx im Kapital die Kritik an dieser Vermenschlichung als Produkt der modernen Ökonomie auf. Der Mensch erscheint, unter dieser Gesellschaftsform, von der Form des Eigentums wesentlich bestimmt zu sein. Statt einen Diskurs über eine „Entwertung der Menschheit“ im Eigentum zu führen, versteht Marx die Subjektbeziehung des Eigentümers oder des Warenbesitzers als anerkannten Fakt, wonach eine bestimmte Ware personalisiert wird.92 Durch dessen Anerkennung wird der Mensch zum tätigen Repräsentanten seiner Aneignung. Der Privateigentümer ist geradezu die erste juristische (≠ legal), entmenschlichte Person in der ganzen Darstellungsentwicklung. In der Tat, Waren können sich selbst nicht austauschen, sie benötigen einerseits den privaten Eigentümer gesellschaftlicher Produktion. Andererseits bedeutet die Personifizierung der Menschen als Eigentümer seine Entmenschung und sie (die Menschen) existieren im Austauschprozess nur als Repräsentanten der Waren. „Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Waren und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.“93

Die Person stellt sich in dieser Stufe als Repräsentant einer Ware dar. Dafür muss von ihrem Menschencharakter abstrahiert werden. Für den Austauschprozess ist die Individualität des Besitzers unbedeutend. Das Anerkanntsein versteht man aber als ein intersubjektives (= gesellschaftliches) Relatum, welches einerseits hier eine Entmenschung fordert und andererseits eine Personifizierung realisiert. Diese positive Seite erscheint im Prozess des Austauschs als fetischisierter Willensakt. Wie dem oben zitierten Epigraph zu entnehmen ist, konstituiert dieser Willensakt ein bloßes Faktum, kein Recht. Grund dieses Faktums ist die Personifizierung des Menschen, aber nicht nur die Personifizierung überhaupt, sondern eine vorherrschende Art der Personifizierung. Dieser Problematik gehen wir im folgenden Abschnitt nach.

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Ebd., S. 462. Eine klare Ausreifung dieses Gedankens ist zwischen den Früh- und Spätschriften zu beobachten. Als denaturiertes Subjekt ist der Eigentümer der Ware gegenüber entfremdet bzw. entmenscht. Die in den Frühschriften Entfremdung betrifft im Kapital die Umformulierung des Eigentümers als ökonomische Charaktermaske (MEW 23, S. 100 ff.). 93 Ebd., S. 99 f. Herv. von P. P. 92

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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3.2.3.2 Personifizierung des Menschen Es ist offensichtlich eine aussichtslose Aufgabe, die Frage zu stellen, ob Gegenstände sich selbst in Form von Warenwerten fetischisieren oder fetischisieren lassen. Menschliche Verhältnisse der Waren sind noch immer Erscheinungsbestimmungen. Jede menschliche und gesellschaftliche Beziehung ist Resultat einer vermenschlichten Vermittlung.94 Die Personifizierung einer Ware ist de facto Eigenschaft einer menschlichen Gegebenheit. Ihre Intentionalität zeigt aber, dass dieser persönliche Akt nicht als gegeben anzunehmen ist. Sie herrscht und wird beherrscht durch eine Rechtsbeziehung. So wird das Gesellschaftliche der Arbeitsprodukte als sachliche Eigenschaft naturalisiert, so werden die Menschen dann auf Grund der privaten Besitznahme derselben (gesellschaftlich produzierten) Waren fortlaufend personifiziert. In dieser Überlagerung von politischer Ökonomie und Recht erweist sich die Undurchführbarkeit einer rein sachlichen Beschreibung des (Privat)Eigentums. „Die Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brau­ chen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten […]. So müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen.“95

Das Eigentumsverhältnis, die Grundbeziehung der Personen in Marx’ Kapital, erscheint als notwendiges Moment und als erste materielle Bestimmung der Herrschaft.96 Der Übergang vom ersten zum zweiten Kapitel eröffnet, wie Backhaus und Heinrich bemerken, eine neue Abstraktionsebene.97 Tatsächlich verdeutlicht 94

Diese Bemerkung über die menschlichen und gesellschaftlichen Charaktere ist keine oberflächliche. Die Verwirrung von daseienden, erscheinenden und wesentlichen Termini im Kapital besteht nach wie vor. Die Böhm-Bawerks Kritik an einer Marxschen „substantialistischen“ Interpretation ist Beweis davon. Die Aristotelisierung der Wertrelata erscheint indes als Spitze dieser Interpretation (z. B. Castoriadis, Krauss). 95 MEW 23, S. 99. Herv. von P. P. In seinem opera prima suggeriert Volkan Çidam (Die Phänomenologie des Widergeistes. a. a. O.) eine Lektüre der oben zitierten Passage als Paraphrasierung eines Verses des Goethe’schen Gedichts Erlkönig. Diese Erwähnung deutet darauf hin, dass der Akt des Aneignens für Marx eine Gewalt- bzw. Herrschaftsbeziehung impliziert. Çidam weist darauf hin, dass die Marxsche Formulierung aus dem folgenden Zitat paraphrasiert wurde: „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ 96 Adorno bemerkte mit Recht dazu, dass „die Abstraktheit des Tauschwerts […] a priori mit der Herrschaft des Allgemeinen über das Besondere, der Gesellschaft über ihre Zwangsmitglieder verbündet [ist] […] durch die Reduktion der Menschen auf Agenten und Träger des Warentauschs [= als Personen] hindurch realisiert sich die Herrschaft von Menschen über Menschen.“ (Adorno, Theodor, „Einleitung“, in: Adorno et al. Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Luchterhand, April, 1972, S. 21). 97 Backhaus (vgl. Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik. Ça Ira, Freiburg; 1997) und Heinrich (vgl. Die Wissenschaft vom Wert und Wie das Marxsche

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Marx bereits in den ersten Sätzen, worin sich Kapitel zwei von eins hauptsächlich unterscheidet: Nur Personen können Waren zu Markte tragen, das können die Waren nicht selbst. Wenn Warenaustausch bedeutet, „Dinge als Waren aufeinander zu beziehen“, dann müssen Handlungsträger diese „Funktion“ auch faktisch realisieren. Demnach fungieren die Menschen im Austauschprozess als Eigentümer unterschiedlicher Waren, und des Weiteren als Käufer / Verkäufer.98 Damit sie das können, ist wiederum eine gegenseitige Anerkennung als Privateigentümer erforderlich. Privateigentümer ist man, nach dem Marxschen Verständnis, erst indem man anerkennt, dass „Dinge“ angeeignet werden können. Diese Widerspiegelung zwischen zwei Eigentümern ist hier die notwendige Form der Subjektivität, die den Austausch(prozess) vermittelt. Der persönliche Status des Besitzers beruht auf einem Rechtsverhältnis und wird durch die Vertragsform limitiert. Dieses limitierende Verhältnis folgt einer Subjektivitätsauffassung, die ein X-Subjekt gegenüber eines anderen Y-Subjekts, Z-Subjekts, usw. koordiniert. Dieses „Verhalten“ drückt eine Bestätigung der persönlichen Unabhängigkeit des Besitzers aus, die gleichzeitig sachlich von der Ware abhängig ist.99 Die wechselseitige Anerkennung zwischen den Besitzern führt zu einer Setzung der Person als eigenständigem, vereinzeltem Selbstwesen, das sich auf Grundlage eines bestimmten Status eine Ware aneignet.100 Auf Grundlage eines intersubjektiven Prozesses verfügt der Mensch als Besitzer Kommandogewalt über die Gegenstände. Die Anerkennung der Person (als Eigentümer) ist die Anerkennung ihrer Herrschaft über die Ware und dies ist gleichzeitig, was den Austausch plausibilisiert. Aufgabe des zweiten Kapitels des Kapital ist also keinesfalls nur eine zweite Perspektive auf die Tauschrelata zu präsentieren. Das Kapitel 1 zeigt, dass in der Kapital lesen?,) betonen, dass es ab dem zweiten Kapitel des Kapital um politisch-ökonomische Strukturen und handelnde Menschen geht, also um den immanenten Zusammenhang von Struktur und Handlung. Eine Vertiefung dieses Abstraktionsunterschieds zwischen beiden Kapiteln kann man im Abschnitt 2 „Zur Reihenfolge des Abstraktionsstufen der Darstellung unter dem Aspekt des Zusammenhangs von Struktur und Handlung“ in Wolfs „Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters.“, a. a. O., S. 20 ff. finden. 98 MEW 23. S. 163. Die personalisierte Funktion des Menschen wird aber von den unterschiedlichen ökonomischen Prozessen determiniert. Im Produktionsprozess wird z. B. die personifizierte Beziehung als Kapitalist/(Lohn)Arbeiter betrachtet. Unsere Analyse begrenzt sich im ganzen Kapitel exklusiv auf die Person in den Austauschphänomena. 99 Çidam, Die Phänomenologie des Widergeistes. a. a. O., S. 177: „Im Anschluss an Hegel definiert Marx die persönliche Unabhängigkeit als die notwendige Erscheinung einer sach­ lichen allseitigen Abhängigkeit.“ 100 Bei Hegel, in der Phänomenologie des Geistes, ist die Person als „Selbstwesen und Substanz“ (vgl. Phä, W 3, S. 316) atomisiert. In der Marxschen Sprache entsteht die Person nur in Bezug auf eine andere. So Çidam „Dem zufälligen Inhalt des Meinen (Eigentums) gegenüber sind alle anderen Personen gleichgültig, denn alle Personen geht einzig und allein ihr von allem Inhalt abstrakter, allgemeiner Status an. Da die Personen sich in ihrer gleichgültigen Unabhängigkeit von anderen diesen Status nicht gegenseitig als konkretes Individuum anerkennen können, müssen sie alle von einer Person anerkannt sein, die der Zufälligkeit des Inhalt / der Bestimmtheit enthoben [ist].“ (vgl. Die Phänomenologie des Widergeistes. a. a. O., S. 107).

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

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Darstellung ab dem Moment, in dem Produkte gezielt für einen determinierten Warenaustausch mit anderen Warenaustauschern hergestellt werden, eine Systematik der Warenwelt programmatisch beschrieben wird. Die theatralische Metapher, die Marx verwendet, will zeigen, dass die Waren sich als personifizierte Akteure verhalten. Deswegen spricht Marx im ersten Kapitel von Austauschverhältnis.101 Wenn private Arbeitsprodukte bereits als Waren für die abstrakt-gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung produziert werden, dann treten notwendigerweise die Warengesetze einer Warenwelt und die Verhältnisse, die sie schaffen, in Kraft. Das „wenn“ allerdings muss nicht notwendig eintreten: Warenaustausch bedeutet hauptsächlich „Dinge als Waren aufeinander zu beziehen“ – und diesen Prozess können nur handlungsfähige und mit einem Bewusstsein ausgestattete Subjekte faktisch in Gang setzen. Gerade mit dem zweiten Kapitel verdeutlicht Marx, dass sämtliche Warengesetze, die letztendlich zum menschlichen Drama des Kontrollverlustes über die eigene soziale und berufliche Souveränität und Stellung führen, auf einer abstrakt-theoretischen Ebene blieben, würden sie nicht von konkreten Menschen mit ihren konkreten Bedürfnissen und ihren willentlichen Handlungen faktisch verwirklicht. Die warentheoretische Analyse aus Kapitel 1 (x Ware A = y Ware B) bliebe infolgedessen unklar in Bezug auf Handlungswesen, wenn Kapitel 2 daraus nicht die tatsächlich von den Menschen durchgeführten Prozesse (Ausübung des Warenaustausches inkl. Aneignung von Besitztümern, Willensäußerung, Vertragsgestaltung, Rechtsbeziehungen, Ausschluss von Waren und Menschen bestimmter „Formen“ etc.) reale Tatbestände machen würde: Warenbesitzer A und B tauschen ihre Waren xA und yB tatsächlich miteinander aus. Das theoretische Wertverhältnis der Waren wird im realen Austauschprozess der Warenbesitzer zur faktischen Bewertung ihrer Waren – und durch die darin enthaltene Wertgröße Arbeit auch zu einer Bewertung ihrer selbst. Marx’ Kritik steckt mit den Sätzen „Sie wissen das nicht, aber sie tun es“102 im ersten Kapitel und „Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben“103 im zweiten Kapitel das Feld ab: Menschen setzen die Warenproduktion und den Warenaustausch in Gang, sie erschaffen gesellschaftliche Produkte durch ihre individuellen Arbeiten, die sie abstrahieren, um ihre Waren als Werte vergleichbar zu machen. Doch ohne Warenkritik kann nicht verstanden werden, dass und warum die Warenbesitzer dafür sorgen, dass sich die Austauschprozesse intensivieren, etablieren und fixieren – wiederum, ohne darü 101 Verhalten bzw. Verhältnis verweisen auf die mittelhochdeutsche Bedeutung ‚sich betragen‘, ‚sich zurückhalten‘, „um auf andere eingehen zu können“ (Kluge, Friedrich, Etymologi­ sches Wörterbuch der deutschen Sprache. Walter de Gruyter. Berlin / New York, 198922, S. 759). Vor allem eine bestimmte Haltung einzunehmen. Trotz ihrer unterschiedlichen Etymologie, besitzen Relation, Verbindung, Beziehung auch ähnliche Semantiken. Marx verwendet diese Termini mehrmals, aber Verhältnis überall wo die Menschen sich zu einander verhalten und dadurch ein Verhältnis entsteht. Der Marxsche Verhältnisbegriff bezeichnet die Verbundenheit innerhalb eines politisch-ökonomischen Zusammenhangs, welche in ihrer zusammengefügten Ganzheit die komplette bürgerliche Gesellschaft bildet. 102 MEW 23, S. 88. 103 Ebd., S. 101.

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ber nachzudenken, was sie damit eigentlich in die gesellschaftliche Tat umsetzen. Es gäbe also sehr wohl ein Entrinnen aus den Sachzwängen, weswegen der erste Lösungsansatz auch direkt in der Kritik steckt: Am Ende sollte über diesem Tun das Bewusstsein vorherrschen, das Anerkennen der wirklichen Zusammenhänge. Eigentum und Vertrag sind in der Realität festgelegte Ausdrücke der objektivierten Bestimmtheit menschlicher Subjektivität im Austauschverhältnis. Eigentum und Vertrag personalisieren folglich den Menschen kraft eines juristischen Repräsentationsverhältnisses. Anderes ausgedrückt, treten die Warenbesitzer als Personen auf Grund ihres gegenseitig anerkannten Status als Privateigentümer auf, welcher durch den Vertrag formiert wird.104 An dieser Stelle können wir festhalten, dass die Warenverhältnisse im zweiten Kapitel in Besitz und Aneignung durch Personenverhältnisse vermittelt werden, indem die Subjekte miteinander unter einer gültigen Rechtsbeziehung handeln: es setzt ein Austauschprozess ein. Im Rahmen der Warenwelt wird der Besitz als Eigentum verstanden. Man besitzt „eine Ware“ im Rahmen des Austauschaktes, also als Repräsentation des Privateigentums.105 Dieser Akt der Personifikation zeigt einen bestimmten Menschenfetischismus: Das naturalisierte, mystifizierte Absehen vom Menschen als Individuum fällt mit dem Einsetzen der Handlung zusammen. Harvey erwähnte bereits ein „echo of the fetishism argument“106 im zweiten Kapitel des Kapital; wir akzentuieren, dass die Menschen einer gezielten Fetischisierung aufliegen: der Besitzer eines Produkts besitzt eine Ware, indem er sie gegen andere Waren austauschen kann, somit wird er als Privateigentümer dieser Ware gerecht. Die Menschen werden abstrahiert, fetischisiert bzw. reduziert auf eine bestimmte Personifikation (= Träger von Waren), weil sie gegenseitig als jeweils exklusiver Inhaber gewürdigt werden. Diese „Fetischisierung“ des Besitzers als Privateigentümer ermöglicht das Verhalten des Menschen als Person. Die Subjekte treten sich als Warenrepräsentanten gegenüber und beanspruchen dabei keinen anderen epistemologischen Inhalt als, was die ökonomischen Kategorien erlauben. Diese Konzeption des Fetisch- und Personenbegriff illustriert nicht nur eine Subjektbeziehung, oder eine Korrektur des Alltagsverständnisses, sondern ist eine direkte Kritik an diesem unvermeidbaren Ergebnis der politischen Ökonomie als Ganzes. Die Tragödie der Charaktermasken in diesem Drama des Austauschens ist die Illusion des freien Handelns. Die 104 Wir konzentrieren uns auf die Personenfigur. Es ist aber sinnvoll zu erwähnen, dass wir auf Grund des Vertrages langsam, zum ersten Mal im Kapital, zu der Figur des Staates gelangen. Der Staat müsste die Gültigkeit des Vertrags durch seine Gewalt gewähren. Menschen setzen im Austausch die Strafbarkeit über die Nichterfüllung des Vertrages unter der Staatsgewalt voraus. Die Rede in diesem Kapitel ist noch weit entfernt von einer Entdeckung des Staates, aber sie ist hilfreich, um eine bislang unerwähnte Herrschaftsform vorab zu beleuchten. 105 „Die Warenbesitzer verhalten sich als Personen zueinander weil sie Privateigentümer sind.“ Iber, Christian, Grundzüge der Marx’schen Kapitalismustheorie. Parerga, Düsseldorf, 2005, S. 84. 106 Harvey, David, A companion to Marx’s Capital. Verso, London / New York City, 2010, S. 47. Herv. von P. P.

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Individuen werden unter den Regeln bzw. Gesetzen von abstrakten Kräften subsumiert.107 Fern von seinem früheren anthropologischen Diskurs beschreibt Marx die Subjektbeziehungen unter gesellschaftlich personifizierten Abhängigkeitsverhältnissen und formuliert auffällig seinen theoretischen Bruch mit der Annahme eines gesellschaftlichen Zusammenhangs von kapitalistischer Gesellschaftsform und Menschenwesen. Daher ist das Kapitel über den Austauschprozess, welches eine personale Handlungstheorie bildet, zentral. Dafür entlehnt Marx einige Hegelsche Konzeptionen des Eigentumsbegriffes aus der Philosophie des Rechts, die wir im nächsten Abschnitt thematisieren werden. 3.2.3.3 (Privat-)Eigentum als Verfügungsgewalt Wir üben nun eine kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen Eigentum und Person. Wir thematisieren aber nicht den Streit über das Menschenwesen, der sich bereits um die Pariser Manuskripte gebildet hatte, sondern konzentrieren uns hier auf den spezifischen Unterschied des Konzepts der Personen in Bezug auf die Kapitalformation. Im vorherigen Kapitel haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Personenbegriff einen der prägenden Konflikte Marx’ mit Hegels Philoso­ phie des Rechts betrifft. Einerseits kritisiert Marx durchgehend seit der Epoche der Frühmanuskripte die immanente Verbindung zwischen Personen und Eigentum, die Hegel in den ersten Paragrafen seines Werkes vorschlägt. Andererseits können wir einige Treffpunkte beider Philosophen im Verständnis der Person als Charaktermaske des Eigentums ausmachen. Die Auffassung dieses Begriffs kann zu Verwirrung führen, da a) der Begriff selber bei beiden Denkern vielfältig aufgefasst wird: einerseits finden wir bei Hegel phänomenologische, rechtsphilosophische und logische Grundlegungen des Menschen und der Personen, andererseits unterscheidet Marx in seinen Schriften zwischen dem Menschen als Gattungswesen und dem Menschlichen als Charakter, wobei die Entwicklung des Personenbegriffes zu berücksichtigen ist. Und (b) findet man einige Schriften über die Marxsche Position zur Hegelschen Konzeption der Person, die behaupten, dass in unterschiedlichen Phasen der Marxschen Denkentwicklung verschiedene Übernahmen und Kritikarten bezüglich Hegels von Bedeutung sind. Volkan Çidam schlägt eine Rekonzeptualisierung des Personenbegriffes durch eine normative Lektüre vor. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Darstellungen dieses Begriffes nicht einfach auf eine „Aneignung“ der phänomenologischen Grundlegung Hegels als „immanente Kritik [an] der Hegelschen Theorie der modernen Sittlichkeit“108 reduziert werden können. Der Personenbegriff im zweiten Kapitel des Marxschen Kapital 107 Welche „Gesetze“ des Wertes die Waren determinieren, wird im Laufe dieser Unter­ suchung beleuchtet. Nicht wie Haug gegen Heinrich annimmt, müssen wir vor der Handlung klären, „wie diese Gesetze den behaupteten Handlungszwang bewirken“, sondern, dass die Personen die Gesetze des Wertes annehmen, auch ohne es zu wissen: „Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben“ (MEW 23, S. 101). 108 Çidam, Die Phänomenologie des Widergeistes. a. a. O., S. 106.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

beschreibt eine Abstraktion des Menschen als Charaktermaske, die das Eigentum und den Vertrag als notwendige Momente erfordert. Die Priorität bei der Konzeptualisierung der Person im Kapital liegt auf der Abbildung einer abstrakten Subjektbeziehung. Die Rolle der Person bildet auf Grundlage des Eigentums eine zweite Natur für den Menschen. Der sozial-entstandene Personenbegriff reflektiert demnach Verfügung über das Objekt. Marx versteht das Eigentum als ein Verhältnis des Willens, d. i. eines Subjekts, das auf Gegenstände bezogen ist. Die im zweiten Kapitel des Kapital begriffliche Einführung der Person beschränkt sich auf einen von Menschenqualitäten abstrahierten Eigentümer. Der Eigentümer erscheint hier als der erste Akteur, der Waren personalisiert. Er repräsentiert ein spezifisches Verfügungsverhältnis über die Gegenstände. Der abstrahierte Mensch zeichnet sich jedoch durch eine bestimmte Eigenschaft aus, nämlich sich in der bürgerlichen Gesellschaft zu vereinzeln, sich ihrer anzueignen. Die (bürgerliche) Gesellschaft, als Totalität menschlicher Beziehungen, spiegelt sich im Eigentum als ihre vereinzelnde Repräsentation wider. Das Eigentum repräsentiert und reproduziert demnach eine entmenschte Subjektivität im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaftlichkeit. Diese – oben in 3.2.3.1 erklärt – Entmenschung bedeutet aber kein „Nichtsubjektsein“, wie Haslbauer vorschlägt109, sondern ein defizitäres Subjekt, das eine einfache, einstufige bürgerliche Subjektivierung erfährt. Die Person erscheint in diesem Licht als gesellschaftlicher Ausdruck ohne eine weitere Bestimmung des Menschen. Der Marxsche Personenbegriff konstituiert einerseits die (zeitlose) erste handlungstheoretische Stufe der Gesellschaftsformation. Die so begriffene Person als Eigentümer verwirklicht sich andererseits als das Subjekt, welches die Bürgerlichkeit der Gesellschaft synthetisiert. Sie ist die Basis für die fortbestehende private Verfügung über die Produktionsmittel, also des Privateigentums. Das subjektive Verhältnis des bürgerlichen Eigentums besteht zwischen Personen, die in der (bürgerlichen, produktiven) Arbeit ihr „Wesen“ verwirklichen.110 In diesem Sinne ist das (Privat-)Eigentum eine menschliche Beziehung, die wesentlich auf die (bürgerliche, produktive) Arbeit bezogen ist. Eigentum sei „kein Gegenstand“111 an sich, sondern ein spezifisches menschliches Verhältnis, eine herrschende Beziehung. Dieses Verhältnis besteht in der Kommandogewalt über die Sachen (Produkte der Arbeit), welche von den anderen bürgerlichen Subjekten anerkannt wird. Das bürgerliche Subjekt stellt sich auch in diesem Kontext als Grundlage menschlicher (= bürgerlich gesellschaftlicher) Verhältnisse dar, das tätige Abhängigkeiten reproduziert. Diesbezüglich ist die persönliche Subjektbeziehung im Eigentum die abstrakte Beziehung eines asymmetrischen herrschenden Gesellschaftsmodells. Die 109 Vgl. Haslbauer, Harald, Eigentum und Person. Begriff, Notwendigkeit und Folge bürger­ licher Subjektivierung. Mosenstein und Vannerdat, Münster, 2010, S. 58. 110 Vgl. MEW 40, S. 530: „Das subjektive Wesen des Privateigentums, das Privateigentum als für sich seiende Tätigkeit, als Subjekt, als Person ist die Arbeit.“ 111 Haslbauer (Eigentum und Person, a. a. O., S. 15 ff.) betont diesen Aspekt des Eigentums in seinem Buch. Eigentum sei kein Gegenstand, sondern ein Verhältnis.

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

107

bürgerliche Gesellschaft ist wiederum der Gesamtausdruck dieser persönlichen Subjektbeziehungen. Marx schreibt deutlich, dass diese Personen eine bestimmte Personifikation kapitalistischer Ökonomieverhältnisse sind. Das Rechtsverhältnis „Eigentum“ kann aber in unterschiedlichen Arten der Aneignung bestehen und indem es privat ist, ist das Eigentum eine res particularis. Die Darstellung im zweiten Kapitel reduziert den Eigentümer auf die Aneignung einer Ware und liefert keine weiteren Bestimmungen des Kapitals, sondern ist bis dahin auf die reine Warendarstellung begrenzt. Entsprechend seiner Darstellung suggeriert Marx eine vorläufige Bestimmung des Eigentums durch einfachen Warenbesitz. Die Auffassung der Person als Eigentümer112 beschreibt und kritisiert eine spezifische Konkretisierung der bürgerlichen Subjektivität; eine Subjektivität, die während dem Austausch und auf Grund einer gegenseitigen Anerkennung herauskristallisiert wird. Diese Anerkennungsdialektik als Vermittlung zwischen den Eigentümern ist in Marx’ kritischer Darstellung ein spezifisch kapitalistischer Subjektivierungsprozess, in dem das Eigentum als Grund der Personalisierung und darauf folgenden Individualisierung menschlicher Verhältnisse erscheint. Auf dieser Darstellungsebene ist das Eigentum Ausdruck eines präzisen Willensverhältnisses, das Verhältnis des Subjekts als solchem (Person) auf Grund eines Objekts (Ware).113 Somit zeigt das zweite Kapitel des Kapital eine andere Bestimmung der Ware, nämlich als eine Bestimmung des Subjekts des Handelns, der Person, des Eigentümers eben dieser Ware. In diesem Sinne wird ein Konflikt mit der Hegelschen Auffassung des Rechts dieses Mal in Bezug auf den Personenbegriff reproduziert. Eine zweite Lektüre des Textes kann zumindest sprachliche Koinzidenzen mit der Philosophie des Rechts erkennbar machen. Schon in den Frühschriften hatte Marx dieses Werk tiefgründig kritisiert. Die „Koketterie“ oder schwache Paraphrasierung ist jedoch nicht unbedingt als Zustimmung mit der Konzeption in der Hegelschen Philosophie des Rechts zu verstehen, sondern der Personenbegriff ist „für Marx eine Hypostasierung des Privateigentums“114, mit der er eine gesellschaftliche Wirklichkeit betonen will. Im handlungstheoretischen Eigentumsbegriff wird die Person in ihrer Identität wesentlich als Willensfreiheit aufgefasst, was Marx als notwendige Abstraktion beschreibt. Der Eigentümer existiert aber nur im Sinne einer Repräsentation der Ware, getrennt von besonderen Selbst­ bestimmungen des Menschen. Das Eigentum setzt die Form des Eigenen in der Tauschrelation. Die Eigenschaft des Eigentums ist einen Warenbesitzer zu haben, insofern der Warenbesitzer, hier auf dieser Ebene der Abstraktion, den GegenstandWare in seiner individuellen (= eigentümlichen) Existenz hervorbringt. Der Eigentümer wird Eigentümer durch den Austausch und auf Grund des Aneignens.115 Die 112 Sowohl der Personenbegriff, wie der Eigentumsbegriff werden im Laufe des Kapital weiter bestimmt. Wir beschränken uns hier auf das zweite Kapitel, in dem seine Erläuterung wesentlich ist, um die Einheit von Gesellschaftlichkeit und Darstellung zu erfassen. 113 Vgl. Haslbauer, Eigentum und Person, a. a. O., S. 32. 114 Çidam, Die Phänomenologie des Widergeistes. a. a. O., S. 109. 115 Man besitzt eine Ware, um sie zu tauschen.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

Eigentümlichkeit des Eigentums wird im zweiten Kapitel des Kapital ausführlich als ein bestimmtes Verhältnis dargestellt, nämlich als eine persönliche Beziehung im Warenaustausch. Diese Beziehung ist jedoch kein Ausdruck des Geistes, wie es in Hegels Rechtsphilosophie erscheint: „Die Allgemeinheit dieses für sich freien Willens ist die formelle, die selbstbewußte, sonst inhaltslose einfache Beziehung auf sich in seiner Einzelheit, – das Subjekt ist insofern Per­ son. […] Der Geist sich als abstraktes und zwar freies Ich zum Gegenstande und Zwecke hat und so Person ist.“116

Die Koinzidenz beider Begriffe ist nicht nur sprachlich bedient. Dagegen sind die Begriffe Eigentum und Person nicht mit denen Hegels gleichzusetzen. Hegel zufolge präsentiere die Person sich selbst als Eigentümer, als freier Wille. Eine einfache (Selbst)Beziehung subjektiven Geistes stellt die Person in einer reinen Selbsterkennung dar. Stattdessen präsentiert Marx die Bestimmung der Person als Bezug auf das Produktionsverhältnis, wonach der Mensch nicht Eigentümer sei, „weil er per se und etwa qua seiner genuinen Geistigkeit Person ist, sondern er ist dieses abstrakte Konstrukt Person, weil er durch seine gesellschaftliche Tat Eigentümer ist.“117 Gemäß der Darstellung des Kapitals ist der Marxsche Personenbegriff als ein gesellschaftliches „Konstrukt“ zu verstehen. Das Hervortreten der Person zeigt die Notwendigkeit subjektiver Verhältnisse, um die bürgerliche Gesellschaft zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion setzt den Eigentümer als Charakterisierung ökonomischer Verhältnisse. Menschliche Beziehungen sind hier grundsätzlich bürgerliche Formen des Kapitals. Die freie Subjektivität ist nicht in der Lage zu einer reinen Darstellung, weil diese Darstellung selbst bei der Verwertung des Wertes einsteigt, wo die Person (vor dem Menschen) vorausgesetzt wird. Die Person ist bei Marx im Gegensatz zu Hegel Resultat eines gesellschaftlichen Defizits. In diesem Kontext wird die Sphäre einzelner Subjekte untersucht. In der Anerkennungsbeziehung zwischen Warenhütern ist somit das Ich-Sein nur als (Privat)Eigentümer vorgesehen, d. i. als Vertreter einer Objektbeziehung. „Die Dinge A und B sind hier nicht Waren vor dem Austausch, sondern werden es erst durch denselben. Die erste Weise, worin ein Gebrauchsgegenstand der Möglichkeit nach Tauschwert ist, ist sein Dasein als Nicht-Gebrauchswert, als die unmittelbaren Bedürfnisse seines Besitzers überschießendes Quantum von Gebrauchswert. Dinge sind an und für sich dem Menschen äußerlich und daher veräußerlich. Damit diese Veräußerung wechselseitig, brauchen Menschen nur stillschweigend sich als Privateigentümer jener veräußerlichen Dinge und eben dadurch als voneinander unabhängige Personen gegenüberzutreten.“118

Das Produkt, als Ware genommen, bringt letztendlich eine gesellschaftliche Beziehung zum Ausdruck. Dass diese Beziehung gesellschaftlich ist, zeigt lediglich den Totalitätscharakter des Gesellschaftlichen. Derartige Beziehungen zeigen 116

PhR, W 7, § 35. Haslbauer, Eigentum und Person, a. a. O., S. 203. Herv. von P. P. 118 MEW 23, S. 103. Herv. von P. P. 117

3.2 Menschen- und Personenbegriff bei Marx 

109

aber gleichzeitig einen menschlichen Charakter, d. h. sie sind Subjektbeziehungen. Gesellschaftliche und menschliche Beziehungen erscheinen als immanent aufeinander bezogene Relata. Die abstrakt menschliche Arbeit wird als gesellschaftliche Beziehung definiert. Nicht jede menschliche Arbeit ist gesellschaftlich, im Gegensatz dazu ist jede abstrakt menschliche Arbeit per definitionem gesellschaftlich. Dementsprechend werden Individuen nur als darstellungsmäßige Abstrakta gesellschaftlicher Formen präsentiert. Marx zufolge unterliegen die Individuen in der kapitalistischen Gesellschaftsform einer Abhängigkeit persönlicher Natur, d. h., sie werden in einen Stand hineingeboren.119 Zudem sind sie aber auch den gesellschaftlichen Verhältnissen unterworfen, die für sie ebenso unerschütterlich erscheinen. Laut Marx besteht auch tatsächlich eine „nothwendige Unterordnung der Individuen unter sie“120. Der Effekt beider Abhängigkeitsverhältnisse ist derselbe. Auch im Kapitalismus sind letztendlich wieder Personen von einer Herrschaft abhängig. Jedoch besteht dieses Abhängigkeitsverhältnis im Kapitalismus in (inter-)subjektiven Relata, und werden damit als fetischisiert und zugleich rational dargestellt. Die kritische Aufgabe des zweiten Kapitels des Kapital ist die Darstellung der „Persönlichkeit“ des Menschen, also die Entfaltung seines zwangsmäßigen Personencharakters bezogen auf die Warenrekonstruktion, auf Grund bestimmter gesellschaftlicher Bedingungen. Die Entwicklung der Marxschen kritischen Darstellung des Eigentums ist grundsätzlich als eine Defetischisierung des vergesellschaftenden Handelns der Person als Eigentümer anzusehen. Wir betonen hier, dass eine solche Darstellung der Personen als Eigentümer und des Eigentums als Herrschaft zu einer Analyse der Totalität der bürgerlichen Gesellschaft beiträgt. So können wir Haslbauer zustimmen: „Eine etwas andere Vorstellung des Eigentums als Herrschaft bemüht eine summarische Beurteilung der Gesamtheit der bürgerlichen Gesellschaft, und nimmt ihr elementares, von allen Mitgliedern der Gesellschaft so genommenes Moment der Freiheit des Menschen, des Eigentums provokativ schon als Inbegriff ausgerechnet ihres Gegenteils: der Herrschaft über Menschen.“121

Diese ineinander verkettete Herrschaft werden wir im nächsten Abschnitt präzisieren.

119 Vgl. Vargas, Roberto, „Dominación abstracta y transformación espacio temporal en la lógica del capital“, in: El ejercicio del pensar 3, GT-Herencias y Perspectivas del Marxismo. CLACSO, Buenos Aires, 2020, S. 31 f. 120 MEGA. I/2, S. 95 f. 121 Haslbauer, Eigentum und Person, a. a. O., S. 28.

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

3.3 Der Herrschaftsbegriff als wesentliche Bestätigung des gesellschaftlichen Charakters des Menschen  Wir sollten nicht vergessen, unter welchen Umständen der „Herrschaftsbegriff“ in der Marxschen Darstellung des Kapitals entworfen wird. Der Begriff, im Gegenteil zur jung- und posthegelianischen Erklärung des Herr-Knecht-Verhältnisses in den Frühschriften122, lokalisiert sich fern einer reinen Rechtskonzeption, aber er erscheint nicht mehr so stabil als eine spezifische Kategorie in der Darstellung, trotz seiner Betonung im dritten Band des Kapital.123 Die Selbstbestimmungen der kapitalistischen Herrschaft müssen wir erörtern, um den Gehalt aller ökonomischen Verhältnisse als gesellschaftlich notwendigen zu überprüfen, wie später z. B. Gramsci124 in seiner Hegemonietheorie zu erläutern versucht. Dafür identifizieren wir die folgenden Charakteristiken der Kapitalherrschaft: (i) Das Herrschaftsverhältnis kulminiert in der kapitalistisch organischen Gesellschaftsformation. (ii) Die Herrschaft ist eine asymmetrische Beziehung und ein Gegensatz zwischen zwei ökonomischen Subjekten: in nuce des Besitzers125 und des Arbeiters: Herrschaft ist das einseitige Resultat dieses Gegensatzes. (iii) Herrschaft als Verfügung über fremde Arbeit ist im Grunde genommen nichts anderes als ihre eigene dialektische Reproduktion. Ein abstraktes Moment der gegenständlichen Reflexion des Wertes. (iv) Dieser verwertete Gegensatz ist nicht einfach eine Wechselwirkung zwischen zwei Subjekten als Individuen, sondern er äußert sich auch in einem systematischen Gegensatz ganzer Austauschrelationen. Der Bestimmung des Produktionsbegriffes entspricht die Bestimmung der ganzen Erscheinungsformen des Kapitals. Diese These wird durchgehend im Spätwerk verteidigt. Dass alle ökonomischen Beziehungen potenziell unter eine Produktionsbeziehung zu subsumieren sind, ist eine der stärksten Argumente seiner Arbeitstheorie. Der Begriff „Produktion“ betrifft zweifellos den Begriff der Arbeit, anders ausgedrückt, jene Produktionsbestimmungen sind nichts anderes als die Bestimmung der gesellschaftlichen Arbeit insgesamt. Produktion ist der synthetische Ausdruck des Arbeitsbegriffs in seiner wertgesellschaftlichen Sphäre, insofern diese eine bestimmte gesellschaftliche Aktivität (abstrakte Arbeit) darstellt, nämlich die Transformation von einem Gegenstand im Allgemeinen in ein Produkt. Die in den Waren ausgedrückte Produktion ist die zweckmäßige Arbeit in ihrer (Tausch-)Wertschaffung. In der Analyse der Kapitalbildung ist die Arbeit zugleich 122

Vgl. MEW 1 und 3. Vgl. MEGA II/15, S. 1, S. 765 ff.; MEW 25, S. 798 ff. 124 Vgl. Gramsci, Antonio, Lettere dal carcere, Bd. 1. L’unità, Roma, 1988. 125 Privateigentümer von gesellschaftlichen (nicht individuellen!) Produktionsmitteln. 123

3.3 Der Herrschaftsbegriff  

111

als produktiver Prozess aufzufassen, d. h. das Produktive ist wesentlich eine Tätigkeit (eine Dynamik) der Transformation des Objekts, weshalb sie die „Quelle allen Reichtums“ ist. Der spezifische Unterschied zwischen Arbeit im Allgemeinen und Produktion im Allgemeinen liegt somit darin, dass die allgemeine Arbeit als Wesen aller Tätigkeitsformen und „Grundbedingung alles menschlichen Lebens“126 verstanden wird. Produktion im Allgemeinen drückt mehr den Transformationsprozess von Natur in eine im Wert ausgedrückte Gesamtform aus. Diese Verbindung zwischen Produktions- und Arbeitsbegriff erhellt deren Zusammenhang mit der Verwandlung der Natur durch den Menschen (Arbeit). Es geht darum, dass durch die sachliche Aneignung der Arbeitsmittel das Produkt des Naturverwandlers (des Arbeiters) unter einer „ökonomischen Herrschaft“ erscheint. Wenn diese Arbeit jedoch als produktiv127 verstanden wird, ist Herrschaft zugleich als eine „Kapitalherrschaft“ bzw. Herrschaft über die Produktion zu verstehen. Die Gesamtheit oder der Organismus128 der Produktionsverhältnisse enthält die Ganzheit der ökonomischen Verhältnisse. Produktionsorganismus ist demzufolge begrifflich mit ökonomischem Organismus gleichzusetzen. Deswegen umfassen die Produktionsverhältnisse die ganzen bürgerlich-ökonomischen Verhältnisse in ihren Bestimmungen und Wechselwirkungen. Im dritten Buch des Kapital129 entdecken wir, dass die Bestimmung der politisch-ökonomischen Herrschaft als Resultat des im dialektischen Gesellschaftsorganismus wirkenden Arbeitswerts zu verstehen ist. Marx zufolge ist keine Erklärung des ökonomischen Prozesses zu plausibilisieren, ohne eine entsprechende und organische Entfaltung des Produktiven, worin Bestimmungen des Eigentums oder der Arbeit u. a. systematisch 126

DN, MEW 20, S. 444. Produktion und „produktiv“ sind zentrale Begriffe, die in allen Werken Marx’ Verwendung finden. Abgesehen von den unterschiedlichen Bestimmungen des Begriffes, welche von der Komplexität der menschlichen Verhältnisse abhängig sind, kann man mindestens grob definieren, dass Produktion erstens immer eine zweckmäßige Veränderung der Natur durch den Menschen bezeichnet. Eine Verausgabung der menschlichen Kraft, um einen Gebrauchswert herzustellen. Gebrauchswert entweder für den Produzenten, oder jemand anderen. Letztere Option ist das Thema der kapitalistischen Produktion. Kapitalistische (= gesellschaftliche) Produktion kann, Marx zufolge, zweierlei verstanden werden: (i) Produktion im Allgemeinen als Erzeugungsprozess kapitalistischer Fertigung, Fabrikation und Herstellung von Waren, die aus unterschiedlichen Arbeitskräften entstehen und (ii) als einheitliche Gesamtheit der Produktionszweige (Produktion, Distribution, Zirkulation und Konsum. Siehe: Grund, S. 5 ff.), welche den gesellschaftlichen Reichtum bilden. Beide Bestimmungen beziehen sich auf „produktive Arbeit“, welche eine gesellschaftliche Verwertung reproduziert. Produktive Arbeit ist die Reproduktion des Kapitals (als herrschendes Wesen des Reichtums). „Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesell­ schaftliches, geschichtlich entstandenes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.“ (MEW 23, S. 532). 128 Begriff des (Produktions-)Organismus ist ein Konzept, das Marx oft benutzt, um das gesellschaftliche Ganze der Produktion zu bezeichnen. 129 Vgl. MEW 25, S. 799 ff. 127

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

zusammenfallen. Die Bestimmung der Herrschaft (des Kapitals über die Arbeit) drückt deshalb eine Bestimmung der Produktion im Allgemeinen aus. Diese Bestimmung ist jedoch nicht nur eine der am weitesten entwickelten der Wertbildung, sondern spielt eine entscheidende Rolle in der ganzen Darstellung der kapitalistischen Ökonomie. Das Herrschaftsverhältnis kulminiert in der Darstellung der ganzen kapitalistisch organischen Gesellschaftsformation.130 Die mittelbare Herrschaft ist hierbei nicht nur Resultat der allgemeinen Produktionsweise, sondern auch ihr „Ausgangspunkt“; sie produziert u. a. die komplette monetäre Wertbildung. Die Herrschaft der allgemeinen Wertverwertung131 ist der gesellschaftliche Charater des Kapitals. Deswegen ist diese produktive Herrschaft gesellschaftlich notwendige Herrschaft des Kapitals. Bisher findet eine Beschreibung des kapitalistischen Herrschaftsbegriffs als Kern der von Produktion bestimmten Arbeitswerttheorie statt, d. h. des Herrschaftsverhältnisses als Gesellschaftskern. Die Ökonomie ist aber auch rein gesellschaftlich. Darüber hinaus ist die ökonomische Wissenschaft nichts anderes als Ausdruck gesellschaftlicher Wechselwirkung in den Austauschphänomena. Der Zusammenhang zwischen den ökonomischen und den gesellschaftlichen Verhältnissen schafft die Grundlagen dafür, den wirtschaftlichen Formalismus der klassischen Nationalökonomen aufzuheben. Der produktive Wert bildet an dieser Stelle nicht nur ein objektives Verhältnis von Dingen als Produkten, sondern auch von Menschen als Produzierenden und dieser nicht nur isolierte Menschen, sondern als Ganzheit, als Gesellschaft. Die Menschen als Individuen, als Personen werden von den allgemeinen Produktionsverhältnissen bestimmt. Der Mensch produziert132 bzw. differenziert sich durch die eigene Tätigkeit, die aus seinen Produktivkräften entsteht. Auf Grund seiner Produktionsfähigkeit, seinen Produktivkräften ist der Mensch in der Lage, einerseits die Natur und andere Menschen zu beherrschen; andererseits von der Natur und von anderen Menschen beherrscht zu werden. Die hier beschriebene Herrschaft ist eine asymmetrische Beziehung und ein Gegensatz zwischen zwei ökonomischen Subjekten: in nuce dem Herren und dem Knecht; dem Besitzer und dem Arbeiter: Herrschaft ist das einseitige Resultat dieses Gegensatzes.

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Marx verstand in seinem Spätwerk die Gesellschaft als reflexive Komplexität, die nicht allein erklärbar ist und damit nicht als Ausgangspunkt für die Analyse der Produktionsformen gelten könne, sondern nur als Überblick aller vor-betrachteten Bestimmungen. Gesellschaft wird einerseits als einfachste dynamische und entwickelnde Lage aller abstrakten Verbindungen zwischen Menschen verstanden, andererseits als allgemeine Bestimmtheit der materiellen Lebensprozesse, indem sie die komplexeste Auseinandersetzung aller konkreten Lebensformen des Menschen im Allgemeinen synthetisiert. Gesellschaft wird dann in concreto bestimmt, indem diese Konkretheit aus einer Summe von Relata bestehen müsse. 131 Die Verwertung des (Tausch-)Wertes. Also das Ziel, aus Kapital mehr Tauschwert zu gewinnen. 132 Diese Produktion ist eine sehr allgemeine, in sensu lato eine Erschaffung, creatio. Eine noch abstrakte Definition von Produktion, die Marx vieldeutig begreift.

3.3 Der Herrschaftsbegriff  

113

Alle diese Herrschaftsmerkmale werden als eine wesentliche Bestimmung im Schlusskapitel des Kapital133 dargestellt und als Übergangsbegriff im allgemeinen Produktionsprozess verstanden. Die Konstitution der Herrschaft geht in eine allgemeine Bestimmung der Produktion als kontinuierliche Hervorbringung des Wertes über, indem dieser sich systematisch in komplexeren Momenten entfaltet. Die produktive Herrschaft re-produziert herrschaftlich den begrifflichen (nichtempirischen) Evolutionsprozess des Kapitals, der nicht nur bestimmt, sondern auch bestimmend erscheint. Bestimmt, indem die abstrakte (Selbst-)Verwertung des Warenwertes (= Prozess der Vermehrung von Kapital) die Quelle allen kapitalistischen Reichtums134 ist und der vom Kapital geschaffene Reichtum bzw. der Akkumulationsprozess simpliciter als Resultat dieser Herrschaft über fremde Arbeit zu verstehen ist. Bestimmend, weil die Herrschaft den Reichtum als „bloßes Kommando über fremde Arbeit“135 voraussetzt, d. h. die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse kraft der Wertschaffung produktiver Arbeiter im Verwertungsprozess herrscht, wobei eine steigende Tendenz des Mehrwerts besteht. Reichtum fällt dann mit Produktivität zusammen. Die (kapitalistisch-produktive) Herrschaft ist die abstrakte Form der Einheit des Reichtums bzw. des Eigentumsverhältnisses und das besondere Wesen des Gesellschaftlichen. Dass das Gesellschaftliche das Ganze des Organismus charakterisiert, ermöglicht die Wertbildung in der Analyse der Herrschaft immer als ein gesellschaftliches Verhältnis zu interpretieren. Da bei Marx die ganze Aufgabe der Analyse der Kapitalformen nicht nur eine Entwicklung bzw. Beschreibung des Ökonomischen erfordert, sondern auch eine kritische Darstellung des Kapitals beinhaltet, ist die Kapitalherrschaft, wie das ganze Faktum der kapitalistischen Produktionsweise, auch eine Überwindung der politisch-ökonomischen Kategorien. Wir können feststellen, dass die begriffliche Entfaltung der Herrschaftsverhältnisse im Marxschen Kapital auch eine Freiheitslehre umfasst. In seiner (Arbeits-)Werttheorie erscheinen in diesem Sinne Freiheit und Abhängigkeit als dialektische Kerne des Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisses. Wert substantialisiert Arbeitsprodukte als Waren und die Waren, durch ihren Gesellschafts-Charakter, verhüllen die dialektischen gesellschaftlichen Verhältnisse des Menschen in der Arbeitsteilung und Verfügung über fremde Arbeit. Wertentwicklung reproduziert Abhängigkeitsverhältnisse nicht nur zwischen den Menschen und den Sachen, sondern zwischen den Menschen untereinander. Die 133

Kapitel 48: „Die trinitarische Formel“, in: MEW 25.  Der entfaltete Begriff „Reichtum“ enthält nicht einfach seine stoffliche Form (Gebrauchswert). Reichtum ist klarerweise nicht nur eine einfache „Warensammlung“, sondern von Anfang an seine gesellschaftliche Form (MEW 23, S. 49). Dennoch: Die Arbeit ist Quelle des Reichtums, aber auf keinen Fall die einzige Quelle, so Marx in Kritik des Gothaer Programms „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebenso sehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. Jene Phrase findet sich in allen Kinderfibeln und ist insofern richtig, als unterstellt wird, daß die Arbeit mit den dazugehörigen Gegenständen und Mitteln vorgeht.“ (MEW 19, S. 15). 135 Grund, S. 387. 134

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

kritische Auslegung der „entfremdenden“ Herrschaft des Kapitals über die Arbeit erfordert ihre Aufhebung in einer anderen Gesellschaftsform: „Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (zuerst ganz naturwüchsig) sind die ersten vor­ kapitalistischen Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche Produktivität nur in geringem Umfang und auf isolierten Punkten entwickelt. Persönliche Unabhängigkeit auf sachlicher Abhängigkeit gegründet ist die zweite große Form, der Kapitalismus, worin sich erst ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universalen Beziehungen, allseitiger Bedürfnisse, und universeller Vermögen bildet. Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Produktivität, als ihres gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe, der Kommunismus. Die zweite schafft die Bedingungen der dritten.“136

Die Produktion ist einerseits ein Transformationsprozess des Gegenstandes in ein Produkt, und anderseits des Subjekts in einen Arbeiter. Diese doppelseitige Verwandlung enthält nicht nur eine „Formänderung des Natürlichen“137, sondern auch eine bestimmte dialektische Form der Herrschaft. Die Verfügung über fremde Arbeit ist das Wesen des kapitalistischen Herrschaftsverhältnisses. Deswegen können wir behaupten, dass der Wertbildungsprozess, indem er die Reproduktion des Kapitals formiert, gleichzeitig die Reproduktion der Herrschaft darstellt. Herrschaft ist im Grunde genommen nichts anderes als ihre eigene dialektische Reproduktion, also ein abstraktes Moment der gegenständlichen Reflexion des Werts. Die Reproduktion der Profitrate als Vermehrung der Wertgröße fällt mit der Reproduktion der zweckmäßigen Herrschaft zusammen, nicht einfach zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung, sondern zur Selbstverwertung des Kapitals. In diesem Kontext ist es bemerkenswert, dass die Erklärung des Herrschaftsbegriffs zur Formulierung einer Freiheits- bzw. Befreiungskonzeption führt. Eine solche Freiheitsauffassung ist als Bestätigung der kritischen Arbeitslehre des fetischisierten Wertseins138 zu verstehen und nimmt die Form der Kritik an der produzierenden Kapitalknechtschaft an, d. i. der Aufhebung der Kapital- und Warenproduktion bzw. der systematischen Aufhebung des Kapitalismus. Dementsprechend will Marx mit seinem werttheoretischen Herrschaftsbegriff die gesamte gesellschaftliche Struktur des Kapitals als eine sich reproduzierende Asymmetrie aufdecken. „Die spezifische ökonomische Form, in der unbezahlte Mehrarbeit aus dem unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird, bestimmt das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis, wie es unmittelbar aus der Produktion selbst hervorwächst und seinerseits bestimmend auf sie zurückwirkt. Hierauf aber gründet sich die ganze Gestaltung des Ökonomischen, aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorwachsenden Gemeinwesens und damit zugleich seine spezifische politische Gestalt. Es ist jedes Mal das unmittelbare Verhältnis 136

Grund, S. 75. MEW 23, S. 193. 138 Der Begriff „Wertsein“ gehört zu der eigenen werttheoretischen Terminologie Marx’. „Nebenbei bemerkt, hat auch die Warensprache, außer dem Hebräischen, noch viele andre mehr oder minder korrekte Mundarten. Das deutsche ‚Wertsein‘ drückt z. B. minder schlagend aus als das romanische Zeitwort valere, valer, valoir, daß die Gleichsetzung der Ware B mit der Ware A der eigne Wertausdruck der Ware A ist.“ (MEW 23, S. 64 f.). 137

3.3 Der Herrschaftsbegriff  

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der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten ein Verhältnis, dessen jedesmalige Form stets naturgemäß einer bestimmten Entwicklungsstufe der Art und Weise der Arbeit und daher ihrer gesellschaftlichen Produktivkraft entspricht, worin wir das innere Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form des Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz, der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden.“139

Marx versteht die phänomenologischen Formen von Herr und Knecht in Bezug auf die Hegelsche Bewusstseinslehre als Analog zu seiner eigenen Herrschaftskritik. Die Bestimmung des Herrschaftsverhältnisses in den Frühmanuskripten ist hierfür Beleg.140 Die Herrschaft als eine Beziehung bzw. Verhältnis ist nicht einfach eine auf die Natur bezogene, sondern ist an ein zweites Subjekt gebunden. Jemand wird Herr, indem er über einen Zweiten durch die zweckmäßige Arbeit herrscht bzw. sie vergegenständlicht. Das beschreibt eine Beziehung, die Ausdruck einer verfestigten Asymmetrie zwischen spezifischen Kraftverhältnissen ist. Abhängigkeitsverhältnisse erscheinen im kapitalistischen Kontext als Arbeitsbedingungen, Arbeitsteilung und noch stärker als Eigentumsverhältnisse. Ein bemerkenswertes Merkmal dieser dialektischen Herrschaft ist schon daher die Entäußerung des Anderen durch den sachlichen Kampf. Die eigentümliche Logik dieses Kampfs um Anerkennung der Bewusstseine reproduziert ein bestimmtes Herrschaftsverhältnis in Bezug auf die Tätigkeit, ein asymmetrisches Kommando über die gesellschaftlichen Produktionsmittel. Besitzer und Arbeiter, beide jeweils entgegengesetzte Herrschaftsbestimmungen des Kapitals, stehen im Zusammenhang zur Befriedigung des Begierdeobjekts (des Anderen), was zu einer parallelen Asymmetrie des materiellen Lebens als realisierter Freiheit führt. Dieser aus der Wertbildung entstandene Gegensatz ist aber nicht einfach eine Wechselwirkung zwischen zwei Subjekten als Individuen, nach welcher sie sich in einem Modell aus Austauschrelationen zu einander verhalten. Im Rahmen des thematisierten Problems der Herrschaft sieht Marx eine Verdopplung der Verhältnisse nicht nur in Form der Produktion sondern auch in den gesellschaftlichen Eigentumsverhältnissen, genauer gesagt, in der gesellschaftlichen bzw. geschichtlich-begrifflichen Aneignung der Produktionsentfaltung materiellen Lebens. Der Privatbesitzer, wie der Herr im Bewusstseinskampf, hält also eine gesellschaftliche Rolle im privaten Interesse inne. Die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse produzieren auf Grund der Akkumulation des gesamten gesellschaftlichen Reichtums die gesellschaftliche Trennung in der modernen Klassengesellschaft. Moderne Klassen sind die gesellschaftlichen Ergebnisse moderner Produktionsweise, insofern diese als Reichtumsproduktion verstanden wird. Die zeitlose141 Darstellung des Besitzens 139 MEW 25, S. 799 ff. Wir werden in diesem Beitrag die sogenannten Staatsformen nicht thematisieren. 140 Vgl. MEW 1, S. 487; S. 510 ff. (in Bezug auf entfremdete Arbeit); S. 586 ff. 141 „Es wäre also untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder

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Kap. 3: Vergesellschaftungskritik als darstellungstheoretischer Schwerpunkt  

der Mehrheit der Produktionsmittel verfestigt die Hegemonie des Einen über den Anderen. Die Auflösung eines Teils der Klassengesellschaft, der akkumulierenden Klasse ist eine notwendige Phase zur Aufhebung des ökonomisch-kapitalistischen Sachverhaltes. Die Aufhebung dieser Phase ist der sogenannte Klassenkampf. Eine akkurate Erklärung dieser Aufhebung benötigt die Erfassung des Wesentlichen der modernen Gesellschaftsform: Den Darstellungsbegriff, der die spezifische gesellschaftliche Reichtumsform des Kapitalismus erläutern kann.

der Reihe der historischen Entwicklung entspricht. Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen. Noch weniger um ihre Reihenfolge „in der Idee“ (Proudhon) (einer verschwimmelten Vorstellung der historischen Bewegung). Sondern um ihre Gliederung innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft.“ (Grund, S. 28; MEW 42, S. 683).

Kapitel 4

Darstellungsweise als Kritik. Zur Diskussion um das Paradigma der kritischen Darstellung der Ökonomie Wie die Logik Hegels durch ihre Methode der Einheit von Kritik und Darstellung ihre objektive Tendenz hin auf die Kapitalkritik von Marx anzeigt, der das Verfahren der kritischen Darstellung ausarbeitet, so verrät die Kritik der politischen Ökonomie ihre Herkunft aus der spekulativen Logik nicht zuletzt dadurch, daß Marx im Kapital von dem ‚erscheint‘ einen noch ausgiebigeren Gebrauch macht als Hegel, offenbar ohne eine Verpflichtung zur Rechenschaft über die Bedeutung des Wortes zu fühlen. M. Theunissen (Sein und Schein, S. 75) Critic […] macht die Vernunft frey. I. Kant (KS XVIII, S. 84)

In der aktuellen Debatte über die Marxsche Darstellung der Gesellschaftsformation finden wir unterschiedliche Strömungen, Schulen und Interpretationen, die unmöglich in einem einzigen Kapitel aufzufassen sind. Der Deutungshorizont dieser historischen Diskussion kann in mehreren Abstraktionsstufen liegen, wobei Formanalysen, Ideologiekritik, politische Ökonomiekritik, Erkenntnistheorie u. a. zu unterscheiden sind. Wir konzentrieren uns hier darauf, die Darstellung der politischen Ökonomie als eine kritische Aufgabe zu verstehen und diese Darstellung der bestimmten dialektischen Deutungen des systematischen Aufbaus der Kategorien zu untersuchen. Traditioneller Marxismus spaltet sich grob in eine antihegelianische und obskurantistische Lektüre des Gegenstands der strukturellen Verfahrensweise in der Kritik der politischen Ökonomie. Demgegenüber konzentriert sich die heutige Diskussion auf die programmatische Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums als Entwicklung einer begrifflichen Reproduktion der darstellungsorientierten Erscheinungsformen.1 Eine logisch-historische Lesart im Sinne der traditionel 1

So ist die Bemerkung über diese Debatte von Ingo Elbe: „Dialektische Darstellung ist primär die begriffliche Reproduktion eines unter bestimmten, nicht vom System selbst gesetzten Bedingungen produzierten und sich stets reproduzierenden Gegenstands, der ‚an sich‘ real existiert, aber ‚für uns‘, als begriffener Gegenstand, noch entfaltet werden muss.“ („Marxis-

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

len Orthodoxie des Marxismus, findet aber heutzutage nur wenige Vertreter. Mit der Popularisierung des zeitgenössischen Paradigmas der neuen Marx-Lektüre während der ’70 Jahre wurden schärfere Unterscheidungen zwischen den Abstraktionsstufen der Kapitel I und II des Kapital2 gemacht. Die neue Hermeneutik von Marxforschern wie Reichelt, Backhaus und Heinrich u. a.3, versucht die historische Wert-, Geld- und Kapitalbildung von u. a. Zelený und Rosental4 durch eine formale Strukturanalyse der Erscheinungsformen zu verdeutlichen. Diese überarbeitete Kapital-Rezeption erörtert die erkenntnistheoretische Dimension der Marxschen Abstraktionsweise als Selbstverständnis. In diesem Kontext ist die Darstellung der Wertform ein Streitpunkt bezüglich der programmatischen Entstehung des Kapitals, insofern sie als klares methodisches Erfordernis der Analyse des Kapitals zu verstehen ist.5 Die Momente der darstellungsorientierten Bewegungsstruktur bzw. des „Verfahrens“ entfalten sich dadurch, dass die genetischen Widersprüche von Gebrauchswert und (Tausch)Wert unter einer progressiven, korrektiven Bearbeitung gelöst werden. Diese korrektive Bearbeitung bildet das Wesen dessen, was als kritische Darstellung zu verstehen ist. Die Manuskripte Zur Kritik der politischen Ökonomie suggerieren die Wichtigkeit der Auffassung der (politischen) Ökonomie als einer stabilen Kritik. Die Kritik der Kategorien, Bestimmungen und Momente der Wertentwicklung erlaubt die begriffliche Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft, wie bereits im dritten Kapitel des vorliegenden Textes dargelegt wurde. Der Aufbau der Gesellschaftsanalyse spiegelt sich in den Erscheinungsformen des Kapitals, also in deren Kritik, wider. Dieses methodische Verfahren6 der politischen Ökonomie lässt sich laut Marx nicht durch epistemologische Voraussetzungen erfüllen. Aufgrund dessen muss man nach den Quellen dieser kritischen Darstellung fragen. Besonders wichmus-Mystizismus – oder: die Verwandlung der Marxschen Theorie in deutsche Ideologie“, in: Elbe et al. Gesellschaftliche Praxis und ihre wissenschaftliche Darstellung. a. a. O., S. 191). 2 Diese Unterschiede von Abstraktion wurden bereits in Kapital III, Abschnitt 2 bearbeitet. Siehe auch die schon zitierten Werke: Reichelts Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx; Backhaus’ Dialektik der Wertform und Heinrichs Wissenschaft vom Wert. 3 Die Gruppe des sogenannten „Haug-Marxismus“ und ihrem epistemologischen Bruch mit der staatssozialistischen Systemsauffassung. Sie konzentrieren sich in der Methodenreflexion auf eine werttheoretische Analyse. 4 Vgl. Zelený, Jindřich, Die Wissenschaftslogik bei Marx und „Das Kapital“. Europäische Verlagsanstalt. Frankfurt a. M., 1968; Rosental, Mark M., Die dialektische Methode der politischen Ökonomie von Karl Marx. Dietz, Bereli, 1969. Ein ausführlicher Beitrag über die logisch-historische Lektüre der Marxschen Methode ist in dem von Wolfgang Fritz Haug herausgegebenen Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus zu finden (vgl. Haug, Wolfgang, Fritz, „Historisches / Logisches“, in: Haug W. Fr et al. (Hrsg.). Bd. 6/I. Das Argument, Hamburg, 2004, SS. 378–396). 5 Der Kapitalbegriff im Kapital beinhaltet so die Entwicklung des prozessierenden Wertes der Waren. 6 Nur im Marxschen Sinne, also abgesehen von dem Hegelschen und Feuerbach’schen, ist ein methodologisches Verfahren mit einem dialektischen identifizierbar. Was Marx unter Methode versteht enthält das ganze Spektrum seines Verständnisses von Dialektik, sofern seine Dialektik als Wesen der Methode verstanden wird.

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik 

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tig wird der Einfluss des Hegelschen Verfahrens der Logik auf die Vorgehensweise in der Marxschen Untersuchung über das Kapital sein. Hegel und Marx stimmen darin überein, dass eine immanente Einheit von ontologischen und epistemologischen Ansprüchen zu erkennen ist, wobei Marx in der Entwicklung seines Werkes nach und nach in Richtung Entontologisierung tendiert. Hegels Erbe an Marx’ kritische Darstellungsweise betrifft auch die Erkenntnis der vermeintlich strukturierten Unmittelbarkeit in den Formen des Kapitals, die sich für Marx in einem inneren Zusammenhang von Natur-, Denk- und Gesellschaftsformen einheitlich auf rekonstruktive Weise entwickeln. Die metatheoretische Charakterisierung der Marxschen Verfahrensweise erscheint in der heutigen Diskussion grundlegend für die Erläuterung des Methodenstreits. Das „methodische […] Erfordernis“7 der Problematisierung der „Kritik“ betrifft das Wesen der Darstellung und setzt die Prämissen, um die spezifischen dialektischen Widersprüche zu erkennen. Allerdings kann im vorliegenden Abschnitt nur ein Teil der Diskussion über den „Methodenstreit“ bewältigt werden. Die folgende Gliederung resümiert die basalen Zusammenhänge der Methoden-Rezeption: 4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik. 4.2 Skizze zur allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung über die Lo­ gik Hegels. 4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik Die metatheoretische Charakterisierung der Marxschen Verfahrensweise repräsentiert vielleicht die wichtigste Problematisierung der Wissenschaftlichkeit seiner Ökonomiekritik. Trotz der großen Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Paradigmen in der Marxschen Methode kann man etwas Gemeinsames in allen diesen Lektüren finden: die gemeinsame Anerkennung der Darstellung der politischen Ökonomie als Kritik: „Die Arbeit, um die es sich zunächst handelt, ist ‚Kritik der ökonomischen Kategorien‘ oder, if you like, das System der bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben.“8

Die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Kategorien sollte nach Marx vor allem in einer kritischen Weise durchgeführt werden. Somit ist die Kritik nicht nur eine Bezeichnung der Darstellung, sondern eine wesentliche Komponente ihrer Wissenschaftlichkeit. Die theoretische Rekonstruktion der Wissenschaft bei 7 Wolf, Dieter, „Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters.“, a. a. O., S. 48. 8 Marx, Karl, Brief an F. Lassalle, MEW 29, S. 550. Herv. von P. P.

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Marx findet in Hegels Kritik-Auffassung ein grundlegendes Instrument für die Entwicklung einer gegenständlichen Dialektik.

4.1.1 Kritikbegriff bei Marx9 Die Entwürfe Zur Kritik der politischen Ökonomie waren bereits vorhanden als Das Kapital geschrieben wurde. Nach den Pariser Manuskripten (1844) begann Marx eine Kritik der unterschiedlichen ökonomischen Phasen. Kapitalismus als Oberbegriff der ganzen Kritik vereint in diesem Sinne alle Stufen der bürgerlichen Gesellschaftsformation. Kapitalismus (und damit seine Eigenschaften) ist der kritische Gegenstand der Analyse im Marxschen Spätwerk. In diesem Sinne wird die ganze Entfaltung des Kapital als eine kritische Aufgabe der politischen Ökonomie verstanden. Was Kritik bedeutet, ist nämlich eine solche systematische und unterminierende Analyse des kapitalistischen Reichtums in der modernen Gesellschaft.10 Mit dem vorliegenden Unterkapitel soll veranschaulicht werden, dass die kritischen Erscheinungsformen des Kapitalwesens bei Marx, erstens nur als eine untergeordnete „operative“ Darstellung reproduziert werden können, und zweitens, dass der Marxsche Kritikbegriff als Wesen der Darstellungsmethode zu verstehen ist. Die Notwendigkeit einer Darstellungsform wurde von Marx schon in den Grundrissen erwähnt und betrifft die unterschiedlichen Phasen des Ökonomischen. Was unter dem Terminus „Kritik“ verstanden wird, muss jedoch durch die jeweiligen Sphären der Darstellung eingegrenzt werden. Das Marxsche Unternehmen besteht darin, eine Analyse der modernen potentiellen Formen und Vorformen der Kapitalstruktur durchzuführen und der einzige Weg, um diese Analyse zu organisieren, führt über eine kritische Entwicklung. Kritik ist hiermit also die begriffliche Präsentation des Ökonomischen als Korrektur seiner Erscheinungsformen, anders ausgedrückt, das Erfordernis die gesamte Einordnung der ökonomischen Fundamente zu überprüfen. Die Produktionsbestimmungen müssen zuerst kritisch gesetzt werden, wobei es nicht darum geht, die gegebenen Phasen des ökonomischen Wesens zu präzisieren, sondern diese geschichtlich ohne Dogmatismus11 zu präsentieren. Dahingehend ist auch Marx’ Einsicht zu verstehen, dass, „wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische Gewäsche.“12 9

Eine weitere detaillierte Analyse des Autors zur kritischen Darstellung bei Marx erschien 2017. Siehe: Pulgar Moya, Pablo, „Die Kritik der politischen Ökonomie als korrigierende Darstellungsweise. Die Marxsche Übernahme des deutschen metaphysischen Verfahrens“, in: Arndt, Andreas et al. (Hrsg.), Hegel gegen Hegel, Bd. 1, Hegel-Jahrbuch 2017, Akademie, Berlin, SS. 360–364. 10 Die Beziehung zwischen Reichtum und Gesellschaft ist Gegenstand unseres letzten Kapitels. 11 Marx, Karl, Brief an die Redaktion einer linken russischen Zeitung, MEW 19, S. 111. 12 Prolegomena, A 190.

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik 

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Der Gegenstand der Marxschen Kritik ist die politische Ökonomie bzw. die kapitalistische Produktionsweise. Die Frage ist, in welcher Weise diese politische Ökonomie systematisch kritisiert wird. Im Rahmen einer Theoriedarstellung erscheint diese kritische Forderung in Form von „Dialektik“. Wir sollten hier einige Aspekte an Hegels Auffassung beleuchten, um diese Forderung zu verstehen. Hegel kritisiert das kantische Verständnis der zu bestimmenden, relationalen Sachverhalte im Sinne einer bestimmten trennenden Darstellungsweise des Erkenntniswesens. Die spekulative Erhellung des Begriffes als Korrektur des Denkens, als adaequatio rei et intellectus bildet auch die Auflösung aller möglichen Transzendentalität. In einer ähnlichen Weise organisiert sich die Marxsche Entwicklung des Wertseins, also des Kapitalwesens. Die Wiederherstellung der Kritik als modus operandi des Wissenschaftlichen, in der die politische Ökonomie als kategoriale Synthese der gesellschaftlichen notwendigen Arbeit im Begriff gefasst wird, markiert den negativen Charakter der begrifflichen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsform.13 Die Beschreibung des Verhaltens der Kapitalformen muss mit der Untersuchung der Einflüsse auf seinen Kritikbegriff verbunden werden, wo kontinuierliche Kritik an Hegels spekulativer Philosophie und – noch dazu – an Kants transzendentale Theorie geübt wird. Es gilt zu begreifen, was diese Theoretiker unter Kritik verstanden haben, inwiefern dieser Kritikbegriff erklärbar ist und welche Bedeutung damit der Bezeichnung Dialektik zukommt. Marx nimmt an, dass die ganze Darstellungsweise nur in Einheit mit der Kritik durchgeführt werden kann. Die Betonung des Kritikbegriffs manifestiert die Notwendigkeit der Auflösung der bürgerlichen Kategorien in der Darstellung und differenziert sich von der klassischen deutschen Philosophie, sofern diese eine Verbindung der materiellen Tätigkeit bzw. Praxis mit der Theorie beansprucht, ohne die epistemischen Gründen prima facie zu bestimmen. „Anders als Kant, mit dem er (Marx) gemein hat, dass Kritiken sein theoretisches Werk bestimmen, für den jedoch die Existenz der ‚Außenwelt‘ gleichsam den wunden Punkt des philosophischen Denkens bildet, und anders als Hegel, dem er den Einzug der Geschichte in die philosophische Problematik hoch anrechnet, der sie jedoch in die ‚Gedankenform‘ einschließt (Ms 44, 40/572), verlagert Marx die Problematik hinaus in die geschichtliche Welt der Praxis.“14 13

Trotz Michael Heinrichs Ablehnung einer Identität der Termini von „negativ“ und „kritisch“ (Die Wissenschaft vom Wert. a. a. O., 19911, S. 246), benutzen wir an einigen Stellen dieser Untersuchung den Terminus „negativ“, um den kritischen Charakter der dialektischen Methode Marx’ zu betonen. Die Charakterisierung „negativ“ entspricht vielmehr der Art und Weise der Darstellung in einem korrigierenden Modus, als in einer normativen Intentionalität. DK ist somit eine Kritik, weil die Nationalökonomen die wirtschaftlichen Bestimmungen mystifiziert haben und es ist eine Korrektur, weil die inkonsistenten Wahrheitsansprüche ihrer politischen Ökonomie in schrittweisen Erscheinungsformen durch eine systematische Darstellung eingeordnet werden. Heinrich warnt: „Marx behauptet nicht, daß die bürgerliche Vergesellschaftung gemessen an irgendeinem Ideal falsch sei, sondern daß sie anders erscheint als sie ist“ (Ebd.). 14 Haug, „Kritik“, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 8/I. a. a. O., S. 59. Die Identifizierung des direkten / indirekten Einflusses von Kant auf Marx wird nicht

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Der Kritikbegriff fungiert als Oberbegriff jeder theoretischen „Praxis“15, also des eigentümlichen Denkens. In diesem Sinne ist die Kritik auch eine analytische Forderung der Realität an das Bewusstsein des Menschen. Die Kritik schlechthin ist hier immer noch eine κριτική ỏρθή,16 und eine δύναμις κριτική.17 Die modernen Termini des deutschen Idealismus, die auch von Karl Marx systematisiert worden sind, reproduzierten in den verschiedenen Bereichen der Objektivität und Subjektivität das Bedürfnis eines kritischen Urteils, einer „Krise“ aller Vor-Stellungen – so, wie man mit Aristoteles diese Merkmale als περί πάντων κριτικόν18 bezeichnen könne. Das kritische Urteil als notwendiges Moment in der Darstellung der Sache selbst, also der politischen Ökonomie, ist das Hauptmerkmal des praktischen Denkens bei Marx. Kritik als κριτική ỏρθή und δύναμις κριτική konstituiert die wesentliche Bestimmung der Darstellungsweise der Ökonomie. Ökonomie ist somit im Spätwerk immer auch Ökonomiekritik, oder eine kritische Darstellung der politischen Ökonomie. Die Analyse des Kapitalwesens bei Marx ist dann wesentlich Darstellung in Form einer Kritik.

4.1.2 Entwurf einer Marxschen Übernahme des kritischen Verfahrens seiner Vordenker Zahlreiche Diskussionen werden noch immer von zeitgenössischen Marxinterpreten über eine mögliche Lesart einer kritischen Methodologie in den Schriften über das Wesen des Kapitals geführt, darüber, ob die Texte, die das Urteil über die Ökonomie als solche thematisieren, zu einer bestimmten Erkenntnistheorie beitragen können. Die Diskussion begann bereits bei den sowjetischen Theoretikern und brachte teils sehr unterschiedliche Interpretationen hervor. Das Kapital als Objekt des Ökonomischen, plausibilisiert die Kritik der Produktionsstufen, worin die Korrektur der epistemologischen Inkonsistenzen stattfindet. Die Marxsche Kritik steht in einer Linie mit eben jener kritischen Darstellung, die schon in der Logik Hegels präsentiert wurde. Dazu Theunissen: „Die Kritik nur von den Neukantianern anerkannt, sondern auch von einer Vielzahl von Kant- und MarxKennern (vgl. Höffe, Otfried, Immanuel Kant. C. H. Beck, München, 20005, S. 288 f., 296 f.). 15 „Theorie begreift sich hier also als Kritik vorgängiger gesellschaftlicher Praxis, in die sie sich gleichwohl praktisch einbezogen weiß, denn als „Parteinahme“ und als Einlassung in die realen Auseinandersetzungen und gesellschaftlichen Kämpfe der Gegenwart hat sie eine praktische Aufgabe zu erfüllen“ (Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich, Das dialektische Verhält­ nis von Theorie und Praxis in der Pädagogik. Kassel University Press, Kassel, 2008, S. 49). 16 EN, 1143a 23. Als ein korrektes, richtiges Urteil. 17 De an, 424a 5 ff. Die klassische Übersetzung für diesen Terminus ist Urteilskraft. Man kann auch hier δύναμις nicht nur als eine „intellektuelle Aktivität“ verstehen, sondern auch als intellektuelle Fähigkeiten, welche nur mit der Erfahrung des Denkens sich entwickeln können (Kommentar davon, siehe: Jiménez, Erick R., Aristotle’s Concept of Mind. Cambridge University Press, Cambridge, 2017, S. 30 f.). 18 De part. anim., 639a, 6 ff.

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik 

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der Hegelschen Kritik basiert auf einer Umakzentuierung, von der Marx aber annimmt, daß sie die in ihrer sprachlichen Äußerung sich zugleich verbergende Intention Hegels treffe.“19 Nicht nur Das Kapital sondern auch das ganze Marxsche Spätwerk bildet eine methodische Untersuchung des Wirtschaftswesens und darüber hinaus eine Kritik der politischen Ökonomie. Die darstellende Entfaltung des modernen Kapitals besteht im Allgemeinen in einer Entwicklung der Produktions- und Zirkulationsweise im Kontext der Herrschaft des Kapitals und seiner ökonomischen Produktionsverhältnisse. Diese Produktionsverhältnisse sind Stadien der Produktion, welche eine (abstrakt) resultierende Klassengesellschaft im Allgemeinen durch die Kapitalakkumulation produzieren. In diesem Kontext präsentiert Marx die Hauptaufgabe des Kapital unter zwei Aspekten, einerseits als eine programmatische, methodische Darstellung der ganzen bürgerlichen Gesellschaft und andererseits als eine Kritik der politischen Ökonomie. Die Methode bzw. das „Programm“ der kapitalorientierten Rekonstruktion des Gesellschaftsbegriffes besteht in der Entwicklung der ganzen Produktionsverhältnisse, d. h. in der Entwicklung aller notwendigen Phasen der Produktion, die in der Regel die Klassengesellschaft durch Akkumulation des Kapitals umformen. Die schon mehrmals historisch formulierte Frage Dieter Wolfs „warum könnte die [Wissenschaft der] Logik Marx ‚große Dienste leisten‘?“20 thematisiert keine Nebensache, wenn es um die Struktur, die Methode und die kritische Darstellung des Marxschen Kapital geht. Gemeinsamkeiten beider Werke in ihrer Bewegungsstruktur müssen mit der Unterscheidung und der Klarstellung der Forschungsgegenstände einhergehen. Im Marxschen Spätwerk, besonders im Kapital und in den Grundrissen, ist die Frage nach dem immanenten Vermittlungszusammenhang der gesellschaftlichen Kapitalformen – in einer konfliktären Weise – bezogen auf Hegels Bewegungsstruktur des Denkens. Dieser Zusammenhang wird von Marx selber im Kapital als eine „dialektische Methode“ bezeichnet, welche als Gegensatz zur Hegelschen Methode zu verstehen ist.21 Die metatheoretischen Fragen dieser dialektischen Methode stellen sich im Rahmen einer „eigentümlichen Logik“22. Die Eigentümlichkeit dieser Logik erscheint im Spätwerk als grundlegende Charakterisierung der methodischen Verfahrensweise. Die Forderung nach einer 19

Theunissen, Sein und Schein. a. a. O., S. 480. Siehe: Wolf, Dieter, „Warum könnte die Logik Marx ‚große Dienste leisten’?“, in: Vollgraf, Carl-Erich et al. (Hrsg.), Das Kapital und Vorarbeiten. Entwürfe und Exzerpte. Argument, Hamburg, 2011, S. 27 f. 21 Vgl. MEW 23, S. 27. Es ist hier erwähnenswert, dass Adornos Begriff einer negativen Dialektik als „Unversöhnheit“ der Marxschen Auffassung einer kritischen Darstellungstheorie sehr naheliegt (vgl. Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung 1965/66. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2007, S. 15). 22 MEW 1, S. 296. Das komplette Zitat: „Dies Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.“ 20

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

„eigentümlichen Logik“ übersetzt sich also in die Notwendigkeit einer bestimmten Darstellung dieser Logik.23 Die marxistische Ökonomiekritik versteht sich als Aufhebung der spekulativen Logik durch die begriffliche Entwicklung des materialistischen „Inbegriffs“.24 Die Orientierung dieser Marxschen Kritik stellt gleichzeitig i) eine dialektische Konkretisierung der Kategorien der politisch-ökonomischen Verhältnisse und ii) eine materialistische Abstraktionsweise dar. Die ökonomie-kritische Konkretisierung des Marxschen Spätwerks kulminiert in der negativen programmatischen Darstellung dessen, was Marx Kategorie oder Moment nennt. Die Kritik am Kapitalismus kann man nur verstehen, wenn diese Kritik seiner Kategorien ist. Diese Kategorien repräsentieren eine Totalität, welche in ihrer methodischen Rekonstruktion das Ökonomische systematisiert, und „objektive Gedankenformen“25 ausdrückt. Die ökonomie-kritischen Postulate werden, in diesem Sinne, nur plausibel als eine kritische Darstellungsmethode der politisch-ökonomischen Gedankenformen.26 Ohne diese objektive Methode bestünde keine Wissenschaftlichkeit in der ganzen Abstraktionsweise, welche in den ersten Kapiteln den Wertformen zu Grunde liegt: „Großartig bekundet sich die Einheit von Kritik im wissenschaftlichen und metawissenschaftlichen Sinn im Werk von Marx: es heißt Kritik der politischen Ökonomie, weil es aus Tausch und Warenform und ihrer immanenten, ‚logischen‘ Widersprüchlichkeit das seinem Existenzrecht nach zu kritisierende Ganze herzuleiten sich anschickt. Die Behauptung der

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Als „Eigentümlichkeit“ dieser Logik verstehen wir den Sachcharakter der methodischen Erscheinungsformen. Die Eigentümlichkeit der Methode wird, wie Michael Heinrich erwähnt, direkt von der Eigentümlichkeit des Gegenstandes plausibilisiert (Siehe: Wissenschaft vom Wert. a. a. O., 19911, S. 172). Mehr dazu findet sich in Ingo Elbes Artikel: „Eigentümliche Logik eines eigentümlichen Gegenstands? Zur Diskussion um die Spezifik dialektischer Darstellung in der Marxschen Ökonomiekritik“ in Kritik mit Methode? Forschungsmethoden und Gesell­ schaftskritik. Freikamp, Ulrike et al. (Hrsg.). Dietz, Berlin, 2009 und Haug, „Kapitallogik“, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 7/I, a. a. O., SS. 348–357. 24 Marx versteht auch einige Termini der Gesamtdarstellung des Kapital als Inbegriffe; z. B. Arbeitskraft als „Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren […]“. (MEW 23, S. 181) Mit dem Terminus Inbegriff verstehen wir auch einen assertiven Ausdruck der eigentümlichen Logik, in dem der Terminus als reale Abstraktion der Momente der politischen Ökonomie fungiert. 25 Ebd., S. 90. 26 Was Marx als Kategorie versteht, ist jedoch eine konfliktreiche Frage. Erstens benutzt er mehr oder weniger die Termini „Kategorie“ und „Moment“ als tauschbare Begriffe und insistiert auf dem Objektivitätscharakter des Terminus. Diese Objektivität besteht in der schrittweisen Abstraktion, die das Besondere unter allgemeine Kapitalformen bündelt. Zweitens wird die Kategorie gleichzeitig im Korpus des Kapital auch als „subjektiv-objektiv“ bezeichnet. Diese Bezeichnung führte zu Konfusionen über die Objektivität der Kategorien als reine Intersubjektivität zu verstehen. Das Problem dabei ist die Reduktion der sozialen (im Sinne von „materialistischen“) Objektivität der Kategorien (z. B. des Wertes) auf eine Geltung, die im Rahmen des Bewusstseins zutrifft. Die Objektivität der Kategorien referiert sich semantisch immer an ein Allgemeines in re. Intersubjektiv, also als eine kognitive Beziehung, wird die Realabstraktion der Kategorien nur in einer zweiten Ebene, in der die Kategorien letztendlich nur im Reich des Denkens existieren.

4.1 Die Marxsche Problematisierung der Kritik 

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Äquivalenz des Getauschten, Basis allen Tausches, wird von dessen Konsequenzen desavouiert. Indem das Tauschprinzip kraft seiner immanenten Dynamik auf die lebendige Arbeit von Menschen sich ausdehnt, verkehrt es sich zwangsvoll in objektive Ungleichheit, die der Klassen. Prägnant lautet der Widerspruch: daß beim Tausch alles mit rechten Dingen zugeht und doch nicht mit rechten Dingen“27

Adornos Beschreibung der „Kritik“ ist zutreffend, wenn er suggeriert, dass die darstellende Totalität sich nur aus der logischen Tausch- und Warenform rekonstruieren lässt. Dieses „(Tausch)Prinzip“ soll nicht axiomatisch interpretiert werden, sondern allgemein als gesellschaftliche Verkettung von politisch-ökonomischen Gesetzen, welche den Tauschakt als immanente Basis der Ökonomie bestimmt. Die Totalität der kapitalistischen Gesellschaft innerhalb der kritischen Darstellungsmethode konstituiert sich bei Adorno aufgrund dieser ökonomischen „Strukturgesetze“,28 als Realisierung der progressiven Tauschrelata. Die Darstellung des Ökonomischen sei aber eine kritische Grundbestimmung der Methode überhaupt. Bezogen auf die Werttheorie muss die Kritik als das Wesen der Darstellung begriffen werden, sofern sie vollständig eine negative Form gegen die einfache Setzung der Bestimmungen des Denkens ist. In der Marxschen Übernahme des klassischen (hier, im Sinne Hegels und teilweise Kants) metaphysischen Verfahrens geht es um die Übernahme eines begrifflichen Instrumentariums um „subjektive Selbstbeziehungen aufgrund sozialstruktureller Voraussetzungen“29 zu ersetzen, zumal das bürgerliche Verfahren als mangelhafte, voraussetzungslose Intersubjektivitätstheorie erscheint. Die darstellende Kritik des Ökonomischen prüft die Widersprüchlichkeit der grundlegenden Verhältnisse mit konkreten Ergebnissen: die systematische Verdinglichung der Bestimmungen in Bezug auf die Produktion und die Subjektivierung seiner materiellen Grundlagen: „Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden.“30

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Adorno, Einleitung zu „Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“, a. a. O., S. 34. „Die dialektische Theorie geht auf Strukturgesetze, welche die Fakten bedingen, in ihnen sich manifestieren und von ihnen modifiziert werden. Unter Strukturgesetzen versteht sie Tendenzen, die mehr oder minder stringent aus historischen Konstituentien des Gesamtsystems folgen. Marxistische Modelle dafür waren Wertgesetz, Gesetz der Akkumulation, Zusammenbruchsgesetz“ (Adorno, Negative Dialektik, a. a. O., S. 151). 29 Fink-Eitel, Hinrich, Dialektik und Sozialethik, a. a. O., S. 164. 30 Der russ. Rezensent I. I. Kaufmann über das Kapital. MEW 1, S. 213. 28

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

4.2 Skizze der allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung über die Logik Hegels  Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist. K. Marx (MEW 23, S. 72, Fn. 21)

4.2.1 Hegel: Metaphysik und kritische Ontologie Marx versucht durch seine Wertformanalyse die Dialektik als Wesen der Darstellungsmethode zu begründen. Sein wissenschaftlicher Anspruch ist aber eine materialistische Dialektik, die gleichzeitig von einem idealistischen Verständnis zu befreien ist.31 Die Rekonstruktion der Dialektik im Spätwerk erscheint auch als eine kritische Übernahme der wesenslogischen Terminologie Hegels, die aber den Denkprozess in der materiellen Wirklichkeit wiedergibt.32 Marx wendet seine Methode in Bezug auf Reflexionsbestimmungen an, welche in der Darstellung die Realabstraktionen versachlichen. In der grundlegenden Struktur der Gesellschaftsformation wird Darstellung nur als Kritik eines metaphysischen Denkprozesses möglich. Das ermöglicht das Verständnis der Einheit von Kritik und Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft. 4.2.1.1 Kritische Darstellung Zum Einstieg in das Thema, müssen wir die Frage nach der Beziehung zwischen Logik und Metaphysik in Hegels Werken bearbeiten. Ihre Beziehung war bereits seit seiner Jenaer Zeit ein Thema. Diese Besonderheit ist aber in weiteren Werken zu finden33 und prägt eine der heute umstrittensten hegelianischen Debatten. In Hinsicht auf eine derartige Identität von Logik und Metaphysik versteht man, dass die ganze Entwicklung der Denkformen zugleich Entwicklung der Seins­ 31 „Marx’ frühe und Marx’ spätere Äußerungen über Hegels Dialektik und über die Verwandlung, die mit ihr vorzunehmen sei, stimmen in zentralen Punkten miteinander überein. Punkte der Übereinstimmung sind mindestens die folgenden: Hegels Grundfehler, auch hinsichtlich seiner Auffassung von Dialektik, sei der Idealismus. Man müsse seiner Auffassung einen materialistischen Begriff von Dialektik entgegensetzen. Eine Folge des Idealismus seien die Mystifikationen, die die Dialektik in Hegels Händen erleide. Man müsse diese Mystifikationen kritisieren.“ (Fulda, „Dialektik als Darstellungsmethode im Kapital von Marx“, a. a. O., S. 183 f. Herv. von P. P.) 32 Vgl. MEW 23, S. 27. 33 Enz I, W 8, § 24.

4.2 Skizze der allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung  

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formen ausmachen soll. Aber, was drückt man genau aus, wenn eine Einheit von Metaphysik und Logik behauptet wird? Zuerst müssen wir klarstellen, dass es im Vergleich zur klassischen Metaphysik in Hegels Metaphysik um die Grundlegung der philosophischen Wissenschaft in einer kritischen Weise geht.34 Sie bildet eine Metaphysikkritik. Dass die Logik kritisch sei, bedeutet Theunissen zufolge, dass die Kritik an der Metaphysik gleichzeitig eine kritische Form der Darstellung des Logischen sei, d. h. es handelt sich um eine Korrektur der logischen Kategorien mittels einer Aufhebung jeglicher objektiver Vorbestimmungen des Denkens in Verbindung mit einer Stabilisierung des Begriffs als solchem.35 Damit meinen wir, dass das logische Problem in gleicher Weise sich als methodisches Problem (den Begriff durch seine Entwicklung zu analysieren) präsentiert: d. h. es ist eine Frage nach dem Verfahren des Denkens, in der Form einer Selbstkorrektur. Dies bedeutet trotzdem auch, dass der Begriff die Wiederherstellung des Seins in Bezug auf dessen Negativität ist, d. h. als Kritik seines Inhalts. Mit diesen Merkmalen beziehen wir uns einerseits auf eine Hintergrundlogik bzw. eine voraussetzungsarme Metatheorie, in der die Seinsbestimmungen nur als präreflexive, als einfache Position und erstes Operandum des Logischen dargestellt werden können. Die Seinsbestimmung bezieht sich andererseits auf eine Objektlogik, auf das Objekt des Denkens: das reine Denken.36 Der Übergang von der Logik des Seins zu jener des Wesens zeigt 34 Die Bemühungen die Metaphysik von der Logik abzuleiten, ist keine isolierte Arbeit ­ egels, sondern auch von klassischen Vordenkern wie Leibniz oder Kant. Um die Verbindung H von Metaphysik und Logik klarzumachen, wie Robert Pippin in seinem vor kurzem veröffentlichten Buch zu verstehen gibt, müsse man beachten, dass nicht jede Art von Metaphysik mit Logik zusammenfällt: „Moreover, it does not follow from the fact that logic coincides with metaphysics that all of metaphysics coincides with logic and only logic. Hegel’s so-called Realphilosophie, his Philosophy of Nature and his Philosophy of Spirit, are also, properly considered, metaphysical projects. But there is first the large issue of the logic-metaphysics relation itself“ (Hegel’s Realm of Shadows: Logic as Metaphysics in The Science of Logic. The University of Chicago Press, Chicago, 2019. S. 41). 35 Der als moderner Methodenstreit bekannte Diskurs zur Logik als einer kritischen Darstellung begann mit dem Werk Sein und Schein von Michael Theunissen. Diese Auffassung der Rolle der Kritik in der Darstellung der Logik Hegels folgte auf eine Diskussion in der marxistischen Tradition über die Lektüre der Marxschen Methode als eine kritische Darstellung des Kapitals, welche wiederum die Interpretation dieser Methode beeinflusst hat. (vgl. Kapitel 1 von Smith, Tony, The Logic of Marx’s Capital, Replies to Hegelian Criticisms. State University of New York Press, New York, 1990). Pippin über Theunissen: „These terms, ‚Darstellung‘ and ‚Kritik‘, are Michael Theunissen’s. I follow much of his pioneering approach, but without the Christology. Theunissen is explicitly thinking of Marx’s claim that the proper exhibition of capitalist political economy is just thereby a critique“ (Pippin, Hegel’s Realm of Shadows. a. a. O., S. 25, Fn. 42. Herv. von P. P.). 36 „Die Objektlogik ist per definitionem voraussetzungslos, und Hegel hat bei ihrer Betrachtung in der Hintergrundlogik möglichst voraussetzungsarm zu verfahren. Der Hintergrundlogiker investiert in sein theoretisches Unternehmen das reine Sein als das Gemeinsame aller Wahrheitsansprüche und die logische Operation der Verneinung als die einzige nicht-triviale einstellige Wahrheitsoperation.“ (Koch, Anton Fr., „Die schlechte Metaphysik der Dinge. Metaphysik als immanente Metaphysikkritik bei Hegel“, in: Internationales Jahrbuch des

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

die Bedeutung des logischen Prozesses als korrigierende Operation an der Unbestimmtheit, als negierendes Resultat des Werdens. Die Hegelsche Metaphysikkritik reagiert vordergründig auf eine Erkenntnistheorie, welche den Veränderungsprozess des Denkens und seine entsprechende Korrektur bildet, womit wir letztendlich zum Resultat der negierenden operatio der operandi gelangen. In diesem Fortgehen erscheint der Begriff als korrigierende Wahrheit des Seins und Wesens. Der Begriff gilt als Begriff nur, wenn es in der Operatio der Identität zwischen dem Anundfürsichsein und dem Gesetztsein stabilisiert wird; das bedeutet, die Tatsache des Setzens der Seinsbestimmungen wird mittels der Vermittlung (in der Reflexion) mit dem Innerlichen und Wesentlichen des Seins artikuliert. Der Begriff ist, was er setzt und umgekehrt. Diese Begriffsbildung ist die Selbstdarstellung der Aufhebung der vorherigen Negation und die Wiederherstellung des Seins als überwundenem Widerspruch. Die Strukturierung des Begriffs durch die Systematisierung der Momente des Denkens im Allgemeinen ist trotzdem mehr eine Korrektur des übrigen Seins als eine Operation des Kategorienaufbaus. In dieser gleichen Weise will man die allgemeine Vorstellung des gesetzten Seins und seinen epistemischen Inhalt erklären, d. h. das Sein als Produkt des Prozesses der Negation ist nicht dasselbe wie einfach gesetztes Sein durch Bestimmtheit. Der Begriff ist nun eine Stabilisierung und eine Selbstkorrektur des Denkens im Sein.37 Der Status quo in Hegels logischem Raum ist auf der anderen Seite auch ontologisch zu betrachten, d. h. obwohl man sich auf eine stilistisch parmenideische Identität (d. h. keine absolute Identität) der förmlichen Bestimmungen des Denkens (νοεῖν) und des Seins (εἶναι) bezieht, sind wir nicht in der Lage zu behaupten, dass diese Identität eine ontologische ist.38 Die Hegelsche Metaphysik findet keine unmittelbare Identifizierung mit einer neuartigen Ontologie als Wissenschaft des Seienden, sondern sie wird als eine Wissenschaft des Erkennens (seiner eigenen Bestimmungen) verstanden.39 In diesem Sinne können wir hier zwei große Dimensionen der Hegelsche Metaphysik erfassen: (i) als eine wissenschaftliche Struktur an und für sich von Denkbestimmungen, in denen die Entität als dem Denken adäquat selbst anerkannt ist, als ein einheitliches Erkenntniswissen vom Ding als einer statischen Multiplizität oder ein

Deutschen Idealismus 5: Metaphysik im Deutschen Idealismus. Walter de Gruyter, Berlin, 2007, S. 198). Eine weitere Erklärung davon in Koch, Anton. Fr., Die Evolution des logischen Raumes. Mohr Siebeck, Tübingen, 2014, S. 278 ff. 37 Wegen des Objektes dieser Untersuchung müssen wir hier besonders beachten, dass auch Marx die Hegelsche Logik als eine Korrektur des Denkens und der Vorstellungen durch den Begriff versteht. Siehe: Grund, S. 22 ff. 38 Zur Frage des ontologischen Monismus in Hegels Wissenschaft der Logik vgl. Aragüés, Rafael, Das Problem des Absoluten in der Philosophie Hegels. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen zur Hegels Metaphysik. Wilhelm Fink, Paderborn, 2018. 39 „Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.“ (Enz I, W 8, § 24).

4.2 Skizze der allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung  

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Muster von Kategorien, die Wahrheit und Gültigkeit trennen; (ii) als kritische Darstellung der Metaphysik oder, anders ausgedrückt, als „spekulative Metaphysik“, d. h. als Negation des Dualismus zwischen Form der Wirklichkeit und Entität des Denkens in der Wahrnehmung des Begriffs, in nuce, der Ideen.40 4.2.1.2 Selbstrealisierung des Begriffes Bisher haben wir jedoch nur eine Skizze des Problems. Wir fragen nun nach dem dritten Moment der Begriffslehre, nach der letzten absoluten Realisierung der Objektivität, in der die Selbstrealisierung der Idee und die Selbstaufhebung der klassischen Metaphysik in rebus41 präsentiert wird. Die Idee als das Reale ist keine Repräsentation, die die Dinge regelt, sondern die Struktur, in welcher die Sachen in der Welt stabil realisiert werden. Die Idee wird durch die Adäquation des Zweckbegriffs realisiert, so können wir sagen, dass die Teleologie eine existentielle Selbstrealisierung ihrer eigenen Aufhebung findet, in dem Maße, in dem das Ende der Entwicklung der Idee am Ausgangspunkt wiederum als anfängliche Selbstaufhebung wieder erscheint.42 Der Zweck entwickelt sich in der Einheit des Syllogismus mit seiner Realisierung, durch ein Medium, derart dass dessen letzte Beziehung zugleich die Einheit von Zweck als solchem und dem Mittel ist. Nur in dieser Form lässt sich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass die Teleologie (der Zweck) die freie Existenz des Begriffs ist, als existentielle Befreiung als ein Begriff, der im Wesentlichen in seiner außersichseinden Beziehung liegt. Auf diese Weise lässt sich die objektive, veräußerlichte Form der Teleologie als Zweckmäßigkeit verstehen, d. h., der Zweck als solcher findet seine Begrenzung, sein Maß (gewissermaßen als Synthese der rein quantitativen und rein qualitativen Zwecke), wobei sich die inhaltliche Beschränkung auf die konjunktive Kapazität ihrer allgemeinen Form einstellt. Zusammenfassend drückt der gesetzte Begriff, der in der Objektivität seiner wirklichen Bestimmungen gesetzt ist, die Einheit des Zwecks aus und in diesem Prozeß findet eine Adäquation statt, welche „ein Produkt“, eine Idee genannt werden kann, und als „Produzent“ eine Einheit des absoluten Begriffs mit sich selbst in Bezug auf das Reale (Objekt, Gegenstand) darstellt.

40 „Auch aus Hegels Sicht wird eine Kategorienlehre nicht als affirmative, sondern nur als kritische Darstellung akzeptabel sein können, und in der Tat macht sich die Hegelsche Logik anheischig, auf systematische Weise zu zeigen, dass die Kategorien des Seins und die Bestimmungen des Wesens nicht geeignet begreifen, gibt sie indes nicht preis, sondern beruft sich vielmehr auf sie gegen metaphysische Kategorienlehre, d. h. gegen das Dogma eines Dualismus vom Begriffsschema und Gehalt.“ (Koch, Anton, „Die Problematik des Übergangs von der Schlusslehre zur Objektivität“, in: Arndt, A. et al., Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss. Akademie, Oldenburg, 2006, S. 206. Herv. von P. P.) 41 Vgl. Ebd. S. 214. 42 Enz I, W 8, § 204.

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Es ist bereits bekannt, dass man am Ende der Begriffslehre erkennen kann, dass der ganze Vorgang der Sache selbst nichts anderes ist als die Bewegung der Idee selbst, wobei die ganze Entwicklung eine Darstellung der Idee in der Logik ist, und wo Logik als die stufenweise Selbstbewegung des Begriffes verstanden wird.43 In dieser Selbstbewegung wird gleichzeitig eine Inkonsistenz überwunden, in dem Maße, dass dieses aufgehobene Sein Teil der strukturellen Merkmale des Denkens ist, wo die Antinomie durch die negative Operation aufgelöst wird.44 Das Logische bzw. das Ding selbst ist dasselbe wie seine Entwicklung.

4.2.2 Marx: kritische Entontologisierung Kritische Verweise auf die Hegelsche Metaphysik sind in zahlreichen Passagen von Marxschen Texten zu finden.45 Aber um eine konkrete Analyse vorzunehmen, konzentrieren wir uns auf die Kritik der Hegelschen Methodologie in den Grundrissen und im Kapital. Die Tatsache, dass die Metaphysik für Hegel mit Erkenntnistheorie zusammenfällt, trägt dazu bei, dass das Sein des Seienden nichts anderes als das Sein des Begriffs ist. Die Logik ist folglich eine Propädeutik der Denkbestimmungen, die Hegel in ontologischen Kategorien denkt; damit kann man sagen, dass die Korrektur der Denkkategorien die Korrektur der Ontologie ist. Für Marx bildet diese Propädeutik eine wichtige Rolle, um seine eigene Grundlage und Darstellungsweise aufzubauen. Nichtsdestotrotz kann man bemerken, dass die Marxsche Darstellung von Kategorien nicht genau die gleiche wie die in der Logik enthaltene Entwicklungsweise verfolgt. Anders ausgedrückt, wir können in der Methodenbildung bei Marx und Hegel thematische, terminologische, strukturelle und doktrinäre Unterschiede finden. Wir konzentrieren uns auf den spezifischen strukturellen Unterschied zwischen beiden Konzeptionen von Dialektik und ihrer entsprechenden Methode. In der Entwicklung unterschiedli 43 „Die Logik stellt daher die Selbstbewegung der absoluten Idee nur als das ursprüngliche Wort dar, das eine Äußerung ist, aber eine solche, die Äußeres unmittelbar wieder verschwunden ist, idem sie ist.“ (vgl. WdL II, W 6, S. 550). 44 So definiert Catia Goretzki, „Mit dem Ausdruck der ‚Selbstbewegung‘ wird dabei hervorgehoben, daß der Relationen konstituierende Denkvollzug, insofern er im Begriff selbst liegt, eine Selbstbeziehung desselben impliziert. Allerdings wird in dieser Selbstbeziehung nicht von Anfang an die Denkbewegung als solche auch reflektiert, d. h. sie ist nicht per se schon eine wissende Selbstbeziehung. Diese ist erst dann erreicht, wenn die Totalität der Bestimmtheiten, also das absolute Relationsgefüge und folglich die absolute Selbstbeziehung konstituiert ist.“ (Die Selbstbewegung des Begriffs. Stufen der Realisierung der spekulativen Metaphysik Hegels in den Jahren 1801–1804/05. Felix Meiner, Hamburg, 2011, S. X) 45 Wie im zweiten Kapitel erwähnt, wird die Marx-Hegel-Verbindung immer noch Objekt von Debatte. Die heutige Diskussion konzentriert sich in der Relevanz der Hegelschen Logik auf die Methodenentwicklung des späten Marx. Der Streit zwischen den unterschiedlichen marxistischen deutschen Schulen und Strömungen (wie die Neue-Marx-Lektüre von Backhaus, Heinrich und Reichelt; die Münchner Marxistische-Gruppe von Peter Decker und Theo Wentzke, die Krisis-Gruppe von Robert Kurz und Norbert Trenkle) erfüllt mit Leben die Position von Hegel in der Abbildung sowohl des Wertes als auch der Methode.

4.2 Skizze der allgemeinen Methode in der Marxschen Forschung  

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cher Theorien zum Methodenbegriff Hegels kann man oft eine theoretische Verschmelzung zwischen den Begriffen Dialektik und Methode finden. Diese beiden Begriffe sind auch in der Marxschen Theorie grundlegend, insofern sie einerseits als Ergebnisse der Gedankenbestimmung und andererseits als Voraussetzungen dieser Bestimmungen wirken. Die Vereinbarkeit dieser beiden Funktionen wird bereits im ersten Teil dieses Aufsatzes erläutert. Im Gegenteil zu Marx, so könnte man sagen, findet man bei Hegel nirgendwo eine „dialektische Methode“.46 Gemäß dieser Interpretation können wir sagen, dass die Hegelsche Dialektik kein immanenter Bestandteil der gleichen Methode, sondern ein Merkmal der allgemeinen dialektischen Betrachtung ist.47 Die Dialektik ist so Teil des Prozesses der logischen Erzeugung, in sensu lato als Prinzip der Bewegung des Begriffs selbst,48 als seine wesentliche Betrachtung, aber genau deswegen bildet sie nicht die Bewegung der Methode. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass wir diese Begriffe zwar nicht identifizieren können, aber wir müssen erkennen, dass Dialektik als das übergreifende Wesen der Methode fungiert,49 das, entsprechend der Entwicklung der Kategorien, als Einheit von analytischer und synthetischer Methode verstanden wird. Dialektik erscheint als die Kette, die immanent den Begriff mit sich selbst in seinem Korrektur- und Restitutionsprozess im Sein von Anfang an vereinigt. Nun, um diese Begriffe (Dialektik und Methode) in der kritischen Theorie von Marx zu verdeutlichen, muss man auf den Unterschied zu Hegel achten, der hier beschrieben wird. Es geht darum zu klären, weshalb diese Methodologie (des sogenannten dialektischen Materialismus) eine Entontologisierung darstellt, sowohl in Form einer Kritik der Metaphysik als auch in Form einer Dialektik der logischen Formen, jedoch ohne Beziehung zu einer direkten Form des Seins. Erstens müssen wir verstehen, dass, wenn Marx eine Unterscheidung zwischen der Forschungs- und Darstellungsweise in der Kritik der politischen Ökonomie macht, versteht er die forschungsorientierte Entdeckungsmethode bezüglich der ökonomischen Kategorien als solche nicht identisch mit deren Darstellungsweise. Nur mit dieser Unterscheidung kann man verstehen, dass die Forschungsweise, auf Grund der Methode, als Materialismus klassifiziert werden muss, nämlich im Sinne einer Theorie, die sich auf die Sache-in-der-Welt als ein direkt Reales (im Gegenteil zu Hegel, ohne „Realisierung“ des Begriffs) bezieht. Die Marxsche Darstellungsweise bezieht sich stattdessen direkt auf Dialektik, d. h. auf den Prozess der Selbstkorrektur der Kategorien der politischen Ökonomie. Im Gegensatz zu Hegels logischem Verfahren ist für Marx die Dialektik der negative Ausdruck 46

Michael Wolff hat uns die Problematisierung der Verbindung Methode-Dialektik bereits klar umrissen, siehe: Wolff, Michael, „‚Dialektik – Eine Methode?‘ Zu Hegels Ansichten von der Form einer philosophischen Wissenschaft“, in: Koch, Anton Fr. / Schick, Friedricke, Vieweg, Klaus / Wirsing, Claudia (Hrsg.), Hegel – 200 Jahre Wissenschaft der Logik. Felix Meiner, Hamburg, 2014, SS. 71–86 und vor allem Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels. Eule der Minerva, Berlin, 2017. 47 Vgl. WdL II, W 6, S. 107. 48 Vgl. Ebd., S. 237 f. 49 Enz I, W 8, § 239.

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

des Metaphysischen und nicht deren kritische Identität. Die Marxsche Dialektik ist geradezu die Zerstörung der Ontologie, die Zerstörung jeglicher Möglichkeit einer μετὰ-φύσις, weil nach Marx, der Anfang der Dialektik nichts anderes sein kann, als die Selbstbewegung der Realität selbst, während Hegel ein geistiges Konkretes voraussetzt, das eher demgegenüber einer willkürlichen Voraussetzung des Denkens gleichkommt. Anders als Hegel bezieht sich die Marx’ dialektische Methode auf eine Realabstraktion der gesellschaftlichen Beziehungen, welche sich in einem Prozess vom Einfachen zum Komplexeren konkretisiert. Marx versteht diese Aufgabe als „Umkehrung“ der Hegelschen Dialektik. Die Frage ist hier, welchen Wert es hat, mit dieser Umkehrung Marx methodologisch als Hegelianer zu verstehen, obwohl sein dialektischer Materialismus eine direkte Opposition zu Hegels methodologischer Entwicklung darstellt. Dies kann nur verstanden werden, wenn wir die Darstellungsmethoden gezielt unterscheiden. Einerseits (i) weil es für Marx keine Neupositionierung des Daseins im spekulativen Denken gibt, sondern vielmehr eine Versachlichung im Denken der Dinge in der Welt, so wie das Denken immer den Elementen der Welt adäquat ist. Diese Adäquation ist eine „Realabstraktion“;50 andererseits (ii) kann die Marxsche Entwicklung des Kapitals keine andere Entwicklung sein als eine in Beziehung, Gegenteil oder Dialog mit der Hegelschen Abstraktionsweise (und nicht nur mit seinen Termini), weil Hegels kritische Entwicklung der Erscheinungsformen des Denkens als Basis für Marx’ kritische Entwicklung der Erscheinungsformen des bürgerlichen Wertes fungiert. In diesem Kontext erscheint die Marxsche Wertformanalyse, als erste methodische Realabstraktion des Kapitals, als notwendige Aufgabe dieser Untersuchung.

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Alfred Sohn-Rethel führt in der Marxschen Debatte den Terminus „Realabstraktion“, im Gegenteil zu einer idealistischen „Denkabstraktion“, welche eine „Kausalität durch Handlung“ darbietet, ein. (Geistige und körperliche Arbeit. Zur Theorie der gesellschaftlichen Synthesis. Acta humaniora, Weinheim, 1989 [1970], S. 41). Die „gesellschaftliche“ Realabstraktion ist bei ihm conditio sine qua non für die Interpretation der Marxschen epistemologischen Ansprüche: „Um das Marxsche Unternehmen der Kritik der politischen Ökonomie adäquat zu verstehen, muß dem in der Warenanalyse aufgedeckten Phänomen der Waren- oder Weitabstraktion die vorstehende Kennzeichnung als einer Realabstraktion zuerkannt werden.“ (Ebd., S. 12 f.). Die Genese des Begriffes entsteht aber bereits in der philosophischen Sprache mit Georg Simmels Geldauffassung: „Daß so nicht nur die Betrachtung der Wirtschaft sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in einer realen Abstraktion aus der umfassenden Wirklichkeit der Wertungsvorgänge besteht …“ (Philosophie des Geldes. Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1989, S. 57). In der Literatur zu Marx ist der Terminus auch als „wirkliche“ oder „eigentümliche“ Abstraktion bekannt. Wir verwenden lieber Realabstraktion, eben weil sie in der zeitgenössischen Debatte bei Autoren wie Michael Heinrich, Enrique Dussel, Robert Kurz u. a. vermehrt auftritt.

4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx  

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4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx Die Möglichkeit einer organischen Darstellung des kapitalistisch produktiven Wesens ist bereits von Marx selbst im Kapital erkannt worden.51 Da die jeweiligen Momente der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt als korrigierende Entwicklung fungieren, erscheint es uns als notwendige Aufgabe, das Verständnis des „dialektischen“ Funktionsmechanismus des kapitalproduktiven Verfahrens zu verdeutlichen. Die Diskussion des Präsentationsproblems und die Aufhebung der ricardianischen Darstellungsformen beschäftigen derzeit einige Theoretiker, welche die Frage nach der Notwendigkeit einer unverzichtbaren Grundlage einer Geldtheorie bzw. Arbeitswerttheorie im Allgemeinen stellen. Mit der vorliegenden Arbeit wollen wir zwei Grundprobleme darstellen: Einerseits ob eine kontinuierliche immanente Darstellung der wirtschaftlichen Figuren mit Bezug auf eine spezifische werttheoretische Abstraktionsstufung zu denken ist, andererseits ob eine „dialektische“ Darstellungsmethode als „Wesen“ des kapitalistischen Transformationsprozesses adäquat plausibel gemacht werden kann.

4.3.1 Methodische Darstellung in der Werttheorie Marx betrachtete das Ganze des Kapitalismus als herrschendes Wirtschaftsmodell, das eine bestimmte Verwandlung des allgemeinen Wertes in Preis (inkl. des Mehrwerts in Profit) reproduziere. Die Werttheorie, die sich in den ersten Kapiteln des Kapitals in ihrer allgemeinen Abstraktheit darstellt, fungiert als Grundlage jeder Analyse des Wertverhältnisses überhaupt. Marx nahm an, dass seine Darstellung der kapitalistischen Wertebenen im Verlauf deren wesentliche innerliche Widersprüche aufzeige.52 Der Widerspruch entsteht in der Tauschrelation zweier 51

MEW 23, S. 27 f. Ein einheitlicher Widerspruchsbegriff ist nur schwer in dieser Untersuchung zu formulieren. Trotzdem müssen wir versuchen zu erhellen, was Marx unter dem Terminus Widerspruch versteht. Dieser bestehe „allgemein“ (hier in Bezug auf Werttheorie) in einem wechselseitigen, oppositionellen Antagonismus zwischen dem theoretischen Begreifen des ganzen Produktionsakts und dem praxisorientierten Realen. Der Widerspruch besteht in einer wesentlichen Verfälschung des Gegenstandes, d. h. der ökonomischen Tatsachen. Marx zufolge finden sich alle diese Widersprüche in vulgarökonomischen Alltagsvorstellungen. Helmut Brentel (Soziale Form und ökonomisches Objekt, a. a. O., S. 321) und Dieter Wolf sehen den „dialektischen“ Widerspruchsbegriff Marx’ als eine Begrifflichkeit, die in Auseinandersetzung mit Hegels Auffassung des Widerspruchs entsteht. Gerhard Göhler vertritt gegenüber (Die Reduktion der Dialektik durch Marx. Strukturveränderungen der dialektischen Entwicklung in der Kri­ tik der politischen Ökonomie. Klett-Cotta, Stuttgart, 1980, S. 37 ff.) eine (stellenweise etwas konfuse) Variante der Widerspruchsproblematik, die sich in zwei Aspekten gliedert: (i) der explikative „emphatische“ Widerspruch, welcher das Dilemma und Dichotomie vom Schein produziert und eine logische Kritik benötigt und (ii) der „deskriptive“ Widerspruch im logisch konsistenten Gegensatz sprachtheoretischer Formen. Göhler ist der Meinung, dass DK nur de 52

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Waren, die in Preisen ausgedrückt werden. Der Wert kann begriffen werden, als das, „was im quantitativen Tauschverhältnis der Güter gemessen wird, ihre identische Qualität. Der Wert ist daher das den Waren immanente Maß ihrer Tauschrelation.“53 Indem der Wert eine qualitative Identität der Waren ausdrückt, drückt er ein bestimmtes Abstraktes aus, das durch Preise quantifiziert wird. Das im Wert ausgedrückte Abstrakte ist kein Ausdruck des materiellen Gegenstandes selbst, sondern das, was dieser Gegenstand beinhaltet, nämlich eine dünne Vorstellung der Arbeit per se. Arbeit erscheint so als gleichgültige Charakterisierung aller verwandelnden Produktionsakte. Das Wertsein ist nichts anderes als das Enthalten abstrakt-menschlicher Arbeit, simpliciter als versachlichte produktive Arbeit.54 Alle Erscheinungsformen des Wertes gehören dem Austauschprozess als abstrahierte Momente der Warenverhältnisse, die die primären Übergänge aller kapitalistischen Wertformentwicklungen bilden. Der (Tausch-)Wert, als Aufhebung der Nützlichkeitsphase des Gebrauchswerts, zeigt gleichzeitig einen Zusammenhang bzw. Untrennbarkeit von Wert- und der Geldtheorie, wobei das Geld als solches nichts anderes als eine innerhalb des Wertes ausgedrückte „allgemeine Äquivalentform“55 repräsentiert. Die ganze Werttheorie gelte Marx zufolge, nicht nur als disziplinärer Rahmen des Ökonomischen, sondern als Kerntheorie jeder kritischen Analyse des Kapitalwesens, sofern der Begriff des Wertes als „substanzielles“ Existierendes (d. h. „abstrakte“ Arbeit) der Produktionsverhältnisse gilt, als sich selbst entwickelndes Dasein in der Darstellung wirtschaftlichen Verfahrens. Laut Marx, ist „der Wert […] das bürgerliche Dasein des Eigentums“56, indem dieser Wert

skriptive Widersprüche enthält. So die „Logik“ der Widersprüchlichkeit in der Darstellung des Kapital demonstriert die „korrekten“ Prämissen der Formulierungen. Diese polemische reduktive Interpretation wird bis heute in der Methodendebatte bestritten (vgl. Wolf, Der dia­ lektische Widerspruch im Kapital. Besonders Kapitel 6: „Zum Verhältnis von dialektischem und logischem Widerspruch. Eine Kritik an Gerhard Göhler“, S. 224 ff.). 53 Iber, Christian, „Die Bedeutung der Differenz in der Entwicklung der Wertformen zwischen der ersten und zweiten Auflage des Kapital“, in: Hoff, Jan et al (Hrsg.), Das Kapital neu lesen. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2006, S. 190. 54 „[so] kann der Wert in dieser bedeutsamen Verbindung mit der abstrakten menschlichen Arbeit beschrieben werden als „Vergegenständlichung“ der abstrakt menschlichen Arbeit“ (Wolf, D. „Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logischsystematischen Charakters“, a. a. O., S. 27). 55 Vgl. MEW 23, S. 81. 56 Debatten über Holzdiebstahlgesetz, in: MEW 1, S. 114. Dieser Ausdruck des jungen Marx ist unseres Erachtens zu korrigieren, da Marx sein Denken in den darauf folgenden Jahren nicht mehr in Bezug auf Rechtsverhältnisse als Kernrelation richtet, sondern hauptsächlich auf politisch-ökonomische Verhältnisse konzentriert, wo das Rechtswesen als geschichtliches Produkt des kapitalistischen Verfahrens verstanden werden kann. Es gilt trotzdem als bestimmendes / bestimmtes Moment in der kritischen Darstellung, im Sinne einer Rückbeziehung auf das Ökonomische, z. B. der Staat als regulierende Gewalt der Einzel- oder Gesamtproduktion, durch den der Weltmarkt rückwärts beeinflusst wird. Unseren Überlegungen nach, manifestiert der Diskurs dies im Kapital nicht nur dadurch, dass der Wert Dasein des Eigentums sei, sondern des Reichtums insgesamt, insofern Eigentum die private Form des Reichtums reproduziert und dessen Wert letztlich die abstrakte Form gesellschaftlich menschlicher Arbeit aus-

4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx  

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zur Eigentümlichkeit (allgemein, durch Akkumulation des Kapitals) fetischisiert wird. Im Geld wird aber dieser Wert als substanzielles Mittel der Waren fetischisiert, dieser Fetischcharakter der Ware kann nicht nur einfach auf Grund einer überlegenen Entwicklung des Wertwesens erklärt werden, sondern es müssen die gesellschaftlichen Hintergründe dieses Wertes bzw. gesellschaftlich notwendiger Arbeit ins Spiel kommen. Das Geld ist der gemessene Schein des Wertes im Allgemeinen, worin die Preisform Ausdruck der verwandelten Warenform ist. Das monetäre Wertsein ist einerseits die Auflösung der einfachen Wertrelation des Austauschs (x Ware A = y Ware B) und andererseits das Maß bzw. die Maßeinheit für die Wertsubstanz und Wertgröße. Mit diesem Paradigmenwechsel kritisiert Marx gleichzeitig die „bürgerliche“ Darstellung der klassischen Ökonomie, die einen „freien“ Zusammenhang zwischen Wert und Geld vertritt. Die Marxsche Gesamtwerttheorie fungiert in diesem Sinne weder als bloßer Monetarismus57, noch als einfache Weltmarkttheorie, sondern als spezifische Begrenzung des gesamten kapitalistischen Verfahrens.58 Die allgemeine Darstellung funktioniert in dieser Hinsicht als Adäquatheit des ökonomisch Konkreten bzw. der Bestimmungen der kapitalistischen Phasen mit den Kategorien des Abstrakten. Es geht nicht darum, die verschiedenen Stufen des Kapitalismus als Gesamttheorie der Ökonomie im Allgemeinen bzw. als getrennte Ebenen einer fachwissenschaftlichen Wirtschaft zu behandeln, sondern die geschichtlich entwickelten Gegebenheiten der warenförmigen Phänomena zu erörtern. Die Festlegung des Status und Verfahrens der Werttheorie ist eine Stabilisierung der daseienden Formen der im Wert ausgedrückten Arbeit in allgemeinen Kategorien. Die Verwandlung von Werten in Geld manifestiert auf diese Art einen Übergang der allgemeinen verwerteten Arbeit zur Erscheinung allgemeiner Gleichwertigkeit aller Waren durch die Äquivalentform, die ein werttheoretisches Element „ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit“59 überhaupt ist. Äquivalenz von Waren ist die Ausdrückbarkeit des Werts, seine bestimmte Erscheinung in der Bewegung der Waren als eine von seiner Qualität abstrahierte Gleichwertigkeit relativer Bestimmtheit der Wertform. Die gegenwärtige Debatte der modernen Ökonomen (Friedmann, Mankiew, Böhm-Bawerk, u. a.) spekuliert über die Tragweite einer solchen Festlegung der werttheoretischen Daseinsformen. Man vergisst jedoch, dass dieser notwendige drückt. Der Wert ist das bürgerliche Dasein des Eigentums, in dem Eigentum die Einzelform des Reichtums in ganzer Akkumulation des Kapitals ist. 57 Michael Heinrich geht (richtig, aber ungenügend) davon aus, dass die ganze Werttheorie wesentlich monetarisch sein muss, eben weil diese nur mittels des Geldes möglich sei. Dem inneren Zusammenhang zwischen Geld und Wert suggeriert Marx entgegen einer logisch-historischen Interpretation die Unmöglichkeit einer Werttheorie ohne Geldtheorie. 58 Ein wichtiges Grundmerkmal ist, dass eine kapitalistische Produktion sich immer als verwerteter Warenproduktionsprozess von einer einfachen Warenproduktion differenziert: „als Einheit von Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß ist der Produktionsprozeß Produktionsprozeß von Waren; als Einheit von Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß ist er kapitalistischer Produktionsprozeß, kapitalistische Form der Warenproduktion.“ (MEW 23, S. 211). 59 Ebd., S. 70.

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Zusammenhang von Produktionsphasen und Wertbestimmungen auch Widersprüche in einer Verwertungsweise bildet, die als dieselben Produktionsakte als Gegebene untereinander verbunden werden, ohne die Handlungs- bzw. Tauschrelation menschlicher Arbeit kritisch zu beobachten. Man theoretisiert (wie die neound ricardianische Schule) einfach Tauschbarkeit, in einem Nachfrage-AngebotKontext als solchem, ohne die Notwendigkeit einer Arbeitstheorie anzuerkennen. Marx zufolge seien die Werte die abstraktesten Erscheinungsformen der produzierenden Arbeit, die als methodischer Hintergrund aller politisch-ökonomischen Verhältnisse gelten. Für die klassische Ökonomie schien aber das Wertsein des Produkts in der Tauschrelation als Voraussetzung des Produzierens. Das sei, nach Marx, eine contradictio in adjecto,60 da „der Tauschwert […] überhaupt nur die Ausdrucksweise, die ‚Erscheinungsform‘ eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein [kann]“61. Der Wert ist schließlich eine gewordene Relation der materiellen Arbeitsform, der im Austausch in seiner wesentlichen Daseinsform erscheint. Der Wert ist der ausgedrückte grundlegende ökonomische Maßstab aller kapitalistischen Verhältnisse als solcher, der tatsächlich im Austausch auf Grund ihrer Abstraktheit besteht. Was wir letztendlich austauschen, ist nur eine gewertete Verwandlung der Natur (Arbeit), die gesellschaftlich notwendig ist. Gesellschaftlich, weil dieses modifizierende Tun (Arbeit) die Bedingung der Austauschbarkeit mindestens für einen zweiten Produzenten bzw. Konsumenten erfüllen muss. Notwendig, weil diese produzierende Verwandlung der Natur vom Menschen vom einen zum anderen in jedem Fall stattfinden soll, um einen gegebenen Gegenstand (Nützlichkeit) in ein vermitteltes Produkt (Tauschbarkeit) zu transformieren. „Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“62

In dieser Abstraktionsebene weit entfernt von einer thematisierten Bewusstseinstheorie sagte Marx, dass die wirkliche Tatsache des Austauschs nur in einem Verhältnis menschlicher Arbeit bestehen könne. Unsere Tauschakte bestehen aus diesen (vom produzierenden Bewusstsein und der Rationalität einzelner Warenproduzenten unabhängigen) Verhältnissen, die zu einer gesellschaftlich wertbestimmenden Struktur gehören, worin diese sogenannte Gesellschaftlichkeit der Arbeit zu untersuchen ist.63 Man denkt, dass die produzierenden Subjekte, die Produzenten schlechthin, in abstracto bestimmte Produkte mit gleichen Wertgrößen austauschen, stattdessen tauschen sie aber verschiedene Größen der investier 60

Vgl. Ebd., S. 51. Ebd. 62 MEW 23, S. 88. 63 Heinrich, Michael, Was ist die Werttheorie noch wert?, in: Zur neueren Debatte um das Transformationsproblem und die Marxsche Werttheorie, in: PROKLA 72, 18, Jg., Nr. 3, Sept. 1988, S. 32. 61

4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx  

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ten Arbeitszeit untereinander aus, in denen Arbeit eine quantitative Bestimmtheit in der Äquivalentform findet. Die rekonstruktive Wertformentwicklung fügt sich eigentlich in den dialektischen Rahmen des Warenwesens ein. Daraus schlussfolgern wir, dass die Entgegensetzung der ökonomischen Verhältnisse, die Gesellschaft und Natur durch das Produzieren kontinuierlich aufeinander beziehen, negativ bzw. dialektisch integriert wird. Das Dialektische bei Marx sei somit immer „geschichtsmaterialistische Theorie gesellschaftlicher Entwicklung“64 dadurch, dass der kritische Materialismus die fachökonomischen Vereinfachungen zu korrigieren versucht. Der Terminus „dialektisch“ zielt lediglich auf das kritische, propädeutische Element des methodischen Verfahrens der Kapitalbildung, das generell die Bestimmungsformen des Konkreten65 erhellen will, mittels einer Komplexion der ökonomischen Varianten (für Marx: Verselbständigung und Verknöcherung), d. i. mittels kritischer Gesamtbetrachtungen.66 Dieser dialektische Rahmen ist die Bewegungsstruktur des Kapitals als solchem, die nämlich als erste zirkulierende Aufhebung des unmittelbaren Werts fungiert. Die negative Dialektik ist dennoch kein fester Begriff in Marx’ Darstellung; sie spielt eine zentrale Rolle in der Entfaltung des Ökonomischen, sie wurde aber mehr als Erkenntnismethode in der 64

Fink-Eitel, Hinrich, Dialektik und Sozialethik. Athenaeum, Bodenheim, 1987, S. 10. MEW 42, S. 22. 66 Wir nennen „Komplexion“, was Marx als „Verknöcherung“ (MEW 25, S. 838) bezeichnet, eben weil wir auf den Prozess von Steigerung von den „einfachen“ Abstrakta zu den komplexeren stark betonen wollen. Der Terminus bezeichnet die darstellungsimmanente Methode unter verschiedenen Aspekten, die wir wie folgt resümieren können: Als Vergesellschaftung: Wie am Anfang des Kapitels gezeigt, erscheint die kritische Darstellung der politischen Ökonomie als verkettete Summierung menschlicher Verbindungen, welche das Ganze der kapitalistischen Gesellschaft formieren. Als Totalisierung: diese Vergesellschaftung bildet eine progressive Hervorbringung, welche das Ganze der zwischenmenschlichen Verhältnisse im Rahmen der politischen Ökonomie verbinden will. Die gesamten Relata machen die Totalität der bürgerlichen Gesellschaft aus. Als Klassenformation: diese steigende Bewegungsstruktur hat als Resultat die begriffliche Entstehung des Spezifischen der Gesellschaftsformation, die bürgerliche Formation von K ­ lassen. Als Herrschaftsentwicklung: Die Klassenformation ist aber ein Ausdruck der Reproduktion der gesellschaftlichen Herrschaft. Die Klassengesellschaft ist so Produkt der Herrschaft des Kapitals über den Menschen, welche in allen Momenten der Darstellung immanent bleibt. Als Konkretisierung bzw. Verknöcherung: Die eigentümliche Logik Marx’ erfordert, dass die Verhältnisse der Warenbeziehungen immer konkretere, robustere Bestimmungen bezeichnen. Der Wert als die abstrakt-allgemeinste Bestimmung der kapitalistischen Gesellschaft repräsentiert die Zellenform für den begrifflichen Aufbau des Gesellschaftlichen, welches die konkreteste Bestimmung der ganzen Darstellung ist. Als Reichtumsformation: Marx nach, ist die Wertentwicklung eine sich selbst produzierende Reichtumsordnung. Was eine Gesellschaftsformation von anderen Formen unterscheidet, ist die Art und Weise ihrer Bereicherung. Die aufsteigende Entfaltung des Wertes sei mit der absteigenden Entfaltung des Reichtums zu identifizieren. Als Komplexion: Die kritische Darstellung der Erscheinungsformen zeigt die prozessierende Weise, in welcher die Bestimmungen menschlicher Verhältnisse betrachtet werden. Die konkretesten Momente der Gesellschaftsformation sind deswegen die komplexesten. 65

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

Engelschen Lesart und im sowjetischen Frühmarxismus kanonisiert. Stattdessen trägt in diesem Kontext die Thematisierung der Anatomie der Dialektik zu mehr Plausibilität in der kritischen Analyse bei. In dieser negativen Darstellung des Kapitalismus erscheint die allgemeine Form des Kapitals als Aufhebung des Geldwertes in Profitform des Geldes, oder anders ausgedrückt, das allgemeine Kapital ist das rückverwandelte Geld im Kreislauf G-W-G’ [*Geld-Ware-Geld’]. Die erste Erscheinung des Geldes bzw. Geld in seiner allgemeinen Form ist der Wert als abstraktes allgemeines Zirkulationsmittel, die Kopula zweier Waren (Form I: W-G-W). Die erste Erscheinung des Kapitals bzw. des Geldes als Zweck des zirkulierenden Prozesses der Waren entspricht dem Wert als konkret wachsendem Überschuss (Form II: G-W-G). Aber die zweite Form des Geldes (fortan: G’, wo G’ = G + ∆ G) ist nicht mehr dem ersten Wert gleich, sondern drückt kraft dieses Inkrements der Geldsumme einen Mehrwert (∆ G) aus. Mehrwert muss hier als verwerteter, einseitiger Anstieg in der Austauschrelation verstanden werden, als materielle Aufhebung der ersten äquivalenten Warenform (= Geld). Während der Wert einerseits seine allgemeine Form im Geld annimmt und seine gesetzte Erscheinung in der Form des Preises, findet der Mehrwert seine Allgemeinheit im Geldkapital und seine gesetzte Erscheinung in Form des Profits. Kapital wird als letzter Übergang der einfachen Abstraktheit des Werts bzw. als erstes Resultat des ganzen Produktionsaktes dargestellt. Kapital (G) ist somit das bürgerliche Wesen des Profits, worin der Mehrwert seine Wirklichkeit ausmacht.67 Bei Marx gibt es keine begriffliche Unabhängigkeit der logischen Entwicklung epistemologischer Momente von „praktischen“68 Kategorien, d. h. die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Einzelwissenschaften, zu denen die Wirtschaftswissenschaft gehört, finden sich nicht in einer vorausgehenden Denkbestimmung. In Bezug auf die Kritik der politischen Ökonomie kann der Sachverhalt existierenden Reichtums nur durch ein gegenständliches Verhältnis bestimmt werden. Die Darstellung der Sache selbst (des Konkreten, des Gegebenen) in Bezug auf das Ökonomische präsentiert sich als eine eigentümliche Wissenschaft, ohne das ganze Allgemeine des Denkens zu bestimmen. Marx versteht die epistemologischen Wahrheitsansprüche als notwendiges Fundament, das sich mittels des Verfahrens der Realabstraktion stabilisieren lasse. Die korrektive Aufhebung des 67

Kapital kann man unter der Formel C = c + v + m beschreiben, woraus auch z. B.: ∑αC = ∑α (cα + vα + mα) abzuleiten ist, also worin die Summe des Gesamtkapitals als die Summe der ganzen Investition c + v (Kost-, Produktionspreise, Zins, Transportwesen, Maschinerie + Lohnkosten usf.) plus dem Mehrwert m (Wert des Überschuss der reproduzierenden Arbeit) zu verstehen ist. Profit ist also diese gewissermaßen übersetzte Entfremdung des Mehrwerts, in der immer Akkumulation fremder Arbeit reproduziert wird. Profit ist wesentlich die Enthaltung des Mehrwerts. „Der Profit […] ist die die kapitalistische Produktionsweise spezifisch charakterisierende Form des Mehrwerts“ (MEW 25, S. 822) „Das eigentliche Produkt des Kapitals ist der Profit.“ (Grund, S. 707). 68 Wir verwenden den Terminus „praktisch“, um zu betonen, dass diese Kategorien Realabstraktionen sind.

4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx  

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ökonomischen Denkens ist nicht ohne seine kritische Selbstdarstellung zu erreichen, nicht in einer vorausgesetzten Wissenschaft, die den übrigen Wissenschaften lediglich eine eigene, weitere Wahrheit hinzufügt, sondern in ihrer eigentümlichen Komplexion des Abstrahierens zum Konkreten, d. i. zur einheitlichen Mannigfaltigkeit des Ganzen gelangt. Die Komplexität ist die Erscheinungsweise des Konkreten. Da die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen nur als Ganzes in der Analyse geprüft werden kann, können die Konkretheiten nur durch das Denken als fixiertes Resultat der darstellenden Kritik verstanden werden, wobei die bürgerliche Gesellschaft als das betrachtete Ganze erscheinen muss, als das Konkreteste aller kapitalistischen Produktionsakte.69 Marx zufolge gibt es keine wissenschaftliche Konkretisierung der Wirtschaft ausgehend von einer reinen spekulativen Abstraktion, sondern deren Wissenschaftlichkeit sei immer nur Resultat einer organischen Anschlussfähigkeit der dargestellten Erscheinungsformen als Gemeinsamkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die dialektische Bewegung der logisch-systematischen Darstellung begründet somit den wissenschaftlichen Charakter des kritischen Verfahrens. In der kritischen Darstellungsweise des Kapitalwesens fungiert das Logische als epistemologisches Instrumentarium, das aber nicht als voraussetzungslose Präsentation zu begreifen ist, sondern als eine sich aus den einfacheren Abstrakta der politischökonomischen Beziehungen entwickelnde Kritik des materiellen Gegenstandes. Auf Seiten der Kritik der politischen Ökonomie sind die abstraktesten Kernbegriffe in der Gesellschaftsdarstellung der systematische Ausgangspunkt,70 um das Ganze des gesellschaftlichen Reichtums begrifflich zu organisieren. Wert ist so gesehen ein „antediluvianisches Dasein“71 der darzustellenden Produktion, weshalb es notwendig ist, jede dialektische Behandlung des kapitalistischen „Wahrheitsanspruches“ unter eben dieser Voraussetzung herauszuarbeiten.

4.3.2 Notwendigkeit eines Endpunktes der Darstellung In der Einleitung der Grundrisse wird die Produktion im Allgemeinen skizziert. Im Unterschied zum Kapital enthält der „Produktionsbegriff“ hier eine eigene Methodenreflexion. Deren Einführung erläutert den voraussetzungslosen Ausgangspunkt der Analyse des Kapitalwesens als Erscheinung einer ineinandergreifenden, organischen Gesamtproduktion. Der Vergleich zwischen der Ausgangssituation in Grundrisse auf der einen und im Kapital auf der anderen Seite liefert theoretische Ansätze, um die Marxsche Methodenbildung zu verdeutlichen. Im Kapital 69

Vgl. Grund, S. 25. „Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist.“ (Grund, S. 21 f.). 71 Grund, S. 22. 70

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Kap. 4: Darstellungsweise als Kritik 

finden wir keine pointierte Antwort auf die Frage nach dem Methodenanspruch, sondern, was wir beobachten können, ist ein methodisches und systematisches Verfahren der dialektischen Darstellung der Wertformen. Demgegenüber können wir betonen, dass in den Grundrissen die Darstellungs- und Formulierungsweise der politisch-ökonomischen Kategorien des Kapital nicht exakt reproduziert werden.72 Allerdings können wir eine Schnittmenge zwischen Grundrisse und Kapi­ tal ausmachen, nämlich darin, dass die (bürgerliche) Gesellschaft als Endpunkt der kritischen Darstellungsmethode erscheint. Die Marxsche Theoriebildung der Wertformen ist eine logisch-strukturelle Entwicklung intersubjektiver Arbeitsbeziehungen, welche sich als organische Totalität der politischen Ökonomie darstellt. Diese logische Struktur (Darstellung) ist aber auch eine Erscheinungskorrektur des Ganzen des bürgerlichen Gesellschaftswesens (Kritik). In diesem Sinne fungiert die bürgerliche Gesellschaft, nach Marx, als kristallisiertes Ganzes der Produktion, als begriffliches, sich in der Totalität organisierendes Moment der Wertformentwicklung: „Die bürgerliche Gesellschaft ist die entwickeltste und mannigfaltigste historische Organisation der Produktion. Die Kategorien, die ihre Verhältnisse ausdrücken, das Verständnis ihrer Gliederung, gewährt daher zugleich Einsicht in die Gliederung und die Produktionsverhältnisse aller der untergegangen Gesellschaftsformen, mit deren Trümmern und Elementen sie sich aufgebaut, von denen teils noch unüberwundene Reste sich in ihr fortschleppen, bloße Andeutungen sich zu ausgebildeten Bedeutungen entwickelt haben etc.“73

Das trägt dazu bei, dass jedes Moment in der Gesamtdarstellung als präzise Kristallisierung der Produktionsverhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft verstanden werden muss. Ökonomiekritik ist demnach die negative (d. i. dialektische, kritische) Untersuchung der bürgerlichen Gesellschaftsformation in einer systematischen Komplexion von Menschenverbindungen bzw. menschlichen Beziehungen. In der Einleitung der Grundrisse beginnt Marx mit dem Gesetz der kapitalistischen Produktionszweige, im Unterschied dazu wird in der Einleitung des Kapital die Bildung der Produktion im Allgemeinen74 als vorbegriffliche und äußerliche Offenbarung der (in den Grundrissen noch chaotischen) Wertformentwicklung dargestellt. Die ganze Darstellung der Kritik der politischen Ökonomie bildet, von der Wertanalyse aus betrachtet, eine Gesellschaftskritik. Die Komplexität der Gesellschaftskritik bildet dabei das Wesen der Methodenstruktur, sofern jene eine Konkretisierung bzw. Komplexion des Wertes im Reichtum darstellt. Die Analyse der 72 Zur historischen Diskussion über beide Darstellungsweisen siehe: Stützle, Ingo, „Marx’ innerer Monolog. Vor 150 Jahren schrieb Karl Marx die Grundrisse“, in: Zeitschrift Marxis­ tische Erneuerung, Nr. 73, Frankfurt a. M., 2008, SS. 113–122; Musto, Marcello (Hrsg.), Karl Marx’s Grundrisse: Foundations of the Critique of Political Economy 150 Years Later, London / New York, Routledge, 2008 und Bellofiore, Riccardo et al. (Hrsg.), In Marx’s laboratory. Critical interpretations of the Grundrisse. Brill Publications, Leiden, 2013. 73 Grund, S. 25 f. 74 Ebd., S. 7.

4.3 Skizze einer kritischen Darstellung der Wertformen bei Marx  

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Anatomie dieser schrittweisen Abstraktion erlaubt uns, die „Extreme“, „Pole“ der Marxschen methodischen Gesellschaftsdarstellung als eine verkettete Entwicklung herauszuarbeiten, worin der hochgradig abstrakte Warenwert als „Resultat und Voraussetzung des ganzen gesellschaftlichen Verkehrs“75 erscheint. Die Entwicklung der Gesellschaft ist also die Entwicklung ihres Reichtums. Die Entwicklung des Reichtums ist die Entwicklung der Produktivkräfte. Die Darstellung des Wertes ist infolgedessen eine Darstellung der Entwicklung kapitalistischen bzw. warenproduzierenden Reichtums, also der kapitalistischen Bereicherung. Der Kapitalreichtum erlangt indes eine konkrete kulminierende Erscheinungsform und umfasst die Kapitalisierung der Mehrproduktion von Waren, welche die Fortentwicklung der Gesellschaftsformation bedingt.76

75 Pfreundschuh, Wolfram, Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft. Zur Philosophie der Kapitalkritik. Kulturkritik, München, 2009, S. 58. 76 Das Ausmaß der Erzeugung von Produkten wird in der Marxschen Terminologie als Mehrproduktion bezeichnet. Anhand dieser Mehrproduktion werden auch die ersten und elementaren Formen des Austausches und damit auch der Erwerbsarbeit erzeugt. Der Warenaustausch besteht darin, dass Produkte keinen Gebrauch für den Erzeuger in diesem Zeitpunkt repräsentieren, sondern einen Überschuss in seinem eigenen Arbeitsprozess. Das Mehrprodukt oder Surplus drückt seine gesellschaftliche (Austausch)Form als Mehrwert aus. Die kapitalistische Mehrproduktion setzt die Aneignung dieses Mehrwerts voraus, welche durch die gesellschaftliche Verfügbarkeit die Fortentwicklung des Reichtums reproduziert.

Kapitel 5

Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft als Endpunkt der Darstellung Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: dass das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint, dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist, und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. K. Marx (MEW 25, S. 260) Labour was the first price, the original purchasemoney that was paid for all things. It was not by gold or by silver, but by labour, that all wealth of the world was originally purchased. A. Smith (Wealth of Nations, S. 48. Herv. von P. P.)

Die spezifische Form des Reichtums an Kapital betrifft einen besonderen Platz in der Gesellschaftsformation. Kapitalistischer Reichtum wird schon zu Beginn des Werks als Fortentwicklung der Zellenform „Wert“ erwähnt, aber eher gesell­ schaftlich und, innerhalb der Wertform als Geldform (als Ausdruck des Wertes).1 Der bürgerliche Reichtum erscheint als eine aus der Wertentwicklung resultierende gesellschaftliche Form, sofern diese Form alle technischen, organisatorischen, naturgegebenen Verhältnisse begrifflich zusammenfasst, d. i. alle Kräfte der gesamten Produktion. Diese Behauptung müssen wir aber nicht mit einer Behauptung über die Quelle des materiellen Reichtums verwechseln. Quelle aller Reichtumsformen sind sowohl Natur als auch Arbeit, wobei letztere als konkrete Arbeit verstanden werden muss.2 Unter Konkreter Arbeit versteht man das gesellschaftliche Moment der Auseinandersetzung mit der Natur, als eine verändernde Tätigkeit des Individuums an der Natur, um seine mannigfaltigen Bedürfnisse zu befriedigen. 1 „Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Werthform der Ware die ökonomische Zellenform.“ (MEGA² II/5, S. 12; MEW 23, S. 12). 2 „Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“ (MEW 23, S. 57).

Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft

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Reichtum als eine Menge von Gütern enthält in diesem Sinne nicht nur die Tauschwerte, sondern auch Gebrauchswerte. Die Marxsche Untersuchung im Spätwerk will aber nicht die Entwicklung der Produktivkräfte aller Gesellschaften bzw. aller Gesellschaftsformen, sondern allein jene der „kapitalistischen“ Epoche als systematisierter Form der Bereicherung darstellen.3 Kapital spielt in diesem Kontext die Hauptrolle in der kritischen Darstellung der gesellschaftlichen Reichtumsformen, insofern das eingesetzte Geldkapital nicht nur die vollständige Produktion der heutigen Gesellschaft bedingt, sondern auch seine Reproduktion: „Seitdem der materielle Reichtum, diese Summe der Erzeugnisse produktiver menschlicher Arbeit, im Geld seinen abstrakten, anonymen Repräsentanten gefunden hat, seitdem der unmittelbare Zweck der produktiven Arbeit nicht mehr die Vermehrung des dinglichen Reichtums, die Herstellung von Gütern, sondern diese nur Mittel zu einem weiteren eigentlichen Zweck: der Vermehrung von Geldreichtum geworden ist, seitdem es genügt, Geld zu besitzen, um reicher werden zu können- seither hat das Reichwerden im engeren, materiellen Sinne aufgehört, notwendig auch ein Reicherwerden im geistigen, kulturellen Sinne nach sich zu ziehen.“4

Das Kapital bildet sich durch eine Selbstverwertung des Wertes und setzt sich als „Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion“.5 Das Kapital produziert und reproduziert die Gesellschaft. Kapital ist Vergesellschaftung. Diese Vergesellschaftung ist Produktion des Reichtums bzw. Bereicherung. Der ganze Prozess der kritischen Rekonstruktion der Gesellschaft ist damit die Rekonstruktion der Produktionsweise der kapitalistischen Reichtumsform.6 In diesem letzten Kapitel weisen wir auf die immanente Einheit dieser Gesellschaftsformation bzw. Vergesellschaftung mit der spezifischen kapitalistischen Reichtumsform hin. Wir behandeln diese Aufgabe anhand zweier Formen der Darstellung: 5.1 Notwendigkeit einer systematischen Rückkehr zur Genese der Darstellung. 5.2 Zur Darstellung des Wertes als allgemeiner Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums.

3 „Um den Begriff des Kapitals zu entwickeln, ist es nötig nicht von der Arbeit, sondern vom Wert auszugehen […]“ (MEW 42, S. 183) Die sehr interessante Studie von Robert Kurz über vorkapitalistische Formen von Vergesellschaftung ist hilfreich, um die Wesentlichkeit der wertförmigen (kapitalistischen) Reichtumsform für die bürgerliche Gesellschaft zu verstehen (siehe: Geld ohne Wert: Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Öko­ nomie. Horlemann, Berlin, 2012, vor allem seinem sechsten Kapitel über Geld als historische Fundsache). 4 MEW 23, S. 674. 5 MEW 25, S. 260. 6 „In der Darstellung der Marxschen Theorie […] geht es zunächst um die grundlegende Kategorie des Wertes, durch die Marx Arbeit und Austausch sowie Ausbeutung und Herrschaft in kapitalistischen Gesellschaften zueinander in Beziehung setzt.“ (Kößler, Reinhart / Wienold, Hanns, Gesellschaft bei Marx. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2001, S. 17).

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

5.1 Notwendigkeit einer systematischen Rückkehr zur Genese der Darstellung Die Thematisierung des dialektischen Ausgangspunktes im Kapital bietet unserer Analyse die Möglichkeit einer Überprüfung des Marxschen Methodenproblems. In diesem Kapitel werden wir die Ausgangssituation des Kapital als Bestätigung der systematischen Gesellschaftsformation verstehen. Das Gesellschaftliche ist demnach systematisch und deswegen organisch.7 Wir betonen in diesem Unterkapitel, dass wenn hier von „Gesellschaft“ die Rede ist, es sich im Diskurs um Gesellschaftsstruktur handelt. Struktur, Organismus und System sind Begriffe, die oft als Synonyme für das Wesen der Präsentation und Formation der bürgerlichen Gesellschaft fungieren. Wir können hier betonen, dass wenn im Kapital die Rede von Gesellschaft ist, damit zugleich der Systembegriff zur Sprache gebracht wird. Trotz einer strukturalistischen Lesart der marxistischen Tradition8, ist hier nachdrücklich zu bemerken, dass Systembegriff auf eine zusammenfallende Identität mit dem Organismusbegriff hinweist. Dem Marxschen Verständnis nach umfasst der Systembegriff eine Totalität, also eine vollständige Entfaltung der politischen Ökonomie und ist deswegen mit dem konkreten Gesellschaftsbegriff gleichzusetzen. Wie bereits im dritten Kapitel gesagt, kann Gesellschaft aus Teilen bzw. „Organen“ zusammengesetzt gedacht werden, die einen aus Einzelteilen zusammengefügten Organismus bilden. Dadurch, dass die Gesellschaft in ihrer Darstellung systematisch erscheint, ist es unbestritten, dass sie aus unterschiedlichen Elementen oder Momenten9 besteht. Marx schlägt eine systembestimmte Gesellschaftsformation vor, deren Elemente in einer strukturellen Organisation von menschlichen Verhältnissen angesehen werden muss: ergo ist Marx zufolge, diese Organisation ein konkretes Merkmal des Gesellschaftsbegriffes. Referenzen zu diesem konkreten Begriff als „Totalität“ sind u. a. bei Lukács zu finden, welcher hierin eine notwendige Erbschaft von Hegels Auffassungen über die Logik verstand: „Die Kategorie der Totalität, die allseitige, bestimmende Herrschaft des Ganzen über die Teile ist das Wesen der

7

Hegel verstand Gesellschaft u. a. als System der Bedürfnisse (GW 7, § 189, S. 346 ff.). Die Systematizität der Gesellschaft betont ihre Geschlossenheit. Der Marxsche System­ begriff bleibt in dieser Linie: ganzer und struktureller Zusammenhang der menschlichen Verhältnisse. Der grobe Terminus des Systems von Marx reproduziert die etymologische Bedeutung von σύστημα, also als eine aus vielen Einzelteilen zusammengesetzte Totalität. Der Terminus bezieht sich auf den logischen inneren Zusammenhang aller Momente der Gesellschaftsdarstellung. 8 Wir verstehen hier unter einer strukturalistischen Lesart grundsächlich das, was Autoren wie Althusser, Poulantzas und Balibar in dieser Linie vertreten. 9 Wie bei Hegel wird der Begriff ‚Moment‘ häufig auch von Marx benutzt. Fast alle Marxisten benutzen diesen Terminus, inkl. der Überbautheoretiker, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Kapitals zu beschreiben.

5.1 Notwendigkeit einer systematischen Rückkehr zur Genese der Darstellung   145

Methode, die Marx von Hegel übernommen und originell zur Grundlage einer ganz neuen Wissenschaft umgestaltet hat.“10 Den Terminus „Systematisch“ bzw. „System“ der bürgerlichen Gesellschaft bei Marx können wir zusammenfassend folgendermaßen deuten:11 (i) System als Methode: Die Dialektische Methode des Kapitalorganismus versteht sich als eine negative Organisation der Wertfassungen. Diese Organisation erscheint als eine systematische und kontinuierliche Erscheinungsverkettung gesellschaftlicher Verhältnisse. Die methodologische Darstellung der Wertformen reproduziert so eine programmatische Entwicklung des Gesellschaftlichen; und (ii) das System als Ganzheit: Das System der Kritik der politischen Ökonomie beschreibt eine Totalität der in Wertform dargestellten Bestimmungen. In diesem Sinne erscheint die bürgerliche Gesellschaft als eine strukturierte Gesamtheit von Kapitalformen, insofern diese Formen eine bestimmte Anordnung von menschlichen Verbindungen reproduziert. Das „System“ als Totalität reproduziert seine Eigendynamik und nicht nur eine beziehungslose Summe oder Menge von Teilen und diese Dynamik ist als prozessierende, immanente Bewegungsstruktur der Erscheinungsformen zu verstehen. Mit Hilfe der eben erwähnten Bestimmungen des Gesellschaftssystems, sind wir in der Lage die Frage nach deren Genese zu formulieren. Die Problematik des Ausgangspunkts betrifft bei Marx die Plausibilität, die fortdauernden Abstraktionsstufen in einer integrierten Methode nachzuvollziehen. Unsere bisherige Analyse hat die Kernmomente der werttheoretischen Darstellung Marx’ untersucht, um seine rekonstruktive Methode im Spätwerk programmatisch zu identifizieren. Mit der Hauptthese, dass die steigende Komplexion der Abstraktionsstufung gleichzeitig als kritischer Aufbau des Kapitalismus zu verstehen ist, und mit der Nebenthese, dass die Operativität der Methode nur das integrierte Verfahren durchgängigen Analysierens ist, wollen wir zeigen, dass das ganze Werk nicht einfach eine Reproduktion der Kapitalerscheinung und ihres Wesens beleuchtet, sondern viel mehr eine Entgegensetzung zur kapitalistischen Selbststrukturierung. Bei Marx sind Darstellung und Methode begrifflich nur vollständig durch die Ausübung ihrer Operationen, das bedeutet, indem die menschlichen und kapitalorientierten Verbindungen aus ihren geschichtlich gewordenen Umständen sich entwickeln lassen. Die im Spätwerk vorgeschlagene Wissenschaftlichkeit des

10

Lukács, Geschichte und Klassenbewusstsein. a. a. O., S. 39. Herv. von P. P. Im Gegenteil zu Lukács ist aber eine starke Übernahme der Hegelschen Methode unserer Arbeit nach nicht Recht zu geben ist. 11 Mit „System“ bezeichnet Marx unterschiedliche Inhalte (Es gibt mehr als 400 Verwendungen nur im Kapital). Monetärsystem, Merkantilsystem, Muskelsystem, Abhängigkeitssystem, Kreditsystem usw. bezeichnen in der Marxschen Sprache als einen in-Elementenverketteten Organismus. System wird hier jedoch nicht als schwache Ansammlung, sondern im stabilen Sinne von strukturierter Anordnung verwendet. Kurzum: System ist als Produktionssystem gemeint.

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

Materialismus12 als systematische bzw. gesellschaftliche Selbstdarstellung denunziert eine Methodenlosigkeit der klassischen Ökonomen, spezifisch der Ricar­ dianischen Arbeitswerttheorie. Die darstellende, „dialektische“ Methode13 dient dementsprechend im Kapital der Wechselwirkung von gegensätzlichen Paaren und der darstellungsimmanenten Bewegung der Erkenntnis, wobei abstrakte Bestimmungen von der Kritik der Erscheinungsformen zu jener der Wesensformen übergehen. „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen.“14

Fern von einer metaphysischen Erklärung ist die Marxsche Methode als eine systematische Erscheinungsformenanalyse und -korrektur zu verstehen, die im Verlauf der Präsentation die Kapitalbestimmungen modifiziert. In dieser Palette von „Erscheinungen“ fungiert die Ware als der erste „wahre“ Ausgangspunkt, als prius der Abstraktion seiner eigentümlichen Logik. Der im ersten Satz des Kapital erwähnte Reichtum lokalisiert sich als point zero der primitiven Wertanatomie, 12

Diese Wissenschaftlichkeit bzw. Gesellschaftlichkeit des Marxschen Materialismus lässt sich keineswegs als naturwissenschaftliche Vorgehensweise reduzieren, welcher von Marx und vor allem Engels als Vulgärmaterialismus bezeichnet wurde (Vgl. DN, MEW 20, S. 332). Über die Entwicklung der Wissenschaft: „Die Entwicklung der Wissenschaft, dieses ideellen und zugleich praktischen Reichtums, ist aber […] eine Seite, eine Form, worin die Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte, i. e. des Reichtums erscheint.“ (Grund, S. 439). 13 Im Unterschied zu Hegel ist das Marxsche philosophische Verfahren im Allgemeinen als dialektische Methode zu bezeichnen. Dialektik bezeichnet in diesem Sinne eine Art und Weise der im (politisch-ökonomischen) Denken realisierten Darstellung. Die Marxsche Dialektik bestätigt die Verlaufsform der (Real)Abstraktionen als notwendiges von der Wahrnehmung kristallisiertes Absehen. Verwirklichung, Komplexion bzw. Konkretisierung dieses Absehens sind aber das Wesen seiner Dialektik. 14 MEW 25, S. 825. Wesen und Wesensform repräsentieren inhaltsvollere Begriffe als allgemeine Synonyme für „Wichtigkeit“. Die Häufigkeit des Wortes „Wesen“ am Anfang des Kapital ist kein Beleg für eine Pauschalisierung des Terminus. Heinrich (vgl., Wie das Marx­ sche Kapital lesen?. a. a. O., S. 63) ist dieser Meinung und sieht darüber hinaus in der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wesen eine hegelianisierende Lektüre des Werkes. Wie im dritten Kapitel erwähnt, sind wir der Auffassung, dass der Marxsche Wesensbegriff auf den immanenten menschlichen Charakter der Warenbeziehungen zurückzuführen ist. „Wesen“ repräsentiert so eine „gegenständliche“ Abstraktion menschlicher Verbindungen. „Erscheinung“ ist dagegen die „mystische“ (MEW 23, S. 72; 85) „mystifizierte“, „phantasmagorische“ (Ebd., S. 86) Form in welcher die menschlichen Phänomena als Formen der Wirklichkeit sich zeigen. Oscar del Barco bemerkt (Esencia y apariencia en El Capital. Marat, Buenos Aires, 2017, S. 89 ff.) zwei Niveaus von Abstraktion im Marxschen Werk: Erscheinung und Wesen sind beides unterschiedliche Relationsbegriffe, die in ihrer Bedeutung aufeinander bezogen sind. Die Realität erscheine als Objekt (= Gegenstand) oder in der Form von Objekten. So kann man erkennen, dass die methodologische Darstellungsweise auf zwei Logiken hinausläuft: Eine Logik des Objekts als Logik der Entwicklung der Erscheinungsformen und eine Logik des Erkennens, also als Entdeckung des Wesentlichen dieser Erscheinungsformen. Die gegenständliche Realität des Kapitals ist im Kapital die Art und Weise, in welcher die moderne Gesellschaft ihre Formen annimmt. Die Aufgabe der Wissenschaft ist somit die Kritik und Darstellung dieser Formen.

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

147

wo die noch ungeklärte Ware als richtiges Objekt der Analyse erscheint, d. h. im Kapital wird bereits im ersten Satz erwähnt, dass die Ware die einfachste Form des Reichtums bildet.

5.2 Zur Darstellung des Wertes als allgemeiner Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums Grundlegend ist hier die These, dass nach Marx’ Auffassung“ Reichtum“ und „Ware“ als zwei darzustellende Extreme und unmittelbarer Ausgangspunkt ein und derselben politischen Ökonomie fungieren. In diesem Sinne repräsentieren die beiden Begriffe „Reichtum“ und „Gesellschaft“ entfaltete, abschließende Momente der gesamten Wertdiagnose. Wir beziehen uns hier auf die Rolle des in der Darstellung entwickelten Reichtums im Sinne des ersten Absatzes des ganzen Werkes: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.“15

Der Reichtum erscheint hier, als ob dieser eine unendliche „Kette“ von Waren (ungeheure Warensammlung) wäre und verdeckt dadurch die grundlegende Wichtigkeit der Forderung, die kritische Darstellung zu rekonstruieren. Der Reichtumsbegriff umfasst ebenso viel Inhalt wie der Gesellschaftsbegriff selbst. Er verkettet eine Menge von Rechts- und Willensbeziehungen16, in denen der Reichtum als Ziel des Kapitalisten (d. h. Vermehrung des Kapitals) erscheint. Reichtum ist aber nur die sachliche Reproduktion des Kapitals, und diese Reproduktion, wie dargestellt, nur als Resultat einer gewissen Herrschaft zu verstehen. Alle diese Bestimmungen werden wir in der Untersuchung eines (möglichen) Reichtumsbegriffes in einer Klassifizierung einordnen. Der Aufbau dieses Unterabschnittes lässt sich anhand der folgenden vorgeschlagenen Punkte festmachen: 5.2.1 Über Reichtum im Allgemeinen. 5.2.2 Über die Beziehung zwischen Reichtum und Ware. Kapitalistischer Reichtum ist die entfaltete Bestimmung der Ware, anders ausgedrückt, Ware ist die abstrakte, allgemeinste und deswegen erste Form des kapitalistischen Reichtums. In der kapitalistischen Gesellschaft, ist die Ausdrucksform des Reichtums erstens eine abstrakte Erscheinungsform des Reichtums als Warensammlung und zweitens eine konkrete Erscheinungsform als Herrschaft 15

MEW 23, S. 49. Das Verständnis des Reichtums des Kapitals als Zweck der Kapitalisten betont den Reichtum auch als ein Willensverhältnis. „So stehen die Waren immer in zweckbestimmter Form zugleich gleichgültig zueinander und bilden in dieser Begegnung und Bewegung das unmittelbare Kapitalverhältnis.“ (Pfreundschuh, Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft, a. a. O., S. 123). 16

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

des Wertes über die Arbeit (= bloßes Kommando über fremde Arbeit).17 Aber, um diese Kommandogewalt des Reichtums zu erläutern, müssen wir zuerst die Allgemeinheit des Reichtumsbegriffs erörtern, um das Besondere des Kapitalismus erklären zu können.

5.2.1 Über Reichtum im Allgemeinen Marx versteht weder die Gesellschaft als eine Gruppe von Personen, die gemäß einer normativen Organisation miteinander verbunden sind, noch Reichtum einfach als eine Menge von Waren, Geld oder wertvollen Dingen. Reichtum als Resultat der Entwicklung der Produktivkräfte ist aus diesem Grund Produkt der Gesellschaft. Gleichzeitig konstituiert sich jene Gesellschaft durch ihre bestimmte Reichtumsentstehung. Beide Begriffe fungieren also als Abschluss einer Darstellung der Ökonomie: 5.2.1.1 Beziehung zwischen Gesellschaft und Reichtum Der oben zitierte erste Absatz des Kapital hat einige theoretische Diskussionen in der marxistischen Literatur über die Kritik der politischen Ökonomie als Gesellschaftstheorie hervorgerufen. Wir klären hier eingehend, was wir mit diesem Zusammenfallen von Reichtum und Gesellschaft meinen, um danach ausführlich zu belegen, dass diese Allgemeinheit der Reichtumsauffassung Voraussetzung für das Verständnis unseres letzten Unterabschnittes ist. Die Kritik der politischen Ökonomie ist eine negative Darstellung der bürgerlichen Ökonomie. Diese These beschäftigt die gesamte vorliegende Arbeit. Das bedeutet, unsere ganze Untersuchung konzentriert sich auf die kritische Darstellung einer spezifischen Gesellschaftsform. Wenn die Rede vom „Reichtum der Gesellschaften“18 ist, sind mindestens zwei Hauptpunkte zu erkennen: (i) Reich­ tum ist kein exklusives Konzept einer Gesellschaftsform, sondern das Wesen der unterschiedlichen Gesellschaften; und (ii) die Gesellschaften sind unterschiedliche Formen, also jede repräsentiert eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte, komplexe Totalität. Gleich am Anfang des ersten Kapitels des Kapital, also im ersten Absatz des Werkes,19 wird der Endzweck des allgemeinen Wertes präsentiert. Die erste Aussage ist keine über die isolierte bürgerliche Gesellschaft, sondern über alle Gesell 17

Siehe: Grund, S. 387. Im Unterabschnitt 2.2 dieses Kapitels wird es thematisiert. Präziser wäre dieser Ausdruck: „Reichtum der unterschiedlichen Gesellschaftsformen“. Das Thema hier sind die mannigfaltigen geschichtlichen Formen, die als Gesellschaften gegeben werden (vergangene, gegenwärtige oder zukünftige). 19 MEW 23, S. 49. 18

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

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schaftsformationen. Der Satz suggeriert, dass Reichtum jedoch keinen exklusiven Begriff der Kapitalismusformation meint. Es ist vielmehr ein „Reichtum im Allgemeinen“ damit angesprochen. Im ersten Kapitel des Kapital wird Reichtum jedoch auch nicht allgemein festgestellt. Das einzige, was geäußert wird, ist, dass er einen „sachliche[n] Charakter“ behält.20 Der Leser muss bis zum zweiten Abschnitt warten, um über den Gegensatz, den begrifflichen „abstrakten Reichtum“21 mehr zu erfahren. Reichtum erscheint hier noch nicht als entfaltetes Resultat der Gesamtanalyse. Den Fakt, dass der Reichtum als Entwicklung der Produktivkräfte begriffen wird, werden wir nicht sofort im ersten Absatz finden, sondern im Verlauf derselben Darstellung des Werkes: „Alle bisherigen Gesellschaftsformen gingen unter an der Entwicklung des Reichtums – oder, was dasselbe ist, der gesellschaftlichen Produktivkräfte […] Das Kapital setzt die Produktion des Reichtums selbst und daher die universelle Entwicklung der Produktivkräfte, die beständige Umwälzung seiner vorhandenen Voraussetzungen, als Voraussetzung seiner Reproduktion.“22

Der Reichtumsbegriff entlarvt den Gesellschaftsbegriff selbst als konkretisiertes Ganzes. Anders ausgedrückt, beide Begriffe fallen in ihrer Entfaltung zusammen. So kann man behaupten, dass (i) die unterschiedlichen Formen der Gesellschaft durch ihre spezifische Entwicklung der Produktivkräfte umformiert werden, d. h. die allgemeine treibende Kraft der potenziellen Arbeit konstituiert sich durch ihren Gebrauch als Wesen des gesellschaftlichen Reichtums im Allgemeinen. Reichtum (als wachsende Entfaltung der Produktionskräfte) ergibt sich durch die kompletten Bedingungen einer bestimmten Form der Assoziation zwischen Menschen, also durch ihre Verbindungen (= Gesellschaft). Reichtum kann sich auf diese Weise nicht einfach kontextlos ergeben. Um diesen Punkt zu illustrieren: Der Lehnherr im Feudalismus erhielt auf Grund der vorherrschenden Assoziierung von Menschen eine bestimmte Macht über fremde Arbeit. Präzise Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Mensch als Herr personifiziert bzw. anerkannt wird.23 Die „Gegebenheit“ dieser Bedingungen charakterisiert den Feudalismus als einer bestimmten Gesellschaftsform, welche eine bestimmte „Kommandogewalt“ über die Arbeitsform auf einem Territorium ergibt.24 Gesellschaft ist in diesem Sinne grundsätzlich eine Reichtumsbildung. 20

Ebd., S. 50, 57–61; u. a. Ebd., S. 167. 22 MEW 42, S. 455 f. 23 Im Sinne des Personenbegriffs bei Marx, welchen wir vorher im dritten Kapitel erörtert haben. 24 Obwohl die gesamte Darstellung des Kapital eine begriffliche Rekonstruktion ist, zeigen die Kapitel XXIV und XXV des ersten Bandes über die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“, welche das Verständnis der Nationalökonomen über dem Übergang vom feudalen System zum kapitalistischen System darstellt, auch eine Analyse der Entstehung moderner Akkumulation. Die Kapitel sind keine vorkapitalistische „Apokryphen“ in der Darstellung, 21

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

Man kann dazu noch bemerken, dass (ii) eine bestimmte Form des Reichtums als Totalitätsbegriff der bestimmten-gesellschaftlichen Prozesse zu verstehen ist. Diese Prozesse enthalten Ansammlung und Einordnung der Kräfte, die die Arbeit – in sensu lato – als Verwandlungsprozess der Natur setzt. Jede Gesellschaft präsentiert eine ganze Sammlung von menschlichen, (inter)subjektiven Verhältnissen. Jede Gesellschaft fasst somit eine spezifische Form menschlicher Umstände zusammen. Oder anders ausgedrückt, es gibt keine Gesellschaft als solche, sondern nur das Verständnis einer Gesellschaftsform. Der spezifische Reichtum bestimmt dabei das Wesen einer Gesellschaft. Marx versteht den Reichtum nicht nur als eine „stofflich“ materielle Warensammlung,25 sondern abstrakt als eine unmittelbare Notwendigkeit der Entwicklung der Geschichte der Gesamtgesellschaft. Jede Gesellschaftsformation enthält also die Entwicklung ihrer Geschichte als Entwicklung ihres spezifischen Reichtums. Die Entfaltung der unterschiedlichen Gesellschaften ist die Entfaltung ihres entsprechenden Reichtums und diese Entfaltung kann nur verstanden werden, wenn wir ihre gesamten menschlichen Verhältnisse systematisch erklären können. Die Geschichte einer Gesellschaft ist demnach ihre Bereicherung, sowie Vergesellschaftung die Entwicklung einer bestimmten Reichtumsform ist. Die Bildungsgeschichte einer bestimmten Gesellschaftsform unterscheidet sich in unterschiedlichen Epochen durch die Formation ihrer Reichtumsbestimmungen. Marx zufolge sei Reichtum grundlegend Gesellschaftsformation. Kapitalismus ist also Ausdruck der Entwicklung einer kapitalorientierten Bereicherung, in der das allgemeine Kapital als die wesentliche Erscheinungsform der gesamten Entwicklung der Vergesellschaftung erscheint.

sondern sie versuchen, die ideologischen Mystifikationen bei Adam Smith über die Entstehung des Kapitalismus zu kritisieren. Dass „the accumulation of stock must […] be previous“ (Wealth of Nation, a. a. O., S. 192), weist auf eine Verfälschung des Akkumulationsprozesses hin. So Marx wieder ironisch: „Diese ursprüngliche Akkumulation spielt in der politischen Ökonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie. Adam biß in den Apfel, und damit kam über das Menschengeschlecht die Sünde. Ihr Ursprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzählt wird. In einer längst verfloßnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen. Die Legende vom theologischen Sündenfall erzählt uns allerdings, wie der Mensch dazu verdammt worden sei, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen; die Historie vom ökonomischen Sündenfall aber enthüllt uns, wieso es Leute gibt, die das keineswegs nötig haben. Einerlei. So kam es, daß die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut.“ (MEW 23, S. 741). 25 Vgl. MEW 23, S. 50.

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

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5.2.1.2 Präzisierung: Jede Form des Reichtums enthält eine Form von Herrschaft Dieser Punkt will lediglich betonen, dass jede Art der Bereicherung der Gesellschaft einer bestimmten Kommandogewalt entspricht. Jene Reichtumsform besetzte geschichtlich eine determinierte Form von Gewalt über die Arbeit. Quelle allen Reichtums sei in diesem Sinne immer eine Subjektivitätsbeziehung, auch in Form von prämonetären Gesellschaften. Der wirkliche Reichtum aller Gesell­ schaften ist ihre eigene Reproduktion auf Grundlage des Zwangs durch einen fremden Willen. Die Herrschaftsausübung bestimmt nicht nur die politische Macht, sondern ihre eigene Transformation. Die Zwangsform der bürgerlichen Gesellschaft ist in der Reproduktion des Kapitals zu finden. Diese Form werden wir im folgenden Punkt betrachten.

5.2.2 Beziehung zwischen Reichtum und Ware Der (bürgerliche) Reichtum im ersten Satz, der erste begriffliche Entwurf des gesamten Werkes,26 wird in seiner Erscheinungsform als vorläufiger Ausgangspunkt der Gesellschaftsanalyse bezeichnet, insofern der Wert die eigentliche Elementarform dieser Analyse ist. Die phänomenologische Ausdrucksweise „er erscheint als […]“ ist also dem setzenden „er ist […]“ entgegengesetzt. Die Erscheinung ist hier nicht abschließend zu verstehen, sondern sie ist und bleibt Unvollständigkeit. Die Korrektur der Reichtumsvorstellung als Warensammlung ist aber nicht die Negation dessen Inhaltes, sondern die Negation der „Vollständigkeit“ der Definition. Der Marxsche Erscheinungsbegriff zielt auf eine gewöhnliche Form des Verstandes und des Bewusstseins, die nicht mit einer abschließenden Bestimmung des Definiendums vereinbar ist. In der Erscheinung kommt das Wesen zum Ausdruck.27 Die potenzielle Mangelhaftigkeit ist in dem erscheinenden Prozess von den wissenschaftlichen Ansätzen zwar erkannt, aber, Marx zufolge, in der damaligen Ökonomie nie präzise28 dargestellt, sondern nur teilweise „definiert“ worden. Dass sich das Kapital mit den Ausdrucksweisen der politischen Ökonomie beschäftigt, zeigt eine programma 26

Wir bemerken, dass der kapitalistische Reichtumsbegriff nur als Resultat der ganzen Entfaltung der Wertformen zu verstehen ist. Reichtum und Wert bilden demgemäß zwei Extreme der gleichen Präsentation. 27 So Alfred Schmidt, „nur durch die fortschreitende Analyse der dinghaft sich manifestierenden Erscheinungen hindurch wird deren (stets auch an Dinge gebundenes) prozessuales Wesen erfaßt“ („Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie“, in: Euchner, Walter / Schmidt, Alfred (Hrsg.), Kritik der politischen Ökonomie heute. 100 Jahre Kapital. Referetate und Diskussionen von Frankfurter Colloquium 1967. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a. M., 1968, S. 39). 28 „Dass in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, außer in der politischen Ökonomie.“ (MEW 23, S. 559).

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

tische und methodische Dimension der ganzen Darstellung, die mit dem Begriff des Reichtums als „gegenständlich produzierende“29 Wesensform der modernen Gesellschaft vollendet wird. Die Analyse und Kritik der warenförmigen politischen Ökonomie bietet schon am Anfang eine Korrektur der allgemeinen Erscheinungsformen30 an, also der un­ vollständigen und unmittelbaren Bestimmungen des (in diesem Fall) gesellschaftlichen Reichtums. Die ganze methodische Darstellung der politischen Ökonomie ist auf Grund dessen eine berichtigende, systematische und negative „Einsortierung“. bzw. adäquate Selbstbestimmung des bewusstseinsarmen, erscheinenden Reichtums. Ergo bezeichnet sie unterschiedliche Formen der bürgerlichen Gesellschaftsformation, als Formierung des Reichtums, die gleichzeitig dunkel und unstabil bleiben. Die Eigenheit der Gesellschaft ist dementsprechend deren Komplexion, insofern die ersten „dünneren Abstracta“ des Kapitals – z. B. Ware, Wert, Geld usw. – die Ausgangssituation für eine Addition von Variablen voraussetzen. Anders ausgedrückt, es handelt sich um eine systematische Korrektur der kapitalorientierten Formen bzw. des unwesentlichen und verfallenen Alltagsbewusstseins, wo die Ware als erstes Moment der Reichtumsdarstellung zu charakterisieren ist. Ohne das Hegelsche Erbe zu ignorieren, müssen wir solche darstellungslogische Kategorien aber nicht in einem „hegelianischen“ Metadiskurs interpretieren.31 Wir müssen uns jedoch klar machen, dass die logische Sprache Hegels hier lediglich als operative Abstraktionsweise der methodischen Darstellung der Kapital 29

Pfreundschuh, Wolfram, Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft. a. a. O., S. 49. Was genau Erscheinung bzw. Erscheinungsform bei Marx bedeutet, ist eine Problematik, die wir mindestens erwähnen sollen. Autoren wie Michael Heinrich und Igor Hanzel sind der Meinung, dass „erscheinen“ und „scheinen“ im Kapital als präzise und unterschiedliche Formen gelten. Während „erscheinen“ einen mangelhaften Begriff zeige, bedeutet „scheinen“ lediglich eine „Täuschung“ desselben Begriffs. (Vgl. Heinrich, Michael, Wie das Marxsche Kapital lesen?, a. a. O., S. 51; auch Igor Hanzel in seinem pädagogischen Artikel: „The Circular Course of Our Representation: ‚Schein‘, ‚Grund‘ and ‚Erscheinung‘ in Marx’s Economic Works“, in: Moseley, Fred / Smith, Tony (Hrsg.), Hegel’s Logic and Marx’s Capital: A Reexamination. a. a. O., 2014, S. 214 ff.). Die Erscheinung ist immer ein Phänomen für ein Subjekt. Der Terminus benötigt die notwendige „Veröffentlichung“ des Wesens. Sie ist nicht unmittelbar mit Fälschung gleichzusetzen, sondern mit einem phänomenischen, phantasmagorischen Charakter. Wir müssen ins Auge fassen, dass die Dialektik von Wesen und Erscheinung sich ständig im Kapital reproduziert, in verschiedenen Ausdrucksweisen („zuerst erscheinen“; „ursprünglich erscheinen“; „unmittelbar erscheinen“). Die Formen bzw. Figuren der Erscheinung konkretisieren begrifflich diese Phänomena. Wenn hier von Erscheinung und Erscheinungsformen die Rede ist, setzt dies voraus, dass die Aufgabe auch gleichzeitig eine Wesensformenanalyse angliedert. 31 So z. B. ein Hinweis Ingo Elbes, „Die Anwesenheit eines hegelianischen Metadiskurses im Marxschen und marxistischen Denken führt Althusser zufolge dazu, den Strukturwandel der Dialektik bei ihrer Verwendung im Rahmen der materialistischen Gesellschaftstheorie zu verkennen“ (Marx im Westen. a. a. O., S. 73). Gleichzeitig macht Biagio De Giovanni andererseits die Warnung, die Marxsche Kritik an epistemologischen Ansprüchen Hegels auf eine „anti-hegelianische“ Theorie zu reduzieren (Hegel e il tempo istorico della società borguese. De Donato, Bari, 1970, S. 49 ff.). 30

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

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formen übernommen werden kann, das bedeutet, dass es auf keinen Fall darum geht, eine mögliche Instanziierung der Logik in der Philosophie der Ökonomie zu begründen.32 Die philosophischen Setzungen der Logik Hegels (vor allem die wesenslogischen Momente) werden von Marx stetig verwendet, aber wir dürfen sie nicht mit einer „realphilosophischen“ Lehre der kritischen Ökonomie verwechseln. Die Darstellung des Kapitalwesens wird sprachlich von den Hauptwerken Hegels stark beeinflusst, aber die Prozedur der Sache selbst lässt sich keineswegs durch die Wissenschaft der Logik als Voraussetzung der kritischen Analyse des Kapitals reproduzieren.33 Dass Reichtum als Warensammlung „erscheint“, eröffnet also eine semantische Sphäre um den Begriff zu definieren, ergo eine polysemantische Konstruktion des Reichtums. Das Problem, das Marx aufzeigen will, ist dass, der Reichtum nicht simpliciter zu setzen ist, ohne zuvor seine zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu entfalten. Als „Definition“ ist der Begriff des Reichtums nur zu 32

Christopher Arthur z. B. ist einer der bekanntesten Verteidiger der These, die eine immanente Verbindung zwischen Hegels Logik und Marx’ Kapital strukturell aufzubauen versucht. Arthur verwechselt aber die Möglichkeit einer sprachlich-methodischen Erbschaft mit einer Ersetzung der selbstbezüglichen Denkbewegungen mit den Erscheinungsformen des Wertes (vgl. The New Dialectic and Marx’s Capital. a. a. O., S. 89). Ein „Parallelismus“ zwischen beiden Autoren kann die theoretische Erbschaft Hegels für die Marxsche Auffassung der Methode erläutern, aber keinesfalls substantiiere, Marx nach, die Hegelsche Selbstentfaltung des Denkens eine gewisse Darstellung des Wertwesens. Eine solche Aufgabe wäre eine irrende Vereinfachung des Methodenproblems. So stellt Arthur seine Homologiehypothese dar: „I believe that in some sense the value form and Hegel’s logic are to be identified; we are not simply applying Hegel’s logic to an independent content. It is not that the value form happens to generate structures of a complexity mapped by Hegel in his logical categories; the forms are in effect of such abstract purity as to constitute a real incarnation of the ideas of Hegel’s logic. Marx’s claim that the presentation of the commodity-capitalist system is at the same time a critique of it […] makes sense in our context when we observe that it is precisely the applicability of Hegel’s logic that condemns the object as an inverted reality systematically alienated from its bearers, an object which in its ‚spiritualisation‘ of material interchange and practical activities into the heaven of pure forms virtually incarnates the Hegelian ‚Idea’.“ (a. a. O., S. 82). Die „italienische Schule“ des Marxismus bearbeitet in einer ebenso interessanten Weise die Verbindung zwischen dem „logischen“ Hegel und dem „späten“ Marx: Lucio Colleti (mindestens in seinem Frühdenken), De Giovanni, Umberto Cerroni, Umberto Curi, Roberto Finelli, Roberto Fineschi, Riccardo Bellofiore, Galvano Della Volpe sind einige der Autoren, welche die epistemologischen Hintergründe dieser Verbindung weiter vertieft haben. 33 Diese Warnung wiederholen wir im Verlauf dieses Textes mehrmals. Das Werk Hegels, vor allem seine logischen Traktate, ist zentral für die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie, wenn wir die Umstände und Kontexte der wertförmigen Darstellung präzisieren wollen. In diesem Sinne hat Michael Heinrich Recht, wenn er das Problem wie folgt ausdrückt: „Die erste, erstmalige Kapital-Lektüre durch eine Hegel-lektüre vorzubereiten, ist nicht empfehlenswert. Erst nach einer Kapital-Lektüre kann eine Hegel-Lektüre und die Diskussion der Frage, was Marx von Hegel gelernt hat, sinnvoll sein.“ (Heinrich, Wie das Marxsche Kapital lesen? a. a. O., S. 22). Wir sollten aber auch nicht einfach übersehen, dass die spekulative Methode Hegels im Marxschen Spätwerk kritisiert und teilweise reintegriert wird. Das ganze Werk Marx’ ist auch ein kritisierender „Dialog“ mit anderen Vordenkern, vor allem mit Smith, Ricardo, Stuart Mill und Feuerbach. Wenn wir uns dieser Einflüsse nicht bewusst werden, können wir kaum verstehen, was die politisch-ökonomische Kritik genau kritisiert.

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Kap. 5: Reichtumsform der bürgerlichen Gesellschaft  

verstehen, wenn diese eine entwickelte Sammlung dialektischer Kernphasen einschließt. Wert, spezifisch in diesem Unterabschnitt, Ware und Reichtum fließen in diese Betrachtung als zwei Extreme ein und derselben Problematisierung ein. Die Bildung des Reichtums ist folglich die Selbstentfaltung des Wertes. Die Kritik der politischen Ökonomie zielt wesentlich auf die Selbstbezüglichkeit des Wertes (aufsteigend) bzw. des Reichtums (absteigend). Marx wollte im Kapital (und in den Grundrissen) weder eine Lehre der allgemeinen Produktion noch der allgemeinen Ökonomie entwickeln. Deswegen können wir betonen, dass es im Kapital nicht um eine kontinuierliche (= zeitliche) Prozessualität des Wertes geht, sondern um eine abstrakte Analyse des konkreten Reichtums. Er unternimmt keine „(Ur-)Geschichte des Wertes“ und deswegen finden wir keine Frage danach, was überhaupt die Ursprünge des Produzenten, Evolution der ökonomischen Phasen, Bedürfnisentwicklung, usw. sind. Er bestreitet keine historischen monetären Auffassungen und suggeriert vielmehr ein Fehlen jeglicher Zeitlichkeit in der Ausgangssituation der Wertverhältnisse. Marx schreibt stattdessen eine Lehre über den bürgerlichen Reichtum, insofern er als Oberbegriff des kapitalistischen Produzierens zu verstehen ist. Der Reichtumsbegriff enthüllt den Gesellschaftsbegriff selbst als konkretisiertes Ganzes. Anders ausgedrückt, beide Begriffe fallen in der Entfaltung als Totalität zusammen. Eine bürgerliche Gesellschaft ist eine kapitalorientiere Gesellschaft bzw. eine Gesellschaft, die durch Reichtum in der Form des Kapitals bestimmt wird. Es ist die Kritik einer spezifischen Reichtumsform, keine Kritik des Reichtums als solchem.34 Unsere Beschäftigung mit dem Begriff des Reichtums, der modernen bürgerlichen Gesellschaft, soweit sie auf eine totalisierende Untersuchung hinausläuft, zeigt, dass nach Marx ein innerlicher Zusammenhang beider Begriffe zur Darstellung gehört. Beide Begriffe im ersten Ausdruck des Absatzes (d. i. Reichtum und Gesellschaft) bezeichnen ein gleiches Motto: die Ganzheit aller Erscheinungsformen des Kapitals. Also ist keiner von ihnen definierbar, ohne die ganzen Verhältnisse des Wertbildungsprozesses entwickelt zu haben. „Reichtum der Gesellschaften“ instanziiert demzufolge das Resultat des Systems. Dieser ist nicht einfach der Ausgangspunkt der Kritik der politischen Ökonomie, sondern mehr der (noch) inhaltslose Begriff der Darstellung bürgerlicher Ökonomie. Marx figuriert den Begriff „Reichtum“ und den Begriff „Gesellschaft“ methodisch bereits ausführlicher als das, was die klassische Ökonomie bzw. Philosophie davon dargestellt hatte, indem diese die beide Begriffe nicht als Definitionen versteht.35 Er 34 Marx zufolge, produzieren alle Gesellschaften Reichtum, auch die von ihm vorgeschlagene Form des Sozialismus. 35 Dahingehend sind wir einverstanden, wenn Dieter Wolf kategorisch ausdrückt, dass dadurch, dass „die klassische Ökonomie, so Marx, […] mit ihren Abstraktionen nicht weit genug gegangen [sei], habe sie nicht konsequent zu Ende geführt, und sei dadurch nicht zu den einfachsten und abstraktesten Elementen der ökonomisch gesellschaftlichen Verhältnisse vorgedrungen.“ („Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters., a. a. O., S. 37).

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

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will die Erscheinungsformen (u. a. des Reichtums als Warensammlung) und ihre entsprechende Erscheinungsformation der bürgerlich politischen Ökonomie im Laufe der Kritik aufheben. Weder ist der Reichtumsbegriff allein eine Summe von Produkten, noch ist der Gesellschaftsbegriff als solcher eine Addition von Menschen. Es handelt sich in der Tat nicht einfach darum, die ausmachenden Konkretheiten des Kapitals (Produkte und ihre Produzenten als solche) zu bestimmen, sondern darum die Verhältnisse, welche diese Konkretheiten ausmachen (also, die unterschiedlichen verketteten Momente der Wertformentwicklung), in ihrem ge­ sellschaftlich-notwendigen Charakter zu erörtern: „Die Entwicklung der Produktivkräfte [= Reichtum] der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform.“36

Und Marx akzentuiert weiter: „Der wirkliche Reichtum der [kapitalistischen] Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt […] nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.“37

Die Präzisierung dieser Begriffe ist mit ihrer Entfaltung gleichzusetzen, die den Warenwert als realen Ausgangspunkt der kritischen Darstellung versteht. Der Reichtum ist aber kein einfach abstraktes Konzept der „ökonomischen“ Vorstellungskraft. Er ist vielmehr erstens die reale Arbeit in ihrer schon verwandelten Form und zweitens das gesamte Existierende der abstrakten menschlichen Arbeit überhaupt, die erste synthetisch objektive Lage des bürgerlichen Verfahrens.38 Deswegen ist die Marxsche Abstraktionsstufung hier als „erste“ Aufgabe der Analyse zu bestimmen. Die im Kapital entfaltete Systemstruktur des kapitalistischen Gesamtproduktionsprozesses illustriert cum grano salis eine doppelsinnige Kritik am Kapitalismus: Einerseits in der Darstellung als Bestätigung des existierenden Erscheinens des Kapitals (= gesamte Daseinsformen des Reichtums), andererseits als dessen Kritik, d. h. als skeptische Analyse des Werts in einer der vorgeschlagenen Korrekturen. Sämtliche Darstellungsebenen des Kapital problematisieren also eine geschichtlich39-notwendige Entfaltung des (negativen) Reichtumsbegriffs, die 36

MEW 25, S. 269. Anmerkung von P. P. Ebd., S. 828, Herv. von P. P. 38 Die Marxsche Objektivität, so ist zu betonen, erscheint als Objektivierung intersubjektiver Relationen. Es handelt sich nach Marx’ Worten nicht um eine „Naturalisierung“ gegenständlicher Wechselwirkungen, Bestimmungen, Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten. 39 „Geschichtlich“ bzw. „historisch“ sind hier nicht einfach mit zeitlich, temporal gleichzusetzen. Etwas ist geschichtlich, weil die konkreten Momente in der Geschichte logisch anzutreffen sind. Die Darstellung selbst ist jedoch prätemporal und logisch-systematisch. Geschichte wird in der Logik integriert und charakterisiert sich als Wesen des logischen Verfahrens selbst. Es handelt sich aber nicht um eine Historisierung im Sinne eines Racconti der ökonomischen Fakten, sondern Geschichtlich bezeichnet einen prozessualen Sozialcharakter, wo nur eine mögliche „logische“ Zeit ökonomischer Operationen stattfindet. Methodologisch 37

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hierdurch eine „eigentümliche Logik“40 in der Form einer kritischen Lehre verkörpert.41 Der dialektischen Darstellung ist die Eigentümlichkeit der Logik als eine konkrete Abstraktionsweise zuzuordnen, worin die Gegenstände der Analyse einem sachlichen Bezug begegnen. Die Marxsche Reichtumskritik weist dahingehend auf eine Erforschung der konkretisierenden Entwicklung des Wertes hin. Eine solche Konkretisierung der Dialektik ist, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, die Ansammlung von menschlichen Verbindungen. Reichtum als Warensammlung ist also die sachliche Ebene von Gebrauchswerten und deswegen seine abstrakteste Seite, seine unmittelbare Erscheinungsform. „Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des – Tauschwerts.“42

Bürgerlicher Reichtum formiert sich durch die Ware, aber der Wert ist Primat derselben Ware. Diese Reichtumsform muss dementsprechend unbedingt über einen Produktionsprozess vermittelt werden, um gebildet zu werden. Die isolierte Ware ist aber nicht genügend, um den ganzen Reichtum im Allgemeinen aufzufassen. Im Gegenteil zu Smith und Ricardo versteht Marx die nicht-getauschte und im-Konsum-realisierte Privatarbeit auch als Inhalt des Reichtums.43 Der ganze Gebrauchswert macht „den stofflichen Inhalt des Reichtums“ aus. Er betont die Nützlichkeit einer Sache. Solange ein Gegenstand nutzbar ist, trägt er einen Gebrauchswert. Solange ein Gegenstand austauschbar ist, ist er Warenwert. Diese wird die politische Ökonomie eingeordnet. Vgl. Backhaus, Hans-Georg, Dialektik der Wert­ form. a. a. O., S. 296. 40 MEGA II/5, S. 12; MEW 23, S. 12. 41 „Aufgrund des historisch spezifischen Charakters der Strukturen, die von den Menschen in einer ihnen unbewussten und bewussten Weise geschaffen werden, ist diese Darstellung zugleich die Kritik an den Strukturen und dem durch sie bedingten Handeln der Menschen an dem, was diese von ihnen geschaffenen Strukturen wissen. Die den Gegenstand erklärende Darstellung ist zugleich eine Kritik an ihm und die Art und Weise, in der er im Alltagsbewusstsein und dem wissenschaftlichen Bewusstsein gedanklich wiedergegeben wird. Um diese Einheit von Darstellung und Kritik zu bewahren, setzt Marx alles daran zu vermeiden, an die kapitalistische Gesellschaft einen äußerlichen der historischen Vergangenheit oder der historischen Zukunft entlehnen Maßstab anzulegen.“ („Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters.“, a. a. O., S. 37). 42 MEW 23, S. 50. 43 „Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion.“ (Ebd., S. 50) Robert Kurz erklärt die Marxsche Abstraktion der Gesellschaftlichkeit der Privatarbeit so: „Die Warenproduzenten produzieren gegenseitig füreinander, also gesellschaftlich, aber sie produzieren nicht miteinander, sondern privat. Jeder Produzent arbeitet ‚für sich‘ in einem rein technischen Sinne, jedoch gleichzeitig nicht ‚für sich‘ im Sinne des herzustellenden Gebrauchswerts. Daß er technisch für sich (privat) arbeitet, jedoch sozial-ökonomisch für andere (gesellschaftlich), schlägt sich für ihn als – Abstraktionsprozeß seiner eigenen Arbeit nieder, der sich auf das Produkt überträgt.“ (Kurz, Robert, „Abstrakte Arbeit und Sozialismus. Zur Marx’schen Werttheorie und ihrer Geschichte“, in: Marxistische Kritik Nr. 4, Dez. 1987, S. 99 f.).

5.2 Zur Darstellung des Wertes  

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Auffassung Marx’ visualisiert die Welt der Waren (= Gegenstände + ihre Verbindungen) als Totalität und absolute Bestimmung der politischen Ökonomie. Ohne dabei zu vergessen, dass die politische Ökonomie nur die kapitalorientierte Gesellschaftsform darlegen will. In diesem Sinne können wir „Reichtum der Gesellschaften“ re-interpretieren als Ganzheit der gesellschaftsförmigen Warenwelt, als synthetischer Ausdruck der ganzen Wertbildung. Ausdruck, der direkt dem Wertbegriff entgegengesetzt ist. Während der eine Begriff (Reichtum) das Komplexeste der entfalteten Kapitalbildung zusammenfasst, positioniert sich der andere (die Ware) als der abstrakteste, allgemeine und „enthistorisierte“ Kern. Reichtum ist der gesetzte entfaltete Wert. Diese These ist es, die Marx veranlasst zu sagen, dass die Gesellschaftlichkeit des Reichtums ein semantischer Bestand des Subjektcharakters ist. Reichtum der Gesellschaft ist die stoffliche Enthüllung der menschlichen Arbeit. Er repräsentiert die Totalität des subjektivierten Objekts. Reichtum ist im Grunde genommen die entfaltete Form der verkörperten Arbeit und, aus dieser Perspektive betrachtet, auch Macht über die Arbeit. Ein wichtiger Punkt in dieser Konzeption lässt sich so ausdrücken: mit diesem Subjektcharakter der Gesellschaft behauptet Marx die konstituierende Herrschaftsform der Kapitalbildung als konkrete Form des Reichtums. „Nun ist der Reichtum einerseits Sache, verwirklicht in Sachen, materiellen Produkten, denen der Mensch als Subjekt gegenübersteht; andererseits als Wert ist er bloßes Kommando über fremde Arbeit.“44

Marx konstatiert, dass die Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse kraft der Wertschaffung produktiver Arbeiter über den Verwertungsprozess in einer steigenden Tendenz des Mehrwerts herrscht. Reichtum produziert Herrschaft; Herrschaft reproduziert Reichtum. Die gesellschaftliche Anerkennung der Herrschaft des Einen über die Arbeit der Anderen ist conditio sine qua non für die Selbstreproduktion des Reichtums. Die kapitalistische Herrschaft ist somit die abstrakte Form der Einheit des bürgerlichen Reichtums und das besondere Wesen des bürgerlichen Gesellschafts-Charakters. Dass das Gesellschaftliche das Ganze des Organismus ausmacht, ermöglicht, die ganze werttheoretische Entwicklung als Entwicklung der kapitalistischen Herrschaft immer als ein gesellschaftliches Verhältnis darzustellen.

44

Grund., S. 387.

Zusammenfassung und Ausklang Es ist eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten Aufgaben der Marx-­Interpretation, das Verhältnis beider Darstellungsweisen [Hegels und Marx’] der systematischen und der historischen weiter aufzuklären. H. Fulda (Dialektik als Darstellungsmethode im Kapital von Marx, S. 203)

Die Ausgangssituation der systematischen Darstellung schlägt vor, dass die Produktion und Reproduktion des Wertes aus seiner einfachsten Form gedank­ lich entstehen muss, um eine korrekte Entwicklung und Analyse der Sache selbst zu vollziehen. Der Wert ist folglich als die einfachste Abstraktionsstufe bzw. das (stabilste) anfängliche und grundlegende Moment zu verstehen, mit der die ganze Kategorienkritik des Kapitalswesens beginnt. Die Marxsche Argumentation plausibilisiert in diesem Sinne die gleichzeitige Denaturalisierung der kapitalistischen Warenformen und der theoretisch armen „Weltanschauungen“ der Ökonomen.1 Marx zufolge, ist Kritik eine Defetischisierung gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse. Die Schemata des Wertsseins sind also dialektisch abzutragen und dafür sind ihre Momente adäquat darzustellen. Eine korrekte Darstellung der bürgerlichen Ökonomie ist die notwendige Voraussetzung für ihre korrigierende Kritik. Die Darstellungsweise prägt somit die Erklärung jener Begriffe, die ihre Ausgangspunkte und Endpunkte bilden. Die erste Aufgabe der Kritik der politischen Ökonomie ist die Denaturalisierung ihrer ökonomischen „Geschichtlichkeit“. Das ist, eine Kritik an der ricardianischen Darstellung der Ökonomie als Urentwicklung aus einem waghalsigen Austausch zwischen zwei Einzelproduzenten. In der vorliegenden Untersuchung reproduzieren wir die Rekonstruktion der Marxschen Darstellungsweise als ein notwendiges Erfordernis der Kritik. Wir betonen, dass Marx in seinem Spätwerk keine positive Wiederherstellung der kapitalistischen Formen sucht, sondern ganz 1

Marxistische Weltaschauungstheoretiker haben am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts leider den wissenschaftlichen Kern der Kritik der kritischen Ökonomie oft (die kritische Entwicklung der Erscheinungsformen der politischen Ökonomie) beiseite gelassen und missinterpretiert. Die Marxsche Theoriebildung auf weltanschaulichen Positionen zu reduzieren, verliert den wissenschaftlichen Charakter der Realabstraktionen. So betonnt Michael Heinrich, „Im traditionellen Marxismus werden Dialektik und Materialismus vorwiegend ontologisch verstanden (sie drücken allgemeine Eigenschaften allen Seins aus) und liefern damit weltanschauliche Gewissheiten“ („Weltanschauung oder Strategie? Über Dialektik, Materialismus und Kritik in der Kritik der politischen Ökonomie“, in: Demirovic, Alex (Hrsg.), Kritik und Materialität. Westfälisches Dampfboot, Münster, 2008, S. 65).

Zusammenfassung und Ausklang

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im Gegenteil ist das, was er beabsichtigt, eine vollkommen negative Darstellungsweise der Entwicklung der Kapitalformen, welche am Ende in eine bestimmte Form des Reichtums mündet. Die Forderung, die Marxsche Auffassung des Kapitals als eine kritische Darstellung zu verstehen, ist eine relativ neue Interpretation in der heutigen MarxDebatte. Woher kommt und worin besteht die methodische Grundlegung der kritischen Darstellung im Marxschen Denken? Diese Frage zielt auf den Kern des Marxschen Methodenbegriffs. Die Einheit von Dialektik und Darstellung des Kapitals macht der herrschenden Meinung nach die Kernproblematisierung der Gesellschaftsformation aus, aber die Analyse der Einheit von Kritik und Darstellung bietet neue Deutungen für die strukturelle Analyse der politischen Ökonomie. Es ist weithin bekannt, dass die Generalstruktur des Kapitals als Produkt der Realabstraktion einen bestimmten Ausgangspunkt der analysierten Gesellschaftsentwicklung setzt: den Wert. Marx sieht die einfache Warenzirkulation als einfachste gesellschaftliche Form aller menschlichen Verhältnisse in der politischen Ökonomie. Der Fortgang der Darstellung begründet sich mit dem Wert als der ersten gesellschaftlichen Form des Kapitalismus. Dieser gesellschaftliche Charakter des Wertes bedeutet, dass der Wert die erste (= abstrakteste) Form der Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft ist. Die Tragweite der Hegelschen Philosophie für die Marxsche Forschungs- und Darstellungsweise in der Kritik der politischen Ökonomie repräsentiert einige der wichtigsten analogischen Spuren, um die Genese dieser Diskussion über die methodischen Rekonstruktion des Marxschen Gesellschaftsbegriffes zu verstehen. Aber es wäre irreführend, das Leninsche Verständnis der Hegelschen Logik einfach als Voraussetzung für die Marxschen Bewegungsstruktur zu interpretieren. Die methodologische Auseinandersetzung mit Marx und Hegel beschäftigt uns vor allem in den ersten vier Kapiteln und setzt die Diskussionselemente, um die kritische Darstellung als schrittweise gesellschaftliche Kategorienproduktion zu verstehen. Beide philosophischen Kriterien bilden eine Kritik am Formalismus, einerseits die Hegelsche Logik als Kritik der klassischen Metaphysik, andererseits die Marxsche Kapitaldarstellung als Kritik des klassischen Dogmatismus der Ökonomie. Dieter Wolf erklärt diese Bemühungen so: „Wie Marx’ Forschungs- und Darstellungsbemühungen zeigen, ist Hegels Philosophie von ausschlaggebender Bedeutung für die Entstehung der ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ und für die in ihr dargestellten Bewegungsformen des Kapitals, von denen Marx sagt, Hegel habe sie in allgemeiner Form bereits entwickelt.“2

Die Konfrontation der frühphilosophischen Auffassungen Marx’ mit seinen hegelianischen Einflüssen im ersten Kapitel zeigt einen Weg auf, um die Evolution seines Gedankens organisch zu verstehen. Die Thematisierung der Herr-Knecht 2 Wolf, Dieter, „Zur Methode in Marx’ Kapital unter besonderer Berücksichtigung ihres logisch-systematischen Charakters“, a. a. O., S. 15. Herv. von P. P.

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Zusammenfassung und Ausklang

Dialektik in der Phänomenologie des Geistes fungiert als Kriterium der Marxschen darstellungsorientierten Positionierung der Herrschaft und Knechtschaft als methodologische Begriffe der Kritik der politischen Ökonomie. Wir sehen im Verlauf der vorliegenden Untersuchung unterschiedliche Aspekte der Wichtigkeit des Herrschaftsbegriffes für die Auffassung der aufeinander bezogenen Termini „Wert“ und „Gesellschaft“. Die Entstehung dieser Begriffe erlaubt, die Marxsche Frühauffassung einer Entfremdung des Menschen durch Arbeit als notwendiges Ergebnis der Produktionsverhältnisse aufzufassen. Im zweiten Kapitel ziehen wir Vergleiche zwischen den Herrschaftskonzeptionen beider Philosophen und beziehen uns kritisch auf die einflussreiche Ansicht von Kojève, wonach er das phänomenologische Denken Hegels auf die Dialektik des Herren und des Knechts zentriert und reduziert hat. Die Anerkennungstheorie Hegels lässt sich nicht allein auf eine „emanzipatorische“ Herrschaftstheorie im Marxschen Sinne beschränken. In dieser Untersuchung geht es aber nicht darum zu entscheiden, ob die Marxsche Kritik an dem Hegelschen Werken zutreffend ist. Unsere Betonung liegt darauf, Marx’ epistemologische Ansprüche nicht einfach als hegelianisch zu reduzieren. Ebenso wenig versucht die Darstellung der Marxschen und Engelsschen Frühkritik am Kapitalismus durch eine Ausbuchstabierung Hegels in die kritische Ökonomie zu übersetzen, sondern die systematische Einheit von Wert und Gesellschaft in der kapitalistischen Produktion zu rekonstruieren. In diesem Kontext sind die Frühbegriffe von Herrschaft und Entfremdung notwendig, um die Genese der späteren Gesellschaftsformation zu verstehen. Im dritten Kapitel dieser Arbeit präsentieren wir Marx’ ausgereifte Konzeption des Prozesses der kapitalistischen Vergesellschaftung. Wir platzieren in erster Linie den Begriff der Gesellschaft in der Reihe der Produktionsverhältnisse. Seit der Zeit der „jungen“ Kreuznacher Schiften transformierte Marx sein eigenes Verständnis der Gesellschaft als konkreteste Form einer Kategorienentwicklung. Wir können in diesem Sinne den Gesellschaftsbegriff rekonstruktiv verstehen, also als steigende komplexe „Summe“ von menschlichen Verhältnissen. Diese Rekonstruktion kann nur kritisch gesetzt werden. Eine pauschale Definition der Gesellschaft ist, Marx nach, keine wissenschaftliche Darstellung.3 Die einzige Möglichkeit einer solchen Darstellung, ist in Bezug darauf, was unter menschlichem Verhältnis verstanden wird. Marx äußert klar: „eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind.“4 Die Produktionsverhältnisse sind die, welche eine bestimmte Gesellschaft ausmachen. Nicht umgekehrt. Deswegen wird die Geschichte auch nur als methodische prozessierende Wechselwirkung dieser Verhältnisse verstanden. Geschichte und Gesellschaft sind beide immer und ausschließlich politisch-ökonomische Begriffe.5 Marx versteht 3

DN, MEW 20, S. 578. KpÖ, MEW 13, S. 8 f. 5 „Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. […] Es 4

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seinen historischen Materialismus als Auffassung der Geschichte, als gesellschaft­ liche Entfaltung und Bewegung der menschlichen Verhältnisse, welche insgesamt einen Vergesellschaftungsprozess bilden. Auf diese Weise wird die moderne bzw. bürgerliche Geschichte eine Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Der darstellungsimmanente Gesellschaftsbegriff ist folgendermaßen nur epochal darstellbar. Infolgedessen ist die Gesellschaft im Allgemeinen nur ein leerer Ausdruck. Die Epochen der Gesellschaften sind die Entwicklung ihrer entsprechenden produktiven Verhältnisse; erst wenn wir diese Entwicklung als systematische „Summe“6 verstehen, können wir Gesellschaft in ihrer umfassenden Totalität begreifen. Jede Gesellschaft funktioniert als ein totaler und ganzer Organismus. Die kapitalistische Gesellschaft ist deshalb die organische Totalität aller menschlichen Verhältnisse unter einer Herrschaft des Kapitals. Eine Gesellschaft ist dazu auch die Totalität, die in einer bestimmten Herrschaftsform sich reproduziert. Die bürgerliche Gesellschaft ist so die Gesellschaft, die von der Kapitalform beherrscht wird. Auf dieser Höhe der Darstellung der modernen bzw. kapitalbeherrschten Gesellschaft erscheint die Kategorie „Klasse“ als direktes Resultat der Abstraktion der Produktionsweise, weil Klasse eine Voraussetzung für die Entwicklung der Produktion ist.7 Kapitalistische Gesellschaft ist grundlegend eine Klassengesellschaft. Die (geschichtliche)  Entstehung der modernen Klassen geht mit der Entstehung der Vorherrschaft der akkumulierenden Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise einher, den ganzen Reichtum auf den Besitz der Produktionsmittel zu reduzieren. Kapitalistische Gesellschaft drückt sich also in Klassengesellschaft aus, womit die Klassen Ergebnis einer bestimmten Arbeitsteilung sind, also Ergebnis eines bestimmten Produktionsorganismus, in der das Kapital als Hauptform eben jener Gesellschaft erscheint. ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten (d. h. von Dingen und Ereignissen, deren innerer Zusammenhang untereinander so entfernt oder so unnachweisbar ist, dass wir ihn als nicht vorhanden betrachten, vernachlässigen können) als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt.“ (Engels, Brief an Bloch. 21. August 1890, MEW 37, S. 463). 6 Wie im Corpus dieser Untersuchung gesagt, ist diese Summe keine bloße Addierung von menschlichen Verhältnissen, sondern eine selbstbewegende, verkettete Rekonstruktion der Realabstraktionen. Gesellschaft vollendet die Entwicklung der abstraktesten Momente bis zu den konkretesten. 7 „Die heutige kapitalistische Produktionsweise hat zur Voraussetzung das Dasein zweier Gesellschaftsklassen“ (Engels, Friedrich, Karl Marx, MEW 19, S. 105). Die Klassengesellschaft ist nicht nur Voraussetzung der Produktion, sondern auch ihr Ergebnis. Die Reproduktion der Klassen besteht in der Verwertung des Wertes in der Form von ständiger Produktion des Kapitals. Kapital, das sich durch die produktive Konsumtion der Arbeitskraft durch die Besitzer der Produktionsmittel weiter reproduziert. Diese gesellschaftliche Reproduktion des verwerteten Wertes bzw. des Kapitals ist die Selbstreproduktion ihrer Herrschaftsform (Klassen). So Marx: „Der kapitalistische Produktionsprozess reproduziert also durch seinen eigenen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Ausbeutungsbedingungen des Arbeiters.“ (MEW 23, S. 603).

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Der Marxsche Gesellschaftsbegriff ist eine umfassende dynamische Summe aller abstrakten Verbindungen zwischen Menschen. Diese immanente Darstellung der gesellschaftlichen Totalität der menschlichen Verbindungen kann als eine Vergesellschaftung der Kapitalformen verstanden werden, aber nicht als zeitliche Entfaltung, sondern als methodologische.8 Die kapitalistische Vergesellschaftung führt zu einer Komplexion dieser geschichtlichen zwischenmenschlichen Beziehungen im Kapitalismus, aber nicht chronologisch, sondern als Selbstbewegung des Kapitals.9 In diesem Sinne stimmen wir weitgehend mit Adornos gesellschaftstheoretischen Verständnis der Produktionsverhältnisse als totalisierendem System überein.10 Wenn wir damit betonen, dass die Gesellschaftsformation auf Grund der Summe menschlicher Verhältnisse sich entfaltet, beziehen wir uns auf die (kritische) Entwicklung der politischen Ökonomie als soziales Phänomen des menschlichen Aktes.11 Die bürgerliche Gesellschaft besitzt einen hergestellten menschlichen Charakter, weil deren Individuen spezifische Charaktermaske tragen. Die Menschen spielen dementsprechend bestimmte Funktionen bzw. Rollen, welche durch den Prozess der bürgerlichen Vergesellschaftung festgelegt werden. Die Charaktermaske bzw. die Person erfüllen durch den Produktionsprozess eine bestimmte Rolle, eine bedingte Verhaltensweise. Die Person ist mit dem Individuum zu identifizieren, aber nur wenn wir dieses Individuum als gesellschaftliches Individuum verstehen, ergo als Ergebnis der dialektischen Gesellschaftsstruktur. Die Person ist die Erscheinung der Ware in Form einer Repräsentation. In der ganzen kritischen Darstellung des Marxschen Spätwerkes ist keine allgemeine Menschentheorie zu finden, sondern lediglich der Mensch im Kapitalismus, der vom Kapital beherrschte Mensch12 in einem fetischisierten Funktionszusammen 8 Die Entwicklung der Erscheinungsformen zeigt keine temporale, historiographische Darstellung. Die Rekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft zeigt die eigentümliche Logik dieser Erscheinungsformen als eine Selbstdarstellung des Kapitals. 9 Die begriffliche progressive Selbstentwicklung der Gesellschaftsformation hat nichts zu tun mit einer empirischen chronologischen Erklärung. Die zeitliche Erscheinung der Momente des Kapitals ist völlig unwichtig für die kritische Darstellung. Z. B. die Tatsache, dass das kaufmännische Kapital (im siebzehnten Kapitel, DK III) historisch vor dem industriellen (ab dreizehnten Kapitel, DK I) erscheint, ist keine „Priorität“ in der methodischen Abstraktionsweise. (Beispiel in: Reutens, Geert, „An Outline of the Systematic-Dialectical Method“, a. a. O., S. 249 f.). 10 „Mit Gesellschaft im prägnanten Sinn meint man eine Art Gefüge zwischen Menschen, in dem alles und alle von allen abhängen: in dem das Ganze sich erhält nur durch die Einheit der von sämtlichen Mitgliedern erfüllten Funktionen und in dem jedem Einzelnen grundsätzlich eine solche Funktion zufällt, während zugleich jeder Einzelne durch seine Zugehörigkeit zu dem totalen Gefüge in weitem Maße bestimmt wird“ (Adorno, Theodor W. / Horkheimer, Max, Soziologische Exkurse. EVA – Institut für Sozialforschung, Frankfurt a. M., 1974, S. 22 f.). 11 Vgl. Petersen, Thomas / Faber, Malte, Karl Marx und die Philosophie der Wirtschaft. Karl Alber, Freiburg / München, 2013, S. 71 f. 12 Nirgendwo geht es in der Analyse darum, anthropologisch zu identifizieren, was der Mensch ist, sondern um seine Bestimmung im Kontext einer Herrschaft des Kapitals über das Bewusstsein.

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hang. Das Menschliche an den gesellschaftlichen Verhältnissen bezieht sich auf die Anatomie der Gesellschaft als Produkt des menschlichen Verkehrs. Einen menschlichen Charakter zu besitzen, besteht darin, notwendigerweise Produkt der menschlichen Arbeit zu sein. Das Menschliche erscheint so immanent als das Entgegengesetzte zur Natur, als Veränderung des Naturwüchsigen. Die Person als Repräsentation von Waren spielt die dramatisierte Rolle eines Wertträgers. Der theatralische Begriff von Person remarkiert sowohl den Sachencharakter der zwischenmenschlichen Beziehung als auch den subjektiven Charakter der Warenbeziehungen. Dieser Charakter enthält die doppelte Funktion des Fetischismus, einerseits, die Ware zu personalisieren und damit zu entsachlichen. Andererseits wird das Individuum dadurch versachlicht und auf eine Repräsentation reduziert. Es ist im ersten Kapitels des Kapital, im Unterabschnitt über den Fetischcharakter der Ware, wo sich der Übergang von den abstraktesten Erscheinungsformen des kapitalistischen Reichtums zur Abstraktion der Handlungsbestimmungen (im zweiten Kapitel des Kapital) vollzieht. Die reinen Beziehungen zwischen Gegenständen (Produkten) komplexifiziert sich, wenn die immanente Relation der Waren als eine zwischenmenschliche Beziehung verstanden wird. Die Ware enthüllt damit einen mystischen Charakter, erscheint als ob sie Wert als ihre reale Eigenschaft besitzt.13 Der Personenbegriff impliziert dabei die Übernahme einer Rolle: die Warenrepräsentation. Diese Charakterisierung erscheint auch in einer mystischen Weise. Die Rolle des Menschen ist auf dieser Abstraktionsstufe getrennt von anderen Qualitäten außer jener, die Ware vorzustellen. Die Waren erzeugen einen Personencharakter. Die Ware erscheint dadurch in ihre Sachlichkeit, ihren Gebrauchswert überzugehen und erscheint in der Tauschrelation als eine personalisierte übersinnliche Form. Ihre Personifikation ist ihre Entsachlichung. Die Darstellung des Kapital zeigt hier eine zweite Seite des gleichen Prozesses. Die Gesellschaftsformation bzw. Vergesellschaftung ist auch Menschenformation als Träger einer Ware. In der Tauschrelation erscheint der Mensch als eine externe, tragende Beziehung der Ware. Er charakterisiert nichts anderes als eine spezifische Ware, um den Austausch zu ermöglichen. So erscheint der Mensch als eine entmenschlichte Beziehung mit der einzigen Eigenschaft des Besitzens. Während der „Theatralisierung“ des Menschen als Person verliert der Mensch seinen Sub­ jektscharakter und nimmt den gesellschaftlichen Personencharakter an. Es besteht darin die erste Rechtsform des Kapital: Das Eigentum. Die Individualität des Eigentümers ist für die Darstellung unwichtig. Der Mensch existiert hier nur als „Bevollmächtigter“ der Waren. Der Mensch ist Person, nur insofern er von einer anderen Person anerkannt wird. Wie im dritten Kapitel unserer Untersuchung betont, ist die Anerkennung der Person im Grunde genommen die Anerkennung ihrer Herrschaft über die Ware. Der Besitzer wird Besitzer auf Grund der Anerkennung eines anderen Besitzers und beide erkennen sich gegenseitig als Warenträger an.

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MEW 23, S. 598.

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Diese Herrschaft über die Ware ist die Zellenform der Herrschaft des Kapitals über den Menschen. Die Reproduktion dieser Herrschaft formt das Wesen der ganzen Gesellschaft: ihre Reichtumsform. Das Wesen der Vergesellschaftung als Totalität von menschlichen Verbindungen ist die Reichtumsform. Die Reproduktion dieser Reichtumsform bestimmt die Art und Weise der Bereicherung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Intention des Marxschen Spätwerks gilt der methodischen Entwicklung zur Darstellung dieser Reichtumsform. Die Darstellung dieser Vergesellschaftung ist aber nur als kritische möglich. Die Kritik der reproduktiven Herrschaft des Kapitals ist der Zen­ tralpunkt der Entwicklung der unterschiedlichen Erscheinungsformen, die die bürgerliche Gesellschaft ausmachen. So ist unser viertes Kapitel eine Untersuchung über die Einheit von Kritik und Darstellung. Um diese Einheit zu erläutern, ist die Erklärung dessen, was die Begriffe Kritik und Darstellung bezeichnen, nötig. Unsere Diagnose zeigt, dass die kritische Darstellung der Wertformen auch eine kritische Übernahme der kritischen Darstellung der Metaphysik reproduziert.14 Marx’ Rezeption der Hegelschen Kritik des metaphysischen Dogmatismus fungiert als „Modell“ für seine eigene Darstellung des Wertes. Hegels kritische Darstellung des selbstdenkenden Denkens ist aber durchaus eine Säule für den Aufbau der dialektischen Methode Marx’ als Begründung seines metatheoretischen Systems. Die Wiederherstellung der Einheit von Kritik und Darstellung als verkettete Kategorienordnung des eigentümlichen Gegenstandes ist ein Dialog mit den epistemologischen Ansprüchen Hegels, vor allem mit seiner großen Logik. Wie mehrmals in dieser Untersuchung betont, begründet sich die Analyse dieses theoretischen Zusammenhangs zwischen beiden Philosophen nicht durch eine parallelisierende Auseinandersetzung, wie es etwa eine orthodoxe „hegelmarxistische“ Interpretation vorschlägt. Die Realabstraktionen der Marxschen Darstellung versuchen eine eigentümliche Logik zu erörtern, die die Erscheinungsformen als Produkt des menschlichen Verhältnisses versteht. Um die „Realität“ bzw. „Eigentümlichkeit“ dieser realen Abstraktionen aufzufassen, muss man nicht nur die Darstellung als kritische Aufgabe verstehen, sondern auch die Weise dieser Darstellung als gesellschaftliche Reproduktionsprozess ihrer Kategorien. Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft ist die Kritik an ihren Formen, welche für die Nationalökonomen als naturwüch 14 Obwohl wir mit der hegelianisierenden Deutung Frieder Otto Wolfs grundsätzlich differieren, thematisiert er wiederum interessante Ansichten zu den Grenzen dieser dialektischen Darstellung bei Marx: „Die Art und Weise, wie in diesen ‚Grenzen der dialektischen Darstellung‘ der von Marx in seiner theoretischen Rekonstruktion der kapitalistischen Verhältnisse der zugrunde liegende Prozess einer ‚dialektischen Vermittlung‘ von Widersprüchen präsent und markiert bleibt, so dass sie nicht aus der Darstellung verschwinden können, unterscheidet Marx’ Auffassung der ‚dialektischen Methode‘ eindeutig von derjenigen Hegels, in der alle Mittelbegriffe immer wieder auch im Prozess der Vermittlung verschwinden können“ („Marx’ Konzept der ‚Grenzen der dialektischen Darstellung‘“, in: Hoff, Jan et al. (Hrsg.), Das Kapital neu lesen. a. a. O., S. 177 f.).

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sig gegebene erscheinen. So ist die Aufgabe des Kapital und anderen Spätwerken die Darstellung der Anatomie der bürgerlichen Erscheinungsformen in einer verketteten, systematischen Weise. Diese Systematizität differenziert sich von der Hegelschen Begriffsentwicklung dadurch, dass die Argumentationsstruktur die Eigentümlichkeit des Gegenstandes erfordert. Die dialektisch kritische Darstellung der Gesellschaft zeigt die begriffliche Reproduktion einer Ordnungsweise der Erscheinungsformen als mystifizierte Formen des kapitalistischen Reichtums.15 (Kapitalistischer) Reichtum ist somit Objekt der ganzen Untersuchung. Das methodische Erfordernis, diesen Reichtum darzustellen, besteht in der kritischen Entwicklung ihrer „mystischen“ Erscheinungsformen von den abstrakten Formen zu den konkreten. Für die Analyse der politischen Ökonomie ist der Wert die abstrakteste Form aller Erscheinungen, insofern er die einzige Form ist, welche subjektlos und beziehungslos erscheinen kann. Er ist die dünnste Vorstellung der ganzen Wirtschaft und gleichzeitig die Zellenform der Gesamtheit des kapitalistischen Reichtums. Der Wert als Beziehung materieller Arbeitsform ist der ökonomische Maßstab aller menschlichen Verhältnisse. Er, als abstrakteste, nicht-reduzierbare Erscheinungsform, bildet den wirklichen „Ausgangspunkt des Kapitals“,16 wo die bürgerliche Gesellschaft als das konkreteste Ganze erscheinen muss. Der Wert ist die grundlegende Kategorie der Darstellung der politischen Ökonomie, welche den Entstehungsprozess des Konkreten selbst bildet.17 Der Wert kann nicht anders als abstrakt existieren. In diesem Sinne erscheint dagegen die Form Reichtum als das andere Extrem der methodischen Darstellungsweise. Marx zufolge wird jede Gesellschaftsform durch ihre spezifische Reichtumsform strukturiert. Der kapitalistische Reichtum, Thema unseres letzten Kapitels, ist das produzierende Wesen der bürgerlichen Gesellschaft und identifiziert sich mit der ganzen Entwicklung der Erscheinungsformen. Der Reichtum ist hiermit „Grundlage aller gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Fortentwicklung“18. Die Marxsche Auffassung des Reichtums bestätigt die Gesellschaftlichkeit der ganzen menschlichen Verbindungen, d. i. ihre Geschichtlichkeit. Die Geschichte jeder Gesellschaft beruht auf einer Sinngebung ihrer Bereicherung. Die Epoche der Modernität ist Marx zufolge nur definierbar durch die Entwicklung ihrer spezifischen Reichtumsform, also durch die begriffliche Entwicklung ihrer Produktionsmittel. In der Bereicherung definiert sich die bürgerliche Gesellschaft. Das Kapital stellt die Epoche der bürgerlichen Gesellschaft als Entwicklung ihrer Produktionsmittel dar. Die (kritische) Darstellung der modernen Gesellschaft ist dabei nur in der Form einer begrifflichen Reproduktion der Erscheinungsformen möglich, weil die Geschichte im Kontext der reproduktiven

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Vgl. Elbe, Ingo, „Eigentümliche Logik eines eigentümlichen Gegenstands?“ a. a. O., S. 23. MEW 23, S. 161. 17 Und das Konkrete ist konkret, eben weil es viele Bestimmungen zusammenfasst (vgl. MEGA II/1.1, S. 36; MEW 13, S. 631). 18 Anti-Dühring, MEW 20, S. 180. 16

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und produktiven Herrschaft der kapitalistischen Reichtumsform stattfindet.19 Der kapitalistische Reichtum umfaßt „den ganzen Lebensprozeß der Menschen, wie er sich gegenständlich ausdrückt und in den Gütern auch über die Reproduktion der bestehenden Menschen hinaus existiert als die Gesamtmasse ihrer Rohstoffe, Produktions- und Genussmittel.“20 Er ist nicht nur Warensammlung, sondern erscheint in einer konkreten Form von Herrschaft über die Arbeit, als Kommandogewalt über fremde Arbeit.21 In diesem Punkt der Untersuchung sind wir in der Lage „Warenwert“ und „Reichtum“ als zwei Extreme der kritischen Darstellung des Kapitalwesens bzw. der politischen Ökonomie herauszustellen. Reichtum und Gesellschaft sind zwei Formen eines eigenen Endpunktes der Wertbildung. Die gesellschaftlich herrschende Reichtumsform „Kapital“ fungiert als Zweck der ganzen Produktionskräfte (als Vermehrung des Kapital) und als Grund der Reproduktion der Erscheinungsformen. Er ist die entfaltete, konkretisierte Ware und erscheint letztendlich als die entwickelteste Herrschaftsform, welche die Ganzheit der Bewegungsstruktur umfasst. Kritik der politischen Ökonomie ist somit grundlegend Reichtumskritik. Die gesellschaftliche Systemstruktur des Kapital zeigt, dass die Bereicherung in einer bestimmten Beherrschung über die Arbeit und über das Leben des Menschen besteht. Wie im vorliegenden Text erwähnt: Reichtum produziert Herrschaft; Herrschaft reproduziert Reichtum. Die Herrschaft des Kapitals bildet die abstrakte Form der Einheit des bürgerlichen Reichtums und definiert die kontinuierliche Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft. Die ganze Wertbildung Marx’ ermöglicht so eine Analyse der Kapitalherrschaft als ein gesellschaftliches Verhältnis. Die dargestellte Verbindung dieser Begriffe in dieser Arbeit erläutert das organische System der Kritik der politischen Ökonomie als eine dialektische bzw. kritische Darstellung des Kapitals und als strukturierte Ganzheit ist das Marxsche Spätwerk eine Entwicklung der Vergesellschaftung. Diese Untersuchung eröffnet neue Problemkonstellationen, welche die betreffende System- und Methodenphilosophie zu behandeln hat. Die Marxsche Darstellungsweise als Resultat eines theoretischen Dialogs mit seinen Vordenkern und als immanente Antwort sowohl auf die philosophischen Systeme seiner Zeit, als auch auf die modernen Wirtschaftssysteme zu verstehen, ist die Hauptthese, welche das Verständnis der herrschenden Gesellschaftsformation ermöglicht. Darin liegt der Sinn des Marxschen Materialismus, eine eigentümliche Logik zu setzen, welche das kritische Verständnis der modernen Geschichte zulässt.

19 „Die ganze bisherige Geschichtsauffassung hat diese wirkliche Basis der Geschichte entweder ganz und gar unberücksichtigt gelassen oder sie nur als eine Nebensache betrachtet, die mit dem geschichtlichen Verlauf außer allem Zusammenhang steht.“ (DI, MEW 3, S. 39). 20 Pfreundschuh, Wolfram, Der Reichtum der bürgerlichen Gesellschaft. a. a. O., S. 47, Fn. 2. 21 „Nun ist der Reichtum einerseits Sache, verwirklicht in Sachen, materiellen Produkten, denen der Mensch als Subjekt gegenübersteht; andererseits als Wert ist er bloßes Kommando über fremde Arbeit“ (MEW 42, S. 387).

Literaturverzeichnis 1. Hauptliteratur 1.1 Zitierte Werke von Marx und Engels Wir unterscheiden in dieser Arbeit die jeweils zitierten Ausgaben. Die traditionelle Ausgabe von Dietz Verlag haben wir öfter zitiert, da sie im akademischen Diskus üblicherweise Verwendung findet und dementsprechend institutionell verfügbar ist. Wenn die Natur des Textes eine weitere ausführliche Analyse erfordert, ziehen wir die Kritische Ausgabe (MEGA) heran. 1.1.1 Marx-Engels-Werke. Dietz, Institut für Marxismus-Leninismus (Hrsg.). Berlin, ab 1956 [MEW] Gliederung: 1. Bände 1–22: Werke und Schriften MEW 1. 1. Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrechts (§§ 261–313). [KPhR ] 2. Zur Judenfrage 3. Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags 4. Debatten über Holzdiebstahlgesetz MEW 3. 1. Thesen über Feuerbach. Fassung von 1845 [The] 2. Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsen­ tanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen ver­ schiedenen Propheten. [DI] MEW 13. Zur Kritik der politischen Ökonomie. [KpÖ] MEW 19. 1. Kritik des Gothaer Programms 2. (Engels, Friedrich) Karl Marx MEW 20. (Engels, Friedrich) 1. Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft [= Anti-Dühring] 2. Dialektik der Natur [DN]

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1.2 Zitierte Werke von Hegel Wir unterscheiden in dieser Arbeit die jeweils zitierten Ausgaben. Die traditionelle Ausgabe von Suhrkamp Verlag haben wir öfter zitiert, da sie im akademischen Diskus üblicherweise Verwendung findet und dementsprechend institutionell verfügbar ist. Wenn die Natur des Textes eine weitere ausführliche Analyse erfordert, ziehen wir die historisch-kritische Ausgabe der Gesammelten Werke heran. 2.1.1 Hegels Theorie-Werkausgabe [W] Eva Moldenauer und Karl Markus Michel (Hrsg.). Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1970 W 3: Phänomenologie des Geistes [Phä] W 4: Texte zur philosophischen Propädeutik, in: Nürnberger und Heidelberger Schriften (1808–1817) W 5: Wissenschaft der Logik; Objektive Logik. [WdL I] W 6: Wissenschaft der Logik; Subjektive Logik [WdL II] W 7: Grundlinien der Philosophie des Rechts [PhR] W 8: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I [Enz I] W 10: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III [Enz III] 2.1.2 Gesammelte Werke [GW]. Im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1957–1968; Nordrhein-Westfalen Akademie, 1968; Hegel-Archiv, Bochum, ab 1968; Felix Meiner, Hamburg, 1957– GW 7: Zwei Anmerkungen zum System, in: Jenaer Systementwürfe II. Horstmann, Rolf-Peter und Heinrich Trede, Johann (Hrsg.), 1971

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Sachregister Abstraktion: Abstraktionsweise  16, 17, 20, 24, 25, 29, 39, 46, 52, 59, 66, 74, 87, 89, 106, 107, 118, 124, 132, 139, 141, 146, 152, 156, 161, 162, 163 Akkumulation  42, 58, 60, 115, 123, 125, 135, 138, 149, 150 Anerkennung  30, 39, 45, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 85, 92, 100, 102, 107, 115, 119, 157, 163 Arbeit  5, 11, 12, 15, 16, 17, 18, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 30, 31, 32, 37, 38, 42, 43, 50, 51, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 68, 72, 75, 78, 83, 86, 87, 88, 90, 91, 95, 96, 97, 98, 103, 106, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 119, 121, 125, 127, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 142, 143, 145, 148, 149, 150, 151, 155, 156, 157, 160, 163, 166, 167 Austausch  98, 102, 104, 107, 109, 136, 141, 143, 158, 163 Begierde  50, 51, 52, 53, 56, 57, 58, 61, 62 Bewegung  16, 17, 19, 49, 54, 57, 59, 116, 130, 131, 135, 139, 146, 147, 161 Darstellung  11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 30, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 47, 49, 52, 54, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 68, 69, 72, 73, 75, 76, 77, 80, 81, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 93, 94, 95, 96, 99, 102, 103, 107, 109, 110, 112, 113, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 129, 130, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 152, 153, 154, 155, 156, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166 Darstellungsmethode  13, 17, 18, 19, 22, 25, 33, 120, 124, 125, 126, 133, 140, 158 Darstellungsweise  12, 13, 15, 23, 26, 32, 33, 38, 67, 69, 75, 76, 78, 79, 80, 84, 88,

95, 117, 119, 120, 121, 122, 130, 131, 139, 146, 158, 159, 165, 166 Dasein  17, 19, 50, 52, 89, 109, 134, 135, 139, 161 Dialektik  11, 15, 16, 17, 21, 23, 24, 25, 29, 30, 31, 33, 35, 38, 40, 41, 43, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 57, 59, 60, 62, 66, 72, 74, 77, 81, 87, 89, 97, 101, 118, 120, 121, 123, 125, 126, 130, 131, 132, 133, 137, 138, 146, 152, 156, 158, 159, 160 Eigentum  24, 65, 74, 98, 99, 100, 104, 105, 106, 107, 109, 134, 135, 163 – Privateigentum  55, 57, 62, 65, 83, 98, 99, 100, 106 Eigentümliche Logik  46, 123, 124, 146 Eigentumsverhältnis  52, 115 Einheit  13, 15, 17, 18, 21, 22, 33, 44, 52, 53, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 84, 107, 113, 117, 119, 121, 124, 126, 127, 129, 131, 135, 139, 143, 156, 157, 159, 160, 162, 164, 166 Entfremdung  24, 47, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 74, 99, 100, 138, 160 Entmenschung  98, 99, 100, 106 Entontologisierung  119, 130, 131 Entwicklung  11, 12, 13, 18, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 35, 36, 38, 40, 42, 46, 60, 61, 62, 66, 67, 68, 69, 71, 74, 76, 77, 78, 79, 82, 83, 84, 85, 87, 88, 89, 95, 100, 105, 109, 113, 114, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 123, 124, 126, 127, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 140, 141, 143, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 155, 156, 157, 158, 159, 161, 162, 164, 165, 166 Epistemologie 25 Erscheinung  21, 24, 38, 45, 48, 49, 79, 80, 86, 88, 92, 95, 102, 135, 138, 139, 146, 151, 152, 162

Sachregister Erscheinungsform  15, 16, 78, 79, 136, 141, 146, 147, 150, 151, 152, 156, 165 Fetischismus  83, 90, 91, 92, 93, 96, 97, 98, 163 Form  12, 13, 14, 15, 24, 31, 33, 34, 36, 37, 38, 43, 44, 45, 49, 51, 58, 66, 69, 78, 79, 86, 89, 93, 94, 95, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 107, 113, 114, 115, 121, 122, 125, 127, 129, 131, 133, 134, 135, 138, 141, 142, 143, 146, 147, 149, 150, 151, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 165, 166 Forschung: Forschungsweise  15, 18, 20, 21, 22, 32, 82, 119, 126 Freiheit  28, 40, 49, 53, 58, 109, 113, 115 Gattungswesen: Gattung  84, 105 Gebrauchswert  19, 25, 58, 93, 94, 95, 109, 111, 113, 118, 156, 163 Geld  16, 19, 20, 34, 77, 78, 98, 134, 135, 138, 143, 148, 152, 174 Geldform  33, 34, 78, 98, 142 Gesellschaft  5, 7, 8, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 20, 22, 24, 25, 27, 30, 36, 38, 39, 40, 41, 46, 55, 56, 58, 62, 63, 64, 66, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 92, 96, 97, 99, 101, 103, 106, 107, 109, 112, 115, 116, 118, 119, 120, 123, 125, 126, 137, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 154, 155, 156, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 174, 175, 176, 177 – bürgerliche Gesellschaft  70, 72, 73, 76, 80, 140, 145, 161, 164, 165 Gesellschaftlichkeit  16, 75, 77, 87, 91, 94, 95, 106, 107, 136, 146, 156, 157, 165 Gesellschaftsbegriff  7, 22, 69, 70, 71, 73, 74, 76, 77, 79, 80, 81, 144, 147, 149, 154, 155, 160, 161, 162 Gesellschaftsform: Gesellschaftsformation ​ 36, 37, 81, 85, 91, 92, 100, 105, 109, 114, 116, 121, 148, 149, 150, 156, 157, 165 Hermeneutik  25, 92, 118 Herr  17, 30, 44, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 66, 68, 110, 112, 115, 149, 159, 160

179

Herrschaft  12, 14, 15, 16, 24, 39, 46, 47, 50, 51, 52, 55, 56, 60, 61, 62, 64, 69, 70, 91, 101, 102, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 123, 137, 143, 144, 147, 151, 157, 160, 161, 162, 163, 164, 166 Individuum  14, 56, 71, 72, 74, 82, 87, 91, 92, 102, 104, 162, 163 Kapital  13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 31, 32, 33, 34, 37, 40, 42, 43, 44, 46, 47, 50, 51, 52, 58, 59, 60, 61, 62, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 76, 77, 78, 79, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 90, 91, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 104, 105, 106, 107, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 119, 120, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 130, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 158, 159, 161, 162, 163, 164, 165, 166 Kapitalismus  12, 15, 27, 39, 41, 42, 61, 63, 70, 78, 82, 86, 88, 89, 92, 109, 114, 116, 120, 124, 133, 135, 138, 145, 148, 150, 155, 159, 160, 162 Knecht  17, 30, 44, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 55, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 65, 110, 112, 115, 159 Knechtschaft  15, 24, 47, 55, 56, 60, 64, 160 Kritik  11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 22, 23, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 39, 40, 41, 42, 46, 47, 51, 56, 57, 59, 60, 62, 65, 69, 70, 71, 73, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 82, 85, 86, 91, 94, 98, 100, 101, 103, 104, 105, 113, 114, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 130, 131, 132, 133, 134, 138, 139, 140, 143, 145, 146, 148, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 158, 159, 160, 164, 166 Leben  49, 51, 54, 62, 65, 80, 90, 130, 166 Mehrwert  16, 26, 138, 141 Mensch  16, 39, 53, 57, 59, 60, 63, 64, 65, 74, 82, 84, 86, 88, 90, 97, 99, 100, 102, 106, 109, 112, 126, 149, 150, 157, 162, 163, 166

180

Sachregister

Menschengattung  38, 60, 64, 65, 100 Menschlicher Charakter  79, 83, 84, 85, 88, 89, 90, 91, 109, 146, 162, 163 Menschlichkeit  85, 86, 87, 89 Metaphysik  42, 47, 67, 84, 88, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 159, 164 Methode  11, 13, 14, 17, 18, 20, 22, 23, 25, 26, 33, 36, 38, 41, 43, 46, 66, 68, 69, 71, 75, 78, 88, 89, 102, 117, 118, 119, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 130, 131, 132, 134, 137, 145, 146, 153, 154, 156, 159, 164 Mystifikation  30, 66 Ökonomiekritik  31, 33, 34, 61, 63, 78, 101, 117, 119, 122, 124, 140 Organismus  16, 69, 78, 81, 88, 111, 113, 144, 145, 157, 161 Person  16, 22, 69, 72, 74, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 88, 91, 92, 93, 98, 100, 102, 104, 105, 106, 107, 109, 162, 163 Personenbegriff  28, 51, 69, 74, 82, 83, 84, 91, 92, 104, 105, 106, 107, 109, 163 Personifizierung  52, 57, 82, 83, 85, 89, 91, 93, 96, 100, 101 Politische Ökonomie  11, 12, 13, 14, 15, 16, 20, 23, 24, 25, 26, 30, 31, 32, 42, 50, 55, 57, 59, 62, 65, 69, 73, 76, 77, 79, 80, 82, 86, 88, 89, 91, 94, 104, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 131, 132, 133, 137, 138, 139, 140, 144, 145, 147, 148, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 159, 160, 162, 165, 166 Preis  33, 88, 133 Produktion: Produktionsweise  23, 31, 33, 44, 52, 56, 58, 59, 69, 71, 74, 75, 76, 79, 88, 99, 100, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 123, 125, 135, 139, 140, 142, 143, 149, 154, 158, 160, 161 Produktionsverhältnis  12, 27, 32, 36, 39, 41, 42, 43, 65, 76, 81, 95, 111, 123, 134, 140, 158, 160, 161, 162 Reichtum  12, 16, 17, 23, 37, 52, 60, 72, 77, 79, 85, 88, 111, 113, 115, 117, 120, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152,

153, 154, 155, 156, 157, 161, 163, 165, 166 Reichtumsform  12, 116, 142, 143, 150, 151, 154, 156, 164, 165, 166 Reproduktion  13, 18, 23, 34, 50, 81, 110, 111, 114, 117, 137, 143, 145, 147, 149, 151, 158, 160, 161, 164, 165, 166 Selbstbewusstsein  29, 30, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 55 Staat  30, 40, 46, 73, 74, 104, 134 Struktur  14, 21, 25, 26, 30, 33, 36, 37, 40, 44, 53, 54, 63, 66, 73, 90, 102, 114, 118, 123, 126, 128, 129, 136, 140, 144 Subjekt  16, 24, 29, 39, 49, 52, 54, 57, 61, 64, 65, 82, 89, 90, 99, 100, 102, 106, 109, 115, 152, 157, 166 Subjektivität  49, 50, 89, 91, 93, 99, 102, 104, 106, 107, 109, 122 Substanz  7, 85, 86, 88, 90, 92, 102 System  25, 28, 31, 32, 36, 42, 45, 47, 48, 62, 64, 66, 67, 68, 69, 71, 86, 88, 114, 117, 119, 144, 145, 149, 162, 166 Totalität  12, 15, 17, 20, 21, 23, 49, 59, 69, 70, 74, 75, 77, 78, 81, 87, 88, 106, 109, 124, 125, 130, 137, 140, 144, 145, 148, 154, 157, 161, 162, 164 Vergesellschaftung  13, 14, 15, 16, 43, 51, 57, 58, 62, 67, 69, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 91, 121, 137, 143, 150, 160, 162, 163, 164, 166 Verwirklichung  24, 42, 50, 60, 64, 146 Ware  16, 19, 20, 25, 31, 33, 34, 52, 57, 58, 64, 72, 79, 83, 85, 86, 88, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 113, 114, 118, 134, 135, 138, 141, 142, 146, 147, 148, 151, 152, 154, 156, 157, 162, 163, 164, 166 Warenproduktion  18, 71, 76, 97, 103, 114, 135 Wert  11, 13, 15, 16, 17, 19, 25, 33, 45, 52, 61, 64, 65, 72, 78, 85, 87, 88, 90, 95, 96, 97, 98, 101, 111, 112, 113, 118, 121, 124, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 142,

Sachregister 143, 151, 152, 154, 156, 157, 158, 159, 160, 163, 165, 166 Werttheorie  11, 17, 19, 26, 31, 33, 66, 78, 113, 125, 133, 134, 135, 136, 156 Wertverhältnis 103 Wirklichkeit  25, 46, 60, 67, 74, 77, 82, 94, 100, 107, 126, 129, 132, 138, 146

181

Wissenschaft  11, 13, 15, 19, 20, 23, 26, 30, 34, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 51, 59, 61, 66, 68, 88, 90, 99, 101, 112, 118, 119, 121, 123, 124, 127, 128, 131, 138, 139, 145, 146, 153 Zivilgesellschaft  73, 74, 78

Personenregister Adorno, Theodor  12, 43, 62, 74, 81, 101, 125, 162, 170 Arthur, Christopher  13 f., 19, 32, 95, 153 Backhaus, Hans-Georg  30, 83, 102 f., 119, 132, 165 Engels, Friedrich  11 f., 17, 23, 26–28, 31, 33, 35, 55, 72, 86, 146, 161

Heinrich, Michael  11, 13–15, 18 f., 34, 40, 45, 61, 63, 89–91, 95 f., 101, 105, 118, 121, 124, 130, 132, 135 f., 146, 152 f., 158 Houlgate, Stephen  44, 56, 61 Kojève, Alexandre  30, 35, 48, 53 f., 57, 160 Kant, Immanuel  42 f., 84, 117, 121 f., 127 Reichelt, Helmut  11, 13, 21, 118, 130 Ricardo, David  26 f., 71, 87, 153, 156

Feuerbach, Ludwig  10, 25–29, 31, 35, 55 f., 61, 63, 84, 118, 153, 167, 171 Fichte, Johann Gottlieb  35, 53, 171

Schelling, Friedrich  26 Smith, Adam  26 f., 61, 71, 142, 150, 153, 156

Haug, Friedrich  11, 63, 89, 105, 118, 121, 124

Wolf, Dieter  12, 14, 16 f., 24, 37, 96, 105, 120, 127, 133, 135, 160 f.