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German Pages 92 Year 1889
Table of contents :
Front Cover
Kolonien
Die deutschen Schuhgebiete
Gegenwärtiger Rechtszustand der deutschen Schuhgebiete
Rechtslage im Innern
Zukünftige Gestaltung der Schuhgebiete und koloniale Ausdeh-
RARVARD UKIVERYTH
MEBARY
Die
koloniale
Frage
und
ihre
Lösung
durch
das
Reich.
Von
Arndt von Holzendorff.
Berlin 1889. R. Gaertner's Verlagsbuchhandlung Hermann Sehfelder. SW. Schönebergerstraße 26.
290.
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4 5 8 1
Inhalts -Verzeichniß.
I. Kolonien 1. Begriff 2. Kolonien im national-ökonomiſchen Sinne A. Tropische Kolonien . B. Subtropische Kolonien . 3. Rechtliche Stellung von Kolonie und Protektorat 4. Gründung und Erwerb von Kolonien und Schuhgebieten
II. Die deutschen Schuhgebiete . 1. Angra Pequena . 2. Togo- und Biafragebiet 3. Deutsch=Ostafrika 4. Schuhgebiete in der Südsee III. Gegenwärtiger Rechtszustand der deutschen Schuhgebiete I. Verhältniß zum Reich A. Beziehungen der Schuhgebiete zum Reich A. Angra Pequena B. Togo- und Biafragebiet C. Deutsch- Ostafrika D. Kaiser Wilhelmsland und Bismarck - Archipel E. Marschallsinseln und Zubehör B. Beziehungen der Kolonialgesellschaften zum Reich C. Beziehungen der Bewohner der Schußgebiete zum Reich II. Rechtslage im Innern 1. Verwaltung .
A. Togo- und Biafragebiet B. Deutsch- Südwestafrika .
Seite 1
·
13 21 23 27 31 34 39 39 39 41 42 42 44 44 50 55 58
58 60 61
C. Deutsch- Ostafrika D. Wituland E. Südsee 2. Gerichtsbarkeit
62 64 66 72 74 223
A. Zuſammenſehung und Kompetenz der Gerichte B. Das Verfahren in Straf- und Civilsachen 3. Das Strafrecht der Schuhgebiete 4. Das bürgerliche Recht der Schuhgebiete
Seite 61 62
IV. Zukünftige Gestaltung der Schuhgebiete und koloniale Ausdeh80 nung im Interesse des deutschen Reichs
KAVEASE.
Koloni e n.
I.
1. Begriff. Die ie deutsche Sprache weist kein absolut sinngemäßes Wort für „ Kolonie “ auf. Mit dem oft gebrauchten Ausdruck „ Pflanzstätte" bezeichnet man nur eine bestimmte Art derselben. Im Allgemeinen wird man das Fremdwort wohl am besten mit „ Ansiedlung“
verdeutschen können , denn man hat unter „Kolonie“ die gleichzeitige Ansiedlung einer Anzahl von Volks-
genossen in fremdem Gebiet zu Kulturzwecken zu verstehen. Die ältere völkerrechtliche Theorie, so Heffter , ¹) unterscheidet Staatspertinenzien und Kolonien. Unter Ersteren
versteht sie solche Zubehörungen
eines
Landes, welche außerhalb des hauptsächlichen Gebietszuſammenhanges gelegen, keine eigene Selbſtändigkeit beſißen und unter dem
Namen des Hauptlandes mit einbegriffen werden.
Kolonien dagegen sind nach jener Theorie solche Zubehörungen, welche eigene Verwaltung haben, oder Ansiedlungen, die unter der Botmäßigkeit desjenigen Staates, wo die Niederlaſſung erfolgte , stehen und verbleiben, oder endlich Besiedlungen von fremdem staatenlosen Gebiet, aus dem sich allmählich ein eigener Staat entwickeln kann. Nach unserer Meinung kann man zwei Hauptarten von Kolonien unterscheiden : a) solche, welche in einem völkerrechtlich - anerkannten Staatswesen gebildet werden durch gleichzeitige An1) Heffter, Europäiſches Völkerrecht. von Holzendorff, Die koloniale Frage.
5. Aufl. S. 132 ff . 1
-
ſiedelung einer Anzahl Einwanderer , die ein und derselben fremden Nation angehören ; b) solche, welche in Ländern entstehen ,
denen eine
völkerrechtlich anerkannte Staatsordnung fehlt. Erstere Art möchten wir, da in solchen Kolonien das neue Volkselement in dem angesessenen der Regel nach aufgeht,
sich
unterwerfende “ Kolonie nennen , während wir die zweite, weil sie ihr Mutterland an Volk und Land bereichert , mit der Bezeichnung " unterwerfende “ zu charakterisiren glauben . Die sich unterwerfenden Kolonien, für welche die deutschen Kolonien in Südrußland, Beßarabien, in der Türkei, die französische Kolonie in Berlin u . s. w. Beispiele abgeben, können bei unserer Abhandlung nicht in Betracht
gezogen werden.
Denn für unser Thema sind nur solche Kolonien von Intereſſe, mit denen sich das Völker- und Staatsrecht beschäftigt , d . h . also die unterwerfenden.
Ihnen ist eigenthümlich, daß ſie in
rechtlichem Zusammenhang mit dem Mutterlande stehen.
Auf
die Art dieſes Zuſammenhanges kommt es nicht an, nur daß er besteht, ist eine nothwendige Voraussetzung bei Kolonien im Sinne des Völkerrechts .
2. Kolonien im nationalökonomiſchen Sinne. In wirthschaftlicher Beziehung können wir zwei Hauptarten von Kolonien unterscheiden : Tropische und subtropische.
A.
Tropische Kolonien ..
Unter tropischen Kolonien
versteht
man solche
Ansied-
lungen, welche in Ländern der heißen Zone gegründet werden . Da das Klima in diesen Gegenden dem Bewohner der gemäßigten Zone die Arbeit im Freien unmöglich macht und ihm überhaupt geſundheitlich nicht zuträglich ist , so können solche Ansiedlungen
immer nur von einer
verhältnißmäßig
geringen Anzahl Kolonisten , welche gleichzeitig Intereſſenten
sind , gegründet werden .
Auch bleiben diese Kolonien immer
nur das Ziel einer Einzeleinwanderung. Je nach dem Zweck, welchen dieſe Art von Koloniſation verfolgt, können wir zwei Unterarten von tropischen Kolonien aufstellen: a) Plantagenkolonien,
b) Handelskolonien. Die Gründung der Ersteren erfolgt , um , wie ihr Name ſagt, Plantagenbau zu betreiben.
Die einheimischen, oder aus
anderen tropischen Ländern eingeführten Arbeitskräfte werden angelernt und ausgenußt , um dem Boden tropische Produkte abzugewinnen. Dieſelben werden dann zum Import ſpeziell in das Mutterland verwendet. Die Lezteren entstehen dadurch, daß zunächst einzelne Kaufleute kleine Niederlassungen, sogenannte Faktoreien, gründen behufs Anbahnung borenen. wickeln ,
von Handelsbeziehungen mit den Einge-
Es wird sich in erster Linie ein Tauschhandel entder
mit
wachsender
Ausdehnung
vor
Allem
den
Export des Mutterlandes begünſtigt. Es liegt also auf der Hand , daß tropische Kolonien dem Mutterlande zum großen Nußen
gereichen.
In erster Linie
wird die heimische Industrie gefördert durch Eröffnung neuer Abſazmärkte.
Die Kaufmannschaft
ferner kann
besser
und
billiger tropische Erzeugnisse beziehen. Auch andere Stände tragen durch tropische Kolonien nicht weniger direkten Nußen davon.
Die Verwaltung der neuen
Beſigungen wird sich für unternehmungslustige und vorwärtsstrebende Männer als ein geeignetes Feld der Thätigkeit erweisen. Die eventuelle Unterwerfung der widerstrebenden eingeborenen Elemente und die dazu nothwendige Gründung einer Kolonialtruppe, sowie die Vergrößerung der Kriegsflotte können vielfach
Gelegenheit bieten,
den
Ueberschuß
an
männlicher
Kraft in edle und nußbringende Bahnen zu lenken. 1*
Endlich wird auch das geistige Leben der Nation wesentlich gefördert werden, indem die neuen Verhältnisse sowie die neuen Länder und Völker den wissenschaftlichen Vertretern des Mutterlandes Gelegenheit bieten , sich neue und schöne Ziele zu stecken. Schließlich wird
diese Art
von Ansiedlung
direkte Einnahmequelle für das Mutterland .
auch
eine
Denn ſpekulative,
zähe und energische Menschen können in Kolonien leichter und schneller zu Wohlstand und Reichthum gelangen, als das im Mutterlande möglich wäre. Nur wenige werden aber auf Lebenszeit in den Tropen bleiben können und wollen. Die Mehrzahl wird nach einiger Zeit in die Heimath zurückkehren und das Errungene dort verwerthen und genießen. Somit sind es also in erster Linie die oberen Klassen der Bevölkerung des
Mutterlandes ,
in
welche
durch
tropische
Kolonien vielfache Anregung und neues frischeres Leben gebracht wird, und sie sind es, welchen solche Art der Koloniſation vor Allem zum Nußen gereicht.
B.
Subtropische Kolonien.
Wie wir oben gesehen haben, ist die heiße Zone nicht geeignet, den Europäer dauernd
aufzunehmen .
Maſſeneinwan-
derung kann also nur in subtropischen Gegenden gehen.
vor sich
Die Eigenthümlichkeit der subtropischen Kolonien wird
demnach darin bestehen, daß wir dort Einwanderer in großen Mengen vorfinden und daß die Bearbeitung des Bodens nicht von Eingeborenen unter Leitung von Kolonisten, sondern von diesen selbst vorgenommen wird. Die planmäßige und angemessene Bebauung des Bodens, die Aufdeckung und Ausbeutung der mineralischen Schäße des Landes , die Urbarmachung wüster und ſumpfiger Ländereien, die Vertilgung schädlicher Naturerzeugnisse , die Rodung der Wälder sind die natürliche Folge. Somit werden immer neue Vermögenswerthe erschlossen , welche nicht nur der Kolonie zu
-
Gute kommen.
5
-
Denn durch die bestehenden Beziehungen zum
Mutterlande, die schon durch die vielfachen persönlichen Anknüpfungspunkte der Ansiedler mit ihrer Heimath angebahnt werden , muß das Vaterland wesentlichen Nußen haben.
Und
dieser wird , entsprechend dem sich vergrößernden Werth der Kolonie, stetig zunehmen. Auch die allmähliche Civilisirung der eingeborenen Bevölkerung , deren Lebensbedürfnisse sich dadurch nach und nach steigern, muß sich für den Handel des Mutterlandes in günstiger Weise bemerkbar machen. Der größte Vortheil solcher subtropischen Kolonien besteht aber darin, daß der auswanderungsluſtige Theil der Bevölkerung nach einer bestimmten Richtung hingelenkt und so der Ueberschuß an Kraft nicht zersplittert , ſondern der Nation erhalten bleibt.
Durch subtropische Kolonien entsteht somit in
Wahrheit „ ein verjüngtes Vaterland “. Es ist klar , daß solche Art von Kolonisation nur von Nationen betrieben werden kann, welche eine Ueberproduktion der Bevölkerung aufzuweisen haben.
Für diese aber ist die
Möglichkeit zu solchem, wir möchten sagen, Aderlaß , geradezu eine Lebensfrage. Im vierten Theil dieſer Abhandlung werden wir , indem unser Vaterland als Beispiel benußt werden soll , Gelegenheit haben,
auf diesen interessanten Punkt zurückzukommen.
Er-
wähnt ſei hier nur, daß, da im Allgemeinen die unteren Volksschichten auswanderungslustig und -bedürftig sind , durch ſubtropische Kolonien gerade die Lage der schlechter ſituirten Bevölkerung des Mutterlandes aufgebessert werden kann. Beide in Obigem besprochenen Arten von Kolonisation dienen somit dem Mutterlande zur Verbesserung seiner ſocialen und finanziellen Lage. Es ist am Plage, hier noch einer Art von Kolonie Erwähnung zu thun , welche von den bisher behandelten ihrem
6 Zweck nach gänzlich verschieden ist -- wir meinen die Straffolonie. Die Absicht, die man mit solchen Kolonien verfolgt, ist die, Verbrechen dadurch zu fühnen, daß man die Rechtsbrecher zwangsweise außerhalb des Vaterlandes ansiedelt und sie zu öffentlichen Arbeiten verwendet.
Es ist kein Zweifel, daß diese
Art des Strafvollzuges bedeutende Vorzüge vor dem jezt geseglich bestehenden aufzuweisen hat. Die Erfahrungen, die ſowohl England in Australien wie Rußland in Sibirien mit Strafkolonien gemacht haben, sprechen für diese Einrichtung . Nachweislich erhalten die Strafniederlaſſungen nicht nur sich selbst, sondern werfen noch einen Ueberschuß ab , während bekanntlich die Zellengefängnisse mit der Verpflegung der Gefangenen enorme Summen verschlingen. Aber abgesehen von der finanziellen Seite ist die Strafkolonie nach unserer Meinung auch ein besserer Strafvollzug als das Gefängniß.
Sie genügt allen Anforderungen , welche
Berner ') an eine gute Strafvollstreckung stellt : 1. „fie verunſittlicht nicht“, denn sie fühnt durch Vermehrung der kultivirten Länder den durch das Verbrechen verlegten Kulturgedanken ; 2) 2.
sie ist
ein empfindliches Uebel ", denn aus seinen
bisherigen Verhältnissen gerissen zu werden , ist für jeden Menschen ein Leiden ; 3. „sie wirkt so viel als möglich auf verschiedene Personen gleichmäßig“, denn den Gebildeten wie den Ungebildeten bedrückt das zwangsweise Fernſein von der Heimath und die zwangsweise Arbeit gleich schwer, aber troßdem entwürdigen sie ihn nicht ; 4.
sie wirkt im Verhältniß der größeren Schuld härter“, denn sowohl durch ein kürzeres oder längeres Ver-
15. Auflage 1) Berner , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. S. 177, 178. 2) cf. Die Ersaytheorie des Strafrechts von Welcker.
- 7
―
banntsein, wie durch Vertheilung der Arbeit (Bergwerk,
Ackerbau , Gewerbe , ideelle Beschäftigung )
ein gegenseitiges
iſt
Abwägen von Schuld und Sühne
leicht zu ermöglichen; 5.
sie ist leicht abschäßbar und theilbar", denn man kann die Individualität der Verbrecher berücksichtigen ;
6.
sie beschränkt sich so viel als möglich auf die Person des Schuldigen“, denn der Zwangsansiedler ist in der Lage , seine Familie mitzunehmen und unterstüßen;
7.
dieselbe zu
sie ist widerruflich und wieder gut zu machen“, denn einerseits
kann der unschuldig Bestrafte
zurückgebracht
werden
und
jeder
andererseits
wirkt
Zeit der
Aufenthalt in der Verbannung nicht so deprimirend auf den ehrliebenden Menschen , wie der Aufenthalt im Gefängniß oder Zuchthaus . Endlich aber ist die Strafkolonie der einzige Strafvollzug, bei dem ein Erfah für den durch das Verbrechen Geſchädigten möglich ist.
Während jezt z . B. ein Bestohlener unter Um-
ständen trog Bestrafung des Diebes nie wieder zu seinem gestohlenen Gut kommt, während die Familie eines durch Todtschlag Umgekommenen
vielleicht
darben und
hungern
troßdem der Todtschläger seine Strafe abbüßt,
muß,
könnten in
diesen wie in ähnlichen Fällen die Verbrecher in den Strafkolonien durch ihre erzwungene Arbeit den erlittenen Verlust wenigstens zum Theil ausgleichen helfen. Aus Gründen der Menschlichkeit wird man Strafkolonien wohl am besten in subtropischen Gegenden
errichten .
Doch
würde es dem sittlichen Zweck der Strafe nicht widersprechen, wenn man schwere Verbrecher zeitweise auch in tropische Gebiete deportirte .
Allerdings dürfte nur ein Theil der Strafzeit in solchen Kolonien verbracht werden ― der Rest der Strafe wäre in subtropischen Gebieten zu verbüßen.
Auch auf die Strafkolonie werden wir im vierten Theil unserer Abhandlung zurückzukommen haben.
3.
Rechtliche Stellung von Kolonie und Protektorat.
Wie wir Eingangs erörtert haben, ist das Kriterium derjenigen Kolonien, mit denen sich unsere Abhandlung zu beschäftigen hat: die rechtliche Abhängigkeit vom Mutterlande. Diese
Abhängigkeit
versuchen
verschiedene
Juriſten, ſo
von Stengel , ') in eine völkerrechtliche und staatsrechtliche zu zerlegen. Unseres Erachtens ist diese Unterscheidung undurchführbar. Eine Kolonie kann nur im ſtaatsrechtlichen Sinne mit dem Mutterlande zusammenhängen.
Das Völkerrecht sett völker-
rechtliche Subjekte voraus , d . h . also Staaten.
Ein Haupt-
erforderniß aber für den Begriff des Staates ist seine Souveränität.
Diese wiederum ist unvereinbar mit dem Grad der
Abhängigkeit, in welchem sich thatsächlich die Kolonie zum Mutterlande befindet.
Denn die Kolonien sind nichts Anderes
als überseeische Provinzen des Heimathsstaates , dem sie vollständig unterworfen sind .
Dabei ist es indifferent , in wie
weit sie betreffs ihrer Verwaltung und der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten ſelbſtändig gemacht sind thatsächlich fehlt ihnen jede völkerrechtliche Souveränität und die aus derselben entspringenden Rechte.
über
Im Völkerrecht stehen sich gleichberechtigte Subjekte gegender Begriff der Kolonie aber seht eine rechtliche Ueber-
und Unterordnung voraus . Wo Unterordnung besteht , ist
Gleichberechtigung selbst-
redend ausgeschlossen , mithin wäre
eine Kolonie in völker-
rechtlicher Abhängigkeit“ ein Widerspruch in ſich ſelbſt . Zu den Kolonien werden aber auch im rechtlichen Sinne
1) von Stengel , Die deutschen Schutzgebiete , Stellung, Verfaſſung und Verwaltung (1889) S. 9 ff.
ihre
rechtliche
9
solche überseeischen Gebiete gerechnet , welche nur unter dem Protektorat eines civilisirten Staates sich befinden. Zur
Klärung
dieses
vielseitigen
möchten wir Folgendes aufstellen : scheiden torat.
völkerrechtliches
Begriffes
Protektorat
Zunächst wäre zu unter-
und staatsrechtliches
Wie schon Heffter¹)
Protek-
nachweist , werden unter dem
Namen Protektorat die verschiedensten Rechtsverhältniſſe , ſowohl staatsrechtlicher als völkerrechtlicher Art, zuſammengefaßt. Dies ist der Grund, warum wir eine Unterscheidung innerhalb des so halten.
vielsagenden
Begriffs
Protektorat für nothwendig
Bleiben wir bei der oben vorgeschlagenen Eintheilung, so können wir völkerrechtliches Protektorat als ein Schußverhältniß zwischen einem größeren und einem kleineren Staat definiren. Hülfe
Der Größere verspricht dem Kleineren Schuß und der Lettere als
gegen feindliche Angriffe , während
Gegenleistung sich verpflichtet, die auswärtige Politik ſeines mächtigeren Freundes zu unterſtüßen oder wenigstens nicht zu durchkreuzen. Bei dieser Art Protektorat liegt ein rein völkerrechtliches Verhältniß vor, da die Souveränität gewahrt bleibt. Beispiele bieten dafür der kleine Freistaat Andorra, welcher unter dem Protektorat Frankreichs und des spanischen Bischofs von Urgel steht, ferner die Republik San Marino unter italienischem und endlich das Fürstenthum Monaco unter franzöſiſchem Protektorat. Allerdings trägt ein solches Verhältniß , wie Bluntschli²) sagt: „den Keim des Todes in sich, denn ein Staat, der sich nicht selber schüßen kann, verdient nicht ein ſelbſtändiger Staat zu bleiben“.
1 ) Heffter , Das europäische Völkerrecht der Gegenwart (Geffcken). 8. Aufl. § 23. 2) Bluntschli , Das moderne Völkerrecht (1868) S. 90.
10
Nichtsdestoweniger
existiren solche völkerrechtlichen
Pro-
tektorate, wenn auch vielleicht nur als Uebergangserscheinungen. Jedenfalls sind sie aus dem Kolonialrecht auszuscheiden. Das staatsrechtliche Protektorat würde dann ein solches Schußverhältniß bezeichnen, bei welchem der beſchüßende Staat auch in die inneren Verhältnisse des Beschüßten mehr oder weniger eingreift. wird zu
Die Souveränität des
kleineren Staates
einer sogenannten Halbsouveränität
oder
in
noch
höherem Grade abgeschwächt und seine Stellung zum Größeren wird somit eine staatsrechtliche. Dieser Ansicht pflichtet Bluntschli¹) bei. Dem genannten Verhältniß entsprechen sowohl das Protektorat von England über die indischen Vasallenfürſten wie das Frankreichs über Tunis , Madagaskar , Tonking, Annam, Kambodscha.
Bei diesen ist besonders auf dem Gebiete der
Rechtspflege und Verwaltung
der Einfluß
des
betreffenden
schußherrlichen Staates ein weitgehender. Ueber
die
charakteristischen
Eigenthümlichkeiten
in der
Stellung solcher Protektoratsgebiete zum schußherrlichen Staat finden wir folgende interessante Aeußerung von Valbert : 2) „Le régime du protectorat est une méthode de gouvernement indirect.
Le protecteur ne substitue pas violemment son action à celle du protégé ; il le dirige , il le conseille après s'être assuré les moyens écouter.
Mais ,
tout en le dirigeant ,
témoigne quelque déférence .
de se faire
il le ménage, lui
Il n'aurait garde de le
discréditer auprès de son peuple , car il importe , que les populations protégées nourrissent l'illusion qu'elles n'ont point changé de maître. " Es ist klar , daß ein solches Protektorat zwei Staatsgewalten vorausseßt, die miteinander das gegenseitige Verhältniß 1) Bluntschli , Das moderne Völkerrecht (1868) S. 95. 2) Valbert , Le régime du Protectorat en Tunisie , Révue des deux Mondes , 78. Bd. S. 192.
11 feststellen können .
Doch ist es keine begriffliche Nothwendigkeit,
daß der beschüßte Kontrahent eine völkerrechtliche anerkannte Sehr wohl kann ein Schußverhältniß Staatsgewalt ist. zwischen einem civiliſirten Staat und Beherrschern unciviliſirter Länder zu Stande kommen. Nur in staatenlosem, oder, wie das Völkerrecht sagt, herrenlosem Gebiet ist ein solches Verhältniß ausgeschlossen. Der Unterschied alſo zwiſchen Kolonie im rechtlichen Sinne und staatsrechtlichem Protektorat ist nach obiger Auseinandersegung dahin zu formuliren, daß die Kolonie der Souveränität des Mutterlandes vollständig unterworfen ist ,
während bei
Protektoraten die Souveränität des beschüßten Staates mehr oder weniger beschränkt ist.
Bei Beiden ist
aber der Zu-
sammenhang ein staatsrechtlicher. In vielen Fällen wird sich aus
einem staatsrechtlichen
Protektoratsgebiet eine Kolonie bilden und sehr häufig wird der Ausdruck Protektoratsübernahme aus politischen Gründen nur einen Vorwand bilden , um die Absicht, eine Kolonie zu erwerben, zu verdecken.
Denn wie Bulmerincq ') bei Be-
sprechung der engliſchen und französischen Protektorate auseinandersett, „ gewährt solche Protektion in der Regel gegen einen übermächtigen und
erwerbslustigen Protektor den schlechtesten
Schuß, indem sie nur der erste mildere Schritt zur Einverleibung ist , besonders wenn das Gebiet ein abgelegenes und von den Besitzungen anderer europäischer Staaten entferntes ist". Fassen wir das oben Gesagte kurz zusammen , so müssen wir unterscheiden : 1. Kolonien - überseeische Provinzen
Unterordnung. 2. Staatsrechtliche Protektorate -
also
absolute
Nebenländer
theil-
weiſe Unterordnung. 1) Bulmerincq , Völkerrecht in Marquardsen's Handbuch des öffent lichen Rechts I, 2. . 199.
12
3. Völkerrechtliche Protektorate
--- zwei Staaten - keinerlei
Unterordnung. Lettere gehören , wie oben dargestellt, nicht ins Kolonialrecht. Selbstverständlich kann in den beiden in Frage stehenden staatsrechtlichen Verhältnissen die Art des Zusammenhanges eine ganz verschiedene sein . Sowohl bei der Kolonie wie beim staatsrechtlichen Protektorat kann größere oder geringere Selbſtändigkeit in inneren Angelegenheiten vorwalten.
Naturgemäß
wird auch hierbei die geographische Lage der Kolonie resp . des Protektoratsgebietes eine große Rolle spielen . In subtropischen Ländern ist eine Masseneinwanderung, wie oben auseinangergefeßt , durchführbar .
Die große Menge
der Einwanderer ermöglicht die Gründung eines Staatsgefüges .
modernen
Zwar paßt die Masse der Eingeborenen zu-
nächst nicht in ein solches Staatswesen , doch kann sich daſſelbe trogdem , gestüt eben auf das importirte civilisirte Element, mehr oder weniger selbständig entwickeln .
Diese Selbständig
´keit kann sich, wie an dem Beiſpiele der englischen Kolonien in Auſtralien , am Kap und in Kanada ersichtlich iſt , bis zu einer
eigenen Repräsentativverfaſſung
lichen Regierung emporschwingen.
mit einer verantwort-
Troßdem bleibt die Ab-
hängigkeit vom Mutterlande durch das demselben zustehende Recht des Vetos
in der Gesezgebung, der Ernennung eines
Gouverneurs und durch die Befugniß der völkerrechtlichen Vertretung bestehen. Anders ist es in tropischen Einzeleinwanderung
möglich.
Die
Gegenden.
Dort ist nur
wenigen
Eingewanderten
können unmöglich ein selbständiges Staatswesen bilden. Eingeborenen sind
Die
aber dazu unfähig , wie das Beiſpiel von
Domingo und Liberia ausreichend beweist.
Somit muß die
Leitung vom Mutterlande aus gehandhabt werden, sei es durch die Regierung selbst , sei es durch Gesellschaften , welchen von der Regierung die betreffenden Vollmachten übertragen werden. Im Allgemeinen sind in beiden Fällen wohl die Geſeße
-
des Mutterlandes
13
maßgebend .
durch das Klima und find unvermeidlich .
Aber Abweichungen , bedingt
das Verhältniß zu
den Eingeborenen,
4. Gründung und Erwerb von Kolonien und Schutzgebieten. Mit der fortschreitenden Kultur zeigt das Völkerrecht das Bestreben, seinen Einfluß auf immer weitere Gebiete zu erstrecken.
Während früher die völkerrechtliche Gemeinschaft nur
die christlich civilisirten Staaten umfaßte, ist dieselbe jezt bereits auf die civilisirten nichtchriſtlichen Staaten ausgedehnt. Daß dabei Unterschiede innerhalb der Gemeinschaft, betreffs der völkerrechtlichen Beziehungen bestehen , kommt für uns nicht in Betracht. Aber schon begnügt sich der moderne völkerrechtliche Gedanke nicht mehr mit diesem Standpunkt , sondern er versucht bereits ,
die halbcivilisirten Völkerschaften in seine Interessen-
sphäre zu ziehen.
Dies
änderten Verhältniß ,
prägt sich deutlich aus in dem ver-
welches
civilisirte Staaten
bei Besit-
ergreifung unciviliſirter Gebiete zu beobachten sich gewöhnt haben. Der Grund liegt darin, Gebiet“ heute stehungszeit
des
etwas
ganz
Völkerrechts .
daß man unter „herrenloſem anderes versteht, Während
als zur Ent-
damals
jedes
un-
civilisirte Land mit herrenlos bezeichnet wurde, neigt die heutige Theorie sich der Ansicht zu , daß herrenlos im Sinne des Völkerrechts nur ein solches Gebiet ist , in welchem entweder gar keine Bevölkerung
vorhanden ist, oder in welchem
nicht Anfänge eines staatlichen Lebens zu erkennen ſind .
auch Nun
ist bekanntlich Occupation sowohl im Sinne des Privatrechts wie im Sinne des Völkerrechts nur möglich an herrenlosen Sachen.
Mithin iſt durch Einschränkung des Begriffs „ herren-
loses Gebiet" gleichzeitig
auch die Möglichkeit der völkerrecht-
lichen Occupation bedeutend begrenzt.
Sie ist , wie bereits ge=
14
-
ſagt worden, heut zu Tage nur möglich an unbewohnten oder solchen Gebieten, in denen jede staatliche Einrichtung fehlt. Dort aber ist sie auch nothwendig. Denn da keine Autorität im Lande ist , fehlt jede Möglichkeit, das Land auf andere Weise als durch Occupation zu erwerben. Dagegen würde die Erwerbuug durch Occupation von folchen Ländern, welche eine staatliche oder staatsähnliche Organisation aufzuweisen haben, jeder rechtlichen Grundlage entbehren und somit einem Gewaltakte gleichkommen. ') Derartige Gebiete können jezt rechtlich nur nach vorhergegangener Einwilligung der Eingeborenen
auf Grund
von
Abtretung und Verträgen erworben werden. Bei eingehender Betrachtung dieser beiden Erwerbsarten ergiebt sich Folgendes : 1.
Unter Occupation in völkerrechtlichem Sinne versteht
man die thatsächliche Besizergreifung
eines
herrenloſen Ge-
bietes in der Absicht , in eigenem oder fremdem Namen über dasselbe zu verfügen. Dieſe Definition entspricht der heute herrschenden Anſicht. Es genügt nicht mehr, durch bloß ſymboliſche Handlungen, wie Flaggenhissen 2c. , seinen Willen betreffs Occupirung des Gebietes kund zu
geben,2) sondern
es
wird
eine
corporalis
possessio verlangt, d . h. der occupirende Staat ist verpflichtet, Anstalten zu treffen , welche geeignet sind , die Autorität desselben über das occupirte Gebiet zu sichern. )
„ Denn da der
Rechtsgrund der Occupation nur in der staatlichen Natur und Bestimmung des Menschengeschlechts liegt, ist nur die wahrhafte und dauernde Beseßung als wirkliche Occupation zu be1 ) cf. Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schuhgebiete (1888) S. 28 ff. Heffter , Europäiſches Völkerrecht, 8. Aufl. § 70. Bulmerincq , Völkerrecht in Marquardsen's Handbuch des öffentlichen Rechts . S. 282. 2) cf. Bluntschli , Das moderne Völkerrecht (1868) S. 164. 3) cf. Bluntschli , ebenda S. 165.
15
trachten.
Die bloß scheinbare Occupation kann höchstens den
Schein des Rechts, nicht wirkliches Recht gewähren . “ Diese theoretische Folgerung Bluntschli's ') ist durch die Kongokonferenz in die Praris übertragen worden. Denn im Artikel 35 der Kongoakte verpflichteten sich die Signatärmächte, in den von ihnen befeßten Gebieten das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht , um erworbene Rechte zu schüßen. Wenn nun auch diese Vereinbarung nur für die Länder des Kongobeckens neuer
getroffen ist , so ist doch durch dieselbe ein
Grundfaß des Völkerrechts formulirt , welcher bereits
jezt auf die völkerrechtliche Occupation überhaupt ausgedehnt zu werden beginnt. Zu einer völkerrechtlich gültigen Occupation wird heute ferner eine Willenserklärung
von Seiten
des
occupirenden
Staates und zwar nach zwei Seiten hin verlangt. Einerseits muß den Gliedern der völkerrechtlichen Gemeinschaft von der erfolgten Besißergreifung Anzeige gemacht werden, damit dieſelben eventuell entgegenstehende Rechte geltend machen können.
Auch diesen Grundsatz hat die Kongokonferenz im
Artikel 34 der Akte zunächst wiederum für das Kongobecken aufgestellt. Andererseits muß in dem betreffenden occupirten Gebiet die Willenserklärung erfolgen.
Dies
geschieht in der Regel
durch Proklamation , durch Hiſſen der Flagge und durch Aufrichten von Grenzpfählen . Naturgemäß wird durch solche Besizergreifung nur die Die Souveränität über das betreffende Gebiet erworben. Privatrechte der Eingeborenen werden dadurch nicht tangirt, und Eigenthum an Grund und Boden kann ſelbſtverſtändlich nur durch Kaufverträge 2c.
von den bisherigen Beſizern er-
¹) Bluntſchli , Das moderne Völkerrecht (1868) S. 167.
16
worben werden.
Denn wie Bluntschli¹)
sagt :
„ In der
Gebietshoheit liegt nicht das Eigenthum an dem Boden. “ Dieser Sat gilt aber nur mit der naturgemäßen Einschränkung, daß dasjenige occupirte Land, welches auch privatrechtlich herrenlos ist, entsprechend durch privatrechtliche Occupation erworben werden muß. Hierüber
sind
zwei
Auffaſſungen
vorhanden ,
die
des
römiſchen und die des germanischen Rechtes . Das Erstere nimmt an, daß , wenn ein Staat von einem Gebiet Besit ergriffen hat und in dieſem eigenthumsfähiger, aber nicht im Eigenthum befindlicher Boden vorhanden ist, daß dann jeder Private berechtigt ist, dieſes Land zu occupiren . Das germanische Recht dagegen folgert, daß der Staat mit dem Erwerb der
Gebietshoheit auch zugleich Eigenthum
an
solchem Boden gewonnen habe. Demgemäß ist nach dieser Ansicht vorherige Ermächtigung von Seiten des Staates für die private Besizergreifung nothwendig.
Lettere Ansicht ist die jest herrschende und sie unter-
stüßt auch, wie Bluntschli²) sagt, beſſer als die erste die geordnete und friedliche Besißnahme und Kultivirung des Bodens . 2.
Die andere Möglichkeit , uncivilisirte Länder behufs
Kolonisation zu erwerben, besteht darin, daß Verträge mit den Eingebornen abgeſchloſſen werden.
Solche Verträge seßen, wie
erwähnt, eine staatenähnliche Organiſation des zu erwerbenden Gebietes voraus .
Durch dieselben wird eine doppelte rechtliche
Wirkung erzielt.
Erstens geben sie dem besißergreifenden Staat
einen rechtlichen Anspruch den Eingeborenen gegenüber auf Herstellung einer Herrschaft oder Oberhoheit, und zweitens bedingen ſie gegenüber allen anderen Staaten der völkerrechtlichen Gemeinschaft ein Vorzugsrecht betreffs der Besißnahme.
1) Bluntschli, Das moderne Völkerrecht (1868) S. 163. ebenderselbe, S. 166. 2) Bluntschli, Das moderne Völkerrecht (1868) S. 164.
cf. auch
17
Folglich ist auch hier
die
thatsächliche
Besizergreifung
nothwendig, um die Souveränität über das neue Gebiet rechtlich zu erlangen. Es ist die Frage , ob nur
Staaten zum Erwerb
von
Kolonien berechtigt sind , oder ob dies auch Gesellschaften und Privatpersonen zusteht.
Wir
glauben
das
Lettere bejahen
zu sollen. Zweifellos ist jeder Private berechtigt, staatenloſes Land zu occupiren. Die Erlaubniß seines Heimatsstaates braucht er nicht vorher einzuholen. ) Kann nun aber ein solcher Unternehmer bei entsprechender Größe und Organisation ſeines erworbenen Gebietes z . B. Festungen anlegen,
eine koloniale Truppe begründen,
eigne Flagge führen, diplomatische Ver-
treter aussenden, Krieg führen
kurz die Rechte eines souve-
ränen Staatsoberhauptes ausüben ? Wir müssen zur Beantwortung dieser Frage zwischen innerer und äußerer Souveränität unterscheiden. Was die Erstere anlangt, so sezt Wheaton ) sehr logisch auseinander : " La souverainité intérieure d'un État ne dépend pas de la reconnaissance de cet État par d'autres États ; en d'autres termes , un État nouveau qui surgit dans le monde n'a pas besoin d'être reconnu par d'autres États pour jouir de sa souverainité intérieure. L'existence de fait de l'État nouveau suffit seule pour légitimer l'exercice de sa souverainité intérieure. C'est un État parce qu'il existe." Betreffs der äußeren Souveränität ist völkerrechtliche Anerkennung nothwendig, ³) die, im Fall endgültiger Organisation und
Bereitschaft zu
gegenseitigen Handelsbeziehungen,
verweigert werden kann.
nicht
Ja ! sogar ein Zwang dazu würde,
1) Bluntschli , Das moderne Völkerrecht (1868) S. 165. 2) Wheaton, Éléments du droit international (1848) p . 32 . 3) ef. Heffter, Europäisches Völkerrecht (1867) S. 99. 2 von Holzendorff, Die koloniale Frage.
18
günstige politische Konstellation und die nöthigen Machtmittel vorausgesezt, völkerrechtlich wirksam sein.
Das beste Beiſpiel
solcher völkerrechtlichen Anerkennung bietet der Kongostaat. Allerdings wird die
Stellung zum Mutterlande immer
eine wesentlich andere sein, als fremden Staaten gegenüber. Denn der Erwerber der Kolonie bleibt immer Unterthan seines Heimatsstaates . ')
Er müßte erst aus diesem staatsrechtlichen
Verhältniß wenigstens begrifflich entlassen sein, bevor er mit dem Mutterlande in völkerrechtliche Beziehungen treten könnte. Zu der ganzen Frage hat Deutschland offiziell im bejahenden Sinne Stellung genommen , indem es auf eine Anfrage von England erklärt, daß es die Abtretung von Hoheitsrechten
an
Privatpersonen
oder
Gesellschaften für
zulässig
hält. 2) Das
englische
Staatsrecht
nimmt die
Erwerbsart zur
Grundlage einer Eintheilung der Kolonien und unterscheidet : 1. Crown Colonies,
2. Proprietary Colonies , 3. Charter Colonies . ad 1. Die Crown Colonies find solche Kolonien, welche unmittelbar vom englischen Staat erworben worden sind . Dies kann durch Eroberung, durch Abtretung auf Grund eines Vertrages oder durch Besizergreifung von staatenlosem Gebiet geschehen. Der Erwerbungsart entsprechend
werden solche Kolonien auch
direkt vom Staate verwaltet , ohne Zwischentreten von Gesellschaften oder Privaten. ad 2.
Proprietary Colonies entstanden dadurch, daß
in früheren Jahrhunderten England ſeinen Unterthanen, ſei es Einzelnen, sei es Gesellschaften, gestattete, herrenloses Gebiet zu occupiren und Kolonien zu gründen. Diese betreffenden „ Eigen-
1 ) cf. Creasy , The Imperial and Colonial Constitutions of the Britannic Empire (1873) S. 66 ff . 2) Travers Twiss , la libre navigation du Congo. p. 554.
-
19
thümer" übten alle Hoheitsrechte unbeschränkt aus, wobei sie allerdings unter die Oberhoheit von England treten mußten. Das Verhältniß zwischen Mutterland und Kolonie war also eine Art Lehnsverhältniß.
Die Eigenthümer
mußten einen
Unterthaneneid leisten, der in seinen juristischen Konsequenzen dem alten Lehnseid entsprach.
In unserer Zeit ist von einem
Recht des Staates , fremde, d . h. nicht in seinem Besiz befindliche Gebiete zu vergeben,
nicht mehr die Rede, denn wie
Henry Wheaton ') es ausdrückt : „ le gouvernement anglais en déclarant que la terre , étant l'héritage commun de tous les hommes ,
chaque individu et chaque
nation a le droit de s'en approprier une portion en la cultivant et en l'occupant. " ad 3.
Charter Colonies find solche Kolonien, denen
von Seiten Englands durch einen royal charter die Erlaubniß ertheilt worden war, Handel zu treiben.
Das engliſche Staats-
recht stand in früheren Jahrhunderten auf dem Standpunkt, daß der Handel Monopol des
Staates sei.
Daher mußte,
wenn seine Kolonien unabhängig vom Mutterland Handelsbeziehungen anknüpfen wollten , die Zustimmung hierzu in feierlicher Form erst gewährt werden.
Dies geschah durch die er-
wähnten royal charters, welche im Allgemeinen für unſere Schußbriefe als Vorbild gedient haben, aber nur in formeller Beziehung .
Denn da heute ein Handelsmonopol des Staates
im Sinne der früheren Jahrhunderte nicht mehr eriſtirt, iſt selbstverständlich
ein
Freibrief 'für den Handel
nicht mehr
nöthig .
Diese oben geschilderte englische Eintheilung scheint Bornhak2 ) vorgeschwebt zu haben, als er vorschlug , unsere außereuropäischen Beſigungen in Kronschußgebiete und Geſellſchaftsschußgebiete einzutheilen . Er ging dabei vom Gesichtspunkte
¹) Wheaton , Éléments du droit international ( 1848) p. 162. 2) Bornhak, Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts. S. 81 . 2*
-
20
der Verwaltung aus , und findet das charakteristische Merkmal für die erstere Art darin, daß die Hoheitsrechte von Reichsbeamten ausgeübt werden, während
er für das Gesellschafts-
schutzgebiet als Kriterium die Bethätigung der Hoheitsrechte iure delegato durch Geſellſchaftsorgane vorausſeßt. Diese Eintheilung ist heute undurchführbar, da
Geſell-
schaftsschußgebiete im Sinne Bornhak's in der nächsten Zeit aufgehört haben werden zu eristiren , denn wie wir im zweiten Theil dieser Abhandlung Gelegenheit haben zu zeigen, ist das Deutsche Reich im Begriff, sämmtliche Schußgebiete unter seine direkte Verwaltung zu nehmen .
II.
Die deutschen Schuhgebiete.
Vielfach hatte sich seit Gründung des Deutschen Reiches die öffentliche Meinung mit der Frage beschäftigt, ob für Deutschland der Erwerb von außereuropäischen Besißungen wünschenswerth und nöthig sei.
Die Reichsregierung hatte bis dahin zu
dieser Frage offiziell keine Stellung genommen .
Erst mit der
denkwürdigen Samoa-Vorlage im Reichstag während der Frühjahrsſeſſion 1880 trat sie aus der bisher beobachteten Zurückhaltung heraus . Es handelte sich darum, Handels- und Plantagenunternehmungen einzelner spekulativer Kaufleute auf den Samoaund
anderen Südseeinseln durch das Reich zu unterſtüßen .
Wie der Reichskanzler damals ausdrücklich betonte,
war keine
Besizergreifung beabsichtigt, sondern die Regierung wollte nur die bereits bestehenden Niederlassungen schüßen und den Unternehmungsgeist deutscher Kaufleute anfeuern.
Dies
Ziel ge=
dachte man dadurch zu erreichen, daß der deutschen Seehandelsgesellschaft in Berlin , in deren Besit der größte Theil der deutschen Ansiedlungen auf Samoa übergegangen war , eine Garantie vom Reich gewährt werden sollte.
Dieſelbe ſollte in
einem jährlichen Zuschuß aus Reichsmitteln bestehen, welcher die Summe von 300 000 Mark nicht übersteigen durfte. Leider war die Regierung außer Stande , ihre Absicht durchzuführen.
Der Reichstag lehnte die Vorlage ab
in der
22
Meinung, daß die Garantieübernahme allmählich zu kolonialen Erwerbungen von Seiten des Reichs führen würde. Dieser Möglichkeit war die Majorität der Volksvertretung durchaus abhold gesinnt. Doch hinter der damaligen Mehrheit des Reichstages ſtand nicht die Mehrheit der Nation.
Das verneinende Votum der
Volksvertretung hat unsere kolonialen Bestrebungen nicht hindern, sondern nur einige Zeit hinausschieben können .
Man
geht aber sicherlich nicht zu weit mit der Behauptung : Mehrheitsbeschluß des Reichstags
Der
von 1880 hat es mitver-
ſchuldet, daß die Samoa-Inseln, jene Perle der Südsee, anstatt ein zu den weitgehendsten Hoffnungen berechtigendes
deutsches
Schußgebiet zu sein, der Anlaß zu den ernſteſten Verwicklungen zwiſchen ſonſt befreundeten Nationen geworden sind . Nach diesem kläglichen Scheitern weitsehender Pläne ließ die Reichsregierung vier Jahre verstreichen, bevor sie aufs Neue mit kolonialpolitischen Bestrebungen an die Oeffentlichkeit trat. Zu dieser Zeit, im Frühjahr 1884, wurden , ohne daß vorher irgend etwas darüber öffentlich bekannt geworden war, die Ländereien des Bremer Hauses Lüderiß , welche dasselbe in Angra Pequena erworben hatte, unter den Schuß des Deutschen Reiches gestellt.
Von diesem Zeitpunkt an kann man von einer
deutschen Kolonialpolitik sprechen . Die ursprüngliche Absicht, nur den auswärtigen Handel deutscher Firmen zu fördern und zu schüßen , ist bereits heute überschritten und wird, wie die letzten Vorgänge in Ostafrika zeigen, noch weiter überschritten werden. Doch wäre es thöricht anzunehmen, daß unser genialer
Kanzler die Konsequenzen der gethanen Schritte nicht übersehen und gezogen hätte.
Sein vorsichtiges Herangehen
an
eine
Kolonialpolitik überhaupt, der Umstand, daß er bis zum Jahre 1880 zögerte , Stellung der damals schon viel besprochenen Frage gegenüber zu nehmen: das beides ist schon Beweis, wie sehr er sich der ernsten Folgen bewußt war, welche eine kolo-
-
23
niale Politik für das Reich nach sich ziehen mußte.
Später¹)
hat er genau dargelegt, zu welchem Zweck er Kolonien für das Deutsche Reich für wünschenswerth und nöthig hält und dabei die Wichtigkeit derselben „ als neue Abſagmärkte für unsere Industrie" besonders betont. Sobald der Reichskanzler sicher war, bei seinen Bestrebungen die Mehrheit des deutschen Volkes hinter sich zu haben, ging er anf der einmal betretenen Bahn mit der ihm eigenen Energie vorwärts . In kurzen Zwischenräumen folgte die Beſißergreifung von Kamerun und dem Togogebiet und die Erwerbung deutscher Ländereien in Ostafrika.
Bald darauf wurden auch die Nord-
küste von Neuguinea und verschiedene Inſelgruppen
in der
Südsee unter deutschen Schuß gestellt. In Folgendem soll die Erwerbsart und Lage der oben erwähnten Schußgebiete im Einzelnen geschildert werden .
1. Angra Pequena.²) Als Diego Cam
die erste Entdeckungsfahrt betreffs der
Umsegelung von Afrika unternahm, nannte er einen der Häfen, welche
er
an
der
Südwestküste
Afrikas
entdeckte ,
Angra
Pequena d. h. „kleine Bucht". Für uns ist dieser schöne Hafen von Interesse geworden, seitdem der Bremer Kaufmann Lüderiß die denselben umschließenden Länder von den früheren Beherrschern der Küste käuflich erworben hat.
Wir haben uns gewöhnt, den Namen
1) Rede im Reichstag den 10. Januar 1885. 2 ) Denkschrift über die deutſchen Schußgebiete vom 2. Dez. 1885. -Weißbuch über Angra Pequena. Die deutsche Kolonialpolitik (Leipzig 1885), Heft I, S. 67 ff. v. Stengel , Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutſchen Kolonien (1886) , 5. Heft der Beiträge zur Förderung der Bestrebungen des deutschen Kolonialvereins, S. 6 ff. — Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (1888) S. 5 ff.
24
Angra Pequena auf das ganze ,
auch später erworbene, süd-
westafrikanische Schußgebiet auszudehnen. Bereits am 16. November 1882 hatte Herr Lüderig das auswärtige Amt von seiner Absicht in Kenntniß gesezt, an der Südwestküste von Afrika zwischen dem 22. und 28. Grad südlicher Breite für seine Rechnung Länder zu erwerben, um daselbst eine Handelsniederlassung zu gründen.
Da er nicht
in Konflikte mit fremden Staaten gerathen wollte, fragte er an, ob und unter welchen Vorausseßungen er seine beabsichtigten Erwerbungen unter den Schuß der
deutschen Flagge
stellen dürfe. Durch Verträge vom 1. Mai und 25. August 1883 trat der unabhängige Herrscher von Bethanien in Groß-Namaqualand, Kapitän Fredericks , dem genannten Bremer Kaufmann ein Gebiet mit allen Hoheitsrechten ab.
Dasselbe umfaßt die
Südwestküste von Afrika vom Dranjefluß aufwärts bis zum 26.
Grad südlicher Breite , einschließlich aller Buchten und
Häfen, sowie das Land zwanzig geographische Meilen von jedem Punkt der Küste landeinwärts gerechnet.
Ferner erhielt
Lüderiß in dem übrigen Land des Kapitäns das ausschließliche Recht, alle öffentlichen Arbeiten auszuführen und Bergwerke anzulegen . Bald darauf, am 19. Auguſt 1884, vergrößerte die Firma Lüderiß ihren Länderbesit durch Kauf des
Gebietes , über
welches der Topnaarhäuptling Piet Haibib herrschte.
Dasselbe
erstreckt sich von Sandwichharbour über Hudaob am Kuiſibfluß bis Ameib . Die Nordgrenze läuft von da bis zur Mündüng des Omarurufluffes, die Weſtgrenze bildet das Meer. Nach Kenntnißnahme dieſer Erwerbungen frug die deutſche Regierung in England an, ob Lezteres Ansprüche auf die oben erwähnten Ländereien geltend mache.
Die Antwort war wenig
verheißungsvoll : „Die Königlich großbritanniſche Regierung ſei der Anſicht, daß, obwohl die Souveränität Ihrer Majestät noch nicht längs
25 der ganzen Küste proklamirt worden sei, dennoch irgend welche Souveränitäts- und Jurisdiktionsanſprüche einer fremden Macht auf das Gebiet zwischen der südlichen Grenze der portugiesischen Oberhoheit am 18. Breitengrad und der Grenze der Kapkolonie, in ihre legitimen Rechte eingreifen würde." Wenn kaum zehn Monate später England troßdem in einer weiteren Note
Deutschland als Nachbarn in eben jenen
Gebieten offiziell willkommen heißt,"
kann man dies mit Fug
und Recht als ein diplomatiſches Meisterstück unseres großen Kanzlers bezeichnen. Von deutscher Seite wurde die Anerkennung der Lüderiß'schen Erwerbungen
als
deutsches Schutzgebiet offiziell ausge-
sprochen durch die Depesche, welche am 24. August vom Reichskanzler an den deutschen Konsul in Kapstadt gesandt wurde des Inhalts : „Nach Mittheilungen des Herrn Lüderiz zweifeln die Kolonialbehörden, ob seine Erwerbungen nördlich vom Oranjefluß auf deutſchen Schuß Anspruch haben .
Sie wollen amtlich
erklären , daß er und seine Niederlassungen unter dem Schuß des Reiches stehen. "
Die eigentliche Schußübernahme erfolgte
aber am 23. November 1884 durch den inzwischen nach der Westküste von Afrika entsandten Generalkonsul Dr. Nachtigal. Derselbe schloß mit dem Kapitän Fredericks einen Vertrag, nach welchem der deutsche Kaiser die Schußherrlichkeit über das ganze Gebiet des Kapitäns übernimmt.
Das Deutsche Reich
erhält die Jurisdiktion über die Deutschen , die Gerichtsbarkeit über die Eingeborenen behält der Kapitän. keiten zwischen Eingeborenen
und
Eventuelle Streitig-
Deutschen entscheiden der
deutsche Reichskommiſſar in Gemeinſchaft mit einem Mitgliede des Rathes von Bethanien. Ferner verpflichtet sich der Kapitän , ohne Genehmigung des deutschen Kaiſers keine Verträge mit anderen Nationen abzuschließen, den Deutschen volle Verkehrsfreiheit zu gewähren.
-
26
und bei Streitigkeiten mit anderen Häuptlingen zunächſt die Entscheidung des Deutschen Reiches anzurufen. Im Auftrage der Firma Lüderig kaufte dann im nächſten Jahre Dr. Hoepfner von dem Häuptlinge der Baſtards von Rehoboth, Hermanns von Wyk, ein Gebiet, welches östlich von der Walfischbai liegt, zwischen dem 23. und 24. Grad füdlicher Breite.
Dieses Land wurde gleichzeitig mit dem des Häupt-
lings des
rothen Volkes in Hoachanas , Menaſſe Nareſib , am
9. April 1885 , auf das Gesuch der beiden erwähnten” Häuptlinge hin, unter das Protektorat des deutschen Kaiſers gestellt. Die sämmtlichen, nach und nach in Südwestafrika
von
der Firma Lüderiß erworbenen Niederlassungen sammt den dazu gehörigen Hoheitsrechten wurden am 3. April 1885 an ein Konsortium in Berlin verkauft.
Dasselbe bestand aus einer
Anzahl deutscher Reichsangehörigen und nannte sich Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika .
Dieser Geſellſchaft sind
durch Kabinetsordre des Königs von Preußen vom 13. April 1885 die Rechte einer juristischen Person auf Grund der Bestimmungen des preußischen Landrechts verliehen . Die Gesellschaft erwarb durch Kaufvertrag am 19. Juni 1885 das Gebiet des Cornelius Zwartbooi, am 4. Juli 1885 das des Jan Uichamab und am 16. Mai 1885 das des Jan Jonker Afrikaner's, sämmtlich mit allen Rechten. liegen theils nördlich , theils
Diese Länder
östlich von dem am 19. Auguſt
1884 erworbenen Gebiet und reichen bis zur Südgrenze der portugiesischen Besitzungen. Unterdessen hatten aber auch andere deutsche Unternehmer in Südwestafrika Erwerbungen gemacht, nämlich Hasenclever , Scheidweiler und
eine Gesellschaft , an
Berliner Discontogeſellſchaft ſtand.
deren
Spite die
Die erworbenen Ländereien,
welche alle in den Gebieten der Häuptlinge Haibib , Zwartbooi und Afrikaner liegen, wurden, nachdem sie vorher in der Hand der genannten Gesellschaft vereinigt waren , von dieser an die deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika auf Grund des
27
Kaufs
abgetreten.
Ebenso brachte Lettere die Bergbaukonzeſ-
ſionen, welche die Deutschen Lilienthal und Schmerenbeck im Hereroland erworben hatten, durch Vertrag vom 17. November 1886 an sich. In allen oben erwähnten Gebieten hat eine feierliche Erklärung der Uebernahme der Schußherrschaft unter Flaggenhiffen durch das Deutsche Reich stattgefunden , theils, wie erwähnt, durch den Generalkonsul Dr. Nachtigal , theils durch Bevollmächtigte, theils durch die Kommandanten der Kriegsschiffe Leipzig, Elisabeth und Wolf. Schließlich sind noch die auf Groot-Fontain in der Otowigegend in Südwestafrika angesiedelten Boers auf ihren Antrag (datirt vom 2. August 1886) am 12. November des Jahres unter deutschen Schuß gestellt. Die deutsche Schußherrschaft in Südwestafrika ist von den Nachbarmächten und zwar von Seiten Englands am 22. September 1884 durch eine Note des englischen Botschafters und von Seiten Portugals
am 30. Dezember 1886
durch einen
Vertrag offiziell anerkannt worden .
2. Togo- und Biafragebiet.¹) Diese
jezt
unter
deutscher
Schußherrschaft
stehenden
Länderstrecken liegen gleichfalls an der Westküste von Afrika, fast unter dem Aequator und umfäumen den mittleren Theil des Golfes von Guinea.
Zu einer kolonialpolitischen Aktion
in dieser Gegend wurde in
erster Linie das Deutsche Reich
durch die ungünstige Stellung der deutschen Kaufleute veranlaßt, welche diese in den am Golf von Guinea gelegenen Kolonien anderer Großmächte inne hatten.
1) Denkschrift über die deutschen Schuhgebiete vom 2. Dez. 1885. Die deutsche Kolonialpolitik, Weißbuch über Togogebiet und Biafrabai. I. Heft S. 5 ff., S. 52, 102. - v. Stengel, Die staats- und völker. rechtliche Stellung der deutschen Kolonien (1886) S. 8 ff. - Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schußgebiete (1888) S. 13 ff.
28
Sicherlich war hier zuerst eine koloniale Erwerbung nicht beabsichtigt.
Dies geht schon hervor aus dem vom 14. April
datierten Schreiben des Auswärtigen Amts.
Dasselbe war an
den diesseitigen Gesandten bei den Hanſeſtädten gerichtet und enthielt die Anfrage an die Senate der drei freien Hanſeſtädte, ob dieſelben Vorschläge zu machen hätten, wie durch eventuelle Zuſaßkonvention zu bereits bestehenden Verträgen, oder durch neue Abmachungen mit den Staaten, welche an der Westküste von Afrika Kolonien besißen, der dortige deutsche Handel geschüßt werden könnte. Erst die Antwort hierauf gab der deutschen Regierung Veranlaſſung, eigene Erwerbungen ins Auge zu faſſen. Der Hamburger Senat schickte in Beantwortung der erwähnten Anfrage ein Gutachten der dortigen Handelskammer ein, welches darin gipfelte : Abschluß von neuen Verträgen mit den dortigen Kolonialmächten, Revision des Handelsvertrags mit der Republik Liberia, Stationirung von deutschen Kriegsschiffen an der dortigen Küste und Anlage einer Flottenstation in Fernando-Po, und endlich Kauf von Länderstrecken von den unabhängigen Negerhäuptlingen. Lezteres wurde noch besonders vom Bremer Senat unterſtüßt. Diesem
Verlangen
größten Theil.
entsprach
die
Reichsregierung
zum
Bereits im Dezember des Jahres theilte sie den
Hanſeſtädten mit, durch welche Maßnahmen sie dem abgegebenen Gutachten zu entsprechen gedenke. Auch bei dieſer Gelegenheit wurde wiederum erwähnt, daß das Auswärtige Amt sich gern in die Möglichkeit versezt sehen würde, von den Erfahrungen , welche die deutschen Handelshäuser in den dortigen Gegenden gemacht hätten , weiter Gebrauch machen
zu
können.
Daraufhin
richtete
die Firma
Janzen u. Thormählen in Hamburg unter dem 5. Februar 1884 eine Eingabe an das Auswärtige Amt , worin sie die Namen und die Machtstellung der
einzelnen Häuptlinge fest-
29
stellte, welche nach ihrer Meinung bei Abschlüssen von Verträgen in Kamerun und Malimba in Frage kämen. Schon im Mai desselben Jahres wurde der Generalkonsul Dr. Nachtigal als Reichskommissar nach der Westküste von Afrika entsandt.
Die ihm
mitgegebene Instruktion baſirt im
Wesentlichen auf dem Hamburger Gutachten und empfiehlt besondere Aufmerksamkeit zur Vermeidung von Kollisionen mit fremden Mächten. Dr. Nachtigal langte am 2. Juli an der Westküste an und nach Ordnung der Verhältnisse in Little Popo , woselbst Leben und Eigenthum der Deutschen durch einen der eingeborenen Häuptlinge bedroht worden waren, schloß er am 4. Juli mit dem Vertreter des Königs von Togo und den Häuptlingen von Lome und Bagida einen Vertrag.
Durch denselben wurde
das Togogebiet, welches sich an der Küste entlang von der Ost= grenze von Porto Seguro bis zur Weſtgrenze von Lome erstreckt,
unter das Protektorat des deutschen Kaisers
gestellt.
Gemäß dem Vertrage verpflichtete sich Mlapa, König von Togo, die Deutschen und ihren Handel zu schüßen, keine Verträge mit anderen Mächten ohne vorherige Einwilligung des deutschen Kaisers
einzugehen und keinen Angehörigen anderer Länder
mehr Rechte einzuräumen
als
den
Deutschen.
Das
Gebiet
eines Unterthans des Königs Mlapa, des Herrschers von Porto Seguro, Namens Mensa, wurde erst am 5. September durch das Kommando der Korvette Leipzig unter deutschen Schuß gestellt. Im Juli 1884 folgte die Besizergreifung vou den zwiſchen Bimbia und Klein - Batanga gelegenen Gebieten der Biafrabai, welche durch Hiſſen
der
deutschen Flagge
von Seiten des
Dr. Nachtigal unter Beisein von Marinemannschaften vorgenommen wurde. (Kamerun am 14. Juli, Bimbia am 21. Juli, Klein = Batanga am 23. Juli, Criby am 24. Juli, Benita am 1. August 1884.)
Die verschiedenen Häuptlinge hatten theils
30
-
Verträge mit den dort vertretenen deutschen Handelshäuſern bereits abgeschlossen , theils vereinbarten sie solche mit dem Dr. Nachtigal.
Der Inhalt dieser Abmachungen lautet in
den Hauptpunkten
entsprechend
der
mit König
Mlapa
ge-
troffenen , aber auch hier war auf den Vorbehalt eventueller Rechte Dritter besonderer Werth gelegt. Im folgenden Jahre wurden neue Schußverträge geſchloſſen im Hinterland von Kamerun und Bimbia und zwar durch Dr. Nachtigal mit den Häuptlingen Mjeka von Benga am 7. Januar, Ekume von Bunje und Bajanga , Kumbo von Uanda,
Madiba von Bono Mabio
am 10. Januar; durch
Dr. Buchner mit Leo von Abo am 16. Januar, Koto von Abo am 17. Januar, Moapise von Lissoka am 5. März ; durch Dr. Zöllner mit Maſſao von Mapanja am 7. Januar ; durch Admiral Knorr mit den Häuptlingen des Joß- Dorfs am 21. März 1885. Diese so erlangten neuen deutschen Schußgebiete sind genau ihrer Lage nach festgestellt in der Note, welche die deutsche Regierung an die Mächte richtete, um die Besizergreifung dieses Theils der Westküste von Afrika offiziell anzuzeigen.
An der Sklaven-
küſte umfassen sie das ganze Togogebiet mit den Hafenpläßen Lome und Bagida , an der Bai von Biafra erstrecken sie sich über Bimbia mit der Insel Nikol, Kamerun, Malimba bis auf den nördlichen Theil Klein-Batanga, Plantation und Criby . Eine Handelsgesellschaft ,
ähnlich der in Angra Pequena,
hat sich für diese Gebiete bisher nicht gebildet. Handelshäuser
sind
selbständig
geblieben.
Die einzelnen
Differenzen
mit
anderen Mächten sind bei Erwerbung dieses Schußgebiets nicht entstanden, sondern mit den beiden dortigen Hauptrivalen, England und Frankreich, wurden gütliche Vereinbarungen betreffs Regulirung der Grenzen 2c. getroffen .
-
31. -
3. Deutsch- Ostafrika. ') Im März des Jahres 1884 bildete sich in Berlin eine Gesellschaft, welche unter dem Namen „ Geſellſchaft für deutsche Kolonien" die Absicht verfolgte, in Ostafrika, westlich von dem Sultanat Sansibar, Länderſtrecken von den noch unabhängigen Herrschern zu erwerben. dienen.
Dieselben sollten kolonialen Zwecken
Als Vertreter fungirte Dr. Peters , welcher zu Ende
des Jahres 1884 mit einer Anzahl von Herrschern zwischen Sansibar und dem Tanganikaſee Verträge abschloß.
Nach den-
ſelben traten diese Häuptlinge ihre Gebiete, nämlich die Landschaften Usagaha, Uguru, Usagara, Ukami sammt sämmtlichen Hoheitsrechten an die genannte Geſellſchaft ab . Für dieses Gebiet erhielt die Gesellschaft am 27. Februar 1885 einen Schußbrief des deutschen Kaiſers Der Kaiser nehme die Oberhoheit an und
des
Inhalts :
übertrage gleich-
zeitig, unter der Vorausseßung, daß die Gesellschaft sowie ihre Direktion deutsch bleibe, derselben vorläufig alle Hoheitsrechte, auch die Gerichtsbarkeit über Fremde und Einheimische. Auf die späteren Erwerbungen ist der Schußbrief nicht ausgedehnt. Im April 1885 verwandelte sich die erwähnte Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft mit der Firma „ Deutsch- Ostafrikanische Gesellschaft, Karl Peters und Genossen“ und wurde in das Handelsregister in Berlin eingetragen .
Sie verfolgt
dieselben Zwecke wie die erste Gesellschaft, nämlich den Erwerb neuer und den Betrieb der bereits gekauften Ländereien in Angriff zu nehmen , Handel und Schifffahrt durch Selbstbetrieb
1) Denkschrift über die deutschen Schuhgebiete vom 2. Dezember 1885. -J. Wagner, Deutsch- Ostafrika . S. 25. v. Stengel, Die staatsund völkerrechtliche Stellung der deutschen Kolonien. (1886.) S. 11 ff. ---Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schuhgebiete. (1888.) S. 17 ff. S. 21.
32
oder durch Übertragung an andere Gesellschaften auszubeuten und deutsche Kolonisation in Ostafrika zu fördern . Wesentlich vergrößert
wurde
das Territorium
der
oft-
afrikaniſchen Geſellſchaft: 1. Durch den Vertrag , den Dr. Jühlke im Juni 1885 als ihr Vertreter mit Mandara , dem Sultan des Dschoggalandes, abschloß, wonach derselbe der Geſellschaft sein ganzes Land mit allen Hoheitsrechten abtrat . 2. Durch die Verträge zwischen
dem späteren Vertreter
Hörneke und den Häuptlingen
des
zwischen
dem
Kilima-Ndjaro und dem Tana liegenden Landes . Das Tanagebiet war bereits in deutschen Händen .
Der
Sultan von Witu, Achmed, hatte schon im Jahre 1873 um deutschen Schuß gebeten, aber erst am 27. Mai 1885 wurde seinem wiederholten Gesuche entsprochen, nachdem vorher, am 8. April, die Gebrüder Dehnhardt einen etwa 25 Quadratmeilen betragenden Theil des Witugebietes käuflich mit allen Hoheitsgebieten erworben hatten.
Diese Erwerbungen sind in
den Besitz der am 17. Dezember 1887 gegründeten „Witugeſellschaft“ übergegangen, welche lettere durch Ordre des Königs von Preußen vom 20. Februar 1888 die Rechte einer Korporation auf Grund des preußischen Landrechts erhielt. Im Januar 1887 wurde zum äußeren Zeichen der Schußübernahme an der Suaheliküste, welche (laut Vertrag mit England vom
1. November 1886) zu
Deutsch-Wituland gehört,
durch den Vizekonsul Hunholt die deutsche Flagge gehißt. Das Wituland gehört also theils der deutschen Witugesellschaft, theils gehört es dem Sultan Achmed und steht unter der Oberhoheit des Deutschen Reichs .
Betreffs dieſes Schuß-
verhältnisses fehlt bis jezt die gesetzliche Regelung. Inzwischen erhielt das Gebiet der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft einen besonders werthvollen Zuwachs durch Kauf eines Küstenstriches mit dem Hafen Dar-es-Salam.
Denn erst
dadurch war der Zugang zu den Schäßen des Binnenlandes
-
33
ermöglicht, ohne fremdes Gebiet zu berühren .
Allerdings muß
die Gesellschaft die Oberhoheit des Sultans von Sansibar in Dar-es-Salam anerkennen, während die außerdem entstandenen Streitigkeiten zwischen diesem und
der ostafrikaniſchen sowie
Witu-Gesellschaft dank der geschickten Vermittelung des damals in Sansibar ſtationirten Geſchwaderchefs, Admirals Knorr, und unſerer diplomatischen fonnten.
Vertreter,
gütlich
beigelegt
werden
Von der Erwerbung der deutschen Schußherrschaft wurde. den Mächten unter Bezugnahme auf die Kongoakte im März 1885 offiziell Mittheilung gemacht.
Nach erfolgten Vereinbarungen
betreffs der Grenzen erstreckt sich die deutsche Intereſſenſphäre von Dar-es-Salam bis an den Tanganikaſee und die Grenze des Kongo-Staates. Im Februar 1887 verwandelte sich die ostafrikaniſche Gesellschaft aus einer Kommanditgesellschaft in eine landrechtliche Korporation, der die betreffenden Rechte am 27. März 1887 durch Ordre des Königs von Preußen ertheilt worden sind . Inzwischen haben die Ereignisse des lezten Jahres gezeigt, daß die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft außer Stande ist, ihr weites Territorium selbst zu verwalten und in Ordnung zu halten.
Der sogenannte Aufstand der Küstenaraber ist zum
großen Theil dem ungeschickten Vorgehen der Geſellſchaft zuzuschreiben, welches der Reichskanzler treffend mit den Worten mehr energisch als umsichtig" kritisirt hat.
Der Kaiser hat
den Afrikareisenden Hauptmann Wißmann mit großen Vollmachten als Reichskommissar nach Ostafrika entsandt, um die Autorität des Reiches und Ruhe und Ordnung zunächst an der Küste, wiederherzustellen. Truppe, welche aus
Die Gründung einer kolonialen
Eingeborenen beſteht und durch deutsche
Offiziere und Unteroffiziere ausgebildet wird , ist in Angriff genommen. Während diese Zeilen geschrieben werden , sind die erſten kriegerischen Erfolge errungen, dank der Energie des Kom3 von Holzendorff, Die koloniale Frage.
34
missars und der Unterstützung unserer braven Marine.
Es
ſteht zu hoffen, daß allmählich die Geſellſchaft ihre so verheißungsvoll begonnene Kolonisation in geschickterer Weise wieder aufnehmen kann und
daß diese
weiten Länderstrecken
dereinst
einen beneidenswerthen Besit unseres Vaterlandes bilden werden.
4. Schuhgebiete in der Südsee. ') Zu Ende des Jahres 1884 wurde auf der Nordküste von Neuguinea und auf dem neubritanniſchen Archipel von deutschen Kriegsschiffen zum Zeichen
der
Besizergreifung die deutsche
Flagge gehißt. Die besagten Inseln liegen nördlich von Auſtralien zwiſchen dem Aequator und dem 5. Grad südlicher Breite. selbst ist eine der größten Inseln der Welt.
Neuguinea
Zu der Besi-
ergreifung wurde die Regierung veranlaßt durch die Hamburger Handels- und Plantagengeſellſchaft , welche eine Expedition betreffs Landerwerbs nach den oben bezeichneten Inseln ausſenden wollte. Für dies Unternehmen erbat die Gesellschaft den Schuß des Reiches , welcher nach Maßgabe des
dem hanseatischen
Unternehmen in Westafrika gewährten zugesichert wurde.
Be-
reits vier Jahre vorher hatte die damalige deutsche Seehandelsgeſellſchaft dieselbe Absicht gehegt - sie wurde aber , nachdem die Samoa-Vorlage abgelehnt war , abschlägig beschieden und mußte in Liquidation treten. Der neue deutsche Ländererwerb in Neuguinea und dem neubritannischen Archipel, der mit Bewilligung des deutschen Kaisers den Namen Kaiser-Wilhelmsland bezüglich Bismarck-
1) Denkschrift über die deutschen Schuhgebiete Die deutsche Kolonialpolitik. Heft I, 110. 111. v. Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Kolonien (1886) S. 13 ff. Georg Meyer , Die der deutschen Schutzgebiete (1888) 3. 23 ff.
vom 2. Dezember 1885. II , 78 ff. IV, 60, 62. Stellung der deutschen staatsrechtliche Stellung
35
Archipel
erhielt, hatte längere diplomatische Differenzen mit
England zur Folge. Veranlaßt wurden Lettere vor allem durch die
australische Kolonie, welche
Inseln der
Neuguinea und sämmtliche
Südsee eigentlich als
Nach langem,
ihr zugehörig
betrachtete.
theilweise sehr erregtem Notenwechsel wurden
am 25. April 1885
die Grenzen der englischen und deutschen
Besitzungen definitiv festgestellt. Danach umfaßt das
Deutsche Gebiet auf Neuguinea die
Nordostküste der Insel vom 141.º östlicher Länge (Greenwich) bis zu dem Punkte in der Nähe von Mitre Rock, wo der 8.º südlicher Breite die Küste schneidet, und wird nach Süden und Westen durch eine Linie begrenzt, welche zunächſt dem 8. Breitengrad bis zu dem Punkte folgt, wo derselbe vom 147.º östlicher Länge durchschnitten wird, dann in einer graden Linie zu nordwestlicher Richtung auf den Schneidepunkt des 6.0 südlicher Breite mit dem 144.° östlicher Länge zuläuft und von hier ab nach Norden diesem Längengrad folgend wieder das Meer erreicht. Ferner gehören zum deutschen Gebiet die Inselgruppe, welche bisher neubritannischer , jezt Bismarck-Archipel benannt ist, und alle andern nordöstlich von Neuguinea zwischen dem Aequator und dem 141. und 154.º östlicher Länge liegenden Inseln. Eine weitergehende Vereinbarung wurde zwischen England und Deutschland am 6. April 1886 getroffen, nach welcher eine Demarkationslinie festgestellt ist, um auch die Grenze der zukünftigen Gebietserwerbungen zu firiren . Ausgenommen sind Samoa, Tonga und Savageinsel, welche neutral bleiben sollen. Gegenüber Frankreich hat Deutschland die Verpflichtung übernommen, die Neu-Hebriden und die
Inseln unter dem
Wind" nicht zu erwerben. Bereits am 24. Mai 1884 bildete sich
die Neuguinea-
Kompagnie" mit dem Zweck, in dem erworbenen deutſchen Land auf Neuguinea „ ein Staatswesen einzurichten". Dieser Kompagnie traten die Handelsgesellschaft in Hamburg sowie die 3*
36
verschiedenen betheiligten Firmen bei, und nach der oben erwähnten Beilegung der Streitigkeiten mit England erhielt die genannte Gesellschaft einen Schußbrief vom deutschen Kaiſer, datirt vom 17. Mai 1885 . Dieser Schußbrief stimmt im Wesentlichen mit den Beſtimmungen des der ostafrikaniſchen Geſellſchaft verliehenen überein.
Nur der Ländererwerb wird , weil in Neuguinea viel
Herrenloses Land sich findet, anders geregelt.
Es wird aus-
drücklich betont, daß über solches Gebiet nur von der Gesellschaft verfügt werden dürfe.
Diese Thatsache wird noch durch
eine ſpäter erfolgte Verordnung des Kommiſſars für die Südsee klargestellt, welche bestimmt , daß neuer Grunderwerb ohne Genehmigung der deutschen Behörde ungültig sei und nur ältere Rechte geschüßt werden würden. Die Ordnung der Rechtspflege sowie
die
diplomatiſche
Vertretung wurden der deutschen Regierung vorbehalten , dagegen alle anderen Hoheitsrechte der Kompagnie übertragen. Am
12.
Mai
1886
wurden der Neuguinea-Kompagnie
durch den König von Preußen die Rechte einer Korporation auf Grund der Beſtimmungen des preußischen Landrechts verliehen . Die Gesellschaft dehnte bald darauf ihren Besit weiter aus , indem sie die zu der Salomonsgruppe gehörigen Inseln Bougainville, Choiseul , Isabel in Besiz nahm.
Durch einen
neuen Kaiserlichen Schußbrief vom 15. Dezember 1886 traten die in dem
ersten Schußbrief ausgesprochenen Bestimmungen
auch für den neuen Landerwerb in Kraft.
Der oben erwähnte
territoriale Zuwachs liegt östlich von Kaiser Wilhelmsland und bildet den nördlichen Theil der Salomonsinseln. Inzwischen scheint auch in diesem Schußgebiet die Unmöglichkeit eingesehen worden zu ſein, ſelbſtändig , d . h. unab-
ย hängig
vom
Mutterlande,
das
Territorium
zu
verwalten.
Dies geht aus einer Regierungsvorlage hervor , welche in der lezten Reichstagsſeſſion eingebracht, bisher aber noch unerledigt geblieben ist.
Nach derselben soll auf Antrag der Kom-
37
pagnie die Verwaltung von Kaiser Wilhelmsland und Zubehör vom Reiche übernommen werden. Die daraus entſtehenden Kosten trägt die Kompagnie . Es ist anzunehmen , daß diese Vorlage anstandslos bewilligt werden wird , doch darf man der sich voraussichtlich hierbei entspringenden Debatte über unsere Kolonialpolitik überhaupt mit großem Intereſſe entgegenſehen. Im Oktober 1885 wurden durch den Kommandanten S. M. S. Nautilus , Korvettenkapitän Rötger, ſowie durch den Verweser des Kaiserlichen Konsulats zu Jaluit, J. Hernsheim , mit dem König Kabua und den einflußreichsten Häuptlingen der Marschall- , Brown- und Providenceinseln , nämlich denen von Milli , vom östlichen Majuro , von Arno , von Malodab und Aur und von Ebon Verträge geschlossen , gemäß welcher die Gebiete der Leßteren unter den Schuß des Reiches gestellt wurden.
Der Inhalt der Verträge entspricht im Wesent
lichen dem Wortlaut der mit den
afrikaniſchen Häuptlingen
abgeschlossenen. Dieses Schußgebiet umfaßt einen Flächenraum von ca. 110 qkm., und zwar die Marschallsinseln (Ralickinſeln) mit Jaluit, ferner die Majuru-, die Malodab-, Aur-, Arno-, Milliund Eboninseln , sowie Pliſant island, die Brown- und Providenceinseln .
Diese Inselgruppen liegen im großen Ocean nord-
östlich vom Bismarck-Archipel. Wirthschaftlich
verwerthet
werden
die
Marschallsinseln
durch die Jaluitgeſellſchaft, während die Verwaltung des Schußgebietes durch Kaiserliche Beamte ausgeübt wird .
Die Jaluit-
gesellschaft ersett dem Reich die Verwaltungskosten, soweit ihr specielles Gebiet intereſſirt ist.
Die in den letzten Abschnitten besprochenen Besitzungen der ostafrikanischen Gesellschaft und der Neuguinea-Kompagnie unterscheiden sich gemeinſam in einer Hinsicht von den deutſchen Länderstrecken in Westafrika . werbsgrundes.
Wir meinen in Betreff des Er-
38
Während dort
deutsche Kaufleute für
ſtehenden Handelsbeziehungen und das
ihre bereits be-
von ihnen erworbene
Gebiet um den Schuß des Reiches baten, war hier zum ersten Mal von deutscher Seite ein Länderkauf bewirkt mit dem ausgesprochenen Zweck : deutsche Kolonien zu gründen.
In West-
afrika „folgte der Staat dem Kaufmanne nach, wogegen in Ostafrika der
Staat dem Kaufmanne
erst
die
Bahn
brechen
follte". Gewiß eine beachtenswerthe Abweichung von dem zuerst aufgestellten kolonialpolitischen Programm der Reichsregierung. Die Erklärung hierfür ist in der für die Regierung beſtehenden Nothwendigkeit begründet, zuzugreifen , bevor andere Nationen ihre Absicht, die betreffenden Gebiete für sich in Beſiß zu nehmen, verwirklichen können . (cf. Theil I.) Aus dem obigen Abschnitt ist ersichtlich ,
daß von allen
deutschen Schuhgebieten nur Neuguinea durch Occupation erworben ist , während alle anderen auf Grund eines vorhergegangenen Vertrages in Besig genommen sind.
Die Unter-
schiede dieser beiden Erwerbsarten haben wir im ersten Theil unſerer Abhandlung auseinandergesezt . Der Rechtstitel, auf welchem diese kolonialen Erwerbungen beruhen , ist die Besißnahme.
Dieselbe ist durch den Kaiſer
erfolgt, dem nach Artikel 11 der Reichsverfassung die völkerrechtliche Vertretung zusteht.
Er bedurfte zu diesem Akt weder
der Mitwirkung des Bundesrathes noch der Zustimmung des Reichstages. Die, wie wir im ersten Theil dieser Abhandlung auseinanderſeßten ,
nothwendige Willenserklärung
Besißnahme
ist
bei
allen
deutschen
und
thatsächliche
Schutzgebieten
erfolgt,
Ersteres durch Flaggenhissen , Lezteres durch Entſendung von Reichs- bezüglich Geſellſchaftsbeamten behufs Begründung organisatorischer Einrichtungen.
III.
Gegenwärtiger Rechtszustand der deutschen Schuhgebiete.
I. Verhältniß zum Reich. A. Beziehungen der Schutzgebiete zum Reich.
Aus der im ersten Haupttheil unserer Abhandlung aufgestellten Theorie betreffs der rechtlichen Stellung der Kolonien und Protektorate zum Mutterlande (Schußherrlichkeit) folgt, daß unsere Schußgebiete im staatsrechtlichen Zusammenhang mit dem Reiche stehen.
Denn dem von uns aufgestellten Be-
griff des völkerrechtlichen Protektorats
entspricht (vielleicht
mit Ausnahme des Sultanats Witu) keine der zwischen dem Deutschen Reich und seinen Schußgebieten bestehenden rechtlichen Beziehungen. Aber der vorhandene staatsrechtliche Zusammenhang ist im einzelnen Fall verſchieden. Dabei darf man kein zu großes Gewicht auf die von der Regierung gebrauchten Ausdrücke „ Schußgebiet, Schußherrſchaft, Schußgewalt", legen und dieselben vor Allem nicht mit dem Begriff des staatsrechtlichen Protektorats identifiziren, wozu das vieldeutige Fremdwort leicht verleitet. Denn wir hatten als Kriterium in rechtlicher Beziehung für unser staatsrechtliches Protektorat aufgestellt : theilweise Unterordnung.
―
40
Diese Vorausseßung trifft nur bei Westafrika und dem Gebiet der Witugesellschaft zu , nicht aber bei den übrigen Schußgebieten. Schußherr-
Der Grund für die Wahl des Ausdrucks
schaft 2c . " liegt in der historischen Entwickelung unserer Kolonialpolitik. Wie oben erwähnt , bestand ursprünglich nur die Absicht, zu schüßen .
den deutſchen Kaufmann ') folgender Saß
Dies
zeigt deutlich
aus der Instruktion2 ) des Reichskanzlers an
den Generalkonsul Dr. Nachtigal : „für unsern Zweck wird der Abschluß von Freundschafts-, Handels- und Protektoratsverträgen ausreichen , durch welche die zur Ausübung wirksamen Schußes deutscher Unterthanen erforderlichen Rechte erworben werden." Für die Verwirklichung dieser Absicht hätte allerdings der Ausdruck " Schußherrschaft" gepaßt.
Aber unsere
koloniale
Entwickelung hat einen ganz anderen Gang genommen und jene damals gesteckten Grenzen überschritten. Es ist gerechtfertigt, wenn in nicht offiziellen Schriften von deutschen „Kolonien“ gesprochen wird . offiziellen Aktenstücken würde wohl
für
Und auch in den unsere überseeischen
Besizungen der Ausdruck Kolonie mit mehr Berechtigung ge= braucht werden können, als das Wort „ Schußgebiet“ . Denn erstens sind
unsere
ökonomischen Sinne „Kolonie"
Schußgebiete
im
national-
und zweitens werden mit der
Zeit aus natürlichen Gründen die Reservatrechte der eingeborenen Herrscher, soweit solche überhaupt vorhanden, je weiter Koloniſation und Civiliſation fortschreiten , schränkt werden müssen.
desto mehr einge-
Dadurch wird sich auch das Ver-
hältniß von Westafrika und
dem Gebiet der Witugesellschaft
zum Reich dem staatsrechtlichen Zusammenhang von Kolonien
1 ) cf. Theil II, S. 21 . 2) cf. Theil II, S. 29.
41
und Mutterland mehr und mehr nähern und schließlich mit demselben identisch werden. Wir haben also nach obiger Darstellung vom Standpunkt des staatsrechtlichen Zuſammenhangs aus zwei Gruppen innerhalb unserer Schußgebiete zu unterſcheiden : 1. Kaiser Wilhelmsland, Bismarck- Archipel nebst den übrigen Inseln der Neuguinea-Kompagnie , Marschallsinseln und das Territorium der ostafrikanischen Gesellschaft, welche sämmtlich vollständig der
Souveränität des
Deutschen
Reiches unter-
stellt sind. 2. Die übrigen deutschen Schußgebiete, welche sich nur in theilweisem, unter sich wieder verschiedenenem Grade der Abhängigkeit vom Reiche befinden und in welchen Hoheitsrechte der eingeborenen Herrscher bezüglich der Kolonialgesellschaften neben oder an Stelle der Reichsgewalt bestehen .
Die staats-
rechtliche Stellung jedes einzelnen Schußgebietes soll in Folgendem kurz erörtert werden .
A. Angra Pequena. Dieses Schußgebiet zerfällt in zwei Theile , erstens das Küstengebiet, zweitens das Hinterland. 1. Das Erstere, welches die vormaligen Länder der Häuptlinge Frederick, Piet Haibib, Zwartbooi, Uichamab und Afrikaner umfaßt, ist von der deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika mit allen Herrschaftsrechten erworben worden.
Somit ist
betreffs der Souveränität an Stelle der eingeborenen Herrscher die Gesellschaft getreten. Daß eine solche Gesellschaft Hoheitsrechte erwerben kann, haben wir oben ) nachgewiesen. Vorläufig macht aber die Geſellſchaft noch keinen Gebrauch von ihren Hoheitsbefugnissen, sondern verfolgt lediglich wirthschaftliche Zwecke. Auch einen Schuhbrief hat sie bisher nicht erhalten . 1 ) cf. Theil I, S. 17.
42
Das Territorium der Gesellschaft ist unter den Schuß des Reichs gestellt ( cf. Verträge von Dr. Nachtigal u. s. w.), und ſomit ist, da keinerlei Rechte an das Reich abgetreten ſind, das Verhältniß zu lezterem das eines staatsrechtlichen Protektorats . Das Hinterland von Angra Pequena hat sich zwar unter den Schuß des deutschen Kaisers gestellt, hierbei aber haben sich die Häuptlinge verschiedene Reſervatrechte, so vor Allem die Jurisdiktion über alle Eingeborenen , vorbehalten .
Somit ist
hier keine volle Unterordnung vorhanden und es besteht auch hier ein staatsrechtliches Protektorat.
B. Togo- und Biafragebiet . Hier liegen die Verhältnisse genau wie im Hinterlande von Angra Pequena.
Sowohl der Vertrag mit dem König
Mlapa von Togo wie die mit den verschiedenen Häuptlingen der Biafrabei abgeschlossenen der eingeborenen Herrscher
Pakte enthalten Reservatrechte mithin auch hier staatsrechtliches
Protektorat.
C. Deutsch- Ostafrika. Bei
der
Beurtheilung
der
rechtlichen
Stellung
dieses
Schußgebietes zum Reiche müssen wir 1. die Besitzungen der ostafrikanischen Gesellschaft und 2. das Wituland scheiden. ad 1.
Durch die Verträge , welche Dr. Peters u. s. w.
mit den verschiedenen Beherrschern jenes Theiles von Ostafrika abgeſchloſſen, ſind sämmtliche Hoheitsrechte über die betreffenden Länderstrecken an die ostafrikanische Gesellschaft abgetreten worden. Hierbei wurde noch, in nicht ganz juriſtiſcher Präziſion, von Rechten gesprochen,
welche nach deutschem
den Begriff der Landeshoheit ausmachen“.
Die
Staatsrecht Gesellschaft
wiederum trat ihre Rechte an das Deutsche Reich ab, wodurch
43
-
lezteres in den Besit der vollen Souveränität über jene Länderstrecken gekommen ist. An dieser Thatsache wird Nichts durch den Umstand geändert, daß das Reich der ostafrikanischen Gesellschaft mit Ertheilung des Schußbriefes die Ausübung schaftsrechte übertragen hat.
verschiedener Herr-
Denn hier ist nicht von Reservat-
rechten, sondern von übertragenen Rechten die Rede .
Auch kann
das Deutsche Reich jeder Zeit dieſe Befugnisse der Geſellſchaft einschränken oder ganz aufheben.
Anderenfalls wäre ja das
durch die Regierung veranlaßte Eingreifen des Hauptmann Wißmann in die Verhältnisse der ostafrikanischen Geſellſchaft unrechtmäßig geweſen.
Somit würde dieses Gebiet nach unserer oben ) gegebenen Eintheilung in die Kategorie der Kolonie im rechtlichen Sinne fallen. 2. Beim Wituland liegen die Verhältnisse anders. hat Sultan Achmed 2) Hoheitsrechten
Hier
einen Theil seines Landes mit allen
an die Gebrüder
Dehnhardt verkauft
und
diese wieder haben das Territorium sammt allen Rechten der Witugesellschaft abgetreten.
Da die Lettere noch keinen Schuß-
brief erhalten, so steht ihr Territorium in demselben Verhältniß zum Reich wie das der südweſtafrikaniſchen Geſellſchaft. Anders ist die Lage der Dinge bei dem übrigen Gebiet des Sultan Achmed.
Für diesen Theil seines Landes hat der Sultan um den Schuß des deutschen Kaisers gebeten, dabei aber ſich lediglich auf die Verſicherung „ eines aufrichtig freund-
schaftlichen Verhältnisses"
beschränkt.
Somit liegt hier
ein
Protektoratsverhältniß vor, welches , falls man den Sultan Achmed für einen völkerrechtlich anerkannten Herrscher hält, in der Reihe der völkerrechtlichen Protektorate untergebracht werden müßte.
1 ) cf. Theil I, S. 11 ff. 2) cf. Theil II, S. 32 ff.
44
D. Kaiser Wilhelmsland und Bismarck - Archipel . Wie oben erwähnt, ¹) ſind die jezt der Neuguinea-Kompagnie
gehörenden
worden.
Besizungen
durch Occupation
erworben
Zum Zeichen der Besizergreifung wurde die deutsche
Flagge gehißt und Vorkehrungen betreffs Organisation wurden getroffen. das Land
Mit der Besißergreifung sind aber gleichzeitig, da herrenlos " im Sinne des Völkerrechts iſt , ſämmt-
liche Hoheitsrechte an das Reich gekommen .
Mithin entspricht
das rechtliche Verhältniß dieſes Schußgebietes zum Reich dem einer Kolonie zum Mutterlande.2)
E. Marschallsinseln und Zubehör. Den dort abgeschlossenen Verträgen entsprechend sind von den eingeborenen Häuptlingen alle Hoheitsrechte an das Reich übertragen worden.
Folglich steht dieſes Schußgebiet in dem-
ſelben staatsrechtlichen Verhältniß zum Reich, wie die Länderstrecken der ostafrikanischen Gesellschaft
und der Neuguinea-
Kompagnie, d . h . in völliger Abhängigkeit. Fassen wir das oben Gesagte zusammen, so finden wir : vollständige Souveränität von
Seiten des Reiches :
gegenüber
dem Kaiser Wilhelmsland, dem Bismarck Archipel, den Marschallsinseln, dem Territorium der deutsch-ostafrikanischen Geſellſchaft ; theilweise Souveränität :
gegenüber dem Hinterland
von Angra-Pequena , dem Togo- und Biafragebiet, ſowie den Territorien der südwestafrikaniſchen und Witugesellschaft. Also bei der ersten Gruppe " Kolonie " im rechtlichen Sinne, bei der zweiten staatsrechtliches Protektorat. -Eine Ausnahme bildet das unabhängige Gebiet des Sultans von Witu, welches wohl anzusehen ist.
1) cf. Theil II, S. 34. 2) cf. Theil I, S. 11 ff.
als völkerrechtliches Protektorat
45
Nach dem Gesez, ')
betreffend
die Rechtsverhältnisse der
deutschen Schußgebiete, wird der Inbegriff aller Hoheitsrechte, welche das Reich in den Schußgebieten ausübt , unter dem Namen „ Schußgewalt“ zuſammengefaßt.
Dieſelbe iſt, wie wir
gesehen haben, in den einzelnen Schußgebieten eine ganz verschiedene.
Dennoch
wollen
von
Stengel2)
und
Georg
Meyer ) nachweiſen, daß das Reich allein die souveräne Gewalt in den Schußgebieten ausübe. Wir glauben, nach der obigen Darlegung, dieſer Auffaſſung nur betreffs der ersten Gruppe von Schußgebieten beitreten zu können .
Allerdings ist ja dieſe Gruppe die stärkere und
wie wir oben ) torate
gezeigt haben, werden staatsrechtliche Protek-
oft nur Uebergangsstadien zu dem
Kolonie bilden.
rechtlichen Begriff
Und dieser Fall wird voraussichtlich auch bei
unsern Schußgebieten eintreten .
Aber vorläufig müssen wir
bei Beurtheilung der rechtlichen Stellung unserer Schuhgebiete zum Reich die oben erwähnten Unterschiede festhalten. Georg Meyer )
giebt selber zu, daß die südweſtafrika-
nischen Herrscher mit gewissen Hoheitsrechten ausgestattet sind . Er folgert dann, daß, weil sich die Häuptlinge zum Reich im Verhältniß der Unterordnung befänden , das Reich die volle Souveränität habe.
Nach unserer Meinung muß aber zwiſchen
theilweiser und vollständiger Unterordnung unterschieden werden. Letterer allein entspricht die volle Souveränität auf der anderen Seite.
Dies ist aber nicht bei der zweiten Gruppe unserer
Aufstellung
der Fall.
Aus ebendenselben Gründen
können.
wir auch Georg Meyer's ) Anſicht, daß das Reich durch
1) Reichsgesehblatt 1888 Nr. 11 , S. 75. 2) v. Stengel, Deutsches Kolonialſtaatsrecht u.ſ.w. (1887) S. 861 ff. 3) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schußgebiete (1888) S. 84 ff. 4) cf. Theil I, S. 11 ff. 5) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schußgebiete. (1888.) S. 84. 6) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schuß-
-
46
keine rechtliche Schranke gehindert sei , ſeine Rechte auszudehnen, nur in Betreff der ersten Gruppe beipflichten . Bei der zweiten Gruppe findet sich eine rechtliche Schranke eben an jenen Reservatrechten der eingeborenen Herrscher bezüglich der südwestafrikanischen und Witugesellschaft und die Nichtachtung jener Rechte würde, wenigstens den eingeborenen Herrſchern gegenüber, einem Gewaltakt gleichkommen. Endlich
dürfte
auch Meyer's¹)
Behauptung ,
daß
die
Schußgebiete weder eine völkerrechtliche, noch eine staatsrechtliche, noch eine privatrechtliche Persönlichkeit befäßen, dahin einzuschränken sein, daß das Sultanat Witu eine völkerrechtliche Persönlichkeit aufzuweisen hat. Durch das oben citirte Gesez vom 19. März 1888, be treffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete, ist die staatsrechtliche Stellung der Schußgebiete zum Reich geſeßlich geregelt. Das erwähnte Geſeß ist eine Abänderung des unter gleichem Titel unterm 17. April 1886 veröffentlichten Gesetzes .
Die
Abänderung war geboten durch die inzwischen gesammelten Erfahrungen. Auch die Frage, ob die Schuhgebiete als Inland oder als Ausland aufzufaſſen ſeien, ist damit erledigt worden . Eine Entscheidung war deshalb schwierig, weil die Schutzgebiete zwar unter der Reichsgewalt stehen, aber troßdem keine Bestandtheile des Reichsgebiets im Sinne des Artikels 1 der Reichsverfassung darstellen.
Nach dieser Verfaſſung ſind ſie alſo Ausland, wobei
dieser Begriff selbstverständlich streng von dem eines fremden Staatsgebietes zu scheiden ist.
Mithin gelten für die Schuß-
gebiete nicht die Reichsverfassung und nicht die Reichsgesetze,
gebiete. (1888.) S. 86. Uebrigens widerspricht sich Meyer bei dieser Frage selbst, indem er auf S. 167 sagt : „ Eine Schranke für diese Oberhoheit bilden lediglich die den Häuptlingen zugesicherten Rechte. “ 2) Georg Meyer , Ebenda. S. 87.
47
wenn lettere nicht ausdrücklich durch ein neues
Gesetz oder
eine neue Verordnung auf dieselben ausgedehnt werden . Aber in anderer Beziehung sind die Schußgebiete als InDas Geseß über die Konſulargerichtsbarkeit betrachtet bei einzelnen Vorschriften als Inland auch den
land zu betrachten.
Geltungsbereich des Gesezes .
Nun ist in den Schußgebieten
das bürgerliche Recht, das Strafverfahren, das gerichtliche Verfahren und die Gerichtsorganiſation zum größten Theil nach dem
obigen Gesetz geregelt ,
daher müssen im Sinne dieser
Rechtsinstitute die Schußgebiete als Inland aufzufaſſen ſein. Doch wird sich der Zweifel, ob Inland oder Ausland, nur immer an der Hand der betreffenden gefeßlichen Bestimmung selbst lösen lassen. Es wäre ja nun einfach, daß die Schußgebiete förmlich als Bestandtheile des Reichsgebiets erklärt würden, um somit die Frage, ob Inland oder Ausland, aus der Welt zu schaffen. Die übrigen Kolonialmächte haben dies Mittel zum Theil angewendet, so England, Frankreich (aber nicht gegenüber seinen Protektoratsländern), Spanien und Portugal, zum Theil auch nicht, wie Holland und Dänemark. Es ist wohl anzunehmen, daß auch wir mit der Zeit unsere Kolonien zum
Reichsgebiet erklären werden , vorläufig aber
ſtehen praktische Hindernisse entgegen, so vor Allem die Unmöglichkeit, die uncivilisirten Eingeborenen zu Staatsbürgern machen zu können. Ganz gegenüber.
anders liegen
die Verhältnisse fremden
Staaten
Völkerrechtlich betrachtet sind die Schußgebiete Zu-
behörungen des Deutschen Reichs und als solche der Machtsphäre eines anderen Staates entzogen. Daher sind auch selbstverständlich alle Angehörigen anderer civilisirter Staaten in den Schußgebieten der Jurisdiktion des Deutschen Reichs unterworfen und nicht etwa eigenen Konsuln.
Der Reichskanzler
hat alſo vollkommen Recht, wenn er in dem Depeschenwechſel mit Lord Granville in der Angra Pequena-Frage die eng-
48
lischerseits abgegebene Erklärung, „ daß die ſtatutarische Gerichtsbarkeit der Gerichtshöfe der Kapkolonie mit dem deutschen Protektorat über Angra Pequena ein Ende nehmen würde“, für selbstverständlich hält. Was nun endlich die Ausübung der Hoheitsrechte über die Schußgebiete anlangt, so ist Folgendes zu erwähnen : Nach dem § 1 des oft citirten Gesezes ¹)
übt die Schuß-
gewalt in den deutschen Schußgebieten der Kaiser im Namen des Reiches aus . Es war durch die Lage und die Eigenart unserer kolonialen Beſizungen von vornherein ausgeſchloſſen, denselben eine ſelbſtändige Verfaſſung wie die der englischen representative colonies zu geben, oder ihnen, wie bei den franzöſiſchen Kolonien der Fall, die Vertretung in den parlamentarischen Körpern einzuräumen. Die Schußgebiete sind sowohl durch ihre Eigenschaft als tropische Kolonien, 2) wie durch ihre erst in den Anfängen befindliche
Civilisation
nur
ein Objekt der
Herrschaft
des
Reiches . )
Es handelte sich aber darum, inwieweit bei Aus-
übung der Hoheitsrechte die Vertreter der Bundesregierungen und des Volkes mitwirken sollten. Dieser Punkt ist durch das erwähnte Geseß geregelt.
Der Kaiser übt die Hoheitsrechte im
Namen des Reichs aus, mithin ist der Inhaber derselben das Reich selbst.
Der Kaiser ist also nicht der Landesherr, sondern
er befindet sich den Schußgebieten gegenüber in einer ähnlichen staatsrechtlichen Stellung wie im Verhältniß zu den ReichsLanden. Wir haben oben ) das Wort Schußgewalt dahin erklärt,
1) 2) 3) gebiete. 4)
Geset, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete. cf. Theil I, S. 12. Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schuß(1888.) S. 87. cf. Theil III, S. 39 ff.
49
daß dasselbe den Inbegriff aller Hoheitsrechte darſtellt.
Dieſe
Lehteren sind aber rechtlich zweifach beschränkt. Die erste Einschränkung liegt in den Reservatrechten der eingeborenen Häuptlinge und in Wituland und in Südwest= afrika in den noch nicht abgetretenen Hoheitsrechten der betreffenden Gesellschaften. Die andere Beschränkung besteht darin, daß nach dem erwähnten Gesetz dem Kaiser
die Gesezgebung
bezüglich
des
bürgerlichen Rechts , des gerichtlichen Verfahrens , einſchließlich der Gerichtsverfaſſung dadurch entzogen ist, daß diese Rechtsmaterien sich nach den Vorschriften des Geseßes über die Konfulargerichtsbarkeit bestimmen. ') Das Recht des Kaisers , die Schußgewalt im Namen des Reiches auszuüben , baſirt auf einem Reichsgesetz, somit kann auch durch ein neues Reichsgefeß dieses Recht geändert oder aufgehoben werden. Nach Artikel 17 der Reichsverfaſſung muß bei allen kaiserlichen Verordnungen der Reichskanzler verantwortlich gegenzeichnen.
Nun gilt zwar
die Reichsverfassung nicht für die
Schußgebiete , aber dennoch muß der Inhalt dieſes Artikels bindend auch betreffs der Schußgebiete erachtet werden.
Denn
wie Georg Meyer 2) treffend sagt, hat die betreffende Vorschrift
der
Reichsverfaſſung
„keinen
territorialen
Charakter,
ſondern enthält eine Beschränkung der persönlichen Befugniſſe des Kaisers ." Die Kolonialverwaltung ruht vorläufig in den Händen des
Reichskanzlers ,
17. März 1878 vertreten kann.
den
in Folge
der Staatssekretär
des
Reichsgesetzes
vom
des Auswärtigen Amtes
Im Uebrigen gehören die Angelegenheiten der
Schußgebiete zum Ressort des Auswärtigen Amtes . 1) Geset, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schuhgebiete, § 2. 2) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (1888) S. 127. 4 von Holzendorff, Die koloniale Frage.
50
-
B. Beziehungen der Kolonialgesellschaften zum Reich. In den deutschen Schußgebieten sind vier große Kolonialgesellschaften thätig : 1. Die deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika. 2. Die Neuguinea-Kompagnie. 3. • Die deutsch-ostafrikanische Gesellschaft. 4. Die deutsche Witugesellschaft. Sämmtliche Gesellschaften haben sich auf Grund des preußischen Landrechts ¹ )
als privatrechtliche Korporation konstituirt.
Als Aktiengesellschaften konnten sie nicht gegründet werden, weil die Vorschriften des Handelsgeſezbuches über Aktiengeſellschaften Bestimmungen über Gründung, Aufstellung der Bilanz, Verantwortlichkeit u . s. w . enthalten , welche auf die besondere Eigenschaft der Kolonialgesellschaft fonnten.
nicht angewendet
werden
Die Gesellschaften haben sich Statuten ³) gegeben , innerhalb
des
gefeßlich erlaubten Umfanges , wonach der Reichs-
kanzler die Oberaufsicht über die Gesellschaften führt. Ausübung dieses Rechtes
Zur
kann der Kanzler einen Kommiſſar
als Vertreter ernennen , der berechtigt ist , den Sizungen der Verwaltungsorgane beizuwohnen , die Bücher zu revidiren und eventuell eine außerordentliche Generalversammlung zu berufen. Der Siß der Gesellschaften ist Berlin. Die Korporationsrechte sind ihnen durch Ordres 3) des Königs von Preußen verliehen worden.
1) Allgemeines Landrecht. Theil II Titel 6 § 25 ff. 2) Statut der deutschen Kolonialgesellschaft für Südweſtafrika, 5. April 1885. Statut der Neuguinea-Kompagnie , 29. März 1886 . Statut der deutsch-oſtafrikaniſchen Geſellſchaft, 26. Februar 1887. Statut
der deutschen Witugeſellſchaft, 17. Dezember 1887. 3) Für die südwestafrikaniſche Geſellſchaft : Ordre 13. April 1885. Neuguinea-Kompagnie : Ordre 12. Mai 1886. Deutſch-ostafrikaniſche Gesellschaft : Ordre 27. März 1887. - Witugesellschaft : Ordre 20. Februar 1888 .
51
Von Reichswegen
konnte dies
nicht geschehen ,
da die
Reichsgesetzgebung einschlägige Bestimmungen nicht aufzuweiſen hatte. Nach Gesetz vom 17. März 1888 ist der Bundesrath in der Lage, auf Antrag des Reichskanzlers deutschen Kolonialgesellschaften
selbständige
Vermögensfähigkeit
zu
verleihen .
Dies ist soeben geschehen bezüglich der ostafrikaniſchen Geſellschaft durch Bekanntmachung im Reichsanzeiger vom 18. September 1889 . Die Verfassung der Gesellschaften ist nach dem Muſter derjenigen der Aktiengesellschaften gebildet , d . h. die Leitung ruht bei einem Vorstand bezüglich Direktorium, dem ein Verwaltungs- resp . Direktionsrath zur Seite steht , während eine Generalversammlung ebenfalls als Verwaltungsorgan thätig ist. Die
Gesellschaften
verfolgen
einerseits
wirthschaftliche
Ziele, andererseits haben sie die Ausübung von Hoheitsrechten im Auge . Durch letteren Zweck treten sie auch in staatsrechtliche Beziehung zum Reich. Georg Meyer ') vertritt die Ansicht ,
daß leztere Be-
ziehungen nur den Gesellschaften eigenthümlich sind , welchen ein kaiserlicher Schußbrief ertheilt worden ist. Wir sind der Meinung , daß die Kaiserlichen Schußbriefe lediglich diese Beziehungen regeln, nicht aber dieſelben ſchaffen . Denn auch die südwestafrikaniſche und Witugesellschaft sind befugt, Hoheitsrechte auszuüben und treten durch diese Thatsache schon in ein staatsrechtliches Verhältniß zum Reich.
Ob sie
dieje Rechte ausüben oder nicht , ist eine interne Frage , deren Lösung hauptsächlich von Machtmitteln abhängig ist, berechtigt sind sie jedenfalls dazu. Solange die genannten Gesellschaften keine Schußbriefe erbeten haben , sind sie die Träger der von den Häuptlingen 1) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schuhgebiete (1888) S. 130 . 4*
52
abgetretenen Hoheitsrechte, nicht das heute noch in der Lage,
Reich.
ein selbständiges
Sie sind
also
Staatswesen zu
gründen, das den im ersten Theil ') dargelegten Entwickelungsgang nehmen könnte. Unabhängig davon ist,
daß ihre Territorien unter den
Schuß des Reiches gestellt sind. Anders dagegen liegen die Verhältnisse bei der NeuguineaKompagnie und der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft.
Diese
Beiden haben ihre sämmtlichen erworbenen Hoheitsrechte an das Reich abgetreten und auf Grund dieser Abtretung Kaiserliche Schußbriefe erhalten.
Daher laffen sich Schußbriefe nicht
mit Georg Meyer ) auffassen als
„einseitige Ver-
leihung der Hoheitsrechte durch das Reich, allerdings mit Zustimmung der Geſellſchaften “. Sie enthalten vielmehr ein Anerkenntniß des von der Gesellschaft mit dem Reich geschlossenen Vertrages , betreffend die Uebertragung erworbener Hoheitsrechte, von denen ſie einen Theil unter gewiſſen Beschränkungen an die Geſellſchaft zurück verleihen. Dies Verhältniß entspricht genau einem Vorgang im ehemaligen Lehnsweſen.
Der freie
Gutsbesizer übertrug , um
drückender Pflichten ledig zu werden, ſein Gut an einen Mächtigeren, um es unter deſſen Schuß und in deſſen Abhängigkeit als feudum oblatum zurückzuerhalten.
Die beiden ertheilten Schußbriefe lauten wörtlich verschieden, sind aber inhaltlich fast gleich.
In Beiden verleiht der Kaiser die Hoheitsrechte an die Gesellschaften , behält sich
aber die Oberhoheit im Namen des Reiches vor. Die Berechtigung zu dieser Verleihung ist dem Kaiser zwar nicht ausdrücklich geseßlich ertheilt,
aber daß sie vor-
1) cf. Theil I, S. 18 ff. 2) Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete (1888). S. 155.
53
handen, bezeugt der Saß des Gesezes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schußgebiete : „Kolonialgeſellſchaften, denen durch Kaiserliche Schußbriefe die Ausübung der Hoheitsrechte in den deutschen Schußgebieten übertragen ist.“ Im Begriff der Verleihung liegt gleichzeitig die Möglichkeit der Zurücknahme oder der Aenderung .
Somit können die
Hoheitsrechte der betreffenden Geſellſchaft jederzeit eingeſchränkt oder aufgehoben
werden .
Sie bilden
also
keine
rechtliche
Schranke für die Reichsgewalt. Anders bei der südwestafrikaniſchen und Witugeſellſchaft. Diese haben ihre Herrschaftsrechte nicht vom Reich, ſondern von den eingeborenen Herrschern erhalten, also kann von einer Befugniß des Reichs , die Rechte einzuschränken oder gar aufzuheben, höchstens im öffentlichen Interesse, etwa nach Analogie der Zwangsenteignung die Rede sein. Durch die Schußbriefe sind den Gesellschaften
die Rechte
der Landeshoheit übertragen", d. h. mit anderen Worten , die Gesellschaften sind befugt, alle Herrschaftsrechte auszuüben. Nur die „ Ordnung der Rechtspflege “ ist vorbehalten. Daß die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten durch das Reich geschieht, ist eine nothwendige Folge des staatsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses . Ebenſo ſelbſtverſtändlich liegen die Militärangelegenheiten in den Händen des Kaiſers . von Stengel¹) ist der Meinung, daß der § 2 des Reichsgefeßes vom 19. März 1888 beſtimme, daß die Gerichtsbarkeit durch kaiserliche Beamte auszuüben sei.
Aber Georg Meyer2)
betont mit Recht, daß in dem genannten Paragraphen nur von „Beamten “, nicht von „kaiserlichen Beamten“ die Rede Daraus geht hervor , daß mit Bewilligung des Reichs-
ist.
kanzlers auch Geſellſchaftsbeamte diese Funktionen üben können . 1) v. Stengel, Deutsches Kolonialrecht S. 884. 2) Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schußgebiete (1888) S. 160.
-
54
Allerdings haben die Vorgänge
des lezten Jahres und
die beabsichtigten Aenderungen in der Verwaltung der Neuguinea-Kompagnie
gezeigt,
daß
die
Entwickelung
der kolo-
nialen Angelegenheiten dahin führt, die Verwaltung der Schußgebiete gänzlich in die Hände der Legen.
kaiserlichen Beamten zu
Schließlich müssen wir noch einen Sah aus dem Schußbrief der Neuguinea-Kompagnie ""'
erläutern.
Derselbe lautet :
Wir verleihen (der Gesellschaft) das ausschließliche
Recht, in dem Schußgebiet nehmen und
herrenloses Land in Besitz zu
darüber zu verfügen
Eingeborenen über schließen . . . Wir haben
Land-
oben ')
und
und
Verträge
mit
Grundberechtigungen
auseinandergesezt,
daß
nach
den abzu-
der
herrschenden Theorie der Staat mit der Erwerbung der Sou veränität über privatrechtlich herrenloses Gebiet auch Eigenthum an diesem Gebiet erwirbt. Der oben angeführte Saz des Kaiserlichen Schußbriefes ist eine Bestätigung dieser Theorie.
Das Reich betrachtet sich
als Eigenthümerin des vorhandenen herrenlosen Territoriums und überträgt das Recht des Eigenthumserwerbs an die Gesellschaft in der Absicht, anderweitiger privater Occupation vorzubeugen und der Geſellſchaft. die Herstellung eines zuſammenhängenden Länderbesißes zu ermöglichen. Außer den vier großen Kolonialgesellschaften bestehen noch verschiedene kleinere, nämlich : Die ostafrikanische Plantagengesellschaft, die Kamerunland- und Plantagengesellschaft Woermann,
Thormählen und Kompagnie, die deutsch- westafrikanische Kompagnie Dr. A. Zehlicke und Brückner , und
die Jaluitgesellschaft.
1) cf. Theil I. S. 16.
55 Da keine dieser Gesellschaften im Besiß von Hoheitsrechten ist, noch solche ihnen übertragen sind , so kommen dieſelben hier nicht in Betracht. -Erwähnt sei nur, daß die Jaluitgeſellſchaft der Name stammt von der bedeutendsten Insel der Marschallgruppe sich verpflichtet hat , die Verwaltungskosten für ihr Intereſſenbereich auf den Marschallsinseln zu übernehmen, vorausgeseßt, daß die Rechte der Landeshoheit durch Reichsbeamte ausgeübt werden würden. Die genannten Gesellschaften haben sich theils als Aktiengesellschaften (so die ostafrikaniſche Plantagengeſellſchaft sowie die Jaluitgesellschaft) , theils
als Kommanditgeſellſchaften
(ſo
Woermann, Thormählen und Kompagnie), theils als stille Gesellschaften auf Aktien ( so Zehlicke und Brückner) konstituirt.
Die Möglichkeit hierzu lag in dem geringeren Um-
fang der beabsichtigten Zwecke, welche dieſe Geſellſchaften verfolgen.
C. Beziehungen der Bewohner der Schutzgebiete zum Reich. Die Bevölkerung der
Schußgebiete kann man in zwei
Gruppen eintheilen, Deutſche und Nichtdeutsche. Die Ersteren haben als Reichsangehörige auch alle Rechte und Pflichten derselben, d. h . sie haben das aktive und passive Wahlrecht, wenn auch das
erstere durch den Mangel eines
Wahlkreises nicht ausgeübt werden kann. Herrschaft und Gerichtsbarkeit des Reichs
Sie stehen unter der oder der deutschen
Kolonialgesellschaften. Andererseits sind sie verpflichtet, ihrer Militärpflicht dem Reiche gegenüber zu genügen. Die nichtdeutsche Bevölkerung der Schußgebiete zerfällt in zwei Arten :
die Angehörigen eines fremden Staates und die
Eingeborenen. Die Angehörigen eines fremden Staates haben auf Schuß
56
von Leben und Eigenthum spruch.
-
innerhalb des Schußgebietes An-
Sie sind, ebensowenig wie die Reichsangehörigen, der
Herrschaft der eingeborenen Häuptlinge unterworfen, ſondern ſtehen unter der Gewalt des Reiches, bezüglich der Gesellschaft. Der Schuß, den das Reich gewährt, kommt nur innerhalb des Schußgebietes zum Austrag.
Betreffs der Beziehungen zu
anderen Staaten und betreffs des Schußes von Personen und Eigenthum außerhalb des Schußgebietes müſſen ſie ſich an die betreffenden Vertreter ihrer Nation wenden. Die Eingeborenen sind Unterthanen des Reichs in den Schußgebieten, welche der Souveränität des Reichs vollkommen unterworfen sind , im Gebiet des Sultans Achmed von Witu Unterthanen dieses Herrschers, in den Territorien der südwestafrikanischen und der Witugesellschaft Unterthanen dieser Gesellschaften, in den Territorien mit Reſervatrechten der Häuptlinge Unterthanen dieser und des Reichs . Aus dieſem Unterthanenverhältniß geht aber nicht das der Reichsangehörigkeit hervor, sondern im Gegentheil beſtimmt der § 6 des Gesezes vom 19. März 1888, daß zur Reichsangehörigkeit vorhergegangene Naturaliſation nöthig ist. Auf dieſe Naturalisation finden die Bestimmungen des Gefeßes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 ſowie Artikel 3 der Reichsverfassung und § 4 des Wahlgefeßes für den deutschen Reichstag vom 31. Mai 1869 entsprechend Anwendung, doch mit der Maßgabe, daß das Reichsbürgerrecht hier ohne Durchgang durch ein Staatsbürgerrecht erworben werden kann. Die Naturalisation erfolgt unter Vorausseßung der Erfüllung der gefeßlichen Bedingungen durch den Reichskanzler oder einen Vertreter, der aber ein kaiserlicher Beamter ſein muß. Ebenso wie die Eingeborenen können auch die Angehörigen
57
anderer Mächte die Reichsangehörigkeit erwerben.
Lehtere er-
giebt sich durch eine Anstellung im Reichsdienst von selbst. ') Naturgemäß kommen für den
letteren Fall solche Aus-
länder nicht in Betracht , welche im Dienst der Kolonialgeſellschaften stehen. Betreffs
des Verlustes der Reichsangehörigkeit und der
Entlassung aus dem Reichsverbande gelten die Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsgesezes .
1) Staatsangehörigkeitsgeset § 9.
II.
Rechtslage im Innern.
1. Verwaltung. An der Spiße der gesammten Kolonialverwaltung steht der Reichskanzler und unter ihm, als oberste koloniale Behörde, das Auswärtige Amt. In den einzelnen Schußgebieten ruht die Verwaltung mit einer einzigen Ausnahme (in Neuguinea) in den Händen kaiſerlicher Beamter. Und auch diese Ausnahme wird in der nächsten Zukunft, wie oben erwähnt, ') wegfallen . dahin treffende
Bornhak'sche2)
Somit wird die bis
Eintheilung
in Kronschuß-
gebiete und Geſellſchaftsschußgebiete hinfällig . Die Stellung der betreffenden kaiserlichen Beamten regelt sich nach dem Reichsbeamtengeseß. 3)
Doch gilt betreffs
Pensionirung die besondere Bestimmung,
ihrer
daß ihnen auf Be-
schluß des Bundesrathes bei längerer als einjähriger
Ver-
wendung in den Schußgebieten die dort zugebrachte Dienstzeit doppelt in Anrechnung gebracht werden kann.
Ferner können
1) cf. Theil II. S. 36 . 2) Bornhak , Die Anfänge des deutſchen Kolonialſtaatsrechts . Archiv für öffentliches Recht. Bd. II. S. 21 . 3) cf. auch Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse der Landesbeamten in den Schuhgebieten von Kamerun und Togo vom 3. Auguſt 1888, Artikel 1. Im Uebrigen betreffs der durch dieses Gesetz bedingten besonderen Stellung der Beamten in Kamerun und Togo cf. v. Stengel , Stellung der deutschen Schuhgebiete, S. 152 .
59
ſie durch kaiserliche Verfügung jeder Zeit unter Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versezt werden. ') Was die Beamten der Neuguinea-Kompagnie und der oſtafrikaniſchen Geſellſchaft anlangt, ſo ſind für ihre Stellung die betreffenden Dienstverträge mit ihren bezüglichen Gesellschaften maßgebend. Die in den Händen der kaiserlichen Beamten liegende Verwaltung umfaßt naturgemäß nur die innere und Finanzverwaltung, denn die der auswärtigen Angelegenheiten sowie die Militärverwaltung
gehören
zu den Funktionen
der
Reichs-
regierung. Die innere Verwaltung umfaßt vorläufig bei der gering entwickelten Kultur der Schußgebiete die Einrichtung von Verkehrsanſtalten (vor allem Post), ferner die Regelung und Aufsicht von Maß, Gewicht und Münze , endlich polizeiliche Verordnungen für das
Gebiet der Schifffahrts- und Sicherheits-
polizei. Das Recht, alle diese Funktionen der inneren Verwaltung auszuüben, bezüglich die betreffenden Verfügungen zu erlaſſen, ist den kaiserlichen Beamten durch Kaiserliche Verordnungen vom 19. Juli und 15. Oktober 1886 übertragen worden . In Südwestafrika gehört zum
Ressort der inneren Ver-
waltung auch noch die Regelung des Bergbaues, welche durch eine
Bergbehörde“ ausgeführt wird .
Die Mitglieder derselben
werden mit Genehmigung des Reichskanzlers von der füdweſtafrikanischen Geſellſchaft ernannt. Der Reichskommiſſar 2) hat die Oberaufsicht.
Was die
Finanzverwaltung anlangt , so liegt dieselbe bei der NeuguineaKompagnie naturgemäß in den Händen der Kompagnie,
da
1) Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der kaiserlichen Beamten in den Schuhgebieten (Reichsgesetzblatt 1887 , Nr. 18, S. 211 ). 2) cf. unten.
60
derselben die Rechte der Landeshoheit durch den Schußbrief übertragen sind und leßtere auch die Finanzgewalt in ſich ſchließt. Eine Beschränkung besteht nur insofern ,
als der Kaiſer
nach § 10 des Gesetzes vom 19. März 1888 das Recht hat, das Kostenwesen zu ordnen. Was nun die anderen Schußgebiete betrifft, so steht hier die Finanzgewalt dem Kaiſer zu .
Er hat dieselbe durch die
oben erwähnten Kaiserlichen Verordnungen an die betreffenden Beamten übertragen . Selbstverständlich schließt die Finanzgewalt das Besteuerungsrecht in sich, welches somit im Gebiet der Neuguinea-Kompagnie dieser Gesellschaft zuſteht und durch ihre Beamte ausgeübt wird, während es bei den anderen Schußgebieten in den Händen der kaiserlichen Beamten ruht. Das in den verschiedenen Verträgen mit den Häuptlingen für dieſe vorbehaltene Besteuerungsrecht wird durch die obigen Bestimmungen nicht berührt. Die Kosten für die Verwaltung vom Togo- und Biafragebiet, Südwest- und Ostafrika ¹ ) trägt das Reichsbudget, von den Marschallsinseln die Jaluitgesellschaft. Im Schußgebiet der Neuguinea-Kompagnie sollen die Verwaltungskosten, auch nach der beabsichtigten Verwaltungsübernahme durch das Reich, von der Kompagnie getragen werden . Die Einnahmen aus den Schußgebieten werden nicht im Reichshaushaltsetat verrechnet, sondern sind bisher nur in Form einer Denkschrift als Anhang zum Etat dem Reichstage zur Kenntnißnahme mitgetheilt worden. Im Einzelnen ist die Verwaltung der Schußgebiete bisher folgendermaßen geordnet :
A. Togo- und Biafragebiet . Die Reichsregierung hat dieses Schußgebiet in zwei Verwaltungsbezirke 1) cf. unten.
abgegrenzt
und für
dieselben
die
Namen
61
Kamerun- und Togogebiet eingeführt.
An der Spite Beider
ſteht ein Gouverneur mit dem Titel Oberkommiſſar für das Togogebiet mit dem Sit in Kamerun.
Derselbe ist gleichzeitig
Generalkonsul für den Golf von Guinea.
Ihm zur Seite steht
als juriſtiſcher Beirath ein Kanzler mit zwei Sekretären und für das Togogebiet ein Reichskommiſſar mit einem Sekretär, welcher geichzeitig die Geschäfte Sklavenküste leitet.
eines Konsuls für
die
Gold- und
In beiden Verwaltungsbezirken beſteht ein
Verwaltungsrath, der nach den Verordnungen des Gouverneurs von Kamerun vom 10. Juli 1885 und des Kommiſſars für das Togogebiet vom 15. Januar 1886 aus drei europäischen Einwohnern, welche alljährlich ernannt werden, beſteht. Bei Fragen, die die Eingeborenen betreffen, können ihre Häuptlinge gehört werden . B. Deutsch- Südwestafrika . Da die südwestafrikaniſche Geſellſchaft in dem ihr unterſtehenden Küstengebiet bisher von ihren Hoheitsrechten keinen Gebrauch macht , so hat die Reichsregierung einen Kommissar hingeschickt, der die Herrschaftsrechte ausübt.
Derselbe fungirt
gleichzeitig als Kommiſſar für das Hinterland, das ſich unter den Schuß des Reiches gestellt hat.
C. Deutsch-Ostafrika. Hier ist
augenblicklich von einer geregelten Verwaltung
nicht die Rede. afrikanische
Vor dem Aufstand der Araber hatte die oft-
Gesellschaft
Küste und im
Innern
und im Anschluß an
einzelne
Gesellschaftsbeamte
an der
vertheilt, um Stationen zu errichten,. dieſe allmählich
eine Verwaltung zu
organisiren. Dieſe Keime einer Entwickelung sind indeß durch jenen Aufstand zerstört und die Regierung hat sich genöthigt geſehen, selbst einzugreifen .
Augenblicklich ruht die Regierungsgewalt
in den Händen eines Reichskommissars, dem der Reichskanzler
62
die ihm gefeßlich zustehende ')
Aufsichtsbefugniß
über die Ge-
sellschaft übertragen hat. Die zukünftige Gestaltung der Dinge läßt sich heute noch nicht übersehen, doch deuten alle Anzeichen darauf hin, daß die Verwaltung auch in Zukunft in den Händen kaiserlicher Beamter bleiben wird .
D. Wituland. Dieses Schußgebiet hat noch gar keine Organiſation aufzuweisen.
Weder hat bisher die Witugeſellſchaft
in ihrem
Gebiet entsprechende Maßregeln getroffen, noch sind die Beziehungen zwischen dem Sultan von Witu und dem Reiche genauer geregelt.
E. Südsee. 1. Die Verwaltung des Gebietes der Neuguinea-Kompagnie wird bisher durch Gesellschaftsbeamte geleitet, an deren Spize ein
Landeshauptmann steht.
Derselbe
hat seinen
Sitz in
Finschhafen. 2. Die Marschallsinseln und Zubehör verwaltet ein Reichskommissar, der in Jaluit stationirt ist und dem ein Sekretär beigegeben ist. 2. Gerichtsbarkeit. Sämmtliche Bewohner der Schutzgebiete sind , mit Ausnahme der Eingeborenen , der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen.
Dies trifft auch für die Reichsbeamten zu .
Denn der
§ 22 des Reichsbeamtengeſehes besagt, daß Reichsbeamte ,
die
ihren dienstlichen Wohnsitz in einem Lande haben, wo Reichskonſulargerichtsbarkeit besteht, ihren Gerichtsstand am Konſulargericht haben.
Da nun aber § 21
desselben Gesetzes vor-
ſchreibt, daß die erwähnten Beamten den ordentlichen perſönlichen Gerichtsstand, den sie im Heimathsstaat hatten, behalten, 1) § 10 des Gesetzes vom 19. März 1888.
---
63
so haben die Beamten in den Schußgebieten einen doppelten Gerichtsstand aufzuweisen. Auf die Eingeborenen, worunter man die unciviliſirte ') Bevölkerung zu
verstehen hat, kann in Folge des Mangels
einer Kultur eine Anwendung der deutschen Geseze nicht stattfinden.
Auch sind sie zum Theil, in Folge der Reservatrechte
der Häuptlinge, der Jurisdiktion dieser Lesteren unterworfen . Wo dies nicht der Fall, kann der Kaiser von seinem Verordnungsrecht Gebrauch machen und
rechtliche Bestimmungen
für die Eingeborenen erlaſſen.2) Laut dem § 2 des
Reichsgesetzes
vom
15. März 1888
regelt sich die deutsche Gerichtsbarkeit in den Schußgebieten, ſoweit nicht das
Geseß selbst Aenderungen oder Zusäße vor=
schreibt, nach dem Reichsgesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom
10. Juli 1879 mit der Maßgabe, daß an Stelle des
Konjuls, der vom
Reichskanzler zur Ausübung der Gerichts-
barkeit ermächtigte Beamte und an Stelle des Konsulargerichtes das Gericht des Schußgebietes tritt. Doch bedarf dieses Gesetz für jedes Schußgebiet einer besonderen Einführung durch Kaiserliche Verordnung. ") Dieselbe
erfolgte für das
Schuhgebiet
der
Neuguinea-
Kompagnie durch Kaiserliche Verordnung vom 5. Juni 1886 und 11. Januar 1887, für die Marschallsinseln und Zubehör durch Verordnung vom 13. September 1886, für Deutsch-Ostafrika durch Verordnung vom 18. November 1887 , für Deutsch-Südwestafrika durch Verordnung vom
21. Dezember 1887 , für
Kamerun und Togo durch Verordnung vom 2. Juli 1888 .
1) cf. Verfügung des Reichskanzlers vom 1. November 1886 im Anschluß an die Kaiserliche Verordnung vom 5. Juni 1886. 2) cf. § 2 der Verordnung für Neuguinea vom 1. September 1886, § 2 der Verordnung für die Marſchallsinseln und Zubehör vom 13. September 1886. § 2 der Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888. 3) cf. Schutzgebietsgesetz § 2.
64
Hiernach gestaltet sich die Gerichtsbarkeit in den Schußgebieten folgendermaßen : A.
Zusammenseßung und Kompetenz der Gerichte. Als Einzelrichter fungirt
der
betreffende
Schußgebiets-
richter.¹) Dies kann sowohl ein kaiserlicher wie ein Geſellſchaftsbeamter sein.
Doch hat der Reichskanzler das Recht , neben
dem Leßteren und an Stelle desselben einem anderen Beamten die Befugnisse des Richters zu übertragen.2)
Des weiteren wird die Gerichtsbarkeit ausgeübt durch das Schußgebietsgericht,3) welches aus dem Schußgebietsrichter als Vorsitzendem und zwei bis vier aus den achtbaren Bewohnern der Schußgebiete zu wählenden Beisißern besteht. *)
Dieſelben
werden , ebenso wie zwei Stellvertreter , für die Dauer eines Jahres vom Schußgebietsrichter ernannt. Ob zwei oder vier Beisiger beim Schußgebietsgericht fungiren sollen , hängt von den zu verhandelnden Rechtsfällen ab. bei Verhandlung von Civilsachen. ")
Zwei Beiſißer genügen
Können die Beisißer nicht
zugezogen werden, so tritt an Stelle des Schußgebietsgerichts der Schußgebietsrichter.") Bei Verhandlung von
Strafrechtsfällen ,
für welche im
Mutterlande die Schöffengerichte und nach §§ 74 und 75 des Gerichtsverfassungsgefeßes die Strafkammern der Landgerichte zuständig sind, genügen ebenfalls zwei Beisiter. )
Jedoch kann
1) Wegen der gewählten Ausdrücke cf. Dienstanweisung , betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schußgebieten von Kamerun und Togo, § 2. 2) Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 5. 3) Wegen der gewählten Ausdrücke cf. Dienstanweiſung , betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schuhgebieten von Kamerun und Togo, § 2. 4) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz §§ 6 u. 7. 5) cf. §§ 6 u. 28 des Konſulargerichtsbarkeitsgesetzes. 6) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 9. 7) cf. §§ 6 u. 28 des Konsulargerichtsbarkeitsgesches.
65
auch hier
der Schußgebietsrichter
Kaiserliche Verordnung allein die
nach Ermächtigung durch Gerichtsbarkeit
ausüben . ' )
Eine diesbezügliche Verordnung ist bereits für Kamerun und Togo ) und für Neuguinea ) ergangen. Zur Zuziehung von vier Beisigern muß bei allen übrigen, den Strafkammern der Landgerichte oder den Schwurgerichten zuständigen Strafrechtsfällen geschritten werden. )
Eine Aus-
nahme findet sich im § 9 Abſah 1 des Konſulargerichtsbarkeitsgeseßes, von welcher der Kaiser im Wege der Verordnung entbinden kann.5) Der Schußgebietsrichter ist für die durch das Gerichtsverfassungsgesetz und die Konkursordnung den Amtsgerichten zugewiesenen Sachen zuständig , sowie für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit , welche in erster Inſtanz zur Zuständigkeit der Amts- und Landgerichte gehören. Das Schuhgebietsgericht ist für die den Schöffengerichten, sowie für die den Landgerichten in erster Instanz zugewiesenen Sachen zuständig. ") Für die Schwurgerichtssachen können die Schußgebietsgerichte werden.
durch
Kaiserliche
Verordnung
kompetent
gemacht
Dies ist geschehen für Kamerun und Togo ) und für Neuguinea, )
woselbst
der
die den Schwurgerichten worden sind.
Gerichtsbehörde zuständigen
1) cf. Schutzgebietsgeset § 3 Nr. 6. 2 ) cf. § 11 der Verordnung, betreffend die merun und Togo vom 2. Juli 1888. 3) cf. Verordnung für Neuguinea vom 13. 4) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 28. 5) ef. Schutzgebietsgeset § 3 Nr. 4c. 6) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 12. 7) cf. Verordnung für Kamerun und Togo 8) cf. Verordnung für Neuguinea vom 13. von Holzendorff, Die koloniale Frage.
erster
Sachen
Instanz
übertragen
Rechtsverhältniſſe in KaJuli 1888, § 3 .
vom 2. Juli 1888 , § 13. Juli 1888, § 5. 5
66
Alle anderen Straffachen müssen vor die Gerichte
des
Mutterlandes gebracht werden. Als Berufungs und Beschwerdegericht kann an Stelle des Reichsgerichts durch den Kaiser ein Konsulargericht oder ein Schutzgebietsgericht berufen werden , welches aber mindestens aus einem Vorsitzenden und vier Beisigern bestehen muß. ') Ein solches Gericht ist durch Verordnung des Kaiſers für die Schußgebiete von Kamerun und Togo ) in Kamerun , für Neuguinea³) in Finſchhafen , für die Marschallsinseln¹) nebſt Zubehör in Apia (deutsches Konſulargericht) errichtet worden.
B.
Verfahren in Straf- und Civilsachen.
Das Konſulargerichtsbarkeitsgeſeß schreibt im § 21 vor, daß auf Straffachen die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Einführungsgeſeßes zu derselben nach Maßgabe später aufgezählter Bestimmungen entsprechende Anwendung finden. Außerdem regelt sich das Strafverfahren nach Vorschriften des Gesezes, betreffend die Rechtsverhältnisse der Schußgebiete und der Verordnungen für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888 und für Neuguinea vom 13. Juli 1888.
Mithin ge-
staltet sich das Strafverfahren folgendermaßen : 5) Der Schuhgebietsrichter übt die Verrichtungen des Amtsrichters und des Vorsitzenden der Strafkammer aus. ") Die
Mitwirkung
einer
Staatsanwaltschaft
findet
nicht
ſtatt. ')
¹) cf. Schußgebietsgeſeh § 3 Nr. 9 . 2) cf. Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888 , § 5. 2) cf. Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 6. 4) cf. Verordnung für die Marschallsinſeln nebſt Zubehör vom 13. September 1886 , § 4. 5) Wo im Folgenden die Verordnung für Kamerun und Togo , resp. die für Neuguinea angezogen , gilt die betreffende geſeßliche Beſtimmung ſelbſtverſtändlich nur für die genannten Schuhgebiete. 6) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 22. 7) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 24.
67
Die Zustellung, die Vollstreckung von Beſchlüſſen und Verfügungen, sowie die Strafvollstreckung werden durch den Schußgebietsrichter veranlaßt. ')
Derselbe hat an Stelle des Staatsanwaltes wegen einer gerichtlich strafbaren und verfolgbaren Handlung einzuſchreiten. Der Kaiser kann durch Verordnung die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft, die sonst in den Schußgebieten nicht vorgesehen ist, vorschreiben.2) Ebenso kann er das Verfahren einer
Voruntersuchung,
welche sonst geseßlich nicht besteht,³) anordnen. Eine Art Erjat für die Voruntersuchung kann dadurch geschaffen werden, *)
daß
der
Schuhgebietsrichter
eine
Ver-
fügung über die Einleitung des Verfahrens gegen den Beſchuldigten erläßt, 5) in welcher die, dem Angeklagten zur Last gelegte That unter Hervorhebung ihrer geseßlichen Merkmale und das anzuwendende Strafmaß zu bezeichnen ist.
Diese Ver-
fügung tritt dann an die Stelle der öffentlichen Klage. ") Soll das Hauptverfahren direkt, d . h. ohne die erwähnte Verfügung, eingeleitet werden, so eröffnet der Schuhgebietsrichter dasselbe durch einen Beschluß , der außer dem Inhalt der erwähnten Verfügung noch die Beweismittel anführen muß . 7) Im Allgemeinen ist der Angeklagte verpflichtet, in der Hauptverhandlung zu erscheinen. ")
Doch kann er auf seinen Antrag oder von Amtswegen wegen großer Entfernung seines
Aufenthaltsortes , oder wegen sonstiger Hinderniſſe von dieſer Verpflichtung in dem Falle entbunden werden , daß nach dem 1) 2) 3) 4) gebiete. ") 6) 7) 8)
cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 24. cf. Schuhgebietsgesetz § 3 Nr. 4a . cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 26. Georg Meyer , Die strafrechtliche Stellung der deutschen Schuh(1888.) S. 204. cf. Konsulargerichtsbarkeitsgeset § 27. cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 27. cf. Konsulargerichtsbarkeitsgeses § 27. cf. Strafprozeßordnung § 229. 5*
68 Ermessen der Gerichtsbehörde voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, oder Geldstrafe, oder Einziehung, allein oder in Verbindung mit einander zu erwarten steht. ') Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte hat Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn er sich am Ort des Berufungsgerichtes befindet. ") Betreffs der Vertheidigung ist vorgeſchrieben, daß bei der Hauptverhandlung die Anwesenheit des Vertheidigers nothwendig ist.
Für die zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörenden
Sachen ist die Vertheidigung auch in der Berufungsinstanz vorgeschrieben. ) Berufung gegen alle Entscheidungen in Straffachen, mit Ausnahme der gegen Uebertretungen erlassenen, sind zulässig. *) Ein durch rechtskräftiges Urtheil geschlossenes Verfahren kann von Amtswegen wieder aufgenommen werden. Das Begnadigungsrecht steht dem Kaiser ) zu ,
als Aus-
über sämmtlicher Hoheitsrechte des Reiches . Das Verfahren in Civilsachen regelt sich in den Schußgebieten nach der Civilprozeßordnung und der Konkursordnung nebst ihren Einführungsgeseßen , ferner nach den landesherrlichen Vorſchriften, welche im Gebiet des preußischen Landrechts zur Ausführung jener Reichsgeseße erlassen oder neben denselben in Geltung sind.
Ferner
nach den
beſonderen Be-
stimmungen des Konsulargerichtsbarkeitsgefeßes 6) und endlich 1 ) cf. Wegen der Befugniß des Kaisers, betreffs der Entbindung des Angeklagten vom persönlichen Erſcheinen bis zur Grenze von sechs Monaten 2c. zu gehen, Reichsgeset, betreffend die Rechtsverhältnisse der Schuhgebiete, § 3, Nr. 5. Ferner cf. die Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 12. Die Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 4. 2) cf. Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 14, sowie die Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 8. cf. auch Konsulargerichtsbarkeitsgeset § 41. 3) cf. Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 14. 4) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz §§ 33 und 34. 5) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgeset § 42. 6) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 14.
E
69
-
nach der Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in den Schußgebieten von Kamerun und Togo , von Neuguinea und von den Marschallsinſelu nebſt Zubehör . Maßgebend für das Verfahren
in bürgerlichen Rechts-
ſtreitigkeiten vor dem Schuhgebietsrichter sowie vor dem Schußgebietsgericht ist die Civilprozeßordnung in den Bestimmungen über das Verfahren vor dem Amtsgericht und über das vorbereitende Verfahren in Rechnungs- sowie Auseinandersetzungssachen und ähnlichen Prozessen. ¹) Die Beisiter ) nehmen nur an der mündlichen Verhandlung und an den im Laufe
oder auf Grund derselben er-
gehenden Entscheidung Theil. )
Für Kamerun und
Togo,
ſowie für Neuguinea gilt die Beſtimmung , daß auch die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde unter Mitwirkung der Beisiger erfolgt, wenn die angefochtene Entscheidung unter ihrer Mitwirkung ergangen ist. *) Eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft findet auch bei Civilsachen im Prinzip nicht statt.
Nur bei Erhebung der Ehe-
nichtigkeitsklage und bei Anfechtung eines
auf Entmündigung
gerichteten richterlichen Entschlusses, sowie bei Anfechtung einer beabsichtigten Wiederaufhebung der Entmündigung ist das Eingreifen einer Staatsanwaltschaft gesetzlich vorgeschrieben . 5) Dent
Staatsanwalt
vertritt in diesen Fällen ,
mächtigung des Schuhgebietsrichters ,
auf Er-
eine zur Ausübung der
Rechtsanwaltschaft zugelassene Person, oder in Ermangelung einer solchen , ein anderer achtbarer Schußgebietsbewohner 6) (natürlich nicht Eingeborener) .
1) ef. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 15. 2) cf. oben. 3) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 16. 4) cf. Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 8, und Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 7. 5) ef. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 17. 6) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 17.
70
Berufung findet bei bürgerlichen Streitigkeiten nur statt, sofern der Werth des Streitobjekts die Summe von 300 Mark übersteigt. Im Uebrigen sind in allen Fällen, wo die oben genannte Voraussehung eintrifft, sowie in Konkurssachen die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde gestattet. ') Das Rechtsmittel der Berufung wird bei dem Schußgebietsrichter eingelegt. 2) Betreffs der Zustellung und der Zwangsvollstreckung sind für Kamerun und Togo , für Neuguinea und die Marschallsinseln nebst Zubehör besondere Bestimmungen ergangen, 3) während für die übrigen Schußgebiete die Bestimmungen der Civilprozeßordnung gelten.
Nach diesen Verordnungen können Be-
ſchlüſſe, welche die Prozeß- oder Sachleitung, einschließlich der Bestimmung oder Aenderung von Terminen betreffen, lediglich durch Verkündigung bekannt gemacht werden. Alle Entscheidungen dagegen, einschließlich der auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden, sowie die Zahlungsund Vollstreckungsbefehle an den Schuldner und
endlich die
Pfändungs- und Ueberweisungsbeſchlüſſe an den Drittſchuldner sind von Amtswegen zuzustellen. 4) Soll durch die Zustellung eine Fristbestimmung bewirkt werden, so treten die Wirkungen der Zustellung bereits mit Einreichung des zuzustellenden Schriftstückes
bei der Gerichts-
behörde ein, sofern die Zustellung demnächst bewirkt wird . Von einem Einrücken in öffentliche Blätter bei Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Ladung kann abgeſehen werden. 1) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 18. 2) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 20. 3) cf. die Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 7, 9 und 10. Verordnung für Neuguinea vom 5. Juni 1886, §§ 5, 6 , 7, 8 und Verordnung für die Marschallsinseln nebſt Zubehör vom 13. September 1886, §§ 5, 6, 7, 8 ; auch cf. das Schuhgebietsgeseh, § 3, Nr. 10. 4) Dies gilt nicht für die Marschallsinseln und Zubehör. Wegen Neuguinea cf. § 1 der Verordnung vom 13. Juli 1888.
71
Zustellung
an
außerhalb
des
Schußgebietes Wohnende
kann an Prozeßbevollmächtigte erfolgen, welche im Schußgebiet wohnen. Bis zur Ernennung dieser geschieht die Zustellung durch Anheftung an die Gerichtstafeln. Der Zustellungsbevollmächtigte ist beim Gericht zu benennen und ein Nachweis über erfolgte Zustellung ist zu den Gerichtsaften zu bringen. Betreffs der Zwangsvollstreckung ist angeordnet,
daß die-
selbe ausschließlich durch den zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten anzuordnen ist.
Dieſer
kann mit der Ausübung der Zwangsvollstreckung andere Personen beauftragen, welche seinen Anweisungen zu folgen haben. Vollstreckbare Ausfertigungen darf der Gerichtsschreiber nur auf Anordnung des erwähnten Beamten ertheilen. 1) Zum Schluß sind noch folgende Bestimmungen zu wähnen : Die Gebühren für Gerichtsvollzieher ,
für
er-
Zeugen und
Sachverständige und für Rechtsanwälte, sowie die Gerichtskosten regeln sich in Südwest- und Ostafrika nach dem Gerichtskostengesez und den betreffenden Gebührenordnungen . 2)
In den
übrigen Schußgebieten sind diese Verhältnisse durch Verfügungen des Reichskanzlers geordnet. ³) Die Geldstrafen fließen zur Reichskaſſe, ¹) bei dem Schußgebiet der Neuguinea - Kompagnie, zugleich mit den Gerichtskosten, in die Kasse dieser Geſellſchaft. 5)
1) cf. § 7 der Dienſtanweiſung, betreffend die Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schuhgebieten von Kamerun und Togo. (Zu Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888.) 2) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgeseß § 44. 3) cf. Verordnung für Kamerun und Togo vom 2. Juli 1888, § 16. Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 10. Verordnung für die Marschallsinſeln nebſt Zubehör vom 13. September 1886, § 9. 4) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesſeß § 46. 5) cf. Schutzgebietsgeſeß § 3 Nr. 11 und Verordnung für Neuguinea vom 13. Juli 1888, § 11.
72
3. Das Strafrecht der Schußgebiete. In den Schußgebieten gelten laut dem § 4 des Konſulargerichtsbarkeitsgeseßes im Allgemeinen das Strafgefeßbuch für das Deutsche Reich und die sonstigen Strafbeſtimmungen der Reichsgesehe, doch leztere nur insoweit,
als sie nicht Beſtand-
theile eines Verwaltungsgesetzes sind . ' )
Es müßte denn das
bezügliche Verwaltungsgesetz in den Schußgebieten eingeführt werden. Betreffs der Todesstrafe ist eine Aenderung des Strafgeseßbuches für die Schußgebiete insofern eingetreten, als an Stelle der im Mutterlande vorgeschriebenen Enthauptung eine andere, eine Schärfung nicht enthaltene Art der Vollstreckung der Todesstrafe durch kaiserliche Verordnung eintreten kann. 2) Dies ist geschehen für Kamerun und Togo, ³) sowie das Schußgebiet der Neuguinea-Kompagnie, )
woselbst
die Todesstrafe
durch Er-
schießen oder Erhängen vollstreckt wird . Das Schußgebietsgefeß hat aber noch weitere, durch die
1
besondere Rechtslage der Schußgebiete nothwendige Ergänzungen des Strafgesetzbuches angeordnet.
Nr. 3 des § 3 giebt dem
Kaiser das Recht, Strafbestimmungen über Materien zu erlassen, welche nicht Gegenstand des Strafgesetzbuches sind und dabei Gefängniß bis zu einem Jahre, Haft, Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände anzudrohen. Des Weiteren erhält der Reichskanzler durch § 11 des Schußgebietsgefeßes die Befugniß, für die Schußgebiete polizeiliche oder Verwaltungsvorschriften zu erlassen und für die Nichtbefolgung derselben Gefängniß bis zu drei Monaten, Haft, Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände anzudrohen.
1) cf. Georg Meyer , Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schußgebiete. (1888. ) . 184. 2) cf. Schußgebietsgeset § 3, Nr. 8. 3 ) cf. Verordnung vom 2. Juli 1888, § 15. 4) cf. Verordnung vom 13. Juli 1888, § 9 .
S
73
Diese Befugniß kann der Reichskanzler an kaiserliche Beamte und an die mit Hoheitsrechten ausgestatteten Kolonialgesellschaften übertragen.
Diese wieder können das Recht zu
diesen Anordnungen an Unterbeamte weitergeben . Endlich bleibt die durch § 4 des Konsulargerichtsbarkeitsgesezes ertheilte Befugniß, daß der Konsul, alſo in den Schußgebieten der entsprechende Beamte ,
polizeiliche Vorſchriften er-
laſſen und die Nichtbefolgung derselben mit Geldstrafen bis zum Betrage von 150 Mark bedrohen kann , Schußgebiete in Kraft.
auch für die
Selbstverständlich ist dabei auch die
Vorschrift der ſofortigen Mittheilung solcher Anordnungen in Abschrift an den Reichskanzler einzuhalten.
Nach § 8 des Strafgesetzbuchs
gilt
als
nicht zum Deutschen Reich gehörige Gebiet. auch die deutschen Schußgebiete.
Ausland jedes Darunter fallen
Folglich sind
die von Aus-
ländern auf diesem Boden begangenen Delikte nur dann dem Reichsstrafgesezbuch unterworfen , wenn sie gemäß § 4 Nr. 1 einen Hochverrath gegen das Deutsche Reich oder einen Bundesſtaat, ein Münzverbrechen, ein Amtsdelikt oder gemäß Geſeß vom 9. Juni 1884 ein Sprengstoffverbrechen enthalten. Andere rechtswidrige Handlungen der Ausländer müßten, selbst wenn sie an einem Deutschen begangen sind, in den Schußgebieten straflos bleiben. Um dieſe Unzulänglichkeit zu ändern, bereitet das Reich einen Zuſaß zum Strafgesetzbuch vor, wonach Ausländer, die im Ausland
an einem Deutschen freveln, in schweren Fällen
dem Strafgesetzbuch unterfallen. Entgegengesetter Ansicht ist von Stengel, ')
welcher im
Sinne des Strafgesetzbuches die Schußgebiete als Inland anſieht.
Auf Grund dieser Ansicht wäre die geplante Novelle
überflüssig.
1) ef. v. Stengel, Die deutschen Schuhgebiete , ihre rechtliche Stellung, Verfassung und Verwaltung. (1889). S. 177 .
74
―
Doch führt die Konsequenz dieser Ansicht allzuweit , da dann ja auch Uebertretungen, welche das Strafgefeßbuch unter Strafe stellt, sämmtlich in den Schußgebieten verfolgbar sein würden !
4. Das bürgerliche Recht der Schutzgebiete. Die §§ 2, 3 und 4 des
Gesezes, betreffend die Rechts-
verhältnisse der deutschen Schußgebiete , sind
maßgebend für
das bürgerliche Recht der Schußgebiete. Danach gelten im Allgemeinen die
betreffenden Reichsgesete,
gemeine Landrecht
und
das
die betreffenden
preußische
Geseze
all-
derjenigen
preußischen Landestheile, in welchen das allgemeine Landrecht Gesezeskraft beſißt. ')
Für Handelssachen
kommt
in
erſter
Linie das Handelsgewohnheitsgesetz in Betracht und wo das nicht ausreicht, das Handelsgeſehbuch und die Wechſelordnung, sowie alle diesbezüglichen Spezialgeſeße.²) Die besonderen Verhältnisse der
Schußgebiete bedingten
aber da, wo sich das preußische Landrecht nicht anwenden ließ, eine besondere Regelung der betreffenden Verhältnisse. ist betreffs
Dies
der Rechtsverhältnisse an den Grundstücken, ein-
schließlich des Bergwerkeigenthums ,
durch den § 3 Nr. 2 des
Schußgebietsgefeßes, hinsichtlich der Verlängerung der Fristen, welche zur Geltendmachung von Rechten und zur Erfüllung von Pflichten gefeßlich festgestellt sind, durch den § 3 Nr. 12 und hinsichtlich des Rechtes
der Eheschließung und der Beur-
kundung des Personenstandes
durch
§ 4 desselben
Gesezes
geschehen. Danach sind diese drei Materien folgendermaßen geordnet : A. Der Kaiser kann durch Verordnungen in den Schußgebieten die Rechtsverhältnisse
an unbeweglichen Sachen,
ab-
1) cf. Schutzgebietsgeseß § 2 und Konsulargerichtsbarkeitgeset § 3. 2) cf. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz § 3.
75 weichend von den Reichsgesehen und vom preußischen Recht, selbständig regeln. 1. vom
Dies ist geschehen :
Im Schußgebiet von
Neuguinea
durch Verordnung
Dieselbe schreibt vor, daß
20. Juli 1887.
der Eigen-
thumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke dortselbst zwar im Prinzip nach den Vorschriften des preußischen Rechts zu handhaben,
daß aber die preußische Grundbuch-
ordnung nicht einzuführen ſei.
Ebenso können die Auflassungserklärungen auch schriftlich erfolgen. ¹) An Stelle der Grundbuchordnung ist eine Verfügung des Reichskanzlers vom
30. Juli 1887 getreten, durch welche die
Einrichtung der Grundbücher, die Zuständigkeit und das Verfahren vor dem gleichzeitig als Grundbuchrichter fungirenden Schußgebietsrichter und die Urkundenbildung geregelt ſind . 2.
Im
Schußgebiet von Kamerun und Logo
Verordnung vom 2. Juli 1888.
durch die
Auch hier ist prinzipiell das
preußische Recht als maßgehend bezeichnet , insbesondere das Gefeß über den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung der Grundstücke, Bergwerke und selbständigen Gerechtigkeiten vom 5. Mai 1872 . Zunächst find dieſelben Ausnahmen wie in Neuguinea feſtgestellt.2) Dann ist aber auch angeordnet, daß die Bestimmungen der Verordnung bezüglich des preußischen Rechts
keine An-
wendung auf die Grundstücke der Eingeborenen haben. Jedoch bleiben Grundstücke, welche in das Grundbuch eingetragen ſind, den Bestimmungen der Verordnung unterworfen,
auch wenn
fie in das Eigenthum eines Eingeborenen übergehen.³) Der Gouverneur von Kamerun stellt mit Genehmigung des Reichskanzlers fest, unter welchen Voraussetzungen der Er-
1) cf. Gesetz vom 20. Juli 1887 § 2. 2) cf. Verordnung vom 2. Juli 1888. 3) cf. Verordnung vom 2. Juli 1888 § 20.
76
werb von Grundstücken durch Verträge mit den Eingeborenen oder durch Besizergreifung von herrenloſem Land ſtattfinden fann. ') Anschließend an diese Verordnung hat der Reichskanzler unter dem
7. Juli 1888 eine Verfügung erlassen , betreffend
die Führung der Grundbücher.
In die Grundbücher werden.
alle Grundstücke der Nichteingeborenen in näher bezeichneter2) Weise eingetragen.
Ferner wird die Zuständigkeit und das
Verfahren behandelt. Danach sind für dieſes
die zur Ausübung der Gerichts-
barkeit erſter Instanz ermächtigten Beamten zuständig.³)
Des
Weiteren ist die Bildung der Urkunden über Eintragung im Grundbuch erörtert )
und
endlich werden die Anträge auf
Anlegung eines Grundbuchblattes und die Kosten für Bearbeitung der Grundbuchsachen festgestellt. 3. Im südwestafrikaniſchen Schußgebiet war zunächst eine Kaiserliche Verordnung vom 25. März 1888 erlassen , die das Bergwesen und die Gewinnung von Gold und Edelsteinen dortselbst regelte.
Danach
war
das
Bergregal
der
deutschen
Kolonialgesellschaft für Südwestafrika unter Aufsicht des Reiches 5) eingeräumt, für die Aufsuchung und Gewinnung von Erzen und Edelsteinen genauere Vorschriften ertheilt®) und das Verfahren in Bergwerkssachen, sowie die Einrichtung einer Bergbehörde ) geregelt.
Es folgten dann Strafbestimmungen, ) ein-
zelne Bestimmungen über Buchführung, Besteuerungserlaubniß der füdwestafrikanischen Gesellschaft, Vorkaufsrecht des Reiches
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8)
cf. cf. cf. cf. cf. cf. cf. cf.
Verordnung vom 2. Juli 1888 § 21 . Verfügung vom 7. Juli 1888 § 1-8. Verfügung vom 7. Juli 1888 § 9-30. Verfügung vom 7. Juli 1888 § 31–35 . Verordnung vom 25. März 1888 § 1 u. 2. Verordnung vom 25. März 1888 § 6-41 . Verordnung vom 25. März 1888 § 42-46. Verordnung vom 25. März 1888 § 47 u. 48.
--
77
auf das gefundene Gold und Art der Bekanntmachungen der Bergbehörde. ') Inzwischen ist unter dem hebt.2 )
aber eine weitere Kaiserliche Verordnung
15. August 1889 erschienen , welche die obige auf-
Sie weicht insofern bedeutend von der ersten ab, als
sie nicht das Bergregal der Kolonialgesellschaft zuerkennt, sondern nur die Hälfte des eventuellen Ueberschusses der Einnahmen aus den Gebühren und Abgaben der Kolonialgesellſchaft einräumt.³)
Im Uebrigen zählt sie zunächſt die von der
Verordnung betroffenen einzelnen Mineralien auf, *) bringt dann die Bestimmung, daß
auswärtige Personen für Bergwerksan-
gelegenheiten einen ständigen Vertreter ernennen müſſen,³) bestimmt des Weiteren das Schürfen )
und die Gewinnung von
Edelmetallen und Edelsteinen ) sowohl als deren Mineralien ) und Gebühren. ")
auch die von an-
regelt den Antheil Dritter an den
Dann folgen Bestimmungen über das Einseßen
einer Bergbehörde, 10) über die Beschwerdeinstanz gegen Entscheidungen derselben ")
und
machungen der Behörde. 12)
über
die Form der
Bekannt-
Endlich enthält die Verordnung
Strafbestimmungen gegen die Uebertreter der in der Verordnung enthaltenen Vorschriften 13) und einen Paſſus über Sonderrechte in einzelnen Gebietstheilen. ¹¹)
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14)
Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung
vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom
25. März 1888 § 15. Auguſt 1889 15. August 1889 15. Auguſt 1889 15. Auguſt 1889 15. Auguſt 1889 15. August 1889 15. Auguſt 1889 15. August 1889 15. August 1889 15. Auguſt 1889 15. Auguſt 1889 15. Auguſt 1889 15. Auguſt 1889
49-53. § 57. § 48. § 1. § 2. § 3-11 § 12-35. § 36–45 . § 46-48 . § 49. § 50. § 51 . § 52–53. § 54-56.
78
-
B. Der Kaiſer kann die Verlängerung aller, zur Geltendmachung von Rechten und zur Erfüllung von Pflichten geseßlich festgestellten Fristen anordnen. Der Grund, daß
diese Kaiserliche Befugniß
ertheilt iſt,
liegt in den schwierigen Verkehrsverhältniſſen und weiten Entfernungen, mit welchen in den
Schußgebieten beim Rechts-
verkehr gerechnet werden muß. Bisher hat der Kaiser noch keine diesbezügliche Verordnung erlassen. C. Der § 4 des Schußgebietsgeſeßes beſtimmt, daß betreffs der Eheschließung und der Beurkundung des Personenstandes für die Schußgebiete sein soll. auf andere
das Geſeß vom 4. Mai 1870 maßgebend
Durch Kaiserliche Verordnung kann dasselbe auch Personen
als
auf Reichsangehörige
ausgedehnt
werden und der Reichskanzler ist befugt, an Stelle des in dem genannten Gesez erwähnten Berufskonsuls andere Beamte zur Eheschließung und Beurkundung
des Personenstandes zu er-
mächtigen.
Inkrafttretens
Der
Zeitpunkt
des
wird durch
Kaiserliche Verordnung beſtimmt. Dies ist geschehen für die Schußgebiete von Kamerun und Togo, ') für Neuguinea2)
und für die Marschallsinseln nebſt
Zubehör³) und zwar für alle Personen, welche nicht Eingeborene sind. Das Gesez vom 4. Mai 1870
ermächtigt den Reichs-
kanzler , diplomatische Vertreter oder Konsuln mit den Funktionen des Standesbeamten zu betrauen .
Für
die Schuß-
gebiete treten dafür die betreffenden kaiserlichen Beamten ein. Während aber das Geſetz vom 4. Mai 1870 , welches ja 1) cf. Verordnung, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Perſonenstandes für die Schutzgebiete von Kamerun und Togo vom 21. April 1886. 2) cf. Verordnung , betreffend die Rechtsverhältnisse in den Schußgebieten der Neuguinea-Kompagnie vom 5. Juni 1886, § 10. 3) Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in den Schuhgebieten der Marschallsinseln vom 13. September 1886, § 10.
79
für die Verhältnisse der Reichsangehörigen im Ausland (d . h . in diesem Fall in fremdem Staatsgebiet) berechnet iſt, erlaubt, neben der Eheschließung vor dem als Standesbeamten fungirenden Konjul auch eine Ehe nach dem betreffenden Landesgesez einzugehen, fällt diese zweifache Möglichkeit in den Schußgebieten selbstverständlich fort, da hier von fremdem Staatsgebiet und entsprechendem Recht nicht die Rede ist. Somit können Ehen nur vor dem betreffenden deutschen Beamten rechtsgültig geſchloſſen werden . Eine ausführlichere Regelung der betreffenden Verhältnisse auf Grund des Gesezes vom 4. Mai 1870 hat bisher nur in dem Schußgebiet von Neuguinea durch eine Verordnung des dortigen Landeshauptmanns vom 22. Februar 1887 stattge= funden. Dieselbe schreibt vor , daß betreffs der Geburt eines Kindes innerhalb zweier Monate , betreffs eines Sterbefalles innerhalb eines
Monats
mündliche Anzeige
beim Standes-
beamten zu erfolgen hat. Im ersteren Fall ist : 1. der eheliche Vater, 2. jede bei der Niederkunft zugegen gewesene Person, 3. die Mutter ;
im letteren Falle : 1. das Familienhaupt, 2. die zur Familie gehörenden Hausgenossen, 3. die sonstigen Bewohner des Sterbehauſes, zur Anzeige verpflichtet. Eine Versäumniß der Anzeige kann mit einer Geldstrafe bis zu 150 Mk. belegt werden . Geistliche, welche eine Eheschließung vornehmen, bevor die Civilehe stattgefunden , werden mit
einer Geldstrafe bis zu
1000 Mk. , der Standesbeamte , welcher die Vorschriften des Gesezes vom 4. Mai 1870 außer Acht läßt , mit einer Geldstrafe bis zu 500 Mk. bedroht. Endlich ſchreibt die Verordnung vor, daß dieſe Verfügung auf die Eingeborenen keine Anwendung findet.
IV.
Zukünftige Gestaltung der Schuhgebiete und koloniale Ausdehnung im Intereſſe des Deutschen Reichs.
Im Laufe dieser Abhandlung haben wir geſehen , welche Bedeutung koloniale Unternehmungen haben, und wie weit das Deutsche
Reich
solche
Bestrebungen
gefördert
und
unter-
stützt hat. Beim Ueberblick über das bisher Geleistete haben wir Deutsche wahrlich Grund , unserer Regierung und ihren Organen dankbar zu ſein für das, was sie zur Förderung deutscher Interessen und zur Wahrung deutschen Ruhmes und deutſcher Ehre vollbracht hat. Aber es ist kein Zweifel ,
daß noch viel gethan werden
muß! In Folgendem sollen einige Gedanken über die zukünftige innere und äußere koloniale Entwickelung , während werden.
dieser
Arbeit
aufgedrängt
haben,
welche sich uns kurz
dargelegt
Was zunächst die innere Geſtaltung anlangt, so würden nach unserer Meinung unsere kolonialen Bestrebungen wesentlich unterstützt werden, wenn dieselben mehr als bisher in einer Hand vereinigt würden. Das Reich müßte die Leitung übernehmen, indem überall kaiserliche Beamte in den Schußgebieten funktionirten.
Dieſes
81
Ziel scheint nach den jüngsten Vorgängen in Bälde erreicht zu werden. Die Beamten hätten unter einer Centralverwaltung zu stehen, ähnlich wie in England , mit einem Staatssekretär für Kolonien an der Spize , der als Vertreter des Reichskanzlers fungirte und von diesem ressortirte. Ihm zur Seite wäre ein Syndikat sachkundiger Männer am Plaze, welches als berathendes Kollegium für alle Angelegenheiten den Staatssekretär zu unterstüßen hätte. Eine entsprechende Einrichtung besteht in Frankreich in dem Conseil supérieur des colonies und bestand bei uns in dem Hamburger Syndikat für Westafrika , welches ſeither aufgelöst ist. Die wirthschaftliche Ausnüßung könnte den Geſellſchaften überlassen bleiben , selbstverständlich unter Kontrole des Reiches . Der etwaige Ueberschuß der Einnahmen über die Ausgaben müßte den Kolonien zu gute kommen und nicht, wie jezt der Fall , dem Reiche.
Durch diese Ueberschüsse könnten die
in der Entwickelung zurückgebliebenen Gebiete gefördert , eventuelle Kolonialtruppen unterhalten , die Kolonialbeamten befoldet und neue Länderstrecken erworben werden. Auch würde der finanzielle Gewinn vielleicht zur Gründung von Ackerbaukolonien ,
auf die wir weiter unten zurück-
kommen werden, paſſend verwandt werden.
Zur Bildung der
erwähnten Kolonialtruppen wäre es von Nußen, in den Schußgebieten zunächst aus den Eingeborenen unter Leitung deutscher Offiziere und Unteroffiziere eine kleine Polizeimacht zu schaffen, welche später mit der wachsenden Kulturfähigkeit verbessert und vergrößert werden könnte.
Diese so allmählich organisirte und
disciplinirte Polizeitruppe würde dann den Kern der künftigen kolonialen Militärmacht abgeben können. Eine weitere uns unbedingt nöthig scheinende Maßregel zur Hebung unſerer kolonialen Entwickelung ist die Gründung 6 von Holzendorff, Die koloniale Frage.
82
von direkten Dampferlinien zwischen Mutterland und Schußgebieten.
Zunächst müßte
diese
aus Reichsmitteln geſchaffen
werden , in der Zukunft würden die Kolonien die Kosten zu tragen haben. Hand in Hand mit dieser Einrichtung hätte behufs der Verkehrserleichterung und der Heranziehung des Handels die Inangriffnahme aller derjenigen Maßregeln zu gehen , welche für die Sicherheit der Schifffahrt unentbehrlich sind.
Dahin
gehört vor Allem eine genügende Betonnung und Befeuerung des Fahrwassers , gute Hafenanlagen , Erbauung und Inſtandsezung von Docks und Magazinen und Regelung des Lootsenwesens . Man hüte sich aber, der Schifffahrt, zwecks dieſer Einrichtungen, zu hohe Lasten aufzuerlegen.
Im Gegentheil muß
man das Prinzip verfolgen, dieselbe möglichst von Abgaben zu befreien, da man sonst der Absicht , den Handel herbeizuziehen, direkt entgegenarbeiten würde. Es ist nicht zweckentsprechend , Einnahmequelle
anzusehen ,
diese Abgabengelder als
sondern sie sind höchstens zur
Deckung der Betriebskosten für wenden.
obige Einrichtungen zu ver-
Ebenso ist die Anlage beſſerer Kommunikationsmittel , vor allen von Eisenbahnen, möglichst zu beschleunigen . hiervon liegt nicht nur auf finanzieller Seite.
Der Nußen
Auch in mora-
lischer Beziehung würden solche Anlagen in vorzüglichster Weise wirken .
Denn durch die verbesserte Verkehrsmöglichkeit wäre
der Transport nicht mehr auf Menſchenkräfte angewiesen und dadurch käme ein Hauptmotiv für die Sklaverei in Wegfall. Für den Verkehr im weiteren Sinne wird ferner die Einführung von deutschem Gelde nüßlich und nothwendig sein. Daß aber durch bessere Verkehrsmittel die Kultur überhaupt schneller durchgreifen und sich verbreiten kann , bedarf wohl keiner Begründung.
83
Als weiteres Mittel ,
die Kultur zu fördern, ist die An-
lage von Unterrichtsanstalten ins Auge zu fassen, d. h . es müssen überall Missionsanstalten gegründet werden , welche im Geiste der so vortrefflichen Baseler Mission zu wirken hätten. Da aber die
Schule in Kolonien neben der
Erziehung zu
religiöſem Sinn , vornehmlich die zu praktischer Thätigkeit ins Auge fassen muß, so ist aufs
Dringendste
anzurathen, die
muſtergültigen Einrichtungen der franzöſiſchen Miſſion nachzuahmen, welche mit ihren „Handwerkerſchuleu“ auf das Segensreichste wirkt. Auf den Schulen würde
dann noch besonders auf die
Erlernung der deutschen Sprache Werth zu legen sein. Des Weiteren haben sich im Lauf der Jahre die Verträge, welche bei Erwerbung der Kolonien mit den Eingeborenen abgeschlossen worden sind , geradezu als Barrieren für die Erschließung der Hinterländer der Kolonien und , für die allgemeine Entwickelung des Verkehrs überhaupt erwiesen. Dies ist vor Allem in Kamerun der Fall, wo die Neger den ganzen Zwischenhandel in der Hand haben und so eine gedeihliche Entwickelung der Kolonie illusorisch machen .
Verträge dieser Art müssen bezüglich annullirt werden , waltsam.
also
entsprechend geändert,
aber selbstverständlich nicht
ge-
Es wird eine Hauptaufgabe der an Ort und Stelle
eingesezten Behörden sein, auf dieſes Ziel hinzuwirken, da die Erreichung desselben zu lonien geworden ist.
einer Eristenzfrage für unsere Ko-
Endlich wäre noch im Interesse des Gesundheitszustandes unserer Schußgebiete die Gründung möglichst guteingerichteter Krankenhäuſer und im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die von Gefängniſſen anzuempfehlen. Was dagegen die äußere Entwicklung
unserer Kolonien
betrifft, so haben wir aus der obigen Darstellung gesehen, daß unsere jezigen Schußgebiete lediglich Handelskolonien ſind . 6*
84
Es scheint uns aber absolut nothwendig, daß das Deutsche Reich auch die Gründung von Ackerbaukolonien in Angriff nimmt. Im
ersten Theil dieser Arbeit haben wir dargelegt, daß
es für Länder, welche eine Ueberproduktion der Bevölkerung aufzuweisen haben, eine Lebensfrage ist, dieſen Ueberschuß an Kraft in geregelter Weise abzuleiten. Unser Vaterland befindet sich in solcher Nothlage.
Es ist
statistisch nachgewieſen, daß die Bevölkerung von Deutſchland in ganz unverhältnißmäßiger Zunahme begriffen ist.
Beträgt
doch jezt bereits der Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle 600 000 Köpfe. Es ist einleuchtend, daß Deutschland nicht im Stande ist, diese starke Vermehrung seiner Bewohner auf die Dauer zu ertragen.
Wenn auch jährlich ca. 200 000 Deutsche auswandern ,
so ist das noch lange nicht ausreichend , um die bestehenden Gefahren zu beseitigen. es
bekanntlich ,
mehrung stellen
die
Gerade die unteren Volksschichten sind
den
größten
Prozentsaz
der
Volksver-
und wiederum sind sie es , denen Gelegenheit
gegeben werden müßte , ihre Lage zu verbessern .
Sie würden
dann, statt daß sie am Marke des Staates zehren, neues Leben zuführen.
demselben
Hierfür aber ist nach unserer Meinung
die einzige Möglichkeit in einer vom Staate organisirten Auswanderung großer Massen in neu zu begründende Ackerbaukolonien zu finden.
Selbstverständlich müßte gerade der ärmste
oder mittelloſe Theil unseres Volkes zu diesem Zwecke ausersehen werden , um so dem Staate die jeßt ihn bedrückende, immer zunehmende ungeheure Armenlast so viel als möglich abzunehmen und gleichzeitig den Herd der socialen Unruhen zu zerstören . Bekanntlich
wandert
heute
vor
Allem derjenige Theil
unserer Bevölkerung aus, welcher über ein kleines, wenn auch ganz geringes Kapital verfügt, und gerade dieser Theil müßte dem Staat erhalten bleiben .
85
Aehnlich wie in England sollten sich bei uns staatlich_beaufsichtigte
Auswanderungsgesellschaften bilden , welche großze
Territorien in fremden Ländern anzukaufen , dieſelben zu parzelliren und an unbemittelte Landsleute zu überweisen hätten. Auch die Ueberführungskosten müßte die Geſellſchaft auslegen und
ebenso
die benöthigten Utensilien , zunächst ohne Baar-
zahlung, den Kolonisten liefern.
Leßtere müßten dann all-
mählich durch den Ueberschuß ihres Arbeitsertrages die von der Gesellschaft vorgestreckten Kapitalien nebst Zinsen zurückzahlen. Auf solche Weiſe würde der kleine Kapitaliſt, da er sich in jeder Beziehung freier bewegen kann, die Möglichkeit haben, im Lande zu bleiben, während der mittellose Staatsangehörige im fremden Lande und doch als Deutscher vorwärts kommen und seiner Heimath von Nugen sein könnte. Man schäße den nationalökonomischen Verlust , den unser Vaterland durch den Mangel an Ackerbaukolonien als Auswanderungsziele erlitten hat , nicht zu gering !
Es ist inter-
eſſant, eine diesbezügliche amerikanische Statiſtik zu verfolgen . Nach derselben sind seit
den lehten siebzig Jahren
vier Millionen Deutsche nach Amerika ausgewandert.
ca.
Rechnet
man nun die jährlichen Erziehungskosten (bis zum 16. Jahre) gleich 150 Mark, also pro Kopf 2400 Mark, so würde, wenn wir dabei vier Fünftel der Gesammtzahl in Anschlag bringen, eine Summe von 7680 Millionen Mark herauskommen . Ferner kommt im Durchschnitt bei der Einwanderung ein mitgebrachtes Kapital von 600 Mark auf den Kopf, welches also einer Gesammtſumme von 1920 Millionen Mark gleichkommen würde. Endlich würde man die Arbeitskraft der männlichen Arbeiter auf 4500 Mark pro Kopf annehmen können.
Rechnen wir
nun 55 % auf den arbeitsfähigen Theil der Einwanderer, so erhält man die Summe von 9900 Millionen Mark.
Diese
-
86
drei Faktoren zuſammengerechnet ,
ergeben
den Betrag von
13½ Milliarden Mark, welche Deutschland
nach dieser Auf-
stellung indirekt verloren hätte.
Fragt man nun, wo auf der Erde noch Plaß zu finden wäre für deutsche Ackerbaukolonien, so scheinen auf den ersten Blick diejenigen Recht zu haben , welche behaupten , die Welt sei bereits ausgetheilt. Und doch ist dem nicht so . Wenn auch staatenloses Gebiet nur noch in beschränktem Maße, z . B. wie man behauptet, auf dem Hochplateau von Ostafrika, für diesen Zweck frei ist, so würden doch z . B. in Klein-Asien (nach dem Vorschlage des deutschen Reichskanzlers), in den südamerikanischen Republiken, ſowie in Süd-Braſilien Territorien genug zu finden sein , wo deutsche Ansiedlungen im großen Stile gegründet werden könnten.
Allerdings würde zunächst diese Art
von Koloniſation in die Gruppe der sich unterwerfenden Kolonien fallen, aber sicherlich würden mit der Zeit gerade in diesen Gegenden unterwerfende daraus entſtehen . Ackerbaukolonien, in großem Maßstabe in fremdem Lande angelegt, müssen ja mit ihrer allmählichen Ausbreitung mehr und mehr Einfluß auf die ursprüngliche Bevölkerung gewinnen. Leicht kann sich dieser Einfluß in der Folge auch auf die Staatsleitung ausdehnen .
Nun ist mit Sicherheit anzunehmen,
daß in Zukunft die Geschicke der Welt nicht mehr ausschließlich in Europa entschieden werden , sondern daß in kommenden Jahrhunderten speziell Amerika ein gewichtiges Wort bei Gestaltung der Weltlage mitsprechen wird .
Von welch unberechen-
barem Nußen würde es dann sein, wenn jene weiten und fruchtbaren Länderstrecken Südamerikas im Laufe der Zeit deutsch geworden wären und der Einfluß des
Deutschthums sich in
naturgemäßer Folge auf die dortige Regierungsgewalt erstreckt haben würde. Wir glauben nicht , daß die Regierungen der oben erwähnten Staaten ernste Schwierigkeiten betreffs siedlungen in ihrem Gebiet machen würden.
deutscher AnDas Vorgehen
87
der argentinischen Republik, welche bereits von Staats wegen Auswanderer in ihr Land zieht , berechtigt zu solchen Hoffnungen.
Würden doch die betreffenden Staatsgewalten direkt
gegen das Intereſſe ihrer Länder handeln , wenn sie ihnen durch eventuellen Einspruch diese günstigste Möglichkeit raubten, alle jenen weiten Gebiete nußbar zu machen, welche heute aus Mangel an ausreichendem und geeignetem Menschenmaterial brach liegen müſſen. Aus Allem scheint uns hervorzugehen, daß die Gründung von Ackerbaukolonien und die Leitung und Regelung der Auswanderung durch den Staat für unser Vaterland zu einer Lebensfrage geworden ist. Nach unserer Meinung sind entsprechende Maßnahmen der Regierung, zusammen mit der in Angriff genommenen ſozialen Reform , die besten Sicherheitsventile gegen eine soziale Revolution , der wir sonst mit wachsender Schnelligkeit zutreiben . Haben wir im Obigen auseinanderzusehen versucht , daß die Gründung von Ackerbaukolonien für das Reich nothwendig ist, so muß am Schluß dieſer Arbeit noch kurz die Frage, ob die Gründung von Strafkolonien im Interesse des Reichs liegt, erörtert werden. Wir glauben diese Frage unbedingt bejahen zu müſſen. Eine vor uns liegende Statistik ')
weist nach,
daß im
Deutschen Reich während der fünf Jahre 1882-1886 eine stetige Zunahme der Kriminalität im Ganzen ſtattgefunden hat. Im Jahre 1882 find 389 658, im Jahre 1886 450 636 Verurtheilungen erfolgt ! Diese Zahlen sprechen für sich selbst! Nun kostet aber der Neubau eines
Zellengefängniſſes,
welches den Anforderungen des heutigen Systems der Einzelhaft entspricht, ca. 4 Millionen Mark !! Der Umbau der alten Gefängnisse würde ebenfalls ungeheuere Summen verſchlingen.
1) cf. Reichsanzeiger vom 15. März 1889.
Ebenso müssen die Unterhaltungskosten mit der Zunahme der Zahl der Gefangenen stetig wachsen.
Wohin aber soll diese
enorme Belastung des Staatsvermögens führen ?! Bei dieser Sachlage erscheint es uns doch geradezu geboten, die Gründung von Strafkolonien in Angriff zu nehmen . Die Möglichkeit hierzu ist sowohl
auf der Inselgruppe
östlich von Neuguinea, ') als auch auf den Inseln an der Südwestküste von Amerika vorhanden.
Wir schließen dieſe Abhandlung mit dem Wunsche und in der Hoffnung , daß unsere koloniale Entwickelung stetig . und ſiegreich fortschreiten möge zum Heil und Ruhm für Kaiſer und Reich!
¹ ) Das vom 10. April 1886 datirte Uebereinkommen zwischen England und Deutschland, worin sich beide Mächte verpflichtet haben, im westlichen stillen Ocean keine Strafniederlassungen einzurichten, müßte zu dem Zwecke allerdings modifizirt werden.
Truck von Leonhard Simion, Berlin SW.