Die Konfirmation in der Reformationszeit: Eine Untersuchung der lutherischen Konfirmation in Deutschland. 1520-1585 9783666571107, 9783525571101

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Die Konfirmation in der Reformationszeit: Eine Untersuchung der lutherischen Konfirmation in Deutschland. 1520-1585
 9783666571107, 9783525571101

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Bjarne Hareide Die Konfirmation in der Reformationszeit

Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick

BAND 8

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

BJARNE HAREIDE

Die Konfirmation in der Reformationszeit Eine Untersuchung der lutherischen Konfirmation in Deutschland 1520-1585

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Berechtigte Übersetzung aus dem Norwegischen von Karin Kvideland Titel des Originals: Konfirmasjonen i reformasjonstiden © Universitetsforlaget 1966

Deutsche Ausgabe: © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1971. — Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Bei Erscheinen dieser Abhandlung in Buchform möchte ich allen danken, die mir während dieser Arbeit Rat und Hilfe gewährt haben. Das „Institutt for Kristen Oppseding" (Institut für christliche Erziehung) in Oslo hat mir wohlwollenderweise den Urlaub bewilligt, der dazu nötig war, um diese Arbeit zum Abschluß bringen zu können. Die Universitätsbibliothek in Oslo hat sich bei der Beschaffung der Quellen äußerst entgegenkommend gezeigt — auch bei der Besorgung der seltenen Erstausgaben aus der Reformationszeit und der Fotokopien von Werken, die nicht ausgeliehen werden. Große Hilfe wurde mir desgleichen während meines Aufenthaltes an den Universitätsbibliotheken in Göttingen, Erlangen, Lund und Uppsala und an der königlichen Bibliothek in Kopenhagen zuteil. Ich danke besonders den Forschern, Professor Einar Molland, Dr. theol. Helge F sehn und Dr. theol. Ivar Asheim, die sich für meine Untersuchung interessiert — und mir mit Ermunterung und Rat beigestanden haben. Den größten Dank schulde ich Professor Âke Andren, Uppsala; die Gespräche mit ihm und seine Seminare waren inspirierend und richtungweisend. Ebenfalls danke ich Frau Vera Garum Larsen, die das Manuskript auf der Maschine geschrieben und mir beim Lesen der Korrekturen geholfen hat. Oslo, im August 1966 Bjarne Hareide

Vorwort zur deutschen Ausgabe Die Erziehungskommission des Lutherischen Weltbundes hat mehrere Jahre an Fragen der Konfirmation in den lutherischen Kirchen gearbeitet. Man empfand es damals als wichtige Aufgabe, die Fachliteratur auf diesem Gebiet auszutauschen. Auf der Sitzung der Erziehungskommission in Paris 1967 wurde der Wunsch nach einer deutschen Ausgabe dieser Abhandlung ausgesprochen, damit sie auch anderen als den skandinavischen Kirchen zugute komme. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) und das Deutsche Nationalkomitee des Luth. Weltbundes (DNK) griffen die Sache auf und haben bereitwillig einen Zuschuß für die Kosten der Übersetzung zur Verfügung gestellt. Ich richte meinen Dank an die VELKD und das DNK, aber audi einen besonderen Dank an Dr. Horst Relier, der diese Sache vorangetrieben und die sprachliche Gestalt noch einmal überarbeitet hat. Ebenso danke ich Frau Karin Kvideland, die die Übersetzung ins Deutsche angefertigt hat. Der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht hat entgegenkommenderweise für Druck und Vertrieb dieser Arbeit gesorgt. Oslo, im Juli 1970 Bjarne Hareide

Inhalt Vorwort Vorwort zur deutschen Ausgabe

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Die Aufgabe

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I. Die katholische Konfirmation und die lutherische Kritik nach 1520 1. Einleitung: Die katholische Konfirmation 2. Luthers Auseinandersetzung mit der katholischen Konfirmation 3. Behandlung der Konfirmation in den ersten lutherischen Bekenntnissen

22 29 45

II. Die Entfaltung von Katechese und Abendmahlsprüfung nach 1520 A. Examen catecheticum 1. Die Katechese im Mittelalter 2. Katechetische Gedanken bei Erasmus 3. Luthers Erneuerung der Katechese 4. Die Organisation des Katechumenats durch Bugenhagen . . . B. Admissio ad communionem 1. DasVerhältnis von Beichte und Abendmahlsverhör 2. Die Spannung zwischen Confessio- und Katechesemotiv in der Admissio 3. Die Admissio als Konfirmationsmotiv

55 55 62 73 82 87 87 95 105

III. Die ersten Konfirmationsordnungen im lutherischen Bereich in den Jahren 1530—1540 und die Diskussion darüber A. Ceremonia sacramentalis 1. Der Ursprung der Konfirmation Bucers 2. Bucers theologische Gedanken zum Konfirmationsverständnis 3. Die sakramentale Konfirmation

109 110 127 136

B. Vermittlungsversuche und lutherische Deutung der Konfirmation 1. Der „Anstatt"-Gedanke 2. Die Verhandlungen nach 1530 und das Regensburger Religionsgespräch von 1541 3. Die ersten lutherischen Konfirmationsordnungen

151 151

C. Die kontroverstheologische Debatte um „sacramentum confirmationis" und „ritus confirmations " nach 1540 1. Die Debatte nach Regensburg 7

153 171 194 194

2. Die Behandlung der Konfirmation während des Tridentinums 1547 3. Die Konfirmation im Augsburger Interim 1548 4. Die Debatte nach dem Tridentinum

203 214 221

D. Die Frage nach dem Ritus bei den lutherischen Theologen . . . 1. Die Ansicht der Wittenberger Theologen über die Zeremonien 2. Der Streit um den „ritus confirmationis" 3. Der Adiaphorastreit

235 236 250 264

IV. Die K o n f i r m a t i o n in der praktisch-kirchlichen Gestaltung nach dem Interim 1552 1. Die theologische Entfaltung der Konfirmation 2. Forma confirmationis 3. Die Verbreitung der Konfirmation

274 288 296

Abkürzungen Quellen Literatur Personenregister

301 302 307 314

Die Aufgabe Die lutherische Konfirmation ist kein Kind des Pietismus, wie es die Geschichtsschreibung oft dargestellt hat. Ihre Wurzeln reichen bis in die Reformationszeit zurück. Schon zu Lebzeiten Luthers zeigt die Konfirmation im protestantischen Bereich die meisten Momente, die ihr später das Gepräge geben sollten. Zwar wurde die Konfirmation erst durch den Pietismus lutherisches Allgemeingut S aber die Konfirmationshistoriker wissen seit langer Zeit, daß es die Konfirmation bereits zur Reformationszeit gegeben hat 2 . Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Situation in den deutschen Kirchen zu einer wahren „Konfirmationsnot" entwickelt. Die zunehmende Säkularisierung führte dazu, daß viele die Situation als unhaltbar ansahen 3 . 1. Dies gab den Anstoß zu einer umfassenden Konfirmationsdebatte und zu gründlicherer Forschung auf diesem Feld. J. W. F. Höfling war der erste (1848), der hier eine grundlegende Arbeit durch die Analyse der Kirchenordnungen 4 der Reformationszeit vorlegte. Er sah, daß sich in der Stellung zur Konfirmation eine unterschiedliche Praxis geltend machte: Einige Ordnungen waren völlig ohne Konfirmationsakt, während andere an einer rituellen Ordnung festhielten 5 . Höfling wollte gern eine solide geschichtliche Grundlage für seine Beurteilung haben. Es war sein Wunsch, „ein kirchliches Urkundenbuch" vorlegen zu können®. Dies ist ihm im wesentlichen auch gelungen. Aber er macht keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Typen der Konfirmationshandlung. Bucers Ordnungen und die „westlichen" Agenden überhaupt werden ohne nähere Analyse neben die lutherischen7 gestellt, und alle dienen ihm als Material für praktische Konsequenzen 8 . Außerdem fehlen Höfling einige Konfirmationsordnungen — besonders aus Mittel- und Norddeutsch1

Vgl. die Einführungstabellen bei W. Caspari: Die evang. Konfirmation, 1890, S. 172; E. Chr. Adielis: Praktische Theologie I, 1890, S. 171 f.; Rietschel-Graff: Lehrbuch der Liturgik II, 1952, S. 642 f. S. audi die Darstellung J. F. Bachmanns: Die Geschichte der Einführung der Confirmation, 1852, S. 128 fï. 2 Besonders bahnbrechend sind hier Höfling, Bachmann und Caspari, s. u. 3 Vgl. M. Doerne: Neubau der Konfirmation, 1936, S. 48. 4 J. W. F. Höfling: Sakrament der Taufe I—II, 1848, II, S. 347ff. 5 Ibid. S. 348. e Ibid. S. 361. 7 Ibid. S. 362 ff., 368 ff., 394 ff. β ibid. S. 425 ff.

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land —, die zu seiner Zeit unzugänglich waren. Damit beherrschten die Bucerschen und die von Bucer beeinflußten Agenden das Bild, obwohl audi Höfling die andere Prägung der hessischen im Gegensatz zu den sächsischen und norddeutschen Ordnungen sah 9 . Zur selben Zeit (1852) schrieb J. F. Bachmann die umfassendste Konfirmationsgeschichte seit T. Arnkiel (1692) 10 . Sie behandelt sowohl die katholische wie auch die evangelischen Kirchen und verfolgt das Thema bis in die Zeit des Verfassers. Dieses Buch stellt — in seiner Zeit — eine bahnbrechende Arbeit dar, die sehr viel Stoff vorlegt und viele Quellen berührt. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daß es keine besonders gründliche Arbeit werden konnte, da die gesamte Geschichte der Konfirmation auf einer begrenzten Seitenzahl dargestellt werden sollte. Auch Bachmann analysiert weder genauer noch vergleicht er die Konfirmationsordnungen, die es auf protestantischem Gebiet gibt, abgesehen davon, daß er auf zwei verschiedene Haltungen bei den Protestanten aufmerksam macht, nämlich, daß sich einige mit einem katechetischen Akt begnügen, während andere an einer speziellen Konfirmationshandlung festhalten u . Zwar sieht er, daß es gewisse „Übergangsformen" gibt, aber er faßt sie trotzdem alle in einer Gruppe zusammen 12 . Seine Geschichtsschreibung ist hauptsächlich referierend. Versuche einer Beurteilung finden sich nicht. Die Arbeit hat im wesentlichen als Materialsammlung Bedeutung. Der bedeutendste Forscher auf dem Gebiet des Katechumenates im vorigen Jahrhundert, C. A. G. von Zezschwitz 13 , beschäftigt sidi, zusammen mit den anderen Erlanger Theologen, Chr. K. von Hofmann 1 4 und Th. Harnack 15 , hauptsächlich mit der aktuellen Situation. Sie alle setzen sich eifrig für eine praktische Lösung und für eine Reform der Konfirmation innerhalb des kirchlichen Lebens ein. Auf dieser Linie liegt auch die Arbeit J. H. Wicherns1". Mit W. Caspari (1890) begann in der Erforschung der Geschichte der Konfirmation eine neue und fruchtbare Periode 17 . Er untersuchte die Konfirmation gründlicher als irgendeiner der Erlanger Theologen vor ihm. Der Wert seiner Arbeit liegt in den neuen Quellen, die er benutzt, und in der systematischen Behandlung des 9

Ibid. S. 417. Vgl. Anm. 1, T. Arnkiel: Christliche Confirmation derer Catechumenen, Schleswig 1693. 11 12 Bachmann S. 55 ff. und 80 ff. Ibid. S. 76 ff. 13 C. A. Gerh. von Zezschwitz: Der Katediumenat, 1863, S. 636 ff. Die gründlichste geschichtliche Behandlung erfährt die Konfirmation des Pietismus, S. 580 ff. 14 Chr. K. von Hofmann war vielleicht der erste, der bereits in seinen Artikeln „Der Streit der Kirchen" 1845 (vgl. Doerne S. 61) zu einer Reformation der Konfirmation aufrief. 15 Th. Harnadc: Die freie lutherische Volkskirche, 1870. 16 17 Vgl. Doerne S. 79 ff. Vgl. Anm. 1. 10

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Konfirmationsbegriffes. Er macht weder wie Bachmann bei einer chronologischen Darstellung Halt, noch begnügt er sich wie Höfling, „kirchliche Urkunden" vorzulegen, sondern er nimmt sich die Hauptmomente der Konfirmation vor, den Sakramentsgedanken, die Ritusfrage, das Katechismusmotiv und die verschiedenen anderen Komponenten, die sich in dem eigentlichen Konfirmationsakt finden. Durch diese Anlage der Arbeit tritt der Konfirmationsbegriff viel deutlicher als in den früheren Arbeiten hervor. Was die mit der Konfirmation verbundene Problematik betrifft, hat die spätere Literatur kaum etwas wesentlich Neues, das über die Behandlung der Frage durch Caspari vor über 70 Jahren hinausführen würde, gebracht. Sein Buch wird als lebendige Anregung zu konfirmationsgeschichtlicher Forschung noch lange Zeit Bestand haben. Die quantitative Beschränkung hat es Caspari leider nicht ermöglicht, die Geschichte der Konfirmation so gründlich zu behandeln, wie es wünschenswert gewesen wäre. Sein Material war unzureichend. Aus diesem Grund konnte seine Darstellung nicht vollständig werden. Der Sakramentsgedanke und das Katechismusmotiv erfahren eine allzu knappe Behandlung, und man vermißt besonders eine gründliche Diskussion der Agenden der Reformationszeit sowie eine Präzisierung der theologischen Linie der Wittenberger. Auch bei Caspari dominiert Bucer18. Caspari rechnet nur, wie Höfling und Bachmann vor ihm, mit denselben beiden Einstellungen: eine, die die Konfirmation ablehnt, und eine, die sich für eine rituelle Ordnung einsetzt. Einige Jahre später erscheinen zwei Untersuchungen von mehr regionalgeschichtlichem Interesse: W. Diehl 19 und E. Hansen 20 . Diese beiden Arbeiten beschäftigen sich sehr mit der Bedeutung Bucers für die Ausgestaltung der Konfirmation. Erstere gewährt ihm eine positive Beurteilung und eine Deutung in lutherischer Richtung, letztere fällt dagegen ein sehr negatives Urteil, und ihre Deutung weist in reformierte, ja sektiererische Richtung. Doch ist die endgültige Antwort auf die Haltung Bucers kaum mit diesen beiden Arbeiten gegeben. 2. In unserem Jahrhundert stand die Frage der Interpretation des früher vorgelegten Materials im Mittelpunkt. Th. Kliefoth (1856) stellte bereits im vorigen Jahrhundert ernsthaft die Frage: Worin bestand das eigentliche Konfirmationst>mí¿W?w der Reformationszeit? Er baut auf den geschichtlichen Untersuchungen von Höfling und Bachmann auf und konzentriert seine Darstellung auf die Deutung der verschiedenen Konfirmationstypen. Seiner Auffassung nach gibt es drei Typen: den katechetischen, den sakramentalen und den Kirchenzucht-Typus 21 . Von Klie18 19 20 21

Caspari S. 48. W. Diehl: Zur Geschichte der Konfirmation, 1897. E. Hansen: Geschichte der Konfirmation in Schleswig-Holstein, 1911. Th. Kliefoth: Liturgische Abhandlungen III: Die Confirmation, 1856, S. 34, 65, 86.

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foth werden fast alle Agenden, die es auf alt-lutherischem Gebiet gibt, katechetisch gedeutet, selbst diejenigen, die einen hoch entwickelten liturgischen Akt aufweisen. — Er wies hier ohne Zweifel auf etwas Wesentliches an den lutherischen Konfirmationsordnungen hin: Der Katechesegedanke ist ihr Hauptmoment. Aber seine übrige Typeneinteilung ist weniger gut gelungen. Im großen und ganzen fallen der sakramentale und der Kirchenzucht-Typus zusammen, und dadurch wird der Begriff „katechetische Konfirmation" allzu umfassend. Eine genauere Differenzierung hätte eine klarere Deutung bewirkt. Kliefoth machte nicht vor dem 20. Jahrhundert Schule. Historiker wie Fr. Rendtorff 2 2 , Emil Hansen 2 3 , H . Rendtorff 2 4 und P. G. Lindhardt 2 5 griffen seinen Gedanken, der katechetische Typ sei der eigentlich lutherische, auf und führten diese Idee bedeutend weiter als ihr Lehrvater. Sie versuchten nicht nur, wie Kliefoth, die meisten der lutherischen Agenden vorsichtig in katechetischer Richtung zu interpretieren, sie sahen auch kaum etwas wesentlich anderes als die Katecheseform und fanden innerhalb der lutherischen Kirche keinen Platz für einen rituellen Konfirmationsakt. Wo rituelle Momente auftaudien, spürten sie sofort „Bucerschen" und „sektiererischen" Einfluß. Sie behaupteten als „genuin-lutherische" Linie: Katechismus ohne Konfirmation. Im Gegensatz zu dieser Auffassung stehen spätere Forscher, die hauptsächlich auf rituelle Konfirmation hinwiesen. Bereits mit W. Diehl wird ein anderes Verständnis Bucers vorgelegt. Er findet nämlich, daß die Konfirmationsform Bucers lutherischen Prinzipien entspricht. Noch stärker in dieselbe Richtung gehend, wird Bucers Linie von W. Maurer 2 8 gezeichnet, welcher behauptet, daß sich die sakramentale Auffassung Bucers mit der Ansicht Luthers decke. K . Thieme 27 findet in allen lutherischen Konfirmationsordnungen das Bekenntnis und ein klares subjektives Moment, selbst in den ausgeprägt katechetischen. Die Deutungsversuche sammeln sich jedoch nicht nur um diese beiden gegensätzlichen Auffassungen. Mehrere Forscher halten daran fest, daß es auf lutherischem Boden ein Sowohl-als-auch gibt, und daß es verschiedene Typen von Ordnungen gibt, die als lutherisch angesprochen werden müssen 28 . 2 2 F. Rendtorff: D a s Problem der Konfirmation im Licht der Geschichte, in: Das Problem der Konfirmation und der Religionsunterricht in der Volksschule, 1910. 2 3 Vgl. Anm. 20. 24 H . Rendtorff: Konfirmation und Kirche, 1928. 2 5 P. G. Lindhardt: Konfirmationens Historie i Danmark, 1936. 26 W. Maurer: Gemeindezudit, Gemeindeamt, Konfirmation, 1940. 27 K . Thieme: Der wahre lutherische Konfirmationsbegriff, 1931. 2 8 Unter diesen finden sich Forscher wie E. Chr. Achelis: Praktische Theologie I—II, 1890; G. Rietschel: Lehrbuch der Liturgik II, 1909; M. Doerne: Neubau der Konfirmation, 1936; C.-G. Andren: Konfirmationen i Sverige under medeltid odi refor-

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Wenn sich die geschichtliche Darstellung der Konfirmation so stark auf Bucers Form konzentriert hat, so hat das seinen Grund darin, daß seine Konfirmationsordnungen in der Ziegenhainer Zuchtordnung und der Kasseler Kirchenordnung von 1539 zuerst entdeckt wurden. Es ist die allgemeine Auffassung, daß dies die ersten Konfirmationsordnungen mit ritueller Ausgestaltung auf protestantischem Boden waren 29 . Es lag daher nahe, alle anderen Ordnungen als von Bucer abgeleitet anzusehen 30 . Bald fand man auch einen geschichtlichen Zusammenhang zwischen diesen Ordnungen und dem späteren Wachstum während des Pietismus. Eine ungebrochene Linie erstreckt sich von Bucer bis in die neuere Zeit 31 . Desto mehr Grund hatte man, alle anderen gleichzeitigen Konfirmationsordnungen auf lutherischem Boden mehr oder weniger als Kopien des Bucerschen Entwurfes aufzufassen. In den Kirchenordnungen, in denen es keine Konfirmation gab, und das war bei den meisten auf lutherischem Gebiet der Fall, meinte man die „wirklich lutherische" Haltung zu finden. Diese Darstellung entspricht jedoch nicht ganz dem vorliegenden geschichtlichen Material. Eine gründliche Analyse der Auffassung, die die lutherischen Reformatoren von der Konfirmation hatten, wird ein nuancierteres Bild bieten. Auch in Gebieten mit theologischer Verbindung zu Wittenberg entstand die Konfirmation in selbständiger Gestaltung, und zwar nicht nur als eine katechetische Funktion, sondern auch mit rituellen Elementen und im Hinblick auf das Abendmahl. Einige der älteren Konfirmationshistoriker waren sich bis zu einem gewissen Grad dieses Verhältnisses bewußt, aber sie waren bei ihrer Interpretation nicht in der Lage, diesen Verhältnissen ihren rechten Platz zukommen zu lassen. Selbst Caspari, der deutlich den Durchbruch der Konfirmation in der Reformationszeit erkannte, bleibt im wesentlichen bei Bucers Neuschöpfung stehen. Den Unterschied zwischen Hessen und Wittenberg, zwischen Bucer und Luther/Melanchthon/Chemnitz erkannte er nicht scharf genug 32 . Eine solche Verschiedenheit in den Auffassungen der Historiker hat offenbar zwei Ursachen: Man war nur mit einem Teil des notwendigen Materials bekannt, und die Deutungsversuche waren zu schematisch — mationstid, 1957; K. Fror (Hrsg.): Confirmado, 1959, und Zur Geschichte und Ordnung der Konfirmation in den lutherischen Kirchen, 1962. 29 Vgl. Caspari S. 11 ff., Diehl S. 2 ff. 30 Vgl. Caspari, der feststellt, daß die Konfirmation in protestantischem Gebiet, falls nicht neues Material gefunden wird, auf Bucer zurückzuführen ist (S. 19). S. auch Diehl, Einleitung S. I ff. und E. Hansen S. 65 ff. 31 Spener weist auf die hessische Konfirmation als seinen praktischen Lehrmeister hin, vgl. Theologische Bedencken, 1707, I S. 636, IV S. 259. S. auch Diehl, Einleitung S. II und S. 90 ff. Spener kannte audi Chemnitz, vgl. IV S. 257 f. 32 Caspari, z. B. S. 24 ff. Auch die spätere Forschung hat ein Gleichheitszeichen zwischen Bucer und den Wittenberg-Kreis gesetzt, vgl. Maurer S. 76 f. 13

teilweise auch zu dogmatisch. Der Materialmangel machte sich am stärksten innerhalb der Forschung des vergangenen Jahrhunderts geltend, indem noch nicht alle Kirchenordnungen zugänglich waren. Aber selbst in den letzten Jahren hat man nicht den gesamten vorliegenden Stoff ausgenutzt. Dies bezieht sich auf den Stoffreichtum, den besonders die Agenden, die Kontroverstheologie und die polemische Literatur des 16. Jahrhunderts ausmachen. Dieses Material verlangt überhaupt, zusammen mit anderen Quellen zur Herkunft der Korfirmation, eine Gesamtdarstellung. Bis jetzt ist der Konfirmation zur Zeit der Reformation nodi keine ausführliche Monographie gewidmet worden. Es gibt einige kürzere Darstellungen, hauptsächlich als Kapitel in Arbeiten, die die gesamte Geschichte der Konfirmation 33 decken, oder als Artikel, die spezielle Ansichten behandeln 34 . Dies hatte Beschränkungen zur Folge, die das notwendige Material nicht zu Worte kommen ließen. Die einseitigen Deutungsversuche haben jedoch die Geschichte der Konfirmation in die größte Ausweglosigkeit hineingeführt. Wenn die lutherische Konfirmation entweder zu reiner Katechese oder zu einem sakramentalen Akt gemacht wird, hat man der Vielfalt und Eigenart des Materials wenig Respekt erwiesen. Die Nuancen treten nicht deutlich genug hervor. Auch in diesem Falle zeigt sich, daß die Wahrheit nicht einschichtig, sondern differenziert ist. Daher gilt es, in dieser Arbeit den zugänglichen historischen Stoff darzustellen und eine genaue, nuancierte Deutung sowohl des neuen wie auch des bereits bekannten Materials zu geben. Uberhaupt bedarf die Reformationszeit einer eigenen Darstellung. 3. Es ist die Absicht dieser Untersuchung, Art und Wachstum der Konfirmation im Deutschland der Reformationszeit zu klären. Während der Arbeit an dem vorliegenden Material zeigte es sich, daß sich dies am besten durch eine Monographie über die Konfirmation in der Zeit von 1520—1585 erreichen ließ. Diese Monographie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, doch ist in ihr alles wesentliche Material, das zur Zeit zugänglich ist, ausgewertet. Ein Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, herauszufinden, was die lutherischen Reformatoren von der Kon33 S. hierzu unter den bereits erwähnten Arbeiten: Höfling, Bachmann, Zezschwitz, Caspari, Doerne und Carl-Gustaf Andren. Maurers Buch ist vielleicht die Darstellung, die sich am meisten einer Monographie über die Konfirmation der Reformationszeit nähert. Aber audi hier wird die Darstellung stark durch die knappe Seitenzahl beschnitten, und viel wertvoller Stoff ist in den Überlegungen ausgelassen. 34 S. z. B. Kliefoth, H. Rendtorff und Thieme, die ausschließlich Gesichtspunkte zur Deutungsfrage präsentieren. Diehl und E. Hansen liegen auf derselben Linie und sind außerdem regionalhistorisch begrenzt (Hessen und Schleswig-Holstein). Weiterhin finden sich wertvolle Artikelsammlungen zur Konfirmationsfrage in den beiden Sammelwerken Kurt Frörs: Confirmado, 1959, und Zur Gesdiidite und Ordnung der Konfirmation, 1962.

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firmation dachten und meinten, und -welchen Platz sie ihr in ihrer evangelischen Theologie und in dem praktischen Leben der Kirche gaben. Nicht die gesamte protestantische Gestaltung der Konfirmation ist in dieser Untersuchung von Interesse, sondern nur die, die zum lutherischen Protestantismus gehört. Unsere Untersuchung konzentriert sich daher im wesentlichen auf die geographischen Ursprungsgebiete des Luthertums und den natürlichen nächsten Einflußbereich der Wittenberger Theologie, also vor allem auf Mittel- und Norddeutsdiland. Eine wesentliche Absicht dieser Arbeit ist es, die verschiedenen Konfirmationsauffassungen zueinander in Beziehung zu setzen, um auf diese Weise Licht auf das Thema zu werfen. D a die Haltung der Reformatoren gegenüber der vorgefundenen katholischen Konfirmation ziemlich negativ war, ist es nötig, nach einer kurzen Darstellung der Auffassung der römischen Kirche (I 1) zu zeigen, worin diese Negation besteht (I 2—3). Das harte Urteil, das Luther seit 1520 in bezug auf die katholische Konfirmation fällte, führte überall zu einem Bruch mit dem katholischen Sakramentsverständnis. In protestantischen Kreisen wurde daher desto größeres Gewicht auf den Katechismus und dessen Einführung in das Leben des Volkes gelegt (II A). Wir begegnen Konfirmationsformen bei den Böhmischen Brüdern, den Waldensern, den schweizerischen Theologen (III A 1). Ansätze finden sich auch bei Erasmus (II A 2), während sich die führenden Lutheraner zunächst für eine Erneuerung der Katechese einsetzen (II A 3—4). Auf derselben Linie liegt auch ihr Eifer um Abendmahlszucht durch Beichte und Admissio, die einen ausgesprochen katechetischen Charakter annimmt (II B). In den Jahren nach 1530 macht sich jedoch sowohl auf katholischer wie auf protestantischer Seite eine ökumenische Richtung geltend. Reformkatholiken und protestantische Vorkämpfer für eine Einheit setzen sich für die Einigungspläne des Kaisers ein und nehmen an Verhandlungen teil, bei denen audi die Konfirmationsfrage eine Rolle spielt (III Β 2). Verschiedene Motive wirken offenbar mit, wenn die Konfirmation auf lutherischer Seite Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre wieder auftaucht. Sie ist ein Adiaphoron, deshalb kann sie nicht verboten sein. Aber bei einigen meldet sie sich als Mittel, Katechese und Kirchenzucht zu stärken, während sie gleichzeitig als Möglichkeit für rituell Interessierte und für solche, die in den äußeren Ordnungen so wenig wie möglich mit der römischen Kirche brechen wollen, erscheint (III Α, Β 1 und 3). Die Einigungsbestrebungen führten jedoch nicht zum Ziel, sondern schlugen in den Jahren nach 1540 in einen scharfen Gegensatz zwischen der alten Kirche und den Protestanten um. Die Vermittlungsversuche wurden von bitteren Debatten, politischem Druck und katholischer 15

Anathema-Theologie abgelöst (III C). Dieser Druck seitens des Kaisers — und zum Teil — seitens der eigenen Behörden, führte zu einem Streit um die Konfirmation unter lutherischen Theologen und Kirchenmännern. Auf dem einen Flügel behauptete man, sich den Behörden fügen zu können, da es sich bei der Frage nach den Riten der Konfirmation um ein Adiaphoron handelte, während die andere Fraktion stärksten Widerstand leistete. Daher entspann sich in der lutherischen Kirche eine umfassende Debatte zur Ritus-Frage und zur Adiaphora-Lehre. Diese Diskussion wurde auch auf die Konfirmation bezogen (III D 2—3). Nach Aufhebung des Interims durch den Vertrag von Passau 1552 war dem Luthertum eine friedliche Zeit gleichmäßigen und ruhigen Wachstums und Fortschrittes beschieden. In dieser Periode erreichte auch die Konfirmation ihre weiteste Verbreitung auf lutherischem Gebiet (IV). Es ist unsere Aufgabe, die hier skizzierte geschichtliche Entwicklung und das Wachstum der Konfirmation zu untersuchen und in den Einzelheiten zu analysieren. Aus den Momenten des vorliegenden Materials, die bisher kaum zu ihrem Recht gekommen sind, erweist sich die Selbständigkeit des Gebietes um Wittenberg gegenüber der Bucer-Tradition. Dieser Stoff führt in unserer Untersuchung zu früher nur sehr wenig beachteten Resultaten (siehe III A im Vergleich mit III Β 3, D 1 und IV). Im Hinblick auf die lutherische Konfirmationsgeschichte als Ganzes ist die Klärung dieses Punktes wichtig, da der Einfluß der Bucerschen Richtung stärker als die Wittenbergische durch den Pietismus in die lutherischen Kirchen weiter eindrang. Man kann nicht ohne weiteres die negative Einstellung gegenüber Zeremonien und Adiaphora aus der Kampfzeit als repräsentativen Ausdruck allgemein-lutherischer Auffassung gelten lassen. Die gnesiolutherischen Standpunkte, die hier so scharf zum Ausdruck kommen, müssen sowohl durch frühere als auch spätere lutherische Auffassungen ergänzt und korrigiert werden. Es ist jedoch nicht genug, sich den Confirmatio-Begriff vorzunehmen und diesen in den angegebenen Jahren zu verfolgen. Die Begriffe und Elemente des Glaubens, die in enger Verbindung mit der Konfirmation stehen, können oft ebensoviel über die Sache selbst sagen. Das Verhältnis der Konfirmation zu Katechese, Taufe, Admissio, Abendmahl und Beichte ist, soweit es sich ermöglichen läßt, nachzuweisen (II A und B). Dort gibt es sowohl ein inneres theologisches Wachstum wie auch eine Linie des äußeren Kampfes. Man kann sagen, daß es innerhalb dieser Aufgabe am wichtigsten ist, die innere, theologiegeschichtliche Entwicklung zu zeichnen. Aber die äußeren, kirchenpolitischen Faktoren spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. Es dürfte daher schwierig sein, den äußeren, geschichtlichen Rahmen dieser Darstellung allzu sehr zu beschneiden. Die kirchenpolitischen Faktoren haben einen sehr starken Ein16

fluß sowohl auf das theologische Denken wie auch auf die praktische Entwicklung des kirchlichen Lebens. Es zeigt sich überhaupt, daß an der Konfirmationsfrage während der Kämpfe der Reformationszeit und der Wachstumsperiode ernsthaft gearbeitet wurde. Auch während des Pietismus herrschte Streit um die Konfirmation, der der Form wie dem Inhalt galt 35 . Aber die tiefere, theologische Prinzipiendebatte um die Konfirmation ging während der Zeit der Reformation vor sich. Hier begegnet man der ersten lutherischen Konfirmationstheologie. Da auch die Konfirmationstheologie in Verbindung mit unserem Thema von Interesse ist, erheben sich Fragen wie diese: Welche theologischen Überlegungen meinte man in diesem Zusammenhang anstellen zu müssen, welche prinzipiellen Standpunkte wurden geltend gemacht, welche Momente und Riten wurden zur Konfirmation gerechnet? Und welche wurden abgelehnt? Worin bestand zu jener Zeit überhaupt die theologische Substanz der Konfirmation? 4. Als Methode dieser Untersuchung ergibt sich daher, das geschichtliche Wachstum der Konfirmation auf lutherischem Gebiet zu verfolgen und das Konfirmationsverständnis der Reformatoren zu deuten. Mit dieser Abhandlung soll versucht werden zu zeigen, was die Reformatoren von dieser dachten und meinten. Die Aufgabe besteht in einer geschichtlichen Untersuchung, wobei wir eine möglichst genaue, chronologische Darstellung geben wollen. Zugleich legt die Eigenart des Stoffes nahe, der Untersuchung eine systematische Ordnung zu geben. Dieses Verfahren läßt die verschiedenen Komponenten, auf denen die Konfirmationshandlung aufgebaut ist, besonders deutlich zum Ausdruck kommen. Während der Arbeit am Material stößt man sehr bald auf drei wesentliche Momente, die den meisten Erörterungen gemeinsam sind, nämlich die Sakramentsauffassung, die Ritusfrage und das Katechesemoment. Die beiden ersten stehen im Zentrum der Problemdebatte, und da sie oft zueinander in Beziehung gesetzt werden, ist es angebracht, sie im Laufe der Darstellung einander folgen zu lassen (I, III A und C). Dagegen stellt das Katechesemoment im großen und ganzen kein Problem dar, auf protestantischer Seite ist es durch positives Wachstum gekennzeichnet und wird für sich behandelt (II A). 3 5 Vgl. Diehl S. 81 ff. Die Pietisten werden, weil sie der Konfirmation einen allzu persönlichen Charakter geben und den Kindern zudringliche Fragen stellen, angegriffen (S. 85). Die große Prinzipienfrage, die damals zur Debatte stand, war der Subjektaspekt: Wieviel an persönlicher Verpflichtung und an religiöser Reife konnte man erwarten? Ansonsten hielten die Pietisten an der alten Ordnung fest. In Hessen ζ. B. hielt sich die Agende von 1574 während des ganzen 18. Jahrhunderts (S. 95). Siehe ebenfalls zu den Streitigkeiten in Sdileswig-Holstein T. Arnkiel: Christliche Confirmation, 1693, S. 243 ff. Hier ging es vor allem darum, ob die Konfirmation öffentlich oder privat sein sollte (S. 250).

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Das gleiche gilt für den Admissiogedanken (II B). Wo jedoch auf protestantischer Seite das Sakramentsmoment völlig verschwunden ist, fallen Ritusgedanke und Katechese zusammen (III Β 3 und D IV). Da jedoch alle wesentlichen Momente ihre eigene genetische Entwicklung und ihren eigenen geschichtlichen Verlauf haben, können wir trotzdem während der Arbeit einer chronologischen Linie folgen. Die einzelnen Hauptmotive in ihrer historischen Entwicklung während der Kritik der Jahre nach 1520 und 1530 werden parallel mit dem Anwachsen von Katechese und Abendmahlszucht (I und II) durch die ersten Verhandlungen und die Entstehung einer lutherischen Konfirmationsgestaltung (III A, B), durch die neuen kontroverstheologischen Erörterungen der vierziger Jahre (III C), durch die wechselseitigen Streitigkeiten um die Ritusfrage der lutherischen Theologen gegen Ende der vierziger und zu Anfang der fünfziger Jahre (III D) und durch die neuen Konfirmationsordnungen, die nach dem Friedensschluß von 1552 entstanden, bis hin zu der letzten Ordnung, die aus dem Jahre 1585 stammt, verfolgt. In bezug auf das Agenden-Material machen wir uns eine möglichst genaue Analyse der Texte zunutze se . Wir betrachten die Kombination dieser drei Methoden als einen Vorteil 37 . Die systematische Ordnung gibt eine klarere Ubersicht über die tragenden Grundgedanken in der Konfirmation, die chronologischen Linien zeigen die geschichtliche Entwicklung, während die analytische Methode nähere Detailkenntnisse der Texte vermittelt und dazu beiträgt, die einzelnen Gedanken und Begriffe besser zu erfassen. Einen großen Teil des Stoffes finden wir in kontroverstheologischem Zusammenhang. Auf diese Weise werden die Fragen von verschiedenen Seiten her beleuchtet. Die protestantische Konfirmation entstand nämlidi einerseits im Kampf mit der römischen Kirche (I) und andererseits in der Kontroverse mit den Schwärmern (III A). Aber es erhoben sich audi starke Gegensätze unter den Lutheranern hinsichtlich der ZeremonienFrage (III D). Dadurch setzte sich die lutherische Konfirmation sowohl von der katholischen Sakramentsauffassung wie audi von dem Synergismus der Schwärmer ab und räumte ihre eigene Unklarheit über die Zeremonienfrage aus dem Weg (Adiaphora). Durch diesen kämpferischen Prozeß wurde die Konfirmation zu größerer Klarheit und Ruhe geführt. 36

Man stellt sehr rasdi fest, daß einige Historiker bei ihrer Behandlung der Agendentexte wesentliche Momente außer adit gelassen und außerdem falsdi gedeutet haben, weil diese Texte nicht ausreichend genau analysiert worden sind. Eine „exegetischere" Methode gibt zuverlässigere und umfassendere Resultate ab. 37 Zur Kombination mehrerer Methoden siehe R. Prenter: Spiritus Creator, 1946, S. 13 ff. 18

5. Nicht alle Quellen, die Auskunft über die Konfirmationsgedanken der Reformationszeit zu geben vermögen, sind hinreichend genutzt worden. Das geschichtliche Material der leicht zugänglichen Werke — wie Weimarer Ausgabe, Corpus Reformatorum, Bekenntnisschriften, Chemnitz usw. — ist im großen und ganzen in früheren Darstellungen zu Wort gekommen. Die Kontroverstheologie der Reformation und der Gegenreformation hat eine bedeutend kleinere Rolle gespielt. Auf katholischer Seite finden wir Luthers Diskussionsgegner, die Reformtheologen und die Kritik des Tridentinums. Auf protestantischer Seite erscheinen die Vorschläge der Religionsgespräche und die polemischen Schriften im Zusammenhang mit den Verhandlungen während der Interims- und Adiaphorastreitigkeiten. Die hier geführte Debatte vermag Licht auf die gegensätzlichen Motive zu werfen, die sich bei den lutherischen Theologen in ihrem Kampf um die Konfirmation geltend machten. Die Erstausgaben der reichhaltigen Literatur, die während der reformkatholischen Periode, nach den Religionsgesprädien, in Verbindung mit dem Tridentinum, dem Interim und den Adiaphorakämpfen erschienen, bilden wesentliche Quellen unserer Untersuchung 38 . Was die Bucersche Gestaltung der Konfirmation angeht, so findet sich auch hier Material, das einer eingehenderen Analyse bedarf. Stoff von wesentlicher Bedeutung findet sich ebenfalls in den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Seit dem Erscheinen des großen Werkes von E. Sehling, „Die Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts", haben sich neue Möglichkeiten eines Verständnisses der Konfirmationsgestaltung während der Reformationszeit ergeben39. Der hier zugängliche Stoff vermittelt ein weit vollständigeres Bild von der Konfirmation der Reformatoren, als es früher zu zeichnen möglich war. Jedoch ist dieses Material im Hinblick auf die Konfirmation bis jetzt nicht ausreichend bearbeitet worden. Wir sind indessen während dieser Untersuchung nicht darauf angewiesen, ausschließlich die Konfirmationsordnungen zu benutzen, die im praktischen Leben der Kirche zur Anwendung kamen. Für uns sind die Gedanken der Reformatoren in bezug auf die Konfirmation von ebenso großer Bedeutung. Deshalb kann audi eine Ordnung, die nur zur Dis38 In Verbindung mit den Religionsgesprächen und den darauffolgenden Debatten — besonders Regensburg 1541 — erschienen einige Schriften, ebenso in Verbindung mit dem Tridentinum. Siehe die Literatur unter den diesbezüglichen Kapiteln. Während der Interims- und Adiaphorastreitigkeiten verließ ein Strom kleinerer Schriften die Druckereien von Chr. Rödinger und Michael Lotther in Magdeburg. Audi die andere Seite, Wittenberg und Leipzig, gab während dieser Zeit Schriften heraus — wenn audi die Quantität nicht der Produktion der Flacianer entsprach. 38 E. Sehling: Die evang. Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts I—VII2, X I — X I I , 1902—63.

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kussion unter Theologen gelangte, von Interesse sein. Man muß sich nur darüber klar werden, warum sie nicht über das Diskussionsstadium hinauskam. Es ist wichtig, sich über die verschiedenartigen Quellen, mit denen wir hier arbeiten, im klaren zu sein: es handelt sich um polemisches und praktisch-theologisches Material. Ersteres hat seinen Ursprung in einer Kampfsituation, in der sowohl die eigenen wie auch die Standpunkte der Gegner gern auf die Spitze getrieben werden. Stoff soldier Art darf nur mit größter Vorsicht benutzt werden. Um einen Einblick in die geschichtliche Entwicklung des Konfirmationsgedankens zu vermitteln, ist er allerdings gut brauchbar. Der Agendenstoff stammt dagegen aus verschiedenen Situationen 40 . Im allgemeinen entstand er in ruhigen Zeiten. Er ist im geregelten kirchlichen Leben beheimatet. Oder er ergab sich als das Resultat durch lange Zeiten hindurch geführter Erörterungen und der Erfahrungen anderer Kirchen. Der Agendenstoff kann die Übereinstimmung, die über eine Sache innerhalb der Kirche herrscht, zum Ausdruck bringen. Aber eine Agende konnte audi in Kampfzeiten als Ergebnis von Vermittlungsversuchen oder politischem Druck entstehen. Die historische Situation ist entscheidend, und der Stoff ist von seinem historischen Zusammenhang aus zu beurteilen. Die Konfirmationsfrage erhält in der Reformationszeit des öfteren auch eine dogmatische Lehrdarstellung; dieses Material bietet meistens keine Probleme. In Verbindung mit dieser Aufgabe melden sich gewisse terminologische Schwierigkeiten. Während der Reformationszeit hatte der Begriff „Konfirmation" häufig einen anderen Inhalt als den, den man dem Wort im 20. Jahrhundert beilegt. Der Begriff besaß eine Bedeutungsbreite, die von dem katholischen Sakrament bis zu einem protestantischen Akt, der im wesentlichen aus katechetischen Momenten bestand, reichte. Es ist daher unmöglich, eine generelle Definition des Begriffs zu geben, die für die gesamte Arbeit Gültigkeit hätte. Es ist dem Kontext zu entnehmen, was der Begriff in den einzelnen Fällen bezeichnet. 40 Der Begriff Agende wird in dieser Arbeit in einer weiteren Bedeutung, als er ihn während der Reformationszeit hatte, gebraucht. Man unterschied nicht so scharf zwischen Agende und Kirdienordnung, diese beiden Begriffe gingen teilweise ineinander über. Agenden, im strengen Sinne des Wortes ( = detaillierte liturgische Vorschriften und Texte), kamen in bezug auf die Konfirmation nur in einigen K O O vor (KalenbergGöttingen 1542, Pommern A 1569, Braunschweig-Wolfenbüttel 1569, H o y a 1573 und 1581, Mansfeld 1580, Lauenburg 1585). K O O beschrieben nur, welche Momente zur Konfirmation gehörten. Aber ab und zu können der beschreibende und der rein liturgische Teil ineinander übergehen. Handelt es sich um rein liturgische Texte, wenden wir selbstverständlich die Bezeichnung Agende an. Es kann aber auch berechtigt sein, den Begriff auf K O O anzuwenden, in denen nur die allgemeinen Momente einer liturgischen Ausgestaltung vorkommen.

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Ein häufig gebrauchtes Wort ist „Katechese". Hier wird es nicht in seiner modernen Bedeutung als Ausdruck einer bestimmten Unterrichtsmethode angewandt, sondern in seiner älteren, nämlich Unterweisung von Kindern und Jugendlichen (und Erwachsenen, soweit sie nicht den Katechismus beherrschen) in der Lehre der Kirche. Wir haben ebenfalls das alte Wort „Verhör" beibehalten. Es hat freilich im allgemeinen einen juristischen Beiklang. Das moderne Wort Prüfung hat audi eine unglückliche doppelte Bedeutung, und außerdem fehlen in anderen Sprachen die Korrelate zu diesem Wort. Im Deutschen wird aber als HauptbegrifF und Durchgangswort in den Texten der Reformationszeit „Verhör" gebraucht. Es bedeutet daher eine Vereinfachung, im Verlauf dieser Arbeit an diesem Begriff festzuhalten. Nach Beendigung dieser Arbeit erschien der 7. Band von Martin Bucers Werken (Deutsche Schriften) als Neudruck. Er enthält seine Schriften von 1538—39 zusammen mit „Von der waren Seelsorge" und den Kirchenordnungen in Ziegenhain und Kassel. Gleichzeitig erschien der 8. Band des Sehlingschen Werkes, der Hessen behandelt. Wir bedauern, daß es nicht mehr möglich war, Hinweise auf diese leicht zugänglichen Werke in die Anmerkungen einzuarbeiten. Diese beiden Ausgaben hätten allerdings nach Inhalt und Material, verglichen mit den hier benutzten, kaum etwas Neues zur vorliegenden Untersuchung beigetragen.

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I. Die katholische Konfirmation und die lutherische Kritik nach 1520 1. Einleitung:

Die katholische

Konfirmation

W e n n w i r die H a l t u n g d e r R e f o r m a t o r e n z u d e r K o n f i r m a t i o n s f r a g e v e r s t e h e n w o l l e n , müssen w i r d i e K o n f i r m a t i o n k e n n e n , d i e z u i h r e r Z e i t in d e r römischen K i r c h e G e l t u n g h a t t e . D a b e i k a n n es nicht dieser U n t e r s u c h u n g sein, die E n t w i c k l u n g d e r katholischen

Aufgabe

Konfirma-

t i o n v o n e i n e m altkirchlichen T a u f r i t u s zu e i n e m a n e r k a n n t e n

Sakra-

mentsdogma im Spätmittelalter darzustellen1. M i t t e l a l t e r l i c h e P r a x i s u n d theologisches D e n k e n i m mit

der Konfirmation

Concilium Sakrament

Florentinum bestätigt.

flössen

in d e m ö k u m e n i s c h e n

Zusammenhang

Lehrbeschluß

des

1 4 3 9 2 z u s a m m e n . D i e K o n f i r m a t i o n w u r d e als Seine M a t e r i e

soll das C h r i s m a ,

eine

bestimmte

M i s c h u n g aus O l i v e n ö l u n d B a l s a m , sein. D a s C h r i s m a ist v o m Bischof zu w e i h e n , d e r d a r ü b e r beten, das Zeichen des K r e u z e s schlagen u n d es, nach J o h . 2 0 , 2 2 , a n h a u d i e n soll. D i e F o r m d e r K o n f i r m a t i o n b e s t e h t in f o l g e n d e n W o r t e n : „ S i g n o te signo crucis et c o n f i r m o t e c h r i s m a t e salutis 1 Wir verweisen auf einen Teil der Literatur, die diese Epoche behandelt: J . W. F. Höfling: Das Sakrament der Taufe I, 1848, S. 141 fi.; II S. 315 ff.; C. A. Gerh. von Zezsdiwitz: Der Katechumenat, 1863, S. 91 ff.; F. J . Dölger: Das Sakrament der Firmung, 1906; Michael Sdimaus: Katholisdie Dogmatik IV, 1957, S. 189 ff.; L. Vischer: Die Geschichte der Konfirmation, 1958, S. 9 ff.; C.-G. Andren: Konfirmationen i Sverige under medeltid odi reformationstid, 1957, S. 9 f f . ; vgl. weitere Literatur bei Andren S. 9. — The Catholic Encyclopedia IV, 1913, S. 217 ff.; Dictionaire de Theologie Catholique I I I 1, 1911, Confirmation S. 975 ff. 2 Concilium Florentinum. Documenta et scriptores. Ed. Gregorius Hofman, Roma 1940. Vgl. Pars II. Epistolae Pontificae de rebus in concilio. Eugenius I V : Bulla unionis Armenorum, 22. nov. 1439, Florentinae: Secundum sacramentum est confirmado cuius materia est crisma confectum ex oleo, quod nitorem significat conscientie, et balsamo, qui odorem significat bone fame, per episcopum benedicto. Forma autem est: Signo te signo crucis et confirmo te crísmate salutis in nomine patris et filii et spiritus sancti. Ordinarius minister est epicopus... quia de solis apostolis legitur, quorum vicem tenent episcopi, quod per manus impositionem spiritum sanctum dab a n t . . . Loco autem illius manus impositionis in ecclesia datur confirmatio . . . Effectus autem huius sacramenti est, quia in eo datur spiritus sanctus ad robur, sicut datus est apostolis die penthecostes (S. 128 f.). Vgl. Denzinger Nr. 697. Der Konzilsbeschluß ist keine dogmatische Neuschaffung, sondern eine Kodifizierung einer seit längerer Zeit in der Kirche bestehenden Theologie und Praxis.

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in nomine patris et filii et spiritus sancti." Danach hat der Bischof „forma realis" auszuführen, nämlich das heilige Chrisma mit dem Daumen in Kreuzesform auf die Stirn des Konfirmanden zu streichen. Der Bischof ist also „minister Ordinarius". Nur er kam dafür in Frage, da es ursprünglich nur die Apostel waren, die den Heiligen Geist durch Handauflegung weiterzugeben vermochten. Es wird in diesem Zusammenhang auf Acta 8 hingewiesen. Die Bischöfe waren die Erben der Apostel. Daher bestand die Wirkung auch in „spiritus sanctus ad robur". Deutlich kommt das Bekenntnis- und Kampfmotiv zum Ausdruck. Die Salbung des Konfirmanden an der Stirn symbolisiert Bekenntnis und Mut. Die Stirn ist der Sitz des Schamgefühls (verecundia). Sie wird zum Zeichen dafür gesalbt, daß der Konfirmand sich nicht des Namens und Kreuzes Christi schämt, sondern offen bekennt: „ne Christi nomen confiten erubescat et precipue crucem e i u s . . 3 . Durch die öffentliche Bekanntmachung dieses Dogmas hatte die Konfirmation eine feste Gestalt erhalten. Und die Kirdie konnte mit lehrmäßiger Ruhe und solider Verankerung dieses Dogmas rechnen. In der Zwischenzeit festigte sich im Volke die Tradition, und die Beliebtheit der Konfirmation nahm zu. Diese Konfirmationsauffassung prägt im großen und ganzen die katholische Theologie der Reformationszeit. Dies können wir bald durch einen Blick auf die Konfirmation zur Zeit Luthers feststellen. Ein besonders typischer Ausdruck dieser Ansicht findet sich bei Berthold von Chiemsee (Pirstinger). 1525 zog er sich von seinem Bischofsamt zurück, um seine Tewtsche Theology 4 zu schreiben. Berthold schreibt für das einfache Volk und gibt eine Laiendogmatik heraus. Er will auf positive Weise das Vordringen der neuen Lehre dämpfen 5 . Dies geschieht am besten durch eine Stärkung des katholischen Glaubens. Da dieses Buch als Glaubenslehre für Laien geschrieben ist, ist es wahrscheinlich, daß wir hier der üblichen Auffassung katholischer Lehre, so wie sie verkündigt und an das Volk weitergegeben wurde, begegnen. Die Konfirmation ist eins der Elemente, die Berthold besonders volkstümlich und verständlich dargestellt hat. Mit dem geistigen Leben verhält es sich so wie mit dem körperlichen. Zuerst wird der Körper aus dem Samen des Vaters empfangen, dann wird er im Mutterleib lebendig, um später zur Welt geboren zu werden. 3

Ibid. Pars II S. 128 f. Vgl. Wolfg. Reithmeiers Ausgabe 1852. 6 Berthold ist ohne Zweifel auch der Verfasser des bekannten Onus ecclesiae (geschrieben 1519, herausgegeben 1524), ein heftiger Angriff auf Luther, aber audi eine Kritik an dem Verfall innerhalb der Kirdie. Vgl. Hugo Laemmer: Die Vortridentinisdi-Katholisdie Theologie, 1858, S. 27, vgl. die Flugschrift Onus Ecclesiae, in: RE 15, S. 309. 4

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Danach wächst und reift er zu Arbeit und Kampf. So wird auch der Geist des Menschen aus Gottes zuvorkommender Gnade empfangen, danach durch die Taufe zum Leben geboren — „in der muoter christlicher kirch, aber noch waich vnnd kraftlos"6. Will der Mensch nach seiner Taufe weiterleben und das geistliche Leben bewahren, muß er ständig die geistlichen Feinde bekämpfen. Das christliche Leben auf dieser Erde ist also „ain geystliche rytterey" 7 . Hierzu ist das Konfirmationssakrament gegeben, daß der Geist zur Kraft und Bestätigung der in der Taufe geschenkten Gnade verliehen wird8. Es muß ein Wachstum an geistlicher Kraft und Tugend geben. Die durch die Taufe mitgeteilte Gnade ist schwach und unvollkommen und bedarf der Stärkung durch die Konfirmation9. So wie das ö l auf dem Wasser schwimmt, so sind Gnade und Gabe des Heiligen Geistes in der Konfirmation größer als die, die man in der Taufe empfängt10. Seine Hauptstelle ist Joh. 3, 5: Wer aus Wasser und Geist geboren ist, wird in das Reich Gottes kommen. Das Wasser ist die Taufe, der Geist die Konfirmation. Die Konfirmation scheint heilsnotwendig zu sein und verleiht darüber hinaus eine besondere Heiligung. Die Salbung der Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes ist nicht nur ein Symbol, sie gewährt audi einen Charakter indelebilisu. Nur der Bischof kann Konfirmator sein, weil er der Nachfolger der Apostel ist, und nur diese konnten den Geist in diesem besonderen Sinn verleihen12. Gasparo Contarmi schrieb ebenfalls zu dieser Zeit über die Sakramente13. Sein Ausgangspunkt ist der gleiche wie bei Berthold: der von 7 Ibid. S. 433. Tewtsche Theology, 1528, S. 432. Ibid.: Dezhalb ist aufgesetzt der firmung sacrament, in deme geraicht wirt heyliger geyst zuo besterdcung des getawfften vnd zuo bestaettung goetlicher gnad, die imm tawf gegeben ist. ' Ibid. S. 4 3 3 : Die gnad, so imm tawf gegeben aber nodi waich vnd vnuolkommen ist, wirt in firmung gesterckt, bestaettigt vnd volkommen. 1 0 Ibid. S. 4 3 4 : wie oel swymbt oben wasser, also ist die gnad vnd gab heiligs geistes (der imm firm geraicht wirt) hoeher dann die gnad vnd abwaschung der sünd, so im tawf beschiecht. Vgl. auch S. 4 3 5 : die firm vber die tawf hodi zepreysen. 1 1 Ibid. S. 4 3 4 : als ainer der imm sacrament gesalbt vnnd aufgenomen ist zuo christenlichem streyt vnd jnwendig an der sele tregt caracterem vnnd das zaichen Christi, nemlich das panyr des obsyggenden kreytz. Und S. 4 1 9 : durdi heiligen geist in menschlichen geist eingedruckt der Caracter, das ist ain vnnderschidlichs vnd vnawslesdilichs warzaichen. 1 2 Ibid. S. 435. Vgl. zu Berthold außerdem F. J . Dölger: Das Sakrament der Firmung, 1906, S. 157 ff. und Laemmer S. 232 ff. 1 3 Gasparo Contarini: De Sacramentis Christianae Legis et Catholicae Ecclesiae, 1533. Das Buch wurde 1 5 3 5 — 3 6 geschrieben; bei unserer Ausgabe muß es sich um eine spätere handeln. In dieser Schrift ist nichts von der Haltung gegenüber den E v a n gelischen, die Contarini in den späteren Jahren prägte, zu merken (vgl. III Β 2). S. Corpus catholicorum VII, Einleitung S. X V . 6

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Geburt an schwache Mensch, welcher die Kraft der Sakramente braucht u . Die Konfirmation folgt auf die Taufe zur Vermittlung geistlicher Kraft, damit man sich nicht des Namens Christi schäme. Er legt großen Wert auf die Konsekration des Öls durch den Bischof, welches bei ihm das Feuer von Pfingsten symbolisiert15. Der Schwache wird stark und erhält die Gnade, seinen christlichen Glauben zu bekennen, desgleichen empfängt er den neuen „Charakter" 1β . Mehrere katholische Theologen behandeln das gleiche Thema während der dreißiger Jahre 17 . Befaßt man sich näher mit den verschiedenen Schriften, so wird man entdecken, daß sich im großen und ganzen bei allen die gleichen Gedanken finden. Auf katholischer Seite herrscht — bis an die vierziger Jahre heran — eine große Einigkeit in der Sakramentslehre. Erst nach 1540 können sich verschiedene Ansichten geltend machen. Eine kurze Skizze der Grundgedanken über die Sakramente im allgemeinen und die Konfirmation im besonderen ergibt folgendes Bild: Die Anzahl wird auf sieben festgesetzt. Die Begründung der Siebenzahl kann verschieden ausfallen. Gewöhnlicherweise genügt die Behauptung, daß Christus durch die Apostel sieben Sakramente eingesetzt hat. Oder ein Hinweis auf die Tradition wird als ausreichend angesehen. Man stößt kaum auf eine Beschäftigung mit der Definition der Sakramente, dagegen begegnet man einem häufigen Gebrauch volkstümlicher Bilder und Illustrationen dessen, wozu die verschiedenen Sakramente dienen und worin ihr innerer Zusammenhang besteht. Taufe und Buße beziehen sich auf den Glauben, Konfirmation und letzte Ölung auf die Hoffnung, Abendmahl und Sakrament der Ehe auf die Liebe, und die Ordination schafft den Mittler, der alle anderen Sakramente verwaltet 18 . In der Taufe wird man als Christi Soldat geboren, in der Konfirmation erhält man Rüstung und Waffen, die Buße verbindet die Wunden des Kampfes, das Abendmahl verleiht Kampfesstärke, und die Letzte Ölung gibt den Gefallenen die Kraft, in das andere Leben hinüberzuwandern. Die Ordination bildet die Offiziere für den großen Feldzug aus 18 . Berthold ver14

Ibid. S. 48: per baptisma renatus in hominem spiritualem, adhuc infirmis uiribus, et imbecillis, quasi intra uterum matris ecclesiae custoditur quosque crescat, et fiat firmior, quam firmitatem accipit melius, et utilius per diristiana sacramenta. 15 Ibid. S. 49. 16 Ibid. S. 52. 17 Z. B. J. Gropper: Enchiridion Christianae Institutio, gedruckt in: Cánones Concilii Prouincialis Coloniensis, 1538. D a wir von dieser Schrift in einem anderen Zusammenhang Gebrauch machen (III Β 2), lassen wir sie hier nicht zu Worte kommen. Sie bewegt sidi ebenfalls im großen und ganzen auf derselben Linie wie die anderen Schriften, denen wir unseren Stoff entnehmen. — J. Cochlsus: Concilium super X X V I I I Articulus Augustensibus, 1540; J. Eck: Loci Theologici, 1525. 18 Vgl. die Texte bei Laemmer S. 210. 19 Ibid. 25

gleicht die Sakramente mit den fünf Broten und den beiden Fischen. Alle braudien Brot um zu leben. Das sind die fünf Hauptsakramente. Fisch braucht man nicht. Das sind die beiden Sakramente, die nicht allen Menschen gelten, das Sakrament der Ehe und das der Ordination 20 . Letzteres berührt die Dignität. Obgleich alle Sakramente hoch angesehen sind, unterscheiden sie sich trotzdem in nicht geringem Maße voneinander. Das Abendmahl nimmt den höchsten Rang ein, weil es Christus selbst enthält 21 . Davon abgesehen, herrscht ein wesentlicher Unterschied zwischen den fünf notwendigen und den beiden, die nicht allen Menschen gelten (Ehe und Ordination). Die beiden letztgenannten sind demnach nicht heilsnotwendig. Die Heilsnotwendigkeit von Konfirmation und letzter Ölung konnte bestritten werden, aber da handelte es sich meist um vereinzelte Behauptungen 22 . Unter den Theologen war man sich darüber einig, daß drei der Sakramente eine immerwährende Wirkung haben (Taufe, Konfirmation und Ordination). Sie verleihen einen Charakter indelebilis. Sie drücken dem Empfänger Gottes Kennzeichen auf 23 . Dieses Zeichen ist für Menschen unsichtbar, aber sichtbar für Gott. Er erkennt daran am jüngsten Tag die Seinen, so wie ein Hirte seine gezeichneten Schafe erkennt. Bei diesem „Charakter" handelt es sich um eine „qualitas animae" 24 . Diese Sakramente sind daher nicht zu wiederholen. Das würde bedeuten, den einen Stempel auf den anderen zu drücken, was nur zu Unklarheit führen würde. Konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Konfirmation, besteht die gewöhnliche Auffassung darin, daß sie sich bereits bei Christus findet, aber als kirchliche Handlung erst von den Aposteln eingesetzt wurde, nachdem sie selber mit dem Heiligen Geist konfirmiert waren. Berthold findet die Konfirmation neben der Taufe bei Jesus in Joh. 3, 5 erwähnt, und Eck findet in Mk. 10, 15 „eine Insinuation der Firmung". Das Ganze läßt sich in dem folgenden Satz zusammenfassen: „von Christo insinuirt, 20

Ibid. S. 212. Vgl. Heinrich VIII. in Assertio Septem sacramentorum aduersus Martin Lutherum, 1521: viderunt sacramentorum omnium hoc (eucharistia) esse summum quod ipsum sacramentorum dominum complectatur (Laemmer S. 213.5). 22 Gropper bot in seiner reformtheologischen Periode eine Möglichkeit, aus der Konfirmation keine absolute Bedingung für die ewige Seligkeit zu machen (vgl. Enchiridion, S. Rij), aber in seinen späteren Schriften hat er diese Ansicht aufgegeben (vgl. Gegenberidit, 1544, s. u. S. 196, und Liber Ratisbonensis, der denselben Gedanken enthält, s. u. S. 163 f.). 23 Als Beispiel können Ecks Loci angeführt werden: Credit ecclesia et fideles in tribus sacramentis imprimi animae quoddam signaculum, quod character nominatur, scilicet in baptismo, confirmatione et ordine (Laemmer S. 213.6). 24 Heinrich VIII. in Assertio: Character est illa qualitas animae, quam deus sibi notam, nobis incogitabilem imprimit in signaculum, quo suum gregem discernit ab alienis (Laemmer S. 214.7). 21

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von Aposteln instituirt" 25 . Was die Apostel betrifft, so weist man gewöhnlich auf die Worte in Acta 8 und 19 hin. Der Diakon Philippus konfirmierte nicht, das überließ er den Aposteln. Neben diesen Beweisen aus der Schrift hat die Tradition ebensoviel Gültigkeit. In der Debatte mit Luther und den Protestanten macht sich sogar eine Tendenz, das Hauptgewicht auf das Zeugnis der Väter zu legen, bemerkbar 2e . Das Element ist Chrisma. Den Schriftbeweis dafür findet Berthold in Apoc. 7, 3 27 . Das Verhältnis zwischen Chrisma und „impositio manuum" ist nicht immer eindeutig. Die beiden Begriffe und ihre Wirkung gehen oft ineinander über. Die Salbung ist auch eine Art Handauflegung, da der Bischof ja während dieser Handlung die Stirn des Konfirmanden berührt 28 . „Impositio manuum" ist das sichtbare Zeichen, das den Geist mitteilt 29 . Diese beiden „signa" können nicht getrennt gedacht werden, das eine genügt nicht ohne das andere 30 . Eigentlich vermögen erst beide gemeinsam den Geist zu verleihen. Zur Frage der Bedeutung der Konfirmation im Verhältnis zu den anderen Sakramenten konnten sich verschiedene Auffassungen geltend machen. Im allgemeinen folgte die Konfirmation rangmäßig nach sowohl Abendmahl wie Taufe. Sah man allerdings auf ihre Wirkungen im Vergleich mit den anderen, konnte man Unsicherheit empfinden. Sah man auf die Handlung vom Standpunkt des Konfirmators aus, ließ sich sogar behaupten, sie übersteige die anderen, ζ. B. die Taufe, an Rang. Der hohe geistliche Verwalter verlieh der Konfirmation eine größere Würde und Wirkung, als sie ein niederer Geistlicher der Taufe zu geben vermochte 31 . Die Frage nach dem Verwalter der Konfirmation scheint in der Schrift 25

Laemmer S. 233. Ζ. B. bei Heinrich VIII. in Assertio (vgl. S. 96) und Pighius (vgl. unten S. 197 f.). 27 Vulgata, Ape. 7,3: Signemus servos Dei nostri in frontibus eorum. — Hierzu sagt Berthold: Der mensch wirt auch mit solhem crisem gesalbt an seinen styren, umb das gesdiriben steet (Tewtsche Theol. S. 434). 28 Contarini legt großen Wert auf das Chrisma (vgl. De sacramentis S. 49). Heinrich VIII. erwähnt es kurz in Verbindung mit der Konfirmation und legt alles Gewicht auf die impositio (vgl. Assertio S. 98). 29 Vgl. Eck: Ecce post baptismum erat signum sensibile impositio manuum, quo conferebatur gratia spiritus saneti et ita erat sacramentum (Laemmer S. 234.3). In Assertio heißt es auch: etiam s. scripturae clarissimis locis ostenditur visibili signo manus pontificae, non gratiam tantum, sed et ipsum gratiae spiritum conferre (S. 100). 30 Dies kommt am deutlichsten in dem Vorschlag zu Regensburg 1541 zum Ausdruck, w o man, um den Evangelischen entgegenzukommen, die impositio zum Element macht, aber trotzdem an dem Chrisma festhält (vgl. III Β 2). 31 Berthold räsoniert wie folgt: Die Apostel verwalteten die Konfirmation, der Diakon Philipp vermochte es daher nicht (selbst wenn er taufte): Darumb ist die firm nit zeuerachten, sonder vber die tawf hoch zepreysen von wegen der hohen gnad vnnd gab heiiges geistes, so in demselben sacrament geraicht wirt (vgl. Tewtsche Theol. S. 435, Laemmer S. 235). 26

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so sicher begründet zu sein, daß sie kaum jemals zum Diskussionsgegenstand wurde (Acta 8). Nur selten begegnet man der Andeutung, daß der Priester als Repräsentant des Bischofs und aufgrund seines Mandates für ihn Vikariieren kann 32 . Hinsichtlich der Wirkung der Konfirmation besteht allerdings keine Divergenz. Dieses besondere, geistvermittelnde Sakrament schenkt Heiligung und Kraft im Lebenskampf. Die unterschiedlichsten Bilder werden gebraucht, um den Streit gegen die Feinde des christlichen Lebens zu schildern. Das Kampfmotiv läßt sich auf alle Sakramente anwenden, was leicht zu einer besonderen Wertschätzung der Konfirmation führt 3 3 . Der Ritter als Ideal spielte im Mittelalter eine große Rolle und war beim Volke immer noch sehr beliebt. Farbige Illustrationen aus diesem Bereich erhöhten ständig das Ansehen der Konfirmation in den Augen des Volkes — und audi der Theologen. Die Konfirmation war ja eines der Sakramente, die den Geist des Menschen unauslöschlich prägten 34 . Sein Zweck ist deutlich. Die Gnade der Konfirmation wird zur Bewahrung des in der Taufe geborenen schwachen Lebens geschenkt35. Und zwar nicht nur, um es in seiner Schwäche zu schützen, sondern auch, damit es während des Wachsens stärker werden kann 36 . Der Getaufte soll im Kampf des Lebens zu einem siegenden Menschen werden. Dabei handelt es sich hier nicht nur um einen negativen Kampf gegen die Feinde des christlichen Lebens, sondern auch um einen positiven — den Kampf um zunehmende Heiligung. Die Heiligung steht im Vordergrund37. Dieses Streben nach Heiligung hat ein hochstehendes Ziel, nämlich nichts weniger als „ad perfectam virtutem" zu gelangen 38 . 32 Vgl. Contarini: D e sacramentis S. 50. Hier gab es jedoch einen schwachen Punkt in der Tradition, der wieder auf dem Tridentinum zum Vorschein kommen sollte (vgl. III C 2). 33 Laemmer S. 235. Berthold bringt ein ganzes Schema, nach dem er die verschiedenen Sakramente unter das K a m p f m o t i v einordnet (ibid. S. 210). 34 Eck in Loci (vgl. Laemmer S. 213.6), Heinrich VIII. in Assertio (ibid. S. 214.7), Berthold in Tewtsche Theol. (S. 434), s. o. Anm. 19 und 20. 33 Tewtsche Theol. S. 433: V n d ist not dises sacraments der firm, dorjnn menschlicher geyst durch gnad heyligs geystes, wachst an geistlicher groess v n d sterck auch aufnymbt an kraift vnnd tugent. 36 Contarini in D e sacramentis S. 48: et fiat firmior, quam firmitatem accipit melius, et utilius per Christiana sacramenta, ideo baptismati succedit confirmationis sacramentum, quo praestatur spiritualis vigor, et robur, quod nec erubescentia, nec timor ullus vincat, quin palam profiteatur nomen Christi, huius institutio sacramenti. U n d Berthold in Tewtsche Theol. (S. 433): Wil nu der mensch nach seiner tawf geistlich leben, muoes er staets kriegen wider die feind geistlichs leben v n d christlidis glawbs, sichtig v n d vnsichtig. 37 Berthold S. 434: all christen seinn inn feld christi schuldig zestreytten wider jr aigen fleisch, wider die w e l d v n d den deufel. Contarini S. 52: H o c sacramento largitas quaedam amplior gratiae datur, et maioris sanctificationis. 38 Contarini S. 52: Datur item sacramentalis gratia illa, in remedium imbecillitatis animi, ad confessionem christianae fidei, confertur item consecratio, et character,

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Wir stehen also einem doppelten Aspekt gegenüber: Ein starker, kampfestüchtiger Christ, der sich gegenüber allen Feinden der Seele zu behaupten vermag, die redite „geystliche rytterey", und ein Heiligungskampf, der dem perfectus-Ideal zustrebt. Diese nach dem Himmel strebende Zielsetzung erhielt ihren prägnantesten Ausdruck in den beiden Sentenzen: „ad perfectum robur" und yy ad perfectam virtutem". Erstere zeichnet das ritterliche Ideal, letztere das Bild des Heiligen. Diese Ideale umgeben die Konfirmation der römischen Kirche mit einer romantisch-religiösen Stimmung. 2. Luthers Auseinandersetzung

mit der katholischen

Konfirmation

Die Konfirmation war für die Reformatoren kein zentraler Punkt, daher bildete sie auch nie ein wesentliches Anliegen unter den Fragen, um die man sich in der Reformationszeit stritt. Nach Auffassung der Reformatoren sagt die Schrift nichts über die Konfirmation aus. Daher konnte es scheinen, als falle sie nicht in ihre Interessenssphäre. Jedoch standen die Sakramente im Mittelpunkt ihrer Theologie und Debatte. Dadurch mußte audi die Konfirmation — als katholisches Sakrament — in den Brennpunkt rücken. War sie ein Sakrament, würde sie sofort in articuli fundamentales hinaufrücken. War sie es nicht, mußte zu ihr Stellung genommen werden. Zu einem frühen Zeitpunkt hatte Luther keinerlei Einwände gegen die Konfirmation. Er zählte sie — in Ubereinstimmung mit geltender katholischer Theologie — zu den Sakramenten. In seinem Kommentar zum Hebräerbrief 1517 stellt er sie neben die Taufe als eines der nur einmal gespendeten Sakramente und zitiert Chrysostomus, dem er sich anschließt 1 . Nodi im Jahre 1520 rechnet er in Ein Sermon von dem Neuen Testament „fermel" zu den Sakramenten 2 . Indessen begann er quo statuitur in ordine perfectorum, et veluti adultorum in populo diristiano. Sacramentum hoc est baptismate perfectius. Assertio S. 99: per quam et crescimus et ad perfectionem virtutis perducimur, ita in spirituali vita, quae per generationem baptismatis acquiritur, opus est sacramento confirmationis, per quam vita spiritualis ad perfectam virtutem perducitur et spiritus s. datur ad perfectum robur. 1 W A 57, Die Scholien S. 180.5: Sacramentum baptismatis et confirmationis non esse iterabile. Zu dem Chrysostomus-Zitat s. MPG 63, Sp. 300. (Luther läßt hier das, was Chrysostomus zur Handauflegung sagt, aus: Et impositionis, inquit, manuum. Sic quippe sanctum Spiritum accipiebant, imponentes eis palam manus. Ibid.) Luther schließt sich dem weder an, noch bestreitet er es. — Vgl. Maurer (Gemeindezucht, Gemeindeamt, Konfirmation, 1940), der darauf aufmerksam madit, daß Luther hier das Konfirmationssakrament im Zusammenhang mit Taufe und traditio symboli sieht. Mit seinem Chrysostomus-Zitat zeigt er, daß er sich in seinem Festhalten der katholischen Auffassung auf die alte Kirche gründet (S. 54 Anm. 11). 2 W A 6, S. 367.16: wir müssen die messen lassen bleyben ein sacrament und testament, wildi nit sein, noch mügen ein opfer sein, szo wenig, als die ander sacra-

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1519 mit der Arbeit an den Sakramentsfragen. In diesem Jahr erschienen nicht weniger als drei Schriften, die sich mit dieser Sache befaßten. Buße, Taufe und Abendmahl erfahren ihre Behandlung in je einer Predigt 3 . Sie sind epochal, da er in ihnen die Frage nach der Zahl der Sakramente stellt — und zu dem Resultat gelangt, daß es eigentlich nur zwei Sakramente gibt: » . . . zwey furnemliche Sacrament seynd yn der Kirchen, die Tauff und das Brott" 4 . Im nächsten Jahr (1520) geht er einen Schritt weiter. Er deutet als Ideal nicht nur die Beibehaltung von zwei (oder drei) Sakramenten an, sondern geht in einer seiner führenden Reformationsschriften, De captivitate Babylonica, zum Angriff auf die Siebenzahl der katholischen Lehre über. Will man der Schrift folgen, behauptet er, so kann man nicht mehr als drei anerkennen, nämlich „Baptismus, Poenitentia, Panis" 5 . Ja, um in dieser Angelegenheit ganz genau zu sein, sagt er später in seiner Schrift, so gibt es in der Gemeinde nur zwei Sakramente: „Baptismus et panis", denn nur in diesen beiden finden wir die Einsetzung durch Gott und die Verheißung der Sündenvergebung e . Wenn Luther zunächst hinsichtlich der Zahl, ob es zwei oder drei Sakramente gibt, schwankt, beruht das auf seinem Gebrauch des Begriffes „signum" statt „materia"7. Seine Ansicht über die Sakramente festigte sich aber im Laufe dieser Jahre. ment, tauf, fermel, pusz, Ölung etc. wir vorlören sonst das Evangelium, Christum, trost und alle gnade gottis. 3 Ein Sermon von dem Sakrament der Buße (WA 2, S. 714 ff.). Ein Sermon von dem heiligen hoch würdigen Sakrament der Taufe (WA 2, S. 727 ff.). Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Brüderschaften (WA 2, S. 742 ff.). 4 WA 2, S. 754.1. 5 WA 6, S. 501.33: Principio neganda mihi sunt Septem sacramenta et tantum tria pro tempore ponenda, Baptismus, Poenitentia, Panis, et haec omnia esse per Romanam curiam nobis in miserabilem captivitatem ducta Ecclesiamque sua tota übertäte spoliatam, quanquam, si usu scripturae loqui velim, non nisi unum sacramentum habeam et tria signa sacramentalia, de quo latius suo tempore. — Luther würde also am liebsten sagen: Ein Sakrament (Christus selber) mit drei sakramentalen Zeichen. „Ein Sermon von dem neuen Testament", der nodi an der Konfirmation festhält (vgl. Anm. 2), stammt aus dem Frühjahr 1520 (WA 6, S. 349), während De captivitate Babylonica, die sie hier ablehnt, Herbst 1520 geschrieben wurde (WA 6, S. 487). • WA 6, S. 572.12: si rigide loqui volumus, tantum duo sunt in Ecclesia dei sacramenta, Baptismus et panis, cum in his solis et institutum divinitus signum et promissionem remissionis peccatorum videamus. N a m ponitentiae sacramentum, quod ego his duobus accensui, signo visibili et divinitus instituto caret et aliud non esse dixi quam viam ac reditum ad baptismum. 7 Signum paßt gut zur Absolution, die die Handauflegung als äußeres Zeichen hat, während Materia besser zu Abendmahl und Taufe mit seinen Elementen (Brot, Wein und Wasser) passen würde. Der etwas weitergefaßte Signum-Begriff hat Luther offenbar Schwierigkeiten bereitet, nur an zwei, und nicht an mehreren Sakramenten, festzuhalten.

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In der römischen Kirche herrschte eine Zerstückelung der Gnade und eine Gradeinteilung der Geistesverleihung, die er nicht mit den Aussagen der Schrift in Ubereinstimmung zu bringen vermochte. Wort und Sakrament müssen zwei Formen, in denen Christus seine Gnade mitteilt, sein, denn beide haben ja ihre Kraft von Christus selbst. Daher kann man sie nicht auf einer Wertskala anbringen, w o das eine Gnadenmittel das andere übersteigt oder ihm untergeordnet ist. Sie alle bringen das Evangelium mit seiner Gnade und Gabe, nämlich die Vergebung der Sünden. Auf sie folgt der Geist mit seinem Wirken und seinen Früchten. Darüber hinaus kann niemand etwas empfangen 8 . Von dieser Grundansicht her gewinnt Luther ein klareres Verständnis dessen, was ein Sakrament ist. Es bedarf zweier Momente, um von einem Sakrament im Sinne der Bibel sprechen zu können: eine göttliche Verheißung und ein äußeres sichtbares Zeichen — „promissio" und „signum"9. Ersteres gibt den Inhalt des Sakramentes, letzteres dessen Form an. Nachdem Luther zu dieser Klärung gelangt war, besaß er einen Ausgangspunkt für seine Beurteilung der Sakramentslehre der katholischen Kirche. Und nun zögerte er nicht mehr mit der Abschreibung der „Sakramente", die dieser Definition nicht standhielten. In De captivitate Babylonica werden die vier katholischen, von denen nicht aufgrund der Schrift gesagt werden kann, daß sie Christi Verheißung, Zeichen und Der Grund dieser Begriffswahl könnte in der Furcht, der katholische Begriff Materie ließe sich leicht in „magischer" Richtung deuten, bestehen. Aber nach späterer Forschung standen auch andere Überlegungen dahinter. Mit dieser Terminologie bridit Luther mit dem aristotelisch-katholischen Schema: Materie-Form (Prenter 1946, S. 149 f.) und kehrt zu der älteren Ausdrucksweise, die weniger an metaphysische Spekulationen gebunden ist, zurück. In den Sdiriften von 1520 bestehen die Sakramente aus zwei Komponenten: Verbum und Signum (C. Fr. Wiskiff: Nattverd og messe, 1957, S. 36). Verbum Christi wird oft durch die Begriffe promissio und sacramentum ersetzt. Oft werden die Einsetzungsworte durdi diese Ausdrücke charakterisiert (Wisloff S. 42). In jedem Sakrament gibt es eine promissio Gottes. Diese Verheißung in Verba Christi ist es, die ein Sakrament konstituiert (Prenter S. 150). Dieser promissio ist ein signum beigefügt, welches die Verheißung siditbar macht. Signum und verbum (promissio) waren auf ganz andere Weise als die katholischen Termini (materia/forma) dazu geeignet, die wesentliche Intention der Sakramente nach der Auffassung Luthers vorzutragen, nämlich die Verkündigung des Evangeliums. 8 Vgl. zu Luthers Sakramentsverständnis: Prenter S. 142 ff.; Wishaff S. 32 fi.; E. Roth: Sakrament nadi Luther, 1952; vgl. außerdem C.-G. Andren S. 206 und die dort angeführte Lit.; L. Klein: Evang.-lutherische Beichte, 1961, S. 11 ff. • WA 6, S. 572.14: Nur in Taufe und Abendmahl finden wir institutum divinitus signum et promissio remissionis peccatorum. S. 550,10: Ad sacramenti enim constitutionem ante omnia requiritur verbum divinae promissionis. S. 550.25: Diximus, in omni sacramento haberi verbum promissionis divinae, cui credi oporteat ab eo, qui signum suscipit, nec solum signum posse sacramentum esse. 31

Einsetzung haben, herausgeschält 1 0 . D r e i J a h r e später spricht er es in seiner Schrift V o m Anbeten des Sacraments deutlich aus, d a ß die Bibel v o n den sieben Sakramenten der römischen Kirche nur zwei kennt, n ä m lich T a u f e und Abendmahl, denn nur diese beiden erfüllen die Bedingungen: „Gottis w o r t t und eyngesetztes euserlichs tzeychen" u . U n d später, 1 5 2 8 , bezeichnet er in dem W e r k : Bekenntnis v o m A b e n d m a h l Christi nur T a u f e und Abendmahl als wirkliche S a k r a m e n t e 1 2 . V o n diesem Sakramentsverständnis ausgehend, setzt sich L u t h e r in De captivitate Babylonica 1 5 2 0 mit dem katholischen Konfirmationssakrament auseinander: 1 3 E s ist ein merkwürdiger Einfall, sagt er, aus der Konfirmation durch die Handauflegung ein S a k r a m e n t zu machen. V o n ihr ist zu lesen, d a ß Christus seine H ä n d e auf die kleinen Kinder legte, daß die Apostel durch sie den Heiligen Geist vermittelten, Priester ordinierten und K r a n k e heilten. U n d der Apostel schrieb an Timotheus: die H ä n d e lege niemand zu bald auf. — Ironisch f r a g t er, w a r u m die Katholiken nicht auch eine Konfirmation aus einem S a k r a m e n t des Brotes machen, denn es gibt ja W o r t e in der Bibel, die d a v o n sprechen, 10 Irgendein signum war nidit genug. Es mußte aus Jesu eigner Einsetzung stammen und sein Mandat haben. Luther lehnte ζ. B. die Letzte Ölung als Sakrament ab — obwohl von ihr behauptet werden kann, daß sie sowohl eine schriftgemäße Verheißung wie audi ein materielles Element aufweist —, denn „nur" ein Apostel hat sie eingesetzt. WA 6, S. 569.12: non licere Apostolum sua autoritate sacramentum instituere, id est, divinam promissionem cum adiuncto signo dare. Hoc enim ad Christum solum pertinebat. Vgl. Andren S. 208, Klein S. 52 f. 11 WA 11, S. 454.23, vgl. Andrén S. 208. 12 WA 26, S. 508.27: Das die zwey sacrament bleiben, Tauffe und abendmahl des HERRN neben dem Euangelio. Man muß sich jedoch darüber klar sein, daß Luther audi nach dieser Zeit die Beidite zu den Sakramenten rechnen kann. Im Großen Katechismus von 1529 erwähnt er „das dritt Sacrament, Weichs man genennet hat die Busse" (WA 30 I, S. 221.12 ff.). Hier ist jedoch zu merken, daß er die Buße in die Taufe hineinnimmt: „ . . . a l s die (Busse) eigentlich nicht anders ist denn die Taufïe" (S. 221.14). Deutlicher ist sein Artikel gegen die Theologen in Löwen, 1545: „Gerne bekennen wir, daß die Busse ein Sacrament sey, So ferne die Absolutio der Schlüssel und glaube des Büssers dazu kome" (WA 54, S. 436. Art. X X X V , lat. Text S. 427). Vgl. zur Frage nadi dem Sakramentsbegriff Luthers J . Köstlin: Luthers Theologie II, 1901, S. 230 ff., 245 ff.; E. Roth: Die Privatbeidite, 1952, S. 76 f., 83; B. Werkström: Bekännelse odi avlösning, 1963, S. 62 ff. Werkström schließt sich nicht der früheren theologischen Debatte, inwieweit Luther mit zwei oder drei Sakramenten redinet, an, weil das Material unvereinbare Gegensätze zu enthalten scheint. Die Lösung ist — nach Werkström — darin zu sehen, daß Luther sowohl einen engeren wie einen weiteren Sakramentsbegriff verwendet. Der engere: durch Christus eingesetzt, mit Verheißung und sichtbarem Zeichen. Dies gilt für Taufe und Abendmahl. Der weitere: eine in der Schrift begründete Verheißung (S. 63 f.). Vgl. auch die Ansicht Melanchthons unten S. 51 f. 13 WA 6, S. 484 ff.; De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium, 1520. De confirmatione S. 549 f.

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daß das Brot das Herz stärkt. Wenn alles, was die Apostel taten, ein Sakrament sein solle, dann muß auch die Predigt eins sein. Aber jetzt ertappt sich Luther bei seiner Ironie: Er sagt dies nicht, um ohne weiteres die sieben Sakramente zu verwerfen, sondern weil sie sich nicht aus Gottes Wort beweisen lassen. Er hat ganz und gar nichts gegen ein Vorkommen der Handauflegung in der Kirche wie in den Tagen der Apostel, ob man sie nun Konfirmation oder Heilung nennt. Aber diese Gnadengabe ist in der Zwischenzeit verschwunden; was davon in der römischen Kirche Übriggeblieben ist, ist nur eine erfundene Zeremonie zum Schmuck des bischöflichen Amtes. Und wieder ist seine einschneidende Kritik zu hören — nicht an den kirchlichen Handlungen, sondern an den Bischöfen, die die mühemachenden Sakramente der niederen Geistlichkeit überlassen haben, während sie für sich selber einfachere Riten, die besser zu ihrem vornehmen Stand passen, geschaffen haben. Sie sollen die Wahrheit über die Aufgabe eines Bischofs hören: sie besteht in der Verkündigung des Evangeliums und der Seelsorge. Tut ein Bischof das nicht, so ist er nichts anderes als ein „Idolum in mundo". Luther fragt nach von Gott eingesetzten Sakramenten — sacramenta divinitus instituía. Dies kann nicht von der Konfirmation behauptet werden. Zur Einsetzung eines Sakraments gehört vor allem „verbum divinae promissionis". Aber wir stoßen in Verbindung mit der Konfirmation nicht auf solche Verheißungen: „nihil legimus Christum uspiam de confirmatione promisisse." Jesus — und auch die Apostel — machten zwar von der Handauflegung bei der Heilung von Kranken Gebrauch, aber das wurde nicht als ein Sakrament verstanden, was aufgrund der Ansprüche, die an ein wirkliches Sakrament zu stellen waren, auch gar nicht möglich war. Das gleiche gilt für die übrigen katholischen Sakramente, die er in dieser Schrift ablehnt, die Ordination, die letzte Ölung und die Ehe 14 . Als Luthers Schrift erschien, erregte sie großes Aufsehen. Hiermit hatte er einen Schlag gegen das innere Leben der römischen Kirche geführt. Die Lehre von den Sakramenten war ihr Lebensnerv. Dies war nicht nur ein Angriff auf den äußeren Verfall in der römisch-katholischen Geistlichkeit und auf die offenbaren Mißstände, symbolisiert durch den Ablaßhandel, sondern hier ging es um die innerste Struktur der Lehre, um Sein oder Nichtsein der römischen Kirche. Die Reaktion blieb nicht aus. Die Theologen der Sorbonne antworteten als erste 1δ . Aber die Ober14

WA 6, S. 560fiF.,567 ff., 550 ff. W A 6, S. 494. April 1521 gaben sie heraus: Determinado theologicae facultatis Parisiensis super doctrina Lutheriana hactenus per earn visa. Sie stempelten Luther in mehreren Punkten zum Ketzer. Johannes Cochläus schrieb in diesem Zusammenhang ebenfalls gegen Luther. Er richtete seinen Angriff besonders gegen Luthers Lehre vom Abendmahl. Leugnet man 15

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raschung k a m aus E n g l a n d . Heinrich

VIII.

t r a t 1 5 2 1 m i t einer V e r t e i d i -

g u n g d e r sieben S a k r a m e n t e u n d e i n e m scharfen A n g r i f f a u f L u t h e r a u f : Assertio

septem

sacramentorum

adversus

Martin.

Lutherum1β.

A u c h in

b e z u g a u f d i e K o n f i r m a t i o n v e r t e i d i g t er die katholische A u f f a s s u n g v o l l u n d g a n z . A u f L u t h e r s F o r d e r u n g n a c h einem B e w e i s des s a k r a m e n t a l e n Charakters

d e r H a n d a u f l e g u n g d u r c h die Schrift a n t w o r t e t er,

indem

er sein E n t s e t z e n d a r ü b e r z u m A u s d r u c k b r i n g t , d a ß L u t h e r dieses S a k r a m e n t a b l e h n t , n u r weil kein direktes W o r t einer V e r h e i ß u n g v o r l i e g e 1 7 . D e r K i r c h e stehen doch n o c h a n d e r e Q u e l l e n z u r V e r f ü g u n g .

Johannes

e r w ä h n t i m l e t z t e n K a p i t e l seines E v a n g e l i u m s die vielen T a t e n J e s u , d i e nicht aufgeschrieben w o r d e n sind. E i n i g e v o n diesen w u r d e n d u r c h die V e r k ü n d i g u n g d e r A p o s t e l in d e r T r a d i t i o n d e r katholischen K i r c h e bew a h r t 1 8 . W i r sind es i h r d a h e r schuldig, a u d i diese D i n g e z u g l a u b e n , die Transsubstantiation, so hat man das ganze Abendmahl geleugnet. Er ist außerdem der Meinung, daß Luthers Anspruch, für jedes Sakrament muß eine Verheißung in der Schrift zu finden sein, unhaltbar ist (Laemmer S. 241 f). 1 9 Assertio septem sacramentorum aduersus Martin. Lutherum, aedita ab inuictissimo Angliae et Franciae rege. Der Band, den ich in Händen hielt, war ohne Jahresund Ortsangabe (UB Göttingen). Nach WA 6, S. 494, erschien die Schrift in London im Juli 1521. Heinrich V I I I . brachte das Werk auf katholischer Seite viel Ehre und Vertrauen ein. Leo X . verlieh ihm den Titel Defensor fidei, den auch seine Nachfolger auf dem englischen Thron behalten durften. Jedem, der das Buch las, wurden 10 Jahre Ablaß zuteil. (WA 6, S. 495; Y . Brilioth: Om kyrkans babyloniska flngenskap, 1928, S. X I V . ) Mit vollem Recht hat man die Verfasserschaft Heinrichs V I I I . angezweifelt. Zwar interessierte er sich für theologische Fragen und wurde der Theologe auf dem Thron genannt, aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß er das Buch, das eine tüchtige Arbeit darstellt, allein geschrieben hat. Die engsten theologischen Mitarbeiter des Königs waren in dieser Zeit Thomas More und John Fisher. Zur selben Zeit schrieb audi More gegen Luther, aber es liegt näher, in diesem Zusammenhang an den Bischof John Fisher zu denken. Er nahm sehr stark an der Debatte über die Gedanken Luthers in De captivitate teil und gab in dieser Verbindung mehrere Kampfschriften gegen Luther heraus (vgl. u. S. 38). Seine Assertio Lutheri Confutatio, 1525, bezieht sich auf Luthers Erwiderung an Heinrich V I I I . und in Opera Ioannis Fischerii Roffensis, Wirceburgi 1597, heißt es geradezu unter Assertio Septem sacramentorum: „Roffensis tarnen nostri hortatu et studio edita" (auf dem Titelblatt). Studiert man die Schriften, die Fisher im Laufe seiner Debatte mit Luther in den folgenden Jahren herausgab, neigt man zu der Auffassung, daß Fisher nicht nur der Mitarbeiter des Königs, sondern der eigentliche Verfasser des Buches ist. Heinrich V I I I . ist wahrscheinlich, teils aus Eitelkeit, teils um dem Buch mehr Autorität zu verleihen, als alleiniger Verfasser aufgetreten. Offenbar zweifelt Luther ebenfalls an der Verfasserschaft des Königs. In seiner Antwort, Contra Henricum, läßt er das deutlich durchscheinen: „Hat er es aber einen andern thun lassen, so hab ers ihm, warum last ers unter seinem Nahmen ausgehen" (WA 10 II, S. 228). In seinem Brief an Heinrich V I I I . vom 1. September 1525 deutet er an, daß er einen anderen für den eigentlichen Verfasser hält (Br. 3, 563). Vgl. Seckendorf: Historie S. 506. 17 Assertio S. 96: Cur tarn maligne de tota iudicat ecclesia, quasi temere sacramentum suscipiat, propterea quod in illis locis nullum legit uerbum promissionis? 1 8 Ibid.: Hac ratione, si tantum Ioannis extaret euangelium, negaret institutionem sacramentum coena domini, de qua institutione, nihil omnino perscribit Ioannes, qui

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selbst wenn sie nicht in den Evangelien zu lesen sind. Denn es ist ja unmöglich, wie Augustin sagt, ohne die Tradition der Kirche zu wissen, was das Evangelium ist. Das Evangelium lebt in den Herzen der Gläubigen, und dort ist es älter als jedes geschriebene Wort. Die Sakramente sind auch in den Herzen bewahrt worden und sind ohne Zweifel älter als alle geschriebenen Evangelien. Daher hat Luthers Forderung nach einem Schriftbeweis für dieses Sakrament wenig Gewicht19. Die Assertio legt ja das Hauptgewicht ihrer Verteidigung auf die Tradition, die nirgends größer und stärker ist als in der Sakramentslehre20. Aber Luthers Forderung nach einem Schriftbeweis bleibt nicht gänzlich unbeantwortet. Wenn auch nicht jede einzelne Glaubenslehre, die in der Tradition ruht, mit Schriftworten untermauert werden muß, so ist doch die Wahrheit der Tradition auf der Schrift gegründet. Als erstes weist er hier auf das Wort Jesu hin, daß er seine Kirche auf den Fels bauen will (Petrus). Der Herr betete besonders für den Glauben des Petrus, daß er nicht aufhören möge. Dieser feste Glaube lebt in der Kirche weiter. Deshalb kann in dieser Kirche von einem irreführenden Glauben keine Rede sein — auch nicht in der Sakramentsfrage. (Hier wird merkwürdigerweise auf Mt. 7 hingewiesen.)21 Grundlage des nächsten Schriftbeweises ist Joh. 15, wo der Herr seinen Jüngern den Heiligen Geist verspricht, den Geist der Wahrheit, der sie in die ganze Wahrheit führen soll. Er soll den Aposteln nicht nur die Dinge, die er gehört hat, mitteilen, sondern auch die kommenden — „quae futura sunt". Und diese Kirche, die so viele Lehrer und Evangelisten in ihrer Mitte hat und der der Geist die Wahrheit eingießt, sollte diese Kirche ein erfundenes Sakrament einführen können22? Die Antwort ergibt sich von selbst: So etwas kann in dieser Kirche nie geschehen. Luthers sarkastische Bemerkungen über die bischöfliche Ausübung der Handauflegung beantwortet er mit seinem Kronzeugen, Hugo von St. eodem dei concilio non tetigit istud, quo multa alia prœterierunt omnes, quae fecit Iesus, quae (ut inquit euangelista) non sunt scripta in libro hoc, et quae totus mundus non posset capere. 1 9 Ibid. S. 9 7 : ne putet Lutherus efficax argumentum esse, frustra suscepti sacramenti, si non reperit institutum in euangelijs. 2 0 Ibid. S. 9 7 : Nec aliud opponitur illi, quam totius ecclesiae fides, quae nusquam maior est aut fortior, quam in sacramentis. 2 1 Man würde einen Hinweis auf Mt. 16, 18 erwarten. E r bezieht sich offenbar auf den Schluß von Kap. 7, wo sich das Gleichnis von dem auf Fels gebauten Haus findet. Hier heißt es in Vulgata: fundata enim erat super petram (V. 25). E r stützt sich augenscheinlich auf eine katholische Auslegungstradition, die dieses Gleichnis mit Mt. 16 verbindet, wo „petra" ebenfalls ein Hauptbegriff und nach katholischer Auffassung mit der Person Petri (Amt) verknüpft ist. 2 2 Ibid. S. 9 8 : Ecclesia ergo, quum tot et tales habuerit praeceptores, tot uiuos Euangelistas, et spiritum ilium, qui ueritatem inspirât, credetur temere instituisse sacramentum, et spem in signo collocare nihili?

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Victor, der das Alleinrecht der Bischöfe, sowohl die Konfirmation zu verwalten wie auch den Heiligen Geist durch Salbung und Handauflegung zu vermitteln, bestätigt. So geschah es in der Urgemeinde. Nur die Apostel (die Vorgänger der Bischöfe) hatten das Recht, durch Handauflegung den Heiligen Geist weiterzugeben 2S . Der Geist schenkte in dieser Verbindung ganz bestimmte Früchte. Er hält sich hier an Hugos bekannten Satz, die Taufe gewährt Vergebung der Sünden, und die Konfirmation schenkt den Geist zur Kraft (confirmado). Das junge geistliche Leben soll wachsen, und das ist die Aufgabe des Konfirmationssakramentes: „per quam uita spiritualis ad perfectam uirtutem perducitur et spiritus sanctus datur ad perfectum robur." 24 Er führt auch Melchiades (Miltiades) an, von dem behauptet wird, er habe diesem Gedanken den klassischen Ausdruck verliehen 25 . Danach wird Luther ermahnt, sich an den Zusammenhang, der nach katholischer Lehre zwischen Konfirmation und Taufe besteht, zu erinnern. Hieronymus hat zur Genüge unterstrichen, daß nur dem, der in dem rechten Glauben getauft ist, die Handauflegung zuteil wird. Und davon, daß man den Heiligen Geist empfangen kann, bevor man die Vergebung der Sünden erhalten hat, kann gar keine Rede sein26. Der Heilige Geist nimmt niemals woanders seine Wohnung als in dem reinen Glauben. Luther ist daher sehr kühn, wenn er aus der Konfirmation nur eine Sitte und Zeremonie macht, noch dazu, wenn heilige Doktoren die Lehre der Kirche und die heiligen Schriften bezeugen, daß es sich um ein Sakrament handelt. Denn auch die Schrift zeigt in deutlichen "Worten, daß die Handauflegung des Bischofs nicht nur die Gnade bringt, sondern sogar den Geist der Gnade. Luther aber hat für dieses Sakrament trotz des hohen 23 Ibid. S. 98: Nec ungimur excepta necessitate, nisi per episcopos, ut diristianum consignent, et spiritum paracletum tradant, quemadmodum idem ait Hugo, sic ut in primitiua ecclesia, spiritum sanctum per impositionem manuum dandi soli apostoli potestatem habuisse leguntur. Vgl. Hugo: Dogmatica, MPL 176, Sp. 460. 24 Ibid.: Sicut (inquit) in baptismo remissio peccatorum accipitur, ita per manus impositionem, spiritus paracletus datur. Illic gratia tribuitur ad remissionem peccatorum, hie gratia datur ad confirmationem. Vgl. Dogmatica, MPL 176, Sp. 460 f. Der zitierte Satz — ad perfectum robur — ist Formulierung des Verfassers (S. 99). 25 Ibid. S. 99: Ad hoc enim ordinatur, ut homo coram persecutore, fidem confiteatur audacter. Et hoc est quod ait Melchiades, In baptismo regeneramur ad uitam, post baptismum confirmamur ad pugnam. Nam confirmatio, ad huius mundi agones armat et instruit. Vgl. MPL 7, Sp. 1119. 26 Ibid: Ait enim (Hieronymus), Episcopus si imponit manum, his imponit, qui recta fide baptizati sunt, qui in patre, et filio et spiritu sancto tres personas, et unam substantiam crediderunt. Quomodo Spiritum sanctum ab ecclesia recipiet, qui necdum remissionem peccatorum consequutus est?

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Ranges des Verwalters, der Autorität der Kirche und des eigenen Nutzens nur Verachtung übrig! 2 7 Vom Standpunkt der damaligen katholischen Auffassung aus war Heinrichs VIII. Assertio eine gut angelegte Arbeit und eine tüchtige Apologie. Nicht ohne Grund begeisterte sich der Papst für diese Schrift. Nach Meinung des Volkes besaß sie große Schlagkraft, weil ihr Verfasser einer der größten Herrscher seiner Zeit war. Fragt man sich jedoch, ob diese berühmte Apologie Luthers Argumente beantwortet, dann macht sich eine gewisse Unsicherheit geltend. Luther fragt nach der Schrift, der Verfasser antwortet mit der Tradition. Es mag ein wenig auffallend wirken, daß fast nur von der Handauflegung gesprochen wird, während das Chrisma völlig in den Hintergrund tritt 28 . Dies ist jedoch eher eine terminologische Frage. „Impositio" ist Terminus für die ganze Handlung, wenn auch die Salbung ein wesentliches Moment darstellte 29 . Für die Handauflegung allein konnte man auf ein konkretes Wort der Bibel hinweisen 80 , aber in bezug auf das Chrisma war man auf die Tradition angewiesen. Luthers Forderung, ein Sakrament muß von dem Herrn selber eingesetzt sein, wird also wie folgt beantwortet: Gibt es mehrere Sakramente, die nicht direkt von der Schrift geboten werden, dann müssen sie vor der Schrift eingesetzt und von der Kirche durch mündliche Tradition weitergeführt worden sein. Auf diese Weise war man zurück in die Zeit der Apostel gelangt und den Schwierigkeiten, mit denen Luther sie konfrontieren wollte, nämlich mangelnde Grundlage in der Schrift, ausgewichen. Was die einzelnen Elemente betrifft, so wird nicht einmal ein Versuch gemacht, für sie einen Beweis aus der Schrift zu finden, und schon gar nicht, Luthers angeführte Worte zu entkräften. Das ist ja auch gar nicht 2 7 Ibid. S. 100: Demiror igitur, quid in mentem Luthero uenerit, ut confirmationem pro ritu tantum, ac caerimonia contendat habendam, pro sacramento uero neget, quae non solum sanctorum testimonio doctorum, et totius ecclesiae fide, sed etiam sacrae scripturae clarissimis locis ostenditur, uisibili signo manus pontifïciae, non gratiam tantum, sed et ipsum gratiae spiritum conferre. Desinat ergo Lutherus confirmationis sacramentum contemnere quod ministri dignitas, ecclesiae autoritas, et ipsius sacramenti commendat utilitas. 2 8 Chrisma wird nur in dem Zitat von Hugo erwähnt (Sp. 98). 2 9 Vgl. Dölger S. 91. Seit dem 8. Jh. und besonders seit dem Sakramentarium Gregors des Großen tritt die Handauflegung mehr und mehr zurück, und das Chrisma wird das Element schlechthin. Aber „manus impositio" bleibt als Terminus für die Konfirmation bestehen. Die Impositio-Tradition war so stark, daß sie nicht wegfallen konnte, selbst wenn das Chrisma mehr und mehr zur materia der Handlung und zu dem gnadevermittelnden Element wurde. Impositio kam neben der Salbung vor, oder die Konsignation selber wurde als Handauflegung verstanden. (Der Bischof berührte ja die Stirn des Konfirmanden.) s o Assertio S. 100: der Verfasser verweist auf die Samaria-Perikope (Acta 8). Aber Luther hatte behauptet, daß diese Funktion „einmalig" war und nicht mehr existiere, auch wenn man sie sidi zurückwünschen könnte (WA 6, S. 549.32).

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nötig, denn die gesamte Tradition ruht ja auf der Wahrheit, was als Hauptargument in dieser Sache gilt. Die Kirche ist auf Fels gebaut (Petrus und seine Nachfolger, die Bischöfe). Sie besitzen den Geist der Wahrheit, welcher zur ganzen Wahrheit führt — auch derjenigen, die nicht in die Bibel aufgenommen wurde. Durch diese Offenbarung der Wahrheit empfing die Kirche unter vielen anderen Dingen auch das Konfirmationssakrament. Und das will Luther verwerfen, nur weil es sich nicht direkt von bestimmten Worten der Schrift ableiten läßt! Ein Jahr später antwortete Luther auf diese Schrift mit Contra Henricum Regem Angliae31. Und der Streit ging weiter. Luther hatte, was ihn anbelangt, die Debatte abgeschlossen, aber auf englischer Seite wurde man mit dieser Sache nicht so schnell fertig. Und jetzt tritt ein Mann in den Vordergrund, von dem mit gutem Grund angenommen werden kann, daß er der eigentliche Verfasser der ersten Schrift ist, John Fisher32. 1523 bringt er eine größere Verteidigungsschrift für den König heraus: Assertionum Regis Angliae de fide catholica adver sus Lutheri Babylonicam33. Und zwei Jahre später: Defensio contra Lutherum3*. Von diesen Angriffen nahm Luther keine Notiz mehr. Aber zu Hause in Deutschland streckte er keineswegs vor der katholischen Sakramentslehre die Waffen. Und die Konfirmation bekam ihren gehörigen Teil von der Kritik ab. Heinrichs VIII. Assertio hatte offenbar audi seine kritische Haltung gegenüber dem Konfirmationssakrament verschärft, denn in der nächsten Zeit nach Erscheinen dieser Schrift tauchten seine meisten und heftigsten Angriffe auf die Konfirmation auf. In seiner kühnen Auseinandersetzung mit des Papstes und der Bischöfe „falsch genannter geistlicher Stand" 35 zählt Luther 1522 alle weltlichen Eitelkeiten, mit denen sie sich umgeben, und alle äußeren Zeremonien, die sie anhäufen, auf, unter ihnen auch „die kinder firmlen unnd die ge3 1 W A 10 II, S. 175 ff. Hier schreibt er nicht viel über die einzelnen Sakramente, sondern er bringt seine Grundansicht zum Ausdruck, sacramentum bedeutet eigentlich mysterion, während die Papisten das Ganze verkehrt und zu einem äußeren Zeichen gemacht haben (Antwort deutsch auf König Heinrichs Budi, W A 10 II, S. 258.30). Luther macht kein Aufhebens davon, daß sich seine Schrift gegen einen der großen Herrscher Europas richtet. Seine groben Sätze erschreckten viele und konnten politische Folgen haben. Herzog Georg von Sachsen wünschte, daß man Luthers „Sdiimpff" dem Kaiser melde, damit er seine verdiente Strafe empfange (Seckendorff : Historie S. 507). Später gibt Luther zu erkennen, daß er seine kräftigen Worte bereut und zum Widerruf bereit ist (Br. 3, S. 563). 3 2 Bereits 1521 hielt er eine gewaltige Predigt gegen Luther. Vgl. The Sermon of John the bysshop of Rochester made agayn the pernicyous doctryn of Martin Luther, in: Early English T e x t Society, E x t r a Series X X V I I , S. 311 ff. 3 3 Opera J . Fisdierii Roffensis, 1597, S. 101 ff. 3 4 Vollständiger Titel: Sacri Sacerdoti! Defensio contra Lutherum, vgl. C C N r . 9. 3 5 Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe, WA 10 II, S. 105 ff.

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fatter fruntlich auff die backen schlahen... Idola terre et larve mundi!" 36 Soweit es sich um äußere Zeremonien handelt, ist das ganze eher lächerlich37. Auf jeden Fall kennt Paulus diese Zeremonien nicht. Aber es wird Ernst, wenn die Konfirmation auf eine Weise verkündigt und gehandhabt wird, die dem Evangelium und der reinen Lehre schadet. Darunter kann besonders die Taufe leiden. Und wenn Luther das zu befürchten hat, gebraucht er starke Ausdrücke gegen dieses von Menschen erfundene Sakrament. Hinter seinem stärksten Angriff auf die Konfirmation steht eigentlich seine Sorge um die Taufe, was in seiner Schrift Vom ehelichen Leben 1522 zum Ausdruck kommt. Hierin finden sich die Kraftausdrücke „äffen spiel der fermelung, eyn rechter lügen t h a n d . . . Sie spotten unszers gottis, sagen es sey eyn Sacrament gottis vnd ist doch eygen menschen fundle" 38 . Luther setzt sich in dieser Schrift hauptsächlich für eine gesunde und gute Ehe, frei von allen erdichteten Restriktionen, ein. Nach katholischer Lehre waren die Paten mit dem Täufling oder dem Konfirmanden geistlich verwandt und konnten daher weder diese noch deren Geschwister heiraten. Dies haben sie vom Teufel gelernt, behauptet Luther. Und dahinter verbirgt sich eine weit größere Gefahr als die rein bürgerlichen Schwierigkeiten. Hier besteht die Gefahr einer Schwächung der eigentlichen Bedeutung und des Inhalts der Taufe. „Sage myr, ists nicht grösser, wenn ich die tauffe selbst nehme, denn wenn ich datzu helffe?" 39 Die geistliche Verwandtschaft wird ja viel enger dadurch, daß man mit derselben Taufe getauft ist, anstatt Tauf- oder Konfirmationspate zu sein, m. a. W. die Taufe ist mehr als die Zeremonien. Die römische Kirche hat nun aber das ganze Verhältnis verschoben, indem sie die Zeremonien zu etwas außerordentlich Bedeutungs- und Wirkungsvollem gemacht hat. Dadurch entsteht eine so enge geistliche Verwandtschaft, daß ein Pate oder dessen Kind sein Patenkind oder dessen Geschwister nicht heiraten kann. Daher lehnt er die Konfirmation ab. Eine Zeremonie, die zu solchen Mißverständnissen führt, kann man ebensogut aufgeben. „Sonderlich aber ist tzu meyden der Bischoffgotzen lugenhafftig gauckelwerck, die fermelung, wilche keyn grund ynn der schrifft hatt, Vnd die Bisschoff, nur die leutt mit yhren lugen betriegen, das gnade, Character, maltzeychen drynnen geben werden. Es ist viel mehr der bestien Character." 40 Wollte man diese Verwandschaftskategorien kon36

Ibid. S. 114, 5—10. Ibid: „das nit yederman lache", sagt er im Gedanken an die vielen Zeremonien, die so üppig um das Amt des Bischofs wachsen. 38 W A 10 II, S. 282.15. 39 Ibid. S. 282.1. 40 Welche Personen verboten sind zu ehelichen (WA 10 II, S. 266.20). In De capti vi tate behandelt er auch folgenden Gedanken: Sind die Zeremonien größer als das eigentliche Sakrament? (WA 6, S. 555.35 f.) 37

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sequent durchführen, müßte das eher in bezug auf die Taufe geschehen. Und dann wäre die Taufe ein Ehehindernis: „Denn szo das Sacrament der tauff sollt hyndernisse bringen muste keyn Christen man, eyn Christen weyb nemen." 41 Wie sollte das enden? Der Gedanke ist absurd. Aber ebenso absurd ist die Theologie, die hinter diesen Ehehindernissen steht. Sie hat menschliche Erfindungen wichtiger werden lassen als das Sakrament der Wiedergeburt, das der Herr Jesus selbst eingesetzt hat. Deshalb ermahnt er die gläubigen Christen, ihre Zuversicht nicht „auff menschen thand, denn das wirt gewiszlich yhm liegen vnnd triegen, szondern nur auff gottis wort, der leuget nicht" 42 , zu setzen. Da sie nun einmal diese Konfirmationsriten zu einem Sakrament gemacht haben, so ist das Gotteslästerung und kann gar nicht stark genug abgelehnt werden. In einem Brief an seinen Freund, Nikolaus Hausmann, Pfarrer in Zwickau, rät er ihm im August desselben Jahres davon ab, die katholische Konfirmation zu erlauben. Der Bischof von Meißen hat sein Kommen angesagt und eine Konfirmation angekündigt 43 . Wieder unterstreicht Luther, daß diese Zeremonien weder einen Anhaltspunkt noch eine Verheißung in Gottes Wort haben 44 . In dieser Sache soll der Zwikkauer Pfarrer dem Bischof widerstehen, so wie Paulus sich Petrus widersetzte, und verlangen, daß der Bischof für seine Lehre Beweise aus der Schrift erbringt. Falls er das nicht kann, soll Hausmann das Volk dazu ermahnen, nicht an dieses Schauspiel zu glauben 45 . Auch diesmal geht es Luther um die Wahrheit der Schrift. Verheißt der katholische Bischof durch seine öffentlichen Kundgebungen eine besondere Gnade der Heiligkeit (gratia et character) aufgrund dieses „Sakramentes", so ist das ganze als Spott und Betrug zu stempeln: „ludibrium et mendacium sacramenti confirmationis." Luther nahm noch ein weiteres Mal in demselben Jahr zur Konfirmation Stellung. Am Weihnachtstag predigte er in der Frühmesse über die Epistel Tit. 3, 4—7. 46 Diesmal behandelt er das Verhältnis zwischen Taufe und Konfirmation. Es liegt ihm in dieser Predigt am Herzen, klar und unmißverständlich zu sagen, worin die Gabe der Taufe besteht. Sie schenkt eigentlich alles. Sie reicht das ganze Leben. Christus spricht, wer 41

42 WA 10 II, S. 266.15. Ibid. S. 266.23. Vgl. Weimaranas Vorwort zu Vom ehelichen Leben, WA 10 II, S. 263. Der Bischof von Meißen unternahm im Frühjahr 1522 eine längere Visitationsreise und sagte jetzt seine Ankunft in Zwickau an. In seiner öffentlichen Kundgebung hatte er während dieser Visitation eine Konfirmation angekündigt und in starken Worten von deren Kraft und Gnade gesprochen. 44 WA Br. 2, S. 584.10. 45 Si hoc non volet aut no poterit, tu populum monebis, ne fidat in confirmationis istius ludiera (WA 2, S. 584, 15). 46 WA 10 I, S. 95 ff. 43

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nicht durch Wasser und Geist getauft ist, wird nicht in das Reich Gottes kommen (Joh. 3) 47 . Und Luther fährt fort, hier sollen wir uns merken, daß der Apostel nicht von einem Konfirmationssakrament spricht. Es ist nämlich unnötig, weil der Heilige Geist in der Taufe geschenkt wird, und durch sie werden wir wiedergeboren: „Und ist hie tzu mercken, das der Apostel von dem sacrament der firmelung nichts weiss, denn er leret, der heylige geyst werd ynn der tawff geben, wie auch Christus leret, ia ynn der tawff werden wyr auss dem heyligen geyst geporenn." 48 Es bedarf keiner Konfirmation, damit die Taufe vollkommen sei. Das ist sie ohnehin 49 . Sie gewährt nicht nur die Vergebung der Sünden, sondern schafft audi Wiedergeburt und neues Leben. Beim Reichstag von Augsburg 1530 taucht die Frage in einer kirchenpolitischen Situation auf, und Luther wird gänzlidi abweisend. Bereits in seiner Vermahnung an die Geistlichen, geschrieben in Coburg, erwähnt er auch die Konfirmation unter den Dingen, die bei den Katholiken zu kritisieren sind: „Der weihebischoffe fermein vnnd zu vil annder kindish geberde mit backen schlahen" 60 . Hier ist es noch keine wesentliche Frage, eher eine „kindische". Sobald aber der Kaiser und die römische Kirche versuchen, diese Dinge der evangelischen Kirche mit Gewalt aufzuzwingen, steht Luther zu ernsthaftem Widerstand auf. Das kaiserliche Edikt enthält Formulierungen wie: „wir gepieten und wollen" 51 . Sie werden denn auch eindeutig und schlagfertig von Luther in der Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt 1531 abgewiesen: „Denn unser Euangelia, so jnn aller weit bekand, wissen nichts von yhrem Firmeln und salben" 52 . Die Tischreden beriditen 1533 von einer ähnlichen Zwangssituation, als Luther erfährt, daß der Bischof von Meißen zu Ostern Konfirmation angekündigt und sie in diesem Zusammenhang überaus gepriesen hatte. Luther soll da geantwortet haben: „pugnant enim contra conscien" Ibid. S. 116.20 f. 48 Ibid. S. 117.5. 4 » Zu Luthers Taufverständnis vgl. Deudsdi Catediismus (WA 30 I, S. 212ff.),Kleiner Katechismus (ibid. S. 308 ff.) ; Eyn Sermon von dem heyligen Hochwirdigen Sacrament der Tauffe (WA 2, S. 727 ff.). 50 WA 30 II, S. 255: Vermahnung an die Geistlidien, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg 1530. 51 Das Edikt sdirieb Folgendes vor: Wir gepieten und wollen audi, das der kind vnd anderer Christlichen menschen firmung, dessgleidien den sterbenden die Ölung nicht vnderlassen. Vgl. WA 30 III, S. 358 Anm. 2. 52 WA 30 III, S. 359.4: Was weiter das Edict von Firmelen und Ölungen zu halten gebeut, las ich umb der kiirtze willen anstehen, Denn es ist dodi nidits anders (als) yhr heilige Einsprechung und die newen heiligen Euangelia, da mit sie unser bekentnis verlegt haben,...

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tiam" 53 . Wird das katholische Sakrament evangelischen Gebieten mit Gewalt aufgedrängt, so behauptet er: „Das wirdt nicht gut ende nemen." Ausgehend von der negativen Einstellung gegenüber der katholischen Konfirmation, die unser Material an den Tag legt, sollte man meinen, Luther würde jegliche Form einer Konfirmation überhaupt ablehnen. Das ist jedoch nicht der Fall. Befragt man die gleichen Quellen nach Luthers Konfirmationsauffassung und seinem Verständnis der Handauflegung als kirchlicher Zeremonie, so ergibt sich ein bedeutend nuancierteres Bild 54 . Er lehnt keineswegs katholische Zeremonien, denen eine biblische Deutung gegeben werden kann, ohne weiteres ab. Bereits in seiner ersten Auseinandersetzung mit der Konfirmation, 1520, deutet Luther eine andere Deutungsmöglichkeit an, indem er sie in die Kategorie der Zeremonien verweist: „Quare satis est, pro ritu quodam Ecclesiastico seu cerimonia sacramentali confirmationem habere" 55 . Sieht man die Angelegenheit nüchtern an, dann enthält die Konfirmation nicht mehr, denn die sakramentale Auffassung ist ja nur eine Erfindung. Daher genügt es (satis est), sie unter die anderen Zeremonien einzureihen. Aber eine solche Zeremonie braucht nicht nutzlos zu sein. Gott hat das Wort und das Gebet gegeben, und durch sie werden nicht nur die Welt der Dinge geheiligt, wie es die römische Kirche so eifrig praktiziert (Weihwasser u. ä.), sondern auch die Menschen. Das Wort Gottes hebt ja ausdrücklich hervor, daß alle Dinge „per verbum et orationem" geheiligt werden 56 . In dieser Kategorie ließe sich die Konfirmation am besten unterbringen und könnte so zum Segen sein. Die Konfirmation wird dann zu einem kirchlichen Brauch (Ritus) und einer sakramentalen Zeremonie (ceremonia sacr amen talis). Luther sieht 53 W A TR 5, S. 458.15. Dies gehört zur Sammlung Anton Lauerbachs, und daher dürfte der Text verhältnismäßig glaubwürdig sein: Luther tertio legit schedulam impressam episcopi Misnensis Schleinitz, qui promulgai se pueros confirmaturum ad Pasdia in Meissen, ut eo confluerent, miris modis confirmationem extollens sed satis pueriliter, ne dicam impie. Ad haec respondit M. L.: Das wirdt nicht gut ende nemen! Sie werden damit tzu trumern gehen, pugnant enim contra conscientiam. 54 Mehrere Forscher, die sidh mit der Geschidite der Konfirmation befaßt haben, waren sidi über diese Seite der Haltung Luthers im klaren. Vgl. Doerne S. 20; Maurer S. 55; Andren S. 214 f.; Visdier S. 59 f. 55 WA 6, S. 550.15: De captivitate. 56 Es kann auffällig erscheinen, daß Luther verbum und oratio die Verheißung Gottes (promissio) abspricht. Er hat ja gerade auf eine Verheißung der heiligenden Wirkung von Wort und Gebet hingewiesen. Die Erklärung hierfür ist darin zu suchen, daß er hier von einer besonderen divina promissio, die Gott an sacramenta fidei, nämlich die rettende Wirkung geknüpft hat, spricht. Dies ist in Verbindung mit dem folgenden Satz zu verstehen: Neque enim salutem operantur, d. h. sie wirken das Heil nicht ohne die Sakramente, aber sie haben eine heiligende Wirkung, nämlich „per verbum et orationem".

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offenbar auch in dem Ritus selbst etwas Positives, nämlich die Handauflegung. Hier handelte es sich ja um einen apostolischen Brauch, den er sich in seiner ursprünglichen Form zurückwünschen konnte: „Atque utinam esset in Ecclesia talis manuum impositio, qualis erat Apostolorum tempore, sive eam confirmationem sive curationem appellare vellemus." 57 Anstatt die Handauflegung in ihrer apostolischen Anwendung zu bewahren, hat die römische Kirche sie zu ihrem „Sakrament" gemacht und so dem Mißbrauch ausgesetzt. Aber Luther würde sie nun gern ihrer ursprünglichen Bedeutung gemäß praktiziert sehen — ob man sie nun als Konfirmation oder Heilung bezeichnen will. Diese Form der Handauflegung ist jedoch nicht mit derjenigen, die die Katholiken in der Konfirmation zu besitzen glauben, zu verwechseln, nämlich die, die Acta 8, 17 ff. erwähnt wird. Dort wird von einer charismatischen Geistesverleihung in Verbindung mit der Zungenrede und der Verkündigung des Evangeliums gesprochen. Sie ist „tzeytlich abgangen" 5 8 , sagt Luther, und hat ihren Platz nur in der Ordination, selbst wenn auch hier ein greulidier Mißbrauch herrscht. Etwas anderes ist eine Handauflegung, die zu einer Heiligung „per verbum et orationem" führen will. Offenbar macht sich diese Grundansicht geltend, wenn Luther 1522 — in seinem schärfsten Angriff auf die Konfirmation — seine Erlaubnis zum Konfirmieren gibt: „Ich lasz zu, das man fermele szo fern, das man wisse das gott nicht davon gesagt hatt" 5 9 . Ist nur die Voraussetzung klar, daß man nicht mehr in die Zeremonie hineinlegt als Gottes Wort erlaubt, dann kann sie gern zur Anwendung kommen. Im allgemeinen scheint Luther für die Frage, der Handauflegung einen Platz in der Kirche zu verschaffen, offen zu sein. Dies 6 0 hebt er audi in seiner bekannten Lätarepredigt von 1523 hervor, wo er vor der Konfirmation der katholischen Bischöfe warnt, aber das Konfirmieren durch Handauflegung nicht verbieten will, wenn der Pfarrer die Jugend vorher unterrichtet hat: „Confirmatio, ut volunt episcopi, non curanda, sed tarnen quisquís pastor scrutari a pueris fidem, quae si bona et germana esset, ut imponeret manus et confirmaret, non improbamus." 6 1 Es ist zu merken, daß hier ein anderes handelndes Subjekt auftritt. Jetzt ist es der Pfarrer, nicht der Bischof, der die Handlung ausführt. 5 8 W A 10 I, S. 117.8 ff. W A 6, S. 549.31. W A 10 II, S. 2 8 2 . 1 5 : Vom ehelichen Leben. 6 0 Wir sehen vorläufig von dem Katechismusmoment, das bereits in dieser Rede zum Ausdruck kommt und später eine so große Rolle spielen sollte, ab (vgl. besonders II A und die späteren Konfirmationsordnungen I I I A, B, D und IV). 6 1 W A 11, S. 66.30. 57

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Was Luther, näher bestimmt, in dieser Handlung sieht, kommt deutlich in seinem Brief an seinen guten Freund, Nikolaus Hausmann, 1524 zum Ausdruck, in dem er sozusagen eine Definition seines Konfirmationsverständnisses gibt: Sie besteht kurz und bündig aus Handauflegung und Gebet 62 . Hier ist deutlich, daß der Inhalt und die geistliche Kraft der Handauflegung im Gebet liegen. Vergleichen wir diese Aussagen mit Luthers erster Erwähnung der Konfirmation als einer Zeremonie, von der es hieß „per verbum et orationem", so liegt die Annahme nahe, daß er sich die Anwendung der Handauflegung in Verbindung mit Gottes Wort und Gebet gedacht hat 63 . Wie bereits weiter oben angedeutet, waren es im wesentlichen zwei Dinge, die Luther zur Ablehnung der Konfirmation veranlaßten: Ihre Verkündigung und Handhabung als Sakrament einerseits und andererseits die Tatsache, daß man ihr geistmitteilende Kraft beimaß. Diese beiden Auffassungen wurden unter Hinweis auf die fehlende Grundlage in der Schrift abgewiesen. Die Deutung, die Auffassung als Sakrament ist es, die Luther ablehnt, nicht der Gebraudi. Maurer 64 behauptet, daß Luthers epochale Bedeutung für die Geschichte der Konfirmation in seinem definitiven Bruch mit der Sakramentsauffassung besteht. Dadurch riß auf lutherischer Seite die Linie der alten Tradition ab. Sollte die Konfirmation in der lutherischen Kirche weiterleben, bedurfte es entweder einer Umbildung oder Neuschaffung. Eine Möglichkeit hierzu gab bereits Luther selber. Denn er lehnte den Konfirmationsriiws nicht auf dieselbe Weise ab wie das KonfirmationsSakrament. Er verwies die Konfirmation aus der Kategorie des Sakraments in die der Zeremonie. Aus Luthers neuer Erkenntnis der zwanziger Jahre erwuchs allerdings kein positives Konfirmationsprogramm. Seine Aussagen sind im wesentlichen in negativer Form gehalten: „Ich lasz zu", „non improbamus". Aber in dieser gewährenden Haltung lagen bereits neue Möglichkeiten. Im späteren Verlauf dieser Untersuchung haben wir weiterhin Gelegenheit, auf diese Seite der Entwicklung der Konfirmation auf lutherischem Gebiet näher einzugehen 65 . 62

WA Br. 3, S. 256.15: Confirraationem aliud non esse, quam impositionem manuum et orationem. 63 WA 6, S. 550.15, vgl. o. S. 43. Er verwendet die Begriffe verbum/oratio und impositio/oratio. Es ist daher anzunehmen, daß verbum und oratio der Handauflegung Inhalt und Sinn verleihen. 64 S. Fror: Conf. S. 23. 65 S. die Abschnitte III und IV. 44

3. Behandlung der Konfirmation in den ersten lutherischen Bekenntnissen Bereits zu Beginn der zwanziger Jahre finden wir audi andere auf protestantischem Boden, die sich mit der Konfirmationsfrage beschäftigen. Unter dem Material zur Bekenntnisbildung, die in mehreren deutschen Landeskirchen vor sich ging, stoßen wir auf Gutachten, die ein Bild von dem Kampf der Evangelischen gegen den Sakramentsgedanken vermitteln. Gleichzeitig versuchten einige, für diese Handlung eine Form zu finden, die mit dem evangelischen Standpunkt vereinbar war 1 . Einem typischen Beispiel begegnen wir im Ansbacher evangelischen Ratschlag 1524. Hier stehen wir vermutlich dem ersten evangelischen „Vorschlag" einer Ordnung dieser Sache, der die Konfirmation nicht ohne weiteres ablehnt, gegenüber. Im Sommer 1524 trafen sich die Stände in Franken, um unter der Leitung von Markgraf Kasimir u. a. die neue kirchliche Situation zu diskutieren 2 . Eine große Rolle spielte hier die Debatte mit den katholischen Bischöfen des Gebietes. In Lehrfragen Einigkeit zu erzielen, erwies sich als unmöglich. Deshalb arbeiteten die evangelischen und katholischen Theologen eigene Gutachten aus 3 . Als Verfasser des Evangelischen Ratschlags werden Johann Rurer, evangelischer Pfarrer in Ansbach, und Georg Vogler, der Sekretär des Markgrafen, angenommen 4 . Zuerst kommt die Sakraments-Theologie Luthers zum Ausdruck: Die Konfirmation ist kein göttliches Gnadenzeichen und nicht in der Schrift begründet. Diese Seite der Sache muß ganz deutlich sein. Aber die Ansbacher Theologen stellen trotzdem die praktische Frage: „Welcher mase die firmung zu gedulden sein möcht." Im Laufe der Jahre ist viel Mißbrauch mit dieser Handlung verbunden worden. Daher nehmen sie auch von dem, was sie die „Schedlichkeit der firmung" nennen, Abstand. Besonders drei Dinge heben sie in diesem Zusammenhang hervor: den Anspruch, daß die Konfirmation nur von einem Bischof vorgenommen werden darf, den Gebrauch von „cresem", dem eine spezielle geistliche Kraft beigelegt wird, und den Mangel an Unterricht über die eigent1

In der Zeit vom Beginn der zwanziger Jahre bis zur endgültigen Formung der Augustana entstanden in deutschen Städten und Landeskirchen, in denen die Reformation Fuß gefaßt hatte, etliche Bekenntnisse (vgl. N . K. Andersen: Confessio H a f niensis, 1954, S. 26 ff.). In diesen Jahren wurde sowohl auf lokalem wie auf regionalem Plan viel theologische Arbeit geleistet. Die Bekenntnisbildung schritt rasdier fort, nachdem der Kaiser 1530 zum Reichstag in Augsburg aufgerufen hatte. Es wurde eine Reihe von „Ratschlägen" und „Gutachten" neben dem Entwurf von Melanchthon ausgearbeitet (vgl. Andersen S. 40 ff.). S. audi W. Gussmann: Quellen und Forschungen zur Geschichte des Augsburger Glaubensbekenntnisses I 2, 1911; W. F. Schmidt und K. Schornbaum: Die Fränkischen Bekenntnisse, S. 153 ff. 2 4

3

Fränk. Bekenntnisse S. 9 ff. Ibid. S. 9.

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Ibid. S. 183 ff. und 323 ff.

liehe Bedeutung der Handlung. Im ganzen sind diese Dinge als Erfindung ohne Grundlage in der Schrift zu stempeln. Aber wenn diese Mißbräuche abgeschafft und dem Konfirmationsbegriii eine klare Deutung gegeben werden kann, wollen sie sich um diese Sache nicht streiten. Der lateinische Name „confirmatio" bedeutet ja eigentlich „bestetigung". Wenn diese Deutung gilt und öffentliche Auffassung wird, so daß die Konfirmation zu einer christlichen Erinnerung an Gottes Gnade in der Taufe wird, dann können sie sich ihre Beibehaltung durchaus vorstellen. Ein Eifer um die Sache ist hier allerdings nicht zu spüren. Es geht nur darum, sie zu dulden (gedulden) und „dawider nit streiten oder fechten"5. Diese Haltung ist offenbar Ausdruck einer mehr praktisch5 Ibid. S. 238. W. F. Schmidt meint, daß die Vorarbeiten zu Ansbach unter zwinglianischem Einfluß standen, indem sie die Konfirmation als eine Bekräftigung der Taufe beibehalten wollten (S. 57, s. auch S. 238 ff.). Auch Zwingli unterscheidet zwischen Handlungen, die von Christus, und solchen, die von Menschen eingesetzt worden sind (vgl. Sämtliche Werke, CR 89, S. 124). Die Firmung ist für ihn ein Zeichen. Die Schrift lehrt nichts über sie. Aber das Kind soll mit eigenem Munde bekennen, wenn es zu Verstand kommt („zu verstand kämind") und guten Glaubensunterricht erhalten hat (S. 122). Er hält nicht damit zurück, daß der alten Praxis, zuerst das Kind zu unterrichten und dann zu taufen, seine Gunst gehört. Aber so wie die Verhältnisse jetzt sind, muß man hinterher um so eifriger unterweisen. Maurer (S. 59 Anm. 19) behauptet, Zwingli sehe die Konfirmation als eine notwendige Ergänzung der Taufe an. „Bestätigung des durch die Taufpaten bekannten Glaubens", meint Karl Thieme (S. 4). — Maurer ist jedoch der Meinung, daß die Beeinflussung des Ansbacher Ratschlags von Erasmus stammt; denn es ist deutlich, daß die Konfirmation hier wie bei Erasmus als eine persönliche Erneuerung des Taufpaktes verstanden wird (S. 60). „Christliche Erinnerung" kann jedoch nicht ohne weiteres mit „persönlicher Erneuerung" identifiziert werden. Der Ansbacher Ratschlag gehört in die Kategorie „Tauferinnerung". Das subjektive Moment, von dem Erasmus geprägt war (vgl. unten), spielte hier keine Rolle. Es ist überhaupt schwierig, in diesen frühen Entwürfen Einflußmomente nachzuweisen, dazu sind die Formulierungen zu knapp. Wir haben dagegen Zeugnisse dafür, daß der Ansbacher Ratschlag andere Gutachten beeinflußt hat. Dieser Einfluß konnte sich bis in den Norden geltend machen. — 1528 erschien in Stockholm ein Buch mit dem Titel: Een liten boock om Sacramenten huadh the äre och huru the retzligha bruckas skole (vgl. Olavus Petri: Samlade Skrifter I, S. 371 ff.). Die Schrift enthält keine Verfasserangabe, und bei einem großen Teil von ihr handelt es sich um übersetzte Stücke des Ansbacher Ratschlages. Mehrere Historiker behaupten, die Bearbeitung sei von Olavus Petri vorgenommen worden (vgl. H j . Holmquist: Kyrkohistoria I, S. 178; C.-G. Andren S. 226), während Philologen der Auffassung sind, der Übersetzer sei L. Andrene (vgl. Sven Ingebrand: Olavus Pétris reformatoriska âskâdning, 1964, S. 36 f.). Von der Konfirmation heißt es: Fermilsen haffua the papister odi satt för itt Sacramente, doch vtan alla scrifft, för ty thet kan icke bewisas ath thet är jnsat äff gudhi til noghot nadhatekn, sâsom döpelsen och herrans natwardh är, H a f f u e r ey heller färmelsen noghon fast grund äff scrifftene (S. 394). Nachdem er die katholische Konfirmation und „smörielsen" (Salbung) abgelehnt hat, ist der Verfasser der Meinung, daß unter gewissen Vorbehalten die Konfirmation trotzdem vorgenommen werden sollte: „ . . . än dodi hon wel stair til lijdhande när hon skeer widh thet sinnet som nw sagt är (eine Bestätigung dessen, was

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theologischen Ansicht über einen Teil der katholischen Zeremonien. Man lebte in einer Übergangszeit. Die kirchlichen und theologischen Verhältnisse konnten auf lokaler Ebene ziemlich gemischt sein. Katholische und evangelische Pfarrer lebten in demselben geographischen Gebiet nebeneinander. Und bei den Geistlichen konnte man nicht nur mit einer Entweder-oder-Haltung rechnen. Mehrere von ihnen standen auch in theologischen und kirchlichen Fragen in einer Ubergangssituation. Einem Repräsentanten dieser Haltung begegnen wir in Johann Schopper, Prior in Heilbronn. Er wird als Mann mit „evangelischen Neigungen" charakterisiert®. Sein Ratschlag ist ein Vermittlungsversuch 7 . Das gleiche gilt auch von dem Teil seines Entwurfs, der die Konfirmation behandelt. In der Frage nach dem Sakramentscharakter teilt er den Standpunkt Luthers. Die Konfirmation kann nicht zu den Sakramenten gerechnet werden, da ihr sowohl Zeichen wie auch Verheißung von Gott fehlen 8 . Aber hinsichtlich der Zeremonien besteht kein Zweifel. Die Konfirmation ist „ein schöner prauch in der kirchen . . . der nit zu verachten ist von keinem menschen" 9 . Neben diesen Vermittlungsversuchen machen sich ansonsten die Gegensätze stark geltend. Der katholische Ratschlag ist mit der Form, die die Evangelischen in Ansbach der Konfirmation geben, keineswegs zufrieden. Die Katholiken halten eigensinnig daran fest, daß es sich bei der Konfirmation um ein Sakrament handelt, das von Christus eingesetzt worden ist. Hierfür meinen sie, Belege aus der Schrift anführen zu können 10 . Der erste Nürnberger evangelische Ratschlag, ebenfalls aus dem Jahre 1524, ist seinerseits ebenso entschieden und hält an der lutherischen Negation fest 11 . Hier besteht die Hauptsache darin, von dem katholischen Sakrament Abstand zu nehmen. Die Konfirmation ist erfunden und hat keine Bedeutung, weil die Schrift nicht von ihr spricht und die Verheißung fehlt. Unter den Dokumenten, die in dieser Zeit die Konfirmation berühren, finden sich auch Die Articul der Beschwerung in der Kirchen, etc. 1526 die Paten bei der Taufe versprachen), och ath thet sä clarligha worde forclarat ath ther medh jngen wantro medh vpwexte, odi ath man henne anammade icke för noghot nâdhateckn, vtan til en âminnelse . . . " (S. 395). 6 W. F. Schmidt in Frank. Bekenntnisse S. 9. 7 Frank. Bekenntnisse S. 381 fi. Schmidt behauptet, daß er „auf dem halben Weg" stehen bleibt (S. 47). Er hat eine seelsorgerliche Intention, bleibt aber leicht bei Kompromissen stehen, die eine wirkliche Reformation verhindern. Schopper hat auch humanistische Interessen und ist ein Freund des Erasmus (S. 50). 8 Ibid. S. 381 f. » Ibid. S. 382. 10 Ibid. S. 328. 11 Ibid S. 435 : Die firmung ist erdichtet, die sdirift sagt nichts davon, so bedeutet es nichts und hat kein zusagung. Dorumb ists kein sacrament.

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auf dem Reichstag zu Speyer. . . 1 2 E. S. Cyprian behauptet, dieses Dokument stamme aus der Feder Spalatine. Spalatin kann dieses Gutachten für den Reichstag geschrieben haben, oder es ist nur in seinen persönlichen Aufzeichnungen wiedergegeben. Es handelt sich um eines der Gravamina der Zeit 1 3 . Von der Konfirmation heißt es, daß Fürsten und Delegaten daran festhalten, das Volk nicht zur Konfirmation zu zwingen, denn die Konfirmation ist ja nach dem Wort Gottes kein Sakrament. 14 Die Bischöfe sollen nicht hin und her reisen, um zu konfirmieren, sondern sie sollen das Wort Gottes vor jung und alt verkünden. Ist die Konfirmation erlaubt, dann widerstreitet es Gottes Wort, unmündige Kinder von ihr auszuschließen, da sie doch die Taufe empfangen können, die ja weit mehr ist 15 . Hier wird die Sakramentsauffassung abgewiesen, aber ansonsten nimmt man eine sehr freie Haltung gegenüber der Konfirmation ein. Sogar „unverständigen Kindern" soll die Konfirmation nicht untersagt werden. Als Begründung wird dafür folgendes angegeben: Wenn kleine Kinder getauft werden und Gottes große Gnade in der Taufe empfangen können, dann müssen sie auch Gottes Gabe in der Konfirmation empfangen können. Auch in den Vorarbeiten zum Reichstag in Augsburg 1530 wird die Konfirmation von einigen gestreift. Wieder befaßt sich Franken im besonderen Maße mit dieser Frage. Brandenburg-Ansbach geht in seinem 1 2 Vgl. E. S. Cyprian: Nützliche Uhrkunden zur Erläuterung der ersten Reformationsgesdiidite II. Theil, 1718, S. 380 ff. 1 3 Vgl. S. 380, wo Cyprian seine Quelle erwähnt: Wir communicieren hier die gesambte Beschwerden, welche 1526 vorkommen, und Spalatinus mit eigener Hand unter folgendem Titul geschrieben hat. S. auch das Inhaltsverzeichnis: Annus 1526 L X X X V I . Beschwerden des Reichs wieder die Rö. Geistligkeit. Aus Spalatini avtographo. Diese Beschwerung wurde dem Kaiser im Namen des Kurfürsten von Sachsen, des Landgrafen von Hessen und von acht Reichsstädten vorgelegt (vgl. S. 381 und S. 386 f.). 14 Die Firmung wird unter Punkt 4 behandelt: Wird von Fürsten und botschaften bedacht, das man die leute aufï die Firmung nicht dringe, angesehen, das es kein Sacrament ist, nach Weisung Gottes Worts. — Die gleiche Haltung nehmen sie gegenüber Ordination (Punkt 5) und „Ehe, Busse und Ölung" (Punkt 6) ein. 15 Unter Punkt 17: Weyhbischoffen, Firmung vmbher zu ziehen. Predigen soll er, Paulus didacticen, sey billich das die Pfarrer umbher zügen, und Gottes Wort treulich in alte und junge leut t r e i b e n . . . Wenn gleich die Firmung zulessig, so wer dodi das Gottes Wort ungemess, den vnverstendigen Kindern die Firmung zu weren, angesehen das inen die taufe, die vil merer ist, geben wird. Das Verbum „weren" bedeutet im Mittelhochdeutschen primär: verteidigen, beschützen (vgl. J . und W. Grimm: Deutsches Wörterbuch X I V Ii, S. 215 ff.), sekundär hat es auch die Bedeutung „hindern" (S. 235 ff.). Diese Bedeutung ist in der Lutherischen Bibelübersetzung die vorherrschende (Luther übersetzt κωλνειν = prohibere mit wehren), ζ. B. Mk. 10, 14 Par, Acta 10, 47, Lk. 6, 29; 11, 52. (WA D B 6, S. 176, 460, 236, 267).

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Gutachten auf die Angelegenheit ein 16 . Johann Rurer, der diesen Ratschlag gestaltet, hat ein Kapitel: „Warumb die weihe, firmung, ee, buss, und o l u n g . . . nit sacrament sind." Zu einem Sakrament gehören zwei Dinge, „nemlidi euserlichs zeichen, von Christo eingesetzt, und Gottis wort oder v e r h a i s u n g . . A b e r „bei der weihe, firmung, etc." ist dies „nit erfunden", und damit ist das Urteil über diese Zeremonien gefällt: „so werden sie billich von der zahl der sacrament ausgeschlossen."17 Auf der anderen Seite will er sich nicht um Worte streiten; er ist damit einverstanden, daß diese Handlungen Sakramente genannt werden, wenn sie nur nicht mit Taufe und Abendmahl auf eine Stufe gestellt werden oder behauptet wird, sie seien von Christus eingesetzt und vermittelten Gnade und Vergebung der Sünden, wie die Papisten lehren 18 . Wie bereits 1524 behauptet Rurer von neuem, daß er nicht über die Konfirmation streiten will, wenn sie nur evangelisch gedeutet wird. Und hier geht er so weit, daß er sogar den Begriff Sakrament beibehält und nicht „des namens halben . . . zanken" will. Das Gutachten Caspar Löners liegt im großen und ganzen auf derselben Linie. 19 Aber hinsichtlich einer Alternative zur katholischen Konfirmation geht er einen Schritt weiter. Zuerst lehnt er, nach lutherischem Vorbild, den Gedanken, aus der Handauflegung ein Sakrament machen zu wollen, ab. Das ist „gut effisch gemacht". Dem hat der Bischof das Chrisma hinzugefügt, das er für Geld an die Stirn streicht, und nach einem freundlichen Schlag auf die Wange soll man konfirmiert sein!20 Aber das lateinische Wort „confirmare" bedeutet nicht „firmen, anstreichen und binden . . . sondern bekreftigen und bestetigen, wie Christus Luc. 22, 32 zu sanct Peter sagt". 21 Er denkt hier an das Gebet und die seelsorgerliche Fürsorge. Das eigentliche Stärkungsmittel in der Konfirmation ist das Wort. Bekräftigung und Stärkung geschehen, wenn „man mit dem Wort der tauf erinnert, sterkt und trost den teufling". Diese Form der Konfirmation bezeichnet er als „ein christlicher, guter brauch", denn der Geist wird durch Wort und Gebet verliehen 22 . Die 10

17 Gussmann I 2, S. 9. Art. 11, ibid. S. 9. Ibid.: Ich gib gern zu, dass weihe, firmung, ee, olung usw. sacrament genennet werden, und will mich des namens halben mit nimant zanken. Dass sie aber den tauf und nachtmal gleich und Christo eingesetzt sollen sein, gnad und Vergebung der sunden mit sich bringen oder geben, wie die papisten leren und sagen, dess gestee und glaub ich nit. 19 Ratschlag von Caspar Löner, ibid. S. 96 ff. Löner war zu dieser Zeit evangelischer Prediger in H o f im Ansbacher Gebiet. Vgl. ibid. S. 340 ff. zu Löners Vita. 20 Ibid. S. 135. 21 Ibid. S. 136. Hier wird auf Jesu Aufforderung an Petrus Bezug genommen: Stärke deine Brüder! Der lateinische Text: Confirma fratres tuos! legt den Gedanken an die Konfirmation nahe. 22 Ibid. S. 136. 18

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Kirche ist das Subjekt in dieser Konfirmation, und ihre Charakteristika sind Erinnerung an die Taufe und Fürbitte 23 . Das Bekenntnis der Stadt Reutlingen hebt hervor, wie greulich es ist, von dem „sacrament der firmung" zu hören, daß die Bischöfe umher reisen, den Kindern dieses „Sakrament" mitteilen und es höher schätzen als die Taufe 24 . Der Heilige Geist wird durch Verkündigung und Taufe vermittelt. Deshalb gibt es im Grunde nur eins, um das sich das Interesse zu sammeln hat, nämlich Katechismus und Kinderlehre 25 . „Confirmation oder bestetigung" interessieren hier nicht als Zeremonie. Die Handauflegung war nämlich eine besondere Handlung, die den Aposteln aufgetragen war. Jetzt ist sie „unnötig worden". Die Katechese tritt hier an die Stelle der Konfirmation, von Bedeutung ist nur die „Kinderlehr". Der Culmbacher Ratschlag begnügt sich damit, die Zahl der Sakramente auf zwei festzulegen, und konstatiert, daß die Konfirmation nicht dazugehört 26 . Das Augsburger Resultat bestand darin, daß die Konfirmation nicht in den Vorschlag der Lutheraner aufgenommen wurde. Die Konfirmation wird in der Augustana nicht erwähnt. Zwei Sakramente werden bestätigt (Art. IX und X), und damit ist die Frage nach dem sakramentalen Charakter der Konfirmation in der lutherischen Kirche bekenntnismäßig entschieden. Aber die Debatte um diese Frage war damit nicht beendet. In den kommenden Jahren mußten die Protestanten die Begründung ihres Standpunktes mehr als einmal präzisieren. Für die Katholiken war nämlich der sakramentale Charakter das entscheidende Moment, und die Diskussion kreiste immer, wie ein Rad um seine Achse, um eben dieses Problem. Bereits in der Apologie des folgenden Jahres zeigt es sich, daß die Frage nicht zur Ruhe gekommen ist. Eine Begründung wird verlangt. Es konnte an dieser Frage nicht in aller Stille vorbeigegangen werden. Art. XIII, De Numero et Usu Sacramentorum, enthält die Verteidigung für die Auslassung der Konfirmation aus der Augustana 27 : Die Konfirmation ist, wie die letzte Ölung, ein Ritus, der von den Vätern stammt. Die Kirche hat sie nicht als heilsnotwendig angesehen, da ihr Gottes Befehl und Gebot fehlen. Daher ist es wichtig, diese Handlung 23

Maurer macht mit recht darauf aufmerksam, daß die Kirche durch ihre Diener Subjekt der Handlung, so wie sie hier gedacht wird, ist. Aber in diesem Text „eine Bestätigung der Taufgnade" (S. 62 Anm. 27) zu finden, heißt zu große Wechsel auf ihn auszustellen. Löner macht zwar von den Wörtern „bekreftigen" und „bestetigen" Gebrauch, fragt man ihn aber, was er mit diesen Ausdrücken meint, so spricht er geradezu von einer Tauferinnerung; „erinnern" ist sein Wort. Der Konfirmand soll an seine Taufe und an Gottes Wort bei der Taufe erinnert werden, darin liegt die ganze Bestätigung. 24 25 26 Ibid. S. 241. Ibid. S. 242. Ibid. S. 77—78. 27 Die Bekenntnisschriften der Evang.-Luth. Kirche, 6. Aufl. 1967, S. 293. 50

von den oben erwähnten (Sakramente) zu unterscheiden (discernere). Denn sie sind durdi Gottes Wort und Befehl eingesetzt und haben eine klare Gnadenverheißung 28 . Hinsichtlich des sakramentalen Charakters hält Melanchtbon ebenfalls daran fest, daß die Konfirmation nicht an die Seite von Taufe und Abendmahl gestellt werden kann. Trotzdem öffnet sich ein Schlupfloch. Er hebt hervor, daß die Augustana über die Zahl der Sakramente eigentlich nichts gesagt hat. Dies mußte als Ausdruck von Unsicherheit verstanden werden: Sie hatten zu dieser Sache noch nidit endgültig Stellung genommen 29 . Die Apologie läßt hier ein Bild der tatsächlichen Situation durchscheinen. Die Lutheraner waren sich noch in bezug auf die Zahl der Sakramente im unklaren. Das wurde von den Diskussions- und Gesprächsgegnern als Beweis für die Sakramentsverachtung ausgenutzt 30 . Lange war man sich über die Absolution im Zweifel. Sie hatte ja sowohl Mandat wie auch Verheißung 31 . Die Sache mit der Zahl war für sie keine Heilsfrage, wenn nur die Gnadenmittel richtig gebraucht wurden. In der Konfirmationsfrage haben sie allerdings immer deutlich Stellung bezogen, sie konnte nie Anspruch auf einen Sakramentstatus erheben, zu ihr mußte man sich wie zu anderen menschlichen Bestimmungen verhalten 32 . Trotzdem hatte sich eine Möglichkeit zur Diskussion über einen erweiterten Sakramentsbegriff eröffnet. Diese Möglichkeit ließen sich die Gegner nicht entgehen. Melanchthon selber hatte in den kommenden Jahren am meisten mit diesem ungelösten Problem zu kämpfen. Verfolgen wir Melanchthons Kampf nodi ein wenig weiter, so stoßen wir auf die Schwierigkeit, in seinem Konfirmationsverständnis eine klare und deutliche Linie zu finden. Seine Haltung ist oft labil und unsicher.33 Sie stammt wahrscheinlich aus seiner irenischen Einstellung. Während Luther sich audi scharf mit diesem Teil des Glaubens auseinandersetzte und den Sakraments28 Confirmatio et extrema unctio sunt ritus accepti a patribus, quos ne ecclesia quidem tamquam necessarios ad salutem requirit, quia non habent mandatum Dei. Propterea non est inutile, hos ritus discernere a superioribus, qui habent expressum mandatum Dei et claram promissionem gratiae. 29 Vgl. den Text in CR (Prior 27, S. 286 f.) : In XIII articulo exigunt, ut confiteamur Septem esse sacramenta. De hoc numero in nostro confessione nihil diximus... Confirmatio et extrema unctio ritus sunt Ecclesiastici sed non habent expressum mandatum Christi. Quare idem iudicandum est de his ritibus, quod de aliis traditionibus humanis, ne pro rebus necessariis ad salutem habeantur. Apologia Altera enthält einen nodi umfassenderen Ausdruck dafür. CR XXVII, S. 569 ff. S. im übrigen Bekenntnissdiriften S. 291 ff. Der stärkste Ausdruck (S. 294) : Nemo enim vir prudens de numero aut vocabulo magnopere rixabitur, si tarnen illae res retineantur, quae habent mandatum Dei et promissiones. 30 51 32 CR XXVII, S. 337. Ibid. S. 336. Ibid. S. 287, 337. 33 Vgl. Maurer: Geschichte S. 33: „Seine Haltung zur Konfirmation ist zeitlebens schwankend geblieben."

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charakter der Konfirmation entschieden leugnete, begnügte sich Melanchthon damit, sie von den eigentlichen Sakramenten zu unterscheiden (ritus discernere). 34 Er wollte wegen soldier Dinge keinen „Zank" haben und ließ offen, „ob sieben oder mehr Sakrament gezählet werden". 3 5 Dies bedeutete, Wechsel auf die Zukunft auszustellen, und er mußte später dafür büßen. — In der Loci-Ausgabe von 1535 behandelt er die Konfirmation im großen und ganzen mit denselben Worten wie in der Apologie. Aber er hat etwas Wichtiges hinzuzufügen, nämlich das Zugeständnis, daß die Konfirmation von großem Nutzen sein kann, wenn sie aus dem Lehrverhör der Jugend und ihrem Glaubensbekenntnis besteht. 36 Ansonsten findet sich in diesem Text eine beachtenswerte Lücke im Verhältnis zur Apologie. Dort wurde hervorgehoben, daß die beiden lutherischen Sakramente ein ausdrückliches Mandat und „clara promissio gratiae" im Gegensatz zur Konfirmation besaßen. Dies fehlt in Loci 1535. Die Ursache ist offenbar darin zu suchen, daß er sich hier mit der Frage nach der Zahl der Sakramente und vielleicht audi mit einem etwas weiteren Sakramentsbegriff beschäftigt. Es gibt nämlich Handlungen, die Gottes Versprechen haben, wie Gebet, die guten Werke und die Ehe. Zu dieser Kategorie gehören die Konfirmation, die letzte Ölung und die Ordination. Sie alle tragen Gottes Wort und Segenszusage. Aber wenn man sie den Sakramenten beifügen würde, dann würde deren Zahl zu groß werden. Melanchthon hat nicht die Absicht das zu tun. 3 7 Die Absolution zählt er allerdings dazu. Die Sakramente grenzt er von den anderen Gnadenmitteln dadurch ab, daß er sie als Handlungen bezeichnet, die die sündenvergebende Gnade vermitteln. Damit kommt er auf drei Sakramente. Aber dadurch gibt es ein Sakrament ohne materielles Element, wodurch sowohl rechts wie links stehenden Theologen genügend Möglichkeiten zu neuen Spekulationen gegeben waren. Man war eben mit dieser Frage noch nicht fertig. Vgl. Bekenntnisschriften S. 293. Ibid. S. 294.45. 36 CR X X I , S. 4 7 0 : Sed confirmatio magnopere probanda esset, si usurparetur ad hoc, ut examinaretur iuventus et fidem propriam profiteretur. 37 Maurer behauptet, daß Melanchthon die Konfirmation hier zu den Sakramenten im weiteren Sinne hinzurechnet und daß er diese Auffassung audi später beibehalten hat (vgl. S. 67 Anm. 37 und Geschichte S. 33). Diese Behauptung läßt sich kaum aufrecht erhalten, denn Melandithons Überlegungen vom Jahre 1535 können nur als nidit-verpfliditende theologische Erörterungen der Frage verstanden werden. Er hält weiterhin daran fest, daß kein Grund besteht, sidi um die Zahl der Sakramente zu streiten. Nihil opus est rixari de Sacramentorum numero (CR X X I , S. 469). Z. B. hat das Gebet Verheißungen im Worte Gottes! Aber der Absdinitt ist eine freie theologische Betrachtung der Momente, die bei einem eventuell erweiterten Sakramentsverständnis eine Rolle spielen könnten. Das Resultat der Überlegungen ist negativ. Der Sakramentsbegriff bleibt den dreien vorbehalten. Die anderen sind nur Zeremonien, audi die Konfirmation. 34 35

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Ein Rückblick auf die lutherischen Aussagen über die Konfirmation in den zwanziger bis dreißiger Jahren läßt ein paar deutliche Tendenzen erkennen: Alle folgen Luther in seiner Ablehnung des Sakramentdogmas, während die Katholiken alle einstimmig daran festhalten. Aber nicht alle Lutheraner blieben nur bei einer Ablehnung stehen. Sehr früh machten sich auch andere Überlegungen geltend. Nicht nur Ubergangstheologen wie Johann Schopper konnten sich ein Festhalten am Konfirmationsritus vorstellen. Man hatte die Wahl, entweder die Handlung zu verbieten oder für sie eine solche Form und Deutung zu finden, die sich vom evangelischen Standpunkt aus rechtfertigen ließ. Bereits Luther weist auf die letzte Lösung hin. Mitten in seinem Angriff auf den Sakramentcharakter verweist er auf einen „reduzierten" Konfirmationsakt: Es genügt, ihn als einen „ritus ecclesiasticus seu ceremonia sacramentali" anzusehen. 38 Und in seinem noch schärferen Angriff, Vom ehelichen Leben, gibt er seine Erlaubnis dazu, diesen Ritus trotz allem anzuwenden: „Ich lasz zu, dass man fermele szo fern das man wisse, das gott nicht davon gesagt hat." 3 9 Die Konfirmationstradition wie auch die anderen katholischen Zeremonien und Sakramente sind im Volke fest verwurzelt. Ihre sofortige Abschaffung läßt sich offenbar nicht befehlen. Aber gegen den Mißbrauch muß man ankämpfen. Kann er abgeschafft werden, so mag die Handlung erlaubt sein. Derselben Haltung sind wir auch bei den evangelischen Theologen seiner Zeit begegnet. In Ansbach wendet man sich gegen die katholische Auffassung, sieht aber sonst keinen Grund, sich um diese Sache zu streiten. Die Konfirmation wird beibehalten — und geduldet! In den „Beschwerden" (Speyer 1526) heißt es, die Konfirmation sei „zulessig" — sogar gegenüber Unmündigen. Caspar Löner verhält sich am positivsten und legt eine protestantische Alternative vor: Die Konfirmation soll eine „Bestetigung" sein und als Katechese und Tauferinnerung gehandhabt werden. Schließlich bringt Melanchthon 1535 denselben Gedanken, nämlich daß die Konfirmation für die Jugend eine sehr nützliche Sache sein könnte, wenn sie zu Lehrverhör und Glaubensbekenntnis benutzt würde. Aus dem hier vorgelegten Material geht so gut wie nichts über die Stellung der Konfirmation im praktischen Leben der Kirche während dieser Zeit hervor. Es handelt sich um prinzipielle theologische Uberlegungen, die nichts über die geltende Praxis berichten, deren praktische Konsequenzen aber im Laufe der Zeit in Erscheinung traten. Es war keine leichte Angelegenheit, die katholische Konfirmation abzuschaffen und sie durch eine protestantische Form zu ersetzen. 38

WA 6, S. 550.14.

s« WA 10 II, S. 282.16.

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Sicher ist nur, daß die ersten Kirchenordnungen in den neugebildeten lutherischen Landeskirchen keine Konfirmationsordnung enthielten 40 . Aufgrund dieser Kirchenordnungen gewinnt man den Eindruck, daß der katholische Konfirmationsritus abgeschafft worden ist, ohne daß die Konfirmation im Laufe der ersten Jahre eine neue liturgische Gestaltung erfuhr. Wir werden jedoch im Verlauf der weiteren Untersuchung eine andere Sache sich mit großer Kraft in der jungen Kirche entfalten sehen: die Katechese. Sie übernahm in den kommenden Jahren in großem Maße die Stellung der Konfirmation in den lutherischen Kirchen. 4 0 Vgl. Preußen 1525 (Sehl. Hamburg 1528 (V, S. 488 ff.), S. 334 ff.), Wittenberg 1533 (I, S. 176 ff.), Pommern 1535 (Sehl.

IV, S. 33 ff.), Braunschweig 1528 (Vii, S. 384 ff.), Güttingen 1530 (VI 2 , S. 906 ff.), Lübeck 1531 (V, S. 700 ff.), Brandenburg-Nürnberg 1533 (Richter I, IV, S. 328 ff.), Hannover 1536 (VI 2 , S. 944 ff.).

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II. Die Entfaltung von Katechese und Abendmahlsprüfung nach 1520 A. Examen

catecheticum

Die lutherischen Reformatoren lehnten die katholische sakramentale Konfirmation ab — und betonten desto stärker die Taufe. Sie hatten jedoch ihre Voraussetzungen und Verpflichtungen in einer Reformbewegung, die biblisch und schriftgebunden sein wollte. Wo der persönliche Glaube eine so große Rolle spielte wie bei Luther, konnte man die Taufe nicht wie einen Sakramentsritus isoliert stehen lassen, sondern mußte ihre große Gabe dem Täufling nahebringen. Deshalb nahm die Taufverkündigung bereits sehr früh eine große und zentrale Stellung bei Luther und seinen Mitarbeitern ein. Um der Jungen und „Ungelehrten" willen mußte diese Verkündigung in besonders einfacher Form geschehen, und die Katechismuspredigt wurde bald ein sehr wesentlicher Faktor im gottesdienstlichen Leben 1 . Als sich herausstellte, daß sie nicht zu den gewünschten Resultaten führte, wurde es nötig, daß ein methodischer Unterricht seinen Platz im Leben der Kirche erhielt. Bevor wir uns jedoch der Entfaltung der Katechese innerhalb der lutherischen Kirche zuwenden, liegt es nahe, sich zu fragen, ob ihre Wurzeln und Vorläufer in der Alten Kirche zu finden sind. 1. Die Katechese im Mittelalter Unter den Historikern gehen die Auffassungen über die Stellung der Katechese im Mittelalter auseinander. Im großen und ganzen stimmen die Forscher darin überein, daß der Taufunterridit seine stärkste Periode in der Alten Kirche und im frühen Mittelalter hatte, während er im Spätmittelalter eine geringere Rolle spielte. Es würde innerhalb des Rahmens dieser Untersuchung zu weit führen, Entstehung und Entwicklung des Katechumenates von der Zeit der Alten Kirche an bis zur Reformation zu schildern. Wir müssen die Darstellung 1

Luther begann seine Katediismuspredigten 1516, s. u. S. 74. 55

auf die Herausarbeitung der großen Linien beschränken und verweisen ansonsten auf andere diesbezügliche Arbeiten 2 . Durch die Toleranzedikte von Mailand und Nikomedia, 313, die das Christentum mit den anderen Religionen gleichstellten3, und durch die weitere Begünstigung der christlichen Religion durch Konstantin 4 nahm die Kirche quantitativ stark zu. Diese Entwicklung wuchs noch weiter an, als Theodosius der Große in seinem Edikt 380 verlangte, daß jeder Einwohner des Römischen Reiches, übereinstimmend mit den Bischöfen in Rom und Alexandrien, sich zu dem Glauben des Apostels Petrus zu bekennen hatte. Und nachdem er den Westen seiner Herrschaft unterworfen hatte, wurde der gesamte heidnische Kultus verboten 5 . Dies brachte ein Hineinströmen in die christliche Kirche mit schicksalschweren Folgen für ihren Katechumenat mit sich. Man verlangte kürzere Probezeit und frühere Taufe 6 . Die Katechese änderte ihren Charakter, aus dem Taufunterricht wurde eine im wesentlichen liturgisch-sakramentale Handlung 7 . „Catechizare" nahm die Bedeutung einleitender und vorbereitender liturgischer Handlungen, die der Taufe vorausgingen, an. Diese Entwicklung siegte in dem Maße, wie die Kindertaufe in der Kirche zur Regel wurde 8 . Zwar läßt sich ein Kampf um die Erhaltung der christlichen Kinderlehre feststellen, allerdings nur vereinzelt und zufällig, da die Kirche als Institution nur wenig zur Besserung der Situation zu tun imstande war. Die Verantwortung wurde den Eltern und Paten auferlegt. Laien sollten die Katechese weiterführen. Hier stieß man jedoch nicht nur auf die Schwierigkeit, daß es an dem Willen, mit dieser Sache ernst zu machen, fehlen konnte, sondern das größte Hindernis ergab sich aus dem Bildungsniveau der Masse des Volkes 9 . 2 Peter Göbl: Geschichte der Katechese im Abendlande vom Verfall des Katediumenats bis zum Ende des Mittelalters, 1880; Peter Browe: Der Beichtunterricht im Mittelalter, in: Theologie und Glaube 26, 1934; C. A. G. von Zezschwitz: Der Katechumenat, 1863, S. 91 ff., 310 ff., 461 ff.; Lukas Vischer: Die Gesdiidite der Konfirmation, 1958, S. 33 ff. und 46 ff. Β. I. Kilström: Den kateketiska undervisningen i Sverige under medeltiden, in: Bibliotheca Theologiae Practicae 8, 1958; Alois Stenzel: Die Taufe. Eine genetische Erklärung der Taufliturgie, 1958; G. Bareille in: Dictionaire de theologie catholique 2 II, 1910, S. 1877 ff.; T. B. Scannell in: The Catholic Encyclopedia III, 1913, S. 430 ff. 3 Vgl. Holmquist-Norregaard I, S. 187. 4 Ibid. S. 190 ff. 5 Ibid. S. 214 ff., 236 f. 9 Göbl S. 5, 7, 20, Kilström S. 20 ff. 7 Ibid. S. 7, Holmquist I, S. 241 f. Visdier S. 49. 8 Göbl S. 5; Holmquist I, S. 397 f. Vgl. zu dieser Entwicklung Höfling I, S. 318 ff., 435 ff.; Julius Hartmann: Aelteste Katechetische Denkmale, S. 2 ff.; Zezschwitz I, S. 310 ff.; Kilström S. 14, 22 f. β Göbl S. 20.

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Man ließ es an Ermahnungen und Aufforderungen nicht fehlen. Gregor der Große klagte die Eltern an, daß sie wegen ihrer Nachlässigkeit in der christlichen Erziehung ihrer Kinder diesen die Pforten des Himmels versperren 10 . Das Konzil von Arles 813 betonte stark die Verantwortung der Eltern und Paten, Jonas von Orleans schrieb 825 (De institutione laicali), daß die Eltern die Seelsorger ihrer Kinder und ihres Hausstandes seien11. Das Hochmittelalter bietet ebenfalls Beispiele f ü r die Übertragung der Verantwortung auf die Eltern. Berthold von Regensburg griff in seinen großen Büß- und Volkspredigten oft die Eltern und Paten heftig wegen der Vernachlässigung ihrer Aufgaben an. Er wollte die Eltern unterrichten, damit sie für ihre christliche Erzieheraufgabe besser geeignet wären 12 . Diese häufigen Ermahnungen deuten bereits an, daß Eltern und Paten aus dem Laienstande ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. Die Beichtbücher des Mittelalters liefern dafür einen vollgültigen Beweis. Sie enthalten mehrere Bekenntnisse des Versagens auf diesem Gebiet 13 . Nachdem es verboten worden war, wegen „geistlicher Verwandtschaft" zu viele Paten zu haben, entstand ein neuer Typ, der „KatechismusPate" 14. Von ihm wurde Verständnis des Taufbekenntnisses und ein sittlicher Lebenswandel verlangt. Man hat oft auf den Brief Karls des Großen an Bischof Gerald aus dem Jahr 800 hingewiesen: Niemand darf ein Kind über die Taufe halten, bevor er nicht das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser vor einem Pfarrer oder Bischof aufsagen kann 15 . Während des ganzen Mittelalters stößt man, allerdings nur lokal und regional, auf Reformbestrebungen1®. Aufs Ganze gesehen muß man mit 10

11 Ibid. S. 21. Ibid. S. 22 f. Ibid. S. 25. Vgl. Zezschwitz I, S. 319. 13 Ferdinand Cohrs: Die evang. Katechismusversudie vor Luthers Enchiridion IV, 1902, S. 230; Zezschwitz I, S. 319 f., 477 ff. 14 Gobi S. 39 f.; Hartmann S. 2; Andren S. 163 Anm. 66. Karl der Große schlug vor, Predigt und Gebet sollten nicht nur in Latein, sondern auch in der Landessprache gehalten werden. Vgl. Browe S. 427 ff. — Im 8. Jh. erschien ein Buch: Exhortado ad plebem christianam, mit folgenden Ermahnungen an Laiendiristen: Omnis, qui Christianus esse voluerit, hanc fidem et orationem Dominicam omni festinatione studeat discere, et eos, quos de fonte exceperit, edocere, ne ante tribunal Christi cogatur rationem exsolvere (Cohrs IV, S. 230 Anm. 1). 15 Gobi S. 43 ff. Das Konzil von Paris 829 verlangt, daß die Paten ihre Patenkinder in den Sakramenten unterrichten können, und das Konzil in Calchut 787 erwartet als Mindestforderung von den Paten, daß sie die Patenkinder das Vaterunser und das Apostolicum lehren können (S. 45 ff.). 18 Browe S. 432 ff. Das Provinzkonzil in Sevilla 1212 schlägt vor, der Pfarrer solle in der Kirche eine Tafel aufstellen, um Gebete und Lehrsätze anschreiben zu können. Die Synode in Utrecht 1294 behauptete, die Pfarrer sollten einmal im Monat das Vaterunser, die zehn Gebote und die sieben Sakramente in der Landessprache vorlesen. Die Lambeth-Synode 1281: Mindestens viermal im Jahr sollte der Pfarrer die zehn Gebote, das Credo, das Liebesgebot, die sieben Werke der Barmherzigkeit, die 12

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Hartmann sagen, daß dies „seltene Erscheinungen in einer Zeit sind, in der die Scholastik sich nur in feinen wissenschaftlichen Distinktionen gefiel" 17 . Trotzdem erreichte der Katechismus während des Hochmittelalters in einem Punkt Bedeutung: Er stand im Dienste des Beichtstuhls. Das Laterankonzil 1215 fordert mindestens einmal im Jahr, zu Ostern, die Beichte in Verbindung mit der Kommunion. Dies gilt allen, die „anni discretionis" erreicht haben 18 . „Omnia peccata" waren zu beichten, und der Beichtende sollte mit seinem Beichtvater allein sein. Hierzu gehörten Unterricht und christliche Erziehung, und man hat behauptet, daß dies zu einem Aufblühen des kirchlichen Unterrichts im Mittelalter führte 19 . Bereits im frühen Mittelalter finden sich Beichtformulare, aus denen die Verantwortung, die man auf diesem Gebiet empfand, zu ersehen ist 20 . Diese Beichtformulare handeln nach Göbl nicht nur vom Bekenntnis der Sünden, sondern auch von der „Glaubensbefragung", die förmlich zu einer Art Erneuerung des Taufaktes wurde 21 . Diese Lehrstücke (Beichtformulare) dienten vor allem dazu, dem Beichtvater in seiner Gewissensforschung zu helfen. Sie sollten zur Erkenntnis der Sünden beitragen. Aber sie erlangten auch volkserzieherische Bedeutung 22 . Aufgrund dieser Situation meint Göbl behaupten zu können, daß es in der zweiten Hälfte des Mittelalters zu einem neuen Erwachen des religiösen Lebens sowie einer neuen katechetischen Wirksamkeit kam, und daß die Geistlichkeit eine lebhafte katechetische Tätigkeit während des Hoch- und Spätmittelalters entfaltete 23 . Diese Behauptung läßt sich jedoch kaum verteidigen. Es hat sich auch so gut wie niemand Göbls Auffassung angeschlossen24. Die meisten Forsieben Hauptsünden, die sieben Haupttugenden und die sieben Sakramente erklären (S. 432). — Im Spätmittelalter war es an mehreren Orten üblich, nach der Predigt, das Gebet des Herrn, die zehn Gebote und das Credo entweder zu beten oder vorzulesen. Es sind auch Beispiele für Kinderpredigten vorhanden. Wilhelm von Tournai schrieb De modo docendi pueros (S. 433). Und Thomas bürdet den Paten die Verantwortung auf: Tertio est instructio de conversatione christianae vitae, et haec pertinet ad patrinos (S. 435). 17 Hartmann S. 4. 18 Denzinger S. 204 Nr. 437; Carl Mirbt: Quellen zur Geschichte des Papsttums und des Römischen Katholizismus, 1911, S. 145.5. " Göbl S. 87 und 97; Kilström S. 147 ff; vgl. H. Rendtorff S. 19. 20 21 Göbl S. 59 ff. Ibid. S. 106. 22 Ibid. S. 108; Geffdsen S. 23 ff.; Kilström S. 109 ff. 23 Göbl S. 87, 97 und 293. Bei einer solchen Behauptung mutet es merkwürdig an, daß Göbl über „Verfall des Katediumenats bis zum Ende des Mittelalters" sdireiben kann. 24 Er wird zwar von A. T. Wirgman gestützt, der in seinem Buch The Doctrine of Confirmation, 1897, behauptet, im Mittelalter sollte der Konfirmand Pater noster, Ave Maria und Credo vor der Konfirmation vor dem Bischof aufsagen. 58

scher teilen seine Ansicht nicht. Padberg behauptet, nach dem Wegfall des Katechumenates der Alten Kirche entstand ein Vakuum, das das gesamte Mittelalter kennzeichnete. "Weder die Klagen der Synoden noch die Reformbemühungen einzelner vermochten eine Änderung dieser Situation herbeizuführen 2 5 . Der Beichtunterricht hatte seine Zielsetzung in der „confessio", wodurch ihm enge Grenzen gezogen w a r e n 2 6 . K a t e chetische Unterweisung im eigentlichen Sinne kam im Spätmittelalter nicht v o r — und schon gar nicht als Konfirmationsvorbereitung 2 7 . Β. I. Kilström ist allerdings der Meinung, in der Zeit von 1 2 0 0 — 1 5 0 0 eine reichere katechetische Periode gefunden zu haben. Dies bezieht sich auf den Beichtunterricht 2 8 . Selbst bei aller Kritik, die sich gegen Kilströms Auffassung in diesem Punkt erhob — seine Quellen handelten eher von theologischer als v o n katechetischer Unterweisung 2 9 — , ist die Bedeutung, die eine derartige Erneuerung der Priesterunterweisung auch für das Volk haben konnte, nicht zu verachten. Theologische Kenntnisse sollen ja Anwendung finden. U n d aus dem Material geht hervor, d a ß das Volk zu unterrichten ist 3 0 . Aufgrund dieser obligatorischen Beichte Aber Andren bringt vor, daß Wirgman für diese Behauptung keinen Beweis erbradit hat (S. 162 Anm. 60). — Sein Zitat lautet wie folgt: The candidates came fasting, after having made their confession, if old enough to do so. The Priest examined them in the Lord's Prayer, Creed and the Angelic Salutation and the Ten Commandments. They were then brought to the Bishop, who was fasting, and they had to repeat to him the Lord's Prayer, Creed, Angelic Salutation, and Commandments, and be examined by him on them (S. 330). Wirgman verlegt dies nicht ins Spätmittelalter, sondern bezeichnet es als „mediaeval practice", was sich vielleicht einfacher belegen läßt. — Β. I. Kilström hat in seiner Abhandlung: Den kateketiska undervisningen i Sverige under medeltiden, 1958, ähnliche Ansichten wie Göbl vertreten. Mit dem Anwachsen der Scholastik meint er auf eine katechetische Neuorientierung gestoßen zu sein (S. 37 if., s. weiter unten). Seit dem 13. Jh. begegnen wir einer Erneuerung des Laieneinsatzes auf dem katechetisdien Gebiet (Eltern und Paten) (S. 55 ff.). Ein Konfirmationsunterricht (S. 70) kommt nicht vor, deshalb hatte der Beichtunterricht eine um so größere Bedeutung für die katechetische Erneuerung — besonders nach dem Lateran-Konzil von 1215 (S. 109 ff.). 2 5 Rudolf Padberg: Erasmus als Katechet, 1956, S. 25 und 43. Padberg spricht in diesem Zusammenhang über „das große katechetische Vakuum" (S. 24). Geffcken, der in seinen Untersuchungen des 15. Jhs. eine Reihe Beichtbücher vorlegen kann, die im großen und ganzen dem Katechismus folgen, sieht in dieser Praxis eher geistlichen Druck als katechetische Hilfe (S. 24). 26 H. Rendtorff S. 19. 27 Andren S. 164 f; Vischer S. 53; Padberg S. 24 ff. 2 8 Kilström S. 82 ff. 2* Vgl. Ulf Björkmans Besprechung der Arbeit Kilströms (Kyrkohistorisk Arsskrift, 1958, S. 201 ff.), wo er behauptet, die Auswahl der Quellen sei zu ungenau (S. 208 fi.). Kilström hat einige Quellen benutzt, die im strengen Sinn nicht als katechetische Literatur anzusprechen sind. Und Kilström ist aufgrund dieser Quellen zu seiner positiven Beurteilung der mittelalterlichen Katechese gelangt (S. 213). Björkman bestätigt daher die Auffassung, daß das Mittelalter, katechetisch gesehen, eine schwache Zeit war. so Kilström S. 82 f., 85 f.; Björkman S. 206 f.

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mußte das Volk eine gewisse religiöse Erziehung erhalten, die dieser Handlung entsprach. Man kann teilweise von „katechismusartigen Schriften" sprechen31. Während des 16. Jahrhunderts wurden mehrere Privatarbeiten, die den Charakter katechetischer Volksbücher trugen, geschrieben32. Es handelte sich aber bei diesen um Handbücher für die Geistlichkeit33. Obwohl die Beichtbücher unter ihnen die größte Gruppe ausmachten, kann man sie als Vorläufer und teilweise auch als Quellen der Katechismen bezeichnen34. Es ist anzunehmen, daß die Beichtbücher des Spätmittelalters die Katechismen des 16. Jahrhunderts beeinflußt haben 35 . Aber Bücher, die ausschließlich für die katechetische Unterweisung von Kindern und Jugendlichen gedacht waren, gab es auf katholischer Seite im Mittelalter nicht 36 . Katechismen aus der Zeit vor Luther stammen sämtlich entweder aus den Kreisen der Böhmischen Brüder oder sind auf protestantischer Seite entstanden 37. Bei den spätmittelalterlichen Vorläufern der Reformation finden wir jedoch die ersten Ansätze eines neuen katechetischen Interesses. Bereits 1357 schrieb der Erzbischof von York, John Thoresby, ein kleines Volksbuch, das später den Namen The Lay Folks' Catechism erhalten hat 88 . Dieser „Katechismus" ist von John Wyclif umgeschrieben worden 39 . Der Name Katechismus ist zwar sekundär, aber keine unrichtige Bezeichnung. Sowohl Inhalt wie Form des Buches erinnern an die späteren Katechismen. Es behandelt das Vaterunser, das Ave Maria, die Glaubensartikel, den Dekalog, die Sakramente und anderen Elementarstoff der katholischen Glaubenslehre. 31

Padberg S. 27. Vgl. das von Geffcken S. 123 ff. und Padberg S. 28 ff. vorgelegte Material. 33 Padberg S. 27 ff.; Cohrs IV, S. 239 Anm. 1. Das Basel-Missale von 1518 schreibt den Pfarrern vor, die Paten folgendermaßen zu ermahnen: wenn das Kind kommt zu seinen Jahren der Vernunft, daß ihr dasselbige Kind unterweiset in den rechten Glauben, das Vater Unser, Ave Maria und den Glauben (Hartmann S. 5). Zu Schriften für Beichtväter s. J. Gefïcken: Der Bildercatechismus des 15. Jhs., 1855, S. 28 ff. 34 D a die Beichtbücher den Hauptstücken christlicher Lehre, wie Glaubensbekenntnis, Vaterunser, Gebote usw., folgten, mußten die Beichtenden notwendigerweise einen Teil der grundlegenden Wahrheiten lernen. Die zehn Gebote wurden gern als Schema für die Beiditfragen gebraucht. Auch die Kinderbeichte wurde allgemein (Geffcken S. 25). Sie mußten die Hauptstücke lernen, um zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können: inter bonum et malum discernere. Die Wirkung war wesentlich negativ: seine Sünden bekennen zu können. 35 Geffcken S. 23 ff.; Cohrs IV, S. 229, 240; Padberg S. 28. 39 Cohrs IV, S. 239. 37 Ibid. S. 4, 20, 23; vgl. zu den Böhmischen Brüdern u. S. 115 ff. 38 Vgl. Early English Text Society, Original Series N o . 118, S. 2 ff. 3 » Ibid., vgl. Wyclifs Text ( = L) S. 3 ff. 32

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Der andere große Reformator vor Luther, Johan Hus, der stark von "Wyclif beeinflußt war, schrieb sein Expositio decalogi40. Dieses Erbe wurde von den Böhmischen Brüdern weitergeführt, die auf diesem Gebiet für Luther und andere Protestanten beispielgebend wurden. Spätestens 1502 lagen ihre Kinderfragen vor. Und zu Beginn der zwanziger Jahre wurden sie ins Deutsche übersetzt 41 . Die Protestanten hoben in hohem Maße das Versagen der römischen Kirche hinsichtlich des Katechumenates hervor. Luther forderte sofort den Adel und die Ratsherren auf, Schulen zu errichten und mehr für die Aufklärung des Volkes zu tun 42 . Bekannt ist seine Klage über die Unkenntnis der christlichen Lehre, die im Volke herrscht. Seine Visitationsreisen machten ihn endgültig darauf aufmerksam, „daß der gemeine Mann dodi so gar nichts weiß von der christlichen Lehre" 43 . Und hier handelte es sich nicht um einen Verfall im Laufe des ersten Dezenniums der Reformation. Die Reformatoren meinten, daß hier das Resultat einer langen Entwicklung vorlag. Die Kirchenordnung von Kalenberg-Göttingen 1542 ist der Auffassung, daß „der brauch solches catechismi in der kirchen lange zeit verschwigen gewest ist" 44 . Und die pommersche Agende von 1569 klagt darüber, daß „de lere des catechismi ganz unde gar v o r s ü m e t . . . vele dusent Minschen im Pawestdome weren, die nichtes wüsten van den tein Gebaden Gades, vam Geloven, Vader unser unde der geliken" 45 . Schwenckfeld gibt ebenfalls die Schuld an dem Verfall der Katechismuskenntnisse der katholischen Geistlichkeit: „ . . . ist aus nachlässigkeit der Prelaten vnd Bischoff e kein Catechismus . . . " 4 6 Flacius 40 Joh. Hus: Opera omnia, Tom. I, hrsg. von Wenzel Flajshans, 1903. Geschrieben wahrscheinlich in der Zeit von 1409—12. Die erste Ausgabe war in Latein, und Hus selbst war nidit mit ihr zufrieden. Er erkannte nach und nach deutlich, welche Bedeutung es hatte, das Volk mit der wahren Lehre zu erreichen. Nach dem Beispiel seines großen englischen Ideals (Wyclif) schrieb er das Buch in die Volkssprache um. Ein größeres für die Gelehrten und ein kleineres für das einfache Volk (vgl. Flajshans Tom. I, S. X). 41 Vgl. Cohrs I, S. 9. Zum Text s. J. Th. Müller: Die Deutschen Katechismen der Böhmischen Brüder, 1887. 42 An die Ratsherrn aller Städte deutschen Lands dass sie christlichen Schulen aufrichten und halten solle, 1524. Auch in An den christlichen Adel, 1520, setzt er sich für Schulen und Universitäten ein. Eine Predigt dass man Kinder zur Schulen halten solle, 1530 (WA 15, S. 27 ff., 404 ff.; 30 II, S. 517 ff). 43 Kl. Kat. (WA 30 I, S. 243 ff.). 44 Sehl. VI 2 , S. 840. 45 Ibid. IV, S. 443, K O Hoya, 1581, kritisiert die katholische Konfirmation, weil sie „die kinder mit consecrirtem papistischem öhle begossen und in rechter lehr und erkenntnis Christi nidit weiter unterweiset nodi bestettiget" (Sehl. VI 2 , S. 1162). In K O Sachsen, 1580, heißt es: Welches (Katediismusunterridit) die Papisten haben anstehen lassen. 46

CS II, S. 460.

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erspart ihnen in diesem Zusammenhang auch nichts. Bei den Papisten hat man sich überhaupt nicht um Schulen und Katechismen für die Jugend gekümmert 47 . Sogar Georg Witzel, der der römischen Kirche näher stand als den Protestanten, klagt über dieselben Verhältnisse 48 . Ein Teil dieser Kritik läßt sich zwar auf das Konto der Polemik setzen, aber völlig abschreiben läßt sie sich nicht. Der größte Unterschied zwischen der Unterweisung des Spätmittelalters und der der Reformationszeit liegt jedodi nicht nur im Quantitativen, sondern im verschiedenartigen Gepräge dieser Unterweisung. Die Protestanten wünschten einen andersartigen Unterricht als den, den sie in der römischen Kirche vorfanden. Mit Recht suchten sie nach katechetischer Unterweisung. Es besteht, nach Padberg, ein wesentlicher Unterschied in Ausgangspunkt und Zielsetzung. Die Unterrichtstypen sind verschieden. Die Beichtbücher zielten auf eine Befragung, die zur Buße führen sollte, dagegen wollten die Katechismen Unterricht in allen Glaubensfragen geben. Dieser Aufgabe und ihrer Lösung sahen sich die Protestanten jetzt gegenüber. Die Reformatoren mußten ihr Katechumenat von Grund an neu aufbauen, als die Kirchenspaltung sich als unvermeidlich erwies. Diese Aufgabe wurde nun zu einer Lebensnotwendigkeit. 2. Katechetische Gedanken bei Erasmus Während des Übergangs zur Reformationszeit stoßen wir auf Erasmus, der in besonderer Weise zum Exponenten einer christlich-humanistischen Volksaufklärung in Westeuropa wurde. Die Inspiration seiner katechetischen Gedanken empfing er während seines Aufenthaltes in England. Sein Freund, John Colet, Leiter der bekannten St. Pauls-Schule in London, hatte eine kleine Christenlehre mit dem Titel Catéchyzon geschrieben. Das Büchlein ist in einfachen Sätzen in der englischen Volkssprache geschrieben1. Colet bat Erasmus, es gemäß dem humanistischen Geschmack der Zeit umzuschreiben. Das Resultat war Christiani hominis institutum, das 1514 im Druck erschien2. Uber dieser Christenlehre stand als Motto: Glaube tätig in Liebe. Sie beginnt mit dem Glauben und fährt fort mit den Sakramenten, dem christlichen Leben als Liebe zu Gott, dem Nächsten und sich selbst und schließt mit Beichte, Krankheit und Tod. Während der ersten Jahre der Reformation erreichte dies kleine Büchlein von Erasmus eine sehr große Auflage. Es erschien in mehreren neuen 47 Preger S. 170 ff. Melandithon in Bedencken von der Reformation der Kirchen: Die kinder den Cathechismum zu lehren / fast an allen orten / gantz verlosdien vnd abgangen / (S. CLXXXV). 1 « Padberg S. 25. Vgl. Cohrs IV, S. 412 ff. 2 Vgl. Erasmus: Opera Omnia, Tom. V, S. 1357ff.; Cohrs IV, S. 421 ff. Zu dem historischen Hintergrund siehe Padberg S. 44 ff.

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Ausgaben, und vieles deutet darauf hin, daß es in weiten Kreisen bekannt war3. Einen beachtenswerten Vorschlag zu katechetischer Erneuerung legt Erasmus dann in dem Epilog zu seinen Paraphrases über das Matthäusevangelium 1522 vor 4 . Er setzt sich f ü r eine religiös-ethische Volksunterweisung ein. Die Menschen müssen Gottes Wort verstehen und sich aneignen, aber dann muß es ihnen ausgelegt werden, so wie Philipp dem Kämmerer das Wort auslegte. Durch diese Schriftauslegung und die Taufe wurde der Äthiopier ein „ ser vus Iesu Christi". Aber heutzutage gibt es viele ziemlich unwissende Christen, die wenig von der christlichen Lehre begriffen haben 5 . Daraufhin legt er seinen Plan vor: Er meint, ein Mittel gefunden zu haben, das zu einem besseren Verständnis des im Gottesdienst Gelesenen führt, indem jährlich dem Volk christlicher Glaube und Lehre in kurzer und einfacher, aber klarer und eindringlicher Weise dargestellt werden. Zu diesem Zweck sollen gelehrte und zuverlässige Männer ein kleines Buch schaffen, das die Pfarrer den Gemeinden vortragen können 6 . Den Stoff zu einem solchen Buch will er nicht menschlichen Gedanken, sondern den Quellen des Evangeliums entnehmen, den Briefen der Apostel und dem Glaubensbekenntnis 7 . In der Fastenzeit und zu Ostern soll dies vorgelesen werden, besonders vor Knaben, die das Jugendalter erreicht haben. Sie sollen eine klare Auslegung des Inhalts ihres Taufgelübdes erhalten. Später sind sie privat von tüchtigen Männern zu prüfen, ob sie das, was der Pfarrer sie gelehrt 3

Vgl. Cohrs IV, S. 418 f. Opera omnia E r a s m i . . . VII. Ed.: Johann Clericus. Vgl. ebenfalls Paraphrases in N o v u m Testamentum X X V I ff., Ed. : Frid. Sigism. Augustin. In der Clericus-Ausgabe steht dies als Vorwort, aber Erasmus sagt später, daß sein Vorschlag ursprünglich als ein zufälliges Nachwort geschrieben wurde (IX, S. 822 E: Neque enim est praefatio in Matthaeum ut hic citatur, sed assumentum alienum ex tempore interjectum...). Konfirmationsgeschichtlern war dieser Vorschlag seit langem bekannt. Bereits Caspari kannte ihn (S. 20), und Maurer hat ihm große Aufmerksamkeit gewidmet (S. 44 ff.). 4

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Opera VII, S. 3 b: lam quod tam multos habemus Christianos adeo rudes, ut non multo plus teneant sapientiae Christianae, quam ii qui sunt a Christiana professione alienissimi, magna ex parte imputandum arbitror Sacerdotibus (Paraph. XXVI). 6 Ibid.: Videorque mihi videre viam, qua fieri possit, ut posthac paulo minus inidoneos hábeamus sacra lectioni: videlicet, si summa fidei ac doctrinae Christianae, lucida brevitate, et docta simplicitate proponeretur quotannis populo Christiano. Et ne vitio concionatorum depravaretur aliquid, libellum confici velim a doctis et integris viris, qui multitudini voce sacerdotis recitaretur (Paraph. X X V I ) . 7 Ibid.: Eum concinnari cupiam non ex humanis lacunis, sed ex fontibus Euangelicis, ex Apostolicis literis, ex Symbolo (Paraph. X X V I ) .

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hat, verstanden und behalten haben 8 . Erweisen sich ihre Kenntnisse als ausreichend, sind sie zu fragen, ob sie an dem Versprechen, das ihre Paten in ihrem Namen bei der Taufe gegeben haben, halten wollen. Antworten sie positiv auf diese Frage, sollen sie ihr Versprechen öffentlich erneuern. Und diese Erneuerung soll unter feierlichen und würdigen Zeremonien stattfinden 9 . Wenn sich die Leute schon während der Ablegung von Mönchsgelübden zu Tränen rühren lassen, um wieviel mehr müßten sie sich nicht von diesem Christus gegebenen Versprechen ergreifen lassen. Hier binden sie sich ja nicht an die „regula" der Franziskaner oder Benediktiner, sondern an die „regula evangelica" 10 . Auf diese Weise soll sich die Jugend „ad veram pietatem" heranarbeiten11. Erasmus stellt große Erwartungen an diese Ordnung. Für die Mysterienspiele und Feste, die in dieser Verbindung in den Kirchen gehalten werden, hat er nicht viel übrig. Etwas ganz anderes wäre ein Kirchenfest für die Jugend, w o man ihrem Gelübde lauscht: „audire vocem tot iuvenum, sese Jesu Christo dedicantium", in dem sie der Welt entsagen und dem Teufel abschwören 12 , junge Christen, die das Zeichen ihres Herrn an der Stirn tragen, die unter dem Jubel der Menge als Christi junge Soldaten aus dem heiligen Bad steigen 13 ! 8 Ibid. : Hoc, opinor, intempestive fieret feriis Paschalibus... Quin et illud mihi videtur, non mediocriter ad hanc rem conducturum, si pueri baptizati, quum jam ad pubertatem pervenerint, jubeantur huiusmodi concionibus adesse, in quibus illis dilucide declaretur, quid in se contineat professio baptismi. Deinde diligenter privatim examinentur a probis viris, satisne teneant, ac meminerint ea, quae docuit Sacerdos {Paraph. XXVII). 9 Ibid.: Si comperientur satis tenere, interrogentur ratum ne habeant, quod susceptores illorum nomine polliciti sunt in baptismo. Si respondeant se ratum habere, tum publice renovetur ea professio, simul congregatis aequalibus, idque ceremoniis gravibus, aptis, castis, seriis ac magnificis: quaeque deceant eam professionem, qua nulla potest esse sanctior (Paraph. XXVII). 10 Ibid.: Quid enim sunt humane professiones, nisi simuladira quaedam hujus sanctissimae professionis, hoc est, revocamenta quaedam Christianismi prolapsi ad mundum. Norunt monachi suas professiones huiusmodi ceremoniis imitatiis commendare populo: et sic agunt hanc fabulam, ut nonnunquam erumpant lacrymae spectatoribus. Quanto magis id facere convenit in hac longe religiosissima professione, qua non homini, sed Christo damus nomina: nec juramus in regulam Francisci, aut Benedicti, sed in regulam Euangelicam? (Paraph. XXVII). 11 Ibid.: Ita fiet, ut adolescentes intelligant, quid Principi suo praestare debeant, et quibus studiis eniti ad veram pietatem (Paraph. XXVII). 12 Ibid.: Quam vero magnificum esset hoc spectaculum, audire vocem tot juvenum, sese Jesu Christo dedicantium, tot tironum in illius verba jurantium, abrenuntiantium huic mundo, qui totus in malitia positus est, abjurantium et exsibilantium Satanam cum omnibus pompis, voluptatibus et operibus ipsius? (Paraph. XXVIII). 13 Ibid.: Videre Christos (sic!) novos, Imperatoris sui signum gestantes in frontibus? Videre gregem candidatorum proeuntem a sacro lavacro? Audire vocem relinquae multitudinis, acclamantis beneque ominantis Christi tironibus? (Paraph. XXVIII).

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Aber wenn er seinen Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse richtet, bringt er später gegenüber Sorbonner Theologen zum Ausdruck, daß es Tausende von Christen gibt, „qui vel nihil omnino sciant de dogmatibus fidei, vel nihil omnino credant" 14 . In einer derartigen Situation besteht die einzige Hilfe darin, in dem Glauben zu unterweisen, an dem es fehlt. Das allerdings ist ein taugliches Mittel! Eine Erneuerung der Katechese unter der Jugend würde der „philosophia evangelica" wieder ihren Ehrenplatz einräumen, der Kirche viele wirkliche Christen und starke Soldaten im Heere Christi bescheren15. Durch diesen ganzen Plan schimmert der Glaube des Humanisten an die Volksaufklärung durch. Dieser Vorschlag blieb seitens der Kirche nicht unwidersprochen. 1525 brachte der Sorbonner Theologe Natalis Beda seinen Einwand, gestützt auf die theologische Fakultät, vor 1β . Erasmus erwiderte diesen Angriff n . Die daraus entstehende Diskussion gewährt einen weit umfassenderen Einblick in die Gedanken des Erasmus zu dieser Angelegenheit als der knappe Vorschlag in seinen Paraphrases. Beda referiert Erasmus ohne allzu große Genauigkeit und legt ihm Ansichten bei, die Erasmus nicht anerkennt. Er hat keine öffentliche Prüfung verlangt, wie Beda behauptet, nur die „professio" soll öffentlich sein, nicht die „interrogado" 18 . Beda stößt jedoch sofort bis zu dem wirklich großen Angriffspunkt in Erasmus' Vorschlag vor: Er bedeute eine Wiederholung der Taufe! „Primum quod uideat iterari baptismus: id quod fas non est." 19 Ließe es sich bestätigen, hätte er mit diesem Argument einen gefährlichen Trumpf gegen seinen Gegner in der Hand. Aber Erasmus unterließ es nicht zu antworten. Er weist diese Anschuldigung auf das bestimmteste zurück. Nie habe er gemeint oder behauptet, die Taufe solle wiederholt wer14

Opera IX, S. 821 A. Ibid. S. 821 B: Sperabam autem, si Praesulum auctoritate renovaretur catediismus in adultis, et post cognitam Evangelicam philosophiam renovaretur professio, fore ut plures haberet Ecclesia germane vereque Christianos. — S. 560 A : . . . u t ex tironibus facti robusti milites Christi perveniatis ad aeternae vitae triumphum. 16 Annotationum Natalis Bede Doctoris Theologi Parisiensis... — Die theologische Fakultät hat das Vorwort, das auf den 25. September 1525 datiert ist, geschrieben, gedruckt Coloniae Sept. 1526. 17 Divinationes ad notata per Beddam, Tom. IX, S. 453 ff. 18 Annotationes, Prop. 13, S. Oo i j . . . . debent publice uocari et interrogan . . Hierauf antwortet Erasmus:... verba Beddae sunt, non mea (Tom. IX, S. 459). 19 Ibid. S. Oo ij Prop. 14; vgl. audi Censura (S. Oo ij), wo Beda gegen den Gedanken einer Wiederholung der Taufe Hbr. 6 anführt: Impossibile est eos qui semel sunt illuminati, et participes facti sunt spiritus sancti et c. rursus renouari: hoc est per baptisma. Anteil an den Gaben, von denen in Hbr. 6 die Rede ist, erhält man durch die Taufe, fällt man aus dieser Gnade, dann gibt es keine Rettung mehr. Es gibt keine renovatio, weil die Taufe nidit wiederholt werden kann. 15

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den 20 . In seinen Schriften findet sich nichts, was darauf schließen ließe, er wünsche eine Wiederholung der Taufe 2 1 . Darum handelt es sich nicht. Die Taufe bedarf keiner Wiederholung, aber viele Menschen bedürfen einer Erneuerung ihrer Taufe. Er hat ja selber behauptet, daß kleinen Kindern, die sterben, das Sakrament der Taufe genügt 22 . Aber die, die aufwachsen, können von dem Bösen ergriffen werden, so daß sie ihre Taufgnade verspielen. Durch die Buße kann jedoch eine Erneuerung der Taufgnade, ohne daß die Taufe wiederholt wird, stattfinden 23 . — Hier ist Erasmus auf eine gute Analogie gestoßen, die ihn ermutigt, sein Hauptanliegen von neuem vorzubringen: „Non enim nec illic nec usquam agi tur de iterando baptismo . . . sed de catechismo renovando." 24 Es geht um die Katechese. Und heutzutage werden die Kinder ohne Katechese getauft. Das geht nicht. Deshalb hat er Bischöfen und Pfarrern vorgeschlagen, auf diesem Gebiet etwas zu unternehmen. So kann es nicht weitergehen: „Catechismus est necessarius!"25 Die gegen ihn gerichtete Beschuldigung, er denke an die Wiederholung eines an sich unwiederholbaren Sakraments, weist er entschieden zurück, indem er feststellt, daß er von den Sakramenten weder anderes lehrt noch eine andere Meinung hat als die römische Kirche 26 . Aber es gibt so viele Namenschristen. Unter den Getauften leben Häretiker, Abgefallene und Mörder. Der größere Teil der Christenheit hat zwar das Sakrament empfangen, aber nicht dessen Gnade. Wahre Christen sind nur die, die durch das Sakrament ein neues Leben führen und ihr Kreuz tragen 27 . Es ist zwar richtig, daß 20 Divinationes IX, S. 459 C : . . . ne videatur iterari baptismus . . . mihi non piacere baptismum iterarum, palam indicant illa mea, Id quod fas non est. — Er war sidi über diese Gefahr im klaren und lehnte sie bereits in seinem Vorschlag ab (Opera VII, S. 3 b). 21 Ibid. S. 558: Nihil est usquam in scriptis meis quod ullam praebeat suspicionem mihi piacere baptismum iterari. 22 Apologia adversus Monachos IX, S. 1061 E: In pueris tantum valet sacramentum, ut, si decesserint infantes, sufficiat illis ad salutem, et si adoleverint, non sit opus altero baptismo. 23 Ibid.: In his qui malo animo susceperunt, velut Haereticus ab Haeretico, vel perversa volúntate perdiderunt baptismi gratiam, hactenus valet sacramentum, ut per poenitentiam velut alterum baptismum possint in Ecclesiae vivam societatem redire, sine baptismi iteratione. 24 Ibid. S. 1062 A ; vgl. S. 558 D : . . . ego de baptismo non loquar, sed de catechismo. 25 Ibid. S. 1062 Β: N a m infantes hodie sine vero catechismo b a p t i z a n t u r . . . Catechismus est necessarius, si qua commodior est ratio, sit admonitio mea somnium. 28 Divinationes IX, S. 560 D : Ostendi me nihil secus sentire vel docere de sacramentis, quam tradit Rom. Ecclesia, sed tandum de erudiendis in fide rudibus, dedi consilium. Ostendi et circa tractationem Sacramentorum, tractari quosdam ritus ab Ecclesia Romana diversos. 27 Adversus Monachos IX, S. 1061 AB, S. 1061 E: Qui baptizatus est absque gratiae perceptione, aut qui eam mala vita perdiderunt, titulo et sacramento Christiani sunt, sed vere Christiani non sunt, qui nec discipuli sunt Christi, nes ab ilio possidentur, sed a

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das getaufte Kind in den Leib der Kirche eingepflanzt und auf diese Weise während seiner Kindheit von dem Glauben der Kirche getragen wird. Aber wenn es das Jugendalter erreicht, muß es sich die Gnade des Sakraments aneignen und in die Grundwahrheiten des Christentums eingeführt 'werden 28 . Erasmus hatte die Erneuerung des Taufgelübdes mit dem Mönchsgelübde verglichen. Auch dies wurde von Beda getadelt 29 . Es wurde als Kritik oder Verkleinerung des Mönchsgelübdes empfunden, denn nach der Auffassung Erasmus' würde sein Vorschlag einer Erneuerung des Taufgelübdes eine bedeutend ergreifendere Zeremonie bedeuten. Sie sollte größere Ergriffenheit und mehr Tränen als ein Mönchsgelübde bewirken. Erasmus war jedoch keineswegs gewillt zuzugeben, daß er etwas Abfälliges über das Mönchsgelübde gesagt habe. Wenn das seine Absicht gewesen wäre, hätte er es nicht als Beispiel gewählt 30 . Nach der Auffassung Bedas war es jedoch weit schlimmer, daß er einen Vergleich mit der Taufe vorgenommen hatte. Obgleich er nicht an eine Wiederholung der Taufe dachte, mußte er doch so verstanden werden, da er ständig auf sie zurückkam. Erasmus verweist dann auf andere kirchliche Zeremonien, die der Taufe gleichen, ζ. B. Besprengen mit Wasser und Bekreuzigung der Stirn S1 . Er ist nicht daran interessiert, neue Zeremonien ohne weiteres in der Kirche einzuführen, was doch in weitem Maß der Fall gewesen ist. Und dennoch faßt niemand die Ablegung der Mönchsgelübde als zweite Taufe auf. Sie geloben der Welt zu entsagen, die Täuflinge, sich vom Heidentum zu trennen 32 . Die Anschuldigung, durch diese Zeremonie Irrlehre in der römischen Kirche zu verbreiten, war der Punkt, an dem Erasmus am entscheidendsten getroffen werden konnte. Und Beda ließ sich dieses Argument nicht entgehen33. Für ein Glied der „ecclesia catholica" war es eine gefährliche Satana — . E r weist dann auf Lk. 14 hin, wo vom Aufsidinehmen des Kreuzes die Rede ist. 2 8 Ibid. S. 1061 D : In adultis autem baptismus non est perfectus Christianismus, nisi praeter sacramentum accipiant sacramenti gratiam . . . Vgl. S. 558 D E . 2 9 Annotationes S. Oo ij Prop. 15, wo er den diesbezüglichen Ausspruch des Erasmus zitiert, s. o. Anm. 7, vgl. Censura S. O o iij. 3 0 Divinationes I X , S. 565 A : Ego confero Monadiorum professionem cum ea professione quae est omnium sanctissima, hortorque ut quemadmodum illis suas professiones commendant publicis ceremoniis, ita nos in catechismo similibus ceremoniis commendemus adolescentibus totique populo professionem baptismi. Si damnassem Monadiorum ceremonias, quid stultius quam eas hic in exemplum proferre? 3 1 Ibid. S. 459 C. Ibid. S. 563 D. Annotationes S. Oo i; Censura: Caeterum Erasmo, quod de baptismi sacramento sogmata hic tradii regulis Romanae, et uniuersalis ecclesiae aduersa nedum diuersa. Vgl. Divinationes I X , S. 558 B, E, F, 560 A. 32

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Angelegenheit, als Irrlehrer abgestempelt zu werden. Erasmus wehrte sich daher auch sehr heftig dagegen. Er hat nichts Neues in der Kirche eingeführt, ganz und gar nicht, denn hier gilt ein alter Brauch. In der Alten Kirche wurde nicht ohne vorhergehende Katechisation getauft 34 . D a wurden die ungetauften Erwachsenen unterwiesen. Die Katechese ging der Taufe voran. Jetzt muß sie der Taufe folgen. Von der Taufe hat er überhaupt nicht gesprochen, sondern von der Katechese. Unangetastet steht die Taufe da, und die Katechese ist alt 3 5 . Er hat zwar eine neue Zeremonie vorgeschlagen, aber keineswegs ein neues Dogma. Und was die Zeremonien betrifft, so ist er sich durchaus darüber im klaren, daß die Jungen und die Schwachen ihnen großes Gewicht beimessen können, aber gerade deshalb will er ja diese guten und reinen Zeremonien mit der alten Lehre verbinden 3β . Er hat sich überhaupt nicht gegen die „regulae Ecclesiae Romanae" gewandt, sondern nur eine Absicht verfolgt: Die Jugend soll lernen, worum es sich bei der Taufe und dem Taufbekenntnis handelt 37 . Aufgrund dieser Skizze des erasmischen Vorschlags und der darauffolgenden Debatte sollte es möglich sein, sich ein Bild von seinem eigentlichen Inhalt zu machen. Wilhelm Maurer behauptet, Erasmus habe hier die erste „protestantische" Konfirmation lanciert 38 . Das katechetische Moment ist deutlich vorhanden neben der öffentlichen Erneuerung des Taufbekenntnisses und reichen Zeremonien. Maurer ist jedoch der Meinung, auch auf andere Momente gestoßen zu sein, die darauf schließen lassen, daß es sich hier um den ersten vollständigen Vorschlag zu einer neuen Konfirmation, außerhalb der katholischen, handelt. Er meint, daß Erasmus seinen Vorschlag eine sakramentale Zeremonie genannt habe. Dieser Schluß beruht aber offenbar auf einer einzelnen, mißverstandenen Aussage 39 . In demselben Vorschlag meint Maurer auch auf die Hand34 Diyinationes I X , S. 558 C D : . . . neque quicquam novi statuo . . . nec rem novam admoneam, sed jam olim ab Ecclesia servatam. 3 5 Ibid. D : Sed impudentius etiam est, quod addit Sacramenta, cum ego de baptismo non loquar, sed de catediismo. Olim nemo baptizabatur absque catediismo, de adultis loquor, et ita praeceperat Christus, docere primum, mox baptizare. C : . . . si quod olim solet fieri in adultis catediumenis, hodie renovaretur in adultis qui baptizati sunt infantes, ut hodie baptizantur omnes. 36 Ibid. S. 559 A und F : Addit alterum, quod de baptismi sacramento, cum constet me agere de c a t e c h i s m o . . . Quoniam autem apud infirmos et adolescentes plurimum valent oculis exhibitae ceremoniae, ideo doctrinae cupiebam addi ceremonias, sed aptas ac pias. 3 7 Ibid. S. 559 A : Itane hoc est adversari regulis Ecclesiae Romanae, si adolescentes doceantur quid sit baptismus, et quae sit baptismi professio? 38 Maurer S. 44 ff. 39 Ibid. S. 45. Er bezieht sidi hier auf Divinationes S. 559 Β : Sed fortassis offendunt aliquae ceremoniae quasi sacramentales, veluti conspersio aquae sacrae, quae speciem habet iterari baptismi. Cur igitur nunc ab hac conspersione non abstinetur? — Dies

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auflegung gestoßen zu sein, ohne daß sie in den T e x t e n erwähnt w i r d 4 0 . Allerdings ist es unmöglich zu sagen, w i e der Ausdrude des Erasmus, „idque ceremoniis gravibus, aptis, castis, seris ac magnificis" eigentlich zu verstehen ist. Er hat seine Zeremonien nicht in liturgischem Sinne geformt, u n d das G a n z e ist vorläufig nur ein Vorschlag und ein Stück Papier. Maurer ist sich darüber i m klaren, daß „der sakramentale C h a rakter in seinem Vorschlag" nur w e n i g z u m Vorschein k o m m t , und der Grund dafür soll darin zu sehen sein, daß Erasmus nur auf diese Weise dem Verdacht entgehen kann, einen Ersatz für die Kindertaufe schaffen zu w o l l e n 4 1 . Es bereitet Schwierigkeiten, in diesem Vorschlag des Erasmus einen sakramentalen A k t zu finden. Dieses M o m e n t läßt sich aus den T e x t e n nicht herauslesen. Für Erasmus waren der Katechismus u n d das Bekenntnis mit dem persönlichen Gelübde in Verbindung mit feierlichen Zeremonien die Hauptsache 4 2 . Maurer hebt daher auch das subjektive M o m e n t als das weitaus stärkste hervor 4 3 . Maurers Behauptung, Erasmus w o l l e mit seinem Vorschlag eine neue Form der Konfirmation in der römischen Kirche einführen, ist überhaupt äußerst zweifelhaft. D e r Begriff Konfirkann, wie Maurer es auslegt, kaum so verstanden werden, als ob Erasmus seine vorgeschlagene Handlung hier als ceremonia sacramentalis bezeichnet. Sein Gedankengang ist aber wahrscheinlich folgender: Vielleicht gibt es einige anstößige Zeremonien, nämlich die sogenannten sakramentalen, wie z. B. Besprengen mit Weihwasser. Diese gleicht tatsächlich einer Wiederholung der Taufe. Warum nimmt man nicht Abstand von solchen Zeremonien? Die Zeremonie, die er in Verbindung mit dem examen catecheticum vorschlägt, hat keine Ähnlichkeit mit der Taufe (s. auch S. 1062 B). 40 Die hier von Maurer angeführten Hinweise (S. 45 f.) beziehen sich auf die Handauflegung in einem anderen Zusammenhang. Acta 6,6 gilt der Einweihung der sieben Diakone. „Nam hoc ritu primum delegabantur sacra ministeria" (Opera VII, S. 690 D). Maurer ist der Meinung, daß hier — nach Erasmus — die Handauflegung die sakramentale Übertragung der Amtsgnade bewirkt. — In Verbindung mit Hbr. 6, 2 behauptet Erasmus, daß die impositio den Heiligen Geist vermittelt (Opera VII, S. 1174E: . . . s e d haec per manus impositionem aeeipiamus Spiritum Sanctum. Vgl. Annotationes VI, S. 998 F). Und die Handauflegung Jesu hat eine ganz bestimmte Wirkungskraft, zum Beispiel seine Segnung der Kinder, Mt. 19, 18 (Opera VII, S. 104 D: . . . e t ille [Jesus] imposuit illis manus, sacri corporis contactu virtutem occultam infundens puellis, ob simplicem parentum fidem). Aber damit ist nicht gesagt, daß Erasmus jeglicher Handauflegung dieselbe Wirkung zuschreiben will, wie sie sie hier bei Jesus hat. Es ist deutlich, daß er sich in der Frage nach der impositio an die allgemeine katholische Ansicht hält; desto unwahrscheinlicher ist es, daß er diese Handlung in Verbindung mit dem examen catecheticum eingeführt haben soll. Vgl. ebenfalls sein Enchiridion Militis, wo er an der Vermittlung des Geistes durch das Chrisma festhält (Opera V, S. 12.B:... simul atque septeno ilio chrismate mentem nostram imbuerit). S. auch O. Schaefer: Die Bedeutung des Enchiridion militis christiani von Erasmus, in: ARG 1929, S. 83 ff. 41 Maurer S. 46. 42 Divinationes IX, S. 558 D—E, 559 A—B. 43 Maurer S. 48 Anm. 6. Vgl. Andrén S. 202 ff. 69

mation k o m m t weder in der Besprechung noch in der Debatte mit B e d a v o r . Diese H a n d l u n g w i r d nur mit T a u f e und Katechese in Beziehung gebracht. H ä t t e er auf die Konfirmationshandlung abgezielt, d a n n hätten die Sorbonner Theologen die Konfirmation ebenso energisch verteidigen müssen, wie sie in diesem F a l l die T a u f e verteidigt haben. Die K o n f i r m a tion w a r ja ebenfalls ein Sakrament, das in ihren Augen nicht angetastet werden durfte. Erasmus wollte überhaupt keine neue kirchliche H a n d l u n g einführen, sondern er wünschte nur eine Erneuerung der alten kirchlichen P r a x i s , nach welcher die Katechese mit zur T a u f e gehörte 4 4 . E r läßt jedoch keinen Zweifel daran bestehen, d a ß er sich für eine Umbildung des altkirchlichen Katechumenates einsetzt. E r verband diesen A k t nicht mit der Konfirmation, sondern stellte ihn als eine selbständige H a n d l u n g hin. Als eine A r t E r s a t z oder Neuschaffung der Konfirmation konnte sie nicht gedacht sein, dazu w a r Erasmus allzusehr an die alte L e h r e und die k a t h o lische Kirche gebunden. E r versichert Beda, daß er sich in seiner S a k r a mentslehre ganz und gar an die T r a d i t i o n der römischen Kirche hält, und das gilt audi von den Zeremonien 4 S . E r hält daher an den sieben S a k r a menten, auch an der Konfirmation, f e s t 4 6 und kann aus diesem G r u n d e 44 S. seine ständige Hervorhebung dessen, daß er keine „neue Sache" einführt, sondern nur eine alte kirchliche Tradition (S. 558 CD); vgl. Maurer S. 42 Anm. 3 und seinen Aufsatz in Fror: Conf. S. 21; Andren S. 202. Beda erwähnt die Konfirmation in seinen Annotationes nicht. Es besteht Grund zu der Annahme, daß er bei seinem Angriff von dem Konfirmationsdogma ausgegangen wäre, wenn sich Erasmus hier für eine neue Konfirmation eingesetzt hätte. 45 Divinationes IX, S. 560 DE. Wenn er beinahe nervös versichert, daß sein Vorschlag ursprünglich kein Vorwort war, sondern nur ein zufällig angefügter Epilog (weil noch ein paar Seiten frei waren!), so zeigt das, wie sehr Erasmus sich davor fürchtete, unnötig in ein widersetzliches Verhältnis zur römischen Kirche zu gelangen (IX, S. 822 E). 49 Padberg S. 54 ff., S. 104 ff.; Andren S. 204. Zu Maurers Behauptung, die Konfirmation finde sich bei Erasmus, sagt Andren: „Sä er emellertid med all säkerhet inte fallet" (S. 203. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall). Erasmus hat Septem sacramenta in Institutum, 1514, aufgenommen und sagt von der Konfirmation: Deinde in amore dei nos confirmatio sacra constabilit mentemque inuicto robore durât (Opera V, S. 1358 D, vgl. Cohrs IV, S. 423, wo die Texte mit Colets Catéchyzon verglichen werden). In Explanatio, 1533, hält er ebenfalls an den sieben Sakramenten und an der Konfirmation fest: A veteribus Septem nobis sunt tradita (Opera V, S. 1175 F). Und von der Konfirmation heißt e s : . . . per confirmationem sacram minuitur ea proclivitas, et augetur docilitas ad pietatem, etc. (V, S. 1176 CD). Man wird ein Soldat Christi und erhält Kraft für den Kampf gegen das Böse. Die Konfirmation wird hier ganz nach katholischem Muster dargestellt. Aber er erwähnt auch hier, zwar sehr vorsichtig, daß eine „admonitiuncula" von Nutzen sein könne (V, S. 1176 E). Der Gedanke an eine vorhergehende Unterweisung ist sicher ebenfalls vorhanden, aber er wagt nicht, wie 1522, diese Idee zu fördern, und nichts deutet daraufhin, daß er diesen Unterricht mit der Konfirmation verbinden will. — Erasmus' Vorschlag zur Einigkeit: De amabili

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gar keine neue Konfirmation vorschlagen. Außerdem wird das Schicksal, das sein Vorschlag auf dem Tridentinum erfuhr, unsere hier behauptete Auffassung überreichlich beweisen. Erasmus wurde dort wegen eines Irrtums in Verbindung mit der Taufe verketzert, weil er die „interrogado" verlangte 47 . Alle dortigen Gesprächsteilnehmer verurteilen seine Ansicht über das Verhältnis zwischen Katechumenat und Taufe. Die Konfirmation wird auch in diesem Zusammenhang mit keinem Wort erwähnt. Und unter allem, was über die Konfirmation gesagt wird, findet Erasmus keine Erwähnung. Sein Irrtum wird in Zusammenhang mit der Taufe behandelt. Was nun an klaren Momenten des Erasmischen Vorschlags stehenbleibt, ist in erster Linie der Katechismusgedanke. Kinder und Jugendliche sollen erst dann privat verhört werden, wenn der Pfarrer während der Fastenzeit Katechismuspredigten gehalten (oder „libellus" gelesen) hat. Seine Hoffnung ist, daß hieraus eine wirkliche Unterweisung des Volkes entsteht. Der Stoff soll in erster Linie von der Taufe und ihren Verpflichtungen, dem Taufgelübde handeln 48 . Es handelt sich nicht um eine Wiederholung der Taufe, sondern um eine Erinnerung an sie und Ecclesiae concordia, 1533 (V, S. 470 ff.), zeigt, wie vorsichtig er bei der Einführung von Neuerungen ist. Immer nodi hält er an der Lehre und den Zeremonien der römischen Kirche fest und wagt keinen Bruch (vgl. Neudecker: Geschichte I, S. 678 ff.; Jedin I, S. 290 f.). 47 C T Tom. V, S. 985, canon 14: Si quis dixerit, huiusmodi párvulos baptizatos, cum adoleverint, interrogandos esse, an ratum habere velint, quod patrini eorum nomine, dum baptizarentur, policiti sunt, et ubi se nolle responderint, etc. — Dies bezieht sich auf die Aussage des Erasmus (Opera VII, S. 3 b). Cenomanus lehnt sie ab, weil sie „damnatus a facúltate Parisiensi" war (S. 845.33). Vitriarius behauptet, diese Lehre sei bereits von dem Florentinum verurteilt worden (S. 846.29). Hier muß es sich allerdings um einen Schluß e silentio handeln, da diese Angelegenheit auf dem Florentinum nicht behandelt wurde (vgl. Denzinger S. 254 fï.). S. die weitere Debatte und Ablehnung auf dem Tridentinum: Tom. V, S. 849, 850, 851, 852, 853, 855, 860. Hieron. Lombardellus konstatiert kurz und gut: error Erasmi et damnandus, est contra consuetudinem ecclesiae (S. 860.36). Vgl. audi Jedin II, S. 316. 48 Erasmus weist in diesem Zusammenhang, nämlich Institutum hominis christiani, 1514, nicht auf seinen eigenen libellus hin (Opera V, S. 1358 f. Cohrs IV, S. 421 ff.). Dieser war eine Umschreibung des Catéchyzon des John Colet und dürfte insofern „a doctis et integris viris" geschrieben sein (Paraph. XXVI). Entweder war er zu bescheiden, um auf das Buch hinzuweisen, oder es war nicht so angelegt, wie Erasmus es sich in dieser Verbindung wünschte. Indem er diesen Vorschlag zu einer Erneuerung der Taufe vorlegt, wünscht er sich offenbar ein Buch, das stärker auf die Taufverpfliditung und das Taufgelübde abzielt. Sein Institutum ist in lateinischen Hexametern geschrieben und behandelt den Glauben und die Sakramente, die die Liebe zu Gott und den Menschen wecken und zu einem sittlichen Leben führen (s. die Texte Opera V, S. 1358 f.; vgl. Padberg S. 47 ff.). Zum Katechismusgedanken vgl. unten S. 75 ff.

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eine Erneuerung der Taufe 4 9 . Erasmus stellt an diesen Unterricht hohe Ansprüche. Er erwartet nichts weniger als eine persönliche Aneignung des Inhalts und der Verpflichtung der Taufe. Zunächst ist es eine Frage der Kenntnisse und eine Sache des Verstandes 50 . Später, wenn die private Katechese der Jugend bestätigt hat, daß sie die Grundelemente kennt, kommt das öffentliche Auftreten in Form eines voluntaristischen Appells. Sie sollen wählen, ihr Taufgelübde erneuern und ihren Glauben bekennen: „professio baptismi." 51 Die ganze Handlung ist subjektiv geprägt. Man kann ruhig sagen, daß Erasmus auf das psychologische Moment großen "Wert legt. Dazu kommt das religiöse Erlebnis, das durch die ernsten und ergreifenden Zeremonien, eingefügt am Ende des Bekenntnisaktes, geweckt werden soll 52 . Erkenntnis, Wille und Gefühl sollen angesprochen werden. Gewisse Ausdrücke wie „christos novos", „signum gestantes in frontibus" und „fronti impressa crux" könnten auf einen Segensakt hindeuten 53 . Doch unter diesen Bezeichnungen ist am besten der Segen zu verstehen, der den Jungen in der Taufe zuteil wurde — „a sacro lavacro" —, den sie nun erneuern. Erasmus deutet auch eine Formel für diese Tauferneuerung an: „perseverate in Christo, cui pridem dedistis in baptismo nomen." 5 4 D a ß es sich hierbei nicht um ein liturgisches Formular, sondern nur um eine Andeutung handelt, geht aus der Fortsetzung hervor: „aut aliud huic simile." Obwohl der Entwurf des Erasmus nicht als ein Konfirmationsvorschlag bezeichnet werden kann und im praktischen Leben zu keinerlei Resultaten führte, war er dennoch in der folgenden Zeit für den Konfirmationsgedanken von Bedeutung. Sein Vorschlag enthielt mehrere Momente f ü r eine Neuordnung der Konfirmation: Katechese, öffentliches Bekenntnis, Gelübde und rituelle Momente 55 . Eine fruchtbare Idee war geschaffen. Und für die, die später an neuen Konfirmationsplänen arbeiteten und den Mut hatten, mit der katholischen Konfirmation zu brechen, lag es nahe, gerade die Idee des Erasmus mit der Konfirmation zu verbinden. Außerdem hatte er auf die Katechese der Alten Kirche zurückgegriffen und seinen Vorschlag mit Hilfe der altkirchlichen Tradition verteidigt. Dieser Gedanke und dieses Argument 48

Divinationes IX, S. 558; Paraph. VII, S. 3 b. Erasmus unterscheidet hier zwischen Taufwiederholung und Tauferneuerung, und er nimmt in der Debatte äußerst klug seine Zuflucht zu poenitentia, die ja gerade von einer Erneuerung für den Getauften spricht. 50 Ibid. S. 821 AB, 558 E. 51 Ibid. S. 558 DE, 559 A ; Paraph. VII, S. 3 b; Adversus Monachos IX, S. 1061 AB. 62 Paraph. VII, S. 3 b; Maurer S. 47 Anm. 6, und in Fror: Conf. S. 21. 53 Paraph. VII, S. 3 b; Divinationes IX, S. 459 C. 54 Divinationes IX, S. 459 C. 55 Vgl. später dieselben Momente bei der ersten Konfirmation auf lutherischem Gebiet durch Bucer 1539 (III A 3).

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sollten im Laufe der kommenden Jahre in der Debatte um die Konfirmation mehr als einmal gebraucht werden 56 . Abgesehen von dem Einfluß, den die katechetischen Gedanken des Erasmus auf Bucer hatten 57 , scheinen sie keinen -wesentlichen Eingang in lutherische Kreise gefunden zu haben, dagegen übten sie eine große Wirkung auf die Reformkatholiken seiner Zeit aus 58 . Obwohl seine Schriften auf den Index gesetzt wurden 59 , nützten sie nicht nur den Reformkatholiken, sondern auch der Gegenreformation, die in der Verteidigung ihrer Lehrpositionen, in der Ablehnung der protestantischen Lehre und in dem Ausbau ihrer eignen nicht auf Idee und Methode des Erasmus verzichten konnte 60 . 3. Luthers Erneuerung der Katechese Bereits vor Luther sind schon viele Versuche, einen Katechismus zu schreiben, gemacht worden. Doch würde es den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, das umfangreiche, vorliegende Material näher zu behandeln 1. 56 Man hat sich gefragt, ob Erasmus die Konfirmationsordnung der Böhmischen Brüder kannte und von ihr beeinflußt war. Daß sie ihm bekannt war, daran kann kein Zweifel bestehen (vgl. Caspari S. 22; Maurer S. 45 Anm. 3). Bereits 1520 schickten die Brüder zwei Gesandte zu Erasmus nach Antwerpen, vgl. J. Th. Müller: Geschichte der Böhm. Brüder I, 1922, S. 292 ff., Salig: Augsburg. Confession II, S. 534 setzt den Besuch 1511 an. Sie überreichten ihm ihre Apologia und hofften auf eine positive Äußerung. Aber Erasmus, der sich früher in einem Brief an den Humanisten Johann Slechta sehr positiv über gewisse Punkte in der Lehre der Brüder geäußert hatte, verhielt sich jetzt zurückhaltender. Aber er las die Apologie, und sie enthielt ihre Konfirmationsordnung samt Katechese und feierlicher Aufnahme in die Gemeinde (vgl. E. Peschke: Die Theologie der Böhmischen Brüder, 1935, S. 242). A. Comenius: Historia Fratrum Bohemorum, 1660, referiert die böhmische Konfirmation unter der Überschrift „Forma novitios recipiendi" und berichtet, daß die jungen Leute vor der Gemeinde verhört wurden, man verlangte Erneuerung des Taufaktes samt Entsagung, Glaubensbekenntnis und Gebet und schließlich Handauflegung, Absolution und Abendmahl (S. 35 f.). Es ist zu bemerken, daß Comenius nach dem Referat dieser Konfirmationsform auf die Matthäusparaphrasen des Erasmus hinweist: Videatur quid de hoc confirmationis ritu consuluerit Erasmus, praefatione in Paraphrasis Matthaei (S. 36). Salig scheint vorauszusetzen, daß Erasmus in seinen Paraphrasen die Konfirmation der Brüder im Sinn hatte (Augsburg. Confession II, S. 559). Dies würde im großen und ganzen gut zu Erasmus passen. Ein Einfluß muß angenommen werden (vgl. Caspari S. 168 ff.; Maurer S. 46 Anm. 3). S. weiteres zur Konfirmation der Brüdergemeinde unten (III A l ) .

« S. u. S. 110 f. Seine Ideen und Gedanken finden sich wieder bei Männern wie Georg Witzel, Julius Pflug, Johannes Gropper — und auch im Tridentinum und dem Catediismus Romanus (vgl. Padberg S. 144 ff.). 59 60 Vgl. Padberg S. 9 ff. Ibid. S. 21 f. 1 Vgl. Cohrs IV; Joh. Midi. Reu: Quellen zur Geschichte des Katechismusunterrichts in der evang. Kirche Deutschlands 1530—1600. Weitere Literatur bei Cohrs IV, S. X f f . 58

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Luther begann sehr früh mit der Arbeit an dem Katechismusstoff. Keines seiner Bücher kostete ihn so viel an Vorbereitung und Entstehungszeit wie der Katechismus — vom Beginn seiner „Katechismuspredigten" 1516 bis zum Erscheinen des Katechismus als Buch 1529. Im Juni 1516 fing Luther an, dem Volk in seinen Predigten eine einfache Auslegung der zehn Gebote zu geben. Als er mit diesen im Februar 1517 fertig war, fuhr er mit dem Vaterunser fort 2 . Und im folgenden Jahr gab er „Kurze erklärung der zehn g e b ö t e . . a l s Buch heraus. Gleichzeitig hatte Agricola Luthers Predigten über das Vaterunser herausgegeben. 1519 ließ er sie selber drucken: Kurze form, das Paternoster zu verstehen und zu beten 3 . 1519—20 beschäftigte er sich wieder mit dem Katechismusstoff. Es erschienen neue Ausgaben seiner früheren Bücher, er schrieb ein neues Buch über die Beichte4 und veröffentlichte An den christlichen A d e l . . . mit seiner betonten Aufforderung, in den Schulen Religionsunterricht zu halten. Ebenso war seine Schrift: Kurze Form der zehn Gebote, des Glaubens und des Vaterunsers, 1520, für die Entwicklung des Katechismusgedankens von größter Bedeutung. Hier beginnt der Katechismusstoff zu einem System und zu einer Christenlehre zusammenzuwachsen. Diese drei Hauptstücke galten Luther lange Zeit als Kompendium der christlichen Lehre. So ist es seit „anfang der Christenheit" bewahrt worden, sagt er später in der Deutschen Messe5. „In disen dreien stucken (die zehn gebot, der glaube und das vater unser) steht es schlecht und kurz fast alles, was ein christen zu wissen not ist." Man kann es daher mit einem gewissen Redit als den ersten Katechismus bezeichnen. Es handelte sich hierbei nicht nur um eine literarische Beschäftigung, sondern um Gedanken, die in praktischer Arbeit Anwendung fanden. Im Frühjahr 1521 wurde Agricola Katechet in Wittenberg®. Der Katechumenat ist in Luthers eigener Gemeinde zu einer praktischen Wirklichkeit geworden. Ende 1522 oder Anfang 1523 tauchte ein fremder Katechismus auf. Die Katechese der Böhmischen Brüder, die „Kinderfragen", wurden ins Deutsche übersetzt. Luther hat das Buch gelesen und sich mit ihm beschäftigt. Er erwähnt es in seiner Schrift über die Sakramente 7 und übt an ihm 2

Reu I 2, Einleitung S. 3 ff., Cohrs IV, S. 263. Ibid.; vgl. W A 301, S. 434 ff.; W A 7, S. 195 ff. 4 Eine kurze Unterweisung, wie man beichten soll, WA 2, S. 59 ff.; Cohrs IV, S. 263. 5 WA 19, 76.8; Sehl. I, S. 12. « Reu I 2, S. 4; Cohrs IV, S. 263. 7 Von Anbeten des Sacraments, 1523, W A 11, S. 431; vgl. ebenfalls S. 417 ff. Er erwähnt das „deutsch budilin" . . . „Es ist eyn buchlin von den ewern . . . ausgegangen." Vgl. J. Th. Müller: Katechismen S. 3 und 29 ff.; Salig: Augsburg. Confession II, S. 538. 3

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wegen mangelnder Reinheit der Lehre Kritik. Aber die Annahme liegt nahe, daß Luther durch dieses Buch Impulse empfangen hat. Seine hauptsächlichen Teile bestehen aus den Glaubensartikeln, dem Gesetz und den Sakramenten (im Grunde nur das Abendmahl) 8 . Anfang der zwanziger Jahre fehlte bei Luther noch dieser letzte Teil, aber in der endgültigen Ausgabe von 1529 behandelt er sowohl die Sakramente wie auch die Beichte. Er hatte jedoch schon früh mit der Arbeit an den Sakramentsfragen begonnen 9 . Ihre fehlende Aufnahme in den katechetischen Stoff beruht nicht darauf, daß dieses Stück des Glaubens Luthers Aufmerksamkeit entgangen wäre, denn zu dieser Zeit hat er kaum um etwas anderes so sehr gerungen wie um die Sakramente. Während seiner Beschäftigung mit diesen Fragen befand er sich in ständigem Kampf. Seine Auseinandersetzung mit der Irrlehre und dem Mißbrauch bei den Katholiken hat diesem Stück des Glaubens seinen verhältnismäßig polemischen Charakter gegeben, so daß es ihm schwerfiel, die für eine Kinderlehre nötige positive und einfache Form zu finden. Hinzu kommt, daß er sich hinsichtlich der Zahl der Sakramente nicht sicher fühlte. Hier wurde Bugenhagen zum Wegbereiter. In seinem Katechismus, Büchlein für die Laien und Kinder, 1525, haben Taufe und Abendmahl Aufnahme gefunden 10 . Und Luther nimmt dann auch die Sakramente und Beichte in seine endgültige Ausgabe mit hinein. Es ist wahrscheinlich, daß Luther den „Katechismus" des Erasmus, nämlich Institutum hominis Christiani, aus dem Jahr 1514 und seinen Katechismus-Vorschlag von 1522 gekannt hat. In diesem Falle kann ihm die Idee einer kleinen Christenlehre (libellus) kaum entgangen sein n . 8

J. Th. Müller: Katediismen S. 11 ff. • Bereits 1519 hatte er seine Sermones über die Sakramente geschrieben: Sermon von der Taufe, Sermon von leichnams Christi, Sermon von der Busse (WA 2, S. 709 ff., 724 ff., 738 ff.). Und 1520 hatte er seine große Auseinandersetzung mit den katholischen Sakramenten (in De captivitate). Anfangs bildete die Beichte noch keinen Hauptteil, sondern war als Anhang hinzugefügt: „Wie man die Einfältigen soll lehren beichten." Zu einem eigenen Teil wurde sie erst später. Vgl. Höfling II, S. 322 ff. 10 Reu I, S. 5, Cohrs IV, S. 265. 11 Formal kann Erasmus' Institutum Luther nicht beeinflußt haben. Dazu ist der Aufbau allzu verschieden. Erasmus hat folgende Einteilung: 1. Der Glaube, 2. Die Sakramente, 3. Die Liebe, 4. Die Moral. Das Hauptmotiv bildet Gal. 5: Liebeübender Glaube (Opera V, S. 1357 ff.; Padberg S. 46 ff.). Luther teilte anders ein: 1. Die Gebote, 2. Der Glaube, 3. Das Gebet, 4. Die Sakramente, 5. Die Beichte. Eine theologische Beeinflussung Luthers durch Erasmus ist wenig wahrscheinlich. Zu Beginn der zwanziger Jahre herrschte zwar ein gutes Verhältnis zwischen ihnen, aber noch bevor Luther mit seinem Katechismus Ernst machte, hatte er den Stab über Erasmus gebrochen. De servo arbitrio schrieb er 1526. — Von einer Reaktion auf den ersten Katechismus des Erasmus haben wir keine Kenntnis. Aber nach Erscheinen seines zweiten Katechismus', Explanatio, 1533, fällte Luther ein vernichtendes Urteil über ihn (vgl. seinen Brief an Amsdorf, W A Br. 7, S. 28 ff.). Er bezeichnete ihn geradezu als Teufelswerk: artificio plane satanico compositum (S. 30). Luther hat mit diesem Urteil ohne Zweifel die

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In diesen Jahren fängt man an, das Wort catechismus in der Bedeutung „Buch" zu gebrauchen. Diesen neuen Sprachgebrauch genau zu datieren, ist nicht einfach, aber alles deutet darauf hin, daß das Wort zum erstenmal als Name eines Buches zwischen 1522 und 1525 angewandt wurde. Seine erste schriftliche Anwendung findet sich in Luthers Brief an Hausmann vom 2. Februar 1525 12 . Erasmus spricht in seinen Paraphrases davon, daß er die Zusammenstellung eines „libellus" wünscht (1522). Obwohl er ja hier einen katechetischen Unterricht vorschlägt, hat er das Buch, nach dem er Ausschau hält, nicht Katechismus genannt. Aber in seiner Debatte mit Beda 1526, die dasselbe Thema behandelt, wird meistens der Begriff „catechismus" als Hauptbegriff gebraucht — in erster Linie in der Bedeutung Taufunterricht, dann aber auch in konkreterem Sinne 13 . Wenn Luther in seiner Laetare-Predigt (15. März) 1523 behauptet, daß er eine Konfirmation unter Handauflegung seitens des Pfarrers nicht Verbreitung des Katechismus verhindert und den katechetischen Einfluß des Erasmus überhaupt verringert. Vgl. Padberg S. 5 und 21 ff. Diese theologische H a l t u n g gegenüber Erasmus schließt jedoch nidit aus, daß Luther von der Idee einer Christenlehre f ü r Kinder durch die Katechismusversudie bei Erasmus und den Böhmischen Brüdern gepackt wurde. 12 WA Br. 3, S. 431: Ionae et Eyslebio mandatus est Catechismus puerorum parandus; vgl. auch den Brief vom 26. März, S. 462. Melandithon verwendet im gleichen Jahr „katechismoi" in dieser Bedeutung in einem Brief an Witiger (Cohrs IV, S. 239 Anm. 2). Dieser Sprachgebraudi wurde offenbar in dem Maße üblidi, wie man konkrete Pläne für ein Buch, das den mündlichen Unterricht der Kinder umfassen sollte, hatte. — Luther gebraucht „catechismus" immer nodi in der ursprünglichen Bedeutung, nämlidi: mündlidier Unterricht der Katechumenen (in Deutsche Messe; Sehl. I, S. 12). Es ist anzunehmen, daß das Wort während einer gewissen Zeit noch in doppelter Bedeutung vorkommt. — Möglicherweise hat man das Wort in England bereits vor Luther als Bezeichnung eines Lehrbuchs gebraucht. John Colets Christenlehre f ü r Jungen, die vor 1514 geschrieben sein muß (da sie dem Institutum des Erasmus zugrunde liegt), erhielt den Titel: Catéchyzon (Cohrs IV, S. 421, Padberg S. 44). Obwohl Colet den Begriff als Titel verwendet, m u ß das nicht bedeuten, daß er ihn als Bezeichnung f ü r diesen Buchtypus gebraucht. Es besteht jedodi die Möglichkeit, daß das Wort Katechismus in England das Christenlehrebuch f ü r Kinder während der ersten Jahre des 16. Jhs. bezeichnet. Auf lutherischem Gebiet kommt es in dieser Bedeutung nicht vor 1525 vor (Padberg S. 48). Geffcken ist der Meinung, daß „catechismus" nie als Buchbezeichnung vor Luther gebraucht worden sei (S. 17) und d a ß er den Ausdruck von Augustin übernommen haben könnte (S. 16). 13 Paraphrases, Opera VII, S. 3; Divinationes, Opera I X , S. 558 D, 821 B, 1062 B. 1522 waren seine Termini „doctrina Christiana", „summa fidei" etc. und im Hinblick auf ein konkretes Budi „libellus". 1526 sind sie durch „catechismus" ersetzt. „Libellus" scheint ebenfalls in den neuen Hauptbegriff, der sich jetzt durchgesetzt hat, eingegangen zu sein, obwohl das Wort immer noch vorkommt (S. 558 A). Erasmus hat also Colets Titel nicht als Typenbezeichnung aufgefaßt, jedenfalls hat er sich nicht von seiner Terminologie beeinflussen lassen. Seine Anwendung des Begriffs „catechismus" deckt sich mit der lutherischen.

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verbieten will, dann besteht die ausdrückliche Voraussetzung einer solchen Zeremonie darin, daß der Pfarrer für eine Glaubensprüfung sorgt: „scrutari a pueris fidem." 14 Karl Thieme ist der Ansicht, daß Luther hier weder von Unterricht noch Examen, sondern nur von Glaubensprüfung spricht 15 . Dies ist eine Vereinfachung des „scrutari"-Begriffs, wie er auf lutherischer Seite auszulegen war. Selbstverständlich bedeutet er Glaubensprüfung, aber doch keine Erforschung von Herz und Nieren. Es handelte sich ja um Kinder (pueri) und ihre Prüfung bezog sich in erster Linie auf ihre Katechismuskenntnisse16. Diese Aussage muß von dem wachsenden Interesse her, das Luther während dieser Zeit an der katechetischen Unterweisung der Kinder und Jugendlichen hatte, verstanden werden. Er hatte bereits mehrere Jahre lang Katechismuspredigten gehalten, und in Wittenberg ist seit zwei Jahren katechetischer Unterricht erteilt worden. In dem gleichen Jahr gab Melanchthon sein Enchiridion elementorum puerilium heraus und Luther schrieb Das taufbuchlin verdeutscht. Das Ritual läßt hier den Gedanken einer nachfolgenden Unterweisung durchschimmern. Bereits die Tatsache, daß die Liturgie in die Sprache des Volkes übersetzt wird, verrät die Absicht, daß das Volk verstehen soll, worum es sich bei der Taufe handelt 17 . In dem liturgischen Text finden sich auch Formulierungen, die zeigen, daß die Handlung im Hinblick auf den Katechumenat und die Verpflichtungen für die Zukunft, die sich aus der Taufe ergeben, aufgebaut ist 18 . Die Taufe soll nicht mehr ein unverständliches Zeremoniell sein. Die stärksten Impulse, praktische Verantwortung für den Katechismusunterricht zu übernehmen, erhielt Luther von Nikolaus Hausmann. Wahrscheinlich sandte er bereits 1523 eine Aufforderung an Herzog Johann von Sachsen, in den Schulen Religionsunterricht einzuführen. Später war er in Wittenberg und diskutierte diese Pläne mit Luther. In diesem Zusammenhang schlug Hausmann auch eine umfassende Visitation vor. Gleichzeitig besprachen sie die Bedeutung eines Lehrbuches für Kinder 19 . Hausmann möchte gern, daß Luther dieses Buch schreibt. Aber er antwortet in seinem Brief vom 2. Februar 1525, daß Jonas und Agri14

WA 11, S. 66. Thieme S. 6. 18 Vgl. das folgende Kap. S. Rietschel-Graff S. 630; Andren S. 215 Anm. 37; Doerne S. 20. 15

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Sehl. I, S. 20. Der Pfarrer betet für den Täufling: vnnd wolltist ihn erleuchten mit dem liedit deins erkenntnis, reinige und heilige ihn, gibt ihm das redit erkenntnis, das er wirdig werden, zu deiner taufe gnade zu komen, das er halte eine feste hoffenung, rechten radt und heilige lere . . . und beware dein taufe unstreflich . . . (Sehl. I, S. 19 f.). 19 Cohrs IV, S. 247. 18

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cola, die den katechetischen Unterricht leiten, das tun sollen20. Ungeduldig schickt Hausmann im Mai noch eine Aufforderung und fragt nach dem zu erwartenden Katechismus21. Aus verschiedenen Gründen wurde nichts aus dem Katechismus, den Jonas und Agricola schreiben sollten22, und am 27. September teilt Luther mit, daß er sich selbst der Sache annehmen will 23 . Da er sehr mit Arbeit überlastet war, verging eine gewisse Zeit, bevor er mit diesem Plan Ernst machen konnte, und andere Vorhaben kamen dazwischen. Die sollten jedoch auch dazu beitragen, denselben Gedanken in den Vordergrund zu schieben. Mehr und mehr wird es Luther klar, wie schlecht es bei den einfachen Leuten mit den Kenntnissen im christlichen Glauben bestellt ist. Dieser Sachverhalt nimmt in diesen Jahren einen beherrschenden Platz in seinen Gedanken ein. Er wurde zum vorherrschenden Moment in seiner Deutschen Messe von 1526. Die Leute haben den Gottesdienst besucht und mehrere Jahre lang evangelische Predigten gehört. Aber was muß man erleben? Sie haben nicht so viel verstanden, daß sie die einfachsten Fragen aus der Glaubenslehre beantworten könnten. Was kann man tun? Zunächst ist der Gottesdienst deutsch und nicht nur lateinisch zu halten. Aber es ist ja in der Sprache des Volkes gepredigt worden, und wir sind trotzdem nicht weitergekommen. Was ist dann zu tun? „Es treibe denn die höhiste not." Ja, er hat eine Antwort: Was in erster Linie gebraucht wird, ist „ein grober, schlechter, einfeltiger, guter catechismus"24. Das ist also die Voraussetzung, daß die Verkündigung von dem Volk und den Kleinen verstanden und aufgenommen werden kann, sie müssen zuerst einen einfachen Katechismusunterricht erhalten. Er teilt auch mehrere Ratschläge für eine lebendige Gestaltung der Katechese mit 25 . Und nie20

WA Br. 3, S. 431; vgl. auch den Brief vom 26. März: Catediismus mandatus est suis auctoribus (S. 462). 21 Cohrs IV, S. 247. 22 Agricola erhielt den Auftrag, in Frankfurt a. M. den evangelischen Gottesdienst zu organisieren, und im August zog er nach Eisleben, um einem Ruf an die dortige Schule zu folgen. Wahrscheinlich war man sich nicht völlig darin einig, wie ein solches Buch zu gestalten sei und welchen Stoff es enthalten sollte. Statt dessen schrieb Agricola sein eignes Büchlein: Kurze Verfassung des Spruches Mt. 16, 13 ff., das ein Beispiel seiner eignen Katechese sein sollte. Aber Jonas hatte eine andere Vorstellung (Cohrs IV, S. 248). 23 WA Br. 3, S. 282. Er ist sich jedoch darüber im klaren, daß das Zeit erfordert, man kann nicht alles auf einmal tun. M W A 19, S. 76 ff.; Sehl. I, S. 12. 25 Er schlägt zunächst einfache Fragen und Antworten vor. Dann sind der Katechismus und die Lehrstücke in größere und kleinere Einheiten einzuteilen, was er meisterhaft an seinem eigenen Katechismus durchführt. Zur Erläuterung und um es den Kindern in lebensnaher Weise beizubringen, schlägt er vor, daß man von diesen teuren Wahrheiten sprechen soll wie von anderen den Kindern bekannten Werten. Wie man z. B. seine Geldstücke in verschiedenen Räumen und Taschen gut versteckt, um sie auf-

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mand soll sich für zu klug für „solch kinderspiel" halten. „Christus, da er menschen ziehen wollte, muste er mensch werden. Sollen wir Kinder ziehen, so müssen wir auch kinder mit ihn werden." Von diesem Kinderspiel verspricht sich Luther gute Resultate: „man solt in kurzer zeit grossen schätz von christlichen leuten sehen." 26 Hier kommt das Missionsmotiv zum Vorschein. Merkwürdigerweise begründet Luther seinen Katechismusgedanken nicht vom Taufbefehl, Mt. 28, 19—20, her, sondern von der Idee der Kirche und der Verkündigung. Dies ist jedoch nur scheinbar der Fall, denn sachlich gesehen liegt gerade das Lehr- und Missionsmotiv des Taufbefehls der lutherischen Argumentation zugrunde. Sowohl die neue Gottesdienstordnung wie auch der Katechismus sollen dem Evangelium dienen 27 . Hausmannns Visitationseifer und Luthers Entdeckung der fehlenden Kenntnisse im Volke führten jetzt zu praktischen Konsequenzen. November 1526 schreibt Luther an Kurfürst Johann und bittet darum, daß mit der Visitationsarbeit begonnen wird 28 . Er legt hier großen Wert darauf, daß auf die Jugend, die der Erziehung bedarf, Rücksicht genommen wird. Der Kurfürst stimmt dem zu, und die erste Visitationsreise wird im Jahre 1527 durchgeführt. Man vermißte jedoch auf dieser Reise klare Richtlinien. Melanchthons Aufgabe war es daher, den „Unterricht der Visitatoren" (1528) zu schreiben29, eine Schrift, in der der Unterricht der Jugend und der Katechismusstoff eine wesentliche Rolle spielen30. Im Oktober 1528 ging Luther auf seine erste Visitationsreise31. Sie bedeutete viel. Nodi klarer als bisher erkannte er den Bedarf an elementarem Unterricht für Kinder und Jugendliche, und er erhält den letzten Anstoß, mit seiner Katechismusarbeit Ernst zu machen. Während des Winterhalbjahres 1528/29 schrieb er die zwei Katechismen 32 . Er ist auf zubewahren. Man kann dann spielen, daß man die einzelnen Lehrstücke in verschiedene „secklin" und „beutlin" tut, etc. Zu Luthers Methodik vgl. Ivar Asheim: Erziehung und Glaube bei Luther, 1961, S. 275 ff. 26 W A 19, S. 78.16; Sehl. I, S. 13. 27 Sehl. I, S. 11 f. 28 W A Br. 4, S. 133; Cohrs IV, S. 257; Sehl. I, S. 35. Jacob Strauss und Hausmann versuchten sich 1525 mit Visitationen, die allerdings wenig Erfolg hatten (Sehl. I, S. 33 f.). 29 Sehl. I, S. 36 ff., s. den Text S. 149 ff. Eine „Instruction und befeldi dorauf die visitatores abgefertiget sein" wurde bereits im Juni 1527 ausgearbeitet (Sehl. I, S. 142); es zeigte sich jedoch, daß sie nicht genügend konkret und zu wenig detailliert war. Es mußte daher eine neue ausgearbeitet werden. 30 Sehl. I, S. 155, 158, 171 ff., Cohrs IV, S. 257 ff. 31 Sehl. I, S. 41. 32 Im Herbst 1528 begann er den Deudsch Catediismus zusammen mit einer Serie Katechismuspredigten (Bekenntnisschriften, Einleitung S. X X V I I I ff.; W A 30 I, S. 482 f.). Den Kleinen Katechismus begann er im Dezember, während er sich mitten in der Arbeit an dem ersten (Großer Katediismus) befand. (Bekenntnissdiriften, Einleitung S. X X X ; WA 30 I, S. 484 ff.) Der erste Teil des Enchiridion (Kl. Kat.) in

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seiner Reise offenbar von den im Volke herrschenden Zuständen erschreckt worden. Jetzt ist keine Rede mehr davon, die Katechismussache länger aufzuschieben, sondern er ist einfach von der Not, die er sah, „gezwungen und gedrungen". „Hilf, lieber Gott! wie manchen Jammer habe idi gesehen", die Leute „können weder Vater unser, noch den Glauben oder Zehn Gebot". Jetzt muß es Ernst werden sowohl mit dem Katechismusbuch wie auch mit dem Katechismusunterricht. Er bittet alle, „um Gottes willen" zu helfen, damit der Katechismus in das Volk, „sonderlich in das junge Volk" gelangt 33 . Jetzt ist die Kenntnis des Katechismus zu einer wesentlichen Angelegenheit für Luther geworden. Der Zustand ist als „nulla cognitio" zu bezeichnen. Daraus erwachsen Ernst und Verantwortung, nicht nur, wenn man nach draußen blickt, auf die große Masse des Volkes, sondern auch, wenn man in umgekehrter Richtung daran denkt, aus welchen Gliedern die Kirche gebaut ist. Der Kirchengedanke war ein ebenso starkes Motiv für den Katechismus wie der Missionsgedanke. Daher sieht sich Luther auch gezwungen, die Kirchenzucht einzuführen. Wer die christlichen Grundwahrheiten nicht lernen will, leugnet Christus und ist kein Christ. Folglich kann er auch nichts mit den Sakramenten zu tun haben. Das gilt für das Abendmahl und die Taufe. Diesen sollen nicht nur der Zugang zum Abendmahl, sondern audi die Paten-Rechte verweigert werden. Die Verantwortung, die ein Pate zu tragen hat, kann nur der auf sich nehmen, der das Evangelium wenigstens in seiner elementaren Form, dem Katechismus, kennt. Die Patenverantwortung setzt die Kenntnis des Katechismus voraus, denn die Paten sollen ja ihre Taufkinder beaufsichtigen. Die beiden Sakramente sollen vor denen, die die christliche Lehre verachten, geschützt werden. Stärker kann das Gewicht, das Luther auf den Katechismusunterricht und den Katechumenat legte, nicht zum Ausdruck kommen. Seine Gedanken über den Katechismus gingen weiter. Sie tauchen in den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, die während dieser Zeit im Entstehen waren, wieder auf 3 4 . Mit Wilhelm Rott läßt sich hinzufügen: Dieses Luther-Erbe schuf die Grundlage der Konfirmation. Es sollte das Tafelform erschien im Januar, der zweite im März. Im April gab Rörer den Deudsch Catediismus (Gr. Kat.) heraus (zu den verschiedenen Ausgaben vgl. WA 30 I, S. 499 ff.). Enchiridion erschien im Mai als Budi (Cohrs IV, S. 267 ff.). — Luthers Katechismus stellte alle anderen in den Schatten. Schon zu Lebzeiten Luthers war er weit verbreitet und in mehreren Auflagen erschienen. Fast jedes J a h r erschien eine neue Auflage. Vgl. Reu S. 5 ff.; Höfling II, S. 320 ff. (zu den Auflagen vgl. WA 30 I, S. 666 ff.). Zu den oben erwähnten Zitaten s. das Vorwort zu Kl. K a t . WA 30 I, S. 266 f. Vgl. Preußen 1525 (Sehl. IV, S. 36), Braunschweig 1528 (Vìi, S. 362 ff.), H a m burg 1528 (V, S. 505), Göttingen 1530 (VI 2 , S. 912) u. a. 33 34

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Hauptmoment der lutherischen Konfirmation in all ihren späteren Ausgestaltungen werden3S. Der Katechismusgedanke erlangte ebenfalls große Bedeutung für Luthers Kirchenzucht. Für eine oberflächliche Betrachtung könnte es den Anschein haben, als ob sich Luther in seinem Vorwort zum Katechismus für eine strenge Kirchenzucht einsetze und mit Hilfe von Wächtern bei den Sakramenten die reine Gemeinde aussondern wolle. Was den Umgang mit den Sakramenten betrifft, hält er an dieser Linie fest. Das Motiv ist hier jedoch nicht in dem Gedanken an den Aufbau der Kirche zu suchen — als ob die Sakramente ein wesentliches Mittel wären, eine reine Gemeinde zu erreichen —, sondern im Respekt vor den eigentlichen Gnadenmitteln und in der Fürsorge für die Seelen. Denn es ist sowohl „Nutz und Schade . . . Fahr und Heil" in den Sakramenten. Es ist Pflicht der Kirche aufgrund der Evangelien, diese Werte zu schützen. Man muß auf keinen Fall „mit Gesetze zum Sacrament zwingen", wie es die römische Kirche tut. Man soll im Gegenteil die Heiligkeit der Sakramente und das ewige Wohlergehen des Menschen durch die Kirchenzucht schützen, aber andererseits auch „treiben und anspornen", indem man das Evangelium verkündigt, so daß das Volk versteht, welche Gaben und Gnade seiner wartet, damit sie von selber gelaufen kommen, um die Sakramente zu empfangen. Luther hatte jedoch auch früher gewisse Vorstellungen davon, wie man eine ideale „congregatio sanctorum" erreichen könne. In der Deutschen Messe erwähnt er seinen Traum einer eigenen Gottesdienstform, die denen passen könnte, die „mit ernst christen wollen sein" 3e . Aber er muß die Verwirklichung dieses Gedankens aufgeben, weil ihm die Leute dazu fehlen. Trotzdem zeigt es sich, daß er den Plan nicht sofort völlig aufgegeben hat. Er sieht den Visitationen entgegen und hofft, durch sie Gottesdienste für die wahren Christen einrichten zu können. Dies kommt deutlich in einem Brief des folgenden Jahres, 1527, an Nikolaus Hausmann zum Ausdruck37. In diesem Brief begegnen wir dem Ausdruck „die Samm35 Wilhelm Rott: Konfirmation. Ein Studienbuch zur Frage ihrer rechten Gestaltung, 1941, S. 12, 16. 36 Sehl. I, S. 12. 37 WA Br. 4, S. 180 f. Der Brief behandelt die Kirchenzucht. Einer der Pfarrer in Zwickau hatte eine hodistehende Person öffentlich von der Kanzel getadelt. Nach Luthers Meinung ist das falsch. Eine derartige persönliche Strafe paßt nur „unter die Sammlung der Christen" (S. 181). Hiermit spielt er offenbar auf seinen Vorschlag vom vergangenen Jahr in Deutsche Messe an. Bei der „Sammlung" sind nur die, „so mit ernst christ wollen sein" und „mit namen sich ein zeichen" zugegen. Hier kann Christi Regel Mt. 18 zur Anwendung kommen. Aber in Zwickau herrscht eine andere Situation. „Nu habt Ihr ja nodi keine Sammlung verordnet." Deshalb kann eine solche Zucht nidit geübt werden. Sie hat „in der öffentlichen theatrali concione, da Christen und

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lung" als feste Bezeichnung im Gegensatz zu dem öffentlichen Gottesdienst. In „der Sammlung" kann die wahrhaft biblische Kirchenzucht nach Mt. 18 vor sich gehen. Und er lebt immer noch in der Hoffnung, daß sich diese Ordnung verwirklichen läßt: „wir hoffen, dass sie durch die Visitation soll angeridit werden" 38 . Aber die Visitationen bereiteten Luther eine große Enttäuschung. Jetzt mußte er endgültig bestätigen, was er bereits 1526 als vorläufige Ursache dafür, daß er mit dem Gedanken einer besonderen Messe für die wahren Christen nicht Ernst machen konnte, angab: „ich habe noch nicht leu te und personen dazu." 39 Die große Menge der Gemeindeglieder, so wie sie ihm auf seinen Visitationsreisen begegnete, war nicht als Träger einer idealen Gottesdienstordnung für „ernste Christen" geeignet. Einen Ausweg gab es nicht, sie hatten noch lange Objekt der kirchlichen Verkündigung und der Katechismusunterweisung zu sein. Der größte Teil des Volkes war nur als Katechumenen anzusprechen. Nur Katechismus und Verkündigung konnten sie weiterführen. Das Abendmahl mußte weiterhin zu dem öffentlichen Gottesdienst gehören. Die Beichte war ja durch die Formula Missae eingesetzt, und der einzelne mochte dann für sich selber Rede und Antwort stehen. Eine Möglichkeit, eine bestimmte Gruppe unter den Katechumenen als erprobte Abendmahlsgemeinde auszuscheiden, gab es nicht. Man hatte zu unterrichten und zu verkündigen und an einer strengen Admissio festzuhalten, damit aus den Unreifen mit der Zeit geeignete Abendmahlsgäste werden konnten. 4. Die Organisation

des Katechumenats

durch

Bugenhagen

Nach dem Reichstag zu Speyer 1526 fing die lutherische Kirche an, festere Formen anzunehmen. Die Fürsten erhielten freie Hand und konnten nach eigenem Ermessen handeln. Es entstanden die lutherischen Landeskirchen1. Luther dachte und lebte in der Vorstellung des „corpus christianum". Er war der Ansicht, daß sich Kultus und Organisation nach den praktischen Bedürfnissen entwickeln sollten. Evangelium und Glaube nahmen die erste Stelle ein. So verlief auch die Entwicklung in Deutschland. Entscheidend waren jedoch die Visitationen. Sie verlangten Organisationsregeln. Melanchthon schrieb seinen „Unterricht der Visitatoren", der sich allerdings im Laufe der Zeit als unzureichend erwies. Man konnte nicht ständig auf Visitationsreisen gehen. Und die einzelnen Gemeinden Unchristen bei einander stehen und zu hören" nichts zu sudien. Vgl. Zezsdiwitz I, S. 567. 38 1

Ibid. S. 181. s» W A 19, S. 75.20. E . Sehling: Gesdiidite der Protest. Kirdienverfassung, 1907, S. 8.

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und Landeskirchen brauchten Richtlinien. Die Kirchenordnungen mußten kommen 2 . Zu dieser Zeit wurde Bugenhagen der führende Organisator der lutherischen Kirchen. Als langjähriger Pfarrer in Wittenberg war er mit der Reformationsbewegung seit den Tagen der Bilderstürmer gewachsen und hatte Gelegenheit, die weitere Entwicklung zu verfolgen. Wegen seiner praktisch-theologischen Interessen war er für diese Aufgabe gut geeignet. Und nicht zuletzt war es von großer Bedeutung, daß er ein offenes Auge für den Unterricht hatte — nicht nur für das Lehren an der Universität, sondern auch für die Katechismusunterweisung. Er wurde „der eigentliche Organisator des Katechismus", sagt Caspari 3 . Im großen und ganzen sind sich die Forscher darin einig, daß Bugenhagen der Verfasser des ersten vollständigen Katechismus, Büchlein für die Laien und die Kinder, Wittenberg 1525, ist 4 . Das Buch, das Luther selber versprochen hatte, ließ auf sich warten. In der Zwischenzeit erschien Bugenhagens Vorschlag. Ihm widerfuhr dasselbe Schicksal wie den meisten anderen Katechismen dieser Zeit, es blieb nach Erscheinen von Luthers Enchiridion in dessen Schatten. Nichtsdestoweniger war das Buch epochemachend, weil es der erste Katechismus war, der auch den fünften Teil, nämlich die Sakramente, enthielt5. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies für Luthers Gestaltung 1529 entscheidend. 1528 wird Bugenhagen nach Braunschweig gerufen, um die Grundlagen für eine Kirchenordnung zu schaffen. Es zeigt sich sofort, daß er ein Mann der Schule und Erziehung ist. Er legt großen Wert auf den Aufbau des Braunschweiger Schulwesens. Die Lateinschule bekommt eine neue Schulordnung6. Er trifft Bestimmungen über Lohn, Wohnung und andere praktische Erfordernisse für die Lehrer. Die deutsche Kinderschule, die früher auf privater Basis existierte, erhält eine öffentliche Ordnung. Eine Mädchenschule soll ebenfalls errichtet werden. In all diesen Schulen soll Religionsunterricht erteilt werden. Das ist die Hauptsache. Aber damit nicht genug: Die Pfarrer sollen außerdem Katechismuspredigten halten und Unterricht im Katechismus geben7. Ibid. S. 13. Caspari S. 9. 4 Vgl. Reu I 2, S. 5, Cohrs IV, S. 248 und 265. Paul Drews hat in Deutsche Literaturzeitung 33, 1900, eine Reihe neuer Momente als Beweis für die Verfasserschaft Bugenhagens angeführt, die er durdi einen besonderen sachlichen und formalen Vergleich dieses Budies mit seinem früheren, Von dem Christenglauben, gefunden hat (Cohrs IV, S. 248 Anm. 4). 5 In der K O Braunschweig 1528 verweist Bugenhagen ebenfalls auf einen fünfteiligen Katechismus: leren de teyn gebot Gades, den loven, dat Vader unse, de sacramente Christi mit der uthlegginge (Sehl. V I 1, S. 364 und 370). « Sehl. V I 1, S. 364 ff. 2

3

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Ibid. S. 377 ff. 83

In Bugenhagens Ordnungen begegnen wir einer informatorischen Katechese, die völlig von der Taufe her gesehen ist. Er begründet seinen Unterrichtsanspruch mit dem Taufbefehl Jesu. Er verlangt von uns nicht nur das Taufen, sondern auch das Lehren8. Und Ziel dieser Unterweisung ist: „dat se mochten by Christo bliven." 9 Er kann geradezu romantisch werden, wenn er über das getaufte Kind im Stande der Unschuld schreibt. Es lebt in der Gnade Gottes wie Adam und Eva im Paradies, von Gut und Böse weiß es nichts, obwohl es unsere böse Natur hat. Die Kinder haben Jesu Zusage, daß ihnen das Reich Gottes gehört. Aber wenn die Zeit herankommt und die Vernunft erwacht, dann kommt die Schlange, und sie fangen an, allerhand Böses zu lernen, den christlichen Glauben und den Bund, den Christus mit ihnen in der Taufe schloß, zu verachten10. Um so wichtiger ist es dann, daß sie Gottes Wort hören und lernen können. Dem liegen nicht nur menschliche Überlegungen, sondern Jesu eigener Befehl zugrunde: „dat he uns ock gebaden hefft, de kyndere to leren." 11 Deutlicher kann die Begründung des kirchlichen Lehrauftrages durch die Taufe und den Befehl Christi nicht zum Ausdruck kommen. Im Verlauf der weiteren Organisationsreise verfährt Bugenhagen im großen und ganzen nach demselben Muster. 1529 führt er in Hamburg fast die gleiche Kirchenordnung wie in Braunschweig ein. Audi hier gehören Schulvisitation und Katechismusverhör von Anfang an dazu 12 . Der Superintendent hat zweimal im Jahr die Schulen zu kontrollieren, um festzustellen, ob alles nach der Ordnung verläuft13. An vier Sonntagen im Jahr hat er den Katechismus abzuhören14. Hier ist der Anfang eines „examen catecheticum". Von einem abschließenden Examen ist zwar nicht die Rede, sondern es handelt sich um eine ständige Prüfung, die dieselbe Absicht verfolgt: Die kirchlichen Behörden sollen prüfen, ob die Kinder und Jugendlichen tatsächlich ihren Katechismus lernen. Der Katechismusunterricht gilt jedoch nicht nur der jungen Generation. Die eigentliche Katechismuspredigt soll das ganze Volk erreichen15. Die neue Kirche hat vieles an versäumtem Unterricht nachzuholen. Während 8 Ibid. S. 362: D a t uns nicht alleyn bevalen is, de kyndere to döpen, sonder ock, wen de tidt kumpt, to leren, alse gescreven is tovorn van der döpe. 1 0 Ibid. 1 1 Ibid. S. 363. » Ibid. 1 2 Braunschweig enthält ebenfalls Schulinspektion und Verhör (Sehl. V I 1, S. 370 und 377). 1 3 Sehl. V, S. 498 ( H a m b u r g ) : ifft idt ock in allen dingen nach der ordeningen ersten angevangen recht tho ga, etc. 14 Ibid. S. 505: vere sunderge tide im jare, dat sulck odi gehöret werde v a m superattendenten aver de ganse Stadt. 1 5 Ibid. S. 350 (Lübeck): Overst im anfange der predige schal me de wörde des ganzen catechismi dem volke v o r seggen, und vormanen, dat se siilke wörde ock weten to seggende. U n d S. 351: den catechismum predigen vor dat gemeine gesinde.

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mehrerer Generationen herrschte eine große Unkenntnis der christlichen Lehre. Das ganze Volk mußte unterrichtet werden, wollte man es mit dem Evangelium erreichen. Auch andere, von Bugenhagen stammende oder von ihm beeinflußte Kirchenordnungen haben, was die katechetischen Momente betrifft, denselben Inhalt: Lübeck 1531, Goslar 1531, Wittenberg 1533, Pommern 1533 und 1542, Schleswig-Holstein 1542 1 β . Bugenhagens besondere Erwähnung in diesem Kapitel beruht nicht darauf, daß er der einzige Organisator der Kirchenordnungen im lutherischen Gebiet zu dieser Zeit war, sondern darauf, daß er ein Vorgänger der die lutherische Kirche der Reformationszeit zunehmend beherrschenden Richtung werden sollte, nämlich der katechetischen. Zur gleichen Zeit entstanden mehrere Ordnungen, die im wesentlichen die gleiche Linie wie die von Bugenhagen verfolgten: Preußen 1525 (mit den Verordnungen 1543 und 1544), Göttingen 1530, Hannover 1536, Sachsen 1539 1 7 . Möglicherweise ist die Hallesche Ordnung von 1541 einen Schritt weitergegangen, da sie nicht nur von „Katechismusprüfungen", sondern auch von „Kinderexamen" spricht 18 . Die Ordnungen beziehen sich schlicht auf den Katechismus, die Konfirmation kommt hier nicht zur Sprache. Eine andere Funktion machte aus dem Examensmoment eine obligatorische Bedingung, nämlich die Abendmahlszucht. Eine ausschließlich informatorische Katechese hat kein Examen nötig. Und die examinatorische Form kommt mit einem fortlaufenden Verhör, so wie es Bugenhagen angeordnet hat, aus. Aber sobald sich die Frage nach der Teilnahme am Abendmahl stellte, mußte der katechetische Unterricht zu einer Abschlußprüfung hinführen. Die oben erwähnten „katechetischen" Ordnungen verlangen ebenfalls die Abendmahlszucht. Wir werden hierauf in einem späteren Zusammenhang näher eingehen (II B). Die Abendmahlszucht wird hier mit einem „Lehrverhör", das mit der dem Abendmahl vorangehenden Beichte zusammenfällt, gehandhabt. Zu dieser Zeit ist das Verhör noch kein „abschließendes Examen", das eine allgemeine Zulassung zum Tisch des Herrn vermittelt. Dies wurde es erst, als sich neue Momente und andere Entwicklungsphasen geltend machten. Es lag nahe, das ausgesprochen katechetische Moment, das bei Bugenhagen eine so große Rolle spielt, mit dem Vorschlag des Erasmus zu vergleichen. Maurer hat letzteren als den Typ der katechetischen „Konfir1 8 Lübeck (Sehl. V, S. 334), Goslar (Richter I, S. 154), Wittenberg (Sehl. I, S. 700), Pommern (Sehl. IV, S. 328 ff., 354 ff.), Sdileswig-Holstein (vgl. Sonderausgabe: Christlyke Kerken Ordeninge, Magdeburg 1542). 1 7 Preußen (Sehl. IV, S. 33 ff.), Göttingen (Sehl. VI 2 , S. 906 ff.), Hannover (Sehl. VI 2 , S. 944 ff.), Sachsen (Sehl. I, S. 264 ff.). 1 8 Richter I, S. 340. Der Verfasser ist Jonas. Seine Arbeit geht auf K O Wittenberg, 1533, zurück, die wiederum von K O Braunschweig abhängig ist.

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mation" dargestellt und behauptet, daß man da, wo man später in der lutherischen Kirche bei einer katechetischen Konfirmation stehen blieb, keinen Schritt über Erasmus hinausgekommen ist 19 . Jede rein katechetische Konfirmation wird als humanistisches Erbgut angesehen. Ein näherer Vergleich läßt jedoch sofort den prinzipiellen Unterschied zwischen den Ordnungen des Erasmus und Bugenhagens erkennen. Die Ubereinstimmung ist eher formaler Art. Beide gehen von dem Katechismusgedanken aus. Erasmus begründet seinen Entwurf hauptsächlich mit religiös-ethischen Motiven, während Bugenhagen auf die Taufverpflichtung und den Befehl Jesu hinweist. Erasmus beschäftigt sich sehr mit dem Taufgelübde, das in seinem Entwurf eine höchst subjektive Stelle einnimmt. Es gleicht dem Mönchsgelübde. Bugenhagen spricht von dem Tauf bund, bei dem es darum geht, daß man in ihm bewahrt wird, um in Christus bewahrt werden zu können. Erasmus hat sich christliche Unterweisung und Moral, „philosophia Christiana", zum Ziel gesetzt, während Bugenhagens Ziel darin besteht, den Kindern den Katechismus zu lehren, d. h. sie in dem Glauben, zu dem sie getauft sind, zu unterrichten. Erasmus legt großen Wert auf eine abschließende Feier mit ergreifenden Zeremonien, die an die Gefühle appellieren. Bugenhagen ordnet nüchterne Katechismusprüfungen ohne besonderen Abschluß oder Feierlichkeit an. Der Unterschied zwischen Erasmus' Institutum und Bugenhagens Büchlein ist ebenfalls deutlich, es ist derselbe Unterschied, der zwischen Luther und Erasmus herrscht. Bugenhagen scheint auch hier nicht von dem großen Humanisten beeinflußt zu sein. Und schließlich folgt der wichtigste Unterschied: Bugenhagens Ordnungen enthalten sämtlich eine Admissio-Prüfung vor dem Abendmahl, was bei Erasmus nicht einmal angedeutet ist. Seine Handlung steht isoliert da und hat, abgesehen von der Taufe, mit anderen kirchlichen Funktionen wenig oder gar keine Verbindung. In der Diskussion mit Beda versucht Erasmus sogar abzustreiten, daß er sie auf die Taufe bezogen hat: er spricht nicht von der Taufe, sondern von dem Katechismus20. Sein ganzer Vorschlag hängt in der Luft und steht in keinem organischen Zusammenhang mit den übrigen Lebensfunktionen der Kirche, die Lebensbedingungen fehlten ihm. Wie wir bereits früher nachgewiesen haben, enthält der Vorschlag des Erasmus keine Konfirmation. Man begegnet ihr ebensowenig in den 11

Maurer S. 50: Wo man daher später in der lutherischen Kirdie sowohl wie in der reformierten bloß bei einer katechetischen Konfirmation stehen blieb, ist man mit keinem Schritt über die von Erasmus aufgezeichneten Bahnen hinausgekommen. Die Bezeichnung des Erasmus-Vorschlags als typisch katechetische Ordnung ist eine zu einseitige Charakteristik, die Ordnung umfaßte ja auch andere Momente. 20 Opera IX, S. 558 D.

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Kirchenordnungen Bugenhagens. Aber beide enthalten wesentliche Momente einer Konfirmation, wie sie sich später in der lutherischen Kirche entwickeln sollte. B. Admissio ad

communionem

Die Entstehung der Katechese während der Reformationszeit war nicht nur durch die Taufverpflichtung, sondern auch durch die Vorbereitung zum Abendmahl motiviert. Wir sahen bereits, wie Luther in dem Vorwort zum Kleinen Katechismus als unaufgebbare Bedingung von den Abendmahlsgästen die Kenntnis des Katechismus verlangte. Diese Kenntnis des Katediismus war weder als Riegel noch als Sieb gedacht, das nur die Besten durchlassen und die übrigen ausschließen sollte, sondern sie sollte zu einer rechten und gnadenbringenden Kommunion verhelfen. Durch sie sollten die Leute wohl vorbereitet zum Abendmahlstisch geführt werden. Entscheidend für einen rechten Empfang des Abendmahls wár der Glaube. Man mußte wissen, woran man glaubte, wissen, was das Abendmahl ist und was es gewährt. Das Wort schafft den Glauben. Also ist es unmöglich, ohne Kenntnis des Wortes Gottes, wenigstens in seiner einfachsten Form, dem Katediismus, das Abendmahl recht zu empfangen. Der Katechismus wurde jetzt zur unumgänglichen Voraussetzung. Oder positiv ausgedrückt: Die Kenntnis des Katechismus öffnete den Zugang zum Abendmahl. Es gab zwar auch andere Bedingungen. Wissen allein reichte nicht aus. Das Leben mußte mit der Lehre übereinstimmen, und noch besser war es, wenn sich lebendige Erkenntnis der Sünden feststellen ließ. Aber sowohl die Erkenntnis wie auch die Früchte des Lebens hatten ihren Ursprung in der Kenntnis des Wortes Gottes. Von altersher war die Beichte die eigentliche Abendmahlsprüfung. Dieser Teil der christlichen Lehre wurde auch umgebildet und machte in Verbindung mit der Konfirmation eine besondere Entwicklung durch. 1. Das Verhältnis von Beichte und

Abendmahlsverhör

Bereits im frühen Mittelalter diente die Beichte als ein Mittel zur Erziehung des V o l k e s N a c h und nach erhielt die Beichte eine katechetische Aufgabe. Bestimmte Kenntnisse wurden verlangt. Der Beichtende mußte das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und das Ave Maria aufsagen können 2 . Später wurden auch die sieben Todsünden und der Dekalog hinzugefügt, und seit der Institutio laicalis wurde der Unterrichtsstoff 1 2

Zezsdiwitz I, S. 481 ff. Zezsdiwitz I, S. 505; vgl. ebenfalls Adielis S. 152 f.

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noch mehr erweitert 3 . Zu dieser Zeit übte die Kirche ihre katechetische Wirksamkeit hauptsächlich durch die Beichte aus4. Auf diese Weise gewann die Beichte eine gewisse erzieherische Wirkung auf das Leben des Volkes. Dies konnte, wurde es mit Vernunft gehandhabt, zu einer Hebung der Sittlichkeit führen 5 . Die Beichte wurde als „nervus... christianae disciplinae et totius obedentiae" angesehen6. Aber sie war nicht nur ein Erziehungsmittel, sondern als wesentlicher Teil des Bußsakramentes sogar heilsnotwendig7. Alle Sünden mußten bekannt werden. Die Voraussetzung hierfür war, daß man nur die Sünden zu erwähnen brauchte, derer man sich bewußt war 8 , aber die durfte man auch nicht verschweigen. Erst dann konnte man rechtschaffenen Sinnes audi um Vergebung für die verborgenen Sünden bitten 9 . In der Praxis jedoch entwickelte sich die Beichte zu etwas anderem. Als Innozenz III. auf dem IV. Laterankonzil 1215 seine Forderung der Pflichtbeichte durchsetzte, erhielt die Kirche eine Einrichtung, die zu großer Gewissensnot führen konnte 10 . Alle Christen, die „anni discretionis" erreicht hatten, waren verpflichtet, mindestens einmal im Jahr — in Verbindung mit der Osterkommunion — zu beichten. Der Beichtende sollte das Wort führen, die Aufgabe des Beichtvaters bestand ausschließlich im Hören n . Aber nach und nach übernahm der Beichtvater die Führung und begann das Beichtkind zu fragen. Hieraus entwickelten sich sehr aufdringliche Fragen, die die intimsten Bereiche im Leben des Einzelnen und der Familie berührten12. Die Beichtbücher sind dafür das beste Beispiel 13 . Geffcken behauptet, die Beichte des 15. Jahrhunderts sei geradezu ein Tribunal gewesen14. Lange Zeit nahm Luther eine positive Stellung gegenüber der katholischen Beichte ein. Zwar bereitete es ihm schon früh Schwierigkeiten, in dem Worte Gottes einen Beweis für die Form, die die Beichte erhalten hatte, zu finden15, aber er hielt dennoch an der Institution der Beichte Zezschwitz I, S. 506 f. Ibid. S. 5 1 2 ; J . Geffcken S. 25 ff.; Achelis S. 152 f. 5 Zezschwitz I, S. 512 ff. 6 Confutatio Pontifica II, 4 (Text bei Laemmer S. 289). 7 Ibid. : Cum confessio integra nedum sit ad salutem necessaria. 8 Laemmer S. 288, vgl. bei ihm die Quellen S. 2 9 0 f. β Ibid. S. 288 (die Texte S. 291). 1 0 Denzinger S. 2 0 4 f. N r . 4 3 7 ; vgl. Geffcken S. 2 4 ; E . Fischer: Zur Geschichte der evang. Beichte, 1902, S. 5. 1 1 Fischer S. 54 ff. 1 2 Geffcken S. 24. 1 3 Ibid. 1 4 Ibid. Beispiele für diese aufdringliche Befragung bei Geffcken S. 26 und in den verschiedenen, bei ihm wiedergegebenen Beichtbüchern. 1 5 Fischer S. 120. 3

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fest. Sie war in der Schrift ausreichend bezeugt. Jedenfalls empfahl err die Todsünden in der Beichte vorzubringen16. Aber seit 1521 greift er den Anspruch Roms, daß alle Sünden zu beichten sind, an. Das ist unmöglich. Und Gottes Wort verlangt das nicht. Nur offenbare Sünden gegen den Nächsten sollen gebeichtet und wiedergutgemacht werden17. Eigentlich schuldet man das Bekenntnis seiner Sünden nur Gott. Die kirchliche Beichte ist ein menschliches Gebot, das zu einem drückenden Gesetz ausgeartet ist 18 . Doch hält er an der Privatbeichte als einer freiwilligen Angelegenheit fest. Karlstadts Kampf gegen die Beichte gründet sich zum Teil auf diese Aussagen Luthers. Aber als Karlstadt während der Weihnachtsmesse 1521 das Abendmahl ohne vorhergehende Beichte hielt, ging Luther das zu weit. Er kehrte von der Wartburg zurück und schaffte hier und unter den anderen schwärmerischen Tendenzen, die in Wittenberg unter Karlstadt an die Macht gekommen waren, Ordnung1β. Am Gründonnerstag des vorangegangenen Jahres hatte Luther ernste Worte in bezug auf einen würdigen Empfang des Abendmahls gesprochen20. Es ist deutlich zu merken, wie Luther mit dieser Frage in der Fastenzeit 1522 kämpft. Einerseits mußte der Mißbrauch, den die Schwärmer mit der Freiheit getrieben hatten, angeprangert werden, aber zu der katholischen Gesetzlichkeit konnte er auch nicht mehr zurückkehren. Er mußte also einen Ausweg finden. Zunächst setzt er sich mit Karlstadt in seinen „Acht Sermone" auseinander, worin er audi auf die Beichte eingeht21. Darüber hinaus hebt er hervor, daß die beste Vorbereitung auf einen würdigen Gang zum Abendmahl in der Verkündigung der Vergebung der Sünden besteht. Aber er ist sich auch im klaren darüber, daß es zu einer gewissen Abendmahlszucht kommen muß. Das Wort des Paulus 1. Kor. 11, 28 ist zu deutlich, als daß er daran vorbeigehen konnte. Jeder hat sich selber nach dem Worte Gottes 16

Ibid. S. 1 5 9 ; Zezsdiwitz I, S. 5 6 2 .

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V o n der Beicht, ob die der B a p s t macht habe zu gepieten. A n F r a n z v o n Sickin-

gen, 1 5 2 1 ( W A 8, S. 1 3 8 ff.). E r will die evangelische Beiditordnung a u f der G r u n d lage v o n M t . 1 6 und 18 und J h . 2 0 aufbauen. D a s gilt d a n n offenbaren Sünden. S. audi Zezschwitz I, S. 5 6 3 ; R . Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte I I ,



1898,

S. 2 2 3 . 1 8 W A 8, S. 161 f . ; vgl. ebenfalls Rationis L a t o m i a n a e c o n f u t a n o 8, 1 5 2 1 , S. 5 8 . 5 ; Fischer S. 1 7 6 , Zezschwitz I, S. 5 6 3 ; Seeberg I I , S. 2 2 3 . 1 9 Köstlin I, S. 5 0 0 ff.; Zezschwitz I, S. 5 6 3 f . ; L . F e n d t : D e r lutherische Gottesdienst des 16. Jhs., 1 9 2 3 , S. 9 5 ; zu dem Streit und der U n r u h e in W i t t e n b e r g v g l . C R I, S. 4 7 5 ff. 2 0 S e r m o n v o n der würdigen E m p f a h u n g des heiligen w a h r e n Leichnams Christi, 1 5 2 1 ( W A 7, S. 6 9 2 if.). 21

W A 1 0 I I I , S. 1 ff. E r lehnt des Papstes „nötten und z w i n g e n " ab und e r k l ä r t ,

d a ß er die heimliche Beichte um keinen Preis der W e l t missen möchte. Sie ist eine u n entbehrliche H i l f e im K a m p f gegen den Bösen (S. 6 1 f.). V g l . audi S. 6 3 . 2 3 ff.

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zu prüfen 22 . Nachdem er sich seiner Sache noch sicherer geworden ist, lehnt er den päpstlichen Zwang ab, der das Sakrament vor die Säue wirft. Man zwingt es ja allen auf. Nein, der Empfang des Abendmahls soll freiwillig sein, und der Weg dahin folgender: „Der mensch prufïe sich selbs." "Wenn das durchgeführt wird, wird man zwar erleben, daß sich die Zahl der Abendmahlsgäste verringert, aber das ist nicht so schlimm, jedenfalls kommt man so „widder tzu eyner Christlichen Versammlung" 23 . Gründonnerstag 1523 geht er in seiner Predigt noch einen entscheidenden Schritt weiter und kündigt die Einführung einer Abendmahlsprüfung für die Zukunft an 2 4 . Sie erhält in der Formula Missae gegen Ende des Jahres ihre öffentliche Ausgestaltung25. Die Kommunikanten sollen sich bei dem Pfarrer melden, und er soll niemand ohne ein gründliches Katechismusverhör, das sich hauptsächlich mit dem Abendmahl beschäftigen soll, durchlassen2e. Aber diese Prüfung der Kenntnisse wird zu einer Glaubensprüfung erweitert. Und den Glauben kann man am besten dadurch prüfen, ob Sündenerkenntnis und Anfechtung vorhanden sind und ob ein 2 2 Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen, 1522 (WA 10 II, S. 11 ff), vgl. S. 39: Auffs dritte: Stehet die prüffung darynn das du ansehist deyn euszerlich wessen, ob du audi liebe gegen deynen nehisten beweyssist vnnd yhm dienest, findistu nu solche prüffe nicht yn dyr, szondern lebist wie vorhyn, stickist nodi vol untrew, hass, geytz, tzorn, unglaubens. O lieber, szo bleyb ia von diszem sacrament, bis du eyn ander mensch werdist, lasz dich nicht den haufïenn noch Bapst gesetzt noch gewonheyt liyntzu treybenn.

Ibid. WA 12, S. 746 ff. Er spridit: Diese Ostern gehen die Leute das letze Mal zum Abendmahl ohne vorherige Beichte. Jetzt muß eine Änderung stattfinden: Aber fort hin muss es also geen, das man niemand das Sacrament gebe, man wisse denn, wie er gleub, unnd das er ein sollidi gefess sey, das es fassen kan, und wisse sein glawben anzuzeigen (S. 481.5). Herbst 1523 schreibt er an Hausmann, daß zukünftig niemand ohne Prüfung das Abendmahl empfangen soll: Propositum est futuris diebus communicationis nullum admittere, nisi auditum et dextre pro fide sua responsentem, canteros excludemus (WA Br. 3, S. 183). Ungefähr gleichzeitig schrieb Luther „Fünf Fragen", die als examinatorische Formel bei der Abendmahlszudit dienen sollten (vgl. Cohrs IV, S. 148 ff.). In gewisser Weise stellt die Formel — neben den anderen „Katechismusbrocken" — den Anfang eines Katediismus dar und bringt deutlidi den Verlauf eines solchen Abendmahlverhörs zum Ausdruck. Ursprünglich hatte das Verhör nur das Abendmahl zum Thema. Die fünf Fragen bezogen sich alle auf das Abendmahl, das redite Verständnis und den rechten Empfang des Sakraments (Cohrs IV, S. 159; WA 11, S. 79 f.), aber nach und nach wurde das Verhör umfassender und bezog «idi auf den ganzen Katediismus. 23

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2 5 WA 12, S. 215 ff. Ober seine Pläne schrieb er bereits im Oktober an Hausmann {Br. 3, S. 183). 2 8 Ibid.: Deinde petentes non admittat, nisi rationem fidei suae reddiderint, at interrogati responderint, an intelligant, quid sit caena domini, quid praestet, quo usu velint potiri. Scilicet, si poterint verba benedictionis memoriter recitare et exponere.

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Bedürfnis nach Gnade besteht 27 . Diese Prüfung ist auf jeden Fall so durchzuführen, daß nicht „digni et indigni" zu dem Tisch des Herrn laufen 2 8 . Die, die nicht antworten können, müssen ausgeschlossen werden; sie werden vorübergehend exkommuniziert 29 . Aber auch das äußere Leben muß mit Glauben und Lehre übereinstimmen. Lassen „vita et mores" zu wünschen übrig, so genügt das, um ausgeschlossen zu werden 30 . Aber welche Sünden? Gemeint sind offenbare Sünden, die jeder sehen kann und die Anstoß erregen 31 . Diese Sünden sind keine Todsünden, die für immer vom Abendmahl ausschließen. Hier ist nicht die Rede von reuigen Sündern, sondern von solchen, die schamlos und ohne Furcht sündigen 32 . Die Kommunikanten sollen sich im Chor versammeln, der öffentlichen Kontrolle wegen und damit sie sich auf diese Weise als Christen bekennen können 33 . Abschließend wird festgestellt, daß die Beichte eine völlig freiwillige Angelegenheit ist — wie es das Abendmahl auch sein soll: „nec necessaria, nec exigenda, utilis tarnen et non contemnenda." Vom konfirmationsgeschichtlichen Gesichtspunkt her stellt die Formula Missae einen bedeutenden Meilenstein innerhalb der Entwicklung dar. Die Privatbeichte ist hier teilweise zu einer Glaubensprüfung im Zusammenhang mit dem Abendmahl geworden M . Emil Hansen und J . F. Bachmann behaupten, „die Keimzelle der evangelischen Konfirmation" liege in dieser Entwicklung 35 , und weisen damit auf ein wesentliches Moment hin, auf das näher eingegangen werden muß. Die Formula Missae enthält ein Katechismusverhör. Aber nicht nur das, sondern auch eine Prüfung von Glauben und Leben und ein öffent2 7 Ibid.: Sese ideo venire, quod conscientia peccati aut timore mortis aut alio malo tentationis carnis, mundi, diaboli vexati, esuriant et sitiant verbum et signum gratiae et salutis ab ipso domino per ministerium Episcopi, quo solentur et confortentur, quale Christus inaestimabili Charitate dederit et instituent hac caena, cum diceret: „Accipete et comedite, etc." 2 8 Ibid.: N a m hoc ritu illud cavere volumus, ne irruant ad caenam domini digni et indigni, sicut hactenus vidimus fieri sub Romana Ecclesia. 2 9 Ibid. S. 216: N o s autem eos, qui respondere non poterint iuxta praedicta, prorsus exclusos et alíenos volumus ab istius caenae communione, tamquam veste nuptiali carentes. 30 Ibid.: Deinde ibi Episcopus viderit eos intelligere haec omnia, etiam hoc observabit, an vita et moribus eam fidem et intelligentiam probent. 3 1 Ibid.: si viderit aliquem scortatorem, adulterum, aebrium, lusorum, usurarium, maledicum, etc. 3 2 Ibid.: D e illis enim contemptoribus loquor, qui inverecunde et sine timore peccant et magnificia nihilo minus de Euangelio iactant. 3 3 Ibid.: quod oporteat eos palam videri et nosci tam ab iis, qui communicant, quam iis qui non communicant, quo deinde eorum vita quoque melius videri et probari et prodi possit. N a m huius communio caenae est pars confessionis, qua coram deo, angelis et hominibus sese confitentur esse Christianos. 34 Vgl. Zezsdiwitz I, S. 565; E. Hansen S. 13. 3 5 E. Hansen S. 15; Badimann S. 56.

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liches Auftreten im Chor, das als ein Bekenntnis aufgefaßt werden soll. Nachdem Luther noch darüber hinaus die Privatbeichte von allem obligatorischen Zwang gelöst und sie auf eine freiwillige Basis gestellt hatte, konnte sie leicht zugunsten der Abendmahlsprüfung völlig wegfallen. Letztere war nämlich nicht freiwillig, sondern obligatorisch. Selbstverständlich war man nicht gezwungen, zum Abendmahl zu gehen. Aber sowohl die starke traditionelle Bindung an die Sakramente, die die Menschen jener Zeit prägte, wie auch die in der Verkündigung immer wiederkehrende Aufforderung, den Tisch des Herrn aufzusuchen, führten zu einem gewissen Zwang in Verbindung mit der Abendmahlsprüfung 36 . Nur die, die mit der Kirche brachen, d. h. ein gottloses Leben führten, konnten dem entgehen. Das starke Moment der Sündenerkenntnis, das die Formula Missae bei den Abendmahlsgästen voraussetzt, konnte ebenfalls die Privatbeichte überflüssig machen. Die Abendmahlsprüfung konnte zu einem Ersatz der Privatbeichte werden. Ein anderer Punkt in der Formula Missae, der diese Entwicklung förderte, war die Bestimmung über die Häufigkeit der Abendmahlsprüfungen. Luther meinte, daß bei einigen eine jährliche Prüfung genügte, und bei anderen, die sehr solide Kenntnisse der christlichen Lehre besaßen, eine Prüfung „semel in tota vita". Wieder andere bedurften gar keiner 37 . Dadurch entstand eine Möglichkeit, die Funktion der Abendmahlszucht zu einer einmaligen Prüfung zu vereinfachen, die eine allgemeine Admissio für das ganze Leben gewährte. Was Luther mit seiner Formulierung eigentlich meint, kommt vielleicht am deutlichsten in dem Anhang zu seinem „Unterricht der Visitatoren", in der Ausgabe von 1538, zum Ausdruck: Personen, von denen wir wissen, daß sie „wol berichtet" sind, ein Pfarrer oder Prediger, die täglich mit dem Worte Gottes umgehen, müssen das Sakrament ohne Beichte und Verhör empfangen können. Er gehe selber oft, damit kein Gesetz daraus werde, ohne zu beichten zum Abendmahl 38 . Aber obwohl dies als ein Ausnahmefall gedacht ist, wird die Ausnahme leicht zur Regel; und die Entwicklung verläuft in dieser Richtung. Geht man näher auf die lutherische Beichte, ihren theologischen Inhalt und die Art, wie Luther dieses Element des Glaubens verkündigt, ein, so se

Ein Verächter des Sakraments galt nicht als Christ. Vgl. KI. Kat. Vorwort: Wer das Sacrament nicht sucht oder begehrt zu wenigsten einmal oder vier des Jahrs, da ist zu besorgen, dass er das Sacrament verachte und kein Christ sei (WA 30 I, S. 237). 37 WA 12, S. 215: Arbitror autem hanc interrogationem scu explorationem sufficere, si semel in anno fiat cum e o , . . . ut vel semel in tota vita vel prorsus nunquam interrogetur. 38 Sehl. I, S. 160 Anm. 1: Und ich Doctor Martin selbs, etlich mal ungebeichtet hinzu gehe, das ich mir nicht selbs eine nötige gewonheit mache im gewissen, doch wiederumb die beichte brauche, „unser Pfarher Caplan, M. Philipps und solche leute" will er nicht zur Beichte zwingen (WA 30 III, S. 566.30).

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ist zu sehen, daß er zwischen Beichte und Abendmahlsprüfung keinen Unterschied macht, sondern sie in einem behandelt 39 . In seiner Palmsonntagspredigt 1524 beschäftigt sich Luther mit der Beichte und dem, was er mit ihr verbindet. Zum ersten Mal nach dem Erscheinen der Formula Missae sollte eine Abendmahlsprüfung durchgeführt werden. In seiner Predigt unterscheidet Luther drei Formen der Beichte: 1. Die erste und wichtigste ist „coram deo, confessio fidei". Der Mensch beklagt seine Not und bekennt seine Sünde vor Gott. „Haec confessio tam necessaria est." 40 Dieses ist die Beichte des Glaubens. 2. „Confessio ad proximum et charitatis est", ist nach Jak. 5 das Bekenntnis vor dem, an dem man sich versündigt hat. Das ist die Beichte der Liebe41. 3. „Coram sacerdote" ist vom Papst und nicht von Gott geboten. Aber geht man zu dieser Beichte aus einem inneren Drang, mit einem leidenden und angefochtenen Gewissen und dem Bedürfnis, das Evangelium zu hören, dann ist es eine notwendige Beichte42. Die kirchliche Beichte konnte daher — im Prinzip — bei Luther niemals obligatorisch werden. Das Gewissen hatte sowohl die Beichte des Glaubens wie die der Liebe nötig, während die kirchliche Beichte, das Bekenntnis vor dem Pfarrer, im wesentlichen eine Einrichtung für die im Glauben Schwachen war 43 . Der im Glauben Starke bedarf prinzipiell keiner Beichte. Aber wer hat einen so starken Glauben 44 ? Was die kirchliche Beichte betrifft, so ist für Luther die Absolution das wichtigste: „Die Absolution ist das fürnehmste Stück in der Beichte."45 Nicht die endlose Aufzählung von Sünden und ausreichende Reue und Buße sind entscheidend. Luther hält noch nicht einmal die Erwähnung aller bewußten Sünden für nötig. Es kann Sünden geben, über die sich ein Christ so sehr schämt, daß er sich außerstande sieht, sie vor seinem Beichtvater auszu39

Vgl. W A 15, S. 481 ff., w o von der einzuführenden Abendmahlszudit die Rede ist, wobei die Beichte zum Hauptthema wird. Luther scheint offenbar nicht daran zu denken, daß Beichte und Abendmahlsprüfung ineinander aufgehen. Für ihn ist dies Beichte (confessio). Aber er tadelt, daß die Leute aus alter Gewohnheit nur Ostern zum Abendmahl gehen (S. 482.15). Er spricht oft von Beichte im Zusammenhang mit dem Abendmahl (vgl. z. B. Ein Sermon von der Beicht und dem Sakrament, WA 15, S. 438 ff.; Sendschreiben an die zu Frankfurt a. M., 1533, W A 30 III, S. 565 ff.). 40 WA 15, S. 483. 41 Ibid. 42 Ibid. S. 484, vgl. audi W A 30 I, S. 233, und 30 II, S. 287. Zu dem oben erwähnten siehe Andren S. 32 ff. und O. H o f : Die Privatbeichte bei Luther, 1947, S. 6 ff.; Klein S. 77. 43 W A 10 III, S. 63. Vgl. Andren S. 36. 44 WA 10 III, S. 63; Hof S. 8. 45 WA 17 I, S. 177.3; 27, S. 97.7; vgl. H o f S. 7; H . Fuglesang-Damgaard: Die Wiederbelebung der Privatbeichte, in: ZSTh 1933, S. 487 ff.

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sprechen. In dem Fall soll er sprechen: Ich habe noch viele Sünden begangen, die mich schwer bedrücken, bete, daß sie mir vergeben werden und daß ich von ihnen frei werde46.' Als erstes sucht man durch die Beichte die Absolution zu erlangen. Und sie gründet sich auf das klare Wort Gottes, das dieser Handlung sowohl Mandat wie Verheißung verleiht. Wer diese Verkündigungsform des Evangeliums verwirft, der ist ein „Verächter des Wortes Gottes" 47 . Privatabsolution und Predigt sind zwei Seiten ein und derselben Sache. Aber in der Anfechtung bedarf es der Absolution, denn der Angefochtene vermag es nicht, sich die Predigt anzueignen, die sich an alle wendet — er braucht eine persönliche Versicherung48. Die Größe der Beichte besteht in der Applikation. Die Zusage der Sündenvergebung erhält eine ganz persönliche Adresse49, und die hat der Angefochtene nötig. Mit diesem Verständnis und diesem Inhalt mußte die Beichte ein organischer Teil der lutherischen Lehre werden. Mit einem gewissen Recht behauptet Kliefoth, daß die lutherische Reformation in der Klosterzelle geboren wurde, als nämlich der Mönch Luther durch die Absolution Trost fand 5 0 . Luther griff ja in seinem Kampf gegen die alte Lehre auch diesen Punkt an, er kämpfte um die Reinigung der Buße und gegen den Ablaß. Für die zentrale Stellung, die dieser Punkt im Luthertum einnahm, ist die Absolution der beste Beweis. Sie nahm oft, zusammen mit der Taufe und dem Abendmahl, den Rang eines Sakraments ein (Apol. XII, siehe oben I 2). Solange das Gewicht auf der Absolution lag, befriedigte die Beichte ein tiefes Bedürfnis und war fest in Gottes Wort verankert. Sie wurde daher ohne Meinungsverschiedenheiten in die Augustana aufgenommen. Hier wird die „absolutio privata" hervorgehoben, während die „enuntiatio omnium delictorum" nicht nötig ist 51 . Die nähere Begründung in der Augustana, Art. XXV, verbindet jedoch die Beichte eng mit dem Abendmahl und der vorhergehenden Prüfung. In den lutherischen Kirchen hält man deshalb an der Beichte fest, weil es nicht Sitte ist, den Leib 46

WA 17 I, S. 177.15. W A 17 I, S. 177.7; Hof S. 9. 48 WA 8, S. 178. Vgl. Luthers Schreiben nach Rostock 1531: Ein Predikant hat sich gegen die Privatbeichte geäußert. Luther will, daß er zurechtgewiesen wird: „ . . . i s t aus vilen vrsachen gut, das gedachte privata absolutio erhalten werde" (WA Br. 6, S. 225.15). 49 WA 30, III, S. 570.17; H o f S. 10. 50 Th. Kliefoth: Die Beidite und Absolution, Liturg. Abh. II, 1856, S. 254. 51 Bekenntnissdiriften Art. X I , S. 63: De confessione docent, quod absolutio privata in ecclesiis retinenda sit, quamquam in confessione non sit necessaria omnium delictorum enuntiatio. Est enim impossibilis iuxta psalmum: Delicta quis intelligit etc.? 47

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des Herrn auszuteilen „nisi antea exploratis et absolutis" 52 . Man merke sich jedoch, daß die „exploratio" hier im wesentlichen auf die Absolution abzielt, von einer allgemeinen Katechese ist weniger die Rede. Der ganze Artikel konzentriert sich auf die Absolution, „welche das Hauptstück und das furnehmbst darin ist" 5 3 . Die Apologie, Art. X I , enthält dieselbe Auslegung 54 . Doch bietet sich hier die Möglichkeit eines weiteren Beichtverhörs 55 . „Rüdes" (und „Jugend", wie in dem deutschen Text hinzugefügt wird) können von verständigen Pfarrern examiniert werden. Also nicht nur Bekenntnis der Sünden und Absolutions- und Abendmahlsunterricht, sondern auch eine examinatorische Katechese beginnt sich geltend zu machen. 2. Die Spannung zwischen Confessio- und in der Admissio

Katechesemotiv

Der vorhergehende Abschnitt hat gezeigt, daß die Beichte eng mit der Abendmahlsvorbereitung verbunden wurde. Ursprünglich setzte sich die Beichte aus drei Momenten zusammen: Sündenbekenntnis mit Absolution, Kirchenzucht mit Schlüsselgewalt und Prüfung der Kenntnisse mit Hilfe des Katechismus. Das erste Moment wurde bereits sehr früh abgeschwächt. Bei der ständigen Hervorhebung der Freiheit in Fragen der Beichte und dem heftigen Kampf gegen die Aufzählung von Einzelsünden konnte es auch gar nicht anders sein; das Bekennen besonderer Sünden fiel nach und nach weg. Wir sehen audi, daß bereits Luther allgemeine Formulare für das Bekenntnis der Sünden einführte, die dann die Stelle des Beichtspiegels einnahmen Zwar konnte von der Schlüsselgewalt Gebrauch gemacht werden, aber das war äußerst selten der Fall, nur bei wirklich offenbaren Sündern, wenn der Betreffende nicht Buße tun wollte 2 . Mangelhafte Kenntnisse hatten jedoch keine Zurückweisung mehr zur Folge — sondern mehr Unterricht, der auch einen Teil der eigentlichen Beichtfunktion ausmachte. 5 2 Art. X X V , S. 9 7 : Confessio in ecclesiis apud nos non est abolita. Non enim solet porrigi corpus Domini nisi antea exploratis et absolutis. E t docetur populus diligentissime de fide absolutionis, de qua ante haec tempora magnum erat silentium. Docentur homines, ut absolutionem plurimi faciant, quia sit vox Dei et mandato Dei pronuntietur. 53 Ibid.: „ d o c e t u r . . . de fide absolutionis." Vgl. S. 100 und Art X X V I I I über Potestas clavium; vgl. ebenfalls Luthers Fünf Fragen, 1523 (Cohrs IV, S. 161 f.). 54

Bekenntnisschriften S. 249.

Ibid. S. 2 5 1 : Si sint boni pastores, scient, quatenus prosit examinare rudes. W A 30 I, S. 343 f. Selbstverständlich wurde immer nodi vorausgesetzt, daß besondere Sünden gebeichtet werden mußten (vgl. S. 343.17), aber es war einfacher, zu den Formularen zu greifen. Vgl. A. Andrén S. 38. 2 Α. Andren S. 3 9 — 4 0 . 55

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Die Forderung nach Kenntnissen wurde daher zu einem beherrschenden Moment. Durch die Katechismusausgaben 3 wurde diese Forderung dem Bewußtsein des Volkes so stark eingehämmert, daß sie sowohl bei dem Pfarrer wie auch bei dem Beichtkind einfach haften bleiben mußte. Hier handelt es sich ja auch um eine konkrete und handgreifliche Prüfung, während die anderen Momente eher eine Ermessenssache sind. Außerdem herrschte eine überaus große Unwissenheit. Es mußte etwas geschehen. Gelegentliche Visitationen reichten nicht aus. Eine ständige Kontrolle war nötig, und diese wurde am Zugang zu dem Tisch des Herrn eingebaut. Admissio wurde zu einer engen Pforte des Wissens. Die Frage nach ausreichenden Kenntnissen war von der römischen Kirche ebenfalls versäumt worden. In diesem Zusammenhang schreibt Luther über den „Schlüssel der Erkenntnis". Nicht nur der Löse- und Bindeschlüssel soll gebraucht werden, sondern auch der Schlüssel des Wissens 4 . Für den Papst bedeutet „clavis scientiae", daß er über jeder Lehre steht und in allen weltlichen und religiösen Fragen der Lehre Schiedsrichter ist. Christus gab aber seine Kirchenschlüssel „zum himelreich und nicht zum erdreich, wie er spricht: Es sol jm himel los sein" 5 . Der Schlüssel des Wissens ist jedoch nicht der in Mt. 16 und 18 erwähnte Löse- und Bindeschlüssel. Nein, das ist „gantz und gar ein ander schlüssel". Uber den Schlüssel des Wissens spricht Christus in Lk. 11. Er ist „Lere schlüssel". Und er wurde gegeben, um das Volk zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen, damit es weiß, wie es Gott dienen soll und selig werden kann®. Die Pharisäer haben diesen Schlüssel mißbraucht. Sie besaßen ihn, aber mit seiner Hilfe verschlossen sie den Menschen das Himmelreich (Mt. 23). Mit der Auffassung, die die Katholiken von dem Schlüssel des Wissens haben, verhält es sich nicht viel besser. Bischöfe und Priester sind der Meinung, daß sie durch diesen Schlüssel wissen können, wie es um das Heil des einzelnen Menschen bestellt ist. Luther nennt dies „Wisseschlüssel", aber es ist nichts als „Feil Schlüssel", denn das Wissen, das uns Gott gegeben hat, ist nicht Kenntnis des Einzelmenschen, sondern Kenntnis des Wortes Gottes. Letzteres soll uns der „Schlüssel der Erkenntnis" öffnen. Deshalb sollen wir uns an ihn halten 7 . Vgl. Vorwort Kl. Kat., W A 30 I, S. 264 ff. Von den Schlüsseln, 1530, W A 30 II, S. 488 ff. 5 Ibid. S. 490.16. 6 Ibid. S. 491.20. 7 Ibid. S. 4 9 2 . 1 0 : Aber das wissen, davon sie den schlüssel nennen, nemlidi, das man wissen sol, wie der mensch fur Gott stehe, das ist nichts und machet den schlüssel 2 u m Feil schlüssel, Darumb wollen wir solchen Wisseschlüssel nicht haben noch leiden, so wenig als den Feil schlüssel. Und sollen alle beide jnn der Christenheit nicht s e i n . . . Wir wollen den gemeine Lere schlüssel und darnach fur die, so da sundigen, den rechten Bindeschlüssel und Löseschlüssel haben und behalten. 3

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Luther will jetzt den Schlüssel der Erkenntnis auch in der Beichte angewandt wissen, um „rohes Volk" zu unterweisen. Ihnen muß deutlich erklärt werden, was das Abendmahl ist. Sie können nicht „unverhört" zum Sakrament eilen, „wie die zew zum tröge, laufen lassen" 8 . Bei der „exploratio" ist der Schlüssel der Erkenntnis in Funktion mit dem Ziel, daß „man die leute zum erkentnis führen sol, das sie lernen und wissen, wie sie Gott dienen und selig werden" 9 . In der ersten Zeit der Visitationen unterstreicht Luther diese Seite der Beichte. Er macht jetzt sehr stark geltend, daß die jungen Leute (Jugend) nicht nur zur Beichte kommen „allein darumb . . . das sie sunde erzelen, sondern das man sie verhöre.. ." 10 . Und nun ist es völlig klar, daß es sich nicht nur um ein Abendmahlsverhör, sondern um Katechese in weiterem Sinne handelt: Jugendliche und Laien sollen in den verschiedenen Teilen des Katechismus geprüft werden u . Luther hatte jedoch das eigentliche Ziel der Beichte, nämlich das Bekenntnis der das Gewissen quälenden Sünden und die Zusage der Vergebung, in seiner Verkündigung so sehr hervorgehoben, daß dieses Moment sich nicht so einfach aus dem Akt ausscheiden ließ. Es ist behauptet worden, das Glaubensverhör der Admissio sei „etwas total anderes als die lutherische Privatbeichte" 12 . Albrecht Schönherr, der zu diesem Resultat gelangt ist, hat in seiner Arbeit über die lutherische Beichte alles Gewicht auf die Gegensätze in dieser Handlung gelegt: das Glaubensverhör ist „Warnung und Sicherung", während die Privatbeichte das genaue Gegenteil, nämlich „freundliche Einladung" ist 13 . Von dem Glaubensverhör rührt alles Gesetzliche und Pädagogische her, von der Privatbeichte all das, was auf Freiheit und Seelsorge abzielt 14 . Trotz der Wahrheitsmomente, die sich in einer solchen Unterscheidung finden, ist Vorsicht geboten, damit die Einheit der lutherischen Admissio nicht zerbricht. Sammelt man das Material, das die innerste Eigenart der editen lutherischen Privatbeichte zum Ausdruck bringt, und legt man dasselbe Verständnis an das Glaubensverhör in seiner engsten pädagogischen Ab8

W A 30 III, S. 567.14—20. Der Schlüssel der Erkenntnis ist nicht direkt (als Begriff) in Verbindung mit der admissio bei Luther erwähnt, aber seinem Wesen nach ist er in dem katechetischen Element der Admissio enthalten, er soll dem Abendmahlsgast die Wahrheit Gottes erschließen. (Vgl. 30 II, S. 491.20). Vgl. N y m a n S. 158. » W A 30 II, S. 491.20. 10 WA 30 III, S. 566.35: beichten nicht allein darumb geschieht, das sie (die Jugend) sunde erzelen, sondern das man sie verhöre, ob sie das Vater unser, Glauben, Zehen gebot und was der Catechismus mehr gibt, können. 11 Ibid. und S. 567.20: Also sol man vor die groben leute verhören und auff sagen lassen, ob sie die stuck des Catechismi wissen und ob sie die Sunde da widder gethan verstehen und hinfuhr mehr lernen und sich bessern wollen . . . 12 A. Schönherr: Lutherische Privatbeichte, 1938, S. 17. 13 14 Ibid. S. 17. Ibid. S. 19.

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sieht an, dann zerfallen die beiden Funktionen in zwei getrennte Kreise. Diese Art, das Thema zu behandeln, ist jedoch viel zu theoretisch. Die praktisch-geschichtliche Entwicklung war entscheidend, und hier wuchsen die beiden Glieder zu einer organischen Einheit in der Admissio zusammen. Beide kamen unter dasselbe Dach. Luther schuf nämlich nicht zwei getrennte Beichtinstitutionen, eine für den Schlüssel der Erkenntnis und eine für den Löse- und Bindeschlüssel, sondern in der Praxis ließ er sie beide im Akt der Admissio aufgehen. Er unterschied die beiden Institutionen nur aus lehrmäßigen und formalen Gründen. In der Anwendung gehörten beide zusammen 15 . Admissio wurde zu einer Ellipse mit zwei Brennpunkten: Beichte und Glaubensverhör. Zweifelsohne hat Erich Roth darin recht, daß man das lutherische Glaubensverhör falsch versteht, wenn man es nur zu einer pädagogischen Angelegenheit und zu einer ausschließlich wissensmäßigen Belehrung und Prüfung herabwürdigt. Dies wird um so deutlicher, wenn man Luthers Glaubensprüfung mit der katholischen Beichtprüfung vergleicht. In der römischen Kirche handelte es sich um konkrete ethische Vorschriften, die mit ihrer Moraltheologie zusammenhängen. Es ging hier um eine satisfaktorische Bußübung, „ein Exercitium christlicher Pädagogik" 16 . Nicht so bei Luther. Bei ihm gilt es, den Schlüssel „zum Erkenntnis" wirken zu lassen17. Der katholische Schlüssel der Erkenntnis bezieht sich auf die Moralpädagogik, der lutherische dagegen auf Verkündigung und Seelsorge. Einer der deutlichsten Beweise für die Bezogenheit auf die Verkündigung und die organische Einheit in der lutherischen Beichte findet sich vielleicht in Luthers Frankfurter Schreiben von 1533 18 . Das Verhör soll die Katechismuskenntnisse kontrollieren und feststellen, ob der, der das Abendmahl begehrt, von der Sünde ablassen will 1β . 15 Vgl. E. Roth: Die Privatbeichte und die Schlüsselgewalt in der Theologie der Reformatoren, 1952, S. 58 f. 18 Roth S. 57. 17 WA 30 II, S. 491.20. Roth verweist hier auf S. 459.5, w o die Rede von dem Löse- und Bindeschlüssel ist, der „zorn und gnad" wirkt (Roth S. 56 f.). Aber hier liegt eine Verwechslung der Begriffe vor. Luthers Absicht ist ja gerade die Unterscheidung des „Schlüssel der Erkenntnis" vom Löse- und Bindeschlüssel, er will zwischen Mt. 16/18 und Lk. 11 unterscheiden. 18 Ein brieff an die zu Frankfort am Meyn, 1533. Vgl. hierzu auch W A 30 III, S. 558 ff. 19 Ibid. S. C iiij; 30 III, S. 567.10 Deshalb war audi das Sündenbekenntnis von Anfang an mit dem Katechismusverhör verbunden (s. Unterricht der Visitatoren, Sehl. I, S. 162: in solchem V e r h ö r . . . audi vermahnt werden zu beichten), oft fiel es daher schwer, sie von einander zu unterscheiden. L. Klein behauptet, daß sich dies bereits am Sprachgebrauch zeigt, da beide Begriffe wechselweise vorkommen (Klein

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Ein besonderes Interesse beansprucht in diesem Zusammenhang Luthers etymologische Erklärung des Wortes Beichte. Althochdeutsch hatte es die Form „Bejicht", und von dieser Form kommt auch das Wort „Bischoue", das eigentlich „Confessores", „Bejichter", d. h. Bekenner bedeutet 20 . Er bedauert, daß der Buchstabe j aus dem Wort verschwunden ist und daß es so zu „Beichte" wurde, einem Wort mit vereinfachter und einseitiger Bedeutung. Wer zur Beichte kommt, soll „ein Bejichter", ein Bekenner sein, der nicht nur „sunde wissen zu erzelen / Sondern auch daher auif sagen / was er vom glauben vnd Christo gelernt hat / . . ." 21 . Admissio ist also umfassender als die ursprüngliche Beichte. Hier sind nicht nur Sünden zu bekennen, sondern es soll auch ein positives Bekenntnis des Glaubens an Christus abgelegt werden. Das war das Ideal. „Exploratio" sollte nicht nur prüfen, ob der Beichtende seinen Katechismus beherrschte und ein reuiger Sünder war; ihr eigentliches Ziel lag darin, dem Abendmahlsgast zu einem lebendigen Bekenntnis seines Glaubens an Christus zu verhelfen. Bei dem Verhör wurde indessen die Fragemethode angewandt, um ein solches Bekenntnis hervorzurufen. Die Antwort, die man, meistens in der Formulierung des Katechismus, erhielt, wurde als persönliches Bekenntnis aufgefaßt. Die Katechese nahm also einen immer größeren Raum in der Admissio ein. Ihre Methode vermochte nicht nur das Wissen zu kontrollieren, sondern diente auch als Anregung zur Beichte. In den späteren Jahren Luthers spürt man eine merkbare Resignation, wenn es darum geht, mehr aus der Kirchenzucht herauszuholen. In einer Predigt vom Jahre 1537 klagt er darüber, daß die Welt so fromm geworden ist, daß sie keinen Bann mehr nötig hat 22 . In beißendem Ton spricht er von denen, die in Teufels Namen so fromm sind, daß sie, obwohl sie bis zum Hals in Sünden und Lastern stecken, dennoch keine Sünden haben, die vom Bann getroffen werden könnten! Deshalb hat S. 79). Das Hauptgewicht lag aber auf dem katechetischen Element, so daß auch das Beiditverhör den Charakter einer Prüfung der Kenntnisse annahm (Klein S. 80). 20 Ibid.: Vnd solchs gibt auch das alte deudsch wort Bejicht / da her man man die heiligen Bisdioue nennet / Confessores / Bejichter / das ist bekenner / Denn bejichten heisst bekennen / wie audi im Gericht / das wort noch jnn vbung ist / Vrjicht / vnd man sagt / das jicht er / das hat er bejicht, etc. Vnd sind zwey vnterschiedlich + j + jnn dem wort Bejicht / Weichs mit der zeit ist jnn ein + j + verwandelt / vnd durch misbrauch / Beicht / als mit einem + j + geschrieben vnd geredt ! . . . Daumb sol ein Bejichter / oder bekenner / nicht allein sunde wissen zu erzelen / Sondern auch daher auff sagen / was er vom glauben vnd Christum gelernt hat / . . . (C iiij) (30 III, S. 567.30 ff.). — Luther erwähnt in diesem Zusammenhang nicht das griediisdie episcopos, wahrscheinlich deshalb, weil er die besondere Auslegung, die er in diesem Fall auszudrücken wünscht, nicht zerstören will. 21 Ibid S. C iiij; 30 III, S. 568.5. 22 W A 47, S. 289.38 ff. Er bezieht sidi hier auf den kleinen Bann, d. h. den Gebrauch der Schlüsselgewalt, um offenbare Sünder vom Abendmahl auszuschließen.

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es audi keinen Sinn, „unser Ban des lebens halben" weiterhin aufrechtzuerhalten. Aber eine Sünde gegen die Lehre, so hebt er mit Nachdruck hervor, soll auf jeden Fall bestraft werden! Und das ist ja der wichtigste Teil des Bannes. Denn wo die Lehre falsch ist, wird auch das Leben verkehrt, aber wo die Lehre rein ist und aufrechterhalten wird, da kann die Sünde bekämpft und ein rechtes Leben geführt werden. Sätze wie diese illustrieren in lebendiger Weise, auf welche Schwierigkeiten man bei der Aufrechterhaltung der Beichte im eigentlichen Sinne stieß. Diese Aussage wurde im Gedanken an das ganze Volk formuliert. Luther klagt besonders den Adel und den Hofstaat an, daß sie zu fein seien, um zu beichten und sich der Kirchenzucht zu beugen 23 , was selbstverständlich nicht ausschließt, daß die wahrhaft Frommen zur Beichte gingen. Aber man resignierte mehr und mehr gegenüber der großen Masse des Volkes, die zwar zur Kirche gehörte und zum Abendmahl kam, doch ohne ausreichende Sündenerkenntnis und oft ohne den Willen, sie zu bekennen: „Wir können diesen Ban nicht auifrichten." 24 Das Lehrverhör mußte genügen. Der Schlüssel der Beichte wurde mehr und mehr zu dem Schlüssel der Erkenntnis 25 . Noch deutlicher tritt diese Tendenz in den Schmalkaldischen Artikeln 1537 zutage. Hier begegnet man einer doppelten Motivierung der Beichte: 1. „vmb der blöden gewissen willen", 2. „auch vmb des jungen rohen volcks willen, damit es verhöret vnd vnterrichtet werde inn der Christlichen lere." 2 6 Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen der Katechese, auf die hier hingewiesen wird, und der, die in Augustana und Apologia erwähnt wird 2 7 . Dort zielte sie auf die eigentliche Absolution und das Abendmahl als unterweisende und seelsorgerische Hilfe für die erschreckten Gewissen ab. Dieser Unterricht entsprach der Natur und der Zielsetzung der Beichte. Hier jedoch steht die Katechese als selbständiges Moment neben der Absolution. Und es handelt sich um die ganze „Christliche lere". Wahrscheinlich haben die schlechten Erfahrungen der Visitatoren zu Beginn der dreißiger Jahre zu diesem Resultat geführt — und das in der kurzen Zeit seit der Augustana von 1530. Die Unwissenheit im Volke war so groß, daß Schulen, Predigten, Katechesation und Visitation nicht ausreichten. Immer noch kamen rohe und unwissende Menschen zum Abendmahl. Und der Beichtstuhl mußte bei 2 3 Brief an Lauerbach, WA Br. 10, S. 248 (2. April 1543), wo er audi von den „Centauri et H a r p y a e " , wie er scherzhaft den Hofstaat nennt, spricht. Calvin focht die Kirdienzuchtfrage mit seiner Obrigkeit durch, die nachgeben mußte. Die Lutheraner setzten hier nicht hart gegen hart, sondern begnügten sich mit der Lehrzucht (vgl. Maurer S. 21). 2 4 WA 47, S. 290.2. 2 5 Vgl. zu dieser Entwicklung auch Fuglesang-Damgaard S. 489 ff. 2 9 Von der Beicht, WA 50, S. 244.15; Bekenntnisschriften S. 453. 2 7 Vgl. o. S. 94 f.

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dem Unterricht und der Erziehung des Volkes helfen. Aber dadurch erhielt die Absolution leicht eine neue Prägung, die im Widerspruch zu ihrem gnadenverleihenden Wesen stand, denn die Absolution ist reine Zusage der Gnade, ohne irgendwelche Bedingung. Die selbstverständliche Voraussetzung für die Beichte, die Luther vorschwebte, war völlige Freiwilligkeit. In dem Falle kam das erschreckte und angefochtene Gewissen zur Beichte, das keine Prüfung seiner Kenntnisse oder seiner Rechtschaffenheit nötig hatte, sondern es brauchte nur gehört zu werden und die bedingungslose Zusage der Gnade zu erhalten. Wir müssen uns Holmström darin anschließen, wenn er behauptet, daß in die lutherische Beichte ein für ihre weitere Entwicklung verhängnisvolles Moment eingedrungen ist 2 8 . Nun war es bis zum Zwangscharakter der lutherischen Beichte nicht mehr weit. Unglücklicherweise machte man von Anfang an keinen deutlichen Unterschied zwischen der eigentlichen Beichte und der Zulassung zum Abendmahl. Seit dem Eindringen des examinatorischen und informatorischen Elements in die Beichte war auch das Zwangsmoment nicht mehr fern. Und man ging noch einen Schritt weiter: Weil man nicht an dem ursprünglichen Gedanken festhielt, daß die, deren Wissen nicht ausreichte, abzuweisen waren, bis sie sich woanders die nötigen Kenntnisse erworben hatten, erhielt die Beichte auch eine unterweisende Funktion. Durch die Adoption der examinatorischen und informatorischen Katechese war die Beichte im Begriff, „pädagogisiert" zu werden 29 . Wir werden im Verlauf der weiteren Darstellung näher auf diese Entwicklung eingehen. Mehrere Forscher haben behauptet, daß Melanchthons doppelter Amtsbegriff, so wie er in der Apologie formuliert ist, ein fremdes Element in die lutherische Beichte einführte 30 . Er teilte das Amt in zwei Machtbereiche auf: „potestas ordinis" und „potestas iurisdictionis" 31 . Letzterer umfaßt die Schlüsselgewalt mit dem Exkommunikations- und Wiederaufnahmerecht. Melanchthon versucht hier, der katholischen Auffassung ein evangelisches Verständnis zu geben; das konnte jedoch leicht dazu führen, daß die evangelische Auffassung des Amtes als einer Einheit zerbrach. Der Pfarrer erhielt neben dem Evangelium richterliche Macht. 2 8 Holmström S. 73; vgl. audi W. Rott, S. 22. Klein weist hier auf die Gefahr hin, daß das Volk die Absolution als Belohnung für seine Katediismuskenntnisse empfangen könne (S. 81). 28 Man merke sidi, daß sich die Wittenberger Concordie 1536 auf derselben Linie bewegt. Art. V I I I : Ideo docemus i ecclesiis privatim absolutionem necessario retinendam esse et docendos homines, ut ea p e t a n t . . . Retinemus igitur confessionem arc a n a m . . . N a m in ea confessione explorati fides indoctorum potest, ut instituantur, et saepe opus est imperitis Consilio. (Vgl. den Text in Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus 2, 1905, S. 48 und 50.) 30 Vgl. Ä. Andren S. 50 fi.; E. Roth S. 64 ff.; N y m a n S. 164 ff. 3 1 Apologia, Art. X X V I I I ; Bekenntnissdiriften S. 400.

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„Potestas iurisdictionis" kristallisierte sich in der Beichte ohne Schwierigkeiten zu einer richtenden Funktion heraus, die die Verkündigung des Evangeliums und den Glauben verschwinden ließ 32 . Die „iurisdictio" trat in den Vordergrund. Prüfung und Strafe wurden die Hauptsache, und der Verkündigungscharakter der Absolution wurde entsprechend geschwächt. Die Prüfung der Kenntnisse wurde mehr und mehr zu einem vorherrschenden Faktor. Die Vorbereitungen zum Beichtgang verliefen in derselben Richtung. Luther lehnte die katholische Sitte keineswegs ab, nicht einmal das Fasten 33 . Aber als wichtigste Vorbereitung galt auf evangelischer Seite das Lesen des Wortes Gottes, und zwar mit einem doppelten Ziel: Einerseits soll man sich nach dem Gesetz Gottes prüfen, indem man es als Beichtspiegel benutzt, um seine Sünden zu erkennen. Andererseits ist um der rechten Kenntnisse willen der Katechismus einzuüben. Diese beiden Momente kehren auch in dem eigentlichen Beichtverhör wieder 34 . Aber da der Beichtende nicht verpflichtet war, seine persönlichen Sünden zu bekennen, konnte dieses Glied leicht wegfallen, so daß nur das Katechismusmoment übrig blieb. Man konnte jedoch nicht damit rechnen, daß jegliche Vorbereitung mit dem Erscheinen des Abendmahlsgastes abgeschlossen war. Sehr oft trifft man auf Klagen über die schlechten Kenntnisse, und die römische Kirche muß die Schuld an diesem Zustand auf sich nehmen 35 . Aber nicht immer lag es an dem Unwillen der Kommunikanten, sie waren weder gottlos noch abtrünnig. Ihnen fehlte nur das nötige Wissen. Sie mußten daher verständnisvoll behandelt, mußten unterwiesen werden. Auf diese Weise drang nicht nur der examinatorische, sondern auch der informatorische Unterricht in die Beicht- und Admissiofunktion ein 3e . Diese Entwicklung kommt auch in den Kirchenordnungen zum Ausdruck. Bereits die Preußische Ordnung von 1525 spricht sowohl von Unterweisung wie von Verhör während der eigentlichen liturgischen 32

Vgl. N y m a n S. 165 ff.; Ä. Andren S. 52. WA 12, S. 216: In Formula Missae sagte er: Sic de praeparatione ad coenam sapimus, ut liberum sit jejunio et orationibus sese componere. 34 Vgl. Kliefoth II, S. 355 ff. Seit 1520 wies Luther auf den Dekalog als Beichtspiegel hin. 35 K O Sachsen 1539. Es kommen Leute zur Beichte, „die keinen verstand und wenig gewissen h a b e n , . . . weldies daher kompt, das die leute unterm babstum gar nichts unterrichtet noch gelert sein" (Sehl. I, S. 268). 38 Vgl. Kliefoth II, S. 363 ff. Man kann mit W. Rott sagen, daß es eine traurige Entwicklung war, die von dem Beichtverhör zu einer Unterrichtsprüfung und zu einem ständig wiederholten Katechismusexamen führte. Diese schicksalschwere Vereinfachung zerstörte die eigentliche Beichte. Und auf lange Sicht war dies auch für den Katechismus von Übel (S. 22). Tatsächlich aber ließ sich die Beichte in einer Volkskirche, in der alle zum Abendmahl gingen, nicht anders handhaben, wenn man nicht den Beichtzwang persönlicher Sünden einführen wollte. 33

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Handlung 37 . Durch den „Unterricht der Visitatoren", 1528, gelangten diese Momente sowohl in die Kirchenordnungen wie auch in die Bekenntnisschriften. Das eigentliche Motiv besteht in dem Wunsch, die Heiligkeit der Sakramente zu schützen. Die Kirchenzucht wird bei offenbaren Sündern aufrechterhalten. Ansonsten handelt es sich um ein Katechismusverhör38. In erster Linie geht es um das Verständnis des Abendmahls, aber meistens um die Kenntnis des Katechismus überhaupt. Man merke sich, daß das Beichten der persönlichen Sünden in diese grundlegende Ordnung mitaufgenommen ist. Zwar steht der Beichtgedanke im Schatten des katechetischen Moments, dodi wurde er als Mahnung und offene Möglichkeit eingefügt: „ . . . ob er auch sonst rats bedürfe etc." Und es heißt, während des Verhörs „sollen die leute auch vermanet werden zu beichten" 39 . Die Sache selbst ist vorhanden, aber um der Freiheit willen muß man mit einer Ermahnung auskommen. Die katechetische Admissio ist dagegen eine unaufgebbare Forderung. Die Kirchenordnung von Braunschweig aus demselben Jahr führt die Sache weiter. Sie verwendet den Begriff der Beichte, und der Beichtende soll über seinen Glauben Rechenschaft ablegen 40 . Die Hamburger von 1530 und die Lübecker von 1531, die im allgemeinen auf die Braunschweiger zurückgehen, weisen die gleiche Ordnung auf 4 1 . Es hat den Anschein, als ob die vorsichtige Linie dieser ersten Ordnungen sich in den kommenden Jahren verfestigt und schärfer wird. Nahezu alle behandeln dieses Moment in einem besonderen Abschnitt. Der Terminus „Beichte" ist immer noch ein stehender Begriff. Die Wittenberger Kirchenordnung von 1533 ist ein deutliches Beispiel dafür, daß die Beichte immer noch eine lebendige Funktion hatte und nicht nur ein liturgisches Stück ausmachte. Es wird vorausgesetzt, daß die Beichte einen „langen bericht" fordern kann, die Pfarrer müssen daher besondere Zeiten verabreden; der gewöhnliche Zeitraum, Samstagabend, konnte zu knapp sein42. Die sächsische Ordnung von 1539 bringt auch genaue Vorschriften: „Wie in der beicht zu handeln", und rechnet mit Menschen zweier Kategorien: einige kommen, „ . . . sich für arme sünder bekennen", und sie erhalten die Absolution; anderen fehlen die Kenntnisse, und sie führen demnach im allgemeinen auch keinen christlichen Lebenswandel, diese sind zu ermahnen und zu unterrichten 43 . Die Kirchenord37

Sehl. IV, S. 33. Vgl. zu beiden Momenten Sehl. I, S. 160, 162. 39 Sehl. I, S. 160 und 162. Hier ist die Beichte bereits ein Teil des Verhörs. Vgl. Klein S. 78. In der Ausgabe von 1538 fügt Luther zu dem ersten Punkt einen Anhang hinzu, ohne die Beichtpflicht einzuschärfen. Er gewährt im Gegenteil eine größere Freiheit, vgl. S. 160 Anm. 40 Sehl. V i i , S. 383. 41 Sehl. V, S. 508, 351 f.; vgl. Maurer S. 11. 42 43 Sehl. I, S. 702. Ibid. S. 269. 38

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nung von Pommern von 1535 stellt den Katechismus als Bedingung für das Abendmahl auf, und wer besondere Sünden zu bekennen hat, muß das vor der Kommunion tun 44 . Diejenige von 1542 enthält öffentliches Katechismusverhör am Samstagabend und schließt mit einer Aufforderung zur privaten Beichte für „sunderlicke feil und gebreken" 45 . 1540 in Schmalkalden unterstreichen die Lutheraner, daß sie an einer mit Unterweisung verbundenen Beichte festhalten wollen 4e . Das katechetische Element der Admissio richtete sich in erster Linie auf das Abendmahl, auf die rechte Lehre und den rechten Gebrauch dieses Sakraments. Die Katechese will dem Abendmahl dienen. Die Ordnung der Mark Brandenburg von 1540 spricht daher von den erschreckten Gewissen und trägt dem Pfarrer auf, mit dem einzelnen „in Sonderheit" 47 zu sprechen, und die Beichte soll gerade „zu guter Unterweisung und kreftigen trost der gewissen" dienen 48 . Diese doppelte Linie, „Unterweisung" und „trost der gewissen", findet sich in den Kirchenordnungen während der ganzen Reformationszeit. Die Wittenberger von 1545 spricht davon, die Beichte „in rechter christlicher form" zu halten, was darin besteht, „das volck darin zu lehren, zu verh ö r e n " , u n d das soll sowohl „in gemein u n d in Sonderheit" geschehen 4 9 .

Der Unterricht geschieht hauptsächlich „in gemein", und der Trost durch die Absolution „in Sonderheit". Aber Unterweisung unter vier Augen ist auch nötig. Die Ordnungen von Sachsen (1539) und Mecklenburg (1552) denken hier besonders an die, die wenig während der Zeit des Papsttums gelernt haben und sich ihrer Unwissenheit schämen50. Diejenige von Pommern (1555) weist alle, die am Sonntag zum Abendmahl gehen wollen, auf die Beichte am Samstagabend hin. Sie sind zu verhören „insunderheit... underwiset und absolvirt werden" 51 . Aber die eigentliche Absolution muß immer „insonderheit... und nicht zween, drey oder mehr zugleich"52 geschehen und die vorhergehende Beichte ebenfalls: „privata absolutio." 53 Die Ordnung von Hoya von 1581 weist ebenfalls auf die beiden Momente hin: „fleißig unterweisen" und „einen jeden allein insonderheit absolviren" 54 . Die eigentliche Begründung des Unterrichts in der Beichte besteht in dem, was die Ordnungen von Sachsen und Mecklenburg so klar zum Ausdruck bringen: Wenn jemand zur Beichte kommt, der nicht weiß, was das Abendmahl ist, dann soll diesen Leuten eine gewissensprüfende Unterweisung zuteil werden, damit sie erkennen, „wie sie arme sünder sein, 44

45 Sehl. IV, S. 329 und 330. Ibid. S. 355. 47 Bedencken: De pace, CR III, S. 941. Sehl. III, S. 50. 48 49 Ibid. S. 60. Sehl. I, S. 212. 60 51 Ibid. S. 268; V, S. 206. Sehl. IV, S. 551. 52 Braunschweig-Wolfenbiittel 1569 (Sehl. V i i , S. 167). 54 « Ibid. Sehl. V l 2 , S. 1145. 46

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und gnaden bedürfen" 55 . Die Absicht des katechetischen Moments stimmte daher mit dem Grundgedanken der Beichte überein: Erkenntnis, Bekenntnis und Vergebung der Sünden. Aber die praktische Entwicklung der Handlung führte trotzdem zu einer Schwächung der ursprünglichen Absicht. Es konnte auch gar nicht anders sein, wenn aus der freiwilligen Beichte trotz prinzipieller Freiheit eine obligatorische wurde, und jemand, der nicht zum Abendmahl ging, unchristlich und Sakramentsverächter gescholten wurde 56 . Und da die Mehrzahl der Gemeindeglieder zur Beichte und zum Abendmahlsverhör kam, war es illusorisch, jeden einzelnen zu einer tieferen Sündenerkenntnis führen zu wollen. Wo eine solche Erkenntnis nicht schon vorher lebendig war, war es nicht einfach, sie während der Prüfung durch katechetische Mittel hervorzurufen. Die Entwicklung mußte daher unweigerlich in Richtung einer ausschließlich äußerlichen Lehrzuàtì verlaufen. Das Informationsmotiv hatte Eingang gewonnen, und das katechetische Admissiomoment wurde auch in der Abendmahlsvorbereitung vorherrschend. Die Lehrzucht wurde zum stärksten Faktor. 3. Die Admissio als

Konfirmationsmotiv

Im vorhergehenden haben wir gezeigt, wie Beichte und Abendmahlsprüfung in der Admissio zusammenflössen und sich auf eine Katechismusprüfung hin entwickelten. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Erstkommunion eine besondere Bedeutung erhalten mußte. Bei dem Jugendlichen, der zum ersten Mal zum Abendmahl ging, mußte die Admissioprüfung einen besonders gründlichen Charakter tragen. Es ging um nichts weniger als den christlichen Stand des jungen Menschen. Der Katechismus hob hervor: wer nicht die christlichen Grundwahrheiten lernen wollte, sollte auch nicht „zum Sacrament gelassen werden" 1 . Diese Prüfung nimmt dann einen allgemeinen Charakter an. Zwar sollte man auch später bei jedem weiteren Abendmahlsgang verhört werden, aber diese erste Admissio war entscheidend dafür, ob man überhaupt zugelassen wurde. Formulierungen der Kirchenordnungen wie „erstlich... zum tisch des Herren", „das erstmal zum heyligen Sacrament" 2 beziehen sich auf ihre Bestimmungen im Zusammenhang mit diesem Geschehen. In diesem Akt 55 Sehl. I, S. 268; vgl. außerdem Mecklenburg 1552 (V, S. 206), Wittenberg 1543 (I, S. 212), Pommern 1542 und 1555 (IV, S. 354 f., 551). 58 Vgl. Luther im Kl. Kat.: „Wer das sacrament nicht sucht nodi begerd zum wenigsten ein mal odder vier des iars, da ist zu besorgen, das er das sacrament verachte und kein Christen s e y . . ( W A 30 I, S. 276.25). 1 WA 30 I, S. 270.15. 2 Vgl. Straßburg 1534 (Richter I, S. 236), Pfalz-Neuburg 1543 (Richter II, S. 27).

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vereinigten sie Konklusion und Abschluß der Katechismusunterweisung. Er wurde zu dem „examen catechismi". Seit den ersten Reformationsjahren ging eine ständige Christentumsunterweisung durch Predigt und Rezitation des Katechismus vor sich, während Eltern und Paten gleichzeitig zu Hause mit den Kindern die Sätze einzuüben hatten. Aus dem mit der Abendmahlsprüfung verbundenen Examen ergab sich aber eine zeitlich begrenzte Zielsetzung. Man hatte im Hinblick auf das Examen zu lernen. Daher mußte der Unterricht erweitert werden und zu bestimmten Zeiten des Jahres stattfinden. In einigen Kirchen konnten im Laufe des Jahres mehrere Katechismusprüfungen abgehalten werden. Die Straßburger Ordnung von 1534, die wahrscheinlich die erste organisierte Admissio für Kinder (Jugendliche) enthält, schreibt viermal im Jahr einen „Kinderbericht" vor 3 . Die Preußische Ordnung von 1543 verlangt dieselbe Anzahl, es können aber auch Prüfungen alle fünf bis sechs Wochen abgehalten werden 4 . Die Kalenberg-Göttinger von 1542 konzentriert die besondere Vorbereitung auf je eine Woche vor den drei großen Festen 5 . Im übrigen konnten diese „Lesezeiten" entweder alle sechs Wochen oder viermal und zweimal im Jahr stattfinden®. Diese Katechesezeiten scheinen mit den Kommunionsperioden zusammenzufallen. Die Abendmahlsfeier war seit langem mit den großen kirchlichen Festen verbunden, und Luther hatte in seinem Kleinen Katechismus als Minimum für einen Christen vorgeschrieben, ein- bis viermal im Jahr das Abendmahl zu empfangen 7 . Eine derartige Aussage bezeugt wahrscheinlich die durchschnittliche Praxis jener Zeit und konnte leicht für die Zukunft richtungweisend werden. Nach der Preußischen Ordnung von 1525 sollte jeden Sonntag „wegen der communicanten" 8 Messe gehalten werden. Aber selbst sie rechnet nicht damit, daß jedesmal Kommunikanten erscheinen9. Im allgemeinen wurde das Abendmahl weniger häufig gefeiert. Die Augsburger von 1537 erwähnt „viermal der jars" 1 0 , und die Pfalz-Neuburger von 1543 hat Ostern, Pfingsten und Weihnachten Unter diesen Festen zieht Ostern das Abendmahl am stärksten an sich. Die Bevorzugung des Osterfestes macht sich schon früh bemerkbar. Grün4 Sehl. IV, S. 59. 5 Sehl. VI 2 , S. 838. Richter I, S. 236. Vgl. Lübeck 1531 (Sehl. V, S. 351), Wittenberg 1533 (I, S. 701), Halle (Richter I, S. 339), Preußen 1544 (Sehl. IV, S. 67). 7 WA 30 I, S. 276.25. 8 Vgl. Preußen 1525 (Sehl. IV, S. 33). 9 Vgl. den Ausdruck „so nidit communicanten". 10 Sehl. X I I , S. 60.79; vgl. Anm. 38 S. 60, aus der hervorgeht, daß Ulm dieselbe Ordnung hatte. 1 1 Richter II, S. 27; vgl. audi Kassel 1539 (I, S. 302) und Z Z O 1539 (I, S. 291). 3

6

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donnerstag soll besonders über das Abendmahl und die Beichte gepredigt werden 12 . Die Hamburger Ordnung von 1529 begründet das mit Christi Einsetzung des Sakramentes an diesem Tag. Aber niemand soll an diesem Tag zum Abendmahl gehen, nur weil der Papst es befohlen hat oder weil sich gerade diese Zeit eingebürgert hat. Offenbar ist der Druck der katholischen Tradition, Ostern das Abendmahl zu empfangen, sehr stark gewesen. Die Leute müssen ermahnt werden, nicht allzusehr an dieser Sitte festzuhalten 13 , sondern lieber „oftmals im jähr zum sacrament des altars gehen" 14 . Die Notwendigkeit solcher Ermahnungen zeigt am besten, wie tief die alte Sitte verwurzelt war. Die Admissioprüfung war auch eine so ernste Sache, daß die Zahl der Abendmahlsgäste abnahm. Das galt nicht zuletzt von der Jugend. Die jungen Leute hatten ja ihre entscheidende Prüfung im Christentum abzulegen. Und die Kirche wußte, daß diese Prüfungen nicht zufällig stattfinden konnten, sondern sie mußten zu bestimmten Zeiten vor sich gehen, damit man die Möglichkeit hatte, sich vorzubereiten. So kam es, daß einzelne Gruppen Jugendlicher gleichzeitig geprüft und zugelassen werden sollten. Der Vorgang mußte als feierliche Handlung empfunden werden und natürlich bestimmte liturgische Elemente an sich ziehen. Das Bekenntnis lag bereits in der Verlängerung der Katechese, und die Fürbitte beanspruchte ihren Platz. Die beiden Motive der Abendmahlsprüfung, das katechetische und admissive, wurden zu zwei offenen Türen der zukünftigen Konfirmation 15. Blicken wir einen Moment auf die Motivierung während der Entwicklung der Konfirmation im Laufe der Reformationszeit, so finden wir, daß die ersten lutherischen Konfirmationsordnungen aufgrund katechetischer Motive ihren Platz in der Abendmahlsprüfung hatten 16 . In der Kalenberg-Göttinger Ordnung von 1542 geht das aus der Überschrift hervor: „Von dem catechismo und der Confirmation", und in der Brandenburger von 1540 sowie der Wittenberger von 1545 ist aus dem Text zu ersehen, daß die Einführung durch den Katechismus begründet wird. 12

Vgl. z. B. Hamburg 1529 (Sehl. V, S. 506), Lübeck 1531 (V, S. 356). Mecklenburg 1545. Der Pfarrer soll das Volk ermahnen „dat se up dat osterfeste nicht sick dringen to dem sacramente, w o betheher to umme wanheit willen gesehen. De rechten christen gän dat jaer dorch alle sös weken veer weken, edder to etliken tiden tom hilligen sacramente" (Sehl. V, S. 154). Vgl. zu dem katholischen Brauch oben S. 58. 14 Preußen 1543 (IV, S. 59); vgl. Luthers Klage darüber, daß die Leute nur Ostern zum Abendmahl gehen (WA 15, S. 482.15). 15 Vgl. den Gedanken H. Rendtorffs, daß die Konfirmation im Schnittpunkt zwischen Examen catecheticum und dem Versuch, eine Vorbereitung auf das Abendmahl feststellen zu können, entstanden sei. 16 Vgl. Mark Brandenburg 1540 (Sehl. III, S. 59), Kalenberg-Göttingen 1542 (VI 2 , S. 804), Wittenberg 1545 (I, S. 211). 13

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Die späteren Konfirmationsordnungen dagegen enthalten auch den Admissiogedanken als Begründung. In der Zeit nach dem Interim wurde „Das erstmal" zu einem Schlüsselwort in Verbindung mit der Einführung der Konfirmation. Es genügt, einen Blick auf die Agenden zu werfen, die die Konfirmationsordnungen einleiten, um sich darüber klar zu werden: Braunschweig-Wolfenbüttel 1569: „Von der christlichen firmung, das ist, wie die kinder zuvor und ehe sie erstmals zum heiligen abendmal zugelassen, verhöret werden soll." 17 In der Darstellung dominieren der Katechismus und das Abendmahl. Hoya 1571 und 1581: „Von der christlichen confirmation oder öffentlichen verhör derer, so erstlich zum heiligen abendmal gehen." 18 Die Konfirmation ist hier dasselbe wie der erste Abendmahlsgang, d. h. die Admissio. Mansfeld 1580: „Von der confirmation der kinder, die den catechismus aufgesaget und nun zum hochwirdigen sacrament sollen zugelassen werden." 19 Das Aufsagen des Katechismus ist der Admissiobeweis. Niedersachsen (Lauenburg) 1585: „Von der confirmation, das ist von den christlichen ceremonien, wie mit den jungen kinderlein solle gehandelt werden, wenn sie im catechismo wol unterrichtet, und erstmals zum heiligen abendmal des herrn gehen wollen." 20 Pommern (Agende) 1569: „Van der confirmation, wo men de kinder im catechismo verhören unde insegenen schal, eer men se torn hochwirdigen sacramente tolet." 21 In den beiden letzten spielen auch die Zeremonien — neben dem Katechismus — eine admissive Rolle. Die Statuta synodica, Pommern 1574, stellen fest, daß die Konfirmation wegen der Aufgabe der Admissio eingeführt worden ist: „ . . . ri tum confirmations instituant, nec pueros ad communionem coenae domini admittant, priusquam confirmati sunt" 22 . Confirmatio ist zu Admissio geworden. Die in diesem Abschnitt gezeichnete Entwicklung bringt jedoch noch keine vollständige Erklärung der Ausgestaltung der liturgischen Konfirmationshandlung in den Gebieten des Luthertums. Ohne andere Motive als Katechese und Admissio bestand wenig Grund, wesentlich mehr als katechetisch-admissive Handlungen einzurichten. Sie beanspruchen ihrer Zielsetzung nach keine besonderen zeremoniellen Momente. So dachte auch ein großer Teil der lutherischen Landeskirchen. Ihm genügte Katechese und Admissio. Andere und neue Motive machten sich ebenfalls geltend, bevor die Entwicklung der liturgischen (rituellen) Konfirmation voll einsetzte. Die oben erwähnten Konfirmationsordnungen hatten auch noch andere Entwicklungsmotive und historische Voraussetzungen als die, auf die wir hier hingewiesen haben. Auf sie wird im Verlauf der weiteren Untersuchung näher eingegangen werden. 17 20

Sehl. V i i , S. 164. Sehl. V, S. 458.

18 21

Sehl. VI 2 , S. 1162. Sehl. IV, S. 441.

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19 22

Sehl. II, S. 233. Sehl. IV, S. 485.

III. Die ersten Konfirmationsordnungen im lutherischen Bereich in den Jahren 1530—1540 und die Diskussion darüber A. Ceremonia

sacramentalis

Die beiden Kirchenordnungen, die von Martin Bucer gestaltet und im Jahre 1539 angenommen wurden, die Ziegenhainer Zuchtordnung und die Kasseler Kirchenordnung, führten in mancher Hinsicht neue Gestaltungsmomente in den lutherischen Raum ein 1 . Bereits in den Titeln begegnen wir einigen besonderen Charakteristika dieser Ordnungen: Die Hessische (Ziegenhain) heißt „Ordenung der Christlichen kirchenzucht. . u n d Kassel präsentiert die Konfirmation unter der Überschrift „Von den Sacramentlichen Ceremonien" und bezeichnet sie als „Firmung vnd Hendt aufliegen". Der Kirchenzuchtgedanke und die Handauflegung als sakramentale Handlung sind die wichtigsten Momente dieser neuen Konfirmationsordnungen 2 . Sie sollten große Bedeutung für die Entwicklung der lutherischen Konfirmation erlangen. Bucer wurde daher mit einem gewissen Recht „Vater der evangelischen Konfirmation" genannt 3 . Wie hat sich diese Konfirmationsform entwickelt? Die starke Betonung des Katechismus- und des Admissiogedankens haben wir bereits in früheren Ordnungen gesehen. Einige fügten zu diesen beiden Momenten noch ein Bekenntnis hinzu 4 , das übrigens schon im Katediismusverhör enthalten war. Aber bei Bucer kommt ein völlig neuer, ritueller Akt hinzu. Er soll in „eyn fürnembst Fest" vor sich gehen, nicht nur als öffentliches Verhör, sondern als Aufnahme in die Gemeinde, bei dem die jungen Leute „sich öffentlich Christo dem Herrn und seiner kirchen er1 Ordenung der Christlichen kirdien zudit, für die Kirchen jmm Fürstenthum Hessen, 1539 (Richter I, S. 290 ff.). Die Ordnung wurde während der in Ziegenhain gehaltenen Synode angenommen und wird daher allgemein Ziegenhainer Zuchtordnung genannt. — Ordenung der Kirchen zu Cassel alles eusserlidies diensts vnd gütlicher hendel halben, 1539 (Richter I, S. 295 ff.). Zu ZZO als der ersten protestantischen K O mit einem Konfirmationsritus s. Diehl S. 10; Caspari S. 11. 2 Wir kommen später auf eine nähere Analyse dieser K O O zurück, s. III A 3. 3 Diehl, Einl. S. I. 4 Z. B. Liegnitz 1535 (Sehl. III, S. 436), Pommern 1535 (Sehl. IV, S. 329).

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geben", durch Handauflegung und Gebet gesegnet und schließlich zu Gehorsam und Unterwerfung unter die Kirchenzucht ermahnt werden 5 . Woher hat Bucer diese Gedanken? Oder wie sind sie bei ihm entstanden, und wie haben sie sich, entwickelt? 1. Der Ursprung der Konfirmation Bucers Der Entwurf zu einer neuen Konfirmationsordnung, den Bucer 1539 vorlegen konnte, war keine neue Idee. Diese Gedanken hatten ihn viele Jahre lang beschäftigt und sich entsprechend entwickelt. Und nicht alles stammte von ihm selber, Ideen zu und Fragmente von Konfirmationsordnungen hatte er auch bei anderen gefunden. Bucers Konfirmation scheint viele und lange Wurzeln zu haben. Es ist als sicher anzunehmen, daß Bucer den Vorschlag des Erasmus zu einer Erneuerung des Katechumenates von 1522 gekannt hat. Ein direkter Beweis dafür liegt allerdings nicht vor. Wir wissen aber, daß Bucer in seiner Jugend sehr von Erasmus eingenommen war. In seinem Brief an Luther 1520 gibt er überströmend seiner Begeisterung für die beiden großen Männer seiner Zeit, Luther und Erasmus, Ausdruck. Beide sind für ihn Autoritäten gleichen Ranges 6 , und er stellt sich als „Martianer und Erasmianer zugleich" 7 vor. Für seinen empfänglichen und elastischen Geist waren im wesentlichen diese Männer sowie die Schweizer Theologen von Bedeutung. Aufgrund seiner theologischen Neigung und der Konfirmation, die er selber verwirklicht hat, muß man davon ausgehen können, daß er besonders von drei Momenten des erasmischen Vorschlags beeindruckt war, nämlich der Katechese, dem subjektiven Gelübde und den feierlichen Zeremonien. Diese Dinge sieht er schon sehr früh als notwendige Funktionen einer lebendigen Kirche an. Aus dem Schreiben der Straßburger Theologen an Luther 1524, das Karlstadts Angriff auf die Kindertaufe zum Thema hat, ist zu ersehen, daß sie sich kaum mit der sakramentalen Wirkung der Taufe beschäftigt haben 8 . Ihre theologische Ansicht der Kindertaufe deckt sich im großen und ganzen mit der Luthers, aber was ihre Ausführung betrifft, so haben sie einige Bedenken vorzubringen. Sie würden die Ordnung der Alten Kirche, erst Unterweisung, dann Taufe, vorziehen. Ein Gelübde bei der Kindertaufe ist lächerlich: „ridiculum videamus votum eorum" 9 . Sie setzen sich daher eifrig 5

Richter I, S. 291. W A Br. 1, S. 616.75: N a m secundum canónicas scripturas tua et Erasmi sententia nullam habeo sanctiorem; vgl. Bornkamm: Bucer S. 9 ff. 7 Maurer S. 43. Vgl. ebenfalls van de Poll S. 100 und Bornkamm: Reformation S. 90. 8 WA Br. 3, S. 383.95 ff. » Ibid. S. 384. 104. 8

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für die Einführung der Katechese ein. Die Taufe muß durch die Katechese gestärkt werden 10 . Es gibt ein Dokument, das andeuten könnte, daß die Straßburger bereits seit 1520 eine Konfirmationsordnung hatten, nämlich Bucers kleine Schrift Epitome 11 . Nach dem Vorwort wurde sie 1548 in Straßburg geschrieben und enthält Lehre und Praxis der letzten 28 Jahre. Was den Katechumenat betrifft, so waren Katechismus, öffentliches Bekenntnis vor der Gemeinde, Gebet unter Handauflegung und schließlich das Abendmahl üblich12. "Wenn diese Nachricht buchstäblich aufzufassen ist, will das heißen, daß Straßburg seit 1520 eine rituelle Konfirmation hatte. Aber dies stimmt schwer mit den uns sonst zugänglichen geschichtlichen Daten überein. Schwenckfelds Äußerung auf der Synode 1533, wo er eine vervollständigende Handlung zur Taufe wünscht, spricht gegen die Existenz einer Konfirmation zu jener Zeit 13 . Das Resultat der Synode, „kinderbericht" viermal im Jahr, ebenfalls 14 . Die Epitome läßt sich am besten als ein Vorschlag, der aus dem 2. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts stammt, der aber nicht durchgeführt wurde, verstehen. Er wurde erst in der Hessischen Ordnung 1539 — und wahrscheinlich zur selben Zeit in 10 Ibid.: statueretur certum tempus catechizandi pueros, doctrinae Christi iam capaces. Der Gedanke einer Stärkung der Katechese kommt während dieser Zeit häufig bei Luther vor, s. u. II A 3. Ihre Haltung zur Kindertaufe hat jedoch kaum ihren Ursprung bei Erasmus (wie Maurer S. 72 Anm. 51 andeutet). Er würde das Versprechen bei der Kindertaufe nicht ein „ridiculum votum" nennen. Er hat immer nur positiv von der Taufe gesprochen, weshalb er auch in seiner Diskussion mit Beda diesem antworten konnte: „Nihil est usquam in scriptis meis quod ullam praebeat suspicionem mihi piacere baptismum iterari" (Opera IX, S. 558 F). Die Kritik an der Taufe, die Maurer zu finden meint (S. 48 Anm. 6), beruht ausschließlich auf der katholischen Lehre, daß der Getaufte nicht nur durch die Taufe Vollkommenheit erlangt. Die Taufe muß durch eine andere Gnade (die anderen Sakramente) ergänzt werden. 11 Epitome, Hoc est, brevis comprehensio doctrinae ac religionis christianae, quae argentorati annos iam ad XXVIII. publice sonuit. S. Bucer: Scripta Anglicana S. 173 ff. 12 Vgl. den Text S. 178 Cap. X V I I : Catechismum... coram ecclesia... confiteantur: eos inquam post talem confessionem, precibus vniversae ecclesiae... et secundum exemplum Domini Marc. 10. impositione manuum, atque etiam sacra Coena at perseuerantiam in fide vitaque Christiana confirmandos esse. Vgl. die deutsche Ausgabe: Summarischer Vergriff, van de Poll S. 103, s. ebenfalls Caspari S. 15. 13 Diese Aussage gibt T. W. Röhrich: Geschichte der Reformation in Elsaß und besonders Straßburg II, ohne Quellenhinweis wieder: „Mit der Kindertaufe habe er nichts zu schaffen, er kenne blos die Taufe Christi, übrigens wünsche er, daß wenigstens eine Ceremonie eingeführt würde, wodurch die getauften Kinder, wenn sie heranwachsen, zum Christenthum eingeweiht würden" (S. 99). Vgl. J. Adam und Aug. Ernst: Katechetische Geschichte des Elsasses, 1897, S. 121; Caspari S. 15; Zezsdiwitz II, S. 576; Hansen S. 69. S. auch Schwenckfelds Brief an Bucer nach der Synode, Aug. 1533, CS IV, S. 817. 14 Richter I, S. 236.

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Straßburg — verwirklicht 15 . Diese Vorwegnahme und dieser Vorschlag sind trotzdem ein Zeugnis dafür, daß die Vorstellungen einer Konfirmationshandlung Bucer lange, bevor er sie realisieren konnte, beschäftigt haben. Wenn Maurer meint, sowohl die Handauflegung wie auch den sakramentalen Gedanken in dem Vorschlag des Erasmus zu finden, dann beruht diese Behauptung auf einer sehr schwachen Grundlage 16 . Wie wir bereits früher bewiesen haben, lassen sich diese Momente nicht durch eine Textanalyse belegen17. Daher kann Bucer den Gedanken einer sakramentalen Handauflegung nicht von Erasmus übernommen haben. Er muß aus anderen Quellen stammen. Aber es ist wahrscheinlich, daß die Idee des Katechese- und Zeremoniemotivs von ihm herrührt. Es liegt daher nahe zu fragen, ob Bucer in bezug auf die Konfirmation unter dem Einfluß der Schweizer Theologen stand. Während seines ersten Jahrzehntes als protestantischer Theologe hatte Bucer mehr Verbindung zu den Schweizern als zu den Wittenbergern, und er empfing von dort starke Impulse. Bereits 1523 nimmt Zwingli zur Konfirmationsfrage Stellung. Wie früher bereits Luther lehnt er die Konfirmation als Sakrament ab. Er legt überhaupt auf die Verwendung des Begriffes Sakrament wenig Wert, aber wenn Taufe und Abendmahl als Sakramente bezeichnet werden, dann ist der Ausdruck auf keinen Fall für die Konfirmation zu verwenden 18 . Wir müssen zwischen Handlungen, die von Christus, und solchen, die von Menschen eingesetzt sind, unterscheiden. Die Schrift lehrt nichts über die Konfirmation. Er faßt sie als ein Zeichen auf. Das Kind soll mit seinem eigenen Munde, nachdem es einen guten Unterricht im Glauben erhalten hat und zu Verstand gekommen ist — „zu vernunfft kommend" —, seinen Glauben bekennen, und dies Bekenntnis soll öffentlich geschehen19. Er macht kein Hehl daraus, daß er den alten Brauch vorziehen würde, nämlich daß die Kinder zuerst unterrichtet und dann getauft werden. Da aber dieser Brauch verschwunden ist, muß man desto eifriger nach der Taufe unterrichten. Zweimal im Jahr soll Konfirmation gehalten werden, zu Ostern und im Herbst (oder zu Weihnachten). Und diese Ordnung, sagt Zwingli, hat man in Zürich schon „vor jaresfrist" gehabt 20 . Zwingli mußte die Konfirmation als notwendige Ergänzung der Taufe ansehen 21 . Er steht hier in direktem Gegensatz zu Luther, was auf seinem 15

Die abschließenden Worte in Epitome können zu einem soldien Verständnis führen: H o c est Euangelion et haec doctrina, quam nos annos iam ad vigintiocto in hoc urbe docuimus, populoque propusuimus (Scripta Anglicana S. 183). Vgl. Rietsdiel II, S. 152—54, der diesen Worten großes Gewicht beimißt. Zu Straßburg 1539 S. 119 f. 18 17 Maurer S. 45—48. S. o. II A 2. 18 20 Sämtliche Werke, CR 89, S. 124. » Ibid. S. 123 f. Ibid. S. 123. 21 In der Kindertaufe ist das Kind nicht „mit eygnem hertzen oder mund" dabei, weshalb es, wenn es „zu verstand" kommt „den glouben mit eygnem mund verjähind" 112

Sakramentsverständnis beruht, mit dem er sich gern von Luther distanzierte. Von einem Bruch mit Luther ist nicht die Rede, sondern es handelt sich eher um Zwingiis Eifer, seine Selbständigkeit im Verhältnis zu Luther zu beweisen 22 . Seine Terminologie zeigt jedoch bereits die Richtung an. Statt Sakrament soll „Widergedächtnus" stehen. Luther, sagt er, gibt die Bezeichnung nach dem Sein (Testament), während er selber die Handlung ihrem Gebrauch entsprechend bezeichnet. Beide stimmen insofern mit der Schrift überein 23 . Walther Köhler deutet seine Ansicht folgendermaßen: Die Konfirmation beginnt mit der Taufe 2 4 , gleichzeitig findet eine Abwertung der Kindertaufe statt, indem davor gewarnt wird, ihr allzu großen Wert beizumessen. Weder getaufte noch ungetaufte Kinder sind verloren. Aber andererseits besteht auch kein Anlaß, die Kindertaufe zu verbieten. Ihre Notwendigkeit behandelt er allerdings nicht 25 . Als Konsequenz ergibt sich eine kritische Haltung zur Kindertaufe und eine positive zur Konfirmation in der Gestalt, die er ihr selbst gegeben hat: Katechese und Glaubensbekenntnis. Obwohl Zwingli für seine Ordnung in Zürich die Begriffe Firmung und Confirmado gebraucht, handelt es sich tatsächlich eher um ein katechetisches Verhör als um eine Konfirmation. Sie ist auch keine einmalige Handlung, sondern eine ständige Katechese mit Verhör. Cohrs meint, es bestehe die Möglichkeit, daß Zwingli seine Gedanken von Erasmus habe. In dem Fall hat Zwingli das erreicht, was Erasmus versagt blieb: die praktische Verwirklichung des Vorschlags. Deshalb wurde seine Konfirmation auch zu einem Vorbild für protestantische Kirchen 26 . Bei den Kenntnissen, die Bucer von der Theologie seiner Zeit (S. 122); vgl. Maurer S. 59 Anm. 19; Thieme S. 3 f. charakterisiert die Konfirmation Zwingiis als „Bestätigung des durch die Taufpaten bekannten Glaubens". 2 2 C R 89, S. 146 ff. In Auslegen und Grunde der Sdilußreden, 1523, befaßt er sich hauptsächlich damit, seine Selbständigkeit im Verhältnis zu Luther darzutun: Seine Auslegung des Vaterunsers war früher als die Luthers erschienen, und er predigte das Evangelium und legte die Schrift schon vor seiner Bekanntschaft mit Luther aus. Er ist keine „Lutheraner", sondern Christ! Maurer (S. 60 Anm. 21) meint, daß sich Zwingiis Kritik der Sakramentsterminologie im Zusammenhang mit der Konfirmation ( C R 89, S. 124—25) gegen Luthers Ausdrude „ceremonia sacramentalis" in De captivitate Babylonica richtet. In dem Fall würde die Kritik ihr Ziel verfehlen, denn in De captivitate geht es Luther ja gerade darum, daß die Konfirmation kein Sakrament ist. Er lehnt diesen Gedanken sachlich und formal ab. Deshalb dürfte die Annahme, seine Kritik ridite sich gegen das katholische Sakrament, richtiger sein. Der Terminus ceremonia sacramentalis bezeichnet bei Luther eine ganz andere Sache, ein peripherer Gedanke, der nur dieses eine Mal erwähnt wird. Ibid. S. 150. W. Köhler in der Einleitung zu De vera et falsa religione, 1525, C R 90, S. 611. 2 5 C R 90, S. 763 ff. Über die Kindertaufe besonders S. 773; vgl. ebenfalls Köhler S. 606. 26 Cohrs IV, S. 238; vgl. außerdem zu Zwingli: van de Poll S. 100; Andren S. 220; Maurer S. 57 und in Fror: Conf. S. 27; Caspari S. 7. 23

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besaß, ist es unwahrscheinlich, daß er Zwingiis Entwurf und die katechetische Praxis in Zürich nicht gekannt hat. Zu jener Zeit herrschte zwischen Straßburg und den schweizerischen Städten ein sehr reger Gedankenaustausch. Bucer hatte den engsten Kontakt unter den Schweizern mit Oekolampad, der ebenfalls schon früh eine Konfirmationsordnung in Basel entwickelte. Seine Ordnung übt Kritik an dem katholischen Brauch und will auf die Alte Kirche zurückgreifen, wo der Verfasser sein Vorbild zu finden meint. Ihre wesentlichen Momente sind öffentliche Katechismusprüfung, Bestätigung des Taufgelübdes und Erinnerung an den Taufbund 27 . Aber Oekolampad scheint weiter als Zwingli zu gehen, indem er die Konfirmation mit dem Abendmahl verbindet und sie als Admissio gebraucht 28 . In seinen „Reden an die Confirmanten" sehen wir deutlicher, wie die Ordnung im täglichen Leben wirkt. Wir begegnen hier einem starken ethischen Appell, der zum Teil in Synergismus ausmündet und großen Wert auf Entsagung legt 29 . Sein Verhör appelliert ständig an den Willen 30 . Die enge geistige und theologische Verwandtschaft, die zwischen Bucer und Oekolampad während der zwanziger Jahre herrschte, hat ohne 27 Julius Smend hat ein altes, bisher in der Konfirmationsgesdiichte unbeachtetes Dokument drucken lassen: Was Missbreuch im wychbischoffliehen ampt. Gedruckt zu Basel bey Thoman Wolff 1527. Es existieren nur zwei Exemplare des Originaldruckes (vgl. J . Smend: Zur Vorgeschichte der Konfirmation, in: M G K K 19, 1914, S. 237 ff.). Der Verfasser ist wahrscheinlich Weihbischoff Limperger in Basel, der wegen protestantischer Sympathien 1525 seines Amtes enthoben wurde. Oekolampadius hat das Vorwort geschrieben und dafür gesorgt, daß die Schrift gedruckt wurde (S. 239). — Die vielen katholischen Weihzeremonien werden kritisiert, und von der Konfirmation heißt es: Vom bruch iunger kinden firmung. De confirmatione infantium, ut vocant (S. 238). Er greift zunächst die katholische Sitte, die Firmung unmündiger Kinder, die noch nicht sprechen können, an. Wahrscheinlich war es bei den ersten Christen Brauch, wenn die Kinder „zu verstendigen alter komen waren, ersdiynen vor irem pfarrer vnd dem gemeynen voici vnnd bestettigeten vnd bewilligeten mit gutter verstentnuss vnnd namen an alles, das zur zeyt ir vnmüdigkeyt mit jn im tauff gehandelt war, vnnd ir gotten an ir statt versprochen hatten". Er zieht das Wort Confirmado, das im Deutschen „bestetigung" bedeutet, vor. „Unnd so soliche firmung obgemeltet weyse beschehe, zu einer erinnerung davor entfangnem tauff (wie ein yeder Christ sunst bey im selbst schuldig ist), wolten wir dawider nicht streyten nodi fechten." Da Oekolampadius das Vorwort schreibt und die Schrift herausgibt, müssen wir damit rechnen, daß dies seine eigne Auffassung ist. 2 8 K . R . Hagenbach: Oekolampad und Myconius, 1859, S. 284 ff.; E. Staehelin: Das theologische Lebenswerk Johs. Oekolampads, 1939, S. 586 und 589; Maurer S. 60 Anm. 22. 2 9 Hagenbach S. 285. Ewige Freude des Himmels wird der Jugend, die nach dem Gebote Gottes wandelt, zugesprochen. 3 0 Ibid. S. 296: Willst du ein Christ bleiben? Wenn man aber die Christen vertreiben, fangen, tödten und verbrennen würde, willst du dennoch ein Christ bleiben? S. 299: Willst du die Gebote Gottes halten?

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Zweifel ihre Wirkung auf Bucer und seine Ideen über die Ordnung der Kirche geübt. In der Abendmahlsfrage nahmen sie dieselbe Stellung ein 31 , in der Lehre von der Taufe standen sie sich ferner 32 , aber was die Ordnung der Kirche betrifft, kamen sie einander wieder sehr nahe 33 . Das Ältestenamt, das ebenfalls eine Rolle in der Konfirmation Bucers spielt, hat er von Oekolampad übernommen 34 . Bei diesem Vorbild sind die starken subjektiven und voluntaristischen Momente, die später in Bucers Konfirmation zur Geltung kommen, leicht verständlich. Doch die sakramentale Seite seiner Konfirmation kann weder von Erasmus nodi von den Schweizern stammen. Entweder hat er sie selbst geschaffen, oder sie hat ihren Ursprung in einer anderen Quelle. Letzteres ist wahrscheinlich, da wir diesen Momenten schon bei den Böhmischen Brüdern und den Waldensern vor der Reformation begegnen. Bei den Brüdern stoßen wir auf die erste nicht-katholische Konfirmation. Sie ist zwar im wesentlichen immer noch von dem katholischen Sakrament geprägt, aber sie weist audi neue Elemente auf, die für die Kirchen, die mit Rom gebrochen hatten, von Bedeutung werden konnten. Schriftliche Nachrichten über ihre Konfirmation existieren bereits im 15. Jahrhundert 3 5 . Und wir wissen, daß Erasmus mit den Brüdern schon 1520 in Ver3 1 E. Staehelin: Briefe und Akten, 1927, S. 291. Bucer schreibt 1525 an Johs. Brenz und ermahnt ihn und die Schwaben, in der Abendmahlsfrage mit Oekolampadius Frieden zu halten. Brenz erwidert, daß sein Buch gegen Oekolampadius bereits fertig ist und daß er nicht umhin kann, dessen Auslegung des Herrenwortes: „Hoc est corpus meum" zu widersprechen (S. 294). Bucer tritt entschieden für Oekolampadius ein und bittet Brenz und dessen Freunde, bevor sie sich äußern, die Schrift zu lesen! Vgl. Staehelin: Lebenswerk S. 287, 309, 313, 317, 319, 325). Zwingli und Luther lehnten auf dem Reichstag zu Speyer Bucers concordia ab, doch wurde sie von Oekolampadius unterschrieben (ibid. S. 615). 3 2 Staehelin: Briefe S. 391. 3 3 Bucer empfing starke Impulse von der Stadt- und Kirchenordnung, die Oekolampadius 1528 in Basel aufgebaut hatte. Sie enthielt strenge Strafbestimmungen für bürgerliche und kirchliche Übertretungen. (Vgl. Staehelin: Lebenswerk S. 479 fF.) Beide waren auch an der Aufstellung der Ulmer K O 1531 mitbeteiligt (ibid. S. 615). Richter behauptet, Bucer sei der Hauptverfasser dieser Ordnung und habe die Baseler als Vorlage benutzt, was aus dem Abschnitt über die Kirchenzucht zu ersehen sei (Richter I, S. 157). 3 4 Vgl. Maurer S. 34 Anm. 21. S. außerdem zu Oekolampadius S. 60, in Fror: Conf. S. 28; Cohrs IV, S. 3 ff. Cohrs ist der Meinung, daß sich Oekolampadius die Gedanken des Erasmus zum Katediumenat während der engen Freundschaft, die eine Zeitlang zwischen beiden herrschte, angeeignet habe (S. 5). J . M. Usteri: Die Stellung der Straßburger Reformatoren . . . zur Tauffrage, in: T S K 84, 1884, behauptet, Bucer habe seinen Konfirmationsgedanken von Oekolampadius übernommen (S. 504 ff.). 8 5 Vgl. den Anhang Casparis S. 167, der die Texte in der Übersetzung der Dokumente bringt, die sich in dem Unitätsarchiv in Herrnhut befinden: Siben Briefe der Brüder an Rokycana, 1468; den Traktat Von der heiligen Kirche, 1470, und die Apologie, 1518.

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bindung stand und ihre Apologie aus dem Jahre 1511 gelesen hat 3 8 . Weniger deutlich ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt es zu einem ersten Kontakt zwischen Bucer und den Brüdern kam. 1540 hatte Cervenka ein Gespräch mit ihm in Straßburg, wobei Bucer seiner Freude und Begeisterung über die gute Zucht und Ordnung in der Gemeinde der Brüder zum Ausdruck bringt 37 . Es ist zu fragen, ob er schon vor der Gestaltung seiner eigenen Kirchenordnung mit den Brüdern in Verbindung stand. Und manches deutet darauf hin, daß er mit ihnen zu einem früheren Zeitpunkt korrespondiert hat 3 8 . Es ist auch behauptet worden, daß Schwenckfeld den Kontakt zwischen Bucer und den Brüdern vermittelt hat 3 9 . Er muß auf jeden Fall ihre Kirchenordnung gekannt haben. Falls er keine direkte Verbindung mit ihnen hatte, hatte er doch bereits in den zwanziger Jahren reichlich Gelegenheit, sich durch schriftliche Quellen mit ihren Ordnungen bekannt zu machen. Und hier stieß Bucer auf Impulse, die für seine eigenen Ideale von Bedeutung werden konnten. In Vom Sakrament der Taufe, 1468, heißt es, daß die Kinder, wenn sie dazu reif sind, dem Pfarrer vorgeführt werden sollen, damit er sie über ihren Glauben befrage. Es wird dann die Frage an sie gerichtet, ob sie an der Lehre festhalten wollen. Dies muß durch ein Versprechen bestätigt werden, wenn sie in die Gemeinde aufgenommen werden wollen (Aufnahme). Darauf folgt ihr Bekenntnis mit dem Zeugnis ihrer Paten über sie. Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt durch die Handauflegung (Geistmitteilung) und einen Streich auf die Wange, der ihren Eintritt in die Leidensgemeinschaft mit Christus symbolisiert 40 . Die zweite Ausgabe, die sich in der Apologie von 1518 findet — Von dem zweiten Sakrament, der Firmung —, legt noch größeren Wert auf das Verhör, nicht nur in bezug auf das Leben, sondern auch hinsichtlich der Lehre, und verlangt nicht nur ein Versprechen aufgrund der Lehre, 3 6 J . Th. Müller: Geschichte I, S. 292 ff. Erasmus wurde selbstverständlich die lateinische Ausgabe von 1511 vorgelegt, nicht die tschechische von 1518. Vgl. Peschke S. 242. 37 Caspari S. 22 Anm. 25. Röhrich berichtet, daß Mathias Erythräus (Cervenka) Bucer im Jahre 1540 besuchte und ihm von der guten, unter den Brüdern herrschenden Kirchenzucht erzählte. D a weinte Bucer (II, S. 48). Diese Aussage hat Röhrich bei Salig: Augsburg. Confess. II, S. 548 gefunden. 3 8 Vgl. van de Poll S. 99, der behauptet, daß Bucer mit den Brüdern nicht nur 1540 und seit Regensburg 1541 korrespondierte, sondern vielleicht auch schon 1530. Vgl. A. Molnar: Correspendance, in: R H P R 1951, S. 106 und 118 ff. Salig teilt mit, daß die Straßburger bereits 1533 mit den Brüdern in brieflicher Verbindung standen (Augsburg. Confess. II, S. 548). 39 P. J . Gustafsson: Den lutherska Konfirmationens väsen och liturgiska anordning, 1899, S. 7; W. Rott S. 30; Achelis I, S. 163. 4 0 Vgl. den Text bei Caspari S. 167.

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sondern auch ausgesprochene Entsagung und Gehorsam. „Gehorsam" ist zu einem Hauptbegriii geworden. Nach Acta 8 und Mk. 10 bekennen sich die Brüder zur Geistesmitteilung durch Handauflegung, der eigentlichen „Bestätigung der Taufwahrheit, nämlich der neuen G e b u r t " 4 1 . Nach der Wiedergabe, die Comenius in seiner Historia Fratrum Bohemorum 4 2 bringt, ist die Ordnung dort weniger hart ausgeformt. Der Inhalt ist im großen und ganzen derselbe, aber die ethische Forderung und das Versprechen spielen eine geringere Rolle, und der Wirkung der Handauflegung wird ebenfalls weniger Bedeutung zugeschrieben. Obwohl über den A u f b a u der Konfirmation bei den Brüdern eine gewisse Unklarheit bestehen mag, gehörten doch folgende Momente mit dazu: Verhör über Leben und Lehre, Bekenntnis, Gehorsamsversprechen und Geistesmitteilung durch Handauflegung. Diese Handlung wurde als Aufnahme angesehen. Die eigenartige Stellung der Brüder in der Mitte zwischen der römischen Kirche und den Protestanten hat ihre wesentliche Ursache in ihrem Sakramentsverständnis. Zwar sind sie der römischen Sakramentslehre gegenüber kritisch eingestellt, aber an den sieben Sakramenten halten sie trotzdem fest 4 3 . D a s subjektive Moment spielt in dem ethischen Leben Vgl. den Text ibid. S. 168 fi. Amos Comenius: Historia Fratrum Bohemorum, H a l a e 1702, ed. Jo. Franc. Buddeus. 111. Forma Novitios Recipiendi (S. 34 ff.). Iuniores autem, religionis capita domi a parentibus et susceptoribus vel a praeceptoribus in sdiola edocti pastorum curae traduntur publice in Ecclesia, ante S. coenae usum . . . hoc ritu. 1) Praeleguntur verba Christi: venite ad me omnes, etc. Mt. 11,28 cum subiuncta breuissima exegesi. 2) Pueri et puellae ad id destinati, et aliquoties prius a pastore examina«, in medio Ecclesiae collocantur ordine. 3) Tum interrogantur, velintne foedus in baptismo cum Deo initium, renouare . . . 4) Annuentibus, foederis capita explicantur ad formam ab Apostolo praescriptam Tit. II, 11—13 iubenturque illi aperte coram Ecclesia abrenuntiare satanae, mundo, carni, etc. 5) Reposcitur ab eis fidei professio: illi igitur symbolum Apostolicum clare voce omnes simul recitant. 6) Tum genibus flexis, ministro praeeunte, Deum orant, vt delieta iuuentutis condonet, et se ad omne beneplacitum voluntatis suae Spiritu Sancto suo corroboret: quod mox et totus populus, pro iisdem decrepans, facit. 7) A precibus nunciatur nouellis illis, vt et toti Ecclesiae, absolutio, iusque filiorum Dei in participanda mensa Domini. 8) Additur tandem et ritus Apostolicus manuum impositionis, Marc. 10,16. Hbr. 6, 2 Act. 8, 16—17 cum inuocatione adhuc super illos nominis diuini, ad roborandam caelestis gratiae spem. 4 3 Müller: Geschichte I, S. 201 f. 41 42

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des Einzelnen eine große Rolle 44 , so daß ihr Glaube oft eine nicht geringe synergistische Prägung erhält. Lukas von Prag gab den Sakramenten eine spiritualistischere Deutung. Er lehnte die Transsubstantiationslehre ab, doch ging er nicht so weit wie Zwingli und dessen symbolische Deutung. Er hielt an den sieben Sakramenten fest und verteidigte sie gegenüber Luther 45 . Entscheidend für die Auffassung der Brüder von der Konfirmation war das Taufverständnis. Die Taufe hatte einen „ausgeprägt vorläufigen Charakter" 4 e , und sie erwirkte das Heil nur unter der Bedingung eines persönlichen Glaubensbekenntnisses. Die Taufe bedarf also einer Vervollständigung, die mit der Konfirmation gegeben ist. Zunächst praktizierten sie eine Konfirmation mit Handauflegung und Geistesmitteilung nach katholischem Muster 47 . Später wurde sie besonders durch Lukas von Prag und seine Neuordnung anders gestaltet. Die Taufe und der nachfolgende Unterricht standen an erster Stelle 48 . Die Kinder wurden im Alter von elf bis zwölf Jahren in die Gemeinde aufgenommen. Die Aufnahme geschah unter Verhör und Glaubensprüfung, Fragen, die sowohl Zu- wie auch Absage verlangten. Die Handlung endete mit der Handauflegung und der Aufnahme in die Unität. Für die Zulassung zum Abendmahl gab es eine eigene Zeremonie 49 . Es läßt sich nicht völlig eindeutig entscheiden, inwieweit Aufnahme und Konfirmation eine Handlung ausmachten, aber vieles deutet auf eine Trennung der beiden Akte hin, wobei die Konfirmation mit einer besonderen Handauflegung als sakramentaler Handlung erst später in Erscheinung trat 5 0 . Wir begegnen hier also einer Konfirmationsform, die sich aus einer merkwürdigen Mischung katholischer und protestantischer Elemente zusammensetzt. Einerseits erhebt sie die streng protestantische Forderung nach Katechese und persönlichem Bekenntnis, andererseits weist sie katholischen Sakramentscharakter auf. Letzteres sollte eigentlich genügen, um allen Einfluß auf protestantische Kreise zu verhindern. Aber das Sakramentsverständnis war so umfassend, daß es nicht anstößig zu wirken brauchte. Die typisch katholischen Riten, wie ζ. B. das Chrisma, 4 4 Der Prager Magister sagt von ihnen: Sie gründen das ewige Leben mehr auf ein tugendhaftes sittliches Leben als auf das sichtbare Sacrament des Leibes und Blutes des Herrn Jesus (Müller: Geschichte I, S. 201 Anm. 488). 4 5 Müller: Geschichte I, S. 465. 48 Ibid. S. 207. 4 7 Vgl. Br. Georgs Meldung von 1470, Caspari S. 168; Maurer in Fror: Conf. S. 1 8 ; Andren S. 201. 4 8 Müller: Geschichte I, S. 281, 297. 4 8 Ibid. S. 482 ff. 5 0 Vgl. den Text bei Caspari S. 167, w o Aufnahme und Konfirmation dasselbe zu sein scheinen, während Müllers spätere Untersuchung deutlich zwischen beiden Handlungen unterscheidet (Geschichte I, S. 486; s. auch S. 2 1 2 ; Andren S. 2 0 1 ; Maurer in Fror: Conf. S. 19).

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waren abgeschafft51. Und aufgrund der spiritualisierenden Deutung der Sakramente durch Lukas von Prag, besonders wegen seiner Verwerfung des eigentlichen Anstoßes — der Transsubstantiation —, verhielten sich die deutschen Protestanten keineswegs abweisend gegenüber der Lehre der Brüder. Auf eine offene und bewegliche Natur wie Bucer mußte diese Deutung der Konfirmation ansprechend wirken. Bei ihrer Stellung mitten zwischen katholischer und protestantischer Auffassung enthielt sie auch Einheitsmomente, die dem Blick des Vermittlungstheologen nicht entgangen sein können 52 . Daß sich diese Gedanken auf derselben Linie wie Bucers eigene Auffassung bewegten, geht nodi deutlicher aus seinem Verhältnis zu den Waldensern und deren Lösung der Konfirmationsfrage hervor. In ihrer Theologie der Sakràmente standen sie den Protestanten näher. Sie leugneten den sakramentalen Charakter der Konfirmation und lehnten das Chrisma ab 53 . Sie begründeten dies ebenso wie Luther damit, daß sich für das Konfirmationssakrament in der Schrift keine Stütze findet. Sie fanden dagegen eine andere Handlung in der Schrift bezeugt: die Handauflegung, von der sie gern Gebrauch machten und die sie sich als Sakrament vorstellen konnten 54 . Gleichzeitig setzten sie sich für katechetischen Unterricht ein 55 . Indem sie diese Katechese mit einer sakramentalen Handauflegung zum Abschluß brachten, hatten sie eine neue Konfirmation geschaffen. Von dieser Gestaltung der Handlung scheint Bucer so eingenommen zu sein, daß er ihr ohne Vorbehalte zustimmt. In seinem Brief an die Führer der Waldenser, Morell und Latomus, 1530, unterstützt er ihre Auffassung 56 . Unter Hinweis auf die apostolische Praxis behauptet Bucer hier, daß die „impositio" ein Sakrament sei. An Bedeutung kann sie sich weder mit Taufe noch Abendmahl messen, aber sie wurde von den Aposteln geübt 57 . Er tröstet die Waldenser, die in der 51

Müller: Geschichte I, S. 174. Vgl. Th. Kawerau in: ThLZ 6, 1891, S. 156 ff., der sehr nachdrücklich behauptet, Bucers Konfirmationsgedanken stammten von den Böhmisdien Brüdern. 58 Andren S. 196; Maurer S. 73 f. und in Fror: Conf. S. 17. 54 Vgl. Andren S. 196 Anm. 96; er zitiert eine Quelle, die von den Waldensern in Lyon behauptet: Dicunt, sacramentum confirmationis nihil esse, sed magistri illorum vice illius sacramenti manus discipulis imponunt. 55 Maurer in Fror: Conf. S. 17 nennt sie „Väter der katedietischen Konfirmation". 56 Vgl. V. Herzog: Ein wichtiges Document betr. die Einführung der Reformation bei den Waldensern (Responsiones ad Quaestiones, in: ZHTh 1866, H . 3). 57 Ibid. S. 337: Sacramenta praeter baptismum et Eucharistiam nulla novimus quam forte manuum impositionem et unctionem, utraque Celebris etiam apostolis videtur, sed non tantum, quantum priora duo. Hinc autem in usu sint, sive non, certum est, symbolum tantum esse internorum. Kawerau (S. 156) stellt kurzerhand fest, daß Bucer hier ein Quasi-Sakrament der Handauflegung anerkennt, das er auf Mk. 10 und der Übung der Apostel aufbaut. 52

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Frage nach der Reihenfolge von Taufe und Unterricht unsicher waren, damit, daß es nicht dem Worte Jesu widersprechen muß, wenn die Taufe der Lehre und der Gabe des Geistes vorangeht 58 . Die in Zukunft einzuschlagende Linie beginnt sich ihm folgendermaßen abzuzeichnen: Taufe — Unterricht — Handauflegung (Konfirmation) 59 . Man kann sich darüber wundern, daß Bucer seine Konfirmationspläne zu dieser Zeit nicht durchführte. Was hielt ihn davon ab, seine Ideale zu verwirklichen? Die Verhältnisse in Straßburg waren günstig. Das Toleranz-Prinzip stand in der Stadt in hohem Ansehen, und Bucers Einfluß nahm zu. Trotzdem zeigt sich, daß auf diesem Gebiet bis zur Synode von 1533 wenig geschehen war, und die Kirchenordnung, die sich aus den Beratungen der Synode ergab, schreibt nichts anderes als „Kinderbericht" vor 60 . Entweder wollte Bucer zu diesem Zeitpunkt seine Pläne nicht verwirklichen, oder es gelang ihm nicht. Die Täuferbewegung, die großen Einfluß in der Stadt gewonnen hatte, hätte aufgrund ihrer Lebensanschauung und ihrer Lehre kaum ein Hindernis für diese kirchliche Handlung bedeutet. Im Gegenteil, die Täufer bitten um eine solche Ordnung 61 . Auch von kirchlicher Seite wären keine Einwände zu erwarten gewesen, sie wünschte ja selber eine Ordnung auf dieser Linie. Es hat den Anschein, als habe sich diese Angelegenheit in den dreißiger Jahren irgendwie festgefahren. Eine Erklärung hierfür läßt sich nur in der starken kirchlichen Spannung, die während dieser Jahre in Straßburg herrschte, finden. Die Täufer gewannen immer größeren Einfluß. Und der tolerante Rat der Stadt ließ den Dingen ihren Lauf. Die Geistlichkeit wurde in die Defensive gedrängt. Ihre Verkündigung reichte nicht mehr soweit wie früher. Die Presse war in den Händen der Schwärmer 62 . Sie standen im Begriff, in Straßburg die Oberhand zu gewinnen. Die Synode von 1533 sollte unter diesen besorgniserregenden Verhältnissen Ordnung schaffen. Es dürfte einleuchtend sein, daß Bucer und die anderen Kirchenführer in dieser gespannten Situation nicht gewillt waren, den Täufern Zugeständnisse 68 Ibid. S. 326: Ausgehend von dem Missionsbefehl Jesu (Mt. 28) behauptet er, daß bei diesen Worten kein Zweifel daran besteht, daß nach dem Willen Jesu alle Völker unterwiesen und getauft werden sollen. Aber daraus kann man nicht schließen, daß Jesus niemand getauft wissen will, der nicht vorher unterwiesen worden ist: At quod voluerit Christus neminem baptizari, nisi qui antea esset doctus, jam non potest (plus) ex his verbis colligi, in quibus baptismi post doctrinam meminit. Und so audi Marcus: Johannes baptizabat et praedicabat. U n d Christus: nisi quis renatus fuerit ex aqua et spiritu, collegi potest, oportere baptismum aquae praecedere doctrinam et spiritum: licet prior sit baptismi quam doctrinae et spiritus mentio. 59 Dies stimmt mit den Plänen überein, die man, wie er erwähnt, in Straßburg bereits während der zwanziger Jahre gefaßt hatte. Vgl. Epitome, s. o. S. I l l f. 60 Straßburger K O 1534 (Richter I, S. 236). 61 62 Zu diesem Punkt s. u. S. 137 ff. Caspari S. 13 f.

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zu machen. Die Synode stellte eine geistliche Kraftprobe zwischen beiden theologischen Richtungen dar. Psychologisch war die Situation für Nachgiebigkeit und Friedensverhandlungen ungeeignet. Auf Seiten der Geistlichkeit war die Synode als eine Auseinandersetzung mit Schwenckfeld und Hofmann 6 3 gedacht. Bucer formulierte 16 Artikel, die als Grundlage der Einheit dienen sollten, aber anstatt zu verhandeln, trat er gegenüber Schwenckfeld als Examinator auf, und es wurde eine Kommission gebildet, die einige von den Schriften Hofmanns und Schwenckfelds prüfen sollte84. Aber die Spannung zwischen ihnen nahm nur zu, was audi an ihrer Korrespondenz nach der Synode zu spüren ist 65 . Der Gegensatz bleibt auch in den kommenden Jahren bestehen. 1535 findet in Tübingen ein Religionsgespräch statt, bei dem Bucer, Blaurer, Frecht u. a. Schwenckfeld wieder treffen; es kommt jedoch zu keiner Entspannung, sondern nur zu dem Entschluß, sich nicht öffentlich zu streiten ββ . In einer solchen Situation hätte ein Vorschlag zu einer Konfirmationsordnung von Seiten Schwenckfelds nur Bucers Absicht entgegengewirkt. Trotzdem sind die Historiker im allgemeinen der Meinung, daß Schwenckfeld bei der Entwicklung der Konfirmation eine Rolle gespielt habe, und zwar besonders durch Bucer. Läßt sich diese Meinung aufrechterhalten? Betrachtet man die Lehre Schwenckfelds, dann ist er nicht leicht in einer bestimmten Fraktion unterzubringen. Daß er kein Wiedertäufer ist, sagt er selbst67. Er kann auch an der Wiedertaufe Kritik üben68. Aber die Kindertaufe ist noch schlimmer. In seiner Schrift Vom vrsprung der Christlichen Tauff, 1530, behauptet er auf der Grundlage von Mt. 28, daß man nicht taufen soll, bevor man gelehrt hat: „Teuffet sie aber nicht ehe / sie seind denn Schüler worden / vnd von euch gelernet." 69 Kinder kann man weder als gläubig noch als ungläubig bezeichnen. Er macht sowohl der römischen Kirche wie Luther den Vorwurf, daß sie „noch heut in der lirrung" hängen geblieben sind 70 . Bevor der bewußte Glaube da ist, nützt die Taufe nämlich nichts. Der Mensch muß aus dem unvergänglichen Samen, dem Worte Gottes, geboren werden, ehe er in Christus eingepflanzt werden kann 71 . — Die Synode beschäftigte sich daher 63

CS IV, S. 783 ff. β4 ibid. S. 784. ββ Ibid. V, S. 113 ff. und 153 ff. Ibid. S. 337 ff. 67 98 Vgl. seine Protestaction, CS IV, S. 789. CS III, S. 822 und 831 ff. 69 Ibid. S. 836. Weiter heißt es: Diese erste vnd also zusagen mildileere / die peppen vnd anfencklichen leere heist Catechismus / dauon Gal 6 , 6 . Wie aber die lieben Aposteln Catechisirt haben/. 70 Von dem Kindertauf, 1530, CS III, S. 815 ff. 71 Epistolar, 1531, CS IV, S. 180. Die Taufe schenkt keine Wiedergeburt. Sie ist nur ein zeremonielles Reinigungsbad: Das geistliche Kind muss durch den heiligen Geist ins Hauss Gottes / das ist in die Christliche Kirche zuuor ge-/tragen werden / ehe denn es daselbs mit dem Wasserbade der Tauffe wird ge-/waschen. 65

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auch in hohem Maße mit der Kindertaufe. W ä h r e n d Bucer hier die Kindertaufe in Schutz n i m m t 7 2 , kennt Schwenckfeld nur eine Taufe, nämlich die Taufe Jesu Christi 7 3 . Andererseits trieb diese negative Haltung zur Taufe Schwenckfeld dazu, sich eifrig für den Katechismus einzusetzen. Seine unentwegten Ermahnungen in dieser Angelegenheit wirkten aufrüttelnd. E r w a r kein Schwärmer, der die Lehrarbeit geringschätzte. E r w a r im Gegenteil ein ausgeprägter Biblizist, der sich näher an das W o r t Gottes zu halten meinte als die übrigen Lehrer seiner Z e i t 7 4 . Daher w a r es ihm sehr darum zu tun, daß die Grundtatsachen der christlichen Lehre unter das Volk gelangten 7 5 . D a die Taufe (audi als Erwachsenentaufe) nur eine kleine Rolle spielt, verbindet er den Katechismus mit dem Abendmahl. Das Admissiomotiv herrschte vor, nicht nur, damit die Jugend wissen sollte, 72 CS IV, S. 794 ff. Zu Bucers Verteidigung der Kindertaufe sagt Schwenckfeld: Du solt nichts vom Wort nehmen / nichts darzuthun / darum der Kindertauff wider Schrifft (S. 796). Bucer antwortet daraufhin mit derselben Deutung der Reihenfolge von Taufe und Lehre, wie er es den Waldensern gegenüber getan hatte (s. o. S. 119 f.). 73 Ibid. S. 797. In seinem Brief an Bucer vom August heißt es: Mit dem Kindertauff hab ich nicht zuschaJEfen (CS IV, S. 819). Und in seinem großen Epistolar an Philipp von Hessen schreibt er ebenfalls über die Kindertaufe: idi den Kindertauff nicht kann halten (CS V, S. 389). Nidit genug damit, daß er die Kindertaufe für unwichtig hält, Bucer gegenüber äußert er, daß er die Kindertaufe „für ein misspraudi vnd jrrung" hält (CS IV, S. 822). Die Wiedergeburt vollzieht sich also nicht in der Taufe. Das Mittel der Wiedergeburt ist das Wort Gottes in rein verbaler Form, und sie vollzieht sich daher schrittweise. In seiner Schrift aus dem Jahre 1529, Von graden der widergeburt, rechnet er mit mehreren Entwicklungsstufen, die einen deutlichen Ordo salutis bilden: 1. Reue und Buße. 2. Die Verkündigung des Evangeliums und das Wirken des heiligen Geistes. 3. Eine Zeit, in der der Sauerteig wirksam ist. 4. Der neue Mensch erhält durch das Wort Gottes Weisheit und Verstand. 5. Glaubensgewißheit. 6. Taufe. 7. Versiegelung durch den heiligen Geist (CS III, S. 572 ff.). 74 Er kann die Angriffe Bucers, Blaurers, Luthers und anderer nicht verstehen, denn er lehrt ja nichts anderes als Gottes Wort, schreibt er an Wilhelm von Zell (CS V, 5. 276 ff.), und, fügt er bezeichnenderweise hinzu, er trägt Christus in seinem Herzen, er ist sein bester Trost in allen Angriffen. Er habe nicht zu Streitigkeiten gereizt, sondern nur zum Frieden ermahnt. Aus einem späteren Brief an von Zell (CS V, S. 350): Er würde gern in Straßburg sein und als christlicher Bruder gelten, aber man hat ihn auf der Synode angegriffen, „daß jhr mich auff ewrem Synodo habt herfür gezogen vnnd genötiget / dass ich ewre feel inn der leere hab müssen anzeigen/". 75 Schwenckfeld arbeitete selber an Katechismusausgaben: 1526 Catediismus vom Worte des Creutzes (CS II, S. 376 ff.) war der Form nach kein Katechismus, denn er bestand nicht aus Fragen und Antworten. Das hielt Schwenckfeld nicht für nötig. Sein Katechismus sollte eine „glaubens lehre — die ein jeder Christ wissen solle" sein. 1528 Catechismus Christi (CS III, S. 98) lateinisch, das Manuskript ging verloren. 1531 Catediismus von etlichen haubt artickeln . . . (CS IV, S. 215 ff.). 1534 Bekandtnuss vom hailigen Sacrament (CS V, S. 166 ff.). Audi dies ist kein Kinderbuch, sondern eine grundlegende Christenlehre über das Abendmahl. 1536 Catechismus Christi (CS V, S. 566 ff.), eine Laiendogmatik. 1545 Catechismus vom Worte des Creutzes (CS IX, S. 448). Er sorgte außerdem für das Erscheinen der Katechese Krautwalds (CS V, S. 222 ff.) und ließ den Katechismus Johann Werners herausgeben (CS IX, S. 743 ff.).

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was das Abendmahl ist 76 , sondern auch deshalb, weil dér Katechismus als Beweis für die Admissio dienen sollte 77 . Man soll nicht in jungen Jahren zum Sakrament eilen 78 . Der Katechismus ist die beste Art, die Kirche von Grund auf wieder aufzubauen und „ein gehorsam volck" zu bekommen 7β . Schwenckfeld bekam jedoch kaum Gelegenheit, auf der Synode von 1533 für eine bessere Ordnung der Kirche zu werben; dazu war er viel zu sehr mit der Verteidigung seiner Lehre, besonders seines grundsätzlichen Sakramentsverständnisses, beschäftigt. Dem Protokoll nach wurden weder Katediismus nodi Konfirmation behandelt 80 . Er kann nur seinem Wunsch nach strengerer Kirchenzucht und einer reineren Gemeinde Ausdruck geben81. Aber in seinem Brief an Bucer im August nach der Synode geht er auf seine Wünsche für die Kirche ein: Er ist kein Bilderstürmer, aber er will gern eine Kirche bauen, die aus bußfertigen, gehorsamen und geistlichen Menschen besteht, die sich unter der Leitung des Heiligen Geistes versammeln. Und da wünscht er auch „die schlüssel / der bann brüderliche straff 1 aufflegung der hende / sampt andern stücken" 82 . Wahrscheinlich ist mit der von ihm gewünschten Handauflegung die Konfirmation gemeint. Es gibt jedoch andere Quellen, die andeuten, daß er auch während der eigentlichen Synode seinem Wunsch deutlich Ausdruck verliehen hat, daß die getauften Kinder in reifem Alter durch eine besondere Zeremonie in das Christentum eingeführt werden sollten 88 . So wenig bedeutet die Taufe, daß, soll sie überhaupt einen Sinn haben, auf jeden Fall eine persönliche Bestätigung notwendig 76 Vgl. den Brief an Bisdiof Jacob von Salza 1527: dass zum rechten verstand der Sacrament / vnd aller Christlichen Lehre vnd lebens ein sonderliche glaubens lehre / vnd ein Catechismus / das ist ein vnterricht der stück/die ein jeder Christ wissen solle/ gehöret / (CS II, S. 660). 77 Vgl. Vom grund vnd vrsadi des Irrthumbs vnd Spans imm Artickel vom S a c r a m e n t . . 1 5 2 7 . Hier geht er auf den Katechismus als notwendige Vorbereitung zum Abendmahl ein. In der alten Zeit „pfle-/gete die Christen zuuor durch einen Catechismum zu vnderriditen vnd zulehren / ehe sie zum Sacramenten zugelassen / . . . (CS II, S. 457 f.). 78 Vgl. Epistolar IV, 1531: Dass man mit dem brauch der Sacrament nicht eile / . . . Dass sie nicht allzu bald die Newlinge zum Tische Gottes zulassen (CS IV, S. 182). Von der Chr.kirchen jren Schlüsseln . . . , 1530: durch einen guten catechismum solten genugsam vnterriditet werden ee dann sy zum sacramenten zugelassen/ (CS III, S. 829). 79 Vgl. Wie die zerstrewete verwüste Kirche widerumb v e r s a m m e i l t . . . (CS IV, S. 204), Brief an Leo Judä, 1533 (Caspari S. 12 Anm. 5). 80 Vgl. die Referate in CS IV, S. 783 fi. 81 82 Ibid. S. 799. Ibid. S. 917. 83 Vgl. Röhrich II, S. 99: . . . ü b r i g e n s wünsdie er, dass wenigstens eine Ceremonie eingeführt würde, wodurch die getauften Kinder, wenn sie heranwachsen, zum Christenthum eingeweit würden. S. außerdem Caspari S. 15; Bachmann S. 71; Zezschwitz S. 576; Adielis I, S. 163; E. Hansen S. 69.

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ist, nachdem Katechismus und Verkündigung die jungen Leute zu einem bewußten Standpunkt geführt haben. Bucer und seine Kollegen sind dieser Aufforderung Schwenckfelds zunächst nicht nachgekommen. Die Kirchenordnung von 1534 war das Resultat der Synode und sollte dazu dienen, die Gegensätze in Straßburg zu überwinden. Sie setzt sich nicht für eine Konfirmationshandlung ein, sondern bleibt bei Kinderbericht und Verhör vor dem ersten Gang zum Abendmahl stehen 84 . Es mutet merkwürdig an, wenn es sich wirklich so verhält, wie es die meisten Historiker bisher dargestellt haben, daß nämlich Bucer und die Straßburger auf der Synode von 1533 den Wiedertäufern Zugeständnisse gemacht haben sollen85. Warum sind sie dann nicht weitergegangen, wenn sie bereits früher ähnliche Pläne hatten 88 ? Das läßt sich nicht anders erklären, als daß sie bei dieser Gelegenheit gerade nicht zu Konzessionen bereit waren. Schwenckfeld wollte die Konfirmation als Ersatz für die Taufe. Aber Bucer nahm die Taufe auf der Synode in Schutz. Sich Schwenckfeld in diesem Punkt und in dieser Situation zu fügen, wäre zu große Nachgiebigkeit gewesen. Schwenckfeld und Hofmann sollten in die Schranken gewiesen werden! Katechismus und Verhör waren dagegen selbstverständlich. Das war nicht so neu und auffallend, wie es eine Konfirmationshandlung gewesen wäre. Wahrscheinlich war der Katechismus schon von früher her in Gebrauch. Und auf jeden Fall hatten die Schweizer und die Lutheraner dies schon lange auf ihrem kirchlichen Programm. Katechismus und Verhör gehörten bereits zum gemeinsamen protestantischen Besitz. Daher blieb die Ordnung von 1534 dabei stehen. Aber obwohl Schwenckfelds Vorschlag kein unmittelbares Resultat in Form einer neuen Kirchenordnung aufzuweisen hatte, so haben seine Gedanken doch als starker Impuls bei Bucer weitergelebt. Seine theologischen und praktischen Überlegungen während der nächsten Jahre nach 84

Richter I, S. 236: Hat ein Ersam. Raht geordnet, das vber die gemeynen kinder bericht, so alle Sontag gehalten, vier gemeyne kinder bericht imm jar gehalten werden, . . . Zum anderen, sollen die pfarrer das volck fleissig ermanen, das jederman seine kind, so man sie erstlich will lassen zum tisch des Herren gohn, wolle zuuor zu dem diener des worts, auff die Sontag zu dem kinderbericht bringen, vnnd nach dem selbigen lassen Christlicher leer halben inn seinem beisein, etwas verhöret vnd bericht werden. 85 Caspari S. 17; Diehl S. 11; Bachmann S. 71 Anm. 29; E. Hansen S. 68. 88 Vgl. Epitome, 1548, worin ebenfalls Bekenntnis, Fürbitte der Gemeinde und Handauflegung vorkamen. Caspari setzt diesen Vorschlag zeitlich nach der Synode von 1533 an (S. 16). Dann läßt sidi allerdings schwer erklären, warum Bucer von 28 Jahren spricht, wenn es sich tatsächlich nur um 14—15 Jahre handelt. — Dagegen hat die Auffassung Diehls, die 28 Jahre bezögen sich allgemein darauf, daß sidi Straßburg schon so lange an die evangelische Lehre hält, und nidit auf Einzelheiten, mehr für sidi (S. 13).

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der Synode kreisen häufig um diese Gedanken. Bereits im März 1534 veröffentlicht er Ad monasterienses87, ein Werk, das seine Antwort auf die Lehre Schwenckfelds und der Wiedertäufer darstellt. Er hat das Buch während der stürmischen Tage nach der Synode geschrieben, einerseits, um eine gründlichere Widerlegung zu geben, als es auf der Synode möglich war, und andererseits, um diese Fragen für sich selbst zu klären 88 . Jetzt nimmt er sich „hausshaltung Christlicher Gemeyn" vor und geht auch auf die ausschließlich praktischen Kirchenordnungsfragen ein. Er verteidigt immer noch die Kindertaufe gegenüber den Wiedertäufern 89 . Aber hier setzt er sich auch mit den praktischen Konsequenzen des Einwandes der Wiedertäufer auseinander: Wer ein Christ sein will, muß den Namen Jesu bekennen, ein Versprechen geben, dem Teufel absagen und sich Christus übergeben. All das kann nach der Taufe geschehen. Und dann schlägt er zum erstenmal völlig offen die Konfirmation vor. Man kann „den alten brauch" einführen. Der kann aus Katechismusunterricht, Bekenntnis und Handauflegung bestehen90. Das Bemerkenswerte an dieser Schrift ist, daß er sich hier sehr mit der Handauflegung als Gnadenmittel beschäftigt. Die Linie von dem Schreiben an die Waldenser wird weitergezogen. Er stellt die Handauflegung als ein Sakrament neben Taufe und Abendmahl. Der Herr legt den Kindern die Hände auf (Mt. 18). Die Apostel tun bei der Verleihung des Heiligen Geistes dasselbe. Was ist die Handauflegung anderes als ein Zeichen dafür, daß der Heilige Geist und das geistliche Amt verliehen werden 91 ? Der Herr selbst hat „das Sacrament des hend vfflegens gebrauchet" 92 . Weil die Handauflegung den Geist mitteilt, erwähnt er sie als ein Element der vorgeschlagenen Konfirmation 93 . Dem Gelübde gegenüber hegt er jedoch Bedenken. Die Schwärmer legen zu großes Gewicht auf das äußere Bekenntnis und die Entsagung. Aber kann man sich darauf verlassen? „Sind die menschen nit alle Lüg87

Bericht auss der heyligen geschrift von der recht gottseligen anstellung vnd haushaltung Christlicher gemeyn . . . Durch die Prediger des heyligen Euangeli / zu Strassburg / der Stat / vnd kirchen zu Münster in Westfal / erstlich gesdiriben. Das Vorwort trägt das Datum 5. März 1534 und ist von Capito, Hedió und Bucer unterzeichnet. Gedruckt Straßburg 1534. 88 89 Vgl. W. Rott S. 28. Cap. VIII, S. k ff.; X I X , S. t iij. 90 Vgl. S. 1 ij : durdi vorgenden catechismum, christliche vnderweisung / zu solicher verihung des glaubens bereitet hette / vnd konde man mit jnen also den alten brauch wider bringen / darauss die confirmation enstanden / das die Bischöff den geteufften die händ vfflegten / vnd jn den H . geyst also mit leysteten / nach den exempel der Apostel in Samaria. Act. 8. 91 Vgl. S. g iij—h: Was ist diss hend vff legen / ists nit ein zeichen gewesen / dess vbergebnen H . geysts / vnnd geystlichen ampts? 92 Cap. X I X , S. iij; vgl. Caspari, S. 16 Anm. 14. Vgl. zu Bucers Sakramentsbegriff u. S. 130 ff . 93 Vgl. S. 1 ij.

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ner?" 94 Nehmt zum Beispiel die Mönchsgelübde: Das sind prachtvolle Bekenntnisse! Aber haben sie die Treue unterstützt? Nein, er glaubt nicht an ein solches Versprechen, dafür aber an die Kirchenzucht: „straff / warnung / vnnd bann" 9 5 — daran glaubt er, und die Konfirmation soll die Jugend in diese Dinge einführen. Seine derzeitige negative Einstellung zu dem Gelübde ist offenbar eine Reaktion auf den Subjektivismus der Wiedertäufer, den er eindämmen mußte. Das pompöse Versprechen eines Augenblicks bedeutet so wenig; das wichtigste ist für ihn die Katechese, der sakramentale Segen und ein Leben unter der Kirchenzucht. Nur so kann die Kirche gereinigt werden! Durch seine Kritik an den Wiedertäufern ist Bucer im Begriff, seinen eigenen Weg zu einer festeren Kirchenordnung und einer besseren Kirchenzucht zu finden. Durch die Kritik Schwenckfelds war Bucer gezwungen, eine Lösung zu suchen. Er war den Schwächen der „volkskirchlichen" Ordnung gegenüber keineswegs blind. Eine Reform der Kirchenordnung war nötig. Und die Pläne arbeiteten in ihm. Sein Katechismus, ebenfalls aus dem Jahre 1534, war ein weiterer Schritt auf demselben Weg 9e . Er macht deutlich, daß sein Plan des Katechumenates kein zufälliger Vorschlag war, sondern etwas, das er verwirklicht zu sehen wünschte. Und hier bringt er wieder zum Ausdruck, daß die Handauflegung den Abschluß dieses Unterrichtes bilden soll. Er fordert im Zusammenhang mit dem Abendmahl die Kirchenzucht, und zwar sowohl als Beichte wie auch als Bann 97 , und er blickt mit Bewunderung auf die alte Zeit zurück, da die Bischöfe umherreisten und die „zu einem Sacrament der mehrung des heyligen geysts und bestätigung inn Christlichen läben" getauften Kinder verhörten und segneten98. Die Handauflegung ist auch hier ein Sakrament. Auf der folgenden Synode für Straßburg, 1539, werden dieselben Gedanken vorgetragen. Das Ziel dieser Synode ist „Beförderung guter Sitten und der Eintracht im Glauben" 99 . Jetzt verhandelt man mit den Wiedertäufern, statt wie auf der Synode von 1533 auf Auseinandersetzungen mit ihnen aus zu sein. Man hat sich die Einheit zum Ziel gesetzt. Deshalb spricht man hier nicht nur über die nüchterne Katechese, sondern auch offener über „das Sacrament des (seines) Segens und Verleihung des heiligen Geistes" 10°. Zwar handelt es sich auch hier in erster 84

Vgl. S. t iij. Ibid.; vgl. ebenfalls t iij: wann die kinder erwachsen sind / lasse man sy also profess thun / vnd den bekennden lege man die hend vif / die anderen schliesse man auss. 95