Die Juditfigur in der Vulgata: Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel 3110483211, 9783110483215

Ziel dieser Studie ist es, das Eigenprofil der Vulgata-Fassung des Buches Judit zu erheben: Denn durch Kürzungen und Erw

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Die Juditfigur in der Vulgata: Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel
 3110483211, 9783110483215

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einführung
Das Buch Judit
Die Kanonfrage
Die Textfassungen
Die Originalsprache
Fragestellung
1 Hieronymus
1.1 Leben und Werke
1.2 Hieronymus und die Witwen
1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen
2 Erzähltheorie
2.1 Strukturalistische Erzählsemiotik
2.2 Klassische Narratologie
2.3 Postklassische Narratologien
2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten
2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell
3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse
3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith
3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b)
3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)
3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c)
3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c)
3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d)
3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c)
3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)
3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d)
3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e)
3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b)
4 Abschluss
4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext
4.2 Die kognitive Figurenanalyse und das Buch Iudith
4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Rezeption in der Literatur
Rezeption in der Kunst
Anhang
Praefatio zum Buch Iudith
Idt 8
Idt 9
Idt 10
Idt 11
Idt 12
Idt 13
Idt 14
Idt 15
Idt 16
Stellenregister

Citation preview

Lydia Lange Die Juditfigur in der Vulgata

Deuterocanonical and Cognate Literature Studies

Edited by Friedrich V. Reiterer, Beate Ego and Tobias Nicklas

Volume 36

Lydia Lange

Die Juditfigur in der Vulgata Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel

ISBN 978-3-11-048321-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-048823-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048705-3 ISSN 1865-1666 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutschen Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Setting: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Printing: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2015 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Für die Publikation wurde sie geringfügig überarbeitet. Prof. Dr. Barbara Schmitz hat diese Arbeit als Doktormutter betreut. Ihr gilt ein besonders herzlicher Dank. Sie hat mir als ihrer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin nicht nur die Freiräume, die zum Promovieren notwendig sind, gegeben, sondern mich vor allem auch durch alle Phasen der Promotion intensiv und mit großem Engagement betreut, mir an entscheidenden Stellen wichtige Ratschläge gegeben, mir aber gleichzeitig auch den Raum gelassen, eigene Ideen und Interpretationen zu entwickeln. Bei Prof. Dr. Franz Dünzl bedanke ich mich für die Erstellung des Zweitgutachtens, seine kirchenhistorische Expertise und die Anregungen für die Endkorrektur. Ein besonderer Dank gilt auch Prof. Dr. Helmut Engel für das Bereitstellen seiner Übersetzung der Vulgata-Fassung des Buches Judit sowie Prof. Dr. Michael Fieger, Dr. Andreas Beriger und Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers, den Herausgebern des Projekts „Vulgata deutsch“, die mir erlaubt haben, einen Teil der IudithÜbersetzung noch vor deren Publikation 2018 abzudrucken. Ebenso danken möchte ich der Deutschen Bibelgesellschaft für die Genehmigung, einen Teil der Vulgata hier veröffentlichen zu dürfen. Prof. Dr. Beate Ego, Prof. Dr. Friedrich V. Reiterer und Prof. Dr. Tobias Nicklas sei für die Aufnahme in die Reihe „Deuterocanonical and Cognate Literature Studies“ ebenso gedankt wie dem Verlag De Gruyter. Ein herzliches Dankeschön gilt auch dem Bistum Würzburg für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Korrekturleserinnen, Anne Hubert, Stefanie Sons, Lisa Martin und Vera Heintz, für ihre Unterstützung, die für alle einen großen Zeitaufwand bedeutete. Der größte Dank aber gilt meinen Eltern, Bettina und Michael Hilt, die mich in jeder erdenklichen Weise gefördert haben, und mich stets ermutigt haben, meinen Weg zu finden und zu gehen, und meinem Mann Martin, der immer mit offenem Ohr für mich da ist und mit dem ich in den letzten Jahren den ein oder anderen langen Dialog über Hieroynmus und Judit führen durfte. Würzburg, im Frühjahr 2016

Lydia Lange

Inhalt Vorwort — V Einführung — 1 Das Buch Judit — 3 Die Kanonfrage — 5 Die Textfassungen — 5 Die Originalsprache — 7 Fragestellung — 10 1 Hieronymus — 14 1.1 Leben und Werke  — 14 1.2 Hieronymus und die Witwen — 20 1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen — 31 2 Erzähltheorie — 39 2.1 Strukturalistische Erzählsemiotik — 46 2.2 Klassische Narratologie — 48 2.3 Postklassische Narratologien — 63 2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  — 84 2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell — 100 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse — 114 3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith — 115 3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) — 128 3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e) — 157 3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) — 190 3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) — 225 3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) — 256 3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) — 279 3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  — 291 3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) — 303 3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) — 320 3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) — 329

VIII 

 Inhalt

4 Abschluss — 357 4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext — 358 4.2 Die kognitive Figurenanalyse und das Buch Iudith — 382 4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus — 383 Literaturverzeichnis — 388 Primärliteratur — 388 Sekundärliteratur — 390 Rezeption in der Literatur — 410 Rezeption in der Kunst — 410 Anhang — 411 Praefatio zum Buch Iudith — 411 Idt 8 — 412 Idt 9 — 417 Idt 10 — 420 Idt 11 — 423 Idt 12 — 426 Idt 13 — 429 Idt 14 — 434 Idt 15 — 437 Idt 16 — 439 Stellenregister — 443

Meiner Mutter

Einführung Der Beginn der Vulgata („die Volkstümliche“) liegt im Jahr 382  n.  Chr., als Damasus I. Hieronymus damit beauftragte, eine einheitliche lateinische Übersetzung der Bibel anzufertigen. Doch bis zur Etablierung als die anerkannte katholische Bibelübersetzung werden noch Jahrhunderte vergehen. In zahlreichen Auseinandersetzungen – unter anderem äußerten Rufin und Augustinus Bedenken gegenüber der lateinischen Übersetzung, diese könnte eine Neuerung gegenüber der Septuaginta sein – musste Hieronymus seine Übersetzung des Alten Testaments nach dem hebräischen Urtext und seine Sicht in Bezug auf die Hebraica veritas verteidigen.1 Erst nach und nach wurde die Vulgata nicht nur für theologische Fragestellungen, sondern auch im Gottesdienst verwendet:2 Förderlich dafür war sicher, dass die Übersetzung dem Stil- und Sprachgebrauch des Lesendenkreises entsprach.3 Seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. wird die (Editio) Vulgata in der abendländischen Kirche gebräuchlich: Diese umfasst die von Hieronymus aus dem Hebräischen übersetzten Bücher, den altlateinischen Psalter, der von Hieronymus nach der Hexapla des Origines revidiert wurde, die von Hieronymus nicht bearbeiteten Bücher des AT in altlateinischem Text (Weisheit, Sirach, Baruch und Makkabäer) und das altlateinische und nach dem Griechischen überarbeitete NT, wobei nur die Evangelien gesichert von Hieronymus stammen. Unter Karl dem Großen (747/748–814 n. Chr.) fertigt Theodulf von Orléans eine Revision der Vulgata an. Eine weitere stammt von Alkuin (ca. 730–804 n. Chr.). Diese wird die Grundlage

1 Ausführlich zu Augustins Kritik an den hieronymianischen Bibelübersetzungen Fürst, Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus, 340–383. Hieronymus selbst empfiehlt seinen Kritikern griechische und lateinische Handschriften zu vergleichen oder einen anderen Hebräischkundigen zu Rate zu ziehen, um sich von der Qualität seiner Arbeiten zu überzeugen (Et cum intellexeris quod antea nesciebas, vel interpretem me aestimato, si gratus es, vel παραφραστην, si ingratus, quamquam mihi omnino conscius non sim mutasse me quippiam de hebraica veritate. Certe si incredulus es, lege graecos codices et latinos et confer cum his opusculis, et ubicumque inter se videris discrepare, interroga quemlibet Hebraeorum cui magis accomodare debeas fidem, et si nostra firmaverit, puto quod eum non aestimes coniectorem, ut in eodem loco mecum similiter divinarit; vgl. Z. 67–73, prologus galeatus, Biblia Sacra Vulgata (hg. v. Weber/Gryson, 365–366). 2 Vgl. dazu Wendland, Zur ältesten Geschichte der Bibel in der Kirche, 281; Kaulen, Geschichte der Vulgata, 183–189, 190–202; Rönsch, Itala und Vulgata, 9–10; Kamin, The theological significance of the Hebraica Veritas in Jerome’s thought, 243–253; Fraïsse, Comment traduire la bible?, 73–92. 3 Vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 173.

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 Einführung

der Pariser Bibel im 13. Jahrhundert, welche die Vorlage der ersten gedruckten Bibeln wird.4 Erst auf dem Konzil von Trient (8. April 1546) wird die Vulgata als die maßgebliche offiziell anerkannt,5 allerdings fehlt noch immer eine verbindliche Textausgabe. Erst 1589 erscheint eine von Papst Sixtus V. bearbeitete Ausgabe, die 1592/1593 bzw. 1598 von Clemens VIII. ersetzt wird, die so genannte Clementina. Beide werden dem Anspruch, den Text des Hieronymus wiederhergestellt zu haben, nicht gerecht.6 Noch immer ist die Vulgata für die Liturgie der katholischen Kirche (seit 1979 in der überarbeiteten Nova Vulgata7) der maßgebliche Text.8 Nicht zuletzt für die Rezeptionsgeschichte spielt die hieronymianische Bibelübersetzung durch die lange und kontinuierliche Verwendung eine nicht zu unterschätzende Rolle. In der Exegese nimmt die Vulgata in Folge der Orientierung an den Ursprachen Hebräisch und Griechisch lange Zeit faktisch keinen Raum ein. Aktuelle Projekte wie die voraussichtlich 2018 bei De Gruyter erscheinende „Vulgata deutsch“ von Andreas Beriger, Widu-Wolfgang Ehlers und Michael Fieger, die „Vulgata rumänisch“ oder der 2014 erschienene Sammelband „Hieronymus als Exeget und Theologe. Interdisziplinäre Zugänge zum Koheletkommentar des Hieronymus“ von Elisabeth Birnbaum und Ludger Schwienhorst-Schönberger zeigen indes das wieder zunehmende Forschungsinteresse an Hieronymus und seinen Übersetzungen.9 In der folgenden Studie wird die folgende Terminologie verwendet: Ist die Septuaginta-Fassung (LXX-Fassung) des Buches Judit (Jdt) gemeint, folgt die Schreibweise der Figuren- und Ortsnamen den Loccumer Richtlinien, wie im Beispiel „Judit“.10 Das gilt auch für die Vetus Latina-Handschrift 151 (Hs 151), wenn diese

4 Vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 170. 5 Vgl. DH 1506, 497–498. 6 Vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 174. 7 Zur Textausgabe: Nova Vulgata, Bibliorum Sacrorum Editio, Sacros. oecum. concilii Vaticani II ratione habita iussu Pauli Pp. VI recognita, auctoritate Ioannis Pauli Pp. II promulgata, Vatikanstadt 1979. 8 Vgl. auch Rennings/Klöckener, Dokumente zur Erneuerung der Liturgie, 340–343; auch dieser spricht Fischer den Anspruch den Text des Hieronymus wiederhergestellt zu haben, ab; vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 174. 9 Birnbaum, Elisabeth/Schwienhorst-Schönberger, Ludger, Hieronymus als Exeget und Theologe. Interdisziplinäre Zugänge zum Koheletkommentar des Hieronymus (BETL 268), Leuven 2014. 10 Ökumenisches Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien, hrsg. von den katholischen Bischöfen Deutschlands, dem Rat der Evangelischen Kirche

Einführung 

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der LXX-Fassung folgt. Wenn Figuren oder Orte der Vulgata-Fassung (Vg-Fassung) des Buches Judit (Idt) gemeint sind, wird die Schreibweise der Vg-Fassung übernommen und zusätzlich kursiv gekennzeichnet, wie im Beispiel Iudith. Bezugnahmen auf den hebräischen Text (HT) haben den vormasoretischen Konsonantentext zur Grundlage. Hinweise auf das Neue Testament beziehen sich auf die Ausgabe von Nestle-Aland (NA).11 Alle weiteren Abkürzungen folgen dem IATG.12

Das Buch Judit Das atl. Buch Judit erzählt die Geschichte der Jüdin Judit, die das Volk Israel aus der assyrischen Belagerung rettet, indem es ihr gelingt, den obersten Feldherrn der Assyrer, Holofernes, mit seinem eigenen Schwert zu töten. Diese Handlung ist in zwei verschiedenen Texttraditionen mit jeweils ganz unterschiedlicher Akzentsetzung überliefert: Der griechischen LXX-Fassung, die um 100 v. Chr. entstanden ist und der die lateinischen Vetus Latina-Handschriften (Hss) folgen, sowie der um 400 n. Chr. übersetzten lateinischen Vg-Fassung, der sich die mittelalterlichen hebräischen Textfassungen anschließen. Bisher wurde von der Forschung meist die griechische Juditerzählung untersucht.13 Im Gegensatz zur LXX-Fassung hat die Vg-Fassung hingegen wenig Beachtung gefunden.14 Die intensive Rezeption der Vg-Fassung in der abendländischen Kunst, Literatur und Musik zeigt indes deren wirkungsgeschichtliche Bedeutung für die interdiszipli-

in Deutschland und der Deutschen Bibelgesellschaft – Evangelisches Bibelwerk. Im Auftrag der Ökumenischen Revisionskommission neu bearbeitet von Joachim Lange, Stuttgart 21981. 11 Novum Testamentum Graece (im Anschluss an E. und E. Nestle hg. v. B. Aland u.a., Stuttgart 27 1993). 12 Schwertner, Siegfried (Hg.), Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32014. 13 So etwa in den Monographien: Rakel, Judit (2003); Schmitz, Gedeutete Geschichte (2004). Und ebenso z.B. in Aufsätzen wie Vialle, „Nabuchodonosor roi d’Assyrie“, 530–538, EggerWenzel, Judith’s path from grief to joy, 189–223, Fischer, Die Kriegstheologie des Juditbuches als Kondensat alttestamentlicher Sichtweisen des Krieges, 227–242, Beentjes, Bethulia Crying, Judith Praying, 231–354. 14 Nur der Vg-Fassung des Buches Judit sind die Kommentare von Gillet, Tobie, Judith et Esther (1879) und Priero, Giuditta (1959) gewidmet. Die Kommentare von Miller, Das Buch Judith (1940) und Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache (1989) beachten mit der LXX-Fassung auch die Vg-Fassung der Judit. Vereinzelt finden sich Hinweise zur Vg-Fassung bei Zenger, Das Buch Judit (1981) und Schmitz/Engel, Judit (2014).

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 Einführung

näre Diskussion.15 So belegen Beispiele aus der Rezeptionsgeschichte des Buches Judit, in denen eindeutig die Vg-Fassung rezipiert worden ist, den Einfluss der hieronymianischen Übersetzung: Einige künstlerische Darstellungen etwa zeigen die Position des Holofernis zum Zeitpunkt seiner Ermordung nach Darstellung von Idt 13,4 Vg – nämlich auf dem Rücken liegend: so Jacopo Tintoretto „Judith und Holofernes“ (1579), Artemisia Gentileschi „Judith köpft Holofernes“ (1612 und 1620) und Franz von Stuck, „Judith und Holofernes“ (1927). Nur in der VgFassung präsentiert Iudith nach der Tat dem Ammoniterführer Achior den Kopf des Holofernis, indem sie diesen selbst in den Händen hält und von einer höher gelegenen Position zu der Menge spricht (Idt 13,16.28–29): Diese Szene zeigen z.B. Francesco Solimena „Der Triumph der Judith“ (um 1730) und Lovis Corinth „The Return of Judith“ (1910). Die Vg-spezifisch hinzugefügte, polemische Bemerkung der Wachen, dass die angreifenden Israeliten Mäuse seien, die aus ihren Löchern kommen (Idt 14,12 Vg), wird in dem anonymen Drama „Judith und Holofernes“ von 1818 (14,15) aufgegriffen.16 In Idt 15,11 Vg lobt der Hohepriester Iudith nach der Tötung des Holofernis für ihre Keuschheit und dafür, dass sie wie ein Mann gehandelt habe: Das Keuschheitsmotiv spielt z.B. im Judith-Drama (1532) von Sixt Birck eine Rolle, das männliche Herz der Protagonistin in der Vorrede des Judith-Dramas von Martin Opitz (1635).17 Neben der Rezeption zeigt auch die Tatsache, dass Martin Luther in seiner Übersetzung der Bibel nicht die LXXFassung, sondern die Vg-Fassung des Buches Judit ins Deutsche übertragen hat, die Bedeutung der hieronymianischen Übersetzung. Umso größer ist das Desiderat von Studien, die sich eigens mit der Vg-Fassung des Buches Judit beschäftigen.

15 Vgl. zur Rezeptionsgeschichte auch Birnbaum, Das Juditbuch im Wien des 17. und 18. Jahrhunderts (2009); Lähnemann, Hystoria Judith (2006); Vollmer, Auf Leinwand gebannt (2006); Kobelt-Groch, Judith macht Geschichte (2005); Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“ (2005); Uppenkamp, Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock (2004); Motté, »Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit« (2003); Elder, Virgins, Viragos and Virtuo(u)si Among Judiths in Opera and Oratio (2001), 91–119; Fischer, Irmtraud (Hg.), Minna Antova (1999); Koebner, Zum Weiterleben des Judith-Typus in der Filmgeschichte (1999), 141–158; Stocker, Judith (1998); Bärthel, Inspiration zum Töten (1997). 16 Vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“, 112–113. 17 Vgl. Birck, „Ivdith“, 159; Opitz, „Judith. Zu Breßlaw druckts und vorlegts Georg Baumann, 1635“, 116; vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“, 92–93.



Die Textfassungen 

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Die Kanonfrage Das Buch Judit gehört im katholischen Kanon zu den deuterokanonischen Schriften, d.h. griechischsprachigen Büchern des AT. Die Juditerzählung ist von der Kirche bereits in den Anfängen überliefert und daher seit jeher Bestandteil des LXX-Kanons: Das belegen Hinweise bei Clemens von Rom (1 Clem 55,3–5; 96 n. Chr.)18 und Origenes (um 245 n. Chr.) in einem Brief an Julius Africanus.19 Von Hieronymus aber finden sich widersprüchliche Aussagen zur Kanonfrage: So schreibt der Kirchenvater ausdrücklich im prologus galeatus über die Bücher Weisheit, Sirach, Judit, Tobit und Hirt des Hermas, dass sie nicht im Kanon sind (non sunt in canone, Z. 50–55 prologus galeatus, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 365). Diese Einschätzung bezüglich der nicht Original hebräischsprachigen Bücher hängt womöglich mit der hebraica veritas und dem Anspruch und Alleinstellungsmerkmal des Hieronymus zusammen, die atl. Texte aus dem Hebräischen zu übersetzen. Diese Aussage im prologus galeatus ist bemerkenswert, weil sich in seiner praefatio zum Buch Iudith – die Hieronymus seiner Übersetzung voranstellt und in der er unter anderem seine Arbeitsweise bei der Übersetzung des Buches beschreibt – eine dazu widersprüchliche Aussage findet. So erwähnt er darin, dass das Buch auf dem Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) zum Kanon gezählt worden sei, die Juden es hingegen nicht kanonisiert hätten (vgl. Z. 1.3–4, praefatio zum Buch Iudith).20

Die Textfassungen Das Buch Judit ist in zwei zu unterscheidenden Textfassungen überliefert: Der griechischen LXX-Fassung und der lateinischen Vg-Fassung. Die LXX-Fassung ist um 100 v. Chr. entstanden und mit den Majuskeln B, S, A und V sowie über vierzig Minuskeln gut überliefert.21 Ihr schließen sich die alten Übersetzungen (die altlateinische Vetus Latina, Syrisch, Sahidisch, Aethiopisch, Armenisch) an.

18 „3. Viele Frauen vollbrachten, durch die Gnade Gottes gestärkt, viele mannhafte Taten. 4. Die selige Judit erbat bei der Belagerung der Stadt von den Ältesten die Erlaubnis, ins Lager der Heiden gehen zu dürfen. 5. Sie setzte sich also der Gefahr aus und ging hinaus, aus Liebe zum Vaterland und zum Volk, das belagert wurde, und der Herr übergab Holofernes in die Hand einer Frau.“ Clemens von Rom, Epistola ad Corinthios 55,3–5 (FC 15, 197–198). 19 Vgl. Origenes, Ep. ad Afric. 26,13 (PG 11, 79). 20 Vgl. auch Kelly, Jerome, 160–161, 284–285. 21 Der hier analysierten LXX-Fassung des Buches Judit liegt die Textfassung nach Rahlfs zu

6 

 Einführung

Einen Überblick über die achtundzwanzig Handschriften (Hss) der altlateinischen Juditfassungen der Vetus Latina bietet Bogaert.22 Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem jene Hss von Interesse, die Hieronymus wahrscheinlich zur Anfertigung seiner eigenen Übersetzung einsehen konnte. Deutliche Parallelen und Abhängigkeiten der Vg-Fassung des Buches Judit sind vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, mit Corbeiensis 7 (C; nach Beuroner Zählung 151) gegeben.23 Diese Handschrift soll in dieser Studie durchgängig vergleichend betrachtet werden. Auch zu Compultensis 1 (X; nach Beuroner Zählung 109)24, aber auch zu Monacensis (M; nach Beuroner Zählung 130)25, la tradition alémanique (B; nach Beuroner Zählung 131)26 und la tradition carolingienne (XI; nach Beuroner Zählung 123)27 sind Abhängigkeiten nachweislich, die in auffallenden Einzelfällen ebenfalls vergleichend herangezogen werden.28 Trotz Parallelen zu der LXX-Fassung und den altlateinischen Übersetzungen ist die um 398 n. Chr. bis spätestens 407 n. Chr. in Bethlehem angefertigte Vg-Fassung des Buches Judit eine zu unterscheidende Fassung.29 Im Vergleich zur LXX-Fassung ist sie um ein Fünftel gekürzt und stimmt durch zusätzliche Erweiterungen etwa nur zur Hälfte mit dem griechischen Text überein.30 Neben diesen Juditfassungen gibt es auch noch hebräische Manuskripte, die ab dem zehnten Jahrhundert n. Chr. entstanden sind: Darunter finden sich Langfassungen des Buches Judit, die sich an der Vg-Fassung orientieren, und Kurzfassungen, die eher freie Bearbeitungen sind.31 Dubarle hat in mehreren Beiträgen

Grunde, in der die Codices B, S und A berücksichtigt sind: Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes (hg. v. A. Rahlfs, Stuttgart 21979). 22 Vgl. Bogaert, Judith, 12–19. 23 Dazu ausführlich Thielmann, Beiträge zur Textkritik der Vulgata, insbesondere des Buches Judith, 19–20; Voigt, The Latin Versions of Judith, 44–45; Bogaert, Judith, 54.63; Bogaert, Judith Dans La Première Bible D´Alcala (Compultensis 1) et dans la version hiéronymienne (Vulgate), 117. 24 Die Nummerierung der Handschriften folgt dem Projekt des Vetus-Latina-Instituts; vgl. Bogaert, Judith, 12–19. 25 Vgl. Bogaert, Recensions De La Vieille Version Latine De Judith II. 26 Vgl. Bogaert, Recensions De La Vieille Version Latine De Judith III. 27 Vgl. Bogaert, Recensions De La Vieille Version Latine De Judith V. 28 Vgl. Thielmann, Beiträge zur Textkritik der Vulgata, insbesondere des Buches Judith, 19–20; Bogaert, Judith, 54.63; Bogaert, Judith Dans La Première Bible D’Alcala (Compultensis 1) et dans la version hiéronymienne (Vulgate), 117. 29 Der Vg-Fassung liegt die Fassung nach Weber/Gryson zu Grunde, die Haupt- und Nebenzeugen: Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem, fünfte, verbesserte Auflage, hg. v. Roger Gryson, © 2007 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. 30 Vgl. Engel, Das Buch Judit, 363. 31 Vgl. dazu Gera, The Jewish Textual Traditions, 23–39; Gera, Shorter Medieval Hebrew Tales



Die Originalsprache 

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die Ansicht vertreten, dass diese mittelalterlichen Texte Bearbeitungen des chaldäischen Textes seien, der Hieronymus vorgelegen haben soll (vgl. Z. 2.8 praefatio zum Buch Iudith).32 Aufgrund der Nähe dieser Texte zur Vg-Fassung des Buches Judit hat diese These jedoch wenig Zustimmung gefunden.33

Die Originalsprache Der „chaldäische“ Text, der Hieronymus nach seiner praefatio zum Buch Iudith (Z. 2.8) vorgelegen haben soll, ist nicht überliefert.34 Ob ein solcher je existiert hat, wird unterschiedlich beurteilt und darf durchaus bezweifelt werden: Origenes schreibt 245 n. Chr. in einem Brief an Julius Africanus, dass die Hebräer die Bücher Tobit und Judit nicht im Gebrauch hätten und sie auch nicht auf Hebräisch besäßen.35 Miller vermutet daher, dass die „chaldäische“ Textfassung, die Hieronymus erwähnt, nachorigenisch als Übersetzung aus dem Griechischen entstanden sein muss.36 Nach Joosten könnte er sich auf eine syrische oder aramäische Übersetzung des griechischen Buches Judit beziehen.37 Die Frage nach dem Ursprungstext der LXX-Fassung des Buches Judit wird aufgrund der praefatio zum Buch Iudith, in der Hieronymus von einer „chaldäischen“ Textvorlage schreibt, noch immer kontrovers diskutiert. Die Ansicht, dass das Buch Judit aus dem Hebräischen oder Aramäischen übertragen worden sei, war lange Zeit Konsens.38 Ein Argument ist, dass sich im griechischen Judittext häufig Hebraismen finden. Dazu gehören die zahlreichen mit καί „und“ eingeleiteten Parataxen, die häufige Syntax Verb – Subjekt – Objekt, die Verwendung

of Judith, 81–95; deutsch-hebräische Texte finden sich bei Börner-Klein, Gefährdete Braut und schöne Witwe. 32 Vgl. Dubarle, La mention de Judith dans la littérature ancienne, juive et chrétienne, 514–549; Dubarle, Rectification, 86–87; Dubarle, Judith; Dubarle, L’authenticité des textes hébreux de Judith, 187–211; Dubarle, Les textes hébreux de Judith, 503–511; Dubarle, Les textes hébreux de Judith et les étapes de la formation du livre, 255–266. 33 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 39–40; Hanhart, Text und Textgeschichte des Buches Judit, 10. 34 Vgl. auch Stemberger, Judaica Minora, 276. 35 Vgl. Origenes, Ep. ad Afric. 26,13 (PG 11, 79). Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 39; Wolff, Das Buch Judith als Geschichtliche Urkunde, 6; Brown, Vir Trilinguis, 69. 36 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 133; vgl. auch Voigt, The Latin Versions of Judith, 54. 37 Vgl. Joosten, The Original Language and Historical Milieu of the Book of Judith, 159–176. 38 Die Argumente, die für diese These sprechen, führen z.B. Soubigou, Judith, 483–485, Grintz, Sefer Jehudît, Zenger, Das Buch Judit, 430–431, Moore , Judith, 66–67, Gera, Judith, 79–97 und Schmitz/Engel, Judit, 40–42 an.

8 

 Einführung

von ὅτι vor allem zur Einleitung von Objekt- oder Kausalsätzen, καὶ νῦν in Entsprechung zu ‫„ ועתה‬und nun“, sowie die Verwendung von σϕόδρα (πολύ) „sehr (viel)“, πᾶς „jeder, ganz, alle“, ἐν μέσω „mitten unter“, υἱός/θυγάτηρ „Sohn/ Tochter“ zur Bezeichnung der Zugehörigkeit, πρόσωπον „Angesicht“ in Verbindung mit einer Präposition für hebräisches ‫„ לפני‬vor“, ‫„ מלפני‬von weg“, wo im Griechischen sonst die Präposition ohne πρόσωπον „Angesicht“ verwendet würde, die Gottesbezeichnung κύριος θεός „Gott, der Herr“ für ‫יהוה אלהים‬ „JHWH Gott“ und das Fehlen von im Griechischen häufigen Partikeln wie ἄρα, γε, τε, οὖν „folglich, und, also“.39 Argumente gegen eine hebräische Urfassung der Erzählung finden sich bereits 1907. Steinmetzer stellt die These auf, dass der vierte Teil der Juditerzählung auf Griechisch entstanden ist, den er in seinem literarkritischen Modell der makkabäischen Zeit zuordnet.40 Priebatsch zeigt 1974 typisch griechisch-hellenistische Züge der Juditerzählung auf, wie z.B. die Thyrsos-Stäbe in Judits Händen (Jdt 15,12), den „Säbel“ (ἀκινάκης Jdt 13,6; 16,9) und die merkwürdigen geographischen Angaben, was – so Priebatsch – die Annahme einer hebräischen Ursprache und vorhellenistischen Entstehung des Juditbuches erschwere.41 Engel argumentiert 1992, dass zentrale Textstellen der Juditerzählung explizit vom Wortlaut der LXX her entwickelt würden und gerade nicht vom masoretischen Text und den Targumim, die jeweils andere Inhalte aufwiesen.42 Ein eindrucksvolles Beispiel ist Ex 15,3: Während der hebräische Text ‫„ יהוה אישׁ מלחמה יהוה שׁמו‬JHWH (ist) ein Kriegsmann, JHWH (ist) sein Name“ schreibt, heißt es in der LXX κύριος συντρίβων πολέμους κύριος ὄνομα αὐτῷ „Der Herr zerschlägt Kriege, Herr (ist) sein Name“ (vgl. Idt 9,10). Dieser für die Juditerzählung grundlegende theologische Gedanke findet sich in Jdt 9,7–8 und in Jdt 16,2 LXX und wird in Idt 9,10 und Idt 16,3 Vg übertragen.43 Auch die semantisch vielfältige Verwendung des Verbs οἰκέω „wohnen“ und seiner Komposita in der Rede Achiors benennt Engel als Argument für eine griechische Ursprache des Judittextes, denn die geographisch-chronologische Gliederung, die mit den Formulierungen „sie wohnten als

39 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 40–41; Engel, „Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt“, 155. 40 Vgl. Steinmetzer, Neue Untersuchungen über die Geschichtlichkeit der Judith-Erzählung, 110. 41 Vgl. Priebatsch, Das Buch Judit und seine hellenistischen Quellen, 50–60; Schmitz/Engel, Judit, 41. 42 Vgl. dazu Engel, „Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt“, 157. 43 Vgl. dazu Engel, „Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt“, 157; weitere Beispiele finden sich bei Engel, „Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt“, 155–168, bes. 157–159) sowie Schmitz/Engel, Judit, 42.



Die Originalsprache 

 9

Fremde“ (παρῴκησαν Jdt 5,7.8.10), „sie ließen sich nieder, wohnten“ (κατῴκησαν Jdt 5,9.16), „sie siedelten, wohnten“ (ᾤκησαν Jdt 5,15) und „sie wurden angesiedelt, erhielten feste Wohnsitze“ (κατῳκίσθησαν Jdt 5,19) in Jdt 5,5–21 erzeugt werde, könne durch die zwei hebräischen Verben (‫„ גור‬als Fremder wohnen“, ‫„ ישׁב‬wohnen, sich niederlassen“) nicht abgedeckt werden.44 Joosten zeigt 2007 das gehobene Griechisch der Juditerzählung an einigen Beispielen in Bezug auf Wortwahl – z.B. führt er die griechischen Infinitiv-Futur-Formen an, für die es kein hebräisches Äquivalent gebe, sowie die Wörter ἀπεγνωσμένοι „Verachtete“, ἀπηλπισμένοι „Hoffnungslose“ in Jdt 9,11 oder ἀνυπέρβλητος „unüberwindlich“ in Jdt 16,13 – und spezifisch griechische Syntax (bspw. in Jdt 5,3.8.12.23; 7,30; 9,2).45 Corley untersucht 2008 die hebräisch klingenden Spracheigentümlichkeiten des griechischen Judittextes, die unter anderem von Moore zur Begründung für einen hebräischen Originaltext herangezogen wurden, und kommt zu dem Schluss, dass diese nicht zwingend einen hebräischen Originaltext implizieren würden, sondern vielmehr auch dazu beitragen könnten, dass ein solcher imitiert würde und weist auf vergleichbare Beobachtungen in jüdischen Schriften aus hellenistischer Zeit und im NT – vor allem im Lukanischen Doppelwerk und in der Johannesapokalypse – hin, die unbestritten eine griechische Ursprache haben.46 Schmitz zeigt ferner zahlreiche Bezüge zwischen der Juditerzählung und den Historien des Herodot (2004) einerseits sowie zur lateinischen Literatur andererseits, die sich über das Motiv des κωνώπιον „Mückennetz“ (Jdt 10,21; 13,9.15; 16,19) ergeben (2009), auf und weist zudem auf die Aufnahmen der Reflexionen über die Tyrannentötung innerhalb der Juditerzählung im Anschluss an die Tat von Harmodius und Aristogeiton (2010) hin.47 Auch weist Schmitz nach, dass gerade die theologisch aufgeladenen Reden und Gebete der Juditerzählung, die ganz entscheidend den Aufbau der Erzählung strukturieren, in einem Griechisch nach Art der LXX verfasst sind und viele Stilfiguren enthalten, die Original- und nicht Übersetzungsgriechisch sind.48 Auch Schmitz/Engel kommen zu dem Urteil, dass der Verfasser „besonders in den erzählenden Abschnitten, den

44 Vgl. dazu Engel, „Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt“, 158. 45 Vgl. Joosten, The Original Language and Historical Milieu of the Book of Judith, 159–176; ein weiteres Beispiel ist εἰς τὸ λοιπόν „in Zukunft“ in Jdt 11,2 (so nur noch in 2 Makk 11,19 und als εἰς τὰ λοιπά in 2 Makk 12,31); vgl. Enslin, The Book of Judith, 135. 46 Vgl. Corley, „Septuagintalisms, Semitic Interference, and the Original Language of the Book of Judith“, 65–96. 47 Vgl. Schmitz, Zwischen Achikar und Demaratos, 19–38; Schmitz, Holofernes’ Canopy in the Septuagint, 71–80; Schmitz, War, violence and Tyrannicide in the Book of Judith, 103–119. 48 Vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte 2004, passim.

10 

 Einführung

Stil der LXX so gekonnt nach[ahmt], dass sein Werk bis in die jüngste Zeit von vielen für eine Übersetzung aus einer hebräischen Vorlage gehalten wurde.“49 Der griechische Text des Juditbuches sei „demnach nicht als eine Übersetzung eines verloren gegangenen hebräischen oder überhaupt semitischen Originals zu betrachten, sondern als eine von vornherein in griechischer Sprache entworfene Erzählung, deren Verfasser die LXX benutzte und sich eines hebraisierenden Sprachstils bediente“50. Mithin ist Griechisch als Originalsprache des Juditbuches anzunehmen.51 Daher wird in dieser Studie durchgängig die griechische Juditfassung als Ausgangstext für die Vg-Übersetzung angenommen.

Fragestellung Diese Studie wird die Vg-Fassung des Buches Judit untersuchen. Die Notwendigkeit einer Studie zur Vg-Fassung des Buches Judit ergibt sich nicht nur aus seiner rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung, sondern es geht vor allem darum, das Eigenprofil dieser Erzählung zu analysieren. Im Zentrum der Analyse wird die Iudithfigur stehen, die mit Hilfe einer narrativen Figurenanalyse untersucht werden wird, um so das Eigenprofil der VgFassung zu ermitteln. Da Iudith nach einer Kurzcharakterisierung in der praefatio zum Buch Iudith (Z. 9–12) innerhalb der Erzählung erst nach Idt 7 eingeführt wird, werden in erster Linie nur die praefatio selbst und Idt 8–16 untersucht. Wo es für die Figurenanalyse Iudiths notwendig ist, wird auch auf frühere Kapitel verwiesen. Die Vg-spezifischen Besonderheiten – Hinzufügungen, Auslassungen, Veränderungen – werden gerade an Stellen offensichtlich, wo die Vg-Fassung von der LXX und/oder der Hs 151 abweicht. Darum soll auch ein besonderer Fokus auf den Unterschieden liegen, die sich zwischen der Vg-Fassung einerseits und LXX-Fassung/Hs 151 andererseits finden lassen. Diese Vg-spezifischen Eigenheiten sollen dann zeitgeschichtlich kontextuell verortet werden, indem zum einen die veränderte Lebensumwelt der Vg-Fassung – immerhin liegen etwa fünfhundert Jahre zwischen der LXX-Fassung und der hieronymianischen Übersetzung – und zum anderen die Rezeption des zeitgenössischen Lesenden in der Analyse Berücksichtigung finden.

49 Schmitz/Engel, Judit, 43. 50 Schmitz/Engel, Judit, 42. 51 So auch z.B. Zenger, »Wir erkennen keinen anderen Gott an …«, 17–36; Rakel, Judit, 33–40; Schmitz/Engel, Judit, 42–43; Gera, Judith, 79–97; Gera, Speech in the Book of Judith, 413–422.

Fragestellung 

 11

Ein Beispiel für die unterschiedliche Profilierung der Vg-Fassung ist das Motiv der „Keuschheit“ (castitas). Hieronymus stellt eine Charakterisierung Iudiths seiner Übersetzung in seiner praefatio zum Buch Iudith (Z. 9–12) voran. Iudith wird darin explizit als Vorbild der „Keuschheit“ (castitas) eingeführt. Diese Keuschheit wird als Voraussetzung und Grund dafür genannt, dass Gott Iudith „belohnt“, infolge dessen sie den von allen Männern Unbesiegten besiegen wird (Z. 11–12 praefatio zum Buch Iudith). Damit wird der Blick der Lesenden entscheidend auf diesen Bestandteil ihrer Charakterisierung vorgeprägt. Innerhalb der Erzählung wird die „Keuschheit“ dann erneut in zwei Vg-spezifischen Zusätzen in Idt 15,11; 16,26 in den Kontext von Iudiths Erwählung durch Gott und damit in den der Rettung Israels gestellt. Das Interessante daran ist, dass die Juditfigur aber weder in einer erhaltenen LXX- noch in irgendeiner Vetus Latina Handschrift als keusch beschrieben wird, die Rettung Israels mithin nur in der Vg-Fassung des Buches Judit an die Keuschheit der Hauptfigur gebunden ist.52 Dieses Beispiel zeigt bereits ein Merkmal des Vg-spezifischen Profils und einen Unterschied zwischen den Texttraditionen, der keineswegs trivial ist. So hebt beispielsweise Luther, der die Vg-Fassung des Buches Judit gewählt hat, um sie ins Deutsche zu übersetzen, in seiner „Vorrede auff das Buch Judith“ ausgerechnet die Keuschheit Judits hervor.53 Allein das Beispiel der „Keuschheit“ zeigt also, wie eine scheinbar kleine Veränderung den ganzen Wertmaßstab eines Buches in entscheidender Weise verändern kann. Aufgrund dieser Beobachtung ist nun zu fragen, woher dieser ganz neue Begründungszusammenhang kommt, ob und wie sich dieser in den historischen Kontext von Hieronymus einordnet und wie der zeitgenössische Lesende diesen wohl verstanden haben mag. In einem ersten Kapitel (Kap. 1) werden daher zunächst der historische Kontext der Iuditherzählung und des Übersetzers vorgestellt werden, indem die Aspekte Leben und Werke des Hieronymus (Kap. 1.1), das hieronymianische Verhältnis zu den römischen Witwen und Jungfrauen (Kap. 1.2) und die Hauptaspekte der Übersetzungstechnik des Hieronymus (Kap. 1.3) beschrieben werden. Um das Verständnis der Vg-spezifischen Eigenheiten in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext zu analysieren, werden der Exegese die Methoden der narrativen

52 Vgl. auch Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 373–378. 53 Vgl. dazu auch Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 363–383. „WO man die Geschichte Judith künde aus bewereten / gewissen Historien beweisen / So were es ein eddel fein Buch / das auch billich in der Biblien sein solt […] Denn Judith heisst Judea (das ist) das Jüdisch volck / so eine keusche heilige Widwe ist / das ist /Gottes volck ist jmer eine verlassene Widwe / Aber doch keusch vnd heilig / vnd bleibt rein vnd heilig im wort Gottes / vnd rechtem Glauben / casteiet sich vnd betet […]“ Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch, 156b.

12 

 Einführung

Analyse zu Grunde liegen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Iudith speziell in der Vg-Erzählung dargestellt wird. Gerade die Figurenanalyse und die Unterschiede, die die Juditfiguren der verschiedenen Textfassungen aufweisen, können das Vg-spezifische Profil am deutlichsten offenlegen, denn die wesentlichen Inhalte eines Textes werden in der Regel über die Figuren einer Erzählung transportiert. Im zweiten Kapitel (Kap. 2) erfolgt deshalb eine Darstellung erzähltheoretischer Ansätze zur Figurenanalyse. Darin finden sich Ausführungen zur strukturalistischen Erzählsemiotik (Kap. 2.1), zur klassischen Narratologie (Kap. 2.2), zur postklassischen Narratologie (Kap. 2.3) und zu Figurenanalysen in biblischen Texten (Kap. 2.4), woran sich die Vorstellung eines eigenen Ansatzes zur exegetischen kognitiven Figurenanalyse anschließt (Kap. 2.5). Zusätzlich zu einer Vielfalt an Kategorien, um eine Figur und damit auch die Ebene der Textproduktion zu untersuchen, ermöglicht der kognitive Ansatz, der in Kap. 2 ausführlich vorzustellen und zu begründen sein wird, eine Analyse des Verständnisses des zeitgenössischen Lesenden. In der kognitiven Figurenanalyse finden der Lesende selbst, sein Leseprozess sowie die Wirkung der Figur auf den Lesenden eine zentrale Berücksichtigung. Der Lesende erlebt die Erzählung mit den Hauptfiguren. Wie er sie erlebt und ob es dem Text gelingt, Empathie, Nähe oder sogar Identifikation zwischen Lesendem und den Figuren aufzubauen, um dadurch größere Nachhaltigkeit zu erzielen, hängt maßgeblich von den Erfahrungen des Lesenden und seiner Lebensumwelt ab. Im Rahmen der kognitiven Figurenanalyse wird daher auch eine womöglich entstehende Empathie beim zeitgenössischen Lesenden untersucht werden, was im Falle der vorliegenden Studie alle Personen sind, die um 400 n. Chr. Zugang zu den hieronymianischen Texten hatten. In Kapitel 3 (Kap. 3) folgt mit der Exegese der praefatio zum Buch Iudith (Kap. 3.1) und der von Idt 8–16 Vg (Kap. 3.2–3.11) die praktische Anwendung des kognitiven Figurenanalysemodells. Dabei wird zunächst die Vg-Fassung semantisch und mit Hilfe der Kategorien zur Figurenanalyse analysiert. Aufgrund der Methodenwahl wird der Aufbau der Analyse die Vg-Fassung Ausgangspunkt der Analyse sein, weil die Untersuchung der Iudithfigur nach der Vg-Fassung und vor allem der Leseprozess des zeitgenössischen Lesenden im Vordergrund der kognitiven Figurenanalyse stehen. Erst im Anschluss daran werden die frühere LXX-Fassung und danach die Hs 151 und die Vg-Fassung im Vergleich untersucht. Von der Analyse der Vg-Fassung ausgehend sollen darum – auch unter Berücksichtigung textkritischer Fragestellungen – die Unterschiede von der Vg-Fassung zur LXX-Fassung und zur Hs 151 aufgezeigt werden. Auf diesen Ergebnissen aufbauend wird dann das Verständnis des Lesenden zur Entstehungszeit der Übersetzung mit biblischen und außerbiblischen Quellen fokussiert. So erlaubt es die kognitive Figurenanalyse sowohl den etwa fünfhundert Jahren, die zwischen dem Ursprungstext der LXX-Fassung und der hieronymianischen Übersetzung liegen,

Fragestellung 

 13

als auch dem Textverständnis des zeitgenössischen Rezipienten methodisch gerecht zu werden und die Ursachen der veränderten Textwelt zu begründen. Abschließend wird die Figurencharakterisierung Iudiths mitsamt den wichtigsten Vg-spezifischen Aspekten noch einmal zusammengefasst (Kap. 4).

1 Hieronymus „Ungewöhnlich an Hieronymus war vielmehr, was er geleistet hat. Charakteristisch für ihn war eine spezifische Verbindung von Askese und Wissenschaft. Als Asket integrierte Hieronymus die antike, insbesondere die römisch-lateinische Bildung in die monastische Bewegung und machte diese damit in den Kreisen der spätantiken Aristokratie salonfähig, als Gelehrter konzentrierte er seinen wissenschaftlichen Eros auf die Übersetzung und Auslegung der Bibel“1.

1.1 Leben und Werke Eusebius Hieronymus wird um 347 n. Chr. in Stridon, einer Kleinstadt in Dalmatien, als Kind reicher christlicher Eltern geboren, die ihren Sohn nach der Sitte aber nicht gleich taufen, sondern ihn in die Liste der Katechumenen eintragen lassen.2 Bereits in der Vorschule kommt Hieronymus mit der lateinischen Sprache in Berührung, wo er auch Bonosus kennenlernt, ebenfalls ein Kind reicher Eltern, der ihn zu seinem Grammatik- und Rhetorikstudium bei Aelius Donatus nach Rom begleiten wird.3 Während des Romaufenthalts 358–366  n.  Chr. erhält Hieronymus eine fundierte Ausbildung. Die Zeit in Rom ist auch wichtig für seine soziale Stellung, weil er dort wichtige Freundschaften, die zu Pammachius, Heliodorus und seinem späteren Feind Rufinus von Aquileja, knüpft und vermutlich die Taufe empfängt.4 Auf einer Reise nach Trier kommen Hieronymus und Bonosus um 367 n. Chr. erstmals mit den Frühformen des Mönchtums in Berührung und beschließen, selbst ein asketisches Leben zu führen.5 367/368–373/374 n. Chr. werden sie dies in Aquileja mit Klerikern, darunter Evagrius aus Antiochien, bei dem Hieronymus später leben wird, und Chromatius, der Hieronymus später einige seiner Werke finanzieren wird, realisieren. Außerdem kommt Hieronymus dort erstmals mit einem Jungfrauenzirkel von bescheidenen, arbeitenden, sich dem geistigen Leben widmenden Frauen um die Mutter des Chromatius in Haemona, das unweit von Aquileja liegt, in Berührung.6 Intensive Freundschaften zu asketisch leben-

1 Fürst, Hieronymus, 5. 2 Vgl. Fürst, Hieronymus, 145; Steinmann, Hieronymus, 14. Eine ausführliche Darstellung der Biographie des Hieronymus findet sich bei Kelly, Jerome, passim. 3 Vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 22. 4 Vgl. Fürst, Hieronymus, 60.145; Steinmann, Hieronymus, 28–30. 5 Vgl. Steinmann, Hieronymus, 34–35. 6 Vgl. Fürst, Hieronymus, 145; Steinmann, Hieronymus, 38.



1.1 Leben und Werke  

 15

den Frauen werden Hieronymus sein ganzes Leben lang begleiten. Allerdings endet der Aufenthalt in Aquileja aus nicht bekannten Gründen in Unfrieden: Steinmann vermutet, dass hinter dem raschen Aufbruch Vorwürfe gegen seine Person wegen seiner Besuche der Jungfrauen in Haemona stecken.7 Rebenich mutmaßt, dass verschiedene Vorstellungen über das asketische Leben ursächlich sind.8 Auf seiner Reise in den Osten – vermutlich auf dem Seeweg bis Athen und auf dem Landweg durch Thrakien, Bithynien, Galatien, Kappadokien und Kilikien (373/374–379/380 n. Chr.) – erkrankt Hieronymus in Antiochien schwer und wird dort von dem reichen und politisch mächtigen Evagrius aufgenommen.9 Etwa inmitten dieses Zeitraums lebt Hieronymus zwei bis drei Jahre als Anachoret am Rande der syrischen Wüste auf der Straße nach Chalkis. Über diese Zeit berichtet er in Ep. 22 das folgende, stark stilisierte Traumbild, das vor allem seiner Selbstdarstellung „als asketischer Autorität“10 dient: „[…] O quotiens in heremo constitutus et in illa uasta solitudine, quae exusta solis ardoribus horridum monachis praestat habitaculum, putaui me Romanis interesse deliciis! sedebam solus, quia amaritudine repletus eram. horrebam sacco membra deformis, squalida cutis situm Aethiopicae carnis adduxerat. cotidie lacrimae, quotidie gemitus et, si quando repugnantem somnus inminens oppressisset, nuda humo uix ossa haerentia conlidebam. de cibis uero et potu taceo, cum etiam languentes aqua frigida utantur et coctum aliquid accepisse luxuriae sit. ille igitur ego, qui ob gehennae metum tali me carcere ipse damnaueram, scorpionum tantum socius et ferarum, saepe choris intereram puellarum. pallebant ora ieiuniis, et mens desideriis aestuabat in frigido corpore et ante hominem suum iam carne praemortua sola libidinum incendia bulliebant. itaque omni auxilio destitutus ad Iesu iacebam pedes, rigabam lacrimis, crine tergebam et repugnantem carnem ebdomadarum inedia subiugabam. non erubesco infelicitatis meae, quin potius plango non esse, quod fuerim. memini me clamantem diem crebro iunxisse cum nocte nec prius a pectoris cessasse uerberibus, quam domino rediret increpante tranquillitas. ipsam quoque cellulam meam quasi cogitationum consciam pertimescebam et mihimet iratus et rigidus solus deserta penetrabam. sicubi concaua uallium, aspera montium, rupium praerupta cernebam, ibi meae orationi locus, illud miserrimae carnis ergastulum; et, ut mihi ipse testis est dominus, post multas lacrimas, post caelo oculos inhaerentes nonnunquam uidebar mihi interesse agminibus angelorum et laetus gaudensque cantabam: post te in odorem unguentorum tuorum currimus  […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 152–154).

7 Vgl. Steinmann, Hieronymus, 38–40. 8 Vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 76–77. 9 Vgl. Fürst, Hieronymus, 145; Steinmann, Hieronymus, 47–48. 10 Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 95.

16 

 1 Hieronymus

„Als ich in der Wüste weilte, in jener weiten, von der Sonnenglut ausgebrannten Einöde, die den Mönchen ein schauriges Asyl bietet, da schweiften meine Gedanken oft hin zu den Vergnügungsstätten Roms, Einsam, innerlich verbittert, saß ich da. Meine ungestaltet[en] Glieder starrten im Bußgewande, und meine rauhe Haut war schwarz geworden gleich der eines Äthiopiers. Täglich gab es Tränen und Seufzer, und wenn mich gegen meinen Willen der Schlaf übermannte, da streckte ich meine kaum noch zusammenhaltenden Knochen auf den nackten Boden hin. Von Speise und Trank will ich gar nicht reden, da selbst die kranken Mönche nur frisches Wasser trinken und es als Luxus gilt, irgendeine gekochte Speise zu genießen. Also jener ‚Ich‘, der ich aus Furcht vor der Hölle mich selbst zu einem solchen Kerker verurteilt habe, in der einzigen Gesellschaft von Skorpionen und wilden Tieren, dachte oft zurück an die Tänze der Mädchen. Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. Vor dem Menschen, der dem Fleische nach bereits gestorben war, loderte einzig noch das Feuer der Sinnlichkeit auf. Verlassen von aller Hilfe, warf ich mich nieder zu den Füßen Jesu, benetzte sie mit meinen Tränen und trocknete sie mit meinen Haaren, und das widerspenstige Fleisch bändigte ich durch wochenlanges Fasten. Ich schäme mich durchaus nicht, meinen traurigen und elenden Zustand einzugestehen, ja es tut mir sogar leid, daß es mit mir nicht mehr so ist, wie es war. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich oft Tag und Nacht ohne Unterbrechung schreiend zubrachte, daß ich nicht eher aufhörte, meine Brust zu schlagen, bis der Herr mich schalt und meine innere Ruhe zurückkehrte. Selbst vor meiner Zelle fürchtete ich mich, da ich in ihr die Mitwisserin meiner Gedanken sah. Mit mir selber unzufrieden, in meinem Entschlusse unbeugsam, drang ich allein noch tiefer in die Wüste vor. Wo ich eine Talschlucht, einen rauhen Berg, ein zackiges Felsgebilde sah, da ließ ich mich nieder zum Gebete, da machte ich daraus einen Kerker für mein sündiges Fleisch. Gott ist mein Zeuge, nach vielem Weinen, nach ständigem Aufblick zum Himmel erblickte ich mich zuweilen inmitten der Engel, und froh und glücklich sang ich: ‚Dir folge ich, angelockt vom Dufte deiner Salben.‘“11.

Der Aufenthalt des Hieronymus in Chalkis war in Wahrheit weniger ein raues und streng asketisches Eremitendasein in der Einsamkeit der Wüste, wie er es selbst in Ep. 22,7 beschreibt oder wie es, möglicherweise im Anschluss daran, durch Bellinis „Hieronymus liest in der Landschaft“ (1505) suggeriert wird, sondern vielmehr ein gemäßigt asketisches Leben in Gemeinschaft auf dem prächtigen, luxuriösen, mit Sklaven und Küche sowie mit einer großen Bibliothek ausgestatten Landgut Maronia, das Evagrius gehört und das er Hieronymus zu Leben und Arbeit zur Verfügung stellt.12 Hieronymus studiert Exegese bei Apollinaris, dem

11 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 68–69). 12 Vgl. Fürst, Hieronymus, 48–49, 145–146; Steinmann, Hieronymus, 44; Brown, Die Keuschheit der Engel, 382–383. Eine ausführliche Beweisführung dazu findet sich bei Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 85–98, vor allem 95–96.



1.1 Leben und Werke  

 17

Bischof von Laodizea und wird 378/379 n. Chr. von Bischof Paulinus in Antiochien zum Priester geweiht.13 380–382 n. Chr. reist er nach Konstantinopel und widmet sich dem Studium der Exegese bei Gregor von Nazianz, wo er unter anderem Gregor von Nyssa kennen lernt.14 In der Zeit zwischen 373–382 n. Chr. macht sich Hieronymus die für seinen Lebenslauf so wichtige griechische Sprache zu Eigen, in Chalkis lernt er zudem ein wenig Syrisch und startet erste Versuche zum Erlernen des Hebräischen, die er während seines späteren Palästinaaufenthalts ausbaut.15 Obwohl dies immer wieder angezweifelt wird und Hieronymus auch nicht fehlerfrei war,16 ist davon auszugehen, dass er das Hebräische recht gut beherrschte.17 Hieronymus verfügte damit über Sprachkenntnisse, mit denen kein anderer Theologe seiner Zeit mithalten konnte, weshalb er zu Recht als „vir trilinguis“ (hebräisch, griechisch, lateinisch) bezeichnet wird.18 Hier beginnt Hieronymus auch seine Übersetzertätigkeit mit den Übersetzungen der Homilien des Origenes (380/381 n. Chr) und der Chronik des Euseb (380 n. Chr.) ins Lateinische. 382 n. Chr. begleitet er Paulinus von Antiochia und Epiphanius von Salamis nach Rom zu einer Synode des Papstes Damasus, wo dieser ihn zu seinem „Sekretär“ macht (382–385 n. Chr.).19 Dort beginnt die erste von drei Revisions-/Übersetzungsphasen des lateinischen Bibeltextes: 383 n. Chr. ist er zunächst als Revisor bestehender altlateinischer Übersetzungen der vier Evangelien nach dem griechischen Urtext tätig.20 Ob Hieronymus auch die übrigen Schriften des NT übersetzt hat, wird noch diskutiert.21 384 n. Chr. revidiert er den Psalter nach einer nichthexaplarischen Rezension der LXX.22

13 Vgl. Fürst, Hieronymus, 145. 14 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146. 15 Vgl. Fürst, Hieronymus, 76–78. 16 Vgl. Burstein, La compétence de Jérôme en hébreu, 3–12. 17 Vgl. Fürst, Hieronymus, 76–78; Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 72. Eine Untersuchung zur Aussprache des Hebräischen bei Hieronymus findet sich bei Siegfried, Die Aussprache des Hebräischen bei Hieronymus, 34–83. 18 Vgl. Fürst, Hieronymus, 77–78; Brown, Vir trilinguis, 55–86. „Chaldäisch“, womit hier wohl Aramäisch gemeint ist, kann er nach eigener Aussage im Danielprolog nur lesen und verstehen und weniger sprechen: Et ut vere fatear, usque ad praesentem diem magis possum sermonem chaldeum legere et intellegere quam sonare; Biblia Sacra Vulgata (hg. v. Weber/Gryson, 1340). 19 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146. 20 Vgl. Fürst, Hieronymus, 83. 21 Kaulen führt als Argument dafür an, dass Hieronymus bereits in einem Brief von 384 n. Chr. aus den verbesserten Paulusbriefen (Röm, 1 Tim) zitiere und erwähnt Ep. 71 (398 n. Chr.), wo er behaupte, er habe das (ganze) NT mit dem griechischen Text in Übereinstimmung gebracht; vgl. Kaulen, Geschichte der Vulgata, 157–158; vgl. auch Hieronymus, Ep. 71,5 (BKV3 Zweite Reihe 18,

18 

 1 Hieronymus

Außerdem22tritt er in Kontakt mit den reichen, adeligen Frauen auf dem Aventin um die Witwe Marcella, wo er unter anderen auch Paula, die Ältere, und deren Tochter Eustochium kennen lernt.23 Die reiche Witwe Marcella betreibt in ihren Räumlichkeiten, lange bevor sie auf Hieronymus trifft, eine gemeinschaftliche intellektuelle Askese, d.h. die Aristokratinnen Roms trafen sich zu Bildungszwecken zur wissenschaftlichen Arbeit und Diskussion.24 Für diese Frauen ist ein Leben in einer gemäßigt asketischen Bewegung die bessere Lebensalternative zu einer Heirat. Gemäßigte Askese bedeutet, dass die harten Formen der östlichen Wüstenaskese in eine aristokratisch attraktive Form gebracht wurden: Die Frauen leben noch immer in ihrem Palast, aber zurückgezogen in einem Raum, oft in einer monastischen Gemeinschaft, sind bescheiden in Bezug auf Kleidung und Speise, verzichten auf Schminke, Schmuck und Alkohol und leben natürlich enthaltsam.25 Es sind zahlreiche hieronymianische Briefe erhalten, in denen Hieronymus diese Form der christlich-asketischen Spiritualität beschreibt und propagiert. Damit hat er die Form der „gemäßigten Askese“ maßgeblich mitgestaltet.26 Paula, die Ältere, und ihre Tochter Eustochium werden in den Briefen des Hieronymus zu Idealen weiblicher Askese stilisiert.27 Die Frauen um Hieronymus unterstützten diesen auch finanziell beim späteren Bau von Klöstern in Bethlehem sowie bei der Publikation seiner Bücher und Briefe und leisteten selbst – durch ihren Lebensstil – einen erheblichen Beitrag zur Verbreitung des asketischen Ideals.28 385 n. Chr. verlässt Hieronymus nach dem Tod des Damasus überstürzt Rom, wo er sich wegen seiner Sittenkritik, vor allem am nicht-asketisch lebenden Klerus, viele Feinde gemacht hat, und reist mit Paulinianus, dem Presbyter Vincentius aus Konstantinopel und einigen Mönchen aus Ostia nach Zypern, Antio-

381). Weitere Argumente dafür, dass Hieronymus das ganze NT übersetzt hat, finden sich bei: Chapman, St. Jerome and the Vulgate New Testament, 33. Dagegen spreche, dass diese Bücher keine Vorreden hätten und sich dieser Teil der Vg philologisch und stilistisch von den anderen abhebe; vgl. Schild, Abendländische Bibelvorreden bis zur Lutherzeit, 13–14. Gegen das philologische und stilistische Argument haben sich Hartmann und White geäußert; vgl. Hartmann, St. Jerome as an Exegete, 40; White, Vulgate (A Dictionary of the Bible), 874. Weitere Gegendarstellungen finden sich bei: Fürst, Hieronymus, 83; Thiele, Bibelübersetzungen II (RGG I.3), 1196–1197. 22 Vgl. Fürst, Hieronymus, 83–84. 23 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146. 24 Vgl. Fürst, Hieronymus, 53. 25 Vgl. Fürst, Hieronymus, 45.53. 26 Vgl. Fürst, Hieronymus, 43–46, 51. 27 Vgl. z.B. Ep. 127. 28 Vgl. Fürst, Hieronymus, 54.



1.1 Leben und Werke  

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chia, Palästina und Ägypten. Unterwegs stoßen auch Paula und Eustochium dazu. 386 n. Chr. lässt sich die Gruppe in Bethlehem nieder, baut mit Hilfe von Paulas Vermögen ein Männerkloster mit großer Bibliothek und ein Frauenkloster: Hieronymus wird Vorstand des Mönchsklosters und geistlicher Berater des Frauenklosters, an dessen Spitze Paula und nach deren Tod Eustochium steht.29 In Bethlehem ist die zweite Phase seiner Bibelübertragung anzusiedeln. Dort fertigt Hieronymus einen verbesserten altlateinischen Psalter auf der Grundlage der „Hexapla“ des Origenes an, den wegen der erstmaligen Einführung in Gallien so genannten Psalterium Gallicanum, und wahrscheinlich revidiert er auch die restlichen Bücher des AT nach der „Hexapla“, in jedem Fall aber die Bücher Hohelied und Hiob.30 In der dritten und wichtigsten Übertragungsphase von 390–405 n. Chr. verwendet Hieronymus für seine Übersetzung des AT den hebräischen Grundtext.31 Die Arbeit am Urtext sollte zu einem besseren Verständnis der Bibel beitragen ohne den Septuagintatext zu ersetzen, sorgte aber für starken Gegenwind, denn sein Unternehmen „konnte sogar unter den Verdacht rücken (…), Hieronymus wolle die inspirierte Septuaginta und damit das Fundament der christlichen Kirche durch den Text der Juden ablösen“32. Die mutmaßliche Reihenfolge der übersetzten Schriften beginnt mit den Büchern Samuel und Könige (vgl. Prologus galeatus), geht über zu den Propheten (spätestens 396 n. Chr.), Hiob (392/393 n. Chr.), Esra mit Nehemia und den Chroniken (395/396 n. Chr.).33 Von 398–406/407 n. Chr. übersetzt er die Psalmen, den Pentateuch um 400 n. Chr., Josua, Richter, Rut und Ester und die salomonischen Schriften.34 Die Bücher Proverbien, Kohelet und das Hohelied übersetzt er nach dem Vorwort zu den salomonischen Schriften in drei Tagen (vgl. Biblia Sacra Vulgata (hg. v. Weber/Gryson, 957). 405/6 n. Chr. übersetzt er Daniel, die Bücher Tobit und Judit spätestens bis 407 n. Chr.35 Nicht übersetzt hat Hieronymus die Bücher Baruch, Weisheit, Jesus Sirach, 1 und 2 Makkabäer.36 Von 393–397 n. Chr. gibt es eine Auseinandersetzung zwischen Hieronymus und Johannes von Jerusalem, der mit Rufin die Rechtgläubigkeit des Origenes verteidigt, wobei Hieronymus sogar 394 n. Chr. exkommuniziert wird, die Rekon-

29 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146. 30 Vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 170; Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 74. 31 Vgl. Fischer, Der Text des Alten Testaments, 171; Gribomont, Aux Origines de la Vulgate, 17. 32 Fischer, Der Text des Alten Testaments, 171. 33 Vgl. Fürst, Hieronymus, 85; Burke, The first versions, 86. 34 Vgl. Fürst, Hieronymus, 85; Burke, The first versions, 86. 35 Vgl. Fürst, Hieronymus, 87. 36 Vgl. Kieffer, Jerome, 668.

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 1 Hieronymus

zilierung erfolgt 397 n. Chr.37 Von 398–402 n. Chr. ist die Eskalation der Auseinandersetzung mit Rufin anzusiedeln, die in einer den Tod des Rufin (411/412 n. Chr.) überdauernden Verfeindung endet.38 398–399 n. Chr. übersetzt Rufin die „Prinzipien“ des Origenes, Hieronymus fertigt im Gegenzug eine Gegenübersetzung an.39 Die letzten Lebensjahre des Hieronymus in Bethlehem sind von politischer Unsicherheit und privaten Rückschlägen geprägt. 404  n.  Chr. stirbt Paula. 405 n. Chr. findet die Verwüstung Phöniziens und Galiläas durch Raubzüge der Isaurier statt, die auch Palästina bedrohen, 410 n. Chr. wird Rom durch die Westgoten unter Alarich erobert und geplündert und Marcella und Pammachius sterben.40 412 n. Chr. findet ein Barbareneinfall in Ägypten, Palästina, Phönizien und Syrien statt. 414–419  n.  Chr. wendet sich Hieronymus im Pelagianischen Streit gegen Pelagius und schließt im Zuge dessen 415 n. Chr. ein Bündnis mit Augustinus.41 Während eines Überfalls 416 n. Chr. auf das Kloster in Bethlehem rettet Hieronymus sich in den Wehrturm. 418 stirbt Eustochium, 419 n. Chr. Hieronymus.42

1.2 Hieronymus und die Witwen Während seiner Trierreise 367  n.  Chr. lernt Hieronymus das asketische Leben kennen und lebt es seitdem in verschiedenen Formen. Als er 382  n.  Chr. nach Rom kommt, erkennt er im klerikalen Leben ein Missverhältnis zwischen Reichtum und Einfluss und der ethischen Werteinstellung und kritisiert den aus seiner Sicht sittlichen Verfall aufs Schärfste:43 Mit seinen Briefen versucht er am asketischen Leben innerhalb des Klerikalismus festzuhalten und vorherrschende Missstände in der sittlichen Einstellung unter den Klerikern Roms einzudämmen (vgl. dazu Ep. 14, 52, 53, 58, 60, 125, 145, 147).44 So schreibt er 384 n. Chr. der römischen Aristokratenwitwe Marcella einen satirischen Brief gegen die Kleriker:

37 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146. 38 Vgl. Fürst, Hieronymus, 146–147. 39 Vgl. Fürst, Hieronymus, 147. 40 Vgl. Fürst, Hieronymus, 147. 41 Vgl. Fürst, Hieronymus, 147. 42 Vgl. Fürst, Hieronymus, 147. 43 Vgl. Fürst, Hieronymus, 43; Williams, The Monk and the Book, 49–62. 44 Vgl. dazu Fürst, Hieronymus, 43, 50–51.



1.2 Hieronymus und die Witwen 

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„[…] uolo in nummarios inuehi sacerdotes […]“ Hieronymus, Ep. 40,2 (CSEL 54, 309–311). „[…] Ich will gegen die geldgierigen Priester angehen […]“45.

Nach 406 n. Chr. schreibt er dem Mönch Rusticus nach Gallien: „[…] haec dicimus, ut prima te, fili Rustice, fronte doceamus, magna coepisse, excelsa sectari et adulescentiae, immo pubertatis, incentiua calcantem perfectae quidem aetatis gradum scandere, sed lubricum iter esse, per quod ingrederis […]“ Hieronymus, Ep. 125,1 (CSEL 56/1, 119–120). „[…] All dies sage ich, um Dich, mein Sohn Rusticus, von vornherein darauf hinzuweisen, daß Du ein wichtiges Werk unternommen hast und hohen Zielen zustrebst. Du willst die Lockungen der Jugend und der beginnenden Mannbarkeit bändigen und die hohe Stufe des vollkommenen Lebens ersteigen. Aber der Weg, den Du beschreitest, ist gefahrvoll […]“46.

„[…] nec aliorum imiteris exemplum, qui relinquunt suas et alienas appetunt, quorum dedecus in propatulo est sub nominibus pietatis quaerentium suspecta consortia. noui ego quasdam iam maturioris aetatis et plerasque generis libertini adulescentibus delectari et filios quaerere spiritales paulatimque pudore superato per ficta matrum nomina erumpere in licentiam maritalem. alii sorores uirgines deserunt et extraneis uiduis copulantur. sunt, quae oderunt suos et non suorum palpantur affectu, quarum inpatientia, index animi, nullam recipit excusationem et cassa inpudicitiae uelamenta quasi aranearum fila disrumpit. uideas nonnullos accinctis renibus, pulla tunica, barba prolixa a mulieribus non posse discedere, sub eodem conmanere tecto, simul inire conuiuia, ancillas iuuenes habere in ministerio et praeter uocabulum nuptiarum omnia esse matrimonii. nec culpa est nominis Christiani, si simulator religionis in uitio sit […]“ Hieronymus, Ep. 125,6 (CSEL 56/1, 123–124). „[…] Folge nicht dem Beispiel anderer, die Mutter und Schwestern verlassen und anderen Frauen nachlaufen. Ihre Schande liegt offen zutage, wenn sie auch unter einem religiösen Deckmantel verdächtige Gesellschaft aufsuchen. Ich weiß, daß manche Frauenspersonen reiferen Alters, meist von der lockeren Art, an jungen Männern ihr Gefallen haben und sie als geistige Söhne betreuen möchten. Nach und nach legen sie die Scheu ab, und die vermeintlichen Mütter gehen mit ihnen um wie mit Ehemännern. Andere verlassen ihre jungfräulichen Schwestern und suchen die Gesellschaft fremder Witwen. Es gibt solche, welche gegen ihre Angehörigen eine so große Abneigung zur Schau tragen, daß sie durch keinen Beweis von Zärtlichkeit zu mildern ist. Ihre Ungeduld, für die es keine Entschuldigung gibt, verrät ihre wahre Gesinnung und zerreißt wie ein Spinnengewebe den Schleier, hinter dem sich ihre Unsittlichkeit verbirgt. Du kannst mehr als einen kennenlernen, der die Lenden gürtet, mit dunklem Gewande und langem Barte daherkommt, aber sich nicht von den Frauen trennen kann, mit ihnen unter einem Dache haust, zusammen mit ihnen zu Schmausereien geht, sich von jungen Mädchen bedienen läßt, so daß, abgesehen vom

45 Hieronymus, Ep. 40,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 101); vgl. auch den 385 n. Chr. geschriebenen Brief an Asella, wo Hieronymus Stellung zu den Vorwürfen seiner Gegner bezieht; Hieronymus, Ep. 45,1–7 (CSEL 54, 323–328); Hieronymus, Ep. 45,1–7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 102–110). 46 Hieronymus, Ep. 125,1 (BKV2 Zweite Reihe 16, 217).

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rechtlichen Titel, eine wirkliche Ehe vorliegt. Aber daran ist nicht die christliche Religion schuld, wenn sie als Deckmantel des Lasters mißbraucht wird […]“47.

Parallel zu den Beobachtungen zum sittlichen Verfall unter den Klerikern Roms macht Hieronymus gleichzeitig die Bekanntschaft der auf dem Aventin ansässigen gemäßigt-asketisch lebenden Frauenzirkel, den so genannten feminae clarissimae, um die angesehene, reiche Witwe Marcella, Tochter der Albina, und damit zu einer genau gegenläufigen Bewegung.48 Als Hieronymus in Rom ankommt, wird er von dieser Gruppe aufgenommen. Er wird ihr geistiger Mentor und sucht im Zuge dessen sowohl mündlich als auch schriftlich in Briefen einen regelmäßigen Kontakt über Bibelauslegung und christlich-asketische Spiritualität mit dieser Gruppe.49 Hieronymus wird also nicht nur zum geistigen Oberhaupt ihrer Zirkel, die unabhängigen, sowohl des Griechischen und als auch des Lateinischen mächtigen, intellektuellen Frauen sind für ihn auch im Gegenzug würdige Gesprächspartnerinnen im intellektuellen Austausch.50 Zwischen ihm und einigen dieser Frauen werden tiefe Freundschaften entstehen, die Hieronymus zum Teil sein Leben lang begleiten werden.51 Vom regen Briefkontakt zwischen Hieronymus und den Frauen ist von den Briefen der Frauen kaum eine Zeile überliefert. Aus der Existenz der hieronymianischen Briefe geht allerdings hervor, dass es auch Fragen- bzw. Antwortbriefe von Seiten der Frauen gegeben haben muss. Die Briefe des Hieronymus geben Einblicke in das Leben von einigen

47 Hieronymus, Ep. 125,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 220–221). 48 Vgl. Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 70; Heine, Die Spiritualität von Asketinnen, 73. 49 Vgl. dazu Fürst, Hieronymus, 52–55. 50 Vgl. Krause, Witwen und Waisen im römischen Reich I, 192–193; Steininger, Die ideale christliche Frau, 62–63; Fürst, Hieronymus, 54–55. Paula, Eustochium und Blesilla wurden wohl auch von Hieronymus an das Hebräische herangeführt; vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 167. 51 Die Freundschaften zu diesen Frauen stehen in scheinbarem Widerspruch zu abwertenden Bemerkungen in Bezug auf die Frau, wie sie sich in den schriftlichen Überlieferungen des Hieronymus immer wieder finden. Vgl. z.B. „[…] requisivit anima mea, an recta mulier inveniatur. Et cum vix paucos de viris bonos invenerim, ita ut de mille unus potuerit inveniri, mulierem bonam omnino invenire non potui. Omnes enim me non ad virtutem, sed ad luxuriam deduxerunt (Hieronymus, comm. in Eccl. 7,28f.). […] ich suchte, ob eine rechtschaffende Frau zu finden sei. Und obwohl ich auch kaum wenige Gute unter den Männern fand, so dass unter Tausend ein einziger gefunden werden konnte, vermochte ich überhaupt keine gute Frau zu finden. Denn alle führten mich nicht zur Tugend hin, sondern zur Ausschweifung“; Feichtinger, Paula, Eustochium und Blesilla und die mulier amarior morte, 192. Nach Feichtinger seien die asketisch lebenden Frauen von dieser Einschätzung ausgenommen; vgl. Feichtinger, Paula, Eustochium und Blesilla und die mulier amarior morte, 204–205.



1.2 Hieronymus und die Witwen 

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dieser Frauen, wobei freilich die überlieferte hieronymianische Perspektive von der tatsächlichen der Frauen unterschieden werden muss. Die dem römischen Hochadel entstammende Marcella ist nur sieben Monate nach ihrer Hochzeit Witwe geworden und hat danach gegen die römische Gepflogenheit und den Willen ihrer Mutter beschlossen, trotz eines ökonomisch interessanten Bewerbers, des Konsuls Cerealis, ein asketisches Leben in Witwenschaft zu führen.52 Marcella versammelt in ihren Räumen christliche, reiche, höchst gebildete römische Aristokratinnen zum Bibelstudium und zu wissenschaftlichen Diskussionen. Bereits vor der Bekanntschaft mit Hieronymus hat sie in dieser Gemeinschaft auch eine gemäßigte Art des asketischen Lebens etabliert. Ihr gelingt es, einerseits die traditionelle römische Muße mit asketischen Vorstellungen zu verbinden und andererseits die rauen Formen der Askese, in eine für die adeligen Damen tragbare Form umzuwandeln, so dass sie spätantike Aristokratie und asketisches Christentum auf erfolgreiche Weise vereint.53 Sie soll eine der ersten römischen Aristokratinnen gewesen sein, die sich dem asketischen Leben verschrieben hat.54 Die Askese, die angestrebt werden soll, meint damit gerade nicht die der östlichen Wüstenaskese, die eine völlige Selbstkasteiung bedeutet, sondern eine solche, die sich mit aristokratischen Lebensgewohnheiten, Verhaltensweisen und Standesbewusstsein vereinbaren lässt. Dadurch wird die asketische Lebensweise für die römische Aristokratie zur Möglichkeit, deren ohnehin vorhandenes Überlegenheitsgefühl auf eine neue Ebene zu heben,55 und damit zu einer erstrebenswerten, „modernen“ Form des Lebens. Hieronymus propagiert diese Lebensform innerhalb der römischen Aristokratie, indem er sie als exklusives und elitäres Privileg anpreist und sie in ihrer gemäßigten Form maßgeblich mit gestaltet.56 Auch in Bezug auf sich selbst ist Hieronymus Anhänger des gemäßigt asketischen Ideals: Um 367 n. Chr. schließt er sich erstmals einer asketischen Gemeinschaft in Aquileja um den späteren Bischof Chromatius an, seine zweite asketische Erfahrung erlebt er zwischen 375–377 n. Chr. auf dem Landgut Maronia am Rande der syrischen Wüste auf der Straße nach Chalkis und die dritte nach 386 n. Chr. in Bethlehem, wo er bis zum

52 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 169. Eine ausführliche Darstellung zu Marcella und ihrem Leben findet sich bei Letsch-Brunner, Marcella (1998). 53 Vgl. Fürst, Hieronymus, 43–44, 52–53. 54 Asella soll sich indes bereits im Alter von zehn Jahren 344 n. Chr. dem Witwenstand geweiht haben: Zur These und Diskussion vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 156; Feichtinger, Apostolae apostolorum, 171. 55 Vgl. Fürst, Hieronymus, 45. 56 Vgl. Fürst, Hieronymus, 46–47; Mit ausführlicher Analyse des Epitaphium sanctae Paulae, Uytfanghe, Biographie II (RAC), 1251–1257.

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 1 Hieronymus

Ende seines Lebens bleibt.57 Dabei muss man sich auch dieses asketische Leben nicht als einsames Eremitendasein vorstellen, wie Hieronymus es teilweise suggeriert hat,58 sondern als Rückzug in Gemeinschaft zum Beten und zu theologischer Arbeit.59 Möglicherweise ist nicht nur der christliche Glaube Beweggrund für Marcella, ein asketisches Leben zu führen und diese Lebensweise zu verbreiten, wie man aus den Lobesbriefen des Hieronymus schließen könnte, denn dieses Leben hat auch ganz praktische Vorteile: So ermöglicht es der reichen, intellektuellen und von einem Mann unabhängigen Frau eine Selbstständigkeit und Freiheit, die sie in einer Ehe nie gehabt hätte.60 An Marcella sind die meisten hieronymianischen Briefe gerichtet, die von großer Verehrung Marcellas und ihrer Lebensweise durch Hieronymus zeugen (vgl. Ep. 23, 27, 24, 32, 37, 38, 40, 41, 43, 44, 46; über das Leben Marcellas Ep. 127). Im asketischen Kreis Marcellas trifft Hieronymus auf die Witwe Paula, die Ältere, und ihre Tochter Eustochium. Neben Marcella lobt er in seinen Briefen auch Paula (vgl. Ep. 33, 39; über das Leben der Paula Ep. 108) und die in Keuschheit lebende Jungfrau Eustochium (vgl. vor allem die außerordentlich ausführlichen Ep. 22 sowie Ep. 31) immer wieder als vorbildhaft. Die ebenfalls einer bedeutenden römischen Adelsfamilie entstammende Paula begleitet Hieronymus über zwanzig Jahre lang und steht ihm vielleicht am nächsten.61 Sie hat fünf Kinder: Blesilla, Paulina, Eustochium, Rufina und Toxotius.62 Nach der Geburt ihres letzten Kindes lebt sie in ehelicher Enthaltsamkeit, als ihr Mann Toxotius 381 n. Chr. stirbt, weiht Paula, noch ehe sie Hieronymus ein Jahr später kennen lernen wird, im Alter von etwa dreißig Jahren Gott ihren Witwenstand, lebt mit ihren Töchtern und Sklavinnen in einer Virginitätsgemeinschaft und spendet ihr Vermögen für karitative Zwecke.63 Unter den Briefen des Hieronymus ist Ep. 22 besonders erwähnenswert, die zwar explizit an Eustochium gerichtet ist, wohl aber einem breiteren Rezipien-

57 Vgl. Fürst, Hieronymus, 48–50. 58 Vgl. Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 153) in Idt 8,6; Fürst, Hieronymus, 48. 59 Vgl. Fürst, Hieronymus, 48–50. 60 Vgl. auch Feichtinger, Apostolae apostolorum, 243–245. 61 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 177. 62 Paulina heiratet Pammachius, einen Cousin Marcellas und einen Freund des Hieronymus. Nach ihrem kinderlosen Tod im Alter von nur dreißig Jahren, der wohl nicht zuletzt zahlreichen Fehlgeburten und dem gesellschaftlichen Druck der Kinderzeugung geschuldet ist, wird Pammachius im Jahr 396 oder 397  n.  Chr. als erster römischer Senator Mönch; vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 225–226. 63 Vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 155.



1.2 Hieronymus und die Witwen 

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tenkreis zur Verfügung stand. Darin beschreibt Hieronymus Eustochium, die als Einzige von Paulas Kindern seit frühster Jugend das Keuschheitsgelübde abgelegt hat, wie und mit welchen Methoden sie dieses einhalten könne. Auch Iulia Eustochium steht Hieronymus sehr nahe, verbringt sie doch etwa vierzig Jahre – erst in Rom, dann in Bethlehem – in seiner Nähe, wo sie nach ihrer Mutter Tod die Leitung des Frauenklosters übernimmt. Die Paulatochter Blaesilla hingegen wendet sich nach ihre Ehe mit dem adeligen Römer Furius, dem Bruder der vermögenden Witwe Furia, die mit Pammachius verwandt ist, zunächst einem ausschweifenden Leben zu, wofür sie auch von Hieronymus scharf kritisiert wird (ein Brief soll sie von einer zweiten Ehe abhalten; vgl. Ep. 54), bevor sie sich nach einem heftigen Fieber etwa 384 n. Chr. dem asketischen Leben im Alter von zwanzig Jahren anschließt (vgl. Ep. 38 an Marcella).64 Blesilla stirbt aber nur vier Monate, nachdem sie das Gelübde abgelegt hat, an einer weiteren Krankheit.65 Im antiasketisch eingestellten Teil Roms sieht man das strenge Fasten als Grund für Blesillas Tod an, nicht zuletzt wegen des Aufruhrs, der in Folge dessen entsteht, muss Hieronymus Rom verlassen.66 Anlässlich ihrer Virginitätsweihe 412/413 n. Chr. durch Bischof Aurelius von Karthago schickt Hieronymus Demetrias, die der mächtigen römischen Senatsfamilie der Anicii-Probi entstammt und die um 400 n. Chr. geboren ist, einen Brief (Ep. 130), in dem er ihr neben dem Lob für ihren Entschluss auch Ratschläge für die asketische Lebensweise zukommen lässt – nicht nur ihre Herkunft, sondern auch ihre Mitgift waren als werbewirksames Mittel der asketischen Bewegung geeignet, um in der Öffentlichkeit Aufsehen zu erregen.67 Hieronymus schreibt 400 n. Chr. einen Brief an Laeta (Ep. 107), die Tochter des Publius Ceionius Caecina Albinus, über die christlich asketische Erziehung. Ohne Einverständnis ihres Mannes Toxotius, dem Sohn der Paula, beschließt Laeta die gemeinsame Tochter Paula, die Jüngere, die also nicht nur mit Marcella, sondern auch mit Paula, der Älteren, und Eustochium verwandt ist, noch vor ihrer Geburt dem Jungfrauenstand zu weihen.68 Paula, die Jüngere, wird sich von 416–419 n. Chr. bei Hieronymus in Bethlehem aufhalten und möglicherweise nach Eustochiums Tod die Leitung des Klosters übernehmen.69 Einen ähnlichen

64 Vgl. Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 165–167. 65 Vgl. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis, 164; Feichtinger, Apostolae apostolorum, 223–224. 66 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 224. 67 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 217–219; Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 69, 170–176. 68 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 220. 69 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 221.

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 1 Hieronymus

Brief (Ep. 128) richtet Hieronymus auch an Gaudentius, den Vater der Pacatula, die 413  n.  Chr. von ihren Eltern zur Jungfräulichkeit bestimmt wird.70 Sowohl Paula, die Jüngere, als auch Pacatula treffen nicht mehr selbst die Entscheidung, ein jungfräuliches Leben zu führen. Von den Kämpfen um Anerkennung, die zuvor von den Asketinnen geführt werden mussten, ist für sie nichts mehr zu spüren, die Askese bereits eine „hochgelobte Selbstverständlichkeit“71. Auch Furia entstammt einer bedeutenden römischen Adelsfamilie. An sie ist Ep. 54 gerichtet, ein Brief, der mit liber überschrieben ist und nicht nur Informationen über Furia enthält, sondern auch „christliche moralische Traktate“72 und daher für eine breite Öffentlichkeit konzipiert ist. Darin entfaltet Hieronymus Geruchia, die dem gallischen Adel entstammt (Ep. 123), und einer namenlosen Witwe in Gallien (Ep. 117), Argumente gegen eine Wiederverheiratung und Verhaltensregeln für die ideale Witwe.73 Ähnliches formuliert er auch in dem Witwenbrief an Salvina (Ep. 79), die Tochter des Königs Gildo von Mauretanien. Ep. 79 bezeugt auch den regional weitreichenden Einfluss des Hieronymus.74 Hieronymus propagiert in diesen Briefen das asketische Leben, ähnlich dem, wie es Marcella bereits etabliert hat. Am bedeutsamsten ist ihm – nach seinen Schriften zu urteilen – das Einhalten des Keuschheitsgelübdes durch Jungfrauen und in zweiter Linie der fortwährende Witwenstand.75 Wie dieses Virginitätsideal einzuhalten sei, beschreibt Hieronymus unter anderem in Ep. 22 ausführlich. Dazu gehören strenges Fasten, Verzicht auf heiße Bäder und die Teilnahme an üppigen Gastmählern und anderen gesellschaftlichen Ereignissen, bei denen die in Keuschheit lebenden Frauen männlicher Gegenwart ausgesetzt sind, – besser sei es, dass die Frauen sich in gleichgesinnter Gesellschaft aufhielten – Verzicht auf prunkvolle Kleidung, Schmuck und Reichtum. Hieronymus empfiehlt statt dessen ein bescheidenes, zurückgezogenes Leben bei Gebet und Bibellektüre. Vorhandene Reichtümer sollten gespendet werden. Dass Hieronymus sich lange Zeit mit diesem Thema beschäftigt hat, zeigen auch die Datierungen seiner Briefe. Krumeich zeigt auf, dass die zahlreichen, die Keuschheit proklamierenden literarischen Vorbilder aus römischer und auch griechischer Geschichte sowie alt. und ntl. Literatur, die Hieronymus in seinen Briefen lobend hervorhebt, dazu

70 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 221. 71 Feichtinger, Apostolae apostolorum, 221. 72 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 199. 73 Vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 203. 74 Vgl. Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 167. 75 Nach Feichtinger widmet er sein ganzes Leben und sämtliche seiner Schriften der Verkündigung und Verteidigung des christlichen Virginitätsideals, um dieses in der spätantiken Gesellschaft zu etablieren; vgl. Feichtinger, Apostolae apostolorum, 13, 24.



1.2 Hieronymus und die Witwen 

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dienen, den römisch reichen Asketinnen zu zeigen, dass das Keuschheitsgelübde keineswegs ein moderner Gedanke ist, sondern seit jeher, faktisch als lex naturalis gilt.76 Dass auch die Erbauung (aedificatio) ein Ziel hieronymianischer Schriften war, beweisen zahlreiche für die Öffentlichkeit bestimmte und erhaltene Briefe, in denen der Kirchenvater gerade Frauen Ratschläge zur sittlichen Erbauung erteilt (vgl. Ep. 22, 54, 79, 107, 108, 130, 49,18, 130,19 etc.).77 Die Freundschaft zu den Frauen hat für Hieronymus allerdings auch ganz handfeste, praktische Gründe. So ruft der Kirchenvater vielfach zu großzügigen Spenden auf: „[…] cui dimittis tantas diuitias? Christo, qui mori non potest. quem habebis heredem? ipsum, quem et dominum. contristabitur pater, sed laetabitur Christus; lugebit familia, sed angeli gratulabuntur. faciat pater, quod uult, de substantia sua: non es eius, cui nata es, sed cui renata et qui te grandi pretio redemit, sanguine suo“ Hieronymus, Ep. 54,4 (CSEL 54, 469–470). „[…] Wem sollst Du denn Deinen großen Reichtum hinterlassen? Christo, der nicht sterben kann. Wer wird Dein Erbe sein? Er, der auch Dein Herr ist. Mag der Vater darüber traurig sein, Christus wird sich freuen. Deine Familie wird untröstlich sein, aber die Engel werden Dich beglückwünschen. Mag Dein Vater mit seinem Vermögen tun, was er will. Du gehörst nicht dem an, dem Du geboren, sondern ihm, für den Du wiedergeboren wurdest und der Dich um ein hohes Lösegeld, sein Blut nämlich, zurückgekauft hat“78.

Ähnliches legt er 400 n. Chr. dem reichen Grundbesitzer Iulian aus Dalmatien in Ep 118,4 nahe:79 „[…] uade, inquit, et uende, non partem substantiae, sed uniuersae, quae possides, et da non amicis, non consanguineis, non propinquis, non uxori, non liberis – plus aliquid addam: nihil tibi ob metum inopiae reseruaris, ne cum Anania damneris et Sapphira – sed da cuncta pauperibus et fac tibi amicos de iniquo mamona, qui te recipiant in aeterna tabernacula, ut me sequaris, ut dominum mundi in possessione habeas, ut possis canere cum propheta: pars mea dominus, ut uerus Leuita nihil de terrae hereditate possideas […]“ Hieronymus, Ep. 118,4 (CSEL 54, 439–440). „[…] ‚Gehe hin und verkaufe alles, was du hast – nicht etwa nur einen Teil deines Vermögens –, und verschenke es, nicht an die Verwandten oder Freunde, an die Gattin oder die Kinder.‘ Ich will noch ein Weiteres hinzufügen: ‚Behalte auch nicht etwas für Dich zurück für den Fall der Not, damit Du nicht wie Ananias und Saphira verurteilt wirst. Gib alles den Armen und schaffe Dir mit dem ungerechten Mammon Freunde, die Dich in die ewigen Wohnungen aufnehmen! So wirst Du mir nachfolgen, den Herrn der Welt zum Besitztum

76 Vgl. Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 336–337. 77 Vgl. Feichtinger, Apostolae Apostolorum, 25. 78 Hieronymus, Ep. 54,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 142–143). 79 Weitere Beispiele finden sich bei Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 279–281.

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 1 Hieronymus

haben und mit dem Propheten wirst Du singen können: Der Herr ist mein Anteil!‘ Als echter Levit sollst Du von der irdischen Erbschaft ausgeschlossen sein […]“80.

Vor allem Paula und Eustochium unterstützen Hieronymus nicht nur durch ihr Leben in Askese, sondern finanzieren auch aktiv seine Schriften und Publikationen und sorgen so für die Verbreitung dieser Werte und Ziele. Nachdem sich Hieronymus 386 n. Chr. in Bethlehem niedergelassen hat, baut er mit Hilfe von Paulas Vermögen ein Männerkloster mit großer Bibliothek, dem er selbst vorsteht, und ein Frauenkloster, dem erst Paula und dann nach deren Tod Eustochium vorsteht (vgl. Hieronymus, Ep. 108,20 [CSEL 55, 334–336]).81 Insofern kam eine Verbreitung des asketischen Ideals sicherlich nicht zuletzt auch seinen eigenen, persönlichen Interessen zu Gute. Paula und Eustochium bleiben bis zu ihrem Tod in enger Verbundenheit mit dem Kirchenvater. Der Reichtum der Frauen und die finanzielle Unterstützung der hieronymianischen Projekte bringen diesen in nicht zu unterschätzendem Maße beruflich voran. Die Freundschaft zu diesen spendenfreudigen Frauen hat demnach vor allem auch einen großen persönlichen Vorteil für den Kirchenvater.82 Doch kann seine eigene asketische Lebensweise als Beweis dafür gelten, dass ihn nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern vor allem auch innere Überzeugungen bei der Propagierung dieses Ideals geleitet haben. Ferner darf nicht angenommen werden, dass diese Frauen alles nur im Interesse des Hieronymus tun, bringt doch das asketische Leben für diese aus gesellschaftlicher Sicht zunächst einmal große Nachteile mit sich. Denn eine praktische Folge des Keuschheitsgelübdes ist für diejenigen Frauen, die es abgelegt haben, gerade in den Anfängen der Asketisierung eine Distanzierung von den eigenen familiären Bindungen: Die Familien reagieren oft mit mit großer Ablehnung und Unverständnis, weshalb die Asketin viel Mut, Kraft und Durchhaltevermögen aufbringen muss.83 Die Frauen müssen sich gegen Widerstände aus ihren Familien und Ablehnung durch ihre Lebensumwelt durchsetzen und sich mit Rigorismus und Heroismus selbstständige und machtvolle Stellungen als Klosteraufseherinnen erkämpfen,84 so dass Krumeich sie zu Recht als „exzeptionelle

80 Hieronymus, Ep. 118,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 73). 81 Vgl. Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 108, 300, 303. 82 Auch Rufins Projekte wurden von einem weiblichen Lesendenkreis der römischen Aristokratie unterstützt. Zur Liste der GönnerInnen der jeweiligen Übersetzer; vgl. Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 61–67; Fürst, Hieronymus, 54. 83 Vgl. Fürst, Hieronymus, 50. 84 Vgl. auch Siquans, Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption, 494–495.



1.2 Hieronymus und die Witwen 

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Frauengestalten“85 bezeichnet. Ist die unabhängige Stellung erkämpft, zeigt sich der Vorteil der asketischen Lebensweise für diese Frauen, die dadurch nicht länger patriarchalen Machtstrukturen seitens ihrer Familien oder Ehemänner unterworfen sind. Die von Hieronymus in diesem Zusammenhang vielfach geäußerten Abwertungen von Ehe und Familie sowie seine Kritik am nicht asketisch lebenden Klerus bringen ihm so viele Feinde, dass er Rom nach dem Tod seines Gönners Damasus im Dezember 384 n. Chr. schon im August 385 n. Chr. verlassen muss.86 Trotz aller auch in Briefen bekundeten Wertschätzung und obwohl es Paula und Eustochium schaffen, Klosteraufseherinnen des Bethlehemer Frauenklosters zu werden, bleibt den Frauen – auch nach Ansicht des Hieronymus – grundsätzlich der Zugang zu kirchlichen Ämtern in der kirchlichen Ämterstruktur verwehrt.87 Ihnen soll nach wie vor bloß eine karitative Tätigkeit obliegen.88 Ein Aufbrechen der patriarchalen Kirchenhierarchie ist durch die feminae clarissimae demnach nicht gegeben. Fürst merkt zudem kritisch an, dass Frauen wie Marcella, Paula und Eustochium von Hieronymus zwar als Vertreterinnen des Asketentums, als Mäzene und als Brief- und Gesprächspartnerinnen sehr geschätzt werden, dieses Frauenbild aber auf „Vermännlichung“ hinauslaufe.89 Die feminae clarissimae sind nicht nur direkt angesprochene Adressatinnen von Briefen. Hieronymus widmet ihnen unter anderen auch diverse Übersetzungen und nennt sie direkt in den Vorwörtern seiner Werke, allen voran Marcella (mit Pammachius Traktat: Gegen Rufinus, 401/402 n. Chr.), Paula und Eustochium.90 Daneben werden auch bestimmte Kleriker in den hieronymianischen prologi genannt. Übersicht über die Übersetzungen mit Entstehungsjahr und Adressat:91 –– 383 n. Chr.: NT (Damasus) –– 386/391 n. Chr.: Septuaginta (Hexapla-Fassung): –– 1 und 2 Chr (Domnio und Rogatianus) –– Hiob (Paula und Eustochium) –– Ps (Paula und Eustochium)

85 Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 302. 86 Vgl. Krause, Witwen und Waisen im römischen Reich IV, 78–79; Fürst, Hieronymus, 49, 52–53. 87 Vgl. Fürst, Hieronymus, 54. 88 Vgl. Fürst, Hieronymus, 54. 89 Vgl. Fürst, Hieronymus, 54. 90 Vgl. Krause, Jens-Uwe, Witwen und Waisen im römischen Reich IV, 78–79. 91 Vgl. dazu Fürst, Hieronymus, 86–87.

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––

 1 Hieronymus

–– Spr (Paula und Eustochium) –– Koh (Paula und Eustochium) –– Hld (Paula und Eustochium) 390–396/398–406/407 n. Chr. AT (Vulgata): –– 1 und 2 Sam, 1 und 2 Kön (Paula und Eustochium) –– Jes (Paula und Eustochium) –– Jer (niemand) –– Ez (niemand) –– Dan (Paula und Eustochium) –– Zwölfprophetenbuch (Paula und Eustochium) –– Hiob (niemand) –– Esra und Neh (Domnio und Rogatianus) –– 1 und 2 Chr (Chromatius) –– Sprichwörter, Koh, Hld (Chromatius und Heliodorus) –– Ps (Sophronius) –– Pentateuch (Desiderius) –– Est (Paula und Eustochium) –– Jos, Ri, Rut (Eustochium und Pammachius) –– Tob (Chromatius und Heliodorus) –– Jdt (wohl Chromatius und Heliodorus)

Zwar spricht Hieronymus bestimmte Personen der gebildeten Oberschicht in den prologi seiner Übersetzungen immer wieder direkt an.92 Diese dürfen aber keineswegs als einzige Adressaten seiner Übersetzungen gelten. Wenn in den Prologen namentlich Adressaten genannt werden, handelt es sich dabei um die Mäzene des jeweiligen Werkes, die Hieronymus (wohl) aus ideellen Gründen unterstützen wollten. Auch die antike Tradition der „Widmung“ spricht dafür, dass sich derartige Vorworte und die zugehörigen Werke nicht ausschließlich an einen privaten Kreis, sondern darüber hinaus an einen breiten Lesendenkreis, ein bestimmtes Publikum wenden, auf dessen Bedürfnisse der Übersetzende eingeht.93 Dass sich Hieronymus dieser Tradition bewusst war, geht aus dem prologus galeatus hervor, der zunächst an Paula und Eustochium gerichtet ist, und später an einen männlichen lector in der dritten Person Singular (Z. 58–73, prologus galeatus, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 365–366).94

92 Eine Übersicht dazu vgl. Fürst, Hieronymus, 87. 93 Vgl. dazu ausführlich Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 47. 94 Vgl. Fürst, Hieronymus, 267–268; Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 377.



1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen 

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1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen Es ist vor allem seine Sprachkompetenz, die Hieronymus neben seinem Gegner Rufinus von Aquileja, zum führenden Übersetzer seiner Zeit macht – seine Beherrschung der hebräischen Sprache neben der griechischen und lateinischen. Doch werden die Übersetzungen des Hieronymus nicht nur positiv aufgenommen. Vielmehr sind sie vielfach der Kritik ausgesetzt.95 Diese begründet sich in der vom Kirchenvater proklamierten Hebraica veritas, nach der Hieronymus seine Übersetzungen erstmals aus dem hebräischen Urtext und nicht wie bisher, basierend auf der LXX und der Vetus Latina anfertigt. Aufgrund dieser Übersetzungsweise werfen ihm seine Gegner vor, dass er den bewährten LXX-Text verbessere, sie sehen darin einen Eingriff in den ihn bestens geläufigen Heiligen Text.96 Auch wird die Notwendigkeit nicht gesehen, für die lateinische Übersetzung den griechischen Text durch den Hebräischen zu ersetzen, gerade weil auch schon die Apostel den griechischen Text verwendeten.97 Ein weiterer Grund ist, dass die sich am hebräischen Text orientierende Übersetzung von allen, die des Hebräischen nicht mächtig seien, geglaubt werden müsse, da niemand in der Lage sei, sie zu überprüfen.98 Infolge solcher Anfeindungen sieht sich Hieronymus mehrfach gezwungen, seine Arbeiten zu verteidigen und seine Übersetzungstechnik selbst zu kommentieren. Unter seinen Äußerungen zu diesem Thema findet sich freilich keine vollständige Abhandlung. Selbst in dem Brief mit der Überschrift „Buch über die beste Art des Übersetzens“ (Ep. 57) findet sich Derartiges nicht. Stattdessen zeigen die hieronymianischen Bemerkungen zu seinen eigenen Übersetzungen ambivalente, zum Teil widersprüchliche Tendenzen, die sich auch in den Werken selbst zeigen.99

95 Vgl. auch Birnbaum, Wenn ein Heiliger übersetzt, 15, 17–18. 96 Im Prolog zum Pentateuch fasst Hieronymus um 400 n. Chr. diesen Vorwurf so zusammen: „Das ist sicher eine gefährliche Arbeit, ausgesetzt dem Gekläff der Kritiker, die mir vorwerfen, zur Verhöhnung der siebzig Übersetzer würde ich Neues an die Stelle von Altem setzen und auf diese Weise Können prüfen wie Wein […].“ Fürst, Hieronymus, 266. Zum lateinischen Text vgl. prologus sancti Hieronymi in libro regum, Biblia Sacra Vulgata (hg. v. Weber/Gryson, 3). Vgl. dazu auch Wendland, Zur ältesten Geschichte der Bibel in der Kirche, 281; Ziegler, Die lateinischen Bibelübersetzungen vor Hieronymus und die Itala des Augustinus, 12. 97 So in Augustinus, De doctrina christiana 2,15,22 (Vogels, 29–30); Augustinus, Die christliche Bildung (Pollmann, 64). 98 So Augustinus, Ep. 104,4 (CCL 31b, 39); vgl. Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 75–77. 99 Vgl. auch Fürst, Hieronymus, 88.

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 1 Hieronymus

Hieronymus ist es grundsätzlich ein Anliegen, die durch, wie er schreibt, unfähige Übersetzer und unaufmerksame Abschreiber entstandene Verschiedenartigkeit der Vetus Latina in einer eigenen Übersetzung zu beseitigen und dadurch dem Urtext so nahe wie möglich zu kommen. Der Kirchenvater übersetzt darum aus der hebräischen bzw. griechischen Originalsprache und vergleicht nicht, wie es der üblichen Praxis entsprach, bloß Varianten miteinander: Die veritas sei nicht durch varietas der Schriften zu finden.100 Von den drei speziellen Übersetzungszielen der Antike, der Erbauung des Gemüts und der Moralität (aedificatio), der Polemik gegen die Häretiker (contentio) und der Belehrung der Gelehrten (canon veritatis)101, dienten die Schriften und Übersetzungen des Hieronymus, so Marti, mithin, neben dem zweiten, vor allem dem zuletzt genannten Ziel. Hieronymus schreibt dazu ausführlich in seinem Vorwort zu den Evangelien: „Ein Fälscher wird man schreien, sei ich, ein Frevler, da ich es wage, in den alten Büchern etwas hinzuzufügen, zu ändern, zu verbessern! Gegen solche Missgunst tröstet mich zweierlei: Die Anweisung zu diesem Werk kommt von dir, dem obersten Bischof; und: Auch diejenigen, die schimpfen, geben zu, dass ein uneinheitlicher Text nicht in Ordnung ist. Denn wenn sie sagen, man solle sich auf die lateinischen Ausgaben verlassen, dann sollen sie dazusagen, auf welche! Es gibt ihrer beinahe so viele, wie es Handschriften gibt. Wenn aber der richtige Text aus mehreren Fassungen zu eruieren ist, warum greifen wir dann nicht auf den Originaltext zurück und korrigieren, was von schlechten Übersetzern fehlerhaft wiedergegeben, von Dilettanten, die sich selbst überschätzten, verschlimmbessert oder von unaufmerksamen Abschreibern hinzugefügt oder verändert worden ist?“102 (zum lateinischen Text vgl: praefatio sancti Hieronymi presbyteri in Evangelio, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 1515).

Vom Fall der Evangelien unterscheidet Hieronymus 383 n. Chr. noch den des AT. Denn die Vetus Latina ist wiederum an einer Übersetzung, der LXX, orientiert: „Ich rede freilich nicht vom Alten Testament, das von den Siebzig Ältesten in die griechische Sprache übersetzt wurde und bereits auf der dritten Stufe zu uns gelangte.“103

Nur (etwa) sieben Jahre später wird Hieronymus die LXX dann ganz offen als fehlerhaft kritisieren und dafür plädieren, auch für die Übersetzung des AT den hebräischen Originaltext zu verwenden. Er schreibt (wohl) 390 n. Chr. im prologus galeatus:

100 Vgl. Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 59–60. 101 Vgl. Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 53–61. 102 Fürst, Hieronymus, 266; vgl. auch Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 77. 103 Fürst, Hieronymus, 266; vgl. auch Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 78.



1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen 

 33

„Lies also als erstes meine Samuel- und Königsbücher! Meine, sage ich, meine! Denn was wir uns durch wiederholtes Übersetzen und sehr sorgsames Verbessern angeeignet haben und was wir besitzen, das gehört uns. Und wenn du etwas lernst, was du zuvor nicht gewusst hast, sollst du mich entweder für einen Übersetzer halten, wenn du mir freundlich gesonnen bist, oder, weniger freundlich, für einen Paraphrasierer, obwohl ich mir überhaupt nicht bewusst bin, dass ich irgendetwas an der Wahrheit des Hebräischen (Hebraica veritas) geändert hätte. Wenn du das freilich nicht glauben magst, dann lies griechische und lateinische Handschriften und vergleiche sie mit diesen kleinen Werken, und wo immer du siehst, dass sie untereinander differieren, frage irgendeinen Hebräer, dem du mehr Vertrauen schenken musst, und wenn er unsere Lesarten bestätigt, glaube ich, dass du ihn nicht bloß für einen Wahrsager halten wirst, der an derselben Stelle einen ähnlichen Text wie ich vermutet.“104 (zum lateinischen Text vgl: prologus sancti Hieronymi in libro regum, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 365).

Im um 400  n.  Chr. verfassten Prolog zum Pentateuch findet Hieronymus noch schärfere Worte zur Verteidigung seiner Übersetzung aus dem Hebräischen. Die Mängel in der LXX werden den Übersetzern zur Last gelegt, die, weil diese Juden seien, trinitarische Elemente bewusst änderten bzw. strichen oder ungenau formulierten, was sie nicht genau verstanden hatten, weil sie vor Christi Ankunft lebten:105 „Wo immer die Schrift etwas Heiliges vom Vater und vom Sohn und vom Heiligen Geist bezeugt, haben sie die Stelle deshalb entweder anders übersetzt oder gleich ganz ausgelassen, um dem König einen Gefallen zu tun und das Geheimnis des Glaubens nicht unter die Leute zu bringen […] Jene fertigten die Übersetzung vor der Ankunft Christi an, und was sie (noch) nicht verstanden haben, formulierten sie mit ungenauen Ausdrücken“106.

Dass das hieronymianische Verständnis seiner eigenen Übersetzungen von ihm selbst, seiner Geschichte und der Gesamtheit seiner Erfahrungen und damit auch seiner christlich und römisch geprägten Lebensumwelt abhängig ist, thematisiert er indes nicht.107 Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Hieronymus als christlicher Theologe übersetzt und sich auch über die hebräische Textvorlage hinweggesetzt hat, findet sich in Jes 7,14 Vg, wo Hieronymus durch die Wahl des Wortes virgo „Jungfrau“ der LXX-Fassung und nicht der hebräischen Vorlage folgt, in der nur von einer „jungen Frau“ die Rede ist.108 Dazu bemerkt er in seiner dogmati-

104 Fürst, Hieronymus, 268; vgl. auch Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 78. 105 Polemische Bemerkungen gegen die Juden finden sich auch in Ep. 121; vgl. dazu Hennings, Rabbinisches und Antijüdisches bei Hieronymus Ep. 121,10, 49–71. 106 Fürst, Hieronymus, 266. Zum lateinischen Text vgl. prologus sancti Hieronymi in libro regum, Biblia Sacra Vulgata (hg. v. Weber/Gryson, 4). 107 Vgl. Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 80. 108 Vgl. auch Fürst, Hieronymus, 108–109.

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 1 Hieronymus

schen Schrift „Über die beständige Jungfrauschaft Mariens“ (Adversus Helvidius de perpetua virginitate beatae Mariae): „Denn heute, wo bereits die ganze Welt gläubig ist, vertreten die Juden noch die Ansicht, dort, wo Isaias sagt: ‚Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären‘, heiße es im Hebräischen ‚Mädchen‘, […] aber nicht ‚Jungfrau‘, Aalma (‫)הָעַלְמָה‬, nicht Bethula (‫)בְּתוּלַה‬. Gegen sie werde ich mich an anderer Stelle ausführlicher auslassen“109.

Diese Beobachtung wird durch lexikalische Eigentümlichkeiten verstärkt, die Hieronymus aus christlicher Terminologie übernimmt. Eine messianische Deutung zeigt seine Übersetzung von Jes 45,8, wo Hieronymus statt „Gerechtigkeit“ wie in HT/LXX vorgegeben, mit „den Gerechten“ übersetzt:110 ELB Träufelt, ihr Himmel, von oben! Und ihr Wolken, fließt über von Gerechtigkeit! […]

HT

LXX

‫ הרעיפו שמים ממעל‬εὐφρανθήτω ὁ

[…] ‫ושחקים יזלו־צדק‬

οὐρανὸς ἄνωθεν καὶ αἱ νεφέλαι ῥανάτωσαν δικαιοσύνην […]

Vg rorate caeli desuper et nubes pluant iustum […]

Neben dem Ziel, Übersetzungen anzufertigen, die dem Urtext so nahe wie möglich kommen, gibt es Selbstaussagen des Hieronymus zu seiner Übersetzungstechnik. Dabei handelt es sich um Zeugnisse, die zeigen, dass Hieronymus bei der Entscheidung, die auch bei vielen seiner Übersetzungskollegen zu hitzigen Diskussionen geführt hat, nämlich ob er seine Übersetzungen eher wörtlich oder eher sinngemäß angefertigt hat, Schwankungen unterliegt.111 Hieronymus hat sich trotz widersprüchlicher Eigenaussagen oftmals vom zweiten Prinzip leiten lassen, wofür er aber von Befürwortern der wörtlichen Übersetzungspraxis vielfach kritisiert worden ist.112 Eine Stellungnahme durch Hieronymus findet sich in dem etwa 396 n. Chr. an seinen Freund, Christen und römischen Senator sowie Führer der christlichen Senatspartei Pammachius geschriebenen Brief (Ep. 57) mit der

109 Hieronymus, Über die beständige Jungfrauenschaft Mariens, gegen Helvedius 4 (BKV1 15, 263). 110 Vgl. auch Leuenberger, »Ich bin Jhwh und keiner sonst« (Jes 45,5f), 2010. 111 Die sensum e sensu-Praxis ist, nicht nur bei Hieronymus, sondern auch bei anderen Übersetzern, aufgrund von Übersetzungen entstanden, die so wortwörtlich sind, dass der ursprüngliche Sinn des Textes nicht mehr erkennbar ist; vgl. dazu Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 61–67. 112 Vgl. dazu Makschies, Hieronymus und die „Hebraica Veritas“ – Ein Beitrag zur Archäologie des protestantischen Schriftverständnisses, 156.



1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen 

 35

Überschrift „Über die beste Art zu übersetzen“.113 Dort schreibt er in Ep. 57,2 über den grundsätzlichen Vorwurf, dass er nicht Wort für Wort übersetze: „[…] deditque aduersariis latrandi contra me occasionem, ut inter inperitos contionentir me falsarium, me uerbum non expressisse de uerbo […]“ Hieronymus, Ep. 57,2 (CSEL 54, 505). „[…] Auf diese Weise gab er meinen Gegnern die Möglichkeit, gegen mich loszuziehen. Vor unerfahrenen Leuten schalt man mich einen Fälscher. Ich soll nicht Wort für Wort übertragen haben […]“114.

Und er räumt ein, dass gerade die Bibel „Wort für Wort“ übersetzt werden solle, weil auch die Wortfolge das Mysterium enthalte, alle anderen Texte daher generell frei bzw. sinngemäß zu übersetzen seien:115 „[…] ego enim non solum fateor, sed libera uoce profiteor me in interpretatione Graecorum absque scripturis sanctis, ubi et uerborum ordo mysterium est, non uerbum e uerbo, sed sensum exprimere de sensu […]“ Hieronymus, Ep. 57,5 (CSEL 54, 508). „[…] Ich gestehe und bekenne mit  allem Freimut, daß ich bei der Übersetzung griechischer Texte, abgesehen von den heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Worte ein Geheimnis ist, nicht Wort für Wort, sondern sinngemäß übertrage […]“116.

Dass die heiligen griechischen Schriften aufgrund des Offenbarungswertes der Wortreihenfolge wörtlich zu übertragen seien, wird durch die grundsätzliche Einstellung, nicht zu sehr an den Worten festzuhalten, relativiert117 und damit begründet, dass auch die LXX eine freie Übersetzung sei und „mehr den Sinn als Wort für Wort“ übersetze ([…] non habeo labia circumcisa septuaginta interpretibus sensum potius quam uerbum de uerbo exprimentibus […] Hieronymus, Ep.  18A,15 (CSEL 54, 95).118 Hieronymus führt bekräftigend an, dass auch die Evangelisten in atl. Einspielungen oftmals mehr den Sinn der LXX übertragen hätten, und nennt zahlreiche Stellen, an denen im NT die Vorlagen von hebrä-

113 Vgl. Hieronymus, Ep. 57 (BKV2 Zweite Reihe 16, 262–264); Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 153. 114 Hieronymus, Ep. 57,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 266). 115 Vgl. auch Fürst, Hieronymus, 88. 116 Hieronymus, Ep. 57,5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 269–270). 117 „Uerum me meorum parua sit auctoritas – quamquam hoc tantum probare uoluerim, me semper ab adulescentia non uerba, sed sententias transtulisse – […]“ Hieronymus, Ep. 57,6 (CSEL 54, 511). „Ich wollte nur den Beweis erbringen, daß ich immer und schon von Jugend an gegen ein Kleben am Worte war und nach dem Sinne übersetzte. Aber vielleicht ist mein Urteil in dieser Frage nicht von großem Gewichte […]“ Hieronymus, Ep. 57,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 272). 118 Vgl. Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 66.

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 1 Hieronymus

ischem und griechischem Text entsprechend abgeändert sind.119 So verweist er bspw. in Ep. 57,7 auf den Unterschied zwischen Mt 27,6–10 und Sach 11,12–13: „Nec hoc mirum in ceteris saeculi uidelicet aut ecclesiae uiris, cum septuaginta interpretes et euangelistae atque aostoli idem in sacris uoluminibus fecerint. […] accusent apostolum falsitatis, quod nec cum Hebraico nec cum septuaginta congruat translatoribus et, quod his maius est, erret in nomine – pro Zacharia quippe Hieremiam – ; sed absit hoc de pedisequo Christi dicere, cui curae fuit non uerba et syllabas aucupari, sed sententias dogmatum ponere […]“ Hieronymus, Ep. 57,7 (CSEL 54, 512–513). „Es ist ganz natürlich, wenn auch die übrigen weltlichen Autoren und kirchlichen Schriftsteller so verfahren sind. Die Siebenzig, die Evangelisten und die Apostel, haben es mit den heiligen Schriften nicht anders gemacht. […] Man bezichtige also den Apostel der Fälschung, da sein Text weder mit dem Hebräischen noch mit der Septuaginta in Einklang steht. Ja, was noch schlimmer ist, er vertut sich auch im Namen; denn statt Zacharias setzt er Jeremias. Doch der Himmel bewahre uns davor, eine solche Anklage gegen einen Jünger Christi zu erheben, der sich nicht kleinlich an Worte und Silben hielt, sondern dem es nur darauf ankam, den Sinn der Schriftstellen wiederzugeben […]“120.

Und er kommt nach Darlegung zahlreicher Beispiele zu dem Schluss: „[…] et quibus uniuersis perspicuum est apostolos et euangelistas in interpretatione ueterum scripturarum sensum quaesisse, non uerba, nec magnopere de ordinatione sermonibusque curasse, cum intellectui res paterent“ Hieronymus, Ep. 57,9 (CSEL 54, 520). „[…] Aus allen diesen Beispielen ergibt sich einwandfrei, daß es den Aposteln und Evangelisten bei der Übersetzung der alten Schriften auf den Sinn ankam und nicht auf die Worte. Sie machten sich nicht viel Sorge um die Anordnung und um den Wortlaut, sofern nur das Verständnis nicht darunter litt“121.

Für das Buch Hiob schreibt er, dass er „mal die Worte, mal den Sinn, mal beides zugleich“ (Z. 16, Prologus in libro Iob, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/ Gryson, 731) übersetzt habe.122 In der praefatio zum Buch Iudith (Z. 6–7) geht er noch einen Schritt weiter und formuliert ausdrücklich, er habe den Text „mehr sinngemäß statt Wort für Wort übersetzt“ (magis sensum e sensu quam ex verbo verbum transferens), im Gegensatz zum Buch Ester, das er „eng Wort für Wort“ übersetzt haben will (Z. 2, Prologus Ester, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/ Gryson, 712). Zur Übersetzungspraxis des Hieronymus finden sich also sowohl

119 Vgl. Hieronymus, Ep. 57,7–11 (CSEL 54, 512–524) und Ep. 121,2 (CSEL 56, 9–10). 120 Hieronymus, Ep. 57,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 274–275). 121 Hieronymus, Ep. 57,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 281). 122 Weitere schriftlich erhaltene Zeugnisse mit widersprüchlichem Charakter finden sich bei Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 73–76.



1.3 Übersetzungstechnik in ihren Hauptzügen 

 37

Aussagen für eine wörtliche Übersetzung als auch Aussagen für eine sinngemäße Übersetzung sowie Aussagen, die eine aus beiden Prinzipien gemischte Übersetzungspraxis erkennen lassen. Dass Hieronymus sich oftmals eher der freieren, sinngemäßen Übersetzungspraxis denn der wörtlichen zugeneigt fühlt, ergibt sich einerseits aus seinem Anspruch, eine Übersetzung in elegantem Latein anzufertigen, die dem anspruchsvollen Stil seiner Lesenden gerecht wird, und andererseits durch die unterschiedlichen Sprachsysteme, die sich auf Wortwahl und Syntax auswirken. Der hieronymianische Lesendenkreis ist literarisch gebildet und verlangt daher eine gewisse Eleganz des Ausdrucks. Ein Anspruch, der Hieronymus, der selbst durch die Schule der antiken Rhetorik gegangen ist, bestens bekannt ist. Wohl aus dem Streben nach fließender Diktion heraus verwendet Hieronymus zahlreiche Textauffüllungen, die keine Entsprechungen im hebräischen Urtext haben.123 Auch die unterschiedlichen Sprachsysteme legen eine sinngemäße Übersetzungspraxis nahe. Bezüglich der Wortwahl ist der Übersetzende, der vom Hebräischen oder Griechischen ins Lateinische übersetzt, gezwungen, sich unter einer Vielzahl von Möglichkeiten zu entscheiden.124 So bemerkt Köpf am Beispiel von Num 16, dass Hieronymus der im Hebräischen häufigen Wortwiederholung durch Variation in lateinischen Begriffen entgegenwirkt.125 Auch müssen größere Eingriffe in die Übersetzungstexte vorgenommen werden, um hebräische oder griechische Metaphern und Redensarten, die nicht zugleich wörtlich und verständlich übertragen werden können, bestmöglich wiederzugeben. Zudem stellen die unterschiedlichen syntaktischen Sprachsysteme einen Übersetzenden, der Wort für Wort übertragen möchte, egal ob er eine Übersetzung vom Hebräischen ins Lateinische, vom Hebräischen ins Griechische oder vom Griechischen ins Lateinische anfertigt, vor Probleme.126 Letzteres thematisiert Hieronymus in Ep. 57,11:127 „[…] quanta enim apud Graecos bene dicuntur, quae, si ad uerbum transferamus, in Latino non resonant, et e regione, quae apud nos placent, si uertantur iuxta ordinem, apud illos disclicebunt“ Hieronymus, Ep. 57,11 (CSEL 54, 524). „[…] Viele Dinge lassen sich ganz gut im Griechischen sagen, stoßen aber den Lateiner ab, wenn sie wörtlich übertragen werden. Umgekehrt gibt es einen Mißton, wenn das, was sich im Lateinischen tadellos anhört, genau ins Griechische übersetzt wird“128.

123 Vgl. Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 84. 124 Vgl. auch Siquans, Midrasch und Kirchenväter, 69. 125 Vgl. Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 84. 126 So ist Hieronymus oftmals bemüht, hebräische Parataxen durch lateinische Hypotaxen zu ersetzen; vgl. auch Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 84. 127 Vgl. Fürst, Hieronymus, 89; Köpf, Hieronymus als Bibelübersetzer, 80. 128 Hieronymus, Ep. 57,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 284).

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 1 Hieronymus

Eine weitere Ursache für die sinngemäße Übersetzung gibt Hieronymus im Prolog zum Buch Hiob. Dort räumt er ein, dass er nur übersetzen kann, was er selbst auch vorher verstanden hat: „eines aber weiß ich ganz sicher: Übersetzen konnte ich nur das, was ich vorher verstanden hatte“129 (hoc unum scio non potuisse me interpretari nisi quod ante intellexeram, Z. 22–23, Prologus in libro Iob, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 730).130 Diese Feststellung impliziert, dass das, was er selbst versteht, mitunter verschieden sein kann von dem, was der im Falle des Buches Judit bspw. etwa fünfhundert Jahre früher lebende Autor gemeint hat.

129 Fürst, Hieronymus, 270. 130 Neben Hieronymus waren auch Origenes und Rufin sogar der Meinung, ein Werk in seinem Sinn erst nach einer kompletten Lektüre übersetzen zu können; vgl. Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 62–63.

2 Erzähltheorie Der Forschungsstand zum Thema Erzähltheorie ist breit und eine Kategorisierung der vielen methodischen Ansätze daher notwendig. Nünning/Nünning systematisieren die zahlreichen Erzähltheorien unter dem Aspekt ihres jeweiligen primären Bezugsfeldes, auch wenn es „bislang keine allgemein akzeptierte oder gar vollständige Klassifikation der in den Literaturwissenschaften angewandten Methoden gibt“1. Im Hintergrund dieses Versuchs, die Erzähltheorien anhand ihres primären Bezugsfeldes zu kategorisieren, steht ein einfaches Kommunikationsmodell, das den Kommunikationsprozess bei literarischen Texten stark vereinfacht beschreiben soll: Sender (Autor/in)

Text

Empfänger (Leser/in)

„Ein Autor (Sender) produziert einen literarischen Text (Nachricht), der zugleich die materielle Grundlage bzw. das Medium (Kanal) bildet, durch das die Nachricht zum Leser bzw. Rezipienten (Empfänger) gelangt. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass dieser den Text verarbeiten kann, besteht darin, dass Sender und Empfänger eine gemeinsame Sprache beherrschen und von ähnlichen Gattungskonventionen ausgehen (Code). Trotz ihres fiktionalen Charakters weisen auch literarische Texte in der Regel einen ästhetisch vermittelten Bezug zur historischen oder gegenwärtigen Wirklichkeit (Bezug) auf.“2 Mit Hilfe dieses Kommunikationsmodells nehmen Nünning/Nünning eine erste Einteilung der methodischen Ansätze in einen eher textzentrierten und vier eher kontextorientierte vor: Der textzentrierte Ansatz fokussiert die Analyse auf die thematischen, formalen und sprachlichen Merkmale eines Textes, wie beispielsweise die werkimmanenten Ansätze, die formalistisch-strukturalistischen Ansätze oder auch die dekonstruktivistischen Ansätze.3 Die kontextorientierten Ansätze können jeweils primär das Verhältnis von Autor und Text, Text und Lesendem sowie Text und historischer Wirklichkeit oder Text und andere Texte in den Mittelpunkt der Analyse rücken.4 Primär das Verhältnis von Autor und

1 Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 16. 2 Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 16. 3 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 18. 4 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 16. Die weitere Theorieforschung zeigt indes, dass

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 2 Erzähltheorie

Text hat zum Beispiel der so genannte biographische oder auch psychoanalytische Ansatz im Blick, Interpretationen für das Werk werden im Leben, in der Biographie des realen Autors, nicht im Text selbst gesucht.5 Dabei sollen psychoanalytische Theorien wie beispielsweise die von Sigmund Freud (um 1900) dabei helfen, das Unterbewusste des Autors offen zu legen.6 Primär das Verhältnis von Text und Lesendem untersuchen die Rezeptionsästhetik (vgl. Theorie von Hans Robert Jauss, 1967, und Wolfgang Iser, 1970)7, die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, die empirische Rezeptionsforschung, der Reader-Response criticism und die kognitive Narratologie.8 Vor allem das Verhältnis von Text und historischer Wirklichkeit untersuchen etwa feministische Ansätze, wenn sie Literatur im Hinblick auf die historische Situation von Frauen untersuchen (vgl. Theorien von Hélène Cixous, Luce Irigaray oder Julia Kristeva), literatursoziologische und marxistische Ansätze (vgl. Theorien von Georg Lukács, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Pierre Bourdieu) oder der New Historicism sowie der Cultural Materialism.9 Beispiele für methodische Ansätze, die in erster Linie das Verhältnis von Text und anderen fiktionalen Texten analysieren, sind beispielsweise in der Quellen- und Einflussforschung, in der Intertextualitätsforschung und in der Intermedialitätsforschung zu finden.10 Den Umstand beachtend, dass die letzten beiden Ansätze – der, der das Verhältnis von Text und historischer Wirklichkeit einerseits und der, der das Verhältnis von Text und anderen Texten andererseits untersucht – ebenfalls auf der Rezipienten- bzw. der Lesendenseite anzusiedeln sind, lassen sich die Theorien auch analog zur Abbildung in

die Grenzen oftmals fließend sind und in den Theorien mitunter Text- und Kontextbezug gegeben ist oder der primäre Bezugstext je nach Theorie eher dem einen oder dem anderen Lager zuzuordnen ist. 5 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 18. Weiterführend vgl. Eagleton, Einführung in die Literaturtheorie (1983) 1994; Schönau/Pfeiffer, Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft (1991) 2003; Anz, Praktiken und Probleme psychoanalytischer Literaturinterpretation- am Beispiel von Kafkas Erzählung „Das Urteil“, 126–151; Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien 2008. 6 Vgl. Birke/Butter, Methoden psychoanalytischer Ansätze, 56; Freud, Der Dichter und das Phantasieren, 35–45. Den Vortrag zu dem Aufsatz hielt Freud am 06.12.1907. 7 Vgl. auch Jannidis u.a., Autor und Interpretation, 21. 8 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 18. 9 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 18; Gymnich, Methoden der feministischen Literaturwissenschaft und der Gender Studies, 253; Huber, Methoden sozialgeschichtlicher und gesellschaftstheoretischer Ansätze, 203–205. 10 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 18.

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drei Teile untergliedern, je nachdem, ob vor allem der Autor, der Text oder der Lesende bzw. die Lesendenseite analysiert wird.11 Einer der Aspekte, der in allen diesen methodischen Ansätzen untersucht wird, ist der der Figur.12 Wie die methodischen Ansätze selbst, lassen sich daher auch die verschiedenen Methoden zur Figurenanalyse in eher textzentrierte oder eher kontextorientierte Ansätze unterteilen. Wie durch die unterschiedliche Fragestellung der verschiedenen Ansätze, je nach dem, welches Bezugsfeld, Autor, Text oder Lesender, primär untersucht wird, der Blick auf die Figur und damit die Analyse verändert werden, zeigt bereits die jeweilige Definition für den Begriff der Figur. Dies wird aus dem direkten Vergleich der Figurendefinitionen im biographischen, strukturalistischen und kognitionswissenschaftlichen ersichtlich. In einem speziellen biographischen oder psychoanalytischen Ansatz, der nicht den Autor biographisch untersucht, sondern vielmehr die Figuren selbst in den Mittelpunkt der psychoanalytischen Fragestellung und Methodik rückt, und damit eher textzentriert vorgeht, ist das Figurenverständnis per definitionem ein mimetisches:13 Figuren ahmten demnach die Realität nach und seien daher

11 So auch Jannidis u.a, Autor und Interpretation, 10. 12 Zur Figurenanalyse vgl. auch: Anz, Textwelten, 122–126; Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, 85–101; Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 51–67; Bal, Narratology, 112–132, 201–212; Bode, Der Roman, 123–142; Chatman, Story and Discourse, 107–138; Culler, Literaturtheorie; Culpeper, Language and Characterization; Eder/Jannidis/Schneider (Hg.), Characters in Fictional Worlds; Eder, Die Figur im Film; Ehlers, Studienbuch zur Analyse und Didaktik literarischer Texte, 24–31, 154–159; Fludernik, Einführung in die Narratologie; Forster, Aspects of the novel, 51–89; Grabes, „Wie aus Sätzen Personen werden …, 405–428; Hallet, Can Literary Figures Serve as Ethical Models?, 195–215; Herman, „Recontextualizing Character. Role-Theoretic Frameworks for Narrative Analysis“, 191–204; Jannidis, Figur und Person; Jannidis, Character, 14–29; Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 154–172; Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 19–29; Kahrmann/Reiss/Schluchter, Erzähltextanalyse, 142–151; Koch, Literarische Menschendarstellung; Lahn/Meister, Einführung in die Erzähltextanalyse, 232–247; Leubner/ Saupe, Erzählungen in Literatur und Medien und ihre Didaktik, 56–59, 62–63; Ludwig, Figur und Handlung, 106–144; Margolin, Characterisation in Narrative, 1–14; Margolin, Structuralist approaches to character in narrative, 1–24; Nieragden, Figurendarstellung im Roman; Palmer, Fictional Minds; Pfister, Das Drama, 220–264; Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 29–42, 59–70; Schneider, Einführung in die Roman-Analyse, 17–21; Schneider, Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenkonzeption am Beispiel des viktorianischen Romans; Scholes/Phelan/Kellogg, The Nature of Narrative, 160–206; Seidler, Figurenmodelle des Alters in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 2010; Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte; Wenzel, Einführung in die Erzähltextanalyse. 13 Daneben gibt es auch leserzentrierte psychoanalytische Literaturinterpretationen; vgl. Birke/Butter, Methoden psychoanalytischer Ansätze, 56–57.

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auch wie reale Personen zu behandeln.14 An diesem Verständnis von Figur und der sich daran orientierenden Figurenanalyse wird, ebenso wie an der biographischen Analyse, die den Autor mit psychoanalytischen Methoden untersucht, viel Kritik geäußert,15 da Figuren als ästhetische Konstrukte gerade nicht wie reale Menschen mit psychoanalytischen Methoden analysiert werden könnten.16 In bewusster Abgrenzung zu solchen psychoanalytischen Ansätzen vermeiden Vertreter textzentrierter Ansätze wie des Strukturalismus den Begriff der Person für literarische Gestalten und prägen ihrerseits, um diesen Unterschied zu markieren, den der Figur.17 Dadurch soll der Unterschied zwischen realen, komplexen Personen der Lebenswelt einerseits und Figuren in fiktionalen, erzählenden Texten andererseits deutlich werden.18 Ein solcher Ansatz lässt sich z.B. in der Definition des Begriffs Figur bei Nieragden nachvollziehen. Nach ihm ist eine Figur ein „Sammelbegriff für alle Textverfahren zur Konzeption, Präsentation und Charakterisierung der Aktanten bzw. literarischen Figuren in dramatischen und narrativen Texten“19. Diese Definition wiederum hebt sich deutlich von der Figurendefinition von Ansätzen ab, die primär das Verhältnis von Text und Lesendem in den Mittelpunkt rücken, wie es z.B. bei kognitionswissenschaftlich geprägten Ansätzen, den u.a. Fotis Jannidis und Ralf Schneider vertreten, der Fall ist. In Bezug auf die Figurendefinition zeichnet sich in diesem Ansatz ein Mittelweg zwischen dem psychoanalytischen und dem strukturalistischen ab: Demnach gehören Figuren weder der Realität noch der Textoberfläche, sondern der erzählten Welt an.20 Figuren sind mentale Modelle, die im Bewusstsein des Rezipienten entstehen und Teil der erzählten Welt sind.21 Im Folgenden wird eine Auswahl der Figurenanalysemodelle der textzentrierten, strukturalistischen Ansätze und zum Teil darauf aufbauend der lesendenorientierten, kognitionswissenschaftlichen Ansätze, zunächst anhand von

14 Vgl. Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 51; Birke/Butter, Methoden psychoanalytischer Ansätze, 58. 15 Vgl. Culler, Literaturtheorie, 97–102; Barthes, La mort de l’auteur, 12–17; Foucault, Was ist ein Autor?, 194–229. 16 Vgl. Birke/Butter, Methoden psychoanalytischer Ansätze, 69; Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 55; Nieragden, Figurendarstellung, literarische, 200. 17 Vgl. Nieragden, Figurendarstellung, literarische, 200. 18 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 155–156; Nünning, Figurendarstellung, literarische, 200. 19 Nieragden, Figurendarstellung, literarische, 200. 20 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 126–127. 21 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 127.

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Modellen der Literaturwissenschaft und im Anschluss daran, anhand von Modellen in der biblischen Exegese, vorgestellt werden. Im Anschluss daran soll ein eigenes Konzept zur Figurenanalyse präsentiert werden, das sowohl textzentrierte, als auch lesendenzentrierte Aspekte beachtet und die beiden Ansätze methodisch miteinander verknüpft sowie die Frage nach der Rolle des Autors für die Figurenanalyse auf dem Hintergrund der Ergebnisse beantwortet. In der Literaturwissenschaft ist der Strukturalismus ein textzentrierter Ansatz. Das Hauptaugenmerk wird auf den Text und dessen sprachliche Ausführung gerichtet.22 Strukturalistische Theorien machen es sich zum Ziel, die Analyse von Texten so exakt durchführen zu können, wie es auch die Naturwissenschaften tun. Dadurch sollen subjektive Interpretationen durch verifizierbare ersetzt werden.23 Die Folge ist, dass der Fokus der Analyse auf der Textstruktur liegt.24 Untersucht werden in diesem Sinne die kleinsten Textelemente wie phonologische, morphologische und grammatische Elemente und die großen wie ganze Verse, der Gesamttext und das Grammatikkonzept mit dem Ziel einer eindeutigen Beschreibung der Textstrukturen, woran die formalistische Ausrichtung erkennbar wird.25 Der Strukturalismus geht im Wesentlichen auf den der sogenannten Genfer Schule angehörenden Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure zurück sowie auf die sogenannte Prager Schule, die stark von Saussure beeinflusst ist und wo Roman Jakobson, Nikolai S. Trubetzkoy und Jan Mukařovský als bekannteste Gründungsmitglieder zu nennen wären.26 Die sogenannte französische Schule des Strukturalismus ist von Jakobsons Übertragung der strukturalen Linguistik auf den literarischen Text beeinflusst.27 Mit dieser sind der frühe Roland Barthes und Claude Lévi-Strauss verbunden. Saussure versucht die Frage nach dem Funktionieren von Kommunikation zu beantworten und unterscheidet dazu in seinem posthum erschienenen „Cours de linguistique générale“ (1916) zum einen zwischen Sprache als einem

22 Vgl. Baasner/Zens , Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft, 115. 23 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 92. 24 Vgl. Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 53. 25 Vgl. Baasner/Zens, Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft, 126; Nünning, Erzähltheorien, 177. 26 Vgl. Leypoldt, Strukturalismus, 24; vgl. dazu Jakobson, Die neueste russische Poesie: Erster Entwurf, 1972 (1921), 19–135; Trubetzkoy, Anleitung zu phonologischen Beschreibungen, 1958 (1935); Mukařovský, Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten, 1970 (1936), 7–112. 27 Vgl. Leypoldt, Strukturalismus, 24.

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von seinen Sprechern unabhängigen Zeichensystem (langue) und zum anderen Sprache, wie sie im einzelnen Sprechakt aktualisiert wird (parole).28 Um einen erfolgreichen Sprechakt durchzuführen, müssen Sender und Empfänger bereits vor dem Sprechakt der Sprachstruktur mächtig sein und um die Kombinierbarkeit eines einzelnen sprachlichen Zeichens im Sprachsystem wissen.29 Der Wert eines sprachlichen Zeichens bemisst sich daher nicht aus seinem Bezogensein auf die Wirklichkeit, sondern aus seiner Position in der Sprachstruktur.30 Die Prager Strukturalisten vertreten in den 1920er und 1930er Jahren eine phonologische Methode, die als Absage an Methoden wie den Biographismus und die marxistische Literaturtheorie verstanden werden kann und auf den Thesen Saussures aufbaut: Die Vertreter haben die „Auffassung vom Kunstwerk als autonomem Zeichengebilde, das weder als Ausdruck der Persönlichkeit des Verfassers, noch als Abbild einer außerliterarischen Wirklichkeit zu verstehen ist.“31 Der Anthropologe Lévi-Strauss versucht Kulturen in ihrer Gesamtstruktur wissenschaftlich zu erfassen und analysiert dazu mythische Erzählungen aus verschiedenen Kulturen und benennt anhand dessen Strukturgesetze für den jeweiligen Mythos.32 Der Text wird dabei als Teil eines umfassenderen literarischen und kulturellen Systems begriffen und soll die Gesetzmäßigkeiten dieses Systems verdeutlichen.33 Die Arbeiten von Lévi-Strauss haben großen Einfluss auf die französischen Strukturalisten Claude Bremont, Algirdas Greimas, Tzvetan Todorov und den frühen Roland Barthes34, deren Methoden der sogenannten strukturalistischen Erzählsemiotik zugeordnet werden, wozu auch

28 Vgl. Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (1916) 1967. 29 Vgl. Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 688. 30 Vgl. Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 688. 31 Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 689; vgl. auch das 1929 herausgegebene Manifest der Prager Schule: Jakobson/Trubetzkoy u.a., Methodische Probleme, die aus der Konzeption der Sprache als System erwachsen, und die Wichtigkeit dieser Konzeption für die slawischen Sprachen, 35. 32 Vgl. Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 689; vgl. auch Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie, 1972 (1958); Lévi-Strauss, Das wilde Denken, 1973 (1962). 33 Vgl. Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 689. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Vladimir Propp in seiner Morphologie des Märchens (1928), indem er versucht, russische Märchen auf eine begrenzte Anzahl von wiederkehrenden Handlungsmustern und Funktionen zu reduzieren. 34 Vgl. dazu Bremont, Die Erzählnachricht, 1972 (1964); Greimas, Strukturale Semantik, 1971; Todorov, Die Kategorien der literarischen Erzählung, 1978 (1966), 347–369; Barthes, An Introduction to the Structural Analysis of Narrative, 1975 (1966), 237–272.

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die Arbeiten zur „Morphologie des Märchens“ (1928) des russischen Philologen Vladimir Propp zu zählen sind.35 Innerhalb des Strukturalismus lässt sich neben der strukturalistischen Erzählsemiotik aber noch eine weitere Hauptrichtung unterscheiden: die strukturalistische Literaturtheorie oder auch Narratologie, die im weiteren Verlauf als klassische Narratologie bezeichnet werden soll, um den Unterschied zur postklassischen Narratologie zu markieren. Ein wichtiger Vertreter der klassischen Narratologie ist Gérard Genette, der mit seinen Werken „Figures“ I – III (1966–1972), „Discours du récit“ (1972) und „Nouveau discours du récit“ (1983) die Fundamente gelegt hat, auf denen zahlreiche weitere erzähltheoretische Darstellungen aufbauen.36 Ausgangspunkt ist seine Unterscheidung zwischen histoire und discours: Histoire bezeichnet die erzählten Ereignisse in ihrer Reihenfolge, discours die Gestaltung der Geschichte durch den Erzähler.37 Anhand dieser Dichotomie lassen sich auch die beiden strukturalistischen Richtungen unterscheiden, denn die „strukturalistische Erzählsemiotik“ konzentriert sich eher auf die Analyse der histoire, während die Narratologie ihren Schwerpunkt eher auf die Analyse des discours setzt.38

35 Vgl. Koch, Literarische Menschendarstellung, 156; den strukturalistisch geprägten Phasen geht auch eine prästrukturalistische Phase voraus, die bis Mitte der 1960er Jahre andauert, wozu Konzepte von Booth und Stanzel zählen; vgl. Nünning, Erzähltheorien, 176–177; Koch, Literarische Menschendarstellung, 118–155. 36 Vgl. Koch, Literarische Menschendarstellung, 156. Vgl. dazu Genette, Figures I – III, 1966– 1972; Genette, Die Erzählung, 1998 (Original: Discours du récit, 1972 und Nouveau discours du récit, 1983). 37 Im russischen Formalismus findet sich die gleiche linguistische Dichotomie mit den Begriffen Fabel und Sujet; vgl. Nünning, Erzähltheorien, 177; Koch, Literarische Menschendarstellung, 156. 38 Vgl. Nünning, Erzähltheorien, 177; Keine Rolle spielt bei dieser Theorie eine Bezogenheit oder gar Interpretationsreferenz auf die außertextliche Wirklichkeit: Explizit gegen die Vorstellung vom Kunstwerk als Ausdruck der Persönlichkeit des Verfassers oder Abbild einer außerliterarischen Wirklichkeit, wie es die bis dahin vorherrschenden psychologischen Ansätze vertraten, richteten sich die Prager Strukturalisten in den 1920er und 1930er Jahren und propagierten die Autonomie der Literatur, im Zuge derer literarische Sprache als Abweichung von der Alltagssprache gesehen und als solche analysiert wurde; vgl. Lieske, Strukturalismus, amerikanischer, französischer, genetischer, 689.

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 2 Erzähltheorie

2.1 Strukturalistische Erzählsemiotik Strukturalistisch-erzählsemiotische Methoden enthalten kein eigenes Kapitel zur Figurenanalyse, sondern integrieren diese in die Handlungsanalyse.39 Denn Figuren sind in der strukturalistischen Erzählsemiotik der Handlung unterzuordnen und mithin ausschließlich funktional zu betrachten.40 Das hat zur Folge, dass die Figur nicht ein eigener Untersuchungsgegenstand ist, sondern im Kontext der Handlung untersucht wird.41 Beispiele hierfür sind in der „Morphologie des Märchens“ (1928) von Propp und im in dessen Nachfolge entstandenen Aktantenmodell von Greimas (1966) gegeben.42 Propp analysiert russische Märchen und deren Kategorisierbarkeit.43 Dabei stellt er fest, dass russische Märchen an einunddreißig verschiedenen genretypischen und in bestimmter Reihenfolge wiederkehrenden Handlungsmustern, die er als Funktionen bezeichnet, erkennbar sind.44 Die Figuren reduziert er auf ihre Funktion für die Handlung, indem er ihnen sieben verschiedene Rollen zuweist (Gegenspieler, Schenker, Helfer, Zarentochter und deren Vater, Sender des Helden, Held und falscher Held) und diese den einunddreißig verschiedenen Funktionen nach typischen Handlungskreisen zuordnet.45 So legt er beispielsweise für den Handlungskreis des Helden drei Funktionen fest (Auszug des Helden mit dem Ziel etwas zu finden, Reaktion des Helden auf Forderungen durch den Schenker und Hochzeit) und zwei für den Schenker (Vorbereitung der Aushändigung des Zaubermittels, Ausstattung des Helden mit dem Zaubermittel), weist aber auch darauf hin, dass Überschneidungen wie etwa, dass eine handelnde Figur mehrere Handlungskreise umfasst, vorkommen können.46 Greimas hingegen teilt Figuren anhand ihrer Funktionen in der Handlung ein und unterscheidet dabei sechs verschiedene Rollen, die er als Aktanten bezeich-

39 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 126. 40 Vgl. Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 54. 41 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 126. 42 Vgl. Nieragden, Greimas, Algirdas Julien, 266; Propp, Morphologie des Märchens; Greimas, Strukturale Semantik, 161–165. 43 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 92. 44 Vgl. Propp, Morphologie des Märchens, 31–65; Göbler, Propp, Vladimir Jakovlevic, 600. 45 Vgl. Vgl. Propp, Morphologie des Märchens, 79–80; Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 92. 46 Vgl. Propp, Morphologie des Märchens, 79–80.



2.1 Strukturalistische Erzählsemiotik 

 47

net: Subjekt und Objekt, Adressat/Empfänger und Adressant/Sender, Opponent/ Gegenspieler und Adjuvant/Helfer.47 Abb. nach Greimas:48 Adressant

Objekt

Adressat

Adjuvant

Subjekt

Opponent

Das Subjekt ist in der Regel der Protagonist, also die Figur, die durch die Handlung führt. Das Objekt ist das Ziel des Subjekts, das entweder eine Person, eine Sache oder ein Ereignis sein kann.49 Beispielsweise möchte das Subjekt Prinzessin das Objekt Prinz erobern.50 Der Adressat ist der Empfänger des Objekts und fällt oft mit dem Subjekt zusammen.51 Im Beispiel also ist das Subjekt Prinzessin auch gleichzeitig der Adressat des Objekts Prinz. Der Adressant oder Auftraggeber kann entweder mit dem Subjekt zusammenfallen, dann würde die Prinzessin von sich aus den Entschluss fassen, den Prinzen zu erobern oder sie könnte beispielsweise von ihrem Vater, der dann ein subjektfremder Adressant wäre, beauftragt worden sein, das Objekt Prinz zu erobern.52 Der Opponent steht zwischen Subjekt und Objekt und muss nicht zwingend figural sein, es könnte sich dabei um einen Drachen handeln, den es zu besiegen gilt.53 Der Helfer oder Adjuvant schließlich ist eine Stütze des Subjekts.54 Im Beispiel könnte es sich dabei etwa um eine oder einen Gefährten der Prinzessin handeln. Greimas Modell ist nicht statisch angelegt, vielmehr können einzelne Rollen wegfallen oder eine Figur kann mehrere Rollen übernehmen.55 So praktisch anwendbar diese Unterscheidungen der strukturalistischen Erzähltheorien auf den ersten Blick auch sein mögen, so hat die Reduktion der Figur auf die Hand-

47 Vgl. Greimas, Strukturale Semantik, 161–165; Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 54–55; Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte, 135. 48 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 165. 49 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 161–162. 50 Das Beispiel findet sich auch bei Greimas, Strukturale Semantik, 161–165, nur mit vertauschtem Subjekt und Objekt. 51 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 162. 52 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 162–163. 53 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 163–165. 54 Vgl. dazu Greimas, Strukturale Semantik, 163–165. 55 Vgl. Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte, 135.

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 2 Erzähltheorie

lungsfunktionen Nachteile: Es geht der strukturalistischen Erzählsemiotik gerade nicht darum, ein gesamtmögliches Spektrum einer Figur aufzudecken, sondern Ziel ist es, ihre Funktion für die Handlung zu beschreiben. Infolgedessen ist eine vollständige Figurenanalyse mit der Methode konsequenterweise auch nicht möglich, weil sie sich selbst durch ihre Schemazuweisung auf Betrachtungen wie etwa der Gattung oder typischer Figurenrollen festlegt. Zudem lassen sich die Analysen von Propp und Greimas problemlos auf die Gattung anwenden, für die sie erstellt wurden: Märchen. Sobald die Erzählungen aber mehrsträngig und komplexer und die Figuren darin vielschichtiger und undurchschaubarer werden, wie es beispielsweise bei einem zeitgenössischen Roman der Fall ist, reichen die genannten Kategorisierungen nicht mehr aus, um die Figuren der Handlung zuzuweisen. Ferner kritisiert Sommer an Propp, dass bei dieser Analyse der literarischen Repräsentation – etwa der Charakterisierung der Erzählstimme – keine Bedeutung zukomme und somit wichtige Aspekte außen vor gelassen würden.56 Auch hat diese Methode die Wirkung der Figuren auf den Lesenden oftmals nicht im Blick.57 In der narratologischen Erzähltheorie findet sich heute eine Abkehr von diesen handlungsorientierten Figurenmodellen, wie sie Propp und Greimas verfolgen, zugunsten von figurenorientierten Modellen.

2.2 Klassische Narratologie Klassisch narratologische Analysen sind stärker figurenorientierte Modelle. Die Figur wird darin als ein Aspekt neben vielen anderen untersucht. Denn die klassische Narratologie hat zum Ziel, narrative Darstellungsverfahren und Erzählstrategien zu analysieren.58 Die Konzentration auf die Darstellungsverfahren von Erzähltexten hat zur Folge, dass einerseits zwischen Autor und Erzählstimme59 und andererseits zwischen Erzählstimme und Figuren unterschieden werden muss und deren Abhängigkeitsverhältnisse untereinander Berücksichtigung in der Analyse finden. Dazu wurden Modelle entwickelt, die den textlichen Ebenen und der außertextlichen Wirklichkeit einen eigenen Raum in der Analyse geben.

56 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 92. 57 Vgl. Bachorz, Zur Analyse der Figuren, 54. 58 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 95. 59 Der Terminus Erzählstimme soll hier den gängigeren Terminus Erzähler ersetzen, um zu betonen, dass die Erzählstimme eine Textinstanz und nicht etwa die Stimme des realen Autors ist; vgl. dazu auch Schmitz, Prophetie und Königtum, 22.



2.2 Klassische Narratologie 

 49

Zur Unterscheidung der genannten Ebenen werden Texte als Kommuni­ kationszusammenhang untersucht. Daher bilden die Kommunikations(ebenen) modelle die Voraussetzung für die narrative Analyse.60 Das Kommunikations (ebenen)modell ermöglicht die Einbeziehung von Sender/Autor und Empfänger/ Lesen der in die Analyse.61 Als terminologische und erzähltheoretische Voraussetzung soll im Weiteren das Kommunikationsmodell von Barbara Schmitz zugrunde liegen,62 das bereits auf Bibeltexte abgestimmt ist:63 Rezipient 1–3

außertextliche Wirklichkeit (K I) Erzählung (K II)

Erzählstimme

fiktionaler Adressat

Figur A

Figur C:

Rede (K III)

Figur B

Figur D:

Figur X:

Rede (K III) Rede in der Rede (K IV) Autorfiguration I–III Autor 1–3

Das Kommunikations(ebenen)modell versteht einen Text als Kommunikationszusammenhang von mindestens drei Ebenen: Im äußeren Ring auf der außertextlichen Ebene oder Kommunikationsebene I (KI) befinden sich Autor und Rezipienten. Die Zahlenangaben 1–3 hinter Autor und Rezipient zeigen an, dass ein Text weder nur von einem Autor geschrieben sein kann, was gerade im biblischen Bereich nichts Außergewöhnliches ist, noch nur ein bestimmter Rezipient für je einen Text steht. So können ein Rezipient oder gar ganze Rezeptionsgemeinschaften, die zu verschiedenen Zeiten leben oder gelebt haben, in der Analyse Berücksichtigung finden. Auf der Ebene des Textes befindet sich die Kommunikationsebene II (KII): Hier stehen sich die Erzählstimme, die den Text erzählt,

60 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 8–9. 61 Vgl. Nünning, Kommunikationsmodell, 368. 62 Vgl. Schmitz, Prophetie und Königtum, 16. 63 Vgl. auch Nünning, Grundzüge eines kommunikationstheoretischen Modells der erzählerischen Vermittlung, 25–26; Nünning, Kommunikationsmodell, 368; Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst 1, 77–78; Chatman, Story and discourse, 151; Pfister, Das Drama, 20–21; in der Exegese vgl. z.B. Fischer, Wege in die Bibel, 106–108; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 147–151.

50 

 2 Erzähltheorie

und der fiktionale Lesende als Zuhörer der Erzählstimme gegenüber. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die Erzählstimme nicht mit dem Autor identisch ist und das Denken und Handeln, die Wertvorstellungen der Erzählstimme, nicht mit denen des Autors übereinstimmen müssen. Der Einfluss des Autors auf den Text wird im Schema durch die Autorfiguration berücksichtigt. Die Unterscheidung von K I und K II dient dazu, die Ebenen von Autor und Lesenden einerseits und Erzählstimme und fiktionalen Lesenden andererseits voneinander zu trennen und diese in der Analyse als verschiedene Größen zu berücksichtigen. Auch der fiktionale Lesende, der der Erzählstimme gegenübersteht, ist derjenige, dem die Erzählstimme den Text erzählt, und der daher mitunter durch den Text eingegrenzt und charakterisiert werden kann. Dieser darf nicht mit dem oder den tatsächlichen Rezipienten verwechselt werden. Auf der Kommunikationsebene III (K III) befinden sich die Figuren einer Erzählung und deren Kommunikation, insofern diese als wörtliche Rede konzipiert ist. Diese sind von der Erzählstimme abhängig, die die Geschichte erzählt. Reden in den Figurenreden finden auf der Kommunikationsebene IV (K IV) Berücksichtigung etc. Einige Kommunikationsmodelle sehen noch eine weitere Ebene vor: Auf dieser Ebene sind der implizite Autor und dem gegenüber der implizite Lesende angesiedelt, die beide dem Autor und Lesenden untergeordnet werden und für die aus dem Text herauszulesenden Aussageabsichten stehen.64 Diese Ebene sei notwendig, um sich vom Biographismus des psychoanalytischen Ansatzes abzugrenzen und Aussagen über den realen Kontext in die Analyse mit einfließen zu lassen.65 Kritisiert wird an dieser Ebene, dass sie abstrakt und nicht personell greifbar ist und dass sowohl der implizite Autor als auch der implizite Lesende „Funktionen derselben Textstruktur sind, deren Unterscheidung wenig sinnvoll ist“66. Die Ebene von implizitem Autor und Lesendem wird daher zunehmend durch die Idee der Text- oder Autorintention ersetzt.67 Innerhalb dieses Denkkonstrukts der Kommunikationsebenen werden in der klassischen Narratologie sogenannte tool-kit oder Werkzeugkästen68 zur Verfügung gestellt. Diese enthalten eine Reihe von Leitfragen zu verschiedenen Kategorien, die in einem Text untersucht werden können und meist schwerpunktmäßig auf den Kommunikationsebenen II und III anzusiedeln sind, also vorwiegend

64 Vgl. Wenzel, Einführung in die Erzähltextanalyse, 13; Beispiele dafür sind: Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst 1, 77–78; Chatman, Story and discourse, 151; Pfister, Das Drama, 20–21. 65 Vgl. Nünning, Autor, impliziter, 42. 66 Wenzel, Einführung in die Erzähltextanalyse, 13. 67 Vgl. Nünning, Autor, impliziter, 42–43. 68 Vgl. zum Begriff: Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 95; Bachorz, Analyse der Figuren, 66.



2.2 Klassische Narratologie 

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den Text zum Bezugsystem haben. Diese Kategorien umfassen die Erzählstimme, die Figuren, die Handlung, die Raum- und die Zeitdarstellung.69 Die Leitfragen zu der jeweiligen Kategorie werden in der Regel in Form eines Fragenkatalogs präsentiert, der an den Text gestellt werden kann. Diese Fragen sind als Anregung zu verstehen, die im Einzelfall nicht auf jeden Text zutreffen müssen, sondern der kritischen Anwendung bedürfen.70 Der Fragenkatalog ist mithin als Hilfe und Gedächtnisstütze zu verstehen, die mögliche relevante Kategorien aufzeigt.71 Die Ausrichtung dieser Untersuchung zielt dabei immer auf die Frage nach dem „Wie“ des Textes, etwa bezogen auf die Figurenanalyse: Wie funktioniert die Figurendarstellung in diesem Text?72 In Abgrenzung dazu sind Überlegungen, die über die Textebene hinausgehen und die Frage vom „Wie“ des Textes, schwerpunktmäßig auf die des „Was“ verlagern, sich damit der Semantik eines Textes zuwenden, u.a. der postklassischen Narratologie zuzuordnen. Diese gehen indes von den Ergebnissen der klassischen Narratologie aus und bauen darauf auf. Im Folgenden sollen zunächst zur Vorgehensweise der klassischen Narratologie jeweils nur die Leitfragen der Kategorie Figur von Manfred Pfister (1977), Shlomith Rimmon-Kenan (1983), Jost Schneider (1998) und Roy Sommer (2010) dargestellt werden.

2.2.1 Die Figurenanalyse als Teil der Dramenanalyse bei Manfred Pfister (1977) Pfister hat Kategorien entwickelt, mit deren Hilfe eine Figur „anhand differentialer Merkmalsoppositionen“73 analysiert werden kann. Durch seine 1977 erschienene und auf semiotischen Grundsätzen74 aufbauende Monographie „Das Drama“ hat er terminologische Fundamente gelegt, auf denen eine Reihe von Methodenbüchern aufbauen.75 Zwar untersucht er die Figuren im Drama, doch

69 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 97–98. 70 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 98. 71 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 105–106. 72 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 95. 73 Leypoldt, Strukturalismus, 30. 74 Semiotische Grundsätze beziehen sich hier auf die Möglichkeit, in einer Theateraufführung alle menschlichen Sinnesbereiche zu aktivieren; vgl. dazu Pfister, Das Drama, 24–29. 75 Vgl. dazu Nieragden, Figurendarstellung, literarische, 200; Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 38; Bachorz, Analyse der Figuren, 58–59, 67; Bode, Der Roman, 135–138.

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 2 Erzähltheorie

lassen sich seine Kategorien auch auf die Figuren in Erzähltexten, erweitert um den Aspekt der Erzählstimme, übertragen.76 Pfister trennt zunächst zwischen Figur und Person und definiert die Figur im Gegensatz zur realen Person als intentionales Konstrukt des Autors mit funktionaler Ausrichtung mit einem begrenzten Repertoire an Informationen, weshalb auch jeder Information, die über eine Figur gegeben wird, besondere Bedeutung zukomme.77 Er unterscheidet für die Analyse der Figur zwischen Figurenkonzeption und Figurencharakterisierung. Die Figurenkonzeption befasst sich mit dem „anthropologische[n] Modell, das der dramatischen Figur zu Grunde liegt“78. Es handelt sich dabei um eine historische Kategorie, um die Realisierung einer Figur mit bestimmten Merkmalen in einer bestimmten Zeit und den Konventionen dieser Zeit.79 Die Figurencharakterisierung befasst sich mit der formalen sprachlichen Gestaltung einer Figur im Text.80 Die beiden Kategorien existieren nicht unabhängig voneinander, sondern bedingen einander beispielsweise insofern, dass die Figur einer bestimmten Zeit immer auch ein bestimmtes Repertoire an Charaktereigenschaften aufzuweisen hat.81 Innerhalb der Figurenkonzeption unterscheidet Pfister fünf Aspekte einer Figur: statisch/dynamisch, eindimensional/mehrdimensional, offen/geschlossen, transpsychologisch/psychologisch und Identitätsverlust. Statisch ist eine Figur angelegt, wenn sie keine Entwicklung innerhalb der Erzählung durchmacht, dynamisch, wenn sie eine Entwicklung zeigt.82 Eng mit dieser Vorstellung verbunden ist die Frage, ob die Figur ein- oder mehrdimensional konzipiert ist: einer eindimensional gestalteten Figur können nur wenige Merkmale (oder sogar nur ein einziges Merkmal) zugeordnet werden, die derart in sich stimmig sind, dass alle Merkmale auf eine Eigenschaft hinauslaufen; eine

76 Bode schlägt vor, die auktoriale Erzählsituation des Dramas mit dem auktorialen Erzähler parallel zu setzen, räumt indes das Problem ein, dass sich die auktoriale Charakterisierung bei Pfister auf einer anderen Erzählebene abspielt, wie es beim auktorialen Erzähler der Fall ist; vgl. Bode, Der Roman, 136. 77 Vgl. Pfister, Das Drama, 221–222. 78 Pfister, Das Drama, 240. 79 Vgl. Pfister, Das Drama, 240–241. 80 Vgl. Pfister, Das Drama, 240. 81 Vgl. Pfister, Das Drama, 241. 82 Vgl. Pfister, Das Drama, 241–243; erstmals findet sich diese Unterscheidung 1927 bei Forster, der zwischen flat und round character unterscheidet. Round character entspricht Pfisters dynamischer Figurenkonzeption, während flat der statischen entspricht; vgl. Forster, Aspects of the Novel, 75–85.



2.2 Klassische Narratologie 

 53

Figurenanalyse nach Pfister: Figur 1. Figurenkonzeption (historische Kategorie) – statisch oder dynamisch – ein- oder mehrdimensional (Sonderform: Personifikation, Typ, Individuum) – offen oder geschlossen – transpsychologisch oder psychologisch – Identitätsverlust 2. Figurencharakterisierung (gestalterische Kategorie) figural Explizit

Implizit

FremdEigenkommentar kommentar

Monolog

auktorial

Dialog

Explizit

sprachlich

außersprachlich

Nebentext Sprechende N.

Implizit

Korrespondenz u. Kontrast Impl. charakt. N.

Monolog Dialog

Vor nach erstem Auftritt

in praesentia

in absentia Vor nach erstem Auftritt

mehrdimensional gestaltete Figur zeichnet sich durch Zuschreibung eines komplexen Satzes von Merkmalen aus, so dass die Figur viele verschiedene Facetten aufweist.83 Zwischen diesen Extrempositionen benennt Pfister drei Sonderformen: die Personifikation, den Typ und das Individuum. Bei der Personifikation umschreiben alle Figureninformationen, ihre Verhaltensweisen und auch die ihr zugeordneten Repliken einen abstrakten Begriff.84 Die Figur wird mit nur wenigen Merkmalen beschrieben, aber alle dienen der

83 Vgl. Pfister, Das Drama, 243–244. 84 Vgl. Pfister, Das Drama, 244.

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 2 Erzähltheorie

Zuspitzung auf den einen Begriff, durch den die Figur definiert werden kann.85 Beispiele dafür finden sich im mittelalterlichen Moralitätendrama oder in den barocken Jesuitendramen: So könnte eine Figur z.B. eine Personifikation des Hochmuts sein.86 Die zweite Sonderform ist der Typ. Ein Typ unterscheidet sich von der Personifikation dadurch, dass er nicht nur eine einzige Eigenschaft verkörpert, sondern eine „soziologische oder psychologische Merkmalskomplexion“87, die der „zeitgenössischen Charakterologie und Sozialtypologie“88 oder einem vorgeprägten dramatischen Typ entspringt. Zeitgenössische und damit synchrone Figuren, bspw. soziologische Typen um 1600 sind nach Pfister der Landjunker, der Gelehrte, der Höfling usw., ein traditioneller, diachroner Typ ist der prahlende, aber feige Kriegsheld.89 Das Individuum schließlich verfügt über eine „Fülle charakterisierender Details“90, die es gerade nicht einem wiederkehrbaren Typ zuordnen lassen, sondern für das Unwiederholbare stehen. Das Individuum ist auf vielen Ebenen mehrdimensional und repräsentiert auf diese Weise die Vielschichtigkeit der Realität.91 Pfister sieht Individuen in der Dramaturgie des Naturalismus umgesetzt.92 Weiter differenziert Pfister zwischen geschlossener und oder offener Figurenkonzeption. Erstere liegt vor, wenn die Figur vollständig und ohne Widersprüche definiert ist, letztere, wenn sie den Lesenden vor unauflösbare Widersprüche stellt.93 Eine weitere Kategorie bezieht sich auf „die Rolle des Bewusstseins einer Figur im Verhältnis zu ihren Emotionen und Affekten, ihrem Unterbewusstsein und ihrem physischen Sein“94. Dabei unterscheidet er ein transpsychologisches von einem psychologischen Bewusstsein einer Figur. Beim transpsychologischen Bewusstsein geht das Selbstverständnis der Figur über psychologisch Plausibles hinaus, weist so auch oft auf eine epische Erzählinstanz hin, ein psychologisches Bewusstsein zeigt realistische, oft individuelle Figuren mit eingeschränktem

85 Vgl. Pfister, Das Drama, 244. 86 Vgl. Pfister, Das Drama, 244. 87 Pfister, Das Drama, 245. 88 Pfister, Das Drama, 245. 89 Vgl. Pfister, Das Drama, 245. 90 Pfister, Das Drama, 245. 91 Vgl. Pfister, Das Drama, 245. 92 Vgl. Pfister, Das Drama, 245. 93 Vgl. Pfister, Das Drama, 247. 94 Pfister, Das Drama, 247.



2.2 Klassische Narratologie 

 55

Bewusstsein und unbewusst beeinflusst durch ihr Milieu oder mit verdrängten traumatischen Erlebnissen.95 Das letzte Kriterium, das Pfister vor allem in expressionistischen Dramen erkannt hat, ist der Identitätsverlust.96 Ein solcher kommt dann zu Stande, wenn der Rezipient „eine sinnfällige Auflösung der Identität von Figuren“97 feststellen kann, indem sich eine Figur entweder in mehrere Figuren aufspaltet oder mehrere Figuren zu einer verschmelzen.98 Die zweite Kategorie, die sich mit der formalen sprachlichen Gestaltung einer Figur im Text befasst, ist die Figurencharakterisierung. Pfister unterscheidet dabei vier Formen von Charakterisierungstechniken: explizit-figurale, implizitfigurale, explizit-auktoriale und implizit-auktoriale Charakterisierungstechniken. Figural steht immer dafür, dass die Charakterisierungstechnik von einer Figur abgeleitet wird. Explizit geschieht dies, wenn eine Figur spricht, implizit ist sie in der Regel dann, wenn eine Eigenschaft von der Figur bestimmt werden kann, obwohl diese nicht ausgesprochen wird.99 Explizit-figural ist eine Charakterisierung, wenn sie direkt von einer Figur gesprochen wird.100 Bei der direkten Rede kann es sich um einen Eigen- oder einen Fremdkommentar handeln: Der Eigenkommentar kann monologisch sein, dann kommt ihm ein großer Wahrheitsgehalt zu, oder er ist dialogisch, dann muss auf den Wahrheitsgehalt der Aussage mehr geachtet werden.101 Auch beim Fremdkommentar muss auf die Glaubwürdigkeit der Aussage geachtet werden, wobei es in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ob die Aussage in An- oder Abwesenheit der betreffenden Figur gegeben wird und ob sie vor oder nach deren erstem Auftritt stattfindet.102 Die implizit-figurale Charakterisierungstechnik kann entweder außersprachlich oder sprachlich sein. Außersprachliche implizit-figurale Charakterisierungstechniken umfassen Aussehen, Mimik, Verhalten, Handeln und Rahmen (Bekleidung, Requisiten, Interieurs).103 Sprachliche implizit-figurale

95 Vgl. Pfister, Das Drama, 247–249. 96 Vgl. Pfister, Das Drama, 249. 97 Pfister, Das Drama, 249. 98 Vgl. Pfister, Das Drama, 249–250. 99 Implizit charakterisiert sich eine Figur auch selbst, wenn sie sich explizit über eine andere äußert; vgl. Pfister, Das Drama, 254. 100 Vgl. Pfister, Das Drama, 251. 101 Vgl. Pfister, Das Drama, 253. 102 Vgl. Pfister, Das Drama, 253. 103 Vgl. Pfister, Das Drama, 257.

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 2 Erzähltheorie

Charakterisierungstechniken beinhalten das sprachliche Verhalten einer Figur, Sprachtempo und Pause sowie Sprachstil.104 Darüber hinaus unterscheidet Pfister zwischen explizit- und implitzit-auktorialer Figurencharakterisierung. Explizit-auktorial ist die Figurencharakteriserung im Drama durch die Regieanweisung im Nebentext oder durch so genannte sprechende Namen.105 Implizit-auktoriale Figurencharakterisierung zeigt sich zum einen in implizit charakterisierenden Namen, die nicht so eindeutig charakterisierend sind wie die sprechenden Namen, da sie realistisch plausibel sind, aber dennoch die Möglichkeit charakterisierend zu wirken in sich tragen, zum anderen ist die implizit-auktoriale Figurencharakterisierung durch Korrespondenz- und Kontrastrelationen zwischen den Figuren verwirklicht, die den Rezipienten zu Vergleichen anregen sollen.106 Implizite Charakterisierung geschieht also auch gerade durch die konträren Eigenschaften des Figurenensembles, die erst durch den Gegensatz in starker Betonung hervortreten. Daher wird nicht nur die Figur für sich alleine, sondern immer auch innerhalb des gesamten Figurenensembles betrachtet. Das Figurenanalysemodell von Pfister sieht eine Unterscheidung zwischen der Figurenkonzeption als historischer Kategorie und der Figurencharakterisierung als gestalterischer Kategorie vor. Es ist zu fragen, ob eine Unterscheidung in Figurenkonzeption und Figurencharakterisierung in dieser Form überhaupt notwendig ist, da die sich nach Pfister ohnehin gegenseitig bedingen.107 Ein Vorteil dieser Unterscheidung liegt darin, die historische, also außertextliche Ebene, die die Intention des Autors zeigt, offenzulegen und diese von der textlichen Ebene, die den Text und die Sprache als solche untersucht, zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Frage der Figurenkonzeption erst beantwortet werden kann, wenn der ganze Text gelesen ist, da vorher beispielsweise nicht entschieden werden kann, ob sich eine Figur verändert oder nicht. Die Zuordnung Pfisters zur klassischen Narratologie ist nicht ganz unproblematisch, da er innerhalb seines Gesamtwerkes immer wieder auf die außertextliche Ebene Bezug nimmt,108 und diese auch in die Figurenanalyse bis zu einem gewissen Maße integriert, wie seine historische Kategorie der Figurenkonzeption oder auch seine Figurendefinition als „intentionales Konstrukt“109 des Autors,

104 Vgl. Pfister, Das Drama, 252, 259–260. 105 Sprechende Namen „definieren eine Figur schon vor ihrem ersten Auftritt und legen sie auf ein kritisch beleuchtetes Merkmal fest“; Pfister, Das Drama, 262. 106 Z.B. arm-reich, weiblich-männlich, alt-jung; vgl. Pfister, Das Drama, 227–232, 252, 263. 107 Vgl. Pfister, Das Drama, 241. 108 Vgl. dazu Pfister, Das Drama, 29–30, 34, 50–89. 109 Pfister, Das Drama, 221.



2.2 Klassische Narratologie 

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zeigen. Insgesamt zeigt sich eine Akzentverschiebung von strukturellen Aspekten hin zur Lesendenrezeption.110

2.2.2 Figurenanalyse nach Shlomith Rimmon-Kenan (1983) Shlomith Rimmon-Kenan führt die klassisch narrative Erzähltheorie in ihrer viel zitierten, 1983 erstmals erschienenen Monographie „Narrative Fiction“ weiter. Darin werden Figureninformationen gesucht, die eine Figur direkt oder indirekt charakterisieren, und Figureninformationen, die erst durch Erschließen des Lesenden auf die Figur bezogen werden können (Analogie).111 Figurenanalysemodell nach Shlomith Rimmon-Kenan:

Figureninformationen Direkte Charakterisierung durch – Erzähler – die Figur selbst – Mitfiguren

→ Glaubwürdigkeit der Aussagen

Indirekte Charakterisierung

Handlungen – gewohnheitsmäßig/einmalig – ausgeführt/unterlassen/bedacht direkte Rede – Inhalt und Art und Weise äußeres Erscheinungsbild: von der Figur – beeinflussbar/nicht beeinflussbar Umwelt – Wohnung; Namen

Analogie betont Ähnlichkeit oder Kontrast und ist entweder explizit oder implizit im Text – analoge Namen – analoge Landschaften – Analogie zwischen Charakteren

Die direkte Charakterisierung umfasst Aussagen der Erzählstimme sowie jede direkte Rede der Figuren.112 Je nach Glaubwürdigkeit der Aussage verrät die Information mehr über die sprechende Figur selbst, als über diejenige, über die gesprochen wird.113 Die indirekte Charakterisierung sieht Rimmon-Kenan in vier Aspekten verwirklicht: Handlungen, direkte Rede, äußeres Erscheinungsbild, Umwelt. Der

110 Vgl. Nieragden, Figurendarstellung, literarische, 200. 111 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 59–60. 112 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 60. 113 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 60.

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 2 Erzähltheorie

erste Aspekt der Handlung kann unterschieden werden hinsichtlich der Frage, ob die Handlung gewohnheitsmäßig oder einmalig ist und ob sie ausgeführt ist oder unterlassen oder ob die Figur nur darüber nachgedacht hat.114 Beim zweiten Aspekt der direkten Rede als implizite Selbstcharakterisierung sind sowohl Inhalt, als auch Art und Weise des Sprechens entscheidend.115 Der dritte Aspekt ist das äußere Erscheinungsbild. Hier kann gefragt werden, ob dieses von der Figur beeinflussbar ist oder nicht. Ist eine Figureninformation in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild beeinflussbar, werden dadurch Charaktereigenschaften der Figur offenbar, ist es nicht beeinflussbar, kann dies möglicherweise als Symbol für etwas stehen, was entschlüsselt werden muss.116 Der vierte Aspekt ist die Umwelt der Figur. So können beispielsweise Haus, Wohnungseinrichtung, Straße und Stadt einer Figur, ähnlich wie die Kleidung, oder auch ihr soziales Umfeld (Familie, sozialer Rang) Informationen über ihren Charakter liefern.117 Unter Analogie versteht Rimmon-Kenan in diesem Zusammenhang einen textuellen Verweis, der unabhängig vom Kausalzusammenhang der Erzählung ist: „Analogy (…) is a purely textual link, independent of storycausality.“118 Analogie kann entweder die Ähnlichkeit oder den Kontrast zwischen Figur und dem analogen Verweis betonen. Sie ist entweder explizit oder implizit im Text zu finden.119 Es lassen sich mindestens drei Formen von Analogie unterscheiden, die der Verstärkung der Charakterisierung dienen: Namen, Landschaften und die Analogie zwischen Charakteren. Analoge Namen können auf verschiedene Arten im Text verwirklicht sein: Sie können erstens visuell gegeben sein, wenn der Buchstabe O im Namen für eine füllige Figur gebraucht wird, der Buchstabe I hingegen für eine schmale.120 Eine zweite Möglichkeit ist durch die akustische Analogie gegeben, die beispielsweise durch onomatopoetische Namen realisiert ist.121 Die dritte Form ist die artikulierte Analogie, die beispielsweise dann gegeben ist, wenn Namen von Figuren besonders aufwendig zu sprechen sind, die Charaktere selbst aber eher flach sind.122 Die vierte Form ist die semantische Analogie, die in ihrer Bedeutung übertragbare Namen umfasst. Besondere Formen der semantischen Analogie sind Allegorien

114 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 61–62. 115 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 63. 116 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 65–66. 117 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 66. 118 Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 67. 119 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 68. 120 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 68. 121 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 68. 122 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 68.



2.2 Klassische Narratologie 

 59

oder solche Namen, die mythologischen oder literarischen Ursprungs sind.123 Die analogen Namen können die Ähnlichkeit zur Figur aufzeigen oder den Kontrast, wobei gerade die letztere Variante geeignet ist, ironische Assoziationen hervorzurufen.124 Analoge Landschaften sind schwerer mit einem Charakter zu assoziieren als eine Wohnung. Dennoch kann eine solche Übertragung in einigen Fällen zutreffend sein und auch hier kann sie sich entweder durch Ähnlichkeit oder Kontrast auszeichnen.125 Die Charaktereigenschaft einer Figur wird in der dritten Form der Analogie zwischen Charakteren auch dadurch hervorgehoben, dass sie in einer Gruppe verstärkt auftritt oder in krassem Gegensatz zu einer Eigenschaft einer anderen Figur steht.126 Neben den umfassenden Möglichkeiten eine Figur bzgl. ihrer direkten und indirekten Charakterisierungsmerkmale zu analysieren, liegt gerade in der Figurencharakterisierung durch die Analogie eine besondere Stärke dieser Methode.127

2.2.3 Figurenanalyse nach Jost Schneider (1998) Schneider grenzt sich in seinem 1998 erstmals erschienenen Lehrbuch „Einführung in die moderne Literaturwissenschaft“ durch seine Definition der Figur von psychologischen Ansätzen der Figurenanalyse ab, mit der Begründung, dass Figuren nie mit natürlichen Personen gleichgesetzt werden sollten, weshalb die Bezeichnung Figur zutreffend und die der Person abzulehnen sei.128 Denn im Unterschied zu realen Personen sei die Vita der Figur auf ein rezipierbares Format zusammengedrängt, sie sei charakterlich weniger komplex, verkörpere teilweise nur einen Typus und ihre Entwicklungsfähigkeit könne statisch oder dynamisch angelegt sein.129 Aussagen und Charakter von Figuren und Erzählstimme seien nicht mit denen des Autors gleichzusetzen – eine solche „Verwechslung“ zähle zu den „häufigsten Fehlern“130, die bei der Analyse gemacht werden

123 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69. 124 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69. 125 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69. 126 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 70. 127 Die Wichtigkeit der Analogie für die Exegese betont Heininger, Geschlechterdifferenz im Neuen Testament, 37–38. 128 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 34–36. 129 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 36; vgl. zur letzten Unterscheidung: Pfister, Das Drama, 241–243. 130 Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 38.

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 2 Erzähltheorie

können. Er schreibt dazu: „Speziell die Erzählerfiguren in Romanen mit auktorialer Erzählsituation werden regelmäßig mit den Verfassern identifiziert, aber auch bei anderen Gattungen gibt es in weiten Rezipientenkreisen die Neigung, in dieser oder jener Figur ein Sprachrohr des Autors zu erkennen und damit den wahrheitstheoretisch komplizierten Status künstlerischer Texte der unproblematischeren Geltungshaftigkeit von Wirklichkeitsaussagen und Tatsachenbehauptungen anzunähern.“131 Figurenanalyse nach Schneider:

Figur Sozialer Raum

Besitz, Bildung, Beziehungen, Ansehen, körperliches Kapital

Explizite Charakterisierung durch – Erzähler – die Figur selbst – Mitfiguren → Glaubwürdigkeit der Aussagen

Implizite Charakterisierung

– Namensgebung – Verhalten, Handlungsweise – Besitz, Lebens- und Wohnumgebung – Bildung, Sprechweise, Gestik – Beziehungen, Ansehen – körperliches Kapital, Bekleidung

Leserlenkung

– Sympathie durch gleiche Werte wie die Rezipienten – Identifikation durch gleiches Erscheinungsbild und Verhalten

Schneider analysiert Figuren nach drei Kategorien: Die erste Kategorie ist die des sozialen Raumes, worunter er – orientiert an der Soziologie von Bourdieu – Besitz, Bildung, Beziehungen, Ansehen und das körperliche Kapital (Schönheit, Gesundheit, Leistungsfähigkeit) einer Figur zählt.132 In der zweiten Kategorie unterscheidet er unter Bezugnahme auf Pfister explizite von impliziten Charakterisierungstechniken zur Figureneinführung: Explizit sind alle Aussagen der Erzählstimme oder einer Figur, implizite Charakterisierungstechniken umfassen die Bereiche Namensgebung, Bekleidung, Sprechweise, Gestik, Lebens- und Wohnumgebung, Verhalten und Handlungsweise der zu charakterisierenden Figur.133 Zu untersuchen ist dabei stets die Glaubwürdigkeit der Aussagen.134 Der dritte Aspekt ist der der Leserlenkung, den Schneider unter Bezugnahme auf den rezeptionsästhetischen Ansatz von Hans Robert Jauss mit Verweis auf

131 Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 38. 132 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 38–39. 133 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 40–41, 45. 134 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 41.



2.2 Klassische Narratologie 

 61

das Werk „Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik“ (1977) in seine Analyse integriert.135 Mit „Methoden der Sympathielenkung“ kann die Figur in ein bestimmtes Licht gerückt werden, wobei Schneider zwischen harten Faktoren, wie das Respektieren von Gesetzmäßigkeiten und Konventionen der voraussichtlichen Rezipienten durch eine bestimmte Figur und weichen Faktoren, die dann gegeben sind, wenn die Figur in Verhalten und Erscheinungsbild dem der Adressaten angepasst ist, unterscheidet.136 Die Techniken der Sympathiesteuerung können zudem vom Autor bewusst oder unbewusst eingesetzt werden.137 Schneiders methodischer Ansatz zeigt eine Auseinandersetzung mit den vorhandenen Theorien auf interdisziplinärem Niveau. Von der Psychologie grenzt er sich mit der Unterscheidung von Figur und Person ab. Seine Kategorie des sozialen Raumes zeigt seine Beschäftigung mit der Sozialwissenschaft, die er für seine Figurenanalyse fruchtbar macht, und die dadurch eine historische Komponente erhält. Die Unterscheidung von impliziten und expliziten Charakterisierungstechniken ist ein Aufgreifen des Ansatzes von Pfister, das Thema Lesendenlenkung und Identifikation ist der Rezeptionsästhetik übernommen und weitet den Horizont der Analyse auf das Bezugsfeld des Lesenden aus.

2.2.4 Figurenanalyse nach Roy Sommer (2010) Sommer bietet in seinem 2010 erschienenen Aufsatz „Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze“ unter Berücksichtigung neuerer englischund deutschsprachiger Erzählliteratur eine narratologische Textanalyse, die die Kategorien Handlung, Figuren, Figurenrede, Raumdarstellung, Zeitdarstellung und erzählerische Vermittlung untersucht.138 In Bezug auf Figurenanalyse sind

135 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 45; vgl. auch Jauss, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, 1977. 136 Vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 42. 137 Innerhalb des Diskurses, ob Einflüsse des Autors im Text wahrnehmbar sind, zeigt die Ausführung zur Lesendenlenkung, dass Schneider eine gemäßigte Haltung vertritt, die sich zwischen den extremen Ansichten von Psychologie und Strukturalismus bewegt: Es ist zwar so, dass Figur oder Erzählstimme einerseits nicht mit dem Autor identifiziert werden können, doch lassen sich andererseits Tendenzen aus der Art und Weise der Sympathiesteuerung herauslesen, die hinterfragt werden können; vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 42–43. 138 In diesem Sinne verweist Sommer auf ähnliche Ansätze bei: Bode, Der Roman, 2005; Fludernik, Einführung in die Narratologie, 2006; Herman, „Introduction“, 1999, 1–30; Lahn/Meister, Einführung in die Erzähltheorie (1999); Neumann/Nünning, Introduction to Narrative The-

62 

 2 Erzähltheorie

die Kategorien Figuren und ihre Darstellung im Text und Figurenrede und Bewusstseinsdarstellung von Bedeutung; der Begriff der Bewusstseinsdarstellung umfasst hier die verschiedenen Möglichkeiten, die Gedanken einer Figur durch einen Text zu vermitteln. Sommer zeigt für beide Kategorien spezielle Aspekte auf, die in einem Text vorkommen können:139 Figuren Figurenselektion

–– Anzahl der Figuren –– Kriterien –– Homogenität vs. Heterogenität

Figurenkonzeption:

–– flat vs. round character –– statisch vs. dynamisch –– eindimensional vs. Mehrdimensional

Figurencharakterisierung

–– implizit vs. explizit –– Fremd- vs. Selbstcharakterisierung

Figurenkonstellation

–– Kontraste und Korrespondenzen –– Perspektivenstruktur

Figurenfunktion

–– z.B. aufgeteilt nach strukturalistischen Aktantenrollen, d.h. Subjekt, Objekt, Adressat, Opponent, Schiedsrichter, Helfer; oder Protagonist vs. Antagonist, Nebenfiguren

Figurenrede und Bewusstseinsdarstellung Figurenrede

–– Gesprächsbericht –– indirekte Rede –– erlebte Rede –– direkte Rede –– freie direkte Rede

Dialogstruktur

–– Sprecherrollen –– Länge –– Häufigkeit und Relationierung der Äußerungen –– Redeweise

Figurengedanken

–– Gedankenbericht –– indirektes Gedankenzitat –– erlebte Rede –– direktes Gedankenzitat –– freies direktes Gedankenzitat

ory, 2008; Wenzel, Einführung in die Erzähltextanalyse, 2004; vgl. dazu Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 96. 139 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 97–98.



2.3 Postklassische Narratologien 

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Für die Analyse der Figuren formuliert er fünf mögliche Aspekte: Figurenselektion, (Anzahl, Kriterien, Homogenität vs. Heterogenität), Figurenkonzeption (flat vs. round character140, statisch vs. dynamisch, eindimensional vs. mehrdimensional), Figurenkonstellation (Kontraste und Korrespondenzen, Perspektivenstruktur), Figurencharakterisierung (Implizit vs. Explizit, Fremd- vs. Selbstcharakterisierung) und Figurenfunktion (z.B. aufgeteilt nach strukturalistischen Aktantenrollen, d.h. Subjekt, Objekt, Adressat, Opponent, Schiedsrichter, Helfer; oder Protagonist vs. Antagonist, Nebenfiguren).141 Für die Analyse der Figurenrede und Bewusstseinsdarstellung formuliert er drei Aspekte: Figurenrede (Gesprächsbericht, indirekte Rede, erlebte Rede, direkte Rede, freie direkte Rede), Dialogstruktur (Sprecherrollen, Länge, Häufigkeit und Relationierung der Äußerungen, Redeweise) und Figurengedanken (Gedankenbericht, indirektes Gedankenzitat, erlebte Rede, direktes Gedankenzitat, freies direktes Gedankenzitat).142 Die Auflistung zeigt, dass Sommer die verschiedenen erzähltheoretischen Ansätze miteinander mit der Zielsetzung kombiniert, die möglichen Analyseschritte aufzuzeigen, die dann im konkreten Einzelfall für die eigene Fragestellung auf den Text angepasst werden können: So orientiert er sich beispielsweise an Greimas unter dem Aspekt der Figurenfunktion und unter anderem an Pfister unter den Punkten Figurenkonzeption und Figurencharakterisierung. Besonders sind die Unterscheidungen zur Analyse der Figurengedanken.

2.3 Postklassische Narratologien Postklassische Narratologien zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass außertextliche Bezugsysteme in der Analyse berücksichtigt werden. Anders als klassische strukturalistische Ansätze bleiben sie nicht auf der Textebene und der Frage nach dem „Wie“ derselben stehen, sondern fragen vor allem auch nach dem „Was“, nach dem Inhalt des Textes.143 Antworten auf die Frage nach dem „Was“

140 Forsters flat und round character entsprechen Pfisters statischer und dynamischer Figurenkonzeption; vgl. Forster, Aspects of the Novel, 75–85; Pfister, Das Drama, 241–243. 141 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 97. 142 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 98. 143 Vgl. Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, 95.

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 2 Erzähltheorie

des Textes werden auf außertextlicher Ebene gesucht und können den Autor, die Lesenden oder die historische Wirklichkeit zum Bezugsfeld haben.144 Von den zahlreichen neuen Narratologien wird im Folgenden ein lesendenorientierter spezieller Ansatz vorgestellt.145 Die Figurenanalyse der kognitiven Narratologie zeichnet den Prozess des Lesenden beim Lesen und sein Figurenverständnis nach.146 So findet seine Lebensumwelt in der Analyse Berücksichtigung. Diese Tatsache ist gerade dann interessant, wenn die Entstehungszeit des Textes weit zurück liegt und der Prozess des Figurenverständnisses zur Entstehungszeit des Textes untersucht wird, weil sich dieses erheblich von dem unterscheiden kann, was ein moderner Lesender beim Lesen des Textes aufbauen würde. In der kognitiven Figurenanalyse werden Forschungsergebnisse der Kognitionswissenschaften zur Textrezeption auf die Literaturwissenschaft angewandt:147 „Die kognitive Narratologie konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Texten und den kognitiven Prozessen, die die Textrezeption maßgeblich bestimmen.“148 Beim Lesen findet ein Prozess der Informationsverarbeitung statt, bei dem die Textinformationen mit den vorhandenen Wissensbeständen des Lesenden, die in Schemata im Arbeitsgedächtnis gespeichert sind, in Verbindung gebracht werden.149 Diesen Zusammenhang will die kognitive Narratologie berücksichtigen.

144 Vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 16–18. 145 Einen guten Überblick bieten Nünning/Nünning, die die neuen Narratologien mit ihren Vertretern acht Themengebieten zuordnen. Dieses Modell kann hier jedoch nicht vollständig präsentiert werden; vgl. Nünning/Nünning, Von der strukturalistischen zur „postklassischen“ Erzähltheorie, 10–13; vgl. auch Leypoldt, Strukturalismus, 30. 146 Vgl. zum nicht ganz unproblematischen Verhältnis von Strukturalismus und Kognitivismus auch Aumüller, Strukturalismus und Kognitivismus in der Narratologie, 413. Eine andere Betrachtungsweise, nach der Kognitivismus und Narratologie miteinander konkurrieren und nicht vereinbar miteinander sind, kommt ab 1990 auf, wie der Begriff des cognitive turn bei Ibsch suggerriert; vgl. Ibsch, The cognitive turn in Narratology, 411; Aumüller, Strukturalismus und Kognitivismus in der Narratologie, 415. Zerweck zeigt in seinem Aufsatz zur kognitiven Narratologie, dass diese Wende sich bereits seit 1975, also noch inmitten der klassischen textzentrierten Phase, anbahnt und die Inhalte der interdisziplinären, kontextorientierten Narratologien mitbestimmt; vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 224–226; vgl. auch zum Thema Textverarbeitungsprozesse in der Kognitionspsychologie, Stockwell, cognitive poetics. 147 Vgl. Schneider, Methoden rezeptionstheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze, 74. 148 Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 219. 149 Vgl. Schneider, Methoden rezeptionstheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze, 74.



2.3 Postklassische Narratologien 

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Kognitiv-narratologische Ansätze zur Figurenanalyse stellen die Frage, wie die Lesenden im Leseprozess ihr Bild literarischer Figuren entwerfen, mit dem Ergebnis, dass eine Reihe kognitiver Prozesse dafür verantwortlich sind.150 Figuren werden in diesem Konzept daher anders definiert, als es im Strukturalismus der Fall ist. Figuren werden als mentale Modelle betrachtet, die durch den Lesenden während des Leseprozesses konstruiert werden.151 Dabei gleicht die Wahrnehmung der Figuren in großem Maße der Wahrnehmung realer Personen.152 Je mehr Informationen im Text gelesen werden, umso umfangreicher werden diese Modelle, die allerdings nie vollständig sind, sondern immer auch Leerstellen enthalten, die vom Lesenden gefüllt werden müssen.153 Um ein solches mentales Modell zu konkretisieren, ergänzt der Lesende die Figureninformation im Text durch sein Weltwissen (top-down Prozess) und sein Wissen über die erzählte Welt (bottom-up Prozess). Im Text werden also textuelle Signale wahrgenommen, die dann vom Lesenden kognitiv zu einem mentalen Modell verarbeitet werden.154 Dazu können der soziale oder literarische Wissensbestand herangezogen werden, aber auch die Empirie der Lesenden.155 Zur Empirie der Lesenden werden sowohl deren implizite Persönlichkeitstheorien als auch seine positiven wie negativen Emotionen, die er zu einer Figur aufbaut, gezählt.156 Zur Analyse gehören dann Untersuchungen über den Lesenden oder eine Lesendengruppe und deren wahrscheinliche Rezeption eines Textes. Es wird ermittelt, wie der Lesende denkt und Informationen verarbeitet, aber auch wie der Autor seine Textwelt erschafft, ausgehend von der Voraussetzung, dass er zunächst für einen Adressatenkreis, der seiner Lebenswelt entstammt, schreibt. Solche Prozesse werden dadurch erkennbar, dass auf beiden Seiten bekannte „Codes“ im Text verwendet werden.157 Der Autor ist sich dessen bewusst und

150 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 231. 151 Vgl. Schneider, Methoden rezeptionstheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze, 74. 152 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 231. 153 Vgl. Schneider, Methoden rezeptionstheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze, 74–75. 154 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 231. 155 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 231–232. 156 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 231. 157 Codes sind „jede Form tiefenstruktureller Prägung durch kulturspezifische ideologische, re-

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 2 Erzähltheorie

nutzt dieses Bewusstsein, um seine Textwelt zu konstruieren und seine Lesenden in eine gewisse Richtung zu lenken. In diesem Zusammenhang spielen auch kulturwissenschaftliche Überlegungen als besondere Form der kognitiven Erzähltheorie eine Rolle. Denn beim Rezeptionsvorgang müssen auch die Bezugssysteme der Lesenden vor dem Hintergrund einer bestimmten Epoche beachtet werden, da diese mit der jeweiligen historischen Situation eng verbunden und daher variabel sind, so dass auch die Entstehungszeit des Textes und die Zeit der Rezeption Beachtung finden müssen.158 Gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass kognitive Ansätze insbesondere auf die Figurenanalyse angewendet werden können, da gerade Figuren in erzählenden Texten bestimmte Werte vertreten, die dann vom Rezipienten positiv oder negativ bewertet werden können.159 Vertreter einer Figurenanalyse nach der kognitiven Narratologie sind unter anderem Herbert Grabes, Carola Surkamp, Fotis Jannidis und Jens Eder.

2.3.1 „Wie aus Sätzen Personen werden…“ Herbert Grabes (1978) Einer der Ersten, der Ergebnisse aus der Kognitionswissenschaft in die Figurenanalyse integriert wissen wollte, ist Herbert Grabes, der in seinem 1978 veröffentlichten Aufsatz „Wie aus Sätzen Personen werden…“ erläutert, wie der Rezipient sich während des Leseprozesses ein Bild der Figuren macht, was er als Illusionsbildung bezeichnet.160 Eine wichtige Voraussetzung für die Bildung der Illusion, die der Lesende sich von der Figur macht, ist dessen sukzessive Wahrnehmung des Textes. Der Lesende macht sich während des Lesens ein Bild von der Figur, wobei die ersten Informationen, die er über die Figur bekommt, die wichtigsten sind und zum Maßstab für alle weiteren werden.161 Denn der Lesende komplettiert bereits nach den ersten Informationen sein Figurenbild und passt alle weiteren Informationen an diese Illusion an (primacy effect).162 Wie diese Komplet-

ligiöse, epistemologische Paradigmen, welche perzeptive und moralische Grundstrukturen des individuellen Weltbildes präformieren [wie z.B.] Geschlechterstereotype […], anthropologische Vorstellungen und Zeitmodelle“ Horatschek, Code, 98–99. 158 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 238. 159 Vgl. Schneider, Methoden rezeptionstheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Ansätze, 79. 160 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 407. 161 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 407. 162 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 415, 418.



2.3 Postklassische Narratologien 

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tierung aussieht, hängt zum einen vom Erfahrungsschatz des Lesenden ab, denn er nimmt die Figur analog zu dem „Du“ seiner Umwelt wahr und unterstellt ihr vorerst, das gleiche Bewusstsein wie einer realen Person, und zum anderen von seiner Sozialisation, was dazu führt, dass andere Zeitgenossen des Lesenden bei der Lektüre des Textes auf ähnliche Figurenbilder kommen würden.163 Die Rezeption hat daher zunächst den Charakter von Stereotypenbildung, womit Grabes die zu seiner Zeit üblichen Charakter- und Rollentypen bezeichnet.164 Nicht nur im Kontext des Rezipienten, sondern auch im Hinblick auf das Umfeld des Autors und dessen zeitgenössischer Stereotypenbildung müssen gerade diese ersten Figureninformationen genau untersucht werden.165 Darum muss die Reihenfolge der gegebenen Figureninformationen für die Figurenanalyse eingehalten werden, da sie maßgeblich für die Interpretation ist.166 Analysemodelle, die die Informationen in einem ersten Schritt sammeln und dann kategorisieren, wie es beispielsweise strukturalistische Ansätze tun, beschnitten sich selbst um dieses Moment.167 Nach dem ersten Eindruck der Figur wird mit jeder weiteren Figureninformation das Gesamtbild der Figur sukzessive vervollständigt. Wenn eine neue Figureninformation nicht in die bestehende Figurenvorstellung passt, so muss der Lesende sich entscheiden: entweder er verwirft das bisher gefasste Bild zugunsten eines neuen oder er nimmt eine Entwicklung der Figur an oder aber er glaubt an eine absichtliche oder unabsichtliche Unstimmigkeit im Figurenkonzept des Autors.168 Gerade letztere Variante kommt indes selten vor, denn der Lesende bemüht sich, die Vorstellung von der Figur zu wahren. Er wird versucht sein, auch zunächst abwegige Informationen in sein Figurenbild zu integrieren.169 Grabes definiert die Figur demnach seinem Ansatz getreu als „Personenvorstellung […], die nach mindestens einer Lektüre eines ganzen Textes gebildet wird“170, wobei diese mit jedem Lesen vollständiger und intensiver wird.

163 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 416, 421; dazu äußert sich auch die Exegetin Ilse Müllner, die beispielhaft beschreibt, dass der Lesende von Science-Fiction-Romanen auch solche ungewöhnlichen Informationen auf dem Hintergrund des kognitiven Schemas von realen Personen in seine Figurenvorstellung integriert; vgl. Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick, 11. 164 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 416. 165 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 418. 166 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 426–427. 167 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 413, 426–427. 168 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 417. 169 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 421. 170 Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 422.

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 2 Erzähltheorie

Grabes beschreibt mit Hilfe des kognitionswissenschaftlichen Denkansatzes, wie der Lesende zu seinem Figurenbild kommt. Auf solchen Ideen aufbauend entwerfen dann Forscher wie Surkamp oder Jannidis schematische Modelle zur Figurenanalyse.

2.3.2 „Die Perspektivenstruktur narrativer Texte“ nach Carola Surkamp (2003) Carola Surkamp macht in ihrer 2003 erschienenen Monographie „Die Per­ spektivenstruktur narrativer Texte“ kognitionswissenschaftliche Theorien für die Figurenanalyse fruchtbar.171 Dabei beschreibt der Begriff der Perspektive nicht „das Verhältnis einer Vermittlungsinstanz zur fiktionalen Welt bzw. der Vorgang des Erzählens oder des Fokalisierens172 […], sondern die Gesamtheit der persönlichen Merkmale einer Figur bzw. des Erzählers, die die Konstruktion individueller Wirklichkeitsmodelle in Erzähltexten beeinflussen“173. Das Wirklichkeitsmodell einer Figur oder Erzählinstanz umfasst acht Aspekte: alle biographischen Hintergrundinformationen einer Figur, ihre physische und psychische Disposition, ihre Werte und Normen, ihre Erfahrungen, Handlungen und Fähigkeiten, ihre kulturell geprägten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, ihr Informationsstand, ihre Motivationen, Bedürfnisse und Intentionen und ihren situativen Kontext, also Raum und Zeit des dargestellten Geschehens.174 Wirklichkeitsmodelle werden in der Analyse aber nicht nur für Erzählstimme und Figuren, sondern auch für den fiktiven Lesenden erstellt:175 Die so genannte Perspektive des fiktiven Lesenden „umfasst als das Wirklichkeitsmodell des Empfängers auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung dessen Informationsstand, Werte und internalisierte Normen sowie im Einzelfall dessen Geschlecht, Alter, psychische Disposition, Motivationen, Intentionen, Biographie und situativen Kontext“176. Diese Multiperspektivität erzählender Texte, die durch die Verschiedenheit der Perspektiven von Figuren und Erzählstimme gegeben ist, kann erst durch die Interaktion von Text und Lesendem, etwa indem der Lesende mit Hilfe seiner kognitiven Voraussetzungen Erzählstimmen- und Figurenperspektive miteinander in

171 Vgl. Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 233. 172 Vgl. dazu Genette, Narrative Discourse, 185–189. 173 Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 38. 174 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 38–39. 175 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 39–45. 176 Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 45.



2.3 Postklassische Narratologien 

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Figurenanalyse nach Surkamp:

Wirklichkeitsmodell Figur

Erzählinstanz

Perspektive des fiktiven Lesers

– alle biographischen Hintergrundinformationen – physische und psychische Disposition – Werte und Normen – Erfahrungen, Handlungen, Fähigkeiten – kulturell geprägte Wahrnehmungs- und Deutungsmuster – Informationsstand – Motivationen, Bedürfnisse und Intentionen – situativer Kontext

Rezipient

außertextueller Bezugsrahmen (frames)

– zeitbedingte Menschenbilder – Rollen- und Identitätstheorien – genderspezifische Vorstellungen – Stereotypenvorstellungen

Relation setzt, in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt erfasst werden.177 Nachdem der Lesende ein zur Figurendarstellung verwendetes Zeichen, das entweder expliziter oder impliziter Natur sein kann, wahrgenommen hat, erstellt er das Wirklichkeitsmodell der Figur aufgrund außertextueller Bezugsrahmen (frames), die zeitbedingte Menschenbilder, Rollen- und Identitätstheorien, genderspezifische Vorstellungen und Stereotypenvorstellungen des Rezipienten umfassen.178 Ähnliches gilt für die Konstitution der Erzählstimmenperspektive und die des fiktiven Lesenden: Je eindeutiger die Figurenvorstellung der Erzählstimme zu konstruieren sei, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Rezipient als fiktiver Leser verstehe, was die Illusion einer Kommunikationssituation zwischen

177 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 67; Zerweck, Der Cognitive Turn in der Erzähltheorie: Kognitive und „Natürliche“ Narratologie, 234. 178 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 74–76; zum Ablauf der kognitiven Prozesse bezieht sich Surkamp unter anderem auf die Theorie von Grabes.

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 2 Erzähltheorie

Erzählstimme und Rezipienten suggeriere.179 Das aber wiederum führe dazu, dass eine Identifikation des Rezipienten mit den Figuren in die Ferne rückt, weil eine Kommunikationsinstanz, die Erzählstimme, dazwischen liege, was Veränderungen in der Figurenwahrnehmung und damit für die Interpretation von Texten zur Folge habe.180 Diese fortwährende Relationierung von Wirklichkeitsmodellen oder Perspektiven durch den Rezipienten hat die Konsequenz für die Praxis, dass es sich bei dieser Methode um eine dynamische Analyse handelt.181 Die Figurenvorstellungen wandeln sich immer wieder während der Lektüre. Das Besondere an dem Perspektivenmodell sind vor allem die Kriterien, mit deren Hilfe Bezug auf die Instanz des Lesenden genommen werden kann.

2.3.3 Kognitiv-narratologischer Ansatz nach Fotis Jannidis (2004) Neben mehreren Aufsätzen zur Figurenanalyse hat der Literaturwissenschaftler Fotis Jannidis eine 2004 erschienene Monographie mit dem Titel „Figur und Person“ geschrieben, die sich mit der Figurenanalyse nach kognitiv-narratologischem Ansatz befasst. Die historische Narratologie interessiere sich für die intendierte Struktur und die Bedeutung der Texte, nicht für zeitgenössische oder heutige Rezeption, die mit den Mitteln, die der Literaturwissenschaft zur Verfügung stehen, schwer zu greifen sei.182 Um hingegen die zeitgenössische Semantik eines Textes zu entschlüsseln, müsse einerseits die Ebene des realen Autors oder auch Autorintention, durch die sich ein Text mit dem Wissen über die Person des Autors in Beziehung setzen lässt, und andererseits die Ebene des sogenannten Modell-Lesers oder intendierten Lesers, soweit er sich aus dem Text rekonstruieren lässt, untersucht werden.183 Der Modell-Leser ist „ein anthropomorphes Konstrukt, das gekennzeichnet ist durch die Kenntnis aller einschlägigen Codes und auch über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, um die vom Text erforderten Operationen erfolgreich durchzuführen.“184 Er „wird explizit mit psychischen Merkmalen versehen, insbesondere mit einem Gedächtnis, mit kulturellem

179 Surkamp macht jedoch auch darauf aufmerksam, dass gerade der auktoriale Erzähler in aller Regel nur anhand seiner Äußerungen charakterisierbar ist; vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 77–79. 180 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 78. 181 Vgl. Surkamp, Die Perspektivenstruktur narrativer Texte, 83. 182 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 161. 183 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 20–44, 237. 184 Jannidis, Figur und Person, 31.



2.3 Postklassische Narratologien 

 71

Wissen und mit der Fähigkeit, Inferenzen bilden zu können.“185 Die tatsächliche Rezeption könne zwar mit der intendierten konform gehen, müsse es aber nicht: So verstehe beispielsweise nur ein mythologisch gebildeter Lesender die Rede vom Olymp in einem Text.186 Aufgrund dieser erzähltheoretischen Voraussetzung formuliert Jannidis seine Figurendefinition: Die Figur sei demnach „ein mentales Modell des ModellLesers“187 – untersucht werden muss die Struktur der Repräsentation dieses Modells. Diese Definition impliziert, dass eine Figurenvorstellung durch die Informationen und Wertungen entsteht, die ein Modell-Leser im Text finden und der Figur interpretierend zuordnen kann. Diese Idee zieht sich durch alle weiteren Kategorien durch. Mit alltagspsychologischen Überlegungen („folk psychology“) – gemeint sind in diesem Fall solche, die als interkulturell übergreifend angesehen werden können – wird zunächst ein Basistypus der Figur gefunden, der primär dazu dient, die Figur vom Objekt zu unterscheiden.188 „Mit diesem Begriff [folk psychology] wird das Phänomen bezeichnet, dass Menschen im Alltag anderen Menschen psychische Zustände zuschreiben, dass sie menschliches Verhalten mit Bezug auf psychische Zustände erklären und auch Vorhersagen machen, bei denen sie sich auf Annahmen über psychische Zustände verlassen.“189 Basal ist nach Jannidis eine Figur am Namen oder anderen Bezeichnungen erkennbar.190 Darüber hinaus zeichnen sie in der Personenwahrnehmung des Menschen, kulturell übergreifend, drei Merkmale aus: ihre intentionale Ausrichtung, ihre äußere Erscheinung und ihr zunächst nicht wahrnehmbares Inneres mit stabilen inneren Merkmalen sowie vorübergehenden Innenzuständen.191 Inneres und Äußeres der Figur können dabei einander entsprechen oder im Kontrast zueinander stehen.192 Von diesen drei Kategorien ausgehend, lassen sich noch weitere Differenzierungen ausmachen, die in der Analyse berücksichtigt werden können.193 Die

185 Jannidis, Figur und Person, 237. Die Idee des Modell-Lesers oder intendierten Lesers wird meist mit dem Begriff des impliziten Lesers bezeichnet. 186 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 155–156; Jannidis, Figur und Person, 30. 187 Jannidis, Figur und Person, 240. 188 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 168. 189 Jannidis, Figur und Person, 31. 190 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 169. 191 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 169. 192 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 193 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171.

72 

 2 Erzähltheorie

Basistypus nach Jannidis: Basistypus Namen/Bezeichnung

Intentionalität/ Handlungsfähigkeit

Verhalten der Figur als Handlung

Äußeres/Körperlichkeit

Position im Raum

Inneres

Stabile Merkmale Vorübergehende Zustände

Handlung Nicht-Intentionales Handeln → Ursache Intentionales Handeln → Wünsche, Überzeugungen auf der Grundlage von Regelmäßigkeitsannahmen der narrativen Welt, der Gattung oder des Autors in seiner Zeit

Intentionalität oder Handlungsfähigkeit der Figur lässt ihr Verhalten als beabsichtigte Handlung erscheinen.194 Die Handlungen können aber auch nicht-intentional sein.195 In diesem Fall kann nach deren Ursache gefragt werden.196 Sind sie intentional, können Wünsche oder Überzeugungen – also mitunter stabile Merkmale ihres Innenlebens – gemeint sein, die die Figur zu einer bestimmten Handlung geführt haben.197 Sind diese nicht explizit, kann durch Regelmäßigkeitsannahmen darauf geschlossen werden.198 Diese so genannten Inferenzen sind durch Vermutungen über die Textwelt, die Gattung oder auch den Kontext des Autors ausfindig zu machen.199 Figureninformationen über das Äußere einer Figur können auch in Beziehung zu ihrer Position, ihrer Körperlichkeit im Raum, stehen, so dass diese unterschieden werden können, ob sie die Figur beschreiben oder ihre Relation zum

194 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 195 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 196 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 197 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 198 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 199 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171.



2.3 Postklassische Narratologien 

 73

Raum der Textwelt.200 Stabile Eigenschaften der Figur können als Indizien gewertet werden, um die Motivation ihrer Handlungen festzustellen.201 Nachdem das Wesen der Figur mit dem Basistypus abgesteckt worden ist, entwickelt Jannidis gezielt Kategorien, die die Mittel der sprachlichen Produktion von Figuren aufgreifen, um diese systematisch analysieren zu können. Auf der Darstellungsebene der Figur sind zunächst zwei Kategorien zu unterscheiden, mit deren Hilfe der Modell-Leser das mentale Modell der Figur entstehen lässt: die Benennung und die figurenbezogenen Tatsachen. Die erste Kategorie Benennung oder Bezeichnung der Figur erfüllt als indirekte Beschreibungsmöglichkeit verschiedene Funktionen: Sie dient der Erzeugung und Abgrenzung der Figur, als „Referenzpunkt für Merkmalszuordnungen“, von der auch weitere Benennungen ausgehen.202 Um verschiedene Benennungen einer Figur eben dieser Figur zuzuordnen, sind sowohl Weltwissen, als auch Wissen des Lesenden über die narrative Welt erforderlich.203 Die zweite Kategorie zur Erfassung der Darstellung einer Figur sind die so genannten figurenbezogenen Tatsachen, die die Gesamtheit der Figureninformationen umfassen. Der Begriff suggeriert, dass es Informationen im Text gibt, die für die Figurencharakterisierung relevant sein können, auch wenn das auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist.204 Diese Figureninformationen dienen in erster Linie der Figurencharakterisierung. Charakterisierend ist eine Figureninformation dann, wenn sie als stabiles Merkmal einer Figur angesehen werden kann.205 Ein strukturelles Indiz für Stabilität ist die Wiederholung.206 Die Figurencharakterisierung kann direkt und indirekt gestaltet sein: Der direkten Figurencharakterisierung gehören alle Figureninformationen an, die der Text, auf der Ebene des discours, der Darstellung, direkt über die Figur gibt, ohne dass sie erst durch Überlegungen erschlossen werden müssen.207 Konkret gemeint sind also stabile, innere Merkmale der Figur, aber auch vorübergehende innere Zustände, kennzeichnende Informationen über ihr Äußeres wie

200 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 201 Vgl. Jannidis, Zu anthropologischen Aspekten der Figur, 171. 202 Jannidis, Figur und Person, 239. 203 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 240. 204 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 19. 205 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 22. 206 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 22. 207 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 198

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 2 Erzähltheorie

Figurenanalyse nach Jannidis: Basistypus Benennung/Bezeichnung Intentionell, Inneres, Äußeres

Figurenbezogene Tatsachen = Darstellung Zuschreibung = Direkte Charakterisierung = Figureninformation – Äußeres – Inneres – Inhalt von Äußerungen – Inhalt von Handlungen

Bindung = Indirekte Charakterisierung Inferenzen ausgehend von figurenbezogenen Tatsachen

Inferenzen ausgehend von nicht-figurenbezogenen Tatsachen

Bsp.: Schilderung von Objekten, Handlungen, sprachliches Verhalten, Ereignisse, Äußeres, Inneres Prozess der abduktiven Inferenz 1. Semiotischer Trigger ausgelöst und begrenzt durch Relevanzkriterien 2. Inferenzen aufgrund hist., kult. Wissen: Figurenmodell, figurale Schemata, situative Schemata 3. Schluss aus Phänomen und Regel

Zuverlässigkeit Modus der Quelle ist eine Tatsache faktisch oder existiert sie nur in der Vorstellung einer Figur?

Relevanz Bedeutung für die Figur als Teil der narrativen Kommunikation

Offensichtlichkeit direkte oder indirekte Zuschreibung der Information

Motivation = Figur und Handlung Kausal, final, leserorientiert (narrativer Leser) Kompositorisch (auktorialer Leser)

Identifikation = wie der Text die Beziehung des Lesers zum Protagonisten bestimmt. Durch Empathie: auslösende Signale 1. Situation = Situation wird aus der Sicht der Figur vermittelt. 2. Ausdruck = Mimik, Gestik, Stimme, Expressivität der Sprache (alle Formen des sprachlichen Ausdrucks, die symbolhaft emotionale Zustände kommunizieren: direkte Rede, erlebte Rede, Bewusstseinsstrom, Ich-Erzähler). Wertungsauslöser durch den Leser: 1. Durch die sprachliche Darstellung 2. als Wertungshandlung in der erzählten Welt 3. Figurenhandlungen, die auf das Wertsystem des zeitgenössischen Lesers bezogen sind 4. Handlungsverlauf 5. Figurenmodelle und stereotype Handlungsrollen Figurengröße = Nähe zum Leser



2.3 Postklassische Narratologien 

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ihre Kleidung sowie Handlungen und Äußerungen, kurzum alle Figureninformationen, die direkt gegeben und inhaltlich untersucht werden.208 Indirekte Charakterisierung ist immer dann gegeben, wenn die Information nicht direkt über die Figur ausgesagt ist, wenn der Lesende aufgrund dieser Anordnung in der Darstellung Schlussfolgerungen über die Figur in ihrer narrativen Welt aus dieser Information ziehen muss.209 Die Information kann dabei offensichtlich auf die Figur bezogen sein oder eben nicht.210 Beispiele sind die Schilderung von Objekten wie die Wohnung einer Figur, ihre Handlungen, ihr sprachliches Verhalten oder bestimmte Ereignisse.211 Denkbar sind vielfältige Szenarien, die auf diese Definition zutreffen. Um diesen so genannten Prozess der abduktiven Inferenz212 zu erleichtern, gibt Jannidis einen Dreischritt vor, mit dem nicht nur das Auszuwertende unter der nach der Definition unzähligen Vielfalt von theoretisch Analysierbarem gefunden werden soll: Erstens soll das zu analysierende Zeichen, der semiotische Trigger im Text gefunden werden.213 Bei diesem Schritt spielen Relevanzkriterien eine Rolle.214 In einem zweiten Schritt wird eine „Regelmäßigkeitsannahme herangezogen, die zu dem Phänomen passt“215. Die Regelmäßigkeitsannahmen sind immer aufgrund von historischem und oder kulturellem Wissen zu treffen.216 Jannidis unterscheidet drei Arten von Wissen, die den Lesenden bei der Benennung des Phänomens unterstützen sollen: Figurenmodelle, figurale Schemata und situative Schemata.217 Figurenmodelle sind „gestaltförmige Konfigurationen von Figureninformationen“218 wie die „femme fatale“ oder der „Extrovertierte“, Typen wie beispielsweise Pfister sie bezeichnet.219 Diese können der literarischen oder nicht-literarischen Welt entstammen. Figurale Schemata sind als „figuren- oder

208 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 198. 209 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 22. 210 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 20–21. 211 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 23. 212 Jannidis, Figur und Person, 214. 213 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 212–214, 255. 214 Relevanzkriterien sind bei Jannidis „das narrative Kooperationsprinzip, Gattungskonventionen, die Regeln des Typus von erzählter Welt und der spezifischen erzählten Welt“ Jannidis, Figur und Person, 212. 215 Jannidis, Figur und Person, 214. 216 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 23. 217 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 23. 218 Jannidis, Figur und Person, 214. 219 Vgl. Pfister, Das Drama, 245.

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 2 Erzähltheorie

personenbezogene Regelmäßigkeitsannahmen“220 dann gegeben, wenn Rückschlüsse gezogen werden müssen, die gerade nicht darauf zurückzuführen sind, dass eine Figur einem bestimmten Typus zuzuordnen ist.221 Als Beispiel dient Jannidis die Situation, dass jemand seinem Gegenüber versichert, die Wahrheit zu sagen, aber ihm nicht in die Augen sehen kann.222 Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt und die durch Weltwissen zu Stande kommt, ist, dass jemand, der lügt, dem Blick seines Gegenübers nicht Stand halten kann.223 Eine Wahrheit, die eher dafür spricht, dass es sich bei dem Lügner um einen Gelegenheitslügner und nicht um den Typ des notorischen Lügners handelt. Ist das Wissen textspezifisch, nicht aber dem Weltwissen zu entnehmen, ist Ersterem der Vorzug zu geben. Solches Wissen bildet dann die so genannte textinterne Anthropologie224. Drittens nennt Jannidis die situativen Schemata und meint damit typische Konstellationen von Figuren wie zum Beispiel die Dreiecksbeziehung.225 Auch diese muss der Lesende durch Inferenzbildung ausfindig machen. Die indirekte Charakterisierung bleibt also nicht bei der Analyse des Textes stehen. Immer sind Zusatzvoraussetzungen des Lesenden zum Textverständnis unabdingbar. Ist der semiotische Trigger erkannt und konnte dieser einer Regelmäßigkeitsannahme zugeordnet werden, muss in einem dritten Schritt durch Zusammenschau eine Interpretation gefunden werden.226 Die Figureninformation selbst sollte dann auf vier Faktoren hin überprüft werden, mit deren Hilfe sie beschrieben werden kann: Zuverlässigkeit, Modus, Relevanz und Offensichtlichkeit:227 Zuverlässig ist eine Information dann, wenn die Quelle zuverlässig ist.228 Quellen können im Erzähltext die Erzählstimme oder die Figuren sein. Inwiefern deren Aussagen als zuverlässig angesehen werden können, muss dann im Einzelfall überprüft werden. Die Kategorie des Modus fragt danach, ob eine Figureninformation faktisch, kontrafaktisch, konditional oder subjektiv ist, also ob sie als real in der Textwelt angesehen werden kann oder ob sie nur in der Vorstellung, in Plänen oder Wünschen der Figur existiert.229

220 Jannidis, Figur und Person, 215. 221 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24. 222 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24. 223 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24. 224 Jannidis, Figur und Person, 215; Titzmann, Psychoanalytisches Wissen und literarische Darstellungsformen des Unbewussten in der Frühen Moderne, 184. 225 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24; Jannidis, Figur und Person, 216. 226 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 251. 227 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 201. 228 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 21. 229 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 22; Figur und Person, 201, 203–204.



2.3 Postklassische Narratologien 

 77

Relevant ist eine Figureninformation dann, wenn sie innerhalb der narrativen Kommunikation einen bedeutsamen Platz einnimmt.230 Die Informationen, die der Figurencharakterisierung dienlich sind, müssen nicht nur im Text gefunden und dann kategorisiert werden. Sie müssen darüber hinaus in ihrer konstruierten Funktion für den Text – Jannidis nennt das kommunikative Intention oder eben auch Relevanz – betrachtet werden, beispielsweise inwiefern sie bedeutsam dafür sind, die Handlung voranzutreiben oder inwiefern sie ästhetisch strukturiert sind.231 Mittel um die Relevanz im Text hervorzuheben sind die Darstellung, also etwa eine besondere Position der Information im Text oder ihre häufige Wiederholung, die Regeln der narrativen Welt, und lebensweltliche Faktoren. Lebensweltliche Faktoren erfordern eine historische Kontextualisierung, also eine Schlussfolgerung aufgrund von relevantem historischem und kulturellem Wissen.232 Im Zweifelsfall ist aber einer Interpretation, die sich aufgrund von Schlussfolgerungen aus der narrativen Welt ergeben hat, der Vorzug zu geben.233 Dabei gilt: Je ungewöhnlicher eine Information ist, desto relevanter ist sie für den Text.234 Die Offensichtlichkeit schließlich fragt danach, ob eine Information der Figur direkt als Tatsache oder indirekt, also erst nach Inferenzbildung, zugeschrieben ist.235 Ergänzend stellt Jannidis noch weitere Kategorien als Desiderate zur Debatte: Darunter thematisiert er die Kategorie der Zeit, unter die Fragestellungen fallen würden, die sich mit der Verteilung der Information beschäftigen, also etwa die Dauer, Menge, Häufigkeit oder Ordnung der Figureninformationsvergabe. Auch zu analysieren wäre die Dichte von Figureninformation. In diesem Sinne könnte die Figur beispielsweise im Zusammenhang als Porträt vorgestellt werden oder aber auch vereinzelt über den ganzen Text verteilt. Auch Veränderungen, die sich am zunächst gefassten mentalen Modell der Figur im Laufe des Textes feststellen lassen, müssten beachtet werden, ebenso wie der Informations- oder spezifischer der Figurenkontext in Zusammenschau mit den Figureninformationen.236 Das Thema Figur und Handlung handelt Jannidis unter dem Oberbegriff der Motivation ab, die er als Sinnstruktur versteht, „mit der ein Element des Textes mit anderen Elementen in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht wird“237.

230 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 201. 231 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24. 232 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24. 233 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 205. 234 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 205. 235 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 23. 236 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 24–25; Jannidis, Figur und Person, 220–221. 237 Jannidis, Figur und Person, 223.

78 

 2 Erzähltheorie

Die Definition verrät bereits, dass es auch in diesem Punkt auf den Lesenden ankommt, der diesen Sinnzusammenhang verstehen muss. Dieser sinnhafte Zusammenhang kann auf drei Weisen motiviert sein: kausal, kompositorisch und final.238 Jannidis konzentriert sich nur auf die beiden ersten Formen und sagt, die kausale Motivierung ist gegeben, wenn die Figureninformation direkt vor der motivierten Handlung gegeben wird, kompositorisch ist sie, wenn die Bedeutung der Informationen für das Gesamtwerk betrachtet wird.239 Die Frage, ob jede Figureninformation motiviert ist, kann er dahingehend positiv beantworten, weil sie in jedem Fall Einfluss auf die Wirkung hat, die die Figur beim Lesenden hinterlässt. Dieser Fall der Motivierung wird dann als „leserorientierte Motivierung“240 bezeichnet. Das Thema Identifikation behandelt die Frage „wie der Text die Beziehung des Lesenden zum Protagonisten bestimmt“241. Oftmals ist es Ziel der Textkonstruktion, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Darstellung beim Lesenden Empathie gegenüber den Figuren zu bewirken.242 Jannidis unterscheidet vier verschiedene Bereiche der Empathiebewirkung: Situation, Ausdruck, Wertungsauslöser und Figurengröße.243 Die Handlungssituation ist dann ausschlaggebend für die Empathie, wenn eine sinnliche Wahrnehmung aus der Sicht der Figur vermittelt wird: Der Ausdruck umfasst in der Regel Faktoren wie Mimik, Gestik und Stimme, erteilt der Erzähltext aber keine Auskunft über diese Faktoren, was nicht selten der Fall ist, so ist der Ausdruck zudem über die Expressivität der Sprache festzustellen.244 Diese umfasst „alle Formen des sprachlichen Ausdrucks, die symbolhaft emotionale Zustände kommunizieren“245, wie direkte Rede, erlebte Rede, Bewusstseinsstrom oder auch Rede des Ich-Erzählers. Die dritte Form der Empathieauslösung bezieht sich auf das Feld der Wertung der Figur durch den Lesenden: Diese kann durch die sprachliche Darstellung begünstigt werden oder als Wertungshandlung von der Erzählstimme über eine Figur berichtet werden.246 Sie kann durch Handlungen von Figuren ausgelöst werden, die auf das Wertsys-

238 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 223–227. 239 Dabei sagt er auch, dass die finale und die kausale Motivierung vom narrativen Leser vollzogen werden, während die kompositorische vom auktorialen Leser gesehen wird; vgl. Jannidis, Figur und Person, 223–224. 240 Jannidis, Figur und Person, 228. 241 Jannidis, Figur und Person, 231. 242 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 231. 243 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 231–235. 244 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 232. 245 Jannidis, Figur und Person, 234. 246 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 234.



2.3 Postklassische Narratologien 

 79

tem des zeitgenössischen Lesenden bezogen sind.247 Sie kann sich auch durch den Handlungsverlauf oder durch die Verwendung von Figurenmodellen und stereotypen Handlungsrollen entwickeln.248 Die vierte Möglichkeit, die Empathie des Lesenden bewirkt, bezeichnet Jannidis als Figurengröße und meint damit die Nähe der Figur zum Lesenden oder anders ausgedrückt, ob die Figur moralisch besser, gleich oder sogar schlechter ist als der Lesende und die Wirkung, die diese Tatsache erzielt.249 Jannidis zeigt in seiner kleinteilig angelegten Methode umfassend, wie der Lesende in eine kognitive Figurenanalyse miteinbezogen werden kann. Seidler lobt die Methode zur Erkennbarkeit einer Figur als Figur, kritisiert aber u.a. an diesem Modell, dass es „zur Analyse eines literarischen Textes […] weitgehend unbrauchbar“250 sei, die Fokussierung auf die Figur (z.B. bei der Schilderung längerer Ereignisse in der Erzählung), mitunter zur Vernachlässigung anderer wichtiger Informationen führen könne.251 Dem ließe sich entgegen halten, dass es Jannidis gerade um die Analyse der Figur geht. Darum ist es plausibel, dass alle möglichen Kriterien herangezogen werden, die helfen, diese so genau wie möglich zu charakterisieren. Die Analyse hat nicht den Anspruch, auch Kategorien wie Zeit- oder Raumdarstellung umfassend zu behandeln.

2.3.4 Die Figur im Film nach Jens Eder (2008) In seiner 2008 erschienenen Monographie entwickelt Jens Eder vor allem in Bezug auf das Medium Film eine Figurenanalyse, die die erzähltheoretischen Ansätze von Hermeneutik, Psychologie, Strukturalismus und Rezeptionsästhetik miteinander verbindet.252 Figuren definiert er als „wiedererkennbare fiktive Wesen mit einem Innenleben […], die als kommunikativ konstruierte Artekfakte existieren“253. Diese Figurendefinition beinhaltet die Idee, dass Kommunikationsprozesse von Produzent und Rezipient eines Werkes einer Figur Informationen zuschreiben. Zunächst ist nach Eder der in der Analyse anvisierte Rezipient näher zu bestimmen, wobei drei Arten von Figurenrezeption unterschieden

247 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 234. 248 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 235. 249 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 234. 250 Seidler, Figurenmodelle des Alters in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 32. 251 Vgl. Seidler, Figurenmodelle des Alters in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, 32–33. 252 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 76–77. 253 Eder, Die Figur im Film, 131, 708.

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 2 Erzähltheorie

werden: die empirische, die vom Produzenten intendierte und die ideale Rezep­ tion.254 Die empirische Rezeption stellt die Frage danach, wie eine Figur tatsächlich oder wahrscheinlich zu verschiedenen Zeiten erlebt wurde oder erlebt werden wird, die intendierte Rezeption ist die vom Autor beabsichtigte, die ideale Rezeption ist an die Entstehungszeit des Werks gebunden und abhängig von vorherrschenden kommunikativen Regeln und Codes sowie von „kommunikationsbezogenen Kenntnissen und Erwartungen“.255 Nach der Festlegung des Rezipienten kann die Figur in seinem so genannten Modell „Uhr der Figur“ nach vier Aspekten untersucht werden, wobei jedem Aspekt eine ganze Reihe von Analysekategorien zugeordnet wird: die Figur als Artefakt, die Figur als fiktives Wesen, die Figur als Symbol und die Figur als Symptom.256 Die Uhr der Figur:257

254 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 113, 764. 255 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 113, 115. 256 Die Kategorisierung Eders ist so umfangreich, dass sie an dieser Stelle nur überblicksartig aufgezeigt werden kann. 257 Abb. Eder, Die Figur im Film, 711.

Artefakt Ästhetische Erfahrung (Wahrnehmung & Reflexion über Gestaltung)

Symbol Erschließung indirekter Bedeutungen

Psyche: Innenleben und Persönlichkeitsmerkmale hins. Wahrnehmung, Kognition, Evaluation, Motivation, Emotion

Körperlichkeit: Geschlecht, Alter, Größe; Gestalt, Gesicht, Haltung, Frisur, Kleidung, Artefakte; Fähigkeiten

Konzeption: Mainstream- oder Independent-Realismus, Verfremdung/Stilisierung, Postmoderne u.a.

Artefakt-Eigenschaften: Realismus, Typisierung, Komplexität, Konsistenz, Transparenz, Dimensionalität, Dynamik

Verhalten: Bewegungen; Blick, Mimik, Gestik, Proxemik, Haptik; Sprechakte; größere (instrumentelle, soziale u.a.) Handlungen

Sozialität: Gruppenzugehörigkeit (z.B. Ethnien), Beziehungen, Interaktionen, soziale Rollen, Rollendistanz, Macht, Status

Fiktive Wesen Mentale Modellbildung

FIGUR

Symptom Erfassen kommunikativer Kontextbezüge

Informationsvergabe: v.a. Phasen, Quellen, Modi, Dauer, Menge, Häufigkeit, Dichte, Reihenfolge, Kontext, Verhältnisse

Darstellungsmittel: v.a. Kontext, Besetzung, Star Image, Schauspielstil, Mise-en-scène, Kameraführung, Tongestaltung, Musik, Montage

2.3 Postklassische Narratologien 

Position im System der Darstellung: Haupt- und Nebenfigur; Darstellungsmittel, Typisierungsgrad, Ähnlichkeiten und Kontraste der Darstellungsweise

Dramaturgische Funktionen: Protagonist, Antagonist, Helfer; Auslöser, Zielobjekt, Empfänger, Entscheider; Informationsvermittler, Erzähler, Fokalisator, Bedeutungsträger, Schauobjekt, Emotionsauslöser, Parallel- / Kontrastfigur

Motivation (want, need, flaw) und Position im Sozialsystem hins. Werte, Konflikte, Anziehung / Ablehnung, Macht, Anerkennung, Sympathie

Kontexte der Narration, Handlung und Figurenkonstellation: Positionierung auf Erzählebene, Authentisierung, Gruppierung mit / Isolierung von anderen Figuren

Form: Thementräger, Metapher, Personifikation, Exemplifikation

Bezugsgegenstände: Themat. Aussagen, Fragen; allg. Eigenschaften, Probleme, Tugenden; Ideen, Prozesse; latente Bedeutungen; soziale Rollen, Gruppen und Typen; myth. / rel. Figuren, reale Personen

Kulturelle Kontexte: Mentalitäten soziokulturelle Schemata, Stereotypen; intertextuelle Bezüge, Produktionsbedingungen

Wirkungen auf Zuschauer: Prägung, Erziehung, Frustration; Affirmation; Weltvermittlung; Manipulation; Lernen; Identitätskonstruktion; Imitation; (Ersatz für) soziale Handlungen

Filmemacher: (un-)bewusste Absichten, Prägungen, Obsessionen, Erfahrungen, Stil, Autobiographisches

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82 

 2 Erzähltheorie

Wird die Figur als Artefakt untersucht, liegt der Schwerpunkt der Analyse auf den Mitteln der Figurendarstellung und wie diese vom Lesenden wahrgenommen und reflektiert werden.258 Es werden die Darstellungsmittel, bspw. Kameraführung, Musik, Schauspielstil, die Strukturen der Informationsvergabe, bspw. Dauer, Menge, Häufigkeit der Informationsvergabe, die Artefakt-Eigenschaften, bspw. Realismus, Typisierung,259 Komplexität der Figur, und die Art der Konzeption, bspw. Mainstream- oder Independent-Realismus, analysiert.260 Wird die Figur als fiktives Wesen untersucht, werden vier Kategorien unterschieden, mit deren Hilfe die mentale Modellbildung beim Lesenden nachvollzogen werden soll: die Körperlichkeit der Figur, bei der alles Äußerliche analysiert wird, ihre Psyche, die alles Innenleben, ihre Wünsche und Ziele umfasst, ihre Sozialität, also ihre Gruppenzugehörigkeit und ihr Status und ihr Verhalten, worunter neben Handlungen, auch Aspekte wie Mimik und Gestik zählen.261 Die Figur als Symbol fragt nach indirekten Bedeutungen der Figur und analysiert dementsprechend erstens, ob außertextliche Bezugsgegenstände auf die Figur anwendbar sind, bspw. ob sie Ähnlichkeit zu realen Personen aufweist oder ob sie für spezielle Ideen und Tugenden steht, und zweitens, wie die Form der Aussage konzipiert ist, bspw. ob Metaphern oder Personifikationen verwendet werden.262 Die Figur als Symptom untersucht, was sich aus der Figurendarstellung in Bezug auf Produktion und Wirkung schließen lässt.263 Auf Seiten der Produktion werden Ursachen zur Entstehung der Figur analysiert, wobei soziokulturelle Kontexte des Autors eine Rolle spielen.264 Auf Seiten der Rezeption werden kollektive oder individuelle Wirkungen der Figur auf den Rezipienten untersucht.265

258 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 710. 259 Eder unterscheidet vier Arten von Typen, die in einer Figur auch kombiniert auftreten können: Strukturelle Typen, wie zum Beispiel Spieler und Gegenspieler, die zur Erfassung von Figurenkonstellationen notwendig sind, soziale Typen, die durch den unmittelbaren Lebenskontext geprägt sind („Metzger“ oder „aufopferungsvolle Mütter“), mediale Typen, die der Rezipient nicht aus der Realität, sondern aus Geschichten und Filmen kennt, so dass er ein Bild von Aussehen und Eigenschaften dieser Figuren im Kopf hat (Bsp. Indianer) und Archetypen nach Jung, die transhistorisch und transkulturell sind; vgl. Eder, Die Figur im Film, 376–378. 260 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 711. 261 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 711. 262 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 559, 711. 263 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 559. 264 Möglicherweise wird Figurendarstellung „gezielt als Mittel der Aufklärung, Bildung, Therapie, Werbung, Ideologie oder Propaganda instrumentalisiert“ Eder, Die Figur im Film, 559. 265 Möglicherweise werden Lernprozesse ausgelöst, es wird zu Auseinandersetzungen mit der eigenen Umwelt angeregt oder vorhandene Normen und Werte werden gestärkt oder sogar mani-



2.3 Postklassische Narratologien 

 83

Die verschiedenen erzähltheoretischen Zugänge lassen sich den jeweiligen Untersuchungen zuordnen: So konzentriert sich der Strukturalismus auf Figuren als Artefakte, der Kognitivismus auf Figuren als fiktive Wesen, die Hermeneutik und die Psychologie auf Figuren als Symbol und Symptom.266 Die verschiedenen Figurenvorstellungen bauen aufeinander auf, wobei die ersten beiden Aspekte in der Regel immer, die letzten beiden nur häufig, untersucht werden: Der Rezipient nimmt die Figur in einem ersten Schritt diegetisch als Artefakt wahr, dann konstruiert er in einem zweiten Schritt ein mentales Modell der Figur, vielleicht wird er ihr in einem dritten Schritt übergeordnete Themen zuordnen, indem er sie als Symbol wahrnimmt und unter Umständen in einem vierten Schritt Überlegungen auf außertextlicher Ebene anzustellen, wenn er die Figur als Symptom analysiert um schließlich ein Gesamtkonzept der Figur zu entwickeln.267 Eder berücksichtigt auch Konzepte zur Figurenkonstellation,268 die aber nicht direkt einen Platz im Modell der Uhr haben, sondern nach der Zuordnung der Figur zur einer der Kategorien stattfinden. In diesem Zusammenhang werden die Kontexte der Narration, bspw. auf welcher Erzählebene sich die zu analysierende Figur befindet, untersucht, ihre Position im System der Darstellung, etwa als Haupt- oder Nebenfigur sowie ihre dramaturgische Funktion. Unter dem Punkt dramaturgische Funktion werden Protagonist und Antagonist, jeweils etwaige Helfer, der Auslöser der Handlung des Protagonisten, der mögliche Empfänger der Handlung des Antagonisten und der Entscheider, der den Protagonisten bei seiner Handlung unterstützt, voneinander unterschieden.269 Die einzelnen Positionen müssen nicht alle realisiert sein und können vereinzelt oder kombiniert auftreten.

puliert. Ein eigenes Kapitel widmet Eder der Frage, mit welchen Techniken Emotion oder Identifikation beim Rezipienten erzeugt wird, mit dem Ergebnis, dass hauptsächlich Perspektivenstruktur und Darstellung des Innenlebens einer Figur dazu beitragen. Emotion entstehe durch Wertkonflikte, die je nachdem, ob sie objektiv oder subjektiv bewertet werden, zu intensiveren Emotionen führen bis hin zur Identifikation; vgl. Eder, Die Figur im Film, 559–560, 644–646, 704–706. 266 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 142. 267 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 138, 142. 268 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 711. 269 Vgl. Eder, Die Figur im Film, 492–494.

84 

 2 Erzähltheorie

Modell zu Handlungsrollen innerhalb der Figurenkonstellation nach Eder:270 Auslöser

Entscheider

Empfänger

Protagonist

Zielobjekt

Antagonist

Helfer des Protagonisten

Helfer des Antagonisten

Das Figurenanalysemodell von Eder gibt vielfältige Möglichkeiten der Figurenanalyse, weil sie strukturalistische, hermeneutische, psychologische und kognitive Ansätze vereint. Je nach dem, welcher Rezipient vorausgesetzt werden soll, kann die Analyse ganz verschiedene Richtungen einnehmen. Gerade die Vorentscheidung des anvisierten Rezipienten ist eine wichtige Analysekategorie.

2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten In biblischen Figurenanalysemodellen spiegeln sich die Diskussionen der Literaturwissenschaft wider, wobei sich im hebräisch- und englisch- sowie deutschsprachigen Bereich je unterschiedliche Entwicklungen abzeichnen.271 Während im deutschsprachigen Bereich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre hinein die historisch-kritische Exegese etabliert war, eine diachrone Methode, die den Text in erster Linie im Hinblick auf seine Entstehung

270 Vgl. dazu Eder, Die Figur im Film, 493. 271 Zur Auswahl exegetischer Einführungen, Monographien und Aufsätze zur Figurenanalyse: Alter, The Art of Biblical Narrative, 114–130; Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 57–106; Bennema, Theory of Character in the Fourth Gospel with Reference to Ancient and Modern Literature, 375– 421; Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 23–42; Cornils, Vom Geist Gottes erzählen, 53–76; Ebner/Heininger, Exegese des Neuen Testaments, 75–78, 86–90; Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte, 131–139; Finnern, Narratologie und biblische Exegese; Koenig, Isn’t This Bathsheba?; Malbon (Hg.), Characterization in Biblical Literature; Marguerat/Bourquin, How to Read Bible Stories, 58–76; Müller, Mehr als ein Prophet, 12–76; Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick, 1–24; Poplutz, Erzählte Welt, 60–74; Powell, Narrative Criticism, 51–67; Resseguie, Narrative Criticism of the New Testament, 121–165; Rhoads/Syreeni (Hg.), Characterization; Schmidt, Zentrale Randfiguren; Ska, Our Fathers Have Told Us, 83–94; Sternberg, The Poetics of Biblical Narrative, 321–341; Tolmie, Narratology and Biblical Narratives, 39–62; Vette, Samuel und Saul, 26–37, 68–74; Wagener, Figuren als Handlungsmodelle, 2015.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 85

untersucht,272 beginnt die Analyse biblischer Texte in ihrer Endgestalt (synchrone Methode) zunächst im englisch- und hebräischsprachigen Bereich.273 Die synchrone Methode ist wohl die Antwort auf – mangels absehbaren Forschungskonsenses – unbefriedigende Ergebnisse in der historisch-kritischen Exegese, allen voran in der Pentateuchdebatte.274 Vor allem Brevard S. Childs hat mit seinem Canonical Approach, den er in seiner Monographie „Biblical Theology in Crisis“ 1970 vorstellt und in „Introduction to the Old Testament as Scripture“ 1979 exegetisch demonstriert, einen bedeutenden Einfluss auf die deutschsprachige Exegese genommen.275 Im deutschsprachigen Bereich hat u.a. Erich Zenger diesen Zugang in der Exegese etabliert.276 In der deutschsprachigen Exegese hat die synchrone Analyse Niederschlag in der sogenannten Richterschule und in der narrativen Analyse gefunden: Die Richterschule um die Exegeten Wolfgang Richter und Harald Schweizer vertritt eine linguistisch-strukturanalytische Vorgehensweise, die akribisch ausgeführte, grammatikalische Analysen zum Bestandteil jeder Textanalyse machen.277 Die narrative Analyse, die den Endtext im Hinblick auf narratologisch-literaturwissenschaftliche Kategorien untersucht,278 hat der jüdische Wissenschaftler Shimon Bar-Efrat in seiner 1979 erstmals in neuhebräischer Sprache erschienenen Monographie „Narrative Art in the Bible“ (engl. Titel der 1989er Ausgabe) angewandt. Er ist der Erste, der die Erzählungen der hebräischen Bibel mit ausdrücklich literaturwissenschaftlichen Methoden untersucht279 und dabei die Kategorien Erzähler, Figuren, Handlung, Zeit, Raum und Sprachstil analysiert.

272 Vgl. dazu Fischer, Wege in die Bibel, 49, Vette, Bibelauslegung, historisch-kritische (wibilex), 07.12.2014; sowie das Vorwort von Thomas Naumann zu Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 12. 273 Vgl. Dohmen/Stemberger, Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, 174–175. 274 Vgl. Dohmen/Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, 16; Berlejung, Quellen und Methoden, 44; Vette, Bibelauslegung, christliche (wibilex), 10.12.2014; Köhlmoos, Altes Testament, 49. 275 Vgl. Childs, Biblical Theology in Crisis; Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture; vgl. auch Dohmen, Die Bibel und ihre Auslegung, 21; Bitter, Bibelauslegung, Epochen der christlichen (wibilex), 07.12.2014; Vette, Bibelauslegung, christliche (wibilex), 07.12.2014. 276 Vgl. Fischer, Wege in die Bibel, 51. So setzt sich beispielsweise Georg Steins mit der Theorie von Childs auseinander und entwickelt die kanonische Schriftauslegung weiter; vgl. Steins, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22); Steins, Kanonisch lesen, 45–64. 277 Vgl. Berlejung, Quellen und Methoden, 45; Fischer, Wege in die Bibel, 50. 278 Vgl. Berlejung, Quellen und Methoden, 45–46; Fischer, Wege in die Bibel, 50. 279 So Thomas Naumann in seinem Vorwort zu dem Standardwerk; vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 11.

86 

 2 Erzähltheorie

Der jüdisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Robert Alter nennt BarEfrats Werk „the first serious book-length introduction in any language to the distinctive poetics of biblical narrative“280. Alter selbst untersucht den biblischen Text in seiner ebenfalls literaturwissenschaftlich vorgehenden Monographie „The Art of Biblical Narrative“ (1981) nach den Kategorien words, actions, dialogue und narration.281 Nach dem Erscheinen einiger weiterer literaturwissenschaftlich orientierter Aufsätze veröffentlichen Adele Berlin 1983 mit „Poetics and Interpretation of Biblical Narrative“ (1983) und David M. Gunn und Danna N. Fewell 1993 mit „Narrative in the Hebrew Bible“ weitere Standardwerke zur literaturwissenschaftlichen Bibelexegese. Für die Figurenanalyse ist das Werk von Berlin auch deswegen zu beachten, weil darin nicht nur Figuren und Erzählstimme, sondern auch das Verhältnis von Autor und Lesendem sowie deren Einfluss auf den Text untersucht werden. Einen bedeutenden Einfluss auf die exegetische narrative Analyse hat auch Meir Sternberg, der 1985 seine vor allem von rezeptionsästhetischer Fragestellung beeinflusste Monographie „Poetics of Biblical Narrative“ veröffentlicht. In die Methode wird der Prozess der Rezeption durch den Lesenden mit starkem Fokus auf die Leerstellen (gaps) einbezogen.282 Weiter werden die Kategorien Perspektive und point of view, Charakterisierung von Erzähler und Figuren und Gott, Zeit, Handlung sowie Muster von Wiederholung und Redundanz in der Erzählung für die Exegese fruchtbar gemacht.283 Sternbergs Methode baut auf dem stark theologisch geprägten Verständnis auf, dass der biblische Text durch seine narrative Gestaltung beim Lesenden immer die eine richtige Aussage hervorrufe.284 Komme jemand zu anderen Ergebnissen, läge eine willentliche Verfälschung des Textes vor.285 Gerade wegen dieses Ansatzpunktes wird er häufig kritisiert.286 Ein erstes deutsches Lehrbuch, das den literaturwissenschaftlichen Ansatz aufgenommen hat und diesen neben der historisch-kritischen Methode diskutiert, ist das erstmals 2001 erschienene „Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche

280 Alter, The Art of Biblical Narrative, 16. 281 Zu Charakterisierungen von biblischen Figuren; vgl. Alter, The Art of Biblical Narrative, 114–130. 282 Vgl. Sternberg, Poetics of Biblical Narrative, 186–229. 283 Vgl. Sternberg, Poetics of Biblical Narrative, 129–440; Schmidt, Zentrale Randfiguren, 37. 284 Vgl. Sternberg, Poetics of Biblical Narrative, 50, 234. 285 Vgl. Sternberg, Poetics of Biblical Narrative, 50; vgl. auch Schmidt, Zentrale Randfiguren, 37–38. 286 Vgl. dazu Schmidt, Zentrale Randfiguren, 38.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 87

Bibelauslegung“ von Utzschneider/Nitsche.287 Dieses beachtet auch die Figurencharakterisierung als eine eigene Analysekategorie. Inzwischen sind eine Reihe weiterer narrativer Analysemodelle, die ebenfalls die Figuren als eigene Kategorie untersuchen, in der deutschsprachigen Exegese erschienen, wie z.B. 1997 „Gewalt im Hause Davids“ von Ilse Müllner, 2003 „Zentrale Randfiguren“ von Uta Schmitz oder 2011 „Hagar, woher kommst du? Und wohin gehst du?“ von Monika Egger. Auch die 2010 erschienene und erzähltheoretisch-literaturwissenschaftlich umfangreich angelegte Dissertation „Narratologie und biblische Exegese“ von Sönke Finnern enthält ein ausführliches Kapitel zur Figurenanalyse, das unter Bezugnahme von Jannidis und Eder bereits kognitive Aspekte berücksichtigt. Im Folgenden sollen exemplarisch die Figurenanalysemodelle von BarEfrat, Berlin, Utzschneider/Nitsche und Finnern vorgestellt werden.

2.4.1 Figurenanalyse nach Shimon Bar-Efrat (1979) Shimon Bar-Efrat zeigt in seiner Monographie „Wie die Bibel erzählt“ eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise an die Figurenanalyse mit klassisch-narratologischem Ansatz. Neben den Figuren, die er als eigene Kategorie betrachtet, untersucht er Erzählstimme, Handlung, Ort, Zeit und Stil der biblischen Sprache. Bei der Betrachtung der Figur unterscheidet Bar-Efrat zunächst grundlegend zwischen direkter oder expliziter und indirekter oder impliziter Figurencharakterisierung.288 Nach den Charakterisierungstechniken widmet er sich der Figurenkonzeption biblischer Texte. Bei der direkten Figurencharakterisierung werden zwei Aspekte untersucht: die äußere Erscheinung und die innere Persönlichkeit der Figur. Zum ersten Aspekt der äußeren Erscheinung bemerkt er, dass eine biblisch typische Darstellung keine ausführlichen Beschreibungen enthalte, sondern eher kurze Bemerkungen, die in der Regel allgemein und weniger individuell gestaltet seien.289 Trotz der geringen Quantität dienten die Beschreibungen des Äußeren einer Figur allein dem Fortgang der Handlung.290 Beschreibungen des Äußeren legten damit Leitlinien

287 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 14. 288 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 57–106. 289 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 58; das haben auch Utzschneider/Nitsche bemerkt; vgl. Utzschneide/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 169. 290 So ist Rahel beispielsweise deswegen schön, um Jakobs Zuneigung zu erklären. Abschalom wird als schön mit seiner Haarpracht beschrieben. Seine Eitelkeit und sein Haar werden ihm zum Verhängnis werden; vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 58–60.

88 

 2 Erzähltheorie

Figurencharakterisierung nach Bar-Efrat: direkte Figurencharakterisierung äußere Erscheinung

innere Persönlichkeit

– kurze, allg. Bemerkungen – dienen allein dem Fortgang der Handlung – Gesichtsausdruck verdeutlicht Gefühle – Kleidung verdeutlicht Gefühle

(durch Erzählstimme, Figur oder Nebenfiguren) – oft wertend – Wahrheitsgehalt – Bezug auf moralische, geistige oder – andere Facetten der Persönlichkeit – Metapher oder Vergleich, die oft eine – bestimmte Emotion hervorrufen wollen – momentane Stimmungen – Bemerkung über Wissen Wiedergabe von Gedanken und Überlegungen

indirekte Figurencharakterisierung Aussagen

Handlungen

Inhalt Stil

– kaum alltägliche Handlungen – Mehrfachhandlung = Neigung – Entscheidungen – Gesten – Eingeständnisse von Schuld – Nebenfiguren parallelisieren und – kontrastieren die Hauptfiguren

– keine Imitation natürlicher Sprachrhythmen – bildhafte Sprache zeigt Weisheit der Figur – Art des Ausdrucks dient immer einem Ziel – Abweichungen von diesem üblichen Stil – Übereinstimmung von Form und Inhalt

Figurenkonzeption biblischer Figuren realistisch dynamisch existentiell komplex: mehrdimensional

für die Handlung und seien daher genau zu betrachten. So diene beispielsweise die Beschreibung des Gesichtsausdrucks einer Figur zur Verdeutlichung ihrer Gefühle, die der Kleidung dem Ausdruck ihres Gemütszustands.291 Neben dem äußeren Erscheinungsbild gibt auch der zweite Aspekt der direkten Figurencharakterisierung, die Beschreibung der inneren Persönlichkeit, Aufschluss über den Charakter einer Figur. Die direkte Charakterisierung

291 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 61–63.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 89

der inneren Persönlichkeit kann nach diesem Modell durch die Erzählstimme, die Figur selbst oder die Nebenfiguren geschehen und sei oft wertend gestaltet.292 Was den Wahrheitsgehalt anbelangt, seien jene, die von der Erzählstimme oder sogar von Gott kommen, unter dem Anspruch absoluter Geltung zu betrachten, jene aber, die von den Figuren getätigt werden, sagten meist mehr über die sprechenden Figuren selbst aus, als dass sie tatsächliche Eigenschaften der zu beschreibenden Figur preisgäben.293 Die Aussagen selbst könnten Bezug auf moralische, geistige oder andere Aspekte der Persönlichkeit nehmen.294 Eine besondere Art der direkten Figurencharakterisierung sei die durch Metapher oder Vergleich, die bestimmte Haltungen oder Emotionen hervorrufen wollten, und die ebenfalls mehr über die sprechende Person selbst enthüllten, als über die zu charakterisierende.295 Als Beispiel nennt Bar-Efrat Dialoge mit David, in denen dieser von seinen Dialogpartnern als Engel angeredet wird (1 Sam 14,7.20; 19,28; 29,9 MT).296 Diesen Anreden schreibt er die Funktion des Schmeichelns zu, womit mehr über den Sprecher, als über den König gesagt sei.297 Neben stabilen Eigenschaften, könnten auch momentane Stimmungen ausgedrückt werden.298 Solche Stimmungen könnten einmal durch die Erzählstimme transportiert werden, die in der Lage sei, dem Lesenden zu eröffnen, was im Bewusstsein einer Figur vorgehe. Bei gehäuftem Auftreten könne auf eine Eigenschaft geschlossen werden.299 Auch andere Figuren könnten momentane Stimmungen zum Ausdruck bringen, doch seien diese oftmals subjektive Interpretationen und ihr Wahrheitsgehalt daher am Kontext zu überprüfen.300 Auch solche literarischen Phänomene verraten meist mehr über die sprechende Person. Momentane Stimmungen, die die Figur selbst offenbare, seien von besonderem Interesse, doch auch sie könnten absichtlich oder unabsichtlich falsch sein. Innerhalb der inneren Persönlichkeit unterscheidet Bar-Efrat weiter in Bemer-

292 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 63. 293 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 64–65; zu dem Thema, ob Gott überhaupt als Figur gelten kann, hält Müllner fest, dass diesem erst dann eine Sonderstellung unter den Figuren zukomme, wenn er auch ein privilegiertes Verhalten an den Tag lege; vgl. Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick, 11. 294 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 64. 295 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 68. 296 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 68. 297 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 69. 298 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 70. 299 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 70. 300 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 70–71.

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 2 Erzähltheorie

kungen über Wissen von Figuren, die für die Bewertung bestimmter Ereignisse von Bedeutung seien, weil die Absichten der Figuren offenbar würden, und in Wiedergabe von Gedanken und Überlegungen, die ihr Innenleben offenbarten.301 Die zweite Kategorie, die Bar-Efrat nennt, ist die der indirekten Charakterisierungsmöglichkeiten: Darunter fallen Aussagen und Handlungen, die „etwas über den Charakter, die Gedanken oder den Gefühlszustand einer Person verraten. Die Lesenden müssen diese Angaben interpretieren und die emotionalen Vorgänge im Inneren der Figuren rekonstruieren.“302 Bei dem ersten Aspekt Aussagen sei neben dem Inhalt auch der Stil der Figurenrede zu betrachten, der in der Bibel meist „sachlich, zurückhaltend und schnörkellos“ 303 gestaltet sei und damit den gleichen Grundsätzen wie die erzählte Rede unterliege. Es finde keine Imitation natürlicher Sprachrhythmen statt, wie es beispielsweise im naturalistischen Drama der Fall ist.304 Dennoch existierten auch zusammenhanglose Sätze, die entweder einen Gefühlszustand zeigten oder auf Unklarheiten im Text beruhten.305 Verwende eine Figur bildhafte Sprache, so weise dies manchmal auf ihre Weisheit hin.306 Die Art des Ausdrucks diene immer einem Ziel: Beispielsweise fördere eine eloquente Rede den Glauben des Gegenübers oder höfliche Formulierungen würden gegenüber Königen gebraucht. Würden Abweichungen von diesem üblichen Stil festgestellt, sei es hilfreich, diese auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen.307 Der Inhalt der Rede sei meist mit der Funktion, also dem Ziel des Sprechers verbunden. In diesem Sinn könne sie Emotionen ausdrücken, Haltungen erwecken, handlungsauffordernd oder informativ sein.308 Den zweiten Aspekt der indirekten Charakterisierungsmöglichkeit, Handlungen von Figuren, bezeichnet Bar-Efrat sogar als das wichtigste Mittel zur Charakterisierung in atl. Erzählungen.309 Allerdings muss der Lesende die sich daraus ergebenden Eigenschaften selbst rekonstruieren, da innere Motive in der Regel nicht enthüllt würden.310 Um dies zu unterstützen, werden einige Charakteristika biblischer Erzählungen aufgezeigt: Eine Eigenart sei, dass alltägliche Handlun-

301 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 72–75. 302 Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 76. 303 Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 77. 304 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 77. 305 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 77. 306 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 76. 307 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 78–81. 308 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 81. 309 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 90. 310 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 91.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 91

gen selten dargestellt würden und wenn doch, geschehe es nur zur Charakterisierung einer Figur.311 Wenn eine Figur eine Handlung öfter vollziehe, könne daraus eine Neigung geschlossen werden, wobei in längeren Erzählungen mehr Raum für Wiederholungen sei.312 Manchmal gebe auch der Erzähler den Hinweis darauf, dass eine bestimmte Handlung öfter vollzogen werde. Auch aus den Entscheidungen, die getroffen würden, sei viel heraus zu lesen, auch dann, wenn die Figur sich entschiede, nichts zu tun.313 Handlungen und Entscheidungen von Propheten kämen häufig der Meinung des Autors gleich.314 Eingeständnisse von Schuld bewirkten – insofern sie ehrlich gemeint seien – Sympathie beim Lesenden.315 Die Nebenfiguren parallelisierten und kontrastierten die Hauptfiguren und dienten als Hintergrund, vor dem sich die Hauptfiguren abzeichneten. Bar-Efrat unterscheidet solche mit kleiner Funktion wie Boten und Kuriere und solche mit großer Funktion.316 Am Abschluss seiner Ausführungen zu den Figuren des AT beschreibt er seine Beobachtungen zur typischen Figurenkonzeption der biblischen Protagonisten. Vor allem die indirekte Charakterisierung durch Taten und Worte tauche in biblischen Erzählungen häufig auf.317 Daraus folgert er, dass die Konzeption der biblischen Figuren in der Regel realistisch ist.318 Eine weitere Folgerung der vornehmlich indirekten Charakterisierung von Figuren in biblischen Erzählungen sei, dass immer offene Fragen blieben, sie niemals restlos charakterisiert würden.319 Zudem würden umfassende Charakterisierungen nicht gleich zu Beginn ihrer Einführung gegeben, sondern erst allmählich entfaltet und entwickelt, was wiederum einer dynamischen Figurenkonzeption entspreche.320 Dabei seien die Figuren mehr existenziell als essenziell, denn es seien vorübergehende, momentane Situationen, in denen sie sich zeigten.321 Bar-Efrat unterscheidet ferner zwischen eindimensionalen und mehrdimensionalen Figuren und zählt

311 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 92. 312 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 93–94. 313 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 95. 314 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 98. 315 Bar-Efrat geht wie in diesem Beispiel immer wieder auf die Lesendenwirkung ein; vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 99. 316 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 99–103. 317 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 103. 318 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 103. 319 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 103. 320 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 103. 321 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 103.

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 2 Erzähltheorie

einige atl. mehrdimensional gestaltete Figuren auf.322 Figuren wie Abraham, Mose oder David beschreibt er als komplex, weil sie nicht nur positiv, sondern durchaus auch negativ dargestellt würden und dadurch mehrere Facetten zeigten.323 Das impliziere auch, dass sie tendenziell veränderlich und entwicklungsfähig sind. Die Figurenanalyse von Bar-Efrat geht textzentiert vor und zeigt einen ähnlichen umfassenden Kriterienanalysekatalog wie vergleichbare Modelle der klassischen Narratologie in der Literaturwissenschaft. Besonders erhellend sind die zahlreichen biblischen Beispiele und das Eingehen auf Spezifika biblischer Texte.

2.4.2 „Poetics and Interpretation of Biblical Narrative“ nach Adele Berlin (1983) Das 1983 erstmals erschienene Grundlagenwerk „Poetics and Interpretation of Biblical Narrative“ von Adele Berlin enthält ein ausführliches Kapitel zu Figuren unter der Überschrift „Character and Characterization“. Darin stellt Berlin – entgegen mancher Autorenmeinung324 – zunächst fest, dass biblische Figuren keineswegs allesamt flache Darstellungen primitiver Literatur seien, sondern vielmehr in ganz unterschiedlicher Weise zu charakterisieren seien und es durchaus auch komplexe, undurchsichtige und wandelbare Figuren gebe.325 Berlin unterscheidet drei Arten von biblischen Figuren: das Individuum, den Typ und den Agenten. Das Individuum beschreibt sie als eigenständige, realistisch gestaltete Figur mit vielen Merkmalen, Gefühlen und Motiven, die der Rezipient entweder direkt erfassen kann oder indirekt erschließen muss.326 Individuen bewirkten beim Lesenden aufgrund der realistischen Darstellung ein hohes Identifikationspotential. Als Beispiele für das Individuum werden Michal (1 Sam 18–20) und die ältere Batseba nach ihrer Darstellung in 1 Kön 1–2 genannt,

322 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 104. 323 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 105. 324 Vgl. dazu Scholes/Kellogg, The Nature of Narrative, 164–167. 325 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 23; eine deutsche Fassung findet sich in: Berlin, Figuren und ihre Charakterisierung, 135–152; Alter bemerkt, dass die biblischen Autoren ihre Charaktere gerade so darstellen, dass alle menschlichen Facetten zum Vorschein kommen, dass die Literatur „als Instrument zur genaueren Erkenntnis der beständigen Verworrenheit des menschlichen Daseins“ zu betrachten sei; vgl. Alter, Erzählen und Wissen, 54; Poplutz stellt für die Analyse ihrer Evangelientexte fest, dass es dort an „tief ausgeprägten Charakterisierungen fehlt“, Poplutz, Erzählte Welt, 73. 326 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 23–24, 32.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 93

Figurenanalyse nach Berlin:

Figuren und ihre Charakterisierung 3 Arten von biblischen Figuren Individuum

Typ

Agent

Kombination der Charakterisierungstechniken – Beschreibung – Innenleben

– Rede und Handlung – Kontrast

nicht aber die junge Batseba nach 2 Sam 11–12, wo diese eher wie ein Agent gestaltet sei.327 Der Typ habe einen begrenzten und stereotypischen Umfang von Merkmalen wie beispielsweise Abigajil, die die perfekte Ehefrau repräsentiere (1 Sam 25).328 Der Agent habe ausschließlich eine Funktion für den Plot, die Figur sei in diesem Fall für sich genommen nicht wichtig, es werden keine ihrer Gefühle oder Motive gezeigt (als Beispiel dafür nennt sie Batseba in 2 Sam 11–12).329 Auf der Ebene der Darstellung werden dann vier Techniken der Figurencharakterisierung erläutert, die auf alle drei beschriebenen Arten von Figuren zutreffen können.330 Der Lesende rekonstruiere die Figur aufgrund aller Figureninformationen, die durch Erzählstimme oder Figuren direkt oder indirekt gegeben werden: Berlin verzichtet an dieser Stelle unter Verweis auf Alter und BarEfrat auf eine genaue Darstellung und legt stattdessen nur noch zusätzliche Betrachtungen dar, wobei sie darauf hinweist, dass die einzelnen Methoden zur Figurencharakterisierung in der Regel kombiniert auftreten.331 Als erstes gibt sie Erläuterungen zur Funktion der Beschreibung der biblischen Figuren (Äußeres, Status, Beruf). Die wenigen Hinweise auf Äußerlichkeiten wie beispielsweise, dass eine Figur schön ist (Batseba in 2 Sam 11,2), seien nicht nur dem Fortgang der Handlung dienlich, sie seien zudem eine literarische Technik, aufgrund der

327 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 24–30, 31–33. 328 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 30–33. 329 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 25–27, 31–33. 330 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 33–34; nach Berlins Schema hat auch Egger ihre Figurenanalyse ausgerichtet, Egger, „Hagar, woher kommst du? Und wohin gehst du?“, 29–31. 331 Vgl. Alter, The Art of Biblical Narrative; Bar-Efrat, Das Erste Buch Samuel; Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 33–34.

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 2 Erzähltheorie

der Lesende nicht ein konkretes Individuum vor sich sehen soll, sondern gehalten sei, sich mit seiner eigenen Phantasie eine schöne Frau vorzustellen.332 Damit wird auch das Argument der Unfähigkeit der biblischen Autoren widerlegt, genaue Beschreibungen abgeben zu können. Der Zweck einer Beschreibung, die etwa den Status (König, Witwe), den Beruf (Prophet, Hirte) oder ein bestimmtes körperliches Merkmal (schön, stark, lahm) umfasst, ist es, dem Lesenden zu zeigen, welchen Platz die Figur in der Gesellschaft einnimmt, um was für eine Figur es sich handelt.333 Die Beschreibung der Figur sei aber nicht vornehmliches Mittel, eine Figur zu charakterisieren.334 Zweitens gehöre die Beschreibung des Innenlebens einer Figur durch die Erzählstimme (1 Sam 3,8) und durch Monolog der Figur selbst (Gen 27,41) zu den biblischen Darstellungsmitteln.335 Drittens beschreibt Berlin die in biblischen Texten sehr häufigen Methoden der Charakterisierung durch einerseits Handlung, die durch Erzählerrede dargestellt wird, und andererseits Figurenrede,336 die von der Figur selbst oder anderen Figuren ausgehen kann.337 Die vierte Methode der Charakterisierung ist die des Kontrasts, der durch einen Kontrast zwischen Figuren (Bsp. Jakob und Esau in Gen 25,27), durch Kontrast von früheren Worten und Taten zu späteren Worten und Taten (Bsp. Wandel des Verhältnisses von Jakob und Esau) oder durch Kontrast zu einer erwarteten Norm (Bsp. David tötet doppelt so viele Männer, wie von Saul gefordert) verwirklicht sein kann.338 Berlins Figurenanalyse zeigt einen lesendenorientierten Ansatz. Wie der Lesende den biblischen Text versteht, findet darin bereits neben dem Figurenanalysekatalog Berücksichtigung.

2.4.3 Figurenanalyse nach Helmut Utzschneider/Stefan Ark Nitsche (2001) 2014 In ihrem seit 2014 in der vierten Auflage erschienenen „Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung“ orientieren sich Helmut Utzschneider/Stefan Ark Nitsche bei der Analyse der Figur an einem klassischen strukturalistischen Ansatz. Die Figur wird dabei zum einen, neben Ort und Zeit in ihrer strukturieren-

332 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 34–37. 333 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 37–38. 334 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 38. 335 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 37–38. 336 Nach Alter ist es für die hebräischen Texte üblich, das zentrale Ereignis der Erzählung im Dialog zu transportieren (Bsp. Gen 42,6–24); vgl. Alter, Erzählen und Wissen, 40–41. 337 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 38–39. 338 Vgl. Berlin, Poetics and Interpretation of Biblical Narrative, 40–41.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 95

den Funktion für die Handlung mit Hilfe eines erzähltheoretischen Fragenkatalogs betrachtet, und zum anderen für sich selbst, indem die Mittel ihrer Charakterisierung untersucht werden.339 Der Fragenkatalog zur Figur umfasst folgende Fragen:340 Welche Figuren treten im Erzähltext in Erscheinung? –– Welche Figuren sind Akteure der Handlung? –– Wann tritt welche Figur auf oder ab? –– Welche Konstellationen von Figuren sind zu beobachten? –– Wer agiert mit wem? –– Wer begegnet wem nicht? –– Durch welche erzähltechnischen Mittel werden die Figuren charakterisiert (durch ihr Verhalten, durch ihr Reden, durch Erzählerkommentare)? –– Aus der Perspektive welcher Figuren wird jeweils erzählt?

Die erzähltechnischen Mittel der Charakterisierung werden näher ausgeführt, indem zwei Oppositionspaare voneinander unterschieden werden: Entscheidend ist zum einen, „was“ von der Figur gesagt wird, und zum anderen, „wie“ die Information vermittelt wird. 341 Beim „was“ unterscheiden Utzschneider/ Nitsche das Innere (Eigenschaften, Einstellungen, Gefühle) und das Äußere einer Figur (Gestalt, Aussehen, Verhalten), beim „wie“, ob die Information unmittelbar durch die Erzählstimme oder mittelbar durch Handeln und Reden von Figuren gegeben wird.342 Figurencharakterisierung nach Utzschneider/Nitsche: Äußeres Gestalt, Aussehen, Verhalten

Inneres Eigenschaften, Einstellungen, Gefühle

Erzählstimme

Erzählstimme

Reden/Handeln

Reden/Handeln

Utzschneider/Nitsche bemerken, dass bei der Figurenbeschreibung die biblische Erzählung meist sehr zurückhaltend und die Zurückhaltung als bewusstes Stilmittel zu interpretieren sei, keineswegs aber als Merkmal einer primitiven Erzählung.343 Die Figurenanalyse zeigt einen textzentrierten klassisch-narratologischen Ansatz.

339 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 140–177. 340 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 175. 341 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 158. 342 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 158. 343 Vgl. Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 160.

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 2 Erzähltheorie

2.4.4 Figurenanalyse nach Sönke Finnern (2010) Sönke Finnern beschreibt in seiner 2010 erschienenen Dissertation eine narrative Methode zur Figurenanalyse, die kognitionswissenschaftliche Ergebnisse berücksichtigt und orientiert sich dabei vor allem an Eder und Jannidis.344 Er unterscheidet sechs Analysekategorien: Figurenbestand und Figurenkonfiguration, Figurenmerkmale, Figurenkonstellation, Figur und Handlung, Figurendarstellung und Figurenkonzeption. Figurenanalyse nach Finnern: Figurenanalyse 1. 2.

Figurenbestand und Figurenkonfiguration Analyse und Gewichtung der Figurenmerkmale Identität; Charaktereigenschaften; Meinungen und Weltbild; Wahrnehmung und Erlebnisse; Gefühle in bestimmten Situationen; Verhaltensweisen; Gesamtheit der äußeren Merkmale; sozialer Kontext; Wissen; Pflichten; Wünsche und Bedürfnisse; Figurenintention 3. Figurenkonstellation Kontrastpaare; Korrespondenzpaare; Dreieckskonstellationen 4. Figur und Handlung Bedeutung für die Handlung; Funktion für die Handlung 5. Figurendarstellung/Figurencharakterisierung Offensichtlichkeit; Erzählinstanz; Distribution; Quantität; Frequenz; Zuverlässigkeit 6. Figurenkonzeption statisch oder dynamisch; knapp oder detailliert; ein- oder mehrdimensional; typisch oder individuell; transparent oder mysteriös; realistisch oder unrealistisch; kohärent oder inkohärent; übertragbar oder spezifisch

Innerhalb der ersten Analysekategorie Figurenbestand und Figurenkonfiguration werden die Figuren jeweils auf ihre Zusammensetzung im Gesamtensemble und in einzelnen Szenen hin untersucht. Letzteres wird mit dem Fachbegriff Figurenkonfiguration beschrieben.345 Bei diesem Analyseschritt sind insbesondere Auffälligkeiten hervorzuheben, wie zum Beispiel, welche Figur gerade in welcher Zusammensetzung häufig auftritt oder eben nicht. Die kognitionswissenschaftliche Zugangsweise wird durch die zweite Kategorie der Figurenmerkmale erkennbar, die Finnern in Anlehnung an das Modell von Eder als die „expliziten und impliziten Zuschreibungen des Rezipienten zu einer

344 Vgl. Eder, Die Figur im Film. 345 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 128.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

 97

Figur“346 definiert, wobei der Rezipient in seiner Analyse dem realen Lesenden gleichkommt, der die erzählte Welt mit Hilfe seines Weltwissens konkretisiert.347 Die verschiedenen Figurenmerkmale, die jeweils in Haupt- und Nebenmerkmale zu kategorisieren sind,348 trennt Finnern unter Bezugnahme auf Eder in zwölf Aspekte: Der erste Aspekt ist die Identität einer Figur, die alle Unterschiede einer Figur zu den anderen Figuren umfasst.349 Beim zweiten Aspekt werden die Charaktereigenschaften einer Figur gesucht, wobei es auf die ankommt, die der Rezipient durch explizite Nennung wahrnimmt und die, die er aus den Textgegebenheiten erschließt. Zur Erschließung nennt Finnern zwei mögliche Strategien: Entweder werden Figuren Charaktereigenschaften aus alltagspsychologischen Erfahrungen heraus zugeschrieben (z.B. Charakterisierung durch Aussehen der Figur) oder sie werden ihnen mit Hilfe von wissenschaftlichen Persönlichkeitstheorien (z.B. „Big Five“) zugeordnet.350 Drittens werden Meinungen und Weltbild der Figur erforscht, die der Rezipient direkt erfährt oder aus den Gefühlen einer Figur erschließen kann.351 Der vierte Aspekt umfasst Wahrnehmung und Erlebnisse einer Figur, der fünfte ihre Gefühle in bestimmten Situationen.352 Gefühle von Figuren werden selten direkt mitgeteilt, sondern vom Rezipienten aufgrund seiner alltagspsychologischen Erfahrungen und Dispositionen gedacht.353 Sechstens werden die Verhaltensweisen einer Figur in Abgrenzung von der bloßen Handlung durch den Rezipienten betrachtet und systematisiert, so dass er zusammen mit den Charaktereigenschaften einer Figur ein Bild derselben und vielleicht auch eine Erwartungshaltung in Bezug auf weitere Handlungen aufbauen kann.354 Der siebte Aspekt betrifft die Gesamtheit ihrer äußeren Merkmale, die falls sie nicht oder nicht hinreichend direkt vermittelt werden, vom Rezipienten konstruiert werden.355 Achtens wird der soziale Kontext einer Figur betrachtet, wobei die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen Raum für Interpretationen in Bezug auf die Weite einer Figur und die daraus resultierenden Handlungsweisen lässt.356 Die Aspekte neun und zehn umfassen das Wissen einer Figur und

346 Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 129. 347 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 127–128. 348 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 143. 349 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 134. 350 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 135–136. 351 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 137. 352 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 137–138. 353 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 137. 354 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 138. 355 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 138. 356 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 138–139.

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 2 Erzähltheorie

ihre Pflichten, wobei Wissen sowohl das explizit geäußerte Wissen umfasst, als auch das Wissen um die Umstände der Zeit, in der eine Figur lebt, bei den Pflichten kann es sich um gesellschaftliche oder persönliche handeln.357 Wie sich eine Figur in Pflichtkonflikten entscheidet, ist ein für die Rezipienten und deren Charakterisierung bedeutsamer Aspekt.358 Der elfte Aspekt umfasst die Wünsche und Bedürfnisse einer Figur. Auch diese müssen oft erschlossen werden. Zuletzt werden ihre Absichten und Motivationen, ihre Ziele betrachtet.359 Die dritte Analysekategorie ist die Figurenkonstellation. Unter diesem Methodenschritt werden die bestehenden und auch die sich innerhalb der Erzählung verändernden Verhältnisse der Figuren analysiert, und zwar so, wie der Rezipient sie wahrnimmt.360 Je nach dem, ob die Figuren untereinander Sympathie oder Antipathie empfinden, lassen sich bestimmte Relationsmuster ausmachen: Kon­ trastpaare, Korrespondenzpaare und Dreieckskonstellationen.361 In der vierten Analysekategorie Figur und Handlung betrachtet Finnern die Figur und ihre Bedeutung für die Handlung und die Funktion einer Figur für die Handlung. Um die Wichtigkeit einer Figur zu benennen, unterscheidet er zwischen Hauptfigur, Nebenfigur, Hilfsfigur362, Schaufigur363, Randfigur, Hintergrundfigur364 und Episodenfigur.365 Die Figurenfunktion für die Handlung betrachtet Finnern mit Hilfe des Handlungsrollenmodells von Eder.366 Die fünfte Kategorie ist die Figurendarstellung oder auch Figurencharakterisierung, worunter Finnern sechs Aspekte zählt. Dazu gehört die Offensichtlichkeit, wobei direkte und indirekte Figurencharakterisierung unterschieden werden. Auch untersucht er in Anlehnung an Pfister die Erzählinstanz nach auktoria-

357 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 139. 358 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 139. 359 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 140. 360 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 147. 361 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 147. 362 Die Hilfsfigur dient allein dem Fortgang der Handlung; vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 148. 363 Die Schaufigur wird auffällig dargestellt, hat aber keine Funktion für die Handlung; vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 148. 364 Randfiguren nehmen nur passiv am Geschehen teil, Hintergrundfiguren werden nur genannt; vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 148. 365 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 148; anders Poplutz, Erzählte Welt, 74–75: Poplutz setzt die Nebenfiguren mit den Randfiguren gleich, systematisiert diese nach Gruppen und untersucht deren Bedeutung für das Matthäusevangelium; Darr teilt die Figuren nach ihrem Handlungsanteil bei Lukas in drei Kategorien ein: Hintergrundfiguren, Zwischenfiguren, Protagonisten; vgl. Darr, On Character Building, 45. 366 Eder, Die Figur im Film, 493; vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 150–151.



2.4 Figurenanalyse an biblischen Texten  

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ler oder figuraler Charakterisierung.367 Zudem wird der Text im Hinblick auf drei verschiedene Distributionsmuster analysiert: Blockcharakterisierung (eine neu eingeführte Figur wird en bloc charakterisiert), Informationsverdopplung (dieselbe Figureninformation wird von Erzählstimme und Figuren gegeben) und szenische Charakterisierung (Figurenmerkmale werden nacheinander in einzelnen Szenen gezeigt, ohne dass eine Entwicklung geschildert wird).368 Ferner werden die Quantität, die Länge der Charakterisierung, und die Frequenz, deren Häufigkeit untersucht.369 Auch wird der Wahrheitsgehalt von Figuren- und Erzählerrede analysiert, was unter dem Begriff der Zuverlässigkeit subsumiert wird.370 Finnerns letzte Analysekategorie zur Figur ist die Figurenkonzeption, die er in starker Anlehnung an Pfister und Eder formuliert.371 Abschließend hält Finnern für die Analyse biblischer Figuren fest, dass diese nicht am Geschmack des heutigen Rezipienten gemessen werden dürften, sondern vielmehr in ihren damaligen Kontext eingeordnet werden müssten und unterscheidet – gemessen am Schwerpunkt der Figurenkonzeption und in Anlehnung an Eder – fünf Arten von Figuren: diegetische, artifizielle, symbolische, symptomatische und performative Figuren.372

367 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 153. 368 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 154; Eisen hält unter Bezugnahme auf die Theorie von Dickerson für die lukanische Charakterisierungstechnik der Nebenfiguren fest, dass diese nach dem Schema Einleitung nach stereotyper Form, Beschreibung ohne feste Form aber mit wiederkehrenden Elementen (z.B. Herkunft, Status, Lebensweise), Geschichte und darüber hinaus als Blockcharakterisierung aufgebaut sind; vgl. Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte, 138. 369 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 154. 370 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 155. 371 Gegen die Übertragung der Typvorstellung auf biblische Figuren – eine Fragestellung, die innerhalb der Unterscheidung, ob die Figur eher statisch oder eher dynamisch angelegt sei, zu finden ist – wendet sich Schmidt und begründet ihre Argumentation damit, dass Typen immer einem außertextlichen Bezugsrahmen entnommen seien, weshalb die Gefahr bestehe, dass dieser höher bewertet werden würde, als die im Text gegebenen Figureninformationen selbst. Um diese Gefahr zu umgehen, schlägt sie stattdessen den Begriff „Silhouette“ für biblische Figuren mit mehreren gemeinsamen Eigenschaften vor: Der Vorteil des Begriffs liege darin, dass er narrative und soziale Rollen gleichermaßen berücksichtige, den dargestellten Charakter aber durch die Begriffsfestlegung nur in Umrissen erfasse und daher offener für unerwartete Abweichungen von der Typvorstellung sei, als es beim Typ der Fall ist; vgl. Schmidt, Zentrale Randfiguren, 47–48; Auch Müllner warnt davor, dass viele Züge biblischer Figuren durch Festlegung auf eine Rolle nicht mehr beschreibbar seien und zudem gender-spezifische Rollen zementierten; vgl. Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick, 11. 372 Vgl. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 161–161; vgl. dazu auch Eder, Die Figur im Film, 143–145.

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 2 Erzähltheorie

Das breit angelegte Schema Finnerns zeigt umfassend, welche Kategorien es gibt, um literarische Figuren textzentriert zu analysieren. Eine Berücksichtigung der Lesenden findet sich in einigen dieser Kategorien.

2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell Vor dem Hintergrund der literaturwissenschaftlichen und exegetischen Figurenanalysemodelle soll im Folgenden ein Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell vorgestellt werden, das kognitionswissenschaftliche Rezeptionsprozesse zum Ausgangspunkt aller Überlegungen macht und darauf aufbauend narrative Kategorien untersucht. Die Figur soll in Anlehnung an Grabes und Jannidis als ein mentales Modell des Lesenden definiert sein. Dabei wird die fiktionale Figur vom Lesenden in Analogie zu einer realen Person wahrgenommen und mit seinem Alltagswissen konstruiert. Das mentale Modell der Figur wird vom Lesenden mit jeder Figureninformation, die der Text präsentiert, aufgrund seines Weltwissen und seinem Wissen über die erzählte Welt ausgefüllt. Liest der Lesende etwa, dass eine Figur besonders schön ist, ohne dass Informationen darüber gegeben werden, wie genau die Figur aussieht, so wird er sich eine Figur vorstellen, die er schön findet, diese Leerstelle mit Bildern von realen und/oder aus seiner Perspektive idealen Personen füllen. Dabei ist das persönliche Schönheitsempfinden des Einzelnen immer auch abhängig von seiner konkreten Lebensumwelt: Das Schönheitsideal des Barock etwa ist ein weitgehend anderes als das der heutigen Zeit. Zeitgenossen des Lesenden werden bei der Lektüre eines Textes immer ähnliche Figurenbilder entwerfen.373 Insofern kann bei der Figurenwahrnehmung von einer Art Stereotypenbildung gesprochen werden. Das Wissen über die erzählte Welt kann diese Vorstellung aber maßgeblich beeinflussen: So wird sich das mentale Bild einer schönen Figur etwa grundsätzlich ändern, wenn dem Lesenden nach der beschriebenen Schilderung die Information gegeben wird, dass es sich bei der schönen Figur um eine in der Erzählung schlechte oder böse Figur handelt, die den anderen Figuren nur durch einen Zauber die eigene Schönheit illusioniert und in Wahrheit nicht unter die Definition der Schönheit fällt. Das mentale Modell einer Figur kann sich mithin durch jede neue Information immer wieder verändern: Passt eine Figureninformation nicht in das bisherige Schema, entwirft der Lesende entweder ein neues Bild oder vermutet, dass die Figur eine Entwicklung gemacht hat oder unterstellt

373 Vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 416, 421.



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

 101

dem Autor einen absichtlichen oder unabsichtlichen Fehler.374 Gerade letztere Variante kommt aber selten vor, denn nach der kognitiven Zugangsweise wird jede Figur zunächst durch den Lesenden als reale Person wahrgenommen und er wird versuchen, dieses Bild zu halten und die neue Information in dieses Bild zu integrieren, selbst dann, wenn er vermeintlich Widersprüche in der Figur entdeckt hat.375 Die mentale Modellbildung einer Figur entsteht durch sukzessive Wahrnehmung des Textes und ist erst nach dem Lesen vollständig abgeschlossen, denn während des Leseprozesses können mehrfach Ergänzungen, Revisionen und Korrekturen vorgenommen werden. In der Praxis muss die Analyse daher in der chronologischen Reihenfolge des Textes stattfinden.376 Vor Beginn der Figurenanalyse, die sich am Leseprozess des Textes (KII) und der darin agierenden Figuren orientiert, sind Überlegungen auf außertextlicher Ebene (KI) und damit zum Textproduzenten/Realen Autor sowie zu dem in der Analyse anvisierten Lesenden anzustellen. Dazu soll ein einfaches Kommunikations(ebenen)modell, das den Kommunikationsprozess in literarischen Texten beschreibt, zu Grunde liegen:377 KI

KII

KI

Textproduzent/Realer Autor –– Erstautor –– Bearbeiter –– Sonderfall: Übersetzer

Text –– Erstfassung –– Bearbeitung –– Übersetzung

Lesender –– Idealer Lesender –– Zeitgenössischer Lesender –– Lesender einer anderen Zeit

Auf außertextlicher Ebene (KI) schreibt ein Textproduzent/Realer Autor einen Text (KII) an einen Lesenden. Aussagen über die außertextliche Ebene mit realem

374 Vgl. dazu Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 417. 375 Ob eine Figur realistisch oder nicht realistisch und im Zusammenhang damit offen oder geschlossen dargestellt wird, soll aufgrund dessen nicht Teil der Analyse sein; vgl. dazu auch Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 421. 376 Es sei vorab angemerkt, dass alle Überlegungen aufgrund des Wissens und aus der Perspektive einer in der Gegenwart lebenden, exemplarischen Person angestellt werden. 377 Weitere Kommunikations(ebenen)modelle vgl. Nünning/Nünning, Wege zum Ziel, 16; Nünning, Grundzüge eines kommunikationstheoretischen Modells der erzählerischen Vermittlung, 25–26; Nünning, Kommunikationsmodell, 368; Booth, Die Rhetorik der Erzählkunst 1, 77–78; Chatman, Story and discourse, 151; Pfister, Das Drama, 20–21; in der Exegese vgl. z.B. Fischer, Wege in die Bibel, 106–108; Utzschneider/Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung, 147–151; Schmitz, Prophetie und Königtum, 16.

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 2 Erzähltheorie

Autor/Textproduzenten und Lesendem (KI) können im Analyseprozess immer erst im Anschluss an die Textanalyse (KII) getroffen werden.

2.5.1 KI: Formen von Textproduzent/Realem Autor und Lesendem Unter einem Textproduzenten/Realen Autor sind alle diejenigen zu verstehen, die an der Textproduktion beteiligt sind. Drei Kategorien lassen sich dabei unterscheiden: Die des Erstautors, der die Erstfassung eines Werkes schreibt; die der Bearbeiter oder der Bearbeiterredaktionen, an die eine oder mehrere Zwischenstadien eines Textes gebunden sind; und in einer Art Sonderrolle die des Übersetzers, der Übersetzungen von einer in die andere Sprache anfertigt. Der Erstautor ist bei Textanalysen moderner Literatur gewöhnlich derjenige, der die Erstautorschaft inne hat. Nicht ausschließlich, aber gerade in der Exegese sind auch Bearbeiter und ebenso Übersetzer von Texten als Textproduzent/Realer Autor untersuchenswert. Viele biblische Texte haben eine lange Entstehungsgeschichte und sind durch verschiedene Bearbeitungsinstanzen gewachsen. Davon abhängig, welcher Text anvisiert wird, verändert sich auch der zu beachtende Textproduzent/Realer Autor und damit der zeitgeschichtliche Kontext eines Textes. Neben dem Ur-Text bzw. dem Erstautor können auch Zwischenstadien eines Textes mit dem Zwischenbearbeiter bzw. der Zwischenredaktion oder die Endfassung eines Textes mit dem jeweiligen Letztbearbeiter bzw. der Letztbearbeiterredaktion untersucht werden. Auch Übersetzungen von Texten können Untersuchungsgegenstand einer eigenen Figurenanalyse sein. In diesem Fall ist der Übersetzer ebenfalls ein Textproduzent/Reale Autor, obwohl er den Text nicht neu erfindet. Derjenige, der von einer in die andere Sprache übersetzt, ist immer bemüht, einen Text für ein neues Publikum erschließbar zu machen. Darum sieht er sich mit zahlreichen Fragen konfrontiert: Er muss unter Umständen paraphrasieren und oftmals unter vielen Möglichkeiten das Wort wählen, das in der Zielsprache den ursprünglichen Sinn des Textes bestmöglich wiedergibt. Welches Wort er wählt, hängt von ihm selbst und von seinen bisherigen Lebenserfahrungen und seiner Umwelt oder anders gesagt davon ab, wie er selbst den Text versteht. So muss er beispielsweise Redewendungen von einer Sprache in die andere übertragen, ohne dass der Sinn verloren geht.378 Aufgrund dieser Umstände können Übersetzungen von Texten

378 Eco nennt in diesem Zusammenhang das englische Beispiel: It’s raining cats and dogs, das



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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große Variationen im Vergleich zum Originaltext aufweisen, so dass sich eine eigene Analyse des Übersetzers und seiner Übersetzung rechtfertigt. Für die Analyse ist es daher entscheidend, dass der Textproduzent/Reale Autor und damit einhergehend auch der zu analysierende Text zuvor festgelegt ist. Der Lesende kann grundsätzlich alle Lesenden oder Lesendengruppen aus allen Zeiten umfassen, die den Text in ihrem jeweils eigenen Lebenskontext, mit ihrer jeweils eigenen Erfahrung analysieren. Einheitliche Aussagen über diese sind nicht zu treffen und würden die Analyse ins Unendliche treiben, so dass der anvisierte Lesendenkreis unbedingt vorab bestimmt werden muss. Für den Lesenden lassen sich drei Kategorien unterscheiden: Der ideale Lesende, der zeitgenössische Lesende und der Lesende einer anderen Zeit.379 Der ideale Lesende soll den Text so verstehen, wie es der Textproduzent/ Reale Autor vorsieht. Insofern liegen Untersuchungen über den Textproduzenten/Realen Autor auf derselben Linie wie solche über den idealen Lesenden. Der zeitgenössische Lesende kann, muss aber nicht identisch mit dem idealen Lesenden sein, obwohl auch dieser der Welt des Textproduzenten/Realen Autors entstammt. Die Ergebnisse der Analyse von zeitgenössischem und idealem Lesenden können daher identisch ausfallen, wenn sich Produktions- und Rezeptionsebene überschneiden, aber auch konträr, wenn beispielsweise der Produzent mit seinem Text gerade deswegen ein Ziel verfolgt oder einen Wert etablieren will, weil er ihn in seiner Lebensumwelt als nicht gegeben wahrnimmt. Darum ist der zeitgenössische Lesende getrennt von der Ebene des Textproduzenten/Realen Autors bzw. idealen Lesenden zu untersuchen. Auch die Rezeption eines Textes durch einen Lesenden oder eine Lesendengruppe einer anderen Zeit kann Gegenstand der Analyse sein. Das ist in der Exegese beispielsweise dann der Fall, wenn antike Texte interpretiert werden mit dem Ziel, Antworten auf sich heute stellende Probleme zu finden, wie es etwa in befreiungstheologischen oder marxistischen Ansätzen gemacht wird oder etwa, wenn ein biblischer Text aus der Perspektive einer bestimmten Konfession gelesen wird. Für die Analyse des idealen wie auch des zeitgenössischen Lesenden werden alle Informationen, die der Text über seine soziokulturelle Lebensumwelt hergibt, untersucht. Vor allem die Werte und Weltanschauungen, die der Text transportie-

im Deutschen, wörtlich übertragen, den Sinn verlieren würde; vgl. Eco, Quasi dasselbe mit anderen Worten, 9. 379 Vgl. auch die Unterscheidung von Eder zwischen empirischer Rezeption, vom Produzenten intendierter Rezeption und idealer Rezeption; Eder, Die Figur im Film, 113, 764.

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 2 Erzähltheorie

ren möchte, und welches zeitspezifische Vorwissen beim Lesenden vorausgesetzt wird, sind hilfreich, um seine soziokulturelle Lebensumwelt zu erfassen.380 Werte und Weltanschauungen einer Erzählung werden in hohem Maße über die Protagonisten vermittelt, die mit ihren Handlungen für diese Werte einstehen und unter Umständen diese auch repräsentieren. Werte erreichen den Lesenden am besten, wenn es dem Textproduzenten/Realen Autor gelingt, eine emotionale Bindung zwischen Lesendem und Protagonisten herzustellen.381 Der Lesende sollte in die Erzählung hineingezogen werden und um ein gutes Ende bangen und hoffen. Je mehr er sich von der Erzählung angesprochen fühlt, desto mehr ist eine Möglichkeit der Beeinflussung seiner Weltanschauungen gegeben, die bis zur Identifikation mit dieser Figur reichen kann. Um das zu erreichen, muss die Figur aber – zumindest teilweise – Werte vertreten, die in der zeitgenössischen Welt bereits weitgehend als außergewöhnlich positiv eingestuft werden, so dass sich das Gesellschaftsbild des Textproduzenten/Realen Autors anhand seiner Figuren in leicht überzogener, aber dennoch authentischer Form zeigen kann. Denkbar, wenn auch sicherlich weniger effektiv zur Übermittlung spezieller Werte, ist auch der Kontrast zu dieser positiven Form des Emotionsaufbaus. Wenn der Protagonist Interesse im negativen Sinn – vielleicht sogar Angst und Abscheu – beim Lesenden auslöst, wäre auch denkbar, dass das Mitfiebern eher in der Hoffnung auf das Scheitern dieses Protagonisten liegt. Ein solches Szenario ist möglicherweise bei einem Teil der Lesenden in Patrick Süsskinds Roman „Das Parfum“ gegeben, wo das Leben eines Frauenmörders beschrieben wird, oder in George R. R. Martins Romanreihe „A Song of Ice and Fire“ in Bezug auf den diktatorischen und sadistischen König Joffrey.382 Zeitspezifisches Wissen ist immer dann gefragt, wenn ein Text durch Verwendung von Codes auf seinen historischen Kontext hinweist und/oder spezielles Alltagswissen voraussetzt. Anspielungen auf den historischen Kontext eines Textes sind immer dann gegeben, wenn sein politischer, geschichtlicher, sozialer, religiöser oder kultureller Hintergrund sichtbar wird. Zum Verständnis des Romans „Die Blechtrommel“ von Günter Grass ist es notwendig, Hintergrundwissen zur NS-Zeit in Deutschland zu haben.383 Viele biblische Texte setzten Wissen zur

380 Vgl. dazu auch Eders Überlegungen zur Figur als Symptom; vgl. Eder, Die Figur im Film, 559. 381 Vgl. Jannidis, Figur und Person, 231–235; Eder, Die Figur im Film, 559–560, 644–646, 704– 706. 382 Vgl. Süsskind, Das Parfum (1985); Unter den Bänden der Reihe „A song of Ice and Fire“ vgl. die Bände 2–4: Martin, A Clash of Kings (1999); Martin, A Storm of Swords (2000); Martin, A Feast for Crows (2005). 383 Grass, Die Blechtrommel (1959).



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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babylonischen Exilszeit voraus. Spezielles Alltagswissen ist beispielsweise dann notwendig, wenn der Textproduzent/Reale Autor nur den Feuerwehrmann nennt, ohne weitere Informationen zu geben. In diesem Beispiel wird ein Code eingesetzt, um beim Lesenden ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Je nach dem welcher Nationalität der Lesende angehört, wird dieser sich Aussehen und Kleidung eines Feuermanns vorstellen, die rot wie in Deutschland, aber auch blau wie in den USA sein kann. Je ferner die Entstehungszeit eines Textes vom Analysierenden weg liegt, desto mehr kulturwissenschaftliche Überlegungen unter Beachtung der Bezugssysteme von Textproduzenten/Realem Autor und Lesendem müssen beachtet werden, um die Werte und Weltanschauungen und das zeitspezifische Wissen in angemessener Weise auslegen zu können. So fällt es einem heutigen Lesenden schon schwerer, sich einen jüdischen Hohepriester des AT authentisch, d.h. jenseits der Darstellung alter Historienfilme, in voller Pracht vorzustellen, als es bei einem deutschen Feuerwehrmann der Fall ist. Bei der Analyse des Textproduzenten/Realen Autors bzw. idealen Lesenden spielen vor allem die Textstrategien, die Normen und Werte – meist über die Figuren – etablieren wollen, eine Rolle. Bei der Analyse des zeitgenössischen Lesenden hingegen mehr die Frage, ob diese Normen und Werte gängig oder revolutionär sind und ob es mit diesen Textstrategien gelingt, Emotion und Empathie für die Figuren zu wecken. Für die im Folgenden anvisierte Analyse soll außertextlich zum einen die Ebene des Textproduzenten/Realen Autors bzw. idealen Lesenden mitsamt seiner in den Text eingespielten Motive und Werte stehen (KI). Dem gegenüber soll zum anderen die Analyse der Ebene der zeitgenössischen Lesenden untersucht werden (KI). Dabei ist zu fragen, wie und welches mentale Figurenmodell sich bei diesen aufbaut, inwiefern die Normen und Werte, die der Text transportieren will, zeitgenössisch auf Zuspruch oder auf Ablehnung gestoßen sein mögen, ob es dementsprechend gelingt, diese womöglich (weiter) zu etablieren oder nicht, ob Emotion und Identifikation für die Figuren geweckt werden kann. Entscheidend sind immer jeweils die Informationen, die der Text preisgibt. Sowohl die Analyse des Textproduzenten/Realen Autors bzw. idealen Lesenden als auch die des zeitgenössischen Lesenden werden nach der Figurenanalyse (KII) mit dem Textverlauf durchgeführt. Textproduzent/Realer Autor der aktuellen Untersuchung ist Hieronymus, der Übersetzer der Vg-Fassung des Buches Iudith. Die zeitgenössischen Lesenden sind alle um 400  n.  Chr. lebenden Menschen, die Zugang zu den hieronymianischen Texten hatten. Das betrifft überwiegend christliche, gebildete und eher reiche klerikale und nichtklerikale Frauen und Männer in Rom. Vor allem die Vg-spezifischen Hinzufügungen und Auslassungen, die sich im Vergleich mit den Parallelfassungen zeigen, sind geeignet, ein Vg-spezifisches Eigenprofil her-

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auszuarbeiten, vor allem, wenn sie neue Normen und Werte enthalten. Zu fragen ist dann, inwiefern diese den Wertesystemen in Rom um 400 n. Chr. bereits entsprechen und im Zuge dessen, wie die zeitgenössischen Lesenden diese Vg-spezifischen Hinzufügungen wohl aufgenommen haben könnten.

2.5.2 KII: Figurencharakterisierung Die kognitiv-narratologische Figurenanalyse zeichnet die Figurencharakterisierung, wie ein Text sie vorgibt, nach und untersucht eine Figur bzgl. ihres Weltbildes, ihrer Werte, ihres Wissens, ihrer Absichten, Wünsche und Ziele. Die Figurenanalyse orientiert sich am Leseprozess des Textes durch den Lesenden und ist daher erst nach dem Lesen des ganzen Textes vollständig abgeschlossen. Figureninformationen können durch Vorinformationen, Erzählstimmen- oder Figurenrede direkt gegeben sein oder müssen indirekt vom Lesenden erschlossen werden. Figurencharakterisierungsmodell: Figurencharakterisierung = Beschreibung des Charakters einer Figur anhand von Weltbild, Werten, Wissen, Absichten, Wünschen und Zielen Direkte und Indirekte Figurencharakterisierung Die Figurencharakterisierung kann in einem Text (KII) durch (Erwartungshaltung) Vorinformation, Erzählstimmen- oder Figurenrede direkt gegeben sein oder muss indirekt erschlossen werden (→ Zuverlässigkeit): Kategorien der Figurencharakterisierung 1. Benennung –– Sprechende Namen; keine Benennung 2. Äußere Erscheinung –– Körper, Kleidung 3. Sozialer Kontext –– Bildung; Beruf; Wohnungseinrichtung; Wohnumgebung; gesellschaftliche Kreise/Milieu; Ethnizität; Religionszugehörigkeit 4. Handlungen/Verhaltensweisen/Körpersprache/Sprechweise 5 Perspektive 6. Inter- und Intratextualität 7. Figurenkonstellation/Figurenkonfiguration/Handlungsrollenmodell



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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Die Analyse beginnt bereits mit der Erwartungshaltung des Lesenden:384 So ist diese eine jeweils völlig andere, je nach dem, ob sich der Lesende für ein Sachbuch, einen Kinderroman oder eine biblische Erzählung entscheidet. Im Falle der biblischen Erzählung erwartet der Lesende das Wort Gottes zu erfahren und vielleicht Ermutigungen für sein Leben zu bekommen, die meist über die Hauptfiguren übertragen werden. Dahingehend wird er seine mentale Modellbildung ausrichten. Diese wird gefüllt mit den ersten Informationen, die der Lesende über die Figur bekommt. Diese werden zum Fundament, auf dem alle weiteren Informationen aufbauen.385 Nicht selten stehen am Anfang des Leseprozesses einer Erzählung Vorinformationen zum Text, wie z.B. der Titel einer Erzählung, die, wenn sie Figureninformationen enthalten, bereits die Figurenwahrnehmung beeinflussen. Für die Vg-Fassung des Buches Iudith im Besonderen, die, wie alle biblischen Bücher ursprünglich keinen Titel enthält, könnte bei dem Thema Vorinformation an die praefatio zum Buch Iudith gedacht werden, die Hieronymus seiner Übersetzung voranstellt und in der er Iudith bereits charakterisierend einführt.386 Die erzähltheoretische Zuordnung von Vorinformationen dieser Art ist jedoch nicht ganz unproblematisch, denn Vorinformationen zu einer Figur gehören unter Umständen weder eindeutig der textexternen Welt an, noch sind sie eindeutig Teil der erzählten Welt. Die Zuordnung muss daher nach Art der Vorinformation eigens problematisiert werden. Genette hat Vorworte erzähltheoretisch kategorisiert und sie als Sonderform so genannter Paratexte gewertet. Ein Paratext ist ein Kommentartext zum eigentlichen Text, der als lektüresteuerndes Hilfselement Textaufwertungen, Informationen und/oder Interpretationen zum Text enthält und genutzt wird, um beim Publikum die Lektüre überhaupt zu bewirken und eine gute Lektüre anzuregen: Das Vorwort als Sonderform des Paratextes wird zu den von Genette so bezeichneten werkinternen Peritexten gezählt.387 Ein werkinterner Peritext zeichnet sich durch räumliche Nähe zum Text aus:

384 Nach Eder bestimme, was der Rezipient von einem Western, von einem Horrorfilm, von einer Liebesgeschichte erwarte, im Wesentlichen seine Rezeptionshaltung; vgl. Eder, Die Figur im Fim, 370. 385 Das ist es, was Grabes als primacy effect bezeichnet hat; vgl. Grabes, Wie aus Sätzen Personen werden…, 407, 415, 418. 386 Eder benennt dazu Beispiele zum Thema Film wie Titel, Filmplakate oder Teaser, wodurch der Lesende sich bereits ein Bild der Figuren mache, das nur noch fortgeführt werde; vgl. Eder, Die Figur im Fim, 330. 387 Vgl. Wolf, Paratext (Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie), 557; Genette, Paratexte, 13–14, 191–217.

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 2 Erzähltheorie

Dazu gehören der Name des Autors, Titel, Widmungen etc.388 Insofern scheint es gerechtfertigt, die praefatio zum Buch Iudith KII und damit der Erzählung selbst zuzuordnen und sie ferner mit erzähltheoretischen Methoden zu analysieren. Die Frage, inwiefern die praefatio zum Buch Iudith als leküresteuerndes Hilfselement gebraucht wird, ist für die Analyse derselben und für die weiteren Schritte von besonderer Bedeutung. Für die Analyse der Erzählstimmen- und Figurenreden ist bezüglich der mentalen Modellbildung vor allem die Frage interessant, ob die Reden zuverlässig sind.389 Gerade unzuverlässige Aussagen tragen erheblich dazu bei, eine Figur zu charakterisieren. Höhere Zuverlässigkeit als in wörtlichen Reden ist dann gegeben, wenn Figurengedanken in direkter oder indirekter Form berichtet werden.

Kategorien der Figurencharakterisierung Vorinformationen, Erzählstimmen- und Figurenrede können sieben Kategorien der Figurencharakterisierung enthalten:390 Benennung; Äußere Erscheinung; Sozialer Kontext; Handlungen, Verhaltensweisen, Körpersprache und Sprechweise; Perspektive; Inter- und Intratextualität; Figurenkonstellation, Figurenkonfiguration, Handlungsrollenmodell.391 Die Kategorien der Figurencharakterisierung können direkt formuliert oder indirekt gegeben sein.392 Sie sollen helfen, das im Text angelegte Weltbild einer Figur zu erfassen, ihre Werte, ihr Wissen, ihre Absichten, Wünsche und Ziele. Durch die kognitive Herangehensweise werden die Figureninformationen in der Reihenfolge, wie der Text sie vorgibt, gelesen und zum Aufbau des mentalen Modells der Figur herangezogen. Alle bisher gegebenen

388 Briefe des Hieronymus, in denen dieser sich zum Buch Iudith äußert, wären nach Genette textexterne Epitexte, weil sie mit Entfernung zum Text entstehen und außerhalb des Textes anzusiedeln sind; vgl. zur Unterscheidung von Peritexten und Epitexten: Genette, Paratexte, 12–13; Wolf, Paratext (Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie), 557. 389 Vgl. Jannidis, Zur Erzähltheorie der Figur, 21. 390 Müllner nennt noch einen weiteren Aspekt, die Präsenz, augrund der beim Lesenden ein größeres Identifikationspotential zu erreichen sei; vgl. Müllner, Gewalt im Hause Davids, 66. 391 Müller hält für biblische Schriften fest, dass vor allem indirekte Charakterisierungstechniken verwendet würden und neben der Benennung von Eigenschaften und Fähigkeiten, hauptsächlich Worte und Taten sowie die Charakterisierung durch Namen eine Rolle spielten; vgl. Müller, Mehr als ein Prophet, 47–48. 392 Vgl. auch die Analysekataloge der Figurenanalysemodelle von Manfred Pfister, Das Drama (1977), Shlomith Rimmon-Kenan, Narrative Fiction (1983), Jost Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft (1998) und Roy Sommer, Methoden strukturalistischer und narratologischer Ansätze, (2010).



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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Informationen werden nach jedem im Text hinzukommenden Merkmal reflektiert und unter Umständen korrigiert, um das mentale Modell der Figur zu erweitern. Die Kategorien der Figurencharakterisierung sind der klassischen Narratologie entnommen und als Angebot zu verstehen, mit dem eine Figur analysiert werden kann. Sie werden demnach in der Praxis nur dann Anwendung finden, wenn sie im Text zu finden sind, da nicht jeder Text alle Kategorien verwendet, um seine Figuren darzustellen. Die Benennung der Figur steht in der Regel am Anfang einer Figurencharakterisierung. Aufgrund von Alltagswissen kann der Lesende oft nur aufgrund der Namen sofort einschätzen, um welche Figur es sich handelt oder aus welcher Zeit diese stammt. Auch wenn eine Figur unbenannt bleibt, hat dies charakterisierende Funktion und schafft Distanz zu der Figur. Aber die Literatur kennt auch besondere Arten der Benennung.393 So kann eine Benennung charakterisierend sein, wenn es sich um einen sprechenden Namen oder Symbolnamen handelt. Sprechende Namen oder Symbolnamen geben Auskunft über das Wesen einer Figur,394 über das Typische, wofür die Figur steht oder was ihr widerfährt,395 und können visuell, akustisch oder artikuliert realisiert sein.396 Auch besteht die Möglichkeit, dass sie Allegorien, der Mythologie oder der Literatur entnommen sind.397 Benennungen können die Ähnlichkeit zwischen Lesendem und der Figur betonen, aber auch den Kontrast,398 was Auswirkungen auf die Empathiebildung hat. Gerade in alttestamentlichen Texten finden sich häufig analoge Namen. So stammt z. B. der Name der ersten Frau Eva von dem hebräischen Wort für Leben ab, weil sie die Mutter aller Lebendigen wurde (Gen 3,20).399 Auch der Name Achior (‫„ אחי אור‬Der [mein] Bruder ist

393 Der Aspekt der Benennung einer Figur findet sich auch in manchen Analysen explizit unter „impliziter Figurencharakterisierung“ (vgl. Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 40–41, 45). Dem sind zahlreiche atl. Beispiele entgegen zu halten (z.B. Umbenennung Abrams in Gen 17,5), in denen ein Name genannt und die Benennung gleich darauf erklärt wird. In solchen Fällen kann nicht mehr von impliziter Benennung die Rede sein. Eine weitere Möglichkeit ist die Charakterisierung über analoge Namen; vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 59–70. 394 Ein Symbolname oder sprechender Name ist beispielsweise Nabal, was „törichter Mensch“ bedeutet und in der Erzählung eine Funktion hat (1 Sam 25,25); vgl. Reiterer, Symbolischer Name, 722; Rösel, Symbolnamen (Wibilex), 08.11.2011. 395 Um den fiktionalen Charakter dieser Namen zu betonen, verwendet Mathys den Begriff „Künstliche“ Namen; vgl. Mathys, „Künstliche“ Personennamen im Alten Testament, 218. 396 Vgl. analoge Namen bei Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 68. 397 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69. 398 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69. 399 Vgl. Kogler/Reiterer, Name, 542.

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Licht“) ist ein sprechender Name in der Juditerzählung, denn er weist auf dessen Weisheit hin: Diese wird er in Jdt 5 unter Beweis stellen, wenn er sein reiches Wissen über das Volk Israel entfaltet, und in Jdt 14,10, wenn er sich durch die Beschneidung konvertiert.400 Auch die äußeren Merkmale einer Figur können zu deren Charakterisierung beitragen. Dazu zählen alle Beschreibungen ihres Körpers, aber auch, wie sie sich kleidet oder welchen Schmuck sie trägt. Wie beim Namen können auch die äußeren Merkmale Aufschluss über die Zeit, in der ein Text spielt, geben oder etwas über die soziale Stellung der Figur oder ihren Charakter beitragen. Auch der tatsächliche Entstehungskontext kann relevant sein. Das ist gerade in biblischen Texten wichtig. Beispielsweise muss man sich ein Trauergewand, das um 100 v. Chr. getragen wurde, ganz anders vorstellen als die Kleidung, die man heute auf Beerdigungen trägt. Um das zu verstehen, ist aber Wissen über die Zeit, in der der Text erzählt wird oder in der der Text geschrieben wurde, notwendig. In biblischen Texten werden äußere Merkmale in der Regel eher knapp gehalten und nur dann beschrieben, wenn sie eine Bedeutung für die weitere Handlung haben.401 So ist Simsons unglaubliche Kraft an das Nicht-Scheren seines Haares geknüpft (Ri 13,5; 16,17.19.22). Daher hat das Äußere einer Figur gerade im biblischen Text eine wichtige Funktion.402 Zudem ist der soziale Kontext relevant für die Figurencharakterisierung:403 Dazu können Bildung und Beruf einer Figur sowie ihre finanzielle Situation und ihre Wohnungseinrichtung und Wohnumgebung zählen, aber auch in welchen gesellschaftlichen Kreisen, in welchem Milieu sie sich bewegt, welcher Ethnizität sie angehört, welche oder ob sie überhaupt eine Religion hat. In biblischen Texten spielt vor allem das religiöse Umfeld einer Figur für deren moralische Zuordnung eine zentrale Rolle. Auch können Figuren durch Ähnlichkeit oder Verschiedenheit voneinander analog charakterisiert werden.404 In einigen literarischen Werken werden Beschreibungen von Landschaften, Räumlichkeiten (z.B. Theodor Fontanes „Effi Briest“) oder Tagesabläufen (z.B. Thomas Manns

400 Vgl. dazu auch Fritzsche, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testaments, 150; Steinmann, Lecture de Judith, 56; Enslin/Zeitlin, The Book of Judith, 86. 401 Vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 58–60. 402 Vgl. auch Müller, Kleidung als Element der Charakterzeichnung im Neuen Testament und seiner Umwelt, 133–169. 403 Vgl. dazu auch Schneider, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft, 38–39. 404 Vgl. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction, 69–70.



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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„Die Buddenbrocks“) als literarisches Mittel dazu eingesetzt, eine Figur analog zu charakterisieren.405 Ferner sind Handlungen, Verhalten, Körpersprache und Sprechweise einer Figur entscheidend, um diese zu charakterisieren. Handlungen und Verhalten einer Figur sind oftmals aussagekräftiger, als es Worte sein könnten.406 Denn Handlungen müssen nicht erst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden und zeigen Willen, Motive und Werte einer Figur. Handlungen kommen besonders durch das Gestaltungsmittel des Kontrasts zu anderen Figuren, früheren Handlungen und bestimmten Werten zum Vorschein.407 Mit Blick auf die Körpersprache sind drei Formen zu unterscheiden: die Kinesik, wozu Körperbewegungen, Körperhaltungen, Gesichtsausdruck, Blickverhalten, automatische physiologische und physiochemische Reaktionen (wie beispielsweise Zittern oder Farbwechsel) sowie Gesten und Aktionen gehören, die Haptik, was Berührungsverhalten wie Küsse, Umarmungen, Streicheln oder Handhalten, aber auch Schlagen und Kneifen umfasst, und die Proxemik, die im Zusammenhang mit der Körpersprache interpersonale Distanz und Raumorientierung von Figuren untersucht.408 Die Möglichkeiten, eine Figur über die Sprechweise zu charakterisieren, sind zahlreich: So kann beispielsweise auf den Bildungsstand einer Figur geschlossen werden, je nachdem wie eine Figur mit einer anderen Figur spricht, ob sie Höflichkeitsformen verwendet oder absichtlich darauf verzichtet. Die Sprechweise zeigt auch Wesenszüge, beispielsweise ob eine Figur temperamentvoll oder schüchtern ist, und kann Aufschluss über den gefühlsmäßigen Zustand einer Figur geben. Die Sprechweise der Erzählstimme wiederum kann Anhaltspunkte dafür liefern, mit welcher Haltung die Figur durch den Rezipienten gesehen werden soll. Die Perspektive bzw. Blickrichtung stellt die Fragen danach, durch wessen Augen die Lesenden die Handlung sehen (fokalisierendes Subjekt) – durch die der Erzählstimme oder durch die einer bestimmten Figur –, was im Fokus des Blickes steht (fokalisiertes Subjekt) und wie und mit welcher Werthaltung es betrachtet wird (Art der Fokalisation).409 Dieses literarische Gestaltungsmittel spielt mit Nähe und Distanz: So wird beispielsweise sehr viel mehr Nähe erzeugt, wenn der Lesende das Geschehen aus dem Blick der Protagonistin verfolgt, als wenn die

405 Vgl. Fontane, Effi Briest (1896); Mann, Die Buddenbrocks (1901). 406 Müller bemerkt, dass gerade biblische Figuren vorwiegend über Handlungen und Reden charakterisiert werden; Müller, Mehr als ein Prophet, 47–48. 407 Vgl. Berlin, Figuren und ihre Charakterisierung, 150–151. 408 Vgl. ausführlich Korte, Körpersprache in der Literatur, 38–39. 409 Vgl. dazu Schmitz, Prophetie und Königtum, 43–58.

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 2 Erzähltheorie

Erzählstimme ihm dieses berichtet.410 Je näher der Rezipient seiner Figur kommt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Art von emotionaler Bindung aufbaut und von der Erzählung gefesselt wird.411 Die Perspektive muss nicht innerhalb einer Erzählung bei einer Figur bleiben (monoperspektivisch), sondern kann auch wechseln (multiperspektivisch). Die Charakterisierung durch inter- oder intratextuelle Bezüge arbeitet mit Leitworttechnik oder dem gezielten Einsatz von Motiven, wodurch Vernetzungen innerhalb eines Buches oder zwischen verschiedenen Büchern entstehen. Gerade in biblischen Texten gibt es unzählige solcher Motive innerhalb desselben Textes (intratextuell), aber auch innerhalb der gesamten Bibel (intertextuell), wie am Beispiel der Zionstheologie erkennbar wird. Im Zusammenhang mit der Figurencharakterisierung wäre denkbar, dass eine biblische Figur ähnlich zu einer anderen konstruiert ist oder dass eine Figur über biblische Erzählungen spricht und sich darauf bezieht, so dass sich dadurch neue Bedeutungsebenen eröffnen. Die letzte Kategorie der Figurencharakterisierung umfasst die Figurenkonstellation, die Figurenkonfiguration und das Handlungsrollenmodell. Jeder Lesende verfügt über ein Repertoire an typischen Figurenkonstellationen wie z.B. die klassische Dreiecksbeziehung oder die Idee von Spieler und Gegenspieler. Ein solcher Erwartungshorizont an eine Erzählung ist vorhanden und der Lesende wird diesen mit ihm bekannten Kategorien füllen. So werden im Laufe des Leseprozesses Modelle zur Figurenkonstellation, die die gesamte Erzählung in den Blick nehmen, erstellt. Modelle zur Figurenkonfiguration werden kreiert, die die Figurenzusammenstellung innerhalb einer Szene abbilden. Diese szenische Vorstellung wird während des Leseprozesses automatisch erstellt. Auch Handlungsrollenmodelle werden jeder Figur der Erzählung vom Lesenden zugeordnet, ohne dass das bedeuten muss, dass der Lesende darauf fixiert bleibt, wenn widersprüchliche Informationen zu dem gebildeten Modell gegeben werden. Im biblischen Text ist das Handlungsrollenmodell bereits dann gegeben, wenn eine Figur als gottesfürchtig oder nicht gottesfürchtig eingestuft wird. Die drei Modelle können im Laufe der Erzählung revidiert und korrigiert werden, denn die Interaktion der Figuren wird individuell für die jeweilige Erzählung erstellt, ohne gleich jede Erzählung auf wiederkehrende Schemata zu reduzieren.412

410 Dabei ist es auch möglich, dass die Erzählstimme spricht und das Geschehen dennoch aus der Perspektive der Figur geschildert wird. 411 Zum Thema identifikatorische Lektüre bemerkt Ehlers, dass gerade Figuren diese begünstigten und dass vor allem Nähe und Distanz zu den Figuren entscheidend seien, um das Identifikationspotential zu steuern. Das Mittel, um Nähe oder Distanz herzustellen, sei vor allem die Perspektive; vgl. Ehlers, Studienbuch zur Analyse und Didaktik literarischer Texte, 24. 412 Müllner warnt neben allen Vorteilen des Aktantenmodells davor, dass viele Züge bibli-



2.5 Kognitiv-narratives Figurenanalysemodell 

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Um die Eigenheiten des hieronymianischen Textes und deren Wirkung auf den zeitgenössischen Lesenden um 400 n. Chr. zu untersuchen, soll neben dem Textvergleich Vg – LXX – Hs 151 eine semantische Analyse eingesetzt werden. In Bezug auf die Reihenfolge der Analyseschritte ergibt sich eine Besonderheit: Gerade weil der Lesende in der kognitiven Figurenanalyse so eine zentrale Rolle spielt, kann die Analyse nicht in einer genetischen Reihenfolge stattfinden, nach der etwa zunächst die LXX-Fassung des Buches Judit vorgestellt und dann die Hs 151 und die Vg-Fassung vergleichend untersucht werden. Vielmehr stehen die Figurenanalyse Iudiths nach der Vg-Fassung und die Modellbildung der Figur beim zeitgenössischen Lesenden im Vordergrund. Darum soll die Vg-Fassung der Ausgangspunkt der Analyse sein, und daran die Unterschiede zur LXX-Fassung und zur Hs 151 aufgezeigt werden.

scher Figuren durch Festlegung auf eine Rolle aus dem Aktantenmodell nicht mehr beschreibbar seien und zudem gender-spezifische Rollen zementierten; vgl. Müllner, Zeit, Raum, Figuren, Blick, 11.

3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse Die Iuditherzählung hat sechzehn Kapitel, die sich in zwei große Teile gliedern lassen (Idt 1–8; 8–16). In den ersten acht Kapiteln wird der Eroberungsfeldzug der Assyrer unter König Nabuchodonosor, der sich selbst als einzigen Gott weltweit etablieren möchte, und dessen General Holofernis bis hin zur Bedrohung des Volkes Israel und der ganzen Welt durch diese geschildert (Idt 1–3). Nur das Volk Israel wehrt sich gegen die bevorstehende assyrische Eroberung und verschanzt sich hinter den Stadtmauern des auf einem Berg gelegenen Bethulia, von wo aus eine Verteidigung der Stadt gut möglich ist (Idt 4). Auf die in seinem Kriegsrat geäußerte Frage nach der Heeresmacht des Volkes Israel, antwortet der Ammoniterführer Achior mit einem geschichtlichen Überblick und rät Holofernis, mit seinem Angriff zu warten, bis das Volk Israel sich gegen seinen Gott versündigt, weil dieser es sonst verteidigen würde (Idt 5). Holofernis nimmt diesen Rat wenig ernst und liefert Achior den Feinden mit der Ankündigung aus, dass dieser bei der bevorstehenden Eroberung sein Leben verlieren werde. Als Antwort auf den Widerstand der Israeliten belagert er Bethulia und schneidet die Stadt von ihrer Wasserversorgung ab (Idt 6). Auf dem Höhepunkt der Not des Volkes Israel, wenn bereits die ersten vor Durst sterbenden Stadtbewohner auf der Straße tot umfallen, verlangt das Volk von den verantwortlichen Stadtältesten unter Führung des Ozias die Aufgabe des Widerstands und Auslieferung der Stadt. Die Stadtältesten bestimmen daraufhin ein Fünf-Tage-Ultimatum: Gott soll fünf Tage Zeit haben, Israel aus der Not zu retten, andernfalls wollten sie nachgeben und die Forderung des Volkes erfüllen (Idt 7). Bis zu diesem Höhepunkt der Not wartet der Lesende ganze acht Kapitel, die fast die Hälfte des Buches ausmachen, auf die ihm in der praefatio zum Buch angekündigte Iudith, die das Unmögliche vollbringen soll. Der erste Buchteil dient bereits dazu, die Feinde Israels in den Augen der Lesenden abzuwerten. Dazu trägt insbesondere die Charakterisierung des Holofernis bei, der im Auftrag des Nabuchodonosor nach und nach eine Reihe von Völkern unterwirft und dabei durch eine besondere Rohheit in seinem Vorgehen auffällt: Neben der Auslieferung des ihm treu untergebenen Achior (Idt 6) sei in diesem Zusammenhang auch die Vg-spezifische Hinzufügung in Idt 3,11–13 erwähnt, wenn die kapitulierenden Völker die Wildheit in seiner Brust nicht zu besänftigen vermögen. Holofernis zerstört – trotz der freiwilligen Unterwerfung – zum Zeichen der militärisch politischen Überlegenheit alle seinen Weg kreuzenden Städte und holzt zum Zeichen der religiösen Überlegenheit – Nabuchodonosor sei der einzige Gott – die gegnerischen Haine (lucus), die den Gottheiten geheiligten Wälder (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2932), ab (Idt 3,11–12).1 Spätestens nach diesem Hinweis wird der Lesende ahnen, wer in der praefatio zum Buch Iudith als namenloser Gegner, als Unbesiegbarer und Unüberwindbarer, ange-



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

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kündigt wurde (Z. 11–12 praefatio zum Buch Iudith) und wen Iudith mit Gottes Hilfe besiegen wird.1 Die exegetisch-kognitive Figurenanalyse beginnt mit der ersten Information, die der Lesende von Iudith erhält. Da den biblischen Schriften kein Titel vorangeht, findet sich diese in der praefatio zum Buch Iudith, die darum noch vor der eigentlichen Erzählung untersucht werden soll.

3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith Hieronymus stellt seiner Übersetzung zum Buch Iudith, wie zahlreichen anderen Übersetzungen, eine praefatio voran:2 1 2

3 4 5 6

7

8

Apud Hebraeos liber Iudith inter Agiografa legitur; cuius auctoritas ad roboranda illa quae in contentione veniunt, minus idonea iudicatur. Chaldaeo tamen sermone conscriptus inter historias computatur. Sed quia hunc librum sinodus nicena in numero Sanctarum Scripturarum legitur conputasse, adquievi postulationi vestrae, immo exactioni, et sepositis occupationibus, quibus vehementer artabar, huic unam lucubratiunculam dedi, magis sensum e sensu quam ex verbo verbum transferens. Multorum codicum varietatem vitiosissimam amputavi; sola ea quae intelligentia integra in verbis chaldaeis invenire potui, latinis expressi.

Bei den Juden wird das Buch Judit den hagiographischen Schriften zugeordnet; seine Autorität wird zur Stützung eines Arguments in Streitfragen als weniger geeignet betrachtet. In kaldäischer Sprache verfasst, wird es den Geschichtsdarstellungen zugerechnet. Aber da, wie es heißt, das Konzil von Nikaia dieses Buch der Zahl der heiligen Schriften zugerechnet hat, habe ich Eurem Anliegen, ja Eurer Forderung, nachgegeben, mich heftig bedrängende Beschäftigungen beiseite gelegt und diesem Buch nur die Arbeit einer Nacht gewidmet, wobei ich eher Sinn für Sinn statt Wort für Wort übersetzt habe. Die sehr fehlervolle Verschiedenheit der vielen Handschriften habe ich weggeschnitten: Nur das, was ich in kaldäischen Worten voll verständlich finden konnte, habe ich lateinisch ausgedrückt.

1 Idt 3,11–12 Vg: nec ista tamen facientes ferocitatem eius pectoris mitigare potuerunt 12 nam et civitates eorum destruxit et lucos eorum excidit. 2 Die deutsche Übersetzung der Vg-Fassung des Buches Iudith und des Prologes stammen von Helmut Engel aus dem Projekt „Vulgata deutsch“ von Andreas Beriger, Widu-Wolfgang Ehlers und Michael Fieger (Berlin 2018). Für das Bereitstellen der Übersetzung und die Erlaubnis, einen Teil des Textes hier abdrucken zu dürfen, noch vor dem Veröffentlichungstermin 2018 sei allen an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Die Übersetzungen der LXX-Fassung stammen meist aus dem Herder Judit Kommentar von Schmitz/Engel.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Accipite Iudith viduam, castitatis exemplum, et triumphali laude perpetuis eam 10 praeconiis declarate. Hanc enim non solum feminis, sed et viris imitabilem dedit, 11 qui castitatis ius remunerator, virtutem talem tribuit, ut invictum omnibus 12 hominibus vinceret, insuperabilem superaret. 9

Nehmt die Witwe Judit in Empfang, ein Vorbild der Keuschheit, und verkündigt sie mit triumphierendem Lob in unablässigen Preisungen! Sie hat nämlich nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern derjenige zur Nachahmung gegeben, der ihr als Belohner ihrer Keuschheit solche Stärke zuteilte, dass sie den von allen Menschen Unbesiegten besiegte, den Unüberwindlichen überwand.

Aus erzähltheoretischer Sicht gehört die praefatio zu den Vorinformationen zum Buch Iudith. Nach Genette ist sie als Sonderform der sogenannten Paratexte den werkinternen Peritexten zuzuordnen und gehört demnach zum Text und zur Textanalyse dazu.3 Als werkinterer Peritext zeichnet sich die praefatio durch eine gewisse Nähe zum Text selbst aus und ist als Kommentartext zum Buch Iudith zu lesen. Die Nennung von Autor, wem der Text gewidmet ist, etc., aber auch eine bereits vorab lektüresteuernde Wirkung und Vorinterpretationen des Textes sind für derartige Vorwörter nicht unüblich. Die praefatio zum Buch Iudith gehört damit zur KII und kann daher mit denselben erzähltheoretischen Methoden untersucht werden, wie auch der restliche Text. Die praefatio zum Buch Iudith ist – wie die Übersetzung selbst – zwischen 405–407 n. Chr. entstanden. Die zwölf Zeilen lassen sich inhaltlich in drei Teile zu je vier Zeilen gliedern: Im ersten Teil (Z. 1–4 praefatio zum Buch Iudith) berichtet Hieronymus über die zeitgenössische Kanonisierung der Erzählung in Judentum und Christentum, im zweiten (Z. 5–8 praefatio zum Buch Iudith) beschreibt er die Arbeitsweise seiner Übersetzung und im dritten schreibt er einige Worte zu Inhalt und Protagonistin der Erzählung (Z. 9–12 praefatio zum Buch Iudith). Hieronymus hat auch für viele andere seiner Übersetzungen praefationes (oder auch prologi oder Vorreden) geschrieben, die mit Ausnahme der Bücher Hiob, Josua, Jeremia, Ezechiel und Judit, ausdrücklich an reale Personen aus seinem Umfeld gerichtet sind.4

Das Buch Judit und seine zeitgenössische Kanonisierung in Judentum und Christentum Im ersten Abschnitt gibt Hieronymus vier Informationen. Zunächst beschreibt er den Bekanntheitsgrad und die Einordnung des Buches Judit bei den Juden: Das

3 Vgl. Genette, Paratexte, 13–14, 191–217. 4 Eine Übersicht dazu findet sich bei Fürst, Hieronymus, 86–87.



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

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Buch sei bei den Hebräern zwar bekannt, aber nicht in den Kanon, den Tanach, aufgenommen worden, sondern zähle zu den so genannten Hagiographien (Agiografa, Z. 1), weshalb es zur Klärung von Streitfragen weniger geeignet sei (Z. 1–2 praefatio zum Buch Iudith). Was Hieronymus unter Hagiographien versteht, ergibt sich möglicherweise aus dem prologus galeatus. Dort erklärt er die Aufteilung des hebräischen Kanons in drei Teile, die er als drei ordines bezeichnet: das Gesetz, die Propheten und die Hagiographien (nach jüdischer Tradition: Tora, Nebiim, Ketubim). „Tertius ordo αγιογραφα possidet, et primus liber incipit ab Iob, secundus a David, quem quinque incisionibus et uno Psalmorum volumine conprehendunt […]“ Z. 36–37 prologus galeatus (Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 365).

Was in der hebräischen Schrift gemeinhin als ketubim (Schriften) bezeichnet wird, nennt Hieronymus mit griechischer Transkription Hagiographie (αγιογραφα).5 Das Buch Judit zählt er im prologus galeatus aber aufgrund der Tatsache, dass es nicht aus dem Hebräischen übersetzt ist, eindeutig nicht zu den Schriften bzw. Hagiographien, sondern vielmehr ausdrücklich zu den Apokryphen und sieht es – neben den Büchern der Weisheit, Jesus Sirach, Tobit und Hirt des Hermas – außerhalb des Kanons: „Hic prologus Scripturarum quasi galeatum principium omnibus libris, quos de hebraeo vertimus in latinum, convenire potest, ut scire valeamus, quicquid extra hos est, inter apocrifa seponendum. Igitur Sapientia, quae vulgo Salomonis inscribitur, et Iesu filii Sirach liber et Iudith et Tobias et Pastor non sunt in canone. Macchabeorum primum librum hebraicum repperi, secundus graecus est, quod et ex ipsa frasin probari potest.“ Z. 50–55 prologus galeatus (Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 365). „Dieses Vorwort ist als gleichsam helmbewehrter Auftakt für alle Bücher der Bibel gedacht, die wir aus dem Hebräischen in das Lateinische übersetzen. Es soll uns die Einsicht vermitteln, dass alle Schriften, die nicht zu diesen gehören, zu den Apokryphen zu zählen sind. Das bedeutet: Die Weisheit, die üblicherweise Salomo zugeschrieben wird, Jesus Sirach, Judit, Tobit und Der Hirt gehören nicht zum Kanon.“6

5 Wann genau die dreiteilige Kanonisierung des Tanach abgeschlossen war, ist aufgrund der Quellenlage noch höchst umstritten. Neben Hieronymus prologus galeatus findet sich auch im Babylonischen Talmud (bBaba Bathra 14b) ein Zeugnis für die Unterscheidung von „Propheten“ und „Schriften“. Eine Datierung von bBaba Bathra 14b ist ebenfalls umstritten und schwankt von vor Josephus (90 v. Chr.) bis nicht vor 300 n. Chr.; vgl. dazu ausführlich Brandt, Endgestalten des Kanons, 63–65, 95–124. 6 Fürst, Hieronymus, 267; vgl. auch Colpe, Heilige Schriften (RAC 14), 205 sowie Zenger, Das Erste Testament: Heilige Schrift der Christen, 29.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Hieronymus kennt demnach zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs Hagiographie: Im prologus galeatus bezeichnet er mit dem Wort jene Schriften, die nach jüdischer Kanonisierung die ketubim genannt werden, in der praefatio zum Buch Iudith hingegen muss er damit eine andere Art von Heiligenerzählung meinen, der weniger Gewicht zukommt. Mit Hagiographien, die die Juden nicht unter die Heiligen Schriften zählen, wie Hieronymus in den Z. 1–2 der praefatio zum Buch Iudith über das Buch Iudith schreibt, scheint er nicht die  ketubim  zu meinen. Als Hagiographien werden auch jene, vornehmlich im 1.–5. Jahrhundert n. Chr. entstandenen, Schriften über Heilige genannt, deren Leben mit der Absicht der Erbauung (aedificatio) beschrieben wird: Dazu gehören Märtyrer oder Bischöfe, Mönche und Nonnen mit mehr oder minder vorherbestimmtem Leben, die für Christus leben und so genannte christliche Tugenden wie Frömmigkeit, Askese und Nächstenliebe leben und als sittliche und religiöse Vorbilder dienen und über übernatürliche Fähigkeiten verfügen.7 Durch die Hagiographie soll Hochachtung, Bewunderung, vielleicht sogar Nachahmung beim Lesenden hervorgerufen werden.8 Hagiographien werden in historische und fiktive Werke eingeteilt, Vermischungen sind jedoch nicht selten.9 Hieronymus selbst hat roman- und novellenartige Hagiographien in Form von drei Mönchsviten, die Vita Pauli primi eremitae (um 375), die Vita Malchi und die Vita Hilarionis (beide um 390/391), und Briefen (beispielsweise Ep. 23, 24, 39, 77, 108, 127) geschrieben, um seine Ideale von Jungfräulichkeit und Askese zu propagieren – weniger um historische Biographien zu überliefern – und beim Lesenden die Erbauung bzw. die imitatio christi zu erreichen.10 Die Aussage, dass das Buch Judit weniger geeignet sei, Argumente in Streitfragen zu liefern (Z. 2 praefatio zum Buch Iudith), spielt womöglich auf die rabbinische Auslegungspraxis an, nach der die kanonisierten Schriften herangezogen werden, um das Wort Gottes auszulegen und aktuelle Probleme zu lösen. Dann nimmt Hieronymus Bezug auf die Ursprache und informiert auch über den Stellenwert des Buches im Christentum: Die Erzählung sei ursprungssprachlich in chaldäischer Sprache verfasst worden und werde zu den Geschichten gezählt (Z. 3 praefatio zum Buch Iudith). Im Vorwort zum Buch Tobit beschreibt Hieronymus die nahe Verwandtschaft des Chaldäischen und des Hebräischen

7 Vgl. Farmer/Hausberger, Hagiographie (TRL 14), 360; Uytfanghe, Heiligenverehrung II (RAC 14), 151–157. 8 Farmer/Hausberger, Hagiographie (TRL 14), 360. 9 Farmer/Hausberger, Hagiographie (TRL 14), 360. 10 Vgl. Uytfanghe, Biographie II (RAC Supplement I), 1236–1237, 1252; Moreschini/Norelli, Handbuch der antiken christlichen Literatur, 454–460.



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

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und unterscheidet diese somit voneinander (quia vicina est Chaldeorum lingua sermoni hebraico, Z. 8–9 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/ Gryson, 676).11 Mit chaldäischer Sprache meint Hieronymus demzufolge nicht das Hebräische. Im Danielprolog schreibt er, dass er das Chaldäische nur lesen und verstehen und weniger sprechen kann (Et ut vere fatear, usque ad praesentem diem magis possum sermonem chaldeum legere et intellegere quam sonare; Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 1340). Mit Chaldäisch ist möglicherweise das Aramäische gemeint, das Hieronymus nicht beherrschte. Dem steht entgegen, dass er mehrfach aramäische Wörter als syrische (und nicht als chaldäische) bezeichnet.12 Deswegen ist nicht auszuschließen, dass Hieronymus mit Chaldäisch auch das Syrische meinen könnte. Wenn Hieronymus ein chaldäischer Judittext vorgelegen hat, muss das nicht der Urtext sein. Um 245 n. Chr. schreibt Origenes in einem Antwortbrief an Julius Africanus, dass die Hebräer die Bücher Tobit und Judit nicht im Gebrauch hätten und sie auch nicht auf Hebräisch besäßen.13 Insofern könnte die Fassung, die Hieronymus vorlag, nachorigenisch sein.14 Mit den „Geschichten“ (historias), zu denen das Buch Judit gezählt werde (Z. 3 praefatio zum Buch Iudith), spielt Hieronymus wohl auf eine im christlichen Bereich vorgenommene Einteilung des Buches an, die wahrscheinlich noch vor dem heute gängigen vierteiligen Aufbau in Gesetz, Bücher der Geschichte, Bücher der Weisheit und Prophetie liegt.15

11 Vgl. auch Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 369. 12 Belege dazu finden sich bei: Fürst, Hieronymus, 77. 13 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 39. 14 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 17. 15 Heute gehört das Buch Judit den Büchern der Geschichte an, dem zweiten Teil des vierteiligen Aufbaus der Bücher des AT, wie sie für das Christentum üblich geworden ist; vgl. dazu Zenger, Heilige Schrift der Juden und der Christen, 30–32. Der früheste Beleg aus christlicher Feder für die Reihenfolge der christlichen Bücher findet sich wohl bei Melito von Sardes (gest. um 180 n. Chr.), wie bei Euseb zu lesen ist, der im Zuge einer Orientreise Erkundungen über Zahl und Reihenfolge der Bücher des AT eingeholt haben will und die Namen der Bücher wie folgt mitteilt: „die fünf Bücher Moses, nämlich Genesis, Exodus, Numeri, Leviticus und Deuteronomium, (ferner) Jesus, Sohn des Nave, die Richter, Ruth, vier Bücher der Könige, zwei Paralipomenon, die Psalmen Davids, Salomons Sprüche oder Weisheit, Ekklesiastes, das Hohe Lied, Job, die Propheten Isaias und Jeremias, das Zwölfpropheten-Buch, Daniel, Ezechiel, Esdras.“, Eusebius, Viertes Buch Kap. 26 (BKV Zweite Reihe 1, 202). Ohne bereits die heutige Kanonreihenfolge einzuhalten oder bereits alle kanonisierten Schriften zu enthalten, zeigt diese Liste bereits, dass die Bücher der Prophetie im Vergleich zum Tanach (mit Ausnahme von Esra) tendenziell an den Schluss gerückt sind, auch wenn noch keine klare Trennung – vergleichbar der jüdischen Nebiim und Ketubim – erkennbar ist; vgl. Brandt, Endgestalten des Kanons, 76. Auf diese Begrifflichkeit muss Hieronymus aber nicht zwangsläufig abstellen. Die nicht ganz unumstrittene Entwicklung der Begrifflichkeiten historiae/historiarum für einen Teil der kanonischen Bücher in der altlatei-

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auch berichtet Hieronymus von der christlichen Kanonisierung des Buches Judit auf dem Konzil von Nizäa 325  n.  Chr. (Z. 3–4 praefatio zum Buch Iudith), die für ihn einer der Gründe gewesen sein soll, die Übersetzung trotz persönlicher Einwände anzufertigen. Dass auf dem Konzil von Nizäa eine solche Verlautbarung stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Vielmehr schreibt Athanasius „in seinem Osterfestbrief von 376 n. Chr. eine Liste der Schriften des Alten (und Neuen) Testaments und fügt dann hinzu: ‚Es gibt auch andere Bücher außerhalb von diesen, die zwar nicht kanonisiert, aber von den Vätern dazu bestimmt sind, denen vorgelesen zu werden, die neu hinzukommen und im Wort der Frömmigkeit unterrichtet zu werden wünschen: die Weisheit Salomos, die Weisheit Sirachs, Ester, Judit, Tobias; [für das Neue Testament] die so genannte Apostellehre und der Hirte.‘“16 Erst die dritte Synode von Karthago (397 n. Chr.) bietet eine Kanonisierung des Buches Judit sowie die offizielle Reihenfolge der kanonischen Bücher, indem sie die Schriften für den Gottesdienst benennt. Sie beschließt, „dass außer den kanonischen Schriften nichts in der Kirche gelesen werden soll unter dem Namen ‚göttliche Schriften‘. Die kanonischen Schriften aber sind: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Rut, vier Bücher der Könige [= 1–2 Sam, 1–2 Kön], zwei Bücher der Chronik, Ijob, Psalter Davids, fünf Bücher Salomos, zwölf Bücher der Propheten, Jesaja, Jeremia, Daniel, Ezechiel, Tobit, Judit, Ester, zwei Bücher Esra, zwei Bücher Makkabäer (ut praeter scripturas canonicas nihil in ecclesia legatur sub nomine divinarum Scripturarum. Sunt autem canonicae scripturae: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Iesu[s] Nave, Iudicum, Ruth, Regnorum libri quattuor, Paralipomenon libri duo, Iob, Psalterium Davidicum, Salomonis libri quinque, duodecim libri Prophetarum, Esaias, Ieremias, Daniel, Ezechiel, Tobias, Iudith, Hester, Hesdrae libri duo, Maccabeorum libri duo)“17. Die Datierung der dritten Synode von Karthago zeigt, dass die Kanonisierung des Buches Judit, deren Gegner Hieronymus war, zur Entstehungszeit der hieronymianischen Übersetzung diskutiert wurde.

nischen und lateinischen Tradition beschreibt Brandt ausführlich; vgl. Brandt, Endgestalten des Kanons, 243–304, 355. Weiterführend vgl. auch Dünzl, Die Entscheidung der frühen Kirche für die heiligen Schriften des jüdischen Volkes, 21–31. 16 Schöpflin, Kanon (wibilex), 07.01.2015; vgl. auch Zenger, Heilige Schrift der Juden und der Christen, 28. 17 DH 186, 397.



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

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Arbeitsweise der Übersetzung Zu Beginn des zweiten Teils der praefatio zum Buch Iudith erfährt der Lesende, dass Hieronymus die Übersetzung nur aufgrund des Drängens seiner Gönner angefertigt habe, obwohl er, nach eigener Aussage, seine Zeit lieber mit wichtigeren Arbeiten zugebracht hätte, diese dringlicheren Arbeiten aber beiseite geschoben habe (Z. 5–6 praefatio zum Buch Iudith). Hier erhält der Lesende einen ersten Hinweis auf die Adressaten der praefatio zum Buch Iudith, die – anders als bei den meisten Vorreden – nicht namentlich genannt, sondern nur in der zweiten Person Plural angesprochen werden (vgl. Z. 5.9.10 praefatio zum Buch Iudith). Nach Schmitz könnte die praefatio zum Buch Iudith an die gleichen Adressaten gerichtet sein wie die des Buches Tobit, wo die beiden Bischöfe Chromatius und Heliodorus als Adressaten genannt werden (Cromatio et Heliodoro episcopis Hieronymus in Domino salutem, Z. 1 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676).18 Dies ergebe sich aus der Nähe der beiden Bücher zueinander: Beide Übersetzungen seien zwischen 405 n. Chr. und 407 n. Chr. übertragen worden, Hieronymus schreibe nicht nur über das Buch Judit, sondern auch über das Buch Tobit, dass es zu den Agiographa gehöre (Z. 5 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676) und wie das Buch Judit aus der chaldäischen Sprache übertragen worden sei (Z. 8–9 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676).19 Zudem sei die Anrede in beiden Fassungen die zweite Person Plural, die im Buch Tobit Chromatius und Heliodorus zugeordnet werden könne.20 Auch schreibe Hieronymus in beiden Vorworten von seinem Widerwillen, die Übersetzungen anzufertigen, beiden habe er sich nur aufgrund von äußerem Druck gewidmet (Z. 2–3 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676).21 Daher sei auch – so die Argumentation – die praefatio zum Buch Iudith an Chromatius und Heliodorus gerichtet.22 Chromatius war seit 387/388 n. Chr. Bischof von Aquileja (gest. um 406 n. Chr.). Mit ihm erlebte Hieronymus erste asketische Erfahrungen.23 Heliodorus war Bischof in Altinum und ein Freund des Hieronymus seit Studienzeiten.24 Beide waren sehr wohlhabend und unterstützten Hieronymus bei mehreren Überset-

18 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 370–371; vgl. auch Wendland, Zur ältesten Geschichte der Bibel in der Kirche, 287. 19 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 371. 20 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 371. 21 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 371. 22 So auch Fürst, Hieronymus, 87; Bogaert, Judith, 31. 23 Vgl. Kelly, Jerome, 32. 24 Vgl. Kelly, Jerome, 19; Fürst, Hieronymus, 182.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

zungsprojekten.25 So sind – neben dem Buch Tobit und wahrscheinlich dem Buch Iudith – auch die Prologe von Sprichwörter, Kohelet und Hohelied an die beiden gerichtet (Z. 1 prologus in Libris Salomonis, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/ Gryson, 957).26 Nur an Chromatius wenden sich die Prologe der Kommentare zu Habakuk und Jona sowie der Übersetzung der Chronikbücher (Z. 2 prologus in Libro Paralipomenon, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 546).27 Bei der praefatio zum Buch Iudith handelt es sich indes nicht um einen privaten Brief, der sich nur an jene Adressaten wendet, die genannt werden, sondern sie ist vielmehr nach der antiken Tradition der „Widmung“ allen zeitgenössischen und späteren Lesenden des Buches Iudith als Einleitung zugänglich und – wie seine Briefe und weiteren Vorwörter – für ein größeres Publikum bestimmt.28 Diese Adressaten sind – neben den Bestimmungen des Konzils von Nizäa – der zweite Grund, nach Angabe in der praefatio zum Buch Iudith, warum sich Hieronymus entschlossen habe, das Buch Iudith zu übersetzen. Sowohl die mehrfach geäußerten einschränkenden Bemerkungen bzgl. der Kanonisierung des Buches Iudith in Judentum und Christentum als auch die Tatsache, dass sich Hieronymus wichtigeren Arbeiten verpflichtet fühlt, erwecken den Eindruck, als wolle der Übersetzer Wichtigkeit und Wert der Erzählung beim Lesenden mindern. Weil Hieronymus sowohl das Buch Iudith als auch das Buch Tobit aus der chaldäischen Sprache übertragen haben will und aufgrund der Nähe der Entstehung der beiden Texte – beide bis 407 n. Chr. –, ist davon auszugehen, dass er auch zwei Mal die gleiche Vorgehensweise beim Übersetzen hatte, die er allerdings nur im Vorwort zu Tobit beschreibt. Denn dort berichtet er, dass er wegen mangelnder chaldäischer Sprachkenntnisse einen Dolmetscher beschäftigt habe, der die chaldäischen Worte für ihn mündlich ins Hebräische übersetzte. Diese wiederum übertrug Hieronymus dann ebenfalls mündlich ins Lateinische und parallel dazu schrieb ein Schnellschreiber diese Worte mit:29 „et quia vicina est Chaldeorum lingua serrnoni hebraico, utriusque linguae peritissimum loquacem repperiens, unius diei laborem arripui et quicquid ille mihi hebraicis verbis expressit, haec ego accito notario, sermonibus latinis exposui“ (Z. 8–11 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676).

25 Vgl. Fürst, Hieronymus, 182. 26 Vgl. Fürst, Hieronymus, 87, 182–183. 27 Vgl. Fürst, Hieronymus, 87, 165, 182–183. 28 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 373. 29 Vgl. auch Cottineau, Chronologie des versions- bibliques de St Jérome, 62; Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 370.



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

 123

Nach dieser Aussage hat er die Übersetzung also in mehreren Schritten angefertigt: Im ersten Schritt habe ein Übersetzer den chaldäischen Text mündlich ins Hebräische übertragen, in einem zweiten Schritt habe Hieronymus diesen ebenfalls mündlich ins Lateinische übersetzt, in einem dritten Schritt habe ein Schnellschreiber diesen Text mitgeschrieben.30 In der praefatio zum Buch Iudith nennt er dann noch weitere Arbeitsschritte. Nach dem geschilderten Arbeitsprozess mit den beiden Gehilfen habe Hieronymus den vom Schnellschreiber notierten lateinischen Text mit einer Vielzahl von lateinischen Schriften – vermutlich die der Vetus Latina – verglichen und schließlich nur das verwendet, was er in dem chaldäischen Text finden konnte und somit den – so Hieronymus – sehr fehlerhaften Text der Vetus Latina verkürzt (Z. 8–9 praefatio zum Buch Iudith). Dass er altlateinische Handschriften eingesehen hat, zeigen deutliche Parallelen, allen voran mit der Hs 151, aber auch mit Hss 109.130.131.123.31 Auch habe er dieses Projekt in nur einer Nacht durchgeführt (Z. 6 praefatio zum Buch Iudith). Hieronymus kann die sechzehn Kapitel des Buches Iudith unmöglich in einer Nacht übersetzt haben und auch nicht die vierzehn Kapitel des Buches Tobit, für die er einen Tag gebraucht haben soll (Z. 10 Prologus Tobiae, Biblia Sacra Vulgata, hg. v. Weber/Gryson, 676). Bei der Rede von der „kleinen Nachtschicht“, die er eingelegt haben will, um das Buch zu übersetzen, handelt es sich vielmehr um einen, bei lateinischen Autoren beliebten, literarischen Topos, der bei Hieronymus durch Verwendung des Diminutivs noch einmal verstärkt wird.32 Mithin kommt der Hinweis eher einer rhetorischen Figur denn eines Tatsachenberichts gleich,33 die entweder den Prolog nur besonders ausschmücken oder zum Ausdruck bringen will, dass die Übersetzung, die laut Aussage des Hieronymus geringeren Wert zur Beantwortung theolgischer Streitfragen hat als die auch im Judentum kanonisierten Schriften, vielleicht mit weniger Obacht angefertigt wurde, als es bei den anderen Übersetzungen der Fall ist. Dafür spricht auch der Hinweis zur Übersetzungspraxis, nachdem Hieronymus „mehr Sinn für Sinn als Wort für Wort“ übersetzt habe (Z. 6–7 praefatio zum Buch Iudith), womit er eine in der antiken Diskussion, in Bezug auf die Art Übersetzungen anzuferti-

30 Vgl. Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 371. 31 Dazu ausführlich Thielmann, Beiträge zur Textkritik der Vulgata, insbesondere des Buches Judith, 19–20. 32 Vgl. Cain, Apology and polemic in Jeromeʼs prefaces to his biblical scholarship, 110–111; Ker, Nocturnal Writers in Imperial Rome, 209–242; Janson, Latin Prose Prefaces, 97. 33 So auch Schmitz, Ιουδιθ und Iudith, 376.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

gen, feststehende Formel gebraucht (vgl. dazu die Angaben zur Übersetzungspraxis des Hieronymus in Kap. 1).34 Auch Thielmann versucht in diesem Sinne die Sonderrolle des Buches Judit – neben der des Buches Tobit – unter den sonst sehr genauen hieronymianischen Übersetzungen mit den Worten der praefatio zum Buch Iudith zu begründen: Die Eile, die Hieronymus für seine Übertragung des Buches Judit offenbar an den Tag gelegt habe, impliziere geradezu, dass „ein Werk zu stande kommen musste, das den andern mit größerer Sorgfalt übertragenen Partien des alten Testaments in gar manchen Punkten nachsteht.“35 Kaulen bemerkt, dass die Bücher Judit und Tobit unter allen Übertragungen „am tiefsten stehen“36. Und auch Hanhart, der aufgrund der praefatio zum Buch Iudith davon ausgeht, dass der griechische Judittext ein Übersetzungstext aus dem Hebräischen oder Aramäischen ist, konstatiert: „Der überlieferte Text der griechischen Übersetzung unterscheidet sich in inhaltlicher und formaler Hinsicht von dem Text des Originals, der Hieronymus als Vorlage seiner lateinischen Übersetzung diente, in weit stärkerem Maß als es bei allen Büchern des alttestamentlichen Kanons der Fall ist.“37 Möglicherweise erklärt also die Darstellung der Übersetzungspraxis bereits die vielen Unterschiede zu den griechischen und lateinischen Vorlagen des Buches Iudith, die in Z. 9–12 der praefatio zum Buch Iudith thematisiert werden.

Iudith in der praefatio Im abschließenden Abschnitt seiner praefatio zum Buch Iudith (V. 9–12) schreibt Hieronymus, was im Vergleich zu den anderen praefationes eine Besonderheit darstellt, einige Worte zu Inhalt und Protagonistin der Erzählung, in der er Iudith als Witwe und Vorbild der Keuschheit hervorhebt. Mit drei Imperativen wird der Lesende dazu aufgefordert, Iudith, die Witwe und Vorbild der Keuschheit ist, in Empfang zu nehmen und sie mit triumphierendem Lob in unablässigen Preisungen zu verkündigen (Z. 9–10 praefatio zum Buch Iudith). Iudith wird dem Lesenden durch das Lob geradezu angepriesen. Diese Anpreisung wird von drei, sie vorab charakterisierenden Informationen begleitet, die zu einer ersten mentalen Modellbildung ihrer Figur beitragen: ihr spre-

34 Vgl. dazu Marti, Übersetzer der Augustin-Zeit, 61–67. 35 Thielmann, Beiträge zur Textkritik der Vulgata, insbesondere des Buches Judith, 18. 36 Kaulen, Geschichte der Vulgata, 180; vgl. auch Thielmann, Beiträge zur Textkritik der Vulgata, insbesondere des Buches Judith, 18. 37 Hanhart, Text und Textgeschichte des Buches Judith, 9.



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

 125

chender Name Iudith, ihr Status als Witwe (Iudith viduam) und ihre Einführung als Vorbild der Keuschheit (castitatis exemplum). Der Name Iudith leitet sich vom griech. Ιουδιθ / hebr. ‫ יהודית‬Jehudit ab.38 Wie selbstverständlich ist in den biblischen Kommentaren zum Buch Judit zu lesen, dass Judits Name (griech. Ιουδιθ / hebr. ‫ יהודית‬Jehudit) in seiner Bedeutung „Jüdin“ bereits ein „theologisches Programm“39 anzeigt und als symbolischer Name die Bedeutung „Jüdin“ impliziere, Judit daher als wahrhaft gottesfürchtige „Jüdin“ charakterisiere, die das Volk Israel aus der Not retten werde.40 Die Semantik des Namens Ιουδιθ umfasst indes noch mehr als bloße religiöse Aspekte und Traditionen, sondern darüber hinaus die gesamte kollektive ethnisch-kulturelle Identität, das geographische Gebiet und die darin lebende Bevölkerung, die Aspekte der gemeinsamen Sprache, Abstammung und der gemeinsamen Geschichte.41 Insofern scheint die Übersetzung „Judäerin“ präziser zu sein. Für die mentale Modellbildung des zeitgenössischen Lesenden der Vg-Fassung stellt sich die Frage, ob dieser um 400 n. Chr. diese Bedeutung des Wortes noch kennen konnte, um den symbolischen Gehalt des Namens zu verstehen. Die Verwendung des Lexems iud- „jud-“ ist breit belegt und mehrfach konnotiert: mit Iudaea „das jüdische Land“ (entweder mit den Stämmen Juda und Benjamin oder mit ganz Palästina, vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2754),42 mulier Iudaica „Judäerin“ (vgl. Georges-DLHW, Bd. 2, 2754), Iudaeus „jüdisch, der Jude“, Iudaice „judäische Sprache“ (in 2 Kön 18,26.27; Neh 13,24 u.a.), Iudaizo „nach Art der Juden leben“ (Gal 1,13 Vg, vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2754) u.a. Die Wortwurzel iud- dürfte den zeitgenössischen Rezipienten aufgrund der vielfachen Verwendung ausreichend bekannt gewesen sein, auch Iud-ith dürfte trotz der nicht lateinischen Suffigie-

38 Gesenius benennt drei Verwendungen von ‫יהודית‬: die feminine Form vom Maskulinum ‫יהודי‬ – das Gentilizium kann dann „Judäerin“ oder „Jüdin“ bedeuten –, ein Adverb in der Bedeutung „auf judäisch“ und ein Eigenname, den er „Judith“ übersetzt; vgl. Gesenius, ‫יהודי‬, 446; Gesenius, ‫יהודית‬, 446. 39 Zenger, Das Buch Judit, 335. 40 Vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit, 335; Haag, Studien zum Buche Judith, 38; Wolff, Das Buch Judith als geschichtliche Urkunde, 165; Craven, Artistry and Faith in the Book of Judith, 85. Zu Symbolnamen vgl. Kogler/Reiterer, Name, 542; Mathys, „Künstliche“ Personennamen im Alten Testament, 218; Reiterer, Symbolischer Name, 722; Rösel, Symbolnamen, in: wibilex, 08.11.2011. 41 Vgl. dazu ausführlich Stegemann, Jesus und seine Zeit, 205–236; Cohen, The Beginning of Jewishness, 7–8; Mason, Jews, Judeans, Judaizing, Judaism, 460–480, 511. 42 Obwohl Hadrian den Namen Iudaea nach dem zweiten Jüdischen Krieg durch Syria Palaestina ersetzt, bleibt Iudaea im nichtamtlichen Sprachgebrauch, bspw. bei Hieronymus im Ezechiel Kommentar 8,27,17 (CChr.SL 75, 371); vgl. Wagner-Lux, Iudaea (RAC 19), 65–66.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

rung in der Bedeutung „Jüdin“ oder „Judäerin“ erkannt worden sein.43 Daher handelt es sich bei Iudith um einen so genannten symbolischen oder sprechenden Namen mit charakterisierender Funktion. Weiter wird Iudith als Witwe und als Vorbild der Keuschheit präsentiert (vgl. auch Idt 8,1). Beide Aspekte werden sodann in den Kontext der Erzählhandlung gestellt, die dadurch vorinterpretiert wird: Darin heißt es, sie habe nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern derjenige zur Nachahmung gegeben, der ihr als Belohner ihrer Keuschheit solche Stärke zuteilte, dass sie den von allen Menschen Unbesiegten besiegte, den Unüberwindlichen überwand (Z. 11–12 praefatio zum Buch Iudith). Der Inhalt der Erzählung wird hier abstrakt nacherzählt, der Ausgang vorweggenommen: Ein unbesiegbarer Mann wird von Iudith, einer Frau, besiegt, weil Gott sie aufgrund ihrer Keuschheit belohnt hat, indem er ihr die dazu nötige Stärke (virtus; vgl. Idt 9,14; 10,4) verliehen hat. Aufgrund dieser soll sie allen Frauen und sogar allen Männern als Vorbild dienen. Durch diese Vorinterpretation der Erzählung wird der Blick der Lesenden in zweierlei Hinsicht scharf gestellt: Iudiths Vorzug besteht in ihrer Keuschheit (castitas), auf die sie und ihre Tat reduziert werden, und Gott ist es, der handelnd in das Geschehen eingreift und ihr aufgrund dieser Tugend die nötige Stärke (virtus) dazu verleiht. Wichtige Aspekte zur mentalen Modellbildung der Iudithfigur werden hier bereits genannt. Die Bedeutung der Keuschheit (castitas) wird auch dadurch betont, dass sie in V. 11 der praefatio zum Buch Iudith gleich noch einmal erwähnt wird. Mit castitas und virtus sind bereits hier zwei für die Vg-Fassung wichtige Leitwörter eingeführt (vgl. Idt 9,14; 10,4; 15,1; 16,26). Das Interessante daran ist, dass das Keuschheitsmotiv weder in einer griechischen Handschrift noch in irgendeiner altlateinischen auftaucht und es sich dabei somit um eine Vg-spezifische Hinzufügung handelt. Auch das Gotteshandeln kommt in dieser Eindeutigkeit nur in der praefatio zum Buch Iudith und in der Vg-Fassung vor, während sich das Gotteshandeln in der LXX-Fassung und in der Hs 151 auf die Hören- und Sehennotiz Gottes in Jdt 4,13 LXX/Hs 151 beschränkt (vgl. Idt 10,4). Zudem ist es interessant, dass Iudith als „Vorbild“ (exemplum) für Frauen und Männer bezeichnet wird: Skemp bemerkt, dass das Wort „Vorbild“ (exemplum) überhaupt nicht in der Vg vorkomme, sondern nur in Hieronymus Vorwort und seinen Briefen, aber diese

43 Vgl. dazu auch die drei Übersetzungsmöglichkeiten, die Hieronymus in seinem „Liber interpretationis hebraicorum nominum“ für den Namen Judit bietet: „Iudith, die die betet, die die bekennt oder die von Judäa“, Iudith laudans aut confitens aut Iudaea; Hieronymus, Opera (CChr. SL 72,67).



3.1 Vorinformation: Die praefatio zum Buch Iudith 

 127

Vorstellung in jedem Fall die Übersetzung des Buches Iudith beeinflusst habe.44 Mit anderen Worten nennt Hieronymus Iudith auch in Ep. 79,11 ein Vorbild für ihre Zurückgezogenheit, ihr Gebet, ihr Fasten, ihre Keuschheit:45 „[…] haec, filia in Christo carissima, inculco et crebrius repeto, ut posteriorum oblita in priora te extendas habens tui ordinis, quas sequaris, Iudith de Hebraea historia et Annam, filiam Phanuelis, de euangelii claritate, quae diebus et noctibus uersabantur in templo et orationibus atque ieiuniis thesaurum pudicitiae conseruabant. unde et altera in typo ecclesiae diabolum capite truncauit, altera saluatorem mundi prima suscepit sacramentorum conscia futurorum. […]“ Hieronymus, Ep. 79,11 (CSEL 55, 100–101). „[…] Richte Dich nach denen, die Dir als Vorbilder in Deinem jetzigen Stande dienen können!“ Ich denke an Judith, die in der Jüdischen Geschichte eine Rolle spielt, und an Anna, die Tochter Phanuels, die im Lichte des Evangeliums leuchtet. Beide weilten Tag und Nacht im Tempel und wahrten sich durch Gebet und Fasten den Schatz der Keuschheit. Daher schnitt die eine als Vorbild der Kirche dem Teufel das Haupt ab,  während die andere als erste den Heiland der Welt auf ihre Arme nahm und mit prophetischem Blicke die zukünftigen Geheimnisse schaute. […]“46

In Ep. 22,21 wird Iudith aufgrund ihrer Keuschheit indirekt als Engel bezeichnet, indem die Idee, dass Jesus wie im Himmel auch auf der Erde von Engeln angebetet werde, mit Iudiths Tat verbunden wird: „[…] statim ut filius dei ingressus est super terram, nouam sibi familiam instituit, ut, qui ab angelis adorabatur in caelo, haberet angelos et in terris. tunc Olofernae caput Iudith continens amputauit […]“ Hieronymus, Ep. 22,21 (CSEL 54, 173). „[…] Sobald der Sohn Gottes seinen Eintritt in diese Welt hielt, schuf er sich eine neue Familie, damit er, der im Himmel von den Engeln angebetet wurde, auch Engel auf Erden habe. Eine enthaltsame Judith war es, die damals dem Holofernes das Haupt abschlug […]“47.

Iudith wird mithin für ihre Keuschheit damit belohnt, ein Engel auf Erden zu sein. Ähnliches wird Eustochium in Aussicht gestellt:

44 Vgl. Skemp, Learning by Example, 271.278. 45 Interessant ist, dass Hieronymus nicht der einzige Kirchenvater ist, der Iudith die Keuschheit zuschreibt. Ein derartiger Hinweis findet sich auch bei Ambrosius von Mailand: „Sie bewahrte das Verdienst der Enthaltsamkeit, die Zierde der Keuschheit. Weder durch die Speise noch durch die Sünde befleckt, errang sie keinen geringeren Triumph, indem sie aus der Mitte der Feinde ihre Tugend rettete, als indem sie das Vaterland befreite.“ Ambrosius von Mailand, Ueber die Wittwen 7,39 (BKV 1 Serie 13, 117); vgl. dazu und zu weiteren Beispielen auch Siquans, Die Macht der Rezeption, 179–190 sowie Dassmann, Ambrosius von Mailand, 43–47, 50–52. 46 Hieronymus, Ep. 79,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 332). 47 Hieronymus, Ep. 22,21 (BKV2 Zweite Reihe 16, 86).

128 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] nulla erit rhetorici pompa sermonis, quae te iam inter angelos statuat et beatitudine uirginitatis exposita mundum subiciat pedibus tuis“ Hieronymus, Ep. 22,2 (CSEL 54, 146). „[…] Auch auf rhetorisches Gepräge verzichtet sie, etwa in der Art, daß ich Dich zu den Engeln erhebe, das Glück Deiner Jungfräulichkeit schildere und die Welt zu Deinen Füßen lege“48.

Die besondere Stellung bei Gott könnte für einige dieser Witwen, die sich der Keuschheit verschrieben haben, ein erstrebenswertes Ziel gewesen sein. Mithin könnte diese Charakterisierung Iudiths dazu dienen, die in Keuschheit lebenden Frauen und Männer, als deren Vorbild Iudith dienen soll, in ihrem Entschluss weiter zu festigen und vielleicht auch neues Publikum für dieses Ideal zu gewinnen.

3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) Ab Idt 8 setzt die Erzählung mit dem ersten Auftritt Iudiths dann wieder neu ein und es beginnt der zweite große Buchabschnitt. Mit Beginn des achten Kapitels wird die Erzählhandlung über die Not in Bethulia zugunsten der Einführung Iudiths unterbrochen. Iudith wird als einzige Figur der Erzählung in umfassender Weise eingeführt (Idt 8,1a–10b). Die Figureninformationen werden durch eine extradiegetisch-heterodiegetische Erzählstimme gegeben, durch deren Augen Iudith auch zunächst gesehen und explizit charakterisiert wird. Durch ihren allwissenden Standpunkt steht die Erzählstimme über dem Geschehen und hat eine alles überblickende Einsicht. Sie suggeriert dadurch Objektivität, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit. Idt 8,1a–10b lässt sich in vier Abschnitte gliedern, die von Iudiths Vergangenheit immer weiter ins aktuelle Geschehen führen:49 Idt 8,1a–c.2a–3d.4a–8d.9a1– 10b. Der erste Abschnitt (Idt 8,1a–c) wird durch die Eröffnungsformel „und es geschah“ (et factum est, Idt 8,1a), den Auftritt Iudiths und die Zeitangabe „als sie dies gehört hatte“ (cum audisset haec) eingeleitet und berichtet mit ihrer Genealogie von ihrer Herkunft. Der zweite Abschnitt (Idt 8,2a–3d) wird durch einen Figurenwechsel zu Iudiths Mann Manasse eingeleitet. Es werden die Umstände seines Todes unter Zeit- und mehreren Ortswechseln beschrieben und damit Iudiths Leben, als sie noch keine Witwe war, thematisiert. Der dritte Abschnitt (Idt 8,4a–8d) beginnt mit „es war aber“ (erat autem), einem Figurenwechsel zu Iudith

48 Hieronymus, Ep. 22,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 63). 49 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 239.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

 129

und einer Zeitangabe („drei Jahre und sechs Monate“ annis tribus et mensibus sex). Es wird Iudiths Leben nach dem Tod Manasses erzählt. Der vierte Abschnitt (Idt 8,9a1–10b) wird durch die Wiederholung von „als sie dies gehört hatte“ (haec cum audisset), das Signalwort „deshalb“ (itaque) sowie durch das Hinzukommen der Figuren Chabri und Carmin eingeleitet und führt in das aktuelle Geschehen zurück.

3.2.1 Iudith als Witwe und ihre Genealogie (Idt 8,1a–c) Der erste Abschnitt (Idt 8,1a–c) enthält, neben Iudiths Namen und ihrem Status als Witwe, was Wiederholungen aus der praefatio zum Buch Iudith (Z. 9) sind, ihre Genealogie und die Information darüber, dass Iudith etwas gehört hat. Genealogien in biblischen Texten zeigen an, dass es sich bei der neu eingeführten Figur um eine für die Erzählung wichtige Figur mit einer tragenden Rolle handelt.50 Iudiths Genealogie ist in gleich mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: So hat diese mit insgesamt sechzehn Positionen in LXX/Hs 151 und fünfzehn in der Vg die längste Genealogie einer weiblichen Figur in der gesamten Bibel.51 Bemerkenswert ist auch, dass Iudith als Frau durch eine Genealogie eingeführt wird, denn Frauen haben in biblischen Texten in der Regel keine (bspw. Sarai in Gen 11,29 Vg) oder in seltenen Fällen eine zweigliedrige Genealogie (bspw. Rebecca in Gen 22,23 Vg). Ferner zeigen die einzelnen Positionen Iudiths vornehme Herkunft an: Denn durch die Abstammung von Iakobs Sohn Symeon wird Iudith mit einer besonderen Würde ausgezeichnet.52 Ihre besondere Abstammung zeigt sich auch daran, dass sich sieben von fünfzehn Positionen dem Priester- und Levitentum zuordnen lassen, in der LXX sind es sogar zwölf von sechzehn: Merari als Sohn Levis in Gen 46,11 Vg, Ioseph als Priester in Neh 12,14 Vg, Oziae aus dem Stamm Levi in 4 Es 1,2 Vg, Acitob aus dem Stamm Levi nur in 4 Es 1,1 Vg, Melchiae als Levit in 1 Chr 6,40 Vg, Nathaniae als Sohn Asaphs aus dem Stamm Levi 1 Chr 25,6.12 Vg und Salathihel wird nach Neh 12,1 Vg zu den Priestern und Leviten gezählt.53

50 Zu Genealogien vgl. Hieke, Die Genealogien der Genesis, passim; Hieke, Genealogie (wibilex), 13.10.2011. 51 Vgl. Moore, Judith, 187; Dancy, The Shorter Books of Apocrypha, 95; Fischer, Gottesstreiterinnen, 72. Vgl. auch Bruns, The genealogy of Judith, 19–22. 52 Auch hat Iudiths Verbindung zu Symeon eine Bedeutung für den Fortgang der Handlung (vgl. Idt 9,2). 53 Nach Bezzel rücke Iudith durch die Variante Salathihel für einen Großteil der christlichen Rezipienten in den Stammbaum Jesu, entweder als entfernte Nichte (Mt 1,12–16 mit Jdt 8,1) oder als seine Generationen übergreifende Großtante (Lk 3,23–27 mit Jdt 8,1); vgl. Bezzel, Schealtiël

130 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die fünf Positionen, die sich in der LXX zusätzlich dem Priester- und Levitentum zuordnen lassen, sind in der Vg signifikanterweise allesamt Hapaxlegomena und mutmaßlich aufgrund von Schreibversehen entstanden: Idox, Elai, Iamnor, Rafoin und Enam. Die drei übrigen Namen zeichnen sich ebenfalls durch eine besondere Herkunft aus: Gedeon ist Richter (Ri 6,11; Hebr 11,32 Vg), Symeon und Ruben sind die beiden Erstgeborenen Iakobs (Gen 29,32–33 Vg). Die Textüberlieferung der Genealogie ist nicht nur unter den griechischsprachigen Überlieferungen, sondern auch in den lateinischen Übersetzungen sehr verschieden.54 Die meisten Varianten sind durch Schreibversehen zu erklären. Eine andere Ursache muss die größte Abweichung haben, die sich am Ende der Genealogien befindet, wenn die LXX ’Ισραήλ „Israel“, Hs 151/Vg aber Symeon und Ruben schreiben. Hierbei kann es sich nicht mehr um Schreibversehen handeln. Übersicht über die Varianten der LXX, Hss 130, 109, 151 und der Vg:55 LXX

Hs 130

Hs 109

Hs 151

Vg

1.

Μεραρι

Amerari

Merari

Merari

Merari

2.

Ωξ

Ioas



Idox

Idox

3.

Ιωσηφ



Yoseph

Ioseph

Ioseph

4.

Οζιηλ

Oziel

Odieb

Ozie

Oziae

(wibilex), 14.06.2012. Dazu sei auf die Generationenverschiedenheit, die zwischen dem Salathihel in der Genealogie von Idt 8,1 und dem aus Mt 1,12–16; Lk 3,23–27 besteht, hingewiesen. 54 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 485; Miller, Das Buch Judith, 190; Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 102. 55 Vgl. zur Analyse der einzelnen Figurennamen: Bechmann, Gideon (NBL 1), 841; Beutler, Natanael (NBL 2), 903; Ernst, Josef (Herders Neues Bibellexikon), 393; Ernst, Natanaël (Herders Neues Bibellexikon), 544; Görg, Merari/Merariter (NBL 2), 778; Gradl, Elihu (Herders Neues Bibellexikon), 170–171; Gradl, Gideon (Herders Neues Bibellexikon), 258; Gradl, Hananja (Herders Neues Bibellexikon), 288 Gradl, Hilkija (Herders Neues Bibellexikon), 315; Gradl, Israel (Herders Neues Bibellexikon), 338–339; Hilbrands, Hananja (wibilex), 23.05.2012; Kuhn, Ισραηλ (TWNT), 360–370; Lilli, Joseph (ABD III), 967; Mulzer, Ahitub (NBL 1), 66; Mulzer, Elihu (NBL 1), 515–616; Mulzer, Gideon/Jerubaal (wibilex), 13.06.2012; Mulzer, Hilkija (wibilex), 13.06.2012; Petter, Eliab (ABD II), 484–485; Reiterer, Ahitub (Herders Neues Bibellexikon), 18; Reiterer, Eliab (Herders Neues Bibellexikon), 169; Reiterer, Merari (Herders Neues Bibellexikon), 515; Reiterer, Rafaïn (Herders Neues Bibellexikon), 618; Reiterer, Schelumiël (Herders Neues Bibellexikon), 666; Reiterer, Usiël (Herders Neues Bibellexikon), 772; Reiterer, Uz (Herders Neues Bibellexikon), 772; Reiterer, Zurischaddai (Herders Neues Bibellexikon), 827; Seidl, Hananja (NBL 2), 25; Wagner, Israel (AT) (wibilex), 14.06.2012; Wehrle/Rauschenbach, Josef (NBL 2), 385–387; Weimar, Elijah (NBL 1), 516–520; White, Elkiah (ABD III), 476; White, Elkiah (ABD V), 622; Witte, Elihu (wibilex), 13.06.2012; Witte, Uz (wibilex), 30.05.2012.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

 131

LXX

Hs 130

Hs 109

Hs 151

Vg

5.

Ελκια

Celcia

Celcie

Helchie

Elai

6.

Ανανιου

Annaniae

Eunan

Anno

Iamnor

7.

Γεδεων

Getson

Gedeon

Gedeon

Gedeon

8.

Ραφαϊν

Repain

Refanim

Raphaim

Rafoin

9.

Αχιτωβ

Acitobel

Acitob

Achitob

Acitob

10.

Ηλιου

Eles



Eli



11.

Χελκιου

Michia

Melcia

Melchie

Melchiae

12.

Ελιαβ

Enaar

Enar

Enan

Enam

13.

Ναθαναηλ

Nathanael

Natanaael

Natane

Nathaniae

14.

Σαλαμιηλ

Samalamiel

Samaniel

Salathiel

Salathihel

15.

Σαρασαδαι

Symeon Iacob

Symeon

symeon ruben

Symeon Ruben

16.

’Ισραήλ

Israhel

Sahel





Nur Hs 151/Vg enthalten am Ende der Genealogie diese ungewöhnliche Reihenfolge Symeon-Ruben, die die zwei ältesten Lea Söhne als Ahnväter Iudiths nennt (vgl. Gen 29,32–33 Vg), lassen Σαρασαδαι und ’Ισραήλ aus und ändern Σαλαμιηλ zu salathiel (Hs 151) bzw. Salathihel (Vg). Hss 130, 109 schreiben mit der LXX ’Ισραήλ (israhel/srahel), die Hs 109 stellt zusätzlich symeon voran, die Hs 130 symeon und iacob. Während Hss 130, 151 also die Vorgabe der LXX erweitern und anhand biblischer Texte nachvollziehbare Korrekturen vornehmen (vgl. ’Ισραήλ(Συμεων)-Σαρασαδαι-Σαλαμιηλ / Israel-Simeon-Sarasadai-Salamiel in Num 1,6 LXX; ‫שלמיאל‬-‫צורישדי‬-‫ שמעון‬in Num 1,6 HT), fällt die Reihenfolge in Hs 151/Vg dadurch auf, dass sie durch die biblischen Texte nicht nachvollziehbar ist: Dies zeigt sich darüber hinaus in der Schreibung Salathihel statt Salamihel (vgl. Num 1,6 Vg) und in der Auslassung einer Entsprechung zu Σαρασαδαι / ‫צורישדי‬. Gillet versucht zu begründen, warum Hs 151/Vg Ruben an die Stelle Israels gesetzt wird und damit in der Genealogie die Brüder Symeon-Ruben als Väter Iudiths genannt werden: Ruben sei entweder aus Versehen an die Stelle Israels gekommen oder aber in der Absicht, diesen als Typen erscheinen zu lassen, der allgemein für die Nachkommen Simeons steht.56 Die Bedeutsamkeit der Simeoniten werde auch dadurch betont, dass Betulia Herkunftsort von Dreien, Judit

56 Vgl. Gillet, Tobie, Judith et Esther, 445.

132 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

(Jdt 9,2 LXX/Vg), Manasse (Jdt 8,2) und Ozias (Jdt 6,15 LXX//Idt 6,11 Vg) sei, weswegen die Stadt vor allem von Simeoniten bewohnt werde.57 Möglicherweise aber handelt es sich hierbei auch um eine absichtliche Korrektur, die zuerst von der Hs 151 vorgenommen und dann von der Vg übernommen wurde. Ein Grund dafür könnte in der allgemein fiktionalen Konzeption der Erzählung liegen, die die LXX bereits vorgibt und die durch diese Abänderung noch verstärkt wird: Gerade in Bezug auf Namen und Daten zeigt das Buch Judit in allen Fassungen und Übersetzungen eine collagenartige Vielfalt, die verschiedene Epochen aus der Geschichte Israels miteinander verbindet.58 Stünde nun Iakob an letzter Stelle von Hs 151/Vg, statt Ruben, wäre der letzte Teil der Genealogie anhand des AT nachvollziehbar, auch wenn zwischen dem letzt genannten Vertreter des Stammes Simeon und Simeon selbst mehrere hundert Jahre liegen.59 Dass die fiktionale Konzeption der Erzählung allerdings von der Vg-Fassung derart unterstützt wird, ist doch eher unwahrscheinlich. Die Hinzufügung von Symeon in Hs 151/Vg wird vor dem Hintergrund von Jdt 9,2 LXX/Hs 151/Vg, wenn Iudith diesen in ihrem Gebet als ihren Vater nennt, plausibel. Warum Ruben hinzugefügt wird, kann nicht abschließend geklärt werden.

Die Witwe Zunächst charakterisiert Iudiths Witwenschaft Iudith als eine Frau, deren Mann verstorben ist. Vidua „Witwe“ kommt fünf Mal innerhalb der Vg-Fassung vor (Idt 8,1b.4a; 9,3; 10,2; 16,9 sowie in Z. 9 der praefatio zum Buch Iudith) und ist durchweg auf Iudith bezogen.60 In der hebräischen Bibel werden Fälle diskutiert, in denen Witwen (hebräisch ‫ )אלמנה‬einen niedrigen sozialen und wirtschaftlichen Status haben, wenn ihnen ein anderer männlicher Schutzherr (Söhne oder Brüder) fehlt.61 Nach dem Tod ihres Mannes versuchen sie zur finanziellen Absicherung entweder in ihre Herkunftsfamilie zurückzukehren (Rut 1,8) oder eine neue Ehe einzugehen (siehe

57 Vgl. Gillet, Tobie, Judith et Esther, 445. In der Vg bleibt Manasses Herkunft unerwähnt (Idt 8,2). 58 Vgl. dazu ausführlich Zenger, Das Buch Judit, 434–435; Schmitz, Judit/Juditbuch (wibilex), 17.02.2013. 59 Vgl. dazu auch Gera, Judith, 258. 60 In der LXX-Fassung kommt es sieben Mal vor (Jdt 8,4.5.6; 9,4.9; 10,3; 16,7), in der Hs 151 ebenfalls fünf Mal (Idt 8,4; 9,4.9; 10,3; 16,7). 61 Ein Beispiel ist Noomi (Rut 1,3–4.8); vgl. Lang, Witwe (NBL 3), 1118–1119; Molnár-Hídvégi, Witwe und Waise (wibilex), 13.10.2011.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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Leviratsehe; Dtn 25,5–10; Rut 4,5).62 Scheitern diese Bemühungen, bleibt die Witwe allein und ohne Rechtsstand. Versorgungsbemühungen für diese Frauen zeigen die deuteronomische Gesetzgebung (Dtn 14,29; vgl. auch Tob 1,8; 2 Makk 8,30) sowie der betont besondere Schutz des Königs (Ps 72,4 HT//Ps 71,4 LXX/ Vg) und auch Gottes, der den Witwen gewährt wird (Ex 22,22; vgl. 1 Kön 17,9–22; Dtn 10,18; Ps 146,9 HT//145,9 LXX/Vg).63 Nach Num 27,1–11; 36,1–12 können Töchter erben, wenn kein männlicher Erbe vorhanden ist.64 Das dürfte in der Praxis aber eher eine Seltenheit gewesen sein. Sowohl die Iudith der Vg-Fassung als auch die der LXX-Fassung bildet hingegen von dieser atl. Witwenvorstellung eine Ausnahme, denn Judit/Iudith wird nach dem Tod ihres Mannes das Besitzrecht über dessen nicht geringes Vermögen ausüben (Idt 8,4–7). Auch wenn LXX/Vg sie Gott aus dieser schutzbedürftigen Rolle heraus anflehen lassen (Idt 9,3c), wodurch an das Bild der hebräischen Bibel angeknüpft wird, trifft dieses Witwenbild auf Judit/Iudith als reicher Frau gerade nicht zu. Anders als das typisch biblische Witwenbild annehmen lässt, belegen Dokumentenfunde, wie z.B. der Law Code of Gortyn aus Kreta65, Papyri aus Elephantine (beides aus dem 5. Jh. v. Chr.) und die Ketubbah Babathas aus Palästina (die in aramäischer Sprache vor 125  n.  Chr. entstanden ist), eine soziale, rechtliche und wirtschaftliche Stärkung der Position der Frau. So finden sich im perserzeitlichen und hellenistischen Ägypten Frauen, die selbstständig Finanzgeschäfte durchführen, versuchen, ihre Interessen in Petitionen gegenüber der Regierung durchzusetzen oder auch um Beistand bitten.66 Witwen konnten das Besitzrecht ihres verstorbenen Mannes ausüben, wenn sie auch nicht durch gesetzliche

62 Vgl. Lang, Witwe (NBL 3), 1118; Stare, Witwe (Herders Neues Bibellexikon), 805; EggerWenzel/Kreinecker, Frau (Herders Neues Bibellexikon), 213. 63 Vgl. Stare, Witwe (Herders Neues Bibellexikon), 805; Lang, Witwe (NBL 3), 1119; MolnárHídvégi, Witwe und Waise (wibilex), 13.10.2011; Gera, Judith, 261–262. Vgl. zur Witwenstellung im NT Standhartinger, Verlorene Frauenämter, 218–222; Standhartinger „Wie die verehr­ teste Judith und die besonnenste Hanna.“, 103–126. 64 Vgl. Egger-Wenzel/Kreinecker, Frau (Herders Neues Bibellexikon), 212. 65 Vgl. dazu Willetts, The Law Code of Gortyn, passim. Zu Juda siehe Meyers, Archäologie als Fenster zum Leben von Frauen in Alt-Israel, 63–109; Siehe auch hinsichtlich Spr 8 und 31: Roy Yoder, Wisdom as a Woman of Substance, passim. 66 Vgl. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, 191–192; Ezkenazi, Das Leben der Frauen in nachexilischer Zeit, 15–36. Vgl. auch Azzoni, The private Lives of Women in Persian Egypt, passim; Meinhold, Arndt, Scheidungsrecht bei Frauen im Kontext der jüdischen Militärkolonie von Elephantine im 5. Jh. v. Chr., 247–259.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Bestimmung als vermögende Erben auftraten.67 Insofern könnte die Juditfigur, bereits literarischer Ausdruck einer sich wandelnden Zeit sein. Auch die Terminologie in Jdt 8,7; 16,21 LXX legt die Interpretation nahe, dass Judit nur Besitzerin, nicht aber Eigentümerin über das Vermögen ihres Mannes wurde:68 Denn dort wird niemals das Wort „erben“ im Zusammenhang mit Judits Besitz verwendet. Stattdessen findet sich in Jdt 8,7 ὑπολείπω „hinterlassen“. Noch stärker wird der Unterschied in Jdt 16,21 betont, wenn jeder nach Überwindung der Krise zu seinem κληρονομία „Erbbesitz“ (Jdt 16,21) und nur Judit zu ihrem Besitz zurückkehrt (ὕπαρξις, Jdt 16,21). Auch die Vg verwendet nicht heredito „erben“, sondern lässt die Bemerkung von Jdt 8,7 aus und schreibt in Idt 16,28, dass Iudith in das Haus ihres Mannes Manasse zurückkehrt und eben nicht in ihr eigenes. Iudiths Fall könnte demnach auf einer solchen besonderen, vertraglichen Regelung beruhen, nachdem sie Besitzerin und nicht Erbin des Vermögens ihres Mannes ist. In der römischen Kaiserzeit ändert sich ab dem 1. Jh. n. Chr. die rechtliche und wirtschaftliche Situation der Witwe grundlegend, wie die veränderte Gesetzgebung zeigt:69 Hatte Augustus (64 v. Chr.–14 n. Chr.) 9 n. Chr. noch verfügt, dass eine Witwe zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Jahren innerhalb von zwei Jahren wieder heiraten musste, wenn sie nicht mit starken finanziellen Einbußen rechnen wollte, so konnte sie unter Theodosius I. (379–395 n. Chr.) die Vormundschaft über ihre Kinder und die Freiheit über ihr Vermögen verlieren, wenn sie nicht im Witwenstand blieb.70 Bereits 320 n. Chr. wird die durch das augusteische Gesetz entstandene Benachteiligung der ehelos Lebenden aufgehoben.71 Seit 329  n.  Chr. werden Witwen und Jungfrauen durch die Befreiung von der Kopfsteuer sogar privilegiert.72 Ist eine Witwe oder Jungfrau offiziell in den asketi-

67 Vgl. Bons, Konnte eine Witwe die „nah(a)lah“ ihres verstorbenen Mannes erben?, 203–207.  68 Vgl. Bons, Konnte eine Witwe die „nah(a)lah“ ihres verstorbenen Mannes erben?, 202.  69 Auch Siquans kommt bei Ausführungen zu Ehe und Askese in der griechisch-römischen Antike zu dem Schluss: „Im 4. Jahrhundert ist ein Wandel im Bereich des Ehe- und Familienrechts festzustellen“ Siquans, Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption, 487. 70 Vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 38; vgl. auch lex Iulia de maritandis ordinibus und lex Papia Poppaea bei Cassius Dio, Römische Geschichte 56,1–10, 244–255; Mayer-Maly, vidua (PRE), 2104. „Sane in optione huiuscemodi nulla cogitur, sed libera in condiciones quas praestituimus voluntate descendat; nam si malunt alia optare matrimonia, tutelas filiorum administrare non debent.“ CTh 3,17,4,1, 160. 71 „[…] Qui iure veteri caelibes habebantur, inminentibus legum terroribus liberentur adque ita vivant, ac si numero maritorum matrimonii foedere fulcirentur, sitque omnibus aequa condicio capessendi quod quisque mereatur. Nec vero quisquam orbus habeatur: proposita huic nomini damna non noceant.“ CTh 8,16,1, 418; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. 72 „Viduas autem ac pupillos speciali dignos indulgentia credidimus, ut viduae nec in proximo



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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schen Stand aufgenommen, droht dem Mann, der sie zur Heirat bewegen will, gemäß CTh 9,25,2 bei einer Heirat die Todesstrafe.73 Ein eigenes Gesetz bestraft die Vergewaltigung von Jungfrauen, was den besonderen Schutz der asketischen Lebensweise belegt.74 Bereits die Gesetzgebung zeigt, wie verschieden das Witwenbild in der Spätantike zu dem alttestamentlichen ist. In der römischen Welt der Spätantike um 400 n. Chr. sind die Mehrzahl der Witwen arm und noch immer eine soziale Randgruppe. Prägend für das Witwenbild dieser Zeit ist aber eine zweite, bedeutend kleinere Gruppe von Witwen:75 Es handelt sich dabei um jene, zum Teil zum persönlichen Lebensumfeld des Hieronymus gehörenden Witwen der römischen Oberschicht. Diese dem Christentum zugewandten reichen römischen Aristokratenwitwen lehnen eine Wiederverheiratung aus eigenem Entschluss ab und verschreiben sich dem Ideal der Askese, seien religiöse oder pragmatische Gründe, wie es der Wandel in der Gesetzgebung nahelegen würde, für diese Entscheidung maßgeblich.76 Diese Art von Asketentum ist an Reichtum gebunden, denn eine arme Witwe konnte sich den zeitaufwändigen Stand der Askese nicht erlauben. Mit ihren Reichtümern beschenken diese Witwen die Kirche in außerordentlichem Maße: Die Schenkungen nehmen ein so großes Ausmaß für die Politik und die Gesellschaft an, dass Valentinian diese 370 n. Chr. gesetzlich beschränkt.77

constitutae domo sua vel possessione careant, si nulla aput ipsas tam gravis conscientiae noxa resideat, pupilli vero etiam si conscii fuerint, nullum sustineant detrimentum, quia aetas eorum, si tamen fuerint inpuberes, quid videat ignorat. Tutores tamen eorum si in proximo sint, quoniam ignorare eos, quid in re pupilli geritur, non oportet, haec poena expectabit, ut ex rebus eorum, si idonei fuerint, tantum fisco inferatur, quantum pupillo fuerat auferendum. Quibus ita emendatis in omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. […]“ CTh 9,21,4,1, 472–473; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. 73 „[…] Si quis non dicam rapere, sed vel attemptare matrimonii iungendi causa sacratas virgines vel viduas ausus fuerit, capitali sententia ferietur.“ CTh 9,25,2, 478–479. 74 „[…] Eadem utrumque raptorem severitas feriat nec sit ulla discretio inter eum, qui pudorem virginum sacrosanctarum et castimoniam viduae labefactare scelerosi raptus acerbitate detegitur. Nec ullus sibi ex posteriore consensu valeat raptae blandiri. […]“ CTh 9,25,1, 478; vgl. auch Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. 75 Die Entwicklung der christlichen Askese in der Spätantike, die sich im Osten bei den Wüsteneremiten, im Westen in den Städten ausbreitet, kann hier nicht ausgeführt werden; vgl. dazu Schneider, Das Ende der antiken Leiblichkeit, 412–426; Clark, Reading Renunciation, 14–42; Siquans, Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption, 487–503. 76 Vgl. Krause, Witwen und Waisen im römischen Reich IV, 79. 77 „[…] Ecclesiastici aut ex ecclesiasticis vel qui continentium se volunt nomine nuncupari, viduarum ac pupillarum domos non adeant, sed publicis exterminentur iudiciis, si posthac eos adfines earum vel propinqui putaverint deferendos. Censemus etiam, ut memorati nihil de eius mulieris, cui se privatim sub praetextu religionis adiunxerint, liberalitate quacumque vel extremo iudicio

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Nur in der Vg-Fassung wird das Bild der Beurteilung der Figur Iudiths in der Vg bereits durch die praefatio zum Buch Iudith vorgeprägt: Denn der Hinweis auf ihre Keuschheit und die daraus resultierende Belohnung von Gott lassen an den zeitgenössischen Witwenstand und eben an jene reichen, sich der Kirche zugehörig fühlenden, einflussreichen und beachteten Witwen der römischen Oberschicht denken. Anders als in der LXX, wo Judit als selbstständige, einflussreiche Größe als die große Ausnahme des atl. Witwenbildes oder als Beispiel einer sich langsam verändernden Position der Frau verstanden werden kann, ist die Iudith der Vg-Fassung in ihrer keuschen Lebensweise keine Ausnahme mehr, sondern eine Witwe, nach deren Vorbild es in der Öffentlichkeit Roms mehrere gibt.

Iudith hört von dem Fünf-Tage-Ultimatum Im ersten Abschnitt wird auch berichtet, dass Iudith „dies“ gehört hatte (cum audisset haec, Idt 8,1b). Der Tempuswechsel vom Perfekt ins Plusquamperfekt bringt die Vorzeitigkeit des Hörens Iudiths zum Ausdruck. Was Iudith gehört hat, wird in Vg-spezifischer Hinzufügung durch „dies“ (haec) umschrieben und erst in Idt 8,9a, wenn die Wendung haec […] cum audisset erneut aufgegriffen wird, erklärt – da Idt 8 an Idt 7 anknüpft, ist bereits hier zu vermuten, dass das unmittelbar vorhergehende Geschehen aus Idt 7 und damit das Murren des Volkes und das Fünf-Tage-Ultimatum an Gott gemeint sind. Das Interessante an der Vg-spezifischen Ergänzung des haec ist, dass Jdt 8,1 LXX/Hs 151 den Satz unvollständig beginnen und erst in Jdt 8,9 LXX/Hs 151 abschließen lassen. Dass die Vg-Fassung hingegen einen abgeschlossenen Satz enthält, ist vielleicht eine Korrektur.78 In der Vg-Fassung fehlt auch die Zeitangabe „in jenen Tagen“ ἐν ἐκείναις ταῖς ἡμέραις Jdt 8,1/in diebus illis Jdt 8,1 Hs 151.79 Das ist deswegen auffällig, weil die

possint adipisci et omne in tantum inefficax sit, quod alicui horum ab his fuerit derelictum, ut nec per subiectam personam valeant aliquid vel donatione vel testamento percipere. Quin etiam, si forte post admonitionem legis nostrae aliquid isdem eae feminae vel donatione vel extremo iudicio putaverint relinquendum, id fiscus usurpet. Ceterum si earum quid voluntate percipiunt, ad quarum successionem vel bona iure civili vel edicti beneficiis adiuvantur, capiant ut propinqui. […]“ CTh 16,2,20, 841; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 63. 78 Zudem wird die Wiederholung von haec cum audisset in Idt 8,9a Vg-spezifisch durch Hinzufügung von itaque „deshalb“ kausal eingebettet. 79 Das ebenfalls strukturierende Motiv des Hörens ist in Jdt 4; 8 LXX/Vg enthalten: In Jdt 4,1 LXX fallen die Israeliten in Furcht, nachdem sie von den Taten des Holofernes gehört haben. Das Motiv des Hörens in Jdt 4,1; 8,1 LXX soll Zurückliegendes zusammenfassen und eine Reaktion einleiten; vgl. Schmitz/Engel, Judit, 138. Das Hörmotiv (audire) ist auch in Idt 4,1; 8,1 Vg enthalten.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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Vg-Fassung den durch die Zeitangabe „in jenen Tagen“ ähnlich parenthetischen Aufbau bei der Vorstellung Nabuchodonosors in Jdt 1,1.5 LXX/Hs 151 ebenfalls nicht kennt. Dieser dient in LXX/Hs 151 – nicht aber in der Vg-Fassung – als strukturelles Stilmittel, um die Erzählung in zwei Teile (Jdt 1–7; 8–16) zu teilen.80

3.2.2 Wie Iudith Witwe wurde (Idt 8,2a–3d) Im zweiten Abschnitt (Idt 8,2a–3d) werden Ort, Zeit und Ursache des in der Vergangenheit liegenden Todes von Iudiths Mann Manasse geschildert. Manasse starb durch die Folgen eines „Hitzeschlags“ in Bethulia, als er die „Gerstenernte“ beaufsichtigte (Idt 8,3c).81 Die Aufsehertätigkeit charakterisiert ihn und damit auch Iudith als wohlhabend und der Oberschicht zugehörig. Doch erzählt der Abschnitt weniger vom Leben, sondern vielmehr vom Tod des Manasse: So findet sich mortuus est „er ist gestorben“ zwei Mal (Idt 8,2b.3c) und sepultus est „er wurde begraben“ einmal (Idt 8,3d). Die Sonne steht hier für ihren gefährlichen, den Tod bringenden Aspekt.82 Obgleich die Sonne zur Zeit der Gerstenernte in April und Mai noch nicht die volle Strahlkraft hat,83 trifft sie Manasse super caput eius „auf seinem Kopf“ (Idt 8,3b).84 Dass Manasse aus Judits „Stamm und Geschlecht“ war (Jdt 8,2 LXX), schreiben Idt 8,2 Hs 151/Vg nicht. In der LXX-Fassung ist der Hinweis außergewöhnlich, weil Männer sich in biblischen Texten in der Regel nicht über den Stammbaum ihrer Frau definieren, sondern umgekehrt, die Frau sich über den Mann.85

80 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 77. 81 Messis „Gerstenernte“ bezieht sich in Idt 2,17 auf den vernichtenden Feldzug des Holofernis, in Idt 8,2 beschreibt es den Zeitpunkt des Todes von Manasse. 82 Hartmann, Sonne (THAT), 989. In 2 Kön 4,18–20 stirbt das Kind der Schunemiterin durch einen Hitzeschlag; vgl. auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 153. 83 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 242. 84 Caput „Kopf“ taucht vierzehn Mal innerhalb der Erzählung auf: in Idt 8,3 hinsichtlich des Todes Manasses, in Idt 9,1 im Rahmen von Iudiths Gebetsvorbereitung, in Idt 10,3 im Kontext ihres Sich-schön-Machens. Meist aber bezeichnet das Wort den Kopf des Holofernis (Idt 13,8.10.11.19bis.27.28.29; 14,1.7.16; in Idt 13,27 im übertragenen Sinn) und bildet damit ein wichtiges Motiv. Auffälligerweise verlieren sowohl Manasse, als auch Holofernes ihr Leben durch Einwirkung auf den Kopf. Dieser Umstand wird in der LXX durch Wortwiederholungen betont, „Kopf“ (Jdt 8,3; 13,6) und „auf das Bett fallen“ (Jdt 8,3; 13,2), die in Hs 151/Vg fehlen; vgl. dazu ausführlich Schmitz, Gedeutete Geschichte, 153. Die sich dadurch ergebende Intratextualität, die in der LXX zwischen dem Tod des Manasse und dem Tod des Holofernes zu finden ist, kann für die Vg nicht mit diesem Argument bestätigt werden. 85 Vgl. dazu Gera, Judith, 258–259. Es fehlt auch in Idt 8,3 Hs 151/Vg die Information, wo genau

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die Beschreibung der Todesumstände Manasses sind implizites Mittel, Iudith und ihre Lebensumstände zu charakterisieren und dienen darüber hinaus dem Fortgang der Handlung. Nur durch den Tod ihres Mannes gelangt Iudith zu Reichtum und damit zur Selbstbestimmbarkeit und Mündigkeit gegenüber den Ältesten, die sie braucht, um deren Gehör (Idt 8,9d–10a) und – noch wichtiger – deren Zustimmung zu ihrem Vorhaben zu erhalten (Idt 8,34a-c).

3.2.3 Iudiths Leben (Idt 8,4a–8d) Im dritten Abschnitt (Idt 8,4a–8d) wird das Leben Iudiths nach dem Tod ihres Mannes geschildert: Zunächst wird der Zeitraum ihrer bisherigen Witwenschaft genannt, dann wird beschrieben, wie sie die Tage in ihrem Haus verbringt, wie sie sich kleidet, welche Fastengewohnheiten sie hat, wie sie aussieht, über welches Vermögen sie verfügt, welchen Ruf sie beim Volk von Bethulia genießt, und schließlich ausgesagt, dass sie gottesfürchtig ist. Iudiths Witwenschaft beträgt nun schon zweiundvierzig Monate (Idt 8,4a). Allein die Hs 151 verwendet die gleiche Zeitangabe. In der LXX-Fassung und den Hss 109.130.131.123 ist die Rede von drei Jahren und vier Monaten, die – zusammen gerechnet – die symbolhafte Zahl von vierzig Monaten ergeben (καὶ ἦν Ιουδιθ ἐν τῷ οἴκῳ αὐτῆς χηρεύουσα ἔτη τρία καὶ μῆνας τέσσαρας, Jdt 8,4 LXX). Sowohl die vierzig als auch die zweiundvierzig Monate stehen für eine sehr lange Zeit und könnten eine Unbegrenztheit der Witwenschaft Judit/Iudiths suggerieren.86 Für eine solche Auslegung sprechen auch Jdt 16,22 LXX/Hs 151//Idt 16,26 Vg, wo Judit/ Iudith die fortwährende Witwenschaft bis zu ihrem Lebensende bestätigt wird. Iudith hat sich ein „Gemach zum Liegen, mit einem Ruhelager […] als Wohnod. Schlafgemach, […] Zimmer“ (cubiculum, vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1376) im oberen Teil ihres Hauses eingerichtet (Idt 8,5a).87 LXX/Hs 151 aber kennen nur ein Zelt auf dem Dach als Aufenthaltsort Judits, das diese sich dort hat errichten lassen: Entsprechend überträgt Idt 8,5 Hs 151 das griechische σκηνή (Jdt 8,5 LXX)

Manasse begraben wurde. Die LXX hingegen erwähnt, dass er „auf dem Feld zwischen Dotaim und Balamon begraben wurde“ (Jdt 8,3). 86 Vgl. dazu auch Soubigou, Judith, 539; In der Zeitangabe der Vg von „drei Jahren und sechs Monaten“ sieht Scholz eine Parallele zu Dan 7,25 LXX/Vg, „wonach der Feind 3,5 Zeiten sein Wesen treibt“; Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 106. 87 Cubiculum beschreibt auch das Schlafgemach, ein inneres Zelt im Zelt des Holofernis, in dem dieser den Tod finden wird (Idt 13,1.3.5; 14,9.10.11.13; vgl. auch Idt 13,1; 14,10).



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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mit tabernaculum „Zelt“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 4652).88 In Vg-spezifischer Hinzufügung wird dieses Zimmer als secretus „gesondert, abgeschieden, einsam“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 4317) beschrieben. Somit liegt in der Vg eine interessante semantische Verschiebung vor, die Iudith durch eine jeweils völlig unterschiedliche Lebensweise charakterisieren: Während ein luftig angenehmes Zelt auf dem Dach ein öffentlicher Raum ist (LXX), spiegelt das abgeschiedene Gemach im Haus die private Lebenswirklichkeit der weiblich christlichen Asketinnenzirkel wider.89 Wenn sich die Judit der LXX (und der Hs 151) in einem Zelt auf dem Dach ihres Hauses aufhält, sind sie und ihre Lebensweise für die Öffentlichkeit sichtbar. Das Treffen mit den Ältesten findet unter den Augen der Öffentlichkeit statt (Jdt 8,10–11). In der Vg ist das völlig anders: Iudith hält sich in ihrem Haus auf, wo sie nicht von draußen beobachtet werden kann. Sie befindet sich in einem abgesonderten Raum, umgeben von ihrem ausschließlich weiblichen Personal (in quo cum puellis suis clausa morabatur Idt 8,5b). Dort wird sie auch die Ältesten empfangen (Idt 8,9d–10b).90 Die Vg-spezifischen Abänderungen rücken Iudith erneut näher in die römische Lebenswirklichkeit. In zahlreichen Briefen empfiehlt Hieronymus den Asketinnen das In-Zurückgezogenheit-Leben in einem „Raum“ (cubiculum), umgeben von gleichgesinnten Frauen: So rät er Laeta in einem um 401 n. Chr. entstandenen Brief wegen der Gefahr einer möglichen Vergewaltigung nicht auszugehen, sondern sich nach dem Vorbilde Marias in ihrem „Raum“ cubiculum aufzuhalten: „[…] imitetur Mariam, quam Gabriel solam in cubiculo suo reperit et ideo forsitan timore perterrita est, quia uirum, quem non solebat, aspexit. aemuletur eam, de qua dicitur: omnis gloria filiae regis ab intus; loquatur et ipsa electo caritatis iaculo uulnerata:  introduxit me rex in cubiculum suum. numquam exeat foras, ne inueniant eam, qui circumeunt civitatem, ne percutiant et uulnerent, et auferentes theristrum pudicitiae nudam in sanguine derelinquant […]“ Hieronymus, Ep. 107,7 (CSEL 55, 298). „[…] Maria sei ihr Vorbild, die der Engel allein in ihrem Gemache antraf, wobei sie vielleicht deshalb so heftig erschrak, weil ihr der Anblick eines Mannes etwas ganz Ungewohntes

88 Ein „Zelt“ auf dem Dach als Gebetsraum ist auch in 2 Sam 16,22 genannt, wo die Vg tabernaculum, die LXX σκηνή schreibt. 89 So die These von Schmitz/Engel, Judit, 243. Dem gegenüber kann nach Gera ein Zelt auf dem Dach ein privater Raum sein; vgl. Gera, Judith, 262. Vgl. auch Ernst, Dach (Herders Neues Bibellexikon), 129. 90 Wie in der LXX kann auch in der Vg-Fassung niemand etwas Schlechtes über Iudith sagen (Idt 8,8c–d): Nur liegt in der Vg der Grund darin, dass sie nie alleine ist, sondern immer ihre Mägde zu ihrer Sicherheit und als Leumundszeugen um sich hat, freilich selbst dann, wenn die Ältesten sie aufsuchen. Sonst ist Iudith meist in Begleitung ihrer Lieblingsmagd (vgl. Idt 8,32; 10,2.5.10; 16,28). Zum Thema der in ihren Gemächern eingeschlossenen Jungfrauen, vgl. 2 Makk 3,19; 3 Makk 1,18; vgl. dazu auch Gera, Judith, 263.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

war. Ihr soll sie nachstreben, von der es heißt: ‚Alle Herrlichkeit der Königstochter kommt von innen.‘  Sie spreche wie verwundet vom Pfeile der Liebe selbst zu ihrem Auserwählten: ‚Der König hat mich in sein Gemach geführt.‘  Nie gehe sie aus, um nicht denen zu begegnen, die durch die Stadt schweifen, sie mißhandeln, verwunden und des Kleides der Keuschheit berauben könnten, um sie dann entblößt in ihrem Blute liegen zu lassen […]“91.

Auch Pacatula rät er 410 n. Chr. zur Wahrung ihrer Keuschheit nicht nach draußen zu gehen, in ihrer Kammer zu bleiben und sich nur in Gesellschaft von Frauen, nicht aber in der von Männern aufzuhalten: „[…] sexus femineus suo iungatur sexui; nesciat, immo timeat cum pueris ludere. […] nec liberius procedat ad publicum nec semper ecclesiarum quaerat celebritatem. in cubiculo suo totas delicias habeat […]“ Hieronymus, Ep. 128,4 (CSEL 56/1, 160). „[…] Mädchen sollen sich zu Mädchen gesellen. Spiele mit Knaben sollen dem Kinde fremd sein, ja noch mehr, es soll sie fürchten.  […] Sie soll nicht allzuoft in der Öffentlichkeit erscheinen und nicht gerade in die am meisten besuchten Gotteshäuser gehen. Sie möge in ihrem Stübchen bleiben und dort ihre Freude finden […]“92.

In einem 383 n. Chr. verfassten Brief schreibt er Eustochium, sie solle sich gleichgesinnte Freundinnen suchen, sich wenig in der Öffentlichkeit aufhalten und in ihrem „verborgenen Kämmerlein“ zum Gebet bleiben, das ihrem ständigen Schutz diene, und verwendet als Metapher für das Erreichen der Weisheit Salomos das Eintreten in dessen Gemach (cubiculum): „[…] Sint tibi sociae, quas videris quod ieiunia tenuant quibus pallor in facie est, quas et aetas probavit et vita […] rarus sit egressus in publicum: martyres tibi quaerantur in cubiculo tuo […]“ Hieronymus, Ep. 22,17 (CSEL 54, 164–165). „[…] Deine Freundinnen sollst Du unter denen suchen, welche Du vom Fasten mager werden siehst, deren Gesicht blaß aussieht, die sich durch ihr Alter und ihren Lebenswandel bewährt haben, […] Laß Dich selten in der Öffentlichkeit sehen! Die Märtyrer magst Du in Deinem Kämmerlein verehren. […]“93.

„[…] Semper te cubiculi tui secreta custodiant, semper tecum sponsus ludat intrinsecus. Oras: loqueris ad sponsum […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 178). „[…] Dein verborgenes Kämmerlein sei Dein ständiger Schutz. Dort im geheimen möge Dein Bräutigam sich zärtlich gegen Dich zeigen. Betest Du, so sprichst Du mit Deinem Bräutigam […]“94.

91 Hieronymus, Ep. 107,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 395). 92 Hieronymus, Ep. 128,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 409–410). 93 Hieronymus, Ep. 22,27 (BKV2 Zweite Reihe 16, 79). 94 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91).



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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„[…] et inducet te rex in cubiculum suum […]“ Hieronymus, Ep. 22,1 (CSEL 54, 145). „[…] Dann führt dich der König in sein Gemach […]“95.

Auch Furia rät er im Jahre 395 n. Chr., sich nicht in der Öffentlichkeit aufzuhalten und die Gesellschaft von heiligen Jungfrauen und Witwen zu suchen: „[…] noli ad publicum subinde procedere […] sanctarum uirginum et uiduarum societatem adpete […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Bewege Dich nicht zuviel in der Öffentlichkeit […] Suche die Gesellschaft gottesfürchtiger Jungfrauen und Witwen auf! […]“96.

Als Beispiel für die fatalen Folgen, die ein unvorsichtiger Gang einer Frau jenseits der schützenden eigenen vier Wände haben kann, wird in Ep. 22,25; 107,6 das Schicksal der Jakobstochter Dina, die nach draußen geht, „um die Töchter eines fremden Landes zu schauen“, in belehrender Funktion angeführt: „[…] caue ne domum exeas, et uelis uidere filias regionis alienae, quamuis fratres habeas patriarchas et Israhel parente laeteris: Dina egressa corrumpitur […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 179). „[…] Verlasse das Haus nicht und verlange nicht, die Töchter eines fremden Landes zu schauen, wenn Du auch Patriarchen zu Brüdern hast und Dich Israels als Deines Vaters erfreuen darfst. Dina ging aus und wurde geschändet […]“97.

„[…] ne egrediatur cum Dina et uelit videre filias regionis alienae […]“ Hieronymus, Ep. 107,6 (CSEL 55, 297). „[…] sie gehe nicht hinaus wie Dina, um die Töchter eines fremden Landes zu schauen […]“98.

Die Vergewaltigung Dinas wird im Kontext dieser Briefzitate als deren eigene Schuld angesehen. Die Täter werden nicht kritisiert, nicht einmal erwähnt. Hätte sie nicht der Neugier wegen ihr Zimmer verlassen, wäre ihr diese „Schande“ nicht geschehen. Die Dinaerzählung wird auch mit anderer Schwerpunktsetzung im Buch Iudith innerhalb des Gebets eingespielt (vgl. Idt 9,2–3). Wie die Parallelen zwischen den Briefbeispielen und Idt 8,7 Vg nahe legen, scheint Iudith in die römische Lebenswelt integriert zu werden. Der zeitgenössi-

95 Hieronymus, Ep. 22,1 (BKV2 Zweite Reihe 16, 62). 96 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 163). 97 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91). 98 Hieronymus, Ep. 107,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 393).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

sche Lesende wird diese Informationen seinem mentalen Figurenmodell hinzufügen. Iudith trägt „über ihren Lenden ein härenes Gewand“ (super lumbos suos cilicium Idt 8,6a). In der LXX trägt sie zusätzlich darüber die Kleider einer Witwe (καὶ ἐπέθηκεν ἐπὶ τὴν ὀσφὺν αὐτῆς σάκκον καὶ ἦν ἐπ᾽ αὐτῆς τὰ ἱμάτια τῆς χηρεύσεως αὐτῆς Jdt 8,5), worauf Hs 151/Vg verzichten. Nach Idt 10,2c–d Vg legt Iudith erst das Bußgewand (cilicium) und dann die Witwenkleidung ab.99 Daher ist anzunehmen, dass Iudith grundsätzlich beides trägt. Das hebräische Wort für „härenes Gewand” ‫ שק‬wird in der LXX wörtlich mit σάκκος übersetzt. Idt 8,5 Hs 151//Idt 8,6 Vg aber schreiben nicht die im Lateinischen vorhandene Entsprechung saccus (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 4225), sondern cilicium.100 Sowohl saccus (z.B. in 2 Sam 3,31; Jes 22,12; Offb 6,12 Vg) als auch cilicium sind in der Vg vielfach belegt, z.B. in Gen 37,34; Jer 4,8 Vg (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 875). Da innerhalb der Vg also beide Wörter gängig sind, kann die Verwendung von cilicium an dieser Stelle als gebräuchlich verstanden werden. Das fortwährende, weit über das erforderliche Maß der jüdischen Trauerrituale hinausgehende Tragen des Bußgewandes σάκκος und der Witwenkleidung zeichnet die Judit der LXX als eine außergewöhnlich religiöse Frau aus. Anders ist die Darstellung in der Vg. Das Bußgewand (cilicium), ein schmuckloses Gewand aus minderwertigem Stoff, wurde zunächst auch in christlicher Zeit bei Traueranlässen und unter Vernachlässigung der Körperpflege getragen, wurde aber mit der Zeit eine für Mönche und privat lebende religiöse Menschen übliche Kleidung.101 Das zeigt bereits der Bericht des Hieronymus von seinen eigenen Erfahrungen in Chalkis: „[…] O quotiens in heremo constitutus et in illa uasta solitudine, quae exusta solis ardoribus horridum monachis praestat habitaculum, putaui me Romanis interesse deliciis! sedebam solus, quia amaritudine repletus eram. horrebam sacco membra deformis, squalida cutis situm Aethiopicae carnis adduxerat. […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 152). „Als ich in der Wüste weilte, in jener weiten, von der Sonnenglut ausgebrannten Einöde, die den Mönchen ein schauriges Asyl bietet, da schweiften meine Gedanken oft hin zu den Vergnügungsstätten Roms, Einsam, innerlich verbittert, saß ich da. Meine ungestaltet[en]

99 Vgl. auch Ernst, Kleid/Kleidung (Herders Neues Bibellexikon), 429–430. 100 Vgl. auch Hermann, cilicium (RAC 3), 128. Cilicium ist im Buch Iudith die einzige Bezeichnung für das Bußgewand, das außer von Iudith (Idt 8,6; 9,1; 10,2), auch von den Priestern getragen wird (Idt 4,9; 4,16) und als Abdeckung für den Altar dient (Idt 4,9). 101 Vgl. auch Lang/Hentschel, Trauerbräuche (NBL 3), 219; Urbanz, Trauer/Trauerbräuche (Herders Neues Bibellexikon), 756; Emonds/Poschmann, Bußkleid (RAC 2), 813–814.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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Glieder starrten im Bußgewande, und meine rauhe Haut war schwarz geworden gleich der eines Äthiopiers […]“102.

Auch schreibt Hieronymus über den Kleidungswechsel der Witwe Paula: „[…] mollia linteamina et serica pretiosissima asperitate cilicii commutando […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 326). „[…] Die weichen Linnenkleider und kostbaren Seidenstoffe muß ich mit dem rauhen Bußgewande vertauschen […]“103.

In Bezug auf Iudiths Kleidung findet sich in der Briefliteratur des Hieronymus eine auffällige Bemerkung: „[…] legimus Iudith […] uiduam confectam ieiuniis et habitu lugubri sorditatam104, quae non lugebat mortuum uirum, sed squalore corporis sponsi quaerebat aduentum. […] habituque repente mutato ad uictrices sordes105 redit, omnibus saeculi cultibus mundiores […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484). „[…] Das Buch Judith […] handelt von einer Witwe, welche das Fasten arg mitgenommen hatte und die in ihrer Trauerkleidung jeden Reizes bar war. Sie beweinte nicht etwa ihren verstorbenen Gatten, sondern erwartete trotz ihres sie entstellenden Äußeren die Ankunft des himmlischen Bräutigams. […] Nach vollbrachter Tat wechselt sie sofort wieder ihre Kleidung und zieht erneut das schmutzige Gewand an, welchem sie ihren Sieg verdankt, welches allein weltlichen Putz an Schönheit übertrifft […]“106.

Dass Iudiths Gewand schmutzig sein soll, ist keine Information, die in der Vg oder irgendeiner anderen Fassung des Iudithbuches, sondern nur in Ep. 54 zu finden ist. Mit dem Bild des „schmutzigen“ (sorditatus; sordes) Kleides, das Iudith sowohl vor der Tat als auch danach trägt, lenkt Hieronymus den Blick auf ihre fromme Gesinnung. In seiner Interpretation lebt die Iudith der Vg damit genau so, wie der Kirchenvater es seinen christlichen Asketinnen empfiehlt: „[…] uestis nec satis munda nec sordida et nulla diuersitate notabilis, ne ad te obuia praetereuntium turba consistat et digito demonstreris […] sunt quippe nonnullae exterminantes facies suas, ut pareant hominibus ieiunare […] uestis pulla, cingulum sacceum et sordidis

102 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 68). 103 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 122). 104 Sordidatus bedeutet „in schmutziger Kleidung, schmutzig gekleidet oder auch in Trauerkleidung, in Sack und Asche gehend“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 4451). 105 Sordes bezeichnet „schmutzige Kleidung als Tracht Leidtragender oder Trauernder“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 4450). 106 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

manibus pedibusque uenter solus, quia uideri non potest, aestuat cibo […] sunt, quae ciliciis uestiuntur et cucullis fabrefactis, ut ad infantiam redeant, imitantur noctuas et bubones.“ Hieronymus, Ep. 22,27 (CSEL 54, 183–184).107 „[…] Dein Kleid trage keine gesuchte Reinlichkeit zur Schau, aber es sei auch nicht vernachlässigt und wirke durch keine Besonderheit auffällig. Denn die Vorübergehenden sollen, wenn sie Dir begegnen, nicht stehenbleiben und mit Fingern auf Dich zeigen. […] Es gibt Frauen, die ihr Angesicht entstellen, damit man sieht, daß sie fasten. […] Sie tragen ein dunkles Gewand und einen groben Gürtel. Während Hände und Füße vor Schmutz starren, strotzt der Bauch, den ja niemand sehen kann, vor Speise. Auch solche gibt es, die härene Decken tragen mit Kapuzen und in ihrer kindischen Einfalt es den Eulen und Käuzen gleichtun.“108.

Auch schreibt er an Marcella über Blesilla, die älteste Tochter Paulas: „[…] pulla est tunica: minus, cum humi iacuerit, sordidatur. soccus uilior: auratorum pretium calceorum egentibus largitur. cingulum non auro gemmisque distinctum est, sed laneum et tota simplicitate purissimum […]“ Hieronymus, Ep. 38,4 (CSEL 54, 292). „[…] Da sie eine dunkle Tunika trägt, so hat sie jetzt weniger Sorge, sie zu beschmutzen, wenn sie sich auf den Boden kniet, Ihr Schuhwerk ist einfach. Was sie früher für ihre goldgestickten Schuhe ausgab, das verteilt sie jetzt unter die Dürftigen. Weder Gold noch Edelsteine schmücken ihren Gürtel. Er ist aus Wolle und in seiner Einfachheit, jeder Verzierung bar […]“109.

In der römischen Welt der Spätantike steht das Bußgewand mithin nicht länger für eine Außergewöhnlichkeit. Vielmehr zeigen jene Mönche, christliche Witwen und Jungfrauen, die diese Kleidung täglich tragen, ihrer unmittelbaren Umwelt, dass sie in Askese leben. Das cilicium, das die Iudith der Vg schon so lange trägt, ist also für den zeitgenössischen Lesenden kein Symbol einer außergewöhnlichen Lebenseinstellung, sondern eine für Witwen, die sich der Askese verschrieben haben, empfohlene tägliche Kleidung. Daher wird der zeitgenössische Lesende Iudith nach dem Vorbild der Asketinnen Roms mit einem dunklen Gewand aus einfachem Stoff gekleidet sehen, ungeachtet der Tatsache, dass ihre Kleidung in Idt 8,6a Vg nur als Lendengewand beschrieben wird, während erst in Idt 10,2b–c auch die Rede von der eigentlichen Witwenkleidung ist (vgl. Idt 10,2b–c). Darüber hinaus fastet Iudith alle Tage ihres Lebens außer an den Sabbaten und Neumondtagen und den Festen des Hauses Israel (Idt 8,6a).110 Das Fasten ist

107 Saccus und cilicium, die innerhalb der Vg gleichwertig nebeneinander stehen, werden in diesem Brief als verschiedene Kleidungsstücke beschrieben. 108 Hieronymus, Ep. 22,27 (BKV2 Zweite Reihe 16, 95–96). 109 Hieronymus, Ep. 38,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 44). 110 Ausgelassen wird προσάββατον „Vorsabbat“ in Vg und Hs 151 sowie anderen Handschriften



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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ein Element der Religion in Israel und wird im kultischen Leben der Gemeinde sowohl als Bestandteil der Volksklage durchgeführt als auch im Rahmen der individuellen, frommen Klage, wozu auch das Tragen eines Bußgewandes gehört.111 Ziel dieser Handlungen ist die Selbstdemütigung.112 Dabei gibt es im Judentum Festtage, an denen gefastet werden muss (z.B. Jom Kippur), und solche, an denen nicht gefastet werden darf, wie beispielsweise Sabbat und Neumond.113 Mit dem letzten Zusatz in Idt 8,6a et festa domus Israhel „und an den Festen des Hauses Israel“ müssen die Feste gemeint sein, die im Jahreszyklus wiederkehren. Das darüber hinausgehende Fasten ist in der Regel zeitlich begrenzt – auf Zeiten der Not (vgl. Jdt 4,10.13.14; 1  Kön 21,31.32; 2  Makk 10,25) oder der Trauer (vgl. Gen 37,34).114 Dass Iudith fastet und sich an die Fastunterbrechungen hält, zeigt grundsätzlich ihre Frömmigkeit. Das Fasten Iudiths ist aber – ebenso wie die Dauer ihrer Witwenschaft – in einer Form präsentiert, die weit über das Geforderte hinaus geht: Denn sie fastet nicht nur zu den Zeiten, wie es die Tora vorschreibt, sondern darüber hinaus an allen Tagen ihres Lebens. Iudiths Fastengewohnheit steht damit für eine ganz besondere Frömmigkeit. Sie ist Ausdruck einer Lebenseinstellung, die nicht mehr nur auf die Trauer um ihren verstorbenen Mann Manasse zurückgeführt werden kann. Diese Beobachtung gilt für die Vg und die LXX gleichermaßen. Der Unterschied ist, dass die zeitgenössischen Lesenden der Vg aus dieser Information erneut ein typisches Attribut einer asketisch lebenden Frau erkennen könnten, während die der LXX eine außergewöhnliche Frömmigkeit aus diesem Leben herauslesen. Fasten wird von Hieronymus und anderen frühchristlichen Autoren empfohlen.115 Nach Hieronymus soll das ständige Fasten der Keuschheit dienlich sein, da es den Körper abkühle und Begierden unterdrücke. In Ep. 22 findet sich ein

der VL, was Ryan als Beispiel für den Einfluss der altlateinischen Schriften auf die Vg wertet; vgl. Ryan, The Ancient Versions of Judith and the Place of the Septuagint in the Catholic Church, 5–6. 111 Vgl. Stolz, Fasten (THAT 1), 536–537. 112 Vgl. Stolz, Fasten (THAT 1), 536–53; Stubhann, Fasten (Herders Neues Bibellexikon), 202– 203. 113 Vgl. Sals/Avemarie, Fest (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 137; Sabbat und Neumond sind die einzigen beiden Feste, die im Jahr mehrfach vorkommen; vgl. Stolz, aufhören/ruhen (THAT 2), 865. 114 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 243. 115 Bspw. Athanasius, De virginitate, Gregor von Nyssa, De virginitate, Johannes Crysostomus, De virginitate, Ambrosius von Mailand, De virginibus oder Augustinus, De utilitate ieiunii; De sancta virginitate; ausführlich dazu vgl. Strathmann/Keseling, Askese II (RAC 1), 765–778; vgl. zum Zusammenhang von Keuschheit und Demut bei Augustinus auch Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, 179–192.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

persönlicher Erfahrungsbericht des Hieronymus zu diesem Thema aus der Zeit seines Aufenthalts in Chalkis: „[…] pallebant ora ieiuniis et mens desideriis aestuabat in frigido corpore et ante hominem suum iam carne praemortua sola libidinum incendia bulliebant. […] et repugnantem carnem ebdomadarum inedia subiugabam […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 153). „[…] Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. Vor dem Menschen, der dem Fleische nach bereits gestorben war, loderte einzig noch das Feuer der Sinnlichkeit auf. […] und das widerspenstige Fleisch bändigte ich durch wochenlanges Fasten […]“116.

Er stellt weiter den Zusammenhang von Begierde und Genusssucht her, der im Trinken von Alkohol und in maßlosem Essen bestehe, und sagt ausdrücklich, dass sich die Einhaltung der Keuschheit ohne Fasten nicht sicherstellen lasse: „[…] et ut intelligas scripturae in omnibus sacramentum – margarita quippe est sermo dei et ex omni parte forari potest – post ebrietatem nudatio femorum subsecuta est, libido iuncta luxuriae […]“ Hieronymus, Ep. 22,8 (CSEL 54, 155). „[…] Damit Du nun in allen Dingen das Geheimnisvolle der Hl. Schrift erkennst — denn das Wort Gottes ist eine Perle, die von allen Seiten durchbohrt werden kann —, so bedenke, daß auf die Trunkenheit die Entblößung des Körpers folgte, ein Beweis, wie eng Wollust und Genußsucht miteinander verwachsen sind. Erst wird der Bauch angefüllt, und bald folgt das andere […]“117.

„[…] non quo deus, uniuersitatis creator et dominus, intestinorum nostrorum rugitu et inanitate uentris pulmonumque delectetur ardore, sed quo aliter pudicitia tuta esse non possit […]“ Hieronymus, Ep. 22,11 (CSEL 54, 158). „[…] Es ist ja nicht so, als ob Gott, der Schöpfer und Herr des Weltalls, ein besonderes Wohlgefallen an unseren leeren und knurrenden Mägen oder am Brand unserer Lungen hätte. Aber auf anderem Wege läßt sich die Keuschheit nicht sicherstellen […]“118.

Ein voller Magen soll beim Gebet nicht hindern: „[…] moderatus cibus et numquam uenter repletus. plurimae quippe sunt, quae, cum uino sint sobriae, ciborum largitate sunt ebriae. ad orationem tibi nocte surgenti non indigestio ructum faciat, sed inanitas […]“ Hieronymus, Ep. 22,17 (CSEL 54, 164–165). „[…] Sei mäßig im Essen und überlade Deinen Magen nicht mit Speise! Es gibt sehr viele, die mäßig sind im Genusse des Weines, dafür aber sich berauschen an der Fülle der Speisen.

116 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69). 117 Hieronymus, Ep. 22,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 70–71). 118 Hieronymus, Ep. 22,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 73).



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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Wenn Du Dich nachts zum Gebete erhebst, dann soll Dich der volle Magen nicht belästigen, vielmehr mag Dich der Hunger quälen […]“119.

Eine in diesem Kontext rhetorische Frage stellt er Furia: „[…] et adulescentula feruente cibis corpore de castitate secura est? […]“ Hieronymus, Ep. 54,8 (CSEL 54, 474). „[…] Und eine junge Frau, die ihren Körper durch reichliche und ausgesuchte Nahrung erhitzt, soll ihrer Keuschheit sicher sein? […]“120.

In Ep. 108 lobt er Paula für ihr strenges Fasten und hebt hervor, dass sie dieses – wie auch von Iudith in Idt 8,6a berichtet – nur an den Fasttagen unterbricht: „[…] quae tantae continentiae fuit, ut propre mensuram excederet et debilitatem corporis nimiis ieiuniis ac labore contraheret, quae exceptis festis diebus uix oelum in cibo acceperit […]“ Hieronymus, Ep. 108,17 (CSEL 55, 328). „[…] Ihre Enthaltsamkeit war so groß, daß sie beinahe über das Maß hinausging und ihren Körper durch zu strenges Fasten und schwere Anstrengung schwächte. Mit Ausnahme der Festtage wollte sie kaum Öl an den Speisen genießen […]“121.

Die Witwe Furia sehe sich angesichts ihres vergangenen Ehelebens einer besonderen Herausforderung bei der Einhaltung der Keuschheit gegenüber gestellt. Nicht nur das Fasten, sondern auch die Vernachlässigung des Körpers schwingt in diesem Ratschlag mit: „[…] uidua, quae marito placere desiuit et iuxta apostolum uere uidua est, nihil habet necessarium nisi perseuerantiam. meminit pristinae uoluptatis, scit, quid amiserit, quo delectata sit: ardentes diaboli sagittae ieiuniorum et uigiliarum frigore restinguendae sunt. aut loquendum nobis est, ut uestiti sumus, aut uestiendum, ut loquimur. quid aliud pollicemur et aliud ostendimus? lingua personat castitatem et totum corpus praefert inpudicitiam. […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „[…] Eine Witwe, die ihrem Manne nicht mehr zu gefallen braucht und nach dem Apostel in Wahrheit eine Witwe ist, hat außer der Standhaftigkeit nichts nötig. In ihr lebt die Erinnerung an genossene Freuden; sie weiß, was sie verloren, woran sie sich ergötzt hat. Diese feurigen Pfeile des Teufels müssen durch strenges Fasten und Wachen ausgelöscht werden. Wir müssen so sprechen, wie es unserer Kleidung angemessen ist, oder uns so kleiden, daß es zu unseren Worten paßt. Warum soll unser Handeln unsere Worte Lügen strafen? Mit der

119 Hieronymus, Ep. 22,17 (BKV2 Zweite Reihe 16, 79). 120 Hieronymus, Ep. 54,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 157). 121 Hieronymus, Ep. 108,17 (BKV1 15, 124).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Zunge rühmt man die Keuschheit, während der ganze Körper Lüsternheit zur Schau trägt […]“122.

Die Enthaltsamkeit sei allerdings weniger gefährdet, wie er gegenüber Laeta argumentiert, wenn man lüstern machende Speisen gar nicht kenne. Daher sei es besser, auf Gastmähler in der Öffentlichkeit zu verzichten: „Non uescatur in publico, id est in parentum conuiuio, nec uideat cibos, quos desideret. Et licet quidam putent maioris esse uirtutis praesentem contemnere uoluptatem, tamen ego securioris arbitror continentiae nescire, quod quaeras […]“ Hieronymus, Ep. 107,8 (CSEL 55, 299). „Sie esse nicht außer dem Hause und nehme vor allem nicht an den Gastmählern bei den Verwandten teil, damit sie keine Speisen kennenlernt, auf die sie lüstern wird. Es gibt zwar Leute, die darin einen größeren Grad von Tugend sehen, daß man bei sich bietender Gelegenheit auf einen Genuß verzichtet. Ich halte aber die Enthaltsamkeit weniger gefährdet, wenn man das, wonach es einen gelüsten könnte, überhaupt nicht kennt […]“123.

Das Fasten wurde von Hieronymus empfohlen und von den Asketinnen in Rom praktiziert. Iudiths Fasten ordnet sich daher in das bisher entstandene mentale Bild des zeitgenössischen Lesenden nahtlos ein.

Iudiths Aussehen Es folgt eine Beschreibung zu Iudiths Aussehen: „Sie war aber von elegantem Aussehen“ (Idt 8,7a). Die LXX beschreibt Judits Aussehen in zweifacher Formulierung: „Und sie war schön im Aussehen und sehr anmutig in der äußeren Erscheinung“ (καὶ ἦν καλὴ τῷ εἴδει καὶ ὡραία τῇ ὄψει σφόδρα). καὶ ἦν καλὴ τῷ εἴδει ist auch bspw. in Gen 29,17 für Rachel, in Gen 39,6 für Joseph und in Gen 41,2 für die sieben Kühe aus dem Nil die griechische Übersetzung der hebräischen Schönheitsbeschreibung ‫ יפת מראה‬und bedeutet soviel wie „schön im Hinblick auf die äußere Erscheinung“.124 Auch das seltene „prächtig“ ὡραῖος hebt Judits körperliche Schönheit hervor.125 Vg und Hs 151 streichen beide die zweite Schönheitsbeschreibung „und sehr anmutig in der äußeren Erscheinung“ (καὶ ὡραία τῇ ὄψει σφόδρα). Während die Hs 151 das griechische „schön“ καλός durch „gut“ (bona) wiedergibt und damit ebenfalls Iudiths Schönheit betont, schreibt die Vg elegans,

122 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156–157). 123 Hieronymus, Ep. 107,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 395). 124 Vgl. Grundmann, καλός, 545; vgl. auch Hilt (jetzt Lange), Dominus contulit splendorem, 91–108. 125 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 245.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

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statt des zu erwartenden pulchra „ideal schön“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3953). Pulcher „schön“ aber ist auch in anderen Beispielen die Übersetzung, wenn die LXX καλός verwendet: in Gen 39,6 Vg für Ioseph, in Gen 41,2 Vg für die sieben Kühe aus dem Nil, in 2 Sam 11,2 Vg für Bethsabee, in Est 1,11 Vg für Vasthi oder auch in Est 2,7 Vg für Hester.126 Elegans hingegen bedeutet in Bezug auf Figuren „gewählt, geschmackvoll, nobel, anständig, gebildet“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1836).127 Durch die Beschreibung Iudiths mit dem Wort elegans wird die Aussage gegenüber der LXX deutlich verschoben. In der LXX wird Judit als äußerlich schön beschrieben (Jdt 8,7). Die Vg sagt aber zunächst nicht, dass Iudith schön ist, sondern nur, dass ihr Äußeres nobel, gebildet und anständig wirkt.128 Ferner dient die explizite äußere Beschreibung Iudiths an dieser Stelle nicht dazu, ihren Gang ins Lager der Assyrer vorzubereiten, für den sie die Schönheit braucht, wie es in der LXX-Fassung und in Hs 151 der Fall ist, sondern ihre spätere Erwählung durch Gott plausibel zu machen (Idt 10,4a–d). Von Hieronymus selbst ist eine stark wertende, äußere Beschreibung Iudiths in Ep. 54 überliefert: „[…] legimus in Iudith […] uiduam confectam ieiuniis et habitu lugubri sorditatam, quae non lugebat mortuum uirum, sed squalore corporis sponsi quaerebat aduentum […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484). „[…] Das Buch Judith […] handelt von einer Witwe, welche das Fasten arg mitgenommen hatte und die in ihrer Trauerkleidung jeden Reizes bar war. Sie beweinte nicht etwa ihren verstorbenen Gatten, sondern erwartete trotz ihres sie entstellenden Äußeren die Ankunft des himmlischen Bräutigams […]“129.

Auch in dem Briefzitat wird Iudith eindeutig keine Schönheit zugesprochen. Vielmehr bewirke das Fasten nach Ansicht des Hieronymus das genaue Gegenteil.

126 Vgl. auch Rakel, Judit, 205. Auch venusta wäre denkbar gewesen, das die Vg mit decora ausschließlich auf Rahel bezieht (Gen 29,17 Vg), oder formonsa „schön, wohlgestaltet“, das die Vg z.B. in Bezug auf Ester verwendet (Est 2,15 Vg). pulcher, ‑ra wird zusammen mit decorus, -a für Rebecca (Gen 24,16 Vg), David (1 Sam 16,12 Vg) und Hester (Est 2,7 Vg) verwendet. 127 In der Vg werden außer Iudith nur noch Moses als Säugling (Ex 2,2; Heb 11,23 Vg) und Tamar (2 Sam 14,27 Vg) mit diesem Wort beschrieben. 128 Die zur Umsetzung der Rettung Israels erforderliche „Schönheit“ wird Iudith erst in Idt 10,4 Vg von Gott erhalten (vgl. Idt 10,4.7.14; 11,19; 16,11 Vg). 129 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167). Vgl. dazu auch Hieronymus, Ep. 22,25: „[…] oras: loqueris ad sponsum; […] zelotypus est Iesus, non uult ab aliis uideri faciem tuam. […]“ Ep. 22,25 (CSEL 54, 178, 180). „[…] Betest Du, so sprichst Du mit Deinem Bräutigam […] Jesus ist eifersüchtig. Er will nicht, daß ein anderer Dein Antlitz sieht. […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91–92).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Diese Einschätzung von Iudiths Äußerem aber ist durch keine einzige Textfassung gedeckt. Iudith wird in der Briefliteratur nicht nur mangelnde Schönheit zugeschrieben, wie es nach Idt 8,7 anzunehmen wäre, sondern darüber hinaus sogar ein entstelltes Äußeres. Das passt dazu, dass ihre Erscheinung in der VgFassung eben nicht als „schön“, sondern nur als „anständig“ (elegans) bewertet wird. Das Fasten unter Vernachlässigung des Äußeren bis hin zur Unreinlichkeit empfiehlt Hieronymus auch in seinen Briefen: „[…] cum ieiunas, laeta sit facies tua. uestis nec satis munda nec sordida et nulla diuersitate notabilis […]“ Hieronymus, Ep. 22,27 (CSEL 54, 183). „[…] Fastest Du, dann tue es heiteren Angesichtes. Dein Kleid trage keine gesuchte Reinlichkeit zur Schau, aber es sei auch nicht vernachlässigt und wirke durch keine Besonderheit auffällig […]“130.

Er berichtet in Ep. 108 über die Witwe Paula: „[…] lasciuientem adulescentularum carnem crebris et duplicatis frangebat ieiuniis malens eas stomachum dolere quam mentem. si uidisset aliquam comptiorem, contractione frontis et uultus tristitia arguebat errantem dicens munditiam corporis atque uestitus animae esse inmunditiam et turpe uerbum atque lasciuum numquam de ore uirgineo proferendum, quibus signis libidinosus animus ostenditur et per exteriorem hominem interioris hominis uitia demonstrantur. […]“ Hieronymus, Ep. 108,20 (CSEL 55, 335). „[…] Die Regungen der Fleischeslust ertötete sie in den jungen Mädchen durch häufiges und verdoppeltes Fasten; denn eher sollte der Magen leiden als der Geist. Bemerkte sie eine Jungfrau, die zu sehr aufgeputzt war, dann wies sie die Fehlende durch Stirnrunzeln und eine betrübte Miene zurecht. Zugleich bemerkte sie: ‚Putzsucht am Körper oder in der Kleidung verrät Unreinheit der Seele. Ein häßliches und unanständiges Wort darf niemals über jungfräuliche Lippen kommen. In diesen Anzeichen offenbart sich ein lüsternes Herz. Die äußere Haltung des Menschen ist ein Spiegelbild der Fehler in seinem Innern‘ […]“131.

Auch sollen die Jungfrauen keine Badehäuser aufsuchen: „[…] balnearum calor nouum adulescentiae sanguinem non incendat […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96). „[…] Dein junges Blut soll sich in den heißen Bädern nicht von neuem aufpeitschen lassen […]“132.

130 Hieronymus, Ep. 22,27 (BKV2 Zweite Reihe 16, 94). 131 Hieronymus, Ep. 108,20 (BKV1 15, 132). 132 Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325).



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

 151

Der Körper soll vernachlässigt werden: „[…] mihi omnino in adulta uirgine lauacra displicent, quae se ipsam debet erubescere et nudam uidere non posse. si enim uigiliis et ieiuniis macerat corpus suum et in seruitutem redigit, si flammam libidinis et incentiua feruentis aetatis extinguere cupit continentiae frigore, si adpetitis sordibus turpare festinat naturalem pulchritudinem, cur e contrario balnearum fomentis sopitos ignes suscitat? […]“ Hieronymus, Ep. 107,11 (CSEL 55, 302). „[…] Mir will es überhaupt nicht passen, daß eine erwachsene Jungfrau badet, die vor sich selbst erröten soll, wenn sie sich unbekleidet sieht. Wenn eine Jungfrau ihren Körper durch Wachen und Fasten kasteit und in Knechtschaft hält,  wenn sie danach strebt, das Feuer der Leidenschaft und die Glut des jugendlichen Alters durch die Kühle der Enthaltsamkeit auszulöschen, wenn sie durch gewollte Nachlässigkeit ihre körperliche Schönheit entstellt, wozu soll sie dann durch warme Bäder das gedämpfte Feuer wieder anfachen? […]“133.

Es fällt einmal mehr auf, dass diese Positionen mit den Vg-spezifischen Abänderungen konvergieren. Dass Iudith die Möglichkeit hat, das beschriebene fromme Leben zu führen, hängt nicht zuletzt von den Rahmenbedingungen ab, in denen sie lebt. So erfährt der Lesende vom umfangreichen Besitz, über den Iudith nach dem Tod ihres Mannes verfügt: Denn „ihr Ehemann hatte ihr großen Reichtum hinterlassen, eine zahlreiche Dienerschaft und umfangreichen Besitz an Rinderscharen und Schafherden“ (Idt 8,7b).134 Alle Hinterlassenschaften werden jeweils durch Verwendung der Pluralform noch einmal hervorgehoben. Die gleiche Funktion erfüllt auch der antiklimaktische Aufbau der Aufzählung.135 Durch diesen Reichtum kann Iudith die Führung ihrer Geschäfte Bediensteten überlassen, was es ihr wiederum zeitlich ermöglicht, ein asketisches Leben zu führen. Wegen diesem wird sie von Gott bei der das Volk Israel rettenden Handlung unterstützt werden (vgl. Idt 10,4). Insofern dient der Reichtum dem Fortgang der Handlung. Der HT (und damit auch die Vg) kennt positive und negative Auslegungstraditionen des Reichtums, wobei hier die positive Wertung ausschlaggebend ist: In positivem Sinne steht Reichtum einerseits für ein Geschenk Gottes (1 Sam 2,7 HT/

133 Hieronymus, Ep. 107,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 399). 134 In Jdt 8,7 LXX/Hs 151 wird der Besitz – ebenfalls antiklimaktisch – beschrieben. In der Vg fallen die Dubletten weg, thematisch bleibt die Aufzählung aber gleich. 135 Die Rinder sind als größere Tiere dem Kleinvieh (Schafe und Ziegen) übergeordnet. Iudith ist aber so reich, dass sie Herden von beidem besitzt; vgl. Koenen/Mell, Viehwirtschaft/Haustiere, 618–619.

152 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Vg) und ist andererseits Ausdruck seines Segens (Gen 24,35; Dtn 8,17–18 HT/Vg).136 Iudiths Reichtum zeigt also, dass sie von Gott beschenkt und gesegnet ist.137 Dass ihr Mann reich war, wurde bereits implizit erwähnt (Idt 8,3a). Dass Iudith nach dessen Tod reich ist, ist eine neue Information. Dass Iudith eine reiche Witwe ist, ist eine weitere Parallele zu den Witwen der Asketinnenzirkel Roms.138 Auch die Briefliteratur des Hieronymus zeichnet zahlreiche Beispiele von reichen Witwen und Jungfrauen nach, die ihr Geld für die asketische Lebensführung verwenden (Beispiele dazu, vgl. zu Idt 10,2b–3h.19a; 12,1). Diese Lebensweise, die Iudith aufgrund ihres Reichtums führen kann, hat zur Folge, dass sie bei allen (gemeint ist wohl das Volk von Bethulia) in höchstem Ansehen steht und es niemanden gibt, der über sie ein schlechtes Wort spricht (Idt 8,8a–c).139 Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Ältesten auf ihren Ruf hin zu ihr kommen und ihr Gehör schenken (Idt 8,9a2–10a). LXX/Hs 151 kennen nur die Information, das niemand ein schlechtes Wort über Judit spricht (καὶ οὐκ ἦν ὃς ἐπήνεγκεν αὐτῇ ῥῆμα πονηρόν / Et non erat qui inferret ei uerbum malum, Jdt 8,8). Dass Iudith bei allen in höchstem Ansehen steht, ist ein Vg-spezifischer Zusatz. Dass das asketische Leben mit der Anerkennung der Öffentlichkeit belohnt wird, legt bereits die sich verändernde Gesetzgebung gegenüber Witwen und Jungfrauen nahe (vgl. S. 134–135). Auch dass Hieronymus immer von Frauen schreibt, die nur so tun, als gehörten sie diesem Stand an, lässt darauf schließen (vgl. dazu Idt 8,5a sowie Hieronymus, Ep. 22,27 [CSEL 54, 183–184]; 38,4 [CSEL 54, 292]). Von daher ist es nicht überraschend, dass es sich bei Idt 8,8a um einen Vg-spezifischen Zusatz handelt. Dennoch bleibt anzumerken, dass sich die Frauen, die sich in Rom tatsächlich für ein asketisches Leben entschieden haben, vor ihren ablehnenden Familien und ihrer misstrauischen Umwelt rechtfertigen und behaupten mussten.140 Und auch die wechselnde Gesetzgebung zeigt ein ambivalentes Bild bezüglich der Anerkennung des Standes der Witwenschaft, wenn geweihte Jungfrauen geschützt, Spenden an die Kirche jedoch reglementiert werden (vgl. zu Idt 8,1b). Das „höchste Ansehen bei allen“, das die keusche Lebensführung mit sich bringen soll, ist also mehr literarisches Konstrukt, denn reale Erfahrung. In Idt 8,8b erfolgt die Begründung, warum Iudith einen guten Ruf beim Volk hat, nämlich weil sie den Herrn sehr fürchtet (Idt 8,8d). Jdt 8,8 LXX/Hs 151 enthal-

136 Vgl. Schäfer-Lichtenberger/Schottroff, Reichtum/Luxus, 466–467. 137 Die gleiche Deutung des Motivs findet sich in Idt 15,8, wo die Bewohner Bethulias nach der Plünderung des assyrischen Lagers reich werden. 138 Vgl. Fürst, Hieronymus, 52. 139 Famosus ist in der Vg nur noch in Gen 6,4; Ez 23,10; 2 Makk 2,23 Vg belegt, im Superlativ steht es nur in 2 Makk 2,23 Vg und ist auf den Tempel bezogen. 140 Vgl. dazu Krumeich, Hieronymus und die christlichen feminae clarissimae, 302.



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

 153

ten eine (wort)wörtliche Entsprechung. Gottesfurcht kommt noch zwei Mal innerhalb des Buches Iudith vor: Auch in Idt 8,28b ist der Begriff auf Iudith bezogen, in Idt 16,19 ist es Iudith, die darüber belehrt. Gottesfurcht ist nach den hebräischen Texten (und damit auch den lateinischen Texten) eine Bezeichnung für das rechte Verhalten vor Gott (Gen 22,12 HT/Vg), wozu die sittlich-fromme Haltung (z.B. Gen 20,11; 22,12 HT/Vg), die Orientierung an den Geboten (z.B. Ps 112,1 HT//Ps 111,1 Vg; 119,63 HT//118,63 Vg) und die kultische Gottesverehrung gehören.141 Alle drei Merkmale lassen sich für Iudith bestätigen. Gottesfurcht, Weisheit und Schönheit werden in hellenistischer Weisheitsliteratur miteinander verbunden (Sir 26,13–18):142 So skizziert Jdt 8,1–10 LXX/Hs 151 Judit als eine Figur, die dieses Ideal erfüllt. Der Zusammenhang von äußerer Schönheit und innerer Rechtschaffenheit143 lässt sich jedoch in der Vg wegen der Beschreibung von Iudiths Äußerem durch elegans nicht mehr auf die Vg übertragen (Idt 8,7): Die Schönheit ist mithin nicht länger notwendig, um gottesfürchtig zu sein, sondern sogar eher hinderlich dafür, wie sich aus den Briefen des Hieronymus schließen lässt. Gottesfurcht fasst eindeutig noch immer Iudiths zuvor entfaltete Lebensweise zusammen, jedoch ist Schönheit nicht länger Bestandteil derselben. Die in der Vg abgewandelte Figur erinnert eher an das hieronymianische, ideale, asketisch lebende Frauenmodell der Spätantike. Nicht die von Gott gegebene, äußere Schönheit, wie LXX/Hs 151 es vorgeben, ist ein Signal für Iudiths innere Rechtschaffenheit, sondern vielmehr der gelebte Verzicht auf Verschönerung. Das heißt gleichzeitig, dass die von Hieronymus favorisierte Lebensweise für Witwen gleich mit einem gottesfürchtigen Leben ist.

3.2.4 Iudiths erste Handlung (Idt 8,9a–10b) Der vierte Abschnitt (Idt 8,9a–10b) führt unter Wiederholung von cum audisset (Idt 8,1a.9a) zurück ins aktuelle Geschehen: Es wird noch einmal zusammengefasst, was Iudith gehört hatte, nämlich die Zusage der Auslieferung der Stadt an das Volk von Bethulia durch Ozias (Idt 7,25). Als Reaktion darauf ersucht sie die Ältesten um ein Gespräch, wobei nur Chabris und Charmin, nicht aber Ozias, gerufen werden. Auffällig ist, dass Idt 8,9b Vg das Zugeständnis des Ozias an

141 Vgl. dazu Strecker, Gottesfürchtige/Proselyt/Proselytin (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 228. 142 Vgl. auch Rakel, Über Schönheit, Macht und Widerstand im Krieg, 208. 143 Vgl. dazu Rakel, Über Schönheit, Macht und Widerstand im Krieg, 207–208; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 407–408.

154 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

das Volk mit dem Wort „versprechen“ (promittere) bezeichnet, während, Jdt 8,9 LXX/Hs 151 das stärkere „schwören“ (ὄμνυμι / iurare) schreiben (vgl. dazu auch Idt 13,7c).144 In Jdt 8,10 LXX/Hs 151 wird Judits Dienerin (ἅβρα) zu den Ältesten geschickt– nur die LXX schreibt zusätzlich, dass diese die Aufsicht über ihren Besitz führt (καὶ ἀποστείλασα τὴν ἅβραν αὐτῆς τὴν ἐφεστῶσαν πᾶσιν τοῖς ὑπάρχουσιν αὐτῆς) und damit die verantwortungsvolle Position inne hat, die wahrscheinlich Manasse vor seinem Tod ausgeübt hat (Jdt 8,3). Judits Abra (ἅβρα) erfüllt in der LXX die gleiche Aufgabe wie Bagoas, der Diener des Holofernes (Jdt 12,11). In der Vg-Fassung aber wird die abra erst später eingeführt (vgl. Idt 8,32b). Erst ab dann greift die mentale Modellbildung der Figur der abra für den zeitgenössischen Lesenden. Wie auch in Hs 151 weiß die Vg-Fassung nichts von der Aufsehertätigkeit der weiblichen Dienerin, womit gleichzeitig die Parallele zu Bagao, dem Diener des Holofernis entfällt. Die Ältesten folgen dem Ruf Iudiths und kommen zu ihr (Idt 8,9d–10a Vg; so auch in Jdt 8,10 LXX/Hs 151).145 Nach Jdt 8,5.10 LXX/Hs 151 wird Judit die Ältesten wohl in dem Zelt auf dem Dach ihres Hauses empfangen,146 in der Vg-Fassung hingegen wahrscheinlich in dem Raum, in dem sie sich umgeben von ihren Dienerinnen aufhält (Idt 8,5.10 Vg). Aus den Briefen des Hieronymus jedenfalls lässt sich eine derartige Empfehlung für solche Situationen entnehmen: „[…] si sermocinandi cum uiris incumbit necessitas, arbitros ne deuites tantaque confabulandi fiducia sit, ut intrante alio nec paueas nec erubescas. […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, mit Männern reden zu müssen, so geschehe es in Gegenwart von Zeugen. Die Vertraulichkeit in der Unterhaltung soll nur soweit gehen, daß Du, wenn ein dritter hinzukommt, nicht zu erschrecken noch zu erröten brauchst […]“147.

Fazit In Idt 8,1a–10b wird Iudith eingeführt. Diese Einführung enthält einige Vg-Spezifika: Dazu gehört die Iudiths Einführung strukturierende Wiederholung des Satzes haec cum audisset „als sie dies gehört hatte“ (Idt 8,1b.9a): Denn Jdt 8,1 LXX/Hs 151 lassen den Satz unvollständig beginnen und erst in Jdt 8,9 LXX/

144 Iurare kommt nur in Idt 1,12 Vg vor und ist auf Nabuchodonosor bezogen. 145 Idt 8,10a.b enthalten einen Parallelismus nach dem Schema: Konjunktion – Prädikat – Dativ-Objekt. 146 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 248–249. 147 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 162).



3.2 Iudiths Einführung (Idt 8,1a–10b) 

 155

Hs 151 abschließen, wohingegen Idt 8,1a–c Vg ein abgeschlossener Satz ist. Dabei handelt es sich möglicherweise um eine Korrektur. Zudem wird die Wiederholung von haec cum audisset in Idt 8,9a Vg-spezifisch durch Hinzufügung von itaque „deshalb“ kausal eingebettet.148 Idt 8,2 Hs 151/Vg streichen auch die Information, dass Manasse aus Iudiths „Stamm und Geschlecht“ ist (Jdt 8,2). Das ist außergewöhnlich, weil Männer sich in biblischen Texten nicht über den Stammbaum ihrer Frau definieren, sondern umgekehrt.149 Nach Darstellung von LXX/Hs 151/Vg ist die Einführung von Zeichen der persönlichen Frömmigkeit durchzogen: Die Iudith der Vg (wie die der LXX/Hs 151) weist eine fromme Abstammung auf, in Idt 8,1 Hs 151/Vg bis auf die Jakobssöhne Symeon und Ruben, in der LXX bis auf Jakob selbst, der mit seinem Würdenamen Israel bezeichnet wird. Sie trägt das „Bußgewand“ (cilicium Idt 8,6a), „fastete“ (ieiunabat Idt 8,6a) und das „alle Tage ihrer Witwenschaft“ mit Ausnahme der jüdischen Feiertage (Idt 8,4a.6a). Nur das Leben in Abgeschiedenheit im oberen Bereich ihres Hauses, umgeben von ihren Mädchen (Idt 8,5a–b) und das höchste Ansehen bei allen (Idt 8,8a) sind Vg-spezifische Zusätze. Das Besondere in der LXX-Fassung ist, dass Judit eine außerordentliche, über das Maß der Notwendigkeit hinausgehende Frömmigkeit lebt.150 Die Vg-Fassung setzt indes einen ganz eigenen Akzent: Denn die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass Iudith in großem Maße Parallelen zu den asketisch lebenden reichen und belesenen Witwen und Jungfrauen der adeligen Oberschicht im Rom der Spätantike in ihrer Lebensführung – wie Hieronymus sie in seinen Briefen beschreibt – aufweist:151 So ist auch Iudith eine Witwe, die von ihrem Mann zurückgelassen wurde (Idt 8,4a). Hieronymus hat gerade solchen Frauen, wenn sie über die entsprechenden Mittel verfügten, d.h. Teil der Ober-

148 In der Vg ist auch die ähnlich parenthetische Konstruktion von Jdt 1,1.5 LXX/Hs 151, wo Nabuchodonosor vorgestellt wird, nicht gegeben. Idt 8,1 Vg kennt auch keine Zeitangabe. In Jdt 8,1 LXX/Hs 151 verweist diese, auf Jdt 1,1.5 LXX/Hs 151 zurück. 149 Vgl. dazu Gera, Judith, 258–259. Die lateinischen Fassungen kennen den Bestattungsort Manasses nicht. 150 Vgl. zur Darstellung in der LXX-Fassung: Schmitz/Engel, Judit, 242–246. 151 Auch Siquans fasst die Vorstellung, wie eine asketische Frau nach Hieronymus zu leben hat, in mehreren Punkten zusammen: Dazu gehören Bibelstudium und das Lesen der Schriften von Vätern, Gebet, Fasten, Wollarbeit, das Einhalten der Keuschheit insbesondere, Widerstand gegen die Ruhmsucht; Siquans, Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption, 493–494. Priero bezeichnet Iudiths Leben, als asketisches Leben, wozu er drei Elemente zählt: den Rückzug, die Kleidung und das Fasten, vgl. Priero, Giuditta, 84; ähnlich auch Miller, Das Buch Judith, 191.

156 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

schicht waren, statt einer Wiederverheiratung vielfach die Lebensalternative aufgezeigt, ein asketisches Leben zu führen. Eine weitere Ähnlichkeit ergibt sich aus der Vg-spezifischen Abänderung bzw. Hinzufügung, nach der Iudith sich in einem Gemach im Oberen des Hauses und zwar umgeben von ihren Mädchen aufhält (Idt 8,5a–b): Das bequeme, für gesellschaftliche Zusammentreffen offene Gemach der Vg entspricht den „gemäßigt asketischen“ Vorstellungen der römischen Damenwelt und deren unmittelbarem Lebenskontext. Auch das fortwährende Tragen des Bußgewands (cilicium) ist eine in den Briefen überlieferte Parallele. Zudem ist das kontinuierliche Fasten, ein Ratschlag, den Hieronymus der in Askese lebenden Frau gibt: Fasten begünstige die Einhaltung des Keuschheitsgelübdes und verlagere den Fokus des Bemühens weg vom Äußeren und hin zum Gebet. Dass Iudith bisher nicht vierzig Monate, sondern zweiundvierzig Witwe ist, wird in diesem Kontext plausibel: So assoziiert der Lesende mit vierzig Monaten die vierzig Jahre des Volkes Israel in der Wüste, eine symbolische, sehr lange Dauer, die von Entbehrungen zeugt, aber von Gott nach dieser Zeit beendet wird. Das asketische Fasten aber ist etwas, was das ganze Leben lang andauern soll, und Zeichen und Bestandteil einer bewussten gottgefälligen Lebensweise ist.152 Fasten soll nicht nur helfen, den Körper bei der Keuschheit zu unterstützen, es steht auch im Gegensatz zur ausschweifenden, dekadenten Lebensweise der römischen Bürger der Spätantike, gegen die Hieronymus sich eingesetzt und wegen der er sich viele Feinde gemacht hat.153 Des Weiteren ist die Beschreibung Iudiths als elegans „nobel, gebildet, anständig“ zu nennen, was eine deutliche Verschiebung der Aussage der LXX/ Hs 151 ist, wo Judit als äußerlich schön beschrieben wird (Jdt 8,7 LXX/Hs 151). In der Vg-Fassung wird Iudith nicht als äußerlich schön beschrieben. Der innere Zusammenhang zwischen Schönheit und Gottesfurcht, der in der LXX-Fassung (und der Hs 151) gegeben ist, ist in der Vg-Fassung aufgebrochen. Briefzitate des Hieronymus belegen dessen ausdrückliche Empfehlung auf äußere Schönheit zu verzichten und unterstützen die These, dass dieser eine natürliche Schönheit Iudiths nicht in seiner Übersetzung transportieren wollte, sondern vielmehr die Botschaft, dass Fasten und Lebensführung geradezu das Gegenteil bewirkten. Schönheit ist in der Vg-Fassung nicht notwendig, um gottesfürchtig zu sein, sondern, wenn man die Briefzitate betrachtet, sogar eher hinderlich dafür. Schönheit wird in der Vg-Fassung von einem positiven Attribut zu einem negati-

152 Vgl. Fürst, Hieronymus, 43; Iudith wird nach ihrer Tat das asketische Leben wieder aufnehmen, wie Vg und LXX (Idt 16,26 Vg; Jdt 16,22 LXX/Hs 151) betonen und was auch Hieronymus in Ep. 54,21 (CSEL 54, 483–484) erwähnt (vgl. dazu Idt 16,26). 153 Vgl. auch Hieronymus, Ep. 18,19 (CSEL 54, 100–101); Ep. 52,17 (CSEL 54, 440–441).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

 157

ven abgewertet. Die explizite äußere Beschreibung Iudiths als „anständig, nobel“ dient nicht dazu, ihren Gang ins Lager der Assyrer vorzubereiten, für den sie die Schönheit braucht, sondern ihre spätere Unterstützung durch Gott plausibel zu machen (Idt 10,4a–d). Eine weitere Parallele zwischen Iudith und den gemäßigt asketischen Frauen liegt im Reichtum (Idt 8,7b), der Selbstständigkeit und Freiheit ermöglicht und den die in Askese lebenden Römerinnen gerade nicht zur Selbstverschönerung und Selbstdarstellung sowie zum Feiern berauschender Feste, sondern genau im Gegenteil, für ein bescheidenes Leben in Zurückgezogenheit und Frömmigkeit einsetzen. Schließlich sei der Vg-spezifische Zusatz erwähnt, nach dem Iudith beim ganzen Volk in höchstem Ansehen steht (Idt 8,8a). Auch die Anerkennung von außen hat Hieronymus den Asketen und Asketinnen in seinen Briefen als Belohnung in Aussicht gestellt. All diese Maßnahmen dienen nach der Briefliteratur des Hieronymus der Erhaltung des Keuschheitsgelübdes. Dass Iudith über die Tugend der „Keuschheit“ (castitas) verfügt, hat er bereits vorab in seiner praefatio zum Buch Iudith betont (Z. 9.11). Ohne es an dieser Stelle erneut lesen zu müssen, kann der zeitgenössische Lesende in der Darstellung Iudiths das Profil der asketischen Witwe seiner Zeit erkennen und wird sich an die Keuschheit im Zusammenhang mit Iudith erinnern, je mehr dazugehörige Aspekte aufgezählt werden. Anders ist das Witwenbild, das in LXX (und Hs 151) gezeichnet wird: Das Motiv der Witwenschaft (Jdt 8,4.5.6; 9,4.9; 10,3; 16,7 LXX) steht in der LXX-Fassung und damit auch in der Hs 151 nicht im Zusammenhang mit einer Keuschheit Judits, sondern ist notwendig, um – zusammen mit ihrem Reichtum – ihre Unabhängigkeit zu erklären. Eine weitere Vg-spezifische Abänderung ist, dass eine unbenannte Figur zu den Ältesten geschickt wird (Idt 8,9d), während in LXX/Hs 151 Judits ἅβρα den Auftrag erhält und gleichzeitig als neue Figur eingeführt wird, was in der Vg erst in Idt 8,32b der Fall sein wird. Dabei streichen Hs 151/Vg auch die Bemerkung der LXX, dass die ἅβρα die verantwortungsvolle Aufsicht über Judits Besitz hat (Jdt 8,9 LXX) und werten deren Position damit ab. Interessant ist ferner, dass die Vg-Fassung das Zugeständnis des Ozias mit dem schwächeren Wort promittere „versprechen“ beschreibt, statt ὄμνυμι /iurare „schwören“ zu verwenden, wie in Jdt 8,9 LXX/Hs 151 vorgegeben.

3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e) Mit Idt 8,10c beginnt die erste Rede Iudiths. Durch den Figurenredewechsel ergibt sich eine Struktur von vier Abschnitten: Zunächst beginnt Iudith die Rede

158 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

(Idt 8,10c–27e), die von den Ältesten erwidert wird (Idt 8,28a–29b), Iudith antwortet ihrerseits (Idt 8,30a–33d) und schließlich antworten die Ältesten erneut (Idt 8,34a-e).

3.3.1 Iudiths Rede an die Ältesten (Idt 8,10c–27e) Der erste Abschnitt (Idt 8,10c–27e) mit dem ersten Teil der Rede Iudiths lässt sich aufgrund von grammatischen Personenwechseln – erkennbar an den Hauptsatzprädikaten und den Proformen bzw. Pronomina – und den einleitenden Signalwörtern in vier Unterabschnitte gliedern: Idt 8,10c–13b

Idt 8,14a–20e

Idt 8,21a2–25b

Idt 8,26a–27e

2. Pl: ihr

1. Pl: wir

2. Pl ihr / 3. Pl. Sie

1. Pl: wir

Sed quia

Et nunc

Et ergo

Iudiths Rede weist im ersten Unterabschnitt (Idt 8,10c–13b) eine Häufung von Prädikaten (Idt 8,11a.b.13a.b) in der zweiten Person Plural sowie Pronomina in der zweiten Person Plural auf (Idt 8,10.11a.13a.b), wodurch die Ältesten direkt angesprochen werden. Der zweite Unterabschnitt (Idt 8,14a–20e) wird durch sed quia „aber weil“ (Idt 8,14a) eingeleitet. Es häufen sich nun Prädikate (Idt 8,14b.c.16a.17 a.d.18a.19b.20a.b) und Proformen (Idt 8,16a.17b.c.d.18a19b.20b.d.e) in der ersten Person Plural. Noch immer sind die Ältesten angesprochen, aber diesmal bezieht Iudith sich in ihre Rede mit ein.154 Ab dem dritten Unterabschnitt (Idt 8,21a2–25b), der mit et nunc „und nun“ eingeleitet wird, finden sich zunächst wieder gehäuft Formen in der zweiten Person Plural: Prädikate in Idt 8,21b.c, Proformen in Idt 8,21a1.a2.c, ab Idt 8,21e beginnen Pronomina der ersten Person Plural, die erst mit dem Ende der Rede in Idt 8,27e enden, wobei ab Idt 8,21d auch gehäuft Formen der dritten Person Singular und Plural auftreten (Prädikate der dritten Person Plural in Idt 8,21d.g.22a.23b. a2.24b.c.25a2.b; dritte Person Singular in Idt 8,22b.c).155 Der vierte Unterabschnitt (Idt 8,26a–27e) enthält wieder Formen der ersten Person Plural.

154 Keine Form der ersten Person Plural findet sich in Idt 8,14a.15a.b.18b–19a.20c. 155 Von Idt 8,21d–25b finden sich nur zwei Pronomina der ersten Person Plural (Idt 8,21e.22b) und ein Hauptsatzprädikat (Idt 8,21f).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

 159

3.3.1.1 Barmherzigkeit oder Zorn Gottes (Idt 8,10c–13b) Im ersten Unterabschnitt wirft Iudith den Ältesten ihr Fünf-Tages-Ultimatum als „Versuchen“ Gottes vor und untermauert dies, indem sie deren Vorgehen ihrem theologischen Wissen gegenüberstellt (Idt 8,12a1–14c). Ihre Anklage wird mit zwei rhetorischen Fragen eingeleitet: „Was ist das für ein Wort?“ (Idt 8,10c). In drei Nebensätzen (Idt 8,10d-f) wird die erste Frage als das Fünf-Tage-Ultimatum des Ozias an Gott entfaltet (vgl. dazu Idt 7,25; 8,9). In der zweiten rhetorischen Frage „und wer seid ihr, dass ihr den Herrn versucht?“ (Idt 8,11a–b) schwingt bereits der Vorwurf der Hybris an die Ältesten mit. Dann schließt sich die theologische Beurteilung an, nach der die Redeweise der Ältesten keine Barmherzigkeit, sondern eher Zorn und Wut hervorrufe (Idt 8,12a1–d).156 Idt 8,10c–f Vg ist gegenüber der Parallelstelle in Jdt 8,11 LXX/Hs 151 stark verkürzt: Jdt 8,11 LXX/Hs 151 enthalten eine breitere Einspielung von Jdt 7 und den für die Weisheitstradition typischen Aufmerksamkeitsruf (ἀκούσατε δή μου / audite).157 Außerdem wird die negative Qualifizierung des Ultimatums des Ozias an Gott als „nicht gerechter oder richtiger Eid“ in der Vg-Fassung ausgelassen (Jdt 8,11 LXX/Hs 151). Bereits in Idt 8,9 Vg hat das schwächere promittere „versprechen“ das stärkere ὄμνυμι, „schwören“ der LXX bzw. iurare der Hs 151 zur Qualifizierung des Fünf-Tage-Ultimatums ersetzt. Es scheint, als würde hier gleich zwei Mal eine subtile Aufwertung der Position der Ältesten vorliegen. Das Verb „versuchen“ ‫ נסה‬/ πειράζω / temptare kann im hebräischen Text sowohl Gott als auch den Menschen zum Subjekt haben:158 Ziel der Versuchung durch Gott kann es sein, beim Menschen Gottesfurcht zu erproben bzw. zu sehen, ob die Tora befolgt wird (vgl. Gen 22,1.12; Ex 15,25–26; 16,4; 20,20; Dtn 8,2; 13,4 HT/Vg). Gerade in weisheitlichen Texten wird die das ganze Leben lang andauernde „Versuchung“ durch Gott pädagogisch zur Erziehung des Menschen eingesetzt, wobei Abraham als Vorbild gesehen werden kann (Idt 8,22a; Sir 44,20–21; 1 Makk 2,52 LXX/Vg).159 Auch im NT dient die Versuchung der Bewährung des Glaubens (Jak 1,3; 1 Petr 1,7 NA/Vg, aber unter Verwendung von δοκιμάζω / probare „prüfen“).160 Das Versuchen Gottes durch den Menschen gilt als das typi-

156 Temptare „versuchen“ wird insgesamt vier Mal und ausschließlich im achten Kapitel innerhalb des Buches Iudith verwendet (Idt 8,11.21.22.24), je dreifach in Jdt 8,12.25.26 LXX/Hs 151. Das Zornmotiv verwenden die Parallelfassungen erst in Jdt 8,14 LXX/Hs 151. 157 Vgl. auch Zenger, Das Buch Judit, 487. 158 Vgl. Sedlmeyer/Leutzsch, Versuchung (NBL 3), 1022. 159 Vgl. Sedlmeyer/Leutzsch, Versuchung (NBL 3), 1023. 160 Vgl. Sedlmeyer/Leutzsch, Versuchung (NBL 3), 1023.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

sche Verhalten der Wüstengeneration (bspw. in Ex 17,7; Num 14,22).161 Überhaupt ähneln sich die Situationen von Ex 17 (Zug des Volkes Israel durch die Wüste Sinai unter Mose und Aaron) und Jdt 7.8 LXX/Hs 151/Vg: Beide Erzählungen berichten vom Murren des Volkes gegen die Anführer aufgrund von lebensbedrohlichem Wasserentzug. Während Mose aber vom Herrn die erbetene Hilfe erhält, indem dieser Wasser aus einem Fel­sen sprudeln lässt (Ex 17,4.5–6), stellen die Ältesten der Iuditherzählung Gott ein Ultimatum, statt sich auf das Murren des Volkes hin hilfesuchend und vor allem vertrauend an diesen zu wenden.162 In Iudiths Rede sind beide Varianten des Versuchens realisiert: In Idt 8,11b sind es die Ältesten, die nach Iudiths Ansicht Gott versucht haben, in Idt 8,21–22.24 hingegen werden Beispiele genannt, in denen Gott den Menschen versucht. Das Ultimatum an Gott – so Iudith – werde keineswegs dazu führen, dass Gott die erhoffte „Barmherzigkeit“ (misericordia) zeigen werde (Idt 8,12a1–b). Barmherzigkeit ist in der biblischen Tradition einerseits ein zwischenmenschliches Phänomen und beschreibt andererseits die Gott-Mensch-Beziehung.163 Die Barmherzigkeit Gottes schenkt (gerade auch in den späteren griechischen Texten) Vergebung, Schutz und Leben: Gott erbarmt sich (vgl. Weish 15,1; 16,10; Sir 16,11.12 etc.), auf seine Barmherzigkeit kann man vertrauen (Bar 4,21–22; 2 Makk 6,16).164 Im Buch Iudith soll Gott dem Volk Israel seine Barmherzigkeit zeigen, indem er es rettet. Innerhalb des Buches Iudith kommt „Barmherzigkeit“ (misericordia) noch acht Mal vor (Idt 7,4.23; 8,12.17; 9,17; 10,12; 13,18.21), das griechische ὁ ἔλεος hingegen kommt nur zwei Mal in Jdt 7,30; 13,14 LXX vor (Hs 151 entsprechend misericordia).165 Stets ist Gott Subjekt der „Barmherzigkeit“ mit Ausnahme von Idt 10,12, wo die Assyrer Subjekt sind. Die größere Häufigkeit und Verwendung zeigen den Vg-spezifischen Leitwortcharakter des Wortes. In den Briefen des Hieronymus ist „Barmherzigkeit“ (misericordia) häufig, sowohl als Eigenschaft des Menschen, aber vielfach und gerade auch als Eigenschaft Gottes bzw. Christi, erwähnt. So rät er Eustochium zur Demut und nennt dabei neben „Armut“ und „Fasten“ auch die „Barmherzigkeit“:

161 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 488; Sedlmeyer/Leutzsch, Versuchung (NBL 3), 1022–1023. Zum Versuchen des Menschen vgl. auch Ex 17,2.7; Num 14,22; Ps 77,17–18.40–41 Vg. 162 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 228–229. 163 Vgl. Wehrle, Barmherzigkeit (NBL 1), 141; Stubhann, Barmherzigkeit (Herders Neues Bibellexikon), 72. 164 Vgl. Wehrle, Barmherzigkeit (NBL 1), 143. 165 Darüber hinaus finden sich die lexematisch verwandten Wörter miseratio in Idt 8,13 und misera in Idt 9,17 sowie miserere in Idt 7,20.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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„[…] ne satis religiosa uelis uideri nec plus humilis, quam necesse est, ne gloriam fugiendo quaeras. plures enim paupertatis, misericordiae atque ieiunii arbitros declinantes in hoc ipso placere cupiunt, quod placere contemnunt […]“ Hieronymus, Ep. 22,27 (CSEL 54, 183). „[…] Suche nicht den Eindruck zu erwecken, als seiest Du frömmer oder demütiger, als nötig ist. Laß Dir nicht anmerken, daß Du dem Ruhme aus dem Wege gehst; denn das hieße, ihn suchen. Manche, die gar keine Zeugen ihrer Armut, ihrer Mildtätigkeit [= Barmherzigkeit], ihres Fastens wünschen, wollen gerade dadurch Anerkennung herausfordern, daß sie ihr aus dem Wege gehen […]166.

In Ep. 130 argumentiert Hieronymus, dass sexuelle Begierde nur durch strenges Fasten und Gottes „Barmherzigkeit“ gedämpft werden kann: „[…] omnes adulterantes, quasi clibanus corda eorum, quae dei misericordia et ieiuniorum frigore restinguntur […]“ Hieronymus, Ep. 130,10 (CSEL 56/1, 93–94). „[…] Nur durch Gottes Barmherzigkeit und strenges Fasten kann die Glut in unserem Inneren gedämpft werden […]“167.

Auch Christus wird die Tugend der „Barmherzigkeit“ zugesprochen: „[…] denique consecuta est, quod optabat, et in grandi aere alieno filiam dereliquit, quod adhuc usque debens non suis uiribus, sed Christi se […] fide et misericordia reddituram. […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 325–327). „[…] Zuletzt sah sie ihren Wunsch erfüllt und ließ ihre Tochter in großen Schulden zurück, an welchen diese heute noch trägt, die sie aber, wenn nicht aus eigenen Kräften, dann im Glauben an die Barmherzigkeit Christi zurückzuzahlen hofft […]“168.

Die Textbelege zeigen, dass zum Bemühen des Menschen, das Gute und Richtige zu tun, für ein Gelingen immer auch die Unterstützung Gottes in Form von „Barmherzigkeit“ hinzukommen muss. Nach Idt 8,12 Vg aber ist diese nicht zu erzwingen. Die zu erwartende Reaktion Gottes auf das Fünf-Tage-Ultimatum der Ältesten sei nun gerade nicht „Barmherzigkeit“, sondern vielmehr Wut und Zorn (Idt 8,12a2–d):169 „Zorn“ als Gegensatz zur „Barmherzigkeit“ ist die Reaktion Gottes auf Vergehen des Menschen gegen Gott und die Tora.170 Die Vg nennt beides, das

166 Hieronymus, Ep. 22,27 (BKV2 Zweite Reihe 16, 94). 167 Hieronymus, Ep. 130,10 (BKV2 Zweite Reihe 16, 258). 168 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 123). 169 Idt 8,12c–d sind parallel aufgebaute Nebensätze nach dem Schema Einleitung – AkkusativObjekt – Prädikat. Idt 8,15b wiederholt das Bild des in Wut entflammten Gottes (iracundiam inflammabitur). 170 Vgl. Müllner/Untergassmair, Zorn Gottes (NBL 3), 1225.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Vergehen des Menschen als „Versuchen“ sowie das Gegengewicht der „Barmherzigkeit“, während LXX/Hs 151 nur ersteres nennen. Die Vg fügt dann unter Verwendung von miseratio „Erbarmen“ den Inhalt des „Versuchens“ hinzu und nennt damit ein weiteres Mal den Grund für den Zorn: „Ihr habt eine Frist gesetzt für das Erbarmen des Herrn und willkürlich ihm einen Tag bestimmt“ (Idt 8,13a–b).171 Interessanterweise folgt Idt 8,12–16 Hs 151 trotz Kürzungen zum Teil wörtlich Jdt 8,12–16 LXX. Die Argumentation in Idt 8,11a–13b Vg hingegen variiert stark zu der in Jdt 8,12–15 LXX/Hs 151: Während die Vg-Fassung auf die Barmherzigkeit Gottes hofft und im Folgenden unterwürfiges Weinen als Mittel vorschlägt, um diese zu erreichen (Idt 8,14c), mithin ein konkretes menschliches Tun einfordert, konkretisieren Jdt 8,12–16 LXX/Hs 151 das Versuchen Gottes als „Unglaube, Zweifel und Ungehorsam des Menschen, der den Zorn Gottes herausbeschwört“172. Erst in Idt 8,15 Vg und Jdt 8,16b LXX/Hs 151 treffen sich die Textfassungen wieder. Iudith klärt die Ältesten über die Konsequenzen ihres Handelns auf und demonstriert damit ihre theologische Kenntnis. Ihr Auftritt zeigt Wirkung, weil sie im Kontrast zu denjenigen, die das Volk in religiösem und politischem Sinn führen sollten, die Oberhand behält. Auffällig ist, dass die Rede nur in der Vg ohne eine förmliche Begrüßung eröffnet wird173 und mit Vorwürfen in knapp gehaltener und gehobener Sprechweise beginnt. So scheint es nicht als Bestandteil der Redestrategie, sich in vermeintlich kluger Taktik bei den Ältesten einzuschmeicheln, auch wenn die Beurteilung des Fünf-Tage-Ultimatums als „nicht gerechter Eid“ (Jdt 8,11 LXX) in der Vg keine Entsprechung findet und die Ältesten im Gesamten dadurch besser dargestellt werden.174 Iudith benennt den Fehler der Ältesten als „Versuchen“ Gottes (Idt 8,11b) und gibt im Folgenden zwei alternative Reaktionsoptionen Gottes: Die positive und von den Ältesten erhoffte, Reaktion wäre „Barmherzigkeit“ misericordia, die Rettung bedeuten würde (und die Vgspezifisch hinzugefügt wird), die negative „Zorn“ (Idt 8,12b.c.d), die in den Untergang führen würde. „Barmherzigkeit“ misericordia ist ein wichtiges Vg-spezifisches Leitwort, von dem her sich auch die Handlungsspielräume der Menschen im Folgenden ableiten.

171 Ad arbitrium ist nach Thielmann die richtige Schreibweise (Lev 3,3.44 Vg); vgl. Thielmann, Textkritik der Vulgata, 62. 172 Schmitz/Engel, Judit, 251. καὶ νῦν κύριον παντοκράτορα ἐξετάζετε καὶ οὐθὲν ἐπιγνώσεσθε ἕως τοῦ αἰῶνος13 ὅτι βάθος καρδίας ἀνθρώπου οὐχ εὑρήσετε καὶ λόγους τῆς διανοίας αὐτοῦ οὐ διαλήμψεσθε καὶ πῶς τὸν θεόν ὃς ἐποίησεν πάντα ταῦτα ἐρευνήσετε καὶ τὸν νοῦν αὐτοῦ ἐπιγνώσεσθε καὶ τὸν λογισμὸν αὐτοῦ κατανοήσετε μηδαμῶς ἀδελφοί μὴ παροργίζετε κύριον τὸν θεὸν ἡμῶν14 (Jdt 8,13–14 LXX); Jdt 8,14 findet auch keine Entsprechung in Hs 151 173 Das ist insofern bemerkenswert, als dass Jdt 8,11 LXX/Hs 151 nicht auf eine solche verzichten. 174 Zur höflichen Anrede von Höhergestellten im AT, vgl. Bar-Efrat, Wie die Bibel erzählt, 78–79.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

 163

3.3.1.2 Gebete unter Tränen und Selbsterniedrigung (Idt 8,14a–20e) Im zweiten Unterabschnitt wechselt die Redeweise von einem anklagenden Ton zu einer weniger vorwurfsvollen Redestrategie, was sprachlich durch den Übergang von der Anrede in der zweiten Person Plural in die erste Person Plural zum Ausdruck gebracht wird. Nachdem Iudith die Ältesten für ihre Vorgehensweise angegriffen hat, beginnt sie Handlungsalternativen zu entwickeln. Diese sind von besonderem Interesse, weil sie eine Vg-spezifische Theologie enthalten. In Vg-spezifischer Hinzufügung lässt die Vg-Fassung Iudith, weil Gott geduldig sei, die Ältesten zu Reue und einem Bittgebet unter Tränen auffordern, um Gottes Verzeihung zu erreichen (Idt 8,14a–c). Diese Idee wird in Idt 8,15a–b.18a–19b weiter entfaltet.175 Gott wird nur in der Vg-Fassung als „geduldig“ (patiens) bezeichnet (Idt 8,14a). Diese Eigenschaft wird in der Weisheitsliteratur der hebräischen und griechischen Bibel, im Unterschied zum Zornigen, demjenigen – Mensch oder Gott – zugeordnet, der den richtigen Moment abwarten kann:176 Als Eigenschaft des Menschen wird das Wort (ὑπομονή / patientia) in Röm 8,25 verwendet,177 als Eigenschaft Gottes (‫ ארך‬/ μακρόθυμος / patiens) in Ex 34,6; Num 14,18. Von Gott ausgehend bezeichnet das Wort sein Gericht, das er zurückhält, um dem Menschen Zeit zur Bekehrung zu geben.178 Weil Gott „geduldig“ im Sinne von langsam zum Zorn ist, ist noch genug Zeit vom eingeschlagenen Kurs abzukehren, das Vorgefallene zu „bereuen“ (Idt 8,14b),179 und im Zuge dessen als Zeichen der Reue an Gott von diesem unter „Tränen“ „Verzeihung“ zu erbitten (Idt 8,14c). LXX/Hs 151 schlagen das Gebet – allerdings direkt in der Hoffnung auf Rettung  – erst in Jdt 8,17 vor, in der Vg ist es bereits das zweite Mal (vgl. Idt 8,17a–b). Das Bittgebet soll unter Tränen erfolgen. Lacrima kommt insgesamt drei Mal in der Vg-Fassung vor (Idt 7,23; 8,14; 13,6) und überhaupt nicht in LXX/Hs 151: in

175 Dazu verwendet die Vg fünf Hortative (Idt 8,14b.c.16a.17a.20a), LXX/Hs 151 enthalten vergleichsweise einen (vgl. Jdt 8,17 LXX/Hs 151). 176 Geduld und Keuschheit präsentiert Hieronymus neben Weisheit und Gerechtigkeit auch im Brief an Demetrias als Tugenden Christi: „[…] felix illa conscientia et beata uirginitas, in cuius corde praeter amorem Christi, qui est sapientia, castitas, patientia atque iustitia caeteraeque uirtutes, nullus alius uersatur amor […]“ Hieronymus, Ep. 130,19 (CSEL 56/1, 201); „[…] Glücklich das Gewissen und gepriesen die Jungfräulichkeit, wenn im Herzen außer der Liebe zu Christus, der ja Weisheit, Keuschheit, Geduld und Gerechtigkeit, kurz der Inbegriff aller Tugenden ist, keine andere Liebe wohnt […]“ Hieronymus, Ep. 130,19 (BKV2 Zweite Reihe 16, 274). 177 Vgl. Ernst, Geduld (Herders Neues Bibellexikon), 234. 178 Vgl. Ernst, Langmut (Herders Neues Bibellexikon), 465. 179 Paeniteor ist an dieser Stelle einmalig in der Vg-Fassung des Buches Iudith.

164 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

7,23 hat Ozias Tränen in den Augen, wenn er seine beschwichtigende Rede an das murrende Volk richtet, in 13,6a begleiten Tränen Iudiths Gebet. Die gleiche Beobachtung zeigt sich bei der intratextuellen Verwendung von flere: Flere „weinen“ kommt sechs Mal im Buch Iudith vor (in Idt 6,14.16; 7,18.22 betet das Volk Israel unter Weinen zu Gott, in Idt 8,17 fordert Iudith dazu auf, unter Weinen zu Gott zu beten, in Idt 14,14 weint Bagoas um den Tod des Holofernis). In der LXX kommt Weinen drei Mal vor, in der Hs 151 zwei Mal parallel dazu: Jdt 7,29 LXX/Hs 151; 14,16 LXX/Hs 151; Jdt 16,17 LXX. Nur in Jdt 7,29 LXX/Hs 151 begleitet „Weinen“ das Gebet des Volkes. Die Tränen sollen zeigen, dass der Betende zutiefst berührt und innerlich aufgewühlt ist, dass er demütig und ehrlich vor Gott steht und alle Versuchungen aktiv abweist. Die Iuditherzählung nimmt hier eine Tradition auf, die sich schon in der hebräischen Bibel zeigt, wo das Weinen bereits als das Gebet verstärkende rituelle Handlung gedeutet wird (2 Sam 12,21; Joël 1,8.13; 2,17; Jer 3,21).180 Trotzdem handelt es sich beim Motiv des Weinens um keine zufällige Vg-spezifische Erweiterung. Hieronymus empfiehlt das Weinen in seinen Briefen als Begleiterscheinung des Gebets und auch Skemp hat das Weinen unter Verwendung von lacrima zur Verstärkung des Gebets als eine Vg-spezifische Erscheinung im Buch Tobit herausgearbeitet (Tob 3,11; 7,13; 12,12 Vg).181 In Ep. 22,7 berichtet der Übersetzer Eustochium von seinem Eremitendasein und von den sündigen Gedanken, die er mit dem Gebet unter Tränen vertrieben hat, und rät ihr in Ep. 22,18, es ihm ähnlich zu tun: „[…] sicubi concaua uallium, aspera montium, rupium praeupta cernebam, ibi meae orationi locus, illud miserrimae carnis ergastulum ; et, ut mihi ipse testis est dominus, post multas lac-

180 Vgl. Severus, Gebet I (RAC 9) 11,63. Weinen wird im Alten Orient auch Teil der Sitte bei Begräbnissen, Trauer und an Fasttagen willentlich hervorgerufen; Ernst, Weinen (Herders Neues Bibellexikon), 795; Lang, Weinen (NBL 3), 1074. 181 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 113, 252, 368–369, 463. Auch flere wird vermehrt verwendet, wie der Vergleich von Vg-Fassung des Buches Tobit zu den anderen lateinischen und griechischen Textfassungen zeigt: Tob 3,22; 10,3; 11,11; vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with Other ancient witnesses, 120, 309–301, 341. Gebete sind in den Briefen des Hieronymus grundsätzlich Bestandteil der täglichen religiösen Praxis. So empfiehlt er das Gebet nach dem Essen sowie mehrere Gebete täglich: „[…] Quando comedis, cogita quod statim tibi orandum, ilico legendum sit […]“ Hieronymus, Ep. 54,11 (CSEL 54, 478); „[…] Bei der Mahlzeit denke daran, daß Du gleich nachher beten und eine geistliche Lesung halten mußt […]“ Hieronymus, Ep. 54,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 160). „[…] orationi lectio, lectioni succedat oratio. […]“ Hieronymus, Ep. 107,9 (CSEL 55, 300); „[…] Lesung löse das Gebet, Gebet löse die Lesung ab! […]“ Hieronymus, Ep. 107,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 397).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

 165

rimas, post caelo oculus inhaerentes nonnumquam uidebar mihi interesse agminibus angelorum […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 154). „[…] Wo ich eine Talschlucht, einen rauhen Berg, ein zackiges Felsgebilde sah, da ließ ich mich nieder zum Gebete, da machte ich daraus einen Kerker für mein sündiges Fleisch. Gott ist mein Zeuge, nach vielem Weinen, nach ständigem Aufblick zum Himmel erblickte ich mich zuweilen inmitten der Engel […]“182.

„[…] laua per singulas noctes lectum tuum, in lacrimis stratum tuum riga. […] an non flendum est, non gemendum, cum me rursus serpens inuitat ad inlicitos cibos […]“ Hieronymus, Ep. 22,18 (CSEL 54, 166–167). „[…] Wasche allnächtlich Dein Bett und benetze Dein Lager mit Deinen Tränen! […] Habe ich etwa nicht nötig zu weinen und zu seufzen, da mich die Schlange immer wieder zu verbotenen Genüssen lockt […]“183.

Die Häufung der Vg-spezifischen Gebete unter Tränen in den Übersetzungen und Briefen zeigt die außergewöhnliche Beliebtheit des Motivs in den hieronymianischen Schriften. Das Vg-spezifische indulgentia „Verzeihung“ ist einmalig im Buch Iudith und kommt insgesamt nur fünf Mal in der gesamten Vg vor (Idt 8,14; Jes 61,1; 63,7.9; 1 Kor 7,6). Christliche Autoren bezeichnen damit „[…] Gottes Wohlwollen, seine überlegene Güte, […] seine geduldige und erbarmende Liebe gegenüber dem sündigen Menschengeschlecht […]“184. Als in diesem Kontext so genannte indulgentia divina lässt es sich mit den sinnverwandten Wörtern „Gnade“ (gratia), „Barmherzigkeit“ (misericordia), „Güte“ (bonitas) und „Gnade“ (lenitas) vergleichen, auch wenn es mit diesen nicht synonym zu gebrauchen ist.185 Sowohl „Verzeihung“ als auch „Barmherzigkeit“ werden Gott in der Rede Iudiths zugeschrieben. Zudem kommt das mit über dreihundert Belegen in der Vg sehr häufige gratia „Gnade“ drei Mal im Buch Iudith vor (Idt 10,8; 12,17; 14,9 Vg), wobei nur Idt 10,8 Gott als Subjekt hat. Gratia „Gnade“ ist in der Regel die Übersetzung des hebräischen ‫חן‬ und des griechischen χάρις (z.B. in Gen 6,8; Ex 3,21), das in Jdt 8,19.23; 10,8 LXX verwendet wird.

182 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69). 183 Hieronymus, Ep. 22,18 (BKV2 Zweite Reihe 16, 80–81). Das Weinen im Kontext religiöser Praxis und Glaubenserfahrung ist keineswegs eine Erfindung des Hieronymus, sondern hat eine breite Tradition im asketischen Kontext. Eine ausführliche Darstellung des Weinens bei den ägyptischen Wüstenvätern des vierten und fünften Jahrhunderts findet sich bei Müller, Der Weg des Weinens; vgl. auch Dodel, Das Sitzen der Wüstenväter, 91–93. 184 Munier, indulgentia (RAC 18), 75–76. 185 Vgl. Munier, indulgentia (RAC 18), 76.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Drei dieser fünf gebräuchlichen Begriffe werden in der Vg-Fassung verwendet, um Gottes Zuwendung zu beschreiben: „Verzeihung“ (indulgentia) als Eigenschaft Gottes (Idt 8,14c), „Barmherzigkeit“ (misericordia) als erhoffte Handlung (Idt 8,11b.17b) und gratia – aus der Perspektive der Ältesten – als direktes Wirken Gottes an Iudith zur Täuschung der Feinde (Idt 10,8; vgl. auch Tob 1,13). Mehrfach steht die indulgentia divina bei christlichen Autoren auch im direkten Kontext zur indulgentia peccatorum, der göttlichen Sündenvergebung.186 Peccatum „Sünde“ ist in Idt 8,17.18a ebenfalls Eigengut der Vg und wird in der Rede Iudiths als falsche menschliche Handlungsweise und damit als der göttlichen Barmherzigkeit abträglich benannt. Die Lösung wird in der Vg (parallel zu Jdt 8,16 LXX/Hs 151) mit weiteren Informationen über Gott und den Menschen begründet: „denn nicht so wie einem Menschen kann Gott gedroht werden, und nicht wie ein Menschensohn wird er zum Zorn entflammt“ (Idt 8,15a–b).187 Sowohl in Idt 8,12c–d als auch in Idt 8,15b werden die Bilder von einer „Wut“ bzw. einem „Zorn“ gezeigt, der „entfacht“ oder „entflammt“ wird, mit dem Unterschied, dass ira dem Herrn und iracundia dem Menschen zugeordnet wird (anders Idt 9,9). In LXX/Hs 151 wird das Motiv des zornigen Gottes nur einmal verwendet (Jdt 8,14 LXX/Hs 151): Der Zorn Gottes ist dort die Folge des Versuchens, das Gegengewicht der „Geduld“ bleibt unbenannt. Während Iudith in der Vg einen Aufruf mit flehendem, unterwürfigen Charakter in der ersten Person Plural an die Ältesten richtet, um durch Gebet und unter Tränen die Barmherzigkeit Gottes hervorzurufen (Idt 8,14a–c), spricht sie in LXX/Hs 151 den Befehl (zweite Person Plural) aus, Gott nicht zum Zorn zu reizen (μὴ παροργίζετε κύριον τὸν θεὸν ἡμῶν / nolite fratres in iram concitari dominum deum Jdt 8,14 LXX/Hs 151). Eine unterschiedliche Redestrategie ist bereits hier deutlich erkennbar: Während die Vg auf Selbstdemütigung als richtige Handlungsalternative abzielen wird, wie die folgenden Verse zeigen werden, betonen Jdt 8,12–16 LXX/Hs 151, dass Gottes Pläne für den Menschen – im Gegenteil – nicht erkennbar sind, und bestimmen so mit der Nennung der Grenzen des Menschseins auch seine natürliche Handlungsgrenze. In Idt 8,16a–17d findet sich eine breite Vg-spezifische Hinzufügung, die eine für die Vg-Fassung wichtige Theologie entfaltet: Zunächst lässt Iudith die Ältesten mit einem dritten Hortativ zur Selbsterniedrigung der „Seelen“ (anima) auffor-

186 So z.B. Cyprian von Karthago, Ep. 10,5 (CSEL 3/2, 494) oder Augustinus, De civitate dei 10,22 (CChr.SL XLVII, 296); vgl. Munier, indulgentia (RAC 18), 76–77. 187 Die Parallelität des Vg-spezifischen Zusatzes in Idt 8,15a–b wird noch durch das Klangspiel von comminabitur und inflammabitur verstärkt.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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dern (Idt 8,16a).188 Anima „Seele“ kommt sechzehn Mal im Buch Iudith vor und wird meist für das geistige Leben, für die Seele einer Figur oder von Figurengruppen verwendet (Idt 1,11; 4,8; 7,23; 8,16.21; 9,14; 11,1.5.6; 13,29; 14,17; 16,11), aber zum Teil auch für das körperliche und geistige Leben zusammen (Idt 10,15; 12,4.18; 13,25). Auch nach Idt 8,16a soll das Innere vor Gott erniedrigt (humiliare) werden. Das Lexem humil- „selbst erniedrig-“ kommt allein in diesem Unterabschnitt fünf Mal in Vg-spezifischen Zusätzen vor (Idt 8,16a.b.17c2.20a.c) und darüber hinaus (parallel zu Idt 4,9; 6,19; 9,11; 16,11 Hs 151) fünf weitere Male in Idt 4,8; 6,15bis; 9,16; 16,13.189 Die griechische Entsprechung ταπειν- bezieht sich meist auf die Not des Volkes Israel (Jdt 6,19; 13,20; 16,11) und auf die in der Stadt Betulia (Jdt 7,32), weshalb Gott als „Gott der Niedrigen“ gepriesen wird (Jdt 9,11). Diese Bedeutung des Wortes ist an den parallelen Stellen auch in der Vg gegeben. In der Vg-spezifischen Bedeutung von „Selbsterniedrigung“ (humilitas) kann diese aber darüber hinaus als zusammenfassender Oberbegriff für die Strategie gelesen werden, die Iudith anstrebt und die aus demütiger Unterwerfung vor Gott besteht. Jdt 8,17 LXX/Hs 151 sind im Vergleich zur Vg stark verkürzt. Auch dort wird das Gebet um Rettung und Hilfe gefordert, aber nicht in dieser Intensität, nicht mit diesem Wortschatz, so dass hier die Eigenheit der Vg-Übersetzung erkennbar wird. Besonders auffällig ist auch, dass sich in Idt 13,20 Hs 151 die genau umgekehrte Beobachtung machen lässt: Idt 13,25 Vg ersetzt das humilitas aus Hs 151, das hier die „Niedrigkeit“ des Volkes Israel im Sinne von Lasterhaftigkeit meint, durch angustia „Mangel“ und tribulatio „Schwierigkeit“ (vgl. Idt 13,25). Auch das deutet auf eine Vg-spezifische Semantik des Wortes hin. Die Bedeutsamkeit der „Selbsterniedrigung“ für die Vg-Fassung zeigt sich ferner am Wortschatz, der sodann entfaltet wird: In einer weiteren Vg-spezifischen Aufforderung ruft Iudith dazu auf, in selbsterniedrigter (humiliare) Haltung Gott zu dienen (servire) und weinend (flere) ein Gebet zu sprechen (Idt 8,16b–17a). Die „Selbsterniedrigung“ wird also durch die ebenfalls Vg-spezifischen, zusätzlich eingespielten Wörter gestützt, wozu servire „dienen“ (Idt 8,16b), flere „weinen“ (Idt 8,17a), paeniteor „bereuen“ (Idt 8,14b), indulgentia „Verzeihung“ und lacrima „Träne“ (Idt 8,14c) zählen. Die „Verzeihung“ (indulgentia) Gottes soll durch das Gebet erreicht werden, denn Gott soll nach seinem Willen seine Barmherzigkeit (misericordia190) zeigen

188 Damit wird das Bereuen und um Gnade Bitten wegen der Geduld des Herrn (Idt 8,14b–c) noch einmal mit anderen Worten ausgeführt. 189 Die Bedeutsamkeit zeigt sich auch an der syntaktischen Überkreuzstellung von animas und spiritu sowie von humiliemus und humiliato. 190 Die Wiederholung von misericordia (Idt 8,12b.13a.17b) zeigt, dass die Ältesten und Iudith

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

(Idt 8,17b; und gerade nicht nach dem Tag, den die Ältesten ihm willkürlich gestellt haben Idt 8,13a–b), da das Volk im Herzen verstört sei angesichts der Überheblichkeit (superbia) der Assyrer (Idt 8,17d).191 Die Parallelstellen in Jdt 8,17 LXX/Hs 151 schreiben, dass auf Rettung durch Gott gewartet werden soll, der auf die Stimme seines Volkes hören werde, insofern es ihm wohlgefällig sei.192 Ein weiteres Mal findet sich ein Vg-spezifischer Wortschatz: Das verstörte Herz steht für die Furcht der Israeliten vor dem Hochmut der Feinde (Idt 8,17d), denn cor kann einerseits den Sitz der Gefühle, Gemütsbewegungen oder der Triebe bezeichnen und mit „Herz, Seele, Gemüt, Gefühl, Stimmung, Gesinnung, oder mutige Stimmung, Mut“ übersetzt werden und andererseits als Sitz des Denkvermögens, der Einsicht und Überlegung mit „Geist, Sinn, Verstand oder Einsicht“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 1305). Hier ist die Gefühlsebene und nicht die Verstandesebene des Herzens angesprochen. Nur wegen dieser Furcht hat das Volk gegen Gott gemurrt und die Auslieferung der Stadt beschlossen (vgl. Idt 7,13–22). Superbia „Hochmut“ wird in Idt 8,17d Vg-spezifisch als Fehlverhalten der Assyrer betont. Das Wort wird in der Vg-Fassung fünf Mal für das Vertrauen der Assyrer auf die eigene Kriegmacht und nicht auf Gott verwendet (Idt 6,15; 8,17; 9,12.16; 13,28). Darüber hinaus wird das Motiv – ohne superbia erneut zu nennen – inhaltlich reflektiert: in Idt 9,9a-b für die Assyrer sowie für andere Feindmächte, nur in der Vg in Idt 1,4 für Arfaxad und in Idt 4,13 für Amalech und sein Heer sowie in Idt 9,6b–c für die Ägypter am Schilfmeer (vgl. Idt 9,6.9). Die breite Einspielung des Motivs in der Vg-Fassung zeigt dessen Bedeutsamkeit für die Erzählung. Obwohl das Volk wegen des Hochmuts der Feinde verwirrt sei, könne es sich im Gebet seiner Demut (humilitas) rühmen, da es gerade nicht den Sünden (peccatum) der Väter gefolgt sei, die Gott verlassen und andere Götter verehrt haben (Idt 8,17c1–18c).193 Idt 8,18a.c entsprechen inhaltlich Jdt 8,18 LXX/Hs 151, wenn auch die Vg die Aufzählung derjenigen, die keine fremden Götter verehren (φυλή „Stamm“, πατριά „Sippe“, δῆμος „Bevölkerung“, πόλις „Stadt“), weglässt (die in der Hs 151 auf „Stamm“ tribus und „Bevölkerung“ populus, verkürzt ist), ebenso wie den Hinweis darauf, dass die anderen Götter handgemacht sind. Dass

die gleiche Reaktion von Gott erhoffen, nur dass Iudith einen anderen Weg vorschlägt, der zu diesem Ziel führt. 191 Zum Motiv des Heils für das sich selbst erniedrigende Volk, dessen Feinde erniedrigt werden vgl. Ps 17,28 Vg. 192 διόπερ ἀναμένοντες τὴν παρ᾽ αὐτοῦ σωτηρίαν ἐπικαλεσώμεθα αὐτὸν εἰς βοήθειαν ἡμῶν καὶ εἰσακούσεται τῆς φωνῆς ἡμῶν ἐὰν ᾖ αὐτῷ ἀρεστόν / Sed inuocauimus ipsum in adiutorium, et exaudiet uocem nostram sicut illi placet, Jdt 8,17 LXX/Hs 151. 193 Idt 8,18b–c bilden nur in der Vg zwei parallel strukturierte Relativsätze (Relativpronomen – Prädikat – Akkusativ-Objekt//Konjunktion – Prädikat – Akkusativ-Objekt).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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die Väter ihren Gott verlassen haben (Idt 8,18b), ist Eigengut der Vg. Peccatum „Sünde“ (Idt 7,17; 8,18.27; 11,8bis.15; 13,20) und peccare „sündigen“ (Idt 5,21; 7,19) bezeichnen das sündige Verhalten Israels durch Abfall von Gott mit Ausnahme von Idt 13,20, wo es die Feststellung, dass Iudith das Lager der Assyrer sündenfrei, d.h. ohne jeglichen Beischlaf, verlassen hat, umschreibt. Adorare hat Skemp für das Buch Tobit als Vg-spezifische Verwendung herausgearbeitet (Tob 1,6; 7,11.12; 13,13.14; 14,9 Vg).194 Diese Beobachtung trifft auf das Buch Iudith nicht zu: Sechs von sieben Verwendungen von adorare haben alle eine Entsprechung in der Hs 151 (vgl. Idt 6,14; 8,18; 10,20; 13,22.30; 16,22 Vg//Idt 6,18; 8,18; 10,22.23; 13,17; 16,18 Hs 151).195 In dreifacher Steigerung „Schwert“ – „Plünderung“ – „Schändung“ betont Iudith die den Vorfahren aufgrund der falschen Gottverehrung widerfahrene Fremderoberung (Idt 8,19a).196 Sie stellt – mit dem Wechsel in die erste Person Plural und dem Signalwort autem – parallel zu Jdt 8,20 LXX/ Hs 151 fest, dass das Volk von Bethulia gegenwärtig keinen anderen Gott verehre (Idt 8,19b). Dadurch begründet Iudith einen Gegensatz zwischen dem Volk und den Vätern. Das ist der Grund, warum es sich (noch) seiner Demut (humilitas) rühmen kann (Idt 8,17c). Das Volk selbst hat sich hingegen in Idt 7,19 Vg die Sünde der Väter eingestanden, die im Widerstand der Ältesten gegen die Assyrer liegen soll (Idt 7,12).197 Die Hinzufügung des Vg-spezifischen Motivs der „Selbsterniedrigung“ für das rechte Verhalten in der Not scheint nicht zufällig: Humilitas „Selbsterniedrigung, Demut“ ist die in der frühen Kirche viel diskutierte, von Origenes geprägte und von Augustinus entfaltete christliche Tugend (virtus) schlechthin, auf der

194 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with Other ancient witnesses, 120, 309–301, 341. 195 In Idt 6,14; 8,18; 13,22; 16,22 dient das Wort zur Verehrung Gottes, in Idt 8,18 zu der fremder Götter, in Idt 10,20 verehrt Iudith Holofernis, in Idt 13,30 verehrt Achior Iudith. 196 Jdt 8,19 LXX/Hs 151 nennen nur die ersten beiden Wörter; vgl. zum Motiv des Gottesabfalls Dtn 29,25–26 Vg. Auch Achior wies auf die Niederlage der Israeliten dreifach hin (dati sunt in praedam et in gladium et in obprobrium Idt 5,18). Zu confusio vgl. Idt 9,2b. 197 Anhand der Sünde der Fremdgötterverehrung wird die Gegenposition zu der Frage des wahren und einzigen Gottes vorgestellt (auch in Idt 9,18), die zu den zentralen Leitprinzipien der Erzählung gehört und an der sich der zentrale Konflikt zwischen Nabuchodonosor und Gott aufbaut. Auch Nabuchodonosor hatte bereits den Status, der alleinige Gott zu sein, für sich beansprucht, den er durch diesen Krieg durchzusetzen versucht (Idt 3,13; 5,29; 6,2). So wie Iudith diesen Sinnzusammenhang darstellt, kommt der Weg der „Versuchung“ Gottes, den die Ältesten eingeschlagen haben, würde er zu Ende gegangen, der Sünde der Fremdgötterverehrung gleich (vgl. Dtn 29,25–26 Vg). Denn die geforderte Auslieferung der Stadt (Idt 7,15) würde bedeuten, dass Nabuchodonosor, der sich selbst für den einzigen Gott hält (Idt 5,29), durch das Volk Israel eben dieser Status zugestanden würde.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

alle anderen Tugenden aufbauen.198 Auch Hieronymus nennt die „Selbsterniedrigung“ (humilitas) als erste und wichtigste der christlichen Tugenden (virtus) und erläutert diese am Vorbild Paulas (vgl. Ep. 108,15 [CSEL 55, 325–326]):199 „[…] quae prima Christianorum uirtus est, tanta se humilitate deecit […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 325). „[…] Die erste Tugend des Christen ist die Demut […]“200. „[…] Paula besaß dieselbe in dem Grade, daß jeder, der sie sah, wenn er ihr wegen ihres angesehenen Namens einen Besuch abzustatten wünschte, sie für die letzte der Mägde gehalten und nicht geglaubt hätte, sie sei selbst die Herrin. Wenn sie von vielen Jungfrauen umgeben war, war sie, was Kleidung, Sprache, Benehmen und Haltung angeht, unter allen die einfachste. Nach dem Tode ihres Gatten hat sie bis zum Tage ihres eigenen Hinscheidens niemals mit einem Manne zusammen gespeist, wenn er auch noch so heilig, ja selbst mit der bischöflichen Würde bekleidet war. Bäder besuchte sie nur bei gefährlicher Krankheit. Weiches Bettzeug gestattete sie sich selbst beim heftigsten Fieber nicht, sondern auf härenen Decken, die auf den harten Boden gelegt waren, ruhte sie aus, wenn man bei ihr überhaupt von Ruhe reden kann, da sie unter beinahe ständigem Gebete Tag und Nacht aneinander reihte. Sie erfüllte das Wort des Psalmisten: „Alle Nächte will ich mein Bett waschen; mit meinen Tränen will ich meine Lagerstätte benetzen“. Ganze Quellen von Tränen hätte man in ihr vermuten sollen, so sehr beweinte sie ihre kleinen Sünden; man hätte fast glauben mögen, sie fühle sich der schwersten Verbrechen schuldig. Wenn wir sie öfters ermahnten, sie möchte doch ihre Augen schonen und für die Lesung des Evangeliums erhalten, sprach sie: „Ich muß das Gesicht entstellen, das ich so oft gegen Gottes Gebot mit Purpur, Bleiweiß und Augenschwärze geschminkt habe. Der Leib muß gepeinigt werden dafür, daß er mit so vielen Vergnügungen die Zeit vergeudet hat. Jetzt gilt es, das lange Lachen durch beständiges Weinen wieder gut zu machen. Die weichen Linnenkleider und kostbaren Seidenstoffe muß ich mit dem rauhen Bußgewande vertauschen. Wie ich meinem Mann und der Welt gefallen habe, so will ich nunmehr Christo gefallen.“ Überflüssig würde es sein, wollte ich unter so vielen und großen Tugenden auch ihre Keuschheit rühmend hervorheben. War sie doch in dieser Tugend, als sie noch in der Welt lebte, allen römischen Matronen ein Vorbild. Ihr Betragen war so musterhaft, daß auch nicht einmal ein falsches Gerücht etwas Anstößiges über sie zu verbreiten wagte. […]“201.

Paulas Demut, ihre Selbsterniedrigung seien so groß – größer als alle Tugenden (virtus) der anderen – gewesen, dass sie von Christus dafür erhöht worden sei:

198 Vgl. Dihle, Demut (RAC 3), 735–737, 756, 761; Zum Demutsbegriff des Augustinus vgl. Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, 324–243. 199 Nach Origenes nimmt Gott sich des Demütigen an; vgl. Origenes, Die Homilien zum Buch Jesaja 6,2 (260–261). 200 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 121). 201 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 121–122).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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„[…] quis autem in sanctis locis praeter Paulam, quod plus inter homines miraretur, inuenit? et sicut inter multas gemmas pretiosissima gemma micat, et iubar solis paruos igniculos stellarum obruit et obscurat, ita cunctorum uirtutes et potentias sua humilitate superauit minimaque fuit inter omnes, ut omnium maior esset, et quanto se plus deiciebat, tanto magis a Christo subleuabatur […]“ Hieronymus, Ep. 108,3 (CSEL 55, 309). „[…] Wer könnte aber an den heiligen Orten etwas finden, was unter den Menschen größere Bewunderung erregt hätte als Paula? Sie glänzt unter vielen Edelsteinen als der kostbarste, und wie die hellen Sonnenstrahlen das schwache Licht der Sterne verdunkeln, so hat sie die Tugenden und die Macht aller durch ihre Demut übertroffen. Unter allen ist sie die Geringste geworden, um über alle erhaben zu werden. Je mehr sie sich erniedrigte, desto mehr ist sie von Christus erhöht worden […]“202.

Nicht nur für Asketinnen, sondern auch im Kontext des sich entwickelnden Mönchtums nehmen Demut und die damit eng zusammenhängende Askese zunehmend eine zentrale ethische und religiöse Rolle ein, die auch Hieronymus, der dem Mönchtum nahestand, mitgeprägt hat und die er in seinen biographischen Erfahrungen in der Wüste von Chalkis beschreibt (Hieronymus, Ep. 22,7 [CSEL 54, 152–154]).203 Die Zitate der Briefliteratur des Hieronymus weisen zahlreiche Beispiele dafür auf, dass die humilitas die wichtigste christliche Tugend (virtus) ist, auf der alle anderen Tugenden aufbauen.204 Wenn die Vg Iudith als richtige Verhaltensweise „Demut“ humilitas vorschlagen lässt, liegt dieser Rat genau im Puls der Zeit der Kirchenväter. Es fällt auch auf, dass Iudith viele der Merkmale der „Selbsterniedrigung“ in ihrem täglichen Leben lebt (vgl. Idt 8,4–7) und damit selbst in der hieronymianischen Bedeutung des Wortes eine außerordentliche Demut aufweist. Zwar ist dies auch in Jdt 8,4–7 LXX/Hs 151 beschrieben, doch baut die Vg durch ihren zusätzlichen Wortschatz (humil-, flere, lacrima etc.) das Thema noch breiter aus, der vor dem sozialgeschichtlich dargestellten Hintergrund verstanden werden kann. Iudith, die dieses Lebensmodell in vorbildhafter Weise lebt, wie Hieronymus bereits in seiner praefatio zum Buch Iudith festgestellt hat (Z. 9–10), empfiehlt ihrem Volk in der Not, es ihr gleich zu tun, um Gottes Unterstützung zu erhalten. Das ist eine signifikante Botschaft, die die Vg-Fassung hier als rechtes Verhalten transportiert. Noch ein weiteres Mal wird in der Rede Iudiths durch einen fünften Hortativ die Selbsterniedrigung gefordert, um „Tröstung“ (consolatio) durch Gott zu erlangen (Idt 8,20a). „Tröstung“ (consolatio) kommt einmalig im Buch Iudith

202 Hieronymus, Ep. 108,3 (BKV1 15, 98). 203 Vgl. Dihle, Demut (RAC 3), 765–771, Hieronymus, Ep. 22,27–28 (CSEL 54, 182–186). 204 Zu demselben Schluss kommt auch Baumann bei seiner Untersuchung der Schriften des hieronymianischen Zeitgenossen Augustinus, mit dem Hieronymus in regem Briefwechsel stand; vgl. Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, passim.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

und nur in der Vg vor. Intertextuell lässt sich nur wenige Male Gottes wohlwollendes Handeln am Menschen unter Verwendung von „Tröstung“ (consolatio) nachweisen (z.B. Ps 93,19; Röm 15,4 Vg).205 Im Buch Iudith besteht die „Tröstung“ in der „Demütigung“ und dem „Ehrlosmachen“ der sich auflehnenden Völker durch Gott, nach dem Maß dessen, wie viel Blut durch sie vergossen wurde (Idt 8,20b–e). Im Vergleich zu Jdt 8,20–23 LXX sind Idt 8,21–23 Hs 151//8,19b–20e Vg stark verkürzt und inhaltlich abgewandelt:206 Denn in Jdt 8,21–23 LXX werden ausführlich die negativen Folgen für Israel – Entweihung des Tempels, Ermordung und Deportation – geschildert, die eintreffen, wenn die verantwortlichen Israeliten nicht einlenken. Idt 8,19b–20e Vg hingegen betont – mit Idt 8,21–23 Hs 151  – genau gegenteilig, die negativen Folgen für die Feinde und das Handeln Gottes an ihnen. Beide lateinischen Fassungen enthalten das LXX-fremde Motiv des „Bluterforschens“, was bedeutet, dass Gott herausfinden wird, wie viele Söhne Israels getötet worden sind (vgl. zur Verwendung von sanguis „Blut“ auch Idt 14,14b). Anstatt, dass Gott das Sklavendasein der Israeliten zur Entehrung führen wird (Jdt 8,23), schreiben Idt 8,20 Vg//Idt 8,23 Hs 151, dass er die Feinde „ohne Ehre“ machen wird. Erneut ist die Verwendung von humiliare „erniedrigen“ Vgspezifische Hinzufügung. Dabei ist der Subjektwechsel des Wortes zu beachten: Auf die von Iudith vorgeschlagene Selbsterniedrigung Bethulias hin wird Gott die Feinde erniedrigen (Idt 8,19b.c), wodurch Bethulia gleichzeitig erhöht wird. Der von der Vg-Fassung präsentierte Lösungsvorschlag spiegelt Iudiths eigene Lebensweise wider, die ebenfalls von Selbsterniedrigung geprägt ist (Idt 8,1–10) und die letztendlich dazu führt, dass sie von Gott erwählt wird, was Voraussetzung für die Rettung Israels ist. Das Motiv ist mithin Leitwort der Vg-Fassung. Inwiefern sich das spätere Enthaupten des fremden Feldherrn als Selbsterniedrigung interpretieren lässt, ist noch zu fragen. Der anklagende Ton Iudiths im ersten Unterabschnitt (Idt 8,10c–13b) weicht im zweiten Argumenten und einer Redeweise mit appellierendem und gleichzeitig demütigem Charakter.

205 Auch Ps 93 verarbeitet das Thema des gerechten Gottes, der die hochmütigen Feinde bestraft. 206 Jdt 8,20 ἡμεῖς δὲ ἕτερον θεὸν οὐκ ἔγνωμεν πλὴν αὐτοῦ ὅθεν ἐλπίζομεν ὅτι οὐχ ὑπερόψεται ἡμᾶς οὐδ᾽ ἀπὸ τοῦ γένους ἡμῶν 21 ὅτι ἐν τῷ λημφθῆναι ἡμᾶς οὕτως καὶ λημφθήσεται πᾶσα ἡ Ιουδαία καὶ προνομευθήσεται τὰ ἅγια ἡμῶν καὶ ἐκζητήσει τὴν βεβήλωσιν αὐτῶν ἐκ τοῦ αἵματος ἡμῶν 22 καὶ τὸν φόνον τῶν ἀδελφῶν ἡμῶν καὶ τὴν αἰχμαλωσίαν τῆς γῆς καὶ τὴν ἐρήμωσιν τῆς κληρονομίας ἡμῶν ἐπιστρέψει εἰς κεφαλὴν ἡμῶν ἐν τοῖς ἔθνεσιν οὗ ἐὰν δουλεύσωμεν ἐκεῖ καὶ ἐσόμεθα εἰς πρόσκομμα καὶ εἰς ὄνειδος ἐναντίον τῶν κτωμένων ἡμᾶς 23 ὅτι οὐ κατευθυνθήσεται ἡ δουλεία ἡμῶν εἰς χάριν ἀλλ᾽ εἰς ἀτιμίαν θήσει αὐτὴν κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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3.3.1.3 Versuchungen Gottes und Murren gegen Gott (Idt 8,21a1–25b) Nachdem die Vg die Ältesten durch Iudith belehrt hat, dass die „Selbsterniedrigung“ vor Gott der Schlüssel zu dessen „Barmherzigkeit“ ist, wird sie diese im dritten Unterabschnitt – wieder in der zweiten Person Plural – dazu auffordern, dem verängstigten Volk von Bethulia Mut zuzusprechen, indem sie sie an die Versuchungen der Väter in der Vergangenheit erinnern und daran, welches Verhalten zum Bestehen oder Nicht-Bestehen der Prüfungen durch Gott geführt hat (Idt 8,21a1–25b). Iudith spricht die Ältesten – versöhnlich – als „Brüder“ nun direkt an und appelliert an ihre Verantwortung für das ganze Volk: „Und nun, Brüder, da ihr Älteste im Volke Gottes seid, von euch hängt ihr Leben ab“ (Idt 8,21a1–2). Jdt 8,24 LXX/Hs 151 enthalten eine Entsprechung der Anrede und von Idt 8,21a2. Die Ältesten sollen die Herzen des Volkes aufrichten (Idt 8,21c), ihnen Mut machen. In drei Argumentationsstufen, die mehrere Vg-spezifische Vernetzungen und Erweiterungen aufweisen, wird diese Idee zunehmend präsentiert und präzisiert:207 Die erste Argumentationsstufe wird durch eine Erinnerungsnotiz eingeleitet: „damit sie sich daran erinnern“ (Idt 8,21d; vgl. Idt 9,18): Das Volk soll daran erinnert werden, dass die „Väter versucht wurden, um sie zu prüfen, ob sie wahrhaft ihren Gott verehrten“ (Idt 8,21e–g).208 Temptare „versuchen“, das Wort, das in Idt 8,11b den Fehler der Ältesten benannt hat, wird in Idt 8,21d mit umgekehrtem Subjekt verwendet: Gott ist es, der den Menschen versucht. Zur Betonung des Versuchens wird nun probare „prüfen“ zusätzlich eingeführt (Idt 8,21e). Probare „prüfen“ kommt sechs Mal innerhalb des Buches Iudith vor (Idt 6,4; 8,21.22.31; 13,28; 15,14), jedoch ist nur in Idt 8,21.22 das Geprüftwerden des Menschen durch Gott gemeint. In LXX/Hs 151 fehlt die Bemerkung, dass Gott erprobt, ob er wahrhaft verehrt werde (Idt 8,21f–g Vg), probare verwendet die Hs 151 damit nicht. Stattdessen enthalten beide Fassungen einen Dankaufruf an Gott für dessen „Versuchen“ Jdt 8,25 LXX/Hs 151.209 Die zweite Argumentationsstufe wird durch die Wiederholung der Erinnerungsaufforderung eingeleitet (Idt 8,21e.f) und führt als ein erstes Beispiel für

207 Die drei Argumentationsstufen der Vg sind für LXX/Hs 151 nicht nachweisbar, weil die lexematischen Bezüge fehlen und der Abschnitt gegenüber der Vg in beiden Fassungen sehr viel kürzer ist. 208 Zur Verehrung Gottes wird nach adorare (vgl. Idt 8,18c) nun auch colere (Idt 8,21g) eingeführt: Colere wird nur ein weiteres Mal im Buch Iudith verwendet, jedoch in anderem Kontext (Idt 16,31). 209 παρὰ ταῦτα πάντα εὐχαριστήσωμεν κυρίῳ τῷ θεῷ ἡμῶν ὃς πειράζει ἡμᾶς καθὰ καὶ τοὺς πατέρας ἡμῶν / gratias agimus deo nostro qui temptat nos sicut patres nostros, Jdt 8,25 LXX/ Hs 151.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

die Versuchung der Väter die Versuchung Abrahams durch Gott an, der durch viele Schwierigkeiten geprüft, Gottes Freund geworden sei (Idt 8,22a–c). Intertextuell wird durch die Nennung Abrahams und durch temptare „versuchen“ auf Gen 22,1 Vg verwiesen, wo Abraham den Auftrag bekommt, seinen Sohn Isaac zu opfern (Gen 22,1–18 Vg; so auch in Idt 8,26 Hs 151).210 Jdt 8,26 LXX enthält nur den Verweis auf Abraham, ein Bezug auf Gen 22 ist dort nicht nachzuweisen.211 In der dritten Argumentationsstufe nennt Iudith Isaac, Iacob und Mose als weitere Beispiele für Erzählungen mit Figuren, die Gott gefielen und die durch dessen Versuchungen („durch viele Schwierigkeiten“) treu hindurch gegangen sind (Idt 8,23a1–a2). Durch die Wiederholung des Vg-spezifischen Wortes „Schwierigkeit“ (tribulatio) wird auf die zweite Argumentationsstufe zurückverwiesen (Idt 8,22c.23a2), so dass die Erzählungen um Abraham, Isaak, Jakob und Mose semantisch miteinander verknüpft werden.212 Jdt 8,26 LXX/Hs 151 nennen Mose nicht und führen dafür – nach der von Abraham – die Erzählung um Jakob in Gen 30,25–43 weiter aus, was die Vg nicht enthält: „Erinnert euch an alles, was er mit Abraham gemacht hat und wie er Isaak versuchte und was alles Jakob im syrischen Mesopotamien geschah, als er die Schafe Labans, des Bruders seiner Mutter, weidete.“ (μνήσθητε ὅσα ἐποίησεν μετὰ Αβρααμ καὶ ὅσα ἐπείρασεν τὸν Ισαακ καὶ ὅσα ἐγένετο τῷ Ιακωβ ἐν Μεσοποταμίᾳ τῆς Συρίας ποιμαίνοντι τὰ πρόβατα Λαβαν τοῦ ἀδελφοῦ τῆς μητρὸς αὐτοῦ / Memores estote que fecit abrahe quemadmodum temptauerit eum et ysaac et que facta sunt iacob in mesopotamia syrie cum pasceret oues fratris matris sue). Es gibt keinen Beleg im Buch Genesis von einer Versuchung Isaacs oder Iacobs unter Verwendung von probare oder temptare, so dass Iudiths Aussage keine eindeutige Textstelle zugeordnet werden kann. Nur die Vg nennt Mose nach der Reihe der Erzväter als Subjekt der Versuchung Gottes, womit ein breiter Vg-spezifischer Zusatz beginnt, der von Idt 8,23b–25b reicht und Parallelen zum Buch Exodus aufweist: In Ex 15,25; 16,4 (temptare); 20,20 (probare) Vg wird das Volk Israel unter Anwesenheit des Mose versucht.213 Mose selbst wird – anders als in der Vg-Fassung – im Buch Exodus nicht explizit als Subjekt der Versuchung Gottes genannt. Dennoch weist gerade dieses Beispiel eine Parallele zur Notsituation des Volkes von Bethulia auf, denn wie Iudith gegenüber den Ältesten sagt auch Mose (bspw. in Ex 20,20 Vg) dem

210 Memores estote que fecit abrahe quemadmodum temptauerit eum [...], Idt 8,26 Hs 151. 211 μνήσθητε ὅσα ἐποίησεν μετὰ Αβρααμ [...], Jdt 8,26 LXX. 212 In Gen 35,3 Vg beschreibt Iacob seine „Not“ mit tribulatio „Schwierigkeit“ (vgl. auch Idt 8,22.23; 13,25 Vg). 213 In Ex 17,2.7 Vg „versucht“ das Volk Israel den Herrn, wozu ebenfalls temptare verwendet wird.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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Volk, dass es sich bei der Not um eine Prüfung handelt, die es bestehen soll (vgl. Ex 20,10 Vg). Das Bestehen der Versuchung durch Gott wird in der Vg als „treu durch viele Nöte hindurch gehen“ bezeichnet (Idt 8,23a2). Auffällig sind die Vg-spezifischen Formulierungen, die Gottes Wohlwollen dem Menschen gegenüber zum Ausdruck bringen: So ist Abraham „Gottes Freund“ geworden (Idt 8,22c) und Isaac, Iacob und Mose gefielen Gott (Idt 8,23b). Die Vg bezeichnet noch vier Mal Abraham als Freund Gottes unter Verwendung von amicus (Jes 41,8; 2 Chr 20,7; Dan 3,25; Jak 2,23). Jak 2,23 NA/Vg begründet die Namensgebung Abrahams als Freund Gottes mit dem Bestehen seiner Prüfung in Gen 22, der Bindung Isaaks, wodurch ein zweites Mal explizit diese Erzählung angesprochen wird. Der Verweis kommt allerdings nur durch Hinzuziehung der ntl. Textstelle zustande. Der Freund Gottes ist jemand, der Gottvertrauen hat und entsprechend handelt.214 Auch in den Briefen des Hieronymus wird der „Gottesfreund“ erwähnt: In Ep. 79,1 wird Abraham so bezeichnet, dessen Reichtum ihn noch nicht schlecht mache, in Ep. 22,8 Lot, der betrunken sündigte, und in Ep. 79,7 David, der sündigte, obwohl er ein Gottesfreund war.215 In der hellenistischen Weisheitsliteratur findet sich der Gedanke, dass der Weise mit Gott Freundschaft schließt (vgl. Weish 7,14; vgl. auch Ep. 94,1).216 Placere „gefallen“ wird, neben dem Gefallen Gottes (Idt 8,23; 9,16bis), auch für das der Assyrer (Idt 2,4; 3,6; 7,10; 11,18; 12,14), für das des Achior (Idt 6,1) und für das Iudiths verwendet (Idt 11,3; 12,6). Die Bedeutung von placere als Gefallen Gottes ergibt sich durch Zusammenlesung mit Iudiths Gebet (Idt 9,16b–c): Nicht die Hochmütigen gefielen Gott, sondern diejenigen, die sich selbst erniedrigten und die Friedliebenden (nec superbi […] sed humilium et mansuetorum […]). Die Intratextualität von placere „gefallen“ in Idt 8,23b; 9,16b zeigt, dass Iudith auch Abraham, Isaac, Iacob und Mose die selbsterniedrigende Haltung zuspricht, die sie von ihrem Volk fordert und von der sie sich rettende Wirkung erhofft, wodurch das Motiv der Selbsterniedrigung weiter Bedeutungszuwachs erfährt. Die drei Argumentationsstufen werden dann in einer Vg-spezifischen Hinzufügung weiter begründet. Es wird von jenen berichtet, die Gottes Versuchungen nicht mit Gottesfurcht und Geduld, sondern vielmehr mit vorwurfsvollem Murren gegen den Herrn auf sich nahmen (Idt 8,24a1–c). Hier wird das Nichtbestehen der

214 Vgl. Treu, Gottesfreund (RAC 11), 1059. 215 Vgl. Hieronymus, Ep. 79,1 (CSEL 55, 87); Ep. 79,7 (CSEL 55, 94–96); Ep. 22,8 (CSEL 54, 154– 155). Darüber hinaus ist die Idee des Gottesfreundes bei den lateinischen Vätern selten, wenn auch nicht unbekannt (z.B. Cyprian von Karthago, Ep. 15,3 [CSEL 3/2, 515]); vgl. Treu, Gottesfreund (RAC 11), 1056. 216 Vgl. ausführlich Treu, Gottesfreund (RAC 11), 1049–1058; vgl. auch Hieronymus, Ep. 94,1 (CSEL 55, 156–157); Fischer, Freundschaft (wibilex), 14.01.2014.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Versuchung Gottes thematisiert. Das Motiv der Gottesfurcht weist auf Ex 20,20 Vg hin, wo Mose dem Volk sagt, Gott wolle seine Gottesfurcht prüfen. Iudith wurde als Gottesfürchtige eingeführt (Idt 8,8), was sie als kompetent in der Beurteilung dieser Angelegenheit ausweist. Statt zu „Murren“ wäre das Zeigen von „Geduld“ (patientia), von Abwarten und Vertrauen angesichts der aktuellen Notsituation, die richtige Handlungsweise gewesen (Idt 8,24c). Patientia „Geduld“ wird damit nicht nur für Gott (Idt 8,14a), sondern auch für den Menschen als gute und richtige Eigenschaft benannt. Hier allerdings steht es in ironischem Kontext: Wenn das Volk seine Geduld im Murren gegen Gott zeigt, hat es gerade keine Geduld abzuwarten. Murmuratio „Murren“ ist ein wichtiges Motiv in den so genannten Murrgeschichten in Ex 15,13–17,7; Num 11,1–14.38; 20,2–21,9 LXX/Vg. Die Bedeutung des Motivs für das Buch Judit/Iudith ergibt sich aus den Parallelen von Jdt/Idt, Ex und Num, was für die LXX- wie die Vg-Fassung gleichermaßen gilt. Für die LXX-Fassung beschreiben Schmitz/Engel unter anderem Parallelen zwischen Jdt 7 und Num 14,1–4; Ex 17,1–7: Nach Num 14,1 LXX erhebe „die ganze Versammlung“ die Stimme gegen Mose und Aaron. Ähnlich heißt es in Jdt 7,23 LXX, das Volk weine (Jdt 7,29 LXX) und murre gegen die Anführer (Num 14,2–3 LXX und Jdt 7,24–28 LXX), die Männer fürchten, im Krieg zu fallen und die Erbeutung der Frauen und Kinder (Num 14,3 LXX und Jdt 7,22.23.27.32).217 Vergleichbares lässt sich für die Vg festhalten. Denn Ex 15,13–17,7; Num 11,1–14,38; 20,2–21,9 Vg weisen über das „Murren“ hinaus auffällige Parallelen zu Idt 7,12–22 auf: In beiden Fällen richtet das Volk die Klage an den Führer (Idt 7,13; Ex 16,2; 17,3; Num 14,2; 21,4 Vg), ist die Ursache der Klage Durst (Idt 7,11.14; Num 17,2; 21,5 Vg) oder Angst vor den Feinden und wird der Wunsch des Volkes nach Auslieferung an die Feinde laut (Idt 7,16–17; Num 14,3–4 Vg). Die Parallelen legen die Interpretation nahe, dass das Volk von Bethulia in Idt 7 bereits dieses murrende Verhalten gezeigt hat, was sich dann Vg-spezifisch in der Rede der theologisch bewanderten Iudith widerspiegelt. Dennoch sei es – so der Tenor der Argumentation – noch nicht zu spät, den richtigen Weg einzuschlagen, da bisher noch keine fremden Götter verehrt worden seien (Idt 8,19b). Ferner ist an dem Vg-spezifischen Zusatz in Idt 8,24a1–c die gezielte und durchdachte Erweiterung von Iudiths Rede durch den Übersetzer belegt. Der Unterabschnitt schließt mit weiterem Eigengut der Vg-Fassung. Darin werden die Folgen für diejenigen beschrieben, die sich nicht gottesfürchtig gezeigt haben: „Sie sind vom Ausrotter ausgerottet worden und durch Schlangen

217 Vgl. dazu und zur Motivähnlichkeit von Num 20,2–5; Ex 14,5–14; 17,1–7 und Jdt 7,23–29 LXX Schmitz/Engel, Judit, 228.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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umgekommen“ (Idt 8,25a2–b).218 Dieses auffällige Bild präzisiert die eingespielte Murrgeschichte auf Num 21,6–7 Vg. Denn dort lässt der Herr gegen das murrende Volk Giftschlangen los, durch die viele sterben. Interessanterweise sind die Parallelen von Idt 8,24b–25b und 1 Kor 10,9–10 NA/Vg noch eindeutiger als die zu Num 21,6–7 Vg:219 Idt 8,24–25

1 Kor 10,9–10

Num 21,6–7

24 illi autem qui temptationes non susceperunt cum timore Domini et patientia sua inproperium murmurationis suae contra Dominum protulerunt 25 exterminati sunt ab exterminatore et a serpentibus perierunt

9 neque temptemus Christum sicut quidam eorum temptaverunt et a serpentibus perierunt 10 neque murmuraveritis sicut quidam eorum murmuraverunt et perierunt ab exterminatore

6 quam ob rem misit Dominus in populum ignitos serpentes ad quorum plagas et mortes plurimorum 7 venerunt ad Mosen atque dixerunt peccavimus quia locuti sumus contra Dominum et te ora ut tollat a nobis serpentes oravit Moses pro populo

Neben temptare „versuchen“ (Idt 8,24b; 1 Kor 10,9), mumuratio „Murren“ (Idt 8,24c; 1 Kor 10,10), exterminator „Ausrotter“ (Idt 8,25a2, 1 Kor 10,10) und serpens „Schlange“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9; Num 21,6.7) betrifft dies auch das Verb perire „umkommen“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9). Einen signifikanten inhaltlichen Unterschied gegenüber Num 21,6–7 Vg hat Idt 8,24–25 Vg mit 1 Kor 10,9–10 Vg gemeinsam: Er betrifft die Figur des „Ausrotters“ (exterminator), bei der es sich nicht um Gott, sondern möglicherweise um einen Strafengel oder um den Satan als Vollstrecker der göttlichen Strafe handelt, wohingegen in Num 21,6–7 Gott selbst handelt.220 Die Übersetzung von Idt 8,24–25 könnte also – neben Num 21,6–7 – noch eher von 1 Kor 10,9–10 inspiriert worden sein. Die Vg lässt demnach wahrscheinlich eine

218 Die noch diskutierte Frage, ob die Revision von 1 Kor um 384 n. Chr. von Hieronymus vorgenommen wurde oder nicht, spielt hier keine Rolle, da es sich bei der Variation zu Num nicht um Eigengut der Vg-Fassung von 1 Kor handelt, sondern bereits der griechische Text diese Variante zeigt (1 Kor 10,9 NA: μηδὲ ἐκπειράζωμεν τὸν Χριστόν, καθώς τινες αὐτῶν ἐπείρασαν καὶ ὑπὸ τῶν ὄφεων ἀπώλλυντο. 10 μηδὲ γογγύζετε, καθάπερ τινὲς αὐτῶν ἐγόγγυσαν καὶ ἀπώλοντο ὑπὸ τοῦ ὀλοθρευτοῦ), von dem alle Übersetzungen abhängen (vgl. dazu auch das Kapitel „Hieronymus und seine Werke“). Nur die Vg enthält in Idt 8,25a2.b einen Chiasmus nach dem Schema Prädikat – Dativ-Objekt//Dativ-Objekt – Prädikat. 219 Nach Bogaert und Stummer handelt es sich bei Idt 8,24–25 Vg um Eigengut der Vg; vgl. Bogaert, Judith, 63; Stummer, Griechisch-römische Bildung und christliche Theologie in der Vulgata des Hieronymus, 268. 220 Vgl. dazu auch Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 420; Merklein, Der erste Brief an die Korinther, 250–251; Klauck, 1. Korintherbrief, 71–72.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

ntl. Textstelle in das atl. Buch Iudith einfließen, in der Gott durch eine Mittlerfigur an seinem Volk handelt. Aufgrund der dargestellten Parallelen lassen sich weitere Rückschlüsse in Bezug auf Iudith ziehen. So gibt es Parallelen zwischen Iudith und Mose: Beide kennen die Lösung für das jeweils Durst leidende Volk Israel, beide stehen auf Gottes Seite, während das Volk Israel dabei ist, den falschen Weg einzuschlagen. Doch ist es so, dass Iudith die Geschichte erzählt, die in Num passiert. Das hat sie mit Paulus gemeinsam. Denn Iudith und Paulus interpretieren ihre eigene Situation und rekurrieren dazu auf das Buch Numeri. Die Gemeinsamkeit gilt ungeachtet der unterschiedlichen Erzählsituation: Während Iudith eine Figur in der Erzählung ist, ist der Briefeschreiber Paulus in der Erzählung eine extradiegetisch-homodiegetische Erzählstimme. Die Parallele zwischen den drei Figuren besteht darin, dass alle drei im Gegensatz zum Volk die rechte Theologie und den rechten Weg kennen. Vor diesem Hintergrund liegt hier eine Aufwertung der Iudithfigur vor.

3.3.1.4 Gottesfurchtpädagogik (Idt 8,26a–27a2) Im vierten Unterabschnitt (Idt 8,26a–27a2) wird in der ersten Person Plural, in einem weiteren Vg-spezifischen Aufruf gefordert, keine Vergeltung für das zu Erleidende zu üben (Idt 8,26a–b). Die Aufforderung, die Belagerung durch die Assyrer nicht zu vergelten (vgl. Idt 7,11a–15c), wird theologisch mit zwei Gegenüberstellungen – „Sünde“ und „Strafe“ sowie „Besserung“ und „Verderben“  – begründet, die in ihrer Argumentationsstruktur in auffälliger Weise Idt 7,14.17.19– 20 ähneln, jenem Vg-spezifischen Teil der Rede des Volkes an Ozias, in dem dieser zur Auslieferung der Stadt gebracht werden soll:221

221 Vgl. zu diesem Motiv auch 2 Makk 6,12–17 Vg.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

Idt 7,14.17.19–20 14 et ideo non est qui adiuvet cum prosternamur ante oculos eorum in siti et perditione magna

17  […] qui ulciscitur nos secundum peccata nostra […] 19 peccavimus cum patribus nostris iniuste egimus iniquitatem fecimus 20 tu quia pius es miserere nostri aut in tuo flagello vindica iniquitates nostras […]

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Idt 8,26a–27a2 14 Und darum gibt es niemand, der hilft, während wir vor ihren Augen niedergestreckt werden vor Durst und in einer großen Katastrophe. 17 […] der uns entsprechend unseren Sünden straft, […] 19 Wir haben gesündigt, ebenso unsere Väter, wir haben unrecht gehandelt und Gesetzwidriges getan. 20 Weil du gnädig bist, erbarme dich unser, oder strafe mit deiner Geißel unsere Gesetzwidrigkeiten […]

26 et nos ergo non ulciscamur nos pro his quae patimur 27 sed reputantes peccatis nostris haec ipsa minora esse supplicia flagella Domini quasi servi qui corripimur ad emendationem non ad perditionem nostram evenisse credamus

26 Wir wollen also auch nicht Vergeltung nehmen für das, was wir erleiden, 27 sondern in der Einsicht, dass diese Strafen geringer sind als unsere Sünden, wollen wir wie ergriffene Sklaven glauben, dass die Geisselschläge Gottes zu unserer Besserung, nicht zu unserem Verderben geschehen sind.“

Deutliche Abweichungen liegen hier in der Beurteilung der Situation durch das Volk von Bethulia auf der einen und Iudith auf der anderen Seite vor: Sprachliche Überschneidung durch ulciscor „vergelten“ (Idt 7,17; 8,26a), perditio „Verderben“ (Idt 7,14; 8,27b), peccare „sündigen“, peccatum „Sünde“ (Idt 7,17.19; 8,27a1) und flagellum „Geißel“ (Idt 7,20; 8,27a1) zwischen den beiden Texten aber erwecken den Eindruck, als wäre versucht worden, die Teile in bewusster Abänderung und unter Hinzufügung dieser Wörter zu verknüpfen. Ulciscor „rächen, vergelten“ kommt drei Mal in der Iuditherzählung in verschiedenen Kontexten vor,222 ultio „Rache“ zwei Mal.223 In den Überlieferungen des antiken Judentums und im NT steht das Motiv der Rache für ein Instrument und die notwendige Fähigkeit Gottes zur Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit (Röm 12,19) und stellt keineswegs einen Vergeltungsakt dar, wie es die heutige Konnotation des Wortes Rache

222 In Idt 7,17b thematisiert das Volk Israel, dass Gott ihnen vergilt; in Idt 8,26a ermahnt Iudith die Israeliten, nicht Rache an Gott zu nehmen; in Idt 13,27e wiederholt Iudith die Worte des Achior vor Holofernis, dass der Gott Israels sich an den Feinden seines Volkes rächen wird. 223 In Idt 6,6 spricht Holofernis von seiner Rache an Achior; in Idt 8,34 wünschen die Ältesten Iudith den Beistand Gottes bei der Rache an den Feinden; vgl. Idt 13,27e.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

nahe legen könnte.224 Diese Vorstellung findet auch in der Iuditherzählung ihren Niederschlag: In Idt 7,17 sagen die Bewohner Bethulias, dass Gott sich an ihnen „gemäß“ (secundum) ihren Sünden rächt mit der Folge des Todes und des Untergangs (Idt 7,14). Aus der Perspektive der Bewohner stellt Gott die Ordnung wieder her, die durch deren Sünden aus den Fugen geraten war. Auch in diesem Kontext ist also nicht von einem Vergeltungsakt Gottes die Rede: Die Rache ist „gemäß“, das Handeln Gottes ein gerechtes Richten (iudicare Idt 7,13). In Idt 13,27e sagt Iudith, indem sie die Ankündigung Achiors in dessen Rede vor Holofernis wiederholt, Gott habe sich durch ihre Hand an den Feinden gerächt. Auch hier ist das Wort auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit durch Gott bezogen. In Idt 8,26a sagt hingegen Iudith den Ältesten non ulciscamur „lasst uns nicht Rache nehmen“ und deutet somit die angekündigte Auslieferung der Stadt als menschlichen Racheakt (Idt 7,16a–e): Die Menschen von Bethulia haben zwar die Situation richtig eingeschätzt (Idt 7,13a.17b), aber mit ihrer Forderung der Auslieferung der Stadt die falschen Konsequenzen gezogen. Die Wiederherstellung der Gerechtigkeit ist nicht Aufgabe des Menschen, zumindest nicht, wenn diese einer Versuchung Gottes gleichkommt.225 In der Zusammenschau der Textstellen, die den Gedanken der „Rache“ enthalten, zeigt sich, dass diese allein Gott und gerade nicht den Menschen, weder den Israeliten noch dem Holofernis, vorbehalten ist: Das wird positiv aus Idt 8,34; 13,27 und negativ aus Idt 6,6; 7,17; 8,26 ersichtlich. Die Geißelschläge Gottes dienten weiter der Verbesserung des Volkes, so die Erklärung Iudiths in Idt 8,27a1–a2:226 Flagellum „Geißel [meint unter anderem ein Werkzeug, mit dem] Sklaven und Verbrecher gezüchtigt wurden“ (vgl. GeorgesLDHW, Bd. 1, 2139). In beiden Kontexten ist Gott Subjekt der „Geißel“, infolge derer das Volk von Bethulia wegen der Belagerung und des Wassermangels leidet (Idt 7,20; 8,26b). Nach der Rede des Volkes besteht das Fehlverhalten darin, dass Ozias nicht friedfertig mit den Assyrern geredet habe (Idt 7,13). Gleichzeitig wird das sündhafte und gesetzeswidrige Verhalten mit dem der Väter verglichen, die von Gott abgefallen sind (Idt 7,19–20). Gemäß diesen Sünden sei nun die Strafe Gottes über Bethulia hereingebrochen (Idt 7,17). Die Forderung nach Auslieferung

224 Erst in späterer christlicher Geschichtstheologie wird gegenwärtiges Geschehen als strafende Rache Gottes gedeutet (Apg 28,4); vgl. Bieberstein/Bormann, Rache (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 455. 225 Das belegen auch zahlreiche Texte der weisheitlichen Tradition (Spr 19,11; 20,22; 24,29 Vg); vgl. Bieberstein/Bormann, Rache (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 454–455; Ernst, Rache (Herders Neues Bibellexikon), 617. 226 Reputantes ist nach Kaulen eine für die Vg typische Konstruktion; vgl. dazu Kaulen, Sprachliches Handbuch zur biblischen Vulgata, 283.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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der Stadt wird laut, auf die hin das Volk eine von zwei Reaktionen Gottes erwartet: Entweder das erhoffte „Erbarmen“, das gleichbedeutend mit Rettung ist, oder die Strafe mit der „Geißel“ (Idt 7,20), die sich mutmaßlich im endgültigen „Verderben“ (perditio) zeigt. Iudiths Auslegung unterscheidet sich von dieser: Demnach endeten die aktuell erfahrenen „Geißeln“ des Herrn gerade nicht im „Verderben“ (perditio), wie das Volk von Bethulia angenommen hatte (Idt 7,14.17.20), denn diese seien vielmehr, was Vg-spezifisch hinzugefügt ist, nur kleinere „Martern“ angesichts der bereits begangenen Sünden (Idt 8,27a1–b), keineswegs seien sie ihnen „gemäß“ (Idt 7,17). Hier wird – parallel zu Jdt 8,27 LXX/Hs 151 – ein Erziehungskonzept Gottes beschrieben:227 Züchtigung und Zurechtweisung geschehen bereits in biblischer Tradition aus göttlicher Liebe heraus, dienen der Erziehung des Menschen, zeigen sich in vorübergehendem Leiden und sind entweder eine vorbeugende Maßnahme oder die Folge einer Sünde (Ps 119,71 HT//Ps 118,71 LXX;  Ijob 5,17– 18;  2 Makk 6,12–17;  Weish 3,5), wobei sich der Blick nach vorne auf die Besserung richtet, indem der Mensch dadurch zum göttlichen Erbarmen zurückgeführt wird.228 Die Gottesfurchtpädagogik wird auch im Buch Jesus Sirach entfaltet: Die Gottesfurcht steht am Anfang der Weisheit (Sir 1,14), sie ist geduldiges Vertrauen, Demut im Gegensatz zum Hochmut und Hingabe an den Herrn (Sir 1,23.27.30; 2,10–11.17), sie führt durch Erprobung zu Läuterung zur Erfüllung des Gesetzes (Sir 1,26; 2,15) und ihr höchster Ausdruck ist das Gebet (Sir 15,9; 17,6–10).229 Miller übersetzt supplicia mit „Strafen“ und sieht darin eine Vg-spezifische Interpretation: Das Volk Israel werde in der Vg nicht nur von Gott „geprüft“, sondern auch „bestraft“, dem aber stehe Jdt 8,27 LXX/Hs 151 entgegen, wo gerade nicht von Strafen, sondern nur von Prüfungen Gottes die Rede sei, die wiederum ausschließlich als Erziehungsmittel Gottes fungierten.230 Es gibt allerdings Argumente dafür, supplicia mit „Qualen“ oder „Martern“ anstatt mit „Strafen“ zu übersetzen, so dass sich das Erziehungskonzept auch für die Vg-Fassung belegen lässt: Auch in Idt 6,13 soll Achior unter „Qualen“, nicht unter Strafen umkom-

227 Die Vg umschreibt das Erziehungskonzept breiter als Jdt 8,27 LXX/Hs 151, weist aber keine inhaltliche Erweiterung im Vergleich zu den Parallelfassungen auf. Idt 8,27 Hs 151 verwendet sulciscor und flagellatus. 228 Vgl. Egger-Wenzel, Leid/Leiden (wibilex), 10.10.2012; Ruppert/Kampling, Leiden (NBL 2), 613; Waldstein, Geißelung (RAC 9), 489; vgl. auch Hieronymus, Ep. 21,34 (CSEL 54, 132–134). 229 Hieronymus hat zwar das Buch Jesus Sirach nicht übersetzt, aber dass er über genaue Kenntnisse des Buches verfügte, belegen zahlreiche Erwähnungen, vor allem ab 400 n. Chr.; vgl. Stummer, Einführung in die lateinische Bibel, 95. 230 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 141, 195. Zum Thema Prüfungen als Erziehungsmittel Gottes vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte, 213–216.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

men.231 Außerdem wird das Wort in der Rede des Volkes nicht verwendet, das Motiv des Strafens aber mit vindicare benannt (Idt 7,20). Das Erziehungskonzept Gottes dient mithin in Vg, LXX und Hs 151 zur Aufklärung der gegenwärtigen Situation. Die Rede schließt – syntaktisch ungewöhnlich – mit dem Aufruf, dass dies alles geglaubt werden soll (Idt 8,27a2). Die Endposition des letzten Aufrufs hat stark lenkende Funktion: Die Gesprächspartner sollen an Gott glauben, aber auch an das, was Iudith gesagt hat. Iudith argumentiert durch Hinzufügung der beiden Aufforderungen in Idt 8,26a.27a2 weniger abstrakt. Durch die Parallelen zwischen der Rede des Volkes und der Rede Iudiths an die Ältesten wird deutlich, dass Iudith große Schriftkenntnis und damit auch Weisheit besitzt. Das Volk hingegen zieht – trotz Begründung mit der Schrift – falsche Rückschlüsse (Idt 7,14.17.19–20), wie nach Iudiths Rede deutlich wird.

Fazit Iudiths Rede ist vor allem geprägt von einer Vg-spezifischen Theologie, die durch zahlreiche Zusätze und Vg-spezifische Wörter, Motive und Leitwörter, die zum Teil in Opposition zueinander stehen, vermittelt wird: Misericordia „Barmherzigkeit“ (Idt 8,17b), als die von Gott gewünschte Reaktion, aufgrund der ihm zugesprochenen Eigenschaft der Geduld (patiens Idt 8,14a) sowie humilitas „Selbsterniedrigung“ (Idt 8,17c2), als die vom Volk einzunehmende Haltung, stehen im Kontrast zum „Hochmut“ (superbia Idt 8,17c1), dessen sich die Gegner rühmen (Idt 8,17c2), sowie zu den „Sünden“ (peccatum Idt 8,18a) der eigenen Vorfahren. Durch diese Oppositionen werden die guten und die schlechten Werte, die die Erzählung repräsentieren will, deutlich hervorgehoben. Gut ist die „Selbsterniedrigung“, schlecht der „Hochmut“. Selbsterniedrigung ist ein zusammenfassender Oberbegriff für das angemessene Verhalten, die angemessene Strategie, wie nun weiter zu verfahren sei. Thematisch dazu passen auch die Vg-spezifischen Wörter servire „dienen“ (Idt 8,16b), flere „weinen“ (Idt 8,17a), paeniteor „bereuen“, indulgentia „Verzeihung“ und lacrima „Träne“ (Idt 8,14a–c). Die ganze Argumentation läuft auf die „Selbsterniedrigung“ der Menschen vor Gott hinaus. Im Unterschied zu LXX/Hs 151, wo Judit in ihrer Rede in erster Linie als gelehrte und weise Frau

231 Idt 6,13: quemadmodum ipse Holofernis iratus iusserit eum Israhelitis hac de causa tradi ut dum vinceret filios Israhel tunc etiam ipsum Achior diversis iubeat suppliciis interire propter hoc quod dixisset Deus caeli defensor eorum est „wie Holofernes selbst im Zorn befohlen habe, ihn aus diesem Grund den Söhne Israels auszuliefern, damit er den Achior selbst, sobald er die Söhne Israels besiegt habe, unter verschiedenen Qualen umkommen lasse“.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

 183

erscheint, wirkt Iudith durch diese Theologie in der Vg „frommer“ als es die Vorlagen vorgeben. Im Vergleich zu Jdt 8,20–23 LXX ist Idt 8,19b–20e stark verkürzt und inhaltlich abgewandelt: Während Jdt 8,21–23 LXX Entweihung des Tempels, Ermordung und Deportation als etwaige negative Konsequenzen für Israel schildert, betonen Idt 8,19b–20e Vg//Idt 8,21–23 Hs 151 die negativen Folgen für die Feinde. In Idt 8,21d–25b werden dann Versuchungen durch Gott aus den Erzelternerzählungen und – nur in der Vg – auch aus dem Exodus eingespielt. Dadurch soll auch die aktuelle Notsituation als solche interpretiert werden. Als erstes Beispiel für die Versuchung der Väter wird durch Vg-spezifische Intertextualität, die durch die Nennung von Abraham und die Verwendung von temptare „versuchen“ entsteht, auf Gen 22,1 und die Bindung Isaaks verwiesen (Gen 22,1–18 Vg). Weitere Beispiele sind dann Isaac, Iacob und – nur in der Vg – auch Mose (Idt 8,23a1– a2). Eigengut der Vg sind auch mehrere persönlich anmutende Formulierungen zur Gott-Mensch-Relation: Abraham wird als „Gottes Freund“ bezeichnet (Idt 8,22c), Isaac, Iacob und Mose gefielen Gott (Idt 8,23b). Vielleicht handelt es sich bei der Bezeichnung von Abraham als Freund Gottes um eine hieronymianische Hinzufügung. Diese kommt nur noch vier Mal in der Vg vor (Jes 41,8; 2 Chr 20,7; Dan 3,25; Jak 2,23). Nur in Jak 2,23 NA/Vg wird Abraham im Kontext von Gen 22 Freund Gottes genannt. Auch in den hieronymianischen Briefen ist die Bezeichnung belegt: für Abraham in Ep. 79,1 (CSEL 55, 87), für David in Ep. 79,7 (CSEL 55, 94–96), für Lot in Ep. 22,8 (CSEL 54, 154–155). In Idt 8,24b–25b wird mit dem eindringlichen Bild der Murrenden, die durch den „Ausrotter“ und die „Schlangen“ umkommen, die Murrgeschichte in Num 21,6–7, aber wegen der Figur des „Ausrotters“ (exterminator) mehr noch 1 Kor 10,9–10 eingespielt. Gleichzeitig wird Iudith in eine Parallelstellung zu Mose bzw. zu Paulus gerückt, da alle drei Figuren dem Volk gegenüber jeweils die rechte Theologie kommunizieren. Hier wäre es also denkbar, dass die Vg-Fassung mehr durch eine ntl. denn durch eine atl. Textstelle inspiriert worden ist, indem sie Gott durch eine Mittlerfigur an seinem Volk handeln lässt. Die Einspielungen sollen Iudiths Rede mehr Relevanz geben und die Ältesten von ihrer Weisheit überzeugen. Es geht in Idt 8,24b–25b um das Nichtbestehen der Prüfung Gottes aufgrund mangelnder Gottesfurcht, die durch Murren gegen Gott erkennbar wird. Statt zu „Murren“ wäre aus Iudiths Perspektive das geduldige Abwarten (patientia) angesichts der aktuellen Notsituation, die richtige Handlungsweise gewesen (Idt 8,24c). Die „Murrgeschichten“ beschreiben eine ähnliche Situation des Volkes Israel wie Idt 7,12–22, wodurch möglicherweise angedeutet werden soll, dass das Volk von Bethulia dieses murrende Verhalten bereits gezeigt hat, indem es die Auslieferung der Stadt gefordert hat. Dafür sprechen auch die Vg-spezifischen Hinzufügungen und Wörter in Idt 8,26a–b.27a1–b,

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

durch die eine auffällige Vg-spezifische Parallele zu Idt 7,14.17.19–20 entsteht: So findet sich die gleiche Argumentation – nämlich keine Vergeltung zu üben – bei Iudith und dem Volk von Bethulia, mit dem Unterschied, dass die Menschen von Bethulia die Situation zwar angemessen gedeutet (Idt 7,13a.17b), aber mit der Forderung der Auslieferung der Stadt falsch agiert haben.232 Hieran ist auch eine besondere Profilierung der Vg-Fassung erkennbar. Iudith erscheint nach ihrer breiten Einführung als Gottesfürchtige (Idt 8,1–10) nun durch ihre Sprechweise, ihre Argumentation, ihre Wortwahl, ihre Kenntnisse über die Tora – nicht nur wie in LXX/Hs 151 – als Weise und Schriftgelehrte im Sinne der atl. Weisheitsliteratur.233 Sie entfaltet darüber hinaus in der Vg eine Handlungsanweisung für das rechte Verhalten vor Gott, die aus Selbsterniedrigung und Demut (humilitas) besteht. Die Iudith der Vg zeigt damit erneut eine ganz spezielle Frömmigkeit und spezielle Werte, durch die sie sich von der Darstellung in den anderen Textfassungen unterscheidet. Gerade diese Wertvorstellungen hat Hieronymus durch seine Briefe im Rom um 400 n. Chr. erwiesenermaßen etablieren wollen. Die Vg-spezifischen Hinzufügungen könnten insofern zu der Annahme führen, dass diese Absicht auch in seiner Iudithübersetzung steckt, könnte Iudith mit „ihren“ Werten doch den Lesenden als Vorbild dienen, wie in der praefatio zum Buch Iudith vorgeschlagen. Ob diese Theologie tatsächlich zu einer verstärkten Empathiebildung auf der Seite der Lesenden geführt hat, was dazu führen würde, dass Iudith diesen ein Vorbild ist, sei dahingestellt.

3.3.2 Erste Antwort der Ältesten (Idt 8,28a–29b) Nach einer Redeeinleitung antworten alle drei Ältesten (Idt 8,28a), dass alles „wahr“ sei, was Iudith gesprochen habe und bekräftigen dies noch einmal durch den Zusatz, dass an ihren Reden nichts zu tadeln sei (Idt 8,28b1–d). In Jdt 8,28 LXX/Hs 151 hingegen antwortet nur Ozias. Sodann fordern die Ältesten ihrerseits Iudith zum Gebet auf, weil sie fromm und gottesfürchtig sei (Idt 8,29a–b). Orare „beten“ kommt neben Idt 8,29a noch drei Mal im Buch Iudith vor: In Idt 11,14 kündigt Iudith dem Holofernis ihr ihn unterstützendes Gebet an, in Idt 12,8 betet sie nach dem Bad in der Wasserquelle und in Idt 13,6 kurz vor ihrer Tat. Das Motiv des Betens ist in der Vg im Vergleich zu LXX/Hs 151 deutlich erweitert (vgl. Idt

232 Parallel sind ulciscor „vergelten“ (Idt 7,17; 8,26a), perditio „Verderben“ (Idt 7,14; 8,27b), pecca- „sünd-“ (Idt 7,17.19; 8,27a1) und flagellum „Geißel“ (Idt 7,20; 8,27a1). 233 Vgl. dazu Irsigler/Kamlah, Weisheit (NBL 3), 1177.



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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4,12–14; 6,14; 7,18.22; 8,31–33; 10,10; 12,5; 13,22). Ähnliches beobachtet Skemp in Bezug auf das Buch Tobit.234 Die Stadtführer begründen ihre Aufforderung zum Gebet mit zwei charakterlichen Einschätzungen über Iudith, indem sie diese als „heilig“ sancta und „gottesfürchtig“ timens Dominum bezeichnen. Sanctus „heilig, unverletzlich, unantastbar, ehrwürdig, göttlich, aber auch gottgefällig, fromm, unschuldig, sittlich rein, züchtig, tugendhaft“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 2, 4255–4256) dient auch in Idt 8,31 Hs 151 als Beschreibung Iudiths. Das Wort kommt fünf Mal in der Iudith­ erzählung vor. Es beschreibt den Tempel Gottes in Idt 4,10; 5,23; 9,11, Iudith in Idt 8,29 und die Opfergaben für den Herrn in Idt 11,12. Im frühen Mönchtum wird Askese als Kampf des Menschen um seine „Heiligkeit“ verstanden.235 Der Eintritt in eine Mönchsgemeinschaft und damit die Entscheidung für ein Leben in Askese wird von Hieronymus selbst, völlig geschlechtsunabhängig, als zweite Taufe interpretiert (in Bezug auf Paulas Tochter Blesilla in Ep. 39,3–4).236 Die Ältesten wissen von Iudiths frommer Lebensweise (Idt 8,4–8), daher spricht auch niemand ein schlechtes Wort über sie (Idt 8,8c–d). Das Wort steht demnach für Iudiths Frömmigkeit, die sich gerade in der asketischen Lebensführung zeigt. Als „gottesfürchtig“ wurde Iudith bereits von der Erzählstimme eingeführt (Idt 8,8b), eine Eigenschaft, die ihr nun direkt von ihrer Umwelt bestätigt wird.237 Dem Lesenden wird aus der Sicht der Figuren bestätigt, dass Iudith ein gottgefälliges Leben führt und dass ihre Rede wahr ist. Die Antwort der Ältesten ist in der Vg gegenüber Jdt 8,28–31 LXX/Hs 151 verkürzt: Judits Weisheit wird dort eigens betont. Ihr Gebet soll die Bitte um Regen beinhalten, was eine Auslieferung der Stadt vorerst hinfällig machen würde. Die Ältesten zeigen so, dass sie Judit nicht richtig zugehört bzw. sie nicht verstanden haben oder sie gar nicht ernst nehmen, sie vielmehr als fromme Frau abtun und in diesem Fall auch ihr Fehlverhalten nicht einsehen.238 In der Vg fordern die Ältesten Iudith nicht auf, um Regen zu bitten. Dennoch nehmen sie inhalt-

234 Vgl. dazu auch Skemp, Learning by Example, 270–271. Bereits ein Vergleich der älteren jüdischen Schriften hin zu den jüngeren zeigt, dass die Gebete tendenziell zunehmen; vgl. dazu ausführlich Fischer/Backhaus, Beten, 48–55. 235 Vgl. Dihle, Heilig (RAC 14), 59. 236 Vgl. Hieronymus, Ep. 39,3.4 (CSEL 54, 298–303). 237 Skemp hat auch für die Vg-Fassung des Buches Tobit festgestellt, dass die Gottesfurcht zwar allgemein Thema in allen Übersetzungen ist, sie aber in der Vg mehrfach hinzugefügt wird (Tob 2,9; 3,18; 6,22; 9,12; 14,16 Vg); vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with Other ancient witnesses, 82–83,120–121, 234, 305–306, 449–450, 462. In den genannten Textstellen dient die Gottesfurcht in der Regel der Charakterisierung von Tobias sowie von Sara in Tob 3,18 Vg. 238 Vgl. dazu auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 218–219; Schmitz/Engel, Judit, 265–266.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

lich keinen Bezug auf ihre Rede und gehen auf keine ihrer Forderungen – beispielsweise dem Volk von Bethulia Mut zuzusprechen – ein. Stattdessen loben sie nur ihre Frömmigkeit und wollen sie zum Beten fortschicken. Durch die Kürzung in der Vg verändert sich die Gewichtung der Aussage der Ältesten, so dass der Schwerpunkt nun auf den vorgestellten Charakteristika Iudiths – nämlich „Heiligkeit“ und „Gottesfurcht“ – liegt, die sich im mentalen Figurenmodell der Lesenden verfestigen.

3.3.3 Rede Iudiths an die Ältesten (Idt 8,30a–33d) Nach der ausführlichen Kommentierung des Fehlverhaltens der Ältesten, lässt die Vg Iudith in ihrer Antwort ihren Plan andeuten, der Bethulia retten soll, mit dem Ziel, die Zustimmung der Ältesten einzuholen (Idt 8,30a–33d). Erstmalig ist die Rede unter Verwendung der ersten Person Singular gestaltet. Iudith greift darin die anerkennende, aber unverbindliche Antwort der Ältesten auf und legt diese zu ihren Gunsten aus: Weil diese erkannt haben, dass ihre Worte wahr, also von Gott sind, sollen sie nun prüfen, ob auch ihr Ratschluss von Gott komme und für diesen bei Gott beten (Idt 8,30b1–31e).239 Die Vg-spezifischen Zusätze in Idt 8,30a–31e sind besonders auffällig, da LXX/Hs 151 keine Entsprechung aufweisen, und erst nach einem Höraufruf mit dem in der Vg Folgenden einsteigen (Jdt 8,32 LXX/Hs 151). Interessant ist, dass Iudith nur in der Vg die Ältesten um prüfende Zustimmung zu ihrem Vorhaben bittet. In Jdt 8,32 LXX/Hs 151 hingegen kündigt Judit ihren Ratsschluss an, hat mithin eine ganz andere Haltung den Ältesten gegenüber, als es in der Vg der Fall ist, wo sie zurückhaltender, beinahe demütig vor den Stadtführern, vielleicht auch diplomatischer argumentierend auftritt. Auffällig ist auch, dass nur die Vg einen dreifachen Auftrag an die Ältesten zum Gebet an Gott enthält (Idt 8,31a2.d.32c). Worin der „Ratschluss“ (consilium) besteht, sagt Iudith nicht. Nicht nur für die Ältesten, sondern ebenso für den Lesenden ist das eine Leerstelle. Auch Zeit und Ort dieses Auftrags machen Iudiths Vorhaben unbekannt, wodurch Spannung aufgebaut wird. Denn die Ältesten erfahren nur, dass sie sich in der Nacht ans Stadttor stellen sollen, wo Iudith dann mit ihrer abra hinausgehen wird (Idt 8,32a–b).

239 Idt 8,31b–e zeigen eine Ringstruktur mit der Formulierung „ob es von Gott ist“ im Zentrum (Idt 8,31c). Diese wird von zwei Imperativsätzen umkreist (Idt 8,31a2.d), deren äußerer Ring je ein Nebensatz ist (Idt 8,31b.e).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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In einer zweiten Gebetsaufforderung weist Iudith die Ältesten an, Gott auch darum zu bitten, dass er innerhalb der Fünf-Tages-Frist auf Israel schaue (Idt 8,32c–d2).240 Die Gebetsaufforderung fehlt in Jdt 8,33 LXX/Hs 151: Stattdessen kündigt Judit selbstbewusst den positiven Ausgang ihres Planes durch ihre Hand an.241 Abschließend sagt Iudith den Ältesten, dass sie nicht will, dass diese ihren Plan ausforschen, stattdessen sollen sie für Iudith beten und auf Nachricht von ihr warten (Idt 8,33a–d). Auch diesen dritten Gebetsaufruf enthalten Jdt 8,34 LXX/ Hs 151 nicht. Die Nachrichtnotiz fehlt in der LXX.242 Zudem ist dieser Abschluss durch Verwendung des Imperativs sehr viel schärfer formuliert, als es in der Vg der Fall ist.

Exkurs abra In Idt 8,32 Vg wird die Figur der abra in der Vg erstmalig eingeführt. Abra ist, wie ἅβρα in der LXX-Fassung auch, nicht der Eigenname der Figur, sondern eine Funktionsbezeichnung etymologisch ungeklärter Herkunft, die alle Textfassungen enthalten und die in der Regel mit „Lieblingszofe“ übersetzt wird (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 19).243 Das griechische Wort ἅβρα bezeichnet eine weibliche Person in abhängiger Stellung, die mit besonderen Aufträgen und Funktionen

240 Respicere „blicken“ kommt fünf Mal im Buch Iudith vor (Idt 6,15; 7,3; 8,32; 9,6; 13,7; vgl. Idt 9,6; 13,7) und ist – abgesehen von Idt 7,3 – immer auf Gottes Sehen, Gottes Blick bezogen, der in eine gewisse Richtung gelenkt werden soll, um das Heil für Israel herbeizuführen. 241 Jdt 8,33 LXX: ὑμεῖς στήσεσθε ἐπὶ τῆς πύλης τὴν νύκτα ταύτην καὶ ἐξελεύσομαι ἐγὼ μετὰ τῆς ἅβρας μου καὶ ἐν ταῖς ἡμέραις μεθ᾽ ἃς εἴπατε παραδώσειν τὴν πόλιν τοῖς ἐχθροῖς ἡμῶν ἐπισκέψεται κύριος τὸν Ισραηλ ἐν χειρί μου. 242 Jdt 8,34 LXX: ὑμεῖς δὲ οὐκ ἐξερευνήσετε τὴν πρᾶξίν μου οὐ γὰρ ἐρῶ ὑμῖν ἕως τοῦ τελεσθῆναι ἃ ἐγὼ ποιῶ. 243 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 248–249. In der späteren Literatur erhält die namenlose ἅβρα häufig den Namen „Abra“: vgl. dazu das Drama „Judith“ von Sixt Birck (1534), das „Spiel von der Belagerung der Stadt Bethulia“ von Samuel Hebel (1566), das Ingolstädter Jesuiten-Drama „tragoedia von Holoferne“ (1642), die Salzburger Benediktiner-Judit „Holofernes“ (1640) und „Judith“ von Martin Opitz (1635). Hebbel und Nestroy nennen die Magd „Mirza“. Vermutlich sind die lateinischen Übersetzungen für die Etablierung des Eigennamens in der Rezeptionsliteratur ursächlich. Die Hs 151 und entsprechend die Vg übernehmen das nicht-lateinische Wort „abra“ (z.B in Idt 8,10 Hs 151 und in Idt 8,32 Vg). In den der Vg-Fassung nahen, mittelalterlichen, hebräischen Juditerzählungen wird die Figur nur als „Dienerin“ ‫( שפחה‬z.B. in Jdt 10,5 Text D sowie in Jdt 16,28 Text B) bezeichnet, während Text C „Abra, meine Dienerin“ ‫ אברה שפחתי‬in Jdt 8,32 Text C schreibt (Textausgabe: Börner-Klein, Dagmar, Gefährdete Braut und schöne Witwe. Hebräische Judit-Geschichten, Wiesbaden 2007); vgl. Schmitz/Engel, Judit, 248–249. Zur Dramenrezeption vgl. Kobelt-Groch, Judith macht Geschichte; Lähnemann, Hystoria Judith, 87–414.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

betraut ist. Die besonderen Aufträge sind in Jdt 8,10 LXX deutlich nachvollziehbar, wenn die Figur in der LXX (wie auch in der Hs 151) das erste Mal auftritt: Denn nach der LXX (nicht nach Hs 151) hat die ἅβρα die Aufsicht über Judits Besitz, übt also eine Verwaltungstätigkeit über den Grundbesitz und das übrige Personal aus, und nimmt damit die Tätigkeit ein, die zuvor Manasse inne hatte.244 Sie ist es auch, die beauftragt wird, die Ältesten zu rufen. Die Vg streicht interessanterweise beide Informationen (vgl. dazu Idt 8,10).245 In der Vg wird die Position der abra als Verwalterin von Iudiths Besitztümern schlichtweg ausgelassen, die herausgehobene Rolle einer Dienerin mit übergreifenden Befugnissen gestrichen. Dass Iudith eine Bedienstete indes mitnimmt, wenn sie die Grenzen ihrer Stadt verlässt, zeigt ihren Reichtum und dient ihrer Sicherheit. Aufschlussreich sind die in Briefen erhaltenen Ratschläge des Hieronymus bezüglich der Auswahl des Personals: „[…] nec procurator calamistratus nec formosus conlactaneus nec candidulus et rubicundus adsecula adhaereant lateri tuo: interdum animus dominarum ex ancillarum habitu iudicatur […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Dulde in Deiner Begleitung keinen Verwalter mit gekräuselten Haaren, keinen herausgeputzten Milchbruder, keinen hübschen und rotwangigen Schmarotzer! Zuweilen kann man aus dem Gebaren der Mägde auf die Gesinnung der Herrin schließen […]“246.

„[…] quid facit uidua inter familiae multitudinem, inter ministrorum greges? […] certe, si ambitiosae domus haec officia flagitant, praeficiat his senem honestis moribus, cuius honor dominae dignitas sit. scio multas clausis ad publicum foribus non caruisse infamia seruulorum […]“ Hieronymus, Ep. 79,8 (CSEL 55, 97). „[…] Was soll nun eine Witwe tun, die inmitten eines großen Gesindetrosses, umgeben von einer zahlreichen Dienerschar, leben muß? […] Wenn das Ansehen eines großen Hauses ein solch zahlreiches Personal erfordert, dann möge die Witwe es der Aufsicht eines Greises von gutem Rufe unterstellen, der sich eine Ehre daraus macht, der Herrin Würde zu wahren. Mir sind viele Fälle bekannt, wo Damen durch ihre Diener ins Gerede kamen, obwohl sie allen Verkehr nach außen hin mieden […]“247.

244 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 248. 245 Was dadurch in der Vg auch verloren geht, ist die Parallele zwischen der ἅβρα und dem Holofernes Diener Bagoas, die beide Verwaltungstätigkeiten ausüben und ausgesendet werden, um Treffen zu vereinbaren, die ἅβρα zu den Ältesten, Bagoas zu Judit (Jdt 12,11 LXX). 246 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 162). 247 Hieronymus, Ep. 79,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 326).



3.3 Erster Dialog zwischen Iudith und den Ältesten (Idt 8,10c–34e)  

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„[…] Non ambulet iuxta te calamistratus procurator, non histrio fractus in feminam, non cantoris diaboli uenenata dulcedo, non iuvenis uulsus et nitidus. nihil artium scenicarum, nihil tibi in obsequiis molle iungatur […]“ Hieronymus, Ep. 79,9 (CSEL 55, 97). „[…] Dulde neben Dir keinen geschniegelten Verwalter,  keine weibischen Komödianten, keinen Teufelssänger, der mit giftigen Worten Süßholz raspelt, keinen jungen Zierbengel! Halte von Deinem Gefolge alles Theatralische, alles Weichliche fern! […]“248.

Interessant ist auch, dass Hieronymus in seinen Briefen mehrfach den Jungfrauen und Witwen empfohlen hat, sich nicht alleine auf die Straße zu begeben, sondern immer in Begleitung von wohl ausgewählten Mägden oder anderen Witwen und Jungfrauen, um ihren guten Ruf nicht aufs Spiel zu setzen: „[…] noli ad publicum subinde procedere […] sanctarum uirginum et uiduarum societatem adpete […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Bewege Dich nicht zuviel in der Öffentlichkeit […] Suche die Gesellschaft gottesfürchtiger Jungfrauen und Witwen auf! […]“249.

„[…] habeto tecum uiduarum et uirginum choros, habeto tui sexus solacia; ex ancillarum quoque moribus dominae iudicantur […] non debes periculose externorum consortia quaerere de tuorum societate secura […]“ Hieronymus, Ep. 79,9 (CSEL 55, 97). „[…] Halte eine Anzahl von Witwen und Jungfrauen in Deiner Umgebung, suche Trost bei Deinem Geschlechte! Aus dem Benehmen der Dienerinnen schließt man auf die Herrin. […] Da hast Du es nicht nötig, die Gesellschaft fremder Menschen aufzusuchen, was nur Gefahr bringen kann, wo der Umgang mit den Deinen Dir ein Schutz ist […]“250.

Fazit Auch im zweiten Teil von Iudiths Rede gibt es einige Vg-spezifische Zusätze. Nur in der Vg bittet Iudith die Ältesten um Zustimmung zu ihrem Vorhaben (Idt 8,30b1–31e) und entgegnet ihnen mit einer dreifachen Gebetsaufforderung (Idt 8,31d.32c.33d). Der starke Fokus auf das Gebet ist auffällig im Kontext von Iudiths Frömmigkeitsdarstellung und im Zuge ihrer Theologie der „Selbsterniedrigung“. Auffällig ist auch das veränderte Rollenverständnis der abra, denn in der Vg (wie in der Hs 151) ist die abra nicht die Verwalterin von Iudiths Besitztümern (vgl. Jdt 8,10 LXX). Die abra wird vielmehr zu einer einfachen Dienstmagd degradiert.

248 Hieronymus, Ep. 79,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 327). 249 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 161). 250 Hieronymus, Ep. 79,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 327).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

3.3.4 Antwort des Ozias (Idt 8,34a–e) Die wohlwollende und positive Zustimmung zu Iudiths Vorhaben wird durch Ozias übermittelt (Idt 8,34a), was durch seine Antwort „Geh in Frieden“ signalisiert wird (Idt 8,34b). Auffällig ist der Titel princeps Iudaeae „Fürst von Judäa“, den Ozias nur in der Vg erhält, während Jdt 8,35 LXX/Hs 151 Ozias – ohne Titel – und die Ältesten antworten lassen. Auch in Idt 13,23 wird Ozias Vg-spezifisch den Titel „Fürst des Volkes Israel“ (princeps populi Israhel) erhalten (in Idt 6,11 Vg//6,14 Hs 151 nur Fürst zusammen mit den anderen Ältesten). Im Gegensatz zum geschwächten Rollenverständnis der abra wird die Position des Ältestenanführers Ozias dadurch gestärkt, dass er gleich zwei Mal in Vg-spezifischer Hinzufügung einen besonderen Titel erhält und damit eine Aufwertung erfährt.251 Ozias gibt Iudith eine wohlwollende Antwort und die Erlaubnis zu ihrem Vorhaben (Idt 8,34c).252 Ähnlich formulieren auch Jdt 8,35 LXX/Hs 151.253 Die Szene endet mit dem Abgang der Ältesten (Idt 8,34d).

3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) Nach dem Abgang der Ältesten begibt sich Iudith in ihren Gebetsraum. Dies leitet eine neue Szene ein, in der Iudith Gott in einem langen Gebet um dessen Hilfe anfleht (Idt 9,2a–19c). In dem Bittgebet selbst wird dem Lesenden Iudiths Innenperspektive dargeboten. Nun wird ihr Blick auf das Geschehen gelenkt. Ein Teil ihrer Gedanken wird gezeigt. Das Gebet gliedert sich durch drei direkte Gottesanrufungen unter Verwendung der Bezeichnung „Gott“ (deus) in drei Abschnitte: Idt 9,2a–3d.3e–16d.17a–19c.

251 Princeps bezeichnet auch andere Führer: In Idt 2,4; 5,1; 13,19 wird Holofernis als Anführer der (assyrischen) Streitmacht bezeichnet, in Idt 10,13 von Iudith als „Fürst“, in Idt 13,14 als „Fürst unserer Feinde“. In Idt 3,1.9; 5,2 werden die Fürsten anderer Städte mit dem Wort betitelt, in Jdt 14,3.7 andere Führer der assyrischen Streitmacht. Ähnlich häufig findet sich das Wort auch in der Hs 151. 252 Pax „Frieden“ findet sich nur noch in Idt 5,4, ultio „Rache“ in Idt 6,6. 253 Jdt 8,35 LXX: καὶ εἶπεν Οζιας καὶ οἱ ἄρχοντες πρὸς αὐτήν πορεύου εἰς εἰρήνην καὶ κύριος ὁ θεὸς ἔμπροσθέν σου εἰς ἐκδίκησιν τῶν ἐχθρῶν ἡμῶν.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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Gebetseinleitung (Idt 9,1a–d) Die Erzählstimme zeigt Iudith bei ihren fünf Gebetsvorbereitungen:254 Sie betritt ihren Gebetsraum, trägt Bußkleidung bzw. Trauerkleidung, streut Asche auf ihr Haupt, wirft sich auf den Boden nieder und ruft zu Gott (Idt 9,1a–d). Die rituellen Gebetsvorbereitungen zielen auf Demut und Selbsterniedrigung vor Gott ab. Sie sollen Iudiths Bittgebet verstärken und ihre Gottesfurcht demonstrieren. Demut und Selbsterniedrigung war auch Iudiths Empfehlung gegenüber den Ältesten (vgl. Idt 8,16a–b). Geschildert werden hier überwiegend gebräuchliche Gebetsrituale, die zum Teil zuvor auch schon von den Israeliten begleitend zu ihrem Gebet vollzogen wurden: In Idt 4,8 wird berichtet, dass das Volk zum Herrn mit großer Inständigkeit schreit, sich selbst erniedrigt und fastet.255 Idt 4,9 beschreibt das Verhalten der Priester, die sich mit Bußgewändern bekleiden (et induerunt se sacerdotes ciliciis), und der Kinder, die sich vor dem Tempel niederwerfen (et infantes prostraverunt contra faciem templi)256; sogar der Altar wird, was eine in der Bibel einmalige und daher ungewöhnliche Maßnahme ist, mit Bußgewändern bedeckt (Domini et altare Domini operuerunt cilicio).257 Die Priester, die Dienst im Tempel haben, bringen im Tempel Brandopfer dar, tragen ebenfalls Bußgewänder und tragen Asche auf ihren Häuptern (Idt 4,16).258 Während sich also bestimmte Riten auf bestimmte Gruppen verteilen, erfüllt Iudith alle Riten mit Ausnahme des Darbringens von Brandopfern, was ausschließlich den Priestern am Jerusalemer Tempel erlaubt und damit für sie unmöglich ist. Idt 9,1 Vg beschreibt – im Einklang mit Jdt 9,1 LXX/Hs 151 – die Handlungen niederwerfen, bestreuen des Hauptes mit Asche sowie den Ruf zu Gott.259 Abweichungen ergeben sich bezüglich des Ortes, an dem das Gebet stattfindet, und der Kleidung, die Iudith währenddessen trägt.

254 Jdt 9,1 berichtet auch den Zeitpunkt des Gebets, das zur Zeit des Rauchopfers am Jerusalemer Tempel stattfindet. 255 Idt 4,8 Vg: et clamavit omnis populus ad Dominum instantia magna et humiliaverunt animas suas in ieiuniis ipsi et mulieres eorum. Der Schrei zu Gott durch das Volk unter der Verwendung von clamare „schreien“ findet sich auch in Idt 4,10, zusätzlich dicere „sagen“ schreibt Idt 7,18. 256 Das Niederwerfen Iudiths wird mit dem Wort prosternere „hinstrecken, niederstrecken, niederwerfen“ beschrieben, das fünf Mal im Buch Iudith vorkommt und meist im Zusammenhang des Gebetsritus steht: So werfen sich die Kinder Israels in Idt 4,9 nieder, in Idt 7,4 das Volk Israel und in Idt 9,1d; 10,1d Iudith. Nur in Idt 10,20 vollzieht Iudith das Niederwerfen zur Ehrbezeugung schließlich auch vor Holofernis. 257 Vgl. zur LXX-Fassung auch Schmitz/Engel, Judit, 152. 258 Idt 4,16 Vg: ita ut etiam hii qui holocausta Domino offerebant praecincti ciliciis offerrent sacrificia Domino et erat cinis super capita eorum. 259 Die Vg enthält eine einfache und nicht wie LXX/Hs 151 eine doppelte Redeeinleitung.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Iudiths oratorium Der Raumwechsel Iudiths in ihren „Gebetsraum“ (oratorium) ist eine auffällige Vg-spezifische Hinzufügung. Die anderen Textfassungen schreiben davon nichts, weshalb davon auszugehen ist, dass die Judit der LXX/Hs 151, nachdem die Ältesten weggegangen sind, bleibt, wo sie ist, nämlich in ihrem Zelt auf dem Dach (Jdt 8,5.11 LXX/Hs 151).260 Nur in der Vg hat Iudith die Ältesten in ihrem abgesonderten Raum im oberen Bereich ihres Hauses und in Anwesenheit ihrer Dienerinnen empfangen (Idt 8,5a–b.10a–b). Nachdem diese gegangen sind, begibt sich Iudith in ihren „Gebetsraum“ (oratorium Idt 9,1a–b), in dem sie sich nun vermutlich alleine und – wie der Name suggeriert – zum Gebet zurückzieht. Oratorium „Gebetsraum“ ist Vg-spezifische Hinzufügung und Hapaxlegomenon in der Vg. Obwohl sich private Gebetsräume auch in anderen biblischen Texten finden (vgl. Tob 3,10–11; Dan 6,11 LXX//Dan 6,10 Vg),261 muss es sich dabei um eine bewusste Ergänzung des Übersetzers handeln, die anzeigen soll, dass das folgende Gebet isoliert von den Mägden stattfindet, die sich im abgesonderten Raum im oberen Teil des Hauses (cubiculum) aufhalten (Idt, 8,5). Dass hier mit oratorium „Gebetsraum“ ein weiterer Raum neben dem abgesonderten Raum (Idt 8,5a) in Iudiths Haus beschrieben wird, lässt die unterschiedliche Benennung vermuten. Dass ein und demselben Raum indes zwei Bezeichnungen (oratorium und cubiculum) zugesprochen würden, wäre ungewöhnlich und unwahrscheinlich, ist aber nicht auszuschließen, zumal Hieronymus das „Kämmerlein“ (cubiculum) als Ort des Gebets in einem seiner Briefe erwähnt. „[…] Semper te cubiculi tui secreta custodiant, semper tecum sponsus ludat intrinsecus. Oras: loqueris ad sponsum […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 178). „[…] Dein verborgenes Kämmerlein sei Dein ständiger Schutz. Dort im geheimen möge Dein Bräutigam sich zärtlich gegen Dich zeigen. Betest Du, so sprichst Du mit Deinem Bräutigam […]“262.

Iudiths Bußgewand Nach Idt 9,1c trägt Iudith ihr Bußgewand (induens se cilicio; vgl. Idt 8,6a).263 Jdt 9,1 LXX hingegen betont genau gegenteilig, dass Judit „das Bußgewand entblößt“, d.h. sie legt die Witwenkleider ab, so dass ihr Bußgewand, das nur um die Hüfte

260 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 243. 261 Vgl. Severus, Gebet I (RAC 8), 1167. 262 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91). 263 Durch induere „tragen“ im Partizip Präsens Aktiv wird hervorgehoben, dass dies alles geschieht, während Iudith diese Kleidung trägt, die bereits in Idt 8,6a als ihre ständige Kleidung



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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gebunden ist (Jdt 8,5 LXX), zum Vorschein kommt.264 Etwas widersprüchlich dazu erscheint, dass Judit gleich im Anschluss an das Gebet in Jdt 10,3 zuerst das Bußgewand und dann die Witwenkleider ausziehen wird. Der Hinweis auf das Entblößen des Witwengewandes indes spricht dafür, dass die Judit der LXX oberkörperfrei beten könnte. Zum Oberkörperfreibeten im biblischen Text äußert sich Köhlmoos: „Insgesamt weist die Terminologie des  ‫שַׂק‬ śaq darauf, dass es sich um ein Textil aus Ziegenhaar handelt, das  als Lendenschurz umgewickelt und festgebunden wird. Der Oberkörper bleibt dabei allem Anschein nach frei. Diese Form der Trauerkleidung ist für beide Geschlechter belegt (für Frauen: Jer 6,26; Jo[ël] 1,8).“265 Idt 9,1 Hs 109 schreibt, dass Iudith ihre Tunika zerriß und entblößte, weil sie das Bußgewand trug (Iudit […] scidit tunicam suam et denudauit quod induerat cilicium). Idt 9,1 Hs 151 erwähnt Iudiths Kleidung überhaupt nicht. Wenn nun die Vg in auffälliger Weise nichts vom Entblößen des Gewandes schreibt, sondern Iudith stattdessen, in Wiederholung von Idt 8,6a, mit „ihr Bußgewand tragend“ (induens se cilicio) beschrieben wird (Idt 9,1c), könnte der Grund dafür darin liegen, dass die Iudith der Vg nicht oberkörperfrei erscheinen sollte. Was Iudith nun genau trägt, könnte Idt 10,2c–d Vg erklären: Dort wird Iudith – parallel zu Jdt 10,3 LXX/Hs 151 – zuerst ihr „Bußgewand“ cilicium und dann ihre „Witwenkleidung“ ausziehen. Von dieser ist jedoch in Idt 10,2c–d zum ersten Mal die Rede. Für den HT äußert sich Köhlmoos „Aber: Möglicherweise gilt für Könige und Priester indes eine andere Kleiderordnung im Trauerfall, denn bei ihnen erscheint regelhaft „verhüllen“ [‫( ]כסה‬2Kön 19,1.2 par Jes 37,1.2; Jon[a] 3,6.8; 1Chr 21,16). Zumindest in Jon[a] 3,6 trägt der König den ‫שַׂק‬ śaq über seinem Gewand, sonst wird er direkt auf der Haut getragen.“266 Denkbar wäre von daher auch, dass Iudith das Bußgewand (cilicium) grundsätzlich über ihrer Witwenkleidung trägt. Das mentale Figurenmodell wird der Lesende der Vg-Fassung auch nach seiner Lebensumwelt ausrichten. Wenn also die Vg schreibt, dass Iudith ein Bußgewand (cilicium) trägt, wird er sie wohl so gekleidet sehen, wie die in Askese lebenden Witwen und Jungfrauen in seiner Umgebung. Diese Gewänder beschreibt Hieronymus in seinen Briefen:

beschrieben wurde; so auch Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 119. 264 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 273. 265 Köhlmoos, Trauer (AT) (wibilex), 30.07.2014.    266 Köhlmoos, Trauer (AT) (wibilex), 30.07.2014. Jona 3,6 scheint allerdings nicht ganz eindeutig zu sein.  

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] quae pullam tunicam nigrosque  calceolos candidae uestis et aurati socci depositione sumpsisti […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96). „[…] Die Prachtkleider und die golddurchwirkten Schuhe hast Du abgelegt und dagegen eine dunkle Tunika und schwarze Schuhe eingetauscht […]“267.

„[…] incredibilis animi fortitudo inter gemmas et sericum, inter eunuchorum et puellarum cateruas et adulationem ac ministeria familiae perstrepentis et exquisitas epulas, quas amplae domus praebebat abundantia, appetisse eam ieiuniorum laborem, asperitatem uestium, uictus continentiam. […]“ Hieronymus, Ep. 130,4 (CSEL 56/1, 178). „[…] Es bedeutet eine unglaubliche Zucht des Geistes, inmitten von Edelsteinen und Seide, zwischen Scharen von Eunuchen und Dienstmädchen, zwischen Schmeicheleien und Dienstleistungen des lärmenden Gesindes, zwischen ausgesuchten Speisen, wie sie der Überfluß des vornehmen Hauses bietet, sich für anstrengendes Fasten, für rauhe Kleidung und ein Leben der Enthaltsamkeit zu entscheiden […]“268.

In seinen Briefen beschreibt er auch Iudiths Kleidung: „[…] legimus Iudith […] uiduam confectam ieiuniis et habitu lugubri sorditatam […] habituque repente mutato ad uictrices sordes redit, omnibus saeculi cultibus mundiores. […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484). „[…] Das Buch Judith […] handelt von einer Witwe, welche das Fasten arg mitgenommen hatte und die in ihrer Trauerkleidung jeden Reizes bar war. […] Nach vollbrachter Tat wechselt sie sofort wieder ihre Kleidung und zieht erneut das schmutzige Gewand an, welchem sie ihren Sieg verdankt, welches allein weltlichen Putz an Schönheit übertrifft […]“269.

Es könnte also sein, dass sich der zeitgenössische Lesende Iudith mit einem schlichten, dunklen Gewand beim Gebet vorstellt.

3.4.1 Die Dinaerzählung in der Iuditherzählung (Idt 9,2a–3d) Im ersten Abschnitt (Idt 9,2a–3d) ruft Iudith Gott als Gott ihres Vaters Symeon an (Idt 9,1a) und übernimmt damit, wie auch die Hs 151, die bereits in der LXX-Fassung angelegte Einspielung von Gen 34. Symeon wurde bereits in Idt 8,1c Vg/Hs 151 als Vorfahre Iudiths genannt. Die erneute Nennung des Stammvaters verstärkt die intertextuelle Einspielung von Gen 34 in der Vg-Fassung.

267 Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325). 268 Hieronymus, Ep. 130,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 243). 269 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167).



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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Gen 34 erzählt von Dina, der Tochter Jakobs, und deren Vergewaltigung durch Sichem, dem Sohn des Hamor. Sein nachträglicher Wunsch, Dina zu heiraten, wird von Dinas Brüdern an die Auflage der Beschneidung aller Männer der Stadt gekoppelt. Als diese in Folge dessen im Wundfieber liegen, werden sie von Simeon und Levi umgebracht. Die Pflicht zur Beschneidung wird als täuschende List enttarnt. Dass dieses Handeln mutmaßlich nicht mit dem Willen Gottes geschah, zeigt die Reaktion Jakobs, der nach der Tat seiner Söhne in bittere Klage verfällt, wenn auch nicht aufgrund moralischer Erwägungen, sondern aus der Furcht um seinen guten Ruf. In der Vg-Fassung wird Gen 34 Vg in eigener Weise interpretiert. Die Wiederholung von dedisti in Idt 9,2b.3a teilt den ersten Abschnitt in zwei Unterabschnitte und legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf das aktive Handeln des Subjekts Gott.

3.4.1.1 Iudith in der Rolle Symeons und Dinas (Idt 9,2a–d) Im ersten Unterabschnitt lässt die Vg Iudith behaupten, Gott habe Symeon ein „Schwert zur Verteidigung gegen die Fremdstämmigen“ gegeben (Idt 9,2b). Wichtig ist hier, dass Gott aus der Perspektive Iudiths als aktiv Handelnder ausgewiesen wird. Was die verteidigende Reaktion Gottes gegen die Fremdstämmigen ausgelöst hat, wird durch zwei Relativsätze, die beide Bilder zur Vergewaltigung einer Jungfrau zeigen, weiter ausgeführt: Demnach haben diese sich als Gewalttäter erwiesen durch ihre Schandtat und den Schenkel der Jungfrau entblößt zur Schändung (Idt 9,2c–d). Das Thema Vergewaltigung wird durch mehrere Wörter thematisiert: durch die einmalig im Buch Iudith auftauchenden Wörter „Verletzer, Schänder, Entehrer“ (violator) und „Oberschenkel“ (femur), durch „Besudelung, Befleckung“ (coinquinatio, vgl. auch Idt 13,20), durch „Beschämung“ (confusio270), durch „Jungfrau“ (virgo; vgl. auch Idt 15,15; 16,6) und durch „entblößen, aufdecken“ (denudare). Auffällig ist die Erzählperspektive, die in die Rede einer Frau eingebettet ist, und nach der es das Opfer, die Vergewaltigte, ist, deren Scham hier thematisiert wird, nicht die Täter, die die Tat verüben.271 Vg/Hs 151 sind in gleicher Weise gegenüber Jdt 9,2 verkürzt. Jdt 9,2 enthält einen dritten Relativsatz zur Beschreibung der Vergewaltigung und ein Gotteszitat, das eine Modifizierung des Erzählstimmenkommentars in Gen 34,7 LXX dar-

270 Confusio beschreibt in Idt 8,19 die „Schande“ einer Fremderoberung und in Idt 14,16 die „Verwirrung“ der Assyrer über die Tötung des Holofernis. 271 Vgl. dazu auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 250.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

stellt: Nach der LXX-Fassung legt Judit, die Gen 34 nacherzählt, Gott eine Verurteilung der Vergewaltigung Dinas in den Mund, die in Gen 34 aber nicht von Gott, sondern von der Erzählstimme stammt.272 Dass Iudith aus der Vielzahl der Möglichkeiten keine tatsächliche Rettungserzählung, sondern Gen 34 Vg einspielt, ist auffällig. Gen 34 erlaubt eine doppelte Identifikation Iudiths: zu Dina und zu Symeon. Diese unterscheidet sich zunächst nicht von den Beobachtungen, die auch im Vergleich Jdt-LXX und Gen-LXX von Schmitz festgehalten wurde:273 Die Gemeinsamkeit zwischen der Situation Iudiths und der Dinas liegt darin, dass beide sich in die Nähe von Fremdstämmigen begeben (Gen 34,1; Idt 10,12a–f Vg) und sich damit der Gefahr der Vergewaltigung aussetzen, Iudith ganz bewusst, Dina wohl aus einer gewissen Naivität heraus. Im Falle Dinas handelt es sich um ein vergangenes Szenario, im Falle Iudiths um ein zukünftiges. Iudith betet Gott – scheinbar gezielt – aus dieser Situation heraus an, aufgrund der sie erst diese Erzählung ausgewählt haben muss.274 Aber Iudith ist nicht nur in der vermeintlichen Opferrolle, sondern sie ist gleichzeitig diejenige, die mit Gottes Hilfe die Gerechtigkeit wiederherstellt. Iudith betet Gott als Gott ihres Vaters Symeon an und interpretiert Gen 34 Vg anwendungsorientiert auf ihre eigene Situation hin. Dadurch ergeben sich drei Unterschiede von Idt-Vg zu Gen 34 Vg: So sind dort Symeon und Levi gleichermaßen, nicht Symeon allein, an der Schlacht gegen Sychem beteiligt (Gen 34,25 Vg). Auch handelt es sich nicht um eine Verteidigung der Israeliten, sondern um einen Überfall, nachdem die Feinde durch eine List kampfunfähig gemacht wurden (Gen 34,25 Vg). Zudem ermächtigt Gott Symeon keineswegs zu dieser Tat, indem er ihm ein Schwert gibt. Dieser hat vielmehr selbst ein Schwert ergriffen (Gen 34,25 Vg), was auch daran erkennbar ist, dass Iacob das Verhalten seiner Söhne, wenn auch aus Furcht vor den Konsequenzen für seine Familie, scharf verurteilt (Gen 34,30 Vg).275 Die in Gen 34 moralisch anzweifelbare Tat der beiden Söhne Iakobs wird auch in Iudiths Auslegung zu einer von Gott initiierten Verteidigungsaktion durch Symeon an den Feinden, was sich Iudith im weiteren Verlauf ihres Bittge-

272 Ausgelassen ist: καὶ ἐβεβήλωσαν μήτραν εἰς ὄνειδος· εἶπας γάρ Οὐχ οὕτως ἔσται, καὶ ἐποίησαν 273 Vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte, 244–245, 270–271. 274 Vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte, 247–250. 275 Die Modifikationen von Jdt 9,2 LXX/Hs 151/Vg gegenüber Gen 34 sind literarischen Vorbildern entnommen: Z.B. hat die Beauftragung der Tat durch Gott – auch wenn Levi beauftragt wird – ihr Vorbild im Testament Levis (TestLevi 5,3–4) und in anderen haggadischen Erzählungen (z.B. Jub 30,4–6); vgl. dazu ausführlich Schmitz/Engel, Judit, 275; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 263–270.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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bets gesprächsstrategisch zu Nutze macht. An dieser Stelle wird dann auch der Unterschied zur LXX-Fassung deutlich werden. Durch die Berufung auf Symeon in diesem Kontext suggeriert Iudith, dass sie von Gott nun auch für ihr Vorhaben diese Unterstützung haben möchte und nimmt gleichzeitig eine Vorausdeutung vor, da auch sie durch eine derartige Waffe Holofernis besiegen wird (Idt 13,9). Bemerkenswerte Hinweise auf Gen 34 gibt Hieronymus in Ep. 22,25 und 107,6. „[…] caue ne domum exeas, et uelis uidere filias regionis alienae, quamuis fratres habeas patriarchas et Israhel parente laeteris: Dina egressa corrumpitur […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 179). „[…] Verlasse das Haus nicht und verlange nicht, die Töchter eines fremden Landes zu schauen, wenn Du auch Patriarchen zu Brüdern hast und Dich Israels als Deines Vaters erfreuen darfst. Dina ging aus und wurde geschändet […]“276.

„[…] ne egrediatur cum Dina et uelit videre filias regionis alienae […]“ Hieronymus, Ep. 107,6 (CSEL 55, 297). „[…] sie gehe nicht hinaus wie Dina, um die Töchter eines fremden Landes zu schauen […]“277.

Das Schicksal der Jakobstochter wird beispielhaft und in belehrender Funktion angeführt als Demonstration dessen, was passieren kann, wenn eine Frau alleine nach draußen geht. Dies beweist zum einen die genaue Kenntnis des Hieronymus von Gen 34 und zum anderen, wie er die Vergewaltigung Dinas wertet: Wäre Dina nicht nach draußen gegangen, die Töchter eines fremden Landes zu schauen, wäre sie – so Hieronymus – verschont geblieben. Nach dieser Ansicht ist die Vergewaltigung die Schuld des Opfers. Den hieronymianischen Briefen lässt sich auch entnehmen, dass eine Vergewaltigung eine besondere „Schande“ für eine in Askese lebende Frau darstellt, der daher durch ständige besondere Obacht entgegen gewirkt werden müsse: „[…] Semper te cubiculi tui secreta custodiant, semper tecum sponsus ludat intrinsecus. Oras: loqueris ad sponsum […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 178). „[…] Dein verborgenes Kämmerlein sei Dein ständiger Schutz. Dort im geheimen möge Dein Bräutigam sich zärtlich gegen Dich zeigen. Betest Du, so sprichst Du mit Deinem Bräutigam […]“278.

276 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91). 277 Hieronymus, Ep. 107,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 393). 278 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91); vgl. Idt 8,4.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Bleibt sie nicht zu Hause, so sei es die Schuld der Vergewaltigten, die nicht ausreichend Vorsorge für ihre Sicherheit getroffen habe. Die Vergewaltigung einer Jungfrau ist ein zeitgeschichtlich präsentes und diskutiertes Verbrechen, wie die Gesetzgebung zeigt, die eine solche unter Todesstrafe stellt.279 Vor dem zeitgenössischen Hintergrund muss die in der Vg-Fassung geschilderte Vergewaltigung noch einmal einen ganz eigenen Akzent gesetzt haben.

3.4.1.2 Sieg der Eiferer Gottes (Idt 9,3a–d) Im zweiten Unterabschnitt wird die Verteidigung der Diener, der Eiferer Gottes, gegen jene Vergewaltiger ausformuliert (Idt 9,2c), die sich in der Preisgabe der Frauen der Angreifer zur Beute und ihrer Töchter zur Gefangenschaft (vgl. Gen 34,29) und in der Preisgabe der materiellen Güter der Feinde zur Beute durch Gott zeigt (Idt 9,3a–d).280 Idt 9,3a-c bilden einen dreigliedrigen Parallelismus nach dem Schema Konjunktion (– Prädikat) – Akkusativ-Objekt – Adverbial. Dominierend sind darin Wörter zum Thema Krieg, wozu „Beute“ (praeda Idt 9,3a.c) und „Gefangenschaft“ (captivitas Idt 9,3b) gehören. „Diener“ (Servus) muss im Kontext von Gen 34,25 Vg Symeon und Levi bezeichnen, obwohl von Letzterem bisher noch keine Rede war, was – zumindest nach dieser Auslegung – den dienenden, demütigen Charakter der Jakobssöhne in dieser Angelegenheit betonen soll, die für ihr Verhalten mit Gottes Beistand belohnt wurden. Jdt 9,4 LXX/Hs 151 schreiben stattdessen „Söhne“. Idt 9,3 Vg ist bis auf die Abänderung von „Söhne“ in „Sklaven“ identisch zu Hs 151, die beide gegenüber der LXX stark verkürzen: So wird in den lateinischen Fassungen nichts vom Angriff auf das feindliche Lager und von der Täuschung der Feinde berichtet.281 Durch die Auslassung steht Idt 9,2a–3d Vg voll und ganz unter dem Thema der Gewalt an passiven, namenlosen Frauen.282 Doch geht die

279 Vgl. CTh 9,25,1, 478; Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. 280 Die Formulierung in Idt 9,3a–d weist, zusammen mit Idt 9,11d, große sprachliche und syntaktische Parallelen zur Bitte der Israeliten zu Gott in Idt 4,10 um Verschonung von Kindern, Frauen, der Städte und des Heiligtums (in praedam infantes eorum et uxores eorum in divisionem et civitates eorum in exterminium et sancta eorum in pollutionibus), aber sprachliche Abweichungen zur parallelen Darstellung in Idt 4,12 Hs 151 auf. 281 So gibt es kein Äquivalent zu: ἀνθ᾽ ὧν ἔδωκας ἄρχοντας αὐτῶν εἰς φόνον καὶ τὴν στρωμνὴν αὐτῶν, ἣ ᾐδέσατο τὴν ἀπάτην αὐτῶν, ἀπατηθεῖσαν εἰς αἷμα καὶ ἐπάταξας δούλους ἐπὶ δυνάσταις καὶ δυνάστας ἐπὶ θρόνους αὐτῶν; während Idt 9,3 Hs 151 nur verkürzt: „et percusserunt seruos super thronum illorum potentes“. 282 Nach Scholz stehen diese für Völker, die dem Reich Gottes zufallen; vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 121.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 199

Gewalt hier nicht nur von den Feinden Israels, sondern auch von den Israeliten aus, die sich an den Feinden rächen. Auffällig ist die Bezeichnung der Israeliten als „Eiferer“. Zelus „Eifersucht, Nacheiferung“ wird als figura etymologica mit dem Verb gleichen Wortstammes in Idt 9,3d verwendet. „Eifer“ (‫ קנאה‬/ ζῆλος / zelus) bezeichnet in der atl. Tradition den so genannten religiösen Eifer, der im biblischen Text im Kontext der Verteidigung des Gesetzes Gottes (1 Makk 2,26–27 LXX/Vg), der Sorge um das Haus Gottes (Ps 67,10 HT//Ps 68,10 LXX/Vg) sowie der Verteidigung gegen die Frevler gebraucht wird (Elija: 1 Kön 19,10.14 HT/LXX/Vg; 1 Makk 2,58 LX/Vg); Pinhas: Num 25,11–13 HT/LXX/Vg; 1 Makk 2,54 LXX/Vg)283 und von Gott selbst geweckt wird (Jes 42,13 HT/LXX/Vg). Auf die Verteidigung gegen Frevler zielt auch Idt 9,3a–d ab. Idt 9,11d wird dann auch die Verteidigung des Tempels thematisieren. Die biblische Einspielung, die verwendeten Bilder und die stilistische Satzstellung zeigen Iudiths rhetorische Fähigkeiten und charakterisieren sie dadurch erneut als weise, schriftgelehrte Frau. Durch die Modifizierung von Gen 34 Vg, die Iudith zu Gunsten ihrer Argumentation auslegt, zeigt sie einen hermeneutischen Umgang mit der Schrift. Vg-spezifische Zusätze liegen nicht vor.

3.4.2 Gottes Handeln in der Geschichte (Idt 9,3e–16d) Der zweite Abschnitt (Idt 9,3e–16d) lässt sich in drei Unterabschnitte gliedern. Der erste beginnt mit der zweiten Gottesanrufung und einer Bitte in Form eines Imperativs (Idt 9,3e–f). Der zweite wird durch das Signalwort nunc „nun“ und einen weiteren Imperativ eingeleitet. Auch werden die Assyrer als neue Figurengruppe im Gebet erwähnt (Idt 9,6a–8b). Der dritte Abschnitt wird durch einen weiteren Imperativ und die Gottesanrede Herr (Domine) eingeleitet (Idt 9,12a). Zusätzlich spricht Iudith nicht mehr von den Assyrern in der dritten Person Plural, sondern von einer unbenannten Figur in der dritten Person Singular (Idt 9,12b.13a). Proformen in der ersten Person Singular sind nun gehäuft (Idt 9,13a.b.14a).

3.4.2.1 Gott als Herr über die Geschichte (Idt 9,3e–f) Im ersten Unterabschnitt (Idt 9,3e–f) ruft Iudith aus der Position der Witwe heraus Gott um Hilfe an (Idt 9,5e–f), wohl wissend, dass dieser gerade Arme und Demütige unterstützt (Idt 9,16c–d) und argumentiert theologisch, dass die Geschichtsmächtigkeit im Willen Gottes liege, da dieser die Vergangenheit, die Gegenwart

283 Vgl. Berg, Eifer (NBL 1), 490.

200 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

und die Zukunft nach seinem Willen gestalte. Iudiths Bitte ist nur in der Vg durch subvenire „dazukommen, jemandem zur Hilfe kommen, beistehen“ (Idt 9,3; 13,25) und das Vg-spezifische und einmalige quaesere „suchen, bitten, erbitten“ doppelt formuliert, wodurch sie noch eindringlicher wird. Dieser Eindruck wird auch durch die Gottesanrede Domine Deus meus „Herr, mein Gott“ verstärkt.

Der Hilferuf der Witwe (Idt 9,3e–f) Wenn Iudith Gott aus der Rolle der Witwe anruft, dann aus der Erwartung heraus, dass dieser Status ihr einen besonderen Vorteil verschafft. In Jdt 8,4–8 LXX/ Hs 151/Vg wurde Iudith als reiche und gottesfürchtige Witwe eingeführt (vgl. Idt 8,1–8). Eine unterschiedliche Perspektive des Lesenden auf den Gottesanruf ergibt sich indes durch den gewechselten zeitgeschichtlichen Hintergrund: Der Gottesanruf der Judit in LXX/Hs 151 hat die Not leidende Witwe der atl. Tradition zum Hintergrund, die sich nach der Armentheologie Gottes Beistand und Schutz gewiss sein kann (vgl. Ex 22,22; 1 Kön 17,9–22; Dtn 10,18 LXX).284 Obwohl Judit in der Einführung als besonders wohlhabend – und sich daher von der typischen atl. armen Witwenvorstellung abhebend – skizziert wurde (Jdt 8,1–11), betet sie hier als schutz- und wehrlose Witwe, die Gottes Beistand bedarf. Die schutz- und wehrlose Witwe wird sie (scheinbar) werden, wenn sie die sicheren Stadtmauern von Betulia verlässt, um Israel zu retten. Die Konzeption der Juditfigur der LXX (und der Hs 151) ist also auf ein Spiel mit beiden Rollen angelegt: der reichen selbstständigen und der armen hilfsbedürftigen Witwe.285 Dem Witwenbild in der Vg-Fassung liegt eine ganz neue Vorstellung zu Grunde. Die Vg-Fassung übernimmt von der LXX-Fassung Judit als reiche Witwe, die im Hintergrund der atl. Tradition als außergewöhnlich gewertet werden kann. Die Vg-spezifischen Veränderungen zur Iudithfigur und die Informationen über Iudith aus der praefatio zum Buch Iudith aber, haben das mentale Modell der Iudithfigur, das der zeitgenössische Lesende fortwährend erstellt, verändert. Die gottesfürchtige, in Zurückgezogenheit lebende Iudith muss diesem mit ihrem Reichtum weniger außergewöhnlich, sondern vielmehr aus seiner Lebenswirklichkeit bekannt vorkommen. Möglicherweise also fleht die Iudith der Vg Gott gerade nicht aus der Rolle der armen schutzbedürftigen Witwe an, sondern vielmehr aus der Rolle der wohlhabenden Witwe, der treuen Dienerin Gottes, die ihr ganzes Leben ihrem Glauben gewidmet hat und deshalb auf Gottes Beistand hoffen kann.

284 Vgl. Idt 8,1a. 285 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 280–281.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 201

Die für die Vg vorgestellte Deutung korrespondiert auch mit dem ganz besonderen Status, der Witwen und vor allem Jungfrauen – oftmals unter Abwertung der Ehe – in der Briefliteratur durch Hieronymus zugesprochen wird. Darin werden diese als Belohnung für ihre Lebensweise zu Engeln und Helfern Christi auf Erden: „[…] habeant nuptae suum tempus et titulum. mihi uirginitas in Maria dedicatur et Christo. […]“ Hieronymus, Ep. 22,18 (CSEL 54, 167–168). „[…] Mag die Ehe ihre Zeit und ihre Berechtigung haben. Mir gilt nur die Jungfräulichkeit etwas, die in Maria und Christus ihre Weihe empfangen hat […]“286.

„[…] et ut scias uirginitatem esse naturae, nuptias post delictum […]“ Hieronymus, Ep. 22,19 (CSEL 54, 169). „[…] Du sollst nämlich wissen, daß die Jungfräulichkeit der natürliche Zustand ist, während es zur Ehe erst nach dem Sündenfalle kam […]“287.

„[…] quare ergo non habet domini de uirginitate praeceptum? quia maioris est mercis, quod non cogitur et offertur, quia, si fuisset uirginitas imperata, nuptiae uidebantur ablatae et durissimum erat contra naturam cogere angelorumque uitam ab hominibus extorquere et id quodam modo damnare, quod conditum est […]“ Hieronymus, Ep. 22,20 (CSEL 54, 171). „[…] Warum also hat er über das jungfräuliche Leben kein Gebot des Herrn? Weil das, was ungezwungen angeboten wird, größeren Wert hat. Hätte der Herr die Jungfräulichkeit zur Pflicht gemacht, dann konnte es scheinen, als sei die Ehe abgeschafft. Es wäre aber überaus hart gewesen, gegen die Natur einen Zwang aufzuerlegen, von den Menschen ein Leben zu verlangen, wie es die Engel führen, und damit in gewissem Sinne das Werk der Schöpfung zu verurteilen […]“288.

Dieser Gedanke wird in Ep. 22 sogar explizit mit der Tat Iudiths an Holofernis verbunden. Iudith wird darin indirekt als Engel bezeichnet: „[…] statim ut filius dei ingressus est super terram, nouam sibi familiam instituit, ut, qui ab angelis adorabatur in caelo, haberet angelos et in terris. tunc Oolofernae caput Iudith continens amputauit […]“ Hieronymus, Ep. 22,21 (CSEL 54, 173).289 „[…] Sobald der Sohn Gottes seinen Eintritt in diese Welt hielt, schuf er sich eine neue Familie, damit er, der im Himmel von den Engeln angebetet wurde, auch Engel auf Erden habe. Eine enthaltsame Judith war es, die damals dem Holofernes das Haupt abschlug […]“.

286 Hieronymus, Ep. 22,18 (BKV2 Zweite Reihe 16, 81). 287 Hieronymus, Ep. 22,19 (BKV2 Zweite Reihe 16, 82). 288 Hieronymus, Ep. 22,20 (BKV2 Zweite Reihe 16, 84). 289 Hieronymus, Ep. 22,21 (BKV2 Zweite Reihe 16, 86).

202 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Der zweite Unterabschnitt greift den Gedanken des ersten Abschnitts wieder auf: Nach der konkret skizzierten Rettungserzählung der Vergangenheit (Idt 9,2a–3d; Gen 34), wird beschrieben, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Macht Gottes liegen und nach seinem Willen geschehen (Idt 9,4a–d). Das Motiv der Geschichtsmächtigkeit Gottes zeigt Iudiths speziell theologisches Wissen, aufgrund dessen Gott in der Not helfen wird. So wie Gott Symeon geholfen hat, so soll er nun auch Iudith helfen (Idt 9,2a–b.3e–f). Idt 9,4–5 Vg/Hs 151 sind im Vergleich zu Jdt 9,4–6 verkürzt. Auffällig ist, dass nur die Vg das Zitat der personifizierten Ereignisse von Jdt 9,5 LXX/Idt 9,6 Hs 151 streicht und damit keine Rede in der Rede enthält. Weiter werden die Wege des Herrn, womit Gottes Plan und sein Wirken an den Menschen gemeint sind, mit seiner Rolle als gerechter Richter verbunden (Idt 9,5a–b).290 Ähnlich formuliert auch Jdt 9,6 LXX. Die Hs 151 hat keine Entsprechung zu Idt 9,5b Vg. Iudiths Rede richtet sich damit gezielt gegen die Position der Ältesten, die Gott ein Ultimatum von fünf Tagen gestellt haben (Idt 7,23).291 Gottes Plan stehe in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bereits fest: Dazu gehört, dass die Assyrer das Volk Israel bedrohen und Gott sein Volk nach bestandener Prüfung rettet (vgl. Idt 8,26–27).292 Rückblickend können die Tötung des Holofernis und der Sieg über die Assyrer als Vorherbestimmung durch Gott gesehen werden. Iudith aber weiß zum Zeitpunkt ihres Gebets noch nicht, ob Gott sie auch wirklich unterstützen wird. Sie wendet sich – gestützt durch ihren Glauben und aufgrund ihres theologischen Wissens – an Gott, in der Hoffnung, nicht im Wissen, dass er sie erhören wird.

3.4.2.2 Die Bedrohungen durch die Assyrer und die Ägypter (Idt 9,6a–8b) Der zweite Unterabschnitt (Idt 9,6a–8b) beginnt mit einer längeren Vg-spezifischen Passage. Erstmalig wird unter Nennung der Assyrer – und durch das Signalwort nunc „nun“ hervorgehoben – auf die aktuelle Notsituation Bezug genommen: Gott solle auf das „Lager“ (castrum) der Assyrer blicken, wie er damals geruht habe, auf das Lager der Ägypter zu sehen (Idt 9,6a–b).

290 So auch Jes 26,8; 55,8–9; 58,2; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 494. Providentia „Vorsehung“ kommt zwei Mal im Buch Iudith vor (Idt 9,5b; 11,16) und thematisiert beide Male göttliche Vorsehung. 291 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 494. 292 Vgl. auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 276.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 203

Schilfmeererzählung (Idt 9,6a–11d) Mit der Nennung der Ägypter unter Wiederholung von castrum „Lager“ und dem Tempuswechsel vom Präsens Imperativ zur Vergangenheit wird erneut eine biblische Erzählung, diesmal die Rettung am Schilfmeer (Ex 14–15), eingespielt (Idt 9,6a–b): Nachdem das Volk Israel unter Führung des Mose aus Ägypten ausgezogen war, setzten ihnen die Ägypter im Auftrag des Pharao, dessen Herz von Gott verhärtet worden war, nach, um sie zurückzuholen. Durch die Hand des Mose teilt Gott das Schilfmeer, lässt sein Volk durchziehen und die Ägypter darin umkommen. Idt 9,6b–8b greift die Schilfmeererzählung in verkürzter und modifizierter Form auf: Idt 9,6–8 Vg

Ex 14,9.20.24; 15,5 Vg

6 Blicke jetzt auf das Lager der Assyrer, wie du damals geruht hast, das Lager der Ägypter zu betrachten, als sie bewaffnet hinter deinen Knechten her eilten im Vertrauen auf ihre Viergespanne und ihre Reiterei und auf die Vielzahl ihrer Krieger. 7 Aber du hast ihr Lager angeschaut, und Finsternis machte sie müde.

6a respice castra Assyriorum nunc 6b sicut tunc castra videre Aegyptiorum dignatus es 6c quando post servos tuos armati currebant confidentes in quadrigis et in equitatu suo et in multitudine bellatorum

8 Ein Abgrund hielt ihre Füße fest, und Wasser bedeckten sie.

8a tenuit pedes eorum abyssus 8b et aquae operuerunt eos

7a sed aspexisti super castra eorum 7b et tenebrae fatigaverunt eos

9 cumque persequerentur Aegyptii vestigia praecedentium reppererunt eos in castris super mare omnis equitatus et currus Pharaonis […] 20 stetit inter castra Aegyptiorum et castra Israhel et erat nubes tenebrosa et inluminans noctem ut ad se invicem toto noctis tempore accedere non valerent 24 iamque advenerat vigilia matutina et ecce respiciens Dominus super castra Aegyptiorum per columnam ignis et nubis interfecit exercitum eorum 5 abyssi operuerunt eos descenderunt in profundum quasi lapis

Idt 9,6a–8b Vg hat neben der Nennung der Ägypter einige Wörter mit Ex 14,2– 15,5 Vg gemeinsam: „Zurücksehen“ (respicere in Idt 9,6a; Ex 14,24 Vg), „Lager“ (castrum in Idt 9,6a.b.7a; Ex 14,2.19.20bis.24 Vg) und „Reiterei“ (equitatus in Idt 9,6c; Ex 14,9.23 Vg). Das Lexem teneb- „finster-“, das in Idt 9,7b für das Müdewerden der Ägypter durch eine Finsternis verwendet wird, steht in Ex 14,20 Vg im Zusammenhang mit der finsteren Wolkensäule des Herrn, wodurch die Ägypter in

204 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

sicherer Distanz von den Israeliten gehalten werden (Ex 14,20.24 Vg). Idt 9,8a–b Vg verweisen durch die Wörter „Abgrund“ (abyssus293) und „bedecken“ (operire) auf Ex 15,5 Vg, wo der Tod der Ägypter im Lied des Mose beschrieben wird: Die mit Wasser bedeckten Füße der Ägypter (Idt 9,8a Vg) halten diese fest, so dass sie im Meer umkommen. Vom im Buch Exodus in Ex 14,28.30 ausdrücklich beschriebenen Tod der Ägypter ist in der Vg-Fassung des Buches Iudith keine Rede. Das Motiv des „Bedeckens“ kommt noch vier Mal vor: In Idt 2,11 Vg (auch Jdt 2,19 LXX/Hs 151) und Idt 16,5 Vg (Jdt 16,3 LXX/Hs 151) wird der gewaltige assyrische Feldzug geschildert.294 In Idt 5,9 Vg (Jdt 5,10 LXX/Hs 151) beschreibt Achior wie die Hungersnot Kanaan „bedeckt“ hat, weshalb sich die Israeliten in Ägypten niederließen und sich dort vermehrten.295 In Idt 5,13 Vg erläutert er in Vg-spezifischer Hinzufügung die Ereignisse am Schilfmeer und berichtet von dem vom Wasser bedeckten Heer der Ägypter und vom Tod aller Verfolger.296 Das Wort (co)operire „(ganz) bedecken“ verbindet mithin das anfänglich hochmütige Verhalten der Assyrer und deren Vertrauen auf ihre Kriegsmacht und den „Untergang“ des ägyptischen Heeres am Schilfmeer. Dazu passt auch, dass als Motivation für die Ägypter im Buch Iudith, nicht wie im Buch Exodus das verhärtete Herz des Pharao (Ex 14,5 Vg), sondern deren Hochmut genannt wird (vgl. Idt 8,17d), der sich im Vertrauen auf ihre Kriegsmacht zeigt (Idt 9,6c).297 Das ist auffällig, obwohl diese Modifikation bereits in Jdt 9,7–8 LXX thematisch angelegt ist. Der Hochmut, der sich im Vertrauen auf die eigene Kriegsmacht zeigt und zum Untergang führt, ist ein wichtiges Motiv in LXX/Hs 151/Vg. In der Vg-Fassung aber wird es durch entscheidende Vg-spezifische Hinzufügungen ausgebaut: Vg-spezifisch wird in Idt 1,4 ein ähnliches Verhalten auch von König Arfaxad kurz vor seiner verheerenden Niederlage gegen Nabuchodo-

293 Abyssus meint in der Vg die in Finsternis gehüllte Urmasse (Gen 1,2 Vg), die Erdtiefe (Gen 8,2 Vg), den Ort der Toten (Röm 10,7 Vg) und der Dämonen (Lk 8,31 Vg), bei den Kirchenvätern wird das Wort auch für eine unergründliche Meerestiefe, ein abgrundtiefes Gewässer verwendet (Bsp. Augustinus, De civitate dei 18,23 [CChr.SL XLVIII, 613–615]); vgl. Schneider, Abyssos (RAC 1), 61. 294 et profectus est ipse et omnis exercitus cum quadrigis et equitibus et sagittariis qui cooperuerunt faciem terrae sicut locustae, Idt 2,11; venit Assur ex montibus ab aquilone in multitudine fortitudinis suae cuius multitudo obturavit torrentes et equi eorum cooperuerunt valles, Idt 16,5. 295 cumque cooperuisset omnem terram fames descenderunt in Aegyptum illicque per quadringentos annos sic multiplicati sunt ut dinumerari eorum non possit exercitus, Idt 5,9 Vg. Dabei handelt es sich um eine weitere Vg-spezifisch hinzugefügte Schilfmeererzählung (Idt 5,11–13 Vg). 296 in quo loco dum innumerabilis exercitus Aegyptiorum eos persequeretur ita aquis coopertus est ut non remaneret vel unus qui factum posteris nuntiaret, Idt 5,15 Vg. 297 Auch in der Vg-spezifischen Einspielung der Erzählung am Schilfmeer in Idt 5,12–13 Vg wird das Motiv des verstockten Herzens ausgelassen.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 205

nosor berichtet.298 In der Rede des Hohepriesters Ioachim in Idt 4,13, schildert dieser, dass Amalech die Auseinandersetzung mit Israel ebenfalls wegen des Vertrauens auf seine Kriegsmacht verloren hat.299 In Idt 1,8 wird in Vg-spezifischer Hinzufügung vom Hochmut des Nabuchodonosor nach seinem Triumph über Arfaxad berichtet,300 weshalb dieser den Entschluss fasst, die ganze Erde seiner Herrschaft zu unterwerfen (Idt 2,3). In Idt 2,11 werden Holofernis (hochmütige) Pläne, die Erde mit assyrischen Soldaten wie Heuschrecken zu bedecken, beschrieben. Auffällig sind die Wortwiederholungen zwischen Idt 1,4.8; 4,13; 9,6–7(.9): Confidere (Idt 4,13; 9,6, vgl. auch Idt 7,8; 8,17; 9,9); quadriga (Idt 1,4; 2,11; 9,6); equitatus (Idt 2,11; 4,13; 9,6); exercitus (Idt 1,4; 2,11; 4,13; 5,9.15). Und mit dem Hochmut hängen zusätzlich gloria- (Idt 1,4bis), exaltatare (Idt 1,8) und elatus (Idt 1,8) zusammen.301 Die zahlreichen wörtlichen Parallelen, die zwischen den intertextuellen Bezügen von Idt 9,6–8 und Ex 14,9.20.24; 15,5 Vg einerseits, und den intratextuellen Vernetzungen zwischen Idt 9,6–8 und Idt 1,4; 2,11; 4,13 andererseits, bestehen, zeigen, wie die Sünde des Hochmuts und das Vertrauen auf die eigene Kriegsmacht zusammenhängen. Nach der Redeargumentation zeigen die Ägypter mithin das gleiche sündhafte Verhalten wie die Assyrer (vgl. Idt 8,17d), so dass eine Parallele zwischen der Situation am Schilfmeer und der in Bethulia hergestellt wird. Die Einspielung bringt Iudiths Wunsch zum Ausdruck, dass Gott nun in ähnlicher Weise helfen soll, wie er es damals beim Auszug aus Ägypten getan hat (Idt 9,6a–b). Außerdem wird nun an einem Beispiel erläutert, was Iudith zuvor theoretisch durch die Geschichtsmäßigkeit Gottes vorgestellt hatte (vgl. Idt 9,4a–d). Die Lesenden könnten, nachdem die Theologie des Hochmuts in Idt 9,6–7 erklärt wird, aufgrund der Parallelen mutmaßen, dass den Assyrern das Schick-

298 et gloriabatur quasi potens in potentia exercitus sui et in gloria quadrigarum suarum, Idt 1,4. 299 „Denkt an Mose, den Diener des Herrn, der Amalek, der auf seine Kraft vertraute und auf seine Macht und auf sein Heer und seine Schilde und seine Streitwagen und seine Reiter, nicht durch Kampf mit dem Schwert, sondern durch Beten mit heiligen Bitten niedergeworfen hat!“ (memores estote Mosi servi Domini qui Amalech confidentem in virtute sua et in potentia sua et in exercitu suo et in clypeis suis et in curribus suis et in equitibus suis non ferro pugnando sed precibus sanctis orando deiecit, Idt 4,13). 300 tunc exaltatum est regnum Nabuchodonosor et cor eius elatum est, Idt 1,8. 301 Auch das Vg-spezifische currus „Streitwagen“ wird in Idt 4,13; 9,9 in Bezug auf die Feinde verwendet. Currus kommt auch in der Schilfmeererzählung häufig vor (Ex 14,6.7bis.9.17.18.23.25.26.28; 15,4 Vg). Sagitta „Pfeil“ (Idt 5,16; 7,8; 9,9) und lancea „Lanze“ (Idt 7,8; 9,9; 11,2) sind weitere Waffen der Feinde Israels.

206 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

sal der Ägypter bzw. Arfaxads oder Amalechs noch bevorsteht. Die assyrische Niederlage wäre insofern bereits angedeutet. Zusammen mit der Vg-spezifischen Einspielung von Idt 9,7b–8b wird an dieser Stelle einmal mehr das Eigenprofil der Vg-Fassung deutlich.302 In Idt 9,9 wird die Theologie des Hochmuts noch einmal auf den Punkt gebracht. Mit dem Signalwort sic „so“ und dem Tempuswechsel ins Futur I sowie durch direkte Anrede an Gott unter Verwendung von „Herr“ (Domine) wird das Ende der Exoduseinspielung angezeigt und zum aktuellen Geschehen zurückgeführt: Wie den Ägyptern soll es auch den Assyrern ergehen (Idt 9,9a). Ab Idt 9,9b–c läuft die Vg wieder – zumindest thematisch – parallel mit Jdt 9,7 LXX/Hs 151, die nichts von den Ägyptern schreiben und stattdessen nur den Hochmut der Assyrer inklusive deren Kriegsmacht thematisieren. Dieser bestehe nach der Vg darin, dass diese, auf ihre „Vielzahl“ und ihre „Streitwagen“ vertrauten und sich mit ihren „Wurfspeeren“, „Pfeilen“ und „Lanzen“ rühmten (Idt 9,9b–c). Durch die Wörter zum Thema Waffen wird der Gegensatz zwischen Israeliten und den Feindmächten noch einmal begründet: Assyrer und Ägypter vertrauen auf ihre Heeresmacht, beide machen sich daher der Sünde des Hochmuts schuldig. Beide verdienten – so die Argumentation – das Einschreiten durch Gott (vgl. Idt 9,6–7).

Gott ist ein Herr, der Kriege von Anfang an zerschlägt (Idt 9,10b–c) Dem Motiv des Hochmuts wird dann mit einer weiteren Exoduseinspielung, der Schilfmeererzählung, explizit theologisches Wissen gegenübergestellt. Diese kennen alle drei Textfassungen. So zitiert Jdt 9,7–8 LXX Ex 15,3 LXX:303 Jdt 9,7–8 LXX

Ex 15,3 LXX

Ex 15,3 HT

[…] ὅτι σὺ εἶ κύριος συντρίβων κύριος συντρίβων πολέμους πολέμους κύριος ὄνομα αὐτῷ 8 κύριος ὄνομά σοι […]

‫יהוה אישׁ מלחמה יהוה שׁמו‬

[…] dass du der Herr bist, der Kriege zerschlägt. 8 „Herr“ ist dein Name […]

JHWH (ist) ein Kriegsmann JHWH (ist) sein Name.

Der Herr (ist jemand), der Kriege zerschlägt, Herr ist sein Name

302 In LXX/Hs 151 findet sich nur die Parallele von Ex 15,3 LXX und Jdt 9,7 LXX/Hs 151. Die Formulierung „Ross und Reiter“ (ἵππον καὶ ἀναβάτην) kennt nur die LXX (in Ex 15,1; Jdt 9,7 LXX); vgl. dazu Engel, »Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt«, 157, 165. 303 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 284. Die gegenteilige Übersetzung von Ex 15,3; Jdt 9,7; 16,2 LXX bei Maier: „Der Herr ist Kriegsmann“, 281–295 ist abzuweisen.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 207

Jdt 9,7–8 LXX folgt nicht Ex 15,3 HT, sondern Ex 15,3 LXX, was inhaltliche Konsequenzen hat. Denn während Gott nach Jdt 9,7–8 LXX und Ex 15,3 LXX ein Gott ist, der Kriege zerschlägt, formuliert Ex 15,3 HT genau gegenteilig, dass Gott ein Kriegsmann ist. Ein Vergleich von Jdt 9,7–8 LXX und Idt 9,10b–d Vg//Idt 9,7–8 Hs 151 zeigt nun interessanterweise, dass die Vg/Hs 151 Jdt 9,7–8 LXX und damit Ex 15,3 LXX übersetzen und eben nicht Ex 15,3 HT oder eine lateinische Übersetzung von Ex 15,3 HT: Jdt 9,7–8 LXX

Idt 9,7–8 Hs 151

Idt 9,10b–d Vg

[…] ὅτι σὺ εἶ κύριος συντρίβων πολέμους 8 κύριος ὄνομά σοι […]

[…] quoniam tu dominus qui conteres bella,

quia tu ipse es Deus noster qui conteris bella ab initio

8 dominus nomen est tibi. […]

et Dominus nomen est tibi

[…] dass du der Herr bist, der Kriege zerschlägt. 8 „Herr“ ist dein Name […]

[…] dass du der Herr bist, der Kriege zerschlägt. 8 „Herr“ ist dein Name […]

dass du selbst es bist, unser Gott, der Kriege von Anfang an zerschlägt, und dass „der Herr“ dein Name ist.

Ex 15,3 Vg ist nach Ex 15,3 HT übersetzt: Dominus quasi vir pugnator. Omnipotens nomen eius; Der Herr (ist) gleichsam ein Kriegsmann. Allmächtig (ist) sein Name. Idt 9,10c Vg fügt nur die Formulierung „von Anfang an“ (ab initio) hinzu.304 Wenn Idt 9,10 Vg//Idt 9,7–8 Hs 151 die Jdt-LXX (bzw. Ex-LXX) und nicht den Ex-HT oder eine lateinische Übersetzung von Exodus als Vorlage verwendet haben, dann ist der Exodusbezug in der Vg-Fassung bzw. der Hs 151 nicht mehr ohne Weiteres für die Lesenden ersichtlich, die den Exodustext in ihrer lateinischen Sprache kennen. Insofern wird hier ein Exodusmotiv in der Vg ausgelassen. Würde die Vg-Fassung (und die Hs 151) in Ex 15,3 HT/Vg folgen, wäre das ein Widerspruch zur zuvor entfalteten Theologie, nach der der Gott Israels die hochmütigen Feinde besiegt und sein Volk rettet. Gerade weil Gott nicht auf Seiten der hochmütigen Kriegstreiber ist, zerbricht er Kriege und steht auf der Seite der

304 Die Hinzufügung von „von Anfang an“ (ab initio) dient, erkennbar an den Wiederholungen der Formel in Idt 9,10.11.16 der intratextuellen Verbindung von theologischen Gedanken. Gott zerbricht Kriege „von Anfang an“, er erhebt seinen Arm als Zeichen seiner Macht und Kraft „von Anfang an“, Hochmütige haben ihm „von Anfang an“ nicht gefallen. Eine Parallele zu Gen 1,1 ist aufgrund der variierten Wortwahl auszuschließen (in principio creavit Deus caelum et terram).

208 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Schwachen. Das ist das Gottesbild, das hier vermittelt wird. Dass Gott ein Kriegsmann ist (Ex 15,3 HT/Vg), würde nicht nur Jdt 9,7–8 LXX widersprechen, sondern auch den Vg-spezifischen Exoduseinspielungen in Idt 4,11–13 Vg und Idt 5,16 Vg, die ebenfalls Variationen zu ihren Exodusvorbildern aufweisen. Dass dies kein Zufall, sondern eine systematische Entscheidung des Übersetzers ist, zeigt die Vg-spezifische Erweiterung, die in Idt 9,6–8 Vg dem Exoduszitat in Idt 9,10 Vg vorangestellt ist. Der Umstand, dass die Vg in Idt 9,10 Vg Ex 15,3 LXX bzw. Jdt 9,8 LXX und nicht Ex 15,3 HT/Vg übersetzt, dient als Hauptargument dafür, dass Hieronymus, entgegen seinen eigenen Angaben in der praefatio, kein chaldäischer Urtext vorgelegen hat.305 Das ist vor allem auch deshalb auffällig, weil sich Gegenteiliges an Jes 42,13 beobachten lässt: Während HT/Vg nun beide schreiben, dass der Herr ein Kriegsmann ist, ändert die LXX auch hier den Text ab und übersetzt, dass der Herr den Krieg zerschlagen wird. Jes 42,13 Vg ist eindeutig an der hebräischen Vorgabe orientiert.306 Unter Verwendung zweier Imperative (Idt 9,11a.b) wird Gott zur Hilfe aufgefordert:307 Gott soll seinen Arm erheben wie er es „von Anfang an“ getan hat, er soll ihre Kraft durch seine Kraft schlagen und ihre Kraft soll in seiner Wut fallen (Idt 9,11a–c). Die erneute Verwendung von „von Anfang an“ (ab initio Idt 9,10c.11a) verweist auf die Einspielung der Schilfmeererzählung zurück. Auffällig sind die dreifache Wortwiederholung von „Kraft“ (virtus, Idt 9,11bbis.c) sowie das Vg-spezifisch zusätzliche Bild des Armes (brachium), den Gott zur Rettung Israels erheben soll (vgl. Idt 8,14–15), weil es auf die Schilfmeererzählung verweist (inruat super eos formido et pavor in magnitudine brachii tui fiant inmobiles […], Ex 15,16 Vg). In drei Bildern wird dann die Hybris der Assyrer beschrieben (vgl. Idt 8,17d; 9,9b.12b), die versprochen haben (promittere), dass sie das Heilige des Herrn vernichten (violare; vgl. Idt 8,29), das Zelt seiner Ehre beflecken (vgl. Idt 8,5.20) und das Horn seines Altares mit dem Schwert abschlagen wollen (Idt 9,11d).308 Die

305 Vgl. dazu Engel, »Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt«, 157, 165. 306 Jes 42,13: Dominus sicut fortis egredietur sicut vir proeliator suscitabit zelum vociferabitur et clamabit super inimicos suos confortabitur. κύριος ὁ θεὸς τῶν δυνάμεων ἐξελεύσεται καὶ συντρίψει πόλεμον ἐπεγερεῖ ζῆλον καὶ βοήσεται ἐπὶ τοὺς ἐχθροὺς αὐτοῦ μετὰ ἰσχύος; vgl. auch Jdt 16,2 LXX/Idt 16,3 Vg. 307 Die Forderung wird in einem dreigliedrigen Parallelismus nach dem Schema Prädikat – Akkusativ-Objekt – Adverbiale geäußert. 308 Interessanterweise hatte Iudith zuvor auch das Versprechen des Ozias, die Stadt nach fünf Tagen auszuliefern, mit dem Wort „versprechen“ promittere beschrieben (Idt 8,9; vgl. auch 15,7c).



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 209

Vg-Fassung folgt hier LXX/Hs 151.309 Die Bilder beschreiben den Plan der Assyrer, den Jerusalemer Tempel zu vernichten. Im dritten Bild wird die Zerstörung des Brandopferaltars geschildert, dessen vier Hörner hier auf eines reduziert sind (vgl. Ex 27,2). Das Abschlagen derselben mit dem Schwert gilt als besonders frevelhaft (Ex 20,25; Dtn 27,5).310 Die Tempelzerstörung zeigt nach antiker Tradition die Machtlosigkeit einer Gottheit.311 Das Bild beschreibt den Grundkonflikt der gesamten Erzählung und die eigentliche Hybris: Denn Nabuchodonosor, der weltliche König, möchte mit seinem Feldzug beweisen, dass er selbst der mächtigste Gott ist (Jdt 3,8 LXX/ Hs 151//Idt 3,13 Vg). Durch die Bilder der Tempelzerstörung soll der Gott Israels zum Einschreiten bewogen werden. Die Vg-Fassung übernimmt von Jdt 9,8 LXX die Parallelisierung der Themenfelder Schändung von Städten und Frauen, die den ersten mit dem zweiten Abschnitt verbindet. In der biblischen Tradition ist diese nicht unüblich.312 Für beides wird innerhalb des Gebets violare verwendet (vgl. Idt 9,2c.11d).313 Innerhalb der Iuditherzählung wird auch das Lexem pollu- „besudel-, verunreinigoder übertragen verletz-, entehr-, entheilig-“ (Idt 9,11d) in beiden Kontexten gebraucht: für die Tempelentweihung (Idt 4,10; Ez 5,11; 1 Kor 3,17 Vg) und für die Vergewaltigung von Frauen (in Idt 13,20; Gen 34,7 Vg für Dina; in 2 Sam 13,22 für Thamar; in Sach 14,2 Vg für die Frauen von Jerusalem).314 Durch die Wort- und Themenwiederholung wird die Dinaerzählung wiederaufgegriffen: Die Gefahren der Vergewaltigung für Iudith während ihres Aufenthalts bei den Assyrern und der Tempelzerstörung für das Volk Israel, im Falle von Iudiths Scheitern, werden dadurch in einen Sinnzusammenhang gebracht.

309 Jdt 9,8 LXX schreibt statt Schwert „Eisen“: […] ἐβουλεύσαντο γὰρ βεβηλῶσαι τὰ ἅγιά σου, μιᾶναι τὸ σκήνωμα τῆς καταπαύσεως τοῦ ὀνόματος τῆς δόξης σου, καταβαλεῖν σιδήρῳ κέρας θυσιαστηρίου σου. Deicere „abschlagen“ wird innerhalb des Gebets sowohl für den Plan der Assyrer (Idt 9,11), als auch für den Plan Iudiths (Idt 9,15) sowie für die Hilfe Gottes in der Exoduseinspielung in Idt 4,13 verwendet. 310 Vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte, 296. 311 Vgl. Schmitz, Geschichte Israels, 33–34. 312 Zenger liest daraus einen weiteren Bedeutungshorizont: Die von Holofernes geplante Schändung Judits werde ebenso vereitelt, wie seine Schändung Israels oder Betulias; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 493. Diese Deutung kann nach kognitionswissenschaftlichem Ansatz nur teilweise berücksichtigt werden, da der Lesende nur von dem Vorhaben, Bethulia zu erobern, weiß. 313 Vgl. auch Jdt 9,2.8 LXX; anders Idt 9,2.8 Hs 151: Idt 9,8 Hs 151 enthält weder violare noch polluere. 314 In Idt 4,10 wurde die Sorge um Entweihung des Tempels durch die Assyrer bereits schon durch die Israeliten vor Gott getragen.

210 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

3.4.2.3 Iudiths Plan (Idt 9,12a–16d) Mit der vierten Gottesanrufung und einem weiteren Imperativ wird zu Iudiths Plan übergeleitet. Dabei handelt es sich um eine Vg-spezifische Formulierung: Gott soll veranlassen, dass die Hybris des Gegners durch dessen eigenes Schwert gestutzt werden soll (Idt 9,12a–b; vgl. auch Idt 8,17d). Den Feind, der erneut als hochmütig charakterisiert wird, möchte Iudith mit dessen eigenem Schwert und der Hilfe Gottes besiegen: So wie Gott Symeon das „Schwert“ (gladius) zum Besiegen der Feinde in die Hand gab, so soll er es auch Iudith geben (Idt 9,2b.12b). Ironischerweise soll auch der assyrische Plan der Tempelzerstörung durch ein „Schwert“ (gladius) gelingen (Idt 9,11d). Im Vergleich zu Jdt 9,9 LXX/Hs 151 ist Idt 9,12a–b sehr viel eindeutiger in der Formulierung.315 Beachtenswert ist die Kombination von superbia „Hochmut“ und amputare „stutzen“ aufgrund ihrer indirekt vorausdeutenden Funktion. Amputare „abschneiden, kappen, ablösen, abhauen“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 313) beschreibt Iudiths Tat, den Kopf des Holofernis mit dessen eigenem Schwert abzutrennen und ihn damit für seinen „Hochmut“ zu bestrafen. Sicherlich wird die spätere Kopfabtrennung in Idt 13,10 dadurch angedeutet, die auch in Idt 16,11 im Lied Iudiths unter Wiederholung von amputare „abschneiden“ besungen wird. Dadurch wird ein Vg-spezifischer Akzent gesetzt.

Iudiths List der Verführung (Idt 9,13a–15b) Eine Vg-spezifische Hinzufügung ist auch Idt 9,13a–b: Seine Augen sollen durch den Blick auf Iudith mit einer Schlinge gefangen werden, damit Gott ihn dann durch ihre Lippen der Liebe durchbohren kann (Idt 9,13a–b). Auch hier ist die Vg deutlicher mit Blick auf die spätere Tat als LXX/Hs 151.316 Oculus „Augen“ kommt zehn Mal innerhalb des Buches Iudith vor. Durch die Verwendung wird in biblischer Tradition aber nicht das Sehorgan, sondern vielmehr die Dynamik des Blickes thematisiert,317 was auch dem Befund der Textstellen entspricht: Damit wird das Verlangen des Nabuchodonosor nach den zu erobernden Gebieten beschrieben – Vg-spezifisch in Idt 2,6 – sowie der Tod der Israeliten aus der Perspektive der Assyrer (Idt 7,14.16), meist aber die Begierde ver-

315 So auch Soubigou, Judith, 545. 316 Idt 9,10 Hs 151 (et percute eum ex labiis caritatis mee, et precipe ut euertam eum […]) enthält nur das Motiv des Durchbohrens durch die Lippen der Liebe, nicht aber das Gefangenwerden des Holofernis durch dessen Augen und ist damit offener in der Interpretationsmöglichkeit. Möglicherweise soll in der Vg verstärkt das listenreiche Vorgehen Iudiths analog zu dem Symeons (und Levis) in Gen 34, das in Idt 9,2–3 Vg eingespielt wird, gelesen werden. 317 Vgl. Schneider, Auge, 215; Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 117.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 211

schiedener Männer auf Iudith, die sich in deren Augen widerspiegelt: vornehmlich die des Holofernis (Idt 9,13; 10,17; 12,14; 16,11; vgl. auch in Bezug auf Besitz in Idt 3,3) aber auch die der Ältesten (Idt 10,4 Vg/LXX) und die der assyrischen Soldaten (Idt 10,14). Das Auge hat an allen diesen Textstellen eine negative Konnotation. Auch ntl. steht es im übertragenen Sinn für den Spiegel der Seele und muss gehütet werden, weil es leicht anfällig für die Begierde ist (vgl. Mt 5,28; 1 Joh 2,16).318 Eine vergleichbare Ansicht findet sich in dem hieronymianischen Ep. 54,13: „[…] speculum mentis est facies et taciti oculi cordis fatentur arcana […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Das Gesicht ist der Spiegel der Seele, und die Augen verraten die Geheimnisse des verschwiegenen Herzens […]“319.

Auf derartige Vorstellungen wird hier abgehoben. Holofernis soll durch seine Augen gefangen, d.h. handlungsunfähig gemacht werden, indem seine Begierde geweckt wird, die den Verstand ausschaltet. Dazu trägt auch capere „fassen, gefangen nehmen, überlisten, betrügen, fesseln, für sich einnehmen, verlocken, betören“ bei. Das Wort steht für die Gefangenschaft der Israeliten im babylonischen Exil (Idt 5,22), für die von den Assyrern beabsichtigte Gefangennahme der Israeliten (Idt 5,28; 13,28) sowie mehrfach für die von Iudith beabsichtigte Betörung des Holofernis (Idt 9,13; 10,17; 16,11). In diesen Bedeutungskontext passt auch das Bild der „Schlinge“ (laqueus), mit der Holofernis gefangen werden soll. Dass die verführerische Frau den Mann wie „Schlinge“ (laqueus) und Fangnetz fesselt, beschreibt Hieronymus auch an anderer Stelle: „Et dicit se omnium malorum caput mulierem repperisse […] Et cum in mentem miseri amatoris inciderit, trahit eum in praeceps, nec ante pedes suos respicere patitur, sed quasi laqueus et sagena cor adolescentis innectit […] Hieronymus, Comment. in Eccl. VII,26–27 (CChr.SL 72, 311–312). Und er sagt, er habe als Haupt aller Übel die Frau gefunden […] Und sobald sie in den Geist eines unglücklichen Liebhabers eingedrungen ist, reißt sie ihn in den Untergang und duldet nicht, dass er vor [seine] Füße blickt, sondern fesselt das Herz des jungen Mannes wie Schlinge und Fangnetz […]“320.

Die sinnliche Begierde, um deren Erweckung bei Holofernis Iudith in Idt 9,13a bittet, unterliegt durch das Wertesystem der Erzählung einer besonders negati-

318 Vgl. Wilpert, Auge (RAC 1), 965–966. 319 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 162). 320 Feichtinger, Paula, Eustochium und Blesilla und die mulier amarior morte, 197.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

ven Konnotation. Denn als positive Werte wurden bisher – genau gegenteilig – Iudiths Keuschheit (praefatio zum Buch Iudith) und ihr frommes Leben hervorgehoben (Idt 8,4–8). Die bisherige Vg-spezifische Darstellung des Holofernis suggeriert und intendiert, dass dieser nicht in der Lage sein wird, seine Begierden zu kontrollieren: Nach der Vg-spezifischen Hinzufügung in Idt 3,11 gelang es den sich dem assyrischen Feldzug ergebenden Völkern nicht, die Wildheit in der Brust des Holofernis zu besänftigen (nec ista tamen facientes ferocitatem eius pectoris mitigare potuerunt). Diese Wildheit zeigte sich darin, dass er neben der Zerstörung ihrer Städte, sogar ihre Haine abholzte (nam et civitates eorum destruxit et lucos eorum excidit, Idt 3,12//Jdt 3,8 LXX/Hs 151). Dem unerhörten und ungewöhnlichen Vorgehen, die religiösen Stätten des Gegners zu vernichten,321 versucht die Vg Ausdruck zu verleihen, indem Holofernis als wild bzw. barbarisch charakterisiert wird. Diese Vgspezifische Formulierung offeriert den Lesenden die Interpretation, dass Holofernis sich nicht unter Kontrolle hat und steigert gleichzeitig die Erwartung und die Spannung auf das erste Treffen mit Iudith. Durch die Opposition werden gute und schlechte Werte und Handlungsmöglichkeiten an die Lesenden transportiert. Die Begierde unterliegt auch bei den Kirchenvätern und nicht zuletzt bei Hieronymus selbst einer sehr negativen Konnotation,322 weil sich daran menschlich sündhaftes Verhalten vornehmlich zeige. Während Iudith nach Idt 9,13a bereits in ihrem Gebet den verführenden Part übernimmt, soll es Gott sein, der Holofernis „durchbohrt“ (Idt 9,13b). Percutere „durchstoßen, durchbohren, durchstechen, aber auch betrügen und eine tiefe Wunde schlagen, jemanden schmerzlich berühren“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3576–3577) wird in seinem doppelten Sinn aufgrund des Kontextes bedeutungsrelevant. Das Wort beschreibt das prophezeite Erschlagenwerden des Achior durch die Assyrer (Idt 6,3), das des Holofernis durch Iudith (Idt 13,10; 16,8) und das der Feinde durch Gott (Idt 5,10; 9,13; 13,19; vgl. Idt 13,19). Darunter bezieht es sich vier Mal auf das Erschlagenwerden des Holofernis (Idt 9,13; 13,10.19; 16,8), der nicht nur durchstochen, sondern auch betrogen wird. Insofern hat das Wort Leitwortcharakter. Dies soll durch die „Lippen der Liebe“ geschehen. Labia „Lippen“ kommt zwei Mal in der Iuditherzählung vor (Idt 9,13; 13,6). In Idt 13,6 dienen die Lippen als Werkzeug zum Gebet vor der rettenden Tat. Das seltene caritas „Liebe“ kommt in der Vg-Fassung nur in Idt 9,13b vor.

321 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 129. 322 Vgl. Johannes Chrysostomos, De virginitate 30 (SC 125 190,27–29); Wilpert, Begierde (RAC 2), 76.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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Der Lesende wird den hier in der Erzählung vorgestellten Plan mit der Deutung in der praefatio verbinden: Nach der praefatio besiegt Iudith mit ihrer Keuschheit den von allen Männern Unbesiegten (Z. 11–12, praefatio zum Buch Iudith). Diese Aussage aber stößt mit Blick auf die erotisch anmutende Rede Iudiths scheinbar auf einen Spannung erzeugenden Widerspruch: Aufgelöst werden muss die Frage, wie Iudith durch ihre Keuschheit siegen kann, wenn ihr „Lippen der Liebe“ helfen sollen, den Feind zu täuschen.

Iudiths Bitte um Standhaftigkeit (Idt 9,14a1–c) Iudith bittet um „Standhaftigkeit“, ihn gering zu schätzen und die „Kraft“, ihn zu stürzen (Idt 9,14a1–c).323 Bei der Bitte um constantia „die feste Haltung der Willensrichtung, der Denk- und Handlungsweise, Beständigkeit, Beharrlichkeit, Konsequenz, Ausdauer, Festigkeit, Standhaftigkeit des Charakters“ (vgl. GeorgesLDHW Bd. 1, 1198–1199) handelt es sich um Eigengut der Vg. Das Wort kommt auch in Idt 16,12a in Vg-spezifischer Hinzufügung vor, nachdem Gott ihr die erbetene „Standhaftigkeit“ (constantia) verliehen hat, um die Iudith in Idt 9,14a1–c bittet, auch wenn ihr diese in ihrem Lied durch die Perser zugeschrieben wird. Über die Bedeutung des Wortes gibt der Kontext Aufschluss: Iudith bittet gezielt um „Standhaftigkeit“ (constantia), damit es ihr gelingt, Holofernis geringzuschätzen. Nachdem Iudith als keusch und gottesfürchtig charakterisiert worden ist, liegt die Annahme nahe, dass mit „Standhaftigkeit“ zur Geringschätzung des Holofernis die Beherrschung ihrer eigenen sexuellen Triebe gemeint ist. Sexuelle Triebe, wegen denen sie der „Standhaftigkeit“ bedarf, wenn sie vor Holofernis steht, damit die „Schlinge“, die sie auslegt, sich nicht um ihren eigenen Hals dreht. Dafür spricht auch, dass sie um „Standhaftigkeit“, ihn gering zu schätzen, bittet.324 Obwohl auch contemnere „jemanden oder etwas geringschätzig behandeln, jemandem oder etwas trotzen, verachten“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1230–1231) im Buch Iudith nicht im sexuell konnotierten Zusammenhang verwendet wird (vgl. Idt 13,28d), ist das Wort hier kaum anders zu verstehen. Auch hat constantia in den zwei Vorkommen innerhalb der Vg nicht die Bedeutung der sexuellen Enthaltsamkeit (Weish 5,1; Apg 4,13), ebenso wenig wie in den Briefen

323 Idt 9,14a1–c ist ein zweigliedriger Parallelismus nach dem Schema Akkusativ-Objekt – finaler Nebensatz. Die parallele Satzstellung zeigt, dass „Standhaftigkeit“ und „Kraft“ zur Verwirklichung des Plans notwendig sind. 324 Das Wort bezeichnet die Missachtung der Assyrer durch andere Völker (Idt 2,5; 5,4; 9,14; 10,12; 11,2), die unmögliche Missachtung der Hebräer wegen Iudith (Idt 10,12) und die nicht unpolemische Missachtung von Seiten des Holofernis (Idt 13,28).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

des Hieronymus. In Ep. 54,7 wird Standhaftigkeit allerdings als wichtigste Tugend der Witwe benannt, wenn auch unter Verwendung des Wortes perservantia statt constantia: „[…] uidua, quae marito placere desiuit et iuxta apostolum uere uidua est, nihil habet necessarium nisi perseuerantiam. […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „[…] Eine Witwe, die ihrem Manne nicht mehr zu gefallen braucht und nach dem Apostel in Wahrheit eine Witwe ist, hat außer der Standhaftigkeit nichts nötig […]“325. 

Hieronymus selbst berichtet in einem seiner Briefe von seinen eigenen angestrengten Bemühungen um Standhaftigkeit: „[…] pallebant ora ieiuniis et mens desideriis aestuabat in frigido corpore et ante hominem suum iam carne praemortua sola libidinum incendia bulliebant. […] et repugnantem carnem ebdomadarum inedia subiugabam […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 153). „[…] Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. Vor dem Menschen, der dem Fleische nach bereits gestorben war, loderte einzig noch das Feuer der Sinnlichkeit auf. […] und das widerspenstige Fleisch bändigte ich durch wochenlanges Fasten […]“326.

Ausnahmslos jedem Menschen sei die Begierde eingeboren, schlimme Gedanken daher bestenfalls gleich im Entstehen zu töten. „[…] quia ergo inpossibile est in sensum hominis non inruere notum medullarum calorem, ille laudatur, ille praedicatur beatus, qui, statim ut coeperit cogitare, interficit cogitatus et elidit eos ad petram […]“ Hieronymus, Ep. 22,6 (CSEL 54, 152). „[…] Es ist ja an sich unmöglich, daß die dem Menschen eingeborene, aus seinem Innern kommende Glut seine Sinne unberührt läßt. Deshalb gebührt dem Anerkennung und Lob, der die schlimmen Gedanken gleich im Entstehen ertötet und am Felsen zerschmettert […]“327.

Die Briefbeispiele legen die Vermutung nahe, dass Iudith trotz keuscher Lebensführung nicht als über alle „Schwächen“ erhaben angesehen werden kann und daher um „Standhaftigkeit“ bitten muss. Iudith bittet auch um die „Kraft“ (virtus) Holofernis zu stürzen.328 Virtus kommt dreiundzwanzig Mal im Buch Iudith vor (Idt 2,6; 3,7.15; 4,13; 5,3.19.27; 6,15.17; 9,11bis.14; 10,4.8; 11,5; 13,13.22.25; 14,6.10.17; 16,16.26) und bezeichnet nach

325 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156). 326 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69). 327 Hieronymus, Ep. 22,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 68). 328 Ausführlich dazu Hilt (jetzt Lange), Dominus contulit splendorem, 91–108.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

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Georges eigentlich die „Mannheit“ und damit alles, was einem Mann an positiven körperlichen und geistigen Attributen zugeordnet werden kann: In diesem Sinne bedeutet es „Tüchtigkeit und Tauglichkeit in allgemeinem Sinn“ und spezieller „männliche Vollkommenheit, Tugend, Tugendhaftigkeit, Moral, aber auch kriegerische Tüchtigkeit, kriegerischer Mut und Tapferkeit sowie Mut, Herzhaftigkeit und Standhaftigkeit in schwierigen Lebensverhältnissen“ (vgl. GeorgesLDHW Bd. 1, 5041–5041).329 Das AT kennt keine Entsprechung zu virtus,330 im NT hingegen wird das griechische ἀρετή „Tugend“ mit virtus übersetzt (vgl. 2 Petr 1,4–7, wo es auch darum geht, der weltlichen Begierde zu entfliehen).331 In christlicher Literatur bezeichnet es auch die „göttliche Kraft“.332 Neben der vom etymologischen Standpunkt aus gesehenen Bedeutung von virtus „Kraft“, das von vir „Mann“ abgeleitet wird, hat sich das Wort aber auch nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen als Oberbegriff in der lateinischen Literatur etabliert, und umfasst dann gewisse „Tugenden“: So nennt beispielsweise Plinius der Jüngere „Keuschheit“ (castitas) und „Heiligkeit“ (sanctitas) als die virtutes „Tugenden“ der Fannia, einer Plebejerin und zweiten Gattin des Gaius Helvidius Priscus.333 Interessant ist, dass sich das Verständnis des Wortes im Sinne von „Tugend“ vielfach in den Briefen des Hieronymus findet.334 Beispielsweise heißt es in Ep. 108,15: „[…] quae prima Christianorum uirtus est, tanta se humilitate deecit […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 325). „[…] Die erste Tugend des Christen ist die Demut […]“335.

329 Virtus benennt auch die personifizierte Tapferkeit, die Göttin Virtus und ist Attribut der römischen Kaiser; vgl. dazu auch Wardle, Virtus (DNP 12/2), 248–249; Eck, virtus (PRE.S 14), 869–910. 330 Vgl. Aubert, Vertus, 468. 331 Vgl. auch Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, 20. 332  Vgl. Eisenhut, Virtus Romana, 195–207. 333 Vgl. Plinius, Epistularum Libri Novem 7,19,4, 224; Eisenhut, Virtus Romana, 184–186; auch Iuvenal stellt virtus im Sinne der Keuschheit der Unzucht gegenüber; vgl. Juvenal, Satiren 2,20, 24; Eisenhut, Virtus Romana, 188–189. 334 Interessant sind auch die Beobachtungen von Baumann zum virtus-Begriff bei Augustinus: Augustinus verwende den Begriff unterschiedlich, erkennbar sei aber ein weitreichendes neues Verständnis des Tugendbegriffes gegenüber der paganen Tradition; Demnach seien alle menschlichen Eigenschaften in der virtus der Liebe verbunden, sämtliche Tugenden seien Ausdruck der Liebe. Zu diesen Tugenden gehörten auch humilitas „Demut“ und castitas „Keuschheit“; vgl. Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, 20–73, 133–192. 335 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 121).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die angeklungene Bedeutungsvielfalt des virtus-Begriffs ist auch im Buch Iudith gegeben: Ob das Wort eher „Kraft“ oder eher „Tugend“ meint, hängt jeweils vom Kontext ab. Aufgrund der Tatsache, dass Gott Holofernis durchbohren soll (Idt 9,13b), liegt die Vermutung nahe, dass Iudith nicht um „Kraft“ bittet, sondern um „Tugendhaftigkeit“ in der bevorstehenden Situation und damit die erste Bitte um „Standhaftigkeit“ inhaltlich stützt. Dafür spricht auch die Verwendung des Wortes in Idt 16,26a, wenn von der „Tugend der Keuschheit“ (virtuti castitatis) die Rede ist, die Iudith vom Tode ihres Mannes an bis zu ihrem eigenen Lebensende leben wird. Iudith wird Gott aber kurz vor ihrer Tat, wenn Holofernis schon ohnmächtig und kampfunfähig vor ihr liegt, erneut um „Kraft“ (virtus) bitten (Idt  13,9–10). In diesem Kontext ist auch denkbar, dass tatsächlich körperliche oder sogar göttliche „Kraft“ gemeint ist, um die Iudith in Idt 13,9–10 und auch in Idt 9,14 bittet. Dass Iudith standhaft, also keusch, bleiben wird, weiß der Lesende bereits aus der praefatio (Z. 9–11 praefatio zum Buch Iudith). Spannung erzeugend ist die Frage, wer Holofernis besiegt. Wie es in der Rede konzipiert ist, ist es Gott. Iudith fungiert nur als Instrument Holofernis zu überlisten. Gerade diese Vg-spezifische Bitte zeigt erneut die Handschrift des Übersetzers und die veränderte Intention des Textes. Im Gebet wird im Folgenden begründet, warum Gott helfen soll: Denn es sei ein „Denkmal“ für den Namen des Herrn, wenn eine weibliche Hand Holofernis niederwerfen würde (Idt 9,15a–b). Idt 9,15a ist Vg-spezifische Hinzufügung. Das mit nur vierzehn Vorkommen in der Vg seltene memorialis „Erinnerungszeichen, Erinnerung, Denkmal“ schafft in Verbindung mit dem Wort „Namen“ (nomen) eine Parallele von Idt 9,15 zu Ex 3,15; Ps 134,13 Vg:336 Idt 9,15a

Ex 3,15

Ps 134,13

erit enim memoriale nominis tui

[…] misit me ad vos hoc nomen mihi est in aeternum et hoc memoriale meum in generationem et generatione

Domine nomen tuum in aeternum Domine memoriale tuum in generationem et generationem

„Denkmal“ in Verbindung mit dem „Namen“ Gottes steht für das ewige Gedächtnis des Menschen an Gott (vgl. auch Ps 101,13; Jes 26,8 Vg). Durch die Verwendung im Buch Iudith könne Gott an sein Versprechen erinnert werden, das er Mose bei seiner Selbstvorstellung in Ex 3,15 Vg gegeben hat, das ihn dazu bringen soll, als

336 Nomen „Namen“ wird entweder zum Ruhme Gottes (Idt 7,24; 9,10.15; 16,2.3) oder zu dem Iudiths gebraucht (Idt 10,8; 11,21; 13,25.31).



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 217

Gott, der Generationen übergreifend für sein Volk da ist, auch in der aktuellen Situation zu helfen, als Gott, der Kriege zerbricht (Idt 9,10; 16,3). Im Besonderen sei es ein „Denkmal“ für seinen Namen – so wird die Argumentation vervollständigt –, wenn dies durch die Hand einer Frau geschehe (Idt 9,15b). Das Motiv der manus „Hand“ steht in biblischer Tradition für Handeln und Stärke, für Gottes Stärke und sein Handeln, das für oder gegen sein Volk gerichtet sein kann, wenn von Gottes Hand die Rede ist.337 Feminea „weiblich“ kommt nur in Idt 9,15b vor. Aber die Verbindung des etymologisch verwandten femina „Frau“ mit manus „Hand“ findet sich auch in Idt 13,19; 16,7, was die besondere Bedeutung des Motivs für die Erzählung unterstreicht (zum Motiv der Hand vgl. Idt 13,7b). Gott soll also durch die Hand einer Frau handeln. In Ri 9,52–54 möchte Abimelech, der von einer Frau mit einem Mühlstein tödlich verwundet wurde, lieber von seinem Waffenträger getötet werden, als sich nachsagen zu lassen, er sei von einer Frau getötet worden. In Iudiths Rede ist der Tod durch die Hand einer Frau die Bedingung dafür, dem Namen Gottes ein Denkmal zu sein. Ein solcher Tod für den Feind scheint mehr Gottes Allmacht zum Vorschein zu bringen, als es eine große Heeresmacht könnte. Gleichzeitig würden Iudiths Argumente bestätigt, nach der sich die Feinde mit ihrer Heeresmacht brüsten, den Gott Israels aber nicht kennen, der solches vollbringen kann und Kriege zerschlägt, weil Herr sein „Name“ ist (Idt 9,9b–10d). Durch die Wortwiederholung von deicere werden die Absicht der Tempelzerstörung durch die Assyrer und die Absicht Iudiths, Holofernis zu töten, und damit zwei mögliche Handlungsszenarien für die Erzählung miteinander parallelisiert (vgl. Idt 9,11d.15b). Welcher der menschlichen Pläne aufgehen wird, entscheidet dann Gott. Auffällig sind auch die Vg-spezifischen sprachlichen Parallelen von Idt 9,9.15 und Idt 4,13, wo der Kampf Israels gegen Amalech und damit Ex 17,8–16 eingespielt wird:

337 Vgl. Ackroyd, Hand (NBL 2), 27; Wagner, Hand (AT) (wibilex), 14.04.2014.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 9,9.15 9 sic fiant et isti Domine qui confidunt in multitudine sua et in curribus suis et in contis et in sagittis suis et in lanceis gloriantur 15 erit enim memoriale nominis tui cum manus feminea deiecerit eum

Idt 4,13 9 So sollen auch die da werden, Herr, die auf ihre Menge vertrauen und auf ihre Streitwagen und sich brüsten mit ihren Wurfspeeren und Pfeilen und Lanzen 15 Denn es wird ein Denkmal für deinen Namen sein, wenn eine weibliche Hand ihn niedergeworfen hat.

memores estote Mosi servi Domini qui Amalech confidentem in virtute sua et in potentia sua et in exercitu suo et in clypeis suis et in curribus suis et in equitibus suis non ferro pugnando sed precibus sanctis orando deiecit

Denkt an Mose, den Diener des Herrn, der Amalek, der auf seine Kraft vertraute und auf seine Macht und auf sein Heer und seine Schilde und seine Streitwagen und seine Reiter, nicht durch Kampf mit dem Schwert, sondern durch Beten mit heiligen Bitten niedergeworfen hat!

Der Vergleich von Idt 9,9.15 und Idt 4,13 zeigt eine Widerholung von memor„erinn-“, confidere „vertrauen“ (Idt 4,13; 9,9), currus „Streitwagen“ (Idt 4,13; 9,9) und deicere „abschlagen“ (Idt 4,13; 9,15; sowie Idt 9,11). In Ex 17,8–16 Vg wird beschrieben, wie das Heer des Mose siegreich in der Schlacht durch die Unterstützung Gottes ist, indem dieser immer dann das Volk stark macht, wenn Mose seinen Stab hebt.338 In Idt 4,13 legt der Hohepriester Heliachim diese Geschichte auf die aktuelle Situation aus: Die Israeliten seien nur siegreich gegen die sich mit ihrer Macht brüstenden Feinde gewesen, weil sie gefastet und gebetet hätten. Von Beten und Fasten jedoch ist in Ex 17,8–16 keine Rede. Auch ist in Ex 17,13 Josua der Ausführende – der in der Iuditherzählung überhaupt nicht genannt wird – und Mose der Verantwortliche. Statt deicere „niederwerfen“ wird fugare „verteiben“ als prädikatsbildendes Verb verwendet (fugavitque Iosue Amalech et populum eius in ore gladii, Ex 17,13 Vg). Durch die Einspielung wird die Not Bethulias ein weiteres Mal mit einer vergangenen Situation parallelisiert, womit Gott zum Helfen ermutigt werden soll. Auch wird Iudith dadurch erneut in eine parallele Rolle zu Mose gerückt: In Idt 9,15 ist es allerdings eine „weibliche Hand“, die den Feind „niederwerfen soll“, in Idt 4,13 hingegen hat Mose ihn mit Gebet und Bitten „niedergeworfen“.

338 Das Motiv der Hand ist auch in Ex 17,8–16 mit sechs Vorkommen dominant.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 219

Hochmut und Demut (Idt 9,16a–d) Iudiths Argumente vor den Ältesten (vgl. auch Idt 8,17a–d) werden durch die Gegenüberstellung von Hochmut und Demut noch einmal aufgegriffen: Gerade nicht in der Vielzahl sei Gottes „Kraft“ (virtus; vgl. Idt 9,14) und nicht in Stärken von Pferden sein Wille,339 Hochmütige hätten ihm von Anfang an nicht gefallen, sondern das Flehen der Demütigen und Gewaltlosen habe ihm gefallen (Idt 9,16a–d).340 Inhaltliche wie wörtliche Parallelen zeigen die Nähe zu der Argumentation in Idt 8,17, wo Hochmut und Demut als konträre Werte dargestellt wurden, anhand derer sich entscheidet, ob der Mensch ein sündhaftes oder ein gerechtes Leben in Gottes Augen führt. Der „Hochmut“ (superbia), der im Vertrauen der Feinde auf ihre Streitmacht und im Mangel an Glauben an Gott besteht, dient auch hier der Charakterisierung des Fehlverhaltens der Feinde (vgl. Idt 6,15; 8,17; 9,9.12.16; 13,28 für die Assyrer; Idt 9,6 für die Ägypter; Idt 1,4 für Arfaxad; Idt 4,13 für Amalech und sein Heer). Was im Gegensatz dazu den „Willen“ Gottes erfüllt und ihm damit „gefällt“, ist die „Demut“: Voluntas „Wille“ steht für die Pläne und Absichten Gottes (Idt 8,17; 9,16), placere „gefallen“ verweist auf Idt 8,23, wo das Verb beispielhaft dazu dient, Gottes Wohlwollen gegenüber Isaak, Jakob und Mose zu beschreiben (vgl. Idt 8,23) und damit das demütige Verhalten lobend hervorzuheben. Deprecatio „Flehen“, humilis „demütig“ und mansuetus „Sanftmütiger“ beschreiben das Thema Demut (vgl. Idt 8,16): Das Substantiv deprecatio „bittendes Flehen“ (Idt 9,16) und das etymologisch verwandte Verb deprecari „jemanden inständig, flehentlich um etwas bitten“ (Idt 4,15; 9,17; 12,5) werden ausschließlich für das demütige Flehen zu Gott verwendet. Durch die dritte Wiederholung von ab initio „von Anfang an“ wird noch einmal an die Erzählung von der Rettung am Schilfmeer erinnert (Idt 9,10c.11a.16c) und gleichzeitig suggeriert, dass Gott nun in ähnlicher Weise helfen soll: Wie er durch die Trennung des Meeres durch die Hand des Mose ein Wunder gewirkt hat, soll auch durch die Hand Iudiths, die aufgrund ihrer Demut Wohlwollen in Gottes Augen finden muss, ein Wunder gewirkt werden, das das Volk Israel rettet. Idt 9,16b–c ist Vg-spezifisch, Idt 9,16d weist eine größere Variante zu Hs 151 auf. Durch die Abweichungen, die sich vor allem am Vg-spezifischen Wortschatz

339 Das Vg-spezifische equus „Pferd“ kommt zwei Mal im Buch Iudith vor (Idt 3,3; 9,16). Nur in Idt 9,16 steht es im Kontext der feindlichen Streitmacht. Auch in der Schilfmeererzählung wird das Wort dreifach verwendet (Ex 15,1.19.21 Vg). 340 Das Vg-spezifische Zitat sed humilium et mansuetorum tibi semper placuit deprecatio (Idt 9,16d) verwendet Thomas von Aquin in seinem Kommentar zu Ps 34,6; vgl. Ryan, The Ancient Versions of Judith and the Place of the Septuagint in the Catholic Church, 7–8.

220 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

in Idt 9,26b–d341 zeigen, stellt die Vg erneut ganz eigene intratextuelle Bezüge her. Dadurch wird der Gegensatz von Hochmut und Demut als zentrale Wertvorstellung für die Erzählung betont, wodurch sich gleichzeitig das hieronymianische Profil des Textes zeigt. Die vielen Bezüge zwischen Iudiths Rede zu den Ältesten (vor allem in Idt 8,16.17.23) und ihrem Gebet zu Gott (in Idt 9,16a–d) sowie die weitere Einspielung und die Verknüpfung zu Ex 3,15 in Idt 9,15a–b zeigen deutlich das Vg-spezifische Profil.

3.4.3 Bitte an Gott (Idt 9,17a–19c) Eine fünfte Gottesanrufung leitet den dritten Abschnitt ein, in dem Gott durch eine dreifache Gottesprädikation um sein Erbarmen gebeten wird: Gott wird als Gott des Himmels, als Schöpfer des Wassers und als Herr der Schöpfung angerufen, während Iudith aus der Position einer Elenden heraus zu Gott fleht und sein Erbarmen erwartet (Idt 9,17a–b). LXX

Hs 151

Gott meines Vaters ὁ θεὸς τοῦ πατρός μου

patris mei domine

und Gott des Erbbesitzes Israels καὶ θεὸς κληρονομίας Ισραηλ

Vg –





du Gebieter der Himmel und der Erde δέσποτα τῶν οὐρανῶν καὶ τῆς γῆς

deus celorum et terre

Deus caelorum –

Schöpfer der Wasser(massen) κτίστα τῶν ὑδάτων

creator aquarum

creator aquarum

König deiner ganzen Schöpfung βασιλεῦ πάσης κτίσεώς σου

rex totius creature

dominus totius creaturae

Jdt 9,12 LXX enthält dagegen eine fünffache Gottesprädikation (erweitert um „Gott meines Vaters“, „Gott des Erbbesitzes Israels“ und „Gebieter des Himmels und der Erde“), Idt 9,12 Hs 151 eine vierfache (ohne „Gott des Erbbesitzes Israels“).

341 Dazu gehören: equus „Pferd“, voluntas „Wille“, superbia „Hochmut“, ab initio „von Anfang an“, deprecatio „Flehen“, mansuetus „Sanftmütiger“, placere „gefallen“ (humilis „demütig“ hingegen schreibt auch Idt 9,11 Hs 151 als Übersetzung des griechischen ταπεινός Jdt 9,11 LXX).



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 221

Caelum „Himmel“ wird ausschließlich als Prädikation für Gott gebraucht (Idt  5,9.12.15.19; 6,13.15; 7,17; 9,17; 13,24). Das Lexem crea- „schöpf-“ kommt in Idt  9,17; 16,17 vor, wodurch der Bezug zu Gen 1 hergestellt wird (vgl. Idt 16,17). Aqua „Wasser“ steht in der Schilfmeererzählung für die Rettung der Israeliten und den Untergang der Ägypter (Idt 5,12.13), für die Bedrohung der Menschen in Bethulia im Kontext des Wassermangels (Idt 7,7.11bis; 11,10), als Gottesprädikation (Idt 9,17) und als Umschreibung für den Ort von Iudiths Gebet im Lager der Assyrer (Idt 12,7). Wasser hat mithin positive oder negative Auswirkung für die Israeliten. Was von beidem zutrifft, bestimmt Gott als Herr über das Wasser. Während LXX/ Hs 151 in der Prädikation eine breite Thematik entfalten, bleibt die Vg spezifiziert auf einen universalistischen, schöpfungstheologischen Kontext, wobei auffällt, dass die Vg den an Gen 1,1 erinnernden und in Vg häufig vorkommenden Titel „Schöpfer des Himmels und der Erde“ zu „Gott der Himmel“ abändert (vgl. z. B. Gen 14,22 Vg; nicht so in Idt 6,15; 13,24). Iudiths Bitte um Erhörung (exaudire) ist in der Vg mit zahlreichen Vg-spezifischen Wörtern versehen: Dazu gehören misera „Elende“, deprecor „flehen“, misericordia „Erbarmen“, praesumere „erwarten“. Durch die Wiederholung von deprecatio bzw. deprecor „flehen“ rückt Iudith in die Rolle der Demütigen und Gewaltlosen (Idt 9,16d.17b), die Gott für gewöhnlich gefallen, und als welche sie diesen um dessen Hilfe, dessen „Erbarmen“ (misericordia) anfleht (vgl. Idt 8,12; 9,16). Durch die Selbstbezeichnung „Elende“ (misera) wird hervorgehoben, dass Iudith aus der Position derjenigen heraus betet, die die „Barmherzigkeit“ Gottes dringend notwendig hat. Die Vg fügt eine weitere Aufforderung mit direkter Anrede hinzu, die LXX und Hs 151 nicht enthalten: Der Herr soll seines Bundes gedenken (Idt 9,18a). Memorare „gedenken“ kommt fünf Mal im Buch Iudith vor und steht dafür, dass die Israeliten der Taten Gottes durch Mose (Idt 4,13) und durch die Väter gedenken sollen (Idt 8,21.22), dass der Herr seines Bundes gedenken soll (9,18) sowie für das Andenken Iudiths, das diese nach ihrer Tat erhalten wird (Idt 13,25). Das Wort dient dazu, das Handeln Gottes im Kontext seines Bundes mit seinem Volk Israel in dessen Erinnerung aufrecht zu erhalten und gleichzeitig Iudiths Tat in besonderer Weise zu würdigen. Durch die Formulierung wird eine inhaltliche Verbindung zu Gen 9,15 Vg hergestellt („et recordabor foederis mei vobiscum […]“). Daran werden zwei weitere Aufforderungen, mit inhaltlich großen Abweichungen zu Jdt 9,13 LXX/Hs 151 angeschlossen: Gott soll Iudith ein „Wort“ in den „Mund“ geben und den „Plan“ in ihrem Herzen fest machen (Idt 9,18b–c).342

342 Idt 9,18b–c ist ein zweigliedriger Chiasmus nach dem Schema Prädikat – Akkusativ-Objekt – Adverbial//Adverbial – Akkusativ-Objekt – Prädikat.

222 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Verbum „Wort“ bezieht sich in Idt 9,18b auf die konkrete Ausführung von Iudiths Plan. Gott soll ihr die richtigen Worte in den „Mund“ geben, damit Holofernis ihr sein Vertrauen schenkt (vgl. Idt 8,10). Os „Mund, Antlitz, Gesicht, aber auch Loch, Mündung, Quelle“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3451–3452) bezieht sich im Buch Iudith sowohl auf Worte, die aus dem Mund kommen (Idt 5,5; 9,18; 13,25), als auch auf die Schneide des Schwertes (Idt 2,16; 7,17; 15,6). Da sowohl die Worte als auch das Schwert handlungsbestimmend sind, ist die Doppeldeutigkeit von os „Mund“ besonders auffällig. Die Verwandtschaft von os „Mund“ und labia „Lippen“ verweist zudem auf Idt 9,13b zurück, wo Iudith darum gebeten hatte, Holofernis durch die „Lippen der Liebe“ ihrer Verführung zu durchbohren. In den Vg-spezifischen Hinzufügungen in Idt 9,18; 10,8; 15,11 steht cor für Iudiths „festes Herz“ angesichts der bevorstehenden Tat.343 Möglicherweise soll damit Iudiths Sorge Ausdruck verliehen werden, ob sie dem Plan, den sie ersonnen hat, auch gewachsen ist. Zum – im Vergleich zu Jdt 9,14 LXX/Hs 151 inhaltlich gleichen aber etwas gekürzten – Abschluss des Gebets wird die Bitte doppelt begründet: Der Plan soll gelingen, damit der Tempel des Herrn geheiligt bleibe und alle Völker erkennen, dass Gott der Gott ist und kein anderer (Idt 9,18d–19c).344 Mit ihrer Bitte beansprucht Iudith das für den Gott Israels, was Nabuchodonosor für sich selbst zu erreichen gedenkt (Idt 3,13a–c), und fordert gleichzeitig ein Bekenntnis zu Gott als dem Einzigen.

Fazit In Iudiths Gebetsvorbereitungen gibt es zwei auffällige Vg-spezifische Hinzufügungen: So begibt sich nur die Iudith der Vg zum Gebet in einen „Gebetsraum“ (oratorium Idt 9,1b), statt wie in Jdt 9,1 LXX/Hs 151 in dem Zelt auf ihrem Dach

343 Cor steht in Vg-spezifischer Hinzufügung für die Angst des Volkes Israel wegen des Hochmuts der Assyer („verwirrtes Herz“ Idt 8,17); so auch im Kontext eines Gebets der Israeliten (Idt 3,17). In Idt 8,21 sollen die Ältesten die Herzen des Volkes aufrichten. In Idt 12,16 Vg (/Jdt 12,16 LXX/Hs 151) meint es die Triebe des Holofernis, in Idt 1,7 – einer Vg-spezifischen Hinzufügung – Nabuchodonosors übermütiges/hochmütiges Herz, in Idt 10,16 (/Jdt 10,16 LXX/Hs 151) den wohlwollenden Empfang, den Holofernis Iudith aus der Perspektive seiner Soldaten bereiten wird, in Idt 11,1 (/Jdt 11,1 LXX/Hs 151) die Zurede des Holofernis, Iudith solle sich nicht ängstigen im Herzen. Auffällig ist, dass die Vg alle Verse, in denen die LXX (Hs 151 teilweise) auf die Verstandesebene des Wortes abstellt, streicht: Jdt 8,14.28.29; 11,10; 13,19 LXX; Jdt 8,27; 13,4 LXX/Hs 151; vgl. zum Motiv in der LXX-Fassung auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 178. 344 Die Wörter sanctificatio „Heiligung“, permanare „bleiben“ und agnoscere „erkennen“ sind Vg-spezifisch.



3.4 Iudiths Gebet (Idt 9,1a–19c) 

 223

zu beten. Nach dem Raum im oberen ihres Hauses (cubiculum Idt 8,5) ist der „Gebetsraum“ der zweite nur in der Vg-Fassung vorkommende Raum in Iudiths Haus. Beide Räume könnten den zeitgenössischen Lesenden an die Räumlichkeiten in römischen Häusern erinnern. Außerdem betont die Vg-Fassung, – nach Idt 8,6 zum zweiten Mal – dass Iudith ihr Bußgewand trägt (cilicium Idt 9,1; vgl. Idt 8,6a), während die Judit der LXX (und die der Hs 109), genau gegenteilig, das Bußgewand entblößt (vgl. Jdt 9,1 LXX). Die Hs 151 macht keine Angabe zur Kleidung. In Idt 10,2 Vg wird Iudith zuerst das Witwengewand und dann das Bußgewand ausziehen. Während die Judit der LXX hier also möglicherweise oberkörperfrei betet, ist die der Vg vollständig bekleidet. In Iudiths Gebet ist im Vergleich zur LXX eine Verschiebung im Status zu beobachten, der sich am Hilferuf der Witwe zu Gott zeigt (Jdt 9,4 LXX//Idt 9,3e–f): In der LXX wird Judit als wohlhabende und selbstständige Witwe eingeführt (Jdt 8,7). Wenn sie sich in Jdt 9,4 auf das traditionelle Motiv der armen Witwe bezieht, deren Hilferuf Gott hören wird, dann fällt dieses Spiel mit den Motiven auf. In der Vg-Fassung kommt noch eine weitere Bedeutung hinzu, denn die Iudith der Vg kann gerade als reiche, fromme Witwe auf Gottes Beistand hoffen. Zumindest lassen die hieronymianischen Briefe diesen Schluss zu, in denen dieser den in Askese lebenden Frauen aus seinem Umfeld eine besondere Nähe zu Gott zugesteht. Aufgrund der bisherigen mentalen Modellbildung Iudiths könnte auch dieses zeitgenössische Witwenbild vom Lesenden gesehen werden, wenn Iudith zu Gott fleht (vgl. Idt 8,4–8.14.17; 9,1). Die Theologie von Hochmut und Demut, die Iudith bereits in ihrer Rede an die Ältesten mit dem Schwerpunkt auf dem rechten Verhalten der „Demut“ entfaltet hatte (vgl. Idt 8,14.16–17.20.24–27), wird im Gebet mit dem Fokus auf das unrechte Verhalten des „Hochmuts“ noch einmal erläutert (vgl. Idt 9,6–12.15–16). Der Hochmut der Feinde zeigt sich in deren Vertrauen auf ihre Kriegsmacht, wofür diese von Gott bestraft werden, der zu seinem Volk steht. Die Vg fügt zur Erklärung dieser Theologie Exoduseinspielungen ein und überträgt die Lösung aus der Geschichte Israels auf die aktuelle Situation. So stellt die Vg-spezifische Einspielung (von Ex 14,23–24; 15,5 Vg in Idt 9,6a–8b) der Schilfmeererzählung eine Parallele zwischen der Situation Bethulias und der der Israeliten bei der Teilung des Meeres her.345 Die Schilfmeererzählung ist in allen drei Textfassungen präsent (Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151//Idt 9,10 Vg). Doch handelt es sich bei Idt 9,6a–8b Vg um einen Ausbau dieser Erzählung. In Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151//Idt 9,10 Vg wird Ex 15,3 nach

345 Schilfmeererzählung und Hochmut spielen auch in Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151 eine tragende Rolle, die Vg aber erweitert die Einspielung der Schilfmeererzählung.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

der LXX-Fassung zititert, wo es heißt, dass Gott ein Herr ist, der Kriege zerschlägt, während Ex 15,3 HT und Vg – genau gegenteilig – schreiben, dass Gott ein Kriegsmann ist.346 Nicht nur Jdt 9,7–8 LXX, sondern auch beide lateinischen Fassungen übertragen in Idt 9,7–8 Hs 151//Idt 9,10 Vg aus der LXX-Fassung von Exodus oder übersetzen einfach Jdt 9,7–8 LXX. Dadurch wird das Verständnis der Lesenden der Vg erschwert, die den lateinischen Exodustext kennen, der aus dem Hebräischen übersetzt worden ist. Denkbar ist, die Vg-spezifische Erweiterung der Exoduseinspielung in Idt 9,6a–8b Vg gerade dazu dient, dass der Lesende den Exodusbezug herstellen kann.347 Dafür sprechen auch die sprachlichen Parallelen von Idt 9,6a–8b Vg zu Ex 14,23–24; 15,5 Vg. Durch die Exoduseinspielung kann Iudiths Situation mit der des Mose verglichen werden, die beide zwischen Gott und dem Volk stehen. Eine weitere Bethulia-Feind- sowie Iudith-Mose-Parallele ist durch den Bezug von Idt 9,9.15 zu Idt 4,13 gegeben, wo die Vg die Auseinandersetzung mit Amalech einspielt (Ex 17,8–16). Die Opposition von Hochmut und Demut wird durch eine Reihe Vgspezifischer Begriffe noch weiter ausgebaut.348 Die Iudithfigur zeigt durch beide Einspielungen und deren analoge Anwendung auf die aktuelle Situation ihre umfassende Schriftkompetenz und theologische Bildung. Ein Vg-Spezifikum enthält auch Idt 9,12b mit der erotisch anmutenden Vorausdeutung der Enthauptung des Holofernis mit seinem eigenen Schwert (vgl. Idt 13,10b) und im Zuge dessen Iudiths Bitte an Gott um „Standhaftigkeit“ constantia. Gerade diese Bitte zeigt das eigene Profil des Textes, denn sie offenbart die Sorge, trotz des gottesfürchtigen Lebens, im Falle der Versuchung den eigenen Begierden zu unterliegen. Wenn Iudith Vg-spezifisch um Festigung ihres Planes im Herzen bittet (Idt 9,18c), meint sie damit innere und äußere Stärke ihren Plan durchsetzen zu können (vgl. auch Idt 10,8; 15,11). Die Sorge um sich und den Plan zeigt das Innenleben der Figur und schafft so Nähe. Möglicherweise besteht hier Identifikationspotential für den Lesenden, der derlei Ängste womöglich aus seinem eigenen Leben kennt.

346 Idt 9,10c Vg fügt „von Anfang an“ ab initio hinzu (vgl. auch Idt 9,11.16). Anders übersetzt Hieronymus Jes 42,13, wo HT/Vg beide schreiben, dass der Herr ein Kriegsmann ist, während die LXX erneut übersetzt, dass der Herr den Krieg zerschlagen wird. 347 Das macht es unwahrscheinlich, dass Hieronymus ein chaldäischer Urtext vorgelegen hat (vgl. Z. 2.8 praefatio zum Buch Iudith); vgl. dazu Engel, »Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt«, 157, 165. 348 In Idt 9,16b–d: equus „Pferd“, voluntas „Wille“, superbia „Hochmut“, ab initio „von Anfang an“, deprecatio „Flehen“, mansuetus „sanftmütig“, placere „gefallen“, humilis „demütig“; in Idt 9,17a–c: misera „Elende“, deprecor „flehen“, misericordia „Erbarmen“, praesumere „erwarten“.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) Idt 10,1a–20d lässt sich in vier Abschnitte gliedern: Im ersten wird – eingeleitet durch factum est autem „und es geschah aber“ – mit Beginn der Erzählstimmenrede – Iudiths Gebet abgeschlossen (Idt 10,1a–d). Nachdem Iudith ihre abra gerufen hat, finden im unteren Bereich des Hauses ihre äußere Veränderung und einige Reisevorbereitungen statt (Idt 10,2a–5b). Der zweite Abschnitt ist durch den Raumwechsel zum Tor Bethulias sowie die Begegnung mit den Ältesten und dem Volk Bethulias gekennzeichnet (Idt 10,6a–10a). Der dritte Abschnitt (Idt 10,11a–16d) wird wieder durch factum est autem „und es geschah aber“ eingeleitet (Idt 10,11a). Zusätzlich wechselt der Raum von der Stadt Bethulia den Berg hinab (Idt 10,11b). Iudith und ihre abra begegnen dort einem assyrischen Vorposten, der als weitere Figurengruppe hinzukommt (Idt 10,11c). Im vierten Abschnitt wechseln erneut Raum und Figurenkonstellation (Idt 10,16e–20e): Holofernis tritt in seinem Zelt auf (Idt 10,16e), dessen erste Begegnung mit Iudith beschrieben wird.

3.5.1 Iudiths Verschönerung und Verwandlung (Idt 10,1a–5b) Nachdem Iudith ihr Gebet beendet hat, steht sie auf, ruft ihre abra, verlässt den Gebetsraum und begibt sich in den unteren Teil des Hauses (Idt 10,1a–2b; in LXX/ Hs 151 verlässt sie das Zelt auf dem Dach ihres Hauses).

Iudiths Sich-Schön-Machen (Idt 10,2b–3h) In kleinen Schritten wird die Veränderung Iudiths geschildert, die der Lesende beobachten darf. Dies schafft Nähe zur Figur und steigert die Erwartung auf das Kommende. Iudith legt zunächst Bußgewand und Witwenkleider (ab Idt 10,2b– c//Jdt 10,3 LXX/Hs 151; vgl. auch Idt 8,6a; 9,1).349 Dann wäscht sie ihren Körper (Idt 10,3a/Jdt 10,3 LXX/Hs 151).350 Dass Iudith trotz des akuten Wassermangels noch die Möglichkeit hat sich zu waschen, ist bemerkenswert und wohl Zeichen

349 Idt 10,2c–3e bilden einen sechsgliedrigen Parallelismus nach dem Schema et – Prädikat – Objekt (– Adverbial), der vom Ausziehen der Witwenkleidung und dem Anziehen der Kleider der Freude gerahmt wird (Idt 10,2c.3e). 350 Vgl. Ruwe/Starnitzke, Körperpflege (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 312; Jdt 10,3 LXX/Hs 151 fügen „mit Wasser“ hinzu.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

ihres Reichtums (vgl. Idt 8,7b).351 Die Waschung Iudiths dient unter anderem dazu, Begierlichkeiten bei ihrem Widersacher Holofernis auszulösen und ist damit Bestandteil ihres Planes (vgl. Idt 9,13a–b).352 Dann salbt sie sich „mit bester Myrrhe“ (Idt 10,3b; vgl. auch Idt 16,10): Jdt  10,3 schreibt μύρον, lat. muron, was ein dünnflüssiges Öl pflanzlicher Herkunft bezeichnet, das als begehrtes Parfum mit betörender Wirkung gehandelt wird.353 Hs 151 übersetzt unguento (so auch in Idt 16,10 Vg). Dass die Vg die wörtliche Übersetzung wählt, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass LXX als Vorlage gedient haben könnte.354 Außerdem zeigt die Verwendung des Wortes „Myrrhe“, dass Iudiths Salbung nicht nur der alltäglichen Körperpflege, sondern darüber hinaus auch dem besonderen, exklusiven und betörenden Wohlgeruch dient. Die Salbung ist Teil einer weiblichen Verschönerungsstrategie (vgl. auch die Vorbereitung der Frauen, bevor sie zum König gerufen werden in Est 2,12–13 Vg)355 und im Buch Iudith mithin ein Mittel, um Holofernis zu verführen. Derartige Luxusgüter werden von Hieronymus aufs Schärfste kritisiert, was die gewollte ‚Laszivität‘ hier unterstreicht:

351 Neben zahlreichen positiven religiösen Konnotationen diene das Waschen, wie Koenen/ Mell für Judit festhalten, neben der Reinigung auch dazu, Männern zu gefallen; vgl. Koenen/ Mell, Wasser (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 635. 352 Auch wenn in Idt nur die Rede vom Waschen ist, ist interessant, dass Hieronymus in seinen Briefen zur Bewahrung der Keuschheit den Verzicht auf heiße Bäder empfiehlt: „[…] balnearum calor nouum adolescentiae sanguinem non incendat […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96), „[…] Dein junges Blut soll sich in den heißen Bädern nicht von neuem aufpeitschen lassen. […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325). „[…] si enim uigiliis et ieiuniis macerat corpus suum et in seruitutem redigit, si flammam libidinis et incentiua feruentis aetatis extinguere cupit continentiae frigore, si adpetitis sordibus turpare festinat naturalem pulchritudinem, cur e contrario balnearum fomentis sopitos ignes suscitat? […]“ Hieronymus, Ep. 107,11 (CSEL 55, 302). „[…] Wenn eine Jungfrau ihren Körper durch Wachen und Fasten kasteit und in Knechtschaft hält, wenn sie danach strebt, das Feuer der Leidenschaft und die Glut des jugendlichen Alters durch die Kühle der Enthaltsamkeit auszulöschen, wenn sie durch gewollte Nachlässigkeit ihre körperliche Schönheit entstellt, wozu soll sie dann durch warme Bäder das gedämpfte Feuer wieder anfachen? […]“ Hieronymus, Ep. 107,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 377). Jüthner bezeichnet Hieronymus sogar als einen der entschiedensten Gegner des Bades; vgl. Jüthner, Bad (RAC 1), 1142. 353 Vgl. Michel/Gruber, Öl/Salbe (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 426; Ruwe/ Starnitzke, Körperpflege (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 312; Ernst, Myrrhe (Herders Neues Bibellexikon), 535; Butting, Salbung (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 495. 354 Dafür spricht auch, dass Hss 109.130 nicht myrro schreiben. 355 Vgl. Kratz, Kosmetik (wibilex), 14.03.2014. Est 2,12 Vg schreibt myrtino.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 227

„[…] Neque uero peccantium ducaris multitudine et te pereuntium turba sollicitet […] adeunt balneas, unguenta non spernunt […]“ Hieronymus, Ep. 125,17 (CSEL 56/1, 136). „Wenn Du nun an die große Zahl der Sünder denkst und an die Menge derer, die zugrunde gehen, laß Dich nicht durch die etwa aufsteigende Befürchtung verwirren […] sie besuchen die Bäder und verachten keineswegs wohlriechende Salben […]“356.

Auch im Brief an den Diakon Sabinianus findet sich Kritik (vgl. Hieronymus, Ep. 147,8 (CSEL 56/1, 323–324): „[…] daß Du nicht merkst, wie Du ein Toter bist. Wie ein Fechter, der bereit ist, sich der Libitina zu weihen, schmückst Du Dich zu Deinem eigenen Begräbnis. Du kleidest Dich in Linnen, Du beschwerst Deine Finger mit Ringen, reinigst Deine Zähne mit Zahnpulver, pflegst die spärlichen Haare auf Deinem rötlichen Schädel; Dein Stiernacken mit seinem Fettpolster kann sich, weil er gebrochen ist, nicht beugen. Weiterhin duftest Du von Salben, ziehst von einem Bad ins andere und führst einen Kampf gegen die ständig nachwachsenden Haare. Wie ein feiner und aufgeputzter Liebhaber erscheinst Du auf dem Forum und auf den Straßen. Du hast das Gesicht einer Buhldirne, ohne daß Du Dich dessen schämst […]“357.

Dann scheitelt Iudith ihr „Haar“ (crinis Idt 10,3c). In diesem Kontext bedeutet discriminare „das Haupthaar abteilen, scheiteln“ und steht gewöhnlich mit capillus „Haupthaar“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1701). Das Scheiteln des Haares meint nicht etwa einfaches Kämmen desselben, sondern steht für eine bestimmte Frisur.358 Dazu wird das gewöhnliche capillus (Idt 10,3 Hs 151) durch das besondere crinis in der Vg-Fassung ersetzt: Capillus bedeutet Haupthaar, während crinis „das geschmeidige Menschenhaar“ meint (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 754). Auch das Frisieren verurteilt Hieronymus in seinen Briefen, wie beispielsweise in Ep. 38,4, unter Verwendung von crines: „[…] tunc crines ancillulae disponebant et mitellis crispantibus uertex artabatur innoxius; nunc neglectum caput scit sibi tantum sufficere, quod uelatur […]“ Hieronymus, Ep. 38,4 (CSEL 54, 291–292).

356 Hieronymus, Ep. 125,17 (BKV2 Zweite Reihe 16, 233). 357 Hieronymus, Ep. 147,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 377). 358 Ein Mittelscheitel mit Haarband ist in Rom ab dem 3. Jh. n. Chr. eine gewöhnliche Frisur; vgl. Hurschmann, Haartracht (Der Neue Pauly), 44. Es sei unter Hinweis auf den großen, zeitlichen Abstand angemerkt, dass Hathor, die ägyptische Göttin der Liebe, der Schönheit, des Tanzes und der Musik, gewöhnlich mit Mittelscheitel abgebildet ist; vgl. Ernst, Haar (Herders Neues Bibel Lexikon), 281; Gradl, Hathor (Herders Neues Bibel Lexikon), 296; Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 95, 107–114.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] Einst machten ihr die Dienstmädchen das Haar zurecht und zwängten den Scheitel, der doch nichts verbrochen hatte, in gekräuselte Kopfbinden ein. Heute verzichten man auf diese Haarpflege und begnügt sich damit, das Haupt zu verhüllen […]“359.

Eine polemische Äußerung findet sich auch im Brief an Demetrias, wo neben der Frisur auch das Tragen von Schmuck kritisiert wird: „[…] quando eras in saeculo, ea, quae erant saeculi, diligebas: polire faciem purpurisso et cerussa ora depingere, ornare crinem et alienis capillis turritum uerticem struere, ut taceam de inaurium pretiis, candore margaritarum Rubri maris profunda testantium, zmaragdorum uirore, cerauniorum flammis, hyacinthorum pelago, ad quae ardent et insaniunt studia matronarum. […]“ Hieronymus, Ep. 130,7 (CSEL 56/1, 186). „[…] Als Du noch zur Welt gehörtest, da liebtest Du die Dinge der Welt. Du färbtest Dein Angesicht rot und legtest auf Deine Wangen Bleiweiß auf. Du sorgtest für eine elegante Frisur, und mit fremden Haaren schufst Du ein turmähnliches Gebilde. Ich will nicht reden von den kostbaren Ohrringen und den glänzenden Perlen, die einst auf dem Boden des Roten Meeres lagen, von den grünleuchtenden Smaragden, den rotschimmernden Edelsteinen, den hyazinthenfarbenen Amethysten, die Wunsch und leidenschaftliches Sehnen der Frauen sind […]“360.

Das Anlegen ihrer Kleidung beginnt beim Kopf und endet an den Füßen: Iudith bindet sich die „Mitra“ um ihren Kopf (Idt 10,3d), zieht die Kleider ihrer Freunde an (Idt 10,3e) und Sandalen an ihre Füße (Idt 10,3f). Mitra beschreibt auch in Idt 16,10b die Kopfbedeckung Iudiths. Innerhalb der Vg bezeichnet das Wort eine Kopfbedeckung der Priester (Ex 29,9; 39,26.30; Lev 8,13 Vg), eine Auszeichnung für Jerusalem (Bar 5,2 Vg) sowie einen Kopfschmuck für Frauen (Jes 3,19 Vg).361 In Griechenland und später auch in Rom wird darunter eine Kopfbinde mit Backenstücken verstanden, die hauptsächlich Frauen tragen und unter ihrem Kinn zubinden (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3108). Nach Hieronymus ist die Mitra (mitra) eines von vielen Mitteln, die Begierde von Männern zu erwecken und grundsätzlich Zeichen einer unreinen Gesinnung, wie sich z.B. aus Ep. 54 ergibt:

359 Hieronymus, Ep. 38,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 43). 360 Hieronymus, Ep. 130,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 254). 361 In der LXX ist μίτρα eine Bezeichnung für den Kopfbund oder Turban der Priester (HT ‫ )מצנפת‬und eine allgemeine Bezeichnung für Kopfbedeckungen (HT ‫ פאר‬von Priestern Ex 39,28; Ez 24,17.23; 44,18, beim Bräutigam Jes 61,10 und von Jerusalemerin­nen Jes 3,20); vgl. Schmitz/ Engel, Judit, 311. Im Buch Judit wird zwischen dem Turban der Priester (κίδαρις Jdt 4,15) und dem Haarband Judits unterschieden (Jdt 10,3; 16,8). Während Idt 4,15 Hs 151 Jdt 4,15 LXX wörtlich übersetzt (Et erat cinis supra cidares eorum), tauscht Idt 4,15 Vg cidaris durch caput „Haupt“ und streicht damit die Kopfbedeckung der Priester.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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„[…] non habuit crispantes mitras […] ignes iuvenum, fomenta libidinum, inpudicae mentis indicia. […] ornatus iste non domini est, uelamen istud antichristi est […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „[…] Sie trug keine gekräuselte Kopfbinde, […] Feuer für die Jünglinge sind sie, ein Stachel der Begierde, das Zeichen einer unreinen Gesinnung. […] Das ist kein Schmuck des Herrn, wohl aber die Maske des Antichrists […]“362.

Dann legt Iudith ihre „Kleider der Freude“ an (Idt 10,3e Vg; die nach Jdt 10,3 LXX jene sind, die Judit zu Lebzeiten Manasses getragen hatte), die wohl auffälliger und festlicher sind als ihr Bußgewand, das sie sonst trägt (Idt 8,6; 9,1; 10,2). Hieronymus’ Briefe zeugen von der Ablehnung von kostbarer Kleidung, die Reichtum und Prunk zur Schau stellt und oft mehr Haut zeigt, als sie verbirgt. Hieronymus beschreibt die Aufmachung „leichtfertiger Mädchen“, die bis auf die Schminke an Iudiths Veränderung erinnert: „[…] fuge lasciuiam puellarum, quae ornant capita, crines a fronte demittunt, cutem peliunt, utuntur lomentis, adstrictas habent manicas, uestimenta sine ruga soccosque crispantes, […]“ Hieronymus, Ep. 130,18 (CSEL 56/1, 199). „[…] Mache es nicht den leichtfertigen Mädchen nach, die ihr Haupt schmücken, das Haar vorn auf die Stirne herabfallen lassen, zur Glättung der Haut Pasten gebrauchen und enge Ärmel, faltenlose Kleider sowie glitzerndes Schuhwerk tragen […]“363.

Furia rät er, ihre Vorliebe für Materielles auf die Hl. Schrift zu übertragen: „[…] amorem monilium atque gemmarum sericarumque vestium transfer ad scientiam scripturarum […]“ Hieronymus, Ep. 54,11 (CSEL 54, 478). „[…] Die Vorliebe für Schmuck, Edelstein und seidene Kleider übertrage auf die Hl. Schrift! […]“364

In Ep. 117,7 warnt er vor den Folgen von zuviel Freizügigkeit in der Kleidung: „[…] libidinosa mens ardentius inhonesta persequitur et, quod non licet, dulcius suspicatur. uestis ipsa uilis et pulla animi tacentis indicium est, si rugam non habeat, si per terram, ut altior uidearis, trahatur, si de industria dissuta sit tunica, ut aliquid intus appareat operiatque, quod foedum est, et aperiat quod formosum. caliga quoque ambulantis nigella ac nitens stridore ad se iuvenes uocat. papillae fasciolis conprimuntur et crispanti cingulo angustius pectus artatur. capilli uel in frontem uel in aures defluunt. palliolum interdum cadit, ut candidos  nudet umeros, et, quasi uideri noluerit, celat festina, quod uolens retexerat. et quando in publico quasi per uerecundiam operit faciem, lupanarum arte id solum ostendit, quod ostensum magis placere potest […]“ Hieronymus, Ep. 117,7 (CSEL 55, 430).

362 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156). 363 Hieronymus, Ep. 130,18 (BKV2 Zweite Reihe 16, 271). 364 Hieronymus, Ep. 54,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 161).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] Ein geiler Mensch stellt ganz besonders der Tugend nach, und die versagten Genüsse dünken ihm die süßesten zu sein. Selbst das einfache, dunkle Kleid verhüllt nicht die schweigenden Gedanken, wenn es keine Falte zeigt, wenn man es auf der Erde nachschleppt, um größer zu erscheinen; wenn der Rock absichtlich nicht ganz geschlossen ist, damit man sehen soll, was sich darunter verbirgt; wenn er dazu dient, das, was andere stoßen kann, zu verdecken, aber frei zu lassen, was andere reizt. Auch der schwarze glänzende Schuh lockt, wenn er beim Gehen knarrt, die Jünglinge an. Der Busen wird durch Binden eingeschnürt, und durch einen reich besetzten Gürtel zwängt man die Taille um so enger ein. Die Haare fließen auf die Stirne oder die Ohren herab. Das Mäntelchen rutscht zuweilen nach unten, damit die glänzenden Schultern  zu sehen sind. Eilig bedeckt man sie wieder, als ob sie niemand sehen soll, während sie doch absichtlich entblößt wurden. Und wenn man auf der Straße wie aus Schamhaftigkeit das Antlitz verschleiert, so läßt man doch mit dem Raffinement einer Buhlerin nur das sehen, was um so mehr Gefallen zu erregen vermag, wenn es offen zur Schau getragen wird […]“365.

Zu Salvinas Lebensweise hält er fest: „[…] quae pullam tunicam nigrosque calceolos candidae uestis et aurati socci depositione sumpsisti, nihil habes necesse aliud nisi perseuerare. ieiunium, pallor et sordes gemmae tuae sint […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96). „[…] Die Prachtkleider und die golddurchwirkten Schuhe hast Du abgelegt und dagegen eine dunkle Tunika und schwarze Schuhe eingetauscht. Nur ausharren lautet für Dich die Losung. Fasten, Blässe, Vernachlässigung des äußeren Menschen seien in Zukunft Deine Edelsteine […]“366.

Auch zieht Iudith Sandalen an (Idt 10,3f). Die Vg übersetzt das griech. σανδάλια in Jdt 10,4 wörtlich mit sandalia, was eine Sohle meint, die mit Riemen am Fuß befestigt wird. Das seltene Wort kommt innerhalb der Vg nur noch in Idt 16,11; Mk 6,9 Vg vor. Gebräuchlich wäre das lat. solea (so in Idt 10,4 Hs 151).367 Auch Hss 109.130 schreiben nicht sandalia. Dann legt Iudith Armbändchen,368 Lilien, Ohrringe und kleine Ringe an und schmückt sich mit all ihrem Schmuck (Idt 10,3g–h).369 Auch Schmuck, wie Ketten, Ohrringe und Ohrlöcher, stoßen in den Briefen des Hieronymus auf Ablehnung:

365 Hieronymus, Ep. 117,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 341). 366 Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325). 367 Vgl. Metzger, Sandale (NBL 2), 442. 368 Dextraliolum heißt „das kleine Armband“; Georges gibt nur Idt 10,3 als Belegstelle an (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1641). Innerhalb der Vg gibt es nur noch das Nicht-Deminutiv dextrale „Armband“ (Ex 35,23; Num 31,59), das auch Idt 10,4 Hs 151 verwendet. 369 Inhaltliche – weniger lexematische – Parallelen liegen zu Ez 16,9–12 Vg vor; vgl. Tan, Judith’s Embodiment as a Reversal of the Unfaithful Wife of YHWH in Ezekiel 16, 23–35.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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„[…] caue, ne aures perfores, […] ne collum margaritis et auro premas, ne caput gemmis oneres […]“ Hieronymus, Ep. 107,5 (CSEL 55, 296). „[…] Laß ihre Ohren nicht durchbohren […] Belade ihren Hals nicht mit Gold und Perlen, das Haupt nicht mit Edelsteinen […]“370.

„[…] φιλόκοσμον  genus femineum est multasque etiam insignis pudicitiae, quamuis nulli uirorum, tamen sibi scimus libenter ornari […]“ Hieronymus, Ep. 128,2 (CSEL 56/1, 157). „[…] Das weibliche Geschlecht ist nun einmal schmuckliebend. Von vielen, deren keuscher Sinn über jeden Zweifel erhaben ist, wissen wir, daß sie sich, wenn auch für keinen Mann, so doch für sich gern schmücken […]“371.

Eine besonders auffällige Schmuckart, die zudem Vg-spezifische Hinzufügung ist, sind die „Lilien“ (Idt 10,3g; Hs 151 schreibt liliolum). In der Forschung existieren die unterschiedlichsten Annahmen, was damit gemeint sein könnte. Nach Gillet handelt es sich um Armbänder und Halsketten mit Verzierungen in Form von Lilien, nach Soubigou sind Halsketten oder Ringe, nach Scholz ist ein feines Umhängetuch gemeint.372 Sicherlich sind „Lilien“ in diesem Kontext Schmuckstücke, die die Form von Lilien haben. In der Aufzählung der Schmuckstücke in Idt 10,3g würden noch Halsketten fehlen, was für die Deutung von Soubigou spricht. In der Vg bezeichnet lilium meist Teile von heiligen Gegenständen (Ex 25,31.34; 37,19.20; 1 Kön 7,19.22.26.49 Vg), als Schmuckstück für eine Frau hingegen wird der Begriff nicht verwendet. In der christlichen Symbolik steht die Lilie als Blume mit ihrer weißen Farbe für die Tugend der Reinheit – sie ist der Inbegriff von Demut und Keuschheit.373 Für diese Bedeutung gibt es zahlreiche literarische Belege, auch bei Hieronymus selbst. So beschreibt er Witwen meist mit Veilchen, Märtyrer mit Rosen, Jungfrauen aber mit Lilien: „[…] suscipe uiduas, quas inter uirginum lilia et martyrum rosas quasi quasdam uiolas misceas […]“ Hieronymus, Ep. 54,14 (CSEL 54, 481). „[…] Nimm Dich der Witwen an, die Du wie einzelne Veilchen mit den Lilien der Jungfrauen und den Rosen der Märtyrer zu einem Strauße zusammenbinden mögest […]“374.

370 Hieronymus, Ep. 107,5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 392). 371 Hieronymus, Ep. 128,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 405). 372 Vgl. Gillet, Tobie, Judith et Esther, 123; Soubigou, Judith, 547; Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 60. 373 Vgl. Siede, Lilie (RAC 13), 158–159. 374 Hieronymus, Ep. 54,14 (BKV2 Zweite Reihe 16, 164).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] iungitur ei germana, rosarum et liliorum calathus, eboris ostrique commercium […]“ Hieronymus, Ep. 79,6 (CSEL 55, 94). „[…] Ihm zur Seite stehet das Schwesterchen, ein Blütenkelch von Rosen und Lilien, eine Mischung von Elfenbein und Purpur […]“375.

„[…] mementote uos parentes uirginis et magis eam exemplis docere posse quam uoce. cito flores pereunt, cito uiolas et lilia et crocum pestilens aura corrumpit […]“ Hieronymus, Ep. 107,9 (CSEL 55, 300). „[…] Erinnert Euch immer, daß Ihr Eltern einer gottgeweihten Jungfrau seid, bei deren Erziehung das Beispiel mehr ausrichtet als Worte. Blumen verwelken rasch, rasch vernichtet ein verderblicher Lufthauch Veilchen, Lilien und Krokus […]“376.

In Ep. 130,8 stellt Hieronymus die Dornen der Dornenkrone Jesu mit den „Lilien der Keuschheit“ in Relation und schreibt, dass Jesus, der „Bräutigam der Jungfrauen“, in Anlehnung an Hld 2,1 Vg, nicht nur selbst Schöpfer der Jungfräulichkeit gewesen sei, sondern auch das Bild der Lilie in dieser Hinsicht sogar für sich selbst gebraucht habe.377 „[…] sed ideo Iesus spinis coronatus est et nostra delicta portauit et pro nobis doluit, ut de sentibus et tribulationibus feminarum, ad quas dicitur: in anxietatibus et doloribus paries, mulier, et ad uirum conuersio tua et ipse tui dominabitur, rosae uirginitatis et lilia castitatis nascerentur. unde et sponsus pascitur inter lilia et inter eos, qui uestimenta sua non coinquinauerunt – uirgines enim permanserunt audieruntque praeceptum: candida sint semper uestimenta tua –, et quasi auctor uirginitatis et princeps loquitur confidenter: ego flos campi et lilium conuallium […]“ Hieronymus, Ep. 130,8 (CSEL 56/1, 187). „[…] Aber Jesus ist mit Dornen gekrönt worden, hat unsere Sünden auf sich genommen und für uns gelitten, damit aus den Dornen und Drangsalen der Frauen, von denen es heißt: ‚In Ängsten und Schmerzen wirst du, o Weib, gebären, du wirst den Hang zum Manne haben, und er wird dein Herr sein‘,  die Rosen der Jungfräulichkeit und die Lilien der Keuschheit hervorsprießen. Darum hat der Bräutigam seine Weide auch unter den Lilien  und unter denen, die ihr Kleid nicht befleckt haben, sondern stete jungfräulich blieben und sich das Wort zu Herzen nahmen: ‚Dein Gewand soll immer weiß sein.‘ Gleichsam als Schöpfer der Jungfräulichkeit und ihr eifrigster Vertreter spricht der göttliche Bräutigam zuversichtlich: ‚Ich bin die Blume des Feldes und die Lilie der Täler.‘ […]“378.

375 Hieronymus, Ep. 79,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 322). 376 Hieronymus, Ep. 107,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 397). 377 Vgl. auch „[…] uirgae flos Christus est dicens: ego flos campi et lilium conuallium […]“ Hieronymus, Ep. 22,19 (CSEL 54, 169), „[…] Die aus diesem Reis erblühende Blume ist Christus, der von sich sagt: ‚Ich bin die Blume des Feldes und die Lilie der Täler.‘ […]“ Hieronymus, Ep. 22,19 (BKV2 Zweite Reihe 16, 83). 378 Hieronymus, Ep. 130,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 255).



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 233

Wenn Iudith nun ein Schmuckstück trägt, das wie eine Lilie aussieht, dient dieses sicher nicht dazu, ihre Verführungskraft zu steigern, sondern vielmehr, sie in ihrer Tugend auszuzeichnen und diese nach außen hin sichtbar zu machen. Wegen der figura etymologica und der o-Alliteration ist die letzte Formulierung „und sie schmückte sich mit all ihrem Schmuck“ gegenüber LXX/Hs 151 hervorgehoben (Idt 10,3h): Ornare „ausstatten, schmücken“ wird einerseits im Kontext schöner Frauen und andererseits zu militärischen Rüstungszwecken gebraucht (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3447).379 Iudith verschönert sich nicht nur, ihr verändertes Aussehen wird auch ihre Eintrittskarte in das Lager der Assyrer und in das Herz des Holofernis werden. Mit der Verschönerung, die auf das Gefallen von Männern hin abzielt, erinnert Iudith an andere weibliche Figuren der biblischen Tradition mit derselben Absicht: So verschönert sich Ruth, um Boas zu gefallen (Rut 3,3), Ester vor ihrem Gang zum König (Est 5,1) und Tamar, um ihren Schwiegervater Juda zu verführen (Gen 38,14). Der primäre Zweck der Veränderung ist offensichtlich. Iudith, die in der VgFassung nicht als schön beschrieben wurde (vgl. Idt 8,7), versucht nun, sich nach den Kriterien schön zu machen, die in der profanen Welt als schön gelten. Dabei ist ihre Ausstattung alles andere als bescheiden und nicht geringer als die einer Königin. Sie zeigt damit erneut ihre hohe soziale Stellung.380 Iudith schmückt sich mit allem (mit Ausnahme des Schminkens), was Hieronymus vielfach in seinen Briefen scharf und polemisch verurteilt, weil es einzig und allein dem Zweck diene, Begierlichkeit zu wecken: „[…] illae Christianos oculos potios scandalizent, quae purpurisso, et quibusdam fucis ora oculosque depingunt, quarum facies gypseae et nimio candore deformes idola mentiuntur, quibus si forte improuidis lacrimarum stilla eruperit,  sulco defluit, quas nec numerus annorum potest docere, quod uetulae sunt, quae capillis alienis uerticem instruunt et praete-

379 Auffällig sind zahlreiche begriffliche Parallelen zwischen Idt 10,2b.3c–h und Jes 3,18–25 Vg: 18 in die illa auferet Dominus ornatum calciamentorum et lunulas 19 et torques et monilia et armillas et mitras 20 discriminalia et periscelidas et murenulas et olfactoriola et inaures 21 et anulos et gemmas in fronte pendentes 22  et mutatoria et pallia et linteamina et acus 23  et specula et sindones et vittas et theristra 24 et erit pro suavi odore fetor et pro zona funiculus et pro crispanti crine calvitium et pro fascia pectorali cilicium. Dazu gehören: cilicium „Trauergewand“, discriminare „scheiteln“, mitra „Mitra“, inauris „Ohrringe“, anulus „kleiner Ring“, ornare „schmücken“. Auch in Jes beschreiben die Wörter Schmuckstücke von Frauen und stehen metaphorisch für das hochmütige Jerusalem. Der Unterschied ist, dass den Frauen in Jes 3,18–25 ihr Schmuck weggenommen wird, sie von Gott entkleidet werden, was für die kommende Eroberung Jerusalems steht und, dass Iudith ihren Schmuck anlegt, was zur Rettung Jerusalems führen wird. Ähnliches gilt für Jes 3,18–20; Jdt 10,4 LXX; vgl. Rakel, Judit, 278–282. 380 Vgl. dazu Bender/Bieberstein, Kleidung (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 295.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

ritam iuuentutem in rugis anilibus poliunt, quae denique ante nepotum gregem trementes uirgunculae conponuntur. erubescat mulier Christiana, si naturae cogit decorem, si carnis curam facit ad concupiscentiam, in qua qui sunt, secundum apostolum Christo placere non possunt […]“ Hieronymus, Ep. 38,3 (CSEL 54, 291). „[…] Solche Frauen ließen besser ihre christlichen Augen an denen Anstoß nehmen, welche ihre Augen und ihre Wangen mit Purpurfarbe und allerhand Schminken rot anmalen, deren gipsfarbenes Gesicht, durch allzu blendendes Weiß entstellt, an Götzenbilder erinnert. Löst sich unvermutet eine Träne, dann rinnt sie in einer Furche herab. Auch die Zahl ihrer Jahre läßt sie vergessen, daß sie alt geworden sind. Mit fremden Haaren türmen sie ihre Frisur auf und bügeln die dahingeschwundene Jugend, welche die Altersfurchen bloßlegen, wieder auf. Vor der Schar ihrer Enkel putzen sie sich heraus wie zarte Jüngferchen. Ja dann erröte die christliche Frau, wenn sie der Natur Zwang antut, wenn sie dem Kulte des Fleisches huldigt, um die Begierlichkeit zu wecken, obwohl der Apostel von denen, die ihr ergeben sind, sagt, daß sie Christus nicht gefallen […]“381.

Das Schmücken Iudiths ist jedoch nicht, wie bei den Frauen, die Hieronymus kritisiert, Selbstzweck im Sinne der Erreichung der persönlichen Befriedigung oder Mittel um Begierlichkeit zu wecken, sondern selbstlos und zielgerichtet. Ihre Schönheit soll helfen, Israel zu retten. Iudiths Verschönerung ist daher – aus Sicht des Hieronymus – moralisch zu rechtfertigen. Zur Verdeutlichung dessen betont Hieronymus in Ep. 54, dass Iudith nach ihrer Tat die Festkleidung gleich wieder gegen die Trauerkleidung eintauscht.382 Die Verschönerung dient damit einzig der Durchführung ihres Plans. Der Plan, den Iudith in ihrem Gebet bereits angedeutet hat und der eine verführerische Absicht impliziert (vgl. Idt 9,13a–b), beginnt nun in den Augen der Lesenden Wirklichkeit zu werden.

Iudiths Schön-Gemacht-Werden durch Gott (Idt 10,4a–d) Alle Bestandteile der Veränderung sind auch in Jdt 10,3–4 LXX/Hs 151 zu finden – bis auf die eine, die eine fundamentale Differenz bewirkt. Zum ersten Mal greift Gott selbst in das Geschehen ein und macht Iudith so schön, dass sie in den Blicken aller, die sie sehen, unvergleichlich schön erscheint (Idt 10,4a–d).383 Das Handeln Gottes ist gerade im Hinblick auf den Textvergleich mit LXX und Hs 151 interessant, denn in beiden Fassungen, nicht aber in der Vg, handelt Gott als Figur schon vorher, nämlich in Jdt 4,13. Dort schreien die sich vor den Assyrern fürchtenden Israeliten zu Gott und es ergeht durch die Erzählstimme die

381 Hieronymus, Ep. 38,3 (BKV2 Zweite Reihe 16, 43). 382 Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484); Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167); vgl. Idt 8,6a. 383 Vgl. auch Bogaert, Judith, 63.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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Information an die Lesenden, dass Gott ihr Schreien erhört und ihre Not gesehen hat (Jdt 4,13 LXX/Hs 151).384 Die Lesenden von LXX/Hs 151 haben gegenüber den Figuren nun einen Wissensvorsprung und wissen aufgrund der biblischen Tradition (bspw. in Dtn 26,7; Ex 2,23–25), dass Gott helfen wird.385 Es ist nur noch unklar, wie das geschehen soll. Die Figuren hingegen müssen sich bis zur letztendlichen Rettung durch Judit weiter sorgen und fürchten. Anders als Jdt 4,13 LXX/Hs 151 integriert Idt 4,12–14 Vg die Erhörungsnotiz Gottes in eine Vg-spezifische Rede des Jerusalemer Hohepriesters Heliachim – auffälligerweise im Perfekt und nicht im Futur I formuliert, um das sichere Eintreten seiner Rede anzudeuten: Demnach habe Gott sie erhört, wenn sie unablässig beteten (scitote quoniam exaudivit Dominus preces vestras si manentes permanseritis in ieiuniis et orationibus in conspectu Domini). Als Stärkung seiner Aussage fügt er eine Vg-spezifische Exodus-Einspielung, den Kampf des Mose gegen Amalek, ein (vgl. Idt 9,6). Zwei Aspekte sind hier auffällig. Erstens handelt es sich hierbei nicht um eine von Gott kommende Erhörungsnotiz: Das Perfekt von exaudire „erhören“ dient hier nicht dazu, zu bekunden, dass der Hohepriester eine Erhörung von Gott in der Vergangenheit annimmt. Es soll vielmehr seine Argumentation und seinen festen Glauben daran bekräftigen, dass die Dinge sich so fügen werden, wie er sie prophezeit. Darum wählt er ein Tempus, welches das Zukünftige in die Vergangenheit legt. Es ist hier nicht Gott, der als Figur gehandelt hat, sondern hier findet sich lediglich eine theologische Reflexion des Hohepriesters. Zweitens hat diese theologische Reflexion denselben Inhalt wie Idt 9,6–9 Vg. Sogar die Einspielung einer Exoduserzählung ist beiden Argumentationen gleich (vgl. Idt 9,6–7). Dadurch aber wird die Stellung des Hohepriesters in der Vg im Vergleich zu LXX/Hs 151 ungemein aufgewertet. Denn während dieser in Jdt 4,6–8 LXX/Hs 151 trotz seiner religiösen Führungsposition nur politische, genauer nur defensive Kriegsvorbereitungen anordnet, die feindlichen Angriffsbemühungen also mit gleichen Mitteln abzuwenden versucht, wäre Vertrauen auf Gott die Lösung gewesen, weil Gott ein Herr ist, der Kriege durchbricht (Jdt 9,7 LXX/ Hs 151).386 Obwohl Heliachim ebenfalls die militärischen Maßnahmen anordnet, weiß er um das rechte Verhalten vor Gott und nimmt neben seiner politischen auch die religiöse Führungsrolle und die nach den Wertmaßstäben der Erzählung richtige Position ein.

384 καὶ εἰσήκουσεν κύριος τῆς φωνῆς αὐτῶν καὶ εἰσεῖδεν τὴν θλῖψιν αὐτῶν […] / Et exaudiuit dominus uocem illorum et uidit anxietatem eorum [...], Jdt 4,13 LXX/Hs 151. 385 So auch Schmitz, Gott als Figur in deuterokanonischer Literatur, 217–237; vgl. ausführlich Schmitz/Engel, Judit, 153–156. 386 Vgl. ausführlich Schmitz/Engel, Judit, 156–158.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auch im Hinblick auf Iudiths Schönheit ergibt sich zwischen den Textfassungen ein wesentlicher Unterschied: Denn während Judit in LXX/Hs 151 von Natur aus schön ist (Jdt 8,7 LXX/Hs 151), wird sie in der Vg erst von Gott schön gemacht (Idt 10,4; vgl. Idt 8,7 Vg). Mit der Verschönerung Iudiths durch Gott ist verbunden, dass diese nun mit den Wörtern splendor „Glanz“, pulchritudo „Schönheit“ und decor „Liebreiz“ beschrieben wird (Idt 10,4a.c.d).387 Splendor „Glanz, Helle, Ansehen, Ansehnlichkeit, Vortrefflichkeit“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 2, 4475– 4476) kommt nur in Idt 10,4 vor und ist Vg-spezifisch. Auffällig ist, dass splendor auch im Buch Tobit Vg-spezifisch den Protagonisten charakterisiert (Tob 5,5 Vg).388 Es könnte sich dabei daher um eine Hieronymus eigene Formulierung handeln, die dazu dient, die Figuren in besonderem Maße aufzuwerten. Decor „Anmut, Liebreiz“ (Idt 10,4d.18c) dient auch zur Beschreibung von Rebecca (Gen 24,16 Vg), Rahel (Gen 29,17 Vg), David (1 Sam 16,12 Vg) und Ester (Est 2,7 Vg) und wird – mit Ausnahme von Rahel – zusammen mit pulcher „schön“ verwendet. Das Wort stellt auch eine inhaltlich kontrastierende Parallele zwischen Iudith und der Frau Jerusalem her, die Gott in ihrer Schönheit vollkommen gemacht hatte, was aber in hochmütiger Undankbarkeit missbraucht wurde (vgl. Ez 16,4 Vg). Decor greift weiter als pulchritudo „Schönheit“ und umfasst darüber hinaus, eine besonders positive Ausstrahlung, die jedem auffallen muss (omnium oculis appareret Idt 10,4d) und die durch inconparabilus „unvergleichlich“ noch einmal gesteigert wird (Idt 10,4d).389 Inconparabilus/incomparabilus „unvergleichlich“ kommt innerhalb der ganzen Vg nur noch in Idt 14,18 vor, wo es – nicht ohne Ironie – die unvergleichliche Orientierungslosigkeit der kopflosen Assyrer beschreibt. Das seltene Wort dient hier dazu, Iudiths optische Wirkung superlativisch zu charakterisieren.

387 Vgl. Idt 8,7a; ausführlich dazu auch Hilt (jetzt Lange), Dominus contulit splendorem, 91– 108. 388 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 163. 389 Idt 10,4 Hs 151 weicht in diesem inhaltlich ähnlichen Teilsatz sprachlich von Vg ab, mit LXX ist das Motiv der Augen gemeinsam, es fehlt aber in Vg/Hs 151 das Motiv der Täuschung. Dieses könnte in der Vg allerdings durch apparare „erscheinen“ angedeutet sein. Möglicherweise dienen das Verb und die sprachliche Variation im Vergleich zur Hs 151 aber nur dem Ziel eines „eleganten Latein“. Nach Miller wollte Hieronymus bewusst eine moralisch fragwürdige sinnliche Täuschung des Feindes durch seine Protagonistin vermeiden; vgl. Miller, Das Buch Judith, 88. In Idt 10,4g ist jedoch nicht mehr eine einzelne Figur oder etwa die Gesamtheit der Männer angesprochen, sondern allgemein alle Menschen, also Männer und Frauen. Nach Jdt 10,4 LXX/Hs 151 erscheint Judit nur in den Augen der Männer als schön. Müllner und Rakel lesen am Maßstab der Schönheit den androzentrischen Hintergrund der Erzählung ab; vgl. Müllner, Mit den Waffen einer Frau?, 129; Rakel, Das Buch Judit, 415. Auch wenn Vg das nicht explizit schreibt, kann ein derartiger Hintergrund vorausgesetzt werden.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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Das Motiv der Augen verweist zurück auf Idt 9,13a, wo Iudith Gott darum gebeten hatte, dass ein namenloser Feind durch seine Augen – durch den Blick auf Iudith – gefangen werden soll. Die Schlinge, mit der dies gelingen soll, ist Iudiths Schönheit. Gott hat also Iudiths Bitten erhört, indem er ihr nun die Mittel verleiht, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Dass Iudith nicht von Natur aus schön ist, wie in Jdt 8,7 LXX/Hs 151, sondern erst schön gemacht wird, ist auch eine hieronymianische Einschätzung, die dieser in Ep. 54,16 erläutert: „[…] legimus Iudith […] uiduam confectam ieiuniis et habitu lugubri sorditatam, quae non lugebat mortuum uirum, sed squalore corporis sponsi quaerebat aduentum […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484). „[…] Das Buch Judith […] handelt von einer Witwe, welche das Fasten arg mitgenommen hatte und die in ihrer Trauerkleidung jeden Reizes bar war. Sie beweinte nicht etwa ihren verstorbenen Gatten, sondern erwartete trotz ihres sie entstellenden Äußeren die Ankunft des himmlischen Bräutigams […]“390.

Den Grund für Gottes Eingreifen enthält die Erzählstimme dem Lesenden nicht vor: Denn Iudith hat sich nicht ex libidine „aus Begierde“, sondern ex virtute „aus Tugend“ verschönert (Idt 10,4b). Mit diesem antithetischen Parallelismus wird noch einmal angedeutet, was in der praefatio bereits angekündigt wird, wo Iudith als Vorbild der Keuschheit präsentiert wird. Libido „Lust, Gelüste, Trieb, Reiz, Verlangen, Begierde, Wille, Belieben […] Zügellosigkeit, Liederlichkeit, Ausschweifung, Sucht, Willkür, Laune […] sinnliche Sinnlichkeit, Genußsucht, Lüsternheit, Geilheit, Wollust“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 2, 2875–2876) kommt nur zehn Mal in der Vg vor (Ri 19,24; 20,5; Ez 23,9.11.20; Tob 3,18; 6,17.22; Idt 10,4; Kol 3,5 Vg) und bezeichnet immer eine negativ konnotierte sexuelle Lust. Interessanterweise sind auch Tob 3,18; 6,17.22 nach Skemp Vg-spezifische Hinzufügungen des Hieronymus,391 die dazu dienen, die Tugendhaftigkeit der Protagonisten zu demonstrieren. In den Vg-spezifischen Hinzufügungen in Ri 19,24; 20,5 Vg beschreibt libido die Begierde der Männer, die sich an Frau und Tochter des alten Mannes aus dem Gebirge Ephraim vergehen. Iudiths Bemühungen der Selbstverschönerung geschehen ex virtute und gerade nicht, um egoistische, sexuelle Ziele zu verfolgen.

390 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167). 391 Im Buch Tobit wird die sexuelle Lüsternheit als sündhaftes Verhalten dargestellt. So verbringt Tobias die erste Nacht mit seiner Frau nicht aus Lust, sondern aus dem Wunsch heraus, Kinder zu bekommen; vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 120, 227, 234.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die genaue Bedeutung von virtus hängt vom Kontext ab (vgl. Idt 9,14). Idt 10,4 betont, dass Iudith sich nicht aus „Begierde“, sondern aus „Tugend“ virtus verschönert habe. Virtus wird hier als Gegenteil von „Begierde“ libido präsentiert. Das Wort dürfte sich in diesem Fall daher auf sexuelle Enthaltsamkeit beziehen. Die treffende Übersetzung wäre dann „Tugend“, von denen die Keuschheit eine ist. Für dieses Verständnis von virtus spricht auch Idt 16,26a, wenn von der „Tugend der Keuschheit“ (virtuti castitatis) die Rede ist, die Iudith vom Tode ihres Mannes an lebt. In dieser Bedeutung verwendet Hieronymus das Wort auch in seinen Briefen (Beispiele dazu vgl. Idt 9,14a1–c). Im Gegensatz zur „Tugend“ virtus steht die „sexuelle Begierde“ libido, der Iudith gerade nicht verfallen ist. Damit wird noch einmal ausdrücklich gemacht, was nach Idt 8,7 bereits nahe liegend war: Die äußere Beschreibung Iudiths als elegans dient dazu, ihren Anstand, ihre noble Erscheinung, zu betonen, die – wie sich nun erneut zeigt – in ihrer sexuellen Enthaltsamkeit besteht. Dafür spricht ferner, dass es gerade „Standhaftigkeit“ constantia ist, um die Iudith Gott in ihrem Gebet zur Ausführung ihres Planes bittet, nachdem Sie diesen in Idt 9,13–14 angedeutet hatte. Die „Begierde“ libido ist nach den Briefen des Hieronymus die größte Versuchung für die Einhaltung der Keuschheit: „[…] pallebant ora ieiuniis et mens desideriis aestuabat in frigido corpore et ante hominem suum iam carne praemortua sola libidinum incendia bulliebant. […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 153). „[…] Die Wangen waren bleich vom Fasten, aber im kalten Körper flammte der Geist auf in der Glut der Begierden. Vor dem Menschen, der dem Fleische nach bereits gestorben war, loderte einzig noch das Feuer der Sinnlichkeit auf […]“392.

„[…] Sola libido insita a deo ob liberorum creationem, si fines suos egressa fuerit, redundat in vitium, et quadam lege naturae in coitum gestit erumpere. Grandis igitur virtutis est, et sollicitae diligentiae, superare quod nata sis: in carne, non carnaliter vivere: tecum pugnare quotidie […]“ Hieronymus, Ep. 54,9 (CSEL 54, 475). „[…] Nur die Fleischeslust, die Gott um der Erzeugung der Nachkommenschaft willen in uns hineingelegt hat, kann, falls sie die ihr gesetzten Grenzen überschreitet, zum Laster werden und drängt, durch die natürliche Veranlagung begünstigt, zum unerlaubten Verkehr. Darum gehört viel Tugend und große Sorgfalt dazu, in Dir zu überwinden, was Dir angeboren ist, d.h. im Fleische, aber nicht fleischlich zu leben. Darum nimm den täglichen Kampf mit Dir selbst auf […]“393.

392 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69). 393 Hieronymus, Ep. 54,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 255).



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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Äußere Verschönerungen, wie Iudith sie durchführt, dienen also – nach Hieronymus – dazu, die „Begierde“ zu befriedigen. Darüber, dass Iudith keineswegs aus persönlicher triebhafter Motivation heraus handelt, wenn sie sich selbst verschönert, darf daher beim Lesenden keinerlei Zweifel bestehen bleiben. Die Schönheit einer Frau wird mithin von einem positiven Attribut zu einem negativen abgewertet, denn sie ist nicht länger ein von Natur aus gegebener, fester Bestandteil der Charakterisierung der Protagonistin wie noch in Jdt 8,7 LXX/Hs 151, sondern dient in der Vg nun nur noch dem Zweck, die von Lust getriebenen Feinde – allen voran Holofernis – zu täuschen. Die Erzählung bekommt durch das Eingreifen Gottes eine besondere Wendung: Der Lesende, der sich an die Ankündigung der Auserwählung Iudiths zur Rettung Israels in der praefatio erinnern wird (Z. 10–11 praefatio zum Buch Iudith), weiß nun eindeutig, dass die Handlung gut ausgehen wird, denn Gott ist auf Iudiths Seite.394 Er befindet sich damit im Wissensvorsprung gegenüber den Figuren inklusive Iudith selbst, die mutmaßlich davon ausgeht, dass ihre eigenen Verschönerungsbemühungen derartige Wirkung erzielt haben. Der gute Ausgang der Handlung wird dadurch vorweggenommen. Das wertet Iudith und ihre Lebensweise noch einmal enorm auf. Das Handeln Gottes und die Schönheit Iudiths sind auch notwendig für den Fortgang der Handlung. Trotz ihrer Bemühungen wäre Iudith ohne Gottes Hilfe, wie ihre äußere Beschreibung in Idt 8,7a vermuten lässt, sicherlich nicht bis zu Holofernis durchgedrungen. Außerdem zeigt die Hilfe Gottes noch einmal eindeutig, dass die Selbstverschönerung Iudiths in dieser Ausnahmesituation notwendig ist. Iudith packt übliche, haltbare Lebensmittel ein: einen Schlauch mit Wein (der vermutlich aus Ziegenhaut beschaffen ist395), ein Gefäß mit Öl, geröstetes Korn aus Gerste oder Weizen,396 Fruchtkuchen aus getrockneten Feigen397 sowie Brote und Käse398 (Idt 10,5a). Dann lädt sie ihrer abra alles auf (Idt 10,5b). Das Aufladen der Speisen kündigt den nahen Aufbruch an. Vg und Hs 151 erweitern im Vergleich zur LXX das Reisegepäck um den Käse und sprechen interessanter-

394 Müllner stellt die Verschönerung als Ausstattung Judits (sowie ihr Wissen, Gott auf ihrer Seite zu haben) im Gegensatz zu der gewaltigen Kriegsmaschinerie des Holofernes, die in Jdt 2 beschrieben wird, heraus; vgl. Müllner, Mit den Waffen einer Frau?, 400–401. 395 Vgl. Staubli, Nahrungszubereitung (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 414. 396 Vgl. auch Lev 2,14; 1 Sam 17,17; 25,18 Vg. 397 Wörtlich „Gaumen“; vgl. 1 Chr 12,40 Vg, frische Feigen in 1 Sam 16,1 Vg. 398 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 496; Das Öl dient vermutlich in diesem Kontext dazu, es zusammen mit dem Brot zu verzehren; vgl. dazu Staubli/Klinghardt, Ernährung (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 116. Auch Käse ist eine gängige Wegzehrung; vgl. Miller, Das Buch Judith, 88.

240 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

weise nicht wie die LXX von „reinen“ Broten, was die toraobservante Auswahl der Speisen in den lateinischen Texten weniger offensichtlich macht.399 Judit/Iudith nimmt, was der Lesende noch nicht weiß, diesen haltbaren Proviant mit, um sich unterwegs und später im Lager der Assyrer nicht durch fremde Speisen zu verunreinigen (vgl. Jdt 12,2 LXX/Hs 151/Vg).400 Das Reisen mit einer Bediensteten und ihre eindrucksvolle äußere Erscheinung werden Iudith – deutlich erkennbar – als hochgestellte Persönlichkeit ausweisen.401

Fazit In Idt 10,4 tritt Gott das erste Mal in der Vg-Fassung des Buches Iudith auf. Anders ist es in LXX/Hs 151, wo der Lesende von einer Erhörungsnotiz Gottes erfährt (Jdt 4,13), die die Vg-Fassung nicht enthält. Stattdessen wird Gott in der Vg und nur in der Vg erst in Idt 10,4 aktiv und macht Iudith zu einer unvergleichlich schönen Frau (Idt 10,4). Während Judit sich in LXX/Hs 151 nur verschönert und von Natur aus bereits schön ist (Jdt 8,7 LXX/Hs 151), lässt Hieronymus sie in einer Vg-spezifischen Hinzufügung also erst mit dem Eingreifen Gottes schön werden. Sowohl in LXX/Hs 151 als auch in der Vg dient das Sich-Schön-Machen der Täuschung der Feinde. In allen Fassungen nimmt Judit/Iudith daher nur die Rolle einer Verführerin ein, um Israel zu retten. Nur in der Vg-Fassung wird sie dabei durch ein direktes Eingreifen Gottes unterstützt. Auch die Begründung für Gottes Unterstützung ist Vg-spezifisch: Demnach greift er ein, weil Iudith sich nicht aus Begierde, sondern aus tugendhaften Beweggründen um Verschönerung ihres Äußeren bemüht hat (Idt 10,4a–d).402 Dadurch wird die Schönheit einer Frau in der Vg von einem positiven Attribut zu einem negativen abgewertet, denn sie ist nicht mehr fester Bestandteil der Charakterisierung der Protagonistin, wie noch in Jdt 8,7 LXX/Hs 151. Vielmehr hilft sie Iudith die Rolle der schönen Verführerin einzunehmen, um Israel zu retten. Eine besonders auffällige Schmuckart sind die Vg-spezifisch hinzugefügten „Lilien“ (Idt 10,3g; nach Hs 151 liliolum), die Iudith im Zuge ihrer Verschönerungs-

399 Idt 10,5 Hs 151 schreibt lapaces. 400 Vgl. auch Zenger, Das Buch Judit, 496. 401 Vgl. Arzt-Grabner/Ernst/Naumann, Reisen (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 476. 402 Von da ab wird Iudiths Äußeres mit den Wörtern splendor „Glanz“, pulchritudo „Schönheit“ und decor „Liebreiz“ beschrieben (Idt 10,4a.c.d), während es davor als „anständig“ elegans bezeichnet wurde (vgl. Idt 8,7a). Splendor charakterisiert auch im Buch Tobit Vg-spezifisch den Protagonisten (Tob 5,5 Vg); vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 163.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 241

maßnahmen anlegt. Denn in christlicher Symbolik stehen die weißen Lilien für Reinheit, Demut und Keuschheit. Durch die „Lilien“, die Iudith wohl um den Hals trägt, soll ihre Tugend betont werden. Eine ausgeprägt negative Assoziation des weiblichen Sich-Schön-Machens ist in der Briefliteratur des Hieronymus zu finden. Als weibliches Werteideal und mithin, wie eine Frau sich äußerlich geben soll, gilt eine Frau, die sich der Keuschheit verschrieben hat und die im Zuge dessen möglichst wenig Wert auf ihr Äußeres legt und damit auch darauf, ob sie in den Augen der Männer als schön erscheint. Frauen, die wie Iudith (nach ihrer Veränderung) in Erscheinung treten, werden hingegen unlautere Absichten, wie das Erwecken von Begierlichkeiten, unterstellt. Auch im Buch Iudith ist die negative Konnotation des SichSchön-Machens gegeben, weil Iudiths Bemühungen allein zur Rettung Israels zu Stande kommen. Da Gott sie aber dabei unterstützt, kann an der Notwendigkeit der Verschönerung beim Lesenden nicht der geringste Zweifel bestehen bleiben. Die Bedeutsamkeit dieses Zusammenhangs betont Hieronymus noch einmal in Ep.  54, wo er festhält, dass Iudith nach der Tat wieder Trauerkleidung trägt.403 Dass sie nicht ihren Begierden unterliegt und vielmehr nur eine Rolle spielt, bei der sie sogar von Gott unterstützt wird, rechtfertigt ihr Sich-Schön-Machen und begründet ihr Schön-Gemacht-Werden. Das Opfer, das Iudith durch ihre Verkleidung bringt, ist in den Augen des zeitgenössischen Lesenden noch einmal größer, denn Iudith bringt sich in die Gefahr, mit ihrer Keuschheit zu brechen und setzt sich der schlechten Bewertung ihres Umfeldes aus. Die Vg ist die einzige Textfassung des Buches Judit, in der Gott in Idt 10,4 aktiv wird. Ein guter Ausgang der Handlung ist damit für den Lesenden bereits angedeutet. Der Fokus der Erzählung liegt dadurch vermehrt auf der Vermittlung der Werte, die Vg-spezifisch in Idt 10,4b gleich mitgeliefert werden: Gott hilft, weil Iudith tugendhaft, d.h. keusch, und nicht ihren Begierden unterlegen ist. Sie trägt vermutlich deswegen auch – nur in Vg/Hs 151 – das Symbol der Keuschheit, die Lilie (Idt 10,3g), sichtbar um den Hals.

3.5.2 Abschied von Bethulia (Idt 10,6a–10a) An den Toren Bethulias warten die Ältesten bereits auf Iudith (Idt 10,6a–b; vgl. auch Idt 8,31a–b). Damit ist ein Perspektivwechsel in Idt 10,7a–b gegeben, der den Lesenden durch die Augen der Ältesten auf Iudith blicken lässt, die Iudiths Schönheit verwundert bestaunen (Idt 10,7a–b). Stupor „Staunen“ als Substan-

403 Vgl. Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

tiv und mirari „sich wundern“ als Verb kommen noch einmal zusammen in Idt 10,14c.d vor. Letzteres darüber hinaus in Idt 11,18. Sowohl in Idt 10,7b als auch in Idt 10,14c–d stehen beide Wörter für das Erstauntsein der Männer über Iudiths Schönheit – zunächst der Ältesten, dann der assyrischen Soldaten. Durch die gleich doppelte Betonung des Bestaunens der Schönheit Iudiths wird die in Idt 10,4a.d angekündigte Wirkung derselben bestätigt. Ohne weitere Fragen zu stellen, lassen die Ältesten die beiden Frauen passieren (Idt 10,8a), wie es Iudiths Wunsch war (Idt 8,33a–b), und geben ihnen zwei Bitten zu Gott mit auf den Weg:404 Gott soll Iudith „Gnade“ geben (gratia Idt 10,8b; χάρις in Jdt 10,8 LXX), und ihren Plan in ihrem Herzen mit seiner Kraft festigen (Idt 10,8b–c; vgl. Idt 9,18c).405 Vg-spezifischer Zusatz ist die Bitte in Idt 10,8c: Die Ältesten sprechen also eine Art Fürbitte, wie Iudith es ihnen aufgetragen hatte (Idt  8,31d–e) und wiederholen dabei – teilweise unter Verwendung gleicher Wörter – Iudiths eigene Bitte an Gott um Kraft und Festigung des Plans (dare, virtus, cor, consilium, corrobare, vgl. Idt 9,14a2.18c). Die Vg verstärkt die zweite Bitte mit zwei Gedanken: Gott soll Iudiths Plan deswegen stark machen, damit er einerseits zum Ruhme Jerusalems vollendet werde und andererseits Iudiths Name unter die Zahl der Heiligen und Gerechten gezählt werde (Idt 10,8d–e).406 Die Formulierung, nach der Iudith unter die Zahl der „Heiligen“ gezählt werden soll, ist auffällig. Sanctus „von Gottgefälligen, gottgefällig, fromm, unschuldig, sittlich rein, tugendhaft“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2255–4256) kommt noch fünf Mal im Buch Iudith vor (Idt 4,13; 6,15; 8,29; 10,8; 16,31; mit Ausnahme von Idt 6,15 Vg-spezifisch): In Idt 4,13 als adjektivisches Attribut zum Bittgebet des Mose, in Idt 6,15 als Selbstbezeichnung der Israeliten im Gebet, in Idt 8,29 als Charakterisierung Iudiths durch die Ältesten, als Bezeichnung des Tempels in Idt 16,24 und zur Benennung der jüdischen Festtage in Idt 16,31. Mithin steht das Wort immer in einem religiösen Kontext. Der vermehrte

404 Idt 10,6a–8c weist große inhaltliche und sprachliche Parallelen zu LXX/Hs 151 auf, wobei Idt 10,8a Vg ein Zusatz ist. 405 Eine parallele Formulierung findet sich in Jdt 10,8 LXX/Hs 151 mit dem Unterschied, dass in Idt 10,8e–f eine Hypotaxe vorliegt. Gratia „Gnade“ kommt drei Mal im Buch Iudith vor (Idt 10,8; 12,17; 14,9), nur in Idt 10,8 ist Gott Subjekt. Gratia kommt auch vier Mal im Buch Tobit vor (Tob 1,13; 2,14; 11,7.12). Tob 2,14; 11,7.12 sind Vg-spezifisch; in Tob 2,14 hat es die Funktion, einen Bezug zu Hiob herzustellen, in Tob 11,7.12 wird ein zusätzliches Gebet des Tobias betont; vgl. Skemp, The vulgate of Tobit, 86–87, 336–337, 342–343. Der Gebrauch in Idt ist hingegen unauffällig. 406 So bezeichnet Hieronymus bspw. Hiob: „[…] Iob, vir sanctus et inmaculatus et iustus in generatione sua […]“ Hieronymus, Ep. 68,1 (CSEL 54, 677), „[…] Warum Job, ein unter seinen Zeitgenossen heiliger, makelloser und gerechter Mann, so vieles dulden musste […]“ Hieronymus, Ep. 68,1 (BKV2 Zweite Reihe 16, 56).



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 243

Gebrauch im Buch Iudith zusammen mit einem Vg-spezifischen Gebrauch im Buch Tobit (Tob 2,18; 6,20; 8,5)407 lassen darauf schließen, dass auch sanctus auf hieronymianischen Eigengebrauch hinweist. Die Antwort auf das hier in Aussicht Gestellte wird erst nach der Tat in Idt 15,10 gegeben, wenn der Jerusalemer Hohepriester mit seinen Ältesten einen Lobpreis auf Iudith, die dann selbst als „Ruhm Jerusalems“ gefeiert wird, ausspricht (vgl. Idt 15,10). Eine weitere Parallele zur Rede des Hohepriesters in Idt 15,10 ergibt sich durch die sich daran anschließende Akklamation des Volkes in Idt 15,12b (auch in Idt 10,9c). In Idt 10,9a1–c wird offensichtlich, dass außer den Ältesten noch weitere Figuren – sicherlich Bewohner von Bethulia – am Tor stehen, die in das Reden der Ältesten bekräftigend einstimmen: fiat fiat (vgl. auch Idt 13,26; 15,12; Ps 40,14; 71,19; 88,53; 105,48 Vg).408 Nach der in den lateinischen Fassungen abgewandelten Information in Idt 13,15b wird deutlich werden, dass das Volk, entgegen dieser Akklamation bei ihrem Abschied, die Rückkehr Iudiths nicht erwartet hat (quoniam speraverunt eam iam non esse venturam, Idt 13,15b). Das Misstrauen überrascht aufgrund der feierlich liturgischen Dimension des Abschieds: Nach Miller entfaltet die Vg in Idt 10,9 – durch Segenswunsch, Lobpreisung durch die Ältesten und Akklamation des Volkes – eine Art Liturgie.409 Segenswunsch und Akklamation sind in Idt 10,8d–g.9c eindeutig, weniger die Lobpreisung. LXX/ Hs 151 enthalten diese Akklamation nicht, dafür aber jeweils eine in Jdt 13,20; 15,10 LXX/Hs 151//Idt 13,26b; 15,12b Vg. Die Wiederholung von fiat fiat stellt eine Vg-spezifische Parallelisierung zwischen Aussagen der Ältesten gegenüber Iudith her: So bitten die Ältesten von Bethulia – jeweils unter Akklamation des Volkes – zunächst Gott um Hilfe für Iudiths Absichten in Idt 10,8d–g.9c, in Idt 13,24a–25e.26b sprechen sie nach der Tat einen doppelten Lobpreis, erst auf Iudith, dann auf Gott, aus und in Idt 15,10c–11f.12b findet sich ein Lobpreis auf Iudith durch den Jerusalemer Hohepriester und seine Ältesten. Gliedert man alle drei Textstellen mitsamt Rede und Akklamation (Idt 10,8d–g.9c; 13,24a–25e.26b; 15,10c–11f.12b) nach dem Schema Bittgebet, Lobpreis unter Verwendung des Lexems benedic- „segn-“ und Akklamation, ergibt sich folgendes Bild:

407 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit Compared with other ancient witnesses, 86, 233, 268. 408 Jdt 10,9 LXX/Hs 151 sind im Vergleich zur Vg erweitert und enthalten stattdessen noch eine kurze Rede Judits, in der sie die Ältesten auffordert, ihr das Tor zu öffnen. 409 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 89.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 10,8d–g.9c

Idt 13,24a–25e.26b

Idt 15,10c–11f.12b

Lobpreis I

benedicta es tu filia a Domino Deo excelso prae omnibus mulieribus super terram

tu gloria Hierusalem tu laetitia Israhel tu honorificentia populi nostri quia fecisti viriliter et confortatum est cor tuum eo quod castitatem amaveris et post virum tuum alterum non scieris ideo et manus Domini confortavit te et ideo eris benedicta in Aeternum

Lobpreis II

benedictus Dominus qui creavit caelum et terram qui te direxit in vulnere capitis principis inimicorum nostrorum quia hodie nomen tuum ita magnificavit ut non recedat laus tua de ore hominum qui memores fuerint virtutis Domini in aeternum pro quibus non pepercisti animae tuae propter angustias et tribulationem generis tui sed subvenisti ruinae ante conspectum Dei nostri

Bitte

Akklamation

Deus patrum nostrorum det tibi gratiam et omne consilium tui cordis sua virtute corroboret ut glorietur super te Hierusalem et sit nomen tuum in numero sanctorum et iustorum

Fiat fiat

Fiat fiat

Fiat fiat

Die Übersicht zeigt, dass die erste Akklamation, die noch vor der Tat ausgesprochen wird, nur von einer Bitte begleitet wird. Die letzten beiden enthalten keine Bitten mehr, sondern im ersten Fall einen doppelten, im letzteren einen einfachen Lobpreis auf Iudith. In der Vg wird durch die Vg-spezifische Erweiterung in



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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Idt 10,9c dem Bittgebet der Ältesten vor der Tat eine erweiterte, liturgische Dimension verliehen (vgl. Idt 15,12b). Erwähnenswert ist auch das Vg-spezifische Gebet Iudiths, das sie spricht, während sie und ihre abra die Tore durchschreiten (Idt 10,10a). Jdt 10,10 LXX/ Hs 151 beschreiben stattdessen das langsame Nachblicken der Bewohner Betulias bis Judit und ihre ἅβρα den Berg hinunter und außer Sichtweite sind und stellen damit die Schönheit Judits in den Vordergrund. Auch fällt auf, dass die Vg mehrfach in Vg-spezifischen Zusätzen una voce „mit einer Stimme“ für eine gemeinsame Bekundung des Volkes schreibt (Idt 7,12.18; 10,9; 15,10). Die Häufung könnte für eine Vg-spezifische Eigenart sprechen.

Fazit Der zweite Abschnitt (Idt 10,6a–10a) enthält eine Reihe Vg-spezifischer Eigenheiten: So bitten die Ältesten Gott, dass dieser Iudith in ihrem Herzen stark machen möge (Idt 10,8e) und tun damit, wie Iudith ihnen aufgetragen hatte (Idt 8,31d–e). Dabei fällt auf, dass die Bitte der Ältesten in Idt 10,8e–f (durch die Wortwiederholung von dare, virtus, cor, consilium, corrobare in Idt 9,14a2.18c) Iudiths eigener Bitte um Kraft und Festigung des Plans ähnelt. Auch nutzt die Vg mehrfach in Zusätzen gegenüber LXX/Hs 151 die elegante Formulierung una voce „mit einer Stimme“ für eine gemeinsame Bekundung des Volkes (Idt 7,12.18; 10,9; 15,10). Auffällig ist zudem, dass Vg-spezifische Wörter im Buch Iudith auch Vg-spezifisch im Buch Tobit sind: Dazu gehört die „Begierde“ (libido), die Hieronymus nicht nur Iudith, sondern auch Tobias abspricht (Idt 10,4b; Tob 3,18; 6,17.22) und ebenso das Wort sanctus (Idt 4,13; 6,15; 10,8; 16,31; Tob 2,18; 6,20; 8,5).410 Dies verstärkt den Eindruck eines speziell hieronymianischen Sprachgebrauchs. Die mehrfach auftretenden Akklamationen des Volkes durch fiat fiat stellen schließlich eine Vg-spezifische Parallelisierung zwischen Aussagen der Ältesten gegenüber Iudith her (Idt 10,8d–g.9c; 13,24a–25e.26b; 15,10c–11f.12b). Dadurch rückt der Abschied hier in die Nähe eines liturgischen Aktes mit Segenswunsch, Lobpreis und Akklamation. Durch die Vg-spezifische Erweiterung in Idt 10,9c (fiat fiat) wird dem Bittgebet der Ältesten vor der Tat eine größere Bedeutung beigemessen. Im Gegensatz zu den Parallelfassungen entsteht so der Eindruck, dass die Ältesten damit einen Anteil an Iudiths Tat und damit an der Rettung Israels haben (vgl. Idt 15,12b).

410 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit Compared with other ancient witnesses, 86, 233, 268.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auffällig ist auch das Vg-spezifisch hinzugefügte Gebet Iudiths, das diese spricht, während sie und ihre abra die Tore von Bethulia durchschreiten (Idt 10,10a).

3.5.3 Treffen der Assyrer (Idt 10,11a–16d) Im dritten Abschnitt (Idt 10,11a–16d) verlassen Iudith und ihre abra Bethulia und gehen den Berg hinunter. Sie müssen die ganze Nacht durchgelaufen sein, denn sie begegnen erst „bei Tagesanbruch“ einem assyrischen Vorposten, der sie festhält und Iudith fragt, woher sie komme und wohin sie gehe (Idt 10,11a–f).411 Auffällig ist, dass die Vg gegenüber Jdt 10,10–12 LXX/Hs 151 den Abstieg rafft und den Zeitwechsel von Nacht zu Tag hinzufügt. Das Geschehen in der LXX hingegen findet noch immer in der Nacht statt (Jdt 8,33; 10,22; 11,3.5; 12,5 LXX),412 ebenso wie in der Hs 151 (vgl. Idt 11,4–5 Hs 151). Diese Beobachtung trifft aber auf Idt 8,32; 10,20–21; 11,3.5 Vg nicht zu. Iudith sagt, dass sie „Hebräerin“ und von ihrem Volk geflohen sei (Idt 10,12a–c). In Jdt 10,12 LXX/Hs 151 begründet Judit zunächst ihr Fliehen: Sie sei geflohen, weil die Hebräer den Assyrern bald zum Fraß vorgeworfen würden ([…] καὶ ἀποδιδράσκω ἀπὸ προσώπου αὐτῶν ὅτι μέλλουσιν δίδοσθαι ὑμῖν εἰς κατάβρωμα). Auch Idt 10,12d–e Vg/Hs 151 lassen Iudith als Begründung für ihre Flucht die Plünderung Bethulias vorhersagen,413 fügen aber hinzu, dass sie die Zukunft erkenne (Idt 10,12d–e).414 Iudiths Behauptung, in die Zukunft sehen zu können, wird in der LXX erst in Jdt 11,17–19 präsentiert, wenn Idt 11,14 Vg diese (mit Idt 11,17 Hs 151) bereits wiederholt.415 In Vg-spezifischer Hinzufügung begründet die Iudith der Vg, warum Bethulia geplündert werden würde (Idt 10,12f–h): Demnach sei der Grund die vorenthaltene Kapitulation der Stadt zur Erreichung von assyrischem Erbarmen (Idt 10,12f–h). Misericordia kommt sonst nur mit Gott als Subjekt vor (vgl. Idt 7,4.23; 8,12.17; 9,17; 13,18.21). Dass Iudith dieses Wort ver-

411 Die dritte Frage, zu welchem Volk sie gehöre (Jdt 10,12 LXX/Hs 151), entfällt in der Vg, obwohl Iudith diese Frage beantwortet; vgl. auch Miller, Das Buch Judith, 89. 412 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 90 413 […] quoniam futurum est ut dentur uobis in consummationem, Idt 10,12 Hs 151. Idt 10,12 Vg folgt Idt 10,12 Hs 151, präzisiert aber durch Ersetzen von consummatio „Vollendung“ durch das nur drei Mal in der Vg vorkommende depraedatio „Plünderung“ (1 Es 8,78; Idt 10,12; Jes 33,1). 414 Agnoscere „erkennen“ kommt drei Mal im Buch Iudith vor (Idt 5,28; 9,19; 10,12). 415 Vgl. dazu ausführlich Miller, Das Buch Judith, 89–90; Nach Bückers lüge Judit, sowohl in der LXX als auch in der Vg, eindeutig, wenn auch moralisch gerechtfertigt; vgl. Bückers, Die Bücher Esdras, Nehemias, Tobias, Judith und Esther, 298.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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wendet, um das Entgegenkommen der Assyrer zu beschreiben, zeigt ihr ehrfürchtiges Sprechen den Assyrern gegenüber: Auf Figurenebene soll das Eindruck machen, aber mehr noch auf der Ebene der Lesenden, da diese durch die Wortwahl erkennen können, dass Iudith hier ihren Plan umsetzt. Mit anderen Worten sagt Iudith den Assyrern, sie wolle überlaufen, da sie um ihr Leben fürchte, und macht den Wachen deutlich, dass sie eine Verhandlungspartnerin auf Augenhöhe ist und nicht ein um Asyl bittender Flüchtling. Weiter argumentiert Iudith, dass sie beschlossen habe, zum Fürsten Holofernis zu gehen, um ihm die Geheimnisse des Volkes Israel mitzuteilen, und ihm zu erklären, auf welchem Zugang er Bethulia einnehmen könne, ohne dass auch nur ein einziger Mann aus seinem Heer falle (Idt 10,13b–f). Dieser Gedankengang ist nur in der Vg als Rede in der Rede konzipiert. Iudith lässt die Soldaten dadurch an ihren vermeintlichen Gedanken teilhaben. Die Anrede des Holofernis lautet in der LXX „Oberbefehlshaber eurer Streitmacht“ (ἀρχιστρατήγου δυνάμεως ὑμῶν Jdt 10,13 LXX), in Vg/Hs 151 „Fürst“ (princeps).416 Die „Reden von Wahrheit“ (ῥήματα ἀληθείας Jdt 10,13 LXX) werden durch die Vg-spezifischen „Geheimnisse“ ersetzt, in Bezug auf das, was Judit Holofernes über das Volk Israel sagen will.417 Iudiths Aussage ist wahr, auch wenn das Wortspiel, das Jdt 10,14 mit den „Reden von Wahrheit“ konstruiert, in der Vg ausbleibt: Iudith wird Holofernis das Geheimnis verraten, wie er das Volk Israel erobern kann, ohne dass ein einziger Mann aus seinem Heer fällt (Idt 11,8–17). Detailliert werden vier Reaktionen der Wachen geschildert: Sie hören Iudiths Worte, schauen ihr Gesicht an, Staunen befällt ihre Augen, weil sie über Iudiths Schönheit sehr verwundert sind, bis sie schließlich zu ihr sprechen (Idt 10,14a– 15a). Die Reaktion der Assyrer wird mit den gleichen Wörtern geschildert, wie zuvor die der Ältesten (stupor „Staunen“, mirare „wundern“, oculus „Auge“, videre „schauen“, nimis „sehr“, pulchritudo „Schönheit“; vgl. Idt 10,7a–b). Und wie in Idt 10,7a–b gibt es auch in Idt 10,14d einen Perspektivwechsel: Dem Lesenden wird die Innensicht der Assyrer mitgeteilt.418 Die Vg erweitert im Vergleich zu LXX/ Hs 151 auffälligerweise um „Staunen“ (stupor) und „Auge“ (oculus). Die Wortwahl und die Kleinschrittigkeit der Reaktion zelebrieren geradezu Iudiths wundersame Schönheit, die Gott bewirkt hat, und die tatsächlich alle, die sie anschauen, in

416 So auch in Idt 2,4; 5,1; 10,13 Vg/Hs 151/LXX; 13,19 Vg//Jdt 13,15 LXX/Hs 151. 417 Idt 10,13 Hs 151 qualifiziert die Reden nicht, obwohl mehrere Parallelen zu Jdt 10,13 LXX vorliegen. Idt 10,13 Hs 151 schreibt zudem das gewöhnliche via statt des seltenen aditus „Zugang“ (nur noch in 2 Makk 1,16 Vg). Beide Wörter bezeichnen allerdings keine Lokalität, sondern meinen die Art und Weise, wie Bethulia erobert werden kann. 418 In Idt 11,18b ist es dann nicht die Schönheit, über die die Männer staunen (mirari), sondern Iudiths Weisheit und ihre kluge Rede, die genauso wichtig zur Erfüllung des Plans sind.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

ihren Bann zieht (Idt 10,4d). Dabei spielen die Augen und das Sehen eine zentrale Rolle. Obwohl die Wachen zuerst Iudiths Worte hören, bleiben ihre Augen an ihrem Äußeren haften. Gefangen genommen von ihren Augen und Iudiths Schönheit (vgl. auch Idt 9,13a), glauben sie auch ihren Worten und geben ihr eine positive Antwort. Implizit wird dadurch die Frage aufgeworfen, wie wohl Holofernis auf Iudiths Schönheit reagieren wird, nachdem sowohl Freund, als auch Feind die gleiche Reaktion gezeigt haben. Die Wachen bestätigen Iudith, dass sie ihr Leben gerettet habe, weil sie diesen Plan erdacht habe, und zu ihrem Herrn hinabgestiegen sei (Idt 10,15b–d). Der kausale Nebensatz in Idt 10,15c ist Vg-spezifisch: Die assyrischen Vorposten verwenden dadurch das gleiche Wort für Iudiths Vorhaben (consilium), wie zuvor Iudith selbst und die Ältesten (Idt 8,31; 9,18; 10,8). Sie wissen indes nicht, wie recht sie mit ihrer Aussage haben werden, dass Iudith ihr Leben gerettet hat, indem sie kam (so auch in Jdt 10,15 LXX/Hs 151). Dadurch erhält die Textstelle für den Lesenden – gewollt oder ungewollt – einen ironischen Unterton. Die Vg lässt die Aufforderung von Jdt 10,15 LXX aus, in Begleitung einiger Wachen zum Zelt des Holofernes zu gehen.419 Idt 10,15 Hs 151 übernimmt den Gedanken verkürzt. Iudith solle weiter wissen, dass sie von Holofernis gut behandelt werden würde und in seinem Herzen sehr willkommen sei (Idt 10,16a–d). Idt 10,16a.d sind Vg-spezifische Erweiterungen. In der Vg fehlt die Aufforderung, dass Judit sich nicht vor Holofernes zu fürchten braucht (Jdt 10,16 LXX/Hs 151).420 Gratus kann mit „lieblich, anmutig, reizend, im Superlativ allerliebst“ oder mit „angenehm, erwünscht, willkommen“ übersetzt werden (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 2287–2288). Der Kontext lässt beide Lesarten zu: So ist es denkbar, dass Iudith dem Holofernis wegen ihrer Kriegsratschläge, also wegen ihrer klugen Rede, willkommen ist, aber – aus Sicht der Soldaten – sicher mehr noch wegen ihres guten Aussehens. Letzteres ist auch aufgrund der Reaktion der assyrischen Truppen auf Iudith zu vermuten.

419 Jdt 10,15 LXX: σέσωκας τὴν ψυχήν σου σπεύσασα καταβῆναι εἰς πρόσωπον τοῦ κυρίου ἡμῶν καὶ νῦν πρόσελθε ἐπὶ τὴν σκηνὴν αὐτοῦ καὶ ἀφ᾽ ἡμῶν προπέμψουσίν σε ἕως παραδώσουσίν σε εἰς χεῖρας αὐτοῦ. 420 ἐὰν δὲ στῇς ἐναντίον αὐτοῦ μὴ φοβηθῇς τῇ καρδίᾳ σου ἀλλὰ ἀνάγγειλον κατὰ τὰ ῥήματά σου καὶ εὖ σε ποιήσει / et si steteris in conspectu eius noli timere corde tuo et bene tibi faciet, Jdt 10,16 LXX/Hs 151.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 249

Fazit Im dritten Abschnitt (Idt 10,11a–16d), wenn Iudith auf den assyrischen Vorposten trifft, sind die Vg-spezifischen, zum Teil sprachlich parallel gebrauchten Wörter in Idt 10,7a–b und Idt 10,14a–15a bemerkenswert, wenn erst die Ältesten und dann der assyrische Vorposten die Schönheit Iudiths bestaunen (stupor „Staunen“, mirare „wundern“, oculus „Auge“, videre „schauen“, nimis „sehr“, pulchritudo „Schönheit“; vgl. Idt 10,7a–b). Zu den Wörtern stupor „Staunen“ und oculus Auge“ findet sich in LXX/Hs 151 keine Entsprechung. Auffällig ist auch die Hinzufügung der lateinischen Fassungen, in der Iudith behauptet, dass sie die Zukunft erkenne (Idt 10,12d), weil die LXX davon erst in Jdt 11,17–19 berichtet, wenn Vg/Hs 151 dies bereits wiederholen. Schließlich ist erwähnenswert, dass die assyrischen Soldaten im Vg-spezifischen Idt 10,15c das gleiche Wort (consilium „Plan“) für Iudiths Vorhaben verwenden, wie zuvor Iudith selbst und die Ältesten (Idt 8,31; 9,18; 10,8).

3.5.4 Treffen zwischen Iudith und Holofernis (Idt 10,16e–20c) Im vierten Abschnitt (Idt 10,16e–20c) wird das erste Zusammentreffen von Iudith und Holofernis beschrieben. Iudith wird von den Wachen zum Zelt des Holofernis gebracht und tritt ein, nachdem sie ihm gemeldet wurde (Idt 10,16f).421 Im Vergleich zu Jdt 10,17–20 LXX ist Idt 10,16–18 Vg stark gekürzt und inhaltlich abgewandelt: In der LXX begleiten einhundert Männer Judit vor das Zelt, wo sie erneut von allen bewundert wird. Die Rede, die die Soldaten in Idt 10,18b–d Vg vor Holofernis sprechen, sprechen diese in der LXX miteinander. Erst danach wird Judit von Leibwächtern, die aus dem Zelt kommen, in das Zelt gebracht. Idt 10,17–20 Hs 151 folgt weitgehend LXX, weiß aber auch nichts von den einhundert Männern. Holofernis ergeht es wie zuvor den Ältesten und dem assyrischen Vorposten. Er wird bei Iudiths Anblick sofort durch seine Augen gefangen genommen (Idt 10,17b; vgl. auch Idt 10,7a–b.14c–d). Auch hier wechselt die Perspektive: Der Lesende sieht nun das Geschehen durch die Augen des Holofernis. Das Motiv des Sehens verweist auf Iudiths unvergleichliche Schönheit und ihr Schön-GemachtWerden durch Gott (Idt 10,4). Zusammen mit capere „fangen“ verweist es Vgspezifisch auf Iudiths Bitte an Gott – Holofernis möge doch durch die Schlingen seiner Blicke auf Iudith gefangen werden – in Idt 9,13a zurück, die sich hier realisiert. Nach Jdt 10,23 LXX aber erfährt der Lesende nur von einer allgemeinen Ver-

421 Zu tabernaculum „Zelt“ vgl. Idt 8,5.

250 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

wunderung über Judits Schönheit. Die Hs 151 berichtet vom ersten Sehen Iudiths ohne Wertung. Die Wachen bestätigen den Eindruck des Feldherrn, indem sie ihm eine rhetorische Frage stellen: „Wer könnte das Volk der Hebräer missachten, die so schöne Frauen haben, dass wir nicht schon um derentwillen mit Recht gegen sie kämpfen sollten?“ (Idt 10,18b–d). Die sarkastische Bemerkung der Wachen – unter Verwendung von decora „schön“ – zeigt, dass Iudiths umwerfende Wirkung auf Holofernis offensichtlich ist (vgl. auch Idt 10,4d). Die assyrischen Wachen spekulieren hier – offenbar ohne jeglichen Verdacht – in überheblicher Manier über die Schönheit der israelitischen Frauen. Jdt 10,19 LXX/Hs 151 hingegen lassen die Wachen in unwissender Vorausschau und nicht ohne Ironie sagen, dass das Volk Israel nicht frei gelassen werden dürfe, da sie, mit ihren Frauen, die ganze Welt überlisten könnten.422 Möglicherweise sind nicht alle im assyrischen Lager von Judit geblendet und halten eine Täuschung durch eine so schöne Frau für möglich.423 In Idt 10,19a wechselt erneut die Perspektive und der Lesende blickt nun durch Iudiths Augen. Sie sieht Holofernis, der unter einem Mückennetz sitzt, das aus Purpur und Gold gefertigt und mit Smaragd und Edelsteinen reich verziert ist (Idt 10,19a).424 Zwischen Jdt 10,21 LXX und Idt 10,19 Vg bestehen mit Blick auf die Zeitkonstruktion erhebliche Unterschiede:

422 Jdt 10,19 LXX/Hs 151: […] τίς καταφρονήσει τοῦ λαοῦ τούτου ὃς ἔχει ἐν ἑαυτῷ γυναῖκας τοιαύτας ὅτι οὐ καλόν ἐστιν ὑπολείπεσθαι ἐξ αὐτῶν ἄνδρα ἕνα οἳ ἀφεθέντες δυνήσονται κατασοφίσασθαι πᾶσαν τὴν γῆν / […] Quis contemnet istum populum qui tales habet mulieres, quoniam bonum est ex eis relinquere semen in uiros ut qui nati fuerint possint possidere totam terram. 423 Vgl. dazu Miller, Das Buch Judith, 207. 424 Conopeum (griech. κωνωπειον), ein „feinmaschiges Mückennetz und die mit einem Mückennetz umzogene Lagerstätte oder auch ein Himmelbett“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 1155), kommt vier Mal innerhalb des Buches Iudith vor (Idt 10,19; 13,10.19; 16,23) und bezeichnet stets den reich verzierten und an Stangen befestigten Überhang über Holofernis Bett. Dieser ist – wenig funktionell und dafür umso mehr repräsentativ – aus teurem „Purpur“ (purpura, griech. πορφύρα) und „Gold“ gefertigt und kostbar ausgeschmückt. In den purpurfarbenen Stoff des Mückennetzes sind Smaragde und andere kostbare Edelsteine eingewoben: Zmaragd (eigentlich smaragdus, griech. σμάραγδος) „Smaragd“ bezeichnet in der Antike alle grünen Edelsteine und Halbedelsteine (bspw. Praser, Jaspis, Melachit). Lapis (vom griech. λέπας „kahler Fels“) „Stein, Edelstein, Marmorstein“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2814–2815) ist wegen der zusätzlichen Beschreibung pretiosus „kostbar“ am ehesten mit Edelstein zu übersetzen.



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 251

LXX

Hs 151

Vg

Judit lässt die Ältesten zum Abschied zum Stadttor kommen.

Nachts, Jdt 8,33

Nachts, Idt 8,33

Nachts, Idt 8,32

Judit trifft auf den assyrischen Vorposten

Keine Angabe, daher vermutlich noch nachts

Keine Angabe, daher vermutlich noch nachts

Bei Tagesanbruch, Idt 10,11

Judit trifft zum ersten Mal Holofernis

Fackeln erhellen die erste Begegnung, Jdt 11,23, vermutlich nachts

Vermutlich noch immer nachts

Bei Tag wegen Idt 10,11

Judit spricht mit Holofernes

In dieser Nacht, Jdt 11,3.5

Keine Zeitangabe

In dieser Nacht, Idt 11,5

In der Vg wird Iudith bei Tageslicht direkt vor Holofernis geführt, der auf seinem Bett sitzt, über dem sich das kostbar verzierte Mückennetz befindet. In der LXX geht Holofernes aus seinem inneren Zelt, wo er auf dem Bett unter seinem prächtigen Mückennetz saß, in sein Vorzelt und kommt auf Judit zu, während ihm Fackeln vorausgetragen werden, die seinen Weg erhellen. Obwohl Holofernis in Idt 10,21 Hs 151 wie in der Vg auf dem Bett sitzt, wenn er Iudith empfängt, und auch die Fackeln der LXX fehlen, findet das Geschehen in der Nacht statt, wie sich Jdt 11,3.5 LXX und Idt 11,5 Hs 151 noch einmal explizit entnehmen lässt. Auch dieser Hinweis findet sich in der Vg nicht. Mithin ist der Wechsel von Nacht zu Tag eine Vg-spezifische Abänderung. Die verführerische Komponente von Seiten des Holofernes ist für die Inszenierung der LXX nicht ganz von der Hand zu weisen. Anders wirkt die Darstellung der Szene in der Vg, die eher formell gehalten ist und bei der Holofernis wie ein König unter einem „Baldachin“ sitzt. Iudith wirft sich dann auch – wie bei einer offiziellen Audienz – nieder (Idt 10,20a–b).425 Schmitz hat an Textbeispielen aus der lateinischen Literatur aus römischer Zeit gezeigt, dass das „Mückennetz“ dazu dient, einen übertriebenen und gefährlichen Luxus vornehmlich weiblicher Trägerinnen zu symbolisieren.426 Holofernes, als dessen Besitzer, werde dadurch, anders als in den Anfangskapiteln des Buches Judit, nicht als starker, rauer, kampferprobter und unbarmherziger

425 Die Wiederholung des Sich-Wunderns in Jdt 10,23 bleibt in Idt 10,20/10,22–23 Hs 151 aus. 426 Dazu werden Textbeispiele von Juvenal, Horaz, Propertius und Varro angeführt; vgl. dazu Schmitz, Holofernes’s Canopy in the Septuagint, 74–77.

252 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Feldherr, sondern als weichlicher, ruhender, Luxus liebender und sogar typisch weiblicher Genussmensch, vorgestellt.427 Auch im Buch Iudith wird Holofernis zunächst als mächtiger Feldherr charakterisiert: „7 tunc descendit de montibus cum equitibus in virtute magna et obtinuit omnem civitatem et omnem inhabitantem terram [...] 11 nec ista tamen facientes ferocitatem eius pectoris mitigare potuerunt 12 nam et civitates eorum destruxit et lucos eorum excidit“ „7 Da zog er von den Bergen herab mit den Reitern in großer Streitmacht und nahm jede Stadt ein und jeden Bewohner des Landes. […] 11 Aber nicht einmal dadurch konnten sie die Kampfeslust seines Herzens besänftigen. 12 Denn er zerstörte auch ihre Städte und holzte ihre Haine ab“ Idt 3,7.11–12.

Ein in Prunk und Reichtum lebender Mensch – wie hier Holofernis – steht für all das, was in den hieronymianischen Briefen angeprangert und den in Askese lebenden Männern und Frauen aufs Schärfste untersagt wird. Kritisiert werden bei Frauen die purpurfarbene Schminke428, golddurchwirkte Stoffe, Smaragde und andere Edelsteine sowie alle Art von offensichtlichem Luxus und Wohlstand. Auch bei Männern werden – neben dem Hang zu Luxus und Auschweifung – Kleidung, Parfum, das Kräuseln der Haare und das Tragen von glänzenden Ringen bemängelt: „[…] quando eras in saeculo, ea, quae erant saeculi, diligebas: polire faciem purpurisso et cerussa ora depingere, ornare crinem et alienis capillis turritum uerticem struere, ut taceam de inaurium pretiis, candore margaritarum Rubri maris profunda testantium, zmaragdorum uirore, cerauniorum flammis, hyacinthorum pelago, ad quae ardent et insaniunt studia matronarum […]“ Hieronymus, Ep. 130,7 (CSEL 56/1, 186). „[…] Als Du noch zur Welt gehörtest, da liebtest Du die Dinge der Welt. Du färbtest Dein Angesicht rot und legtest auf Deine Wangen Bleiweiß auf. Du sorgtest für eine elegante Frisur, und mit fremden Haaren schufst Du ein turmähnliches Gebilde. Ich will nicht reden von den kostbaren Ohrringen und den glänzenden Perlen, die einst auf dem Boden des Roten Meeres lagen, von den grünleuchtenden Smaragden, den rotschimmernden Edelsteinen, den hyazinthenfarbenen Amethysten, die Wunsch und leidenschaftliches Sehnen der Frauen sind […]“429.

427 Vgl. auch Schmitz, Holofernes’s Canopy in the Septuagint, 73; Zenger, Das Buch Judit, 498. Miller sieht darin im Gegensatz dazu eine unentbehrliche Vorrichtung, die der Würde eines Feldherrn entspricht. Auch Soubigou merkt an, dass solche Stoffe im Orient nicht außergewöhnlich sind (Ex 28,6; Spr 7,16); vgl. Miller, Das Buch Judith, 207; so auch Bückers, Die Bücher Esdras, Nehemias, Tobias, Judith und Esther, 299; Soubigou, Judith, 550. 428 Vgl. Ep. 38,3; Purpur wird in den hieronymianischen Briefen meist mit Schminke im Gesicht gleichgesetzt. 429 Hieronymus, Ep. 130,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 254).



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

 253

Golddurchwirkte Stoffe am Körper dienten dem Erwecken von Begierlichkeiten: „[…] spernat bombycum telas, Serum uellera et aurum in fila lentescens. talia uestimenta paret, quibis pellatur frigus, non quibus corpora uestita nudentur […]“ Hieronymus, Ep. 107,10 (CSEL 55, 300–301). „[…] Sie gebe sich aber nicht mit Seide und serischen Stoffen oder mit golddurchwirkten Geweben ab. Die Kleider, die sie sich anfertigt, sollen gegen Kälte Schutz bieten, aber kein Mittel sein, um den entblößten Körper zur Schau zu tragen […]“430.

Frauen und Männer, die nach Reichtümern streben, sind nach Hieronymus sündhaft: „[…] ibi nascitur carbunculus, et smaragdus et margarita candentia et uniones, quibus nobilium feminarum ardet ambitio […] perspicuum est. si negotiatores saeculi tanta sustinent, ut ad incertas perueniant periturasque diuitias, et seruant cum animae discrimine, quae multis periculis quaesierunt, quid Christi negotiatori faciendum est, qui uenditis omnibus quaerit pretiosissimum magaritum […] prudentis uiri est ac prudentium feminarum dissimulare, immo emendare, quod in se intelligant […]“ Hieronymus, Ep. 125,3–5 (CSEL 56/1, 122). „[…] Dort ist die Heimat des Karfunkels und des Smaragdes. Von dort kommen die glänzenden Perlen, besonders die großen, nach denen der Ehrgeiz der vornehmen Frauenwelt lechzt. […] Wenn sich die um die irdischen Güter besorgten Kaufleute solchen Strapazen unterziehen, um zu zweifelhaften und dem Verderben geweihten Reichtümern zu kommen, wenn sie ihr Leben aufs Spiel setzen, um zu hüten, was sie sich unter vielen Gefahren erworben haben, was muß man da nicht erst vom Kaufmanne Christi verlangen, der alles veräußert, um die kostbarste Perle zu erwerben […] Kluge Männer und kluge Frauen werden stillhalten und zu bessern anfangen, was sie etwa Sündhaftes an sich entdecken […]“431.

Reichtum soll stattdessen als Opfer der „Tugend“ (virtus) gespendet werden. Die Witwe kann ihn z.B. dazu nutzen, Jungfrauen von der Heirat freizukaufen: „Habes opes, facile tibi est indigentibus uictus subsidia ministrare. quod luxuriae parabatur, uirtus insumat; nulla nuptias contempura timeat egestatem. redime uirgines […]“ Hieronymus, Ep. 54,14 (CSEL 54, 481). „Du hast Reichtümer. Da muß es Dir ein leichtes sein, zum Lebensunterhalte der Armen beizusteuern. Was für den Luxus bereitlag, das soll ein Opfer der Tugend werden. Eine Frau, die auf die Heirat verzichtet, soll keine Armut fürchten. Kaufe Jungfrauen los […]“432.

430 Hieronymus, Ep. 107,10 (BKV2 Zweite Reihe 16, 298). 431 Hieronymus, Ep. 125,3–5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 219–220). 432 Hieronymus, Ep. 54,14 (BKV2 Zweite Reihe 16, 164).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auch im Brief an den Priester Nepotian kritisiert Hieronymus weltlichen Schmuck und Luxus scharf und betont, dass der Priester sich nur mit Begleitern umgeben soll, die einfache Kleidung und keine künstlich gekräuselten Haare tragen: „[…] negotiatorem clericum et ex inope diuitem et ex ignobili gloriosum quasi quandam pestem fuge […]“ Hieronymus, Ep. 52,5 (CSEL 54, 422). „[…] Einen Geistlichen, der auf Erwerb ausgeht und aus der Armut zum Reichtum, aus einfachen Verhältnissen zu Ehrenstellen gelangt, den fliehe wie die Pest! […]“433.

Ähnliches formuliert er auch gegenüber Eustochium: „[…] sint alii – de mei ordinis hominibus loquor –, qui ideo ad presbyterium et diaconatum ambiunt, ut mulieres licentius uideant. omnis his cura de uestibus, si bene oleant, si pes laxa pelle, non folleat. crines calamistri uestigio rotantur, digiti de anulis radiant […]“ Hieronymus, Ep. 22,28 (CSEL 54, 185). „[…] Andere finden sich, und da rede ich von Leuten meines Standes, die deshalb nach der Priester- und Diakonatswürde streben, damit sie ungestörter Frauen besuchen können. Ihre einzige Sorge ist der Anzug, das feine Parfüm, ein Schuh, der nicht wie ein Blasebalg am Fuße schlottert. Mit einer Brennschere kräuseln sie ihre Haare, an den Fingern glänzen Ringe […]“434.

Wahrer Reichtum sei geistig: „Auaritiae quoque tibi uitandum est malum […] aliena nobis auri argentique sunt pondera, nostra possessio spiritalis est […]“ Hieronymus, Ep. 22,31 (CSEL 54, 191–192). „Ein weiteres Übel, das Du meiden mußt, ist die Habsucht. […] Mengen von Gold und Silber sind für uns fremde Güter. Unser Besitz ist geistig […]“435.

Meist sind es die Frauen, deren charakteristische Vorliebe und Schwäche für derlei Prunk in den hieronymianischen Briefen hervorgehoben werden, doch steht auch Rom mit allen Menschen als Stadt des Luxus und der Prunksucht mehrfach im Fokus der Kritik: „[…] sola uitae suae qualitate promeruit, ut in urbe pompae, lasciuiae, deliciarum, in qua humilem esse miseria est, et boni eam praedicent et mali detrahere non audeant […]“ Hieronymus, Ep. 24,5 (CSEL 54, 217). „[…] Nur ihrem über alles erhabenen Lebenswandel hat sie es zu danken, wenn in der Stadt des Luxus, der Ausgelassenheit und des Genießens, in der niedrig und elend sein eins und

433 Hieronymus, Ep. 52,5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 131). 434 Hieronymus, Ep. 22,28 (BKV2 Zweite Reihe 16, 96–97). 435 Hieronymus, Ep. 22,31 (BKV2 Zweite Reihe 16, 101–102).



3.5 Iudiths Verwandlung und Gang ins Lager der Assyrer (Idt 10,1a–20c) 

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dasselbe bedeutet, die Guten sie verherrlichen können, ohne daß die Schlechten es wagen dürften, an ihr etwas auszusetzen […]“436.

Das Mückennetz des Holofernis kann als ganz besonderer Aspekt der Dekadenz gesehen werden, der alle diese kritisierten Luxusbestandteile enthält und durch seine Platzierung direkt über Holofernis Bett bereits auf die größte „Sünde“ der Begierde verweist. Der Holofernis der Vg wird nicht als typisch weiblich inszeniert. Vielmehr scheint er der Inbegriff alles luxuriös Lasterhaften zu sein. Wie Iudith als Vorbild der Gottesfurcht in Szene gesetzt wurde und zur Ausführung ihres Plans nun die Rolle der Lasterhaften spielt, füllt Holofernis diese wahrhaft aus, so dass die beiden Gegner ebenbürtig scheinen. Zur Figurencharakterisierung des Holofernis folgen noch, was der zeitgenössische Lesende noch nicht weiß, aber aufgrund dieser Beschreibung womöglich bereits im mentalen Figurenmodell von Holofernis mutmaßt, unmäßiges Essen und vor allem Trinken von Alkohol (Idt 12,20) sowie versuchter Verkehr aus sexueller Begierde (Idt 12,16). Insofern bildet Holofernis die exakte Opposition zur Iudithfigur. Iudith wirft sich dann vor Holofernis nieder (Idt 10,20b). Mit dieser Handlung folgt sie nicht nur den Gepflogenheiten der Begrüßung, sondern stellt auch ihre vornehme Herkunft gegenüber dem Gegner unter Beweis. Diese Haltung von Höherem und Niedrigen nehmen auch Abigail vor David (et procidit coram David super faciem suam et adoravit super terram, 1 Sam 25,23) und Ruth vor Boos ein (quae cadens in faciem suam et adorans super terram, Rut 2,10).437 Mit den gleichen Wörtern wird die rechte Verehrung Gottes beschrieben (vgl. Idt 6,14; 8,18; 13,22; 16,22; vgl. auch Idt 9,1d). Dass das Niederwerfen bereits zu Iudiths Plan gehört, zeigt der Vg-spezifische Zusatz, dass Iudith den Blick auf Holofernis gerichtet hält (Idt 10,20a). Die Schönheit ihres Anblicks soll Holofernis weiterhin fesseln. Der Eindruck wird durch die Fokussierung verstärkt, denn in Idt 10,20a–c sieht der Lesende mit Iudiths Augen auf das Geschehen.438 Ebenso wie die äußere Verwandlung gehört auch die „Verehrung“ zur Rolle, die Iudith spielt. Vg-spezifisch befiehlt Holofernis seinen Dienern, sie wieder aufzurichten (Idt 10,20c).

436 Hieronymus, Ep. 24,5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 122). 437 Vgl. auch Enslin, The Book of Judith, 134. 438 Anders Jdt 10,23: Durch die Augen der Diener blickt der Lesende auf Judit, dann wieder durch die der Erzählstimme.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Fazit Iudith und Holofernis werden in ihrer ersten Begegnung als Gegensätze konzipiert, wobei Iudith als die Tugendhafte und Holofernis als der Lasterhafte charakterisiert wird, was zunächst am jeweiligen Umgang mit Luxus erkennbar ist: Während Iudith trotz ihres Reichtums als bescheiden eingeführt wurde (Idt 8,2–6), lebt Holofernis diesen aus, was an seinem prächtigen Mückennetz erkennbar wird. Beim Zusammentreffen allerdings zeigt Iudith nicht ihr wahres Ich, sondern spielt, indem sie all ihren Schmuck und ihre kostbaren Gewänder trägt, die Rolle der Luxusliebenden. Der jeweilige Umgang mit Reichtum dürfte bei der mentalen Modellbildung der Figuren eine entscheidende Rolle einnehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Holofernis auch seine sexuellen Begierden ebenso ausschweifend auslebt wie seinen Hang zu Luxus. Die Bedeutsamkeit der Bescheidenheit für ein gottgefälliges Leben zeigen auch viele hieronymianische Briefe auf. Sehr auffällig ist die unterschiedliche Inszenierung der ersten Begegnung von Iudith und Holofernis: In der LXX geht Holofernes auf Judit zu und Fackeln werden ihm vorangetragen, denn das Geschehen findet noch immer in der Nacht statt. Die Vg weiß nichts von Fackeln, vielleicht weil der Tag bereits angebrochen ist (Idt 10,11). Iudith wird darin vor den unter seinem prächtigen Mückennetz sitzenden Holofernis geführt. Während in der LXX eine Begegnung der Hauptfiguren dargestellt wird, in der es Holofernes ist, der sich selbst in der Rolle des Verführers inszeniert, ist die Begegnung in der Vg eher formell gehalten. Der Holofernis der Vg hat (noch) weniger die Rolle des Verführers inne, denn mehr die eines Luxus liebenden, dekadenten und machthungrigen Menschen. Während sich Iudith niederwirft, hält sie den Blick auf Holofernis gerichtet (Idt 10,20a). Die Vg ändert in diesem Zusatz die Fokussierung, so dass der Lesende in Idt 10,20a–c mit Iudiths Augen auf das Geschehen sieht.439 Die demütige „Verehrung“ scheint zur Rolle, die Iudith spielt, dazuzugehören.

3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) Nachdem Iudith von den Wachen aufgerichtet wurde (Idt 10,20c), findet ein erster Dialog zwischen Iudith und Holofernis statt. Idt 11,1a–12,6 lässt sich in fünf Abschnitte gliedern. Die ersten drei Abschnittwechsel werden durch wechselnde Figurenreden eingeleitet: Der erste (Idt 11,1a–3d) besteht aus Redeeinleitung und Rede des Holofernis an Iudith, der zweite (Idt 11,4a–17b) aus Redeeinleitung

439 Anders Jdt 10,23: Durch die Augen der Diener blickt der Lesende auf Judit, dann wieder durch die der Erzählstimme.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

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und einer längeren Rede Iudiths, der dritte (Idt 11,18a–21e) enthält die Reaktion der Wachen und des Holofernis auf die Rede Iudiths. Der vierte Abschnitt (Idt 12,1a–4e) wird durch das Signalwort tunc „dann“ eingeleitet: Es werden Unterbringung und Verpflegung Iudiths während ihres Aufenthalts im Lager besprochen. Zudem kündigt das Verb introire „hineingehen“ den Raumwechsel in das Zelt, das Holofernis für Iudith vorgesehen hat, an, der aber erst mit Beginn des fünften Abschnitts vollzogen wird. Im fünften Abschnitt werden dann die Bitte Iudiths, das Lager zum Gebet verlassen zu dürfen, und das tatsächliche Verlassen beschrieben (Idt 12,4f–6d). Der fünfte Abschnitt wird durch Figuren- und Raumwechsel angezeigt. Es kommen die Diener des Holofernis hinzu, die Iudith in das Zelt führen. Die Raumkonstruktion im vierten und fünften Abschnitt ist durch die Opposition von im Lager bzw. im Zelt und außerhalb des Lagers bzw. in der Wasserquelle auffällig.440

3.6.1 Holofernis Rede an Iudith (Idt 11,1a–3d) Im ersten Abschnitt (Idt 11,1a–3d) versichert Holofernis, dass Iudith sich weder in der Seele sorgen, noch im Herzen ängstigen müsse (Idt 11,1b–c) und bestätigt damit vermeintlich, was die assyrischen Wachen vorhergesagt hatten (Idt 10,16c–d). Dass Iudith sorgenfrei sein kann, wird durch aequus im Ablativ aequo animo „unbesorgt wegen des Ausgangs“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 149– 150) und pavere „sich ängstigen“ gleich doppelt formuliert und damit betont. Holofernis argumentiert, dass er noch nie einem „Mann“ (Jdt 11,1 LXX schreibt geschlechtsunspezifisch „Mensch“) etwas zu Leide getan habe, der Nabuchodonosor dienen wollte (Idt 11,1d–e). Der Empfang durch Holofernis lässt darauf schließen, dass er keine Gefahr aus Iudiths Richtung kommen sieht, was bedeutet, dass er ihren Gang ins Lager als freiwilligen Dienst an Nabuchodonosor und als Überlaufen zum Gegner auffasst.441 Während die assyrischen Wachen zuvor das Wohlwollen des Holofernis gegenüber Überläufern betont hatten (Idt 10,15b– 16d), beruft sich Holofernis nun auf das des Nabuchodonosor.

440 Diese zeigt sich an der Anhäufung entsprechender Verben: So wird introire „hineingehen“ vierfach verwendet (Idt 12,1a.5b.6d.9a) sowie induxere „hineinführen“ einfach (Idt 12,4f) und exire „herausgehen“ zweifach (Idt 12,6c.7a) sowie ascendere „hinaufsteigen“ einfach (Idt 12,8a). Da aber nur Idt 12,5b.6d Vg-spezifisch sind, ist das nicht weiter auffällig. 441 So für die LXX; vgl. Gross, Das Buch Judit, 550; Haag, Studien zum Buche Judit, 47; Bückers, Die Bücher Esdras, Nehemias, Tobias, Judith und Esther, 301.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Dass Iudith dennoch Grund zur Sorge hat, lässt sich für den Lesenden daraus ersehen, dass Holofernis einerseits nur Männern bestätigt, sie zu verschonen, nicht aber Frauen, und andererseits, weil er sehr wohl Männern etwas angetan hat, die Nabuchodonosor dienen wollten (vgl. Idt 3,1–15). Der Beruhigungsversuch ist mithin eher eine Begrüßungsfloskel oder sogar ein erster Versuch, Vertrauen zu der schönen Frau im assyrischen Lager aufzubauen, damit sie ihm freiwillig beiwohnt, wie er es in Idt 12,10e–f fordert.442 Holofernis verteidigt die Belagerung Bethulias: Er sei nur mit dem Volk Israel im Kampf, weil dieses ihm Widerstand geleistet habe, er hätte andernfalls nicht seine Lanze gegen es erhoben und möchte von Iudith wissen, weshalb sie von ihrem Volk weggegangen und zu ihnen gekommen sei (Idt 11,2a1–3d; vgl. Idt 10,12).443 Auch dieser zweite Versuch, Vertrauen zu Iudith aufzubauen, dürfte an der Widerlegbarkeit der Aussage scheitern. Das assyrische Heer hat sich zum Kampf gegen Israel aufgemacht, die daraufhin Verteidigungsmaßnahmen ergriffen haben (Idt 4,1–6). Trotz weitgehend inhaltlicher Entsprechung fehlen Teile von Jdt 11,2.3 LXX in beiden lateinischen Fassungen: In Jdt 11,2 wird das Volk Israel, als das Volk, „das das Bergland bewohnt“ (ὁ κατοικῶν τὴν ὀρεινὴν), beschrieben, und hervorgehoben, dass es sich die Belagerung selbst angetan habe (ἀλλὰ αὐτοὶ ἑαυτοῖς ἐποίησαν ταῦτα). In Jdt 11,2 schreibt die LXX zusätzlich, dass Judit zur Rettung komme, sie Mut haben solle und sie in dieser Nacht und in Zukunft leben werde.444 Dass Iudith zur Rettung gekommen sei, schreibt auch Idt 11,3 Hs 151 (enim ad nos in salute). Jdt 11,4 LXX fehlt in den lateinischen Fassungen gänzlich: Darin wird noch einmal bekräftigt, dass niemand Judit Unrecht antun werde, man werde sie

442 Auch Miller schreibt für die LXX, dass sich hier die Verführungsabsicht des Holofernis zeige; vgl. Miller, Das Buch Judith, 208. 443 Idt 11,2 Vg/Hs 151 schreiben auffälligerweise lancea „Lanze“ statt hasta „Speer“, welches etwa vierundvierzig Belege in der Vg hat und die gebräuchlichere Übersetzung gewesen wäre (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 2321–2333). Lancea „Lanze“ hingegen – etwa sechsundzwanzig Belege in der Vg, drei davon im Buch Iudith (Idt 7,8; 9,9; 11,2) – meint ursprünglich eine „hispanische Lanze, ein[en] in der Mitte mit einem Riemen versehene[n] Speer“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2807), ist aber in Idt 11,2a2 als Bild für „jemandem den Kampf ansagen“ verwendet. In Idt 7,8; 9,9 hingegen meint es die Waffe, deren Funktion es ist, jemanden aufzuspießen und der die Assyrer nach Idt 9,9 vertrauen, die Israeliten nach Idt 7,8 nicht; vgl. dazu auch Soubigou, Judith, 550. Das Wort wird auch in 2 Sam 23,18 Vg als Bild gebraucht, allerdings unter Verwendung von hasta; vgl. auch Moore, Judith, 208. Nur die Vg enthält in Idt 11,3a–d einen viergliedrigen Parallelismus nach dem Schema Einleitung – Prädikat – Dativ-Objekt. 444 Jdt 11,3 LXX […] ἥκεις γὰρ εἰς σωτηρίαν θάρσει ἐν τῇ νυκτὶ ταύτῃ ζήσῃ καὶ εἰς τὸ λοιπόν.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 259

vielmehr gut behandeln, wie alle Knechte des Nabuchodonosor.445 Im Grunde hat Holofernis ihr die erwartete und so ähnlich bereits erteilte Antwort „um Nabuchodonosor zu dienen“ bereits in den Mund gelegt (vgl. Idt 11,1e; 10,12g–13a), denn allein aus taktischen Gründen kann Iudith nichts anderes antworten. Die Frage des Holofernis erinnert an die seiner Wachen (Idt 10,11f–g) und zielt daher möglicherweise darauf ab, die „Geheimnisse“ des Volkes Israel herauszufinden (Idt 10,13b–f).

3.6.2 Iudiths Rede an Holofernis (Idt 11,4a–17b) Iudiths Rede an Holofernis lässt sich in drei Unterabschnitte gliedern: Der erste (Idt 11,4a–7d) wird nach der Redeeinleitung durch einen Imperativ sowie durch Iudiths Eigenbezeichnung „deine Magd“ (ancilla tua) angezeigt. Er beinhaltet Iudiths Streben nach Glaubhaftigkeit ihrer Worte sowie die verbale Verehrung des Holofernis. Der zweite (Idt 11,8a–12h) wird durch constat enim „denn es steht fest“ eingeleitet, hat einen Figurenwechsel von Achior zu Gott und thematisiert das Verhältnis des Volkes Israel zu seinem Gott, was grammatisch auch am erstmaligen Vorkommen eines Possessivpronomens in der ersten Person Plural in Idt 11,8a erkennbar ist. Der dritte (Idt 11,13a–17b) wird durch einen temporalen Nebensatz mit der Konjunktion quod „als“ eingeleitet, wechselt in die erste Person Singular, wiederholt mit ancilla tua „deine Magd“ den Beginn des ersten Unterabschnitts und liefert erst die Antwort auf die von Holofernis gestellte Frage, warum Iudith von ihrem Volk geflohen sei. Besonderes Augenmerk ist auf den in den lateinischen Fassungen enthaltenen Zusatz zu lenken, in dem Iudith behauptet, dass angeordnet worden sei, die Schafe zu schlachten und deren Blut zu trinken (vgl. Idt 11,11a–c).

3.6.2.1 Iudiths wahre Worte und Verehrung des Holofernis (Idt 11,4a–7d) Idt 11,4b–d gehören sprachlich und inhaltlich zusammen und sind nach Art einer captatio benevolentiae gestaltet:446 Iudith fordert Holofernis auf, die Worte seiner Magd anzunehmen (Idt 11,4b). Ancilla „Magd“ dient fünf Mal innerhalb dieser Rede als Selbstbezeichnung Iudiths (Idt 11,4b.d.13a.14a.b) und kommt noch fünf

445 Jdt 11,4 LXX οὐ γὰρ ἔστιν ὃς ἀδικήσει σε ἀλλ᾽ εὖ σε ποιήσει καθὰ γίνεται τοῖς δούλοις τοῦ κυρίου μου βασιλέως Ναβουχοδονοσορ. 446 Gleiches lässt sich auch für Jdt 11,5–6 LXX feststellen; vgl. Soubigou, Judith, 551; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 330.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

weitere Male innerhalb des Buches Iudith vor, drei weitere Male als Selbstbezeichnung Iudiths (Idt 12,4; 13,18.20) und zwei Mal für die abra (Idt 12,19; 13,11), was den unterwürfigen Charakter der Selbstbezeichnung hervorhebt. Die Vg verwendet das Wort mit Hs 151, so dass es nicht weiter auffällig ist. Holofernis gegenüber dient die Selbstbezeichnung dazu, diesen wohl gesonnen zu stimmen und sein Vertrauen zu gewinnen. Gegenüber Gott zeigt es eine authentische Unterwürfigkeit (vgl. Idt 13,18.20). Trotz des Unterwerfungscharakters der Rede verweist der Imperativ von sumere „annehmen“ darauf, dass Iudith ihr Anliegen bestimmend vortragen wird: Holofernis hat ihre Schönheit gesehen, nun soll er ihre Worte „annehmen“, d.h. dass er ihnen Glauben schenken soll. Auffälligerweise fehlt in Idt 11,4 Vg die doppeldeutige, spitze Bemerkung, dass Judit Holofernes keine Lüge erzählen wird mit der Zeitangabe „in dieser Nacht“ (Jdt 11,5 LXX/Hs 151).447 Nach Idt 10,11b findet das Geschehen in der Vg am Tag und nicht in der Nacht statt. Weiter verheißt Iudith, dass der Herr – sollte Holofernis auf ihre Worte hören  – eine vollendete Sache mit ihm schaffen werde (Idt 11,4c–d). Vg/Hs 151 sind im Vergleich zu Jdt 11,6 verkürzt um die vielfach doppeldeutig interpretierte Information, dass Holofernes sein Ziel nicht verfehlen werde (wenn Gott mit ihm sein Vorhaben vollendet habe).448 Aber auch Idt 11,4 zeigt sich trotz der Kürzung ambivalent: Für Holofernis klingt es, als würde Iudith ihm verheißen, dass Nabuchodonosor durch Holofernis gewinnen werde, Iudith meint aber, dass Gott den Untergang von Holofernis und den Assyrern herbeiführen werde.449 Die Prophezeiung wird mit doppeltem Schwur bekräftigt: Iudith schwört beim Leben des Nabuchodonosor, als dem König der Erde, und bei dessen Kraft (Idt 11,5a–b). Die Kraft des Nabuchodonosor sei in Holofernis zur Bestrafung aller irrenden Seelen, denn nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere des Feldes würden ihm gehorchen (Idt 11,5c–e). Die Schwurformel ist in Idt 11,5 Vg/Hs 151// Jdt 11,7 LXX sehr ähnlich gestaltet: Die Vg fügt die Charakterisierung der Seelen als „irrend“450 und den Hinweis, dass die Tiere Nabuchodonosor „gehorchen“ hinzu. Jdt 11,7 LXX enthält darüber hinaus die Konkretisierung des Auftrags des Holofernes „um jedes Lebewesen in Ordnung zu bringen“ (εἰς κατόρθωσιν πάσης

447 […] καὶ οὐκ ἀναγγελῶ ψεῦδος τῷ κυρίῳ μου ἐν τῇ νυκτὶ ταύτῃ / […] et non loquar mendacium domino meo in hac nocte, Jdt 11,5 LXX/Hs 151. 448 […] καὶ οὐκ ἀποπεσεῖται ὁ κύριός μου τῶν ἐπιτηδευμάτων αὐτοῦ, Jdt 11,6 LXX. Vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit, 496; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 331–332; Moore, Judith, 209; Soubigou, Judith, 551. 449 So auch Gillet, Sainte Bible avec Commentaires Tobie, Judith, Esther, 127. 450 Errantia „Irren“ ist Vg-spezifisch und kommt nur noch in Jud 13,20 innerhalb der Vg vor.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 261

ψυχῆς) und weitet die Tiere, über die Nabuchodonosor herrschen wird, auf Vieh und Vögel aus. In biblischer Tradition ist der Schwur die verbindlichste Form einer Willenserklärung und wird zusätzlich durch einen Garant, der Gott, König, Prophet oder auch der Schwurempfänger sein kann, bei dessen Leben geschworen.451 Innerhalb des Buches Iudith lassen sich vier Schwüre, einer von Nabuchodonosor und drei von Iudith, beobachten:452 Der Schwur Nabuchodonosors auf seine Herrschaft und seinen Thron wird im Zuge seiner Pläne, Rache an den Völkern zu nehmen, die sich seiner Herrschaft nicht unterwerfen wollen, gesprochen (Idt  1,12; vgl. auch Jdt 1,12 LXX/Hs 151 in umgekehrter Reihenfolge). Da Iudith gerade diese Pläne des Nabuchodonosor verhindern möchte, haftet ihrem Schwur beim Leben und bei der Kraft Nabuchodonosors ein polemischer Zug an. In Idt 12,4 wird Iudith dann nicht weniger polemisch beim Leben des Holofernis schwören, das sie diesem im weiteren Verlauf der Erzählung nehmen wird, und in Idt 13,20 bei dem Gott Israels, der sein Volk gerettet und sie selbst beschützt hat. In Iudiths Schwur wird Nabuchodonosor mit dem Gottestitel rex terrae „König der Erde“ bezeichnet, ausgerechnet jenem Titel, mit dem er durch Holofernis selbst (Idt 6,4) und dessen oberste Feldherren zuvor bezeichnet wurde (Idt 5,29).453 Dass der Gottestitel rex terrae „König der Erde“ für Nabuchodonosor verwendet wird, suggeriert, dass Iudith eine Verbündete ist, und verweist auf Idt 2,3, wodurch Iudiths Rede als direkte Antwort auf die Vg-spezifische Zielsetzung des Nabuchodonosor gelesen werden kann.454 Nabuchodonosor wird darüber hinaus als derjenige charakterisiert, dem nicht nur die Menschen, sondern sogar die „Tiere des Feldes“ durch Holofernis gehorchten. Mit „Tiere des Feldes“ sind alle domestizierten, nicht aber die wilden Tiere gemeint.455 Die Vg lässt Iudith

451 Vgl. Giesen, Eid (NBL 1), 488. 452 LXX/Hs 151 enthalten jeweils sieben Mal einen Schwurhinweis (Jdt 1,12; 2,12; 8,9.11.30; 11,7; 12,4; 13,16). Jdt 2,12 LXX/Hs 151 enthalten einen weiteren als Schwurformel ausgestalteten Schwur, der den Schwur aus Jdt 1,12 LXX/Hs 151 wieder aufgreift und in dem Nabuchodonosor bei seinem Leben und seinem Königreich Rache schwört. Dieser ist in der insgesamt stark verkürzten Rede Nabuchodonosors der Vg-Fassung gestrichen. 453 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 500. Auffällig ist, dass Iudith zuvor Gott den Titel „König der Erde“ gerade nicht zugeschrieben (Idt 9,17) und damit Jdt 9,12 um diesen Titel (sowie um den des „Erbbesitzes Israels“) verkürzt hatte, obwohl er in Idt 6,15 vom Volk Israel, als „Königs des Himmels und der Erde“, verwendet wird. Achior gebraucht den Titel „Gott des Himmels“ für den Gott Israels drei Mal (Idt 5,9.12.19) und stellt diesen damit in Opposition zu Nabuchodonosor, den „König der Erde“. 454 Die Vg streicht die Schwurformel des Holofernis in Jdt 2,12 LXX/Hs 151, so dass eine Anspielung darauf nicht gegeben ist; vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit; Haag, Judit, 48. 455 Vgl. Gillet, Sainte Bible avec Commentaires Tobie, Judith, Esther, 127.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

dem Holofernis in einschmeichelnder Absicht mit ambivalenter Rede nach dem Mund reden. Iudiths Schwurformel enthält gleichermaßen eine Charakterisierung des Holofernis: Die Kraft des Nabuchodonosor wirke durch ihn zur Bestrafung aller irrenden Seelen. Iudith schreibt Holofernis damit eher ihre eigene Rolle zu und versäumt es auch durch diese ironisch anmutende Parallele nicht, ihrer Rede einen humoristischen Zug zu verleihen. Nabuchodonosor wurde zuvor als „Gott“ mit eingeschränkter „Kraft“, dem nur die Tiere des Feldes gehorchen, charakterisiert. Demzufolge kann dieser auch nur eingeschränkte „Kraft“ verleihen. Iudith lobt Holofernis als Feldherren und ausführende Gewalt Gottes und spannt den Machtbereich Nabuchodonosors auf einen vermeintlich göttlichen hin aus. Weiter wird die Regsamkeit des Geistes des Holofernis betont, die bei allen Völkern und der ganzen Welt bekannt sei, er allein sei gut und mächtig in seinem ganzen Reich, und seine Gelehrsamkeit werde in allen Provinzen gerühmt (Idt 11,6a–d). Dem assyrischen Feldherrn werden hier vor allem außerordentliche Weisheit und Macht zugesprochen. Jdt 11,8 LXX/Hs 151 weisen im Vergleich zu Idt 11,6a–d keine auffälligen Abweichungen auf. Dann spielt Iudith auf das Gespräch zwischen Achior und Holofernis an (Idt  5,5–28): „Auch das, was Achior gesagt hat, ist nicht verborgen geblieben, und man weiß sehr wohl, was auf deinen Befehl hin mit ihm geschehen soll (Idt 11,7a–d). Holofernis hatte nach der von ihm verworfenen Rede Achiors den Befehl gegeben, dass dieser während des assyrischen Angriffs mit ganz Bethulia sterben solle (Idt  5,28). Idt  11,7a–d ist eine Vg-spezifische Abwandlung von Jdt 11,9 LXX/Hs 151, wo der Kriegsrat des Holofernes explizit (vgl. Jdt 5,5–21 LXX/Hs 151), nicht aber die Konsequenzen für Achior genannt werden.456

3.6.2.2 Israel und sein Gott (Idt 11,8a–12h) Im zweiten Unterabschnitt (Idt  11,8a–12h) berichtet Iudith, wie zuvor Achior vor Holofernis und wie in Idt  10,13c angekündigt, von den „Geheimnissen“ des Volkes Israel, indem sie von dem besonderen Verhältnis zwischen Israel und Gott erzählt, nach dem ein sündhaftes Verhalten des Volkes gegen seinen Gott zu einer Strafe führt.

456 καὶ νῦν ὁ λόγος ὃν ἐλάλησεν Αχιωρ ἐν τῇ συνεδρίᾳ σου ἠκούσαμεν τὰ ῥήματα αὐτοῦ ὅτι περιεποιήσαντο αὐτὸν οἱ ἄνδρες Βαιτυλουα καὶ ἀνήγγειλεν αὐτοῖς πάντα ὅσα ἐξελάλησεν παρὰ σοί / Et nunc uerbum suum quod locutus est achior in concilio quoniam circuierunt eum uiri in betuliam et nuntiauit illis omnia uerba tua, Jdt 11,9 LXX/Hs 151.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 263

Die Ausführungen beginnen mit der Information, dass das Volk Israel seinen Gott so beleidigt habe, dass dieser ihm durch seine Propheten hat ausrichten lassen, dass er sie wegen ihrer Sünden ausliefere (Idt 11,8a–c). Während Jdt 11,9–10 LXX/Hs 151 also nur die Option des Sündigens des Volkes Israel in Aussicht stellen, schreibt die Vg, dass diese bereits eingetroffen seien und dass die „Propheten“ als Bestrafung die Auslieferung des Volkes bereits angekündigt hätten.457 Genaueres über die so genannten „Propheten“ wird nicht berichtet. Nach Scholz sei Iudith hier nur dann von einer Lüge freizusprechen, wenn hier die atl. Propheten gemeint seien, die das Gericht nicht wegen aktueller, sondern auch wegen vergangener Sünden ankündigten.458 Weil die Söhne Israels wüssten, dass sie ihren Gott beleidigt haben, sei das Zittern vor Holofernis über sie gekommen (Idt  11,9a–b). Mit dem Wort tremor „Furcht“ wird die in Idt  4,2 vom Volk Israel tatsächlich beschriebene Reaktion wieder aufgegriffen.459 Die Gott zugesprochene gefühlsmäßige Regung wird mit offendere „beleidigen“ umschrieben und steht für die Reaktion Gottes auf sündhaftes Verhalten seines Volkes oder anders ausgedrückt, für die Verehrung anderer Götter. In dem gleichen Sinn hatte auch Achior das Substantiv offensio „Beleidigung“ verwendet, in Idt 12,2 beschreibt Iudith damit eine etwaige Reaktion Gottes, die dann eintrete, wenn sie von unreinen Speisen esse. Die Wiederholungen von offendere „beleidigen“ (Idt 11,8a) und peccatum „Sünde“ innerhalb von Idt 11 verstärken und betonen den Zusammenhang von Beleidigung und Sünde (Idt 11,8c.9a). Jdt 11,11 LXX/Hs 151 schreiben stattdessen, dass das Volk Israel seinen Gott bald „zum Zorn reizen“ werde, weil eine Sünde sie befallen habe und Holofernes nicht unverrichteter Dinge abziehen solle. Während die Formulierung in LXX/Hs 151 beinahe vermessen klingt, wirkt sie in der Vg durch die Betonung des „Zitterns“ vor dem Feldherrn weiter schmeichelhaft. Ein weiterer Grund (etiam „außerdem“), warum das Volk Israel sündigen werde, sei, dass der Hunger sie befallen habe, und sie wegen des Wassermangels schon unter die Toten gerechnet würden (Idt 11,10a–b). Damit gibt Iudith Holofernis die nachweisliche Information, dass seine Belagerung funktioniert (Idt 7,6.10–11) und die Menschen in Bethulia vor Durst umkommen. Aufgrund dessen ergibt sich auch glaubhaft die im Folgenden beschriebene Sünde des Volkes von Bethulia.

457 Die gleiche Beobachtung findet sich bei Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 65. 458 Vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 65. 459 In Idt 14,17; 15,1 werden es dann die Assyrer sein, denen tremor „Zittern“ zugeordnet wird.

264 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Das Trinken von Tierblut Nur die lateinischen Fassungen lassen Iudith behaupten, dass angeordnet worden sei, die Schafe zu schlachten und deren Blut zu trinken (Idt 11,11a–c).460 Jdt 11,12 LXX

Idt 11,11 Vg

Idt 11,12 Hs 151

[…] ἐβουλεύσαντο ἐπιβαλεῖν τοῖς κτήνεσιν αὐτῶν καὶ πάντα ὅσα διεστείλατο αὐτοῖς ὁ θεὸς τοῖς νόμοις αὐτοῦ μὴ φαγεῖν διέγνωσαν δαπανῆσαι

11a denique hoc ordinant 11b ut interficiant pecora sua 11c et sanguinem eorum bibant

[…] et cogitauerunt interficere pecora sua et bibere sanguinem illorum

[…] beschlossen sie, (Hand) an ihr Vieh zu legen, und sie entschieden, alles aufzuzehren, was Gott ihnen in seinen Gesetzen zu essen verboten hat.

Schließlich ordnen sie dies an: ihre Schafe zu schlachten und deren Blut zu trinken,

[…] Und sie dachten daran, ihre Schafe zu töten und ihr Blut zu trinken.

Jdt 11,12 LXX schreibt nur von einem Beschluss, Hand an das „Vieh“ zu legen, was einem Verstoß gegen die göttlichen Speiseverbote gleichkomme, so dass die LXX vom Essen des Verbotenen ausgeht, nicht aber vom Trinken von Tierblut. Das Trinken von Tierblut ist aus mehreren Gründen ein grundlegender Verstoß und unter schwerwiegenden Sanktionen verboten (Lev 3,17; 17,10–14): Es sollen magische Praktiken, die im Zusammenhang mit dem Trinken von Tierblut stehen, verhindert werden; das Blut ist der Sitz des Lebens der Tiere und gehört Gott, dem es zurückgegeben werden muss (vgl. Lev 17,14; Gen 9,4; Dtn 12,16); auch ist das Blut von Gott zur Versöhnung gegeben worden (Lev 17,11) und soll den Menschen von allem befreien, was ihn von Gott trennt, weshalb es nicht für einen anderen Zweck verwendet werden darf.461 Möglicherweise erklärt sich das unerhörte Trinken von Tierblut (Idt 11,10 Hs 151/Vg) mit dem Wassermangel in Bethulia  – war doch bisher nicht die Rede von einem Essensmangel. Nach allen Fas-

460 „Schafe“ sind reine Tiere; vgl. Seidl, Rein und Unrein (NBL 2), 316; Riede, Tier (wibilex), 17.03.2014. Das Verwerfliche der Tat wird durch die Vg-spezifische, chiastische Satzstellung in Idt 11,11b–c nach dem Schema Konjunktion – Prädikat – Akkusativ-Objekt//Konjunktion – Akkusativ-Objekt – Prädikat hervorgehoben. Nach Sichtung des Forschungsstandes zur antisemitischen Polemik in der Antike lässt sich der Vorwurf des Bluttrinkens von Tieren bis ins 4. Jh. n. Chr. nicht nachweisen; vgl. Cuffari, Judenfeindschaft in Antike und Altem Testament, 15–336; Schäfer, Judenhaß und Judenfurcht, 13–302; Hruby, Juden und Judentum bei den Kirchenvätern, 5–80; Seeliger, Gemeinsamkeiten in der antijüdischen und antichristlichen Polemik in der Antike, 88–94. 461 Vgl. Hieke, Levitikus 16–27, 630–637, 640.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

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sungen wurde die Sünde noch nicht vollzogen: Nach Jdt 11,12 LXX/Hs 151 wurde sie beschlossen, nach Idt 11,11 Vg sogar bereits angeordnet. Die Lesenden wissen im Gegensatz zu den Assyrern, dass diese Information nicht wahr, sondern Teil des Plans ist, das Volk Israel zu retten.

Verzehr der Erstlingsgaben Es werde auch überlegt, – so Iudith weiter – das dem Herrn Heilige an Getreide, Wein und Öl, das Gott selbst zu berühren verboten hat, zu verwenden, und zu verzehren (Idt 11,12a1–d). Hier wird ein in Erwägung gezogener Verstoß gegen das Verbot die gottgeweihten Erstlingsgaben zu essen, die nur den Priestern vorbehalten sind (vgl. Lev 22,10–16), thematisiert.462 Nach Miller könnte es sich hierbei nicht um eine Kriegslist, sondern um Iudiths strenggläubige Auffassung und ein für Bethulia durchaus denkbares Szenario handeln, dem die Tatsache, dass bisher noch nichts dergleichen berichtet wurde, keinen Abbruch an der Wahrscheinlichkeit des Eintreffens tut – auch wenn mehr dafür spreche, dass Iudith sehr wohl wisse, dass das Volk von Bethulia weder das Blut der Tiere, noch die Erstlingsgaben anrühren wird, so dass ihr keine Lüge vorgeworfen werden kann.463 Jdt 11,13–14 LXX führt weiter aus, man habe bereits Sündenerlass aus Jerusalem für den Verzehr des Verbotenen erhalten. Idt 11,14–15 Hs 151 gibt diesen Gedanken stark verkürzt wieder. In der Vg fehlt er komplett. Nach Miller könnte der Grund darin liegen, dass Gesandte aus Bethulia unmöglich den assyrischen Belagerungsring durchbrechen könnten.464 Zumindest vom Aussenden von Boten, wenn auch nicht von deren Eintreffen, war bereits die Rede (Idt 4,3). Durch die Information gewinnt Judit im Lager des Holofernes die Zeit von etwa fünf Tagen. um ihren Plan in die Tat umzusetzen. Der assyrische Feldherr muss nur darauf warten, dass die Kunde aus Jerusalem kommt und das Volk von Betulia die Sünde begeht, deretwegen ihr Gott sie verlassen werde.465 Es handelt sich ferner um die Zeit, die sie auch von den Ältesten zur Ausführung ihres Planes gefordert hatte (Jdt 8,33–34). Die Vg lässt dies ganz aus. Doch auch in der Vg scheint die Sünde – im Widerspruch zur Aussage von Idt 11,8a–d – noch nicht vollzogen zu sein. Das „Bluttrinken“ sei angeordnet und über den Verzehr der „Erstlingsgaben“ werde nachge-

462 Vgl. Hieke, Levitikus 16–27, 853–856; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 339. 463 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 210–211. 464 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 211. 465 Vgl. Schmitz, Gedeutete Geschichte, 340.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

dacht: Keine der beiden Handlungen ist vollzogen (Idt 11,11a.12c). Auch im Laufe der Erzählung folgt diesbezüglich keine weitere Information.466 Die Vg kommt zunächst ohne die Zusatzinformation der LXX aus. Gleichzeitig entsteht eine Spannung, denn die Vg bekräftigt den Hinweis auf das Einschreiten Gottes aufgrund der Sünde noch einmal, ohne einen Bezug zu den Vorgängen in Jerusalem herzustellen: Weil sie dies tun, sei es gewiss, dass sie dem Verderben preisgegeben werden (Idt 11,12e–g). Facere „tun“ im Präsens aktiv weist darauf hin, dass das Volk Israel die Sünde bereits begeht. Die Vg ist mithin nicht eindeutig darin, ob Israel schon gesündigt hat oder nicht (vgl. Idt 11,8a–c). Für Holofernis dürfte die Argumentation indes plausibel sein: Der Gott Israels entzieht dem Volk seine Gunst, weil es seine Gebote übertreten hat, so dass es ihm ein Leichtes sein wird, es zu besiegen.467 Der Lesende weiß nichts von einer Opferung der Tiere, sondern nur von der Knappheit des Wassers und dem FünfTages-Ultimatum, das – nach Iudith – den Zorn Gottes ausgelöst habe (Idt 8,12a1– 13b). Er dürfte sich daher im Klaren darüber sein, dass die Rede von der Opferung Bestandteil ihres Planes ist.

3.6.2.3 Iudith stellt Holofernis ihren Plan vor (Idt 11,13a–17b) Im dritten Unterabschnitt (Idt 11,13a–17b) lässt die Vg Iudith endlich auf Holofernis Frage antworten und von den Beweggründen ihrer Flucht berichten und – wie in Idt 10,13b–f angekündigt – die reizvolle Möglichkeit in Aussicht stellen, Israel besiegen zu können, ohne auch nur einen Mann zu verlieren. Iudith, die sich ein weiteres Mal einschmeichelnd mit „Magd“ (ancilla) benennt, habe erkannt, dass die Israeliten aufgrund ihres sündhaften Verhaltens den Assyrern preisgegeben werden würden, und sei deswegen von ihnen geflohen (Idt 11,13a). Sie sei vom Herrn gesandt, um Holofernis mitzuteilen, wie die Israeliten besiegt werden können (Idt 11,13b). Jdt 11,16 LXX/Hs 151 variieren nur in der Begründung, warum Judit vom Herrn geschickt worden sei: Demnach soll sie Werke mit Holofernes vollbringen; Jdt 11,16 LXX ergänzt, über die die ganze Welt außer sich geraten wird.468 Auffällig ist daher, dass nur die Vg Iudith am Ende ihrer Rede den Sendungsauftrag wiederholen lässt (Idt 11,17b), wenn Jdt 11,19 LXX/Hs 151 zum ersten Mal schreiben,

466 Vgl. auch Miller, Das Buch Judith, 210. 467 Vgl. auch Schmitz, Gedeutete Geschichte, 339; ähnlich auch Haag, Judit, 108–109. 468 Jdt 11,16 LXX: ὅθεν ἐγὼ ἡ δούλη σου ἐπιγνοῦσα ταῦτα πάντα ἀπέδρων ἀπὸ προσώπου αὐτῶν καὶ ἀπέστειλέν με ὁ θεὸς ποιῆσαι μετὰ σοῦ πράγματα ἐφ᾽ οἷς ἐκστήσεται πᾶσα ἡ γῆ ὅσοι ἐὰν ἀκούσωσιν αὐτά.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

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dass Judit geschickt wurde, um Holofernes von den Sünden des Volkes Israel zu berichten. Die Wörter mittere „schicken“ und nuntiare „melden“ legen damit Vgspezifisch einen Rahmen um den Plan, den Iudith dem Holofernis nun vorstellt (Idt 11,13b.17b). Iudith präsentiert sich als von Gott gesandt, um seine Worte zu verkünden und damit als Prophetin. Die Wiederholung in der Vg betont diese Rolle. Iudith, die sich noch einmal als ancilla „Magd“ bezeichnet, verehre im Gegensatz zu ihrem Volk, den Gott Israels noch immer, und wolle daher im Lager der Assyrer zum Gebet hinausgehen (Idt 11,14a–c). Im Vergleich zu Jdt 11,17 LXX/Hs 151 ist Idt 11,14a–c Vg stark gekürzt.469 Das Herausgehen wird in der LXX ausführlicher als in der Vg als nächtlicher Gang in die Schlucht beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Information, die dem Fortgang der Handlung dient. Denn das Verlassen des Lagers ist die Voraussetzung dafür, dass Iudith nach begangener Tat schnell und unbemerkt flüchten kann.470 Es ist auffällig, dass die Vg erneut die Zeitangabe Nacht streicht (vgl. Idt 10,11). Weiter führt Iudith aus, dass Gott ihr sagen werde, wann er Israel die Sünde vergelte (Idt 11,15a–b). Jdt 11,17 LXX/Hs 151 schreiben, wann sie ihre Verfehlung begehen. Die Vg legt damit den Schwerpunkt auf die Reaktion Gottes. Nach Gottes Mitteilung werde Iudith dann Holofernis Mitteilung machen und ihn mitten durch Jerusalem führen, so dass er das ganze Volk Israel wie Schafe, die keinen Hirten haben, halten werde und nicht ein einziger gegen ihn bellen werde (Idt 11,15c–g). Im Vergleich zu Jdt 11,18–19 LXX weist die Vg erneut eine starke Kürzung auf: So schreibt die LXX zusätzlich, dass Holofernes mit seiner Streitmacht ausziehen und Judit ihn durch Judäa bis vor Jerusalem führen werde, sie dann mitten in Jerusalem seinen Sessel aufstellen werde, ohne dass ein Hund mit seiner Zunge gegen ihn bellen werde.471 Idt 11,19 Hs 151 läuft beinahe parallel zu Idt 11,15c–f,

469 ὅτι ἡ δούλη σου θεοσεβής ἐστιν καὶ θεραπεύουσα νυκτὸς καὶ ἡμέρας τὸν θεὸν τοῦ οὐρανοῦ καὶ νῦν μενῶ παρὰ σοί κύριέ μου καὶ ἐξελεύσεται ἡ δούλη σου κατὰ νύκτα εἰς τὴν φάραγγα καὶ προσεύξομαι πρὸς τὸν θεόν καὶ ἐρεῖ μοι πότε ἐποίησαν τὰ ἁμαρτήματα αὐτῶν „Denn deine Dienerin ist gottesfürchtig und dient Tag und Nacht dem Gott des Himmels. Und nun werde ich bei dir bleiben, mein Herr, und deine Magd wird nachts in die Schlucht hinausgehen, und ich werde zu Gott beten, und er wird mir sagen, wann sie ihre Verfehlungen begangen haben.“ quoniam ancilla tua dominum colo et diligo deum celi. Et nunc maneo apud te et exiet ancilla tua in ualle et orabo dominum. Et indicabit mihi quando fecerint paccatum suum, Jdt 11,17 LXX/Hs 151. 470 Vgl. Gillet, Sainte Bible avec Commentaires Tobie, Judith, Esther, 129. 471 18 καὶ ἐλθοῦσα προσανοίσω σοι καὶ ἐξελεύσῃ σὺν πάσῃ τῇ δυνάμει σου καὶ οὐκ ἔστιν ὃς ἀντιστήσεταί σοι ἐξ αὐτῶν 19 καὶ ἄξω σε διὰ μέσου τῆς Ιουδαίας ἕως τοῦ ἐλθεῖν ἀπέναντι Ιερουσαλημ καὶ θήσω τὸν δίφρον σου ἐν μέσῳ αὐτῆς καὶ ἄξεις αὐτοὺς ὡς πρόβατα οἷς οὐκ ἔστιν ποιμήν καὶ οὐ γρύξει κύων τῇ γλώσσῃ αὐτοῦ ἀπέναντί σου ὅτι ταῦτα ἐλαλήθη μοι κατὰ πρόγνωσίν μου καὶ ἀπηγγέλη μοι καὶ ἀπεστάλην ἀναγγεῖλαί σοι, Jdt 11,18–19 LXX.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

nennt aber mit der LXX das Bild von der Zunge des Hundes. In der Vg ist von dem Bild nur noch das Verb latrare „bellen“ (aber auch „zanken, schreien“ vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 2830) übrig geblieben, so dass die Nähe zu Ex 11,7 Vg472 und zur Hundemetapher, die in LXX und Hs 151 zweifelsohne enthalten,473 in der Vg nicht mehr erkennbar ist. Dadurch verliert die Vg eine ironisch anmutende Spitze. Die Schafe ohne Hirten sind ein altorientalisch bekannter Topos und zeigen das Volk Israel, das sich ohne Gottes Beistand sieht (vgl. Num 27,17; 1 Kön 22,17; Ez 34,5). Gleichzeitig bringt diese Formulierung ironischerweise zum Ausdruck, wie die Herrschaft des Holofernis über sein Heer nach seinem Tod aussehen wird, denn es werden die Assyrer, nicht die Israeliten sein, die wie Schafe ohne ihren Hirten flüchten (Idt  15,1–2).474 Iudith schließt mit der Information, dass sie dies alles durch Gottes Vorsehung erfahren habe, da dieser sehr erzürnt sei (Idt 11,16a–17a). Providentia „Vorsehung“ wird auch in Idt 9,5b mit Gott in Verbindung gebracht. Vg-spezifisch ist an dieser Stelle der Hinweis auf den Zorn Gottes.

3.6.3 Reaktion der Assyrer (Idt 11,18a–21e) Der dritte Abschnitt (Idt  11,18a–21e) enthält nach einer kurzen Erzählstimmenrede, zunächst die Reaktion der Wachen und dann die des Holofernis auf Iudiths Worte. Die Erzählstimme lässt die Lesenden parallel zu Jdt 11,20 LXX/Hs 151 am Innenleben der Assyrer teilhaben und bestätigt, das Gefallen von Iudiths Worten und die Bewunderung (mirare) ihrer Weisheit (Idt  11,18a–c). Mirare hat bereits das Erstaunen aller Männer über Iudiths Schönheit zum Ausdruck gebracht (Idt 10,7b.14c.d) und beschreibt nun deren Reaktion über ihre „Weisheit“ sapientia. Gleichzeitig wird angezeigt, dass Iudiths Plan aufgeht. Sapientia „Weisheit“ ist einmalig im Buch Iudith. Auch die Reaktion der Soldaten, die zueinander sprechen, bestätigt diese Beobachtung. Denn diese stellen fest, dass es keine andere Frau an Aussehen, Schönheit und Klugheit der Worte auf der Erde gibt (Idt 11,19a). Jdt 11,21 schreibt von einem Ende der Erde bis zum anderen, was Hs 151 komplett auslässt. Die dreifache Charakterisierung Iudiths in der Vg ist in der LXX nur eine zweifache und auf Schönheit und Weisheit beschränkt. Auch Idt 11,21 Hs 151 nennt die Schönheit doppelt, es variieren aber im Vergleich zur Vg die Begriffe: So verwendet die

472 Ex 11,17: apud omnes autem filios Israhel non muttiet canis ab homine usque ad pecus ut sciatis quanto miraculo dividat Dominus Aegyptios et Israhel. 473 Vgl. dazu Schmitz, Gedeutete Geschichte, 345. 474 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 502; Schmitz, Gedeutete Geschichte, 344.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 269

Vg aspectus „Aussehen“ für species „Äußeres“ und pulchritudo „Schönheit“ für facies „Äußeres“. Auch Holofernis zeigt eine positive Reaktion. Er lobt Gottes Handlung, Iudith vor dem Volk herzuschicken, damit sie es in assyrische Hände übergibt (Idt 11,20b–d). Während Idt 11,22 Hs 151 nahezu identisch mit Idt 11,20b–d Vg ist, weist Jdt 11,22 LXX eine Erweiterung auf, in der Holofernes den Assyrern Kraft, den Israeliten aber den Untergang zuspricht.475 Holofernis schließt seine Rede mit einem Eid, den er damit begründet, dass Iudiths „Versprechen“ gut sei, und kündigt ihr an, dass er, sollte ihr Gott dies für ihn tun,476 ihren Gott als seinen anerkennen wolle und sie im Hause Nabuchodonosors groß sein, und ihr Name auf der ganzen Erde genannt werden würde (Idt 11,21a–e). Vg/Hs 151 streichen die einleitende Bemerkung aus Jdt 11,23, dass Judit anmutig im Aussehen sei. Die Wertung von Iudiths Worten als gutem „Versprechen“ (promissio) ist Vg-spezifisch. Das Verb promittere „versprechen“ dient in Idt 8,9 dazu, das Fünf-Tage-Ultimatum des Ozias zu charakterisieren. Dadurch wird diesem noch größeres Gewicht zugesprochen. Es besteht keinerlei Anlass daran zu zweifeln, dass Holofernis Iudiths Worten Glauben schenkt und sich selbst als Teil des Plans des israelitischen Gottes betrachtet.477 Er prophezeit in Idt 11,21b–c ironischerweise und ohne es zu ahnen, was nach seinem Tod eintreffen wird, wenn der Gott Israels sich als wahrer Gott erweist.478 Dies tut er mit einer Formulierung, die stark an Rut 1,16 erinnert ([…] et Deus tuus Deus meus), wo sich Ruth ihrer Schwiegermutter Noemi gegenüber zu deren Gott bekennt. Durch die Aufnahme dieses Zitats macht sich Holofernis, völlig konträr zu seiner Aussage in Idt 6,2, selbst zum Proselyten, und ruft den Abfall von seinem eigenen Gott aus. Gleichzeitig gelingt Iudith bei Holofernis das, was sie in den eigenen Reihen zu verhindern versucht hat, nämlich den Abfall vom Gott Israels.479 Die Parallele von Holofernis und Ruth geht nicht ohne ironischen Beigeschmack vonstatten, ist es doch das Schicksal Ruths als Stammmutter Davids Aufnahme in das Volk Israel zu finden, während der Kopf des Holofernis letzten Endes an der Stadtmauer hängen wird.

475 Jdt 11,22 LXX […] εὖ ἐποίησεν ὁ θεὸς ἀποστείλας σε ἔμπροσθεν τοῦ λαοῦ τοῦ γενηθῆναι ἐν χερσὶν ἡμῶν κράτος ἐν δὲ τοῖς φαυλίσασι τὸν κύριόν μου ἀπώλειαν. 476 Jdt 11,23 LXX leitet den Eid hingegen mit einem anderen Subjekt ein: Wenn Judit tue, was sie gesprochen habe, wolle er ihren Gott als seinen anerkennen. Idt 11,23 Hs 151 lässt das ganz aus. 477 Vgl. auch Fritzsche, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testamentes, 190. 478 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 503. 479 Vgl. dazu Schmitz, Gedeutete Geschichte, 349.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auch die in Aussicht gestellte überregionale Bekanntheit Iudiths unter den Assyrern hat intratextuell rückverweisenden und vorausdeutenden Charakter, denn in Idt 10,8e sagen ihr die Ältesten in Vg-spezifischem Zusatz voraus, dass ihr Name bei Erfolg ihres Planes unter die Zahl der Heiligen und Gerechten gezählt werden würde, und in Idt 16,25 wird die Erzählstimme von ihrer Berühmtheit in Israel infolge der Rettung berichten.

Fazit Der Dialog zwischen Iudith und Holofernis zeigt weitere Eigenschaften der Figuren auf: Holofernis Versuch, Iudith zu beruhigen (Idt 11,1b–3d), kann vom Lesenden als eindeutige Lüge erkannt werden (vgl. Idt 3,9–13). Iudiths Rede hingegen zeigt ambivalente Züge (Idt 11,4b–17b). Sie einer Lüge zu überführen, ist für die LXX nicht möglich,480 für die Vg-Fassung meist nicht. So bleibt nach Iudiths Rede unklar, ob das Volk Israel bereits gesündigt hat oder nicht: Während Jdt 11,9–10.13–14 LXX//Idt 11,9–10.14–15 Hs 151 dies eindeutig verneinen, lässt der Vg-spezifisch hinzugefügte Hinweis, dass Gott beleidigt wurde, wie Propheten dem Volk Israel mitgeteilt haben sollen (Idt  11,8), darauf schließen, dass eine Sünde bereits begangen wurde. Anderes aber lässt sich Idt 11,11–12 entnehmen, wenn erst vom Plan des Volkes Israel die Rede ist, die Hand an Gottes Geheiligtes zu legen. Die Rede Iudiths von den Propheten Israels (Idt  11,8b) bereitet ihre eigene Inszenierung als solche vor, die – ohne das Wort „Prophet“ erneut zu gebrauchen – anklingt, wenn sie ihre Sendung durch Gott beschreibt (Idt  11,13b.15a– b.16a–b.17b). Nur in den lateinischen Fassungen wird explizit beschrieben, an was Hand angelegt werden soll: Die Sünde des Volkes von Bethulia bestehe im Trinken von Schafsblut und im Verzehr der Erstlingsgaben (Idt 11,11–12). Gerade der Genuß von Tierblut stellt im Judentum eines der schlimmsten Vergehen dar, weshalb das eine interessante Hinzufügung der lateinischen Fassungen ist. Holofernis und seinen Dienern bleibt die Ambivalenz der Rede Iudiths verborgen (Idt 11,19a). Das geht aus der eigenen feierlichen Rede des Holofernis hervor, nach der er den Gott Israels bei einem Sieg anerkennen möchte (Idt 11,22a–e). Für den Lesenden, der meist im Wissensvorteil gegenüber den Figuren ist, wird Iudith nicht nur aufgrund ihrer sprachlich raffinierten Meisterleistung481 als überlegen dargestellt, die durchdachte, ambivalente Rede der vermeintlich Schwächeren

480 In der LXX kommt sie ganz ohne Lüge aus; vgl. dazu Schmitz, Gedeutete Geschichte, 346. 481 Vgl. auch Haag, Judit, 48.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 271

führt auch zu einer positiven Bewertung ihrer Figur. Für den Lesenden der VgFassung könnte durch die Ankündigung von Iudiths Sieg in der praefatio der ironische Charakter der Holofernis-Rede bereits offensichtlich sein.482

3.6.4 Iudiths Unterbringung und Speise (Idt 12,1a–4e) Nachdem Iudith zuerst mit ihrer Schönheit und dann mit ihrer klugen Rede überzeugen konnte, werden im vierten Abschnitt ihre Unterbringung und Speise während des bevorstehenden Aufenthalts im Lager thematisiert (Idt 12,1a–4e). Holofernis ordnet an, dass Iudith dort hineingehen und bleiben solle, wo seine Schätze lagern (Idt 12,1a–e). Jdt 12,1 LXX schreibt „Silber“ statt „Schätze“ und nennt als Verpflegung „fein zubereitete Speisen“ und „Wein“.483 Ähnliches lässt sich für Idt 12,1 Hs 151 beobachten, wo die „Schätze“ mit pecunia „Geld“ und die „fein zubereiteten Speisen“ mit obsonium „Zukost“ wiedergegeben werden. Das in der Vg gebräuchliche thesaurus „Schatz” ist nicht weiter auffällig.484 Durch die Vg-spezifische Verwendung von convivium „geselliges Zusammenleben, Gastmahl, Schmaus“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 1293–1294) wird der Textsinn variiert: Iudith soll nicht nur „fein zubereitete Speisen“, sondern Speisen von den Gastmählern des Holofernis erhalten. Convivium „Gastmahl“ ist auch im Buch Tobit drei Mal eine Vg-spezifische Hinzufügung (Tob 7,9; 8,21; 9,11).485 Die Abänderung dient mithin nicht nur dazu, Iudiths Rede von ihren eigens mitgebrachten Speisen einzuleiten, sondern darüber hinaus Holofernis als jemanden zu charakterisieren, der Gastmähler veranstaltet. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das Wort in den hieronymianischen Briefen mit negativer Konnotation verwendet wird: „[…] erit tibi inter uiros matronasque conuiuium: expectabis aliena oscula, praegustatos cibos et absque scandalo tuo in aliis sericas uestes auratasque miraberis. in ipso quoque conuiuio, ut uescaris carnibus, quasi inuita cogeris, ut uinum bibas, dei laudabitur creatura, ut laues balneis, sordibus detrahetur; et omnes te, cum aliquid eorum, quae suadent, si retrectans feceris, puram, simplicem, dominam, et uere ingenuam conclamabunt. personabit interim aliquis cantator ad mensam et inter psalmos dulci modulamine currentes, quoniam alienas

482 In dieser Art deutet Bückers auch Jdt 11,7; vgl. Bückers, Die Bücher Esdras, Nehemias, Tobias, Judith und Esther, 302. 483 Jdt 12,1 LXX: καὶ ἐκέλευσεν εἰσαγαγεῖν αὐτὴν οὗ ἐτίθετο τὰ ἀργυρώματα αὐτοῦ καὶ συνέταξεν καταστρῶσαι αὐτῇ ἀπὸ τῶν ὀψοποιημάτων αὐτοῦ καὶ τοῦ οἴνου αὐτοῦ πίνειν. 484 Auch in Tob 12,8 findet sich thesaurus „Schatz“ sowohl in VL als auch in Vg; vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 364. 485 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 247–248, 305.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

non audebit uxores, te, quae custodem non habes, saepius respectabit. loquetur nutibus et, quicquid metuet dicere, significabit affectibus. inter has et tantas inlecebras uoluptatum etiam ferreas mentes libido domat, quae maiorem in uirginibus patitur famem, dum dulcius putat omne, quod nescit. […]  difficile inter epulas seruatur pudicitia […]“ Hieronymus, Ep. 117,6 (CSEL 55, 429). „[…] Unter Männern und Frauen wirst Du Deine Mahlzeit einnehmen. Du siehst gleichsam als Vorspeise, wie andere sich küssen. Wirst Du, ohne für Dich Gefahr zu laufen, ihre seidenen und golddurchwirkten Kleider bewundern? Bei der Mahlzeit zwingt man Dich, gegen Deinen Willen Fleisch zu essen. Man preist Gottes Gabe, um Dich zum Weintrinken anzuregen. Man schimpft auf den Schmutz, damit Du die Bäder besuchst. Tust Du dann das, wozu sie Dir raten, dann werden Dich alle, besonders, wenn es mit einem gewissen Zögern geschieht, als eine saubere und sich natürlich gebende Frau, als Herrin und als Dame voll des Anstandes preisen. Inzwischen wird während des Mahles einer als Sänger auftreten, und während der Lieder liebliche Melodie dahinfließt, wird er Dich, die Du ohne Schutz bist, häufiger anblicken, was er bei den verheirateten Frauen nicht wagen darf. Er wird durch Zeichen reden, und was er sich zu sagen scheut, deutet das Spiel seiner Mienen an. Bei solch lockenden Freuden wird die Lust über den stärksten Willen Herr. Mit um so größerer Gier macht sie sich an eine Jungfrau heran, da sie all das, was sie nicht kennt, um so reizvoller dünkt. […] Beim Schmausen hält es schwer, die Keuschheit zu bewahren […]“486.

„[…] uideas nonnullos accinctis renibus, pulla tunica, barba prolixa a mulieribus non posse discedere, sub eodem conmanere tecto, simul inire conuiuia, ancillas iuuenes habere in ministerio et praeter uocabulum nuptiarum omnia esse matrimonii […]“ Hieronymus, Ep. 125,6 (CSEL 56/1, 124). „[…] Du kannst mehr als einen kennenlernen, der die Lenden gürtet, mit dunklem Gewande und langem Barte daherkommt, aber sich nicht von den Frauen trennen kann, mit ihnen unter einem Dache haust, zusammen mit ihnen zu Schmausereien geht, sich von jungen Mädchen bedienen läßt, so daß, abgesehen vom rechtlichen Titel, eine wirkliche Ehe vorliegt […]“487.

„Non uescatur in publico, id est in parentum conuiuio, nec uideat cibos, quos desideret […]“ Hieronymus, Ep. 107,8 (CSEL 55, 299). „[…] Sie esse nicht außer dem Hause und nehme vor allem nicht an den Gastmählern bei den Verwandten teil, damit sie keine Speisen kennenlernt, auf die sie lüstern wird. […]“488.

In der Vg-Fassung fällt eine syntaktische Besonderheit auf: Denn Idt 12,1a–c bilden eine Ringstruktur (a–b–a´), wobei Idt 12,1a.c durch die Wiederholung von iubere „befehlen“ auch einen semantischen Rahmen um die so hervorgehobene

486 Hieronymus, Ep. 117,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 340–341). 487 Hieronymus, Ep. 125,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 221). 488 Hieronymus, Ep. 107,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 395).



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 273

Information legen, dass Iudith zu den materiellen Schätzen gebracht werden soll. Die schöne Frau wird im feindlichen Heerlager als wertvolle „Sache“ angesehen, was zeigt, dass sie unterschätzt und als Gegnerin verkannt wird. Die Wiederholung von iubere „befehlen“ legt zudem einen besonderen Akzent auf die entschlossene Handlung des Holofernis. Vg-spezifisch ist auch die zweite Anordnung, nach der Iudith an diesem Ort zu bleiben hat (Idt 12,1c). Dieser Zusatz ist insofern sinnvoll, als dass er Iudiths Bitte, das Lager verlassen zu dürfen, in den Textzusammenhang einbettet (Idt 12,5c). Iudiths Reaktion bezieht sich zunächst auf die Essensanordnung. Die Vg lässt sie entgegnen, dass sie nicht von dem essen könne, was Holofernis ihr zuzuteilen angewiesen hat, damit über sie kein Ärgernis komme (Idt 12,2a–d). Stattdessen werde sie von dem essen, was sie für sich mitgebracht habe (Idt 12,2e1–e2). Ähnliche Reaktionen zeigen auch Danihel an der Tafel des Nabuchodonosor (Dan 1,8–21 Vg), Tobit während seiner Gefangenschaft in Nineve (Tob 1,10–11 Vg) sowie Eleazar in 1 Makk 6,18–31 Vg und die Mutter mit ihren sieben Söhnen in 2 Makk 7 Vg.489 Im Vergleich zu Jdt 12,2 LXX/Hs 151 ist die Vg um Idt 12,2c erweitert. Durch ihre Antwort zeichnet sich die Judit der LXX einmal mehr als Gottesfürchtige aus, die sich nicht durch unreine Speisen versündigen möchte und sich darum selbst genügend Vorräte mitgebracht hat. Inwiefern dieser Zusammenhang für die Lesenden der Vg-Fassung erkennbar ist, bleibt zu fragen, auch weil Idt 10,5 Hs 151/Vg im Gegensatz zu Jdt 10,5 LXX nicht von „reinen“ Broten im Reisegepäck sprechen. Während Holofernis Iudiths Speisewünsche so wertet, dass diese sich für die Kooperation mit den Assyrern nicht vor ihrem Gott versündigen möchte, erfüllt sie damit eigentlich gerade nicht, was Achior in Idt 5,24–25 als Voraussetzung für den Sieg über das Volk Israel erläutert hatte: Den Abfall von Gott durch Übertretung seiner Gebote.490 Holofernis antwortet mit einer Gegenfrage. Er will wissen, was er für Iudith tun könne, sollten ihre Vorräte ausgehen (Idt 12,3a–d). Jdt 12,3 LXX/Hs 151 führen den Gedanken aus und erwähnen, dass niemand aus ihrem Volk im Lager sei, der solche Speisen zubereiten könne. Iudith antwortet erneut mit einer Schwurformel (vgl. auch Idt 11,5a–b), diesmal beim Leben des Holofernis (domine meus „mein Herr“), und gelobt, wieder unter der Selbstbezeichnung als ancilla „Magd“, dass sie ihre Speisen nicht aufbrauchen werde, bis Gott durch ihre Hand das tue, was sie sich ausgedacht habe (Idt 12,4b–e). Die Anrede domine meus „mein Herr“ meint zweifelsohne Holofernis. Das Gleiche gilt für Jdt 12,4 LXX, wo die Verwen-

489 Vgl. auch Zenger, Das Buch Judit, 503; Schmitz/Engel, Judit, 342–343. 490 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 342–343.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

dung des Vokativs (κύριέ μου) anzeigt, dass Holofernes der Angesprochene ist.491 Zwei Lesarten ergeben sich, wenn man die Anrede domine meus „mein Herr“ auf Holofernis hin liest: Denn der Schwur kann sowohl aus assyrischer als auch aus israelitischer Perspektive positiv gelesen werden. Dass Iudith gerade beim Leben des Holofernis schwört, das dieser ja durch sie verlieren wird, verleiht diesem Schwur einen ironischen Zug.492 Denn für die Lesenden der Vg-Fassung ist der Ausgang der Handlung bereits in der praefatio zum Buch Iudith und in Idt 9,14 angedeutet. Bei dem Hinweis, dass „Gott“ durch Judits Hand handeln soll, schreibt Jdt 12,4 LXX κύριος ohne Artikel als Zeichen, dass hier Gott gemeint ist. Die Vg schreibt ebenso eindeutig „Gott“ (Deus), die Hs 151 deus. Holofernes/Holofernis glaubt natürlich, die Auslieferung der Israeliten sei gemeint. Judit/Iudith spricht aber von der Befreiung von den Assyrern.

3.6.5 Iudith verlässt das Lager (Idt 12,4f–9b) Der fünfte Abschnitt (Idt 12,4f–9b) thematisiert das Verlassen des Lagers durch Iudith und ihre abra und gliedert sich in zwei Unterabschnitte: Im ersten bittet Iudith Holofernis aus dem Lager gehen zu dürfen, um zu beten, was dieser ihr zusagt (Idt 12,4f–6d), im zweiten wird das Verlassen beschrieben (Idt 12,7a–9b). Der zweite Unterabschnitt beginnt mit dem Ende des Dialogs. Iudith ist nun alleinige handelnde Figur, der Raum wechselt vom Lager der Assyrer zum Tal von Bethulia und das Geschehen spielt nun nachts und nicht mehr am Tag.

3.6.5.1 Iudiths Bitte an Holofernis (Idt 12,4f–6d) Während Iudith in das Zelt hineingeführt wird, das Holofernis ihr zugeteilt hat, wird ein weiterer Dialog präsentiert (Idt 12,4f–6d). Sie bittet den Feldherren, dass ihr ausreichend Gelegenheit gegeben werde, nachts und vor Tagesanbruch nach draußen zum Gebet hinauszugehen, um den Herrn anzuflehen (Idt 12,4f–5c). Jdt 12,5–6 LXX/Hs 151 schildern eine andere Handlungsabfolge: Judit wird in das Zelt geführt und schläft dort bis Mitternacht.493 Um die Zeit der Morgenwache sendet sie einen Boten zu Holofernes mit der Frage – wohlgemerkt in Befehlsform –, ob sie zum Gebet nach draußen gehen dürfe. Das Vorhaben wurde bereits in Jdt 11,17

491 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 343. 492 Vgl. auch Moore, Judith, 218; Zenger, Das Buch Judit, 503; Miller, Das Buch Judith, 214; deSilva, Judith the Heroine, 59. 493 Idt 12,5–6 Hs 151 gibt die gleiche Handlungsabfolge verkürzt wieder.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

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LXX thematisiert, während es in Idt 11,14 Vg nur angedeutet wurde. Möglicherweise streicht die Vg den ungewöhnlichen Umstand, dass Iudith Holofernis mitten in der Nacht wecken lässt.494 Ein Grund könnte aber auch sein, dass die Abänderung für mehr Schlüssigkeit im Handlungsablauf sorgt:495 Denn nach Jdt 8,33; 10,22; 11,5 LXX kommt Judit noch in der Nacht oder am frühen Morgen, in jedem Fall noch in der Dunkelheit bei Holofernes an, denn Fackeln leuchten bei der ersten Begegnung. Die Verhandlungen hätten dann außergewöhnlich lange – nämlich den ganzen Tag – gedauert und Judit würde in ihrer ersten Nacht im Lager zu Holofernes schicken lassen und zwar zu der Zeit, zu der sie auch tatsächlich nach draußen gehen möchte. Dieser Ablauf wird in der Vg deutlich entschlackt: Dort kommt Judit ausdrücklich bei Tagesanbruch an (vgl. Idt 10,11) und stellt ihre Frage noch während sie ins Zelt hineingeführt wird (Idt 12,5). Möglicherweise ist sich Iudith ihres Planes in der Vg sehr viel früher bewusst, als es in der LXX der Fall ist.496 Vg-spezifische Hinzufügung ist auch die „Verehrung des Herrn“ in Idt 12,5c (deprecandi Dominum; vgl. Idt 9,16.17). Daraufhin weist Holofernis seine Kammerdiener an, dass Iudith so, wie es ihr gefalle, hinaus gehen und herein kommen dürfe, um zu ihrem Gott zu beten, drei Tage lang (Idt 12,6a–d). Jdt 12,7 LXX formuliert weniger einladend, Judit sei beim Ausgang nicht zu behindern und erwähnt, unabhängig davon, dass Judit drei Tage im Lager bleibt. Nach Idt 12,6d Vg entsteht indes der Eindruck, Holofernis beschränke seinen Befehl auf drei Tage.497 Idt 12,7 Hs 151 ist verkürzt und erwähnt knapp die Zustimmung des Holofernis. Nach Schmitz/Engel vergehen in der LXX vierzig Tage von der Belagerung der Assyrer bis zur Rettung des Volkes Israel: „Nach Jdt 7,20 hatte die Belagerung und die Sperrung der Wasserversorgung (volle) 34 Tage lang gedauert. Der allmähliche Kräfteverfall in der Bevölkerung von Betulia während dieser 34 Tage wird in Jdt 7,21–22 beschrieben. Die Volksversammlung (Jdt 7,23–32) ist dann wohl auf den Vormittag des folgenden (= 35.) Tages zu setzen. Nach Jdt 8,1 und Jdt 8,9 war Judit auf dem Laufenden, wie die Lage in der Stadt war, und erhielt wohl auch umgehend Nachricht über den Verlauf der Volksversammlung. Vielleicht noch am späten Vormittag oder am frühen Nachmittag (des 35. Tages) zitiert sie die Ältesten zu sich und hält ihnen ihre theo-

494 Vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit, 504; Gera, Judith, 372. 495 Vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 68–69; so auch Soubigou, Judith, 555. 496 Dass beide lateinischen Fassungen den Hinweis, dass Judit zum Zeitpunkt der Morgenwache aufsteht, streichen, ist auch deswegen auffällig, weil Gottes rettendes Handeln um diese Zeit geschieht (Ex 14,24; 1 Sam 11,11); vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit, 504. 497 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 214.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

logische Lehrrede (Jdt 8,10–36). Zur Zeit des Jerusalemer Abendopfers (ca. 16 Uhr) beginnt sie ihr Gebet (Jdt 9,1.2–14). Daran anschließend bereitet sie ihre Expedition ins assyrische Lager vor. Der Abend und die folgende Nacht zählen bereits zum 36. Tag (Jdt 10,1–12,7a). In den folgenden drei Nächten (zum 37., 38. und 39. Tag) verlässt sie jeweils zur Zeit der ersten Morgenwache das Lager und badet in der Schlucht von Betulia (Jdt 12,7b–9). Am 4. Tag von Judits Aufenthalt im assyrischen Lager (= 39. Tag der Belagerung) lädt Holofernes seine Freunde zu einem Trinkgelage am Abend dieses Tages (= Beginn des 40. Tages der Belagerung von Betulia) ein, an dem auch Judit teilnehmen soll. Als Holofernes mit Judit allein geblieben ist in dieser Nacht auf den 40. Tag der Belagerung hin, d.h. am letzten Tag des Fünf-Tage-Ultimatums, tötet Judit den assyrischen Feldherrn und kehrt mit ihrer Obermagd und dem Kopf des Getöteten nach Betulia zurück.“498

Diese Chronologie trifft auf die Vg nicht zu, da Bethulia nur zwanzig Tage belagert wird (Idt 7,11). Nach Idt 8,4a ist das bereits das zweite Mal, dass die Vg eine vorgegebene, symbolträchtige Zeitspanne streicht. Die Vg-spezifisch sehr wohlwollende Reaktion des Holofernis in der Vg zeigt, dass Iudith alle Freiheiten und das volle Vertrauen des Feldherren genießt.

3.6.5.2 Iudiths nächtlicher Gang zum Gebet (Idt 12,7a–9b) Im zweiten Unterabschnitt (Idt 12,7a–9b) werden dann Iudiths nächtliche Bäder und Gebete sowie ihr Leben im Lager beschrieben. Sie geht in den Nächten hinaus in das Tal von Bethulia und badet in der Wasserquelle (Idt 12,7a–b). Jdt 12,7 LXX schreibt noch genauer „Schlucht“, Idt 12,7 Hs 151 schreibt nur, sie badete sich im „Lager“. Die Vg-spezifische Abänderung soll vielleicht andeuten, dass sich Iudith gerade nicht innerhalb des Lagers – sichtbar für alle Soldaten – badet, sondern dazu das Lager verlässt. Die nächtlichen Bäder werden meist als rituelle Reinigung zur Vorbereitung zum priesterlichen Dienst unter strenger Beachtung der levitischen Reinheitsvor-

498 Schmitz/Engel, Judit, 317. Auch Zenger kommt nach anderer Zählung auf die symbolträchtige Zeitspanne von vierzig Tagen bis zur Wende der Not auf, die sich auch in der Hs 151 wiederfinde: Judit breche am fünfunddreißigsten Tag auf (Jdt 7,20.30 LXX/Hs 151), halte sich dann drei Tage bis zum achtunddreißigsten Tag im assyrischen Lager auf (Jdt 12,7 LXX), nehme am neununddreißigsten Tag am Gastmahl teil (Jdt 12,10 LXX/Hs 151), in der gleichen Nacht, also am vierzigsten Tag vollbringe sie die Rettungstat, die am gleichen Morgen von den Assyrern entdeckt und von Gott vollendet werde (Jdt 14,11 LXX/Hs 151), was gleichzeitig der fünfte Tag des Ultimatums an Gott sei (Jdt 7,30; 8,33 LXX/Hs 151); vgl. Zenger, Das Buch Judit, 504.



3.6 Dialog zwischen Iudith und Holofernis (Idt 11,1a–12,6d) 

 277

schriften interpretiert (Ex 30,19–21; Lev 16,4.24).499 Dass auch die lateinischen Versionen Iudiths Waschungen als besondere rituelle Reinigung verstanden haben, zeigt die Verwendung des seltenen baptizare „untertauchen“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 607).500 Das Wort kommt sonst nur im NT vor und beschreibt den Vorgang des Untertauchens. Für die priesterliche Reinigung wird hingegen in der Vg lavare „waschen“ verwendet (Ex 30,19; Lev 16,24 Vg). In der hieronymianischen Briefliteratur findet sich baptizare meist im Zusammenhang mit der „Taufe“ und ist damit positiv konnotiert. So beschreibt es die Taufe Jesu durch Johannes, den Täufer (Ep. 38,3), und die des Cornelius durch Petrus (Ep. 79,2) sowie Jesu Fußwaschung durch die Tränen der Sünder: „[…] scandalizet Iohannes, quo inter natos mulierum maior nullus fuit, qui angelus dictus ipsum quoque dominum baptizauit […]“ Hieronymus, Ep. 38,3 (CSEL 54, 291). „[…] der möge sich auch über Johannes ärgern, dem unter den vom Weibe Geborenen keiner an Größe gleichkommt, der ein Engel genannt wird und den Herrn selbst taufte […]“501.

„[…] sacra narrat historia Cornelium, centurionem cohortis Italicae, in tantum acceptum deo, ut angelum ad eum mitteret et omne mysterium, quo Petrus de circumcisionis angustiis transferebatur ad praeputii latitudinem, ad illius merita pertineret, qui primus ab apostolo baptizatus salutem gentium dedicauit […]“ Hieronymus, Ep. 79,2 (CSEL 55, 88–89). „[…] Die heilige Geschichte erzählt, daß Cornelius, der Centurio der italischen Kohorte, Gott so wohlgefällig war, daß er einen Engel zu ihm schickte, um ihm zu offenbaren, wie die geheimnisvolle Vision, die Petrus aus der Enge der Beschneidung in die weite Welt der Unbeschnittenen führte, sein Verdienst sei. Durch die Taufe, die er als erster Heide von Petrus empfing, hat er den Heiden die Pforte zum Heile eröffnet […]“502.

„Meretrix illa in euangelio baptizata lacrimis suis et crine, quo multos ante deceperat, pedes domini tergente seruata est […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „Die Buhlerin im Evangelium, die in ihren Tränen getauft wurde und mit ihren Haaren, mit denen sie früher so viele verführte, die Füße des Herrn trocknete, fand Rettung […]“503.

499 So Zenger, Das Buch Judit, 504; Haag, Studien zum Buche Judith, 50; vgl. dazu auch Rume/ Starnitzke, Körperpflege (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 313; Erbele-Küster/ Tönges, Taufe (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 577. 500 Vgl. aber Neh 4,23 Vg; so auch Idt 12,7 Hs 130. 501 Hieronymus, Ep. 38,3 (BKV2 Zweite Reihe 16, 42–43). 502 Hieronymus, Ep. 79,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 315). 503 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156); vgl. auch Hieronymus, Ep. 69,2 (CSEL 54, 680–682).

278 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Waschungen anderer Art unterliegen in der Briefliteratur des Hieronymus grundsätzlich einer schlechten Bewertung (vgl. Idt 10,3a), was in Idt 10,3a in Bezug auf Iudith aber ausnahmsweise anders ist, da die Waschung dort nicht Selbstzweck ist, sondern einem höheren Ziel dient. In Idt 10,3a wird für die Waschung allerdings lavare verwendet, so dass die Handlung in Idt 12,7b davon zu unterscheiden, ja vielmehr davon auszugehen ist, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Waschung handelt, die vor dem Gebet stattfindet. Nach Priero diene die Reinigung – ebenso wie die Auswahl von Iudiths Mahlzeit – dazu, rein zu bleiben und sich von allem Profanen im assyrischen Lager zu distanzieren.504 Gillet bemerkt, dass es sich dabei sowohl bei Juden als auch bei Heiden um einen gewöhnlichen Ritus vor einem Gebet handle.505 Beide Deutungen können hier mit einfließen: Erstere zeigt Iudiths Gottesfurcht, Letztere dürfte gerade in den Augen der Feinde, das Bild von Iudith als göttliche Gesandte aufrechterhalten. Während Iudith aus der Quelle hinaufsteigt, erfolgt das Gebet, in dem sie den Gott Israels darum bittet, dass er ihren Weg zur Befreiung ihres Volkes lenke (Idt 12,8a–c). Danach geht sie ins Zelt hinein und bleibt dort, bis sie gegen Abend ihre Nahrung zu sich nimmt (Idt 12,9a–b). Ähnliche Formulierungen finden sich in Jdt 12,8–9 LXX/Hs 151. Die Wiederholung von manere „bleiben“ zeigt (Idt 12,1c.9a), dass Iudith sich an die Anweisung des Holofernis hält, im für sie vorgesehenen Zelt zu bleiben. Iudiths Tagesablauf im Lager wechselt vom nächtlichen Gang nach draußen zu Bad und Gebet hin zum täglichen Zeltaufenthalt mit Essen am Abend.

Fazit Im vierten und fünften Abschnitt finden sich drei Auffälligkeiten: Die erste besteht darin, dass Iudith in Vg-spezifischer Hinzufügung von den Speisen der Gastmähler (convivium) des Holofernis verpflegt werden soll, woraufhin diese glaubhaft darlegt, dass sie ihre eigenen Speisen essen wird (Idt 12,1). Nicht nur, dass Iudith sich im Lager mit reinen Speisen versorgt, um nicht zu sündigen, ist hier für die Vg-Fassung wichtig, sondern vor allem, dass Holofernis offenbar Gastmähler veranstaltet. Dieser wird so in einen direkten Kontrast zur in Zurückgezogenheit lebenden Iudith gestellt. Der Gebrauch des Wortes im Buch Tobit (Tob 7,9; 8,21; 9,11)506 und in den hieronymianischen Briefen, wo derartige Veranstaltungen besonders kritisiert werden, bekräftigt diese Interpretation.

504 Vgl. Priero, Guiditta, 111. 505 Vgl. Gillet, Sainte Bible avec Commentaires Tobie, Judith, Esther, 131. 506 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 247–284, 305.



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

 279

Die zweite Auffälligkeit besteht in der Durchbrechung der durch LXX (und Hs 151) vorgegebenen, symbolträchtigen Zeitspanne von vierzig Tagen, die von der Belagerung Betulias bis zur rettenden Tat Judits reichen. Nach Vg-spezifischer Zeitkonstruktion wird Bethulia nicht vierunddreißig, sondern nur zwanzig Tage belagert (Idt 7,11), so dass die vierzig Tage in der Vg-Fassung nicht greifen. Eine ähnliche Beobachtung zeigt sich auch in Idt 8,4 Vg/Hs 151 in Bezug auf die Dauer von Iudiths Witwenschaft. Die dritte Auffälligkeit besteht in der Verwendung des sonst nur im NT vorkommenden Wortes baptizare „untertauchen“ für Iudiths Baden in der Wasserquelle (Idt 12,7b), statt lavare „waschen, baden“, weil das anzeigt, dass die Übersetzer der lateinischen Versionen Iudiths Waschungen als besondere, womöglich sogar ‚christliche‘, rituelle Handlung verstanden haben.

3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) Idt 12,10a–20c lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Im ersten – angezeigt durch et factum est „und es geschah“ und die Zeitangabe quarto die „am vierten Tag“ – plant Holofernis das Gelage unter Hinzuziehung seines Dieners Bagao, der damit beauftragt wird, Iudith einzuladen (Idt 12,10a–11c). Der zweite Abschnitt handelt von der Ausführung des Auftrags durch Bagao (Idt 12,12a–15b). Als Figuren treten Iudith und Bagao auf. Der Abschnittwechsel wird zudem durch das Signalwort tunc „dann“ sowie durch den Raumwechsel in das Zelt der Iudith – erkennbar an introire „hineingehen“ – angezeigt. Im dritten Abschnitt findet das Gelage des Holofernis statt (Idt 12,15c–20c). Der Beginn wird durch Raum- und Figurenwechsel angezeigt: Iudith betritt das Zelt des Holofernis als neuem Geschehensort.

3.7.1 Der Plan des Holofernis (Idt 12,10a–11c) Holofernis plant am vierten Tag nach Iudiths Ankunft für seine Knechte ein Gelage (Idt 12,10a–11c). Er beauftragt seinen hier neu eingeführten Diener Bagao damit, Iudith einzuladen (Idt 12,10a–c). Idt 12,10 Vg/Hs 151 sind gegenüber Jdt 12,10–11 stark verkürzt. Jdt 12,10 LXX schreibt zusätzlich, die Veranstaltung sei nur für die Knechte und es solle kein Dienstgeschäft besprochen werden.507

507 καὶ ἐγένετο ἐν τῇ ἡμέρᾳ τῇ τετάρτῃ ἐποίησεν Ολοφέρνης πότον τοῖς δούλοις αὐτοῦ μόνοις καὶ οὐκ ἐκάλεσεν εἰς τὴν κλῆσιν οὐδένα τῶν πρὸς ταῖς χρείαις, Jdt 12,10 LXX. Nach Zenger handelt es sich um einen kleinen Kreis von Offizieren; vgl. Zenger, Judit, 505; Nach Miller liegt der

280 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Servus „Sklave, Knecht“ kommt elf Mal im Buch Iudith vor und bezeichnet sowohl das Volk Israel (Idt 6,18; 8,27; 9,3) und Mose (Idt 4,13), als auch die Untergebenen des Nabuchodonosor bzw. seines Stellvertreters Holofernis (Fremdvölker Idt 3,5; Assyrer Idt 6,7.8; 10,20; 12,4.10; 13,1). Als assyrische Soldaten nehmen die servi „Knechte“ einfache Befehle an, wie Achior wegzuführen (Idt 6,7.8) oder Iudith in ihr Zelt zu bringen (Idt 12,4) und werden nie in den Beratungen erwähnt. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine feste Gruppe von Dienern, die mit den „Kammerdienern“ (cubiculares) zu identifizieren ist, die die einzigen sind, die das Vorzelt des Holofernis betreten dürfen (vgl. Idt 14,8–13).508 Die „Kammerdiener“ werden auch Iudith zu ihrer Schlafkammer bringen, um sie von dort aus frei zur Wasserquelle gehen zu lassen (Idt 12,6a–c). Dieser Befund spricht dafür, dass das Mahl tatsächlich nicht für die höhergestellten Soldaten ausgerichtet werden soll.509 Der Grund könnte sein, dass das Fest des Holofernis sich in privatem, intimem Rahmen abspielen soll.

Bagao Der Bagao der Vg heißt in LXX/Hs 151 Bagoas.510 Der Name Bagoas ist ein vielfach belegter persischer Eigenname511 und wohl typisch für einen höhergestellten Hofbeamten.512 Auch in lateinischen Texten sind der Name und seine Bedeutung verbreitet wie die Verwendung bei Plinius „Historia naturalis“ 13,41 und Ovid „Amores“ 2,2,1 anzeigt (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 602).513 Bagoas wird in der LXX – äquivalent zur ἅβρα (Jdt 8,10), die die Aufsicht über Judits Besitz führt – als Verwalter des Holofernes vorgestellt. Wie auch schon zuvor bei der abra (Idt 8,10), streichen Vg/Hs 151 auch die Tätigkeitsbeschreibung des Bagao. Mithin sind sowohl Bagao als auch die abra in Vg/Hs 151 einfache Diener.514 Idt 12,10 Hs 151 weiß auch nicht, dass er ein Eunuch ist. Eine negative Konnotation von

Grund dafür darin, dass Holofernes nur den allerengsten, vertrauten Kreis an seiner Zuneigung für Judit teilhaben lassen wolle; Miller, Das Buch Judith, 215; so auch Schmitz/Engel, Judit, 346. 508 Denkbar wäre auch, dass alle Untergebenen des Holofernis eingeladen sind und servus hier als unbestimmte Sammelbezeichnung gebraucht ist; so Miller, Das Buch Judith, 215. 509 Vgl. auch Soubigou, Judith, 556. 510 Möglicherweise ist die Variation des Namens in der Vg-Fassung durch ein Versehen des Übersetzers entstanden. 511 Belege dazu bei Gera, Judith, 35–36, 378–379; vgl. auch Zenger, Das Buch Judit, 505. 512 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 346. 513 Vgl. Plinius, Natural History (Rackham, 122); Ovid, Amores (Kenney, 38). 514 Vgl. auch Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 155.



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

 281

Eunuchen durch Hieronymus lässt sich Ep. 54,13 entnehmen („Eunuch“ wird mit spado übersetzt): […] noli ad publicum subinde procedere et spadonum exercitu praeeunte uiduarum circumferri libertate […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479). „[…] Bewege Dich nicht zuviel in der Öffentlichkeit und laß Dich nicht nach Art allzu freier Witwen umhertragen unter Vorantritt eines Heeres von Eunuchen […]“515.

In Idt 12,10b plant Holofernis ein „Mahl“ (cena, vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 826). Ein Solches hat auch Ozias nach der Ankunft des Achior veranstaltet (Idt 6,19). Anders als bei dem Wort „Gastmahl“ convivium (vgl. Idt 12,1e) lässt sich in den hieronymianischen Briefen keine negativen Konnotation von cena finden. Bagao soll – so der Auftrag des Holofernis – zu Iudith gehen, damit sie von sich aus einwillige, ihm beizuwohnen, da es bei den Assyrern als Schande gelte, wenn eine Frau einen Mann dadurch lächerlich machte, indem sie sich so verhalte, dass sie unberührt von ihm wegkomme (Idt 12,10d–11c). Die ersten beiden Imperative, mit denen Bagao beauftragt wird, sind noch in allen drei Fassungen gleich, aber dann weist die Vg enorme Differenzen auf und wandelt die ursprüngliche Einladung zum „Essen und Trinken“ (Jdt 12,11 LXX/Hs 151) in eine Zuredung bzw. Überredung zur freiwilligen Beiwohnung. In der Vg-Fassung zeigt sich die Verführungsabsicht des Holofernis bereits deutlich.516 Sponte „freiwillig“ deutet bereits an, dass es von Iudiths Seite Widerstand gegen diese Einladung geben könnte. Allen Fassungen gleich ist die Begründung für die Einladung: Es sei eine Schande, eine Frau „unberührt“ aus dem Lager zu lassen, und sie könne zu Recht über denjenigen spotten, der sie gehen ließe. Inhaltlich gleich, variiert die Vg in der Formulierung unter Verwendung von femina „Frau“ und immunis „unversehrt“. Das Lexem femin- weist auf Idt 9,15b zurück (vgl. Idt 9,15b), wodurch die Pläne von Iudith und Holofernis parallel gelesen werden können: Während Iudith Gott dadurch ein Denkmal errichten möchte, dass ausgerechnet eine „weibliche Hand“ Holofernis besiegen soll, kann Holofernis eine Frau nicht, ohne sich ihr anzunähern, ziehen lassen. Beide Sichtweisen aber präsentieren einen ähnlichen Blick auf die Frau, denn sowohl die Betonung der Unerhörtheit, die einer Schande gleichkommt, dass ein Feldherr von einer schwachen Frau und nicht etwa von einem starken Krieger besiegt wird, als auch die Vorstellung, dass

515 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 162). 516 Dem Wort habitare „oft etwas haben, wohnen“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 1, 2310–2311) kann keine sexuelle Konnotation nachgewiesen werden und auch in der hieronymianischen Briefliteratur findet sich Derartiges nicht.

282 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Frauen in einem Heerlage zur freien Verfügung bereit stehen, demonstriert die untergeordnete Position der Frau in der Vorstellungswelt der Erzählstimme. Immunis „unversehrt, unberührt“ wird weder innerhalb der Vg noch in der Briefliteratur des Hieronymus mit sexueller Konnotation verwendet. Dennoch lässt das Wort keinen Spielraum bei der Interpretation der holofernschen Absichten. Während Jdt 12,11 LXX//Idt  12,11d Vg diese ganz direkt beschreiben, bleibt Idt 12,12 Hs 151 eher indirekt.517 Bemerkenswert ist auch, dass Bagoas in Jdt 12,12 LXX/Hs 151 mit einer WirFormulierung beauftragt wird, in Idt 12,11 Vg aber in der 3. Person Singular.518 Die Begründung für die Verführungsabsicht erscheint in der Vg daher zunächst weniger triebhaft motiviert, als vielmehr den assyrischen Gepflogenheiten entsprechend. Es könnte sich dabei aber auch um Sarkasmus handeln, der gegenüber dem Diener uneindeutig eindeutig zum Ausdruck gebracht wird und umso mehr die triebhafte Motivation des Holofernis zeigen würde. Das mentale Modell der Figur des assyrischen Feldherren, das die Lesenden aufgrund bisheriger Informationen erstellt haben, wird auf Letzteres schließen lassen. Die Bemerkung, eine Frau lache einen Mann aus, der sie nicht vergewaltige, zeigt indes, sarkastisch oder ernsthaft gemeint, die männliche Perspek­ tive.519

3.7.2 Iudith wird eingeladen (Idt 12,12a–15b) Der zweite Abschnitt (Idt 12,12a–15b) handelt von der Einladung Iudiths durch Bagao. Nachdem Bagao zu Iudith eingetreten ist, richtet er das Wort an sie (Idt 12,12a–b). Als gutes Mädchen solle sie sich nicht scheuen, zu Holofernis hineinzugehen, um vor seinem Angesicht geehrt zu werden und mit ihm zu essen und Wein zu trinken in Fröhlichkeit (Idt 12,12c–f). Auffällig ist die Anrede bona puella: Bonus wird auch in Idt 12,13 Hs 151 verwendet und übersetzt das griechische καλός (Jdt 12,13). Das Wort hat hier sicherlich die Bedeutung von schön, aber auch die von „gut, artig“. Iudith soll ein braves „Mädchen“ (puella) sein und der Einladung Folge leisten: Puella kommt nur noch in Idt 8,5, für die Dienerinnen, mit denen Iudith sich umgibt, in Idt 13,5 für die abra und in Idt 16,14 für die Mütter des Volkes Israel vor. Das Wort wird mithin meist mit dienender Konnotation ver-

517 Idt 12,12 Hs 151 schreibt nur si talem mulierem sic dimiserimus „wenn wir eine Frau so ziehen lassen“, wobei das Wort sic „so“ im Sinne von „so, wie sie ist“ verstanden werden muss. 518 Vgl. dazu auch Schmitz/Engel, Judit, 347. 519 Vgl. dazu auch Schmitz/Engel, Judit, 347.



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

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wendet, so dass Iudith hier nicht als Verbündete eingeladen wird, die dem assyrischen Heer zum Sieg verhelfen soll, sondern als Untergebene. Dass Bagao Iudiths Schönheit und ihren Gehorsam betont, zeigt bereits die Motivation, die hinter der Einladung steckt.520 Zudem fällt auf, dass Iudith nicht gefragt wird. Wortwahl und Art der Einladung implizieren vielmehr, dass sie nicht wirklich die Möglichkeit hat, abzulehnen. Vorbehalten ihrerseits, die in einer Scheu bestehen könnten, versucht Bagao sogleich vorzubeugen, indem er betont, dass ihr ihre Anwesenheit zur Ehre gereichen soll (Idt 12,12d). Vereor kann im Sinne von „Furcht“, aber auch im Sinne von „Scham“ und „Furcht“ vor Verletzung des Schicklichen verstanden werden (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 4973–4974). Honorificare verweist auf Idt 15,10, wo der Hohepriester Ioachim Iudiths Tat preist, was eine wirkliche Ehre darstellt. Die von Bagao angesprochene Ehre dürfte jedoch aus Iudiths Perspektive nicht als solche interpretiert werden. Nur Jdt 12,13 LXX schreibt zusätzlich, dass Judit dabei wie eine Tochter der Assyrer werden würde, die im Hause des Nabuchodonosor bereitstehen. Iudith soll mit Holofernis Essen und Wein trinken in Freude (Idt 12,12e–f; vgl. zum Motiv der „Freude“ Idt 12,17b–c). Im Vergleich zu Jdt 12,13 LXX/Hs 151 ist die Einladung „zum Essen“ – möglicherweise als Nachtrag aus Jdt 12,11 LXX/Hs 151 – in Idt 12,12e–f Vg eine Erweiterung. Der Genuss von Wein ist in biblischer Tradition negativ bewertet und mit enthemmender Wirkung verbunden (z.B. Jes 22,13–14; Koh 10,19).521 Diese wird sich auch an Holofernis zeigen (Idt 12,20; 13,4), nicht aber an Iudith, die maßvoll und nur das trinken wird, was sie sich mitgebracht hat (Idt 12,19). Wenn Holofernis nun gerade zum Wein greift, dient dies insbesondere dazu, seine Figur in Lesendenkreisen einer negativen Bewertung auszusetzen und ihn in direkten Kontrast zur frommen, gottesfürchtigen Iudith zu stellen. Auch in der hieronymianischen Briefliteratur unterliegt eine Veranstaltung, wie sie hier beschrieben wird, einer besonders negativen Konnotation. Maßloses Trinken von Wein, üppige Festmähler (meist in Verbindung mit Fleischgenuss) und freudige Gelage in Gesellschaft werden in diesen Briefen scharf verurteilt und in einem Atemzug mit Luxus, Orgien und Ausschweifung genannt: „[…] et aetas et cultus et habitus et incessus, indiscreta societas, exquisitae epulae, regius apparatus Neronis et Sardanapali nuptias loquebantur […]“ Hieronymus, Ep. 54,13 (CSEL 54, 479–480).

520 Vgl. dazu Miller, Das Buch Judith, 215. 521 Vgl. dazu auch Schmitz/Engel, Judit, 348–349.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] Man hechelte das Alter, die Lebensweise, die Art, sich zu geben, das Auftreten, die Unvorsichtigkeit in der Wahl der Gesellschaft, die üppigen Gastmähler, die prunkvolle Aufmachung durch, wie wenn es sich um die Orgien eines Nero oder um die Hochzeit eines Sardanapal handelte […]“522.

[…] comedant carnes, quae carnibus seruiunt, quarum feruor despumat in coitum, quae ligatae maritis generationi ac liberis dant operam. quarum uteri portant fetus, earum et intestina carnibus inpleantur […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96). „[…] Mögen sie Fleisch essen, die dem Fleische dienen, deren ganzes ungezügeltes Trachten auf Beischlaf eingestellt ist, die, an die Männer gebunden, nur an Kindererzeugung denken. Sie, deren Schoß die Leibesfrucht trägt, mögen ihre Eingeweide mit Fleisch anfüllen […]“523.

Aus diesem Grund wird den Asketinnen und zölibatären Geistlichen der Verzicht auf übermäßigen Wein, üppiges Essen und auf solche Veranstaltungen überhaupt in den Briefen des Hieronymus angeraten (vgl. Idt 8,6 und Idt 12,1e): „[…] Er (der Wein) ist die erste Waffe, deren sich die Teufel im Kampfe gegen die Jugend bedienen. Die Habsucht macht den Menschen vor Gier zittern, der Stolz bläht ihn auf, der Ehrgeiz reizt ihn an, aber schlimmer ist die Wirkung des Weines, Es ist verhältnismäßig leicht, sich von anderen Lastern freizuhalten, aber dieser Feind ist in uns eingeschlossen. Wo immer wir hingehen, tragen wir diesen Gegner mit uns herum. Wein und Jugend sind die beiden Zündstoffe der Wollust, Warum noch Öl auf die Flamme gießen? Warum dem Brand in unserem Körper noch weitere Nahrung zufuhren? Paulus schreibt an Timotheus: „Trinke kein Wasser mehr, sondern wegen deines Magens und deiner dauernd geschwächten Gesundheit nimm etwas Wein zu dir!“ Daraus ergibt sich, wann der Genuß des Weines erlaubt ist. Er ist gerade noch zugelassen als Heilmittel gegen Magenschmerz und Körperschwäche. Damit wir aber nicht etwa unsere Krankheit zum Vorwand nehmen, mahnt der Apostel, den Wein nur in kleinen Mengen zu genießen. Es ist zwar mehr der Rat eines Arztes als der eines Apostels, aber schließlich ist ja auch der Apostel ein Arzt der Seele. Timotheus sollte durch seine Kränklichkeit nicht gehindert werden, sich den mit der Verkündigung des Evangeliums verbundenen Anstrengungen zu unterziehen. Paulus wußte ja, daß er anderwärts geschrieben hatte: „Der Wein, in dem Wollust liegt“, oder „Es ist gut für den Menschen, keinen Wein zu trinken und kein Fleisch zu essen.“  Noe trank Wein und wurde trunken, als die Menschheit noch unerfahren war. Er pflanzte zum ersten Male einen Weinberg;  da wußte er vielleicht nicht, daß der Wein berauscht. […] so bedenke, daß auf die Trunkenheit die Entblößung des Körpers folgte,  ein Beweis, wie eng Wollust und Genußsucht miteinander verwachsen sind. Erst wird der Bauch angefüllt, und bald folgt das andere. Das Volk aß und trank; dann stand es auf, um zu spielen. Lot, der Freund Gottes, der unter vielen Tausenden seines Volkes allein als gerecht befunden wurde und sich auf den Berg rettete, wurde von seinen Töchtern trunken gemacht. Mögen diese auch den

522 Hieronymus, Ep. 54,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 162). 523 Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325).



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

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Untergang des Menschengeschlechtes befürchtet, mögen sie immerhin mehr aus Verlangen nach Kindern als aus böser Lust gehandelt haben, so wußten sie doch, daß ein gerechter Mann nur in trunkenem Zustand sich zu einer Tat, wie sie sie planten, hergibt. Er wußte überhaupt nicht, was er tat. War auch sein Wille nicht beteiligt, so war seine Unwissenheit doch schuldhaft. […]“524. 

Auf die Einladung hin antwortet Iudith mit der doppeldeutigen Frage, wer sie sei, dass sie ihrem Herrn widerspräche (Idt 12,13b–c): Während Bagao davon ausgehen muss, dass Iudith mit domino meo „mein Herr“ Holofernis meint, ist es für den Lesenden auch denkbar, dass sie vom Gott Israels spricht, dem sie natürlich nicht widersprechen kann.525 Ähnlich doppeldeutig ist auch die Ergänzung der Zusage, nach der Iudith alles tun werde, was in Holofernis Augen gut und das Beste sein werde und dass, was auch immer ihm gefallen werde, auch das Beste für sie sein werde an allen Tagen ihres Lebens (Idt 12,14a1–d). Vg-spezifisch ist der Hinweis auf das Gefallen des Holofernis. Jdt 12,14 LXX/Hs 151 schreiben „bis zu ihrem Tod“ statt wie die Vg „an allen Tagen ihres Lebens“. Erneut könnte Iudith sowohl von Holofernis als auch von Gott sprechen, was dem Lesenden klar, dem Gegenüber Bagao aber unklar ist. Dafür, dass hier in erster Linie Gott gemeint ist, spricht auch die intratextuelle Verwendung von placere „gefallen“: Iudith hat schon mehrfach unter Verwendung von placere vom „Gefallen“ Gottes gesprochen, einmal in der Rede an die Ältesten, wenn sie Isaak, Jakob und Mose als Beispiele für Figuren anführt, die Gott gefallen haben (vgl. Idt 8,23), und im Gebet, wenn sie von den Hochmütigen spricht, die Gott nicht gefielen und von den Sich-Selbst-Erniedrigenden, die Gott gefielen (vgl. Idt 9,16). Wegen dieser wörtlichen Parallele hat diese Formulierung einen besonders ironischen Beigeschmack. Iudith bringt dadurch zum Ausdruck, dass sie nach dem Vorbild der Erzväter und des Mose in sich selbst erniedrigender Weise Gott gefallen – oder anders formuliert – ihr Volk retten wolle. Daher weist placere „gefallen“ den Lesenden, nicht aber Bagao, eindeutig darauf hin, dass Iudith von Gott und nicht von Holofernis spricht. Dieser wird mutmaßen, dass sie seine anzügliche Einladung verstanden hat und auf die Bitte freiwillig eingeht. Iudith wolle tun, was in den Augen des Holofernis gut und das Beste ist (Idt 12,14a1–a2): Das Motiv der Augen hebt die Doppeldeutigkeit der Antwort noch hervor, denn es verweist zurück auf Iudiths eigenen Plan und das angekündigte Erwecken der Begierde, an die „Schlinge“, mit der Holofernis Augen gefangen

524 Hieronymus, Ep. 22,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 70–71). 525 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 506.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

genommen werden sollen. Wenn Iudith ankündigt, tun zu wollen, was in den „Augen“ des Holofernis das Beste ist, ist das für Bagao ein Signal dafür, dass auch Iudith sehr wohl um die wahren Beweggründe ihrer Einladung zu dem Gastmahl Bescheid weiß und tatsächlich der Beiwohnung freiwillig zusagt, wie der Feldherr es erhofft hat (Idt 12,10e–f). Iudith hat – erkennbar – die Absicht hinter der Einladung verstanden. Durch ihre Reaktion lässt sie sich scheinbar auf die Pläne des assyrischen Heerführers ein. Gleichzeitig wird dem sich erneut im Wissensvorteil befindlichen Lesenden angedeutet, dass ihr eigener Plan in die entscheidende Abschlussphase kommt. Denn im Gegensatz zu Bagao weiß der Lesende, dass Iudith inmitten der Ausführung ihres Planes ist, ihr Volk zu retten. Spannung erzeugt nun die Frage, welcher der Pläne in die Tat umgesetzt werden kann, sowie das Ausmaß dessen, was für Iudith auf dem Spiel steht, die zugesagt hat, zu einem ausschweifenden Fest zu kommen, das ihre Standhaftigkeit, um die sie selbst fürchtet (vgl. Idt 9,14a1–b), auf die Probe stellen wird: Aber nicht nur ihre Überzeugungen und ihre eigene körperliche Unversehrtheit werden durch Iudiths Handeln riskiert, sondern darüber hinaus wird am Ausgang dieses Festes die Entscheidung über Rettung oder Untergang ihres Volkes gemessen. Der Wechsel zur Erzählstimmenebene zeigt das Ende des Gesprächs an: Iudith steht auf und schmückt sich mit ihrem Gewand (Idt 12,15a–b Vg/Hs 151). Jdt 12,15 LXX gibt weitere Informationen, die die lateinischen Fassungen nicht enthalten: Judit schmückt sich mit Schmuck, während ihre Magd vor Holofernes eine Decke für Judit ausbreitet. Das ist bereits das zweite Mal, dass die Vg einen Auftritt der abra streicht (vgl. auch Idt 8,10). Auch nimmt Jdt 12,15 LXX, anders als die Vg, eine Unterscheidung zwischen Judits Kleidung in Jdt 10,3 (ἱμάτια) und der in Jdt 12,15 (ἱματισμός) vor. Iudith vollzieht erneut ein Sich-schön-Machen unter Wiederholung der Wörter ornare „schmücken“ und vestimentum „Kleidung“, die in Idt 10,2c–3h ihre gesamte Verschönerung umrahmen. Vermutlich sollen wieder alle Männer, denen sie begegnet ist, über ihre Schönheit staunen (vgl. Idt 10,7.14.17.20). Durch das Anlegen der Kleidung wird ihre Absicht offenbar, die gleiche Rolle noch einmal zu spielen, die gleiche Wirkung noch einmal zu erzielen. Das baut Spannung auf, denn offensichtlich planen sowohl Holofernis als auch Iudith die Verführung des jeweils anderen. Während Holofernis jedoch arglos ist, dass auch Iudith einen Plan hat, dürfte sich Iudith der Pläne des Holofernis bewusst sein, zielt doch ihre Verschönerung auf Verstärkung derselben. Die Lesenden sind insofern erneut im Wissensvorsprung gegenüber den Figuren, als dass sie über die gegenseitigen Absichten Bescheid wissen.



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

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3.7.3 Das Gelage (Idt 12,15c–20c) Der dritte Abschnitt (Idt 12,15c–20c) handelt vom Gelage des Holofernis. Der Beginn wird durch Raum- und Figurenwechsel angezeigt. Iudith betritt das Zelt des Holofernis, wo die beiden zum zweiten Mal aufeinander treffen und sie vor seinem Angesicht stehen bleibt (Idt 12,15c). Und wieder fällt auf, dass die Positionen der Figuren im Vergleich zu den anderen Fassungen variieren (vgl. Idt 10,19). Während Iudith hier (noch) vor Holofernis steht, legt sie sich in Jdt 12,16 LXX/ Hs 151 gleich zum Essen nieder. Dann schildert die Erzählstimme die Reaktion des Holofernis, indem sie die Lesenden an dessen Innenleben, an seinen Gedanken und Emotionen teilhaben lässt: Sogleich wird das Herz des Holofernis erschüttert, denn er glüht geradezu vor Begierde nach Iudith – er richtet gleich das Wort an sie (Idt 12,16a–17a). Im Vergleich zu Jdt 12,16 LXX/Hs 151 streicht die Vg die Information, dass Holofernes Judit verführen wolle, seit dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hat. Idt 12,16 Vg verwendet den gleichen Wortschatz wie die Hs 151 (und Idt 12,16 Hs 130) mit Ausnahme von ardere „entflammen“, das Vg-spezifisch ist und die Begierde des Holofernis veranschaulicht. Concutere eigentlich „in sich heftig schütteln, erschüttern“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 1096) mit dem Subjekt cor „Herz“ beschreibt hier ein starkes Gefühl, eine innere Regung des Herzens, die in sexuellem Verlangen des Feldherrn nach der hebräischen Frau in seinem Lager Ausdruck findet. Auch in Idt 3,10 war bereits als Vg-spezifischer Zusatz im Kontext des Kriegstreibens von der „Wildheit seiner Brust“ die Rede. Beide Einblicke in das Innenleben des Holofernis zeugen von einer triebhaften Steuerung seines Handelns. Das Wort hat weder im klassischen Latein noch im biblischen Gebrauch eine nachweisbare, zwingend sexuelle Konnotation, wird aber in der hieronymianischen Briefliteratur mit einer solchen verwendet: „[…] si quando senseris exteriorem hominem florem adulescentiae suspirare et accepto cibo cum te in lectulo conpositam dulcis libidinum pompa concusserit, arripe scutum fidei, in quo ignitae diaboli exstinguuntur sagittae […]“ Hieronymus, Ep. 22,17 (CSEL 54, 165). „[…] Wenn Du fühlst, daß der äußere Mensch sich aufbäumt bei den Regungen jugendlicher Lust, wenn Dich nach der Mahlzeit auf dem Ruhelager das süße Spiel der Begierden reizt, dann ergreife den Schild des Glaubens, der die Feuerpfeile des Teufels zum Erlöschen bringt […]“526.

Die Vg-spezifische Hinzufügung des Wortes ardere „glühen, entbrennen“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 426–427) impliziert – aufgrund der breiten Verwendung im

526 Hieronymus, Ep.22,17 (BKV2 Zweite Reihe 16, 79–80).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

klassischen Latein – eindeutig eine sexuelle Konnotation, was durch die Ergänzung von concupiscentia „Verlangen“ noch einmal verstärkt wird. Auch in der hieronymianischen Briefliteratur lässt sich ein derartiger Gebrauch nachweisen. So klärt Hieronymus den Priester Nepotian in Ep. 52 über die bei übermäßigem Weingenuss entbrennende Leidenschaft auf: „[…] quidquid inebriat et statum mentis euertit, fuge similiter ut uinum. nec hoc dico, quod dei a nobis creatura damnetur, siquidem et dominus uini potator appellatur et Timotheo dolenti stomachum modica uini sorbitio relaxata est, sed modum et aetatis et ualetudinis et corporum qualitates exigimus in potando. quodsi absque uino ardeo adulescentia et inflammor calore sanguinis et suculento ualidoque sum corpore, libenter carebo poculo, in quo suspicio ueneni est […]“ Hieronymus, Ep. 52,11 (CSEL 54, 434–435). „[…] Was immer den Geist verwirrt und berauscht, das fliehe ebenso wie den Wein! Das sage ich nicht aus Geringschätzung gegenüber der Gabe Gottes —, ist ja der Herr selbst ein Weintrinker gescholten worden, und dem Timotheus, der am Magen litt, hat ein mäßiger Weingenuß Erleichterung gebracht —, ich verlange nur ein dem Alter, dem Befinden und der körperlichen Veranlagung entsprechendes Maßhalten im Trinken. Wenn ich in voller Jugendkraft schon ohne Wein in Leidenschaft entbrenne, wenn mein Blut heiß in den Adern rollt, wenn mein Körper von Saft und Kraft strotzt, dann werde ich gern auf den Becher verzichten, auf dessen Grund das Gift lauert […]“527.

In Ep. 54,7 wird die ehemals ausgelebte Sexualität einer Witwe als die „feurigen Pfeile des Teufels“528 (ardentes diaboli sagittae529) bezeichnet, mit deren Erinnerung die Witwe zu leben habe. Auch concupiscentia „Verlangen“ ist in der hieronymianischen Briefliteratur sehr negativ konnotiert: „[…] erubescat mulier Christiana, si naturae cogit decorem, si carnis curam facit ad concupiscentiam […]“ Hieronymus, Ep. 38,3 (CSEL 54, 291). „[…] Ja, dann erröte die christliche Frau, wenn sie der Natur Zwang antut, wenn sie dem Kulte des Fleisches huldigt, um die Begierlichkeit zu wecken […]“530.

„[…] ideoque et  ‘desideriorum vir’  appellatus est, quia panem desiderii non manducauit et uinum concupiscentiae non bibit.“ Hieronymus, Ep. 22,9 (CSEL 54, 157). „[…] Deshalb heißt er auch ‚Mann des Verlangens‘, weil er das Brot sinnlichen Verlangens nicht aß und den Wein der Begierlichkeit nicht trank“531.

527 Hieronymus, Ep. 52,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 142–143). 528 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156). 529 Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). 530 Hieronymus, Ep. 38,3 (BKV2 Zweite Reihe 16, 43). 531 Hieronymus, Ep. 22,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 72).



3.7 Das Gelage des Holofernis (Idt 12,10a–20c) 

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Die in den hieronymianischen Briefen in Bezug auf sexuelles Verlangen besonders negativ konnotierten Wörter, concutere „in sich heftig schütteln, erschüttern“, ardere „glühen, entbrennen“ und concupiscentia „Verlangen“ könnten dazu beitragen, dass die Figur schlecht in der Wahrnehmung der Lesenden aufgenommen wird, denn daran zeigt sich, dass Holofernis seinen Trieben unterlegen und nicht sein Verstand Herr seiner Handlungen ist. Gerade diese Triebhaftigkeit aber, die – unterstützt durch Wein – zu sexueller Ausschweifung führt, wird von Hieronymus aufs Schärfste kritisiert. Die bisherige Charakterisierung des Holofernis, die vor allem durch die konträr gestaltete Figur der Iudith noch verstärkt wird, hat auf diese Bewertung hingezielt (vgl. Idt 8,7; 9,13–15; 10,20) und findet hier ihre Bestätigung. Es ist zudem auffällig, dass drei der vorgestellten Briefbeispiele in Zusammenhang mit übermäßigem Alkoholgenuss und/oder Essen und den daraus resultierenden negativen Folgen für die Einhaltung der Keuschheit stehen (vgl. Ep. 22,9.17; 52,11). Denn die häufige Verwendung der Wörter bibere „trinken“ (Idt 12,12f.17b.18b.19c.20b.c) und weniger häufig manducare „essen“ (Idt 12,12e.19b) zeigt, dass auch innerhalb des Buches Iudith dieser Zusammenhang gegeben ist. Und schließlich betrinkt sich Holofernis auf diesem Fest, um – so sein Plan – im Anschluss daran, mit Iudith sexuell zu verkehren und tut bzw. beabsichtigt damit in kühler Berechnung genau das, wovor Hieronymus die in Keuschheit lebenden AdressatInnen in seinen Briefen ausdrücklich und eindringlich warnt. So fordert Holofernis Iudith nach deren Eintritt auf: „Trink nun und leg dich nieder in Fröhlichkeit; denn du hast Wohlgefallen gefunden vor mir“ (Idt 12,17b– d). Das Motiv der Freude mit dem Lexem iucund- „freu-“ beschreibt den geselligen Moment des Festes und wird noch zwei weitere Male mit Essen und dem Trinken von Wein verbunden. Das Wort wird im Kontext des Gelages nur von assyrischer Seite her verwendet: So gebraucht es Bagao in Idt 12,12e–f für seine Einladung an Iudith, Holofernis in Idt 12,17b–c für seine Auforderung an Iudit der Einladung nun Folge zu leisten, und die Erzählstimme in Idt 12,20a–b für die Stimmung, in die Holofernis aufgrund des Alkoholeinflusses gerät, wobei iucundus „fröhlich“ dort durch bibere „trinken“ (Idt 12,19c.20b.c) und manducare „essen“ (Idt 12,19b) gerahmt wird.532 Nicht aber wird es für oder von Iudith verwendet, die offenbar so maßvoll vom Wein trinkt, dass sie nicht in den Zustand der mit iucund- „freu-“

532 In Jdt 12,13 LXX ergeht die Einladung an Judit zum Trinken von Wein, ergänzt durch die Formulierung μεθ᾽ ἡμῶν „mit uns“, wodurch angezeigt wird, dass Judit nicht nur zur Freude des Holofernes, sondern zur Freude aller Männer, die an dem Gelage teilnehmen, erscheinen soll.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

beschriebenen Rauschhaftigkeit verfällt, infolgedessen eine sexuelle Ausschweifung stattfinden soll.533 Idt 12,17d ist ein Vg-spezifischer Zusatz, in dem das Wort gratia „Gnade“ und die Wendung coram me „gegenüber mir“, die die Formulierung coram ipso in Idt 12,19c aufgreift, auffallen. Gratia „Gnade“ scheint hier aber eher eine profane, denn eine theologische Bedeutung zu haben (vgl. Idt 8,14). Iudith antwortet, ähnlich ihrer Antwort an Bagao in Idt 12,13b–14d und ohne das Wort iucunditas „Freude“ aufzugreifen, hingegen nur (Idt 12,18a): „Ich werde trinken, Herr, denn meine Seele wurde heute höher erhoben als an allen meinen Tagen“ (Idt 12,18b–c). Für Holofernis klingt die Antwort, als würde Iudith – ihn mit „Herr“ (domine) ansprechend – sich aufgrund der Einladung geehrt fühlen und, indem sie Wein trinkt, ebenfalls in einen Rausch verfallen wollen. Während Iudith im Verlauf des Festes nur von jenen reinen Getränken und Speisen zu sich nimmt, die sie von Bethulia mitgenommen und die ihre Dienerin ihr bereitet hat, und damit nach wie vor, gottesfürchtig wie toraobservant und über die Situation erhaben dargestellt wird (Idt 12,19a–d), wird von Holofernis berichtet, dass er „fröhlich“ in ihrer Gegenwart wurde und „allzu viel Wein trank, so viel, wie er noch nie in seinem Leben getrunken hatte“ (Idt 12,20a–c). Die Antworten Iudiths und Holofernis verlaufen weitgehend parallel zu Jdt 12,18–20 LXX/Hs 151 und sind nicht weiter auffällig. Während Iudith als über die Maßen hinaus toraobservant eingeführt und charakterisiert wird (vgl. auch Idt 8,1–10), wird Holofernis – genau gegenteilig – als über die Maßen hinaus lasterhaft und triebgesteuert gezeigt.534

Fazit Holofernes/Holofernis Gelage soll eine Gelegenheit sein, Judit/Iudith zu verführen (Jdt 12,10–11 LXX/Hs 151/Vg), wobei nur in der Vg-Fassung die Verführungsabsicht doppelt genannt wird: Bagao soll Iudith zur freiwilligen Beiwohnung überreden (Idt 12,10 Vg).535 Der sarkastisch formulierte Auftrag an seinen Diener, der Judit/Iudith einladen soll, ordnet dem Feldherren eine untergeordnete Sichtweise der Position der Frau zu. Auffälligerweise streichen Vg/Hs 151 die Tätigkeitsbeschreibung des

533 Darüber hinaus werden, ohne die Verbindung mit dem Trinken von Wein, Iudiths „Kleider der Freude“ zu Lebzeiten ihres Mannes Manasse mit iucund- „freu-“beschrieben (Idt 10,3) und die „Freude“ des Volkes Israel nach dem Sieg über die Assyrer und der Rettung aus der Not (Idt 16,24). Diesen beiden Verwendungen liegt keine negativ konnotierte Semantik zu Grunde. 534 Ähnlich auch Zenger für die LXX-Fassung; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 507. 535 Sponte „freiwillig“ deutet einen möglichen Widerstand von Seiten Iudiths an.



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

 291

Bagao, wie zuvor bei der abra (Idt 8,10 Vg/Hs 151). Dadurch werden beide, die in der LXX die engsten Vertrauten ihrer Herren sind und Verwaltungsaufgaben innehaben, in den lateinischen Fassungen zu einfachen Dienern degradiert. Darüber hinaus enthält diese Passage keine auffälligen Vg-spezifischen Charakteristika. Die Beschreibung des holofernschen Festes dient dazu, die Gegensätze zwischen den Hauptfiguren, Iudith und Holofernis, auszubauen: Iudith, die ihre Reden in bewusst ambivalenter Bedeutung wählt, greift, vom Verstand geleitet, nur maßvoll zum Wein, während Holofernis – wie noch nie zuvor – trinkt, und damit außerordentlich maßlos dargestellt wird. Derartige Maßlosigkeit wird in der Briefliteratur des Hieronymus besonders negativ gewertet.

3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d) Das Ende des Festes (Idt 13,1a–2a), Iudiths Tat (Idt 13,3a–10d) und ihre Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,11a–12b) bilden drei Abschnitte, die sich anhand der Figuren- und Raumwechsel voneinander abgrenzen: Der erste (Idt 13,1a–2a) wird durch ut autem sero factum est „als es aber spät geworden war“ eingeleitet und ist durch den Abgang der Diener des Holofernis von dessen Fest bestimmt, im zweiten (Idt 13,3a–10d) sind dann Iudith und Holofernis alleine im Schlafgemach des Holofernis, im dritten (Idt 13,11a–12b) verlässt Iudith das Schlafgemach des Holofernis und sie und ihre abra machen sich auf den Weg vom assyrischen Lager Richtung Bethulia.

3.8.1 Die Diener verlassen das Fest (Idt 13,1a–2a) Zu späterer Stunde (Idt 13,1a) wird das Ende des Festes in drei Schritten beschrieben: Die Diener eilen zu ihren Unterkünften, Bagao schließt die Türen des Schlafraums und geht fort (Idt 13,1b–d). Das innerhalb des Buches Iudith nur in Idt 13,1b vorkommende festino „eilen“ deutet an, dass die Diener nicht nur aufgrund der Müdigkeit schnell zu Bett wollen, sondern auch erkennen, dass es nun Zeit ist, Holofernis und Iudith allein zu lassen. Bagao verschließt die Türen der Schlafkammer im Inneren des Vorzeltes von außen, wohl um Einsicht zu vermeiden und gleichzeitig zu signalisieren, dass Störungen nicht erwünscht sind.536 In der

536 Nach Miller gehe es nicht darum, dass Judit nicht hinaus könne, sondern vielmehr darum, dass die Vorhänge des Zeltes die Einsicht verhinderten; vgl. Miller, Das Buch Judith, 217.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Vg sind es die Türen der Schlafkammer im Inneren des Vorzeltes, die verschlossen werden, in Jdt 13,1 LXX/Hs 151 hingegen die Türen des Vorzeltes.537 Jdt 13,1 LXX/Hs 151 schreiben zusätzlich, dass er die dort Bereitstehenden entlässt.538 Wie in Jdt 8,5 LXX/Hs 151 überträgt die Hs 151 das griechische σκηνή wörtlich mit tabernaculum „Zelt“, während die Vg erneut cubiculum schreibt. Nach Idt 14,9a1–a2 handelt es sich dabei um einen abgesonderten Raum im Zelt des Holofernis, seinen Schlafraum. Gleichzeitig verweist das Wort auf den Ort zurück, an dem Iudith sich für gewöhnlich mit ihren Mägden aufhält (vgl. Idt 8,5a). Ostium „Eingang, Tür“ (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3459) ist eine Vg-spezifische Hinzufügung, die hier im Plural verwendet wird. Damit dürfte ein Vorhang gemeint sein, der die Funktion einer Tür erfüllt. Dafür spricht auch der Vg-spezifische Zusatz in Idt 14,13a, in dem Bagao vor einem Vorhang (cortina) stehen wird, hinter dem sich der Schlafraum des Holofernis verbirgt. Ostium beschreibt auch den Eingang zu einem Zelt (tentorium) in Num 11,10 Vg. Mit tabernaculum „Zelt“ steht es in Gen 18,1.2 Vg. In Ex 38,8; Lev 4,18; 1 Chr 9,23 Vg bezeichnet es die „Eingänge“ des Offenbarungszeltes. Der sich anschließende Hinweis darauf, dass alle vom Wein ermüdet waren (Idt 13,2a), zeigt, dass es die Diener ihrem Herrn gleichgetan und ebenfalls die „Freuden“ des Festes genossen haben. Zwar enthält Idt 13,1 Hs 151 den gleichen Hinweis, doch verweist das Lexem fatiga- „müd-“ nur in der Vg auf Idt 9,7b und damit auch auf Ex 14,24 zurück, wenn von der Ermüdung der Ägypter aufgrund der Fluten des Schilfmeeres die Rede ist, die zu deren Tod führt. Auch hier initiiert das Müdewerden der Diener und des Holofernis selbst deren Untergang (vgl. Idt 13,10a–b; 15,4a–c).

3.8.2 Iudiths Gebet und Tat (Idt 13,3a–10d) Im zweiten Abschnitt (Idt 13,3a–10d) wird Iudiths Tat geschildert. Iudith befindet sich nunmehr alleine (mit Holofernis) in dessen „Raum“ (cubiculum, Idt 13,3a). Die lateinischen Fassungen ändern die passivische Formulierung aus Jdt 13,1 LXX zu einer aktivischen ab. Wie in Idt 13,1a übersetzt die Vg auch in Idt 13,3a tabernaculum „Zelt“ (mit Idt 13,2 Hs 151) mit cubiculum „Raum“.

537 Womöglich kann die Vg deshalb auf diese Information verzichten, weil nach Idt 12,10 Vg ausschließlich die Sklaven, also vermutlich die Kammerdiener, zum Gelage eingeladen sind (vgl. Idt 12,4.6 sowie Idt 12,10). 538 Vgl. dazu Zenger, Das Buch Judit, 507.



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

 293

Der Blick wird von Iudith zu Holofernis geführt, der auf dem Bett liegt, eingeschlafen infolge seiner übergroßen Trunkenheit (Idt 13,4a). Der Lesende erfährt nun zum ersten Mal, dass es in den Räumlichkeiten des Gelages auch ein „Bett“ (lectus) gibt. Dass Holofernis sich auf dem Bett befindet, könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass dieser seine Verführungspläne bzgl. Iudith in die Tat umsetzen wollte. Umgekehrt wird aber dann Iudith diese Gelegenheit nutzen, ihre eigenen Pläne auszuführen (Idt 13,8a–10b). Die Vg variiert im Vergleich zu LXX/Hs 151 die Position des Holofernis, indem sie statt der Bemerkung, dass dieser „kopfüber auf sein Bett gefallen war“ (προπεπτωκὼς ἐπὶ τὴν κλίνην αὐτοῦ / prociderat super lectum, vgl. Jdt 13,2 LXX/ Hs 151) „lag auf dem Bett“ (iacebat in lecto) schreibt. Die Schilderung in der Vg lässt den Schluss zu, dass Holofernis mit dem Gesicht nach oben schaut, während er Judit in LXX/Hs 151 den Hinterkopf zugewendet hat.539 Diese Szene nach Darstellung der Vg-Fassung hat auch Künstler inspiriert. So zeigen künstlerische Darstellungen den Feldherren auf dem Rücken liegend: so z.B. Jacopo Tintoretto, Judith und Holofernes (1579), Artemisia Gentileschi, Judith köpft Holofernes (1612 und 1620), Franz von Stuck, Judith und Holofernes (1927) etc.540 Auch schreibt die Vg nicht wie Jdt 13,2 LXX/Hs 151, dass Holofernes in Folge des Alkohols auf das Bett gefallen sei. Mit dem Vg-spezifischen Zusatz, dass Holofernis infolge seiner „außerordentlichen Trunkenheit eingeschlafen“ war (Idt 13,4a), schreibt sie deutlicher, was Jdt 13,2 LXX/Hs 151 mit „rundum voll Wein“ ausdrücken: Holofernis schläft und nimmt nicht mehr wahr, was um ihn herum geschieht. In der Vg werden unter Verwendung von ebrietas „Trunkenheit“ mehrfach der Alkoholrausch und dessen negative Folgen beschrieben (z.B. in Jes 5,11.22; 28,7; Spr 20,1; Sir 31,40; Lk 21,34 Vg). Dazu formuliert auch Hos 4,11: „Hurerei, Wein und Trunkenheit nehmen das Herz weg“ (fornicatio et vinum et ebrietas aufert cor). In Ep. 22 stellt Hieronymus die Verbindung zwischen ebrietas „Trunkenheit“ und libido „Begierde“ (vgl. Idt 10,4b) sowie zur Gotteslästerung her: „[…] et ex omni parte forari potest - post ebrietatem nudatio femorum subsecuta est, libido iuncta luxuriae […]“ Hieronymus, Ep. 22,8 (CSEL 54, 155). „[…] so bedenke, daß auf die Trunkenheit die Entblößung des Körpers folgte, ein Beweis, wie eng Wollust und Genußsucht miteinander verwachsen sind […]“541. 

539 Miller spricht im Zuge der Veränderungen von Jdt 13,4–7 LXX in der Vg von einer „Überarbeitung“; vgl. Miller, Das Buch Judit, 218. 540 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 354. 541 Hieronymus, Ep. 22,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 71).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

„[…] et si quando lepidae et festiuae uolunt uideri et se mero ingurgitauerint, ebrietati sacrilegium copulantes, aiunt: ‘absit, ut ego me a Christi sanguine abstineam.’ […]“ Hieronymus, Ep. 22,13 (CSEL 54, 161). „[…] Haben sie sich gelegentlich am Weine gütlich getan, dann wollen sie sich witzig und vergnüglich zeigen, und zu der Trunkenheit gesellt sich auch noch die Gotteslästerung. Sie sagen: ‚Fern sei von mir, daß ich mich des Blutes Christi enthalte.‘ […]“542.

Dann sagt Iudith ihrer Magd, sie solle draußen vor dem Schlafraum stehen und aufpassen (Idt 13,5a–c). Es ist bemerkenswert, dass die entsprechenden Stellen in Jdt 13,3.4 LXX/Hs 151 die Bezeichnung für den Schlafraum variieren, der nun nicht mehr mit σκηνή / tabernaculum „Zelt“ (Jdt 13,1.2 LXX/Hs 151), sondern in der LXX mit κοιτών und in der Hs 151 (wie in der Vg) mit cubiculum „Raum“ bezeichnet wird. Dadurch ergibt sich eine zu unterscheidende Raumkonzeption: Bagao verschließt in Idt 13,1 Vg die Vorhänge des „Schlafraums“ (cubiculum) im Zelt, in Jdt 13,1 LXX/Hs 151 die des „Vorzeltes“ (σκηνή / tabernaculum). Während die abra angewiesen wird, vor genau diesem „Schlafraum“ (cubiculum), d.h. im Vorzelt des Holofernis, zu beobachten, also Wache zu halten (Idt 13,5 Vg), wird sie in Jdt 13,3 LXX damit beauftragt, vor „ihrem (Judits) Schlafraum“ (κοιτών / cubiculum) zu bleiben, aber nicht wie in der Vg, um Wache zu halten, sondern um den alltäglichen Eindruck zu wahren.543 Erst aus Jdt 13,4 LXX/Hs 151 wird dann ersichtlich, dass Judit sich mit Holofernes in dessen „Schlafgemach“ befindet, das nun ebenfalls mit κοιτών / cubiculum bezeichnet wird. Es fällt auf, dass die abra in Vg-spezifischer Abänderung erstmalig und einmalig mit dem Wort puella „Mädchen“ (hier im Sinne von „Dienerin“) bezeichnet wird (Idt 13,5a), wohingegen Idt 13,3 Hs 151 wie gewöhnlich ancilla „Magd“ schreibt. Auch in Idt 8,5b wurde das Wort in einem Vg-spezifischen Zusatz gebraucht, um jene „Dienerinnen“ zu benennen, die sich mit Iudith in ihrem cubiculum „Raum“ aufhalten. Bagao hatte Iudith in Idt 12,12 mit puella „Mädchen“

542 Hieronymus, Ep. 22,13 (BKV2 Zweite Reihe 16, 75). 543 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 354. Die Vg enthält einige, zum Textverständnis nicht notwendigen Hinweise nicht: Idt 13,3 Hs 151 ergänzt viam suam „ihren Weg“. Jdt 13,3 LXX erweitert um die Zeitangabe „wie jeden Tag“ (καθ᾽ ἡμέραν) und fügt den Plan erklärend hinzu, dass Judit zum Gebet hinausgehen wolle (ἐξελεύσεσθαι γὰρ ἔφη ἐπὶ τὴν προσευχὴν αὐτῆς). Jdt 13,3 LXX/ Hs 151 schreiben zusätzlich, dass Judit auch zu Bagoas Entsprechendes gesprochen hatte (καὶ τῷ Βαγώᾳ ἐλάλησεν κατὰ τὰ ῥήματα ταῦτα / Et bagoe locuta est secundum hec uerba). Jdt 13,3 LXX schreibt weiter, dass alle aus Judits Gesichtskreis verschwunden sind, und wiederholt damit die Information aus Jdt 13,1, dass sich alle zu ihren Schlafstädten entfernt haben (καὶ ἀπήλθοσαν πάντες ἐκ προσώπου). Jdt 13,4 LXX/Hs 151 schreiben zusätzlich, dass niemand mehr im Schlafraum war, vom Kleinsten bis zum Größten (καὶ οὐδεὶς κατελείφθη ἐν τῷ κοιτῶνι ἀπὸ μικροῦ ἕως μεγάλου / Et nemo derelictus est in cubiculo a maiore usque ad minorem).



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

 295

angesprochen. Idt  16,14 verwendet es im Kontext der Söhne Israels, die von „Mädchen“ stammen. Ein einheitlicher Gebrauch des Wortes ist innerhalb der Vg-Fassung mithin nicht nachweisbar. Jdt 13,3 LXX verlegt den Auftrag Judits an ihre ἅβρα in die Vorzeitigkeit. Diese wurde also bereits vor Beginn des Festes instruiert, auf ihr Herauskommen zu warten. Anders ist es in Idt 13,5 Vg/Hs 151: Iudith gibt offenbar spontan vom Schlafraum des Holofernis aus, ihrer sich in Hörweite befindlichen Dienerin den Auftrag, Wache zu halten. Es scheint, als sei die Umsetzung ihres Plans in der LXX eher vorbereitet, während sich diese in der Vg eher spontan abspielt. Der abra jedenfalls kommt nun in der Vg eine tragende Rolle zu.

Stummes Gebet unter Tränen Mit einer weiteren Handlung tritt Iudith vor das Bett, betet unter Tränen im Schweigen und nur mit der Bewegung ihrer Lippen (Idt 13,5a–c). Vg-spezifisch werden erneut orare „beten“, lacrimus „Träne“, labia Lippe verwendet und erstmalig silentium „Schweigen“. Das Gebet unter Tränen wurde bereits als Vg-spezifische Eigenart in den Büchern Iudith und Tobit sowie als auffälliges Motiv in den hieronymianischen Briefen herausgehoben (vgl. Idt 8,14a–b.29a).544 Neu ist in dieser Szene, dass die Vg Iudith explizit in „Schweigen“ (silentium) und unter Bewegung ihrer Lippen beten lässt. Die Darstellung in Jdt 13,4 LXX/ Hs 151, nach der Judit „in ihrem Herzen“ (ἐν τῇ καρδίᾳ αὐτῆς / in corde suo) zu Gott betet, ist davon zu unterscheiden.545 „Im Herzen“ zu sprechen ist ein biblisches Stilmittel, geheime Gedanken der Figuren zu formulieren (Gen 8,21; 17,17; 27,41; 1 Sam 27,1; 1 Kön 12,26; Jes 47,10; Ps 10,6 HT//Ps 9,27 LXX/Vg; Est 6,6 etc.).546 Judit/Iudith betet demnach in allen Fassungen still.547 Der Unterschied liegt in der Wortwahl und der damit zusammenhängenden Figurendarstellung. In LXX/ Hs 151 ist die Darstellung der Figur kühl und distanziert gehalten.548 Die Vg hin-

544 Labia verweist auf Idt 9,13a–b: Dort hatte Iudith in ihrem Gebet angekündigt, dass Gott Holofernis durch die Lippen ihrer Liebe durchbohren werde (et percuties eum ex labiis caritatis meae, Idt 9,13b). 545 Während Judit in LXX neben dem Bett steht (παρὰ τὴν κλίνην αὐτοῦ), ist sie in Hs 151 bereits zum Kopf (ad caput) des Holofernes hingewendet. 546 Vgl. dazu Gera, Judit, 392; Auch nach Miller u.a. betet Judit stumm; vgl. Miller, Das Buch Judith, 217. 547 Das ist auffällig, denn Gebete wurden im alten Israel und der griechischen Antike in der Regel in Gemeinschaft und laut gebetet; vgl. Leuenberger, Gebet (wibilex), 14.04.2014; Gerstenberger/Müller, Gebet (NBL 1), 742. 548 Vgl. auch Schmitz, Judith and Holofernes, 177–191.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

gegen lässt die Lesenden an einer hoch emotionalen Schilderung der Figur teilhaben. Damit wird nur in der Vg ein Gegensatz der Hauptfiguren aufgehoben: Während nur Holofernis in bzw. vor dieser Tötungsszene der LXX/Hs 151 hochemotional dargestellt wird und Judit unemotional, sind es in der Vg beide Figuren, von denen tiefgreifende Emotionen geschildert werden (vgl. zur emotionalen Situation des Holofernis Idt 12,16a.20a). Für die Iudith der Vg ist die bevorstehende Tötung ein aufwühlender Moment, der sie zum Weinen bringt und der sie ihr Gebet ohne Laut sprechen lässt. Die Erweiterung in der Vg erinnert an 1 Sam 1,13 HT/LXX/Vg, denn auch Anna, die Mutter Samuels, betet in ihrem Herzen, nur unter Bewegung ihrer Lippen, ohne dass man ihre Stimme hören kann.549 Private, stumme und emotional bewegende Gebete unter Tränen beschreibt auch Hieronymus in seinen Briefen (vgl. auch Idt 16,6b): „[…] sicubi concaua uallium, aspera montium, rupium praeupta cernebam, ibi meae orationi locus, illud miserrimae carnis ergastulum ; et, ut mihi ipse testis est dominus, post multas lacrimas, post caelo oculus inhaerentes nonnumquam uidebar mihi interesse agminibus angelorum […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 154). „[…] Wo ich eine Talschlucht, einen rauhen Berg, ein zackiges Felsgebilde sah, da ließ ich mich nieder zum Gebete, da machte ich daraus einen Kerker für mein sündiges Fleisch. Gott ist mein Zeuge, nach vielem Weinen, nach ständigem Aufblick zum Himmel erblickte ich mich zuweilen inmitten der Engel […]“550.

„[…] Semper te cubiculi tui secreta custodiant, semper tecum sponsus ludat intrinsecus. Oras: loqueris ad sponsum […]“ Hieronymus, Ep. 22,25 (CSEL 54, 178). „[…] Dein verborgenes Kämmerlein sei Dein ständiger Schutz. Dort im geheimen möge Dein Bräutigam sich zärtlich gegen Dich zeigen. Betest Du, so sprichst Du mit Deinem Bräutigam […]“551.

„[…] laua per singulas noctes lectum tuum, in lacrimis stratum tuum riga. […] an non flendum est, non gemendum, cum me rursus serpens inuitat ad inlicitos cibos […]“ Hieronymus, Ep. 22,18 (CSEL 54, 166–167). „[…] Wasche allnächtlich Dein Bett und benetze Dein Lager mit Deinen Tränen! […] Habe ich etwa nicht nötig zu weinen und zu seufzen, da mich die Schlange immer wieder zu verbotenen Genüssen lockt […]“552.

549 Vgl. Gillet, Tobie, Judith et Esther, 424. Porro Anna loquebatur in corde suo tantumque labia illius movebantur et vox penitus non audiebatur […], 1 Sam 1,13 Vg. 550 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69). 551 Hieronymus, Ep. 22,25 (BKV2 Zweite Reihe 16, 91). 552 Hieronymus, Ep. 22,18 (BKV2 Zweite Reihe 16, 80–81). Das Weinen im Rahmen religiöser Praxis ist keineswegs eine Erfindung des Hieronymus, sondern hat eine breite Tradition im as-



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

 297

Iudith bittet den Gott Israels, dass er sie stärke (Idt 13,7a) und in dieser Stunde auf die Taten ihrer Hände blicken möge (Idt 13,7b).553 Idt 13,4 Hs 151 verläuft in diesen ersten beiden Aufforderungen mit der Vg parallel, während Jdt 13,4 LXX den ersten Imperativ nicht kennt.554 Die erste Bitte wird kurz vor der Tat in Idt 13,9c noch einmal wörtlich wiederholt. Zu beiden Aufforderungen gibt es sprachliche und inhaltliche Parallelen in Iudiths Rede an die Ältesten: Denn diese sollten beten, dass Gott ihren Plan „stark“ macht (ut firmum faciat consilium meum Deus Idt 8,31e) und dass er innerhalb von fünf Tagen auf Israel blickt (respiciat Idt 8,32d2; vgl. auch dort). Respicere verweist auch auf Idt 9,6a zurück, als Iudith Gott darum gebeten hatte, auf das Lager der Assyrer zu blicken (respice castra Assyriorum nunc), wie er es auch bei den Ägyptern getan hatte. Damit wird gleichzeitig auf Ex 14,24 Vg verwiesen (et ecce respiciens Dominus super castra Aegyptiorum). Respicere „blicken“ ist damit ein wichtiges Leitwort der Judit-/Iuditherzählung, das impliziert, dass Gottes Blick dessen rettendes Handeln zur Folge hat.555 Interessant ist auch, dass Iudith ihren Plan als Werke ihrer Hände bezeichnet (Idt 13,7b). Sie übernimmt, wie bereits in Idt 9,15, die Verantwortung für die Tat.556 Gott soll Iudith stärken und auf die Taten ihrer Hände blicken, damit er seine Stadt Jerusalem aufrichten könne, wie er es versprochen habe, und Iudith das durchführen könne, von dem sie im Glauben gedacht habe, es könne durch Gott geschehen (Idt 13,7c–e2).557 Idt 13,7c–e2 Vg sind größtenteils Vg-spezifisch. Auf-

ketischen Kontext. Eine ausführliche Darstellung beispielsweise der ägyptischen Wüstenväter des vierten und fünften Jahrhunderts findet sich bei Müller, Der Weg des Weinens; vgl. auch Dodel, Das Sitzen der Wüstenväter, 91–93. 553 Jdt 13,4 schreibt ὁ θεὸς πάσης δυνάμεως „Gott aller Macht“. Innerhalb des Buches Iudith wird der Titel Deus Israhel „Gott Israels“ insgesamt vier Mal im Kontext des rettenden Handelns verwendet, drei Mal durch Iudith (Idt 13,7.9.27), einmal durch Achior (Idt 14,6). 554 Nach Miller sei das Gebet hier „viel ausführlicher“; vgl. Miller, Das Buch Judith, 218. 555 Respicere wird in Idt 8,32d2; 9,6a; 13,7b in Vg-spezifischen Hinzufügungen gebraucht. Interessanterweise fehlt der tatsächliche Hinweis, dass Gott hört und sieht (Jdt 4,13 LXX/Hs 151) in der Vg (vgl. dazu Idt 10,4). 556 So bewerten auch die Ältesten diese in Idt 15,11 Vg//Jdt 15,10 LXX (nicht in Hs 151). Später hingegen charakterisiert Iudith ihr Handeln als Werk durch Gottes „Hand“: Vor der Tat in Idt 12,4; 13,7 und rückblickend in Idt 13,18.19.27; 16,7. So auch in der LXX vor- (Jdt 8,33; 9,9.10; und auch Jdt 9,2; 12,4) und rückblickend (Jdt 13,14.15; 16,5); vgl. Schmitz/Engel, Judit, 356. 557 Inhaltlich ähnlich verwenden Jdt 13,4–5 LXX/Hs 151 andere Worte: Jdt 13,4 LXX/Hs 151 erwähnen als Begründung für Gottes Blicken auf Jerusalem nur dessen „Erhöhung“ (ὕψωμα Ιερουσαλημ; Hs 151 schließt mit einfachem Nebensatz an: ut exaltetur hierusalem). Wolff will darin einen Beweis für die vorexilische Entstehung des Buches Judit sehen; vgl. Wolff, Das Buch Judith als Geschichtliche Urkunde, 179. Nach Jdt 13,5 LXX solle Gott sich seines Erbes annehmen, damit Judit ihr Vorhaben, das Zerschmettern der Feinde, in die Tat umsetzen kann (ὅτι νῦν

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

fällig ist die komplexe Syntax der Hinzufügung. Promitt- „versprech-“ wird neben Idt 13,7 auch in Idt 13,18 in Vg-spezifischer Hinzufügung von Gott ausgesagt: Gott habe – so Iudith – ein Versprechen an Jerusalem (Idt 13,7) und eines bezüglich des Tempels gegeben (Idt 13,18; vgl. auch 1 Kön 9,3; 2 Kön 19,34).558 Iudith, appelliert damit an den Bund zwischen Gott und seinem Volk Israel. Darauf aufbauend hatte sie ihre Theologie entfaltet und vor Gott gebracht (vgl. Idt 9,18a.d). Indem Gott an dieses Versprechen erinnert wird, soll er zum Eingreifen gebracht werden. Vg-spezifisch ist auch die Motivation für Iudiths Vorhaben: ihr Glaube. Der Lesende erfährt, dass Iudith sich keineswegs des Beistands Gottes gewiss ist, es ist allein ihr Glaube, der sie annehmen lässt, dass Gott ihr Vorhaben unterstützen wird. Credere „glauben“ steht in Idt 8,27 für das Gottvertrauen, das die Ältesten und das Volk Israel auch zu Notzeiten haben sollen und in Idt 14,6a, für den Glauben an den Gott Israels, den Achior nach Anblick des Kopfes entwickelt. Das Wort wird damit durchgängig für den Glauben an Gott und das sich dadurch begründende Vertrauen verwendet. Credere „glauben“ verweist demzufolge auch auf Iudiths Motivation aktiv zu werden. Das Ende des Gebets wird durch den Vg-spezifisch hinzugefügten Nebensatz „und als sie dies gesagt hatte“ (Idt 13,8a) eingeleitet.559 Dann werden vier Handlungen Iudiths bis zu ihrem zweiten Gebet in Idt 13,9d geschildert, an das sich erneut vier Handlungen anschließen: Sie tritt an den Pfosten, der am Kopfende seiner Bettstatt ist, löst den Dolch des Holofernis, der am Bettpfosten befestigt hängt, heraus, zieht ihn aus der Scheide und ergreift sein Haupthaar (Idt 13,8ba– 9b). Die Darstellung der Tat Iudiths ist auffällig kleinschrittig, was den Höhepunkt der Handlung hinauszögert und zum Spannungsaufbau beiträgt. Der Lesende kann Iudiths Handlungen mit den Blicken aus der Perspektive der Erzählstimme folgen, die nun keine Emotionen mehr schildert, sondern nur die entschlossenen Handlungen darstellt. Das ist auch deshalb interessant, weil die Vg diese Szene im Vergleich zu den anderen Fassungen abändert: So wird in der Vg erwähnt, dass der Dolch aus der Scheide gezogen wird, statt dem Nähern Iudiths ans Bett wie in Jdt 13,6–7 LXX (nicht in Hs 151, wo nur drei Handlungen beschrieben werden). Die Waffe des Holofernis wird in der LXX als ἀκινάκης, ein persisches Kurzschwert, bezeichnet. Das Wort kommt in der LXX nur noch in Jdt 16,9 vor. Vg/Hs 151 schrei-

καιρὸς ἀντιλαβέσθαι τῆς κληρονομίας σου καὶ ποιῆσαι τὸ ἐπιτήδευμά μου εἰς θραῦσμα ἐχθρῶν οἳ ἐπανέστησαν ἡμῖν). Idt 13,5 Hs 151 verkürzt. 558 Vgl. auch Gillet, Tobie, Judith et Esther, 434. Promitt- „versprech-“ wird ferner von den Ältesten gebraucht, die das Fünf-Tage-Ultimatum an Gott ausgesprochen haben (Idt 8,9b), von den Assyrern, die den Sieg über den Gott Israels versprochen haben (Idt 9,11d), von Holofernis, der Iudiths Vorhaben als „Versprechen“ (promissio) bezeichnet (Idt 11,21a). 559 Dicere „sagen“ darf hier nicht als lautes Sprechen verstanden werden.



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

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ben „Dolch“560 (pugio), was eine kurze Waffe zum Stechen bezeichnet, die neben dem längeren Schwert (gladius) bei Soldaten Verwendung findet (vgl. GeorgesLDHW Bd. 2, 3950). Pugio „Dolch“ kommt neben Idt 16,11 nur noch in Num 25,7 Vg vor, wo es als (nicht wörtliche) Übersetzung für „Speer“ (‫ רמח‬/ σειρομάστης) gebraucht wird und eine Waffe in der Hand eines Priesters beschreibt, sowie in 2 Chr 23,10 Vg für Waffen des Volkes (‫ כתף‬/ ὅπλον). Mit nahezu fünfhundert Belegen ist gladius „Schwert“ das häufigste Wort zur Beschreibung einer Waffe innerhalb der Vg. Dies gilt auch für das Buch Iudith, wo es fünfzehn Mal Verwendung findet (Idt 2,16; 5,16.28; 6,3.4.6; 7,9.17; 8,19; 9,2.11.12; 13,28; 15,6; 16,6). Dass Iudith in den lateinischen Fassungen nicht zu dem Langschwert (gladius) des Holofernis, sondern, wie der Priester und das Volk in den anderen Belegstellen, zu seinem kurzen Dolch (pugio) greift, kann damit zusammenhängen, dass sich auch die griechische Vorlage für ein selten gebrauchtes Wort entscheidet. Denkbar ist auch, dass eine Herabsetzung der kriegerischen Fähigkeiten der Frau angedeutet werden soll – dafür spricht, dass der gewichtsmäßig leichte Dolch eher eine Waffe zum Stechen und schneiden, nicht aber zum Kopf abschlagen ist, während das Schwert dazu durchaus geeignet wäre.561

Iudiths Tat Dann spricht Iudith ein weiteres Mal zu Gott (Idt 13,9c). Nach Idt 13,7a–b erfolgt hier die zweite Bitte um Stärkung in dieser Stunde (Idt 13,9d). Dieser Bitte obliegen sicher sowohl eine psychische wie auch eine physische Dimension.562 Dann wird die Tat in vier Handlungsschritten vollzogen: Iudith schlägt zwei Mal in den Nacken des Holofernis, trennt seinen Kopf ab, nimmt sein Mückennetz von den Pfosten und wälzt seinen verstümmelten Leichnam hinaus (Idt 13,10a–d). Auch Jdt 13,11 LXX/Hs 151 enthalten parallel zur Vg diese vier Handlungen, nur dass die letzten beiden vertauscht sind. Damit steht nur in der Vg das Hinauswälzen des Leichnams am Ende der Handlungskette. Mit der Tötung des gegnerischen Anführers wird der Höhepunkt des Plans Iudiths erzählt. Dieser wurde zuvor bereits mehrfach Vg-spezifisch angedeutet: So erfuhr der Lesende in der praefatio zum Buch Iudith, dass Iudith den „von allen Männern Unbesiegten besiegte und Unüberwindbaren überwandt“ (Z. 11–12 praefatio zum Buch Iudith) und im Gebet in Idt 9 bittet Iudith, Gott möge Holofernis Hochmut mit seinem eigenen Schwert

560 Und auch Idt 13,6 Hs 130. 561 Vgl. dazu Piller, Schwert (NBL 3), 544–545; Kunz-Lübke, Heer (wibilex), 14.04.2014. 562 Vgl. auch Gera, Judit, 395.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

stutzen (amputare Idt 9,12b) und ihn mit ihren Lippen der Liebe durchbohren (percutere vgl. Idt 9,13b). Die Tat war in dieser Form offenbar bereits geplant. Dass die vermeintlich Schwächere dem vermeintlich Stärkeren den Kopf abschlägt oder durch Einwirkung auf dessen Kopf diesen umbringt, ist nicht einzigartig in der biblischen Tradition: Jaël schlägt Sisera in einem Zelt einen Pflock in den Kopf (Ri 5,26; in der Vg unter Verwendung von percutere). David schlägt Goliat den Kopf mit seinem eigenen Schwert ab (1 Sam 17,51). In Ri 9,53–54 trifft eine Frau Abimelech mit einem Stein am Kopf, der daraufhin seinen Waffenträger bittet, ihn zu töten, um ihm die Schande, von einer Frau getötet zu werden, zu ersparen. Dass die Tat im Buch Judit/Iudith durch eine Frau und mit dem Schwert des Sterbenden geschieht, ist also nicht ganz ohne Ironie zu lesen.563 Die Tötungsszene schildert Hieronymus auch in Ep. 54: „[…] uideo armatam gladio manum, cruentam dexteram, recognosco caput Holofernae de mediis hostibus reportatum. uincit uiros femina et castitas truncat libidinem […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 484). „[…] Da auf einmal schaue ich ihre mit dem Schwert bewaffnete Hand, ihre blutgetränkte Rechte. Ich erkenne das Haupt des Holofernes, das sie mitten aus dem feindlichen Lager wegschleppt. Eine Frau besiegt die Männer, und die Keuschheit enthauptet die geile Gier […]“564.

Tötungsszene und Flucht aus dem assyrischen Lager werden hier visionsartig nachgestellt, was vor allem an der Nennung des Holofernis, aber auch am Kontext erkennbar wird. Zwei Schlussfolgerungen zieht Hieronymus aus dieser Szene: Eine Frau besiegt die Männer. Iudith besiegt nicht nur Holofernis, sondern auch alle anderen Männer im Heerlager infolgedessen (Idt 15,4). Zudem ist es nichts anderes als Iudiths Keuschheit (castitas), die die Begierde (libido) des betrunkenen Holofernis besiegt. Dieselbe Bewertung von Iudiths Tugend der Keuschheit findet sich auch in der praefatio zum Buch Iudith und klingt in der Vg-spezifischen Hinzufügung in Idt 10,4 an, wenn Gott Iudith aufgrund ihrer Tugend (virtus) schön macht. Die grausam anmutende Darstellung der Tötungsszene in dem Brief ist auffällig grausamer als die Schilderung im Text selbst. Iudith nimmt, neben seinem Kopf, als Beweis für ihren Sieg auch das Mückennetz mit, das auffällige Symbol für Holofernis verschwenderischen Luxus (Idt 13,10c; vgl. Idt 10,19a). Aus der Information, dass das Mückennetz an Pfosten befestigt ist (Idt 13,8b–c.10c), wird für den Lesenden, im Nachhinein erkennbar, dass Holofernis bereits bei der ersten Begegnung mit Iudith auf seinem Bett saß,

563 Vgl. dazu Gera, Judit, 394. 564 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 168).



3.8 Iudiths Tat und Flucht aus dem assyrischen Lager (Idt 13,1a–13d)  

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denn in dieser Situation war das Mückennetz, das hier wieder Erwähnung findet, über ihm (Idt 10,19a). Dann wälzt Iudith den verstümmelten, kopflosen Körper hinaus (Idt 13,10d). Dabei handelt es sich um ein „Zeichen des Triumphes“565. Die Handlung „unterstreicht die Schmach vom Ruhebett auf den Boden bzw. Bettschemel“566. Dass diese Information an den Schluss der Handlungskette gesetzt und damit betont wird, wird durch den Vg-spezifischen Zusatz mit dem Adjektiv truncus „verstümmelt“ noch verstärkt. In dieser Bedeutung kommt das Wort, zusammen mit volv„wälz-“, nur noch und ebenfalls als Vg-spezifischer Zusatz in Idt 14,4b vor, wo auf die Tat zurückverwiesen wird.567

3.8.3 Iudiths Flucht (Idt 13,11a–13d) Im dritten Abschnitt (Idt 13,11a–13d) werden die Flucht aus dem Lager und die Ankunft in Bethulia beschrieben. Der Wechsel wird durch die Zeitangabe et post pusillum „und kurz danach“ (Idt 13,11a) und den Raumwechsel – aus dem Zelt unter den freien Himmel des Lagers – markiert. Kurz nach der Tat geht Iudith nach draußen und übergibt den Kopf des Holofernis ihrer Dienerin und heißt sie ihn in ihren Reisesack zu legen (Idt 13,11a–d). Die abra wird ein weiteres Mal am Plan beteiligt, in dem sie nach Idt 10,5 zum zweiten Mal das Gepäck zu tragen hat. Die Vg verschärft, indem iubere „befehlen“ (Idt 13,11c) zur Beauftragung verwendet wird, während die ἅβρα den Kopf in Jdt 13,10 LXX/Hs 151 selbstständig in die Reisetasche legt. Mit dem gleichen Wort hatte Holofernis angeordnet, Iudith in den Raum mit seinen Schätzen zu bringen (Idt 12,1bis). Nun ordnet Iudith ironischerweise an, Holofernis nach Bethulia zu bringen. Dort angekommen wird ihr das Wort noch einmal dazu dienen, sich bei den Menschen in Bethulia Gehör zu verschaffen (Idt 13,16b). Nach Jdt 10,5 LXX/Hs 151 hatte Judit allen Reiseproviant in einem „Reisesack“ (πήρα / pera) verstaut. Die Vg hingegen nennt den „Reisesack“ (pera) in Idt 13,11d zum ersten Mal und ein weiteres Mal in Idt 13,19a. Dass der Kopf des Holofernis nun im gleichen Behälter liegt, wie zuvor der Reiseproviant, ist für die Vg im Gegensatz zu den anderen Fassungen mithin nicht sicher zu sagen. Iudith und ihre abra gehen aus dem Lager, als würden sie wie immer zum Gebet gehen (vgl. Idt 12,5a–8c), durchqueren das Lager, machen einen Bogen

565 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 217. 566 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 217. 567 In der Bedeutung „Stamm“ in Jes 40,24; 44,19; Ijob 14,8.

302 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

um das Tal und kommen zum Stadttor (Idt 13,12a–c).568 Iudith befiehlt schon von Weitem den Mauerwächtern (Idt 13,13a): „Öffnet die Tore, denn Gott, der in Israel seine Macht angewendet hat, ist mit uns!“ (Idt 13,13b–d). Der Befehl ist in Jdt 13,11 LXX doppelt formuliert. Die Aussage „Gott mit uns“ geht auf die in der biblischen Tradition mehrfach geäußerte Beistandszusage Gottes zurück: So z.B. in den Erzelternerzählungen (Gen 26,3; 31,3), gegenüber Mose (Ex 3,12), in Ri 6,12 und in den Königserzählungen (2 Sam 7,9; Jes 8,10).569 Dadurch wird deutlich, dass das Geschehene aus Iudiths Perspektive Gottes rettendes Handeln war.570 Dass es gerade „Kraft“ (virtus) ist, die Gott – aus Iudiths Perspektive – gewährt hat, zeigt, dass sich Iudiths Bitte (vgl. Idt 9,11b.14a2.16a) und auch die der Ältesten erfüllt hat (vgl. Idt 10,8c).

Fazit Innerhalb von Idt 13,1a–13d lassen sich mehrere Vg-spezifische Besonderheiten aufzeigen: Zunächst fällt die Verwendung des Wortes cubiculum „Raum“ auf. Denn Idt 13,3a und Idt 8,5 Vg schreiben cubiculum „Raum“ statt σκηνή / tabernaculum „Zelt“ wie Jdt 8,5; 13,1.2 LXX/Hs 151 (vgl. aber Jdt 13,3.4 LXX/Hs 151). Durch die doppelte Variation kann die Vg die Vorgabe von LXX/Hs 151 beibehalten, und den Aufenthaltsraum des Holofernis und den der Iudith gleich benennen. Nur in der Vg verschließt Bagao die Vorhänge der Schlafkammer im Inneren des Vorzeltes, während es in Jdt 13,1 LXX/Hs 151 die Vorhänge des Vorzeltes sind. Verschieden ist auch, dass die abra in der Vg angewiesen wird, im Vorzelt des Holofernis Wache zu halten (Idt 13,5 Vg), während sie in Jdt 13,3 LXX damit beauftragt wird, wie jeden Tag vor Judits Schlafraum zu bleiben.571 Dadurch hat die abra in der Vg an dieser Stelle eine mitwirkende Funktion am rettenden Plan. Die Müdigkeit der Diener des Holofernis (Idt 13,2a) verweist Vg-spezifisch auf Idt 9,7b bzw. Ex 14,24 zurück, wo die Ermüdung der Ägypter in der Schilfmeererzählung thematisiert wird. Das Motiv der Müdigkeit suggeriert so das baldige Ende der assyrischen Belagerung (vgl. Idt 13,10a–b; 15,4a–c).

568 Nach Jdt 13,10 LXX steigen sie auch den Berg hinauf ([…] καὶ προσανέβησαν τὸ ὄρος Βαιτυλουα […]). 569 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 375. 570 Jdt 13,11 schreibt, dass Gott weiterhin Stärke gegen die Feinde zeigen werde, wie er es heute getan habe. Die lateinischen Fassungen beziehen sich beide nur auf die Vergangenheit, während Jdt 13,11 auch die Zukunft mit umfasst, so dass nur in der LXX-Fassung die Nähe zu 2 Chr 32,8 gegeben ist; vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 375; Zenger, Das Buch Judit, 509. 571 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 354.



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

 303

In der Vg liegt Holofernis auf dem Rücken, so dass Iudith bei der Tötung sein Gesicht sehen kann (Idt 13,4a Vg), in Jdt 13,2 LXX/Hs 151 aber liegt er auf dem Bauch. Dieser Unterschied hatte auch Auswirkungen auf die Darstellungen in der Kunst. Das Vg-spezifische Wort ebrietas „Trunkenheit“ unterliegt nicht nur im Buch Iudith, sondern auch in der biblischen Tradition und in der Briefliteratur des Hieronymus einer negativen Konnotation. Insofern könnte sich diese durch den Hinweis auf die Trunkenheit der Assyrer auch auf diese übertragen. Durch Iudiths Gebet unter Tränen und im Schweigen (Idt 13,5a–c) lässt die Vg im Gegensatz zu LXX/Hs 151 die Lesenden an einer hoch emotionalen Schilderung der psychischen Verfassung der Iudithfigur teilhaben, die konträr zu der des Holofernis (Idt 12,16a.20a) steht. Anders ist die Darstellung in LXX/Hs 151, wo nur Holofernes hochemotional und Judit unemotional gezeigt wird. Auffällig sind auch die wiederholt Vg-spezifischen Wörter orare „beten“, lacrimus „Träne“, labia „Lippe“ sowie silentium „Schweigen“ (vgl. Idt 8,14a–b.29a; 9,13a–b; 10,17b; vgl. auch Idt 12,14; 16,11). Obwohl auch die Judit der LXX/Hs 151 „in ihrem Herzen“, also schweigend betet, heben diese Wörter die Darstellung der Szene in der Vg noch hervor. Die Vg-spezifischen Hinzufügungen des Wortes respicere „blicken“ in Idt 8,32d2; 9,6a; 13,7b kennzeichnen dieses als besonderes Leitwort der Iuditherzählung. Das Motiv, nach dem Gottes Blick dessen rettendes Handeln zur Folge hat, wird in der Vg vermehrt verwendet. Schließlich ist das Adjektiv truncus „verstümmelt“ (Idt 13,10d) zu nennen, das auch in Idt 14,4 in Vg-spezifischer Hinzufügung den kopflosen Leichnam des Holofernis beschreibt.572

3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) lässt sich in vier Abschnitte gliedern: Der erste (Idt 13,14a–26b) – eingeleitet durch et factum est „und es geschah“  – beginnt mit einem Perspektivwechsel. Durch die Erzählstimme werden nun nicht mehr Iudith und ihre abra fokussiert, sondern zuerst die Mauerwächter und dann die Menschen von Bethulia, deren Reaktionen auf ihre Ankunft hin beschrieben werden, woran ein Dialog angeschlossen wird. Der zweite Abschnitt (Idt 13,27a– 31b2) setzt mit dem Hinzutreten Achiors ein und enthält einen Dialog zwischen Achior und Iudith. Der dritte (Idt 14,1a–5c) beginnt nach einer Redeeinleitung durch die Erzählstimme, die das Signalwort autem „aber“ enthält, und thematisiert in einer Rede Iudiths, die sich nunmehr an das ganze Volk von Bethulia

572 In der Bedeutung „Stamm“ in Jes 40,24; 44,19; Ijob 14,8.

304 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

richtet, das weitere Vorgehen gegen die Assyrer. Der vierte Abschnitt (Idt 14,6a–d) – eingeleitet durch tunc „da“ – enthält Achiors Lobpreis Iudiths und seine Konversion zum Judentum.

3.9.1 Iudiths Empfang durch das Volk Israel (Idt 13,14a–26b) Der erste Abschnitt (Idt 13,14a–26b) besteht aus drei Unterabschnitten: Nachdem im ersten Unterabschnitt (Idt 13,14a–15b) das Herbeiströmen des Volkes und der Ältesten berichtet wird, wird im zweiten (Idt 13,16a–21c) – eingeleitet durch illa autem „jene aber“ – eine ausführliche Rede Iudiths präsentiert, die sich aus der Mitte des Volkes in eine höher gelegene Position begibt. Im dritten (Idt 13,22a– 26b) werden – eingeleitet durch autem „aber“ – die Reaktionen des Ozias und des Volkes angezeigt.

3.9.1.1 Iudith trifft auf die Ältesten und das Volk (Idt 13,14a–15b) Als die Mauerwächter Iudiths Stimme hören, rufen sie die Ältesten der Stadt, woraufhin alle bei ihr zusammenlaufen, vom Kleinsten bis zum Größten (Idt 13,14a– 15a). Die Mauerwächter rufen nur die Ältesten, aber das ganze Volk kommt.573 Die Verwunderung bei den Menschen von Bethulia ist groß, „denn sie hatten angenommen, dass sie nicht mehr (zurück)kommen werde“ (Idt 13,15b). Während Jdt 13,13 LXX schreibt, dass ihnen ihr Kommen unglaublich war (ὅτι παράδοξον ἦν αὐτοῖς τὸ ἐλθεῖν αὐτήν), legen die lateinischen Fassungen diesen Satz bereits aus, indem sie schreiben, dass man die Rückkehr nicht erwartet habe (vgl. Idt 10,9).574 Die ambivalente Formulierung in der LXX, die sowohl mit Misstrauen als auch mit Vertrauen durch das Volk gefüllt werden kann, wird zu eindeutigem Misstrauen ausgelegt. Weil das Geschehen offenbar noch in der Nacht stattfindet, werden Leuchter angezündet, und das Volk umringt die beiden ankommenden Frauen (Idt 13,16a). In Idt 13,18c spricht Iudith dem Volk gegenüber von den Taten, die „in dieser Nacht“ geschehen sind.

573 Jdt 13,12 schreibt zusätzlich, dass die Wächter zu dem Tor der Stadt hinuntergehen (ἐσπούδασαν τοῦ καταβῆναι ἐπὶ τὴν πύλην τῆς πόλεως αὐτῶν). 574 Jdt 13,13 hat den Zusatz, dass das Volk Judit und ihrer Abra das Tor öffnet und sie in Empfang nimmt (καὶ ἤνοιξαν τὴν πύλην καὶ ὑπεδέξαντο αὐτὰς).



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

 305

3.9.1.2 Iudiths Rede an die Ältesten und das Volk (Idt 13,16a–21c) Der zweite Unterabschnitt (Idt 13,16a–21c) besteht aus Iudiths Rede an die Ältesten und das Volk. Iudith steigt nur in der Vg auf eine höher gelegene Stelle und gebietet dem Volk Schweigen und als alle verstummt sind, beginnt sie zu sprechen (Idt 13,16b–17a). Idt 13,16a–c ist Eigengut der Vg: Durch den Zusatz erhöht die Vg die Spannung bis Iudith den Beweis ihres Triumphes, den Kopf des Holofernis, vorzeigt. Iudith begibt sich in eine Position, in der sie nun für alle sichtund hörbar wird. In den anderen Fassungen spricht sie mit dem Volk hingegen auf Augenhöhe (vgl. Idt 13,29a–30d).575 Möglicherweise soll Iudiths Tat durch die Position noch mehr betont werden. Iudith setzt mit einem Lobpreis Gottes ein: „Lobt den Herrn, unsern Gott, der die nicht verlassen hat, die auf ihn hoffen, und an mir, seiner Magd, sein Erbarmen erfüllt hat, das er dem Haus Israel versprochen hat, und durch meine Hand den Feind seines Volkes getötet hat in dieser Nacht“ (Idt 13,17b–18c).576 Durch sperare „hoffen“ wird Vg-spezifisch auf Idt 13,15b zurückverwiesen: Iudith stellt fest, dass Gott nicht diejenigen verlässt, die auf ihn „hoffen“. Die Bemerkung ist nicht ohne Ironie, denn das Volk hat gerade nicht darauf „gehofft“ (bzw. „vertraut“), dass Iudith zurückkommen werde. Iudith deutet auch hier ihre Tat als Gottestat. Iudith holt dann den Kopf des Holofernis aus dem Reisesack und zeigt ihn allen (Idt 13,19a).577 Das Motiv des Kopfabschlagens und Präsentierens findet sich mehrfach in der biblischen Tradition: So bei Saul in 1 Sam 31,9–10, Ischbaal des Sohnes des Saul in 2 Sam 4,7, Seba, des Sohnes des Bichri in 2 Sam 20,22, den siebzig Königssöhnen des Ahab in 2 Kön 10,7–8, Nikanor in 1 Makk 7,47 und 2 Makk 15,35 und Alexander in 1 Makk 11,17.578

575 Auch Esra nimmt eine höhere Position ein (eminebat), wenn er das Buch mit dem Gesetz des Mose öffnet (Neh 8,5). 576 Der Lobpreis weist im Vergleich zu den Parallelfassungen einige Variationen auf: So schreibt die Vg „Lobt den Herrn, unsern Gott“, Jdt 13,14 LXX ein doppeltes „Lobt Gott“ und Idt 13,14 Hs 151 nur „lobt unseren Gott“. Der Lobpreis erinnert sprachlich (durch das Vg-spezifische sperare „hoffen“ und durch misericordia „Erbarmen“) und inhaltlich an Ps 9,11; 16,7 Vg: Ps 9,11: et sperent in te qui noverunt nomen tuum quoniam non dereliquisti quaerentes te Domine „Auf dich vertrauen, die deinen Namen kennen; denn du hast nicht verlassen, die dich suchen, Herr“; Ps 16,7: mirifica misericordias tuas qui salvos facis sperantes in te „Erweise wunderbar deine Gnade, du Retter derer, die sich bergen vor den Empörern bei deiner Rechten“. Sperantes in se ist eine Vgspezifische Hinzufügung, ebenso wie die Selbstbezeichnung ancillam suam „seine Magd“ (vgl. Idt 11,4b) und promittere „versprechen“, das hier im Kontext der Bundestreue Gottes steht und sich damit auf die Rettung Israels bezieht (vgl. Idt 13,7c1–c2). 577 Jdt 13,15 LXX/Hs 151 nennen den Namen des Feldherrn nicht an dieser Stelle. 578 Vgl. auch Zenger, das Buch Judit, 511.

306 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die Aufmerksamkeit des Volkes wird – eingeleitet durch ein doppeltes ecce „siehe“ – auf beide Beweise gerichtet: Den Kopf des Holofernis und sein Mückennetz, unter dem er – so Iudith – in seiner Trunkenheit lag, und wo ihn der Herr durch die Hand einer Frau getötet hat (Idt 13,19b–e). Holofernis wird in seiner höchsten Amtsbezeichnung als princeps militiae Assyriorum „Fürst der Streitmacht der Assyrer“ bezeichnet (vgl. Idt 12,10b). An seine verschwenderische Lebensart sollen die Hinweise auf das „Mückennetz“ (conopeum vgl. Idt 10,19a) sowie auf die „Trunkenheit“ (ebrietas vgl. Idt 13,3a) erinnern.579 Das Mückennetz soll für die Anwesenden, die den Feldherren nie gesehen haben, ein Beweis für dessen Identität sein. Das Leitwort percutere „durchstechen“ bezieht sich vier Mal auf das Erschlagenwerden des Holofernis, zwei Mal explizit durch Iudith (Idt 13,10; 16,8), zwei Mal in Iudiths Reden durch Gott, der durch Iudiths Hand handelt (vgl. Idt 9,13; 13,19). Iudith resümiert aus der Perspektive, dass Gott ihn durch die „Hand einer Frau“ (manum feminae) getötet hat.580 Daran wird erkennbar: Iudiths Handeln ist Gottes Handeln.581 Anhand der Verwendung des Lexems femin- lässt sich eine ambivalente Dimension des Wortes aufzeigen: Denn es erfüllt sich, was Holofernis nur halbernst befürchtet hatte. Die „Frau“, die unberührt von ihm wegkam, macht ihn lächerlich vor allen (femina vgl. Idt 12,11a–c). Das tut sie jedoch nicht, wie von diesem sarkastisch bemerkt, weil sie von ihm unberührt geblieben ist. Vielmehr wird der hochmütige Feldherr der Lächerlichkeit preisgegeben, weil er von Gott durch die Hand einer scheinbar schwachen Frau besiegt wurde (Idt 13,19e; vgl. auch Idt 16,7). Die Bedeutsamkeit des Folgenden wird durch eine Schwurformel angezeigt: „Aber so wahr der Herr selbst lebt“ (Idt 13,20a). Ähnlich hatte Iudith auch ihre Rede gegenüber Holofernis eingeleitet, um diesen von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen (vgl. Idt 11,5).582 Iudith erklärt dann, dass ein Engel Gottes sie beschützt habe, als sie von Bethulia wegging und sich dort im Lager der Assyrer aufhielt und als sie von dort nach Bethulia zurückkehrte, und Gott habe nicht zugelassen, dass sie, seine Magd, beschmutzt worden ist, sondern ohne Befleckung durch eine Sünde habe er sie zu ihnen, dem Volk von Bethulia, zurückgerufen, froh über seinen Sieg,

579 Vgl. auch 1 Es 4,10 Vg. 580 Vg-spezifisch schreibt die Vg „Herr, unser Gott“, Jdt 13,15 LXX/Hs 151 schreiben einfach „Herr“. 581 Vgl. auch Rakel, Judit, 122. 582 Und ebenso wie gegenüber diesem wird sie in Idt 13,20c die demütige Selbstbezeichnung als „seine Magd“ verwenden (vgl. Idt 11,4b; so bereits in Idt 13,18a).



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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ihr Entrinnen, ihre Befreiung (Idt 13,20b–d). Nach Jdt 13,16 LXX/Hs 151 habe Gott Judit auf dem „Weg“ begleitet, Holofernes sei durch ihr Angesicht verführt worden, habe aber keine Sünde mit ihr begangen. Idt 13,20b–d Vg sind im Vergleich dazu sprachlich und syntaktisch erweitert: Die Vg stellt in den Mittelpunkt, – syntaktisch als Ringstruktur nach dem Schema a–b–a´ dargestellt – dass Gott keine „Beschmutzung“ bei Iudith zugelassen habe (Idt 13,20c). Vg-spezifisch ist darin die Verwendung von permittere „zulassen“. Der Vg-spezifische Schutz des Engels583 (a) wiederholt den Gedanken des Mittelpunkts. Was LXX/Hs 151 als „Weg“ bezeichnen, erweitert die Vg (a) zu Weggang – Aufenthalt im Lager – Rückkehr (Idt 13,20b). Dem korrespondiert die dreifache Feststellung von Sieg – Entrinnen – Befreiung (a´ in Idt 13,20d). Jdt 13,16 LXX/Hs 151 benennen noch einmal die Schönheit Judits, die zum Untergang des Feldherrn geführt hat,584 während die Vg das Motiv der Schönheit auslässt und nur Iudiths unangetastete Keuschheit nennt, zu deren Wahrung Gott sogar einen Engel geschickt hat.

Ein Engel als Beschützer Iudiths Der Engel als Beschützer Iudiths ist ein Vg-spezifischer Zusatz.585 Der „Engel“ (angelus) kommt nur an dieser Stelle innerhalb der Iuditherzählung vor und nur in der Vg. Eine ähnliche Beobachtung war auch schon in dem Vg-spezifischen Zusatz in Idt 8,25 festzustellen (vgl. Idt 8,25). Dort handelt Gott ebenfalls durch eine Mittlerfigur (exterminator „Ausrotter“) an seinem Volk. Die Vg-Fassung des Buches Iudith kennt mithin eine für die Israeliten positive und eine negative Mittlerfigur Gottes. In der Briefliteratur des Hieronymus wird von Engeln berichtet, die als Beschützer (custos) und Begleiter von Jungfrauen auftreten: „Testor Iesum et sanctos angelos eius ipsumque proprie angelum, qui custos fuit et comes admirabilis feminae […]“ Hieronymus, Ep. 108,2 (CSEL 55, 307). „Jesus und seine heiligen Engel rufe ich als Zeugen an, und insbesondere den Engel, welcher Schützer und Begleiter der wunderbaren Frau war […]“586.

583 In der Vg dient das Wort „Engel“ (angelus) immer als Bezeichnung für den göttlichen Boten, für einen menschlichen wird nuntius verwendet; vgl. Crüsemann/Öhler, Botenwesen (Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel), 63. 584 Vgl. dazu auch Miller, Das Buch Judith, 219. 585 Schutz durch einen Engel findet sich bspw. auch in Ex 23,20 Vg und Tob 3,25 Vg; vgl. Gillet, Tobie, Judith et Esther, 436. 586 Hieronymus, Ep. 108,2 (BKV1 15, 97).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Er nennt aber auch einen Engel, der einer Frau im Traum Unheil ankündigt, die es gewagt hat, eine Jungfrau zu verschönern, um sie von ihrem Gelübde abzubringen: „[…] et ecce tibi eadem nocte cernit in somnis uenisse ad se angelum terribili facie minitantem poena, et haec uerba frangentem: ‘tune ausa es uiri imperium praeferre Christo? tu caput uirginis dei sacrilegis adtrectare manibus? quae iam nunc arescent, ut sentias excruciata, quid feceris, et finito mense quinto ad inferna ducaris. sin autem perseueraueris in scelere, et marito simul orbaberis et filiis’ […]“ Hieronymus, Ep. 107,5 (CSEL 55, 296). „[…] Da sah sie in derselben Nacht im Traume einen Engel mit furchterregendem Antlitz. Drohenden Blickes brach er in die Worte aus: ,Du hast es gewagt, deines Mannes Weisung über Christi Befehl zu stellen? Du hast dich unterfangen, das Haupt einer gottgeweihten Jungfrau mit deinen frevlerischen Händen zu berühren? Dafür sollen diese jetzt verdorren, und aus der Schwere der Strafe soll dir der Grad deiner Verfehlung zum Bewußtsein kommen. Nach fünf Monaten wirst du des Todes sein. Beharrst du aber bei deiner Freveltat, dann wirst du auch deines Gatten und deiner Kinder beraubt werden.‘ […]“587

Interessant ist auch, dass die in Keuschheit lebenden Frauen in Hieronymus Briefen in den Rang eines Engels auf Erden, parallel zu den Engeln im Himmel, erhoben werden: „[…] nulla erit rhetorici pompa sermonis, quae te iam inter angelos statuat et beatitudine uirginitatis exposita mundum subiciat pedibus tuis“ Hieronymus, Ep. 22,2 (CSEL 54, 146). „[…] Auch auf rhetorisches Gepräge verzichtet sie, etwa in der Art, daß ich Dich zu den Engeln erhebe, das Glück Deiner Jungfräulichkeit schildere und die Welt zu Deinen Füßen lege“588.

Sogar Iudith wird in Ep. 22 indirekt aufgrund ihrer Keuschheit als Engel bezeichnet: „[…] statim ut filius dei ingressus est super terram, nouam sibi familiam instituit, ut, qui ab angelis adorabatur in caelo, haberet angelos et in terris. tunc Olofernae caput Iudith continens amputauit […]“ Hieronymus, Ep. 22,21 (CSEL 54, 173). „[…] Sobald der Sohn Gottes seinen Eintritt in diese Welt hielt, schuf er sich eine neue Familie, damit er, der im Himmel von den Engeln angebetet wurde, auch Engel auf Erden habe. Eine enthaltsame Judith war es, die damals dem Holofernes das Haupt abschlug […]“589.

587 Hieronymus, Ep. 107,5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 392). 588 Hieronymus, Ep. 22,2 (BKV2 Zweite Reihe 16, 63). 589 Hieronymus, Ep. 22,21 (BKV2 Zweite Reihe 16, 86).



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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Die Textbeispiele zeigen, dass Hieronymus auch über die biblischen Vorlagen hinaus, den Engeln gewisse Funktionen zuordnet, die im Zusammenhang mit dem Schutz von Jungfrauen stehen.

Wahrung der Keuschheit Um Iudiths Tugendhaftigkeit zu betonen, wird in der Vg-Fassung besonders betont, dass diese im assyrischen Lager nicht angetastet worden ist: Vg-spezifisch werden dazu die Wörter pollutio „Befleckung“ (Idt 13,20d), coinquinare „beschmutzen“ (Idt 13,20c) und in diesem Kontext auch peccatum „Sünde“ (Idt 13,20d; vgl. dazu Idt 8,18) verwendet. Die Möglichkeit einer Vergewaltigung wird – wie in Jdt 9,2 – als Schande für die Frau und nicht als Verbrechen an der Frau dargestellt. Überhaupt fallen die sprachlichen Verbindungen zu Jdt 9 auf, wo das Thema der Vergewaltigung unter Verwendung von coinquinare „beschmutzen“ (Jdt 9,2c) mit dem der Tempelschändung unter Verwendung des Vg-spezifischen pollu- „befleck-“ (Jdt 9,11d) verbunden wurde. In Idt 13,20c–d nun werden pollutio „Befleckung“ (Idt 13,20d) und coinquinare „beschmutzen“ (Idt 13,20c) auf das Thema Vergewaltigung hin ausgelegt: So wie Iudith nicht befleckt wurde und rettend eingreifen konnte, wird nun auch der Tempel nicht „befleckt“ und ist gerettet. Idt 13,20d beschreibt Vg-spezifisch die Rettung mit drei Begriffen: victoria „Sieg“, evasio „Entrinnen“ und liberatio „Befreiung“. Der „Sieg“ gilt Gott (sua), das „Entrinnen“ Iudith (mea), die „Befreiung“ dem Volk Israel (vestra). Das Lexem victor- „Sieg-“ kommt noch in Idt 15,8; 16,22.24.31 vor und ist stets Vg-spezifisch. Evasio „Entrinnen“ ist einmalig in der gesamten Vg. Liberatio „Befreiung“ kommt nur noch in Idt 12,8 vor.590 Über diese Rettung wird in Vg-spezifischer Hinzufügung ausgesagt, dass jemand „erfreut“ darüber war (gaudentem, Idt 13,20d). Wer Subjekt dieser Freude über die Rettung ist, wird nicht gesagt, aber Grammatik und Kontext des Satzes legen nahe, dass es sich dabei um Gott handeln muss. Demnach spricht Iudith Gott hier die Emotion der Freude und damit eine leidenschaftliche Anteilnahme an der Situation seines Volkes zu, wohingegen LXX/Hs 151 Judit überhaupt keine Emotionen schildern lassen. Nur in der Vg-Fassung schließt Iudiths Rede mit einer Aufforderung zum Bekenntnis zu Gott, weil er gut sei und weil sein Erbarmen in Ewigkeit währe (Idt 13,21a–c). Dieses Bekenntnis ist nahezu identisch zu dem Lobpreis in Ps 117,1

590 Thielmann bemerkt, dass Hieronymus das ihm sonst fremde liberatio mehreren Vetus Latina Hss entnommen hat; vgl. Thielmann, Textkritik der Vulgata, 25.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Vg: confitemini Domino quoniam bonus quoniam in saeculum misericordia eius.591 Erneut charakterisiert Iudith Gott, Vg-spezifisch als „gut“ und „barmherzig“: Über die intratextuelle Verwendung von misericordia „Barmherzigkeit“ bestätigt sich im Nachhinein, was Iudith den Ältesten (Idt 8,12.17) und auch Gott gegenüber (Idt 9,17; 13,18) in ihrer theologischen Lehrrede und ihrem Gebet erklärt hatte (vgl. Idt 8,12). Im Folgenden werden sich erst das Volk, dann die Ältesten und Achior zu Gott bekennen, wie von Iudith gefordert.

3.9.1.3 Lobpreis Iudiths durch das Volk und Ozias (Idt 13,22a–26b) Die erste Reaktion des Volkes beginnt mit einer Redeeinleitung. Das ganze umherstehende Volk spricht, den Herrn verehrend, zu Iudith (Idt 13,22a592 vgl. zu adorare Idt 8,18): Der Herr habe sie mit seiner Kraft gesegnet, weil er durch sie ihre Feinde vernichtet habe (Idt 13,23a). Vg-spezifsch sind die Verwendung des Leitworts virtus „Kraft“ (vgl. Idt 9,14; 10,4.8)593 und die Bestätigung, dass Gott die Vernichtung durch Iudith herbeigeführt habe. Interessant ist auch, dass Iudith nur in der Vg durch das Volk gesegnet wird. In Idt 13,17 LXX/Hs 151 hingegen erhält Gott für die Vernichtung der Feinde einen Lobpreis. Auch Ozias, der in der Redeeinleitung in Vg-spezifischer Hinzufügung als „Fürst des Volkes Israel“ bezeichnet wird (Idt 13,23a; vgl. Idt 8,34a; 12,10a–c), spricht seinen Lobpreis aus – eine Vg-spezifische Stärkung der Position der Obrigkeiten ist durch die zusätzliche Verwendung des Titels nicht ganz von der Hand zu weisen.594 Der Lobpreis wird erst auf Iudith, dann auf Gott ausgesprochen: „Gesegnet bist du, Tochter, vom Herrn, dem erhabenen Gott, vor allen Frauen auf der Erde“ (Idt 13,23b). Gott wird erst- und einmalig im Buch Iudith mit dem Titel Domino Deo excelso angesprochen. Idt 13,23b entspricht Jdt 13,18 LXX/Hs 151, wobei Idt 13,18 Hs 151 um Deo verkürzt.595 Iudith wird aufgrund ihrer Tat vor allen Frauen hervor-

591 Ähnlichkeiten sind auch zu dem Lobpreis in Ps 135,1 Vg und zu 1 Chr 16,34 Vg, einem Vers innerhalb des Lobpreises Gottes, das David im Zuge der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem anordnet, sowie zu 2 Chr 5,13 Vg gegeben: […] confitemini Domino quoniam bonus quoniam in aeternum misericordia eius […]; vgl. dazu auch Zenger, Das Buch Judit, 510; Miller, Das Buch Judith, 219. 592 Die Vg streicht die Bemerkung aus Jdt 13,17 LXX/Hs 151, nach der das Volk außer sich gerät. 593 Durch die Verwendung von virtus „Kraft“ wird angezeigt, dass eingetroffen ist, was die Ältesten Iudith in Idt 10,8 bei ihrem Weggang gewünscht haben und was sie auch selbst von diesem in Idt 9,14 erbeten hatte. 594 Ungeachtet dessen werden alle Ältesten in Idt 6,11 Vg//6,10 Hs 151 als principes bezeichnet. 595 Excelsus „erhaben“ kommt noch zwei Mal in profanen Kontexten vor (Idt 2,14; 16,8).



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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gehoben. Nur die Lesenden der Vg werden dadurch an die praefatio zum Buch Iudith erinnert, wo Iudith als Vorbild für Frauen und sogar für Männer bezeichnet wird (Z. 10 praefatio zum Buch Iudith). Auch Jaël wird nach der Tötung des Sisera gepriesen (Ri 5,24). Gott wird als Schöpfergott und erneut als aktiver Retter Israels gepriesen: „Gepriesen sei der Herr, der den Himmel und die Erde geschaffen hat, der dich geleitet hat bei der Verwundung des Kopfes des Fürsten unserer Feinde“ (Idt 13,24a–c; vgl. zum Schöpfungskontext Idt 9,17).596 Weiter wird der Grund für den Lobpreis Gottes ausgeführt: Dieser sei, dass Gott heute Iudiths Namen so erhoben habe, dass ihr Lob nicht aus dem Munde der Menschen schwinde (Idt 13,25a–b). Die Israeliten würden der Kraft Gottes für immer gedenken, für die Iudith ihr Leben wegen der Nöte und der Bedrängnis ihres Volkes nicht geschont habe, sondern dem Untergang vor dem Angesicht Gottes entgegengetreten sei (Idt 13,25c–e). Idt 13,25 Vg weist sprachliche Unterschiede zu Jdt 13,19–20 LXX597 auf. Jdt 13,19–20 LXX enthält jedoch nur zusätzlich die Information, dass Gott Judit mit Gütern für ihre Tat belohnen werde. Idt 13,19– 20 Hs 151 orientiert sich eher an Idt 13,25b–e.598 Idt 13,25a ist ein Vg-spezifischer Zusatz: Die Wörter magnificare „erheben“ und hodie „heute“ verweisen auf Idt 12,18c zurück, wenn Iudith gegenüber Holofernis erwähnt, dass der Herr ihre Seele an eben diesem Tag erhoben habe. Es fällt auf, dass Idt 13,25b os „Mund“ verwendet. Das Wort kann sich sowohl auf das Körperliche, als auch auf die Schneide des Schwertes beziehen (vgl. Idt 9,18): Hier wird der Lobpreis durch die Völker verkündet, verweist aber auf die Tat, die Iudith mit der Schneide des Schwertes vollbracht hat. Memor- „erinn-“ verweist auf die Taten der Erzväter und des Mose, in deren Tradition Iudith nun gestellt wird (vgl. Idt 9,18), die mit ihrer Tat, wie in Idt 9,15a angekündigt, ein Denkmal (memorialis) für den Namen Gottes errichtet hat.599

596 Ein ähnlicher Lobpreis auf Gott ist in 2 Chr 2,12 Vg enthalten. 597 Jdt 13,19 LXX: „Deine Hoffnung wird in Ewigkeit nicht schwinden aus den Herzen der Menschen, die der Stärke Gottes eingedenk sind. 20 Und Gott möge dir es zu ewigem Ruhm machen, indem er dich heimsucht mit Gütern, dafür dass du dein Leben nicht geschont hast angesichts der Niedrigkeit unseres Volkes, sondern unserem Fall entgegengetreten bist, wobei du auf geradem (Weg) vor unserem Gott gegangen bist.“ 598 Auffällig sind einzelne Wörter, die variieren: So schreibt Idt 13,25c Vg in aeternum „auf ewig“ statt wie Idt 13,20 Hs 151 in sempiternum „für immer“ (so auch in Idt 15,11 Vg). 599 Die Formulierung non pepercisti „du hast nicht geschont“ verweist auf Gen 22,16 Vg, wenn der Engel Gottes feststellt, dass Abraham ihm nicht seinen Sohn Isaak vorenthalten hätte. Vgspezifisch war diese Erzählung bereits in Idt 8,21 eingespielt worden (vgl. Idt 8,21e.f); vgl. dazu auch Zenger, Das Buch Judit, 510; Schmitz/Engel, Judit, 379.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Interessant ist, dass Idt 13,25d angustia „Mangel“ und tribulatio „Schwierigkeit“ (vgl. Idt 8,22c.23a2) verwendet, während die Hs 151 das in der Vg speziell konnotierte humilitas „Demut“ (vgl. Idt 8,16a) schreibt. Angustia und tribulatio finden sich kombiniert auch in Zef 1,15; Jes 30,6; Ps 118,143; Weish 1,27; Ijob 15,24; Röm 2,9; 8,35; 2 Kor 2,4 Vg und sind damit eine gängige Kombination, um die Not des Volkes Israel zu bezeichnen. Diese Not will auch Idt 13,25d beschreiben. Dazu wenig geeignet wäre humilitas „Demut“, das in der Vg für das rechte Verhalten der Selbsterniedrigung vor Gott steht (vgl. Idt 8,16a). Die Rede des Ozias wird vom Volk, nach einer weiteren Redeeinleitung (Idt 13,26a, akklamiert: „Es geschehe, es geschehe!“ (Idt 13,26b; vgl. Idt 10,9c).600 Dass die Vg mit Hs 151 das Wort fiat gebraucht, um die Volksakklamationen zu beschreiben, ist auffällig. Volksakklamationen werden im HT mit dem Wort ‫אמן‬ beschrieben, wofür die LXX in der Regel γένοιτο und die Vg amen schreibt.601 Jdt 13,26 LXX schreibt ebenfalls γένοιτο.

3.9.2 Achiors Reaktion (Idt 13,27a–31b2) Die nächste Szene beginnt mit dem Hinzugerufenwerden Achiors, mit dem Iudith spricht (Idt 13,27a): Die Vg zieht diese Szene in Idt 13,27a–31b2 interessanterweise im Vergleich zu LXX/Hs 151 vor. LXX/Hs 151 berichten erst nach dem Befehl Iudiths zur Eroberung des assyrischen Heerlagers (Jdt 14,1–4 LXX/Hs 151//Idt 14,1a–5c Vg) vom Hinzukommen Achiors (Jdt 14,5–9 LXX/Hs 151). Es fällt auf, dass die Hs 151 genau der Reihenfolge der LXX folgt, während nur die Vg die Szenen umstellt. Die Textfassungen treffen inhaltlich erst in Idt 13,29a bzw. Idt 14,6 und Jdt 14,10 LXX/Hs 151 wieder zusammen, wenn die Reaktion Achiors auf das Vorzeigen des Kopfes geschildert wird. Die Vg enthält einen längeren Vg-spezifischen Zusatz, der im Wesentlichen aus der wörtlichen Rede Iudiths an Achior in Idt 13,27c1–28g besteht. Diese wird in Jdt 14,8 LXX/Hs 151 nur erwähnt. Statt einer solchen Rede schildern Jdt 14,5–6 LXX/Hs 151 in einer retardierenden Breite, dass Judit zunächst befiehlt, den Ammoniter Achior zu rufen, der daraufhin gerufen wird und schließlich kommt. Die Vg schreibt nur, dass Achior gerufen wurde (Idt 13,27a). Nur die Vg lässt Iudith – wie zuvor gegenüber dem Volk (Idt 13,17b.21c) – zuerst von der Tat berichten und dann erneut den Kopf als Beweis vorzeigen. Iudith preist Gott als den Gott Israels (Deus Israhel), von dem Achior Zeugnis

600 Vgl. dazu auch Zenger, Das Buch Judit, 510. 601 So z.B. in Dtn 27,15.16.17.18.19.20.21.22.23.24.25.26 etc.



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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gegeben habe, dass er sich an seinen Feinden rächt (Idt 13,27c1–e). Sie betont noch einmal, dass Gott den Kopf aller Ungläubigen in dieser Nacht durch ihre Hand abgeschlagen habe (Idt 13,27c2). Das Vg-spezifische Wort „Ungläubiger“ (in Idt 13,27c2) wird im Plural verwendet, obwohl nur Holofernis der Kopf abgeschlagen wurde. Dies kann als Hervorhebung der Tat verstanden werden oder als Vorausdeutung auf das weitere Schicksal der Assyrer. Im Folgenden werden eine Reihe Vg-spezifischer Vernetzungen aufgezeigt, die sich innerhalb der Vg-Fassung des Buches Iudith profilbildend auswirken und neue Sinnlinien konstruieren: Durch die Erwähnung des „Zeugnisses“ Achiors in Idt 13,27d wird auf Idt 5,24–25 verwiesen, wo Achior vor Holofernis das Eingreifen Gottes für sein Volk, wenn dieses nicht gesündigt habe, beschreibt. Testimonium „Zeugnis“ ist Vg-spezifisch und nur in Idt 13,27d gebraucht. Auch ulciscor „rächen, vergelten“ wird in Idt 13,27e Vg-spezifisch verwendet. Das Motiv des Rächens kommt innerhalb der Iuditherzählung mehrfach vor: So hatten die Ältesten Iudith bei ihrem Weggang aus Bethulia den Beistand Gottes für ihre Vergeltung (ultio) an den Feinden (inimicus) gewünscht (Idt 8,34c). Zudem wird die Ankündigung des Holofernis, dass er Rache (ultio; in Idt 6,6 ebenfalls Vgspezifisch) an Achior nehmen werde (Idt 6,6), als falsche Prophezeiung entlarvt. Die Vg-spezifische Verwendung von incidere „abschlagen“ in Idt 13,27c2 verweist nicht ohne Ironie zwei Mal auf kriegerische Anordnungen des Holofernis (Idt 2,17; 7,6). Durch die Wiederholung des Leitmotivs manus „Hand“ wird erneut betont, dass Gott durch Iudith handelt. Iudith zeigt Achior den Kopf des Holofernis und sagt: „Damit du als erwiesen siehst, dass es so ist, siehe, da ist der Kopf des Holofernis, der in verachtender Selbstüberhebung den Gott Israels verachtet hat und dir den Untergang androhte […]“ (Idt 13,28a–e). Das sündhafte Verhalten des Holofernis und der Assyrer wird zum wiederholten Male als superbia „Hochmut“ bezeichnet (so auch in Idt 6,15; 8,17; 9,12.16; 13,28; vgl. Idt 8,17). Ironischerweise leitet Iudith hier Vg-spezifisch durch probare „prüfen“ das Vorzeigen des Kopfes mit demselben Wort ein, wie zuvor Holofernis, das wahre Gottsein des Nabuchodonosor und kurz darauf die Ankündigung des bevorstehenden Todes Achiors in Idt 6,4. Contemnere „jemanden verachten“ kommt in Idt 13,28d Vg-spezifisch und als figura etymologica vor. Das Wort bezeichnet hier das missachtende Verhalten des Holofernis, das diesen in seinen Untergang geführt hat. Contemnere ist ein wichtiges Leitwort der Iuditherzählung und kommt noch weitere sechs Male vor: Es beschreibt die Missachtung des Nabuchodonosor durch die Völker des Ostens (Idt 2,5), sowie die durch die Israeliten (Idt 5,4; 10,12; 11,2), den Wunsch Iudiths Holofernis geringzuschätzen (Idt 9,14) und das Nicht-Mißachten-Können der Israeliten aufgrund ihrer schönen Frauen durch die Assyrer (Idt 10,18). Das Wort, das anfänglich zur Beschreibung des militärischen Vorgehens der Assyrer gebraucht

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

wurde, dient nun dazu, den Niedergang des Holofernis zu benennen (mit Ausnahme von Idt 9,14). „Indem er sagte“ (Idt 13,28e) leitet eine Rede in der Rede Iudiths ein.602 Iudith wiederholt darin die Androhung des Holofernis gegenüber Achior (Idt 6,4603): „Sobald das Volk Israel gefangen ist, werde ich anordnen, deine Seiten mit dem Schwert zu durchbohren.“ (Idt 13,28f–g). Idt 6,4 und Idt 13,28 verwenden die Wörter gladius „Schwert“ und latus „Seite“. Von einer Gefangennahme des Volkes Israel hingegen spricht Holofernis in Idt 6 nicht, sondern vielmehr von Vernichtung (Idt 6,3) und von Verwundung (Idt 6,4). Indem Iudith den Kopf zeigt, während sie die Worte des Holofernis wiederholt, charakterisert sie diese auf polemische Weise als inhaltsleer. In Idt 13,29a wird die Reaktion Achiors auf das Vorzeigen des Kopfes geschildert, der in Panik gerät und vor Entsetzen mit seinem Gesicht auf die Erde fällt, und seine Seele kocht (Idt 13,29a–b). Idt 13,29–31 Vg entsprechen weitgehend Jdt 14,6–8 LXX/Hs 151: Jdt 14,6 LXX/Hs 151 lässt den Kopf in den Händen eines Mannes aus der Menge halten und berichtet dann vom Niederfallen auf das Gesicht und dem Ohnmächtigwerden Achiors. Auffälligerweise ist die Reaktion Achiors in dieser wichtigen Szene in der Vg emotionaler dargestellt. Da die Vg davon nichts weiß, ist anzunehmen, dass Iudith den Kopf beim Vorzeigen in der Hand hält. Diese Vg-spezifische Szene, in der Iudith den Kopf des Holofernis von einem erhöhten Punkt (ebenfalls Vg-spezifisch) inmitten der Menschenmenge hält, hat auch Künstler inspiriert: So z.B. Francesco Solimena „Der Triumph der Judith“ (um 1730) oder Lovis Corinth „The Return of Judith“ (1910). Nachdem Achior die Besinnung wieder gewonnen und sich erholt hat, fällt er Iudith zu Füßen und huldigt ihr (Idt 13,30a–d). In Jdt 14,7 LXX/Hs 151 wird Achior hochgehoben. In der Vg hingegen wird er offenbar von alleine wieder wach, wie das Vg-spezifisch hinzugefügte Wort postea „später“ andeutet. Auch recreatus „erholt“ ist einmalig und Eigengut der Vg. Das Verb adorare „verehren“ im

602 Durch interitum „Untergang“, das in Idt 13,28e die Ankündigung des Untergangs des Achior durch Holofernis beschreibt, wird Vg-spezifisch auf die wohlwollende Ermunterung Achiors durch das Volk Israel angespielt, nach der Achior den Untergang der Assyrer erleben werde (Idt 6,17). 603 Idt 6,4 Vg: „[…] Und dann wird das Schwert meines Heeres deine Seiten durchdringen […]“ ([…] tuncque gladius militiae meae transiet per latera tua [...])“.



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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Kontext des Niederwerfens bringt die tiefe Bewegung Achiors zum Ausdruck.604 Achiors Reaktion dient auch dazu, den Kopf des Holofernis zu identifizieren.605 Dann spricht Achior einen Segen und einen Lobpreis auf Iudith aus: Iudith sei gesegnet durch ihren Gott in jedem Zelt Jakobs. Denn in jedem Geschlecht, das ihren Namen hören werde, werde Israel Gott wegen ihr preisen (Idt 13,31a–b2). Jdt 14,7 LXX/Hs 151 schreiben „Juda“ satt „Jakob“ und, dass alle, die Judits Namen hören, erschüttert sein werden.606 Jdt 14,8–9 LXX/Hs 151 lassen Achior Judit dann bitten, ihre Geschichte zu erzählen, was sie – ohne wörtliche Rede – tut und wonach das Volk in großen Jubel ausbricht. Davon weiß die Vg nichts. Bereits in Idt 13,27c1–28g hatte Iudith dem Achior in einer wörtlichen Rede von ihrer Tat erzählt.

3.9.3 Iudiths Befehl (Idt 14,1a–5c) Dann wendet sich Iudith mit einem Auftrag zur endgültigen Vertreibung der Assyrer an das ganze Volk (Idt 14,1a–5c).607 Nach einem Höraufruf („Hört mich an, Brüder!“ Idt 14,1a) befiehlt sie den Kopf des Holofernis an die Mauern von Bethulia zu hängen (Idt 14,1a).608 Es fällt auf, dass Vg/Hs 151 „unsere Mauer“, die LXX aber „eure Mauer“ schreibt und Judit damit nicht mehr an der Vernichtung der Assyrer beteiligen will.609 Die Ankündigung „und es wird so sein“ (Idt 14,2a) leitet zu Iudiths Plan über: „Wenn die Sonne aufgegangen ist, soll ein jeder seine Waffen aufneh-

604 Das Wort dient innerhalb der Iuditherzählung meist der Verehrung Gottes (vgl. Idt 6,14; 8,18; 13,22; 16,22), aber auch der eines Unterlegenen dem Höhergestellten gegenüber (Idt 10,20; vgl. Idt 10,20). 605 So auch Zenger, Das Buch Judit, 511. 606 Jdt 14,7 LXX: εὐλογημένη σὺ ἐν παντὶ σκηνώματι Ιουδα καὶ ἐν παντὶ ἔθνει οἵτινες ἀκούσαντες τὸ ὄνομά σου ταραχθήσονται. Damit weist die LXX eine große Ähnlichkeit zu der Gottesrede an Mose in Dtn 2,25 LXX und auch zu Dtn 2,25 Vg (οἵτινες ἀκούσαντες τὸ ὄνομά σου „die, die deinen Namen hören“; ut audito nomine tuo) auf, nicht aber zu Dtn 2,25 HT, wo das Motiv des Namens durch „Kunde“ ersetzt ist. Auch die Vg verwendet das Motiv des „Namens“ (nomen) Iudiths, aber der Lobpreis gilt – statt Iudith – Gott: Es ist Gott, der beim Hören des Namens gelobt werden soll. Damit ist für die Vg die Nähe zu Dtn 2,25 nicht mehr evident. 607 In Jdt 14,1 LXX/Hs 151 wendet sich Judit unbestimmt an „jene“. 608 Jdt 14,1 LXX/Hs 151 formulieren den Befehl doppelt: Die Brüder sollen den Kopf nehmen und ihn dann an die Mauer hängen, Vg kürzt um den Nimm-Befehl. LXX spezifiziert ἐπὶ τῆς ἐπάλξεως „an der Zinne eurer Mauern“, Hs 151 schreibt versöhnlich „meine Brüder“. 609 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 511; so auch Schmitz/Engel, Judit, 380.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

men“ (Idt 14,2a–c).610 Gottes Hilfe am Morgen verweist auf den Exodus: Iudiths Tat geschieht in der Nacht, wie die Tat Gottes in der Pesachnacht (Ex 11,4; 12,12.20.29.31); die Vernichtung der Assyrer findet am darauf folgenden Morgen statt, so wie die der Ägypter im Meer (Ex 14,21–28).611 Dann ordnet Iudith an, dass die Israeliten mit Angriffsungestüm hinausziehen sollen, nicht um wirklich abwärts hinabzusteigen, sondern als ob sie einen Angriff machten (Idt 14,2d–f). Der vergleichende Blick auf Jdt 14,2 LXX/Hs 151 ist hier besonders interessant, weil die Vg den Text durch wenige Wortänderungen und die Hinzufügung von impetus „Angriff“ so variiert, dass der Sinn deutlicher zum Vorschein kommt.612 Der Plan, den Angriff nur vorzutäuschen, ist in Jdt 14,2 LXX/Hs 151 weniger explizit und muss aus dem Kontext erschlossen werden. Die Späher – die die Vorgänge in Bethulia überwachen – würden zuerst zu ihrem Fürsten flüchten (wenn sie die anrückenden Israeliten sehen), um ihn zum Kampf zu wecken (Idt 14,3a–b). Auch Idt 14,3 Vg erscheint wie eine Vereinfachung von Jdt 14,3 LXX, wo berichtet wird, dass die Späher ihre Rüstung aufnehmen und in ihr Lager gehen werden, um die Feldherrn der Streitmacht Assurs zu wecken. Hs 151 streicht diesen Gedanken ganz. Nachdem die Späher von den angreifenden Israeliten berichtet hätten, würden dann die assyrischen Anführer zum Zelt des Holofernis rennen und ihn dort verstümmelt in seinem Blute gewälzt finden und Furcht würde auf sie fallen. (Idt 14,4a–b). Die Vg weiß im Vergleich zu Jdt 14,3 LXX/Hs 151 nichts davon, dass die Späher ihre ganze Rüstung aufnehmen und zunächst die Feldherren der Streitmacht Assurs wecken, bevor sie dann zusammen zum Zelt des Holofernes laufen. Während nun Jdt 14,3 LXX/Hs 151 schreiben, dass Holofernes in diesem Zelt nicht gefunden werde, findet sich in der Vg die genau gegenteilige Information, dass man den Feldherrn „verstümmelt, in seinem Blut gewälzt“ vorfinden würde. Truncus „verstümmelt“ kommt nur noch in Idt 13,10d in gleicher Funktion vor und verweist damit zurück auf die Tötungsszene (vgl. Idt 13,10d).

610 Jdt 14,2 LXX ist um zwei Gedanken erweitert: „sobald der Morgen aufleuchtet“ (ἡνίκα ἐὰν διαφαύσῃ ὁ ὄρθρος) und die Sonne herauskommt „auf die Erde“ ἐπὶ τὴν γῆν. Die enthält auch Idt 14,2 Hs 151 nicht. 611 Vgl. Zenger, das Buch Judit, 511; Haag, Studien zum Buche Judit, 104. 612 Jdt 14,2 LXX: […] ἀναλήμψεσθε ἕκαστος τὰ σκεύη τὰ πολεμικὰ ὑμῶν καὶ ἐξελεύσεσθε πᾶς ἀνὴρ ἰσχύων ἔξω τῆς πόλεως καὶ δώσετε ἀρχηγὸν εἰς αὐτοὺς ὡς καταβαίνοντες ἐπὶ τὸ πεδίον εἰς τὴν προφυλακὴν υἱῶν Ασσουρ καὶ οὐ καταβήσεσθε, […] werdet ihr alle eure Kriegswaffen aufnehmen und hinausgehen außen vor die Stadt, jeder (dazu) fähige Mann, und ihr werdet einen Anführer über sie stellen, (und so tun,) als ob ihr hinunterzöget in die Talebene gegen den Vorposten der Assyrer, und ihr werdet nicht hinunterziehen. Vgl. Idt 14,5a–b Vg.



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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Was Iudith in Idt 14,4a–b ankündigt, wird sich in Idt 14,7a1–18a erfüllen: Sanguis „Blut“ verweist auf Idt 14,14b vor, wenn Bagao den Tod seines Herrn entdecken wird und auf Idt 8,20b zurück, wo Iudith den Ältesten angekündigt hat, Gott werde das Blut der Israeliten nach den Untaten der Feinde erforschen, d.h. er werde herausfinden, wie viel Blut vergossen wurde. Die „Furcht“ (timor), die nun auf die Assyrer fallen soll, verweist auf Idt 2,18, wo von der Furcht der Völker aufgrund der Assyrer die Rede war.613 Wenn die Israeliten erkennen würden, dass die Assyrer fliehen, sollen sie hinter ihnen hergehen, unbesorgt, denn der Herr werde sie unter ihren Füßen zertreten (Idt 14,5a–c). Das Erkennen des Fliehens ist ein Vg-spezifischer Zusatz. Nach Jdt 14,4 LXX/Hs 151 sollen die Israeliten den fliehenden Assyrern folgen. Vg-spezifisch ist auch die Hinzufügung von securus „unbesorgt“, als beschwichtigender Hinweis an die Israeliten sowie die Ankündigung, dass der Herr die Fliehenden unter seinen Füßen zertreten werde. Conterere „zerreiben zerdrücken“ (vgl. Georges-LDHW, Bd. 1, 1239–1240) kommt nur noch in Idt 9,10; 16,3 vor, wenn Iudith feststellt, dass Gott, ein Gott ist, der Kriege zerbricht. Mithin wird hier angedeutet, dass das Zerbrechen des Krieges in diesem Fall mit Gottes Hilfe durch einen Sieg über die fliehenden Assyrer erreicht wird. Jdt 14,4 LXX/Hs 151 schreiben stattdessen, dass die Israeliten sie niederstrecken würden.

3.9.4 Achiors Konversion (Idt 14,6a–d) In der Vg wird im Anschluss an Iudiths Rede die Konversion des Ammoniters Achior erzählt. In Jdt 14,10 LXX/Hs 151 hingegen wird die Konversion Achiors nach der Rede Judits, an deren Ende sie Achior rufen lässt (Jdt 14,1–5 LXX/ Hs 151), dem Herbeirufen Achiors und seiner Reaktion auf Judit (Jdt 14,6–9 LXX/ Hs 151) beschrieben:614 „Da verließ Achior, als er die Tat sah, die der Gott Israels vollbracht hatte, die Religion des Heidentums und glaubte an Gott und beschnitt das Fleisch seiner Vorhaut und wurde zum Volk Israel hinzugefügt, auch die gesamte Nachkommenschaft seiner Familie, bis zum heutigen Tag“ (Idt 14,6a–d).615 Jdt 14,10 LXX/Hs 151 schreiben, dass Achior, als er alles sah, was der

613 Idt 4,2 verwendet tremor und horror für die Furcht der Israeliten. 614 Entgegen der Bestimmungen in Dtn 23,4; vgl. dazu Haag, Studien zum Buche Judith, 54. Jdt 14,8 LXX/Hs 151 schreiben nur, dass Iudith eine Rede gehalten hat. 615 Es fällt auf, dass zum Ausdruck der Kraft Gottes hier das Leitwort virtus Verwendung findet, womit Iudith das zugestanden wird, worum sie in Idt 9,14 gebeten hatte (vgl. Idt 9,14; 10,4).

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Gott Israels getan hatte, fest an Gott glaubte und sein unbeschnittenes Fleisch beschnitt und dem Haus Israel hinzugefügt wurde bis zum heutigen Tag. Zwei Vg-spezifische Zusätze finden sich in Idt 14,6a–d: Bei der auffälligen Formulierung relicto gentilitatis ritu handelt es sich um einen Vg-spezifischen Zusatz, durch den die Vg die Konversion unter gleichzeitiger Abwertung der anderen Religionen beschreibt.616 Eine vergleichbare Vg-spezifische Abänderung findet sich in Idt 5,8: Dort hatte Achior selbst in seiner Rede an Holofernis betont, dass die Israeliten einst die Riten ihrer Väter, und damit den Polytheismus, verließen um dem einen Gott zu folgen (deserentes itaque caerimonias patrum suorum quae in multitudine deorum erant Idt 5,8) – die gleiche Handlung, die nun von ihm selbst vollzogen wird. Möglicherweise ist für den Vg-spezifischen Zusatz in Idt 14,6a nicht unerheblich, dass an der Schwelle zum 5. Jh. viele altgläubige ‚Heiden‘ zum Christentum konvertieren.617 Der zweite Vg-spezifische Hinweis ist, dass die Konversion auch für die gesamten Nachkommen des Achior gilt (Idt 14,6d). Mit der Konversion geschieht nun, was in Idt 6,16–18 durch das Volk nach der Aufnahme Achiors bereits in einem Vg-spezifischen Zusatz angedeutet wurde, nämlich dass dieser sich mit all den Seinen in ihrer Mitte aufhalten werde ([…] et tecum Deus in medio nostri ut sicut placuerit tibi ita cum tuis omnibus converseris Idt 6,18) oder anders formuliert, dass dieser in die Gemeinschaft Israels aufgenommen werde.618 Holofernis hatte im Kontrast dazu angekündigt, dass die Gemeinschaft von Achior und den Israeliten im Tod aller enden würde (Idt 6,6).619

Fazit Idt 13,14a–31b2 enthalten eine Reihe von Vg-spezifischen Besonderheiten. Dass Iudith im assyrischen Lager keine Schande erfahren hat, wird in der Vg-Fassung durch mehrere Wörter betont: durch das Vg-spezifisch hinzugefügte pollutio „Befleckung“ (Idt 13,20d), durch coinquinare „beschmutzen“ (Idt 13,20c) und durch peccatum „Sünde“ (Idt 13,20d). Auch in Idt 9,11d war pollu- Vg-spezifisch hinzugefügt, wo es die geplante Tempelschändung durch die Assyrer beschreibt. Mit coinquinare „beschmutzen“ wird in Idt 9,2 die Vergewaltigung der Jakobtoch-

616 Das Lexem gentil- „heid-“ hat intratextuell mit etwa vierundzwanzig Vorkommen nur wenige Belege und kommt nur in den ursprünglich griechischen Schriften, davon siebzehn Mal im NT vor. 617 Für diese Anregung danke ich Franz Dünzl. 618 Obwohl die Vg das weiter ausbaut, zieht Zenger den gleichen Schluss für Jdt 14,5 LXX und Jdt 6,20 LXX; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 511. 619 Diese Gemeinschaft wird Vg-spezifisch betont ([…] ecce ex hac hora illorum populo sociaberis […]). Vgl. dazu auch Miller, Das Buch Iudith, 222.



3.9 Iudiths Ankunft in Bethulia (Idt 13,14a–14,6d) 

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ter Dina eingespielt – als Schicksal, das auch Iudith bevorstehen könnte. Die Kombination der Begriffe in Idt 13,20c–d deutet an, dass weder Iudith noch der Tempel eine Schande erlitten haben. Besonders auffällig ist auch, dass nur die Iudith der Vg einen „Engel“ als göttliche Mittlerfigur benennt, der zu ihrem Schutz abbestellt worden sei. Dieser kommt an keiner weiteren Stelle innerhalb der Iuditherzählung vor und nur in der Vg-Fassung.620 Auch in der hieronymianischen Briefliteratur ist zu lesen, dass Engeln immer wieder die Aufgabe des Schutzes von Jungfrauen zukommt. Iudith wird darin indirekt aufgrund ihrer Keuschheit als Engel bezeichnet (vgl. Idt 13,20b). Ein Engel als Begleitung hat – neben dem Schutz der Jungfrau – in den hieronymianischen Briefen die Funktion die Auserwähltheit der Figur zu betonen und steht in direktem Zusammenhang mit der asketischen Keuschheitsidee. Nur in der Vg-Fassung schließt Iudiths Rede mit dem Aufruf zum Bekenntnis zum guten und barmherzigen (misericordia) Gott, der sich „erfreut“ über die Rettung – victoria „Sieg“, evasio „Entrinnen“ und liberatio „Befreiung“ – gezeigt hat (Idt 13,21a–d):621 Hier wird noch einmal explizit zum Ausdruck gebracht, dass Gott die erhoffte „Barmherzigkeit“ gezeigt hat (Idt 8,12.17; 9,17; 13,18).622 Der Hinweis über die Freude Gottes (gaudentem Idt 13,20d) zeigt Iudiths gottesnahe Beziehung, die dem Volk sogar von dessen Emotionen erzählt. Idt 13,25d benennt die Not des Volkes Israel mit angustia „Mangel“ und tribulatio „Schwierigkeit“ (vgl. Idt 8,22c.23a2), wohingegen die Hs 151 humilitas „Demut“ schreibt. Humilitas „Demut“ aber bezeichnet in der Vg-Fassung nicht die Not des Volkes, sondern mehrfach Vg-spezifisch das rechte Verhalten vor Gott (vgl. Idt 8,16a). Die Vg variiert die Chronologie der Erzählung, indem sie die Szene, in der Iudith auf Achior trifft (Idt 13,27a–31b2), im Vergleich zu LXX/Hs 151 vorzieht. Diese wird in LXX/Hs 151 erst nach dem Angriffsbefehl Iudiths auf das assyrische Heerlager (Jdt 14,1–4 LXX/Hs 151//Idt 14,1a–5c) in Jdt 14,6 LXX/Hs 151 geschildert. Die Hs 151 folgt der Reihenfolge der LXX, während nur in der Vg Umstellungen zu

620 Das ist nach dem „Ausrotter“ exterminator in Idt 8,25 die zweite Vg-spezifisch hinzugefügte Mittlerfigur. 621 Vgl. dazu Ps 117,1; 135,1; 1 Chr 16,34 Vg. 622 Das Vg-spezifische Lexem victor- „Sieg-“ kommt noch in Idt 15,8; 16,22.24.31, liberatio „Befreiung“ nur noch in Idt 12,8 vor. Evasio „Entrinnen“ ist einmalig in der gesamten Vg.

320 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

finden sind. In Idt 13,27c1–28g findet sich im Wesentlichen eine wörtliche Rede Iudiths an Achior.623 Jdt 14,8 LXX/Hs 151 kennen diese wörtliche Rede nicht.624 Wenn Iudith dem Achior den Kopf des Holofernis zeigt (Idt 13,28), dann weist die LXX eine auffällige Abweichung zu LXX (und Hs 151, die gar nichts davon schreibt) auf. Während Jdt 14,6 LXX den Kopf in den Händen eines Mannes aus der Menge halten lässt, ist für die Vg anzunehmen, dass Iudith den Kopf von ihrer erhöhten Position inmitten der Menschenmenge aus in der Hand hält. Diese Vg-spezifische Szene hat auch in der darstellenden Kunst mehrfach ihren Ausdruck gefunden. Auch erfährt der Lesende in der Vg mehr über die Emotionen Achiors, der – zutiefst bewegt – in Panik geraten mit dem Gesicht auf die Erde fällt und dessen Seele kocht (Idt 14,6). Im Rahmen seiner Konversion findet sich die auffällige Formulierung relicto gentilitatis ritu (Idt 14,6). Dabei handelt es sich um Eigengut der Vg-Fassung, das auf Idt 5,8 verweist, wo Achior die Konversion der Israeliten unter gleichzeitiger Abwertung der anderen Religionen beschreibt. Gentil- „heid-“ fällt wegen seiner Seltenheit und dem Vorkommen in nur ursprünglich griechischen Schriften auf. Ebenfalls ein Zusatz, den nur die Vg enthält, ist, dass auch die Nachkommen Achiors in die Konversion miteinbezogen werden. Mit der Konversion Achiors in Idt 14,6a–d geschieht, was in Idt 6,16–18 durch das Volk nach der Aufnahme Achiors in Bethulia bereits in einem Vg-spezifischen Zusatz angedeutet wurde. Gleichzeitig wird die universelle Anerkenntnis Gottes als einzigem Gott proklamiert.

3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) Nach der Konversion Achiors wird der Sieg über die Assyrer geschildert (Idt 14,7a1–15,8e). Dieser lässt sich in drei Abschnitte gliedern: Der erste (Idt 14,7a1–d) wird Vg-spezifisch durch mox autem „bald aber“ (Idt 14,7a1) und einen Zeitwechsel – zum Tagesanbruch (ut ortus est dies Idt 14,7b) – eingeleitet.625 Darin werden

623 Diese in der Vg-Fassung zusätzliche Rede enthält Wörter, die intratextuelle Vernetzungen erzeugen: ulciscor „rächen, vergelten“/ultio „Rache“ (Idt 13,27e mit Idt 8,34c), incidere „abschlagen“ in Idt 13,27c2 mit Idt 2,17; 7,6, probare „prüfen“ von Idt 13,28a mit Idt 6,4, contemnere „jemanden verachten“ in Idt 13,28d als figura etymologica mit Idt 2,5; 5,4; 10,12; 11,2, interitum „Untergang“ in Idt 13,28e mit Idt 6,17 sowie gladius „Schwert“ und latus „Seite“ in Idt 13,28f–g mit Idt 6,4. 624 Vg-spezifisch sind auch die Wörter testimonium „Zeugnis“ (Idt 13,27d) und recreatus „erholt“ (Idt 13,30a). 625 Idt 14,11 Hs 151 schreibt lux „Licht“ statt dies „Tag“. Die Vg verdeutlicht den Text durch die Abänderung.



3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) 

 321

der vermeintliche Angriff der Bewohner von Bethulia und deren Auszug aus der Stadt berichtet. Im zweiten Abschnitt (Idt 14,8a–15,2d) wechselt die Perspektive. Die Reaktionen im assyrischen Lager auf den Tod des Holofernis werden geschildert. Im dritten Abschnitt (Idt 15,3a–8e), dessen Beginn durch itaque „deshalb“ angezeigt wird, wechselt die Perspektive wieder zu den Israeliten, deren tatsächlicher Angriff auf das assyrische Lager berichtet wird.

3.10.1 Auszug aus Bethulia (Idt 14,7a1–d) Bei Tagesanbruch fingieren die Bewohner von Bethulia einen Angriff auf das assyrische Lager, welcher in drei Handlungsschritten beschrieben wird: Sie hängen den Kopf des Holofernis auf die Mauern, jeder einzelne Mann nimmt seine Waffen auf, und sie ziehen mit großem Lärm und Geschrei hinaus (Idt 14,7a2–d).626 Die Vg schreibt statt der gewöhnlichen Formulierung omnis vir „jeder Mann“ in Idt 14,11 Hs 151 (πᾶς in Jdt 14,11 LXX) unusquisque vir „jeder einzelne Mann“.627 Vgspezifisch ist die klanganalytisch auffällige Formulierung strepitu et ululatu: Der Auszug geht mit großem „Lärm und Geschrei“ einher.628

3.10.2 Entdeckung des Todes des Holofernis (Idt 14,8a–15,2d) Als die Assyrer die Israeliten sehen, eilen sie zum Zelt des Holofernis (Idt 14,8a), wie es Iudith angekündigt hatte (Idt 14,3). In der Vg gehen die Soldaten des Vorpostens direkt zum Zelt. In Jdt 14,12–13 LXX/Hs 151 werden die Israeliten von den Assyrern gesehen, die daraufhin ihren Führern Meldung machen, die dann zu ihren Feldherren, Anführern und Befehlshabern gehen; diese wiederum finden sich beim Zelt des Holofernes ein, um Bagoas den Weckauftrag zu erteilen. In der Vg-Fassung folgt dann ein Vg-spezifischer Zusatz: Die Soldaten, „die im Zelt waren, kamen und machten vor dem Eingang des Schlafraums lauten Lärm zum Wecken und erzeugten künstlich Unruhe, damit Holofernes nicht

626 Vgl. Idt 14,1c Vg. 627 So auch Idt 14,2 Hs 130. 628 Jdt 14,11 LXX/Hs 151 schreiben stattdessen, dass sie in Trupps zu den Pässen des Berges zogen. Strepitus „Lärm“ kommt nur noch in Jer 47,3 Vg vor, das Lexem ulul- vier Mal innerhalb des Buches Iudith und jedes Mal zur Beschreibung einer emotionalen Reaktion: in Idt 7,18 im Kontext der Klage des Volkes Israel, in Idt 14,7 bezüglich des vermeintlichen, in Idt 15,3 bezüglich des richtigen Kampfgetöses – ebenfalls durch das Volk Israel – und in Idt 16,13 begleitet es die Angst der Assyrer.

322 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

durch die weckenden, sondern durch die lärmenden Männer aufwache. Niemand wagte nämlich, den Schlafraum des Machthabers der Assyrer zu öffnen, indem er klopfte oder eintrat“ (Idt 14,9a1–10a). Die Bezeichnung „Kraft der Assyrer“ virtus Assyriorum für Holofernis wird angesichts des Leitmotivcharakters des Wortes virtus (vgl. Idt 10,4b) für das machtvolle Handeln des Gottes Israel nicht ironielos verwendet. Dass die Vg die Bemühungen der Soldaten schildert, Holofernis nicht zu stören, ist eine interessante Erweiterung. Denn dadurch werden Emotionen von Figuren übertragen, die nur die Vg enthält. In diesem Fall ist es die Furcht der Soldaten davor, ihren Anführer zu wecken. Dann kommen die Anführer und die Tribunen und alle höheren Offiziere des Heeres der Assyrer hinzu und geben den Kammerdienern Anweisung (Idt 14,11a– b). Die dreifache Nennung befehlshabender Gruppen ist auffällig (vgl. auch Jdt 14,12 LXX/Hs 151): Die Anführer unter Holofernis werden als maiores „Große“ (Idt 2,2; 14,11), duces bellatores „Militärführer“ (Idt 2,2), duces „Führer“ (Idt 2,7; 14,11), magistratus virtutis Assyriorum „Offiziere der Streitmacht der Assyrer“ (Idt  2,7) und tribuni „Oberste“ (Idt 14,11) bezeichnet.629 Die Anhäufung bei der Entdeckung des holofernschen Todes zeigt die Bedeutsamkeit der Szene. Dass selbst diese elitäre Gruppe unter den Soldaten nicht in der Lage sein wird, ohne ihren Anführer die Situation zu kontrollieren, wird das Ende der Assyrer einleiten. Nur den Kammerdienern scheint es vorbehalten, das Vorzelt zu betreten, denn die höhergestellten Soldaten geben den Befehl:630 „Geht hinein und weckt ihn, denn die Mäuse sind aus ihren Löchern gekommen und haben gewagt, zur Schlacht herauszufordern“ (Idt 14,12a–d).631 In Jdt 14,13 LXX/Hs 151 ergeht der Befehl gleich an Bagoas. Die selbstgefällige Redewendung ist Eigengut der Vg: Sie vergleicht die bisher nicht einnehmbare Stadt Bethulia mit Mäuselöchern und die (vermeintlich) angreifenden Israeliten mit kleinen Mäusen, die gegen die großen Assyrer keine Chance haben. „Mäuse“ sind in biblischer Tradition, wenn sie tot sind, unrein (Lev 11,29.31).632 In 1 Sam 6,4–16 sollen die Philister, nachdem sie die Bundeslade gestohlen haben und durch eine Plage gestraft wurden, als Sühnegabe goldene Mäuse und Geschwüre anfertigen. Dass die Hebräer aus ihren

629 Darüber hinaus kennt die Vg spezielle assyrische Soldaten: Fußsoldaten, berittene Pfeilschützen (Idt 2,7), Viergespanne und Reiter und Pfeilschützen (Idt 2,11). 630 Diese Beobachtung deckt sich auch mit der in Idt 12,10 Vg/LXX/Hs 151: Holofernis lädt dort „seine Knechte“ zu seinem Gelage ein, womit diejenigen gemeint sein könnten, die ohnehin Zutritt zu seinem Vorzelt haben (vgl. Idt 12,10; 13,1). Nur von diesen wird in Idt 13,1 auch der Weggang von dem Gelage berichtet. 631 Jdt 14,13 LXX/Hs 151 ergänzen, dass die Israeliten zur ihrer eigenen Vernichtung angreifen. 632 Vgl. Hieke, Levitikus 1–15, 427.



3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) 

 323

Löchern kriechen, ist auch die Sichtweise der Philister in 1 Sam 14,11 vor ihrer Niederlage gegen Israel (en Hebraei egrediuntur de cavernis in quibus absconditi fuerant). Durch die Wortwiederholungen von egredi „hinausgehen“ und caverna „Loch“ wird die Auseinandersetzung Israels gegen die Assyrer mit der gegen die Philister Vg-spezifisch parallelisiert. Gleichzeitig wird der Sieg der Israeliten über die Assyrer impliziert. In christlicher Literatur begegnet die „Maus“ oft in negativer Konnotation: Wegen ihres Auftretens in Massen wird sie als Plage betrachtet und als unrein, weil sie auf dem Boden lebt.633 Auch wird sie wegen des Nagens und Verderbens der Ernte als Schädling gesehen.634 In seinem Jesajakommentar legt Hieronymus Jes 66,17 allegorisch so aus, dass die Pharisäer, obwohl diese kein Mäusefleisch essen, im Herzen unrein sind.635 Der Vergleich von Juden und Mäusen zeigt durch die meist negative Konnotation von Mäusen in der biblischen und außerbiblischen Literatur eine Abwertung der Israeliten aus Sicht der assyrischen Führungselite und zeigt gleichzeitig deren Siegessicherheit.636 Interessanterweise wird die Vg-spezifische Hinzufügung in Idt 14,12 in dem anonymen Drama „Judith und Holofernes“ von 1818 (14,15) rezipiert.637 Dem Befehl an die Kammerdiener leistet Bagao Folge, der in Holofernis’ Schlafraum geht, vor dem Vorhang stehen bleibt und in seine Hände klatscht, weil er nämlich vermutete, dass jener mit Judit schlafe (Idt 14,13a–c).638 Dass sich Bagao vor den „Vorhang“ cortina stellt, ist Eigengut der Vg-Fassung.639 Das Aufwecken des Feldherren wird in den Texttraditionen verschieden überliefert: In

633 Vgl. Kyrill von Alexandrien, De adoratione et cultu in spiritu et veritate 14 (PG 68, 243– 244). 634 Vgl. Augustinus, De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum 2,62 (CSEL 90, 144). 635 Vgl. Hieronymus, Commentariorum in Esaiam 18,66,17 (CChr.SL 73A, 785). Vgl. Hornung, Maus (RAC 24), 479–482. 636 Interessant ist, dass sich die folgende Gravur unter einer Skulptur im Freisinger Dom befindet: „So wahr die Maus die Katz nit frißt, wird der Jud ein wahrer Christ“; vgl. Fuchs, Die Juden in der Karikatur, 116. Eine explizit antisemitische Parallelisierung von Juden und Mäusen lässt sich allerdings – trotz häufig negativer Konnotation der Mäuse – für die Spätantike bisher nicht nachweisen. 637 Vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“, 112–113. 638 Die Unterscheidung von tabernaculum „Zelt“ (Idt 14,8a.9b) – was das Vorzelt des Holofernis meint – und cubiculum (Idt 14,9a2.10a.13a) – das „Schlafgemach“ das Holofernis im Inneren des Vorzeltes vgl. Idt 8,5; 13,1) – wird auch in Jdt 14,15 LXX/Hs 151 beachtet. 639 In Idt 13,1c hatte Bagao diesen Vorhang verschlossen, wozu das dort Vg-spezifische (ostium „Tür“) verwendet wurde. Interessanterweise verwendet Idt 14,14 Hs 130 ostium an der Stelle, an der Bagao in den Schlafraum eintritt.

324 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 14,13 Vg//Idt 14,14 Hs 151 klatscht Bagao in die Hände, nach Jdt 14,14 LXX aber schlägt Bagoas gegen den Zeltvorhang. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine bewusste Abänderung des Bearbeiters, der nicht verstehen konnte, wie man (lautstark) gegen einen Zeltvorhang klatschen kann.640 Die Vorgehensweise wird mit der Erwartungshaltung begründet, dass Holofernis mit Iudith schläft. Die Szene, in der Bagao Holofernis findet, ist in der Vg anschaulich gestaltet: Weil Bagao mit dem Gehör keine Bewegung des Daliegenden vernimmt, geht er näher an den Vorhang heran, hebt ihn hoch und sieht den daliegenden Leichnam des Holofernes ohne Kopf in seinem Blute aufgelöst daliegen auf der Erde (Idt 14,14a–b). Jdt 14,15 LXX/Hs 151 schreiben, dass Bagoas, als niemand darauf hört, den Vorhang auseinander zieht, in das Schlafgemach hineingeht, Holofernes tot auf den Fußschemel geworfen findet, und sein Kopf von ihm weggenommen ist. Die Vg enthält eine Handlung mehr – nämlich, dass Bagao näher an den Vorhang tritt. Der retardierende Zusatz steigert den spannungsreichen Moment, in dem der Diener mit Vorsicht versucht, sich seinem Herrn zu nähern. Die Niederlage des Holofernis wird Vg-spezifisch dadurch hervorgehoben, dass das Wort iacere „(da) liegen“ mit dem Leichnam als Bezugswort in Idt 14,14a–b Vg gleich drei Mal Verwendung findet. Der Leichnam liegt in den lateinischen Fassungen auf dem Boden (Idt 14,14b), in der LXX jedoch auf dem Fußschemel (Jdt 14,15 LXX). Bei der Beschreibung des Leichnams in Idt 14,14b fällt auf, dass die Vg mit dem Hinweis auf das Blut einen Zusatz einfügt, der den Lesenden ein extremes Bild zeigt. Eine ähnliche Abänderung fand sich auch in Idt 14,4b, wo Iudith die hier dargestellte Auffindung des Leichnams vorhergesagt hat. Die erste Reaktion Bagaos auf diesen Anblick hin ist von emotional körperlichen Handlungen begleitet, die Trauer und Entsetzen anzeigen: Denn er schreit mit lauter Stimme unter Weinen und zerreißt seine Kleider (Idt 14,14c–d, vgl. zum Motiv des Weinens auch Idt 8,14 Vg). Dann geht er in das Zelt Iudiths, findet sie nicht, springt hinaus zum Volk – gemeint sind die Soldaten – und spricht dann zu ihnen (Idt 14,15a–16a), dass eine einzelne hebräische Frau Vernichtung im Haus des Königs Nabuchodonosor angerichtet habe. Holofernes liege auf dem Boden, und sein Kopf fehle (Idt 14,13a–16a). Idt 14,14c–16d entspricht im Wesentlichen Idt 14,16–18 Hs 151. Jdt 14,18 enthält zusätzlich zu Beginn der wörtlichen Rede den Hinweis, dass die Knechte abgefallen sind. Confusio „Schändung, Vernichtung“ beschrieb in Idt 8,19a die Fremderoberung Israels, in Idt 9,2d die Vergewaltigung Dinas: Aus intratextueller Perspektive zeigt das Wort, dass die von Holofernis

640 So Miller, Das Buch Judith, 224; Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 177.



3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) 

 325

geplante Verführung Iudiths und Eroberung Israels gescheitert ist, und er und sein Heer nun selbst vernichtet werden. Als die Fürsten der Streitmacht der Assyrer dies hören, zerreißen sie alle ihre Kleider, und unerträgliche Furcht und Zittern befällt sie, und ihre Gemüter werden stark verwirrt, und es entsteht ein Geschrei ohnegleichen inmitten ihres Lagers (Idt 14,17a–18a). Zuerst reagieren die Obersten des Holofernis, wie Bagao. Sie zerreißen ihre Kleidung. Idt 14,17c ist ein Vg-spezifischer Zusatz, der über die Wortwiederholung von timor „Furcht“ auf Idt 14,4c anspielt, wo Iudith diese Reaktion der assyrischen Soldaten bereits vorhergesagt hatte (vgl. Idt 14,4c). Tremor „Zittern“ verweist auf Idt 4,2 zurück, wo die Furcht des Volkes Israel vor der Invasion der Assyrer beschrieben wurde (vgl. auch Idt 11,9 Vg) und auf Idt 15,1 vor, wo die Angst der anderen assyrischen Soldaten geschildert wird. In Folge ihrer Angst breitet sich Verwirrung bei den Führern aus (Idt 14,17d). Die Furcht wird durch die Adjektive intolerabilus „unerträglich“ und inconparabilus „unvergleichlich“ gesteigert. Die Angst der Assyrer ist so „unvergleichlich“ (inconparabilus) wie die Schönheit Iudiths (vgl. Idt 10,4d). Dann wird die Beschreibung der Flucht der assyrischen Soldaten beschrieben: Als das ganze Heer gehört hat, dass Holofernis enthauptet worden ist, entweichen ihnen Verstand und Ratschluss, und nur von Zittern und Angst getrieben suchen sie ihr Heil in der Flucht (Idt 15,1a–c1). Nur in der Vg-Fassung beginnt die Reaktion des Heeres – wie zuvor die ihrer Anführer in Idt 14,17a – interessanterweise mit cum audisset „als es/sie gehört hatte“. So wurde auch Iudiths Reaktion auf das Ultimatum des Ozias zwei Mal eingeleitet (vgl. Idt 8,1b.9a1). Auffällig ist die Verwendung des mit nur noch fünf Vorkommen (Mt 14,10; Mk 6,16.27; Lk 9,9; Offb 20,4) seltenen decollare „enthaupten“, das Vg-spezifisch hinzugefügt ist und Holofernis Todesart beschreibt (decollatum Holofernem Idt 15,1a). Auch dadurch wird dessen Niederlage hervorgehoben. Die Redewendung fugit mens et consilium ab eis „entwichen ihnen Verstand und Ratschluss“ findet sich nur in der Vg. Dadurch erscheint die Vg-Fassung in eleganterem Latein ohne inhaltlich von den Parallelfassungen abzuweichen. Die Assyrer sind nun im wahrsten Sinne des Wortes kopflos. Ihr Handeln zeugt nicht mehr von einem geplanten Vorgehen. Das Fliehen der Assyrer wird in der Vg besonders durch das sechsmalige fug- „flieh-“ betont (Idt 15,1b.1c1.2d.3a.4a.7d; nur zweimalig in Jdt 15,2.3 LXX/ Hs 151). Die unbedachten Abläufe werden mit den Zuständen tremor „Zittern“ (Idt 15,1c1 und Idt 14,17d) und metus „Angst“ (Idt 15,1c1) begründet. Metus „Angst“ beschreibt in Idt 3,9 die Furcht jener Völker, die von den Assyrern erobert werden. Die intratextuelle Verwendung der Wörter tremor „Zittern“, metus „Angst“ und timor „Furcht“ (Idt 2,18 mit Idt 14,17d; vgl. Idt 14,17d) zeigt demnach den Wandel vom Schrecken verbreitenden mächtigen zum angstvoll flüchtenden assyrischen Heer.

326 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Auch bei der auffallenden Formulierung agitati fugae praesidium sumunt „suchen sie ihr Heil in der Flucht“ handelt es sich um eine Vg-spezifische Hinzufügung. Auf der Flucht der assyrischen Soldaten redet keiner mit seinem Nächsten, sondern sie fliehen mit gesenktem Haupt und lassen alles zurück, um den Hebräern zu entkommen, von denen sie gehört hatten, sie kämen bewaffnet über sie, auf Wegen durch die Felder und Pfaden über die Hügel (Idt 15,2a2–d). Idt 15,2b.d ist in starker Anlehnung an Jdt 15,2 LXX/Hs 151 gestaltet.641 Eigengut der Vg sind Teile von Idt 15,2c.d (sed inclinato capite relictis omnibus evadere Hebraeos quos armatos venire super se audierant), die die Niederlage der eigentlich zahlenmäßig und waffentechnisch überlegenen Assyrer weiter ausschmücken.

3.10.3 Angriff der Israeliten (Idt 15,3a–8e) Als die Söhne Israels die Assyrer fliehen sehen, steigen sie herab, lassen die Trompeten ertönen und schreien hinter ihnen her (Idt 15,3a). Und da die Assyrer nicht vereinigt, sondern Hals über Kopf flüchten, die Söhne Israels sie aber in einem einzigen geordneten Zuge verfolgen, machen sie alle unschädlich, die sie finden können (Idt 15,4a–c). Die Israeliten setzen nun um, was Iudith angeordnet hatte, nämlich einen Angriff auf die fliehenden Assyrer (Idt 14,5a–c; fug- „flieh-“ in Idt 14,5a; 15,4a). Die Wiederholung des Lexems ulul- „schrei-“ verweist auf den Scheinangriff zurück (Idt 14,7d). Die Vg erweitert den Angriff der Israeliten (Idt 15,3a–4c) gegenüber LXX/Hs 151, wo nur beschrieben wird, dass auch die Vorposten fliehen und dass sich jeder Kriegsmann Israels auf die Fliehenden stürzt (Jdt 15,3 LXX/Hs 151). Infolge des Todes ihres Anführers verlieren die assyrischen Truppen jegliche Ordnung, so dass die Israeliten den Sieg erringen. Die Perspektive wechselt dann zurück nach Bethulia, wo Ozias Boten in alle Städte und Gebiete Israels sendet (Idt 15,5a).642 Jdt 15,4 LXX nennt die betreffenden Gebiete Betomesthaïm, Chobai und Kola und beschreibt die Botschaft des Ozias. Idt 15,4 Hs 151 folgt der LXX, lässt aber die Namen der Gebiete aus.

641 Das Fliehen der Assyrer findet nach Idt 15,2d Vg „auf Wegen durch die Felder und Pfaden über die Hügel“ statt (ähnlich auch Jdt 15,2 LXX), nach Idt 15,2 Hs 151 nur in omnem viam campi „auf jedem Weg des Feldes“. 642 Jdt 15,4 LXX nennt die betreffenden Gebiete Betomesthaïm, Chobai und Kola und beschreibt die Botschaft des Ozias.



3.10 Sieg über die Assyrer (Idt 14,7a1–15,8e) 

 327

Diese Szene hat eine Parallele zu Idt 1,7, wenn auch Nabuchodonosor Boten aussendet, um kriegerische Unterstützung zu erhalten. Der Unterschied aber ist, dass die Boten des Nabuchodonosor erfolglos zurückkommen, während auf die Aufforderung des Ozias hin, jedes Gebiet und jede Stadt eine ausgewählte bewaffnete Jungmannschaft hinter ihnen – den Assyrern – herschickt, und sie verfolgen sie mit der Schärfe des Schwertes, bis sie an die äußersten Grenzen ihres Gebiets gelangen (Idt 15,6a–c). Die Parallelstellen in Jdt 14,5 LXX/Hs 151 beschreiben genauer, dass die Israeliten die Assyrer bis nach Choba getrieben haben und dass Unterstützung aus Jerusalem, dem Bergland, Gilead und Galiläa diese bis nach Damaskus getrieben hat. Es fällt auf, dass die Vg die vielen Ortsnamen, die Jdt 14,4–5 LXX/Hs 151 enthalten, meidet. Die Übrigen aber, die in Bethulia sind, dringen in das Lager der Assyrer ein und tragen die Beute fort, die die fliehenden Assyrer auf der Flucht zurückgelassen haben, und werden (in Bethulia) sehr geehrt (Idt 15,7a–e). Vg-spezifische Hinzufügung ist nur Idt 15,7d, wo erneut unter Wiederholung des Lexems fug- „flieh-“ die Flucht der Assyrer betont wird (vgl. Idt 15,1b). Das Erobern, Besiegen und Plündern durch die Israeliten erinnert an das Verhalten der Assyrer bei ihrem Vorhaben, die ganze Welt zu unterwerfen (Idt 2,3), das in Idt 2,12–18 beschrieben wird.643 Die Parallelität der Vorgänge wird auch durch die Formulierung in ore gladii „mit der Schärfe des Schwertes“ aus Idt 2,16; 15,6c und das Lexem praed „beut-“ in Idt 2,16; 15,7c1 gestützt. Erst nach der Eroberung der Fremdvölker kann dann auch Holofernis sich als Hilfstruppe „starke und ausgewählte Männer“ (viros fortes et electos, Idt 3,7) dazu nehmen, während Ozias nun freiwillige Unterstützung einer „ausgewählten Jungmannschaft“ erhält. Im Folgenden beschreibt die Vg die Beute der Israeliten: Diejenigen aber, die als Sieger zurückkehren nach Bethulia, bringen alles mit sich, was jenen gehört hat, so dass man die Schafe, Rinder und ihre beweglichen Güter nicht zählen kann; vom Geringsten bis zum Großen werden alle reich durch das von den Feinden Erbeutete (Idt 15,8a1–e). Eine ähnlich auffällige Vg-spezifische Formulierung findet sich auch in Bezug auf die Israeliten in Idt 13,15 (a minimo usque ad maximum „vom Geringsten bis zum Großen“), wenn diese Iudith bei ihrer Rückkehr umzingeln. Jdt 15,6–7 LXX/Hs 151 beschreiben die reiche Beute und zusätzlich die Rückgewinnung der Herrschaft. Es ist auffällig, dass Iudiths Anordnungen von Idt 14,1b–5c zwar sehr genau befolgt werden, vom Plündern und Beutemachen dort aber keine Rede war.644

643 Ähnliches beobachtet auch Zenger für die LXX; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 514. 644 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 390.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Fazit Innerhalb von Idt 14,7–15,8 gibt es folgende Vg-Spezifika: Zunächst ist die klanganalytisch auffällige Formulierung strepitu et ululatu „mit Lärm und Geschrei“ in Idt 14,7 zu nennen. Interessant ist auch, dass die Assyrer die Israeliten mit Mäusen und Bethulia mit Mäuselöchern vergleichen (Idt 14,12). Nicht nur in der biblischen Tradition (Lev 11,29.31; 1 Sam 6,4–16; 14,11), sondern auch in der christlichen sind Mäuse meist negativ konnotiert. Die sprachlichen Paralleln durch egredi „hinausgehen“ und caverna „Loch“ in Idt 14,12 und 1 Sam 14,11 parallelisieren zudem Vgspezifisch die Auseinandersetzung Israels gegen die Assyrer mit der gegen die Philister. Dadurch wird der Sieg der Israeliten über die Assyrer – trotz assyrisch überheblicher Siegessicherheit – impliziert. Auffällig ist auch, dass die Vg-spezifische Hinzufügung in Idt 14,12 Einzug in das anonyme Drama „Judith und Holofernes“ (1818; 14,15) und damit in die literarische Rezeption gefunden hat.645 Erwähnenswert sind weiter die Redewendungen fugit mens et consilium ab eis „entwichen ihnen Verstand und Ratschluss“ (Idt 15,1b) und agitati fugae praesidium sumunt „suchen sie ihr Heil in der Flucht“ (Idt 15,1c1), die den Text sprachlich aufwerten. Auffällig in diesem Sinne ist auch die Vg-spezifische Formulierung a minimo usque ad magnum „vom Geringsten bis zum Großen“ in Idt 15,8e. Ähnlich formuliert – in Bezug auf die Israeliten – Idt 13,15 (a minimo usque ad maximum „vom Geringsten bis zum Großen“). Weiter ist mit Idt 14,9a1–10a ein Vg-spezifischer Zusatz eingefügt, in dem hervorzuheben ist, dass die Diener aus Angst Lärm machen, um ihren Feldherrn nicht durch Eintreten ins Zelt zu wecken, um dessen Zorn nicht auf sich zu ziehen. Auch die plastische Beschreibung des Leichnams, der in seinem Blut liegt (Idt 14,14b), ist Eigengut der Vg. Die Niederlage des Holofernis wird in der Vg zudem dadurch hervorgehoben, dass das Wort iacere „(da) liegen“ mit dem Leichnam als Bezugswort in Idt 14,14a–b drei Mal verwendet wird. Die gleiche Wirkung erzielt die Wiederholung von Holofernis’ Todesart in Idt 15,1a, inklusive dem mit nur fünf Vorkommen im NT (Mt 14,10; Mk 6,16.27; Lk 9,9; Offb 20,4) seltenen Wort decollare „enthaupten“. Auch das Fliehen der Assyrer wird durch die sechsmalige Verwendung des Lexems fug- „flieh-“ (Idt 15,1b.1c1.2d.3a.4a.7d; nur zweimalig in Jdt 15,2.3 LXX/Hs 151) besonders betont. Der Zustand der Assyrer wird in Idt 15,1c1 durch die Wörter tremor „Zittern“ (vgl. Idt 14,17d) und metus „Angst“ beschrieben (auch in Idt 3,9). Durch die intra-

645 Vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“,112–113.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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textuelle Verwendung dieser Wörter kann der Wandel vom mächtigen zum angstvoll flüchtenden assyrischen Heer nachgezeichnet werden. Die Vg-spezifischen Hinzufügungen scheinen die Niederlage der militärisch gesehen überlegenen Assyrer nur noch weiter hervorheben zu wollen. Eigengut der Vg ist auch der Hinweis, dass die Israeliten mit Trompeten und Geschrei vom Berg herab angreifen (Idt 15,3a). Das Lexems ulul- „schrei-“ verweist auf den Scheinangriff in Idt 14,7c–d. Idt 15,4a–c beschreiben in Vg-spezifischem Zusatz den Sieg der geordneten Israeliten gegen die ungeordneten Assyrer. Zwischen dem Verhalten der Israeliten in Idt 15 und dem der Assyrer in Idt 1–3 lassen sich einige Parallelen aufzeigen: So sendet Ozias in Idt 15,5a Boten in alle Städte und Gebiete Israels um Unterstützung im Kampf gegen die Assyrer zu erbitten. Ähnlich hatte Nabuchodonosor in Idt 1,7 auch Boten ausgesendet, um kriegerischen Beistand zu erhalten. Das Erobern, Besiegen und Plündern durch die Israeliten in Idt 16,5b–7c1 gleicht dem Vorgehen der Assyer in Idt 2,12–18. Dafür spricht auch die Formulierung in ore gladii „mit der Schärfe des Schwertes“ (Idt 2,16; 15,6c) und praed „beut-“ (Idt 2,16; 15,7c1). Holofernis rekrutiert sich unter den Unterworfenen „starke und ausgewählte Männer“ (Idt 3,7), Ozias erhält freiwillige Unterstützung einer „ausgewählten Jungmannschaft“. Jdt 15,4–5 LXX/Hs 151 beschreiben ebenso das Ersuchen um Hilfe durch Ozias und die Unterstützung durch die Israeliten. Dabei fällt auf, dass dabei auch zahlreiche Städte und Regionen genannt werden, die dem Hilferuf des Ozias folgen, die die Vg nicht enthält. In Idt 15,8d–e erläutert die Vg noch einmal ausführlich das Beutemachen der Israeliten, während Jdt 15,6–7 LXX daneben auch die Rückgewinnung der Herrschaft beschreiben. Idt 15,7 Hs 151 ist gegenüber beiden Fassungen stark gekürzt.

3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) Der Abschluss der Erzählung lässt sich in drei Abschnitte unterteilen: Der erste Abschnitt (Idt 15,9a–12b) wird durch autem „aber“, den Figurenwechsel zum Hohepriester Ioachim, den Ältesten und Iudith und den Raumwechsel von Hierusalem nach Bethulia eingeleitet. Er enthält einen Lobpreis auf Iudith durch Ioachim und das Volk. Der zweite Abschnitt (Idt 15,13a–16,21b), angezeigt durch die Zeitangabe per dies autem triginta „während dreißig Tagen aber“ und den Zeitwechsel ins Perfekt Passiv, umfasst zunächst einschubartig die Zeitspanne des dreißigtägigen Beutezugs der Israeliten, widmet sich dann den Festlichkeiten in Bethulia nach dem Sieg und enthält Iudiths Lied. Der dritte Abschnitt (Idt 16,22a–31b) macht einen Zeitsprung, der durch et factum est post „und es geschah

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

danach“ eingeleitet wird, und thematisiert Iudiths weiteres Leben und das Leben in Israel nach dem Sieg über die Assyrer.

3.11.1 Loblied auf Iudith (Idt 15,9a–12b) Der Hohepriester Ioachim kommt von Hierusalem nach Bethulia mit allen seinen Ältesten, um Iudith zu sehen (Idt 15,9a–b). Nach 15,8 LXX/Hs 151 kommen diese, um zu sehen, was der Herr für Israel getan hat, und um Judit zu beglückwünschen. Die Vg schreibt hingegen nur, dass man komme, um Iudith zu sehen.646 Als Iudith zu ihm, Ioachim, hinauskommt, preisen alle sie einstimmig (Idt 15,10a–b).647 Es ist bemerkenswert, dass mehrere Überlieferungen (Vg, Hss 151.130; Syr.) Iudith auf die Ältesten zukommen lassen, während die Ältesten in der griechischen Vorlage, gerade umgekehrt, bei ihr eintreten und ihr somit eine besondere Ehre zu Teil werden lassen.648 Nach Miller sei dies eine Korrektur, da die „gute Sitte“ es verlange, zu dem Gast nach draußen zu gehen.649 Möglicherweise zeigt die Umkehrung aber auch eine Höherstellung der führenden politischen und religiösen Kräfte. Die wörtliche Rede beginnt einem Lobpreis auf Iudith: „Du bist der Ruhm Jerusalems, du die Freude Israels, du die Ehre unseres Volks“ (Idt 15,10c). Iudith wird gleich dreifach als „Ruhm Jerusalems“, „Freude Israels“ und „Ehre unseres Volks“ gerühmt. Die Wörter gloria „Ruhm“ und honorificentia „Ehre“ verwendet auch Idt 15,9 Hs 151. Statt dem außergewöhnlichen laetitia „Freude“ aber schreibt

646 Ioachim wird in der Vg als summus pontifex „Hohepriester“ bezeichnet. Idt 15,8 Hs 151 überträgt das griechische ὁ ἱερεὺς ὁ μέγας (Jdt 15,8 LXX) mit sacerdos magnus (Hs 130 sacerdus magnus). Mit mindestens sechsundsechzig atl. und ntl. Vorkommen innerhalb der Vg ist das Wort pontifex indes gebräuchlich. Es handelt sich dabei auch um eine seit 300 v. Chr. nicht unübliche Titulatur in Rom (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, 3729); vgl. ausführlich Szemler, Pontifex (PRE.S 15), 331–369. LXX/Hs 151 schreiben genauer „Ältestenschaft der Israeliten, die in Jerusalem wohnen“. Das Wort presbyter „Ältestenschaft“ ist in der Vg die Übertragung von ἡ γερουσία (Jdt 15,8 LXX) und meint in Idt 15,9 die Ältestenschaft in Jerusalem. Idt 15,8 Hs 151 schreibt senior (so auch Idt 6,12 Vg). Presbyter ist sonst die Bezeichnung für die Ältesten von Bethulia und wird mehrfach von allen Textfassungen verwendet (Idt 6,20//6,21 LXX/Hs 151; 8,9; 10,6; 13,14 Vg//13,12 LXX/Hs 151). 647 Zur Vg-spezifischen Eigenart, eine Rede mit der Formulierung una voce „mit einer Stimme“ einzuleiten, vgl. Idt 10,9. 648 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 390–391. 649 Vgl. Miller, Das Buch Judith, 226.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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Idt 15,9 Hs 151 das synonyme gaudium.650 Dass Iudith als gloria Hierusalem „Ruhm Jerusalems“ gepriesen wird, ist durch die Wiederholung des Lexems gloria- ein Vg-spezifischer intratextueller Verweis und die Antwort auf Idt 10,8, wenn die Ältesten von Bethulia ihr das Gelingen ihres Planes wünschen, damit Jerusalem sich ihrer rühmen kann. Wenn Iudith nun selbst als Ruhm Israels bezeichnet wird, steigert das den ursprünglichen Gedanken noch einmal. Auch das Lexem honorific- „ehr-“ verweist intratextuell, wenn auch nicht Vg-spezifisch, auf den Plan des Holofernis, Iudith zu verführen, was Bagao ihr als Ehre anpreist (vgl. Idt 12,12). Die wahrhafte Ehrung aber erfährt sie in Idt 15,10c.

Iudith, die wie ein Mann gehandelt habe Iudiths Tat wird im Folgenden bewertet: Iudith habe wie ein Mann gehandelt und ihr Herz sei gestärkt worden dadurch, dass sie die Keuschheit geliebt und nach ihrem Mann keinen anderen erkannt habe; deshalb habe die Hand des Herrn sie gestärkt, und deshalb werde sie auf ewig gesegnet sein (Idt 15,11a–f). Jdt 15,10 LXX/Hs 151 loben lediglich Judits Tat, indem betont wird, dass Judit Gutes für Israel getan habe, LXX schreibt zusätzlich, dass Gott Gefallen daran hatte. Diese Differenz unterstreicht die Bedeutsamkeit dieses bemerkenswerten Vg-spezifischen Zusatzes, in dem Iudiths Tat beurteilt wird. Dass eine einfache Frau einen Mann mit dem Schwert tötet, ist in den Augen des Übersetzers offenbar so außergewöhnlich, dass Iudith wie ein Mann gehandelt haben muss.651 Iudith hat zwar richtig agiert, aber doch nach Wertmaßstäben, die Männer für Männer ansetzen.

650 Jdt 15,9 LXX schreibt leicht variiert „Erhöhung“, „Ruhm“ und „Stolz“. Laetitia „Freude“ kommt nur noch in Idt 16,9 zur Beschreibung von Iudiths Kleidung vor. 651 Auch im 1. Clemensbrief und bei Ambrosius von Mailand findet sich eine derartige Einschätzung von Judits Tat: 3 πολλαὶ γυναῖκες ἐνδυναμωθεῖσαι διὰ τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ ἐπετελέσαντο πολλὰ ἀνδρεῖα 4 Ἰουδὶθ ἡ μακαρία ἐν συγκλεισμῷ οὔσης τῆς πόλεως ᾐτήσατο παρὰ τῶν πρεσβυτέρων ἐαθῆναι αὐτὴν ἐξελθεῖν εἰς τὴν παρεμβολὴν τῶν ἀλλοφύλων „3. Viele Frauen vollbrachten, durch die Gnade Gottes gestärkt, viele mannhafte Taten. 4. Die selige Judit erbat bei der Belagerung der Stadt von den Ältesten die Erlaubnis, ins Lager der Heiden gehen zu dürfen.“ Clemens von Rom, Epistola ad Corinthios 55,3–4 (FC 15, 197–198). Ambrosius charakterisiert Judits Tat als „männlich“, nennt aber als Ursache für ihren Erfolg nicht wie Hieronymus ihre Keuschheit, sondern ihr Fasten; „Aber was soll ich von Männern reden? Judit wurde keineswegs gebeugt durch das luxuriöse Gastmahl des Holofernes und trug allein unter dem Ehrennamen der Nüchternheit den verzweifelten Triumph mit männlichen Kräften davon […] Ein offensichtliches Beispiel ist es, dass sein luxuriöses Leben jenen schrecklichen die Völker bekriegenden Mann verweichlichte und die Mäßigung der Speise diese Frau an Kräften stärker machte. Nicht wurde hier die Natur in ihrem Geschlecht besiegt, sondern sie siegte in ihrer Speise.“ Siquans,

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Die Hinzufügung impliziert, dass es keineswegs Iudiths Tat als solche ist, die der Übersetzer im Wertesystem seiner Leserinnen und Leser etablieren will. Nachahmungswürdig ist allein die keusche Lebensführung – so lässt sich daraus schließen. Für diese Deutung sprechen auch zwei außertextliche Befunde, einmal in der praefatio zum Buch Iudith, einmal in einem Brief des Hieronymus. Nicht dass eine Frau einen Mann tötet, sondern dass Gott die keusche Lebensführung belohnt, wird in der praefatio lobend hervorgehoben und der Erzählung als Vorausdeutung des Geschehens vorangestellt – die Keuschheit ist es, die Frauen und Männer nachahmen sollen (praefatio zum Buch Iudith, Z. 9–11), nicht die Tat selbst, die hier als ausnehmend „männlich“ bewertet wird. Die Bedeutsamkeit dieses Motivs zeigt auch die Feststellung des Hieronymus in Ep. 54,16, die er in direkten Bezug auf Iudith, ihren Sieg und ihre Keuschheit hin erwähnt (vgl. Idt 13,10): „[…] uincit uiros femina et castitas truncat libidinem […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 484). „[…] Eine Frau besiegt die Männer und die Keuschheit enthauptet die geile Gier […]“652.

Interessant sind auch in diesem Zusammenhang Zitate des Hieronymus, in denen dieser über die Asketin schreibt, dass diese durch ihre Lebensweise ihre Fraulichkeit verliere und eher Mann genannt werden solle: „Nec non et iuxta litteram, quamdiu mulier partui servit et liberis, hanc habet ad virum differentiam, quam corpus ad animam. Sin autem Christo mais voluerit servire quam saeculo, mulier esse cessabit, et dicetur vir, quia omnes in perfectum virum cupimus occurrere [Eph 4,13] (Hieronymus, Comm. in Eph. 3,5,28). „Insbesondere nach dem Schriftsinn weist die Frau, solange sie sich dem Gebären und der Nachkommenschaft widmet, einen Unterschied zum Mann auf wie der Körper zur Seele. Wenn sie aber Christus lieber dienen will als der Welt, wird sie aufhören, eine Frau zu sein, und wird Mann genannt werden, weil wir alle zum Ideal Mann zu streben wünschen.“653

„Divisa est mulier et virgo [1 Kor 7,34]. Vide quanta felicitas sit, quae et nomen sexus amiserit. Virgo iam mulier non vocatur [Hieronymus, Adv. Helv. 20].

Glaubensmut und Mannhaftigkeit, 75; vgl. Ambrosius, Epistulae et Acta 14,29 (CSEL 82/3, 250– 251). Weitere Beispiele dazu finden sich bei Siquans, Die Macht der Rezeption, 182–190. 652 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 168). 653 Feichtinger, Paula, Eustochium und Blesilla und die mulier amarior morte, 204; vgl. auch Hieronymus, Comm. in Eph. 3,5,28 (PL 26, 533).



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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Unterschieden sind die Frau und die Jungfrau. Sieh, welche Glückseligkeit bei der herrscht, die auch die Bezeichnung ihres Geschlechts verloren hat. Die Jungfrau wird nicht mehr Frau genannt.“654

Die Bedeutung des Vg-spezifischen Zusatzes in Idt 15,11 Vg zeigt sich nicht zuletzt an der Dramenrezeption: So wird in Anlehung an die Vg die Keuschheit im JudithDrama (1532) von Sixt Birck hervorgehoben und das Männliche in Judith in „Judith“ von Martin Opitz (1635).655

Gott hat Iudiths Herz gestärkt Aus syntaktischer Sicht sind Idt 15,11b–f interessant: Es folgt eine doppelte Begründung für Iudiths Erfolg in zwei Nebensätzen (Idt 15,11c.d), die durch zwei Hauptsätze mit dem Verb confortare „stärken“ gerahmt werden, wodurch inhaltlich der Bezug zwischen der Tat Iudiths und dem Beitrag des Herrn hergestellt wird (Idt 15,11b.e). Intratextuell auffällig ist das Leitwort cor „Herz“ (Idt 15,11b) innerhalb der Feststellung, dass Iudiths Herz gestärkt worden ist und sie durch die Hand des Herrn gestärkt wurde, weil Iudith in Idt 9,18c Gott um ein festes Herz gebeten hat und auch die Ältesten ihr eben diesen Wunsch in Idt 10,8c mit auf den Weg gegeben haben (vgl. Idt 9,18c; 10,8c). Um Stärke (ohne Verwendung von cor „Herz“) – genau genommen um ein Gebet zur Festigung des Planes – bittet sie die Ältesten in Idt 8,31e, Gott selbst in ihrem großen Gebet in Idt 9,14a2–d und zwei Mal kurz vor der Tat in Idt 13,7a.9d. Interessant ist auch, dass hier erst- und einmalig von der manus domini „Hand des Herrn“ (Idt 15,11e) die Rede ist und nicht wie vielfach von der Iudiths (Idt 9,15b; 12,4d; 13,7b.18c.19e.27c2; 16,7b).

Iudith, die die Keuschheit geliebt hat Das feste Herz zur Umsetzung der Tat hat Gott Iudith gegeben, weil sie die Keuschheit geliebt und nach ihrem Mann keinen anderen erkannt hat (Idt 15,11c–d). Hier wird innerhalb der Erzählung erstmalig und unter Verwendung des Vg-spezifischen Motivs castitas „Keuschheit“ explizit zum Ausdruck gebracht, worin genau Iudiths persönlicher Vorzug besteht. Bis auf die praefatio zum Buch Iudith wurden die spezifisch für die Vg-Erzählung wesentlichen

654 Feichtinger, Paula, Eustochium und Blesilla und die mulier amarior morte, 204; vgl. auch Hieronymus, Adv. Helv. 20 (PL 23, 203). 655 Vgl. Birck, „Ivdith“, 159; Opitz, „Judith. Zu Breßlaw druckts und vorlegts Georg Baumann, 1635“, 116; vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“, 92–93.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Zusammenhänge zwischen Iudiths Keuschheit und der darin begründeten Unterstützung durch Gott einerseits und Iudiths Keuschheit, die in direkter Opposition zu sexueller Triebhaftigkeit und Untergang steht, andererseits, bisher nur implizit deutlich (vgl. Idt 8,5a–b; 9,13a–14d; 10,4a–d.17a–b; 12,10d–f.16a.20a– c; 13,20b–d). In der praefatio allerdings wurden die Lesenden bereits auf diese zentrale Botschaft der Erzählung aufmerksam gemacht, wo Iudith zunächst als castitatis exemplum „Beispiel der Keuschheit“ (Z. 9, praefatio zum Buch Iudith) und dann Gott als castitatis ius remunerator, virtutem talem tribuit „Belohner ihrer Keuschheit, der ihr solche Kraft verlieh“ (Z. 11, praefatio zum Buch Iudith) vorgestellt werden. Die Vg-spezifische Verwendung von castitas „Keuschheit“ zeigt die Wichtigkeit dieses Motivs für die Vg-Fassung. Der Lobpreis schließt mit einer ewigen Segensbekundung (Idt 15,11f).656 Im Anschluss an die Rede des Hohepriesters erfolgt mit fiat fiat eine Akklamation durch das ganze Volk (Idt 15,12a–b). Es handelt sich dabei um die dritte Volksakklamation (vgl. Idt 10,9c; 13,26b; 15,12b) auf Reden von religiösen und politischen Führern der Israeliten hin (Idt 10,8d–g.9c; 13,24a–25e.26b; 15,10c–11f.12b; vgl. Idt 10,9c).

3.11.2 Festlichkeiten in Bethulia und Iudiths Lied (Idt 15,13a–16,21b) Nach der Rede des Ioachim beschreiben Idt 15,13a–16,21b das Beutemachen des Volkes Israel, die Beuteverteilung und die Festlichkeiten in Bethulia: Der Zeitwechsel durch die Zeitangabe per dies autem triginta „während dreißig Tagen aber“ und das Prädikat im Partizip Perfekt Passiv deuten an, dass nun ein abgeschlossener Zeitraum in geraffter Form erzählt wird. Thematisiert werden in einem ersten Unterabschnitt das dreißigtägige Beutemachen der Israeliten im assyrischen Lager sowie die sich daran anschließende Beuteverteilung und die Festlichkeiten in Bethulia, die in einen Festzug münden, den Iudith mit ihrem Gesang anführt (Idt 15,13a–16,1a). In einem zweiten Unterabschnitt wird Iudiths Gesang dargestellt, der als Lied in wörtlicher Rede präsentiert wird (Idt 16,2a– 21b).

656 Die Vg lässt im Vergleich zu Jdt 15,10 LXX/Hs 151 die Gottesanrede „Gott, der Allmächtige“ aus und verkürzt die Verbindung von Adjektiv und Substantiv εἰς τὸν αἰῶνα χρόνον / sempiternum tempus „für ewige Zeit“ zu dem Substantiv in aeternum „für die Ewigkeit“. Ähnlich Jdt 15,10 LXX/Hs 151 formuliert auch Idt 15,10 Hs 130: […] apud dominum omnipotentem in sempiterno tempore „[…] vor dem Herrn, dem Allmächtigen, für ewige Zeit“.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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3.11.2.1 Beutezug der Israeliten (Idt 15,13a–16,1a) Während dreißig Tagen wird die Beute der Assyrer vom Volk Israel nur mit Mühe eingesammelt. Alles aber, was nachweislich Eigentum des Holofernes war, geben sie Judit an Gold, Silber, Gewändern, Edelsteinen, allem Hausrat, alles wird ihr vom Volk überreicht (Idt 15,13a–14c). Das dreißigtägige Beutemachen erfolgt nun durch das ganze Volk Israel, nachdem in Idt 15,7a–8d nur das Volk von Bethulia einen ersten Beutezug gemacht hat.657 Nach jedem Beutezug erfolgt ein Lobpreis. Beutemachen und Lobpreis werden in einem sich steigernden Wechsel präsentiert: Idt 15,7a–8d berichteten nur vom Beutemachen dessen, was alle Assyrer zurückgelassen haben, insbesondere aber von Tieren und von beweglichen Gütern, und vom daraus resultierenden Reichtum des ganzen Volkes. Daran schloß sich das schnörkellose Loblied des Hohepriesters und des Volkes auf Iudith an (Idt 15,10c–11f). In Idt 15,13a–14c wird neben dem, was noch vom Besitz der Assyrer übrig war, vom Beutemachen des besonders reichen Besitzes des Holofernis berichtet (insbesondere Gold, Silber, Gewänder, Edelsteine, Hausrat), der nur an Iudith ausgehändigt wird. Daran schließt sich Iudiths poetisch und theologisch anspruchsvolles Lied an (Idt 16,2a–21b). „Gold und Silber“ hatte Holofernis aus dem Haus des Nabuchodonosor in reichlicher Menge mitgenommen (Idt 2,10).658 Gegenüber Jdt 15,11 LXX/Hs 151 fügt die Vg vix „mit Mühe“ zum Ausdruck dessen hinzu, welchen Aufwand es bereitete, den Beutezug aufgrund des umfassenden Reichtums der Assyrer in nur dreißig Tagen zu absolvieren. Dadurch wird die Menge des zu transportierenden Reichtums noch einmal betont. Idt 15,14a1–b ist eine Vg-spezifische Hinzufügung: „Nachweislich“ (peculiaria) all das, was Holofernis gehörte, soll Iudith erhalten. Das innerhalb der Vg nur drei Mal im Kontext von Gottes auserwähltem Volk verwendete peculiaria fällt hier aufgrund der Seltenheit auf (vgl. dazu Dtn 7,6; 14,2; 26,18 Vg) und unterstreicht noch einmal die Besonderheit dessen, was Iudith hier erhält. Interessant ist auch ein Vergleich dessen, was Iudith als Beute bekommen soll: In der Vg erhält sie Gold, Silber, Gewänder, Edelsteine und allen Hausrat, also besonders kostbare Wertgegenstände, solche, wie sie Iudith selbst zur Ausführung ihrer Rolle als Verführerin beim Gang ins Lager angelegt hatte (Idt 10,2c–3h), und solche, mit denen sich Holofernis bei seinem ersten Treffen mit Iudith umgeben hatte (Idt 10,19a). Vermutlich sind es jene, die in dem Zelt aufbewahrt wurden, in dem auch Iudith

657 Zur Zahl von dreißig Tagen verweist Zenger auf den Symbolcharakter und auf Jdt 16,20; Est 4,11; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 516. 658 Vgl. dazu auch Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 183.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

im Lager untergebracht wurde und die dort mit dem Wort thesaurus „Schatz“ bezeichnet wurden (Idt 12,1b–c). In der LXX aber wurden ihr das Zelt des Holofernes, sein Silber, die Betten, die Gefäße und alle seine Einrichtungsgegenstände übergeben, in Idt 15,11 Hs 151 nur sein Zelt, sein Silber und seine Hausgeräte (sup[p]ellex). Die Vg lässt den Besitz des Holofernis demnach nicht nur wertvoller erscheinen, es wird vor allem das Zelt mit dem Bett als Ort ausschweifender Feste und der geplanten Verführung nicht eigens als Beute für Iudith erwähnt. Nach Jdt 15,11 LXX/Hs 151 nimmt Judit diese Beute und legt sie auf ihr Maultier auf und spannt sie auf ihre Wagen an. Idt 15,4c Vg schreibt nur, dass ihr alles vom Volk überreicht wird. Ob Iudith die Beute dann in Besitz nimmt, bleibt zunächst unklar und wird erst in Idt 16,23a1–3 aufgelöst, wenn Iudith all das, was man ihr gegeben hatte, als Weihgeschenk am Tempel opfert, nach Zenger ein weiteres Zeichen ihrer Verkörperung als Idealgestalt.659 Nach der Beuteverteilung werden die Siegesfeierlichkeiten geschildert: Alle Leute freuen sich zusammen mit den Frauen und Mädchen und jungen Männern mit Blasinstrumenten und Zithern (Idt 15,15a). Es fällt auf, dass die Vg fünf Begriffe von Jdt 15,12–13 LXX, die sich um das Thema Festzug drehen, nicht enthält: ὁ χορός „Reigentanz“ (chorus, Idt 15,12 Hs 151), ἡ χορεία „Reigen“, ὁ στέφανος „Kranz“ (corona, Idt 15,13 Hs 151), ὁ θύρσος „Thyrsus“ (thyrsos, Idt 15,12 Hs 151) und ἡ ἐλαία „Olivenbaum“. Die Hs 151 verwendet drei dieser fünf Begriffe. „Thyrsus“-Stäbe (thyrsos, Idt 15,12 Hs 151; auch in Idt 15,12 Hs 130), aber mehr noch Kränze aus Olivenzweigen (ὁ στέφανος; corona, Idt 15,13 Hs 151; et coronarunt se de oliba ipsa in Idt 15,13 Hs 130) werden in der Forschung immer wieder als Elemente griechischen Gedankenguts zu einer späten Datierung der griechischen Fassung herangezogen.660 Dass die Vg nun diese beiden Wörter nicht enthält, muss nicht zwingend zu der Schlussfolgerung führen, dass der Vg-Fassung ein „chaldäischer“ Ursprungstext vorgelegen hat, der so früh zu datieren ist, dass er beide Begriffe nicht kennen kann (vgl. praefatio zum Buch Iudith). Die Wörter könnten auch ganz bewusst im Interesse der Suggestion einer Existenz einer „chaldäischen“ Textfassung vom Übersetzer gestrichen worden sein. Denkbar wäre auch, dass die typisch griechischen Elemente eliminiert wurden, weil diese zu nah an der griechischen Mythologie, etwa dem Dionysos Kult, waren. Ferner könnte es schlichtweg sein, dass vermeintlich unverständliche Elemente

659 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 516. 660 Thyrsos-Stäbe sind im Dionysos/Bacchus-Kult zu verorten, wenn sie auch bereits in 2 Makk 10,7 im Kontext des jüdischen Laubhüttenfestes Erwähnung finden; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 516.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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gestrichen worden sind. Für ein Streichen der Begriffe spricht auch, dass die Hss 130.151 die Wörter enthalten. Vg-spezifisch hinzugefügt ist, dass neben den Frauen, das ganze Volk und darunter auch Jungfrauen und junge Männer dazukommen, Tanz und Schmuck werden nicht erwähnt, dafür aber zwei Vg-spezifische Instrumente: organum „Blasinstrument“ und cithara „Zither“. Jdt 16,1 erwähnt τό τύμπάνον „Pauke“ und τό κύμβαλον „Zimbel“, Hss 130.151 kennen keine Instrumente (vgl. zu den Instrumenten Idt 16,2a–b). Ein wesentlicher Unterschied ist auch, dass Jdt 15,14 LXX//Idt 15,13 Hs 151 schreiben, dass Judit ihr Lied mit dem Volk gemeinsam singt,661 während sie in der Vg alleine das Lied anstimmt. Dann singt Judit dem Herrn dieses Lied (Idt 16,1a). Das Lied beginnt mit doppelter Liedeinleitung. Die Liedeinleitung enthält eine figura etymologica, die an Ps 97,1 erinnert (cantate Domino canticum novum […]). Das Motiv des „neuen Liedes“, das Ps 97,1 Vg enthält, findet in Idt 16,2c Erwähnung.

3.11.2.2 Iudith singt (Idt 16,1a–21b) Iudiths Lied lässt sich in zwei Teile gliedern: Im ersten (Idt 16,3a–14c) ruft Iudith unter Verwendung von vier Imperativen (Idt 16,2a.b.d.3), die einen Hortativ (Idt 16,2c) rahmen, zum gemeinsamem Lobpreis auf (Idt 16,2a–d). Dieser Aufruf steht überschriftartig über dem Lied. Ab Idt 16,3a findet ein Wechsel in die dritte Person Singular zum Subjekt „Dominus“ Herr statt und das Tempus wechselt von Präsens ins Perfekt. Es wird die zurückliegende Rettungshandlung ausführlich nacherzählt. Der zweite Teil (Idt 16,15a–21b) beginnt erneut mit einem Hortativ (Idt 16,15a) und weist einen Tempuswechsel ins Präsens auf. Es wird darin ein weiteres Mal zum göttlichen Lobpreis aufgerufen und „dem Geschehen eine universalgeschichtliche Dimension“662 verliehen.

3.11.2.2.1 Die Rettung Israels (Idt 16,2a–14c) Der Hymnus beginnt mit einem Aufruf an das feiernde Volk ein Loblied zu singen: „Stimmt an für den Herrn mit Pauken[,] singt dem Herrn mit Zimbeln!“ (Idt 16,2a– b).663 Die Vg nennt, nach organum „Blasinstrument“ und cithara „Zitter“ in

661 Die Hs 151 enthält keine Redeeinleitung zum Lied. 662 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 517. 663 Dieser steht in einem Parallelismus membrorum nach dem Schema Prädikat – Dativ-Objekt – Adverbiale Ergänzung.

338 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 15,15a, mit Jdt 16,1 LXX zwei (weitere) Instrumente: tympanum „Pauke“ und cymbalum „Zimbel“.664 Idt 16,1 Hs 151 enthält nur letzteres. Alle vier Instrumente, organum „Blasinstrument“, cithara „Zitter“, tympanum „Pauke“ und cymbalum „Zimbel“, sind in dem vergleichbaren Lobpreis in Ps 150,3–5 Vg enthalten, so dass sich eine Vg-spezifische Parallelität zu Ps 150 Vg und Idt 16,1 Vg ergibt.665 Weitere, zum Teil Vg-spezifische Gemeinsamkeiten zwischen dem Buch Iudith und Ps 151 Vg, in dem es um den Kampf Davids gegen Goliat geht, sind bemerkenswert: Dazu gehört, dass ein vermeintlich Schwächerer in den Kampf gegen einen vermeintlich Stärkeren zieht, David gegen Goliat (vgl. Ps 151,1) und Iudith gegen Holofernis; dass Gott zur Unterstützung einen „Engel“ ausgesendet hat (angelus; ipse misit angelum suum […], Ps 151,4666; vgl. Idt 13,20b); die Salbung (ungere), die dieser vornimmt (Ps 151,4), übernimmt Iudith vor der Tat selbst (Idt 10,3b); das Kopfabtrennen des Gegners mit dessen eigenem Schwert unter Verwendung der Wörter amputare „abtrennen“ und caput „Kopf“ (vgl. Ps 151,7 Vg; Idt 13,10b.c) und das Wegnehmen der „Schmach“ (obprobrium) von den Söhnen Israels (vgl. Ps 151,7 Vg).667 Durch diese Parallelen wird Iudith mit David parallelisiert und damit auf eine weitere Weise gewürdigt. Es folgt der zweite Teil des Aufrufs: „Lasst uns ihm einen neuen Psalm anstimmen! Preist hoch und ruft seinen Namen an“ (Idt 16,2c–e). Während der erste Teil des Lobpreises in Idt 16,2a–b mit Jdt 16,1 LXX/Hs 151 weitgehend übereinstimmt,668 fällt im zweiten Teil die Verwendung des Hapaxlegomenon modulare „anstimmen“ auf, wofür in Hs 151 das häufige facere „machen“ steht, ebenso wie die Charakterisierung des Psalms als „neu“. Mit letzterem greift die Vg auf Idt 16,15b vor, wenn die Aufforderung erneut an das Volk ergeht, einen „neuen Hymnus“ zu singen. Nach Zenger gibt das Wort „neu“ dem Geschehen eine eschatologisch-universalgeschichtliche Dimension und soll den Lesenden zudem auf etwas Unerhörtes hinweisen und ihn zur Begeisterung anregen.669

664 Tympanum „Pauke“ ist auch ein Instrument, das von den anderen Völkern beim Unterwerfungszug zu den Assyrern verwendet wird (Idt 3,10 Vg). Zusätzlich werden in Idt 3,10 Vg auch corona „Kranz“ und chorus „Tanz“ genannt: Beides hatte Idt 15,15 Vg im Vergleich zu Idt 15,12–13 Hs 151 nicht (vgl. Idt 15,15). 665 laudate eum in sono tubae laudate eum in psalterio et cithara3 laudate eum in tympano et choro laudate eum in cordis et organo4 laudate eum in cymbalis bene sonantibus laudate eum in cymbalis iubilationis5, Ps 150,3–5 Vg. 666 Natürlich ist in Ps 151 an den Propheten Samuel und nicht an einen Engel gedacht. 667 Obprobrium „Schmach“ wird in anderem Kontext auch in Idt 5,18.25; 7,16 verwendet. 668 Vg vertauscht im Vergleich zur LXX die Reihenfolge der Gottesbezeichnungen und schreibt zuerst dominus „Herr“ und dann deus „Gott“. 669 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 519.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 339

Betont wird der „neue Psalm“ auch Vg-spezifisch durch seine Syntax, denn je zwei Imperativsätze (Idt 16,2a.b.d.e) laufen konzentrisch auf diesen Satz mit einem Hortativ (Idt 16,2c) zu. Die Aufforderung, Gottes Namen zu rufen, klingt wie die Antwort auf Idt 9,15a, wo Iudith Gott im Gebet ein Denkmal für seinen Namen vorhergesagt hatte, wenn eine weibliche Hand den Gegner besiegen sollte.

Dominus conterens bella Dann erfolgt die Wiederholung jenes theologischen Wissens über Gott, das Iudith bereits als intertexuelle Übersetzung von Ex 15,3 LXX in Idt 9,10c–d präsentiert hatte: „Der Herr, der Kriege zerschlägt, der Herr ist sein Name“ (Idt 16,3a; vgl. Idt  9,10). Wie Gott bereits die Israeliten vor den Ägyptern gerettet hatte, so soll er, dessen Name Herr ist, es auch vor den Assyrern tun. Während LXX und Vg die Anspielung auf Jdt 9,10 LXX/Vg durch Wortwiederholungen (für die Vg sind das: conterere „zerbrechen“, bellum „Krieg“, Dominus „Herr“ und nomen „Namen“) anzeigen, ersetzt die Hs 151 das Verb durch contribulare „zerquetschen“. Dass die Vg aber die Rekurrenz zu Idt 9,10 durchhält, deutet auf eine bewusste Gleichgestaltung hin.670 Im Folgenden wird das Rettungsgeschehen nacherzählt. Gott habe sein Lager inmitten seines Volkes aufgeschlagen, um es der Hand aller seiner Feinde zu entreißen (Idt 16,4a–b). Jdt 16,2 LXX/Hs 151 schreiben ganz anders, Gott habe Judit in sein Lager aus der Hand derer entrissen, die sie verfolgten. Die Version der Vg ist insofern zutreffend, als es in der Erzählung gerade darum geht, dass Gott Israel rettet. Castra „Lager“ taucht sonst in Verbindung mit dem feindlichen (Heer-) Lager auf, so z.B. dem der Assyrer (Idt 9,6; 13,12; 14,18; 15,7; 16,13) oder dem der Ägypter (Idt 9,9).671 Die Wiederholung von inimicorum nostrorum „unserer Feinde“ (Idt 16,4b) erinnert an die Prophezeiung, die Iudith den Ältesten gegenüber in Idt 8,20 ausgesprochen hatte, nach der Gott das Blut der Israeliten nach den Untaten der Feinde einfordern werde, und an Idt 8,34, wo Ozias und die Ältesten Iudith Erfolg bei der Vergeltung an den Feinden wünschen sowie an Idt  13,24, wo sie Iudith für ihren Erfolg segnen. Nach den Informationen über Gott fängt der Rückblick über die Erzählung an, beginnend mit der Invasion der Assyrer (Idt 16,5a–6a), über Iudiths Tat

670 Idt 16,2 Hs 130 schreibt zwar tu es deus conteres bella, lässt aber Dominus nomen est illi aus, so dass diese These auch hierdurch bestätigt wird. 671 In medio populi „inmitten des Volkes“ Israel wird sonst nur noch von Achior geschrieben (Idt 6,10).

340 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

(Idt 16,7a–11c), bis hin zu den Reaktionen der Assyrer auf die Tat und dem Einmarsch der Israeliten (Idt 16,12a–14c). Zur Invasion der Assyrer heißt es: „Assur kam aus den Bergen von Norden mit der Menge seiner Streitkraft, deren Menge die Bäche verstopfte, und ihre Pferde bedeckten die Täler“ (Idt 16,5a–c). Die Schilderungen zum Einfall der Assyrer verweisen durch mehrfache Wortwiederholungen auf Idt 2–3. Der Hinweis, dass die Assyrer „aus den Bergen von dem Norden“ kommen, könnte die Vg-spezifische Hinzufügung in Idt 2,9 erklären, nach der Holofernis Getreide aus Syrien mitgenommen hat (frumentum ex omni Syria in transitu suo parari constituit, Idt 2,9) bzw. Idt 2,17 Vg (//Jdt 2,27 LXX/Hs 151), wonach die Assyrer die Ebene von Damaskus hinabsteigen. Letzteres erinnert an die aus Jer 1,13–15; 4,6–7; 6,22–23; Ez 19,2–5; Joël 2,20 bekannte Vorstellung, die die assyrische und dann auch die babylonische Bedrohung beschreiben.672 Ex montibus verweist auf Idt 3,7, wonach die Assyrer „von den Bergen“ (de montibus) her kommen. Das Verb cooperire „bedecken“ wird auch in Idt 2,11 für den Feldzug der Assyrer verwendet, die das Land mit ihrem Heer wie Heuschrecken bedecken (zur weiteren Verwendung vgl. Idt 9,8a). Im Vergleich zu Jdt 16,3 LXX/Hs 151 gibt es kleinere Abweichungen: Statt „der Menge“ (multitudo) der Streitkraft sind es in der LXX „Zehntausende“ und in der Hs 151 „Tausende“, statt Pferden, die die Täler bedecken, bedeckt in LXX/Hs 151 die Reiterei die Hügel. Noch immer im Kontext der Invasion wird eine indirekte Rede aus der speziellen Perspektive Iudiths wiedergegeben, auf die sich die Possessivpronomina in der ersten Person Singular beziehen: Assur habe gesagt, es werde ihr Gebiet verbrennen und ihre jungen Männer mit dem Schwert töten und ihre Kleinkinder als Beute hergeben und ihre Jungfrauen in die Gefangenschaft (Idt 16,6a). Nach Schmitz/Engel bringen die Possessivpronomina der ersten Person Singular in diesem Kontext zum Ausdruck, dass Iudith für ganz Israel spricht.673 Das Kriegsvorhaben der Assyrer beinhaltet vier Punkte: das Verbrennen Israels, das Töten der Israeliten, das Erbeuten der Kleinkinder, die Gefangennahme der Jung­frauen.674 Vom Brandschatzen und Töten durch das assyrische Heer wird in Idt  2,16–17 (unter Verwendung von praedare „erbeuten“ und gladium „Schwert“) berichtet. Das Erbeuten und Gefangennehmen von Frauen und Töchtern allerdings wird nicht von den Assyrern, sondern von den Israeliten, unter Verwendung der Wörter dare „geben“, praeda „Beute“ und captivitas „Gefangen-

672 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 398; Zenger, Das Buch Judit, 517. 673 Vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 399; Zenger, Das Buch Judit, 517. 674 Jdt 16,4 LXX schreibt zusätzlich „und meine Säuglinge auf den Erdboden werfen“ (καὶ τὰ θηλάζοντά μου θήσειν εἰς ἔδαφος).



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 341

schaft“, in der Einspielung von Gen 34 in Idt 9,3a–b erwähnt, virgina „Jungfrau“ wiederum erinnert an die eingespielte Vergewaltigung der Dina in Idt  9,2 (vgl. Idt 9,2b–d.3a–b).675 Die Ausführungen zu Iudiths Tat werden als Gottes Tat charakterisiert: „Der Herr aber, der Allmächtige, schadete ihm und gab ihn in die Hände einer Frau und vernichtete ihn. Ihr Machthaber fiel nämlich nicht durch junge Männer, und nicht die Titanen erschlugen ihn, und nicht riesige Giganten stellten sich ihm entgegen, sondern Iudith, die Tochter Meraris, nahm ihm die Kraft durch die Schönheit ihres Gesichts“ (Idt 16,7a–8d). Gott wird erstmals mit dem Titel der „Allmächtige“ benannt, was innerhalb der Erzählung nur noch in Idt  16,20b vorkommt. In der Vg wird der Gegner durch Pronomina in der dritten Person Singular beschrieben, womit dieser eindeutig auf Holofernis festzulegen ist, in Jdt 16,5 LXX/Hs 151 durch Pronomina der dritten Person Plural. Außerdem enthält die Vg zusätzlich die Bemerkung, dass Gott Holofernis schadet: Durch Wortwiederholung von nocere „schaden“ wird Vg-spezifisch ironischerweise auf Idt 11,1 angespielt, wo Holofernis gegenüber Iudith erwähnt, dass er noch nie jemandem etwas zu Leide getan habe, der sich Nabuchodonosor unterworfen hat. Titan ist Hapaxlegomenon in der Vg. Auch hier dient das Bild der weiblichen Hand, in die Gott die Feinde ausliefert, dazu, Iudiths Tat und die besondere Schmach zu beschreiben, die mit diesem Tod einhergeht. Gegen einen pejorativen Charakter des Ausdrucks „durch die Hand einer Frau“ bzgl. der LXX-Fassung wendet sich Rakel.676 Die Vg-spezifischen Hinzufügungen in Idt 15,11a–f zeigen indes, dass in der Vg-Fassung das Umbringen eines Mannes als „männliche Tat“ betrachtet wird. Statt eines militärischen Todes durch einen berühmten Krieger, Titanen oder Giganten, wie es in Idt 16,8b–c heißt, schickt Gott eine Frau.677 Um Gottes Hilfe zu ihrem Plan hatte diese zuvor gebeten: Das „Denkmal“, das sie Gott in diesem Zusammenhang vorhergesagt hatte, wird hier mit dem Lied eingelöst (vgl. Idt  9,15b; zum Motiv der Hand vgl. Idt 13,7b). Idt 16,8a–d entspricht weitgehend Jdt 16,6 LXX/Hs 151, nur dass die Vg (mit Idt 16,6 Hs 130678) facies „Angesicht“ hinzufügt und so auf

675 Auch iuvenis hier: „junger Mann“ wird nur im Kontext der Israeliten verwendet (Idt  7,12; 15,15; 16,8). Unter Verwendung von praeda „Beute“ und infans „Kleinkind“ wird auch die Angst der Israeliten vor der assyrischen Invasion beschrieben (Idt 4,10; vgl. auch Idt 7,16). Achior hingegen stellt unter Verwendung von praeda „Beute“, dare „(preis)geben“ und gladium „Schwert“ fest, dass nur der Gott Israels über die Auslieferung seines Volkes entscheidet (Idt 5,18). 676 Vgl. Rakel, Judit, 123–124. 677 Vgl. auch Zenger, Das Buch Judit, 518. 678 Idt 16,6 Hs 130 schreibt fast identisch zur Vg: […] sed Iudit filia Merari in specie feciei suae dissolvit illum.

342 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 10,20a und damit die Textstelle verweist, in der Iudith ihren Gegner durch ihr Angesicht für sich einnimmt. Iudiths besondere Schönheit wird noch einmal hervorgehoben, indem ihr Verschönerungsprozess vor der Tat nacherzählt wird (vgl. Idt  10,2b–4d): „Sie zog sich nämlich die Witwengewänder aus und zog sich die Kleider ihrer Fröhlichkeit an unter dem Jubel der Söhne Israels. Sie salbte ihr Gesicht mit Salböl, sie band ihre Haarlocken mit einem Band, um ihn zu täuschen. Ihre Sandalen rissen seine Augen hin, ihre Schönheit nahm seine Seele gefangen, mit einem Dolch durchtrennte sie seinen Nacken“ (Idt  16,9a–11c). Aus Idt  10,2–3 werden mehrere Handlungen wiederholt: der Kleidungswechsel (Idt 10,2b.c), das Salben, das durch eine figura etymologica betont und als Salben des Gesichts spezifiziert wird (Idt 10,3b), das Binden679 der Haare, die erst hier als „Locken“ (cincinnus680) bezeichnet werden, sowie das Tragen einer Mitra (Idt 10,3c) und von Sandalen (Idt 10,3f). Die Etappen der Verschönerung werden dann mit ihrer Wirkung verbunden: Zuerst staunten die Ältesten über die Schönheit, was hier mit „dem Jubel der Söhne Israels“ beschrieben wird (Idt 10,6b–7b; 16,9b), dann Holofernis, dessen Augen hingerissen und dessen Seele gefangen genommen wurde. So hatte es Iudith unter Verwendung von oculus „Auge“ zuvor erbeten (vgl. Idt 9,12a–13b) und so ist es eingetroffen (vgl. Idt  10,17a–b). Deshalb konnte Iudith ihre täuschende Absicht umsetzen und Holofernis den Kopf mit dessen Dolch abtrennen. Decipere „täuschen“ ist Vg-spezifisch und kommt einmalig in der Vg-Fassung des Buches Iudith vor. Die Wörter amputare „abtrennen“, pugio „Dolch“ und cervix „Nacken“ in Idt 16,11 verweisen auf die Ausführung der Tat in Idt 13,8–10 zurück. Idt 16,9 Hs 151 hingegen schreibt transire „durchdringen“ statt wie die Vg amputare „abtrennen“ und gibt die LXX damit genauer wieder. Im Vergleich zu Jdt 16,7–9 LXX/Hs 151 weist die Vg eine Reihe von Unterschieden auf: So wissen beide Fassungen nichts vom Anziehen der Freudengewänder, erwähnen vielmehr nach dem Frisieren das Anlegen eines leinenen Gewandes zur Verführung (καὶ ἔλαβεν στολὴν λινῆν εἰς ἀπάτην αὐτοῦ; nach Idt 16,8 vestis nova „neues Gewand“) und begründen das Ausziehen mit der zielgerichteten Absicht Judits, die Söhne Israels zu erhöhen. Nach Idt 16,8 Hs 151 salbt sie Haupt und Haar und schmückt letzteres. Ein Band wird jedoch nicht erwähnt. Jdt 16,9 LXX/Hs 151 nennen das Auge des Holofernes im Singular, statt wie in der Vg im Plural. Idt 16,9 Hs 151 streicht zudem den Hinweis, dass die Seele des Feldherrn gefangen wird.

679 Conligare ist Vg-spezifisch und kommt nur hier in der Iuditherzählung vor. 680 Cinnicus ist mit zwei Vorkommen in der Vg selten. Das Wort verwendet auch die Hs 130.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 343

Im Geschichtsrückblick werden dann die Reaktionen im assyrischen Lager geschildert: „die Perser erschauerten vor ihrer Entschlossenheit und die Meder vor ihrer Kühnheit“ (Idt  16,12a). Es werden die Vorgänge in Idt  14,17a–d.18a; 15,1a–c1 beschrieben, wo zuerst die Assyrer, die als Perser bezeichnet werden, in Panik geraten und dann der Rest des Heeres mitsamt allen zum Kampf verpflichteten Truppen, für die stellvertretend die Meder genannt werden.681 Beide haben Iudith als diejenige erkannt, die diesen Schrecken über sie gebracht hat (Idt  14,16b–d). Es ist auffällig, dass Vg-spezifisch hier das Wort constantia „Standhaftigkeit“ hinzugefügt ist. Jdt 16,10 LXX schreibt stattdessen den Persern Kühnheit und den Medern Bestürzung wegen Judits Verwegenheit zu (ἔφριξαν Πέρσαι τὴν τόλμαν αὐτῆς καὶ Μῆδοι τὸ θράσος αὐτῆς ἐταράχθησαν). Idt 16,10 Hs 151 schreibt den Persern ebenfalls „Kühnheit“ (audacia) zu, den Medern aber Verwirrung (conturbare). „Standhaftigkeit“ (constantia) verweist auf Iudiths Vgspezifische Bitte um dieselbe im Gebet (vgl. Idt 9,14a1). Eine sexuelle Konnotation von constantia lag durch die Auslegung von Idt  9,14a1 nahe. Diese wäre dann auch hier zu Grunde zu legen. Die Aussage würde daher Vg-spezifisch implizieren, dass die Perser darüber erschauern, dass es Iudith gelungen ist, den Verführungskünsten des Holofernis zu widerstehen. Weitere Reaktionen im Lager der Assyrer und die Invasion durch die Israeliten werden beschrieben: „Da schrie das Lager der Assyrer, als meine armseligen Leute erschienen, die vor Durst am Vertrocknen waren“ (Idt 16,13a–b). Während Idt  16,13a–b Vg nur einen Haupt- und einen temporalen Nebensatz enthält, weisen Jdt 16,11 LXX fünf, Idt 16,11 Hs 151 vier Hauptsätze vor. Inhaltlich unterscheidet sich die Vg nicht.682 Das Lexem ulul- „schrei-“ verweist auf

681 Die Meder verweisen auch auf Idt 1, wo Arfaxad als deren Anführer genannt wird (Idt 1,1), der mitsamt seinem Heer von den Assyrern besiegt worden ist (Idt 1,5). Infolgedessen wurde Nabuchodonosor auf dem Höhepunkt seiner Macht hochmütig (Idt 1,7), was für den Schrecken, der sein eigenes Heer befallen sollte, ursächlich war. 682 Jdt 16,11 LXX thematisiert das Siegesgeschrei der Israeliten und dann zuerst, dass die Israeliten in Furcht und dann die Assyrer in Schrecken verfallen (letzteres fehlt in Idt 16,11 Hs 151), dass sie ihre Stimme erheben und zurückweichen. Die Angst der Assyrer ergibt sich in der Vg aus ihrem Geschrei (Idt 16,13a). Dass sie zurückweichen, ergänzt Idt 16,16b Vg. Textkritisch ist das InFurcht-Verfallen der Israeliten in Jdt 16,11 LXX nach Rahlfs nicht ganz unproblematisch. Wenige Hss, Übersetzungen und auch die Göttinger Edition übersetzen „(Meine Schwachen) begannen zu schreien“ statt „(Meine Schwachen) gerieten in Furcht“. Das Fürchten thematisiert hingegen auch Idt  16,11 Hs 151 und zusätzlich den Durst der Israeliten (et timuerunt infirmi in sitim). Es scheint, als habe die Vg nur letzteren Gedanken ausgebaut; vgl. zur textkritischen Problematik ausführlich Schmitz/Engel, Judit, 371–372, 402–403.

344 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

Idt 15,3a, ist dort allerdings auf die anrückenden Israeliten bezogen, die in der angreifenden Situation nicht mehr als niedrig und durstig beschrieben werden und nicht wie hier auf die Assyrer. Das ist deswegen auffällig, weil es in Jdt 16,11 LXX/Hs 151 richtig heißt, dass die angreifenden Israeliten die Schreienden sind. Das Lexem humil- „niedr-“ verweist auf Idt  9,16d, wo Iudith Gott als Gott der Niedrigen bezeichnet hatte. Das Wort sitis „Durst“ hat die Vg mit Idt  16,11 Hs 151 gemein. Es verweist auf Idt 7,14, wo das Volk über den lebensbedrohlichen Durst wegen der Belagerung durch die Assyrer geklagt hatte. Das Motiv ist Vg-spezifisch durch das Wort arescere „trocknen“ verstärkt, das nur hier innerhalb der Iuditherzählung vorkommt. In der LXX findet das Motiv an dieser Stelle keine Erwähnung. Möglicherweise soll durch die in den lateinischen Fassungen enthaltene Wiederholung des Leidens des israelitischen Volkes durch die Assyrer deren Gegenwehr gerechtfertigt werden. Diese wird sodann in einer Wiederholung der Geschehnisse von Idt 15,3a–4c beschrieben: „Die Söhne von jungen Frauen zerstachen sie, und wie entlaufende Knechte töteten sie sie; sie gingen zugrunde in der Schlacht, im Angesicht meines Herrn“ (Idt  16,14a–c). Ähnlich formuliert auch Jdt 16,12 LXX. Idt  16,12 Hss 151, 130 hingegen sind im Vergleich dazu kürzer. Auch fehlt eine Entsprechung zu Idt 16,14c Vg. Durch das Lexem fug- „flieh-“ wird auf Idt  15,3a.4a verwiesen: Beide Male bezieht es sich auf die fliehenden Assyrer. Im Lied wird der Bezug Gottes zu der Tötung der Assyrer hinzugefügt (Idt 16,14c), was in Idt 15,4b–c fehlt. Conpungere „Zerstechen“ ist Vg-spezifisch und kommt nur hier innerhalb der Iuditherzählung vor.

3.11.2.2.2 Lobpreis des Herrn (Idt 16,15a–21b) Iudith ruft zu Beginn des zweiten Teils das Volk mit zwei Hortativen dazu auf, dem Herrn ein neues Lied zu singen: „Lasst uns dem Herrn ein Lied singen, ein neues Lied lasst uns singen unserem Gott!“ (Idt 16,15a–b).683 Der zweite Großteil des Liedes beginnt wie der erste mit einem Parallelismus membrorum nach

683 Die Formulierung erinnert an die Aufforderung cantate Domino canticum novum „Singt dem Herrn ein neues Lied“ in Jes 42,10; Ps 97,1; 149,1 Vg. Jes 42,10 fordert dazu auf, den bevorstehenden Auszug auf dem babylonischen Exil zu besingen, während Iudith das Rettungslied erst im Nachhinein anstimmt; vgl. auch Schmitz/Engel, Judit, 404–405.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 345

dem Schema Akkusativ-Objekt – Prädikat – Dativ-Objekt. Jdt 16,13 LXX enthält nur eine einfache Ankündigung Judits, dem Herrn selbst ein Lied zu singen. In Idt 16,13 Hs 151 spricht Iudith wie in der LXX in der ersten Person Singular, aber wie in der Vg in zwei Hauptsätzen, die jedoch keinen Parallelismus enthalten und statt von einem „neuen Lied“ von einem „Lob“ sprechen.684 Offenbar enthält nur die Vg den Parallelismus membrorum an dieser syntaktisch besonderen Stelle. Unter Verwendung einer besonderen Gottesanrede wird der Lobpreis fortgeführt: „Adonai, Herr, groß bist du und herrlich an Kraft und einer, den niemand überwinden kann“ (Idt 16,16a–b). Idt 16,16a Vg folgt im Wesentlichen Jdt 16,13 LXX/ Hs 151 und fügt nur die beiden Gottesanreden Adonai „Herr“ und tu „du“ hinzu. Adonai findet sich in der gesamten Vg sonst nur noch in Ex 6,3 Vg, wenn Gott sich mit dem Namen JHWH (‫ יהוה‬/ κύριος) selbst vorstellt und dem Mose den Exodus ankündigt.685 Dadurch wird Vg-spezifisch erneut das Exodusgeschehen mit der Rettung Bethulias parallelisiert und Gottes rettendes Eingreifen gewürdigt. In Idt 16,16a–b wird Gott mit drei Eigenschaften gepriesen – Größe, Herrlichkeit und Unüberwindbarkeit. Auch Nabuchodonosor wurde von den sich unterwerfenden Völkern in Idt 3,2 als großer König bezeichnet (regi magno). Gott ist herrlich an „Kraft“ virtus. Genau diese hatte Iudith von Gott erbeten (Idt 9,14a1–c). Praeclarus „herrlich“ kommt nur noch in Bezug auf Iudith und ihre weitere Verehrung in Idt 16,25 vor. Auch Idt 16,16b ist eine Vg-spezifische Hinzufügung. Jdt 16,13 LXX/Hs 151 schreiben nur ein kurzes ἀνυπέρβλητος / invictus „unbesiegbar“. Der von der Vg hinzugefügte Satz in Idt 16,16b erinnert durch Wortwahl und Inhalt an die praefatio zum Buch Iudith: Dort wird Gott unter zweimaliger Verwendung des Lexems supera- als derjenige bezeichnet, der den Unüberwindbaren überwindet (ut invictum omnibus hominibus vinceret, insuperabilem superaret Z. 11–12 praefatio zum Buch Iudith). In Idt 7,9 beraten die Diener des Holofernis diesen, wie er das Volk in Bethulia mit Leichtigkeit überwinden könne (superare). Aus den zuvor genannten Eigenschaften Gottes ergibt sich dann die schöpfungstheologische Forderung: „Dir soll jedes deiner Geschöpfe dienen, denn du hast gesprochen – und sie sind entstanden. Du sandtest deinen Geist – und sie wurden geschaffen, und es gibt niemanden, der deiner Stimme widerstehen

684 Auch Idt 16,13 Hs 130 enthält weder einen Hortativ, noch einen Parallelismus, noch die Ankündigung eines neuen Liedes. 685 Sonst überträgt die Vg die Gottesbezeichnung „Gott, der Herr“ (‫ יהוה אלהימ‬/ κύριος ὁ θεός, vgl. z.B. Gen 2,8) mit Domine Deus.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

könnte“ (Idt 16,17a–g).686 Die Vg folgt Jdt 16,14 LXX.687 Das Lexem restist- „widersteh-“ verwendet auch Achior, wenn er dem Holofernis gegenüber prophezeit, dass dem Volk Israel niemand Widerstand leisten könne, wenn dieses sich nicht gegen seinen Gott versündigt habe (Idt 5,26). Darüber hinaus steht das Wort dafür, dass die Israeliten (Idt 5,1.19.27) oder auch andere Völker (Idt 2,16) den Assyrern Widerstand leisten. Gott soll die ganze Schöpfung dienen, fordert Idt  16,17a (servire; vgl. auch Idt 8,16), nicht Nabuchodonosor (vgl. Idt 3,2; 11,1), der den göttlichen Status für sich beansprucht hatte.688 Die Naturphänomene Erdbeben, Seebeben und Vulkanausbruch beschreiben dieses Dienen:689 „Berge zusammen mit Wassern werden von ihren Fundamenten bewegt werden, Felsen werden zerschmelzen wie Wachs vor deinem Angesicht“ (Idt  16,18a–b). Idt  16,18a–b Vg entspricht Jdt 16,15 LXX weitgehend. In der Vg fehlen allerdings die Hinweise zu Gottesfurcht sowie Räucher- und Brandopfern (Jdt 16,16 LXX).690 Idt 16,15–16 Hs 151 folgt Jdt 16,15–16 LXX, ist aber gekürzt um die Naturphänomene Erd- und Seebeben sowie um den Gedanken der Gottesfurcht. Die beschriebenen Naturphänomene stehen im Dienst Gottes und sind in biblischer Tradition nicht selten. Zur Rettung des Volkes Israel aber hat Gott gerade keine Naturphänomene, sondern Iudith geschickt. Diese nun preist in ihrem Danklied nicht sich selbst, sondern Gott, den Schöpfer und Herrn der Geschichte.691 Weiter wird die Gottesfurcht als rechte Haltung des Menschen thematisiert, der stellvertretend für die belebte Schöpfung steht: „Die aber dich fürchten, werden bei dir groß sein vor allem“ (Idt 16,19a–b). Jdt 16,16 LXX/Hs 151 nennen den Gottesfürchtigen in der dritten Person. Im Lied der LXX wird die Gottesfurcht

686 Schöpfungstheologische Aussagen innerhalb der Erzählung finden sich darüber hinaus nur noch in den Reden und Gebeten; vgl. dazu Schmitz, »Dir soll Deine ganze Schöpfung dienen« (Jdt 16,14), 56–58; vgl. zu Jdt 16,14 LXX auch Levinson, Judith 16:14, 467–469. In der Vg-Fassung finden sich diese in Iudiths Gebet, in dem sie Gott als „Gott der Himmel, Erschaffer der Wasser und Herr der ganzen Schöpfung“ (Deus caelorum creator aquarum et dominus totius creaturae Idt 9,17a) anruft, und im Lobpreis des Ozias, wo es es heißt: „Gepriesen sei der Herr, der den Himmel und die Erde geschaffen hat“ (benedictus Dominus qui creavit caelum et terram Idt 13,24a–b). 687 Wenn Idt 16,17e Vg „sie wurden geschaffen“ (creare) schreibt, findet sich in Jdt 16,17 LXX καὶ ᾠκοδόμησεν „und er baute auf“. Idt 16,14 Hs 151 lässt das ganz aus. 688 Idt 16,17b–c erinnern an den Beginn von Gen 1. Die Geistsendung in Idt 16,17d lässt darüber hinaus an Ps 104,30 HT//Ps 103,30 LXX/Vg denken. 689 Vgl. dazu auch Ps 104,32 HT//Ps 103,32 LXX/Vg. 690 Jdt 16,15–16 LXX schreibt: […] ἔτι δὲ τοῖς φοβουμένοις σε σὺ εὐιλατεύσεις αὐτοῖς 16 ὅτι μικρὸν πᾶσα θυσία εἰς ὀσμὴν εὐωδίας καὶ ἐλάχιστον πᾶν στέαρ εἰς ὁλοκαύτωμά σοι […]. Dass dies aber keine besondere Bewandnis hat, zeigen Idt 16,22c–23a3, denn dort werden im Zuge der Siegesfeierlichkeiten verschiedene Opfer dargebracht. 691 Vgl. zur Interpretation von Jdt 16,15 LXX Schmitz/Engel, Judit, 407–408.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 347

zum zweiten Mal thematisiert (Jdt 16,15.16 LXX). Das Leitwort der Gottesfurcht wurde in der Erzählung bereits als die maßgebliche und rechte Verhaltensweise vor Gott vorgestellt, die Judit/Iudith insbesondere erfüllt (vgl. Jdt 8,8.31 LXX// Idt 8,8 Hs 151//Idt 8,8.29 Vg). Dieser Verweis impliziert, dass Judit/Iudith wegen ihrer gelungenen Tat groß vor Gott und vor allen ist. Es folgen die beiden Schlussverse des Hymnus, die durch einen Weheruf (vae) gegen die Völker, die sich gegen Israel auflehnen, eingeleitet werden: „Wehe dem Stamm, der gegen mein Volk aufsteht! Der Herr, der Allmächtige, wird sie nämlich bestrafen, am Tag des Gerichts wird er sie heimsuchen. Er wird nämlich Feuer geben und Würmer in ihr Fleisch, damit sie brennen und es spüren in Ewigkeit“ (Idt 16,20a–21b). Dem Heil Israels wird das Strafgericht für die Feinde kontrastierend gegenüberstellt.692 Gleichzeitig wird die Hoffnung auf Rettung vor allen künftigen Bedrohungen zum Ausdruck gebracht. Diese Hoffnung wird abschließend mit den das Buch Jesaja abschließenden Bildern vom nicht sterbenden Wurm und dem nicht erlöschenden Feuer zur Beschreibung der ewigen Strafe unterstützt (Jes 66,24 vgl. auch Sir 7,19; 2 Makk 9,9):693 Jes 66,24b Elb

Jes 66,24b HT

Jes 66,24b Vg

Idt 16,21 Vg

Denn ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen, und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch.

‫כי תולעתם לא תמות‬ ‫ואשם לא תכבה והיו‬ ‫דראון לכל־בשר‬

vermis eorum non morietur et ignis eorum non extinguetur et erunt usque ad satietatem visionis omni carni

dabit enim ignem et vermes in carnes eorum ut urantur et sentiant usque in sempiternum

Dazu werden die Wörter „Wurm“ (vermis), „Feuer“ (ignis) und „Fleisch“ (carnis) aus Jes 66,24b Vg in Idt 16,21 Vg aufgegriffen. Idt 16,20a–21b Vg hat große Ähnlichkeit zu Jdt 16,17 LXX/Hs 151. Auffällig sind nur zwei Verben, die die Vg im Vergleich zu Hs 151 abändert: vindicare „bestrafen“ für ulciscor „rächen“ und das seltene urare „brennen“ für ardere „brennen“.694 Intratextuell verweist insurgere „auflehnen“ auf den Vg-spezifischen Zusatz in Idt  8,20, wo Iudith den Ältesten gegenüber bereits vorhergesagt hatte, wie es jenen ergehen würde, die sich gegen das Volk Israel auflehnen.

692 Vgl. das Ende des Liedes in Dtn 32,43; vgl. Zenger, Das Buch Judit, 520. 693 […] ὁ γὰρ σκώληξ αὐτῶν οὐ τελευτήσει καὶ τὸ πῦρ αὐτῶν οὐ σβεσθήσεται καὶ ἔσονται εἰς ὅρασιν πάσῃ σαρκί, Jes 66,24. Vgl. dazu Schmitz/Gärnter, »… indem er Feuer und Würmer in ihr Fleisch gibt« (Idt 16,7), 107–123. 694 Vindicare „bestrafen“ kommt nur noch in dem Vg-spezifischen Zusatz in Idt 7,20 vor, wenn das Volk zu Gott fleht, dass er es nach den begangenen Taten strafen möge.

348 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

3.11.3 Siegesfeier in Jerusalem und das Leben nach dem Sieg (Idt 16,22a–31b) Et factum est post „und es geschah danach“ leitet zum letzten Abschnitt über, der sich in zwei Unterabschnitte gliedern lässt: Im ersten (Idt 16,22a–24b) wird das dreimonatige Feiern des ganzen Volkes am Tempel von Jerusalem beschrieben, im zweiten (Idt  16,25a–31b) – eingeleitet durch die Zeitangabe post dies autem „nach jenen Tagen“ – rückt Iudiths weiteres Leben in Bethulia und das des jüdischen Volkes nach ihrem Tod in den Fokus.

3.11.3.1 Siegesfeier in Jerusalem (Idt 16,22a–24b) Nach dem Sieg kommt das ganze Volk nach Jerusalem, um den Herrn anzubeten (Idt  16,22a–b). Adorare „verehren“ ist ein wichtiges Leitwort der Erzählung. Es dient mehrfach zur Bezeichnung der Verehrung Gottes (Idt 6,14; 8,18; 13,22; 16,22, vgl. Idt 8,18). Auch Idt 16,18 Hs 151 verwendet es, Jdt 16,18 LXX thematisiert deutlicher das Niederwerfen des Volkes (ὡς δὲ ἤλθοσαν εἰς Ιερουσαλημ προσεκύνησαν τῷ θεῷ).695 Zu den Feierriten zählen Reinigung und verschiedene Opfer: Und bald darauf, sobald sie gereinigt sind, bringen alle ihre Brandopfer dar und ihre Gelübdeopfer und ihre versprochenen Opfer (Idt 16,22c1–2). Es fällt auf, dass die Reinigung – wie auch in Idt  16,18 Hs 151 – mit dem Wort purificare bezeichnet wird, während dieselbe im Zuge von Iudiths Gebeten mit baptizare bezeichnet wurde (vgl. Idt 12,7a–b). Unter den Opfern werden „Brandopfer“ (holocaustum), „Gelübdeopfer“ (votum) und „versprochene Opfer“ (repromissio) unterschieden. Auch in Idt 4,16 Vg war von Brandopfern (holocaustum) die Rede, die am Tempel dargebracht wurden. Iudith ihrerseits bringt alle Gefäße des Holofernes, die er in den Krieg mitgenommen und die das Volk ihr gegeben hatte, und das Mückennetz, das sie selbst weggenommen hatte, als Weihgeschenk gegen das Vergessen dar (Idt 16,23a1–3). Iudith bereichert sich nicht an dem, was das Volk ihr an Reichtümern hat zukommen lassen (vgl. auch Idt  15,14a1–c), sondern bringt alles vor Gott. In der Vg fehlt gegenüber Jdt 16,19 LXX/Hs 151 die Benennung des Raumes, in dem sich das Mückennetz befand. In anathema oblivionis „als Weihgeschenk des Vergessens“, die LXX schreibt εἰς ἀνάθημα τῷ θεῷ ἔδωκεν „als Weihegabe vor Gott“, meint den in der Antike verbreiteten Brauch der „Übereignung von Menschen, Vieh, Land oder Sachgütern (oft von Kriegsbeute) an die Gottheit eines Heilig-

695 Idt 16,22a–b Vg fügt im Vergleich zu Jdt 16,18 LXX/Hs 151 kleinere Stukturelemente ein: et factum est post […] post victoriam […].



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 349

tums bzw. deren Priesterschaft; sie gelten von da an als hochheilig und dürfen weder verkauft noch ausgelöst werden (Lev 27,28; Num 18,14; Ez 44,29). Mit dieser Weihgabe an den Jerusalemer Tempel ist die Niederlage der Assyrer vollständig. Zugleich hat Judit mit der Hinterlegung des Mückennetzes im Tempel auch ihre Ankündigung, sie werde Holofernes nach Jerusalem führen, […] erfüllt.“696 Diese Beobachtung gilt auch für die Vg, wo Iudith die Ankündigung in Idt 11,15 hat verlauten lassen. Durch die Übereignung der Weihgaben gibt Judit/Iudith auch ihre politische Rolle als Anführerin ab.697 Iudith feiert hier als Glied des Volkes mit. Gleichzeitig werde Gott dadurch als der wahre Retter gepriesen.698 Die in beiden lateinischen Fassungen gegebene Ergänzung „des Vergessens“ (oblivionis) steht nach Scholz dafür, dass „das bisherige Elend bis auf die Erinnerung ausgetilgt sei“699. Nach Soubigou sei damit die ewige Erinnerung an den Sieg bezeichnet, die die schlechten Tage vergessen lasse.700 Das Volk ist fröhlich angesichts des Heiligtums, und drei Monate lang wird die Freude über diesen Sieg zusammen mit Iudith gefeiert (Idt 16,24a–b). Im Vergleich zu Jdt 16,20 LXX/Hs 151 betont Idt 16,24a–b Vg die Freude des Volkes Israel gleich doppelt, die zudem als Freude über den Sieg gekennzeichnet wird, indem gaudium huius victoriae celebratum est (in Idt 16,24b) hinzufügt wird.701

3.11.3.2 Das weitere Leben Iudiths und Israels (Idt 16,25a–31b) Nach Schilderung der Festfeier wird zu der Zeit danach übergeleitet: Nach jenen Tagen aber kehrt jeder an seinen Ort zurück, und Iudith wird gepriesen in Bethulia und ist angesehener als alle anderen im ganzen Land Israel (Idt 16,25a–c). Jdt 16,21 LXX/Hs 151 schreiben stattdessen, dass jeder auf seinen Erbbesitz zurückkehrte und Judit auf ihrem Besitztum verweilte.702 Ihre Berühmtheit konkretisieren Jdt 16,21 LXX/Hs 151 auf den Zeitraum ihrer Lebenszeit. Ironischerweise wird Iudith nun nicht – wie von Holofernis prophezeit – groß (magna) im Hause Nabuchodonosors und im ganzen Land (in universa terra Idt 11,25), sondern im Gegen-

696 Schmitz/Engel, Judit, 411. 697 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 412. 698 Vgl. Zenger, Judit, 521; Haag, Studien zum Buch Judith, 59. 699 Vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 193. 700 Vgl. Soubigou, Judith, 573. 701 Gestrichen ist in der Vg ein abschließendes Verb: Jdt 16,20 LXX/Hs 151 schreiben, das Judit mit ihnen verweilte (καὶ Ιουδιθ μετ᾽ αὐτῶν κατέμεινεν / et iudith cum illis permansit). 702 Diese für die Forschung interessante Frage, was genau Judit als Eigentum oder nur als Besitz hatte, kann für die Vg aufgrund der Auslassung nicht beantwortet werden; vgl. Idt 8,1.

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 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

teil groß (magna) in Bethulia und angesehener als alle im ganzen Land (universae terra). Idt  16,26a–29a beschreiben Iudiths weiteres Leben: Sie sei der Tugend der Keuschheit so verbunden, dass sie keinen Mann erkennt während aller Tage ihres Lebens, seit ihr Mann Manasse gestorben war (Idt  16,26a–c). In dem Vgspezifischen Zusatz (Idt  16,26a) wird Keuschheit (castitas) ein weiteres Mal als die maßgebliche Tugend (virtus) Iudiths benannt (vgl. praefatio zum Buch Iudith; Idt  9,14; 10,4; 15,11): Das Vg-spezifische Motiv wird an zentralen Stellen der VgFassung genannt und der Wert der Keuschheit insofern hervorgehoben. Diese befolgt Iudith bis zu ihrem Tod, was zeigt, dass es sich dabei um eine Lebenseinstellung handelt. Auffällig ist auch, dass Jdt 16,22 LXX/Hs 151 das Subjekt vertauschen und schreiben, dass kein Mann Judit erkannt hat für die restliche Zeit ihres Lebens vom Tod ihres Mannes Manasse an, obwohl sie sehr begehrt gewesen sei. Wichtig für die in der Vg transportierte Botschaft ist aber gerade, dass es Iudith ist, die sich freiwillig für ein Leben in Keuschheit entscheidet – so wichtig, dass Hieronymus diesen Punkt in Ep. 54 noch einmal eigens betont haben will: „[…] uincit uiros femina et castitas truncat libidinem habituque repente mutato ad uictrices sordes redit omnibus saeculi cultibus mundiores.“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 484). „[…] Eine Frau besiegt die Männer, und die Keuschheit enthauptet die geile Gier. Nach vollbrachter Tat wechselt sie sofort wieder ihre Kleidung und zieht erneut das schmutzige Gewand an, welchem sie ihren Sieg verdankt, welches allein weltlichen Putz an Schönheit übertrifft“703.

Der Briefauszug zeigt die hieronymianische Lesart der Erzählung: Dass eine Frau die Männer besiegt, wird damit in Relation gesetzt, dass die Keuschheit (castitas) die Begierde (libido) enthauptet. Beides, sowohl der Sieg einer Frau über Männer als auch die Enthauptung der Begierde durch die Keuschheit, werden im Brief als besonders und ungewöhnlich interpretiert. Das Ungewöhnliche wird noch dadurch gesteigert, dass die Rede von Männern im Plural ist. Die hieronymianische Bewertung erinnert an den Vg-spezifischen Zusatz in Idt 15,11a, wo die Ältesten betont haben, dass Iudith wie ein Mann gehandelt habe. Auch in dieser Feststellung klingt das Besondere der gelungenen Tat bereits an. Daran schließt sich die Erklärung für die ungewöhnlichen Ereignisse an: Denn dass Iudith nach der Tat ihr Bußgewand wieder anlegt und damit ihr frommes Leben fortführt, wird in Relation zu ihrem Sieg und ihrer Unterstützung durch Gott gesetzt. Darum muss dieses Gewand schöner sein als alle weltlichen (vgl. Idt 13,10). Die beschönigende

703 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 168).



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

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Formulierung in Jdt 16,22 LXX/Hs 151, dass Manasse seinem Volk zugefügt wurde, lässt die Vg aus. Dass Iudith ihre Keuscheit weiterführt, legt nahe, dass sie ihr ganzes Leben so weiterführt, wie es ist Idt  8,4a–6a Vg beschrieben worden ist, dementsprechend das Bußgewand trägt und außer an den Festtagen fastet. Diesen Schluss lässt auch Idt  16,27a–28a Vg zu, denn dort heißt es, dass Iudith an den Festtagen mit großer Pracht hervortritt und sonst aber im Hause ihres Mannes bleibt, einhundertfünf Jahre (Idt  16,27a–28a).704 Idt  16,27a ist auch in Idt  16,23 Hs 151 enthalten (nicht in Jdt 16,22 LXX), allerdings fügt die Vg diebus festis „an den Festtagen“ hinzu. Selbstverständlich erscheint Iudith nicht immer, sondern nur „an den Festtagen“ in prächtigem Aufzug.705 Sowohl der seltene Ausgang als auch dass Iudith die meiste Zeit über im Haus bleibt, sind weitere Zeichen ihrer frommen Lebensgesinnung (vgl. Idt 8,4a–6a). Ihr langes Leben, vergleichbar dem Abrahams (einhundertfünfundsiebzig Jahre in Gen 25,7), Isaaks (einhundertachzig Jahre in Gen 35,28) oder Josefs (einhundertzehn Jahre in Gen 50,22), deutet auf ihre Weisheit und Gottesfurcht hin (vgl. Idt 8,8b). Iudith lässt ihre abra frei, stirbt und wird begraben bei ihrem Mann in Bethulia (Idt 16,28b–c). Jdt 16,23 LXX schreibt „in der Grabhöhle ihres Mannes“ bzw. Idt 16,23 Hs 151 „im Grab“ (sepulchrum). Das Begrabensein bei ihrem Mann verweist auf Idt  8,3c–d, denn auch Manasse stirbt und wird bei seinen Vätern in Bethulia begraben. Dass auch Iudith dem Familiengrab beigesetzt wird, zeigt ihren Wohlstand und verweist auf andere Familiengräber der biblichen Tradition – der Erzeltern Abraham und Sara (Gen 23,19; 25,9), Isaak und Rebecca sowie Jakob und Rahel (Gen 49,29–32) – und damit auf ihre fromme Lebenshaltung. Das ganze Volk erweist Iudith die Ehre, indem es sie sieben Tage lang betrauert (Idt  16,29a). Dies entspricht der jüdischen Tradition (wie beispielsweise bei der Trauer um Jakob in Gen 50,10; vgl. auch Sir 22,12 LXX//22,13 Vg). Jdt 16,24 LXX/ Hs 151 schreiben statt „das ganze Volk“ das synonyme „Haus Israel“ und zusätzlich, dass Judit all ihr Hab und Gut vor ihrem Tod an ihre Verwandten verteilt. Während der ganzen Dauer ihres Lebens wird es niemanden mehr geben, der Israel in Unruhe versetzt, und nach ihrem Tode nicht, viele Jahre lang (Idt 16,30a1–2). Jdt 16,25 LXX/Hs 151 schreiben „in den Tagen Judits“. Alle Textfassungen schließen mit diesem Hinweis. Nicht so die Vg, wo ein Vg-spezifischer Zusatz eingefügt wird. Demnach erhält der Tag des Sieges von den Hebräern die Eigenschaft eines Festes in der Anzahl der heiligen Tage und wird von den Juden

704 Auch die Ältesten hatten das Wort gloria verwendet um Iudith zu lobpreisen (vgl. Idt 15,10). 705 In den Briefen des Hieronymus rät dieser von derlei weltlicher Verschönerung dringend ab (vgl. Ep. 54 sowie Idt 8,6a; 10,3e).

352 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

seit jener Zeit bis zum heutigen Tag gefeiert (Idt 16,31a–b). Das beschriebene Fest wird immer wieder mit Channukka (vgl. 1 Makk 4,59) oder dem Nicanorfest (vgl. 1 Makk 7,49//2 Makk 15,36), das erst zu späterer Abfassungszeit Purim genannt wird (vgl. auch Est 9,17–32), in Verbindung gebracht.706 Doch gehört die Juditerzählung nicht zu den Schriften, die die Rabbinen als heilig erachten.707 Der erste eindeutige Beleg für eine Verbindung zwischen der Juditerzählung und Channukka ist jedoch erst aus dem 11 Jh. in einem Piyyut von Josef b. Shlomo von Carcasonne.708 Nach Stemberger könnte diese Verbindung durch den Vg-spezifischen Zusatz des Hieronymus in Jdt 16,31 hergestellt worden sein.709 Das aramäische Original aber, von dem Hieronymus in seiner praefatio zum Buch Iudith spreche, sei nicht überliefert und damit nicht zugänglich.710 Daher sei zwar nicht auszuschließen, dass in jüdischen Gemeinden der Diaspora die Juditerzählung mit dem Channukkafest verbunden wurde, jedoch gebe es dafür keine Beweise.711 Die Bezeichnung „Juden“ (Iudais) ist bemerkenswert, weil sie einmalig und Vg-spezifisch hinzugefügt ist.712 Die Häufigkeit des Wortes in der Vg weist allerdings auf keine Besonderheit hin.

Fazit Auch der letzte Teil der Erzählung (Idt 15,9a–16,31b) enthält wieder Eigengut der Vg: So ist auffällig, dass die Vg/Hs 151 (und Hs 130) Iudith auf den Hohepriester und die Ältesten zukommen lassen, indem sie heraustritt, während diese umgekehrt in der LXX bei ihr eintreten und ihr damit eine besondere Ehre zuteil werden lassen. Dass Iudith beim Hinaustreten vom Volk una voce „einstimmig“ gepriesen wird (Idt 15,10b; wie auch in Idt 10,9), ist eine Vg-spezifische Formulierung. Im

706 Vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 195–196; Zenger, Das Buch Judit, 522. Stemberger nennt einen Judit-Midraschim, der die Geschichte mit dem Monat Adar, dem Monat des Purimfestes, verbinde. Die Parallelen zwischen Ester und Judit als Heldinnen eines Festes seien aber der Grund, Channukka mit dem Buch Judit in Verbindung zu bringen; vgl. Stemberger, Judaica Minora, 276–277; vgl. dazu auch ausführlich Börner-Klein, Gefährdete Braut und schöne Witwe, 285–428. 707 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 44. 708 Zu diesem und weiteren Belegen vgl. Stemberger, Judaica Minora, 275–276. 709 Vgl. Stemberger, Judaica Minora, 275–276. 710 Vgl. Stemberger, Judaica Minora, 275–276. 711 Vgl. Stemberger, Judaica Minora, 276. 712 Vgl. Soubigou, Judith, 575; vgl. auch Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 195; Priero, Giuditta, 139; Moore, Judith, 261.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 353

dreifachen Lobpreis auf Iudith (Idt 15,10a–c) schreibt die Vg laetitia „Freude“ statt des gewöhnlichen gaudium wie in Idt 15,9 Hs 151. Außerdem wird mit der Formulierung gloria Hierusalem „Ruhm Jerusalems“ ein Vg-spezifischer intratextueller Verweis auf Idt 10,8 gegeben, wenn die Ältesten von Bethulia Iudith wünschen, dass Jerusalem sich ihrer rühmen kann. Idt 15,11a–f ist ein auffälliger Vg-spezifischer Zusatz: Darin wird Iudiths Tat dahingehend charakterisiert, dass Iudith wie ein Mann gehandelt habe (Idt 15,11a). Nicht dass ein Mann getötet wird, wird hervorgehoben, sondern dass eine Frau die Täterin ist. Dies ist nach Maßstäben der Vg ein „unweibliches“ Verhalten. Der nach der Vg positiv konnotierte Wert ist Iudiths Keuschheit (Idt 15,11c.d), die in der Erzählung erstmalig ausdrücklich genannt wird. Auf dieses Motiv liefen alle Vgspezifischen Zusätze zu, die die Opposition zwischen Keuschheit und Unterstützung Gottes einerseits und sexueller Triebhaftigkeit und Untergang andererseits thematisieren (vgl. Idt  8,5a–b; 9,13a–14d; 10,4a–d.17a–b; 12,10d–f.16a.20a–c; 13,20b–d). Weil Iudith keinen anderen Mann erkannt habe, habe Gott sie gestärkt (Idt 15,11b.e). Nur dadurch wurde ihre „unweibliche“ Tat möglich. In der praefatio zum Buch Iudith (Z. 9–11) betont Hieronymus den Nachahmungscharakter der vorbildhaften Keuschheit Iudiths, wegen der diese damit belohnt wurde, Retterin Israels zu sein. In Ep. 54,16 schreibt er über diese Szene, dass eine Frau die Männer tötet und dass Keuschheit die Begierde besiegt. Die keusche Lebensführung, die in Idt 15,11c–d angepriesen und so mit der Handlung verknüpft wird, sollen Lesende nachahmen, nicht aber, dass Frauen Männer töten. Diese Vgspezifischen Elemente haben Einzug in die Dramenrezeption gefunden: So spielt das Keuschheitsmotiv ebenfalls im Judith-Drama (1532) von Sixt Birck eine Rolle und Martin Opitz thematisiert in seiner Vorrede zu Judith (1635) das männliche Herz der Protagonistin.713 Im Gotteslob in Idt 15,11f Vg//Jdt 15,10 LXX/Hs 151 lässt die Vg die Gottesanrede „Gott, der Allmächtige“ aus und verkürzt die Verbindung von Adjektiv und Substantiv (εἰς τὸν αἰῶνα χρόνον / sempiternum tempus „für ewige Zeit“) zu einem einfachen Substantiv in aeternum „für die Ewigkeit“. Nach dem Beutezug der Israeliten erhält Judit/Iudith das Eigentum des Holofernes (Jdt 15,11 LXX/Hs 151//Idt  15,13a–14c):714 Dabei fällt auf, dass die Vg im Gegensatz zu den anderen Fassungen das Schlafgemach (cubiculum) nicht erwähnt. Nur in der Vg bleibt unklar, ob sie die Beute annimmt (anders in Jdt 15,11

713 Vgl. Birck, „Ivdith“, 159; Opitz, „Judith. Zu Breßlaw druckts und vorlegts Georg Baumann, 1635“, 116; vgl. dazu Zaragoza, „Da befiel sie Furcht und Angst“, 92–93. 714 Vg-spezifisch sind vix „mit Mühe“ (Idt  15,13a) und peculiaria „nachweislich“ hinzugefügt (Idt 15,14b).

354 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

LXX/Hs 151). Erst in Idt 16,23a1–3 wird Iudith alles als Weihgeschenk am Tempel opfern. Im Rahmen der Siegesfeier in Bethulia ist zu erwähnen, dass die Vg im Vergleich zu Jdt 15,12–13 LXX/Hs 151 die Begriffe „Thyrsus“-Stäbe und „Kränze aus Olivenzweigen“ nicht kennt. Das ist bemerkenswert, denn diese werden in der Forschung zur Begründung einer späten Datierung der griechischen Fassung des Buches Judit herangezogen.715 Vg-spezifisch hinzugefügt ist ferner, dass neben den Frauen, überhaupt das ganze Volk und darunter auch Jungfrauen und junge Männer dazukommen (Idt 15,15). Judit stimmt ihr Lied in Jdt 15,14 LXX//Idt 15,13 Hs 151 mit dem Volk gemeinsam an, in der Vg hingegen ganz allein. Alle vier Instrumente, die Iudiths Lied begleiten, „Blasinstrument“, „Zitter“, „Pauke“ und „Zimbel“, sind auch im Lobpreis in Ps 150,3–5 Vg enthalten. Dadurch entsteht eine Vg-spezifische Parallelität zwischen Ps 150 Vg und Idt 16,1; 15,15 Vg, die auch von inhaltlichen Gemeinsamkeiten gestützt wird: Dazu gehört der Kampf des vermeintlich Schwächeren gegen den vermeintlich Stärkeren, dass Gott zur Unterstützung einen Engel schickt, die Salbung, das Kopfabtrennen des Gegners mit dessen eigenem Schwert und das Wegnehmen der „Schmach“ von den Söhnen Israels. Durch die Parallelen zu Ps 150 wird Iudith mit David parallelisiert. In Idt 16,2c–d sind das Hapaxlegomenon modulare „anstimmen“, wenn die Hs 151 das häufige „facere“ verwendet, und die Charakterisierung des Psalms als „neu“ auffällig. Während Gott Judit nach Jdt 16,2 LXX/Hs 151 in sein Lager entrissen habe aus der Hand derer, die sie verfolgten, schreibt Idt 16,4a–b, Gott habe sein Lager inmitten seines Volkes aufgeschlagen, um es der Hand aller seiner Feinde zu entreißen. Im Vergleich zu Jdt 16,3 LXX/Hs 151 gibt es in Idt 16,5a–c Vg kleinere Abweichungen: Statt „der Menge“ (multitudo) der Streitkraft sind es in der LXX „Zehntausende“ (in Hs 151 „Tausende“), statt Pferden, die die Täler bedecken, bedeckt die Reiterei die Hügel. Dass Gott Holofernis schadet, ist Vg-spezifischer Zusatz (Idt 16,7): Das Verb nocere „schaden“ wird auch nur in der Vg in Idt  11,1 verwendet, wo Holofernis gegenüber Iudith erwähnt, dass er noch nie jemandem etwas zu Leide getan habe, der sich Nabuchodonosor unterworfen hat. Auch das Wort Titan (Idt 16,8b) ist Hapaxlegomenon innerhalb der Vg. Im Vergleich zu Jdt 16,7–9 LXX/Hs 151 weist Idt 16,9a–11c Vg, wo Iudiths Verschönerungsprozess nacherzählt wird, eine Reihe von Unterschieden auf: Die Vg berichtet vom Anziehen der Freudengewänder, LXX/Hs 151 vom Anlegen eines

715 Vgl. Zenger, Das Buch Judit, 516; Schmitz/Engel, Judit, 393–394.



3.11 Lob und Lied Iudiths (Idt 15,9a–16,31b) 

 355

leinenen Gewandes zur Verführung. In der Vg werden die Reaktionen auf die Schönheit thematisiert, in LXX/Hs 151 die Absicht Judits, die Söhne Israels zu erhöhen. Nur nach Idt 16,8 Hs 151 schmückt sie ihr Haar ohne „Band“. Jdt 16,9 LXX/Hs 151 sprechen von dem Auge des Holofernes im Singular, statt wie die Vg im Plural. Idt  16,9 Hs 151 streicht zudem den Hinweis, dass die Seele des Feldherrn gefangen wird. Es ist auffällig, dass Iudith in Idt 16,12a Vg-spezifisch die Eigenschaft constantia „Standhaftigkeit“ zugesprochen wird. Darum hatte sie in Idt  9,14a1 gebeten (vgl. Idt 9,14a1), wo eine sexuelle Konnotation von constantia naheliegend war, so dass auch die Perser über Iudiths Widerstand bezüglich der Verführungskünste des Holofernis „erschauern“. In Idt 16,13a–b wird der Angriff Israels auf das schreiende (ululaverunt) Lager geschildert, wobei der Hinweis auf die verdurstenden Israeliten Vg-spezifische Hinzufügung ist (Idt 16,13b). Durch das Lexem ulul- „schrei-“ wird auf Idt 15,3a verwiesen. Es ist dort allerdings nicht auf die Assyrer, sondern auf die anrückenden Israeliten bezogen, die in der angreifenden Situation nicht mehr als niedrig und durstig beschrieben werden. Nach Jdt 16,11 LXX/Hs 151 hingegen sind die angreifenden Israeliten die Schreienden.716 Unter Verwendung der Vg-spezifischen Gottesanrede Adonai wird der Lobpreis fortgeführt (Idt 16,16a). Diese kommt nur noch in Gottes Selbstvorstellung als JHWH (‫ יהוה‬/ κύριος) in Ex 6,3 Vg vor. Durch die Vg-spezifische Exoduseinspielung wird Gottes Hilfe bei der Rettung vor den Ägyptern mit der Rettung vor den Assyrern parallelisiert. So wird noch einmal die Rettung als Gottes Eingriff qualifiziert. Der zweite Teil von Iudiths Lied (Idt 16,15a–21b) fällt durch einige Worthinzufügungen und -abänderungen auf: Idt 16,16b erweitert um den Hinweis, dass niemand Gott überwinden kann und erinnert damit an die Z. 11–12 der praefatio zum Buch Iudith und an Idt 7,9, wenn die Diener des Holofernis diesen über die Wege das Volk Israel zu überwinden (superare) beraten. Im Weheruf (Idt  16,20a) verweist insurgere „auflehnen“ auf den Vg-spezifischen Zusatz in Idt 8,20, wo Iudith den Ältesten gegenüber bereits vorhergesagt hatte, wie es jenen ergehen würde, die sich gegen das Volk Israel auflehnen. Auffällig sind auch die zu Idt 16,17 Hs 151 abgeänderten Verben vindicare „bestrafen“

716 Sitis „Durst“ verweist auf Idt 7,14, wo das Volk über den lebensbedrohlichen Durst wegen der Belagerung durch die Assyrer geklagt hatte. Das Motiv ist Vg-spezifisch durch arescere „trocknen“ verstärkt, das nur hier innerhalb der Iuditherzählung vorkommt, ebenso wie conpungere „zerstechen“ (Idt 16,14a).

356 

 3 Exegetisch-kognitive Figurenanalyse

(Idt 16,20b) für ulciscor „rächen“ und das seltene urare „brennen“ (Idt 16,21b) für ardere „brennen“. Nach Idt 16,25a-c wird Iudith groß (magna) in Bethulia und angesehener als alle im ganzen Land (universae terra), womit eine Vg-spezifische polemische Spitze zu Holofernis’ Prophezeiung in Idt 11,25 hergestellt wird. An den entsprechenden Versen in Jdt 16,21 LXX/Hs 151 kehrt stattdessen jeder auf seinen Erbbesitz zurück und Judit auf ihren Besitztum. Die beschönigende Formulierung in Jdt 16,22 LXX/Hs 151, dass Manasse seinem Volk zugefügt wurde, lässt die Vg aus, ebenso wie die Information, dass Judit all ihr Hab und Gut vor ihrem Tod an ihre Verwandten verteilt in Jdt 16,24 LXX/Hs 151. Bei Idt 16,26a handelt es sich um einen interessanten Vg-spezifischen Zusatz (Idt 16,26a), in dem erneut die Keuschheit (castitas) als spezielle Tugend (virtus) Iudiths benannt wird. Dass Iudith ihre Keuscheit weiterführt, legt nahe, dass sie ihr frommes Leben weiterführt (vgl. Idt 8,4a–6a). Idt 16,27a ist mit der Information, dass Iudith an Festtagen prächtig hervortritt, eine Entsprechung zu Idt 16,23 Hs 151 (nicht zu Jdt 16,22 LXX). Allerdings fügt die Vg „an den Festtagen“ hinzu. Dadurch wird Vg-spezifisch auf Idt 8,6a verwiesen und deutlich hervorgehoben, dass Iudith keineswegs nun immer im prächtigen Aufzug gekleidet ist. Die Vg schließt die Erzählung mit einem längeren Vg-spezifischen Zusatz: Der Tag des Sieges erhält von den Hebräern die Eigenschaft eines Festes in der Anzahl der heiligen Tage und wird von den Juden seit jener Zeit bis zum heutigen Tag gefeiert (Idt 16,31a–b). Das Fest wird von einem Teil der Forschung mit Channukka (vgl. 1 Makk 4,59) oder dem Nicanorfest in Verbindung gebracht (vgl. 1 Makk 7,49//2 Makk 15,36, vgl. auch Est 9,17–32).717 Dem steht entgegen, dass die Juditerzählung von den Rabbinen nicht als heilige Schrift betrachtet wird.718 Ein erster eindeutiger Beleg für eine Verbindung der Juditerzählung und Channukka findet sich in einem Piyyut von Josef b. Shlomo von Carcasonne (11. Jh. n. Chr.).719 Stemberger mutmaßt, dass die Verbindung durch den Vg-spezifischen Zusatz des Hieronymus in Jdt 16,31 zu Stande gekommen ist.720 Es sei zwar nicht auszuschließen, dass in jüdischen Gemeinden der Diaspora die Juditerzählung mit dem Channukkafest verbunden wurde, jedoch sei dies bisher nicht bewiesen.721

717 Vgl. Scholz, Commentar über das Buch Judith und über Bel und Drache, 195–196; Zenger, Das Buch Judit, 522. Vgl. auch Stemberger, Judaica Minora, 276–277. 718 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 44. 719 Zu diesen und weiteren Belegen vgl. Stemberger, Judiaca Minora, 275–276. 720 Vgl. Stemberger, Judaica Minora, 275–276. 721 Vgl. Stemberger, Judaica Minora, 276.

4 Abschluss Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Besonderheiten, das Profil der Vg-Fassung des Buches Iudith zu untersuchen und dieses in einen begründeten Erklärungszusammenhang zu stellen. Dazu wurden frühere Textfassungen des Buches Judit – vor allem die um 100 v. Chr. entstandene LXX-Fassung und die sich daran orientierende Hs 151 – der um 400 n. Chr. entstandenen hieronymianischen Übersetzung gegenübergestellt. Bereits quantitative Beobachtungen zeigen, dass die Vg-Fassung des Buches Iudith etwa nur zur Hälfte mit der LXX-Fassung übereinstimmt.1 Die Analyse ging von der zentralen Figur der Erzählung – Iudith – aus, weil sich an der ambivalenten Figurenwahrnehmung und -bewertung die Unterschiede am deutlichsten zeigen lassen. Methodisch wurde daher eine Figurenanalyse durchgeführt, in deren Fokus die Hauptfigur Judit/Iudith stand, deren unterschiedliche Charakterisierung in den verschiedenen Textfassungen analysiert wurde. Um die eigene Profilierung der Judit-/Iudithfigur und damit auch der Vg-Fassung zu untersuchen, wurden sowohl klassisch-narratologische als auch postklassisch-narratologische – und darunter die kognitive Figurenanalyse – in der Exegese angewandt. Mit Hilfe der kognitiven Figurenanalyse konnten die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Figurendarstellung der Texte nicht nur beschrieben, sondern auch unter Berücksichtigung ihres historischen Kontextes untersucht werden. Dabei wurden Überlegungen zur Lebensumwelt der Vg-Fassung und zum zeitgenössischen Lesenden in die Analyse miteinbezogen. Weil in der kognitiven Figurenanalyse der Leseprozess des zeitgenössischen Lesenden im Mittelpunkt der Überlegungen steht, bildete die Vg-Fassung den Ausgangspunkt der Analyse. Zuerst wurde also die Vg-Fassung analysiert und dann diese noch einmal im Vergleich mit LXX und Hs 151. Abschließend sollen die wichtigsten Vg-spezifischen Eigenheiten des Buches Iudith zusammengestellt und in ihrem historischen Kontext verortet werden (Kap. 4.1). Dabei sollen die Positionen und Wertvorstellungen, die Hieronymus in seinen Briefen vertritt, mit dem Eigengut der Vg-Fassung verglichen (Kap. 4.1.1) und die Briefzitate, in denen sich Hieronymus noch einmal explizit über Iudith äußert, in einer Zusammenschau untersucht werden (Kap. 4.1.2). Auch soll die kognitive Figurenanalyse rückblickend noch einmal reflektiert werden (Kap. 4.2). Schließlich sollen aufgrund der Analysen Überlegungen zur Originalsprache des Buches Iudith angestellt werden (Kap. 4.3).

1 Vgl. Engel, Das Buch Judit, 363.

358 

 4 Abschluss

4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext Der Iudithfigur sind durchgängig positive Charakterisierungsmerkmale zugeordnet. Darunter lassen sich zum einen Figurencharakterisierungsmerkmale finden, die nur die Vg-Fassung enthält, und zum anderen die, die Vg mit LXX/Hs 151 teilt. Nur die Vg schreibt von Iudiths Keuschheit (castitas), ihrer Lebensweise in ihren privaten Räumlichkeiten (cubiculum) in ihrem Haus – umgeben von ihrem Mägden –, ihrem Aussehen (elegans) und ihrer Demut (humilitas). Alle drei Textfassungen berichten von ihrer Witwenschaft, ihrem Umgang mit Reichtum, ihrer Gottesfurcht und ihrer umfassenden Schriftkenntnis. In direktem Gegensatz dazu stehen die durchgängig negativ konnotierten Charakterisierungsmerkmale, die Holofernis und mit ihm den Feinden Israels zugeordnet sind und die ebenfalls in allen Textfassungen vertreten sind, in der Vg aber zum Teil ausgebaut werden. Dazu gehört allem voran seine Begierde (libido), die in dem Wunsch besteht, Iudith zu verführen, sowie sein Hang zu Trunkenheit (ebrietas) und Ausschweifung, seine Neigung zu Luxus, die Grausamkeit und Maßlosigkeit seines Heereszuges und nicht zuletzt sein Hochmut, der im Vertrauen auf die eigene Kriegsmacht besteht. Durch die Werte, für die die Figuren Iudith und Holofernis jeweils stehen, wird in der Erzählung eine direkte Opposition aufgebaut. Diese Figurencharakterisierungsmerkmale ergeben mit Blick auf die mentale Figurenmodellbildung Iudiths durch den zeitgenössischen Lesenden und dessen historischen Hintergrund eine Vg-spezifische Sicht auf die hieronymianische Übersetzung. Diese kommt insbesondere durch die Figurencharakterisierungsmerkmale zustande, die nur die Vg-Fassung enthält.

4.1.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung Die Besonderheiten der Vg-Fassung beziehen sich zum Großteil auf die Darstellung und die mentale Modellbildung der Iudithfigur. Herausstechend ist aber darüber hinaus auch, dass sich eine Aufwertung der politischen und religiösen Führung und eine Abwertung der Frauen – allen voran der abra – sowie eine verstärkte Einbindung der Emotionen der Figuren beobachten lässt.

Iudiths Keuschheit Bereits in der praefatio zum Buch Iudith bereitet Hieronymus seine Lesenden auf die Witwe Iudith vor, die er im Laufe der Erzählung in Vg-spezifischer Profilie-



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 359

rung präsentieren wird. Auch in der praefatio wird Iudith – wie in Ep. 79,11 – als Vorbild präsentiert. Iudith soll allen Frauen und sogar den Männern als Vorbild der Keuschheit (castitas) dienen. Gott habe sie für diese Tugend belohnt, indem er ihr die Stärke verliehen habe, den von allen Unbesiegten zu besiegen (Z. 9–12 praefatio zum Buch Iudith). Iudiths außerordentliche Keuschheit wird dem Lesenden als die erste und wichtigste Information mitgegeben, noch bevor er eine Zeile der Erzählung gelesen hat. Dass Iudith keusch ist, ist eine Information, die sich ausschließlich in der Vg-Fassung des Buches Iudith und in keiner anderen Iudithfassung sonst finden lässt. Die Bedeutsamkeit des Keuschheitsmotivs zeigt sich durch die häufige Einspielung in der Erzählung: Nach der prafatio zum Buch Iudith ist Idt 9,14 Vg zu nennen, wenn Iudith Gott um Standhaftigkeit (constantia), Holofernis geringzuschätzen, bittet. Dass diese bei Iudith vorausgesetzt werden kann, weiß der Lesende schon aus der praefatio, zeigt sich dann aber auch in der Erzählung in Idt 10,4, wenn Gott Iudith schön macht: Denn die Unterstützung Gottes wird damit begründet, dass Iudith die Verschönerung an sich selbst nicht durchgeführt habe, um ihre Begierde (libido) zu befriedigen, sondern vielmehr aus tugendhaften (virtus) Beweggründen – nämlich zur Rettung Israels. Die Tugend, die hier gemeint ist, ist die Keuschheit, die in Opposition zur Begierde gestellt wird. Nach ihrer Rückkehr erklärt Iudith, dass im assyrischen Lager keine Schande mit ihr begangen wurde (Idt 13,20) und bestätigt dem versammelten Volk so indirekt ihre unberührte Keuschheit. Weitere Einspielungen unter Verwendung des Wortes Keuschheit (castitas) finden sich in Idt  15,11, wenn Ioakim, der Hohepriester aus Jerusalem, Iudith für diese lobt und ebenfalls Keuschheit zum Grund für die Stärkung durch Gott erklärt, und in Idt 16,26, wenn die Erzählstimme bemerkt, dass Iudith der Tugend der Keuschheit (virtuti castitatis) so verbunden war, dass sie keinen anderen Mann anerkannt hat. Zwar schreiben auch Jdt 16,22 LXX/Hs 151, dass Judit nie wieder geheiratet hat, doch zeigen die zahlreichen Stellen, an denen das Keuschheitsmotiv speziell in der Vg-Fassung eingespielt wird, die Vgspezifische Bedeutung. Auch dass die Keuschheit die Ursache für die Unterstützung durch Gott und mithin gottgefällig ist, ist den anderen Textfassungen fremd. Aber gerade dieser Umstand könnte Nachahmungspotential für den zeitgenössischen Lesenden haben: Die keusche Lebensweise wird in der Vg-Fassung des Buches Iudith mit der höchsten Ehre belohnt. Unter allen Frauen schaut Gott auf die Witwe Iudith, weil sie keusch ist. Aber Gott unterstützt Iudith nicht nur persönlich, sondern er schickt ihr auch eine Mittlerfigur: Nachdem Iudith von ihrer Tat zurückgekehrt ist, verkündet sie vor dem Volk von Bethulia, dass Gott ihr einen Engel geschickt habe, der sie auf dem Gang ins assyrische Lager beschützt habe, so dass sie ihre Keuschheit bewahren konnte (Idt 13,20). Sowohl die Aktion Gottes, als auch die des Engels,

360 

 4 Abschluss

von dem Iudith spricht, sind Eigenheiten, die nur die Vg enthält und die das Motiv der Keuschheit und die Iudithfigur, die damit in Verbindung gebracht wird, insbesondere hervorheben. Die Merkmale von Iudiths Lebensführung sind allesamt von Hieronymus in seinen Briefen empfohlene Verhaltensweisen. Auf die Einhaltung der Keuschheit (castitas) laufen die meisten seiner Ratschläge hinaus. Das wird unter Verwendung von castitas in den folgenden beiden Briefzitaten deutlich. Ep. 54 schreibt Hieronymus 395 n. Chr. an die Witwe Furia – über die Bewahrung der Witwenschaft: „[…] uidua, quae marito placere desiuit et iuxta apostolum uere uidua est, nihil habet necessarium nisi perseuerantiam. meminit pristinae uoluptatis, scit, quid amiserit, quo delectata sit: ardentes diaboli sagittae ieiuniorum et uigiliarum frigore restinguendae sunt. aut loquendum nobis est, ut uestiti sumus, aut uestiendum, ut loquimur. quid aliud pollicemur et aliud ostendimus? lingua personat castitatem et totum corpus praefert inpudicitiam. […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „[…] Eine Witwe, die ihrem Manne nicht mehr zu gefallen braucht und nach dem Apostel in Wahrheit eine Witwe ist, hat außer der Standhaftigkeit nichts nötig. In ihr lebt die Erinnerung an genossene Freuden; sie weiß, was sie verloren, woran sie sich ergötzt hat. Diese feurigen Pfeile des Teufels müssen durch strenges Fasten und Wachen ausgelöscht werden. Wir müssen so sprechen, wie es unserer Kleidung angemessen ist, oder uns so kleiden, daß es zu unseren Worten paßt. Warum soll unser Handeln unsere Worte Lügen strafen? Mit der Zunge rühmt man die Keuschheit, während der ganze Körper Lüsternheit zur Schau trägt […]“2.

„[…] et adulescentula feruente cibis corpore de castitate secura est? […]“ Hieronymus, Ep. 54,8 (CSEL 54, 474). „[…] Und eine junge Frau, die ihren Körper durch reichliche und ausgesuchte Nahrung erhitzt, soll ihrer Keuschheit sicher sein? […]“3.

Der Beginn von Ep. 54 suggeriert, dass es sich hierbei um einen Antwortbrief des Hieronymus handelt und dieser zuvor darum gebeten wurde, zu beschreiben, wie sich die Keuschheit bewahren lasse: „[…] Obsecras litteris et suppliciter deprecaris, ut tibi rescribam, immo scribam, quomodo uiuere debeas et uiduitatis coronam inlaeso pudicitiae nomine conseruare […]“ Hieronymus, Ep. 54,1 (CSEL 54, 466).

2 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156–157). 3 Hieronymus, Ep. 54,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 157).



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 361

„[…] In Deinem Briefe bittest und beschwörst Du mich aufs eindringlichste, ich möchte Dir schreiben oder, besser gesagt, auf Deine Anfragen antworten, wie Du Dein Leben einrichten sollst, um die Krone der Witwenschaft in unversehrter Keuschheit zu bewahren […]“4.

Iudith, die Witwe In der praefatio zum Buch Iudith erfährt der Lesende nicht nur, dass Iudith keusch ist und dafür von Gott belohnt wird. Er erfährt auch, dass sie Witwe ist (Z. 9 praefatio zum Buch Iudith; zur Auslegung des Leitworts für die Erzählung vgl. Iudiths Lebensweise). Diese drei Informationen zusammen – Keuschheit, Witwenschaft und Belohnung durch Gott – sind also die ersten Figurencharakterisierungsmerkmale, die der Lesende von Iudith erhält. Keusche, fromme Witwen kennt dieser als gemäßigt-asketisch lebende, reiche Christinnen der römischen Aristokratie. Diese finden sich in seiner Lebensumwelt selten, aber die wenigen, die es gibt, sind so bekannt und einflussreich, dass im vierten Jahrhundert n. Chr. immer mehr Gesetze erlassen werden, die die asketische Lebensform – von Witwen, aber auch von Jungfrauen – privilegieren und würdigen, aber auch gleichzeitig eingrenzen: So erwarten die keusche Jungfrau oder Witwe per Gesetz (320 n. Chr. und 329  n.  Chr.) steuerliche Vorteile5, doch droht dem Mann, der sie heiraten will, – insofern sie offiziell dem asketischen Stand angehört – gemäß CTh 9,25,2 bei einer Heirat die Todesstrafe.6 Ihre Schenkungen an die Kirche scheinen ein so großes Ausmaß angenommen zu haben, dass Valentinian diese 370 n. Chr. per Gesetz begrenzt.7 Bereits die drei Informationen, die über Iudith in der praefatio

4 Hieronymus, Ep. 54,1 (BKV2 Zweite Reihe 16, 149). 5 „[…] Qui iure veteri caelibes habebantur, inminentibus legum terroribus liberentur adque ita vivant, ac si numero maritorum matrimonii foedere fulcirentur, sitque omnibus aequa condicio capessendi quod quisque mereatur. Nec vero quisquam orbus habeatur: proposita huic nomini damna non noceant.“ CTh 8,16,1, 418; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. „Viduas autem ac pupillos speciali dignos indulgentia credidimus, ut viduae nec in proximo constitutae domo sua vel possessione careant, si nulla aput ipsas tam gravis conscientiae noxa resideat, pupilli vero etiam si conscii fuerint, nullum sustineant detrimentum, quia aetas eorum, si tamen fuerint inpuberes, quid videat ignorat. Tutores tamen eorum si in proximo sint, quoniam ignorare eos, quid in re pupilli geritur, non oportet, haec poena expectabit, ut ex rebus eorum, si idonei fuerint, tantum fisco inferatur, quantum pupillo fuerat auferendum. Quibus ita emendatis in omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. […]“ CTh 9,21,4,1, 472–473; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 48. 6 „[…] Si quis non dicam rapere, sed vel attemptare matrimonii iungendi causa sacratas virgines vel viduas ausus fuerit, capitali sententia ferietur.“ CTh 9,25,2, 478–479. 7 „[…] Ecclesiastici aut ex ecclesiasticis vel qui continentium se volunt nomine nuncupari, viduarum ac pupillarum domos non adeant, sed publicis exterminentur iudiciis, si posthac eos adfines

362 

 4 Abschluss

zum Buch Iudith gegeben werden, ihre Keuschheit, ihre Belohnung durch Gott und ihre Witwenschaft, könnten also dazu beitragen, dass der zeitgenössische Lesende das Witwenbild seiner Lebensumwelt auf Iudith überträgt.

Iudiths Lebensweise Dieser Eindruck wird durch die Informationen über Iudiths Lebensweise, die hauptsächlich in Idt 8,4–8 beschrieben wird, noch verstärkt. Diese ist zu einem Großteil mit der Darstellung in LXX/Hs 151 identisch: Nach dem Tod ihres Mannes fastet Iudith über die Maßen (Jdt 8,6 LXX/Hs 151/Vg), trägt ein Bußgewand (cilicium) um die Hüfte (Jdt 8,5 LXX/Hs 151//Idt 8,6 Vg) und führt – trotz ihres Reichtums (Jdt 8,7 LXX/Hs 151/Vg) – ein bescheidenes und zurückgezogenes Leben. Einige Informationen enthält jedoch nur die Vg-Fassung: Anders als in Jdt 8,5 LXX/Hs 151, wo die Witwe Judit sich die meiste Zeit allein in einem Zelt auf dem Flachdach ihres Hauses aufhält, lebt sie nach Idt  8,5 Vg in einem abgesonderten Raum (cubiculum) im oberen Bereich ihres Hauses. Und dort hält sie sich nicht alleine auf, sondern ist umgeben von ihren Mägden. Zum Bittgebet wird sie dann ihren Gebetsraum (oratorium) aufsuchen (Idt 9,1b), den ebenfalls nur die Vg kennt, so dass sie das Gebet in allen drei Textfassungen alleine vor Gott trägt. Diese Figurencharakterisierungsmerkmale könnten für den zeitgenössischen Lesenden Anlass sein, nachdem Iudith bereits in der praefatio als keusche Witwe vorgestellt worden ist (Z. 9 praefatio zum Buch Iudith), seine eigene Lebensumwelt mit der der Vg-Fassung zu verknüpfen und sowohl die zu LXX/Hs 151 pa­rallel laufenden als auch die Vg-spezifisch hinzugefügten Informationen über Iudith in diese Vorstellungswelt zu integrieren. Und so fällt es auf, dass Iudith mit den Asketinnen im Rom der Spätantike – neben Witwenschaft und Keuschheit  – einiges gemeinsam hat: Wie Iudith tragen auch sie immerzu ein Bußgewand, fasten stets, leben trotz ihres Reichtums bescheiden und in gemeinschaftlicher Zurückgezogenheit. Anders als in der LXX(/Hs 151) ist das fortwährende Tragen des Bußgewandes nicht länger Zeichen einer außergewöhnlichen Lebenseinstellung für den zeitgenössischen Lesenden der Vg-Fassung. Dieser wird in der

earum vel propinqui putaverint deferendos. Censemus etiam, ut memorati nihil de eius mulieris, cui se privatim sub praetextu religionis adiunxerint, liberalitate quacumque vel extremo iudicio possint adipisci et omne in tantum inefficax sit, quod alicui horum ab his fuerit derelictum, ut nec per subiectam personam valeant aliquid vel donatione vel testamento percipere. Quin etiam, si forte post admonitionem legis nostrae aliquid isdem eae feminae vel donatione vel extremo iudicio putaverint relinquendum, id fiscus usurpet. Ceterum si earum quid voluntate percipiunt, ad quarum successionem vel bona iure civili vel edicti beneficiis adiuvantur, capiant ut propinqui. […]“ CTh 16,2,20, 841; vgl. Steininger, Die ideale christliche Frau, 63.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 363

Kleidung Iudiths vielmehr ein aus seiner Lebensumwelt bekanntes Erkennungszeichen für die Witwe sehen, die ein keusches Leben führt. Dafür sprechen auch Empfehlungen aus den Briefen des Hieronymus, wo er sich zu seiner eigenen Kleidung (Hieronymus, Ep. 22,7 [CSEL 54, 152]), zu der von Witwen und Jungfrauen (Hieronymus, Ep. 108,15 [CSEL 55, 326]; Ep. 38,4 [CSEL 54, 292]; Ep. 22,27 [CSEL 54, 183–184]) und sogar explizit zu Iudiths Kleidung äußert (vgl. Hieronymus, Ep. 54,16 [CSEL 54, 483–484]).8 Möglicherweise dauert Iudiths Witwenschaft in den lateinischen Fassungen darum auch zweiundvierzig – nämlich ewig – und nicht vierzig Monate – symbolhaft lange, aber zeitlich begrenzt – wie in der LXX (Jdt 8,4 LXX/Hs 151/Vg). Eine weitere Parallele zwischen Iudith und den römischen Asketinnen ist der gemeinschaftliche Rückzug in die privaten Räumlichkeiten (ihrer römischen Satteldächer zu Gebet und Bibelstudium). Und auch der Reichtum Iudiths, kombiniert mit der bescheidenen Lebensweise, wird für den zeitgenössischen Lesenden der Vg-Fassung zu einer Gemeinsamkeit. Diese These wird von Briefen des Hieronymus gestützt. In zahlreichen Briefen empfiehlt der Kirchenvater den römischen Asketinnen, das in Idt  8,4–8 Vg für Iudith gezeichnete Leben in ähnlicher Weise zu führen und ihre Reichtümer – statt für ein Luxusleben auszugeben – zu spenden. Faktisch haben einige dieser Witwen Hieronymus bei dem Bau der Klöster in Bethlehem und bei der Verbreitung seiner Werke unterstützt. Im Brief über das Leben der Witwe Paula zitiert er diese zu ihrer fortwährenden Kleidung (Ep. 108,15): „[…] mollia linteamina et serica pretiosissima asperitate cilicii commutando […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 326). „[…] Die weichen Linnenkleider und kostbaren Seidenstoffe muß ich mit dem rauhen Bußgewande vertauschen […]“9.

So empfiehlt Hieronymus zur Sicherstellung der Keuschheit der Jungfrau Eustochium in Ep. 22,11 zu fasten: „[…] non quo deus, uniuersitatis creator et dominus, intestinorum nostrorum rugitu et inanitate uentris pulmonumque delectetur ardore, sed quo aliter pudicitia tuta esse non possit […]“ Hieronymus, Ep. 22,11 (CSEL 54, 158).

8 Nach und nach wird das Bußgewand (cilicium) die für Mönche und privat lebende religiöse Menschen übliche Kleidung; vgl. Emonds/Poschmann, Bußkleid (RAC 2), 813–814. 9 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 122).

364 

 4 Abschluss

„[…] Es ist ja nicht so, als ob Gott, der Schöpfer und Herr des Weltalls, ein besonderes Wohlgefallen an unseren leeren und knurrenden Mägen oder am Brand unserer Lungen hätte. Aber auf anderem Wege läßt sich die Keuschheit nicht sicherstellen […]“10.

Fasten rät er zusammen mit einem – trotz Reichtum – bescheidenen Leben, dem Tragen des Bußgewandes und der Keuschheit der Jungfrau Demetrias in Ep. 130,4: „[…] incredibilis animi fortitudo inter gemmas et sericum, inter eunuchorum et puellarum cateruas et adulationem ac ministeria familiae perstrepentis et exquisitas epulas, quas amplae domus praebebat abundantia, appetisse eam ieiuniorum laborem, asperitatem uestium, uictus continentiam. […]“ Hieronymus, Ep. 130,4 (CSEL 56/1, 178). „[…] Es bedeutet eine unglaubliche Zucht des Geistes, inmitten von Edelsteinen und Seide, zwischen Scharen von Eunuchen und Dienstmädchen, zwischen Schmeicheleien und Dienstleistungen des lärmenden Gesindes, zwischen ausgesuchten Speisen, wie sie der Überfluß des vornehmen Hauses bietet, sich für anstrengendes Fasten, für rauhe Kleidung und ein Leben der Enthaltsamkeit zu entscheiden […]“11.

In Ep. 54,14 ruft er die Witwe Furia zur Spende auf: „Habes opes, facile tibi est indigentibus uictus subsidia ministrare. quod luxuriae parabatur, uirtus insumat; nulla nuptias contemptura timeat egestatem. redime uirgines […]“ Hieronymus, Ep. 54,14 (CSEL 54, 481). „Du hast Reichtümer. Da muß es Dir ein leichtes sein, zum Lebensunterhalte der Armen beizusteuern. Was für den Luxus bereitlag, das soll ein Opfer der Tugend werden. Eine Frau, die auf die Heirat verzichtet, soll keine Armut fürchten. Kaufe Jungfrauen los […]“12.

Die Informationen über Iudith tragen auch zu einem je unterschiedlichen Verständnis des Witwenmotivs bei. Das Witwenmotiv zieht sich wie ein roter Faden durch alle Texttraditionen (vgl. Idt 8,1b.4a; 9,3; 10,2; 16,9 Vg; Jdt 8,4.5.6; 9,4.9; 10,3; 16,7 LXX; Idt 8,4; 9,4.9; 10,3; 16,7 Hs 151). Doch unterscheidet sich die Wertung dieses Motivs aufgrund der gewandelten Lebenswelt der Lesenden: Die LXX-Fassung (wie die Hs 151) kennt das Bild der traditionell-biblischen, armen Witwe, denn Judit betet aus dieser Rolle heraus (Jdt 9,4 LXX/Hs 151).13 Von diesem Witwenbild jedoch hebt sich die reiche Witwe Judit der LXX(/Hs 151) entschieden ab und kann darum entweder als Ausnahmeerscheinung vom traditionellen Witwenmotiv gesehen werden oder historisch als Hinweis auf ein sich langsam wandelndes Witwenbild für die Zeit etwa um 100 v. Chr. In der Vg-Fassung ist Iudith

10 Hieronymus, Ep. 22,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 73). 11 Hieronymus, Ep. 130,4 (BKV2 Zweite Reihe 16, 243). 12 Hieronymus, Ep. 54,14 (BKV2 Zweite Reihe 16, 164). 13 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 280–281.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

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keines von beidem. Vielmehr kann sie dem zeitgenössischen Lesenden als Vertreterin einer gewandelten Zeit erscheinen, in der reiche Witwen zwar noch immer in der Minderheit sind, aber dennoch aus der Öffentlichkeit der Lebensumwelt bekannt. Wenn die Iudith der Vg Gott um dessen Hilfe anfleht (Idt 9,3 Vg), dann könnte der zeitgenössische Lesende sie – nicht wie in LXX/Hs 151 – in der traditionell-biblischen armen Rolle sehen, sondern in der des gottgeweihten Standes einer in Askese lebenden Witwe, auf deren Ruf Gott ebenso hört, wie auf den der armen Witwe der biblischen Tradition.

Iudiths Aussehen In dieses Witwenbild fügt sich auch die Beschreibung von Iudiths Aussehen ein: Während die Judit der LXX/Hs 151 eine natürliche Schönheit ist (καὶ ἦν καλὴ τῷ εἴδει καὶ ὡραία τῇ ὄψει σφόδρα Jdt 8,7 LXX / Et erat bona facie ualde Idt 8,7 Hs 151) und diese gottgegebene Schönheit im Zusammenhang mit ihrer Gottesfurcht steht, ist dieser Zusammenhang für die Vg-Fassung nicht mehr nachweisbar. In der Vg wird Iudiths Aussehen zunächst mit dem Wort elegans „gebildet, anständig, nobel“ beschrieben. Die Schönheit, die Iudith braucht, um ihren Plan durchzuführen, erhält sie erst zwei Kapitel später – als krönenden Abschluss ihrer eigenen Bemühungen (Idt  10,2–3) –, wenn Gott selbst in die Handlung eingreift, um Iudith in den Augen aller, die sie sehen, wunderschön zu machen (Idt 10,4). Aus der praefatio zum Buch Iudith (Z. 9–12) weiß der Lesende, dass es ihre Keuschheit ist, aufgrund der sie von Gott unterstützt bzw. „belohnt“ wird. Iudiths Beschreibung mit elegans dient demnach nicht dazu, ihre Schönheit zu beschreiben und ihre Aufnahme im assyrischen Lager zu sichern, sondern bestätigt ihr vielmehr das noble, anständige Aussehen einer keuschen Witwe, und damit die Lebensweise, die sie braucht, um – nach Maßstab der Vg-Fassung – Gottes Unterstützung zu erhalten. Schönheit ist in der Vg-Fassung nicht mehr Bestandteil der Gottesfurcht, sondern sogar eher hinderlich dafür. Das Motiv ist in LXX/Hs 151 ein positives Attribut, in der Vg-Fassung hingegen ist es negativ konnotiert: Schönheit dient einzig und allein dazu, die Begierde der Feinde zu wecken und damit der Rettung Israels. Iudiths Schönheit dient dem Spielen einer Rolle. Darum ist es wichtig, dass der Lesende nach vollbrachter Tat erfährt, dass Iudith ihre keusche Lebensweise bis zum Tod beibehält (Idt 16,26 Vg; so auch Jdt 16,22 LXX/Hs 151). Gerade in den hieronymianischen Briefen werden Schönheit und alle Bemühungen, diese zu erreichen oder zu verstärken, als Mittel gewertet, in Ausschweifung zu leben. Um die Keuschheit zu wahren, soll darum darauf verzichtet werden. Fasten und Trauerkleidung würden das Gegenteil bewirken. So schreibt Hieronymus an die Witwen Salvina (Ep. 79), Furia (Ep. 54) und Marcella (Ep. 38):

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 4 Abschluss

„[…] quae pullam tunicam nigrosque  calceolos candidae uestis et aurati socci depositione sumpsisti, nihil habes necesse aliud nisi perseuerare. ieiunium, pallor et sordes gemmae tuae sint […]“ Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 96). „[…] Die Prachtkleider und die golddurchwirkten Schuhe hast Du abgelegt und dagegen eine dunkle Tunika und schwarze Schuhe eingetauscht. Nur ausharren lautet für Dich die Losung. Fasten, Blässe, Vernachlässigung des äußeren Menschen seien in Zukunft Deine Edelsteine […]“14.

„[…] non habuit crispantes mitras […] ignes iuvenum, fomenta libidinum, inpudicae mentis indicia. […] ornatus iste non domini est, uelamen istud antichristi est […]“ Hieronymus, Ep. 54,7 (CSEL 54, 473). „[…] Sie trug keine gekräuselte Kopfbinde, […] Feuer für die Jünglinge sind sie, ein Stachel der Begierde, das Zeichen einer unreinen Gesinnung. […] Das ist kein Schmuck des Herrn, wohl aber die Maske des Antichrists […]“15.

„[…] erubescat mulier Christiana, si naturae cogit decorem, si carnis curam facit ad concupiscentiam […]“ Hieronymus, Ep. 38,3 (CSEL 54, 291). „[…] Ja, dann erröte die christliche Frau, wenn sie der Natur Zwang antut, wenn sie dem Kulte des Fleisches huldigt, um die Begierlichkeit zu wecken […]“16.

In Idt  10,2–3 Vg (auch in LXX/Hs 151) wird Iudith jene Verschönerungsmaßnahmen an sich durchführen, die von Hieronymus in seinen Briefen kritisiert werden, und zwar, wie sie im Gebet an Gott in Vg-spezifischer Hinzufügung formuliert, um Holofernis durch die Schlinge seiner Blicke auf sich gefangen zu nehmen (Idt 9,13a). Iudith plant also, den Gegner mit ihrer Schönheit zu blenden und zu täuschen. Nachdem sie sich in Idt 10,2–3 verschönert hat, informiert auch die Erzählstimme in diesem Sinne, dass Iudith alle Maßnahmen aus tugendhaften Beweggründen vorgenommen habe und keineswegs, um eigene Begierden zu befriedigen (Idt 10,4). Ihre Verschönerungsmaßnahmen werden so nur in der VgFassung für die zeitgenössischen Lesenden explizit gerechtfertigt. Ihre tugendhaften Beweggründe seien auch der Grund dafür, dass Gott selbst eingegriffen und Iudith schön gemacht habe (Idt  10,4) bzw. sie für ihre Keuschheit belohnt habe, wie es in Z. 11 der praefatio zum Buch Iudith heißt. Iudith erhält die Unterstützung Gottes mithin wegen ihrer Keuschheit und einzig, um ihren Plan ausführen (in Bezug auf Iudith vgl. Ep. 54,16). In auffälliger Weise entsprechen diese Vg-

14 Hieronymus, Ep. 79,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 325). 15 Hieronymus, Ep. 54,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 156). 16 Hieronymus, Ep. 38,3 (BKV2 Zweite Reihe 16, 43).



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

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spezifischen Hinzufügungen den Interessen, die sich aus den hieronymianischen Briefen entnehmen lassen.

Die Charakterisierung des Holofernis und der Assyrer Das Gegenmodell zu Iudith bilden Holofernis und die Assyrer. Im Gegensatz zu Iudiths Keuschheit steht die Begierde des Holofernis, Iudith zu verführen, die nur in der Vg dreifach betont wird: bei der ersten Begegnung (Idt 10,17), bei seiner Planung des Gelages (Idt 12,10–11; so auch in Jdt 12,11 LXX/Hs 151), beim Gelage selbst (Idt 12,16; so auch in Jdt 12,16 LXX/Hs 151).17 Der Kontrast zwischen der Einhaltung der Keuschheit und der Gefahr der Begierde ist einer der wichtigsten in der hieronymianischen Briefliteratur: „[…] Sola libido insita a deo ob liberorum creationem, si fines suos egressa fuerit, redundat in vitium, et quadam lege naturae in coitum gestit erumpere. Grandis igitur virtutis est, et sollicitae diligentiae, superare quod nata sis: in carne, non carnaliter vivere: tecum pugnare quotidie […]“ Hieronymus, Ep. 54,9 (CSEL 54, 475). „[…] Nur die Fleischeslust, die Gott um der Erzeugung der Nachkommenschaft willen in uns hineingelegt hat, kann, falls sie die ihr gesetzten Grenzen überschreitet, zum Laster werden und drängt, durch die natürliche Veranlagung begünstigt, zum unerlaubten Verkehr. Darum gehört viel Tugend und große Sorgfalt dazu, in Dir zu überwinden, was Dir angeboren ist, d.h. im Fleische, aber nicht fleischlich zu leben. Darum nimm den täglichen Kampf mit Dir selbst auf […]“18.

Hieronymus nennt in seinen Briefen auch Handlungsweisen, die vermieden werden sollen, um die Keuschheit zu unterstützen und die Begierde zu kontrollieren. So soll auf Gastmähler und im Zusammenhang damit, auf Alkohol und üppige Mahlzeiten sowie auf prachtvolle Kleidung und Luxus verzichtet werden. Keinerlei Begierlichkeiten sollen geweckt werden – nicht bei anderen und nicht bei sich selbst. Diese Merkmale, die in den Briefen des Hieronymus so negativ hervorgehoben werden, erfüllt Holofernis alle – so, wie auf Iudith die positiven zutreffen. Während Iudiths erster Auftritt in der Erzählung vor allem deren bescheidene Lebensweise hervorhebt (Idt  8,3–7; so auch in Jdt 8,3–7 LXX/Hs 151), die

17 Bemerkenswert ist die unterschiedliche Inszenierung der ersten Begegnung von Iudith und Holofernis. LXX/Hs 151 lassen Holofernes langsam und unter Fackeln bei Nacht auf Judit zuschreiten (vgl. Jdt 8,33; 10,22; 11,3.5; 12,5 LXX//Idt 11,4–5 Hs 15), während der Feldherr in der Vg am Tage unter seinem prächtigen Mückennetz thront und Iudith ihm vorgeführt wird (Idt 10,20a–b; vgl. Idt 10,11a–f Vg). Durch die Variation in der Vg wirkt die erste Begegnung formeller. 18 Hieronymus, Ep. 54,9 (BKV2 Zweite Reihe 16, 255).

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 4 Abschluss

diese trotz ihres Reichtums lebt, wird Holofernis, der bei der ersten Begegnung mit Iudith unter seinem kostbar verzierten Mückennetz liegt, in maßlosem Luxus gezeigt (Idt 10,19 Vg; so auch in Jdt 10,21 LXX/Hs 151, wo er aber aufsteht und ihr entgegengeht). In der Erzählung wird daran ein Gegensatz zwischen den beiden Hauptfiguren konstruiert, wodurch der Hang zu Luxus zu einem negativ konnotierten Merkmal wird. Auch in den Briefen des Hieronymus werden Luxus und was damit zusammenhängt, als einem gottgefälligen Leben abträglich bewertet, wie der Kirchenvater Frauen und Männern schreibt: „[…] spernat bombycum telas, Serum uellera et aurum in fila lentescens. talia uestimenta paret, quibis pellatur frigus, non quibus corpora uestita nudentur […]“ Hieronymus, Ep. 107,10 (CSEL 55, 300–301). „[…] Sie gebe sich aber nicht mit Seide und serischen Stoffen oder mit golddurchwirkten Geweben ab. Die Kleider, die sie sich anfertigt, sollen gegen Kälte Schutz bieten, aber kein Mittel sein, um den entblößten Körper zur Schau zu tragen […]“19.

„[…] ibi nascitur carbunculus, et smaragdus et margarita candentia et uniones, quibus nobilium feminarum ardet ambitio […] perspicuum est. si negotiatores saeculi tanta sustinent, ut ad incertas perueniant periturasque diuitias, et seruant cum animae discrimine, quae multis periculis quaesierunt, quid Christi negotiatori faciendum est, qui uenditis omnibus quaerit pretiosissimum magaritum […] prudentis uiri est ac prudentium feminarum dissimulare, immo emendare, quod in se intelligant […]“ Hieronymus, Ep. 125,3–5 (CSEL 56/1, 122). „[…] Dort ist die Heimat des Karfunkels und des Smaragdes. Von dort kommen die glänzenden Perlen, besonders die großen, nach denen der Ehrgeiz der vornehmen Frauenwelt lechzt. […] Wenn sich die um die irdischen Güter besorgten Kaufleute solchen Strapazen unterziehen, um zu zweifelhaften und dem Verderben geweihten Reichtümern zu kommen, wenn sie ihr Leben aufs Spiel setzen, um zu hüten, was sie sich unter vielen Gefahren erworben haben, was muß man da nicht erst vom Kaufmanne Christi verlangen, der alles veräußert, um die kostbarste Perle zu erwerben […] Kluge Männer und kluge Frauen werden stillhalten und zu bessern anfangen, was sie etwa Sündhaftes an sich entdecken […]“20.

Ein weiterer Gegensatz zeigt sich am Umgang mit Essen und Alkohol: Iudith fastet immerzu (Idt 8,6 Vg; so auch Jdt 8,6 LXX/Hs 151), isst im Lager nur selbst zubereitete Speisen (Idt  10,5; 12,2 Vg; so auch Jdt 10,5; 12,2 LXX/Hs 151) und bleibt maßvoll im Weintrinken (Idt 12,19). Holofernis hingegen veranstaltet Gastmähler (convivium Idt 12,1 Vg) und trinkt Wein über seine körperlichen Grenzen hinaus (Idt 12,20 Vg; so auch Jdt 12,20 LXX/Hs 151).

19 Hieronymus, Ep. 107,10 (BKV2 Zweite Reihe 16, 298). 20 Hieronymus, Ep. 125,3–5 (BKV2 Zweite Reihe 16, 219–220).



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

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Vor der Teilnahme an Gastmählern (convivium) wie vor dem Trinken von Wein bis zur Trunkenheit (ebrietas) warnt Hieronymus vielfach in seinen Briefen, da beides Begierde (libido) wecken könne.21 „Non uescatur in publico, id est in parentum conuiuio, nec uideat cibos, quos desideret […]“ Hieronymus, Ep. 107,8 (CSEL 55, 299). „[…] Sie esse nicht außer dem Hause und nehme vor allem nicht an den Gastmählern bei den Verwandten teil, damit sie keine Speisen kennenlernt, auf die sie lüstern wird. […]“22.

„[…] erit tibi inter uiros matronasque conuiuium: expectabis aliena oscula, praegustatos cibos et absque scandalo tuo in aliis sericas uestes auratasque miraberis. in ipso quoque conuiuio, ut uescaris carnibus, quasi inuita cogeris, ut uinum bibas, dei laudabitur creatura, ut laues balneis, sordibus detrahetur; et omnes te, cum aliquid eorum, quae suadent, si retrectans feceris, puram, simplicem, dominam, et uere ingenuam conclamabunt. personabit interim aliquis cantator ad mensam et inter psalmos dulci modulamine currentes, quoniam alienas non audebit uxores, te, quae custodem non habes, saepius respectabit. loquetur nutibus et, quicquid metuet dicere, significabit affectibus. inter has et tantas inlecebras uoluptatum etiam ferreas mentes libido domat, quae maiorem in uirginibus patitur famem, dum dulcius putat omne, quod nescit. […] difficile inter epulas seruatur pudicitia […]“ Hieronymus, Ep. 117,6 (CSEL 55, 429). „[…] Unter Männern und Frauen wirst Du Deine Mahlzeit einnehmen. Du siehst gleichsam als Vorspeise, wie andere sich küssen. Wirst Du, ohne für Dich Gefahr zu laufen, ihre seidenen und golddurchwirkten Kleider bewundern? Bei der Mahlzeit zwingt man Dich, gegen Deinen Willen Fleisch zu essen. Man preist Gottes Gabe, um Dich zum Weintrinken anzuregen. Man schimpft auf den Schmutz, damit Du die Bäder besuchst. Tust Du dann das, wozu sie Dir raten, dann werden Dich alle, besonders, wenn es mit einem gewissen Zögern geschieht, als eine saubere und sich natürlich gebende Frau, als Herrin und als Dame voll des Anstandes preisen. Inzwischen wird während des Mahles einer als Sänger auftreten, und während der Lieder liebliche Melodie dahinfließt, wird er Dich, die Du ohne Schutz bist, häufiger anblicken, was er bei den verheirateten Frauen nicht wagen darf. Er wird durch Zeichen reden, und was er sich zu sagen scheut, deutet das Spiel seiner Mienen an. Bei solch lockenden Freuden wird die Lust über den stärksten Willen Herr. Mit um so größerer Gier macht sie sich an eine Jungfrau heran, da sie all das, was sie nicht kennt, um so reizvoller dünkt. […] Beim Schmausen hält es schwer, die Keuschheit zu bewahren […]“23.

„[…] et ex omni parte forari potest – post ebrietatem nudatio femorum subsecuta est, libido iuncta luxuriae […]“ Hieronymus, Ep. 22,8 (CSEL 54, 155).

21 Ein ähnlicher Gebrauch von convivium „Gastmahl“ findet sich auch im Buch Tobit (Tob 7,9; 8,21; 9,11); vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with Other ancient witnesses, 247–248, 284, 305. 22 Hieronymus, Ep. 107,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 395). 23 Hieronymus, Ep. 117,6 (BKV2 Zweite Reihe 16, 340–341).

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 4 Abschluss

„[…] so bedenke, daß auf die Trunkenheit die Entblößung des Körpers folgte,  ein Beweis, wie eng Wollust und Genußsucht miteinander verwachsen sind […]“24. 

Demut als rechtes Verhalten vor Gott Entsprechend ihrem Lebensstil findet Iudith die richtige Lösung angesichts der aktuellen Notsituation, die sie als Ratschlag gegenüber den Ältesten (Idt 8) und auch gegenüber Gott formuliert (Idt 9), indem sie zu Demut und Selbsterniedrigung (humilitas) aufruft (vgl. Idt 8,16): Das Volk soll dem Herrn dienen und seine Reue zeigen, indem es durch Gebete unter Tränen versucht, seine geduldige Seite zu wecken und die Verzeihung des Herrn zu erwirken (vgl. Idt 8,14–17).25 Humilitas „Demut“ ist nicht nur ein wichtiges Leitwort der Iuditherzählung. Es handelt sich dabei auch um die christliche Tugend (virtus) schlechthin, die nicht nur von Hieronymus, sondern auch von anderen Kirchenvätern als solche proklamiert wird:26 „[…] quae prima Christianorum uirtus est, tanta se humilitate deecit […]“ Hieronymus, Ep. 108,15 (CSEL 55, 325). „[…] Die erste Tugend des Christen ist die Demut […]“27.

„[…] quis autem in sanctis locis praeter Paulam, quod plus inter homines miraretur, inuenit? et sicut inter multas gemmas pretiosissima gemma micat, et iubar solis paruos igniculos stellarum obruit et obscurat, ita cunctorum uirtutes et potentias sua humilitate superauit minimaque fuit inter omnes, ut omnium maior esset, et quanto se plus deiciebat, tanto magis a Christo subleuabatur […]“ Hieronymus, Ep. 108,3 (CSEL 55, 309). „[…] Wer könnte aber an den heiligen Orten etwas finden, was unter den Menschen größere Bewunderung erregt hätte als Paula? Sie glänzt unter vielen Edelsteinen als der kostbarste, und wie die hellen Sonnenstrahlen das schwache Licht der Sterne verdunkeln, so hat sie die Tugenden und die Macht aller durch ihre Demut übertroffen. Unter allen ist sie die

24 Hieronymus, Ep. 22,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 71). 25 Die Bedeutsamkeit der „Selbsterniedrigung“ für die Vg-Fassung zeigt sich auch an den Vg-spezifischen, zusätzlich eingespielten Wörtern, die das Motiv ausbauen: servire „dienen“ (Idt 8,16b), flere „weinen“ (Idt 8,17a), paeniteor „bereuen“ (Idt 8,14b), indulgentia „Verzeihung“ und lacrima „Träne“ (Idt 8,14c). Dass auf Sünde und Flehen des Menschen, Zorn, Züchtigung und Barmherzigkeit Gottes folgen, findet sich auch in der Vg-Fassung das Buches Tobit in zwei Vg-spezifischen Erweiterungen unter Verwendung der Wörter iratus, misericordia, tribulatio, peccatum (vgl. Tob 3,13.21); vgl. dazu Skemp, The vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 114–115, 121–122. 26 Vgl. Dihle, Demut (RAC 3), 735–737, 756, 761; Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, 324–243. 27 Hieronymus, Ep. 108,15 (BKV1 15, 121).



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Geringste geworden, um über alle erhaben zu werden. Je mehr sie sich erniedrigte, desto mehr ist sie von Christus erhöht worden […]“28.

In dieser eher christlichen Bedeutung wird humil- „selbst erniedrig-“ auch in den Vg-spezifischen Zusätzen verwendet, die das Lexem enthalten (Idt 8,16a.b.17c2.20a.c), und sogar ausgelassen, wenn Idt 13,20 Hs 151 mit humilitas die „Niedrigkeit“ des Volkes Israel bezeichnet.29 In der Entsprechung in Idt 13,25 Vg finden sich dann angustia „Mangel“ und tribulatio „Schwierigkeit“, um diese zu benennen. Aber nicht nur die Demut, sondern auch die dazu notwendigen Gebete unter Tränen kennen die anderen Texttraditionen nicht. Nur die Iudith der Vg fordert zu Gebeten unter Tränen auf (Idt 10,14.17), um die Demut zu zeigen. Tränen zeigen emotionale Erregung. Sie begleiten nur in der Vg Ozias, wenn er zum murrenden Volk spricht (Idt 7,23) und Iudiths Gebet vor ihrer Tat (Idt 13,6). Auch flere „weinen“ wird in der Vg verstärkt verwendet: In Idt 6,14.16; 7,18.22 betet das Volk zu Gott, während es weint (so nur in Jdt 7,29 LXX/Hs 151); in Idt 8,17 soll das Volk weinend zu Gott beten; in Idt 14,14 weint Bagoas um den Tod des Holofernis (so auch in Jdt 14,16 LXX/Hs 151; vgl. auch die Verwendung in Judits Lied in Jdt 16,17 LXX). Zwar kennt bereits die hebräische Bibel das Weinen als Verstärkung von Gebeten (2 Sam 12,21; Joël 1,8.13; 2,17; Jer 3,21), doch zeigt die Häufigkeit des Motivs die Bedeutung für die Vg-Fassung. Diese geht auch aus den Vorkommen in den hieronymianischen Briefen hervor, wo Tränen oftmals mit dem Gebet einhergehen:30 „[…] sicubi concaua uallium, aspera montium, rupium praeupta cernebam, ibi meae orationi locus, illud miserrimae carnis ergastulum ; et, ut mihi ipse testis est dominus, post multas lacrimas, post caelo oculus inhaerentes nonnumquam uidebar mihi interesse agminibus angelorum […]“ Hieronymus, Ep. 22,7 (CSEL 54, 154). „[…] Wo ich eine Talschlucht, einen rauhen Berg, ein zackiges Felsgebilde sah, da ließ ich mich nieder zum Gebete, da machte ich daraus einen Kerker für mein sündiges Fleisch. Gott ist mein Zeuge, nach vielem Weinen, nach ständigem Aufblick zum Himmel erblickte ich mich zuweilen inmitten der Engel […]“31.

28 Hieronymus, Ep. 108,3 (BKV1 15, 98). 29 Das griechische ταπειν- bezieht sich auf die Not Israels (Jdt 6,19; 13,20; 16,11) und auf die Betulias (Jdt 7,32); Gott wird zudem als „Gott der Niedrigen“ gepriesen (Jdt 9,11). Zu dieser Bedeutung von humil- vgl. auch Idt 4,9; 6,19; 9,11; 16,11 Hs 151 und Idt 4,8; 6,15bis; 9,16; 16,13 Vg. 30 Vgl. Severus, Gebet I (RAC 9) 11,63; Ernst, Weinen (Herders Neues Bibellexikon), 795; Lang, Weinen (NBL 3), 1074. 31 Hieronymus, Ep. 22,7 (BKV2 Zweite Reihe 16, 69).

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„[…] laua per singulas noctes lectum tuum, in lacrimis stratum tuum riga. […] an non flendum est, non gemendum, cum me rursus serpens inuitat ad inlicitos cibos […]“ Hieronymus, Ep. 22,18 (CSEL 54, 166–167). „[…] Wasche allnächtlich Dein Bett und benetze Dein Lager mit Deinen Tränen! […] Habe ich etwa nicht nötig zu weinen und zu seufzen, da mich die Schlange immer wieder zu verbotenen Genüssen lockt […]“32.

Dass es sich bei dem Motiv des Gebets unter Tränen um eine Hinzufügung des Hieronymus handelt, wird durch die Beobachtungen von Skemp verstärkt, der Ähnliches auch für das Buch Tobit herausgefunden hat (so in Tob 3,11; 7,13; 12,12 Vg).33 Überhaupt fällt die Vg-Fassung durch eine Erweiterung des Motivs des Betens im Vergleich zu LXX/Hs 151 auf (vgl. Idt 4,12–14; 6,14; 7,18.22; 8,31.32.33; 10,10; 12,5; 13,22).34 Das Leben Iudiths zeichnet sich mithin durch all das aus, was Hieronymus den Witwen und Jungfrauen in seinen Briefen empfiehlt, um keusch zu bleiben.

Hochmut und Demut und Intertextualität in den Reden Iudiths Die Demut ist ein wichtiger Verhaltensmaßstab, den nur die Vg-Fassung durch die Iudithfigur vermittelt und der ganz im Zeichen der spätantiken Zeit liegt. Die Demut wird aber in der Vg nicht nur positiv, sondern auch negativ betont, indem auch dem Gegensatz, dem Hochmut (superbia), eine große Bedeutung zukommt. Der Hochmut steht für die falsche Verhaltensweise vor Gott und zeigt sich im Vertrauen auf die eigene Kriegsmacht. Superbia „Hochmut“ wird in dieser Bedeutung in der Vg-Fassung fünf Mal in direktem Bezug auf die Assyrer verwendet (Idt  6,15; 8,17; 9,12.16; 13,28; parallel dazu in Jdt 6,19 LXX/Hs 151; Jdt 9,9 LXX). Der vermehrte Gebrauch zeigt die Bedeutsamkeit des Motivs für die Vg-Fassung. Diese zeigt sich auch an den intertextuellen Einspielungen, die mit dem Fehlverhalten des Hochmuts zusammenhängen. Die Opposition von Demut und Hochmut wird nicht nur an der aktuellen Notsituation dargestellt, sondern – mehrfach in Hinzufügungen der Vg-Fassung – auch an Erzählungen aus der Geschichte Israels. Meist werden diese Erzählungen in den Reden Iudiths eingespielt, um diesen Gegensatz als rechtes und unrechtes

32 Hieronymus, Ep. 22,18 (BKV2 Zweite Reihe 16, 80–81). 33 Vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with other ancient witnesses, 113, 252, 368–369, 463. Die gleiche Beobachtung zeigt sich bei der Verwendung von flere (vgl. Tob 3,22; 10,3; 11,11); vgl. Skemp, The Vulgate of Tobit compared with Other ancient witnesses, 120, 309–301, 341. 34 Ähnliches beobachtet Skemp in Bezug auf das Buch Tobit; vgl. Skemp, Learning by Example, 270–271.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

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Verhalten vor Gott zum Ausdruck zu bringen.35 Gleichzeitig wird Iudith durch besondere Schriftkenntnis ausgezeichnet. Die Einspielungen dienen der Legitimation ihrer Empfehlungen. So vergleicht Iudith gegenüber den Ältesten nur in der Vg-Fassung die Beschwerde des Volkes von Bethulia gegenüber dem Ältesten Ozias mit den Murrgeschichten der Wüstenwanderung des Volkes Israel (Idt 8,24b–25b) – beide aufgrund von Wassermangel – und zeigt daran deren falsches Verhalten auf, um zur rechten Verhaltenweise überzuleiten.36 Wörtliche Parallelen konkretisieren die Einspielung in Idt  8,24b–25b auf die Murrgeschichte in Num 21,6–7 Vg und auch auf 1 Kor 10,9–10 Vg, wo die Numerierzählung ebenfalls eingespielt wird.37 Idt 8,24–25 Vg und 1 Kor 10,9–10 Vg haben gegenüber Num 21,6–7 vor allem die göttliche Mittlerfigur des Ausrotters (exterminator) gemeinsam. Diese Beobachtung spricht dafür, dass Idt  8,24–25 Vg neben Num 21,6–7 auch erheblich von 1 Kor 10,9–10 beeinflusst worden ist. Das würde bedeuten, dass in die Vg-Übersetzung des atl. Buches Iudith eine ntl. Textstelle eingeflossen ist, was wiederum den hieronymianischen Eigenanteil an der Übersetzung hervorhebt. Auch in ihrem langen Gebet entfaltet Iudith die Theologie von Hochmut und Demut durch eine intertextuelle Einspielung (Idt  9,6–10 Vg).38 Dabei lautet die zentrale Botschaft, dass der Hochmut, der im Vertrauen auf kriegerische Stärke besteht, immer zur Bestrafung durch den Gott Israels führt. Um dies zu verdeutlichen, wird in Idt 9,6a–8b die Schilfmeererzählung (Ex 14,23–24; 15,5 Vg) eingespielt. Darin wird der Hochmut der Assyrer mit dem der Ägypter parallelisiert, den diese bei der Verfolgung der Israeliten am Schilfmeer gezeigt haben sollen: Gott soll nun helfen, wie er es auch damals getan hat. Iudith will zur Mittlerfigur Gottes werden, wie Mose es in der Exoduserzählung war.

35 Neben größeren Einspielungen finden sich auch kleinere wie die Vg-spezifische Bezeichnung Abrahams als Freund Gottes (Idt 8,22c; vgl. auch Jes 41,8; 2 Chr 20,7; Dan 3,25; Jak 2,23 Vg). Die seltene Bezeichnung findet sich auch in den hieronymianischen Briefen; vgl. Hieronymus, Ep. 79,1 (CSEL 55, 87) für Abraham; Hieronymus, Ep. 79,7 (CSEL 55, 94–96) für David und Hieronymus, Ep. 22,8 (CSEL 54, 154–155) für Lot. 36 Die Parallele wird durch mehrere Wörter verstärkt: ulciscor „vergelten“ (Idt 7,17; 8,26a), perditio „Verderben“ (Idt 7,14; 8,27b), peccare „sündigen“, peccatum „Sünde“ (Idt 7,17.19; 8,27a1) und flagellum „Geißel“ (Idt 7,20; 8,27a1). 37 Temptare „versuchen“ (Idt 8,24b; 1 Kor 10,9), murmuratio „Murren“ (Idt 8,24c; 1 Kor 10,10), exterminator „Ausrotter“ (Idt 8,25a2, 1 Kor 10,10), serpens „Schlange“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9; Num 21,6.7) und perire „umkommen“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9). 38 Die Opposition von Hochmut und Demut wird durch Vg-spezifische Begriffe vertieft: equus „Pferd“, voluntas „Wille“, superbia „Hochmut“, ab initio „von Anfang an“, deprecatio „Flehen“, mansuetus „sanftmütig“, placere „gefallen“, humilis „demütig“ (Idt 9,16b–d); misera „Elende“, deprecor „flehen“, misericordia „Erbarmen“, praesumere „erwarten“ (Idt 9,17a–c).

374 

 4 Abschluss

Hochmut und Schilfmeererzählung werden auch in Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151 thematisiert. Alle drei Textfassungen enthalten mithin die Einspielung der Schilfmeererzählung (Ex 15,3) in Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151 und Idt 9,10 Vg sowie in Jdt 16,2 LXX/Hs 151//Idt 16,3 Vg, wobei Idt 16,2 Hs 151 das Verb conterere in contribulare ändert.39 Jedoch zeigen sich daran interessante Beobachtungen: Die lateinischen Fassungen enthalten eine genaue Übertragung von Jdt 9,7–8 LXX, indem sie schreiben, dass Gott ein Herr ist, der Kriege zerschlägt (Idt 9,7–8 Hs 151//Idt 9,10 Vg und in Jdt 16,2 LXX/Hs 151//Idt 16,3 Vg). Dass Gott ein Herr ist, der Kriege zerschlägt, findet sich ausschließlich als Vorlage im Moselied in Ex 15,3 LXX. Die hebräische Vorlage in Ex 15,3 HT und mit ihr Ex 15,3 Vg schreiben indes genau gegenteilig, dass Gott ein Kriegsmann ist:40 Das bedeutet, dass Hs 151/Vg hier eindeutig aus der LXX-Fassung übertragen, weil diese vorgelegen haben muss. Dadurch, dass die lateinischen Übersetzungen in Idt  9,10 Hs 151/Vg und Idt 16,2 Hs 151//16,3 Vg Ex 15,3 LXX und nicht Ex 15,3 HT übersetzen, ist der Bezug zur Schilfmeererzählung nicht mehr unbedingt für die Lesenden zu erkennen, die den lateinischen Exodustext kennen, der aus dem HT übersetzt ist. Die Vg aber enthält – anders als die Hs 151 – eine Erweiterung der Exoduseinspielung, in der sich zahlreiche sprachliche Parallelen von Idt 9,6a–8b Vg und Ex 14,2–24; 15,5 Vg finden lassen, die zeigen, dass die hieronymianische Übersetzung von Idt 9,10 Vg, die gerade nicht mit Ex 15,3 Vg übereinstimmt, keineswegs zufällig entstanden ist.41 Möglicherweise soll der verloren gegangene Exodusbezug dadurch wiederhergestellt und den Lesenden zugänglich gemacht werden. Weitere intertextuelle Einspielungen, die dazu beitragen, das Vg-spezifische Profil offenzulegen, finden sich auch außerhalb von Iudiths Reden: In Idt  4,13 spielt nur die Vg-Fassung in einer Rede des Hohepriesters den Kampf der Israeliten unter Führung des Mose gegen Amalek ein (vgl. Ex 17,8–16 Vg) und in Idt 5,12–19 Vg erweitert die Vg die Schilfmeererzählung in der Rede Achiors gegenüber LXX/Hs 151.

39 Vgl. dazu Schmitz/Engel, Judit, 284. Andere Ansicht bei Maier: „Der Herr ist Kriegsmann“, 281–295. 40 Idt 9,10c Vg fügt „von Anfang an“ ab initio hinzu. 41 Dazu gehören „zurücksehen“ (respicere Idt 9,6a; Ex 14,24 Vg), „Lager“ (castrum Idt 9,6a.b.7a; Ex 14,2.19.20bis.24 Vg) „Reiterei“ (equitatus Idt  9,6c; Ex 14,9.23 Vg), „finster-“ (teneb- Idt  9,7b; Ex 14,20 Vg), „Abgrund“ (abyssus) und „bedecken“ (operire Idt 9,8b; Ex 15,5 Vg). Auffällig sind auch die Verse Idt 9,9.15 aufgrund ihrer sprachlichen Parallelen zu Idt 4,13, wo nur die Vg die Auseinandersetzung mit Amalech (Ex 17,8–16) und damit eine weitere Exoduserzählung andeutet.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 375

Aufwertung der politischen und religiösen Führung in der Vg In der Vg lassen sich mehrfach Aufwertungen der Positionen von Hohepriester und Ältesten beobachten: In Jdt 4,6–8 LXX/Hs 151 ordnet der Hohepriester Heliachim defensive Kriegsvorbereitungen an, anstatt darauf zu vertrauen, dass Gott Kriege zerbricht (Jdt 9,7 LXX/Hs 151).42 In der Vg aber gibt er dem Volk den gleichen Rat wie Iudith – nämlich nicht mit Waffen, sondern mit Gebet und Geduld zu reagieren – und begründet diesen – wie Iudith – mit einer Rettungserzählung Israels, dem Kampf Israels gegen Amalek (vgl. Idt 4,12–13 und Idt 8,16–17.23–27; 9,6–7). Nur in der Vg weiß auch der Hohepriester um das rechte Verhalten vor Gott, obwohl auch dieser Verteidigungsmaßnahmen anordnet (Idt 4,5–6 Vg). Eine weitere Aufwertung zeigt sich, wenn Iudith und der Hohepriester sich nach der Tat begegnen: Nur Idt 15,10a–b Vg//Idt 15,9 Hs 151/130 lassen Iudith auf den Hohepriester und die Ältesten aus Jerusalem zukommen, indem sie aus dem Haus kommt. In der LXX hingegen treten diese bei ihr ein. Auch in dieser Situation zeigt sich eine interessante Interpretation des Hohepriesters, die nur die Vg enthält, denn Heliachim führt – wie Hieronymus in der praefatio zum Buch Iudith – Iudiths Keuschheit als Ursache für ihren Erfolg an (Idt 15,11a–f), womit ihm in der Vg-Fassung die richtige Auslegung der Erzählung zukommt. Auch die Position der Ältesten wird mehrfach aufgewertet. Das zeigt sich bereits an den Titeln, die Ozias in der Vg erhält: In Idt 8,34 wird er als princeps Iudaeae „Fürst von Judäa“ bezeichnet, während er in Jdt 8,35 LXX/Hs 151 keinen Titel hat. Ebenfalls nur in der Vg erhält Ozias in Idt 13,23 den Titel princeps populi Israhel „Fürst des Volkes Israel“. Die Aufwertung kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass Iudith die Ältesten nur in der Vg um Zustimmung zu ihrem Vorhaben bittet (Idt 8,30b1–31e). Bemerkenswert ist auch, dass sie deren Fehlverhalten mit promittere „versprechen“ umschreibt (Idt 8,9 Vg), während Jdt 8,9 LXX/Hs 151 das stärkere ὄμνυμι / iurare „schwören“ verwenden. Auch findet sich deren negative Qualifizierung des Ultimatums des Ozias an Gott als „nicht gerechter oder richtiger Eid“ (vgl. Jdt 8,11 LXX/Hs 151) in der Vg nicht.

Schwächung der Position der Frau in Bezug auf die abra und Iudith In mehreren Zusätzen oder Veränderungen fällt auf, dass die Position der Frau geschwächt oder sogar herabgesetzt wird. In erster Linie betrifft dies Iudiths Dienerin, die abra (ἅβρα). In der LXX-Fassung tritt diese als Prokuristin Judits auf und übt damit wohl einen Teil der Aufgaben aus, die zuvor Manasse oblagen (vgl.

42 Vgl. Schmitz/Engel, Judit, 156–158.

376 

 4 Abschluss

Jdt 8,3). Die Abra (ἅβρα) der LXX zeigt damit eine Art Parallelstellung zu dem Diener des Holofernes, Bagoas (Jdt 12,11). Die Vg (und die Hs 151) aber streicht die Information, dass die abra den Besitz verwaltet und führt die Figur erst später ein (vgl. Idt 8,32b). Auch die Parallele zu Bagao entfällt dadurch in den lateinischen Fassungen. Möglicherweise ist diese Variation kein Zufall. Dafür könnte auch Ep. 79,8 sprechen, wo Hieronymus empfiehlt, Besitztümer einem älteren Mann – und nicht einer Frau – zu übertragen: „[…] quid facit uidua inter familiae multitudinem, inter ministrorum greges? […] certe, si ambitiosae domus haec officia flagitant, praeficiat his senem honestis moribus, cuius honor dominae dignitas sit. scio multas clausis ad publicum foribus non caruisse infamia seruulorum […]“ Hieronymus, Ep. 79,8 (CSEL 55, 97). „[…] Was soll nun eine Witwe tun, die inmitten eines großen Gesindetrosses, umgeben von einer zahlreichen Dienerschar, leben muß? […] Wenn das Ansehen eines großen Hauses ein solch zahlreiches Personal erfordert, dann möge die Witwe es der Aufsicht eines Greises von gutem Rufe unterstellen, der sich eine Ehre daraus macht, der Herrin Würde zu wahren. Mir sind viele Fälle bekannt, wo Damen durch ihre Diener ins Gerede kamen, obwohl sie allen Verkehr nach außen hin mieden […]“43.

In Bezug auf Iudith sind zwei Aspekte bemerkenswert: Zum einen ist die Aussage des Hohepriesters Heliachim zu nennen, der Iudiths Tat nur in der Vg als männlich qualifiziert (Idt  15,11) und damit den weiblichen Aspekt an der Rettung Israels streicht. Zum anderen ist auffällig, dass die lateinischen Fassungen den außergewöhnlichen Hinweis nicht kennen, dass Manasse aus Judits „Stamm und Geschlecht“ war (Jdt 8,2 LXX), weil dadurch der Mann über seine Frau – Manasse über den Stammbaum Judits – definiert wird, was innerhalb der LXX außergewöhnlich ist.44 Und ein allgemeiner Aspekt ist festzuhalten: Gleich zwei Mal wird in der Vg – in LXX/Hs 151 nur ein einziges Mal – in Reden Iudiths die Vergewaltigung einer Frau als Schande für diese wahrgenommen (vgl. Idt 9,2; 13,20 Vg; so auch in Jdt 9,2 LXX/Hs 151). Die Schuld des Täters hingegen ist kein Thema.

Stärkung der Darstellung der Emotionen der Figuren in der Vg Ein besonderes Merkmal, das nur die Vg-Fassung enthält, ist die Verstärkung von Aussagen zum Innenleben, zur Gefühlswelt der Figuren: Dazu gehört zunächst, dass die Gebete von Tränen begleitet werden (vgl. Idt  6,14.16; 7,18.22–23; 8,17;

43 Hieronymus, Ep. 79,8 (BKV2 Zweite Reihe 16, 326). 44 Vgl. dazu Gera, Judith, 258–259.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 377

10,14.17; 13,6; so auch in Jdt 7,29 LXX/Hs 151; in Jdt 14,16 LXX/Hs 151//Idt 14,14 Vg wird die Trauer des Bagoas/Bagao um seinen Herrn beschrieben; vgl. auch Jdt 16,17 LXX). In Bezug auf Iudith erfährt der Lesende nur in der Vg von deren Sorgen um ihre Standhaftigkeit (constantia) angesichts des bevorstehenden Plans (Idt 9,14 Vg), denn darum bittet sie Gott inständig. Eine emotionale Erregung Iudiths lässt sich auch Idt 13,6 Vg entnehmen, wenn sie kurz vor ihrer Tat in Schweigen und nur unter Bewegung ihrer Lippen sowie unter Tränen zu Gott spricht und diesen um Unterstützung anfleht. Auch in Bezug auf Holofernis sind vermehrt Emotionen in der Vg-Fassung geschildert: Als Holofernis Iudith zum ersten Mal sieht, wird sein Blick durch sie gefesselt (Idt 10,17 Vg). Seine Begierde wird sogleich geweckt. Nur in der Vg darf der Lesende so an der Reaktion des Holofernis teilhaben. Die Begierde des Holofernes beim Gastmahl für Judit kennen indes alle Textfassungen (Jdt 12,16 LXX/ Hs 151/Vg). Darüber hinaus schildert die Vg auch eine emotionale Erregung Achiors, der in Panik und Entsetzen gerät und dessen Seele kocht, als er den Kopf des Holofernis sieht (Idt 13,29). In Iudiths Rede äußert sich diese über die positiven Emotionen Gottes in Bezug auf den Sieg Israels (Idt 13,20). Es handelt sich dabei um eine auffällige Eigenart der Vg, auch wenn die Emotionen Gottes aus der Perspektive Iudiths beschrieben werden. Die Schilderung von Emotionen ist ein textstrategisches Mittel, das mehr Nähe zwischen Figuren und Lesendem bewirken soll. Bei Figuren, die die Gunst des Lesenden gewinnen, wird so eine etwaige Nachahmung des Verhaltens der favorisierten Figur provoziert. In Bezug auf Iudith wäre ein solches Anliegen sicher im Interesse des Übersetzers.

Fazit Untersucht man die Figurencharakterisierungsmerkmale unter Berücksichtigung der Lebenswelt um 400 n. Chr. ergibt sich eine ganz eigene Wahrnehmung der hieronymianischen Übersetzung. Denn alle Figurencharakterisierungsmerkmale dienen in der Entstehungszeit des Textes einer speziellen mentalen Modellbildung der Iudithfigur: von Textproduzentenseite her einerseits und von der Seite des zeitgenössischen Lesenden andererseits. Sowohl der Übersetzer Hieronymus als auch seine zeitgenössischen Lesenden entnehmen ihre Vorstellungen in Bezug auf Texte ihrer unmittelbaren Lebensumwelt. Zahlreiche Briefe des Hieronymus sind erhalten, in denen der Kirchenvater seinen Adressaten, Frauen und Männern meist aus der römischen Oberschicht – im Falle der Männer sind es oft

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 4 Abschluss

Kleriker –, erklärt, wie ein richtiges Leben vor Gott zu führen ist. Diese Briefe sind nicht nur an Privatpersonen gerichtet, sondern einem öffentlichen Kreis als eine Art Lebensratgeber zugänglich und können daher bei einem Teil der Rezipienten als bekannt vorausgesetzt werden. In vielen dieser Briefe finden sich Werte und Empfehlungen, wie ein gottgefälliges – d.h. in diesem Fall ein gemäßigt-asketisches – Leben, zu führen sei. Darunter versteht Hieronymus vor allem die Einhaltung der Tugenden (virtus) von Demut (humilitas) und Keuschheit (castitas) und, damit einhergehend, die Überwindung der Begierden (libido) sowie alle Handlungen, die dazu dienlich sind. Um dies zu erfüllen, gibt er in seinen Briefen eine Reihe von Ratschlägen: Das Leben soll bescheiden und zurückgezogen, unter ständigem Fasten geführt werden. Reichtümer sollen gespendet, Luxus vermieden werden. Dazu gehört der Verzicht auf Gastmähler, üppiges Essen und Alkohol, öffentliche Badehäuser, aufwändige Kleidung, Schmuck, Frisuren und Schminke bei Frauen. Der Textvergleich zwischen Vg und LXX/Hs 151 hat ergeben, dass vor allem die Iudith der Vg in auffälliger Weise all das erfüllt und lebt, was Hieronymus in seinen Briefen Jungfrauen und Witwen in gemäßigter Askese sowie Klerikern und allen, die noch beschließen wollen, ein derart gottgefälliges Leben zu führen, empfiehlt. Und mehr noch: Sämtliche Vg-spezifischen Eigenheiten, Zusätze und Auslassungen sind dazu dienlich, dieses Bild weiter auszubauen und zu verfestigen. Was Hieronymus hingegen in seinen Briefen ablehnt und für die Einhaltung der Keuschheit hinderlich ansieht, dient dazu, Holofernis zu beschreiben. Möglicherweise dient das von Hieronymus übersetzte Buch Iudith so dem gleichen Zweck wie seine öffentlich zugänglichen Briefe: der Erbauung der Lesenden oder gar der Nachahmung all jener Verhaltensweisen, die in der Vg-Fassung des Buches Iudith dazu führen, dass Iudith von Gott unterstützt wird. Dass sich so viele Zusätze in der Vg-Fassung des Buches Iudith finden lassen, die gleichzeitig Interessen entsprechen, die Hieronymus vielfach in seinen Briefen vertreten hat, wirft die Frage auf, ob dafür tatsächlich Eigengut eines chaldäischen Textes ursächlich ist, wie Hieronymus in seiner praefatio zum Buch Iudith suggeriert. Viel plausibler scheint es zu sein, dass der Kirchenvater die ihm so wichtigen Ideen mit seiner Iudithübersetzung verbreiten und etablieren wollte und darum sprachlich und inhaltlich ausgeschmückt hat, was er in der Juditfigur der LXX und der Vetus Latina bereits als Vorlage vorgefunden hat. Auch die Beschränkung des Handlungsspielraums der Frau, wie es sich am Beispiel der abra beobachten lässt, sowie die Aufwertung der politischen und religiösen Struktur wären mit Blick auf den historischen Kontext und die hieronymianische Briefliteratur zu erklären.



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 379

4.1.2 Aussagen über die Iudithfigur in den Briefen des Hieronymus In seinen Briefen äußert sich Hieronymus auch im Speziellen über die Iudithfigur und das interessanterweise zum Teil bereits vor oder während seiner Iudithübersetzung, die zwischen 398  n.  Chr. und 407  n.  Chr. entstanden ist. Hieronymus schreibt darin der Iudithfigur die von ihm favorisierte Lebensweise zu. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Lesenden der Vg Kenntnis von diesen Briefen hatten, doch zeigen die Zitate die Sichtweise des Hieronymus auf die Iuditherzählung. In einem Brief an die Witwe Salvina (Ep. 79), den Hieronymus zwischen 398 und 401  n.  Chr. und damit vielleicht vor seiner Iudithübersetzung geschrieben hat, findet sich ein aufschlussreiches Lob auf Iudith, an der Salvina sich ein Vorbild nehmen soll: „[…] haec, filia in Christo carissima, inculco et crebrius repeto, ut posteriorum oblita in priora te extendas habens tui ordinis, quas sequaris, Iudith de Hebraea historia et Annam, filiam Phanuelis, de euangelii claritate, quae diebus et noctibus uersabantur in templo et orationibus atque ieiuniis thesaurum pudicitiae conseruabant. unde et altera in typo ecclesiae diabolum capite truncauit, altera saluatorem mundi prima suscepit sacramentorum conscia futurorum. […]“ Hieronymus, Ep. 79,11 (CSEL 55, 100–101). „[…] Richte Dich nach denen, die Dir als Vorbilder in Deinem jetzigen Stande dienen können!“ Ich denke an Judith, die in der Jüdischen Geschichte eine Rolle spielt, und an Anna, die Tochter Phanuels, die im Lichte des Evangeliums leuchtet. Beide weilten Tag und Nacht im Tempel und wahrten sich durch Gebet und Fasten den Schatz der Keuschheit. Daher schnitt die eine als Vorbild der Kirche dem Teufel das Haupt ab, während die andere als erste den Heiland der Welt auf ihre Arme nahm und mit prophetischem Blicke die zukünftigen Geheimnisse schaute […]“45.

In Ep. 79 wird die atl. Figur Iudith mit der ntl. Anna verglichen. Beide werden dafür gelobt, dass sie sich Tag und Nacht zu Gebet und Fasten im Tempel aufgehalten haben sollen und keusch gelebt hätten. Das Aufhalten im Tempel zu Gebet und Fasten ist indes eine Information, die sich weder in der Vg-Fassung, noch in einer anderen Version des Buches Iudith finden lässt. Und eine Keuschheit Iudiths ist ausschließlich für die hieronymianische Übersetzung belegt. Auch wird die atl. Iudith interessanterweise als nachahmungswürdiges Vorbild der Kirche bezeichnet.46 Holofernis hingegen wird – erneut genau gegenteilig zu Iudith – Teufel genannt.

45 Hieronymus, Ep. 79,11 (BKV2 Zweite Reihe 16, 332). 46 Als Vorbild der Kirche bezeichnet Hieronymus Iudith auch im Prolog zu seinem Zefanjakommentar: „[…] et Iudith et Esther, in typo Ecclesiae, et occidisse aduersarios, et periturum Israel et

380 

 4 Abschluss

Während Holofernis in Ep. 79 als Teufel bezeichnet wird, findet sich im Brief an die Jungfrau Eustochium, den Hieronymus wohl 384  n.  Chr. und damit vor der Iudithübersetzung verfasst hat, eine indirekte Charakterisierung Iudiths als Engel:47 „[…] statim ut filius dei ingressus est super terram, nouam sibi familiam instituit, ut, qui ab angelis adorabatur in caelo, haberet angelos et in terris. tunc Olofernae caput Iudith continens amputauit […]“ Hieronymus, Ep. 22,21 (CSEL 54, 173). „[…] Sobald der Sohn Gottes seinen Eintritt in diese Welt hielt, schuf er sich eine neue Familie, damit er, der im Himmel von den Engeln angebetet wurde, auch Engel auf Erden habe. Eine enthaltsame Judith war es, die damals dem Holofernes das Haupt abschlug […]“48.

In Ep. 22,21 wird angedeutet, dass Iudith ein Engel Jesu auf Erden sei. Wie bereits in Ep. 79 zeigt sich auch in Ep. 22 eine Art christliche Sicht auf das atl. Buch Iudith. Auch wird darin ein weiteres Mal eine Keuschheit Iudiths hervorgehoben und mit der Tötung des Holofernis verbunden. Diese Charakterisierung Iudiths kennt nur die Vg-Fassung, ebenso wie den Zusammenhang von Keuschheit und Tötung. Noch weiter in die Deutung der Erzählung geht Hieronymus im Brief an die Witwe Furia, den er wohl im Jahre 395 n. Chr. – und damit wahrscheinlich ebenfalls vor der Iudithübersetzung – geschrieben hat: „[…] legimus Iudith […] uiduam confectam ieiuniis et habitu lugubri sorditatam, quae non lugebat mortuum uirum, sed squalore corporis sponsi quaerebat aduentum. […] habituque repente mutato ad uictrices sordes redit, omnibus saeculi cultibus mundiores […]“ Hieronymus, Ep. 54,16 (CSEL 54, 483–484). „[…] Das Buch Judith […] handelt von einer Witwe, welche das Fasten arg mitgenommen hatte und die in ihrer Trauerkleidung jeden Reizes bar war. Sie beweinte nicht etwa ihren verstorbenen Gatten, sondern erwartete trotz ihres sie entstellenden Äußeren die Ankunft des himmlischen Bräutigams. […] Nach vollbrachter Tat wechselt sie sofort wieder ihre Kleidung und zieht erneut das schmutzige Gewand an, welchem sie ihren Sieg verdankt, welches allein weltlichen Putz an Schönheit übertrifft […]“49.

periculo liberasse […]“  Hieronymus, Commentariorum in Sophoniam prophetam (CChr.SL 76, 655). In Ep. 65 schreibt Hieronymus Iudith das Wort gloria „Ruhm“ zu: „[…] Ruth et Hester et Iudith tantae gloriae sunt, ut sacris uoluminibus nomina indiderint […]“ Hieroynmus, Ep. 65,1 (CSEL 54, 617). 47 Amputare kommt auch in der Vg-Fassung vor: vgl. Idt 9,12a–b; 16,11. 48 Hieronymus, Ep. 22,21 (BKV2 Zweite Reihe 16, 86). 49 Hieronymus, Ep. 54,16 (BKV2 Zweite Reihe 16, 167).



4.1 Die Besonderheiten der Vg-Fassung und ihr historischer Kontext  

 381

In Ep. 54 stellt der Kirchenvater die Iuditherzählung in einen für die asketische Witwe relevanten Zusammenhang: Zunächst betont er, dass Iudith Witwe ist und stellt damit eine Gemeinsamkeit her. Weitere Gemeinsamkeiten sind Iudiths ständiges Fasten und ihre Trauerkleidung. Aufgrund von beidem habe sie jeglichen äußeren Reiz verloren, sei geradezu entstellt. Die Sichtweise von Iudiths Äußerem geht indes aus der Iuditherzählung selbst nicht hervor – schon gar nicht aus Jdt 8,7 LXX/Hs 151, wo Judit als schön bezeichnet wird. Auch in Idt 8,7 Vg wird Iudiths Aussehen nicht derart negativ beschrieben. Vielmehr wird ihr Äußeres als „nobel, gebildet, anständig“ (elegans) gezeichnet, bevor Gott sie in Idt 10,4 Vg für ihre Tat wunderschön macht. Auch über Iudiths innere Gesinnung gibt Hieronymus Auskunft. So habe Iudith nicht um ihren verstorben Gatten geweint, sondern die Ankunft des himmlischen Bräutigams – wohl Jesus Christus – erwartet. Auch diese Interpretation kennt keine der Textfassungen. Durch diesen Hinweis allerdings wird aus der jüdischen Iudith in den hieronymianischen Briefen eine christliche, die für Christinnen Vorbild sein kann. Hieronymus schließt diese Einspielung mit dem Hinweis, dass Iudith nach ihrer Tat ihr schmutziges Gewand wieder angezogen habe, welchem sie den Sieg zu verdanken habe. Auch dieser Gedanke findet – wörtlich genommen – keine Entsprechung. Vor allem, dass ihre Kleidung schmutzig sein soll, ist doch eher eine Idee aus den hieronymianischen Briefen, als aus der Erzählung. In Idt 16,17 Vg findet sich sogar eine Vg-spezifische Hinzufügung, nach der Iudith in voller Pracht an Festtagen erscheint. Die Kleidung, die hier mit dem Sieg in Verbindung gebracht wird, ist aber wohl eher als Bild für Iudiths keusche Lebensweise zu verstehen. Dann würde in Ep. 54 die gleiche Deutung von Iudiths Tat vorliegen wie in Ep. 79,11; 22,21 und wie in der praefatio zum Buch Iudith und Idt 10,4; 15,11; 16,26 nämlich, dass Iudith einzig aufgrund ihrer Keuschheit den Sieg davongetragen hat. Nach den hieronymianischen Briefen, der praefatio zum Buch Iudith und den Vg-spezifischen Hinzufügungen (in Idt 10,4; 15,11; 16,26) ist es gerade diese Lebensweise, aufgrund der Iudith bei der Rettung Israels von Gott unterstützt worden ist. In diesen Zitaten beschreibt Hieronymus Gemeinsamkeiten zwischen Iudith und der asketischen Lebensweise – allen voran Keuschheit, Beten und Fasten und das ständige Tragen des Bußgewandes. Darüber hinaus wird Iudith eine Belohnung durch Gott in diesen Zitaten zugesprochen: Sie sei ein Engel Jesu auf Erden (Ep. 22,21), dem Gewand habe sie den Sieg zu verdanken (54,16), als Vorbild der Kirche habe sie dem Teufel das Haupt abgeschnitten (Ep. 79,11). Grund für die Einspielung in den Briefen könnte gewesen sein, die Motivation der Adressatinnen zu wecken, dem Vorbild Iudiths zu folgen (vgl. Ep. 79,11), mit der sie scheinbar so viele Gemeinsamkeiten haben und die für ihre Lebensweise belohnt wurde.

382 

 4 Abschluss

Vor allem in den Briefen, in denen sich Hieronymus vor seiner Iudithübersetzung über Iudith geäußert hat, findet sich eine starke Deutung. Sie zeigen, dass der Kirchenvater mit einer klaren Position und Idee zu Iudith in die Übersetzung gegangen ist.

4.2 Die kognitive Figurenanalyse und das Buch Iudith In die Figurenanalyse sind die klassisch-narratologischen wie die postklassischnarratologischen Ansätze integriert worden. Im Rahmen des klassisch-narratologischen Zugangs wurden zunächst die Figurencharakterisierungsmerkmale, die dazu dienen, die Iudithfigur zu charakterisieren, ermittelt. Dazu wurden die sieben Kategorien, die im kognitiven Figurenanalysemodell vorgestellt wurden – Benennung, äußere Erscheinung, sozialer Kontext, Handlungen/Verhaltensweisen/Körpersprache/Sprechweise, Perspektive, Inter- und Intratextualität und Figurenkonstellation/Figurenkonfiguration/Handlungsrollenmodell –, berücksichtigt und die Unterschiede der verschiedenen Textfassungen erarbeitet. Auf dieser Basis baute mit der kognitiven Figurenanalyse der postklassischnarratologische Ansatz auf. Dazu wurden die zeitgenössischen Lesenden – um 400  n.  Chr. – in die Analyse integriert. Dabei wurde nach deren Textwahrnehmung gefragt, die sich aus deren gewandelter Lebensumwelt ergibt. Dadurch, dass die Analyse immer im Leseprozess des Lesenden stattfindet, lässt sich das mentale Modell der Figur, das der Lesende nach und nach mit jeder neuen Figureninformationen erweitert, in seiner sukzessiven Entstehung analysieren. Durch diesen am Ablauf einer Erzählung orientierten Aufbau der Analyse können die Aspekte entstehender Nähe und Emotion berücksichtigt werden, die der Lesende womöglich im Laufe der Erzählung zur Figur entwickelt, deren ganze Geschichte er mit durchlebt. Gleichzeitig wurden textstrategische Überlegungen auf der Seite des Textproduzenten angestellt, die vor allem die Unterschiede zwischen den Textfassungen erklären sollten. Die in Kap. 4.1 vorgestellten Charakterisierungsmerkmale von Iudith und Holofernis sind den im kognitiven Figurenanalysemodell vorgestellten sieben Kategorien der klassischen Narratologie entnommen, die alle für die Charakterisierung Iudiths relevant sind. Diese beginnt bereits mit ihrem sprechenden Namen Iudith, der Aussagen über ihre Religionszugehörigkeit und ihr Wertesystem erlaubt. Dazu gehört auch ihre äußere Erscheinung, die sich im Laufe der Erzählung verändert (Idt 8,7; 10,4), wozu auch ihre Kleidungswechsel gehören, und ihr sozialer Kontext, der durch ihre Lebensweise und ihre Lebensumstände genau umrissen ist. Ihre Reden zeigen durch intratextuelle Einspielungen ihre



4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus 

 383

Schriftkenntnis und dadurch auch ihre Weisheit, was durch die Sprechweise mit strukturellen Stilmitteln noch verstärkt wird. Iudiths Handlungen zeugen von einem gottgefälligen Leben. Wird die Erzählung aus Iudiths Perspektive geschildert, so darf der Lesende an ihren Gefühlen teilhaben, die auch bspw. durch die Tränen beim Gebet und damit einer bestimmten Körpersprache zum Ausdruck gebracht werden. Iudith wird auch insbesondere durch den Kontrast zur Gegenfigur Holofernis charakterisiert, aber auch dadurch, dass sie Gottes Hilfe erhält. Die Untersuchungen zur Rezipientenebene haben ergeben, dass dessen Verständnis der Erzählung – gerade durch die Vg-spezifischen Veränderungen und Erweiterungen, die der Textvergleich zwischen LXX/Hs 151/Vg offengelegt hat – sich in vielen Punkten von dem ursprünglichen unterscheiden könnte (vgl. im Einzelnen die Zusammenfassung in Kap. 4.1). Gleichzeitig scheint es, als habe Hieronymus seine Übersetzung für einen veränderten Lesendenkreis und dessen Verständnis mehrfach angepasst: ein Lesendenkreis, für den – zumindest teilweise – der hieronymianische Einfluss historisch erwiesen ist. Doch war sicherlich nicht nur das Verständnis der Lesenden für die zahlreichen Variationen ursächlich, die die Vg-Fassung zu bieten hat, sondern auch die tatsächlichen eigenen Wertvorstellungen des Kirchenvaters, die mit allen Veränderungen an seiner Iudithübersetzung in auffallender Weise korrespondieren, wie vor allem seine Briefzitate offenlegen (vgl. im Einzelnen die Zusammenfassung in Kap. 4.1). In diesem Sinne kann den Worten Feichtingers nur Recht gegeben werden, wenn diese festhält: „Obwohl Hieronymus sich erst im Erwachsenalter für eine asketische Lebensführung entschied, darf man angesichts seines umfangreichen Ouevres, das zu einem Gutteil der Verkündigung und Verteidigung christlicher Askeseideale gewidmet ist, doch ohne jede Übertreibung behaupten, dass er sein ganzes Leben und Wirken in den Dienst eines unermüdlichen Kampfes um die Etablierung des Jungfräulichkeitsideals in der spätantiken Gesellschaft gestellt hat“50.

Das Buch Iudith ist in diesem Sinne mehr als eine einfache Übersetzung. Es ist Teil eines Kampfes für die christlich-asketischen Ideale.

4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus Die Frage nach der Originalsprache des Buches Judit gehört noch immer zur aktuellen Forschungsdiskussion und zwar nicht zuletzt deswegen, weil Hierony-

50 Feichtinger, Apostolae apostolorum, 13.

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 4 Abschluss

mus in seiner praefatio zum Buch Iudith angibt, dass ihm eine chaldäische Textfassung zur Verfügung gestanden habe, von der allerdings keine Überlieferung erhalten ist. Eine chaldäische Textvorlage könnte die Unterschiede erklären, die sich in der Iudithübersetzung des Hieronymus im Vergleich zur LXX-Fassung und zur Hs 151 finden lassen. Gegen diese These sprechen einige Beobachtungen, die sich im Rahmen der durchgeführten Analysen ergeben haben. Diese sind nach Kategorien zu trennen: Zu unterscheiden sind intertextuelle Einspielungen, die Hinweise auf die Originalsprache geben, realgeschichtliche Begriffe und Ereignisse aus der spätantiken Zeit, die Einfluss auf die Vg-Übersetzung genommen haben, Spezifika der Vg-Fassung, die Wertvorstellungen enthalten, die Hieronymus auch in seinen Briefen vertritt, sowie Vg-spezifische Verse, die semantisch und stilistisch von einem elaborierten Latein zeugen.

Das intertextuelle Argument Zwei intertextuelle Einspielungen sind mit Blick auf die Frage der Übersetzungsgrundlage der Vg-Fassung des Buches Judit zu diskutieren: Idt 9,10 Vg und Idt  8,24b–25b Vg. Die erste betrifft die Einspielung der Schilfmeererzählung in Idt 9,10 Vg. Alle drei Textfassungen (Jdt 9,7–8 LXX/Hs 151//Idt 9,10 Vg) übersetzen Ex 15,3 nach der LXX. Nur für die lateinischen Fassungen des Buches ist das auffällig: Denn die LXX verkehrt den Satz der hebräischen Vorlage in Ex 15,3 LXX und schreibt, dass Gott ein Herr ist, der Kriege zerschlägt. In Ex 15,3 HT heißt es stattdessen, dass Gott ein Kriegsmann ist. Die lateinischen Fassungen nun übertragen Jdt 9,7–8 LXX und damit Ex 15,3 LXX und keine ältere chaldäische Textvorlage.51 Dass aber die Vg Ex 15,3 nach der LXX und nicht nach HT bzw. Vg übersetzt, lässt den Exodusbezug für seine Lesenden, die das Buch Exodus nach dem lateinischen Wortlaut kennen, zunächst verschwinden. Darum ist bemerkenswert, dass der biblisch bewanderte Kirchenvater – anscheinend – das so ausgelassene Exodusmotiv in seine Übersetzung gleich wieder einfügt, indem er dem Exoduszitat von Ex 15,3 LXX eine Erweiterung der Schilfmeererzählung voranstellt (Idt 9,6a–8b Vg). Verstärkt wird diese Theorie durch die gegenteilige Beobachtung in Jes 42,13, wo sich Hieronymus ebenfalls dafür entscheiden musste, wie er Ex 15,3 übersetzen will: Dort übersetzt der Kirchenvater allerdings – anders als im Buch Iudith – nach dem hebräischen Urtext, dass der Herr ein Kriegsmann ist, während Jes

51 Vgl. dazu Engel, »Der HERR ist ein Gott, der Kriege zerschlägt«, 157, 165.



4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus 

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42,13 LXX erneut abändert und schreibt, dass der Herr den Krieg zerschlagen wird.52 Die zweite Vg-spezifische Einspielung betrifft die Murrgeschichte in Idt 8,24b– 25b. Denn diese weist nicht nur wörtliche Parallelen zur Murrgeschichte in Num 21,6–7 Vg auf, sondern – durch die göttliche Mittlerfigur des Ausrotters (exterminator) – auffälligerweise mehr noch zu 1 Kor 10,9–10 Vg, wo die gleiche Numerierzählung eingespielt wird.53 Damit findet sich eine ntl. Einspielung in der Iudithübersetzung des Hieronymus. Das deutet darauf hin, dass dem Hieronymus – zumindest nicht für diesen Vg-spezifischen Zusatz – ein chaldäischer Text vorgelegen hat, der älter als die LXX-Fassung ist.

Realgeschichtliche Begriffe und Ereignisse Ein weiteres Argument sind jene Begriffe, die für den zeitgenössischen Lesenden eine eher römisch-spätantike Vorstellungswelt schaffen. Der Textvergleich hat gezeigt, dass die Vg-Fassung Hinzufügungen und Variationen enthält, die keine andere Fassung kennt und die sich oft eher der Zeit 400. n. Chr. als der 100. v. Chr. zuordnen lassen. Dazu gehört der Raum (cubiculum) im oberen Bereich von Iudiths Haus, in dem diese sich – umgeben von ihren Mägden – aufhält (Idt 8,5 Vg) und in dem sie auch die Ältesten unter Zeugen empfangen kann (Idt 8,10 Vg). Diese Wohn- und Lebensweise erinnert an die der gemäßigt-asketischen Witwen und Jungfrauen Roms. Diese zogen sich unter ihren Satteldächern gemeinschaftlich zu Gebet und Bibelstudium zurück. Anders ist die Darstellung der Vorlage in Jdt 8,5 LXX/Hs 151: Dort lebt Judit alleine und zurückgezogen, aber für die Öffentlichkeit einsehbar, in einem Zelt auf dem Flachdach ihres Hauses.54 Auffällig ist auch, dass die lateinischen Fassungen für Iudiths Waschungen im assyrischen Lager baptizare „untertauchen“ verwenden (Idt 12,7 Hss 151.130/

52 Jes 42,13: Dominus sicut fortis egredietur sicut vir proeliator suscitabit zelum vociferabitur et clamabit super inimicos suos confortabitur. κύριος ὁ θεὸς τῶν δυνάμεων ἐξελεύσεται καὶ συντρίψει πόλεμον ἐπεγερεῖ ζῆλον καὶ βοήσεται ἐπὶ τοὺς ἐχθροὺς αὐτοῦ μετὰ ἰσχύος. 53 Temptare „versuchen“ (Idt 8,24b; 1 Kor 10,9), murmuratio „Murren“ (Idt 8,24c; 1 Kor 10,10), exterminator „Ausrotter“ (Idt 8,25a2, 1 Kor 10,10), serpens „Schlange“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9; Num 21,6.7) und perire „umkommen“ (Idt 8,25b; 1 Kor 10,9). 54 Eng mit dieser Beobachtung zusammen hängt Iudiths Gebetsraum (oratorium Idt 9,1b), den sie in der Vg-Fassung wohl braucht, um sich – wie in LXX/Hs 151 auch – für ihr großes Bittgebet alleine zurückziehen zu können. Unterstützt wird diese Beobachtung dadurch, dass oratorium Hapaxlegomenon in der Vg ist.

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 4 Abschluss

Vg), weil das Wort in dieser Bedeutung sonst nur im NT vorkommt und den Lesenden Assoziationen zur Taufe ermöglicht. Bemerkenswert ist auch die Aussage des Hohepriesters Heliachim, der Iudiths Tat – nur in der Vg – als männliche bezeichnet (Idt 15,11) und damit – vielleicht nicht ganz zufällig – eine bereits verbreitete Ansicht der Kirchenväter vertritt.55

Spezifika der Vg-Fassung mit hieronymianischen Wertvorstellungen Für einen dezidiert hieronymianischen Einfluss auf die Vg-Fassung des Buches Iudith sprechen auch sämtliche Vg-spezifischen Hinzufügungen, weil diese Wertvorstellungen enthalten, die Hieronymus auch durch seine Briefe in seinem realen Umfeld etablieren wollte. Dazu gehören die Tugenden (virtus) der Keuschheit (castitas) und der Demut (humilitas), die das rechte Verhalten vor Gott möglich machen, und alle Verhaltensweisen, die damit einhergehen: Die Führung eines bescheidenen Lebens trotz Reichtums, fortwährendes Fasten, das Tragen des Bußgewandes, Gebete unter Tränen sowie der Verzicht auf Heirat, sexuelle Ausschweifung, gesellschaftliche Gastmähler mit üppigem Essen und viel Alkohol und Luxusgüter wie Schmuck und Reichtum. Diese Parallelen widerlegen zwar keine ältere chaldäische Fassung. Doch ist es sehr auffällig, dass es so große Überschneidungen zwischen der hieronymianischen Übersetzung und seinen persönlichen Interessen gibt, so dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass zumindest diese Hinzufügungen vom Textverständnis des Hieronymus herrühren.

Semantische und stilistische Auffälligkeiten in Vg-spezifischen Hinzufügungen Für den Einfluss des Hieronymus auf seine Iudithübersetzung sprechen auch in Stilistik und Semantik auffällige Verse, in denen der Kirchenvater ein elaboriertes Latein zeigt. Auch diese Beobachtung widerlegt nicht die Existenz einer chaldäischen Vorlage, doch belegt sie das Interesse des Übersetzers, eine zielsprachliche Übersetzung anzufertigen. So findet sich z.B. mit den Wörtern comminabitur und inflammabitur ein Klangspiel in Idt  8,15a–b. Idt  10,3h enthält zudem eine figura etymologica und eine o-Alliteration (et omnibus ornamentis suis ornavit se).56 Auch contemnere

55 Vgl. auch Clemens von Rom, Epistola ad Corinthios 55,3–4 (FC 15, 197–198); Ambrosius, Epistulae et Acta 14,29 (CSEL 82/3, 250–251). Weitere Beispiele bei Siquans, Die Macht der Rezeption, 182–190. 56 Vgl. zu Alliteration und figura etymologica in lateinischen Texten auch Baumgarten, Compendicum Rhetoricum, 4, 13.



4.3 Überlegungen zur Übersetzungsvorlage des Hieronymus 

 387

„jemanden verachten“ wird in Idt 13,28d als figura etymologica verwendet. Idt 14,7 enthält die Assonanz strepitu et ululatu „mit Lärm und Geschrei“. Die Vg-Fassung zeigt auch verschiedene strukturelle Eigenheiten: Nur Idt  10,13b–f Vg enthält eine Rede in der Rede. Ferner gibt es Parallelismen in Idt 8,18b–c; 9,14a1–c; 11,3a–d, Chiasmen in Idt 8,25a2.b; 9,18b–c; 11,11b–c und Ringstrukturen in Idt 12,1a–c; 13,10b–d.57 Alle diese Beobachtungen zeigen die Sorgfalt, die auf dem lateinischen Text liegt. Ob ein chaldäischer Text dahinter steckt, ist vor diesem Hintergrund eher fraglich. Es scheint vielmehr so zu sein, dass Hieronymus sprachlich am Text gearbeitet und auch eigene Interpretationsansätze in seiner Iudithübersetzung gezeigt hat, mit dem Ergebnis, dass seine Iudith dem zeitgenössischen wie dem heutigen Lesenden weniger als die mutige, theologisch bewanderte Jüdin der LXX, sondern vielmehr tatsächlich als keusches und frommes „Vorbild der Kirche“ (in typo ecclesiae58) erscheinen muss.

57 Auffällig ist auch die zunehmende komplexe lateinische Syntax in Vg-spezifischen Hinzufügungen (vgl. z.B. Idt 13,7c–e2; 15,2–4.6 Vg). 58 Hieronymus, Ep. 79,11 (CSEL 55, 100–101).

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12

11

10

9

8

7

6

5

3 4

1 2

Apud Hebraeos liber Iudith inter Agiografa legitur; cuius auctoritas ad roboranda illa quae in contentione veniunt, minus idonea iudicatur. Chaldaeo tamen sermone conscriptus inter historias computatur. Sed quia hunc librum sinodus nicena in numero Sanctarum Scripturarum legitur conputasse, adquievi postulationi vestrae, immo exactioni, et sepositis occupationibus, quibus vehementer artabar, huic unam lucubratiunculam dedi, magis sensum e sensu quam ex verbo verbum transferens. Multorum codicum varietatem vitiosissimam amputavi; sola ea quae intelligentia integra in verbis chaldaeis invenire potui, latinis expressi. Accipite Iudith viduam, castitatis exemplum, et triumphali laude perpetuis eam praeconiis declarate. Hanc enim non solum feminis, sed et viris imitabilem dedit, qui castitatis ius remunerator, virtutem talem tribuit, ut invictum omnibus hominibus vinceret, insuperabilem superaret.

Praefatio zum Buch Iudith Bei den Juden wird das Buch Judit den hagiographischen Schriften zugeordnet; seine Autorität wird zur Stützung eines Arguments in Streitfragen als weniger geeignet betrachtet. In kaldäischer Sprache verfasst, wird es den Geschichtsdarstellungen zugerechnet. Aber da, wie es heißt, das Konzil von Nikaia dieses Buch der Zahl der heiligen Schriften zugerechnet hat, habe ich Eurem Anliegen, ja Eurer Forderung, nachgegeben, mich heftig bedrängende Beschäftigungen beiseite gelegt und diesem Buch die Arbeit einer Nacht gewidmet, wobei ich eher Sinn für Sinn statt Wort für Wort übersetzt habe. Die sehr fehlervolle Verschiedenheit der vielen Handschriften habe ich weggeschnitten: Nur das, was ich in kaldäischen Worten voll verständlich finden konnte, habe ich lateinisch ausgedrückt. Nehmt die Witwe Judit in Empfang, ein Vorbild der Keuschheit, und verkündigt sie mit triumphierendem Lob in unablässigen Preisungen! Sie hat nämlich nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern derjenige zur Nachahmung gegeben, der ihr als Belohner ihrer Keuschheit solche Stärke zuteilte, dass sie den von allen Menschen Unbesiegten besiegte, den Unüberwindlichen überwand.

 Praefatio zum Buch Iudith 

Anhang

 411

et factum est cum audisset haec Iudith vidua quae erat filia Merari filii Idox filii Ioseph filii Oziae filii Elai filii Iamnor filii Gedeon filii Rafoin filii Acitob filii Melchiae filii Enam filii Nathaniae filii Salathihel filii Symeon filii Ruben

et vir eius fuit Manasses qui mortuus est in diebus messis hordiariae instabat enim super alligantes manipulos in campo et venit aestus super caput eius et mortuus est in Bethuliam civitatem suam et sepultus est illic cum patribus suis erat autem Iudith relicta eius vidua iam annis tribus et mensibus sex

et in superioribus domus suae fecit sibi secretum cubiculum in quo cum puellis suis clausa morabatur

et habens super lumbos suos cilicium ieiunabat omnibus diebus vitae suae praeter sabbata et neomenia et festa domus Israhel

erat autem eleganti aspectu nimis cui vir suus reliquerat divitias multas et familiam copiosam ac possessiones armentis boum et gregibus ovium plenas

et erat haec in eo omnibus famosissima quoniam timebat Dominum valde nec erat qui loqueretur de illa verbum malum

1a 1b 1c

2a 2b 3a 3b 3c 3d 4a

5a 5b

6a

7a 7b

8a 8b 8c 8d

Idt 8 [1] Und es geschah, als die Witwe Judit dies gehört hatte, die die Tochter Meraris war, des Sohnes des Uz, des Sohnes Josefs, des Sohnes Usijas, des Sohnes Elais, des Sohnes Jamnors, des Sohnes Gideons, des Sohnes Rafoins, des Sohnes Ahitubs, des Sohnes Malkijas, des Sohnes Enams, des Sohnes Natanijas, des Sohnes Schealtiëls, des Sohnes Simeons, des Sohnes Rubens, [2] und ihr Mann war Manasse gewesen, der gestorben war in den Tagen der Gerstenernte. [3] Er beaufsichtigte nämlich die, die auf dem Feld die Garben banden, und es kam die Hitze auf seinen Kopf, und er starb in seiner Stadt Betulia und wurde dort bei seinen Vätern begraben. [4] Judit aber war als seine Witwe hinterblieben, schon drei Jahre und sechs Monate lang, [5] und im oberen Teil ihres Hauses hatte sie sich einen abgesonderten Raum eingerichtet, in dem sie mit ihren Mägden eingeschlossen wohnte. [6] Auf ihren Lenden trug sie ein Bussgewand und fastete an allen Tagen ihres Lebens, außer an den Sabbaten und den Neumondtagen und den Festen des Hauses Israel. [7] Sie war aber von sehr feinem Aussehen. Ihr Ehemann hatte ihr großen Reichtum hinterlassen, eine zahlreiche Dienerschaft und umfangreichen Besitz an Rinderscharen und Schafherden. [8] Sie stand deshalb bei allen in höchstem Ansehen, weil sie den Herrn sehr fürchtete, und es gab niemanden, der über sie ein schlechtes Wort sprach.

412   Anhang

9a 9b 9c 9d 10a 10b

16a 16b 17a 17b

et ideo humiliemus illi animas nostras et in spiritu constituti humiliato servientes illi dicamus flentes Domino ut secundum voluntatem suam sic faciat nobiscum misericordiam suam

haec itaque cum audisset quoniam Ozias promisisset quod transacto quinto die traderet civitatem misit ad presbyteros Chabri et Carmin et venerunt ad illam et dixit illis 10c quod est hoc verbum 10d in quo consensit Ozias 10e ut tradat civitatem Assyriis 10f si intra quinque dies non venerit vobis adiutorium 11a et qui estis vos 11b qui temptatis Dominum 12a1 non est iste sermo 12b qui misericordiam provocet 12a2 sed potius 12c qui iram excitet 12d et furorem accendat 13a posuistis vos tempus miserationis Domini 13b et in arbitrium vestrum diem constituistis ei 14a sed quia patiens est Dominus 14b in hoc ipso paeniteamur 14c et indulgentiam eius lacrimis postulemus 15a non enim quasi homo Deus sic comminabitur 15b neque sicut filius hominis ad iracundiam inflammabitur [15] Denn nicht so wie einem Menschen kann Gott gedroht werden, und nicht wie ein Menschensohn wird er zum Zorn entflammt. [16] Und deshalb lasst uns unsere Seelen vor ihm demütigen und, indem wir in demütige Haltung versetzt ihm dienen, [17] lasst uns weinend dem Herrn sagen, dass er nach seinem Willen uns seine Barmherzigkeit so erweise, dass, wie unser Herz verstört ist angesichts ihrer Überheblichkeit,

[13] Ihr habt eine Frist gesetzt für das Erbarmen des Herrn und willkürlich ihm einen Tag bestimmt. [14] Aber weil der Herr geduldig ist, lasst uns gerade dies bereuen und unter Tränen seine Verzeihung erbitten.

[11] Und wer seid ihr, dass ihr den Herrn auf die Probe stellt? [12] Dies ist keine Redeweise, die Barmherzigkeit hervorruft, sondern eher eine, die Zorn erregt und Wut entfacht.

„Was ist das für ein Wort, mit dem Usija zugestimmt hat, die Stadt den Assyrern auszuliefern, wenn innerhalb von fünf Tagen keine Hilfe für euch kommt?

[10] und sie kamen zu ihr, und sie sagte zu ihnen:

[9] Als diese also gehört hatte, dass Usija versprochen hatte, dass er nach dem Ende des fünften Tages die Stadt ausliefern werde, schickte sie zu den Ältesten Kabri und Karmi,

 Idt 8   413

sic Isaac sic Iacob sic Moses et omnes qui placuerunt Deo per multas tribulations transierunt fideles

20c 20d 20e 21a1 21b 21a2 21c 21d 21e 21f 21g 22a 22b 22c

23a1 23b 23a2

19b 20a 20b

ut sicut conturbatum est cor nostrum in superbia eorum ita etiam de nostra humilitate gloriemur quoniam non sumus secuti peccata patrum nostrorum qui dereliquerunt Deum suum et adoraverunt deos alienos pro scelere quo dati sunt in gladium et in rapinam et in confusionem inimicis suis nos autem alterum deum nescimus praeter ipsum expectemus humiles consolationem eius et exquiret sanguinem nostrum de adflictionibus inimicorum nostrorum et humiliabit omnes gentes quaecumque insurgunt contra nos et faciet illas sine honore Dominus Deus noster et nunc fratres quoniam vos qui estis presbyteri in populo Dei ex vobis pendet anima illorum adloquio vestro corda eorum erigite ut memores sint quia temptati sunt patres nostri ut probarentur si vere colerent Deum suum memores esse debent quomodo pater noster Abraham temptatus est et per multas tribulationes probatus Dei amicus effectus est

17c1 17d 17c2 18a 18b 18c 19a

[22] Sie sollen sich daran erinnern, wie unser Vater Abraham versucht wurde und, durch viele Schwierigkeiten geprüft, Gottes Freund geworden ist. [23] So gingen Isaak, so Jakob, so Mose und alle, die Gott gefielen, treu durch viele Schwierigkeiten hindurch.

[21] Und nun, Brüder, da ihr Älteste im Volke Gottes seid, von euch hängt ihr Leben ab; richtet ihre Herzen durch euren Zuspruch auf, damit sie sich daran erinnern, dass unsere Väter versucht wurden, um sie zu prüfen, ob sie wahrhaft ihren Gott verehrten.

[18] weil wir nicht den Sünden unserer Väter gefolgt sind, die ihren Gott verlassen und fremde Götter angebetet haben. [19] Wegen dieses Vergehens wurden sie dem Schwert preisgegeben und der Plünderung und der Schändung vor ihren Feinden; wir aber kennen keinen anderen Gott außer ihm. [20] Lasst uns demütig auf die Tröstung durch ihn warten! Er wird unser Blut erforschen durch die Untaten unserer Feinde und wird alle Völker demütigen, die sich gegen uns erheben, und wird sie ehrlos machen, er, der Herr, unser Gott.

so wir uns auch unserer Demut rühmen,

414   Anhang

30a

28a

illi autem qui temptationes non susceperunt cum timore Domini et patientia sua inproperium murmurationis suae contra Dominum protulerunt 25a2 exterminati sunt ab exterminatore 25b et a serpentibus perierunt 26a et nos ergo non ulciscamur nos pro his 26b quae patimur 27a1 sed reputantes peccatis nostris haec ipsa minora esse supplicia flagella Domini quasi servi 27b qui corripimur 27a2 ad emendationem non ad perditionem nostram evenisse credamus et dixerunt illi Ozias et presbyteri 28b1 omnia 28c quae locuta es 28b2 vera sunt 28d et non est in sermonibus tuis ulla reprehensio 29a nunc ergo ora pro nobis 29b quoniam mulier sancta es et timens Dominum et dixit illis Iudith 30b1 Sicut 30c quod loqui potui Dei esse 30b2 cognoscitis 31a1 ita 31b quod facere disposui 31a2 probate 31c si ex Deo est 31d et orate 31e ut firmum faciat consilium meum Deus

24a1 24b 24c

[31] so prüft, was ich zu tun mir vorgenommen habe, ob es aus Gott ist, und betet, dass Gott meinen Ratschluss festigt.

[29] Nun bete also für uns, denn du bist eine heilige und gottesfürchtige Frau.“ [30] Und Judit sagte zu ihnen: „Wie ihr erkennt, dass, was ich sagen konnte, von Gott ist,

[25] Sie sind vom Ausrotter ausgerottet worden und durch Schlangen umgekommen. [26] Wir wollen also auch nicht Vergeltung nehmen für das, was wir erleiden, [27] sondern in der Einsicht, dass diese Strafen geringer sind als unsere Sünden, wollen wir wie ergriffene Sklaven glauben, dass die Geisselschläge Gottes zu unserer Besserung, nicht zu unserem Verderben geschehen sind.“ [28] Und Usija und die Ältesten sagten zu ihr: „Alles, was du gesagt hast, ist wahr, und an deinen Reden ist nichts zu tadeln.

[24] Jene aber, die die Versuchungen nicht in Furcht des Herrn und mit eigener Geduld auf sich nahmen, haben ihr vorwurfsvolles Murren gegen den Herrn geäußert.

 Idt 8   415

34d 34e

34a

stabitis vos ad portam nocte ista 32a et ego exeam cum abra mea 32b et orate 32c ut 32d1 sicut dixistis 32e in diebus quinque respiciat Dominus populum suum Israhel 32d2 33a vos autem nolo 33b scrutemini actum meum 33c et usque dum renuntiem vobis 33d nihil aliud fiat nisi oratio pro me ad Dominum Deum nostrum et dixit ad eam Ozias princeps Iudaeae 34b vade in pace 34c et Dominus sit tecum in ultione inimicorum nostrorum et revertentes abierunt [33] Ich will aber nicht, dass ihr meine Unternehmung ausforscht, und bis ich euch Nachricht gebe, soll nichts anderes geschehen als das Gebet für mich zum Herrn, unserem Gott.“ [34] Und Usija, der Fürst von Judäa, sagte zu ihr: „Geh in Frieden! Und der Herr sei mit dir bei der Vergeltung an unseren Feinden!“ Und sie wandten sich um und gingen fort.

[32] Ihr sollt in dieser Nacht am Tor stehen, und ich will mit meiner Obermagd hinausgehen, und betet, dass, wie ihr gesagt habt, innerhalb von fünf Tagen der Herr auf sein Volk Israel blickt.

416   Anhang

1a 1b 1c 1d

Idt 9

et dedisti mulieres eorum in praedam et filias eorum in captivitatem et omnem praedam in divisionem servis tuis qui zelaverunt zelum tuum subveni quaeso te Domine Deus meus mihi viduae tu enim fecisti priora et illa post illa cogitasti et hoc factum est quod ipse voluisti omnes enim viae tuae paratae sunt et tua iudicia in providentia tua posuisti respice castra Assyriorum nunc sicut tunc castra videre Aegyptiorum dignatus es quando post servos tuos armati currebant confidentes in quadrigis et in equitatu suo et in multitudine bellatorum

sed aspexisti super castra eorum et tenebrae fatigaverunt eos

3a 3b 3c 3d 3e 3f 4a 4b 4c 4d 5a 5b 6a 6b 6c

7a 7b

quibus abscedentibus Iudith ingressa est oratorium suum et induens se cilicio posuit cinerem super caput suum et prosternens se Domino clamavit ad Dominum dicens 2a Domine Deus patris mei Symeon 2b qui dedisti illi gladium in defensione alienigenarum 2c qui violatores extiterunt in coinquinatione sua 2d et denudaverunt femur virginis in confusionem

[5] Alle deine Wege nämlich sind bereitet worden und deine Urteile in deine Vorsehung gelegt. [6] Blicke jetzt auf das Lager der Assyrer, wie du damals geruht hast, das Lager der Ägypter zu betrachten, als sie bewaffnet hinter deinen Knechten her eilten im Vertrauen auf ihre Viergespanne und ihre Reiterei und auf die Vielzahl ihrer Krieger. [7] Aber du hast ihr Lager angeschaut, und Finsternis machte sie müde.

[4] Du hast nämlich das Frühere getan und das Spätere erdacht und das, was du selbst wolltest, ist geschehen.

[1] Während sie weg gingen, betrat Judit ihren Gebetsraum, zog das Bussgewand an, legte Asche auf ihren Kopf, warf sich vor dem Herrn nieder und rief zum Herrn, indem sie sagte: [2] „Herr, Gott meines Vaters Simeon, der du jenem das Schwert gabst zur Verteidigung gegen die Fremdstämmigen, die sich als Gewalttäter erwiesen durch ihre Schandtat und den Schenkel der Jungfrau entblößten zur Schändung, [3] und der du ihre Frauen preisgabst als Beute und ihre Töchter in die Gefangenschaft und alle Beute zur Verteilung an deine Diener, die deinem Eifer nachgeeifert haben, komm zu Hilfe, bitte ich dich, Herr, mein Gott, mir, einer Witwe!

 Idt 9   417

da mihi in animo constantiam ut contemnam illum et virtutem ut evertam illum erit enim memoriale nominis tui cum manus feminea deiecerit eum non enim in multitudine est virtus tua Domine neque in equorum viribus voluntas tua nec superbi ab initio placuerunt tibi sed humilium et mansuetorum tibi semper placuit deprecatio

14a1 14b 14a2 14c 15a 15b 16a 16b 16c 16d

12a 12b 13a 13b

tenuit pedes eorum abyssus et aquae operuerunt eos sic fiant et isti Domine qui confidunt in multitudine sua et in curribus suis et in contis et in sagittis suis et in lanceis gloriantur et nesciunt quia tu ipse es Deus noster qui conteris bella ab initio et Dominus nomen est tibi erige brachium tuum sicut ab initio et adlide virtutem eorum in virtute tua cadat virtus eorum in iracundiam tuam qui promittunt se violare sancta tua et polluere tabernaculum honoris tui et deicere gladio suo cornu altaris tui fac Domine ut gladio proprio eius superbia amputetur capiatur laqueo oculorum suorum in me et percuties eum ex labiis caritatis meae

8a 8b 9a 9b 9c 10a 10b 10c 10d 11a 11b 11c 11d

[15] Denn es wird ein Denkmal für deinen Namen sein, wenn eine weibliche Hand ihn niedergeworfen hat. [16] Nicht in der Vielzahl nämlich liegt deine Kraft, Herr, und nicht in den Stärken von Pferden dein Wille, und Hochmütige haben dir von Anfang an nicht gefallen, sondern dir hat immer das Flehen von Demütigen und Sanftmütigen gefallen.

[11] Erhebe deinen Arm wie von Anfang an und schlage ihre Kraft durch deine Kraft, ihre Streitmacht soll deinem Zorn verfallen, die da versprechen, dein Heiligtum zu schänden und das Zelt deiner Ehre zu beflecken und mit ihrem Schwert das Horn deines Altares abzuschlagen. [12] Mach Herr, dass seine Überheblichkeit durch sein eigenes Schwert gestutzt wird! [13] Er soll durch die Schlingen seiner Blicke auf mich gefangen genommen werden, und du wirst ihn aus den Lippen meiner Liebe heraus durchbohren. [14] Gib mir Standhaftigkeit im Geist, ihn geringzuschätzen, und Kraft, ihn zu stürzen.

[8] Ein Abgrund hielt ihre Füße fest, und Wasser bedeckten sie. [9] So sollen auch die da werden, Herr, die auf ihre Menge vertrauen und auf ihre Streitwagen und sich brüsten mit ihren Wurfspeeren und Pfeilen und Lanzen [10] und nicht wissen, dass du selbst es bist, unser Gott, der Kriege von Anfang an zerschlägt, und dass „der Herr“ dein Name ist.

418   Anhang

17b 18a 18b 18c 18d 19a 19b 19c

17a

Deus caelorum creator aquarum et dominus totius creaturae exaudi me miseram deprecantem et de tua misericordia praesumentem memento Domine testamenti tui et da verbum in ore meo et in corde meo consilium corrobora ut domus tua in tua sanctificatione permaneat et omnes gentes agnoscant quoniam tu es Deus et non est alius praeter te [19] und alle Völker anerkennen, dass du Gott bist und es keinen anderen außer dir gibt.“

[17] Gott der Himmel, Erschaffer der Wasser und Herr der ganzen Schöpfung, erhöre mich Elende, die fleht und dein Erbarmen erwartet! [18] Gedenke, Herr, deines Bundes und gib ein Wort durch meinen Mund und festige den Plan in meinem Herzen, damit dein Haus dir geheiligt bleibe

 Idt 9   419

inposuit itaque abrae suae ascopam vini et vas olei et pulenta et palatas et panes et caseum et profecta est cumque venisset ad portas civitatis invenerunt expectantem Oziam et presbyteros civitatis qui cum vidissent eam stupentes mirati sunt nimis pulchritudinem eius nihil tamen interrogantes eam dimiserunt transire dicentes

5a

5b 6a 6b 7a 7b 8a

factum est autem cum cessasset clamare ad Dominum surrexit de loco quo iacuerat prostrata Domino vocavitque abram suam et descendens in domum suam abstulit a se cilicium et exuit se vestimentis viduitatis suae et lavit corpus suum et unxit se myrro optimo et discriminavit crinem capitis sui et inposuit mitram super caput suum et induit se vestimentis iucunditatis suae induitque sandalia pedibus suis adsumpsitque dextraliola et lilia et inaures et anulos et omnibus ornamentis suis ornavit se cui etiam Dominus contulit splendorem quoniam omnis ista conpositio non ex libidine sed ex virtute pendebat et ideo Dominus hanc in illam pulchritudinem ampliavit ut inconparabili decore omnium oculis appareret

1a 1b 1c 1d 2a 2b 2c 3a 3b 3c 3d 3e 3f 3g 3h 4a 4b 4c 4d

Idt 10

[4] Auch verlieh ihr der Herr ein strahlendes Aussehen, weil dieser ganze Aufputz nicht von Lust herrührte, sondern von Tugend, und der Herr sie deshalb zu solcher Schönheit steigerte, dass sie den Augen aller von unvergleichlicher Schönheit erschien. [5] Nunmehr lud sie ihrer Obermagd einen Schlauch mit Wein auf und ein Gefäß mit Öl und geröstetes Korn und Fruchtkuchen und Brote und Käse, und brach auf. [6] Und als sie an die Stadttore gekommen war, fanden sie den wartenden Usija und die Ältesten der Stadt. [7] Als diese sie gesehen hatten, bestaunten sie ganz verwundert ihre Schönheit, [8] fragten sie aber nichts und ließen sie vorübergehen, wobei sie sagten:

[2] und ihre Obermagd rief, in ihr Haus hinunter stieg, das Bußgewand ablegte und ihre Witwenkleider auszog; [3] und sie wusch ihren Körper und salbte sich mit bester Myrrhe, kämmte ihr Haupthaar, wand ein Haarband um ihren Kopf, legte die Kleider ihrer Fröhlichkeit an, band Sandalen an ihre Füße, legte Armbändchen und Lilien und Ohrgehänge und Ringe an und schmückte sich mit all ihrem Schmuck.

[1] Es geschah aber, als sie aufgehört hatte zum Herrn zu schreien, dass sie von der Stelle aufstand, wo sie vor dem Herrn hingestreckt gelegen hatte,

420   Anhang

„So geschehe es, so geschehe es!“

9c

11e 11f

12a

„Woher kommst du, oder wohin gehst du?“

factum est autem cum descenderet montem circa ortum diei occurrerunt ei exploratores Assyriorum et tenuerunt illam dicentes

11a 11b 11c 11d

‚Ich will zum Angesicht des Fürsten Holofernes gehen, um ihm ihre Geheimnisse mitzuteilen und ihm zu zeigen, auf welchem Zugang er sie einnehmen kann, ohne dass ein

Idt 10 

vadam ad faciem principis Holofernis ut indicem illi secreta illorum et ostendam illi

13b 13c 13d

„Ich bin eine Tochter der Hebräer. Ich bin deshalb aus ihrem Angesicht geflohen, weil ich erkannt habe, dass es sein wird, dass sie euch zur Plünderung preisgegeben werden dafür, dass sie euch missachteten, und nicht sich selbst ausliefern wollten, um Barmherzigkeit vor eurem Angesicht zu finden. [13] Aus diesem Grunde dachte ich bei mir und sagte mir:

[12] Sie antwortete:

12b 12c 12d 12e 12f 12g 12h 13a

filia sum Hebraeorum ideo ego fugi a facie eorum quoniam futurum agnovi quod dentur vobis in depraedationem pro eo quod contemnentes vos noluerunt ultro tradere se ipsos ut invenirent misericordiam in conspectu vestro hac de causa cogitavi mecum dicens

quae respondit

unde venis aut quo vadis

[10] Judit aber ging zum Herrn betend durch die Tore, sie und ihre Obermagd. [11] Es geschah aber, als sie den Berg hinabstieg bei Tagesanbruch, da kamen ihr die Späher der Assyrer entgegen, hielten sie an und sagten:

Iudith vero orans Dominum transiit portas ipsa et abra eius

fiat fiat

[9] Und diese, die dort waren, sagten alle mit einer Stimme:

„Der Gott unserer Väter gebe dir gutes Gelingen und festige jeden Ratschluss deines Herzens mit seiner Kraft, so dass Jerusalem sich deiner rühmen kann und dein Name in der Zahl der Heiligen und der Gerechten sei.“

et dixerunt hii qui illic erant omnes una voce

Deus patrum nostrorum det tibi gratiam et omne consilium tui cordis sua virtute corroboret ut glorietur super te Hierusalem et sit nomen tuum in numero sanctorum et iustorum

10a

9a1 9b 9a2

8b 8c 8d 8e

  421

20a 20b 20c

19a

16e 16f 17a 17b 18a

14a 14b 14c 14d 15a

„Du hast dein Leben gerettet dadurch, dass du einen solchen Ratschluss gefunden hast, um zu unserem Herrn hinabzusteigen. [16] Dies aber sollst du wissen: Wenn du vor seinem Angesicht stehst, wird er dich gut behandeln, und in seinem Herzen wirst du sehr willkommen sein.“

et cum in faciem eius intendisset adoravit eum prosternens se super terram et levaverunt illam servi Holofernis iubente domino suo

videns itaque Holofernem Iudith sedentem in conopeo quod erat ex purpura et auro et zmaragdo et lapidibus pretiosis intextum

[19] Als nun Judit den Holofernes unter dem Mückennetz, das aus Purpur und Gold und mit Smaragd und Edelsteinen besetzt war, sitzen sah [20] und den Blick auf sein Gesicht gerichtet hatte, zeigte sie ihm ihre Verehrung, indem sie sich vornüber auf die Erde warf, und die Diener des Holofernes hoben sie auf Befehl ihres Herrn auf.

„Wer könnte das Volk der Hebräer missachten, die so schöne Frauen haben, dass wir nicht schon um derentwillen mit Recht gegen sie kämpfen sollten?“

18b 18c 18d

satellites eius quis contemnat populum Hebraeorum qui tam decoras mulieres habent ut non pro his merito pugnare contra eos debeamus

Und sie führten sie zum Zelt des Holofernes und kündigten sie an. [17] Und als sie eingetreten war vor sein Angesicht, wurde Holofernes sogleich durch seine Blicke gefesselt. [18] Und seine Gefolgsleute sagten zu ihm:

duxeruntque illam ad tabernaculum Holofernis et nuntiantes eam cumque intrasset ante faciem eius statim captus est in suis oculis Holofernis dixeruntque ad eum

conservasti animam tuam eo quod tale repperisti consilium ut descenderes ad dominum nostrum hoc autem scias quoniam cum steteris in conspectu eius bene tibi faciet et eris gratissima in corde eius

15b 15c 15d 16a 16b 16c 16d

einziger Mann aus seinem Heer fällt‘.“ [14] Und als die Männer ihre Worte gehört hatten, betrachteten sie ihr Gesicht, und in ihren Augen lag Erstaunen, weil sie ihre Schönheit sehr bewunderten, [15] und sie sagten zu ihr:

quo aditu possit obtinere eos ita ut non cadat unus vir de exercitu eius

et cum audissent viri verba eius considerabant faciem eius et erat in oculis eorum stupor quoniam mirabantur pulchritudinem eius nimis et dixerunt ad eam

13e 13f

422   Anhang

4a

1a

Idt 11

nec hoc latet quod locutus est Achior nec illud ignoratur

[6] Die Regsamkeit deines Geistes wird nämlich bei allen Völkern bekannt gemacht, und der ganzen Welt wurde berichtet, dass du allein gut und mächtig bist in seinem ganzen Reich, und deine Gelehrsamkeit wird in allen Provinzen gerühmt. [7] Auch das, was Achior gesagt hat, ist nicht verborgen geblieben, und man weiß sehr wohl, was auf deinen Befehl hin mit ihm geschehen soll.

[4] Und Judit sagte zu ihm: „Nimm die Worte deiner Magd an! Denn wenn du den Worten deiner Magd folgst, wird der Herr mit dir eine vollendete Sache schaffen. [5] Denn Nebukadnezzar, der König der Erde, lebt und seine Kraft lebt, die in dir ist zur Bestrafung aller irrenden Seelen: Nicht nur Menschen dienen ihm durch dich, sondern auch die Tiere des Feldes gehorchen ihm.

[3] Nun aber sage mir, aus welchem Grund du von ihnen weggegangen bist und beschlossen hast, zu uns zu kommen.“

[2] Wenn dein Volk aber mich nicht missachtet hätte, hätte ich nicht meine Lanze gegen es erhoben.

[1] Darauf sagte Holofernes zu ihr: „Sei unbesorgt und ängstige dich nicht in deinem Herzen; denn ich habe niemals einem Mann geschadet, der dem König Nebukadnezzar zu dienen bereit war.

Idt 11 

7a 7b 7c

tunc Holofernis dixit ei 1b aequo animo esto 1c et noli pavere in corde tuo 1d quoniam ego numquam nocui virum 1e qui voluit servire Nabuchodonosor regi 2a1 populus autem tuus 2b si non contempsisset me 2a2 non adlevassem lanceam meam super illum 3a nunc autem dic mihi 3b qua ex causa recessisti ab illis 3c et placuit tibi 3d ut venires ad nos et dixit illi Iudith 4b sume verba ancillae tuae 4c quoniam si secutus fueris verba ancillae tuae 4d perfectam rem faciet Dominus tecum 5a vivit enim Nabuchodonosor rex terrae 5b et vivit virtus eius 5c quae est in te ad correptionem omnium animarum errantium 5d quoniam non solum homines serviunt illi per te 5e sed et bestiae agri obtemperant illi 6a nuntiatur enim industria animi tui universis gentibus 6b et indicatum est omni saeculo 6c quoniam tu solus bonus et potens es in omni regno eius 6d et disciplina tua omnibus provinciis praedicatur

  423

quod ei iusseris evenire constat enim Deum nostrum sic peccatis offensum ut mandaverit per prophetas suos ad populum quod tradat eos pro peccatis suis 

et quoniam sciunt se offendisse Deum suum filii Israhel tremor tuus super ipsos est insuper etiam fames invasit eos et ab ariditate aquae iam inter mortuos conputantur denique hoc ordinant ut interficiant pecora sua et sanguinem eorum bibant et sancta Domini sui quae praecepit Deus non contingi in frumento vino et oleo haec cogitaverunt inpendere et volunt consumere quae nec manibus deberent contingere ergo quoniam haec faciunt certum est quod in perditione dabuntur quod ego ancilla tua cognoscens fugi ab illis et misit me Dominus haec ipsa nuntiare tibi

ego enim ancilla tua Deum colo etiam nunc apud te et exiet ancilla tua et orabo Deum et dicet mihi quando eis reddat peccatum suum et veniens nuntiabo tibi ita ut ego adducam te per mediam Hierusalem

7d 8a 8b 8c

9a 9b 10a 10b 11a 11b 11c 12a1 12b 12a2 12c 12d 12e 12f 12g 13a 13b

14a 14b 14c 15a 15b 15c 15d

[13] Als ich, deine Magd, dies erkannte, bin ich von ihnen fort geflohen, und der Herr hat mich gesandt, eben dies dir mitzuteilen. [14] Ich, deine Magd, verehre nämlich Gott auch jetzt bei dir, und deine Magd wird hinausgehen, und ich werde (zu) Gott beten, [15] und er wird mir sagen, wann er ihnen ihre Sünde vergilt, und ich werde kommen und es dir mitteilen, so dass ich dich hinführe mitten durch Jerusalem, und du wirst das ganze Volk

[12] und sie denken daran, das ihrem Herrn Heilige an Getreide, Wein und Öl, das Gott zu berühren verboten hat, zu verwenden, und sie wollen das verzehren, was sie nicht einmal mit den Händen berühren dürften. Weil sie dies also tun, ist es gewiss, dass sie dem Verderben preisgegeben werden.

[8] Denn es steht fest, dass unser Gott durch Sünden so beleidigt wurde, dass er durch seine Propheten dem Volk hat ausrichten lassen, dass er sie wegen ihrer Sünden ausliefere. [9] Und weil die Söhne Israels wissen, dass sie ihren Gott beleidigt haben, ist das Zittern vor dir über sie gekommen. [10] Außerdem hat sie der Hunger befallen, und wegen des Wassermangels werden sie schon unter die Toten gerechnet. [11] Schließlich ordnen sie dies an: ihre Schafe zu schlachten und deren Blut zu trinken,

424   Anhang

20a

18a 18b 18c

et habebis omnem populum Israhel sicut oves quibus non est pastor et non latrabit vel unus contra te quoniam haec mihi dicta sunt per providentiam Dei

17a et quoniam iratus est illis Deus 17b hoc ipsa missa sum nuntiare tibi placuerunt autem omnia verba haec coram Holoferne et coram pueris eius et mirabantur ad sapientiam eius et dicebant alter ad alterum 19a non est talis mulier super terram in aspectu in pulchritudine et in sensu verborum et dixit ad illam Holofernis 20b bene fecit Deus 20c qui misit te ante populum 20d ut des illum tu in manibus nostris 21a et quoniam bona est promissio tua 21b si fecerit mihi hoc Deus tuus 21c erit et meus Deus 21d et tu in domo Nabuchodonosor magna eris 21e et nomen tuum nominabitur in universa terra

15e 15f 15g 16a

[21] Und weil dein Versprechen gut ist: Wenn dein Gott dies für mich tun wird, wird er auch mein Gott sein, und du wirst im Hause Nebukadnezzars groß sein, und dein Name wird auf der ganzen Erde genannt werden.“

[16] Weil mir nämlich dieses gesagt wurde durch die Vorsehung Gottes [17] und weil Gott über sie erzürnt ist, bin ich gesandt worden, dir dies mitzuteilen.“ [18] Alle diese Worte aber gefielen vor Holofernes und vor seinen Dienern, und sie bewunderten ihre Weisheit und sagten einer zum anderen: [19] „Eine solche Frau gibt es nicht auf der Erde an Aussehen, an Schönheit und an Klugheit der Worte.“ [20] Und Holofernes sagte zu ihr: „Gott hat wohl daran getan, dass er dich vor dem Volk her geschickt hat, damit du es in unsere Hände gibst.

Israel halten wie Schafe, die keinen Hirten haben, und nicht ein einziger wird gegen dich bellen.

 Idt 11   425

4f 4g 5a 5b 5c

4a

3a

1a 1b 1c 1d 1e 2a

Idt 12

tunc iussit eam introire ubi repositi erant thesauri eius et iussit illic manere eam et constituit quid daretur illi de convivio suo cui respondens Iudith dixit 2b nunc non potero manducare ex his 2c quae mihi praecipis tribui 2d ne veniat super me offensio 2e1 ex his autem 2f quae mihi detuli 2e2 manducabo cui Holofernis ait 3b si defecerint tibi ista 3c quae tecum detulisti 3d quid faciemus tibi et dixit Iudith 4b vivit anima tua domine meus 4c quoniam non expendet omnia haec ancilla tua 4d donec faciat Deus in manu mea haec 4e quae cogitavi et induxerunt illam servi eius in tabernaculo quo praeceperat et petiit dum introiret ut daretur ei copia nocte et ante lucem egrediendi foras ad orationem et deprecandi Dominum

Und seine Diener führten sie in das Zelt, das er angewiesen hatte. [5] Und während sie hineinging, bat sie darum, dass ihr ausreichend Gelegenheit gegeben werde, nachts und vor Tagesanbruch nach draußen hinauszugehen zum Gebet und um den Herrn anzuflehen.

[4] Und Judit sagte: „So wahr du lebst, mein Herr! Deine Magd wird dies nicht alles aufbrauchen, bis Gott durch meine Hand das tut, was ich ausgedacht habe.“

[3] Holofernes sagte zu ihr: „Falls dir das ausgehen sollte, was du mitgebracht hast, was sollen wir dann für dich tun?“

[2] Judit antwortete ihm und sagte: „Ich werde jetzt nicht von dem essen können, was du mir zuzuteilen anweist, damit über mich kein Ärgernis kommt. Vielmehr werde ich von dem essen, was ich für mich mitgebracht habe.“

[1] Dann ließ er sie dort hineingehen, wo seine Schätze aufbewahrt lagen, und hiess sie dort bleiben und legte fest, was ihr von seinem Festmahl gegeben werden sollte.

426   Anhang

13a

11a 11b 11c 12a 12b

6a 6b 6c 6d 7a 7b 8a 8b 8c 9a 9b 10a 10b 10c

et praecepit cubiculariis suis ut sicut placeret illi exiret et introiret ad orandum Deum suum per triduum et exiebat noctibus in vallem Bethuliae et baptizabat se in fontem aquae et ut ascendebat orabat Dominum Deum Israhel ut dirigeret viam eius ad liberationem populi sui et introiens munda manebat in tabernaculum usque dum acciperet escam suam in vesperam et factum est quarto die Holofernis fecit cenam servis suis et dixit ad Bagao eunuchum 10d vade 10e et suade Hebraeam illam 10f ut sponte consentiat habitare mecum foedum est enim apud Assyrios si femina inrideat virum agendo ut inmunis transeat ab eo tunc introivit Bagao ad Iudith et dixit 12c non vereatur bona puella introire ad dominum meum 12d ut honorificetur ante faciem eius 12e et manducet cum eo 12f et bibat vinum in iucunditate cui Iudith respondit 13b quae ego sum 13c ut contradicam domino meo „Als gutes Mädchen solle sie sich nicht scheuen, zu meinem Herrn hineinzugehen, um vor seinem Angesicht geehrt zu werden und mit ihm zu essen und Wein zu trinken in Fröhlichkeit.“ [13] Judit antwortete ihm: „Wer bin ich, dass ich meinem Herrn widerspräche?

[11] Bei den Assyrern gilt es nämlich als Schande, wenn eine Frau einen Mann lächerlich macht, indem sie sich so verhält, dass sie unberührt von ihm wegkommt. [12] Darauf ging Bagoas zu Judit hinein und sagte:

[7] Und sie ging in den Nächten hinaus in das Tal von Betulia und badete in der Wasserquelle. [8] Und wenn sie hinaufstieg, bat sie den Herrn, den Gott Israels, dass er ihren Weg zur Befreiung ihres Volkes lenke. [9] Und sie ging rein hinein und blieb im Zelt, bis sie gegen Abend ihre Nahrung zu sich nahm. [10] Und es geschah am vierten Tag, da liess Holofernes ein Mahl für seine Knechte bereiten und sagte zum Eunuchen Bagoas: „Geh und rede dieser Hebräerin zu, dass sie von sich aus einwilligt, mir beizuwohnen.“

[6] Und er wies seine Kammerdiener an, dass sie so, wie es ihr gefiele, hinaus gehen und herein kommen dürfe, um zu ihrem Gott zu beten, drei Tage lang.

 Idt 12   427

19a 19b 19c 19d 20a 20b 20c

18a

17a

15a 15b 15c 16a

et dixit ad eam Holofernis 17b bibe nunc 17c et accumbe in iucunditate 17d quoniam gratiam invenisti coram me et dixit Iudith 18b bibam domine 18c quoniam magnificata est anima mea hodie prae omnibus diebus meis et accepit et manducavit et bibit coram ipso ea quae paraverat illi ancilla eius et iucundus factus est Holofernis ad illam bibitque vinum nimis multum quantum numquam biberat in vita sua

14a1 omne 14b quod erit ante oculos eius bonum et optimum 14a2 faciam 14c quicquid autem illi placuerit 14d hoc mihi erit optimum omnibus diebus vitae meae et surrexit et ornavit se vestimento suo et ingressa stetit ante faciem eius cor autem Holofernis concussum est erat enim ardens in concupiscentia eius

[20] Und Holofernes wurde fröhlich in ihrer Gegenwart und trank allzu viel Wein, so viel, wie er noch nie in seinem Leben getrunken hatte.

[19] Und sie nahm und aß und trank in seiner Gegenwart das, was ihre Dienerin ihr bereitet hatte.

[18] Und Judit sagte: „Ich werde trinken, Herr, denn meine Seele wurde heute höher erhoben als an allen meinen Tagen.“

[16] Das Herz des Holofernes aber wurde erschüttert, denn er glühte vor Begierde nach ihr. [17] Und Holofernes sagte zu ihr: „Trink nun und leg dich nieder in Fröhlichkeit; denn du hast Wohlgefallen gefunden vor mir.“

[15] Und sie stand auf und schmückte sich mit ihrem Gewand und trat ein und blieb vor seinem Angesicht stehen.

[14] Alles, was in seinen Augen gut und das Beste sein wird, werde ich tun; was auch immer aber ihm gefallen wird, das wird das Beste für mich sein an allen Tagen meines Lebens.“

428   Anhang

ut autem sero factum est festinaverunt servi illius ad hospitia sua et conclusit Bagao ostia cubiculi et abiit erant autem omnes fatigati a vino eratque Iudith sola in cubiculo porro Holofernis iacebat in lecto nimia ebrietate sopitus

dixitque Iudith puellae suae ut staret foras ante cubiculum et observaret stetitque Iudith ante lectum orans cum lacrimis et labiorum motu in silentio

7a dicens confirma me Domine Deus Israhel 7b et respice in hac hora ad opera manuum mearum 7c1 ut 7d sicut promisisti 7c2 Hierusalem civitatem tuam erigas 7e1 et hoc 7f quod credens per te posse fieri cogitavi 7e2 perfidia et haec cum dixisset accessit ad columnam quae erat ad caput lectuli eius et pugionem eius qui in ea ligatus pendebat exsolvit

1a 1b 1c 1d 2a 3a 4a

5a 5b 5c 6a

8a 8b 8c 8d1 8e 8d2

Idt 13

[8] Und als sie dies gesagt hatte, trat sie an den Pfosten, der am Kopfende seiner Bettstatt war, und löste seinen Dolch, der an ihm befestigt hing, heraus,

[6] Und Judit trat vor das Bett, sie betete unter Tränen, und sagte im Schweigen mit der Bewegung ihrer Lippen: [7] „Stärke mich, Herr, Gott Israels, und blick in dieser Stunde auf die Taten meiner Hände, damit du, so wie du versprochen hast, deine Stadt Jerusalem aufrichten kannst, und ich das durchführen kann, von dem ich im Glauben gedacht habe, es könne durch dich geschehen.“

[2] alle waren aber ermüdet vom Wein. [3] Und Judit war allein im Schlafraum, [4] Holofernes seinerseits lag auf dem Bett, eingeschlafen infolge seiner übergroßen Trunkenheit. [5] Und Judit sagte zu ihrer Magd, sie solle draußen vor dem Schlafraum stehen und aufpassen.

[1] Als es aber spät geworden war, eilten seine Diener zu ihren Unterkünften, und Bagoas schloss die Türen des Schlafraums und ging fort;

 Idt 13   429

cumque evaginasset illud adprehendit comam capitis eius et ait 9d confirma me Domine Deus Israhel in hac hora

et percussit bis in cervicem eius et abscidit caput eius et abstulit conopeum eius a columnis et evolvit corpus eius truncum et post pusillum exivit et tradidit caput Holofernis ancillae suae et iussit ut mitteret illud in peram suam et exierunt duae secundum consuetudinem suam quasi ad orationem et transierunt castra et gyrantes vallem venerunt ad portam civitatis et dixit Iudith a longe custodibus murorum

13b aperite portas 13c quoniam nobiscum est Deus 13d qui fecit virtutem in Israhel et factum est cum audissent viri vocem eius vocaverunt presbyteros civitatis et concurrerunt ad eam omnes a minimo usque ad maximum quoniam speraverunt eam iam non esse venturam

et accendentes luminaria congyraverunt circa eam universi illa autem ascendens in eminentiori loco iussit fieri silentium cumque omnes tacuissent dixit Iudith

9a 9b 9c

10a 10b 10c 10d 11a 11b 11c 11d 12a 12b 12c 13a

14a 14b 14c 15a 15b

16a 16b 16c 17a

[15] und alle liefen bei ihr zusammen, vom Kleinsten bis zum Größten, denn sie hatten angenommen, dass sie nicht mehr kommen werde. [16] Und sie zündeten Leuchter an, und es umringten sie alle. Sie aber stieg auf eine höher gelegene Stelle und gebot Schweigen und als alle verstummt waren, [17] sagte Judit:

[14] Und es geschah, als die Männer ihre Stimme gehört hatten, dass sie die Ältesten der Stadt riefen,

[12] Und die beiden gingen ihrer Gewohnheit entsprechend hinaus wie zum Gebet. Und sie durchquerten das Lager, machten einen Bogen um das Tal und kamen zum Stadttor. [13] Und Judit sagte schon von weitem zu den Wächtern der Mauern: „Öffnet die Tore, denn Gott, der in Israel seine Macht angewendet hat, ist mit uns!“

[11] Und kurz danach ging sie nach draußen und übergab den Kopf des Holofernes ihrer Dienerin und hieß sie ihn in ihren Reisesack legen.

[10] und schlug zweimal in seinen Nacken und trennte seinen Kopf ab und nahm sein Mückennetz von den Pfosten und wälzte seinen verstümmelten Leichnam hinaus.

„Stärke mich, Herr, Gott Israels, in dieser Stunde!“,

[9] und als sie ihn aus der Scheide gezogen hatte, ergriff sie sein Haupthaar und sagte:

430   Anhang

23a

22a

19a

ecce caput Holofernis principis militiae Assyriorum et ecce conopeum illius in quo recumbebat in ebrietate sua ubi et per manum feminae percussit illum Dominus Deus noster vivit autem ipse Dominus quoniam custodivit me angelus eius et hinc euntem et ibi commorantem et inde huc revertentem et non permisit me ancillam suam Dominus coinquinari sed sine pollutione peccati revocavit me vobis gaudentem in victoria sua in evasione mea in liberatione vestra

23b

benedicta es tu filia a Domino Deo excelso prae omnibus mulieribus super terram

21a confiteamur illi omnes 21b quoniam bonus 21c quoniam in saeculum misericordia eius universi autem adorantes Dominum dixerunt ad eam 22b benedixit te Dominus in virtute sua 22c quia per te ad nihilum redegit inimicos nostros porro Ozias princeps populi Israhel dixit ad eam

20c 20d

19b 19c 19d 19e 20a 20b

17b laudate Dominum Deum nostrum 17c qui non deseruit sperantes in se et in me ancillam suam adimplevit 18a misericordiam suam 18b quam promisit domui Israhel 18c et interfecit in manu mea hostem populi sui in hac nocte et proferens de pera caput Holofernis ostendit illis dicens

„Lobt den Herrn, unsern Gott, der die nicht verlassen hat, die auf ihn hoffen, [18] und an mir, seiner Magd, sein Erbarmen erfüllt hat, das er dem Haus Israel versprochen hat, und durch meine Hand den Feind seines Volkes getötet hat in dieser Nacht.“ [19] Und sie holte aus dem Reisesack den Kopf des Holofernes hervor, zeigte ihn ihnen und sagte: „Hier, der Kopf des Holofernes, des Fürsten der Streitmacht der Assyrer, und hier, sein Mückennetz, unter dem er in seiner Trunkenheit lag, und wo ihn durch die Hand einer Frau der Herr, unser Gott, getötet hat. [20] Aber so wahr der Herr selbst lebt: Sein Engel hat mich beschützt, als ich von hier wegging und mich dort aufhielt und als ich von dort hierher zurückkehrte, und Gott hat nicht zugelassen, dass ich, seine Magd, beschmutzt würde, sondern ohne Befleckung durch eine Sünde hat er mich zu euch zurückgerufen, froh über seinen Sieg, mein Entrinnen, eure Befreiung. [21] Wir wollen uns alle zu ihm bekennen, denn er ist gut, denn sein Erbarmen währt in Ewigkeit.“ [22] Alle aber beteten den Herrn an und sagten zu ihr: „Der Herr hat dich gesegnet mit seiner Kraft, weil er durch dich unsere Feinde vernichtet hat.“ [23] Usija seinerseits, der Fürst des Volkes Israel, sagte zu ihr: „Gesegnet bist du, Tochter, vom Herrn, dem erhabenen Gott, vor allen Frauen auf der Erde.

 Idt 13   431

27a 27b

26a

porro Achior vocatus venit et dixit ei 27c1 Deus Israhel 27d cui tu testimonium dedisti 27e quod ulciscatur de inimicis suis 27c2 ipse caput omnium incredulorum incidit in hac nocte in manu mea 28a ut probes 28b quia ita est 28c ecce caput Holofernis 28d qui in contemptu superbiae suae Deum Israhel contempsit 28e et tibi interitum minabatur dicens cum captus fuerit populus Israhel 28f 28g gladio perforari praecipiam latera tua

benedictus Dominus qui creavit caelum et terram qui te direxit in vulnere capitis principis inimicorum nostrorum quia hodie nomen tuum ita magnificavit ut non recedat laus tua de ore hominum qui memores fuerint virtutis Domini in aeternum pro quibus non pepercisti animae tuae propter angustias et tribulationem generis tui 25e sed subvenisti ruinae ante conspectum Dei nostri et dixit omnis populus 26b fiat fiat

24a 24b 24c 25a 25b 25c 25d

‚Sobald das Volk Israel gefangen ist, werde ich anordnen, deine Seiten mit dem Schwert zu durchbohren.‘“

[27] Daraufhin wurde Achior gerufen, und er kam, und sie sagte zu ihm: „Der Gott Israels, für den du Zeugnis gegeben hast, dass er sich an seinen Feinden rächt, er hat selbst den Kopf aller Ungläubigen in dieser Nacht durch meine Hand abgeschlagen. [28] Damit du als erwiesen siehst, dass es so ist, siehe, da ist der Kopf des Holofernes, der in verachtender Selbstüberhebung den Gott Israels verachtet hat und dir den Untergang androhte, indem er sagte:

[24] Gepriesen sei der Herr, der den Himmel und die Erde geschaffen hat, der dich geleitet hat bei der Verwundung des Kopfes des Fürsten unserer Feinde, [25] weil er heute deinen Namen so erhoben hat, dass dein Lob nicht aus dem Munde der Menschen schwindet; sie werden der Kraft Gottes für immer gedenken, für die du dein Leben wegen der Nöte und der Bedrängnis deines Volkes nicht geschont hast, sondern dem Untergang vor dem Angesicht unseres Gottes entgegengetreten bist.“ [26] Und das ganze Volk sagte: „Es geschehe, es geschehe!“

432   Anhang

29b 30a 30b 30c 30d

29a

videns autem Achior caput Holofernis angustiatus prae pavore cecidit in faciem suam super terram et aestuavit anima eius postea vero quam resumpto spiritu recreatus est procidit ad pedes eius et adoravit eam et dixit 31a benedicta tu Deo tuo in omni tabernaculo Iacob 31b1 quoniam in omni gente 31c quae audierit nomen tuum 31b2 magnificabit Deum Israhel super te [31] „Gesegnet bist du durch deinen Gott in jedem Zelt Jakobs. Denn in jedem Geschlecht, das deinen Namen hören wird, wird Israel Gott wegen dir preisen.“

[29] Als aber Achior den Kopf des Holofernes sah, geriet er in Panik und fiel vor Entsetzen mit seinem Gesicht auf die Erde, und seine Seele kochte. [30] Nachdem er aber die Besinnung wiedergewonnen und sich erholt hatte, fiel er vor ihren Füßen nieder und huldigte ihr und sagte:

 Idt 13   433

7a1 7b 7a2 7c 7d

6a1 6b 6a2 6c 6d

1a

Idt 14

dixit autem Iudith ad omnem populum 1b audite me fratres 1c suspendite caput hoc super muros nostros 2a et erit 2b cum exierit sol accipiat 2c unusquisque arma sua 2d et exite cum impetus 2e non ut descendatis deorsum 2f sed quasi impetum facientes 3a tunc exploratores necesse erit 3b ut fugiant ad principem suum excitandum ad pugnam 4a cumque duces eorum cucurrerint ad tabernaculum Holofernis 4b et invenerint eum truncum in suo sanguine volutatum 4c decidet super eos timor 5a cumque cognoveritis fugere illos 5b ite post illos securi 5c quoniam Dominus conteret eos sub pedibus vestries tunc Achior videns virtutem quam fecit Deus Israhel relicto gentilitatis ritu credidit Deo et circumcidit carnem praeputii sui et adpositus est ad populum Israhel et omnis successio generis eius usque in hodiernum diem mox autem ut ortus est dies suspenderunt super muros caput Holofernis accepitque unusquisque vir arma sua et egressi sunt cum grandi strepitu et ululatu

[7] Bald aber, als der Tag angebrochen war, hängten sie den Kopf des Holofernes auf die Mauern, und jeder einzelne Mann nahm seine Waffen auf, und sie zogen mit großem Lärm und Geschrei hinaus.

[3] Dann werden die Späher zu ihrem Fürsten flüchten müssen, um ihn zum Kampf zu wecken. [4] Und wenn ihre Anführer zum Zelt des Holofernes gerannt sind und ihn verstümmelt in seinem Blute gewälzt gefunden haben, wird Furcht auf sie fallen. [5] Und wenn ihr erkannt haben werdet, dass sie fliehen, geht hinter ihnen her, unbesorgt, denn der Herr wird sie unter euren Füßen zertreten.“ [6] Da verließ Achior, als er die Tat sah, die der Gott Israels vollbracht hatte, die Religion des Heidentums und glaubte an Gott und beschnitt das Fleisch seiner Vorhaut und wurde zum Volk Israel hinzugefügt, auch die gesamte Nachkommenschaft seiner Familie, bis zum heutigen Tag.

[1] Judit aber sagte zum ganzen Volk: „Hört mich an, Brüder! Hängt diesen Kopf auf unsere Mauern, [2] und es wird sein: Wenn die Sonne aufgegangen ist, soll ein jeder seine Waffen aufnehmen. Und zieht hinaus mit Angriffsungestüm, nicht um abwärts hinabzusteigen, sondern als ob ihr einen Angriff machtet.

434   Anhang

et ingressus tabernaculum Iudith non invenit eam et exilivit foras ad populum et dixit

15a 15b 16a

14c 14d

13a 13b 13c 14a 14b

11b

11a

quod videntes exploratores ad tabernaculum cucurrerunt porro hii qui in tabernaculo erant venientes et ante ingressum cubiculi perstrepentes excitandi gratia inquietudinem arte moliebantur ut non ab excitantibus sed a sonantibus Holofernis evigilaret nullus enim audebat cubiculum virtutis Assyriorum pulsando aut intrando aperire sed cum venissent duces eius et tribuni et universi maiores exercitus Assyriorum dixerunt cubiculariis 12a intrate 12b et excitate illum 12c quoniam egressi mures de cavernis suis 12d ausi sunt provocare ad proelium tunc ingressus Bagao cubiculum eius stetit ante cortinam et plausum fecit manibus suis suspicabatur enim illum cum Iudith dormire sed cum nullum motum iacentis sensu aurium caperet accessit proximans ad cortinam et elevans eam videns iacens cadaver absque capite Holofernis in suo sanguine tabefactum iacere super terram et clamavit voce magna cum fletu et scidit vestimenta sua

8a 9a1 9b 9a2 9c 9d 9e 10a

[13] Da ging Bagoas in dessen Schlafraum, blieb vor dem Vorhang stehen und klatschte in seine Hände; er vermutete nämlich, dass jener mit Judit schlafe. [14] Aber da er mit dem Gehör keine Bewegung des Daliegenden vernahm, ging er näher an den Vorhang heran, hob ihn hoch und sah den daliegenden Leichnam des Holofernes ohne Kopf in seinem Blute aufgelöst daliegen auf der Erde. Und er schrie mit lauter Stimme unter Weinen und zerriss seine Kleider. [15] Und er ging in das Zelt Judits und fand sie nicht und sprang hinaus zum Volk [16] und sagte:

[10] Niemand wagte nämlich, den Schlafraum des Machthabers der Assyrer zu öffnen, indem er klopfte oder eintrat. [11] Als aber seine Anführer und die Tribunen und alle höheren des Heeres der Assyrer gekommen waren, sagten sie zu den Kammerdienern: [12] „Geht hinein und weckt ihn, denn die Mäuse sind aus ihren Löchern gekommen und haben gewagt, zur Schlacht herauszufordern.“

[8] Als die Späher dies sahen, rannten sie zum Zelt, [9] und diejenigen wiederum, die im Zelt waren, kamen und machten vor dem Eingang des Schlafraums lauten Lärm zum Wecken und erzeugten künstlich Unruhe, damit Holofernes nicht durch die weckenden, sondern durch die lärmenden Männer aufwache.

 Idt 14   435

17a 17b 17c 17d 18a

16b una mulier hebraea fecit confusionem in domo regis Nabuchodonosor 16c ecce enim Holofernis iacet in terra 16d et caput ipsius non est in illo quod cum audissent principes virtutis Assyriorum sciderunt omnes vestimenta sua et intolerabilis timor et tremor cecidit super eos et turbati sunt animi eorum valde et factus est clamor inconparabilis in media castra eorum

„Eine einzelne hebräische Frau hat Vernichtung im Haus des Königs Nebukadnezzar angerichtet. Denn siehe, Holofernes liegt auf dem Boden, und sein Kopf fehlt.“ [17] Als die Fürsten der Streitmacht der Assyrer dies gehört hatten, zerrissen sie alle ihre Kleider, und unerträgliche Furcht und Zittern befiel sie, und ihre Gemüter wurden stark verwirrt, [18] und es entstand ein Geschrei ohnegleichen inmitten ihres Lagers.

436   Anhang

6b 6c 7a1 7b 7a2 7c1 7d 7c2 7e 8a1 8b

5a 6a

4a 4b 4c

3a

2a2 2b 2c 2d

1a 1b 1c1

Idt 15

[1] Und als das ganze Heer gehört hatte, dass Holofernes enthauptet worden war, entwichen ihnen Verstand und Ratschluss, und nur von Zittern und Angst getrieben suchten sie ihr Heil in der Flucht, ita [2] derart, dass keiner mit seinem Nächsten redete, sondern sie ut nullus loqueretur cum proximo suo flohen mit gesenktem Haupt und liessen alles zurück, um den sed inclinato capite relictis omnibus evadere Hebraeos Hebräern zu entkommen, von denen sie gehört hatten, sie kämen quos armatos venire super se audierant fugientes per vias camporum bewaffnet über sie, auf Wegen durch die Felder und Pfaden über et semitas collium die Hügel. videntes itaque filii Israhel fugientes illos descenderunt clangentes [3] Als nun die Söhne Israels jene fliehen sahen, stiegen sie herab, tubis et ululantes post ipsos ließen die Trompeten ertönen und schrien hinter ihnen her. et quoniam Assyrii non adunati in fuga ibant praecipites [4] Und da die Assyrer nicht vereinigt, sondern Hals über Kopf filii autem Israhel uno agmine persequentes debilitabant omnes flüchteten, die Söhne Israels sie aber in einem einzigen geordnequos invenire potuissent ten Zuge verfolgten, machten sie alle unschädlich, die sie finden konnten, misitque Ozias nuntios per omnes civitates et regiones Israhel [5] und Usija sandte Boten in alle Städte und Gebiete Israels. omnis itaque regio omnisque urbs electam iuventutem misit armatam [6] Daraufhin schickte jedes Gebiet und jede Stadt eine ausgepost eos wählte bewaffnete Jungmannschaft hinter ihnen her, und sie veret persecuti sunt eos in ore gladii folgten sie mit der Schärfe des Schwertes, bis sie an die äußersten quousque pervenirent ad extremitatem finium suarum Grenzen ihres Gebiets gelangten. reliqui autem [7] Die Übrigen aber, die in Betulia waren, drangen in das Lager qui erant in Bethulia der Assyrer ein und trugen die Beute fort, die die fliehenden ingressi sunt castra Assyriorum Assyrer auf der Flucht zurückgelassen hatten, und wurden sehr et praedam geehrt. quam fugientes Assyrii reliquerant abstulerunt et honestati sunt valde hii vero [8] Diejenigen aber, die als Sieger zurückkehrten nach Betulia, qui victores reversi sunt ad Bethuliam brachten alles mit sich, was jenen gehört hatte,

cumque omnis exercitus decollatum Holofernem audisset fugit mens et consilium ab eis et solo tremore et metu agitati fugae praesidium sumunt

 Idt 15   437

14a1 14b 14a2 14c 15a

13a

12a

9b 10a 10b

9a

8e

8a2 8c 8a3 8d

per dies autem triginta vix collecta est spolia Assyriorum a populo Israhel porro autem universa quae Holofernis peculiaria fuisse probata sunt dederunt Iudith in auro et argento et vestibus et gemmis et omni supellectile et tradita sunt illi omnia a populo et omnes populi gaudebant cum mulieribus et virginibus et iuvenibus in organis et citharis

omnia quaeque erant illorum abstulerunt secum ita ut non esset numerus in pecoribus in iumentis et universis mobilibus eorum ut a minimo usque ad magnum omnes divites fierent de praedationibus eorum Ioachim autem summus pontifex de Hierusalem venit in Bethuliam cum universis presbyteris suis ut videret Iudith quae cum exisset ad illum benedixerunt illam omnes una voce dicentes 10c tu gloria Hierusalem tu laetitia Israhel tu honorificentia populi nostri 11a quia fecisti viriliter 11b et confortatum est cor tuum 11c eo quod castitatem amaveris 11d et post virum tuum alterum non scieris 11e ideo et manus Domini confortavit te 11f et ideo eris benedicta in aeternum et dixit omnis populus 12b fiat fiat [13] Während 30 Tagen aber wurde die Beute der Assyrer vom Volk Israel nur mit Mühe eingesammelt. [14] Alles aber, was nachweislich Eigentum des Holofernes gewesen war, gaben sie Judit an Gold, Silber, Gewändern, Edelsteinen, allem Hausrat, und es wurde ihr alles vom Volk überreicht. [15] Und alle Leute freuten sich zusammen mit den Frauen und Mädchen und jungen Männern mit Blasinstrumenten und Zithern

[12] Und das ganze Volk sagte: „Es geschehe, es geschehe!“

[10] Als diese zu ihm hinausgekommen war, priesen alle sie einstimmig und sagten: „Du bist der Ruhm Jerusalems, du die Freude Israels, du die Ehre unseres Volks; [11] denn du hast wie ein Mann gehandelt, und dein Herz ist gestärkt worden dadurch, dass du die Keuschheit geliebt hast und nach deinem Mann keinen anderen erkannt hast; deshalb hat dich die Hand des Herrn gestärkt, und deshalb wirst du auf ewig gesegnet sein.“

[9] Der Hohepriester Jojakim aber kam von Jerusalem nach Betulia mit allen seinen Ältesten, um Judit zu sehen.

so dass man die Schafe, Rinder und ihre beweglichen Güter nicht zählen konnte; vom Geringsten bis zum Großen wurden alle reich durch das von den Feinden Erbeutete.

438   Anhang

1a

Idt 16

9a 9b

7a 7b 7c 8a 8b 8c 8d

4a 4b 5a 5b 5c 6a

[1] Dann sang Judit dem Herrn dieses Lied, indem sie sagte: [2] „Stimmt an für den Herrn mit Pauken singt dem Herrn mit Zimbeln! Lasst uns ihm einen neuen Psalm anstimmen preist hoch und ruft seinen Namen an!

[3] Der Herr, der Kriege zerschlägt, der Herr ist sein Name, qui posuit castra sua in medio populi sui [4] er hat sein Lager inmitten seines Volkes aufgeschlagen, ut eriperet nos de manu omnium inimicorum nostrorum um uns der Hand aller unserer Feinde zu entreißen. venit Assur ex montibus ab aquilone in multitudine fortitudinis suae [5] Assur kam aus den Bergen von Norden mit der Menge cuius multitudo obturavit torrentes seiner Streitkraft, deren Menge die Bäche verstopfte, und et equi eorum cooperuerunt valles ihre Pferde bedeckten die Täler. dixit se incensurum fines meos et iuvenes meos occisurum gladio [6] Es sagte, es werde mein Gebiet verbrennen und meine infantes meos dare in praedam et virgines in captivitatem jungen Männer mit dem Schwert töten und meine Kleinkinder als Beute hergeben und meine Jungfrauen in die Gefangenschaft. Dominus autem omnipotens nocuit eum [7] Der Herr aber, der Allmächtige, schadete ihm und gab ihn et tradidit eum in manus feminae in die Hände einer Frau und vernichtete ihn. et confudit eum non enim cecidit potens eorum a iuvenibus [8] Ihr Machthaber fiel nämlich nicht durch junge Männer, nec filii Titan percusserunt eum und nicht die Titanen erschlugen ihn, und nicht riesige nec excelsi gigantes inposuerunt se illi Giganten stellten sich ihm entgegen, sondern Judit, die sed Iudith filia Merari in specie faciei suae dissolvit eum Tochter Meraris, nahm ihm die Kraft durch die Schönheit ihres Gesichts. exuit enim se vestimenta viduitatis [9] Sie zog sich nämlich die Witwengewänder aus und zog et induit se vestimenta laetitiae in exultatione filiorum Israhel sich die Kleider ihrer Fröhlichkeit an unter dem Jubel der Söhne Israels.

tunc cantavit canticum hoc Domino Iudith dicens 2a incipite Domino in tympanis 2b cantate Deo in cymbalis 2c modulamini illi psalmum novum 2d exaltate 2e et invocate nomen eius 3a Dominus conterens bella Dominus nomen est illi

 Idt 16   439

unxit faciem suam unguento conligavit cincinnos suos mitra ad decipiendum illum sandalia eius rapuerunt oculos eius pulchritudo eius captivam fecit animam eius amputavit pugione cervicem eius horruerunt Persae constantiam eius et Medi audaciam eius

tunc ululaverunt castra Assyriorum quando apparuerunt humiles mei arescentes in siti filii puellarum conpunxerunt eos et sicut pueros fugientes occiderunt eos perierunt in proelio a facie Domini mei hymnum cantemus Domino hymnum novum cantemus Deo nostro Adonai Domine magnus es tu et praeclarus in virtute et quem superare nemo potest tibi serviat omnis creatura tua quia dixisti et facta sunt misisti spiritum tuum et creata sunt et non est qui resistat voci tuae montes a fundamentis movebuntur cum aquis petrae sicut cera liquescent ante faciem tuam

qui autem timent te magni erunt apud te prae omnia

10a 10b 11a 11b 11c 12a

13a 13b 14a 14b 14c 15a 15b 16a 16b 17a 17b 17c 17d 17e 17f 17g 18a 18b

19a 19b

[18] Berge zusammen mit Wassern werden von ihren Fundamenten bewegt werden, Felsen werden zerschmelzen wie Wachs vor deinem Angesicht. [19] Die aber dich fürchten, werden bei dir groß sein vor allem.

[10] Sie salbte ihr Gesicht mit Salböl, sie band ihre Haarlocken mit einem Band, um ihn zu täuschen. [11] Ihre Sandalen rissen seine Augen hin, ihre Schönheit nahm seine Seele gefangen, mit einem Dolch durchtrennte sie seinen Nacken. [12] Die Perser erschauerten vor ihrer Entschlossenheit und die Meder vor ihrer Kühnheit. [13] Da schrie das Lager der Assyrer, als meine armseligen Leute erschienen, die vor Durst am Vertrocknen waren, [14] Die Söhne von jungen Frauen zerstachen sie, und wie entlaufende Knechte töteten sie sie; sie gingen zugrunde in der Schlacht, im Angesicht meines Herrn. [15] Lasst uns dem Herrn ein Lied singen, ein neues Lied lasst uns singen unserem Gott! [16] Adonai, Herr, groß bist du und herrlich an Kraft und einer, den niemand überwinden kann. [17] Dir soll jedes deiner Geschöpfe dienen, denn du hast gesprochen – und sie sind entstanden. Du sandtest deinen Geist – und sie wurden geschaffen, und es gibt niemanden, der deiner Stimme widerstehen könnte.

440   Anhang

et factum est post haec omnis populus post victoriam venit ad Hierusalem adorare Dominum et mox ut purificati sunt obtulerunt omnes holocausta et vota et repromissiones suas porro Iudith universa vasa bellica Holofernis quae dedit illi populus et conopeum quod ipsa sustulerat in anathema oblivionis erat autem populus iucundus secundum faciem sanctorum et per tres menses gaudium huius victoriae celebratum est cum Iudith

post dies autem illos unusquisque rediit in sua et Iudith magna facta est in Bethulia et praeclarior erat universae terrae Israhel erat etiam virtuti castitatis adiuncta ita ut non cognosceret virum omnibus diebus vitae suae ex quo defunctus est Manasses vir eius erat autem diebus festis procedens cum gloria magna mansit autem in domo viri sui annos centum quinque et dimisit abram suam liberam et defuncta est ac sepulta cum viro suo in Bethuliam luxitque illam omnis populus diebus septem

25a 25b 25c 26a 26b 26c 27a 28a 28b 28c 29a

vae genti insurgenti super genus meum Dominus enim omnipotens vindicabit in eis in die iudicii visitabit illos dabit enim ignem et vermes in carnes eorum ut urantur et sentiant usque in sempiternum

22a 22b 22c1 22d 22c2 23a1 23b 23a2 23c 23a3 24a 24b

20a 20b 20c 21a 21b

[24] Das Volk aber war fröhlich angesichts des Heiligtums, und drei Monate lang wurde die Freude über diesen Sieg gefeiert zusammen mit Judit. [25] Nach jenen Tagen aber kehrte jeder an seinen Ort zurück, und Judit wurde gepriesen in Betulia und war angesehener als alle anderen im ganzen Land Israel. [26] Sie war auch der Tugend der Keuschheit so verbunden, dass sie keinen Mann erkannte während aller Tage ihres Lebens, seit ihr Mann Manasse gestorben war. [27] An den Festtagen aber trat sie hervor mit großer Pracht. [28] Sie blieb aber im Hause ihres Mannes 105 Jahre und ließ ihre Obermagd frei, und sie starb und wurde begraben bei ihrem Mann in Betulia. [29] Und das ganze Volk betrauerte sie sieben Tage lang.

[20] Wehe dem Stamm, der gegen mein Volk aufsteht! Der Herr, der Allmächtige, wird sie nämlich bestrafen, am Tag des Gerichts wird er sie heimsuchen. [21] Er wird nämlich Feuer geben und Würmer in ihr Fleisch, damit sie brennen und es spüren in Ewigkeit.“ [22] Und es geschah danach, dass alles Volk nach dem Sieg nach Jerusalem kam, um den Herrn anzubeten; und bald darauf, sobald sie gereinigt waren, brachten alle ihre Brandopfer dar und ihre Gelübdeopfer und ihre versprochenen , [23] Judit ihrerseits alle Gefässe des Holofernes, die er in den Krieg mitgenommen hatte, die das Volk ihr gegeben hatte, und das Mückennetz, das sie selbst weggenommen hatte, als Weihgeschenk gegen das Vergessen.

 Idt 16   441

31b

30a1 30b 30a2 31a

in omni autem spatio vitae eius non fuit qui perturbaret Israhel et post mortem eius annis multis dies autem victoriae huius festivitatem ab Hebraeis in numero dierum sanctorum accepit et colitur a Iudaeis ex illo tempore usque in praesentem diem

[30] Während der ganzen Dauer ihres Lebens gab es niemanden, der Israel in Unruhe versetzte, und nach ihrem Tode viele Jahre lang. [31] Der Tag dieses Sieges aber erhielt von den Hebräern die Eigenschaft eines Festes in der Anzahl der heiligen Tage und wird von den Juden seit jener Zeit bis zum heutigen Tag gefeiert.

442   Anhang

Stellenregister (in Auswahl) Die Belege aus der Juditerzählung werden nur außerhalb der Kapitel, in denen sie besprochen werden, angeführt.

I. Altes Testament Das Buch Genesis Gen 1,1 Vg 207, 221, 346 Gen 1,2 Vg 204 Gen 2,8 HT/LXX/Vg 345 Gen 3,20 HT 109 Gen 6,8 HT/LXX/Vg 165 Gen 8,2 Vg 204 Gen 8,21 HT/LXX/Vg 295 Gen 9,4 HT/Vg 264 Gen 9,15 Vg 221 Gen 11,29 Vg 129 Gen 14,22 Vg 221 Gen 17,5 HT 109 Gen 17,17 HT/LXX/Vg 295 Gen 18,1.2 Vg 292 Gen 20,11 HT/Vg 153 Gen 22 LXX/Vg 175 Gen 22,1–18 Vg 174, 183 Gen 22,1 HT/Vg 159 Gen 22,12 HT/Vg 153, 159 Gen 22,16 Vg 311 Gen 22,23 Vg 129 Gen 23,19 Vg 351 Gen 24,16 Vg 149, 236 Gen 24,35 HT/Vg 152 Gen 25,7 Vg 351 Gen 25,9 Vg 351 Gen 25,27 HT 94 Gen 26,3 HT/LXX/Vg 302 Gen 27,41 HT 94 Gen 27,41 HT/LXX/Vg 295 Gen 29,17 Vg 149, 236 Gen 29,17 LXX 148 Gen 29,32–33 Vg 130, 131 Gen 30,25–43 LXX 174 Gen 31,3 HT/LXX/Vg 302 Gen 34 HT/LXX/Vg 194, 195 Gen 34 Vg 199, 210, 341

Gen 34,1 Vg 196 Gen 34,7 LXX 195 Gen 34,7 Vg 209 Gen 34,25 Vg 196, 198 Gen 34,30 Vg 196 Gen 35,3 Vg 174 Gen 35,28 Vg 351 Gen 37,34 Vg 142 Gen 37,34 LXX 145 Gen 38,14 HT/LXX/Vg 233 Gen 39,6 Vg 149 Gen 39,6 LXX 148 Gen 41,2 Vg 149 Gen 41,2 LXX 148 Gen 42,6–24 HT 94 Gen 46,11 Vg 129 Gen 49,29–32 Vg 351 Gen 50,10 Vg 351 Gen 50,22 Vg 351 Das Buch Exodus Ex 2,2 Vg 149 Ex 2,23–25 LXX 235 Ex 3,12 HT/LXX/Vg 302 Ex 3,15 Vg 216, 220 Ex 3,21 HT/LXX/Vg 165 Ex 6,3 Vg 345, 355 Ex 11,4 HT/LXX/Vg 316 Ex 11,7 Vg 268 Ex 12,12.20.29.31 HT/LXX/Vg 316 Ex 14,2 Vg 203 Ex 14,2–24 Vg 374 Ex 14,5 Vg 204, 326 Ex 14,5 LXX 327 Ex 14,6 Vg 205 Ex 14,7 Vg 205 Ex 14,9 Vg 203, 205 Ex 14,17 Vg 205

444 

 Stellenregister

Ex 14,18 Vg 205 Ex 14,19 Vg 203 Ex 14,20 Vg 203, 204, 205 Ex 14,21–28 HT/LXX/Vg 316 Ex 14,23 Vg 203, 205, 223, 224, 373 Ex 14,24 Vg 203, 204, 223, 224, 292, 302, 373 Ex 14,24 HT/Vg 275 Ex 14,25 Vg 205 Ex 14,26 Vg 205 Ex 14,28 Vg 204, 205 Ex 14,30 Vg 204 Ex 15,1 Vg 219 Ex 15,1 LXX 206 Ex 15,3 Vg 208, 223, 374 Ex 15,3 LXX 8, 206, 207, 339, 374 Ex 15,3 HT 206, 207, 208, 224, 374, 384 Ex 15,3–17,7 LXX/Vg 176 Ex 15,4 Vg 205 Ex 15,5 Vg 203, 204, 205, 223, 373, 374 Ex 15,16 Vg 208 Ex 15,19 Vg 219 Ex 15,21 Vg 219 Ex 15,25 Vg 174 Ex 15,25–26 HT/Vg 159 Ex 16,2 LXX 206 Ex 16,4 Vg 174 Ex 16,4 HT/Vg 159 Ex 17,2 Vg 160, 174 Ex 17,4.5–6 HT/Vg 160 Ex 17,7 Vg 160, 174 Ex 17,7 HT/LXX/Vg 160 Ex 17,8–16 Vg 217, 218, 224, 374 Ex 20,10 Vg 175 Ex 20,20 Vg 159, 176 Ex 20,20 HT/Vg 159 Ex 20,25 HT/LXX/Vg 209 Ex 22,22 HT 133 Ex 22,22 LXX 200 Ex 23,20 Vg 307 Ex 25,31.34 Vg 231 Ex 27,2 HT/LXX/Vg 209 Ex 29,9 Vg 228 Ex 30,19–21 HT/LXX/Vg 277 Ex 34,6 HT/LXX/Vg 163 Ex 35,23 Vg 230 Ex 37,19.20 231

Ex 38,8 Vg 292 Ex 39,26.30 Vg 228 Ex 39,28 HT 228 Das Buch Levitikus Lev 2,14 Vg 239 Lev 3,3 Vg 162 Lev 3,17 HT/Vg 264 Lev 3,44 Vg 162 Lev 4,18 Vg 292 Lev 8,13 Vg 228 Lev 11,29.31 HT/LXX/Vg 322, 328 Lev 16,4.24 HT/LXX/Vg 277 Lev 17,10–14 HT/Vg 264 Lev 22,10–16 HT/Vg 265 Lev 27,28 HT/LXX/Vg 349 Das Buch Numeri Num 1,6 HT/LXX/Vg 131 Num 11,1–14.38 LXX/Vg 176 Num 11,10 Vg 292 Num 14,2–3 LXX 176 Num 14,18 HT/LXX/Vg 163 Num 14,22 HT/LXX/Vg 160 Num 18,14 HT/LXX/Vg 349 Num 20,2–21,9 LXX/Vg 176 Num 21,6–7 Vg 177, 183, 373, 385 Num 23,14 HT/LXX/Vg 159 Num 16 HT/Vg 37 Num 25,7 Vg 299 Num 25,11–13 HT/LXX/Vg 199 Num 27,1–11 HT/LXX/Vg 133 Num 27,17 HT 268 Num 36,1–12 HT/LXX/Vg 133 Num 31,59 Vg 230 Das Buch Deuteronomium Dtn 3,25 HT/LXX/Vg 315 Dtn 7,6 Vg 335 Dtn 8,2 HT/Vg 159 Dtn 8,17–18 HT/Vg 152 Dtn 10,18 HT 133 Dtn 10,18 LXX 200 Dtn 12,16 HT/Vg 264 Dtn 13,4 HT/Vg 159 Dtn 14,2 Vg 335 Dtn 14,29 HT 133



Dtn 25,5–10 HT 133 Dtn 26,7 LXX 235 Dtn 27,5 HT/LXX/Vg 209, 312 Dtn 28,18 Vg 335 Dtn 29,25–26 Vg 169 Dtn 32,43 HT/Vg 347 Das Buch der Richter Ri 5,24 HT/LXX/Vg 311 Ri 5,26 Vg 300 Ri 6,11 Vg 130 Ri 6,12 HT/LXX/Vg 302 Ri 9,52–54 HT/Vg 217 Ri 9,53–54 HT 300 Ri 13,5 HT 110 Ri 16,17.19.22 HT 110 Ri 19,24 Vg 237 Ri 20,5 Vg 237 Das Buch Rut Rut 1,3–4.8 HT 132 Rut 1,16 Vg 269 Rut 2,10 Vg 255 Rut 3,3 HT/LXX/Vg 233 Rut 4,5 HT 133 Das erste Buch Samuel 1 Sam 1,3 HT/LXX/Vg 296 1 Sam 2,7 HT/Vg 151 1 Sam 3,8 HT 94  1 Sam 6,4–16 HT/LXX/Vg 322, 328 1 Sam 11,11 HT/Vg 275 1 Sam 14,7.20  HT 89 1 Sam 14,11 Vg 323, 328 1 Sam 16,1 Vg 239 1 Sam 16,12 Vg 149, 236 1 Sam 17,7 Vg 239 1 Sam 17,51 HT/LXX/Vg 300 1 Sam 18–20 HT 92 1 Sam 19,28 HT 89 1 Sam 25 HT 93 1 Sam 25,18 Vg 239 1 Sam 25,23 Vg 255 1 Sam 25,25 HT 109 1 Sam 27,1 HT/LXX/Vg 295 1 Sam 29,9 HT 89 1 Sam 31,9–10 HT/LXX/Vg 305

Stellenregister  

Das zweite Buch Samuel 2 Sam 3,31 Vg 142 2 Sam 4,7 HT/LXX/Vg 305 2 Sam 7,9 HT/LXX/Vg 302 2 Sam 11,2 Vg 149 2 Sam 11–12 HT 93 2 Sam 12,21 HT 371 2 Sam 13,22 Vg 209 2 Sam 14,27 Vg 149 2 Sam 16,22 139 2 Sam 2 Sam 20,22 HT/LXX/Vg 305 23,28 Vg 258 Das erste Buch der Könige 1 Kön 1–2 HT 92 1 Kön 7,19.22.26.49 Vg 231 1 Kön 9,3 Vg 298 1 Kön 12,26 HT/LXX/Vg 295 1 Kön 17,9–22 HT/LXX/Vg 133 1 Kön 17,9–22 LXX 200 1 Kön 19,10.14 HT/LXX/Vg 199 1 Kön 21,31.32 LXX 145 1 Kön 22,17 HT 268 Das zweite Buch der Könige 2 Kön 4,18–20 HT/LXX/Vg 137 2 Kön 10,7–8 HT/LXX/Vg 305 2 Kön 18,26–27 Vg 125 2 Kön 19,1.2 HT 193 2 Kön 19,34 Vg 298 Das erste Buch der Chronik 1 Chr 6,40; 25,6.12 Vg 129 1 Chr 9,23 Vg 292 1 Chr 12,40 Vg 239 1 Chr 16,34 Vg 310, 319 Das zweite Buch der Chronik 2 Chr 2,12 Vg 311 2 Chr 5,13 Vg 310 2 Chr 20,7 Vg 175, 183, 373 2 Chr 23,10 Vg 299 2 Chr 32,8 Vg 302 Das Buch Esra Es 4,10 Vg 306 Es 8,78 Vg 246

 445

446 

 Stellenregister

Das Buch Nehemia Neh 4,23 Vg 277 Neh 8,5 Vg 305 Neh 12,1.14 Vg  129 Neh 13,24 Vg 125 Das Buch Tobit Tob 1,6 169 Tob 1,8 LXX 133 Tob 1,10–11 Vg 273 Tob 1,13 Vg 166, 242 Tob 2,9 Vg 185 Tob 2,14 Vg 242 Tob 2,18 Vg 243, 245 Tob 3,10 Vg 192 Tob 3,11 Vg 164, 192, 372 Tob 3,13 Vg 370 Tob 3,18 Vg 185, 237, 245 Tob 3,21 Vg 370 Tob 3,22 LXX/Vg 164, 372 Tob 3,25 Vg 307 Tob 5,5 Vg 236, 240 Tob 6,17 Vg 237, 245 Tob 6,20 Vg 243, 245 Tob 6,22 Vg 185, 237, 245 Tob 7,9 Vg 271, 278, 369 Tob 7,11 Vg 169 Tob 7,12 Vg 169 Tob 7,13 Vg 164, 372 Tob 8,5 Vg 243, 245, 294 Tob 8,21 Vg 271, 278, 369 Tob 9,11 Vg 271, 278, 369 Tob 9,12 Vg 185 Tob 10,3 LXX/Vg 164, 372 Tob 11,7 Vg 242 Tob 11,11 LXX/Vg 164, 372 Tob 11,12 Vg 242 Tob 12,8 Vg 271 Tob 12,12 Vg 164, 372 Tob 13,13 Vg 169 Tob 13,13 Vg 169 Tob 14,16 Vg 18 Tob 14,19 Vg 169 Das Buch Judit Idt 1,1 Vg 343 Idt 1,4 Vg 168, 204, 205, 219

Jdt 1,1.5 LXX 155 Idt 1,5 Vg 343 Idt 1,7 Vg 222, 327, 329, 343 Idt 1,8 Vg 205 Idt 1,11 Vg 167 Idt 1,12 Vg 154, 261 Jdt 1,12 LXX 261 Idt 1–7; 3,11–13 Vg 114 Jdt 2 LXX 239 Idt 2,2 Vg 322 Idt 2,3 Vg 205, 261, 327 Idt 2,4 Vg 175, 190, 247 Idt 2,5 Vg 313, 320 Idt 2,6 Vg 210, 214 Idt 2,7 Vg 322 Idt 2,9 Vg 340 Idt 2,10 Vg 335 Idt 2,11 Vg 204, 205, 322, 340 Idt 2,12–18 Vg 327, 329 Jdt 2,12 LXX 261 Idt 2,14 Vg 310 Idt 2,16 Vg 222, 299, 340, 346 Idt 2,17 Vg 137, 313, 320, 340 Idt 2,18 Vg 317, 325 Jdt 2,19 LXX 204 Idt 2,20 Vg 340 Jdt 2,27 LXX 340 Idt 3,1 Vg 190, 258 Idt 3,2 Vg 345, 346 Idt 3,3 Vg 211, 219 Idt 3,5 Vg 280 Idt 3,6 Vg 175 Idt 3,7 Vg 214, 252, 327, 340 Idt 3,8 Vg 212 Jdt 3,8 LXX 209, 212 Idt 3,9 Vg 190, 325, 328 Idt 3,9–13 Vg 270 Idt 3,10 Vg 287, 338 Idt 3,11 Vg 115, 212, 252 Idt 3,12 Vg 115, 252 Idt 3,13 Vg 209, 222 Idt 3,15 Vg 214 Idt 3,17 Vg 222 Jdt 4,1 LXX/Vg 136, 258 Idt 4,2 Vg 263, 317, 325 Idt 4,3 Vg 265 Jdt 4,6–8 LXX 235, 375



Idt 4,8 Vg 167, 191, 371 Idt 4,9 Vg 142, 191 Idt 4,10 Vg 185, 191, 198, 209 Jdt 4,10 LXX 145 Idt 4,11 Vg 208 Idt 4,12 Vg 208, 235, 372, 375 Idt 4,13 Vg 185, 205, 208, 209, 214, 217, 218, 219, 221, 224, 234, 240, 242, 245, 280, 372, 374, 375 Idt 4,13 LXX 126, 145, 297 Idt 4,14 Vg 185, 214, 235, 372 Idt 4,14 LXX 145 Idt 4,15 Vg 228 Idt 4,15 LXX 228 Idt 4,16 Vg 142, 167, 191, 348 Idt 5,1 Vg 190, 247, 346 Idt 5,2 Vg 190 Idt 5,3 Vg 214 Idt 5,4 Vg 190, 213, 313, 320 Idt 5,5–28 Vg 222, 262 Jdt 5,5–21 LXX 262 Jdt 5,5–21.23 LXX 9 Idt 5,8 Vg 318, 338 Idt 5,9 Vg 204, 221, 261 Idt 5,10 Vg 212 Jdt 5,10 LXX 204 Idt 5,12 Vg 204, 221, 261 Idt 5,12–19 Vg 374 Idt 5,13 Vg 204, 221 Idt 5,15 Vg 104, 221 Idt 5,16 Vg  205, 208, 299 Idt 5,18 Vg  169 Idt 5,19 Vg 214, 261, 346 Idt 5,21 Vg 169 Idt 5,22 Vg 211 Idt 5,24 Vg 273, 313 Idt 5,25 Vg 273, 313, 338 Idt 5,26 Vg 346 Idt 5,27 Vg 214, 346 Idt 5,28 Vg 211, 246, 299 Idt 5,29 Vg  169 Idt 6,1 Vg 175 Idt 6,2 Vg 169, 269 Idt 6,3 Vg 212, 299, 314 Idt 6,4 Vg 173, 261, 299, 313, 314, 320 Idt 6,6 Vg 179, 180, 299, 313, 318 Idt 6,7 Vg 280

Stellenregister  

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Idt 6,8 Vg 280 Idt 6,10 Vg 339 Idt 6,11 Vg 132, 190, 310 Idt 6,12 Vg 330 Idt 6,13 Vg 181, 182, 221 Idt 6,14 Vg 164, 169, 185, 255, 315, 348, 371, 372, 376 Idt 6,15 Vg 167, 187, 214, 219, 221, 242, 245, 261, 313, 371, 372 Jdt 6,15 LXX 132 Idt 6,16 Vg 164, 318, 320, 371, 376 Idt 6,17 Vg 214, 314, 318, 320 Idt 6,18 Vg 280, 318, 320 Idt 6,19 Vg 281 Jdt 6,19 LXX 167, 371, 372 Idt 6,20 Vg 330 Jdt 6,20 LXX 318 Jdt 6,21 LXX 330 Idt 7 Vg 136 Jdt 7 LXX 159, 160 Idt 7,3 Vg 187 Idt 7,4 Vg 191, 246 Idt 7,6 Vg 363, 313, 320 Idt 7,7 Vg 221 Idt 7,8 Vg 205, 258 Idt 7,9 Vg 299, 345, 355 Idt 7,10 Vg 175, 263 Idt 7,11 Vg 178, 221, 263, 276, 279 Idt 7,12 Vg 169, 178, 183, 245 Idt 7,13 Vg 178, 180, 184 Idt 7,13–22 Vg 168, 183 Idt 7,14 Vg 178, 179, 180, 181, 182, 184, 210, 344, 355, 373 Idt 7,15 Vg 169, 178 Idt 7,16 Vg 180, 210, 338 Idt 7,17 Vg  169, 178, 179, 180, 181, 182, 184, 221, 299, 373 Idt 7,18 Vg 164, 185, 191, 245, 321, 371, 372, 376 Idt 7,19 Vg 169, 178, 179, 180, 182, 184, 373 Idt 7,20 Vg 160, 179, 180, 181, 182, 184, 347, 373 Jdt 7,21–22 LXX 275 Idt 7,22 Vg 164, 185, 371, 372, 376 Idt 7,23 Vg 163, 167, 202, 246, 371, 376 Jdt 7,23 LXX 164, 176

448 

 Stellenregister

Jdt 7,23–32 LXX 275 Idt 7,24 Vg 216 Idt 7,25 Vg 153, 159 Jdt 7,29 LXX 164, 176, 371,377 Jdt 7,30 LXX 9, 276 Idt 7,32 Vg 167 Idt 8,1 Vg 194, 200, 325, 349, 364 Idt 8,1–10 Vg 290 Jdt 8,1 LXX 275 Idt 8,2 Vg 200, 256 Jdt 8,2 LXX 376 Idt 8,3 Vg 200, 256, 351, 367 Jdt 8,3 LXX 376 Idt 8,4 Vg 197, 200, 212, 223, 256, 276, 351, 356, 364, 367 Jdt 8,4 LXX 363, 364 Idt 8,4–8 Vg 362, 363 Idt 8,5 Vg 200, 208, 212, 249, 256, 282, 292, 302, 323, 334, 351, 353, 356, 367, 385 Jdt 8,5 LXX 364, 385 Idt 8,6 Vg 200, 212, 223, 225, 229, 234, 256, 284, 351, 356, 367, 368 Jdt 8,6 LXX 364 Idt 8,7 Vg 200, 212, 223, 226, 233, 236, 240, 289, 365, 367, 381, 382 Jdt 8,7 LXX 223, 236, 237, 239, 240, 241, 365, 381 Idt 8,8 Vg 200, 212, 223, 347, 351 Jdt 8,8 LXX 347 Idt 8,9 Vg 159, 208, 269, 298, 325, 330, 375 Jdt 8,9 LXX 261, 275, 375 Idt 8,10 Vg 222, 280, 291 Jdt 8,10 LXX 280 Jdt 8,10–36 LXX 276 Jdt 8,11 LXX 261 Idt 8,12 Vg 221, 246, 310, 319 Idt 8,14 Vg 208, 223, 290, 295, 303, 324, 370 Jdt 8,14 LXX 222 Idt 8,15 Vg 208, 386 Idt 8,16 Vg  219, 220, 312, 319, 346, 370, 371, 375 Idt 8,17 Vg 204, 205, 208, 219, 220, 222, 223, 246, 313, 319, 370, 371, 372, 375, 376 Idt 8,18 Vg 255, 309, 315, 348, 387

Idt 8,19 Vg 195, 299, 324 Idt 8,20 Vg 208, 223, 317, 347, 355, 371 Idt 8,21 Vg 221, 222, 311 Idt 8,22 Vg 221, 312, 319, 373 Idt 8,23 Vg 220, 285, 312, 319 Idt 8,23–27 Vg 375 Idt 8,24 Vg 223, 373, 384, 385 Idt 8,25 Vg 223, 307, 319, 373, 384, 385, 387 Idt 8,26 Vg 202, 223, 373 Idt 8,27 Vg 202, 222, 223, 280, 298, 373 Jdt 8,27 LXX 222 Idt 8,28 Vg 153 Jdt 8,28 LXX 222 Idt 8,29 Vg 242, 295, 303, 347 Jdt 8,29 LXX 222 Jdt 8,30 LXX 261 Idt 8,31 Vg 241, 248, 249, 297, 333, 372 Jdt 8,31 LXX 347 Idt 8,32 Vg 139, 154, 157, 246, 251, 367, 297, 303, 372, 376 Idt 8,33 Vg 242, 265, 372 Jdt 8,33 LXX 246, 251, 275, 276, 297, 367 Idt 8,34 Vg 138, 265, 310, 313, 320, 339, 375 Jdt 8,35 LXX 375 Idt 9 Vg 299 Idt 9,1 Vg 137, 142, 225, 229, 255, 362 Idt 9,2 Vg 299, 318, 324, 341, 376 Jdt 9,2 LXX 9, 297, 309, 376 Jdt 9,2 LXX/Vg 132, 141 Idt 9,3 Vg 280, 341, 364, 365 Jdt 9,3 LXX/Vg 132, 141 Jdt 9,4 LXX 132, 157, 364 Idt 9,5 Vg 268 Idt 9,6 Vg 168, 187, 235, 297, 303, 339, 374, 384 Idt 9,6–10 Vg 373 Idt 9,7 Vg 235, 292, 302, 374, 384 Jdt 9,7 LXX 8, 235, 374, 384 Idt 9,8 Vg 235, 340, 374, 384 Jdt 9,8 LXX 8, 374, 384 Idt 9,9 Vg 166, 168, 235, 339, 374 Jdt 9,9 LXX 132, 157, 258, 297, 364, 372 Idt 9,10 Vg 8, 317, 339, 374, 384 Jdt 9,10 LXX 297, 339 Idt 9,11 Vg 185, 298, 299, 302, 318 Jdt 9,11 LXX 9, 309, 371 Idt 9,12 Vg 168, 299, 300, 313, 242



Jdt 9,12 LXX 261, 380 Idt 9,13 Vg 226, 234, 237, 248, 249, 289, 295, 300, 303, 306, 334, 342, 353, 366 Idt 9,14 Vg 126, 167, 238, 242, 245, 274, 286, 289, 302, 310, 313, 314, 317, 334, 343, 345, 350, 355, 359, 377, 387 Idt 9,15 Vg 281, 289, 297, 311, 333, 339, 341, 374 Idt 9,16 Vg 167, 168, 175, 275, 285, 302, 313, 344, 371, 373 Idt 9,17 Vg 160, 246, 261, 275, 310, 311, 319, 346, 373 Idt 9,18 Vg  173, 242, 245, 248, 249, 311, 333, 387 Idt 9,19 Vg 246 Idt 10,1 Vg 191 Jdt 10,1–12,7 LXX 276 Idt 10,2 Vg 132, 139, 142, 144, 193, 223, 286, 335, 342, 364, 365, 366 Idt 10,3 Vg 137, 278, 286, 290, 335, 338, 342, 351, 365, 366, 386 Jdt 10,3 LXX 132, 157, 193, 286, 364 Idt 10,4 Vg 126, 149, 151, 157, 211, 214, 237, 293, 297, 300, 310, 322, 325, 334, 342, 350, 353, 359, 365, 366, 381, 382 Idt 10,5 Vg 139, 301, 368 Jdt 10,5 LXX 301, 368 Idt 10,6 Vg 330, 342 Idt 10,7 Vg 149, 268, 286, 342 Idt 10,8 Vg 165, 166, 214, 216, 222, 224, 270, 302, 310, 331, 333, 353 Jdt 10,8 LXX 165 Idt 10,9 Vg 304, 312, 325, 330, 334, 252 Idt 10,10 Vg 139, 185, 246, 372 Idt 10,11 Vg 267, 275, 367 Idt 10,12 Vg 196, 213, 246, 259, 313, 320 Idt 10,13 Vg  259, 262, 387 Idt 10,14 Vg 149, 211, 268, 286, 371, 377 Idt 10,15 Vg 257 Idt 10,16 Vg 222, 257 Jdt 10,16 LXX 222 Idt 10,17 Vg 211, 286, 303, 334, 342, 353, 367, 371, 377 Jdt 10,17 LXX 249 Idt 10,18 Vg 313 Jdt 10,18 LXX 249 Idt 10,19 Vg 287, 300, 301, 306, 335, 368

Stellenregister  

 449

Jdt 10,19 LXX 249 Idt 10,20 Vg 169, 191, 256, 280, 286, 289, 315, 342, 367 Jdt 10,21 LXX 9, 368 Jdt 10,22 LXX 275, 342, 367 Idt 11,1 Vg 167, 222, 341, 354 Jdt 11,1 LXX 222 Idt 11,2 Vg 205, 213, 313, 320 Jdt 11,2 LXX 9 Idt 11,3 Vg 175, 387, 246 Jdt 11,3 LXX 246, 251, 367 Idt 11,4 Vg 306 Idt 11,5 Vg 167, 214, 246, 151, 273, 306 Jdt 11,5 LXX 246, 251, 367 Idt 11,6 Vg 167 Jdt 11,7 LXX 271 Idt 11,8 Vg 169, 247 Idt 11,9 Vg 247 Jdt 11,10 LXX 222, 247 Idt 11,11 Vg 387, 247 Idt 11,12 Vg 185, 247 Idt 11,14 Vg 184, 246, 247 Idt 11,15 Vg 169, 247, 349 Idt 11,16 Vg 202, 247 Idt 11,17 Vg 247 Jdt 11,17 LXX 246 Idt 11,18 Vg 175, 242, 247 Jdt 11,18 LXX 246 Idt 11,19 Vg 149 Jdt 11,19 LXX 246 Idt 11,21 Vg 216, 298 Jdt 11,23 LXX 251 Idt 11,25 Vg 349, 356 Idt 12,1 Vg 187, 301, 336, 368 Idt 12,2 Vg 240, 368 Jdt 12,2 LXX 368 Idt 12,4 Vg 167, 280, 292, 297, 333 Idt 12,5 Vg 185, 219, 372 Idt 12,5–8 Vg 301 Jdt 12,5 LXX 246, 367 Idt 12,6 Vg 175, 292 Idt 12,7 Vg 221, 348 Idt 12,8 Vg 184, 309, 319 Idt 12,10 Vg 292, 306, 310, 322, 334, 353, 367 Idt 12,11 Vg 306, 367 Jdt 12,11 LXX 154, 367, 376

450 

 Stellenregister

Idt 12,12 Vg 294, 331 Idt 12,14 Vg 175, 211, 303 Idt 12,16 Vg 222, 255, 296, 303, 334, 353, 367 Jdt 12,16 LXX 222, 367, 377 Idt 12,17 Vg 165, 242 Idt 12,18 Vg 167, 311 Idt 12,20 Vg 255, 296, 303, 334, 353, 368 Jdt 12,20 LXX 368 Idt 13,1 Vg 138, 280, 322, 323 Idt 13,3 Vg 138 Jdt 13,2 LXX 137 Jdt 13,4 LXX 222, 283 Idt 13,5 Vg 138, 282 Idt 13,6 Vg 163, 164, 184, 371, 377 Jdt 13,6 LXX 8, 137 Idt 13,7 Vg 154, 187, 217, 333, 341, 387 Idt 13,8 Vg 137, 342 Idt 13,9 Vg 216, 342 Jdt 13,9 LXX 9 Idt 13,10 Vg  137, 210, 212, 216, 224, 250, 300, 316, 338, 342, 350, 387 Idt 13,11 Vg 137, 260 Idt 13,12 Vg 339 Jdt 13,12 LXX 330 Idt 13,13 Vg 214 Idt 13,14 Vg 190, 330 Idt 13,15 Vg 243, 327 Jdt 13,15 LXX 9, 247 Jdt 13,16 LXX 261 Idt 13,18 Vg 246, 260, 319, 333 Idt 13,19 Vg 137, 190, 212, 217, 247, 250, 333 Jdt 13,19 LXX 222 Idt 13,20 Vg 169, 195, 209, 260, 261, 319, 334, 353, 359, 376, 377 Jdt 13,20 LXX 167, 243, 338, 371 Idt 13,21 Vg 246 Idt 13,22 Vg 169, 185, 214, 255, 315, 348, 372 Idt 13,23 Vg 190, 375 Idt 13,24 Vg 221, 243, 244, 334, 339, 345 Idt 13,25 Vg 167, 174, 200, 214, 216, 221, 222, 242, 243, 245, 334, 371 Idt 13,26 Vg 243, 334 Idt 13,27 Vg 137, 179, 180 Idt 13,28 Vg 137, 168, 173, 211, 213, 219, 372, 387

Idt 13,29 Vg 137, 167, 377 Idt 13,30 Vg 169 Idt 13,31 Vg 216 Idt 14,1 Vg 137 Idt 14,1–5.6 Vg 312 Jdt 14,1–9.10 LXX 312 Idt 14,3 Vg 190 Idt 14,4 Vg 301, 303 Idt 14,5 Vg 204 Jdt 14,5 LXX 327 Idt 14,6 Vg 214, 297, 298 Idt 14,6–8 Vg 314 Idt 14,7 Vg 137, 190, 342, 387 Jdt 14,7 LXX 315 Jdt 14,8.9 LXX 315 Idt 14,8–13 Vg 280 Idt 14,9 Vg 138, 165, 242, 292 Idt 14,10 Vg 138, 214 Idt 14,11.13 Vg 138 Jdt 14,10 LXX 110 Jdt 14,11 LXX 276 Idt 14,13 Vg 292 Idt 14,14 Vg 164, 172, 371, 377 Idt 14,16 Vg 137, 343 Jdt 14,16 LXX 164, 371, 377 Idt 14,17 Vg 167, 195, 214, 263, 343 Idt 14,18 Vg 339, 343 Idt 15,1 Vg 126, 263, 268, 325, 343 Idt 15,2 Vg 268, 387 Idt 15,3 Vg 321, 387, 344 Idt 15,4 Vg 292, 300, 302, 344, 387 Idt 15,5 Vg 222, 387 Idt 15,6 Vg 299 Idt 15,8 Vg 309, 319 Idt 15,10 Vg 243, 245, 283, 375 Jdt 15,10 LXX 243, 297 Idt 15,11 Vg 11, 222, 224, 243, 245, 297, 311, 349, 359, 375, 381, 386 Idt 15,12 Vg 243, 245 Idt 15,14 Vg 173 Idt 15,15 Vg 195 Idt 16,2 Vg 216, 374 Idt 16,3 Vg 8, 216, 217, 317, 374 Jdt 16,3 LXX 204 Idt 16,5 Vg 204 Jdt 16,5 LXX 297 Idt 16,6 Vg 195, 296, 299



Idt 16,7 Vg 217, 297, 333 Jdt 16,7 LXX 132, 157, 364 Idt 16,8 Vg 212, 310 Jdt 16,8 LXX 228 Idt 16,9 Vg 132, 153, 331, 364 Jdt 16,9 LXX 8, 298 Idt 16,10 Vg 226, 228 Idt 16,11 Vg 149, 210, 211, 230, 299, 380 Jdt 16,11 LXX 167, 371 Idt 16,12 Vg  213 Idt 16,13 Vg 167, 321, 371 Idt 16,14 Vg 282 Idt 16,16 Vg 214 Idt 16,17 Vg 381 Jdt 16,17 LXX 164, 371 Jdt 16,19 LXX 9 Jdt 16,20 LXX 335 Jdt 16,21 LXX 134 Idt 16,22 Vg 169, 255, 309, 315, 319 Jdt 16,22 LXX 365 Jdt 16,22 LXX//16,26 Vg 138, 156 Idt 16,23 Vg 250 Idt 16,24 Vg 290, 309, 319 Idt 16,25 Vg 270 Idt 16,26 Vg 11, 126, 214, 216, 238, 359, 365, 381 Idt 16,28 Vg 134, 139 Idt 16,31 Vg 173, 242, 245, 309, 319 Das Buch Ester Est 1,11 Vg 149 Est 2,7 Vg 149, 236 Est 2,12–13 Vg 226 Est 2,15 Vg 149 Est 4,11 HT/LXX 335 Est 8,21 HT/LXX/Vg 295 Est 9,17–32 LXX 352, 356 Das erste Buch der Makkabäer 1 Makk 2,26–27 LXX/Vg 199 1 Makk 2,52 LXX/Vg 159 1 Makk 2,58 LXX/Vg 199 1 Makk 4,59 LXX 352, 356 1 Makk 6,18–31 Vg 273 1 Makk 7,49 LXX 352, 356 1 Makk 9,9 LXX/Vg 347 1 Makk 11,17 LXX/Vg 305

Stellenregister  

Das zweite Buch der Makkabäer 2 Makk 1,16 Vg 247 2 Makk 3,19 LXX 139 2 Makk 6,12–17 Vg 178 2 Makk 6,16 Vg 160 2 Makk 6,12–17 LXX 181 2 Makk 7 Vg 273 2 Makk 8,30 LXX/Vg 133 2 Makk 10,7 LXX 336 2 Makk 10,25 LXX 145 2 Makk 11,19 LXX 9 2 Makk 12,31 LXX 9 2 Makk 15,35 LXX/Vg 305 2 Makk 15,36 LXX 352, 356 Das Buch Ijob Ijob 5,17–18 HT/LXX 181 Ijob 14,8 Vg 301, 303 Ijob 15,24 Vg 312 Die Psalmen Ps 9,11 Vg 305 Ps 10,6 HT//9,27 LXX/Vg 295 Ps 16,7 Vg 305 Ps 17,28 Vg 168 Ps 40,14 Vg 243 Ps 67,10 HT//68,10 LXX/Vg 199 Ps 71,19 Vg 243 Ps 72,4 HT//71,4 LXX/Vg 133 Ps 77,17–18.40–41 Vg 160 Ps 88,53 Vg 243 Ps 93,19 Vg 172 Ps 97,1 Vg 337, 344 Ps 101,13 Vg 216 Ps 104,30 HT//103,30 LXX/Vg 346 Ps 104,32 HT//103,32 LXX/Vg 346 Ps 105,48 Vg 243 Ps 112,1 HT//111,1 Vg 153 Ps 117,1 Vg 309, 319 Ps 118,143 Vg 312 Ps 119,63 HT//118,63 Vg 153 Ps 119,71 HT//118,71 LXX 181 Ps 134,13 Vg 216  Ps 135,1 Vg 310, 319 Ps 146,9 HT//145,9 LXX/Vg 133 Ps 150,3–5 Vg 338, 354 Ps 151,1.4.7 Vg 338

 451

452 

 Stellenregister

Das Buch der Sprichwörter Spr 8 Vg 133 Spr 19,11 Vg 180 Spr 20,1 Vg 293 Spr 20,22 Vg 180 Spr 24,29 Vg 180 Spr 31 Vg 133 Das Buch Kohelet Koh 10,19 HAT 281 Das Hohelied Hld 2,1 Vg 232 Das Buch der Weisheit Weish 1,27 Vg 312 Weish 3,5 LXX 181 Weish 5,1 Vg 213 Weish 7,14 Vg 175 Weish 15,1 Vg 160 Weish 16,10 Vg 160 Das Buch Jesus Sirach Sir 1,14 LXX 181 Sir 1,23.26.27.30 LXX 181 Sir 2,10–11.15.17 LXX 181 Sir 7,19 LXX/Vg 347 Sir 15,9 LXX 181 Sir 16,11–12 LXX 160 Sir 17,6–10 LXX 181 Sir 22,12 LXX//22,13 Vg 351 Sir 26,13–18 LXX 153 Sir 31,40 Vg 293 Sir 42,10 Vg 344 Sir 44,20–21 LXX/Vg 159 Das Buch Jesaja Jes 3,18–25 Vg 233 Jes 3,19 Vg 228 Jes 3,20 HT 228 Jes 5,11.22 Vg 293 Jes 7,14 Vg 33 Jes 8,10 HT/LXX/Vg 302 Jes 22,12 Vg 142 Jes 22,13–14 HT 283  Jes 26,8 Vg 216 Jes 29,7 Vg 293

Jes 30,6 Vg 312 Jes 33,1 Vg 246 Jes 37,1.2 HT 193 Jes 40,24 Vg 301, 303 Jes 41,8 Vg 175, 183, 373 Jes 42,13 HT/LXX/Vg 199, 208, 224, 384, 385 Jes 44,19 Vg 301, 303 Jes 45,8 HT/LXX/Vg 34 Jes 47,10 HT/LXX/Vg 295 Jes 61,1 Vg 165 Jes 61,10 HT 228 Jes 63,7.9 Vg 165 Jes 66,17 HT/LXX/Vg 323 Jes 66,24 HT/LXX/Vg 347 Das Buch Jeremia Jer 1,13–15 HT/LXX/Vg 340 Jer 3,21 HT/Vg 164, 371 Jer 4,6–7 HT/LXX/Vg 340 Jer 6,21–23 HT/LXX/Vg 340 Jer 6,26 HT 193 Jer 4,8 Vg 142 Jer 47,3 Vg 321 Das Buch Baruch Bar 4,21–22 Vg 160 Bar 5,2 Vg 228 Das Buch Ezechiel Ez 5,11 Vg 209 Ez 16,4 Vg 236 Ez 16,9–12 Vg 230 Ez 19,2–5 HT/LXX/Vg 340 Ez 23,9.11.20 Vg 237 Ez 24,17.23 HT 228 Ez 34,5 HT  268 Ez 44,18 HT 228 Ez 44,29 HT/LXX/Vg 349 Das Buch Daniel Dan 1,8–21 Vg 273 Dan 3,25 Vg 175, 183, 373 Dan 6,11 LXX//6,10 Vg 192 Dan 7,25 LXX/Vg 138 Das Buch Hosea Hos 4,11 Vg 293



Das Buch Joёl Joёl 1,8 HT/Vg 164, 193, 371 Joёl 1,13 HT/Vg 164, 371 Joёl 2,17 HT/Vg 164 Joёl 2,20 HT/LXX/Vg 340 Das Buch Jona Jona 3,6.8 HT 193

Stellenregister  

Das Buch Zefanja Zef 1,15 Vg 312 Das Buch Sacharja Sach 11,12–13 HT/Vg 36 Sach 14,2 Vg 209

II. Neues Testament Das Evangelium nach Matthäus Mt 1,12–16 NA 129 Mt 5,28 NA/Vg 211 Mt 14,10 Vg 325, 328 Mt 27,6–10 NA/Vg 36

Der zweite Brief an die Korinther 2 Kor 2,4 Vg 312

Das Evangelium nach Markus Mk 6,9 Vg 230 Mk 6,16.27 Vg 325, 328

Der Brief an die Kolosser Kol 3,5 Vg 237

Das Evangelium nach Lukas Lk 3,23–27 NA 129 Lk 8,31 Vg 204 Lk 9,9 Vg 325, 328 Lk 21,34 Vg 293 Die Apostelgeschichte Apg 4,13 Vg 213 Apg 28,4 NA 180 Der Brief an die Römer Röm 2,9 Vg 312 Röm 8,25 NA/Vg 163 Röm 8,35 Vg 312 Röm 10,7 Vg 204 Röm 12,19 NA/Vg 179 Röm 15,4 Vg 172 Der erste Brief an die Korinther 1 Kor 3,17 Vg 209 1 Kor 7,6 Vg 165 1 Kor 7,34 332 1 Kor 10,9–10 Vg 177, 183, 373, 385

Der Brief an die Galater Gal 1,13 Vg 125

Der Brief an die Hebräer Hebr 11,23 Vg 149 Hebr 11,32 Vg 130 Der Jakobusbrief Jak 1,3 NA/Vg 159 Jak 2,23 Vg 175, 183, 373 Der erste Petrusbrief 1 Petr 1,7 NA/Vg 159 Der zweite Petrusbrief 2 Petr 1,4–7 NA/Vg 215 Der erste Johannesbrief 1 Joh 2,16 NA/Vg 211 Der Judasbrief Jud 13,20 Vg 260 Die Offenbarung des Johannes Offb 6,12 Vg 142 Offb 20,4 Vg 325, 328

 453

454 

 Stellenregister

Jüdische Schriften aus hellenistisch römischer Zeit Das dritte Buch der Makkabäer 3 Makk 1,18 LXX 139

Das vierte Buch Esra 4 Es 1,1.2 Vg 129

Das Testament Levis TestXIILev 5,3–4 196

Jubiläenbuch Jub 30,4–6 196

Frühchristliche Schriften Ambrosius Ambr. Epistulae et Acta 14,29 32, 386 Augustinus Aug. doctr. christ. 2,15,22 31 Aug. mor. 2,62 323 Aug. Ep. 104,4 31 Aug. civ. 10,22 166 Aug. civ. 18,23 204 1 Clem 55,3–4 331, 386 1 Clem 55,3–5 5 Cyprian von Karthago Cypr. Ep. 10,5 166 Cypr. Ep. 15,3 175 Cyrill von Alexandrien Cyr. Alex. ador. 323 Hieronymus Hier. adv. helv. 20 332, 333 Hier. Comm. in Eccl. 7,28f 22 Hier. Comm. in Eccl. 7,26–27 211 Hier. Comm. in Eph. 3,5,28 332 Hier. Comm. in Ez. 8,27,17 125 Hier. Comm. in Es 18,66,17 323 Hier. Ep. 18 156 Hier. Ep. 18A,15 35 Hier. Ep. 19 156 Hier. Ep. 21,34 181 Hier. Ep. 22 26 Hier. Ep. 22,1 141 Hier. Ep. 22,2 128, 308 Hier. Ep. 22,6 214

Hier. Ep. 22,7 15, 16, 142, 146, 165, 171, 214, 238, 296, 363, 371 Hier. Ep. 22,8 146, 175, 183, 293, 369, 373 Hier. Ep. 22,9 288, 289 Hier. Ep. 22,11 146, 363 Hier. Ep. 22,13 294 Hier. Ep. 22,17 140, 146, 287, 289 Hier. Ep. 22,18 165, 201, 296, 372 Hier. Ep. 22,19 201, 232 Hier. Ep. 22,20 201 Hier. Ep. 22,21 127, 201, 308, 380,381 Hier. Ep. 22,25 140, 141, 149, 192, 197, 296 Hier. Ep. 22,27 24, 144, 150, 160, 171, 363 Hier. Ep. 22,28 171, 254 Hier. Ep. 23 24, 118 Hier. Ep. 24 24, 118 Hier. Ep. 24,5 254 Hier. Ep. 27 24 Hier. Ep. 31 24 Hier. Ep. 32 24 Hier. Ep. 33  24 Hier. Ep. 37 24 Hier. Ep. 38 24, 25, 365 Hier. Ep. 38,3 234, 252, 277, 288, 366 Hier. Ep. 38,4 144, 227, 363 Hier. Ep. 39 24, 118 Hier. Ep. 39,3.4 185 Hier. Ep. 40 24 Hier. Ep. 40,2 21 Hier. Ep. 41 24 Hier. Ep. 43 24 Hier. Ep. 44 24 Hier. Ep. 45,1–7 21 Hier. Ep. 46 24



Hier. Ep. 49,18 27 Hier. Ep. 52,5 254 Hier. Ep. 52,11 288, 289 Hier. Ep. 52,17 156 Hier. Ep. 54 25, 26, 351, 365 Hier. Ep. 54,1  360 Hier. Ep. 54,4 27 Hier. Ep. 54,7 146, 214, 229, 277, 288, 360, 366 Hier. Ep. 54,8 147, 360 Hier. Ep. 54,9 238, 367 Hier. Ep. 54,11 164, 229 Hier. Ep. 54,13 141, 154, 188, 189, 211, 280, 283 Hier. Ep. 54,14 231, 253, 364 Hier. Ep. 54,16 143, 149, 194, 234, 237, 241, 300, 332, 350, 353, 363, 366, 380, 381 Hier. Ep. 54,21 156 Hier. Ep. 57 31 Hier. Ep. 57,2.5.6 35 Hier. Ep. 57,7.9 36 Hier. Ep. 57,11 37 Hier. Ep. 65,1 380 Hier. Ep. 68,1 242 Hier. Ep. 71,5 17 Hier. Ep. 77 118 Hier. Ep. 79 26, 365 Hier. Ep. 79,1 175, 183, 373 Hier. Ep. 79,2 277 Hier. Ep. 79,6 150 Hier. Ep. 79,7 175, 183, 194, 226, 230, 232, 284, 366, 373 Hier. Ep. 79,8 188, 376 Hier. Ep. 79,9 189 Hier. Ep. 79,11 127, 359, 379, 381, 387 Hier. Ep. 94,1 175 Hier. Ep. 107 25 Hier. Ep. 107,5 231, 308 Hier. Ep. 107,6 141, 197 Hier. Ep. 107,7 139 Hier. Ep. 107,8 148, 272, 369 Hier. Ep. 107,9 164, 232 Hier. Ep. 107,10 253, 368 Hier. Ep. 107,11 151

Stellenregister  

 455

Hier. Ep. 108 24, 118, 226 Hier. Ep. 108,2  307 Hier. Ep. 108,3 171, 370 Hier. Ep. 108,15 143, 161, 170, 215, 363, 370 Hier. Ep. 108,17 147 Hier. Ep. 108,20  28, 150 Hier. Ep. 117 26 Hier. Ep. 117,6 272, 369 Hier. Ep. 117,7 229 Hier. Ep. 118,4 27 Hier. Ep. 121,10 33 Hier. Ep. 123 26 Hier. Ep. 125,1 21 Hier. Ep. 125,3–5 253, 368 Hier. Ep. 125,6 21, 272 Hier. Ep. 125,17 227 Hier. Ep. 127 24, 118 Hier. Ep. 128 26 Hier. Ep. 128,2 231 Hier. Ep. 128,4 140 Hier. Ep. 130 25 Hier. Ep. 130,4  194 Hier. Ep. 130,7 228, 252 Hier. Ep. 130,8 232, 364 Hier. Ep. 130,10 161 Hier. Ep. 130,18 229 Hier. Ep. 130,19 27, 163 Hier. Ep. 147,8 227 praef. in Evangelio 32 praef. Iudith 5, 7, 10, 115, 157, 171, 213, 359, 361, 362, 366 prol. galeatus 1, 5, 30, 117 prol. in libris Salomonis 122 prol. in libro Iob 36, 38 prol. in libro Paralipomenon 122 prol. in libro regum 31, 33 prol. Tobiae 119, 121, 122, 123 Johannes Chrysostomos Jo. Chrys. de virg. 30 212 Origenes Orig. Ep. ad Afric. 26,13 5, 7

456 

 Stellenregister

Griechische und lateinische Schriften Ovid. am. 2,2,1 280 Plin. epist. 215 Plin. nat. 13,41 280 CTh 3,17,4,1 134

CTh 8,16,1 134, 361 CTh 9,25,1–2 135, 198, 361 CTh 9,21,4,1 135, 361 CTh 16,2,20 136, 362