Die importierte Nation: Deutschland und die Entstehung des flämischen Nationalismus 1914 bis 1945 9783666311208, 3666311202

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Die importierte Nation: Deutschland und die Entstehung des flämischen Nationalismus 1914 bis 1945
 9783666311208, 3666311202

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Jakob Müller

Die importierte Nation Deutschland und die Entstehung des flämischen Nationalismus 1914 bis 1945

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 238

Jakob Müller

Die importierte Nation Deutschland und die Entstehung des flämischen Nationalismus 1914 bis 1945

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freien Universität Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Flämische Aktivisten im Februar 1918. Imperial War Museum. IWM (Q 79588) Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-31120-8

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I Die importierte Nation – Deutsche Flamenpolitik im Ersten Weltkrieg 1. Belgien, Flämische Bewegung und die deutsch-belgischen Beziehungen vor Beginn des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . a) Bis zur Gründung des belgischen Staates 1830 . . . . . . . . . . . b) Belgien bis 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutschland und die flämische Bewegung vor 1914 . . . . . . . . .

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2. Sondierungsphase – Die Gründung des deutschen Generalgouvernements nach dem Einmarsch in Belgien und erste deutsch-flämische Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Die Einrichtung des Generalgouvernements Belgien und erste Ansätze zu einer Flamenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Die ersten Aktivisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. »Deutschland, Flandern, Holland« – Die Niederlande und die Radikalisierung der Flamenpolitik im besetzten Belgien . . . . . a) Die Niederlande im Ersten Weltkrieg und die Flamenpolitik der deutschen Gesandtschaft in Den Haag . . . . . . . . . . . . . . b) Kühlmanns Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Programm »Deutschland, Flandern, Holland«. Ein Meilenstein auf dem Weg zur systematischen NationBuilding-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entscheidung zur Nation-Building-Politik im ersten Halbjahr 1916 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entscheidung für eine Flämische Hochschule . . . . . . . . . . b) Die Vorbereitungen für die Flämische Hochschule . . . . . . . . . c) Verwaltungstrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Nation-Building mit Startschwierigkeiten – Von der Einführung der Zwangsarbeit bis zur Gründung des Rates von Flandern . . . . . a) Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung und die Entscheidung zur »Arbeiterabschiebung« aus Belgien . . . . . b) Die »Von-Bissing-Universität« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nationalkomitee oder Beirat? – Die Gründung des Rates von Flandern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Kaiser, die Flamenpolitik und das Ende der Deportationen aus dem Generalgouvernement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die importierte Nation – Die Zerlegung Belgiens und der Aufbau eines flämischen Staats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zerlegung Belgiens in Flandern und Wallonien . . . . . . . . . b) Belgischer Widerstand gegen die Verwaltungstrennung . . . . . . c) Die doppelte Zivilverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Grenzen des Nation-Building . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Institutionalisierung der Flamenpolitik und Radikalisierung der aktivistischen Flamen zwischen Juli 1917 und März 1918 . . . . . a) Die Institutionalisierung der Flamenpolitik . . . . . . . . . . . . . b) Die Ernennung Hertlings zum Reichskanzler und die »Entdeckung« der Flamen durch die OHL . . . . . . . . . . . . c) Die »Wahlen« zum Rat von Flandern . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Flamenpolitik als militärischer Faktor – Flämische Frontbewegung und deutsche Propaganda . . . . . . . . . a) Die belgische Armee vor 1914 und zu Beginn des Krieges . . . . . b) Frontbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Beginn der deutschen Flamenpropaganda an der Front . . . . d) Die »edlen Deserteure« – Frontbewegung und Aktivismus in der letzten Phase des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die letzten Monate der Besatzung – Von der Bildung des zweiten Rates von Flandern bis zum Zusammenbruch . . . . . . . . . . . . . . a) Unruhe im Rat von Flandern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abwicklungsbehörde Asmis – Eine Fortsetzung der Flamenpolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

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Teil II Die Wirkungsgeschichte der »importierten Nation« in Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg 1. Deutschland und der flämische Nationalismus von 1919 bis 1925 . . a) Belgischer Imperialismus und flämischer Nationalismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Belgische Deutschlandpolitik und flämischer Nationalismus 1919 bis 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Frontpartei und die Ruhrbesetzung 1923 . . . . . . . . . . . . 2. Von Locarno bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1925 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entstehung einer antibelgischen flämisch-nationalistischen Subkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsche Außenpolitik nach Locarno – Entspannung und Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Borms-Wahl 1928 und die Wahlen von 1929 – Der Durchbruch des flämischen Nationalismus . . . . . . . . . . . d) Föderalismus oder Großniederlande? – Richtungsstreit und Wende zum Faschismus 1929 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationalsozialismus und flämischer Nationalismus . . . . . . . . . . a) Deutschland und Belgien von 1933 bis 1936 . . . . . . . . . . . . . b) Nationalsozialismus und flämischer Nationalismus 1933–1935 . . c) Geheime Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der flämische Nationalismus als militärischer Faktor – Die Kündigung des französisch-belgischen Militärabkommens . . e) Die Wahlen am 24. Mai 1936 und ihre Folgen – Ideologische Verwirrung und deutsche Beeinflussungsversuche . . . . . . . . . f) Die belgische Rückkehr zur Neutralität und die Haltung der flämischen Nationalisten gegenüber Deutschland 1936 bis 1940 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Exkurs: Die »Deutsch-Vlämische Arbeitsgemeinschaft« – DeVlag

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4. Die deutschen Vorbereitungen für die Besatzung Belgiens und die Einrichtung der Militärverwaltung im Sommer 1940 . . . . . . . 266 a) Die Organisation der deutschen Besatzungsverwaltung . . . . . . 271 b) Als die Zukunft deutsch war – Der Sommer 1940 . . . . . . . . . . 274 7

5. Aus Fehlern lernen – Der Erste Weltkrieg als Erfahrungshintergrund für Militärverwaltung und belgische Behörden . . . . . . . . . . . . . a) Deutschland und die flämischen Nationalisten im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die zweite Flamenpolitik – Der VNV als Personalreservoir . . . . c) Kultur- und Sprachenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der VNV in der Kollaboration – Posten für die Mitglieder, Konkurrenz für die Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auf der Suche nach dem Vaterland – Zwischen Flandern und Großdeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die letzten Monate der Besatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Befreiung und Zusammenbruch, »Säuberung« und »Repression« d) Die Bedeutung des flämischen Nationalismus für die Besatzungsherrschaft – eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

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Einleitung Das föderale Belgien besteht heute aus drei Regionen: Flandern, Wallonien und Brüssel-Hauptstadt. In Wallonien ist Französisch die Verwaltungssprache und in Flandern Niederländisch (das Flämische ist eine Variante des Niederländischen, so wie das Österreichische eine des Hochdeutschen ist).1 Brüssel wird zweisprachig verwaltet und im Osten Walloniens gibt es ein kleines deutschsprachiges Gebiet. Die Sprachgrenze zwischen Französisch und Niederländisch ist gesetzlich festgelegt und zu einer politischen Grenze zwischen Flandern und Wallonien geworden. Die Regionen verfügen über eigene Parlamente und umfassende Autonomierechte, die weit über die Kompetenzen etwa der deutschen Bundesländer hinausgehen. Der Föderalstaat ist vor allem für die Verteidigung, die Außenpolitik, Steuern und die Sozialversicherung zuständig, wobei ihm die Kompetenzen auch auf den drei letztgenannten Gebieten zusehends streitig gemacht werden. Selbstverständlich kann man in Flandern auf Niederländisch studieren und zur Schule gehen, niemand muss sich einer anderen Sprache bedienen, um mit dem Staat zu kommunizieren. Die Region Flandern wird von einem flämisch-nationalistischen Minister­ präsidenten regiert, Antwerpen, die größte Stadt Flanderns hat einen flämischnationalistischen Bürgermeister und auch an der belgischen Regierung waren die flämischen Nationalisten der Neu-flämischen Allianz (ndl. »Nieuw-Vlaamse Alliantie«  – N-VA) bis 2018 als größte Partei beteiligt. Bei den Wahlen 2019 holten die beiden flämisch-nationalistischen Parteien, die N-VA und das rechte »Vlaams Belang« (dt. »Flämische Belange«), sowohl in Flandern als auch auf föderaler Ebene mit Abstand die meisten Stimmen. Der Kontrast des heutigen Staates zu dem vor hundert Jahren ist enorm. Noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Belgien ein unitarischer Zentralstaat und Französisch die dominante Sprache in Kultur, Politik und Verwaltung, in Wal1 Niederländisch und Deutsch sind plurizentrische Sprachen, d. h. es existieren national unterschiedliche Ausformungen des Niederländischen in den Niederlanden und Belgien sowie des Deutschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese deutlich ausgeprägten Unterschiede zwischen den nationalen Standardvarietäten sind vorwiegend lexikalisch und phonologisch-phonetisch. Auch wenn es in Belgien und Österreich eine starke innere Differenzierung der nationalen Varietäten des Niederländischen bzw. Deutschen gibt und grenzübergreifende Dialekte wie etwa das bairische Deutsch oder das limburgische Niederländisch bestehen, kann allein aufgrund der durch nationale Medien und staatliche Einrichtungen wie etwa die Justiz beförderten Ausbildung einer Standardvarietät von »Flämisch« bzw. »Österreichisch« gesprochen werden. Muhr, S. 191–233; Bußmann, insbesondere die Einträge: »Niederländisch«, »Österreichisches Deutsch«, »Plurizentrische Sprache«; Willemyns, S.301–327; Dollinger.

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lonien ebenso wie in Flandern. Zwar erfolgte 1898 die Anerkennung des Niederländischen als Staatssprache, doch das Parlament tagte auf Französisch und an den Universitäten war es die einzige Unterrichtssprache. In Flandern gab es vor allem in den großen Städten eine frankophone Oberschicht, die sich allenfalls im Verkehr mit ihren Untergebenen des Niederländischen bediente. Die Mitglieder dieser Bourgeoisie wurden in der flämischen Bewegung, die sich für eine Aufwertung des Niederländischen in Flandern einsetzte, abfällig »Franskiljons« genannt. In ihren Augen handelte es sich um »französierte« (ndl. »verfranste«) Flamen. Die »Franskiljons« beschimpften ihrerseits die Anhänger der flämischen Bewegung als »flamingants«, eine Bezeichnung, die von diesen trotzig übernommen wurde. Die »Flaminganten« (ndl. »flaminganten«) gab es in allen Parteien, aber es gab keine flamingantische Partei. Das politische und gesellschaftliche Leben spielte sich weitgehend in den traditionellen »Säulen« der belgischen Gesellschaft ab. Diese waren katholisch, liberal und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch sozialistisch.2 Es gab also keine flämischen Parteien und schon gar keine Partei der flämischen Bewegung, denn die Sprachenfrage war den weltanschaulichen Gegensätzen untergeordnet. Kurzum, wer in Belgien etwas werden wollte, der musste Französisch sprechen. Wie kam es dazu, dass sich der frankophon dominierte Zentralstaat in nicht einmal hundert Jahren in einen weitgehend dezentralisierten Staat verwandelte? Der Bedeutungsverlust der nationalen Ebene wurde 2010/11 durch eine Regierungskrise illustriert, die anderthalb Jahre andauerte und auch im Ausland für Aufsehen sorgte. Dass Belgien vom 13. Juni 2010 bis zum 6. Dezember 2011 keine vom Parlament legitimierte föderale Regierung hatte, war nur möglich, weil die meisten staatlichen Funktionen mittlerweile in der Kompetenz der Regionen liegen. In der vorliegenden Arbeit soll gezeigt werden, dass der Anstoß zu dieser Entwicklung während des Ersten Weltkriegs erfolgte. Unter der deutschen Okkupation von 1914 bis 1918 machte man die flämische Frage zum beherrschenden Thema. Im Rahmen der deutschen Flamenpolitik3 sorgte die Besatzungsmacht nicht nur für die Umsetzung belgischer Gesetze zugunsten der niederländischen Sprache, sondern führte bald auch eigene Reformen durch. Im Oktober  1916 eröffnete der deutsche Generalgouverneur Moritz von Bissing die erste niederländischsprachige Universität Belgiens. Im folgenden Jahr wurde ein Rat von Flandern als Vertretungsorgan der »Aktivisten« installiert, wie sich die flämi-

2 Der Begriff »Säule« entstammt der niederländischen Politikwissenschaft, kann jedoch auch auf den belgischen Fall angewandt werden. Die »Versäulung« der Gesellschaft bezeichnet die »Aufteilung der […] Öffentlichkeit in gegeneinander abgeschottete, ein eigenes Lebens- und Kulturbewusstsein pflegende Gruppierungen«. Lademacher, S. 338. 3 In dieser Arbeit wird der Begriff »Flamenpolitik« ausschließlich zur Bezeichnung der »deutschen Flamenpolitik« verwendet. Die Flamenpolitik anderer Akteure wird als solche gekennzeichnet, also etwa »französische Flamenpolitik«.

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schen Kollaborateure nannten, um sich von den »Passivisten« abzugrenzen, die jede Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht ablehnten.4 Die weitreichendste Reform war die sogenannte Verwaltungstrennung, mit der Belgien im Sommer 1917 in die »Verwaltungsgebiete« Flandern und Wallonien »zerlegt« wurde.5 Bis auf wenige Ausnahmen wurden die belgischen Ministerien geteilt und die Sprachgrenze erstmals in der belgischen Geschichte zur politischen Grenze gemacht. Die deutsche Niederlage 1918 beendete dieses Experiment, und dass die Struktur des belgischen Staats hundert Jahre später große Ähnlichkeiten mit den Planungen der deutschen Besatzungsmacht aufweisen würde, war nicht absehbar. Henri Pirenne, der seinerzeit bedeutendste belgische Historiker, sah in der deutschen Niederlage sogar eine Bestätigung der unitarischen Strukturen Belgiens. Die deutsche Besatzungspolitik habe sich über den Charakter des Landes getäuscht, urteilte er 1919. Belgien sei keineswegs ein künstlicher Staat, sondern eine auf der Grundlage des freien Willens ihrer Bewohner über die Jahrhunderte gewachsene »nation éléctive«. Diese Eigenart des Landes habe die Flamenpolitik verkannt, so wie der ihr zugrundeliegende Pangermanismus überhaupt die menschliche Natur verkenne. Er übertreibe die oberflächlichen Unterschiede zwischen den Menschen, als ob die Geschichte nur eine Spielart der Zoologie sei. Der Verfasser der mehrbändigen »Geschichte Belgiens« betrachtete daher den Sieg der Entente über Deutschland – und damit auch das Ende der Flamenpolitik – als einen Sieg der Humanität über das Prinzip der Rasse.6 Mit hundert Jahren Abstand können einem Zweifel an dieser Interpretation kommen. Denn obschon der heutige Föderalstaat Belgien sicherlich nicht der Sieg der Rassentheorie über das Prinzip der Humanität ist, so haben seine heutigen Strukturen doch mehr mit den im Rahmen der Flamenpolitik entwickelten Konzepten zu tun als mit den Vorstellungen Pirennes. Ohne von strukturellen Ähnlichkeiten automatisch auf einen ursächlichen Zusammenhang zu schließen, könnte man doch zu folgender Schlussfolgerung kommen: Entweder hatten die deutschen Besatzungsbeamten die gesellschaftlichen Verhältnisse besser analysiert, als die Belgier selbst es konnten, oder die Flamenpolitik stieß eine

4 Wobei die Frage, was als akzeptabel und was als »Kollaboration« gilt, Ergebnis eines Aushandlungsprozesses der Besatzungs- und Nachkriegsgesellschaft ist. Ein Verhalten, das als notwendige Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht erscheint, kann in einer anderen Phase des Kriegs als Kollaboration mit dem Feind gelten. Im Kontext dieses Buches wird der Begriff »Kollaboration« eng gefasst und als Tätigkeit definiert, die dem Erreichen eines gemeinsamen politischen Zieles mit der Besatzungsmacht dient. Becker u. Debruyne, S. 25 f.; Wever, Vijand, S. 291. 5 So die Umschreibung im Reichsamt des Innern: Verwaltungstrennung in Belgien – Zerlegung Belgiens in Flandern und Wallonien Bd. 1–5 von Februar 1917 bis Februar 1920, BArch, R 1501/119391 – R 1501/119395. 6 Pirenne, Pan-germanisme, S. 20.

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tiefgreifende Umgestaltung an, die den »Abschied vom belgischen Nationalstaat« einleitete.7 Vor 1914 hatte die Flämische Bewegung die Verwirklichung ihrer Ziele innerhalb des belgischen Staates angestrebt. Erst während der deutschen Besatzung gewann die Vorstellung eines prinzipiellen Gegensatzes zwischen Flandern und Belgien an Boden. Diese anti-belgische Richtung formierte sich nach dem Krieg u. a. in der 1919 gegründeten Frontpartei, der ersten flämisch-nationalistischen Partei Belgiens. Deren zentrale Forderung nach »Selbstverwaltung« (ndl. »zelfbestuur«) für Flandern ließ allerdings noch Raum für Interpretation. Sie konnte sowohl als Eintreten für eine weitgehende Autonomie als auch als Ruf nach staatlicher Selbständigkeit interpretiert werden. Die These dieser Untersuchung ist, dass die Vorstellung einer prinzipiellen Unvereinbarkeit zwischen den Zielen der Flämischen Bewegung und der Existenz Belgiens erst durch eine während der Besatzung »importierte Nation« hervorgerufen wurde. Unter deutscher Aufsicht entstanden die Umrisse eines flämischen Nationalstaats, der fortan als Bezugspunkt für den flämischen Nationalismus diente. Die Etablierung der »importierten Nation« während des Ersten Weltkriegs und ihre Wirkungsgeschichte in der Zwischenkriegszeit sowie während der zweiten deutschen Besatzungsherrschaft von 1940 bis 1944 sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Doch was ist eine »Nation« und wie kann man sich ihren »Import« unter den Bedingungen einer Besatzungsherrschaft vorstellen? Die Begriffe »Nation« und »Nationalismus« sind im Deutschen vor allem negativ konnotiert. Sie unterscheiden sich kaum von »Chauvinismus« und »chauvinistisch«, worunter eine übersteigerte Aufwertung der eigenen Gruppe und eine damit verbundene Abwertung anderer verstanden wird. Dieses Verständnis hat in Deutschland sicher auch mit der Abkehr von der Nationalgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. An deren Stelle sollte eine »übernationale, ›europäische‹ Betrachtungsweise« treten. Hierbei handelte es sich, wie Conrad schreibt, allerdings eher um eine den politischen Umständen geschuldete Anpassung an die »diskursiven Erfordernisse der Nachkriegszeit« als um einen wirklichen Paradigmenwechsel.8 Trotz der demonstrativen Abgrenzung von der Nationalgeschichte liegen die Wurzeln der modernen Geschichtswissenschaft jedoch genau dort. Dies gilt umso mehr für die Geschichte der nationalistischen Bewegungen, die in den meisten Fällen – so auch im flämischen – von Nationalisten geschrieben wurde. Diese betrachteten Geschichte durch das Raster des eigenen Nationalismus. Manche Ereignisse und Personen wurden integriert, andere aus dem nationalen Selbstbild ausgeschlossen. Diese »Erfindung von Tradition«, bewusst oder unbewusst, dient dazu die Nation historisch zu legitimieren.9

7 Dolderer, Abschied, S. 99–111. 8 Conrad, Suche, S. 85–88, 126–131. 9 Hobsbawm, Invention, S. 1–15.

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Auch die ersten Versuche »Nation« zu definieren, dienten vor allem der Bestimmung der eigenen nationalen Identität und erfolgten im Kontext sich bildender Nationalstaaten, wie sich am Beispiel Friedrich Meineckes illustrieren lässt. Dieser prägte den bis heute einflussreichen Begriff »Kulturnation«, den er von »Staatsnation« abgrenzte. Meineckes »Kulturnation« ist nicht an den Staat gebunden, sondern beruht auf einem »gemeinsam erlebten Kulturbesitz«, als dessen wichtigste Teile er »Gemeinsprache, gemeinsame Literatur und gemeinsame Religion« bezeichnet.10 Meinecke entwickelte diesen Begriff explizit in Abgrenzung zu einem voluntaristischen Verständnis der Nation, wie es von Ernest Renan geprägt worden war.11 Während für Renan die Nation Ergebnis eines politischen Prozesses, eines »täglichen Plebiszites«, war, lag für Meinecke die Zugehörigkeit zur »Kulturnation« außerhalb des Willens des Einzelnen. Die Verwendung des Begriffs unterscheidet sich nur wenig vom spezifisch deutschen Gebrauch des Wortes »Volk«, der sich, wie Koselleck schreibt, »verfassungstheoretisch gegen den individualistischen Vertragsgedanken der Bürgernation« richte.12 Das deutsche Wort »Volk« hat einen ethnischen Inhalt und ist nicht mit dem Begriff »Staatsvolk«, im Sinne von »Demos«, identisch.13 Meinecke wies übrigens selbst auf diese Nähe der Begriffe »Volk« und »Kulturnation« hin.14 Ein primordialer »naturhafter Kern, der durch Blutsverwandtschaft entstanden ist«, bildet für ihn die Voraussetzung jeder Nation. Doch befähige dieser Kern die Nation auch, »fremde Stämme und Elemente sich zu assimilieren«.15 Diesen Zusatz kann man als eine Abgrenzung von völkischen Theorien lesen. Die »Kulturnation« Meineckes ist also nicht mit der »Blutsnation« gleichzusetzen, welche die Zugehörigkeit zu einem ethnisch definierten »Volk« zur ausschließlichen Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Nation macht.16 Sowohl Renans voluntaristisches Konzept mit dem berühmten Satz »L’existence d’une nation est un plébiscite de tous les jours« als auch Meineckes Polemik dagegen, müssen vor dem Hintergrund der deutschen Annexion Elsass-Lothrin­ gens gegen den Willen der Bevölkerung verstanden werden. Eine Volksabstim­ mung, ein »Plebiszit«, war eine ganz konkrete französische Forderung. M ­ eineckes Argumentation sollte hingegen die Angliederung des Elsass rechtfertigen, den er als Teil der deutschen »Kulturnation« verstand. Nationalistische Praxis und Theorie des Nationalismus sind hier auf beiden Seiten untrennbar miteinander verbunden. Der Begriff »Kulturnation« ist daher ebenso wie »Volk« als Analysekategorie ungeeignet und lediglich aus ideengeschichtlicher Perspektive von Interesse. Er gehört der Sphäre der nationalistischen Ideologie an. Eine Einteilung der Natio­ 10 Meinecke, S. 10. 11 Ebd., S. 10–12. 12 Koselleck, S. 407. 13 Francis, Ethnos. 14 Meinecke, S.13. 15 Ebd., S. 9. 16 Wippermann, Blutrecht, S. 10–48; ders., »ius sanguinis«, S. 133–143.

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nen in Staats-, Bluts- oder Kulturnationen scheint daher nicht zweckmäßig. Hier wird dagegen mit Hobsbawm davon ausgegangen, dass der Begriff »Nation« nur sinnvoll verwendet werden kann, insofern er sich auf den Nationalstaat bezieht.17 Alle weiteren Unterscheidungen führen ins Metaphysische und werden daher aus der Analyse ausgeschlossen. Eine Nation ohne Nationalstaat existiert nur in der Vorstellung der Nationalisten. Was aber durchaus existiert, und zwar sowohl mit als auch ohne Nationalstaat, ist der Nationalismus. Die Nation wird im Rahmen dieser Untersuchung daher als soziales Konstrukt verstanden, als »vorgestellte Gemeinschaft« (eng. »imagined community«) nach Anderson. Wobei »vorgestellt« hier nicht im Sinne von »eingebildet« verwendet wird.18 Nicht eine gemeinsame Kultur im Sinne der Kulturnation, sondern die Vorstellung von einer gemeinsamen Kultur ist für die Entstehung von Nationalbewusstsein konstitutiv.19 Die Unterschiede liegen also weniger im Nationalstaat als in den verschiedenen Vorstellungen von ihm, im Nationalismus. Nationalismus wird hier mit Breuilly als eine Bewegung verstanden, »[…] which claims that there exists a unique nation, that this nation has a special value and therefore right to existence and recognition, and that to secure this right the nation must possess autonomy, often understood as a sovereign nation state.«20 Der Nationalismus bezieht sich also auf einen bereits bestehenden oder noch zu errichtenden Nationalstaat, wobei dieser der Sicherung der vorgestellten Gemeinschaft, der »Nation«, dienen soll. Eine Bewegung, die keinen Nationalstaat anstrebt, ist in diesem Sinne nicht nationalistisch. Drei Nationalismus­typen können anhand des Verhältnisses zum Staat unterschieden werden, wobei die unterschiedlichen Formen ineinander übergehen. Erstens der integrierende Nationalismus, der durch Revolution auf dem Territorium eines bestehenden Staats einen Nationalstaat gründet (England, Frankreich, USA), zweitens der Einigungsnationalismus, der ausgehend von staatlich getrennten Teilen einer als »Nation« wahrgenommenen Gemeinschaft einen Nationalstaat errichten will (Italien, Deutschland)  und drittens der Abspaltungsnationalismus, der einen Nationalstaat auf dem Territorium eines bereits bestehenden Staates errichten will. Alle drei Typen sind für diese Untersuchung von Bedeutung.21 Der flämische Nationalismus scheint zunächst eindeutig ein Abspaltungsnationalismus zu sein, der auf dem Staatsgebiet Belgiens einen eigenen Nationalstaat errichten will. Für diese Entwicklung ist jedoch auch der deutsche Einigungsnationalismus von Relevanz, weil er von Anfang an auch eine pan­ germanische bzw. alldeutsche Dimension hatte. In dieser Perspektive konnte dann beispielsweise die sprachliche Verwandtschaft des Deutschen mit dem Niederländischen als Argument für eine Ausdehnung Deutschlands auf das Territo17 Hobsbawm, Nationen, S. 20 f. 18 Anderson, S. 15. 19 Wodak, S. 24. 20 Breuilly, S. 1 f. 21 Wehler, S. 51 f.

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rium Flanderns und der Niederlande dienen. Auch gab es großniederländische oder »dietsche« Tendenzen, die eine Vereinigung der Niederlande mit Flandern anstrebten. Der belgische integrierende Nationalismus ist vor allem deshalb von Interesse, weil er die Existenz des belgischen Nationalstaats gegen die Ansprüche des flämischen, deutschen und zuweilen niederländischen Nationalismus zu verteidigen versuchte. Auf die Rolle der Geschichtsschreibung für die Entstehung nationaler Identität wurde bereits kurz eingegangen.22 Schon vor Hobsbawm unterstrich Hroch im Rahmen einer empirischen Studie über die Nationsbildung in Mittel- und Osteuropa die Bedeutung »nationaler« Traditionen. Er entwickelte ein Dreiphasenmodell zur Analyse von Nationsbildungsprozessen durch sezessionistische bzw. unifizierende Nationalbewegungen, das in der Diskussion über den flämischen Fall viel zitiert wird und deshalb kurz vorgestellt werden soll. In einer ersten Phase werden, nach Hroch, die Koordinaten der »nationalen« Identität von akademischen Eliten entwickelt. Dabei kann es sich um historische Forschungen handeln, um die Kodifizierung der Volkssprache oder ähnliches. Hier wird also Tradition erfunden. In einer zweiten Phase wird der Versuch unternommen, diese Traditionen in die Öffentlichkeit zu tragen und auf ihrer Grundlage ein gemeinschaftliches Bewusstsein zu etablieren. Erst in der dritten und letzten Phase wird die Nationalbewegung zu einem Massenphänomen, nämlich dann, wenn große Teile der Bevölkerung die von den Eliten entwickelten Begriffe übernehmen und akzeptieren. Dies geschieht laut Hroch vor allem dann, wenn die Nationalbewegung sich mit wichtigen sozialen Bewegungen verbindet.23 Dieses an der Erforschung nationaler Bewegungen des 19. Jahrhunderts entwickelte Modell beschreibt strukturelle historische Gemeinsamkeiten vieler Nationalbewegungen, aber keine zwangsläufige Entwicklung. Auf eine bestimmte »Entwicklungsstufe« muss nicht notwendigerweise die nächste folgen. Hroch betrachtet das Erreichen einer Phase zwar als notwendige, jedoch keinesfalls als hinreichende Bedingung für die nächste. Deshalb schlug er auch vor, lediglich die Phase der Massenbewegung als »Nationalismus« zu bezeichnen, und wies darauf hin, dass sein Modell keineswegs den »Nationalismus«, sondern den Nationsbildungsprozess beschreibe. Er grenzte sich in diesem Zusammenhang von kulturwissenschaftlichen Theorien ab, denen zufolge die Nation vor allem eine Erfindung, ein Konstrukt sei, welches durch die aktive Verwendung von Symbolen und Mythen, Ritualen und Festen transportiert werde.24 Das Missverständnis, dass mit dem Vorhandensein eines bestimmten Repertoires identitätsstiftender Erinnerungen auch eine Nationalbewegung einhergehen muss, gibt es auch im Hinblick auf den flämischen Nationalismus.

22 Hobsbawm, Invention, S. 1–15. 23 Hroch, Europa, S. 45 f. 24 Ders., Why, S. 646–648.

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Eine solche Interpretation findet sich bei Nörtemann, der ausgehend von einer literaturhistorischen Untersuchung von Hendrik Consciences »Der Löwe von Flandern« zu dem Ergebnis kommt, die Nationalisierung der flämischen Bevölkerung habe bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt. Sie habe sich aus Nationalmythen, -liedern und -symbolen gespeist, die sich vor allem auf die »Schlacht der Goldenen Sporen« (ndl. »Guldensporenslag«) von 1302 bezogen.25 Aus der Analyse des Repertoires der flämischen »Erinnerungsgemeinschaft« kommt er zu dem Ergebnis, dass diese von Anfang an einen »romanisch-flämischen Gegensatz« betont und schon daher in Widerspruch zum belgischen Staat gestanden habe.26 Allerdings schreibt auch Nörtemann, dass die flämische Bewegung bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Existenz des belgischen Staates oder auch nur die Zweisprachigkeit Flanderns nie infrage stellte. Der »flämisch-französische« Gegensatz im »Löwen von Flandern« wurde immer auch als ein »belgisch-französischer« Gegensatz interpretiert und war so Teil der belgischen »Erinnerungsgemeinschaft«.27 Die Betonung Belgiens als einer zweisprachigen, sowohl germanischen als auch romanischen Nation gehörte zum Kern der belgischen Nationalideologie, wie sie am prägnantesten in den Schriften Henri Pirennes zum Ausdruck gebracht wurde. Das Hervorheben des flämischen Charakters Belgiens diente vor allem der Abwehr französischer Einverleibungsversuche. Dass sich die flämische Bewegung im 19. Jahrhundert entwickeln konnte und nicht als staatsfeindlich bekämpft wurde, kann nur vor diesem Hintergrund verstanden werden. Hinzu kommt, dass der Begriff »Nation« in dieser Zeit auch kulturell konnotiert war und sich nicht auf einen existierenden oder noch zu errichtenden Nationalstaat beziehen musste.28 Es ist daher falsch, eine Unvereinbarkeit zwischen flämischer Bewegung und Belgien ins 19. Jahrhundert rückzuprojizieren. Dennoch ist es richtig, dass die Entstehung des flämischen Nationalismus ohne die flämische Bewegung vor 1914 unverständlich bleiben müsste. Auf der anderen Seite ist die Frage nach dem Charakter des deutschen Nationalismus für diese Untersuchung wesentlich. Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine dominante Strömung des deutschen Nationalismus seine völkische Variante war. »Völkisch« wird in diesem Zusammenhang nicht nur für die sich selbst so bezeichnenden Vorläuferorganisationen der NSDAP verwendet.29 25 Die »Schlacht der Goldenen Sporen« fand am 11. Juli 1302 zwischen flämischen Milizen und einem französischen Ritterheer statt, die »goldenen Sporen« waren zunächst ein Synonym für Ritter. Erst später wurde behauptet, die goldenen Sporen der getöteten Franzosen würden in einer Kirche aufbewahrt. 26 Nörtemann, S. 20. 27 Tollebeek u. Verschaffel. 28 Wever u. Stynen, S. 65–67. 29 So etwa bei Hartung, der zu dem Ergebnis kommt, dass das Phänomen der völkischen Ideologie nur durch das Auftreten Hitlers von wissenschaftlichem Interesse sei, da alle anderen völkischen »Sammel- und Einzelideologien ebenso wie die deutschvölkischen Bünde und Parteien spätesten 1925 gescheitert oder praktisch bedeutungslos waren«. Hartung, S. 41.

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Der Begriff dient vielmehr zur Kennzeichnung eines »hybriden [deutschen] Nationalismus mit einem komplexen Weltanschauungssystem«. Wichtigster Aspekt der völkischen Ideologie ist ein die Grenzen des deutschen Staats überschreitender Nationalismus, in Verbindung mit einer diesen erweiternden Germanenideologie.30 Die Reichsgründung unter preußischer Führung 1871 gab einen wesent­ lichen Impuls für die Übernahme und Entstehung völkischer Ideologeme. Sie schwächte die traditionellen Fürstenstaaten, an deren Stelle jedoch kein freiheitlich-parlamentarisches System trat. Das Bündnis der Liberalen mit Bismarck mündete vielmehr in einem »autoritären Nationalstaat«, dessen Institutionen daran mitwirkten, einen deutschen »Reichsnationalismus« zu etablieren. Im Gegensatz zum deutschen Einigungsnationalismus spielten liberale und emanzipatorische Ideale in ihm nur noch eine untergeordnete Rolle.31 Die zunehmend ethnische Definition von Deutschland äußerte sich in der Minderheitenpolitik, vor allem gegenüber den polnischen Preußen.32 Auch der Anstieg des Anti­semitismus trotz weitgehender rechtlicher Gleichberechtigung der Juden gehört in den Kontext eines sich seit der Reichsgründung immer mehr mit dem »Anspruch der Auserwähltheit« gebärdenden integralen völkischen Nationalismus.33 Völkisch wurde auch die Annexion Elsass-Lothringens gerechtfertigt (so von Meinecke), obwohl die mehrheitlich deutschsprachige Bevölkerung bei Frankreich bleiben wollte und dies auch zum Ausdruck brachte. Der völkische Nationalismus war also nicht nur ausschließend, sondern diente auch der Integration als »deutsch« oder »germanisch« wahrgenommener Gruppen – notfalls gegen deren Willen. Ein Aspekt, der auch in der Flamenpolitik wichtig war. Bereits vor 1914 gab es ein Interesse an Völkern, die wie die Niederländer oder Flamen als »stammverwandt« galten. Der Alldeutsche Verband war ein Pionier auf dem Gebiet der organisierten deutsch-flämischen Kontakte. Allerdings war der Einfluss völkischer Ideen auf die Regierungspolitik gegenüber Belgien und den Niederlanden, im Unterschied zu Elsass-Lothringen oder der Behandlung der preußischen Polen, vor dem Ersten Weltkrieg eher gering. Dennoch verdient die Frage Aufmerksamkeit, inwiefern von einem Nationalismustransfer die Rede sein kann und ob es möglicherweise aufgrund eines spezifisch »völkischen« Nationsverständnisses in Deutschland auch ideologische Impulse für die Ausbildung eines flämischen Nationalismus gab. Hierbei könnte an eine »Ethnisie-

30 Puschner, S. 9–12. 31 Ullmann, S. 8 f., 39. 32 Clark, S. 657–670. 33 Die Juden erschienen vielen geradezu als Prototyp einer völkischen Bewegung, als »Modell eines Volkes, dessen geschichtlich bewährte Stammesorganisation die Panbewegungen nur nachzuahmen brauchten, dessen Vitalität und Macht in der Zerstreuung jedenfalls der beste Beweis für die Richtigkeit völkischer Doktrinen war«. Arendt, S. 507; Siehe hierzu auch die Bemerkung Wilhelms II., die Deutschen seien nun anstelle der Juden das auserwählte Volk. Röhl, S. 1149.

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rung« des zuvor eher kulturellen Sprachenkonflikts gedacht werden.34 Dass in der deutschen Öffentlichkeit ebenso wie in der Politik eine völkische Sichtweise auf Flandern und Belgien dominierte, ist gut belegt und kann hierbei vorausgesetzt werden. Völkische Ideologeme, die eine »Stammverwandtschaft« mit den »germanischen« Flamen unterstellten, waren bis in die Sozialdemokratie hinein verbreitet.35 Die Frage ist allerdings, welche Rolle die Wahrnehmung Flanderns als eines »germanischen Stammes« für die konkrete Politik gegenüber Belgien spielte, da Außenpolitik und Besatzungspolitik – zumal im Ersten Weltkrieg – selten rein ideologischen Motiven folgten.36 Dieser Einwand muss auch für die Flamenpolitik gelten, die in der Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschlands keineswegs eine Ausnahmeerscheinung war. Die Unterstützung von nationalen, politischen oder religiösen Gruppen im Rahmen einer Revolutionierungspolitik mit dem Ziel, die Kriegsgegner zu schädigen, fand auf zahlreichen Kriegsschauplätzen statt. So gab es den Versuch, die irischen Nationalisten gegen Großbritannien, die polnischen Nationalisten gegen Russland, die Muslime im Rahmen der Dschihad-Politik gegen die jeweiligen Kolonialreiche der Kriegsgegner und die Bolschewiki wiederum gegen Russland für die deutschen Kriegsziele zu instrumentalisieren. In keinem der genannten Fälle bestand eine ideologische Nähe zum deutschen Nationalismus. Weder die katholischen Iren noch die anti-preußischen Polen, die Muslime oder die Bolschewiki wurden zu Bündnispartnern des Kaiserreichs, weil eine ideologische Nähe bestanden hätte. Im Falle der Polen gab es konkrete Interessenkonflikte mit den imperialen Zielen des Deutschen Reichs. Trotzdem wurden alle diese Gruppen aus relativ kurzfristigen kriegstaktischen Gründen unterstützt. Auch die Entente setzte ethnische Argumente zur Legitimierung ihrer Kriegsziele und Destabilisierung der Feindstaaten ein. Bekanntestes Beispiel dürfte das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« sein, das sich vor allem gegen den »Vielvölkerstaat« Österreich-Ungarn richtete und das sich im Fall Belgiens sowohl auf das flämische als auch auf das belgische »Volk« 34 Salzborn. Eine mittlerweile klassische, noch vor dem Genozid entstandene Studie zur Ethnisierung der Kategorien »Hutu« und »Tutsi« im Ruanda der Kolonialzeit: Newbury. 35 Reichskanzler Bethmann Hollweg bediente sich regelmäßig dieser Rhetorik. So betonte er am 5. April 1916 vor dem Reichstag, Deutschland werde den »lange niedergehaltenen flämischen Volksstamm nicht wieder der Verwelschung preisgeben«. Reichstag, Bd. 307, S. 852; Dolderer, Imperialismus; Yammine, Drang; Bischoff, Kriegsziel. 36 Eine Forschungsgruppe untersuchte für die amerikanische RAND Gesellschaft 74  Aufstände nach dem Ende des Kalten Kriegs. In 44 davon spielte ausländischer Einfluss eine wesentliche Rolle. Über die Motivation ausländischer Akteure wurde ein nüchternes Urteil gefällt: »States are primarily motivated by geopolitics rather than ideology, ethnic affinity, or religious sentiment. Although these less strategic rationales sometimes play an important role in regimes’ decisions to back insurgencies, they are far-less frequent motivations than those involving considerations of regional influence and strategic competition. Indeed when ethnic kin or religious brethren do receive support, it is often done to further realpolitik ambitions as opposed to being an end itself. Ethnic and religious justifications are often mere window dressing«. Byman, S. 23.

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anwenden ließ. Dass die Flamenpolitik dennoch als eine besondere Form der Revolutionierungspolitik betrachtet werden kann, liegt an zwei Faktoren. Erstens wurde sie mit der Verwaltungstrennung in Flandern und Wallonien 1917 zum bestimmenden Faktor der Besatzungspolitik. Sie diente also nicht nur der kurzfristigen Destabilisierung des Gegners, obwohl dies an der Flandernfront durchaus auch ein Gesichtspunkt war, sondern sollte die langfristige Beherrschung Belgiens vorbereiten. Zweitens lieferten die Anknüpfungspunkte an den völkischen deutschen Nationalismus ein innenpolitisches Argument für die Flamenpolitik. Diese Anschlussfähigkeit trug möglicherweise dazu bei, dass sie eine Eigendynamik entwickelte, wie es sie bei den anderen im Rahmen der Revolutionierungspolitik unterstützten Gruppen nicht gab. Das Thema dieses Buches ist der Einfluss der deutschen Besatzungspolitik des Ersten Weltkriegs auf die Entstehung des flämischen Nationalismus. Der Begriff »importierte Nation« soll einen Aspekt hervorheben, der im Widerspruch zu traditionellen Vorstellungen von der Nation steht. Letztere wird zumeist als eine auf Grundlage ethnischer oder historischer Gemeinsamkeiten entstandenen Gemeinschaft imaginiert, die man klar von anderen abgrenzen kann. Die Nation kann sich in dieser Vorstellung von äußerer Vorherrschaft befreien oder gegen eine Bedrohung von außen zur Wehr setzen. Ein positiver, schöpferischer externer Anteil ist in dieses Nationalbild jedoch kaum zu integrieren, das maßgeblich auf der unterstellten Einzigartigkeit der eigenen Gruppe basiert. Die moderne Geschichtsschreibung hat ihre Wurzeln in der Nationalgeschichtsschreibung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass externe Faktoren in der Entstehung nationalistischer Bewegungen oder sogar von Nationalstaaten wenig untersucht sind. Erst in jüngerer Zeit ist vor allem in der Globalgeschichte auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, sich von einer internalistischen Auffassung von »Nation« zu lösen und Wechselwirkungen zwischen Nationalismen in den Blick zu nehmen.37 Anders als in der Geschichtswissenschaft gab es in der Politikwissenschaft eine breite Debatte über den Einfluss militärischer Besatzungsherrschaft auf die langfristige Entwicklung besetzter Gesellschaften. Unter den Schlagwörtern »State-Building« und »Nation-Building« wurde Besatzungspolitik geradezu als Entwicklungsmodell behandelt. Anlass der Debatte war die Interventionspolitik westlicher Staaten, insbesondere der USA, die etwa in Afghanistan, Irak oder dem Kosovo neue staatliche Strukturen etablierten.38 »Nation-Building« ist hierbei Kern einer »Exit-Strategie«, die auch nach dem Abzug des Militärs stabile Verhältnisse im Sinne des Okkupanten garantieren soll. Es geht also um konkrete Besatzungspolitik, vor allem in sogenannten »failed states«, wo staatliche 37 Conrad, What, S. 79–88. Eine Ausnahme ist in diesem Zusammenhang die Studie Mylonas’, die explizit externe Einflüsse auf die Entstehung nationalistischer Bewegungen in den Fokus nimmt und vor allem auf ihre Bedeutung für die Frühphase solcher Bewegungen verweist. Mylonas. 38 Byman, S. 23.

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Strukturen angeblich weitgehend fehlen. Allerdings wird in der US-amerikanischen Literatur immer wieder auf das erfolgreiche »Nation-Building« in Japan und Deutschland nach 1945 verwiesen, das sogar als »gold standard of nation building« bezeichnet wurde.39 Diese Forschung will erklärtermaßen aus den Erfolgen und Fehlschlägen der Vergangenheit für gegenwärtige und zukünftige Okkupationen lernen. Sie ist dabei nicht nur anwendungsorientiert, sondern auch Teil der Legitimation von Besatzungsherrschaft. »Nation-Building« suggeriert ebenso wie der Begriff »Failed State« den Aufbau geordneter Verhältnisse anstelle eines Hobbes’schen Naturzustandes, in dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Die Gemeinsamkeiten mit der Kolonialrhetorik des 19. Jahrhunderts sind hierbei nicht zu übersehen: Ordnung tritt an die Stelle des Chaos, Zivilisation ersetzt Barbarei. Dass die vom Besatzer installierten Strukturen an die Stelle anderer treten, die zunächst mit Gewalt beseitigt werden müssen, wird allenfalls am Rande thematisiert. Der »Failed State« ist denn auch weniger der Auslöser als das Resultat der Besatzung. Ein Staat, dessen Territorium von einem anderen besetzt wird, hat bei der Durchsetzung seines Gewaltmonopols versagt und ist daher per Definition ein »Failed State«. Im deutschsprachigen Raum hat sich vor allem der Politikwissenschaftler Hippler des Themas angenommen.40 Hippler nennt drei Elemente erfolgreichen Nation-Buildings: »eine gemeinschaftsbildende, überzeugungskräftige Ideologie, die Integration der Gesellschaft und ein funktionsfähiger Staatsapparat«.41 Die Etablierung eines funktionsfähigen Staatsapparates ist hierbei die Voraussetzung für alles andere. Hippler widerspricht der Auffassung, dass Nationen a priori existieren und sich am Ende eines langen Prozesses im Nationalstaat vollenden. Er verweist auf die Beispiele vom Typ des integrierenden Nationalismus, Frankreich und England, wo die Nation jeweils aus einem existierenden Staat hervorging. Die Entstehung von Nationen sei auch in den meisten anderen Fällen von oben initiiert worden und »nicht durch ein naturwüchsiges Wachstum des Nationalstaates aus der Gesellschaft heraus« erfolgt.42 Auch in Deutschland wurde der Nationalstaat weniger vom Einigungsnationalismus erstritten, als dass er der bewussten Entscheidung des preußischen Staates entsprang, sich des Nationalismus zur Durchsetzung seiner Interessen zu bedienen. Der flämische Fall ist also aus der Perspektive der Nation-Building-Theorie gar nicht so ungewöhnlich und man könnte von einem deutschen »Nation-Building avant la lettre« sprechen.43 Die staatlichen Strukturen der importierten Nation wurden neben und gegen einen bereits existierenden und funktionierenden belgischen Nationalstaat aufgebaut, wobei letzterer schon durch die Tatsache der Besatzung einen Legitimitätsverlust erlitten hatte. Die Etablierung neuer Struk39 Dobbins, S. 11. 40 Einige Anregungen auch in: Osterhammel, Krieg, S. 283–321. 41 Hippler, Nation-Building, S. 20. 42 Ebd., S. 25. 43 Müller, Nation-Building.

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turen war also mit der Zerstörung alter und mit der Neuverteilung von Macht verbunden. Oder wie Hippler es formuliert: »Nation-Building hat politisch, ökonomisch und sozial Gewinner und Verlierer«.44 So gesehen könnte man den flämischen Nationalismus als eine Mischung aus integrierendem und Abspaltungsnationalismus beschreiben. Einerseits richtete er sich als separatistische Bewegung gegen den belgischen Staat, andererseits entstand er aus nationalstaatlichen Strukturen, welche die deutsche Besatzungsmacht geschaffen hatte. Der Begriff »importierte Nation« soll die Aufmerksamkeit vor allem auf den zweiten Aspekt lenken, ohne zu leugnen, dass es bereits vor 1914 einen Resonanzboden gab, der die Entstehung des flämischen Nationalismus begünstigte. Die Frage, ob der flämische Nationalismus eine Folge der Flamenpolitik war oder ob diese umgekehrt nur eine Reaktion auf die Forderungen der flämischen Nationalisten darstellte, prägt die Diskussion seit dem Ersten Weltkrieg – teilweise bis heute.45 Bruno De Wever sprach in diesem Zusammenhang von einer polemischen Geschichtsschreibung.46 Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer Annäherung dieser Positionen, wobei die Bedeutung der Flamenpolitik unterstrichen und dem Aktivismus dennoch eine eigenständige Entwicklung zugebilligt wurde.47 Fritz Fischers quellengesättigte Untersuchung der deutschen Kriegszielpolitik veränderte auch den Blick auf die Belgienpolitik, zu der Wende eine erste ausführliche Studie veröffentlichte.48 In Flandern hatten vor allem die Forschungen Lode Wils’ großen Einfluss, dessen erklärtes Ziel es war, etablierte flämisch-nationalistische Narrative zu hinterfragen. Er unterstrich die Bedeutung der deutschen Initiative und betrachtete als wichtigstes Ergebnis der Flamenpolitik die Spaltung der flämischen Bewegung in einen anti-belgischen und einen loyalen Teil.49 Diese These untersuchte er auch für die Zwischenkriegszeit.50 Wils inspirierte weitere Untersuchungen, etwa zur Rolle der deutschen Öffentlichkeit für die Flamenpolitik oder flämischen Kontakten zur alldeutschen Bewegung vor 1914.51 Forschungen zum Aktivismus in Gent und Antwerpen sowie zur flämischen Frontbewegung im belgischen Heer des Ersten Weltkriegs konnten seine Thesen an einigen Punkten bestätigen, korrigierten aber auch das Bild 44 Ebd., S. 27. 45 Die erste Position wurde vor allem von Gegnern des flämischen Nationalismus vertreten: Heyse; Pirenne, Pan-germanisme; Wullus, Flamenpolitik; Pirenne u. Vauthier; Pirenne, Belgique. Die zweite von deutschen und flämisch-nationalistischen Autoren: Waentig; Winterfeldt; Köhler; Oszwald, Errichtung; Faingnaert; Velde. Nach dem Zweiten Weltkrieg: Petri, Flamenpolitik. 46 Wever, Greep, S. 21. 47 Wils, Honderd jaar; Willemsen; Wende; Elias. Dies war auch das beherrschende Narrativ in der 1973 erschienenen Enzyklopädie zur Flämischen Bewegung. Deleu u. a. 48 Fischer; Wende. 49 Wils, Flamenpolitik; ders., Vlaanderen; ders., Onverfranst. 50 Wils, Honderd jaar. 51 Dolderer, Imperialismus; Yammine, Drang.

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eines ausschließlich auf deutsche Initiative entstandenen Aktivismus.52 Obwohl es also Studien zu verschiedenen Aspekten der Flamenpolitik gibt, fehlt bisher eine umfassende Darstellung aus Sicht der deutschen Akteure. Der flämische Nationalismus der Zwischenkriegszeit war Gegenstand mehrerer Überblicksdarstellungen, die allerdings der Frage eines Fortwirkens der Flamenpolitik kaum Aufmerksamkeit schenkten. Einflussreich sind die Studien Elias’, der Historiker und – als führender Kollaborateur des Zweiten Weltkriegs – Akteur zugleich war.53 Einen guten Überblick über die parteipolitische Entwicklung des flämischen Nationalismus gibt De Wever, während für die deutschflämi­schen Beziehungen der ideengeschichtliche Ansatz Boehmes fruchtbar ist, der auch die ökonomische Seite des flämischen Nationalismus untersuchte.54 Dem Kampf der flämischen Nationalisten gegen das französisch-belgische Militärabkommen, von 1920 bis 1936, ist eine Studie Provoosts gewidmet.55 Was die deutsche Außenpolitik betrifft, so kamen diplomatiegeschichtliche Studien zu dem Ergebnis, dass es weder in der Weimarer Republik noch während des Nationalsozialismus in der Zwischenkriegszeit eine Fortführung der Flamenpolitik gegeben habe.56 Diese recht eng gefasste Betrachtung von Außenpolitik wurde seit Anfang der 2000er Jahre durch zahlreiche Veröffentlichungen zur sogenannten Westforschung ergänzt. Hier gab es viele Bezüge zur Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs.57 Trotz der offiziellen Nichteinmischungspolitik der Zwischenkriegszeit gab es inoffizielle und halboffizielle Kontakte deutscher Regierungsstellen zu flämischen Nationalisten. Detaillierte Forschungen gibt es zur Literaturpolitik und den geheimdienstlichen Aktivitäten des nationalsozialistischen Deutschlands vor 1940.58 Die ideologische Zielsetzung der Nationalsozialisten während der zweiten Besatzung Belgiens von 1940 bis 1944 wurde bereits früh beleuchtet.59 In den letzten Jahren wurde allerdings kritisiert, dass die damalige Forschung zu sehr der Darstellung ehemaliger Besatzungsbeamter gefolgt sei, die den Gegensatz zwischen der Militärverwaltung und der SS aus apologetischen Gründen übertrieben hätten.60 Der flämische Nationalismus während der deutschen Besatzung von 1940 bis 1944 ist gut erforscht. Das Standardwerk ist nach wie vor De Wevers »Greep naar de macht«. Daneben sind Studien über den Umfang der flämisch-nationalistischen Kollaboration auf Ge52 Vanacker, Avontuur; ders., Frontbeweging; Vrints, Stad. 53 Willemsen; Elias; Basse. 54 Wever, Greep; Boehme, Revolutie; ders., Fronten; ders., Greep. 55 Provoost, Vlaanderen 2 Bde. 56 Dolderer, Weimar; ders., Weltkriegen; Klefisch. 57 Lejeune; Schöttler, Geschichtsschreibung; Derks; Dietz u. Gabel; Middell u. Ziegeldorf; Müller, Westen; Eickmans; Fahlbusch u. a., Wissenschaften; Fahlbusch u. a., Handbuch. Wippermann wies bereits früh auf die Bedeutung der Wissenschaft für den Nationalsozialismus hin. Burleigh u. Wippermann, S. 51–56. 58 linthout, Buch; dies., Belgien-Diskurse; Verhoeyen, Spionnen; ders., Netwerk. 59 Jonghe, Hitler; ders., Strijd. 60 Brüll, Thedieck. »Zeitgenosse des Jahrhunderts«; Seibel.

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meindeebene und auf militärischem Gebiet erschienen sowie zur deutschen Sicherheitspolitik.61 Zu einzelnen Aspekten der Besatzungspolitik gibt es vergleichende Studien beider Weltkriege.62 In letzter Zeit wurde auch die Frage eines Erfahrungstransfers vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg thematisiert.63 Festzuhalten ist, dass einer umfangreichen belgischen Historiographie zum Thema ein vergleichsweise überschaubares Interesse in Deutschland gegenübersteht. In dieser Studie liegt der Schwerpunkt auf der Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs, für deren Analyse vor allem deutsche Besatzungsakten herangezogen werden. Da die Akten des Generalgouvernements in Belgien großenteils im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden, handelt es sich um Parallelüberlieferungen, die sich im Bundesarchiv, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sowie im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befinden. Einige Akten des Generalgouvernements wurden bereits während der Zwischenkriegszeit im Reichsarchiv ausgewertet, die hierauf beruhenden Berichte sind in den Beständen des Reichsinnenministeriums überliefert. Einzelne für die Flamenpolitik relevante Akten fielen während des Abzugs der deutschen Truppen 1918 den belgischen Behörden in die Hände, andere wurden von belgischen Agenten Anfang der 1920er Jahre aus dem Reichsarchiv gestohlen. Diese Akten, insbesondere solche, die flämische Kollaborateure betrafen, wurden teilweise schon damals ediert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Originale befinden sich im belgischen Generalstaatsarchiv (ndl. »Algemeen Rijksarchief«; frz. »Archives générales du Royaume«  – ARA / AGR). Die deutschen Autoren von Tätigkeits- und Verwaltungsberichten standen unter erheblichem Erfolgsdruck. Ihre Berichte beruhten nur selten auf überprüfbaren Fakten und dienten nicht zuletzt der Beeinflussung vorgesetzter Instanzen. Über die Resonanz der Flamenpolitik im besetzten Belgien lassen sich allein auf Basis dieser Quellen keine zuverlässigen Aussagen machen. Ergänzend werden daher belgische Berichte herangezogen, und zwar sowohl Berichte des Rates von Flandern aus den Jahren 1917 und 1918 als auch die während des Kriegs entstandenen Aufzeichnungen der drei Journalisten Delandsheere, Ooms und Gille.64 Daneben wurde die in der Staatsbibliothek Berlin lagernde umfangreiche Sammlung von Schriften des Ersten Weltkriegs mit Belgienbezug genutzt. Presseberichte wurden nur in Einzelfällen verwendet, zumal das Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zur Flamenpolitik bereits gut erforscht ist.65 Für die Zwischenkriegszeit wurden vor allem Akten des Auswärtigen ­Amtes herangezogen. Sie ermöglichen es, die offizielle Perspektive auf Flamenpolitik 61 Wever, Greep; ders., Collaboratie; Doorslaer, België; Wouters, Führerstaat; Nestler; Weber; Wagner. 62 Rein betrachtend Willequet, Belgique. Zu Brügge: Schepens. Am wichtigsten: Majerus, Occu­ pations; ders., Vorstellungen; ders., Falkenhausen. Wenig überzeugend: Vos u. Lierneux. 63 Müller, Learning; Beyen u. Weers. 64 Gille u. a., Cinquante mois 4 Bde. 65 Dolderer, Imperialismus.

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und flämischen Nationalismus zu rekonstruieren, und bieten zudem Informationen über die Tätigkeit von Organisationen außerhalb der offiziellen Außenpolitik. Das gilt sowohl für andere Ministerien, etwa das Innenministerium, später das Propaganda- und das Reichswehrministerium, als auch für das Reichsarchiv sowie außenpolitische Vorfeldorganisationen, wie etwa die Stiftung »Volk und Reich«. Im Hinblick auf Belgien wurde insbesondere die Wirkung der Flamenpolitik auf den parteipolitischen flämischen Nationalismus der Zwischenkriegszeit untersucht. Neben der einschlägigen belgischen Forschungsliteratur dienten hierbei vor allem die Protokolle der Sitzungen der belgischen Abgeordnetenkammer als Quelle. Für die Untersuchung der Militärverwaltung, die in Belgien vom Mai 1940 bis Juli 1944 amtierte, wurden die im Studien- und Dokumentationszentrum Krieg und Gegenwartsgesellschaft (CEGESOMA) sowie im Bundesarchiv aufbewahrten Tätigkeitsberichte der Militärverwaltung sowie die Berichte des Beauftragten des Chefs der Sipo und des SD für Belgien und Nordfrankreich herangezogen. Auch hier gilt, dass die Berichte im Hinblick auf die vorgesetzten Leser in Berlin geschrieben wurden und zudem durch die Konkurrenz unterschiedlicher Besatzungsbehörden miteinander gefärbt sind. Im Gegensatz zu den Berichten des Ersten Weltkriegs wurden in den Tätigkeitsberichten der Militärverwaltung wesentlich mehr überprüfbare Daten genannt, die es beispielsweise erlauben, Aussagen über den Umfang der flämisch-nationalistischen Kollaboration zu machen. Die vorliegende Untersuchung ist chronologisch aufgebaut und in die zwei Teile »Die importierte Nation – Deutsche Flamenpolitik im Ersten Weltkrieg« und »Die Wirkungsgeschichte der ›importierten Nation‹ in Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg« gegliedert. Der erste und umfangreichere Teil beginnt mit einem kurzen Abriss zur Flämischen Bewegung und deutsch-flämischen Kontakten im 19. und frühen 20. Jahrhundert, um sich dann der deutschen Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs zu widmen. Die Kapitel 2 bis 4 beschäftigen sich mit der ersten Phase der Besatzung Belgiens von August 1914 bis zum Sommer 1916. Sie behandeln den Beginn der Flamenpolitik und die ihr zugrunde liegenden Absichten. Die Aufmerksamkeit gilt hierbei dem Verhältnis zwischen Besatzungsbehörden, Reichspolitik, flämischen Aktivisten und der deutschen Gesandtschaft in den Niederlanden. Hierbei wird die These untersucht, dass die Flamenpolitik keinem vorgefertigten Konzept folgte, sondern das Ergebnis der Auseinandersetzung verschiedener Akteure war. Der Sommer 1916 bildet in mehrerer Hinsicht eine Zäsur. Mit dem Antritt der Dritten Obersten Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg griff das Militär stärker als zuvor in die Belgienpolitik ein. Die Deportation belgischer Zwangsarbeiter war Teil des Versuchs, das Besatzungsgebiet stärker als bisher kriegswirtschaftlich auszubeuten. Gleichzeitig begann eine neue Phase der Flamenpolitik. Die Kapitel 5 bis 7 behandeln die zentralen Projekte der nun beginnenden Nation-Building-Politik: die Gründung der Flämischen Hochschule in Gent 1916, die Einrichtung eines Rates von Flandern, die Einführung der Verwaltungstrennung 1917 sowie 24

die Ausrufung der Selbständigkeit Flanderns. Neben der innerdeutschen Diskussion über die Flamenpolitik nehmen sie verstärkt die flämische Seite in den Blick. Die Frage nach dem Einfluss der Flamenpolitik auf die »Frontbewegung«, eine klandestine Organisation flämischer Soldaten im belgischen Heer, wird in einem gesonderten Kapitel behandelt. Dieser Teil endet mit einer Darstellung der letzten Monate der Besatzung und der Abwicklung der Flamenpolitik nach der deutschen Niederlage. Der zweite Teil behandelt die Wirkungsgeschichte der importierten Nation und die Frage nach einer etwaigen Kontinuität. Bedeutete die deutsche Niederlage 1918 auch ein Scheitern der Flamenpolitik? An die Teilnahme einer flämischen Delegation an den Friedensverhandlungen war angesichts des deutschen Zusammenbruchs 1918 nicht zu denken. Doch scheint die Frage berechtigt, ob es gelang, zumindest mittelfristig einen Bündnispartner zu etablieren. Um hierauf eine Antwort zu geben, soll die Entwicklung des flämischen Nationalismus in Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg im historischen Kontext skizziert werden. Die drei Kapitel zur Zwischenkriegszeit orientieren sich an den Phasen der deutsch-belgischen Beziehungen: erstens einer Phase der Konfrontation sowie der Anlehnung Belgiens an Frankreich von 1919 bis 1925; zweitens einer Phase der Entspannung von 1925 bis 1933, die mit der Unterzeichnung der Verträge von Locarno einsetzte und mit einer multilateralen Orientierung Belgiens einherging; und drittens einer mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnenden Phase außenpolitischer Unsicherheit, in die auch die Rückkehr Belgiens zur Neutralitätspolitik 1936 fällt. Diese Einteilung kann mit einigen Abstrichen auch auf die Betrachtung des flämischen Nationalismus angewandt werden: Auf eine Phase der organisatorischen Entwicklung, die mit der Gründung der Frontpartei 1919 begann, folgte 1925 eine Phase der Konsolidierung des flämischen Nationalismus als politischer Kraft in Belgien. Diese ging jedoch ab 1929 in einen sich verschärfenden Konflikt über, in dessen Zentrum die Frage nach der ideologischen Ausrichtung stand und der erst mit der Gründung des faschistischen VNV 1933 beendet wurde. Die letzten drei Kapitel behandeln die Besatzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg von 1940 bis 1944 und gehen der Frage nach, inwiefern nun die »Früchte der Flamenpolitik« geerntet werden konnten. Hierbei geht es weniger um einen diachronischen Vergleich der deutschen Besatzungsregime beider Weltkriege als vielmehr um Kontinuitäten und Brüche auf personeller und struktureller Ebene. Welche Transfers fanden statt und inwiefern kann eine Prägung von Besatzern und Besetzten durch ihr Erfahrungswissen aus der Zeit von 1914 bis 1918 festgestellt werden? Abschließend soll der Versuch unternommen werden, die Bedeutung des flämischen Nationalismus für die deutsche Besatzung des Zweiten Weltkriegs zu evaluieren.

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Teil I Die importierte Nation – Deutsche Flamenpolitik im Ersten Weltkrieg

1. Belgien, Flämische Bewegung und die deutsch-belgischen Beziehungen vor Beginn des Ersten Weltkrieges a) Bis zur Gründung des belgischen Staates 1830 Die Teilung der Niederlande, die mit dem Fall Antwerpens 1585 praktisch besiegelt war, ist sprachgeschichtlich von Bedeutung. Im Norden entwickelte sich das Niederländisch zur Hochsprache, und die Übersetzung der Bibel, die »Staten-​Bijbel«, leistete ähnlich wie die Luther-Bibel im deutschen Sprachraum einen wichtigen Beitrag zur Standardisierung der Sprache. Auch in den Wissenschaften entwickelte sich das Niederländisch neben dem Latein zu einer wichtigen Sprache.1 Im Süden spielte das Niederländisch keine vergleichbare Rolle, was auch mit der Auswanderung zahlreicher wohlhabender und gebildeter Einwohner in den Norden zusammenhing. Die Kirchensprache blieb Latein, und die Adligen des Landes sprachen selbstverständlich französisch miteinander. Von einer systematischen Verdrängung des Niederländischen kann allerdings keine Rede sein. Das Volk in Stadt und Land sprach niederländische Dialekte, und auch in der Hochkultur wurde es vereinzelt benutzt, ansonsten gab es vor allem niederländische Gebetbücher. Für das 18. Jahrhunderte sind niederländische Lesungen und sogar Zeitungen belegt.2 Ernsthaft bedroht wurde die niederländische Sprache erst, als die französischen Revolutionsheere  1794 das Gebiet der Österreichischen oder Südlichen Niederlande besetzten und der Nationalkonvent am 30. September  1795 ihre Annexion beschloss.3 Dies bedeutete, dass die Bürger der neuen Departements als französische Bürger betrachtet wurden und so schnell wie möglich assimiliert werden sollten. Hierbei bedienten sich die Franzosen der Sprachenpolitik. Nach der Devise »ein Volk, eine Republik, eine Sprache« (frz. »un peuple, une République, une langue«) wurden nicht-französische Sprachen und Dialekte als Waffen der Reaktion bekämpft. Die Französierung wurde von Anfang an radikal durchgesetzt und umfasste alle Bereiche: Rechtsprechung, Regierung,

1 Eine ausführliche Darstellung gibt Jorink. 2 Geerts, S. 564. 3 Décret sur la réunion de la Belgique & du pays de Liège à la république française. Du 9 ven­ démiaire an IV (30. September 1795), Collection générale des décréts rendus par l’Assemblée nationale (Collection Baudouin) Bd. 66, S. 71–73.

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Verwaltung, Unterrichtswesen. Aufschriften öffentlicher Gebäude und Straßenschilder mussten einsprachig französisch sein.4 Der Erfolg dieser Maßnahmen war vor allem im städtischen Bürgertum groß. Es profitierte ökonomisch von den Reformen der Franzosen und begriff die Besatzung als Chance, auch politisch die Macht zu ergreifen. Französisch war zudem die Sprache des Fortschritts und der Aufklärung. Dass der Erfolg der Sprachpolitik begrenzt blieb, lag daran, dass sie die meisten Menschen nicht erreichte: Sie konnten weder lesen noch schreiben.5 Nach der Niederlage Frankreichs folgte von 1814 bis 1830 ein niederländisches Intermezzo. Auf dem Wiener Kongress wurde beschlossen, Südliche und Nördliche Niederlande unter der Herrschaft des niederländischen Königshauses zu vereinigen. Das Vereinigte Königreich der Niederlande sollte als Pufferstaat stark genug sein, Frankreich die Stirn zu bieten. Als Wilhelm I. von Oranien 1814 die Regierung übernahm, sprachen schätzungsweise drei Viertel seiner Untertanen Niederländisch bzw. einen niederländischen Dialekt, wobei die Elite im Süden des Landes fast vollständig französiert war. Ähnlich wie die Franzosen führte der König eine Sprachenpolitik, die das Ziel verfolgte das Staatswesen zu vereinheitlichen. Allerdings sollte nun Niederländisch als einzige offizielle Sprache durchgesetzt werden.6 Diese Niederlandisierungspolitik stieß nicht nur im frankophonen Teil auf Schwierigkeiten. Auch in den flämischen Provinzen war es unmöglich, genügend einheimische Beamte zu finden, die ihre Aufgaben auf Niederländisch erfüllen konnten. Um die Pläne des Königs umzusetzen, mussten Beamte aus dem Norden entsendet und ein Konzept zur schrittweisen Einführung des Niederländischen entwickelt werden.7 Diese Maßnahmen trugen dazu bei, dass viele im Süden die Niederländer als Besatzer betrachteten. Gerade die ehemaligen republikanischen Beamten der französischen Zeit sahen mit Unbehagen die monarchische Restauration und fürchteten um ihre Stellungen. Entscheidend war jedoch, dass auch die katholische Kirche den neuen Herrscher mit Argwohn betrachtete. Der protestantische König wollte der römischen Kirche keineswegs jene Privilegien zurückgeben, die sie vor der französischen Herrschaft genossen hatte. Wilhelm befand sich also im Gegensatz sowohl zur ökonomischen als auch zur geistlichen Elite des Südens, vom frankophonen Teil der Bevölkerung ganz zu schweigen. Der »Monsterverbond« zwischen Katholiken und Liberalen, die ihre politischen Gegensätze begruben, um die niederländische Herrschaft zu bekämpfen, war die Voraussetzung für die belgische Revolution 1830 und die Errichtung eines unabhängigen Staates.8

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Deneckere, Taalpolitiek. Geerts, S. 567. Wal u. Bree, S. 380. Kossmann, S. 80. Istendael, S. 26.

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Die Zeit des Vereinigten Königreiches war insofern bedeutsam für die weitere Entwicklung, als erstmals größere Teile der Bevölkerung mit der niederländischen Standardsprache in Berührung kamen. Ohne die Jahre des Zwischenspiels wäre das Niederländisch in Flandern mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso zum Untergang verdammt gewesen wie im benachbarten Französisch-Flandern. Die Reformbemühungen Wilhelms hatten nicht zuletzt auf das Bildungssystem gezielt und mit dem Schuljahr 1829/30 war die Grundlage gelegt worden, die Schulen der flämischen Regionen vollständig zu niederlandisieren.9 Die Revolution von 1830 beendete diese Reform.

b) Belgien bis 1914 Sowohl die Regierung als auch der Nationalkongress des neu entstandenen Staates waren frankophon. Zwar stammten die Mitglieder mehrheitlich aus Flandern, doch sie sprachen die Sprache des revolutionären Bürgertums, also Französisch. Das Großbürgertum Flanderns war vollständig französiert, so dass von einer »sozialen Sprachgrenze« gesprochen werden kann. Die Verfassung des neuen belgischen Staates kannte keine Staatssprache. Artikel 23 bestimmte, dass der Sprachgebrauch in Belgien frei sei, tatsächlich lief dies jedoch auf den ausschließlichen Gebrauch des Französischen hinaus.10 Bereits am 16. November 1830 veröffentlichte die vorläufige Regierung einen Erlass, der Französisch zur alleinigen offiziellen Sprache machte. Nachdem die Freiheit, seine eigene Sprache zu verwenden, bestätigt wurde, hieß es: »[…] so muss man jedoch auf der anderen Seite berücksichtigen, dass sich die Sprachen Niederländisch und Deutsch, die von den Einwohnern einiger Gegenden gesprochen werden, von Provinz zu Provinz und manchmal von Distrikt zu Distrikt unterscheiden, so dass es unmöglich wäre, einen offiziellen Text der Gesetze und Verordnungen auf Niederländisch und Deutsch zu veröffentlichen«.11

Ein Gesetz aus dem folgenden Jahr sah zwar vor, Gesetze unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung ins Deutsche und Niederländische zu übersetzen, bestätigte jedoch auch, dass nur die französische Version als offiziell galt.12 Der Widerstand gegen die Französierung des öffentlichen Lebens war zunächst gering und auf »orangistische« Kreise noch von den Niederländern ausgebildeter Beamter be9 Velthoven, S. 3000 f. 10 Ebd., S. 3001–3004. 11 »[…] considérant d’autre part que les langues flamande et allemande, en usage parmi les habitans de certaines localités, varient de province a province, et quelquefois de district a district, de sorte qu’il serait impossible de publier un texte officiel des lois et arrêtés en langues flamande et allemande«. Zitiert nach Tixhon u. Stevens, S. 260. 12 Rillaerts, S. 10–13.

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schränkt. Ein Problem dieser ersten Sprachaktivisten war, dass die schlecht oder gar nicht gebildete flämische Bevölkerung Dialekt sprach und die niederländische Standardsprache ebenso für eine Fremdsprache hielt wie das Französische. Aber auch gebildete Flamen sahen in der 1821 eingeführten niederländischen Rechtschreibung nur eine der vielen Maßnahmen der Niederländer, die nun abgeschafft werden mussten. Der Kampf der entstehenden Flämischen Bewegung war also zunächst ein Kampf um die eigene Sprache und gegen den Verdacht, im Dienste des ehemaligen Besatzers zu stehen. Innerhalb der Bewegung gab es ebenfalls Gegensätze. Während die sogenannten Partikularisten eine eigene belgisch-flämische Rechtschreibung befürworteten, traten die Integrationisten für einen Anschluss an die nordniederländische Norm ein.13 Bei den einflussreichsten Partikularisten handelte es sich um katholische Priester, die den Dialekt aus romantischen, anti-reformatorischen und anti-­ aufklärerischen Motiven pflegen wollten. Die flämischen Dialekte schienen ihnen am besten geeignet, um ihre Schäfchen sowohl vor den gottlosen französischen als auch den protestantischen »holländischen« Ideen zu schützen. Dies traf etwa auf den Priester Guido Gezelle zu, einen der bedeutendsten flämischen Dichter seiner Zeit, der dennoch das Niederländisch für ungeeignet befand, um an Hochschulen oder in der Verwaltung verwendet zu werden.14 Trotz dieser Ambivalenz sorgte vor allem die katholische Kirche in ihren Schulen und Vereinigungen dafür, dass Niederländisch als Kultursprache in Belgien nicht nur von elitären Zirkeln gepflegt wurde. Die Integrationisten setzten sich 1844 durch, und die nordniederländische Rechtschreibung wurde in Belgien eingeführt, ein erster Sieg für die flämische Bewegung, die ansonsten eher in der Defensive war. Nach einem Jahrzehnt belgischer Unabhängigkeit fand der Unterricht an beinahe allen höheren Schulen auf Französisch statt, und ein Königlicher Erlass bestimmte 1849 Französisch zur einzigen Unterrichtssprache an den belgischen Universitäten.15 An den staatlichen Schulen Flanderns wurde Niederländisch erst 1850 Pflichtfach, d. h. zwei Schulstunden pro Woche mussten auf Niederländisch unterrichtet werden. Der größte Teil des belgischen Schulwesens war allerdings katholisch, und die »freien« Schulen verfuhren sehr unterschiedlich. Während einige Schulen viel Wert auf die Pflege der »flämischen« Sprache legten, erinnerte der Bischof von Brügge noch 1878 daran, dass in den Schulen ausschließlich Französisch gesprochen werden dürfe.16 Der Gegensatz zwischen einer teilweise sehr flämisch gesinnten katholischen Basis und dem eher frankophonen belgischen Episkopat bestimmte die Geschichte der Flämischen Bewegung bis weit ins 20. Jahrhundert.

13 Geerts, S. 572–580. 14 Willemyns u. Daniëls, S. 268–270. 15 Wende, S. 105. 16 Willemyns u. Daniëls, S. 220.

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Auf politischer Ebene entwickelte sich die Flämische Bewegung nur sehr langsam. Belgien war zwar 1830 der »demokratischste« Staat auf dem Kontinent, aber dank des Zensuswahlrechts waren bei den ersten Wahlen nur etwa 46.000 Belgier wahlberechtigt, von denen nur 30.000 dieses Recht auch ausübten, was 0,75 % der damaligen Gesamtbevölkerung (inklusive Frauen und Kinder) entsprach. Die belgische Verfassung führte ein Zweikammernsystem ein. Es gab eine Abgeordnetenkammer und den Senat, also das Oberhaus. In den Senat durften nur Belgier gewählt werden, die einen sehr hohen Zensus erfüllten, das waren 1831 etwa vierhundert Personen für die 50 Sitze des Senats.17 Die belgische Regierung senkte 1848 den Zensus, also die Höhe der Steuern, die zur Wahl berechtigte, und vergrößerte so das Elektorat. Diese Maßnahme trug dazu bei, ein Übergreifen der Revolution zu verhindern, hatte aber auch zur Folge, dass der Flämischen Bewegung nahestehende Kandidaten häufiger ins Parlament gewählt wurden. Die Anhänger der Bewegung entstammten vor allem dem Mittelstand, der am meisten von der Reform des Wahlrechts profitiert hatte.18 Die parlamentarische Arbeit führte 1856 zur Einrichtung einer Beschwerde­ kommission (ndl. »grievencommissie«), die sich mit flämischen Sprachenforderungen beschäftigen und Vorschläge für Gesetze erarbeiten sollte. Die Mit­glieder der Kommission schlugen vor, Flandern offiziell zweisprachig zu machen, was jedoch von der Regierung abgelehnt wurde.19 Diese Haltung der belgischen Regierung war allerdings längst nicht mehr zeitgemäß. Die Flämische Bewegung entwickelte sich im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Industrialisierung und der sich mit ihr verschärfenden Klassengegensätze. In Belgien zeigten sich viele politisch-ökonomische Charakteristika des Zeitalters wesentlich früher als in den Nachbarländern. Die stürmische Industrialisierung und Urbanisierung des Landes, das bereits vor 1850 sein Eisenbahnnetz komplettiert hatte, riss große Teile der Bevölkerung aus der bisherigen ländlichen Beschränktheit. Der Zentralstaat war nicht länger eine bloß abstrakte Angelegenheit, sondern griff mit einem wachsenden Beamtenapparat direkt in das Leben der Bevölkerung ein. Die Tatsache, dass die Verwaltungssprache vom Großteil der Bevölkerung nicht verstanden wurde, entwickelte sich mehr und mehr zu einem praktischen Problem. Im Parlament organisierten sich Abgeordnete über die Parteigrenzen hinweg, um Zweisprachigkeit für Flandern zu erreichen. In Antwerpen gewann 1862 die »Meetingpartij«, ein Zusammenschluss flämischer Liberaler und Katholiken, die Wahlen und regierte nun die größte Stadt Flanderns. Sie gewann auch einige Sitze im Parlament. Ein Abgeordneter der Partei, Jan de Laet, war 1863 der erste belgische Abgeordnete, der seinen Eid auf Niederländisch ab-

17 Noch 1910 gab es trotz einiger Reformen nur 1637 Personen in Belgien, die für einen Senatssitz infrage kamen. Luykx, S. 52–56. 18 Wever u. a., Patriotten. 19 Wal u. Bree, S. 382.

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legte.20 Entscheidend war jedoch, dass die Katholische Partei den Wert der flämischen Bewegung für die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft begriff. Die Mehrheit der Flaminganten wandte sich von den Liberalen ab, die ihrerseits die Bewegung mehr und mehr als klerikale Waffe betrachteten.21 In den folgenden Jahren wurden einige Gesetze und Verordnungen erlassen, die es in bestimmten Fällen ermöglichten, Niederländisch in Flandern zu verwenden. Es handelte sich allerdings ausschließlich um individuelle Rechte, und diese bezogen sich nur auf Flandern. Erst Anfang der 1870er Jahre wurden Gesetze verabschiedet, die der Verwaltung verbindliche Vorschriften machten. Ein vom Antwerpener Abgeordneten Edward Coremans eingebrachtes Gesetz schrieb den Gerichten in Flandern vor, in allen Fällen Niederländisch zu verwenden, in denen ein Angeklagter kein Französisch sprach. Anlass war der Fall der Flamen Jan Coucke und Pieter Goethals, die 1860 von einem wallonischen Gericht wegen eines Raubmordes zum Tode verurteilt worden waren. Das Gerücht, die beiden Angeklagten seien zu Unrecht hingerichtet worden, nachdem sie ihrem auf Französisch geführten Prozess nicht hatten folgen können, hatte einen Skandal verursacht.22 Obwohl in den folgenden Jahren eine Reihe von Gesetzen erlassen wurde, die Flandern zweisprachiger machten, dauerte es bis in die 1890er Jahre bevor Niederländisch als offizielle Sprache Belgiens anerkannt wurde. Ab 1886 gab es zweisprachige Münzen; Scheine und Briefmarken folgten 1888 bzw. 1891. Die niederländische Version von Gesetzen und Königlichen Erlassen wurde 1898 dem französischen Text gleichgestellt, nachdem sie vorher nur als Übersetzung gegolten hatte. Ermöglicht wurde dies – knapp 70 Jahre nach Gründung des Staates – durch die 1893 erfolgte Einführung des allgemeinen ungleichen Wahlrechts für Männer. Die flämische Bevölkerungsmehrheit war jetzt auch parlamentarisch repräsentiert.23 Belgien war nun offiziell ein zweisprachiges Land, de facto wurde jedoch lediglich Flandern zweisprachig, während Brüssel und Wallonien einsprachig französisch blieben. Die Anerkennung des Niederländischen führte auch keineswegs zu einer Beruhigung des Sprachenstreits. Der nun einsetzende Prozess wurde von einigen sogar als »Entkolonialisierung« bezeichnet.24 Während frankophone Flamen meistens genug Niederländisch sprachen, um sich der neuen Situation anzupassen, konnten viele Wallonen und einsprachig Frankophone dies nicht. Gerade in Wallonien stieg daneben die Furcht vor der Einführung des Niederländischen. Forderungen nach einer Föderalisierung kamen deshalb 20 Willemyns u. Daniëls, S. 217. 21 Wils, Messias, S. 50. 22 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Zweifel an dieser Version laut, die mittlerweile zum Kanon der flämischen Bewegung gehörte. Sowohl die Unschuld der beiden Angeklagten als auch die Behauptung, dass sie ihrem Prozess nicht folgen konnten, scheinen zumindest fragwürdig. Durnez, Coucke, Jan en Goethals, Pieter; In der EVB von 1973 wurde noch unhinterfragt die Propagandaversion wiedergegeben: Ruys. 23 Velthoven, S. 3006–3009. 24 Willemyns u. Daniëls, S. 225.

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zunächst in Wallonien auf, um die Gefahr eines flämisch-dominierten Zentralstaates zu bannen.25 Eine Schrift des wallonischen Sozialisten Jules Destrée mit dem Titel »Lettre au roi sur la séparation de la Wallonie et de la Flandre« sorgte 1912 für Aufsehen.26 Trotzdem blieb die Forderung nach einer Aufgabe des unitären Zentralstaates auf radikale Gruppen beschränkt.27 Dies gilt auch für Flandern, wo die Unzufriedenheit über die schleppende Umsetzung der Gleichberechtigung zunahm. Eine zentrale Vorkriegsforderung der Flämischen Bewegung war die Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule, die auf starken Widerstand der frankophonen Eliten stieß. Der belgische Kardinal Mercier erklärte beispielsweise 1906, dass Niederländisch nie eine Sprache der Wissenschaft sein könne.28 Diese Haltung des belgischen Episkopates brachte viele der mehrheitlich streng katholischen Flaminganten in arge Gewissensnöte. Gerade in der katholischen Studentenbewegung sammelten sich die eifrigsten Kämpfer für die flämische Sache. Der 1903 gegründete Allgemeine Katholische Studentenbund (ndl. »Algemeen Katholiek Vlaams Studentenverbond«  – AKVS) hatte sich ausdrücklich den Aufbau einer katholischen flämischen Kultur zum Ziel gesetzt.29 In der Studentenbewegung gab es auch erste großniederländische Initiativen; so fanden seit 1910 jährlich großniederländische Studentenkongresse abwechselnd an flämischen und niederländischen Universitäten statt.30 Um die Jahrhundertwende veränderte sich die Perspektive auf Flandern und die Flamen, was sich auch sprachlich bemerkbar machte. Zunehmend tauchten Begriffe wie »Volksgemeinschaft«, »Volksart« oder »Stammesbewusstsein« (ndl. »volksgemeenschap«, »volksaard«, »stambewustzijn«) auf, mit denen mehr und mehr auch ein ethnischer Begriff von Flandern zum Ausdruck gebracht wurde.31 Während sich Teile der flämischen Bewegung und hierbei vor allem Studenten radikalisierten und großniederländische und teilweise auch pangermanische Ideen entwickelten, stieg die Unzufriedenheit auch über die langsame Um­ setzung der Sprachgesetze. Für letztere war u. a. die Einführung des Verhältniswahlrechts 1900 verantwortlich, die zu einem Verlust der flämisch-katholischen Mehrheit im belgischen Parlament geführt hatte. Sprachgesetze konnten nunmehr nur noch mit der Unterstützung wallonischer Katholiken oder den Stim25 »Föderalisierung« bezeichnet im belgischen Kontext nicht die Zusammenfassung zu einer gemeinsamen föderalen Struktur, sondern im Gegenteil die Teilung des unitaristischen Zentralstaats. Goethem, Belgium, S. 19. 26 Petri, Flamenpolitik, S. 529. 27 Wever, Greep, S. 21. 28 Willemyns u. Daniëls, S. 224; Luykx, S. 253. 29 Gevers, S. 119. 30 Wever u. Wever, S. 147. 31 Während »volksgemeenschap« und »volksaard« bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts verwendet wurden, taucht »stambewustzijn« erstmals um die Jahrhundertwende auf und dann vor allem in einem großniederländischen Kontext. Das legt zumindest eine oberflächliche Analyse der Suchergebnisse auf dbnl.org nahe.

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men liberaler bzw. sozialistischer Abgeordneter durchgesetzt werden.32 Erst unmittelbar vor Kriegsbeginn kam wieder Bewegung in die Sprachgesetzgebung. Nun wurden Gesetze erlassen, welche das Unterrichtswesen und die Rechte niederländischsprachiger Rekruten in der belgischen Armee betrafen. Am 19. Mai 1914 erfolgte die Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Belgien. Ein Gesetz für die schrittweise Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule konnte wegen des Kriegsbeginns nicht mehr verabschiedet werden.33 Es wäre allerdings falsch, die belgische Politik vor dem Ersten Weltkrieg auf die Sprachenpolitik zu reduzieren, denn diese spielte über lange Phasen eine eher untergeordnete Rolle. Der beherrschende Gegensatz war jener zwischen den an Frankreich orientierten republikanischen Liberalen und dem politischen Katholizismus gewesen. Dieser hatte sich um Themen wie die Frage des Verhältnisses zwischen staatlichen und »freien«, also katholischen Schulen gedreht.34 Daneben spielte die soziale Frage eine entscheidende Rolle. Arbeitsschutzbestimmungen waren in Belgien lange Zeit praktisch unbekannt, und Streiks wurden noch in den 1880er Jahren häufig blutig niedergeschlagen.35 Karl Marx sprach in diesem Zusammenhang von Belgien als dem »Musterstaat des kontinentalen Konstitutionalismus, das behagliche, wohlumzäunte kleine Paradies des Grundbesitzers, des Kapitalisten und des Pfaffen. Die Erde vollendet ihre jährliche Umwälzung nicht sicherer als die belgische Regierung ihre jährliche Arbeitermetzelei«.36 Die heftigen Arbeitskämpfe führten zur Gründung der Belgischen Arbeiterpartei (ndl. »Belgische Werkliedenpartij«, frz. »Parti ouvrier belge«), welche den Liberalen mit der Einführung des allgemeinen ungleichen Männerwahlrechts bald den Platz als zweitstärkste Partei in der Abgeordnetenkammer streitig machte.

c) Deutschland und die flämische Bewegung vor 1914 Oscar von der Lancken, der von 1915 bis 1918 Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien und damit eine der zentralen Figuren der Flamenpolitik war, schrieb in seinen Memoiren, die deutsche Belgienpolitik sei nicht das Ergebnis einer langfristigen Planung gewesen, sondern aus der Situation heraus improvisiert worden. Er ging sogar soweit zu schreiben, die deutschen Soldaten hätten 1914 eine »terra incognita« betreten.37 Diese Darstellung war sicherlich übertrieben, denn ein Interesse an Flandern hatte es bereits zu Be32 Wils, Messias, S. 51. 33 Luykx, S. 252–255. 34 Ebd., S. 168–174. 35 Ebd., S. 188–191. 36 Marx u. Engels, S. 350. 37 Lancken, S. 212 f.

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ginn des 19. Jahrhunderts gegeben. Ernst Moritz Arndt, Jacob Grimm, Ludwig Uhland, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben hatten sich mit Flandern beschäftigt. Letzterer hatte auch Kontakt zu Jan Frans Willems, einem frühen Flaminganten. Vor der 1848er Revolution hatte es einen intensiven Kontakt zwischen flämischen und deutschen Gesangsvereinen gegeben. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Flandern, den Niederlanden und Deutschland bestand hierbei nicht nur auf deutscher Seite.38 Vor dem Ersten Weltkrieg interessierte man sich vor allem in völkischen Kreisen, aber nicht nur dort, für Belgien und die Flamen. Der Alldeutsche Verband hatte bereits um die Jahrhundertwende unter dem Titel »Germania« eine deutsch-flämische Zeitschrift herausgegeben, mit dem Ziel den Austausch zwischen Deutschland und der flämischen Bewegung zu fördern.39 Die Belgien-Experten aus diesem und anderen Kreisen40 wandten sich nach dem Einmarsch mit Denkschriften an verschiedene Regierungsstellen, so dass von der Lanckens Aussage zumindest relativiert werden muss. Belgien und die flämische Bewegung waren in Deutschland durchaus bekannt, und die Kenntnisse und Kontakte aus der Vorkriegszeit spielten für die Besatzungspolitik eine wichtige Rolle. So interessant diese ideologischen und personellen Bezüge sind, eine Kontinuität der Flamenpolitik als Regierungspolitik belegen sie nicht, denn die deutsche Vorkriegspolitik behandelte die flämische Frage mit gutem Grund als innere Angelegenheit Belgiens. Die Gesandtschaft in Brüssel berichtete zwar regelmäßig über die flämische Bewegung und begrüßte auch deren zunehmenden Einfluss als eine für Deutschland positive Entwicklung. Hierbei wurde jedoch konsequent die Ansicht vertreten, dass eine deutsche Einmischung der Bewegung eher schaden als nützen würde, da sie den Gegnern der flämischen Bewegung, die diese als pangermanisch brandmarkten, Argumente geliefert hätte.41 Auch für die Behauptung Van Goethems, Deutschland habe bereits seit Bismarck eine aktive Kulturpolitik in Flandern geführt, u. a. über deutsche Kulturvereine, finden sich keine Belege.42 Die große Zahl deutscher Vereine in Antwerpen erklärte sich nicht durch die außenpolitischen Ambitionen des Kaiserreichs, sondern durch die Größe der deutschen Community. Diese interessierte sich übrigens wenig für die Flämische Bewegung, sondern orientierte sich eher

38 Uffelen, S. 19–34. 39 Hierzu ausführlich: Yammine, Drang. 40 Neben die Alldeutschen stellt Dolderer eine neue Generation von Flamenfreunden, die vor allem ab 1911 eine »neue Sicht auf die Flamenfrage« entwickelt hätten. Zu diesen zählt er die Niederdeutschen Conrad Borchling und Franz Fromme, Robert Paul Oszwald sowie katholische Studentengruppen. Im Unterschied zu den Alldeutschen hätten in ihren Publikationen politische Erwägungen keine Rolle gespielt. Während des Ersten Weltkriegs habe dann eine Synthese mit alldeutschen Gedanken stattgefunden. Dolderer, Imperialismus, S. 28–33. 41 Wiederholt wurde von französischer Seite auf die flämischen Mitarbeiter der »Germania« hingewiesen und auf deren Kontakte zu den Alldeutschen. Bitsch, S. 321. 42 Goethem, 1942, S. 49.

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am frankophonen, liberalen Bürgertum – ein Umstand, den Antwerpener Flaminganten mehrfach beklagten.43 Vor 1914 gab es keine deutsche Flamenpolitik, um dies zu illustrieren, lohnt sich der Vergleich mit Frankreich. Paris führte nämlich im Gegensatz zum Reich eine aufwendige und zuweilen aggressive Belgienpolitik, wobei die »Grande ­Nation« das kleine Nachbarland ganz selbstverständlich als Teil der französischen Einflusssphäre behandelte. Aus der Perspektive der französischen Sprachenpolitik erschien die flämische Bewegung als Gefahr. Zu ihrer Bekämpfung wurde mit Unterstützung des französischen Generalkonsuls in Antwerpen, die »Association pour la vulgarisation de la langue française« gegründet und diskret von der »Alliance française« unterstützt. Sie bot nicht nur Sprachkurse in flämischen Städten an, sondern spielte auch im Kampf gegen die niederländische Sprache in der Armee und in den Universitäten eine wichtige Rolle.44 Die hohen französischen Ausgaben zur Weltausstellung in Gent 1913 rechtfertigte der französische Handels- und Industrieminister, Fernand David, vor der Nationalversammlung ausdrücklich als einen Beitrag im Kampf gegen die Niederlandisierung der Universität Gent.45 Diese Bemerkung sorgte in Belgien für Empörung, denn das Land war durchaus keine französische »Ostmark«, wie dies später in der deutschen Propaganda dargestellt wurde.46 Die Zurückweisung der französischen Einflussnahme war ein Punkt, den der größte Teil der belgischen Eliten mit der flämischen Bewegung gemeinsam hatte.47 Das an­ maßende und ungeschickte Auftreten der Pariser Politik belastete die Vorkriegsbeziehungen mit Brüssel, während das Verhältnis mit dem Nachbarn im Osten entspannter war. Die deutsche Außenpolitik vermied Kommentare zur belgischen Innenpolitik und warnte vor der Schädlichkeit alldeutscher Propaganda für das Verhältnis zu Belgien.48 Der Alldeutsche Verband fungierte in diesem Zusammenhang also keineswegs als eine Vorfeldorganisation der deutschen Re43 Vrints, »Klippen«, S. 9–13. 44 Ebd., S. 322–324. 45 Waele, Frankrijk-Vlaanderen, S. 1173–1178. 46 Dirr, Belgien. Dirr versuchte in seinem umfangreichen Werk darzulegen, dass Belgien schon vor dem Krieg auf der Seite der Westmächte, insbesondere Frankreichs gestanden habe. In seiner Darstellung bediente er sich großzügig bei Maurits Josson, einem Autor, der 1913 ein Buch über die mehr als 1000-jährigen Versuche Frankreichs, das Gebiet des heutigen Belgiens zu beherrschen, veröffentlichte. Auch wenn Josson durchaus eine französisch-belgische Partei in Belgien ausmachte, die noch aus Zeiten der napoleonischen Besatzung datiere und den französischen Annexionismus stütze (S. 663), so sah er in der französischen Politik doch vor allem eine Gefahr für ganz Belgien, was auch im Titel »Frankreich, der Jahrhunderte alte Feind von Flandern und Wallonien« zum Ausdruck kam. Josson. 47 Die Ansicht, dass Belgien ein französischer Satellit sei, war allerdings auch in der Flämischen Bewegung weit verbreitet. Dies war u. a. ein Ergebnis der starken Präsenz der Pariser Presse in Belgien, deren Standpunkte häufig von frankophonen belgischen Blättern übernommen wurden. Die offiziöse Presse distanzierte sich von allzu frankophilen Äußerungen, die katholische Presse war teilweise offen feindlich gegenüber der Republik. Bitsch, S. 512. 48 Gotovitch, Légation, S. 476.

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gierungspolitik, auch wenn dies im Nachhinein so erscheinen mag. Erst mit dem Einmarsch in Belgien gewannen Positionen aus diesem Lager in der offiziellen Belgien- und namentlich der Flamenpolitik an Einfluss. Für die Vorkriegszeit bleibt jedoch festzuhalten: Die deutsche Flamenpolitik vor 1914 bestand darin, keine Flamenpolitik zu machen.

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2. Sondierungsphase – Die Gründung des deutschen Generalgouvernements nach dem Einmarsch in Belgien und erste deutsch-flämische Kontakte

Der detaillierten militärischen Planung für den Krieg im Westen stand eine bemerkenswerte Konzeptionslosigkeit gegenüber, was den zukünftigen Status Belgiens anging.1 Vieles spricht dafür, dass man nicht mit einer längeren Besatzung rechnete, sondern davon ausging, dass Belgien angesichts der deutschen Übermacht den Durchmarsch nach Frankreich dulden würde. Am 4. August 1914 gab Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vor dem Reichstag den Einmarsch in Belgien bekannt. Deutschland handle in Notwehr und daher nach dem Prinzip »Not kennt kein Gebot«. Er räumte jedoch ein, dass der Einmarsch einen Bruch des Völkerrechts darstellte und die belgische Regierung zu Recht protestiert habe. Deutschland werde versuchen, das begangene »Unrecht« wieder gut zu machen, sobald sein militärisches Ziel erreicht sei. Das Versprechen, die »Unabhängigkeit und Integrität Belgiens« nicht anzutasten, wurde allerdings an die Bedingung geknüpft, dass England neutral bleibe – eine merkwürdige Einschränkung angesichts der vorherigen Anerkennung der Völkerrechtswidrigkeit des Einmarsches.2 Bethmann Hollweg verfolgte mit dieser Rede unterschiedliche Ziele. Innenpolitisch sollte die Fiktion eines Verteidigungskriegs aufrechterhalten werden, obwohl Deutschland nach dem Überfall auf das neutrale Belgien eindeutig der Aggressor war. Außenpolitisch sollten das Schuldeingeständnis und die – wiewohl eingeschränkte – Zusage, die Unabhängigkeit des Landes wiederherzustellen, die belgische Regierung doch noch dazu bewegen, den Durchmarsch zu dulden.3 Vor allem jedoch war die Rede ein letzter Versuch, Großbritannien vom Kriegseintritt abzuhalten. Das Schuldeingeständnis und die Erklärung, Belgien nach dem Krieg in seiner bisherigen Form wiederherzustellen, waren also nicht das Ergebnis einer moralischen Beurteilung des Einmarsches, sondern folgten politischen Nützlichkeitserwägungen. Sie sind aber auch ein Hinweis darauf, dass es noch kein Konzept für die Zukunft Belgiens gab. Der Appell des Kanzlers verhallte allerdings ungehört. Belgien leistete weiterhin Widerstand, und Großbritannien er1 Die teilweise Besetzung Frankreichs 1870 spielte in der Vorbereitung des Kriegs keine Rolle. Majerus, Vorstellungen, S. 35. 2 Reichstagsrede vom 4. August 1914, in: Bethmann, S. 3–12, hier S. 8–10. 3 Wende, S. 25 f.

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klärte Deutschland noch am gleichen Tag den Krieg. Erst jetzt begann man in Berlin, Pläne für die Besatzung des Landes zu schmieden. Die Geschwindigkeit, mit der nun Vorstellungen alldeutscher und anderer selbsternannter Belgien­ experten Eingang in die Überlegungen der Reichsleitung fanden, kann hierbei als ein weiterer Beleg für den improvisierten Charakter der Belgienpolitik gelten. In der deutschen Führung kursierten zahlreiche Denkschriften und die unterschiedlichsten Vorschläge und Ansätze hierzu. Kurt Riezler, ein enger Vertrauter Bethmann Hollwegs, beschrieb eine Besprechung, die am 22. August 1914 im großen Hauptquartier stattfand: »Es beginnen schon die Siegespreispläne. [Der Staatssekretär des Äußern Gottlieb von] Jagow will Belgien aufteilen. Wir haben uns heute die Karte angesehen. Ich predige immer Errichtung von Vasallenstaaten.[…] [Bethmann berichtet:] Der Kaiser hätte bereits gesagt, Belgien müsse annektiert werden. Er habe ihn zunächst reden lassen, ihm nur später den Floh ins Ohr gesetzt, dort wären so viele Katholiken. Belgien wollen die Militairs verschwinden machen, es zu erhalten setze er nicht mehr durch. Daher Aufteilung zwischen Holland [,] Frankreich und uns«.4

Das bizarre Bild der Spitzenbeamten und Militärs, die sich siegesgewiss über den Kartentisch beugen, um die Nachkriegsordnung zu entwerfen, zeigt zweierlei: einerseits die Abwesenheit eines von langer Hand vorbereiteten Masterplans zur Besetzung Belgiens, andererseits, dass drei Wochen nach Kriegsbeginn völkerrechtliche Erwägungen keine Rolle mehr spielten. Eine uneingeschränkte staatliche Wiederherstellung Belgiens stand nicht mehr zur Debatte, und dieser Haltung der Führung entsprach jene weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit.5 Sogar die SPD-Fraktion lehnte im Reichstag mehrheitlich einen Antrag Karl Liebknechts ab, der die bedingungslose Wiederherstellung Belgiens gefordert hatte.6 Die Positionen waren teilweise so extrem, dass die im »September-Programm« formulierten Überlegungen Bethmann Hollwegs, Belgien indirekt zu beherrschen, geradezu gemäßigt wirken. Einige interpretierten sie vor allem als einen Versuch, Forderungen nach einer direkten Annexion des Landes abzuwehren.7

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Riezler, S. 201. Bischoff, Kriegsziel, S. 94 f. Wende, S. 44. So etwa Wende, S. 26–30. Wende beschreibt den Kanzler sogar als »frei von annexionistischen Neigungen«. Dieser habe lediglich die Notwendigkeit gesehen, annexionistischen Bestrebungen »durch eine eigene Kriegszielkonzeption zu begegnen«. (ebd. S. 30). Das vom Kanzler als Programm der Mäßigung betrachtete September-Programm sah aber immerhin noch die Annexion Lüttichs und unter Umständen auch Antwerpens vor. Fischer, S. 93.

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a) Die Einrichtung des Generalgouvernements Belgien und erste Ansätze zu einer Flamenpolitik Am 23. August 1914, in einer Situation großer Siegeszuversicht auf deutscher Seite, befahl eine Allerhöchste Kabinettsordre die Einrichtung eines Kaiser­ lichen Generalgouvernements im Königreich Belgien. Zum Generalgouverneur wurde Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz ernannt, den bereits am 27. November 1914 General Moritz von Bissing ablöste. Dieser amtierte bis zu seinem Tod am 18. April 1917. Sein Nachfolger General Ludwig von Falkenhausen bekleidete das Amt dann bis zum Ende des Krieges. Der Generalgouverneur unterstand nur dem Kaiser und war damit der Kontrolle durch die Reichsleitung und den Reichstag entzogen, ebenso wenig unterstand er der Obersten Heeresleitung. Allerdings ressortierten die Beamten der Zivilverwaltung beim Reichsamt des Innern, so dass de facto auch die Reichsleitung an der Verwaltung beteiligt war. Der Generalgouverneur übte im Besatzungsgebiet die oberste militärische und zivile Gewalt aus. Hierfür unterstanden ihm militärische und zivile Stellen, einerseits die Militärgouverneure, die an die Stelle der belgischen Provinzgouverneure traten sowie andererseits die am 2. September 1914 eingerichtete Zivilverwaltung, an deren Spitze Maximilian von Sandt stand.8 Das Generalgouvernement umfasste nie das gesamte belgische Staatsgebiet. Nachdem sich die belgische Front im November 1914 stabilisiert hatte gehörten die belgischen Provinzen Antwerpen, Brabant, Limburg, Lüttich, Luxemburg und Namur sowie ein Teil der Provinz Hennegau zum Generalgouvernement. Die Provinzen Ost- und Westflandern gehörten hingegen zum Etappen- bzw. Operationsgebiet der 4. Armee und die Küste unterstand der deutschen Marine. Einige Teile Westflanderns wurden bis zum Kriegsende von belgischen und Truppen der Entente gehalten (siehe Abb. 1). Ein großer Teil der flämischen Provinzen gehörte also nicht zum Generalgouvernement, und die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den deutschen Behörden der unterschiedlichen Besatzungsgebiete dauerte den gesamten Krieg an. Den Generalgouverneuren gelang es dabei trotz zahlreicher Übereinkünfte nicht, ihren Machtbereich auch auf das Etappengebiet auszudehnen. Dies hatte Folgen für die Flamenpolitik, zumal es auch innerhalb der Etappenbehörden unterschiedliche Ansichten zur Flamenfrage gab. Während die Etappeninspektion die radikale Gruppe »Jungflandern« von Beginn an tatkräftig unterstützte, stand das für Ostflandern zuständige Armeeoberkommando 4 der Flamenpolitik insgesamt eher skeptisch gegenüber. Sowohl im Etappengebiet als auch im Generalgouvernement gab es nebeneinander eine Militär- und eine Zivilverwaltung, wobei letztere die im Land verbliebene belgische Verwaltung beaufsichtigte. Die Trennung zwischen Militär- und Zivilverwaltung war im Etappengebiet weniger scharf als im General8 Roolf, Generalgouvernement; Köhler, S. 17–39.

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Abb. 1: Grenzen des Generalgouvernements (blau) sowie ungefähre Lage des Etappen- und Operationsgebiets der Armee (grün), des Marinegebiets (oliv) und des unbesetzten Belgiens (dunkelrot). Die Grenzen wurden mehrfach leicht verändert. Die Karte zeigt den Zustand 1917.

gouvernement, so dass etwa im westflämischen Brügge oder im ostflämischen Gent die rein militärischen Stellen mehr mit der Verwaltung zu tun hatten, als dies in Brüssel, das im Generalgouvernement lag, der Fall war. Das blieb auch so, nachdem im Sommer 1915 zahlreiche zivile Aufgaben im Etappengebiet an das Generalgouvernement übertragen worden waren. Schon die für die Etappe geltenden strikten Reisebeschränkungen gaben den Militärbehörden ausreichend Möglichkeiten, um ihnen nicht genehme Maßnahmen zu behindern. Die Armeeoberkommandos mussten zudem Verordnungen des Generalgouverneurs zustimmen, bevor diese im Etappengebiet in Kraft traten.9 Diese Strukturen wurde noch dadurch verkompliziert, dass die Generalgouverneure Abteilungen, Kommissionen und Ausschüsse ins Leben riefen, die nur ihnen unterstanden. Am 13. Februar 1915 wurde die Politische Abteilung 9 Übereinkunft zwischen dem Generalgouvernement Belgien und den Armeeoberkommandos 4 und 6. Großes Hauptquartier, 16. Juni 1915, BArch, N 1143/8, S. 1–3.

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beim Generalgouverneur in Belgien ins Leben gerufen, die für alle wichtigen politischen Themen zuständig war. Sie bearbeitete diplomatische Fragen ebenso wie die Innenpolitik, worunter Kirchen- und Flamenpolitik fielen, aber auch der Kontakt zum für die Versorgung der Zivilbevölkerung so wichtigen belgisch-amerikanischen Ernährungswerk. In ihre Zuständigkeit fielen auch die Presse und die belgischen Archive.10 An ihrer Spitze stand der Diplomat Oscar von der Lancken, der zunächst Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Generalgouverneur gewesen war. Auch wenn die Politische Abteilung in Brüssel nur dem Generalgouverneur unterstand, blieb ihr Chef Teil des Auswärtigen Amtes, weshalb auch von einem »doppelten Unterordnungsverhältnis« gesprochen wurde.11 Der Regierungsstil der Generalgouverneure trug deutlich Züge eines persönlichen Regiments, in dem immer wieder Beauftragte neben der eigentlichen Verwaltung ernannt wurden. So machte Generalgouverneur Bissing den Augsburger Stadtarchivar Pius Dirr zu seinem »persönlichen Beauftragten für Flamenpolitik«. Sein wohl engster Berater war sein Sohn Friedrich Wilhelm von Bissing.12 Während der Besatzung wurden die Strukturen der Besatzungsverwaltung mehrere Male stark angepasst. Im Zuge der 1917 beschlossenen Verwaltungstrennung Belgiens in Flandern und Wallonien, wurde auch die deutsche Zivilverwaltung in zwei für die neu entstandenen Landesteile zuständige Behörden geteilt. Ludwig von Falkenhausen entzog ab 1917 der Politischen Abteilung die meisten Kompetenzen, die sie von seinem Vorgänger erhalten hatte. Wenn die Machtverhältnisse im besetzten Belgien schon aus der historischen Distanz kaum zu durchschauen sind, so galt dies umso mehr für die Zeitgenossen. Die Reichsbehörden konnten sich auf Grundlage von Tätigkeits- und Verwaltungsberichten nur ein ungefähres Bild von den Verhältnissen im Besatzungsgebiet machen. Mehr als einmal wurden sie von den Entwicklungen überrascht. Die deutsche Verwaltung versuchte zunächst so weit wie möglich, sich auf die einheimische Verwaltung zu stützen. Der neu ernannte Zivilverwaltungschef Sandt bemerkte hierzu, es sei ausgeschlossen, den »bisherigen Verwaltungsapparat durch eine völlig neue, durch deutsche Beamte geführte Organisation zu ersetzen«, da nicht einmal ausreichend französisch sprechende deutsche Beamte vorhanden waren.13 Die belgischen Ministerien hatten nämlich keineswegs ihren Betrieb eingestellt, und die deutsche Verwaltung machte sich zunächst Gedanken, wie sie sich zu dieser Tatsache verhalten sollte.14 An die Stelle der 10 Lancken, S. 121, 140. 11 Winterfeldt, S. 69. 12 Roolf, Anliegen, S. 91 f.; Gertzen, S. 99 f. 13 Bericht des Verwaltungschefs beim Generalgouverneur in Belgien. Brüssel, 27. September 1914, GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 875, Okkupationen Nr. 11 adh 2 Bd. 1, S. 36. 14 So fand Sandt bei einem Besuch im Industrie- sowie im Finanzministerium einen geregelten Betrieb vor, die Behauptung Köhlers, die Staatsverwaltung habe nicht nur still gestanden, sonderen sei »völlig funktionsunfähig geworden«, ist daher zumindest fragwürdig. Sitzung der Zivilverwaltung unter Vorsitz Sandts. Brüssel, 5. September 1914, BArch, N 1143/40, S. 8;

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belgischen Minister traten deutsche Generalreferenten, welche die Arbeit der Ministerien überwachten. Die belgischen Beamten blieben auf ihren Posten, wenn sie sich bereit erklärten, loyal mit der Besatzungsmacht zusammenzuarbeiten. Beamte, die nicht gebraucht wurden, aber die Loyalitätserklärung abgaben, erhielten zwei Drittel ihrer Bezüge. Diese Regelung fand beispielsweise Anwendung auf die Professoren der staatlichen Universitäten in Gent und Lüttich, die während des Kriegs den Lehrbetrieb eingestellt hatten. In den Provinzen und Kreisen ersetzten Deutsche die höheren belgischen Beamten, die lokale belgische Verwaltung blieb hingegen weitgehend unangetastet.15 Die erste Erwähnung der flämischen Bewegung durch den Reichskanzler mutet in diesem Kontext zurückhaltend an. Bethmann Hollweg empfahl dem Zivilverwaltungschef, die »kulturelle vlämische Bewegung« in Belgien nach Möglichkeit zu unterstützen, wobei er sich hiervon vor allem eine positive Wirkung auf das Verhältnis zu den neutralen Niederlanden versprach.16 Woher der Reichskanzler die Anregung zur Berücksichtigung der Flamen bekam, ist unbekannt.17 Die deutsche Gesandtschaft in Brüssel hatte bereits vor dem Krieg über die Flämische Bewegung berichtet. Daneben wurden wie erwähnt nach Kriegsbeginn zahlreiche Denkschriften an zivile und militärische Institutionen gerichtet. Einen starken Eindruck auf den Kanzler machte offenbar die Denkschrift des Alldeutschen Max Robert Gerstenhauer, zumindest ließ er diese am 8. September 1914 an Sandt weiterleiten ließ. Gerstenhauer, der als Oberleutnant an der französischen Front kämpfte, kritisierte die deutschen Besatzungsbehörden, denen er vorwarf, die Flamen noch französischer als die belgische Verwaltung zu regieren. Er sah hierin eine vertane Chance. Denn bei richtiger Behandlung, würden die Flamen Deutschland als »Retter und Befreier vor der Französierung« begrüßen, und der Rest Belgiens könne »kampflos« erobert werden. Gerstenhauer verwies auf seine zahlreichen persönlichen Kontakte in Flandern, da er um die Jahrhundertwende für die deutsch-flämische Zeitschrift »Germania« gearbeitet hatte.18 Gerstenhauer war nicht irgendjemand, sondern Vorstandsmitglied des Alldeutschen Verbandes und Autor des völkischen Bestsellers »Rassenlehre und Rassenpflege«.19 Dass Bethmann Hollweg dem Zivilverwaltungschef ausgerechnet die Ratschläge dieses Herrn zur Lektüre empfahl,

Köhler, S. 13; Allerdings sprach auch Sandt 1916 davon, dass man »auf den vorgefundenen Trümmern der Ministerien aufgebaut« habe. Protokoll zur Beratung über die Genter Hochschule am 8. und 9. März 1918, in: Langendries Bd. 1, S. 422. 15 Köhler, S. 16 f., 34–36. 16 Wende, S. 75 f. 17 Dolderer, Imperialismus, S. 41. 18 Namentlich erwähnte er Pol de Mont, Haller von Ziegesar und Hippoliet Meert. Schreiben Gerstenhauer vom 30. August 1914 und Aktennotiz über die Weitergabe an Verwaltungschef von Sandt am 8. September 1914. BArch, R 43/2463, S. 95 f. und 104; Zur Geschichte der »Germania« ausführlich: Yammine, Drang. 19 Gerstenhauer.

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belegt die Bedeutung der völkischen Kontakte nach Flandern in dieser Frühphase der Flamenpolitik. Großen Eindruck machten diese Empfehlungen auf die Behörden vor Ort nicht. Im ersten Bericht des Verwaltungschefs wurden die Flamen mit keinem Wort erwähnt.20 Den Vorschlag des Preußischen Kriegsministers, einen Pressereferenten für die Behandlung der flämischen Frage einzustellen, lehnte Generalgouverneur Goltz am 6. September 1914 ab.21 Die deutsche Verwaltung hatte andere Sorgen und konzentrierte sich zunächst auf die Beruhigung der Lage. Erste Maßnahmen zugunsten der niederländischen Sprache Ende November 1914 waren eher symbolischer Art. Um zu zeigen, dass »die vlämische Bevölkerung und ihre Sprache dem deutschen Volke näherstehe als das Welschtum«, hieß es Mitte Dezember 1914 im deutschen Verwaltungsbericht, folge in offiziellen Verlautbarungen dem deutschen nun »erst der vlämische und dann der französische« Text.22 Die Flamenfrage gewann jedoch an Interesse, als sich die Deutschen nach der verlorenen Flandernschlacht im November 1914 auf einen längeren Krieg und eine dauerhafte Besatzung Belgiens einstellen mussten. Daneben spielten auch Kontakte eine Rolle, die in den ersten Monaten des Kriegs geknüpft worden waren. Teilweise waren Persönlichkeiten der Flämischen Be­ wegung von Deutschen angesprochen worden, teils hatten sie von sich aus Kontakt mit den Besatzungsbehörden gesucht.23 Der Beginn der Flamenpolitik fiel auch mit der Ablösung Goltz’ durch Bissing zusammen. Die treibende Kraft war jedoch eindeutig Reichskanzler Bethmann Hollweg. Dieser empfahl dem neuen Generalgouverneur die För­derung der flämischen Bewegung und regte u. a. die »Ausgestaltung der Universität in Gent zu einer flämischen Lehranstalt« an.24 Bissing empfing auch den alldeutschen Herausgeber der »Rheinisch-Westfälischen Zeitung«, Theodor Reismann-Grone. Dieser hatte um die Jahrhundertwende die deutsch-flämische Zeitschrift »Germania« finanziert. Auch wenn man Belgien wieder aufgeben müsse, erklärte Reismann-Grone gegenüber dem Generalgouverneur, so 20 Bericht Verwaltungschef Sandt an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 6. September 1914, BArch, R 43/2463, S. 83. 21 Abschrift eines Schreiben des Preußischen Kriegsministers Erich von Falkenhayn an den Staatssekretär des Äußern Jagow. Großes Hauptquartier, 1. September 1914; Staatssekretär des Äußern Jagow an Auswärtiges Amt. Luxemburg, 6. September 1914, PA AA, R 21362, S. 46–48. Der vom Kriegsministerium vorgeschlagene Hauptmann der Reserve Sachs fand dann beim Oberkommando der in Flandern stationierten 4. Armee Verwendung. Protokoll der Beratung über die Genter Hochschule. Brüssel, 8. und 9. März 1916, in: Langendries Bd. 1, S. 400. 22 Verwaltungschef Belgien, Verwaltungsbericht für die Zeit vom 14. November bis 13. Dezember 1914, S. 18. 23 Dolderer, Imperialismus; Vanacker, Avontuur; Vrints, Stad. 24 Schreiben Reichskanzler Bethmann Hollweg an Generalgouverneur Bissing. Berlin, 16. Dezember 1914; Antwortschreiben Bissings, Brüssel, 10. Januar 1915, PA AA, R 21362, S. 122–124, 148–159.

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könne man es doch durch die Flamen zerstören. Das »Phantom Belgien« bleibe ein Feind.25 Der Generalgouverneur reagierte auf diese Vorschläge verhalten.26 Dem Reichskanzler antwortete Bissing am 10. Januar 1915 mit einem ausführlichen Schreiben, in dem er vor Illusionen warnte, die von Radikalen geweckt würden, und zur Realpolitik mahnte. Als erste Maßnahmen erwähnte er die Umsetzung belgischer Gesetze zugunsten der Flamen, die Förderung flämischer Zeitungen und Zeitschriften, den Kontakt mit einflussreichen Flamen, nicht näher genannte wirtschaftliche Maßnahmen sowie die Voranstellung des niederländischen Textes vor dem französischen bei öffentlichen Bekanntmachungen.27 Am 11. Januar 1915 wurde auf Anregung Bethmann Hollwegs die Einrichtung eines Ausschusses für flämische Angelegenheiten beschlossen.28 In einem ersten Versuch, die Politik gegenüber den Flamen zu systematisieren, wurden außerdem Richtlinien an die Zivil- und Militärbehörden des Generalgouvernements verschickt. Der Ausschuss für flämische Angelegenheiten wurde der neugebildeten Politischen Abteilung unterstellt, was einen Protest des Staatssekretär des Innern, Clemens Delbrück, hervorrief. Dieser kritisierte, dass dem Verwaltungschef die Zuständigkeit für die Flamenpolitik entzogen worden war, dem, wie er sich ausdrückte, »wichtigsten Gebiete der ganzen belgischen Okkupationsverwaltung«. Der Staatssekretär des Innern wollte auch deshalb über flämische Angelegenheiten unterrichtet werden, weil er die Flamenpolitik als Vorbereitung für eine mögliche »Angliederung« an Deutschland betrachtete.29 Die Behörden des Generalgouvernements trugen den Bedenken aus Berlin zumindest formell Rechnung, und der Ausschuss für flämische Angelegenheiten wurde zu einer 25 Tagebuch Reismann-Grone, Eintrag vom 17. Dezember 1914, Sammlung Reismann-Grone, Stadtarchiv Essen, 652/132 (handschriftliche Version), 652/134 (maschinenschriftlich). In der belgischen Historiographie wird das Zitat zumeist fälschlicherweise Bissing zugeschrieben. Müller u. Dolderer. 26 Nachdem sich der Verleger mit einem weiteren Plädoyer für eine energische Flamenpolitik an den Generalgouverneur wandte, antwortete Bissing mit einem unverbindlichen Dankschreiben und teilte mit, dass die Vorschläge »einigermaßen überholt« seien, da bereits Maßnahmen in dieser Richtung getroffen worden seien. Er verwies zudem auf die Einrichtung einer besonderen Amtsstelle zum Studium der flämischen Frage und versprach, alle Anregungen an diese Stelle weiterzureichen. Müller u. Dolderer, S. 108–110. 27 Antwortschreiben Bissings. Brüssel, 10. Januar 1915, PA AA, R 21362, S. 148–159. 28 Neben dem Stab des Generalgouverneurs und den Referenten des Verwaltungschefs nahmen an der Sitzung auch Vertreter der für die Etappe Gent zuständigen 4. Armee teil. Pius Dirr, Bericht über die Tätigkeit der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien für die Zeit der Besetzung (fertiggestellt 1920), BArch, R 1501/119494, S. 419. (Im weiteren Text als »Dirr-Bericht« zitiert); Verwaltungschef Sandt an den Staatssekretär des Innern Delbrück über die Tätigkeit des Ausschusses für »vlamische Angelegenheiten«. Brüssel, 14. Februar 1915, BArch, R 1501/119487, S. 5. 29 Der Staatssekretär des Innern Delbrück an den Reichskanzler Bethmann Hollweg. Berlin, 2. März 1915, BArch, R 1501/119487, S. 17–20.

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Koordinationsstelle der an der Flamenpolitik beteiligten Behörden umgebaut. Die Federführung blieb aber bei der innenpolitischen Sektion der Politischen Abteilung, die für »Nationalitäten- und Sprachenfragen« zuständig war.30 Während Delbrück und Bethmann Hollweg die Flamenpolitik als zentrales Politik­feld betrachteten, widmeten ihr die Behörden des Generalgouvernements zunächst keine übermäßige Aufmerksamkeit. Ihre Maßnahmen blieben weitgehend auf Symbolpolitik und die Umsetzung bereits bestehender belgischer Gesetze beschränkt. Von einer die Existenz des belgischen Staates infrage stellenden Nation-Building-Politik war Anfang 1915 noch nicht die Rede.

b) Die ersten Aktivisten Ein Grund für die Zurückhaltung der Besatzungsbehörden war, dass ihnen ernstzunehmende flämische Partner fehlten. Die Nachricht vom völkerrechtswidrigen Einmarsch hatte in Belgien eine Welle des Patriotismus ausgelöst.31 Die Massaker an belgischen Zivilisten im August 1914 sowie die Zerstörung der Universitätsbibliothek von Löwen sorgten für zusätzliche Empörung.32 Gerade zu Beginn des Krieges dominierte eine Haltung der »patriotischen Distanz« gegenüber den Angehörigen der Besatzungsmacht. Wer dieses Abstandsgebot verletzte, verfiel der gesellschaftlichen Ächtung und Verstöße wurden zuweilen auch gewalttätig geahndet.33 Ein flämischer »Aktivismus«, also der Versuch, während des Kriegs mit Hilfe der deutschen Besatzungsmacht Ziele der flämischen Bewegung zu verwirklichen, konnte sich unter diesen Umständen nur schwer entwickeln. Der Begriff selbst wurde übrigens erst im Herbst 1915 in der aktivistischen Presse eingeführt und dem »Passivismus« derjenigen Flaminganten gegenübergestellt, die sich an den belgischen Burgfrieden hielten.34 Es handelte sich also ursprünglich um einen Propagandabegriff. Da er jedoch in der gesamten Forschungsliteratur übernommen wurde, wird er auch hier für die Bezeichnung der flämischen Kollaborateure des Ersten Weltkriegs verwendet.35

30 Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung seit ihrer Errichtung am 13. Februar 1915 bis Ende April 1915, PA AA, R 21364, S. 60. Es scheint, dass bereits vor der Gründung des Ausschusses für flämische Angelegenheiten eine Amtsstelle für die »Nationalitäten- und Sprachenfrage« bei der Zivilverwaltung existierte, die dann als innerpolitische Sektion in die Politische Abteilung überführt wurde. 31 Schaepdrijver, Oorlog, S. 51–56. 32 Horne u. Kramer. 33 Schaepdrijver, Distance; Vrints, Normes. 34 Hees, Activisme, S. 205; Elias Bd. 1, S. 13. 35 Einige Autoren weisen auch auf die Beziehung des flämischen »activisme« zum deutschen expressionistischen »Aktivismus« hin. Vandenbroucke.

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Nur in Gent lässt sich bereits für 1914 die Gründung einer aktivistischen Gruppe nachweisen. Nachdem deutsche Truppen die Stadt am 12. Oktober 1914 besetzt hatten, versammelten sich dort am 24. Oktober 1914 zehn Herren, welche die Gruppe »Jungflandern« (ndl. »Jong-Vlaanderen«) gründeten, deren Name von den Jungtürken inspiriert war. Drei Tage später wurde ein Grundsatzprogramm verabschiedet, das als Ziel die Gründung eines Königreichs Flandern proklamierte. Der Staat Belgien musste verschwinden, und Flamen und Wallonen sollten getrennt werden. Denn selbst für den Fall, dass Belgien deutsche Provinz werde, fürchteten die Jungflamen einen beherrschenden Einfluss der Frankophonen. Diese Angst kam auch darin zum Ausdruck, dass als Hauptstadt des erträumten Königreichs Gent oder Antwerpen, jedoch keinesfalls Brüssel in Frage kam. Die Absicht war, Flandern staatlich und militärisch mit Deutschland zu verbinden und in ein »germanisches Bollwerk gegen Frankreich« zu verwandeln. Allerdings lehnte man eine Verhochdeutschung ab und Niederländisch war als einzige Landessprache vorgesehen. Unter deutscher Aufsicht sollten eine flämische Armee und ein flämischer Verwaltungsapparat entstehen, dessen Beamte man mit Hilfe deutscher Mentoren ausbilden wollte. Ein weiterer Punkt sah vor, die an Flandern grenzenden Gebiete Nordfrankreichs unter Militär­ verwaltung zu stellen und dort flämische Kolonisten anzusiedeln.36 Zum Vorsitzenden wurde der aus den Niederlanden stammende protestantische Pfarrer Jan Derk Domela Nieuwenhuis gewählt, eine für das katholisch geprägte Belgien und die noch viel katholischere Flämische Bewegung zumindest ungewöhnliche Entscheidung. Domela hatte als Seelsorger für evangelische Verwundete und Gefangene bereits vor der Einnahme Gents Kontakt zu deutschen Soldaten gehabt.37 Er besaß einen deutschen Passierschein, der es ihm erlaubte, sich relativ frei im Land zu bewegen, und dies zu einem Zeitpunkt, als der Bewegungskrieg in Flandern noch andauerte.38 Um die Stimmung zu erkunden, reiste er auf der Suche nach Gleichgesinnten noch im Herbst 1914 nach Brügge und sogar in das im Marinesperrgebiet liegende Ostende. Es gelang ihm zwar, einige Bekannte für die jungflämische Sache zu gewinnen, er berichtete aber auch, dass die meisten den Deutschen feindlich gegenüberständen.39 Domela bereiste nicht nur das Kriegsgebiet, sondern fuhr auch wöchentlich mit dem Fahrrad in die 30 Kilometer nördlich von Gent gelegenen Niederlande. Von dort brachte er Propagandamaterialien und Neuigkeiten mit, so dass er auch von dort zu berichten wusste, dass man eine Zusammenarbeit mit den Deutschen ablehnte.40 Die Jungflamen waren sich also der Tatsache bewusst, dass ihre Ziele sowohl von der Mehrheit der Flamen als auch in den Niederlanden abgelehnt wurden. 36 Vanacker, Avontuur, S. 21–25; Velde, S. 19–21. 37 Domela, S. 229, 313; Wils, Onverfranst, S. 77–79. 38 Die Frontlinie an der Yser-Front stabilisierte sich erst Mitte November. Jones. 39 Velde, S. 22. 40 Am 8. Dezember 1914 stürzte er bei einem dieser Ausflüge mit dem Fahrrad in einen Wassergraben (ndl. »sloot«) und musste daraufhin einige Tage das Bett hüten. Velde, S. 26.

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Um diese Stimmung zu ändern, wollten sie einerseits Propaganda betreiben, andererseits wurde bereits Anfang  Dezember vorgeschlagen, die Besatzungsmacht aufzufordern missliebige Personen zu deportieren.41 In der Gruppe gab es von Anfang an zwei ideologische Strömungen. Während Domela als Pangermane einen Anschluss an Deutschland wollte, strebte der Geschichtsstudent Leo ­Picard eine großniederländische Lösung an, also die Vereinigung Flanderns mit den Niederlanden. Was die Gruppe jedoch einte, war die Ansicht, dass jede Lösung, selbst die Verdeutschung Flanderns, einer belgischen oder französischen Herrschaft vorzuziehen sei. Wie abhängig man hierbei von der Besatzungsmacht war, wurde von Domela offen angesprochen. Nur Deutschland könne das flämische Volk erlösen, und dafür brauche man noch Jahre die deutschen Beamten und Soldaten. Nur unter Führung Deutschlands, so Domela, könne die Verbindung mit Wallonien gelöst werden und Flandern aus Belgiens Trümmern wiedererstehen.42 Die Jungflamen suchten aktiv die Verbindung mit der Besatzungsmacht und nahmen bereits früh Kontakt mit deutschen Zeitungen auf. Über einen Besatzungsbeamten wurde die »Kölnische Zeitung« kontaktiert, in der die Jungflamen ihr Programm und einen Aufruf an die Deutschen veröffentlichen wollten. Man wandte sich auch an Theodor Reismann-Grone, den alldeutschen Herausgeber der »Rheinisch-Westfälischen Zeitung«, der um die Jahrhundertwende bereits hinter der deutsch-flämischen Zeitung »Germania« gestanden hatte.43 Daneben wurde über Unterstützung durch den deutschen Zivilpräsidenten in der Provinz Ostflandern Friedrich Ecker berichtet, aber auch darüber, dass Teile des Besatzungsapparates die Zusammenarbeit mit den rechtmäßigen belgischen Autoritäten jener mit der flämischen Splittergruppe vorzogen.44 Eine der wichtigsten Verbindungen in den Besatzungsapparat war Hermann Felix Wirth, ein gebürtiger Niederländer, der seit 1909 Lektor für Niederländisch an der Berliner Universität war und seit November 1914 für die deutsche Pressezensur in Gent arbeitete. Spätestens ab Dezember 1914 unterhielt er intensiven Kontakt zu den Jungflamen und nahm auch an deren Sitzungen teil, bis er Mitte 1916 zum Professor in Berlin ernannt wurde.45 Zu Weihnachten 1914 richtete sich die Gruppe mit einem »Jul-Schreiben« an den deutschen Kaiser, dem sich die Jungflamen als »treue Grenzwächter des mächtigen Germanentums« andienten.46 Wie eng die Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden war, illustriert eine Episode um die Jahreswende 1914/15. Der Leipziger Historiker Karl Lamprecht hatte sich beim Reichskanzler für die Genter Professoren Henri Pirenne und Paul Fredericq eingesetzt, die von den deutschen Behörden als Geiseln ge41 Ebd., S. 18, 27. 42 Ebd., S. 25 f. 43 Vanacker, Avontuur, S. 23–25. 44 Velde, S. 27. 45 Dolderer, Wirth; ders., Imperialismus, S. 45; Eickmans. 46 »Dan worden wij onder de hoge leiding van Uwe Majesteit trouwe grenswachters van het machtige Germanendom«. Velde, S. 28.

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nommen worden waren.47 Nach einer höflichen Antwort Bethmann Hollwegs benachrichtigte ihn dessen Berater Riezler, dass Pirenne und Fredericq bereits am 24. Dezember 1914 vorläufig freigelassen worden seien. Er erwähnte dabei, dass sich Lamprechts Bekannte »in fanatisch anti-deutschem Sinne ausgesprochen und zum Teil auch betätigt« hätten. Lamprecht war offensichtlich peinlich berührt und berichtete, dass er bereits über das ihn schwer betrübende Verhalten der beiden Professoren informiert worden sei. Seinem Schreiben lag ein Brief Leo Picards bei, den er als »einen der jungvlämischen Vertrauensmänner des Lektors Dr. Wirth, Dolmetscher an der Zivil-Verwaltung der Etappen-Inspektion Gent« bezeichnete. In diesem Schreiben denunzierte der Jungflame u. a. den Genter Historiker Hubert Van Houtte.48 Auch wenn sich die Jungflamen direkt an deutsche Behörden, Medien und Organisationen wandten, wollten sie ein Bekanntwerden der eigenen Namen unbedingt vermeiden. Die Verschwörer waren sich bald darüber im Klaren, dass ihre Ansichten von einer großen Mehrheit abgelehnt wurden. Im Januar 1915 beschloss man daher auch, zunächst keine Mitglieder mehr aufzunehmen.49 Während sich in Gent bereits 1914 eine aktivistische Gruppe bildete, gibt es hierfür in Brüssel keine Belege. Allerdings berichtete der ehemalige Aktivist Faingnaert in seinen Erinnerungen, dass sich schon kurz nach dem deutschen Einmarsch in der Stadt am 20. August 1914 eine Spaltung der Flaminganten abgezeichnet habe. Mitte November 1914 sei es dann endgültig zum Bruch zwischen jenen gekommen, die den belgischen Burgfrieden respektieren wollten, und den Befürwortern einer Fortsetzung der politischen Arbeit auch unter deutscher Besatzung.50 Diese Version einer frühen Entstehung des Brüsseler Aktivismus wurde wegen zeitlicher Ungenauigkeiten in Faingnaerts Bericht angezweifelt.51 Für einen frühen Beginn spricht jedoch auch ein deutscher Nachkriegsbericht, demzufolge sich der liberale Nationaal Vlaamsch Verbond am 25. November 1914 an den für Sprachenfragen zuständigen Referenten der Zivilverwaltung Trimborn wendete. Der Grund war, dass es belgischen Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft verboten war, auf Niederländisch zu korrespondieren. Trimborn lud daraufhin die beiden Vorsitzenden, Frans Reinhard und Maurits Josson, zu einem Gespräch ein, was diese allerdings ablehnten. Stattdessen sei es am 8. Dezember 1914 zu einem Treffen Trimborns mit Jacob Lambrichts gekommen, dem Vorsitzenden der Brüsseler Sektion des Katholieke Vlaamsche Landsbond. Ob hieraus ein dauerhafter Kontakt entstand, ist nicht klar.52 Sicher ist, dass ab Ende 1914 Jozef Haller von Ziegesar, der flämische Adoptivsohn eines 47 Karl Lamprecht an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Leipzig, 23. Dezember 1914, BArch, R 43/2464, S. 9; Warland, Métaphores. 48 Riezler an Lamprecht. Berlin, 12. Januar 1915; Lamprecht an Riezler. Leipzig, 15. Januar 1915, BArch, R 43/2464, S. 15 f. 49 Vanacker, Avontuur, S. 41. 50 Faingnaert, S. 26–36. 51 Wils, Onverfranst, S. 93–95. 52 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 407–411.

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in Brüssel lebenden Deutschen, den Besatzungsbehörden zuarbeitete. Sein Vater war bereits an der alldeutschen Zeitschrift »Germania« beteiligt gewesen. Der ebenfalls in Brüssel wohnende deutsche Rechtsanwalt Fritz Norden half dem für die Besatzungsverwaltung arbeitenden niederdeutschen Schriftsteller Hans Friedrich Blunck, Kontakt ins flamingantische Milieu herzustellen.53 In Antwerpen, das sich am 9. Oktober 1914 ergeben hatte, gibt es keine Belege für einen flämischen Aktivismus vor Anfang 1915, einem Zeitpunkt, als die deutsche Flamenpolitik bereits institutionelle Formen angenommen hatte. Auch hier kamen erste Kontakte zwischen Flaminganten und Besatzungsinstitutionen offenbar über die Frage der Versendung niederländischer Publikationen an belgische Kriegsgefangene zustande. Der für diese Fragen zuständige Pressezensor in Antwerpen war der bereits erwähnte Gerstenhauer.54 In der ersten Phase der Besatzung war das wichtigste Instrument der deutschen Propaganda die Pressezensur. Die Besatzungsmacht war zudem von Anfang an selbst publizistisch tätig und ließ beispielsweise auf Französisch und Niederländisch übersetzte Agenturmeldungen verkaufen.55 Auch angesichts dieser deutschen Konkurrenz erklärten sich überall in Belgien Verleger bereit, ihre Blätter wieder herauszugeben. Sie mussten dafür deutsche Agenturberichte übernehmen und jede Ausgabe vor dem Erscheinen der Zensurstelle zur Genehmigung vorlegen.56 Ebenso wie die Verleger beraubte die Besatzung auch Journalisten ihrer Existenzgrundlage. Es überrascht daher nicht, dass viele die Chance ergriffen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.57 Dies als »Aktivismus« oder Kollaboration zu bezeichnen, wäre allerdings falsch, da dieser Entscheidung nur selten politische Motive zugrunde lagen. Im November 1914 erschien sowohl in Brüssel als auch in Antwerpen und Gent eine Reihe frankophoner und niederländischsprachiger Zeitungen unter deutscher Zensur. Nur aus Gent berichtete der Verwaltungschef über nennenswerte Konflikte. Das Erscheinen des »Journal de Gand« wurde untersagt und die Zeitung »Le Bien Public« ermahnt. Die niederländischsprachigen Blätter zeigten sich aus deutscher Sicht »geschmeidiger«, und Sandt war optimistisch, mit Hilfe der Presse einen »Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung« zu erreichen.58 Während die meisten Zeitungen bereits vor dem Krieg existiert hatten, gab es auch Neugründungen, die direkter von der Besatzungsmacht kontrolliert wurden. In Brüssel erschien ab dem 29. November 1914 die »Gazet van 53 Dolderer, Imperialismus, S. 45 f. 54 Vrints, Stad, S. 40 f. 55 Diese bereits Anfang September 1914 erscheinenden Zeitungen der Zivilverwaltung wurden übrigens häufig von der belgischen Polizei beschlagnahmt, da sie nicht wie gesetzlich vorgeschrieben den Drucker angaben. Sitzung der Zivilverwaltung unter Vorsitz Sandts. Brüssel, 5. September 1914, BArch, N 1143/40, S. 5. 56 Verordnung über alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse vom 13. Oktober 1914, GVBl 8 (15. Oktober 1914). 57 Bericht Verwaltungschef Sandt. Brüssel, 6. September 1914, BArch, R 43/2463, S. 104; Bericht Verwaltungschef Sandt. Brüssel, 16. November 1914, BArch, R 43/2463a, S. 46. 58 Ebd., S. 48.

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Brussel«, über deren politische Richtung kein Zweifel bestehen konnte. Bereits in der ersten Ausgabe schob ein Artikel die Schuld an den deutschen Massakern im August 1914 der belgischen Zivilbevölkerung in die Schuhe. Der Abdruck dieser Version der deutschen Franktireurlegende war angesichts der Stimmung in Belgien ein Beispiel für besonders plumpe Propaganda. Das Blatt wurde ebenso wie der frankophone »Le Bruxellois« spätestens ab dem Frühjahr 1915 mit deutschem Geld finanziert und auch an belgische Kriegsgefangene verteilt.59 An der Wiege des Blattes standen wohl Ziegesar und der Brüsseler Lehrer Emiel Van Bergen. Die Tatsache, dass sie dort erst ab März 1915 als Redakteure vermeldet wurden, erscheint hiergegen kein Einwand zu sein. Auch in vielen anderen Publikationen wurden schließlich aus guten Gründen keine Namen genannt.60 Der soziale Druck, »patriotische Distanz« zur Besatzungsmacht zu wahren und den belgischen Burgfrieden einzuhalten, also für die Dauer des Kriegs auf jede politische Auseinandersetzung zu verzichten, war enorm. Selbst die radikalen Genter Jungflamen waren sich dessen bewusst und vertraten ihre Ansichten nicht öffentlich. Den Anlass, eine Bresche in diesen nationalen belgischen Konsens zu schlagen, boten Auseinandersetzungen um die Umstände der Kapitulation Antwerpens am 9. Oktober 1914. Die Belagerung der Stadt, die von Artillerie und Zeppelinen unter Beschuss genommen wurde, sowie ihre Eroberung verursachten einen Schock. Der dramatische Rückzug über die Schelde brachte die belgische Armee an den Rand des Zusammenbruchs. Mehr als 30.000 belgische Soldaten flüchteten in die Niederlande, wo sie bis zum Ende des Kriegs interniert wurden. Auch zehntausende Zivilisten suchten Zuflucht im neutralen Nachbarland. Um den schnellen Fall des »Réduit national«, rankten sich allerhand Verschwörungstheorien, die in dem Vorwurf gipfelten, Antwerpen habe Belgien verraten.61 Insbesondere die Umstände der Kapitulation waren Gegenstand wilder Spekulationen. Eine Delegation, die aus dem Bürgermeister und zwei Stadtverordneten bestand, hatte mit den Deutschen verhandelt. Nachdem der Kommandeur der Belagerungstruppen, Hans von Beseler, mit einer Beschießung drohte, unterzeichneten sie nicht nur die Übergabe Antwerpens, sondern auch des Festungsgürtels.62 In der Folge wurde ihnen in der Exil-Presse vorgeworfen, ihre 59 Wils, Onverfranst, S. 93–101; »Gazet van Brussel«, 29. November 1914. 60 Wils, Onverfranst, S. 95. 61 Ebd., S. 61–65. 62 Übergabevertrag zwischen dem Kommandeur der deutschen Belagerungstruppen Beseler und der Vertretung der befestigten Stadt Antwerpen. Kontich, 9. Oktober 1914, BArch, PH 5-III/3; Die Stadtverordneten Franck und Ryckmans waren Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender einer noch während der Belagerung eingerichteten »Interkommunalen Kommission«. Diese sollte ursprünglich die Interessen der Gemeinden im Antwerpener Festungsgürtel vertreten, entwickelte sich aber während der Besatzung – wahrscheinlich auf Anweisung des Königs oder der Regierung – zur inoffiziellen Stadtregierung Antwerpens, nachdem der 70-jährige Bürgermeister Jan De Vos seiner Aufgabe nicht gewachsen schien. Vrints, Stad, S. 37.

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Kompetenzen überschritten zu haben. Insbesondere der Stadtverordnete Louis Franck, der als wichtigster flamingantischer Liberaler seiner Zeit galt, wurde angegriffen. Dass Franck die Flüchtlinge zur Rückkehr nach Antwerpen aufforderte, sorgte für zusätzliche Kritik, die teilweise mit scharfer Polemik gegen die Flämische Bewegung verbunden wurde.63 Anfang 1915 erschien die Flugschrift »La vérité sur la capitulation d’Anvers«, in der die Vorwürfe mit wüsten Rachedrohungen gegen die Stadt Antwerpen verbunden wurden. Ihr Erscheinen diente nun als Vorwand, um den belgischen Burgfrieden infrage zu stellen, und zwar nicht nur in Antwerpen, sondern auch in Brüssel und Gent. Im Januar und Februar 1915 erschienen in mehreren Antwerpener Zeitungen Artikel unter der Schlagzeile »Flamen, seid wachsam« (ndl. »Vlamingen waakt!«). Verfasser war der Antwerpener Athenäumslehrer August Borms, der eine der zentralen Figuren des Aktivismus werden sollte und wegen seiner vollen Stimme den Spitznamen »Glocke von Flandern« (ndl. »klok van Vlaanderen«) trug. Borms klagte über die Angriffe der frankophonen Presse und rief zur Wachsamkeit auf.64 Am 12. Februar 1915 veröffentlichten die Brüsseler Flaminganten Maurits Josson und Frans Reinhard einen Aufruf. Sie klagten ebenfalls über eine antiflämische Hetze, die sie als »anti-national« anprangerten. Der Aufruf schloss mit den patriotischen Worten: »Alle echten Belgier werden gemeinsam mit uns Widerstand leisten gegen diese widerlichen Machenschaften, welche die Ehre Flanderns verletzen und Zwietracht zwischen Flamen und Wallonen säen«. Der Text wurde in mehreren Zeitungen abgedruckt, auch in der ersten Ausgabe der jungflämischen »De Vlaamsche Post«, die am 21. Februar 1915 erschien. Er passte gut in das Konzept ihres Chefredakteurs Leo Picard, der die wahren Absichten der Jungflamen erst nach und nach enthüllen wollte.65 Der Besatzungsverwaltung kamen diese Auseinandersetzungen gelegen, und es wurde dafür gesorgt, dass sie die nötige Öffentlichkeit fanden. Der Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung vermerkte hierzu, dass es vom deutschen Standpunkt betrachtet keinen Grund gebe, die »Kampfesstimmung der Belgier untereinander« zu unterbinden, solange diese die Ruhe im Land nicht gefährde. In diesem Zusammenhang wurden auch »bemerkenswerte Broschüren« erwähnt.66 Ob dies ein Hinweis auf eine deutsche Urheberschaft des Pamphlets »La vérité sur la capitulation d’Anvers« war, wie verschiedentlich behauptet wurde, ist unklar.67 In der frankophonen Exilpresse waren durchaus ähnliche Positionen zu lesen, und schon Henri Pirenne wies auf diese »Unbedachtheiten« 63 Angriffe, welche die flämische Bewegung in die Nähe der verhassten Deutschen rückten, hatte es vereinzelt schon im August 1914 gegeben. Wils, Onverfranst, S. 60–72. 64 Vrints, Stad, S. 60–62. 65 Frans Reinhard / Maurits Josson, »Een Vlaamsch Manifest«, in: »De Vlaamsche Post« vom 21. Februar 1915, S. B 3; Wils, Onverfranst, S. 101–104. 66 TB der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur vom 13. Februar bis Ende April 1915. Brüssel, 14. Mai 1915, S. 10 f., PA AA, R 21634, S. 60 f. 67 Wils und Yammine kommen aufgrund stilistischer Analysen zum Ergebnis, dass »La vérité sur la capitulation d’Anvers« deutschen Ursprungs war und im Umfeld der »Gazet van

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Abb. 2: Die Eroberung Antwerpens wurde u. a. mit diesem Gedicht gewürdigt. Die Umstände der Übergabe an Beseler sorgten in der Stadt für Streit, der von der deutschen Propaganda ausgenutzt wurde.

(frz. »imprudences«) hin, die zur Radikalisierung der Flamen beigetragen hätten.68 Wils machte zudem darauf aufmerksam, dass der belgische König einen Sündenbock für das Desaster in Antwerpen gut gebrauchen konnte. Die belgische Regierung ließ sich jedenfalls sehr lange Zeit, bevor sie Franck gegen die Vorwürfe in Schutz nahm.69 Unabhängig von der Urheberschaft, leitete die Debatte über die Flugschrift den Übergang zur offenen Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht ein. In einem weiteren mit »Vlamingen waakt!« überschriebenen Artikel beschwerte sich Borms in »Het Vlaamsche Nieuws« über die Benachteiligung des Niederländischen im Postverkehr. Bereits am folgenden Tag antwortete der deutsche Pressezensor Gerstenhauer an selber Stelle. Von einem Ausschluss des Niederländischen aus dem Postverkehr könne ebenso wenig die Rede sein wie von einer bewussten Benachteiligung. Gerstenhauer räumte jedoch ein, dass es einen Mangel an deutschen Beamten gebe, die in der Lage wären, auf Niederländisch verfasste Briefe zu zensieren. Viele Briefe seien zudem unleserlich geschrieben und enthielten so viele Rechtschreibfehler, dass die Arbeit der Zensoren sehr Brussel« produziert worden sei. Wils, Flamenpolitik, S. 52 f.; Yammine, Drang, S. 282–290; ders., Licht; ders., Honderden keren. 68 Pirenne, Belgique, S. 214. 69 Wils, Onverfranst, S. 72–74.

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erschwert werde. Er schlug daher die Einrichtung einer Schreibkammer (ndl. »schrijfkamer«) vor, um denjenigen zu helfen, die nicht oder nur wenig schreiben konnten. Der Artikel endete mit der Bemerkung, dass man es keinem Flamen verübeln könne, wenn er in diesen schweren Zeiten mit den Deutschen zusammenarbeite, um die Not seines Volkes zu lindern.70 Dieser öffentliche Briefwechsel dokumentiert die langsame Annäherung zwischen Besatzungsmacht und Flaminganten, von denen die Mehrheit Borms’ Vorgehen weiterhin ablehnte. Dieser bekannte sich am 8. April 1915 öffentlich zu einer Zusammenarbeit mit den Deutschen. Er rechtfertigte sich u. a. mit einem Hinweis auf Iren und Polen. Diese seien erst bereit gewesen als Soldaten zu kämpfen, nachdem ihnen ihre Regierungen das Ende der Unterdrückung versprochen hätten.71 Die Geschichte der ersten Aktivisten belegt, wie marginal die Befürworter einer Kollaboration waren. Selbst diejenigen, die zur Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht entschlossen waren, scheuten sich, dies auch öffentlich kundzutun. Es gab keine flämische Nationalbewegung, die selbstbewusst die Hilfe der Besatzungsmacht in Anspruch nahm. Die Treue zum belgischen Vaterland und die Einhaltung des Burgfriedens waren in der Flämischen Bewegung weiterhin akzeptierte Normen.

70 Vrints, Stad, S. 61; August Borms, »Vlamingen waakt«, »Het Vlaamsche Nieuws« (17. Februar 1915); Antwortbrief ohne namentliche Kennzeichnung (Max Robert Gerstenhauer), »Een aantwoord«, »Het Vlaamsche Nieuws« (18. Februar 1915). 71 Vanacker, Avontuur, S. 65.

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3. »Deutschland, Flandern, Holland« – Die Niederlande und die Radikalisierung der Flamenpolitik im besetzten Belgien

Ein entscheidender Impuls für die Entwicklung der Flamenpolitik zur Nation-Building-Politik kam weder aus dem Besatzungsgebiet noch von der Reichsleitung, sondern aus den neutralen Niederlanden. Hier hatte sich um den deutschen Gesandten und späteren Außenminister Richard von Kühlmann ein Kreis aus Deutschen, Niederländern und Flamen gebildet, der Pläne für die Zukunft Flanderns und Belgiens schmiedete. Dass dies in den Niederlanden stattfand, war nicht zufällig, sondern hing mit der veränderten Bedeutung zusammen, die dem neutralen Staat an der Nordsee mit Beginn des Kriegs zukam.

a) Die Niederlande im Ersten Weltkrieg und die Flamenpolitik der deutschen Gesandtschaft in Den Haag Bereits im September 1914 hatte der deutsche Reichskanzler die Überlegung geäußert, dass eine Unterstützung der flämischen Bewegung für »eine Verständigung mit Holland« von Nutzen sein könnte. Das Königreich war mit Kriegs­ beginn aus dem Schatten der Großmächte ins Rampenlicht der Weltpolitik gestellt worden, und die Kriegsparteien, vor allem Briten und Deutsche, versuchten, die öffentliche Meinung des Landes zu beeinflussen. Die Sympathien der meisten Niederländer lagen hierbei klar auf Seiten der Entente. Ursache dieser Stimmungslage waren vor allem der deutsche Überfall auf Belgien und seine Folgen. Hunderttausende Belgier flüchteten sich in den Norden. Viele von ihnen berichteten über die schweren Kriegsverbrechen beim deutschen Vormarsch. Vielleicht noch mehr als die brutale Ermordung von Zivilisten im Herbst 1914 belastete allerdings die völkerrechtswidrige Verletzung der belgischen Neutralität das Verhältnis zu den ebenfalls neutralen Niederlanden. Dass die deutsche Propaganda mit Hilfe belgischer Akten versuchte zu beweisen, dass Brüssel schon vor dem Krieg aufseiten der Entente gestanden hatte, um so den Überfall nachträglich zu rechtfertigen, sorgte eher für Empörung. Die Frage, ob der Respekt des Kaiserreichs vor der niederländischen Neutralität nicht auch nur eine Frage der Opportunität war, stand deutlich im Raume. Die Perspektive eines deutschen Sieges wurde von den meisten Niederländern als Bedrohung empfunden. Eine deutsche Annexion Belgiens und die damit verbundene Einschließung 57

wurde von allen niederländischen Parteien abgelehnt,1 nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Konsequenzen, die eine deutsche Kontrolle des Antwerpener Hafens für Rotterdam gehabt hätte. Hinzu kam während des gesamten Kriegs die Empörung über die wiederholte Versenkung niederländischer Schiffe durch deutsche U-Boote.2 Berlin konnte die öffentliche Meinung in den Niederlanden nicht gleichgültig sein. Für das durch die Kontinentalblockade weitgehend vom Weltmarkt abgeschnittene Deutschland spielte das neutrale Land eine wichtige wirtschaftliche Rolle bei der Versorgung mit lebenswichtigen Produkten. Diese Funktion als »Luftröhre« des Reichs war schon vor dem Krieg erkannt worden3 und hatte zu einer Änderung des Schlieffenplans geführt, der zunächst auch einen Angriff auf die Niederlande vorgesehen hatte.4 Auch aus strategischer Sicht war die Haltung der Niederlande von Interesse. Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines niederländischen Angriffs auf Deutschland gering schien, wurden die Streitkräfte im Rücken der deutschen Armee doch als Gefahr betrachtet. Vor allem die Frage, ob das neutrale Land im Falle einer britischen Invasion willens und in der Lage sein würde, seine Küste zu verteidigen, bereitete den Deutschen Kopfzerbrechen. Die Beeinflussung und Beobachtung der öffentlichen Meinung in den Niederlanden wurde daher zu einem wichtigen Anliegen deutscher Außenpolitik. Die bisherigen Strukturen der diplomatischen Vertretung in Den Haag, die sich bis 1914 vor allem repräsentativen Aufgaben gewidmet hatte, konnten den neuen Ansprüchen nicht genügen. Der notwendige personelle und strukturelle Um- und Ausbau der Gesandtschaft wurde ab April 1915 vom neu ernannten Gesandten Kühlmann in Angriff genommen.5 Kühlmann war bereits von 1906 1 Die Frage war in den Niederlanden durch eine Rede des bayrischen Königs in Erinnerung gerufen worden, in der dieser einen Zugang durch die Schelde zur Nordsee gefordert hatte. Der deutsche Staatssekretär des Äußern Jagow, sah sich daraufhin zu einer Stellungnahme gegenüber dem niederländischen Gesandten genötigt, in der er zugab, dass im deutschen Volk der Wunsch nach Annexion Belgiens allgemein vertreten wurde. Er gab jedoch zu bedenken, dass wichtige Entscheidungsträger eine solche aus innenpolitischen Gründen ablehnten und eine Entscheidung in der Angelegenheit noch nicht gefallen sei. Der niederländische Gesandte in Berlin Gevers an den niederländischen Außenminister Loudon. 10. Juni 1915, in: Rijks Geschiedkundige Publicatiën (RGP) 109, Dokument 397, S. 376. Kühlmann bezeichnete die Forderung nach einer deutschen Rheinmündung gegenüber dem niederländischen Außenminister als »Entgleisung« des bayrischen Königs. Der niederländische Außenminister Loudon an die niederländische Königin Wilhelmina. 16. Juni 1915, in: RGP 109, Dokument 398, S. 377. 2 Frey, Weltkrieg, S. 69. 3 Der Chef des preußischen Generalstabes, Helmuth von Moltke, prägte den Begriff 1910: »Ferner wird es für uns von größter Bedeutung sein, in Holland ein Land zu haben, dessen Neutralität uns Ein- und Zufuhren gestattet. Es muss unsere Luftröhre sein, damit wir atmen können«. Zitiert nach: Frey, Kriegsziele, S. 177. 4 Cornelissen; Frey, Weltkrieg, S. 60. 5 Kühlmann erwähnt seine Zeit als Gesandter in Den Haag in seinen 1948 erschienen Memoiren allerdings mit keinem Wort. Dies ist umso verblüffender, als Kühlmann in Den Haag erstmals Chef einer deutschen Auslandsvertretung wurde und seine Amtszeit allgemein als sehr erfolgreich beurteilt wurde. Frey, Weltkrieg, S. 73–78 und S. 287.

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bis 1908 Erster Sekretär der Gesandtschaft in den Niederlanden und danach von 1908 bis 1914 Botschaftsrat in London gewesen. Schon in Großbritannien galt er als einflussreich und nach Kriegsbeginn leitete er Sondermissionen in Schweden und im Osmanischen Reich, bevor er nach Den Haag beordert wurde.6 Zu den von Kühlmann eingeführten Neuerungen gehörte eine aufwendige Presse- und Kulturpolitik, die von einer im Mai 1915 gegründeten »Hilfsstelle« unter Friedrich Wichert koordiniert wurde. Ausgewählten Zeitungen wurde exklusiv Zugang zum besetzten Belgien verschafft, wenn sie sich deutschen Regeln unterwarfen.7 Daneben wurden Artikel lanciert und im Gegenzug Anzeigen geschaltet, auch freie Journalisten erhielten deutsche Gelder.8 Die Bemühungen der Gesandtschaft waren immerhin so erfolgreich, dass sich der belgische Außenminister bei seinem niederländischen Kollegen darüber beschwerte, dass sich gegen die nationale Einheit seines Landes gerichtete Artikel auch außerhalb der von Deutschland finanzierten Presse finden ließen.9 Wichert, der Direktor der Mannheimer Kunsthalle war, betrachtete daneben die Kulturpolitik als eigenständiges Instrument der deutschen NiederlandePolitik, die er nach dem Vorbild der Alliance française in einem deutsch-niederländischen Goethe-Bund institutionalisieren wollte.10 Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler wurden zur Beeinflussung der Niederlande eingesetzt. Sie waren Mitarbeiter der Hilfsstelle, wie etwa der Kunsthistoriker Wichert selbst, oder als unabhängige Experten für sie tätig, so im Falle des Historikers Friedrich Meinecke.11 Neben klassischer Propagandatätigkeit, etwa politischen Vorträgen und Broschürenliteratur, wurden Konzerte und Theaterabende, Kunstausstellungen und akademischer Austausch organisiert.12 Der kunst- und literaturbegeisterte Kühlmann, der u. a. Teilhaber des Insel-Verlags war, spielte hierbei eine wichtige Rolle.13 Während die Kulturpolitik die gesamte niederländische Gesellschaft ansprechen sollte, konzentrierte sich die Gesandtschaft ansonsten auf Gruppen, die sie als besonders aufgeschlossen gegenüber Deutschland beurteilte. Dies waren namentlich die Wirtschaft, das niederländische Militär, die rechten, insbesondere protestantischen Parteien sowie die großniederländische Bewegung, die eine kulturelle Annäherung der Niederlande und Flanderns anstrebte.14 Kühlmann 6 Schöllgen, S. 293 f. 7 Wils, Beweging, S. 276. 8 Frey, Weltkrieg, S. 289. 9 Wils, Beweging, S. 277. 10 Bericht der Hilfsstelle Wichert anlässlich ihres einjährigen Bestehens. Anhang zum Schreiben des Gesandten in den Niederlanden Kühlmann an den Reichskanzler Bethmann Hollweg. 28. Mai 1916, in: RGB 137, Dokument 46, S. 69. 11 Bußmann, S. 156–158. 12 Eversdijk, S. 359 f. 13 Tiedau, »Ecrivains«, S. 18; Zur Bedeutung des Insel-Verlags für die Flamenpolitik siehe auch: Roland, »Kriegskolonie«; Eversdijk, S. 247. 14 Bericht der Hilfsstelle Wichert, in: RGB 137, Dokument 46, S. 62 f.

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realisierte schnell, dass das Thema Flandern einen wichtigen Anknüpfungspunkt an diese Gruppen darstellte und die Möglichkeit bot, verschiedene Aspekte der deutschen Niederlandepolitik miteinander zu verknüpfen. Einerseits sollte die Geistes- bzw. je nach Geschmack die Stammes-, Rasse- oder Blutsverwandtschaft zwischen den Niederlanden, Flandern und Deutschland unterstrichen werden. Andererseits schien die deutsche Förderung der Flamen geeignet, Ängste vor einer deutschen Annexion Belgiens abzubauen und den Niederländern zumindest die Rolle eines Juniorpartners zu eröffnen. Die Flamenpolitik diente hierbei weniger der Eroberung der Massen als der Annäherung an die konservativen Eliten. Kühlmann wies in seinen frühen Berichten wiederholt auf die »flämischen Sympathien« des niederländischen Ministerpräsidenten Cort van der Linden hin.15 Auch mit Politikern der Anti-Revolutionären Partei, etwa mit Abraham Kuyper oder Hendrikus Colijn, stand Kühlmann in Kontakt. Diese waren keineswegs willenlose Marionetten deutscher Absichten, sondern betrieben niederländische Interessenpolitik. Im Gegensatz zu den flämischen Aktivisten handelte es sich bei vielen niederländischen »Flamenfreunden« um erfahrene Politiker. Ein Grund, dass Kühlmanns Flamenpolitik bei ihnen Gehör fand, war auch die Angst vor einem siegreichen Belgien. In belgischen Exilzeitungen waren die Niederlande des Verrates bezichtigt und Forderungen nach Gebietserweiterungen auf Kosten des nördlichen Nachbarn erhoben worden. Hintergrund waren seit der belgischen Unabhängigkeit bestehende Streitigkeiten um Niederländisch-Limburg und die Scheldemündung. Die Unterstützung der Flämischen Bewegung wurde in diesem Zusammenhang als Waffe im Kampf gegen den belgischen Imperialismus betrachtet.16 Einer der wichtigsten und für die Entwicklung des flämischen Aktivismus entscheidenden Erfolge von Kühlmanns Flamenpolitik war die stille Übernahme der in Den Haag erscheinenden Exilzeitung »De Vlaamsche Stem«. Diese im Februar 1915 gegründete Tageszeitung war nicht irgendeine Publikation, sondern das wichtigste Organ der Flämischen Bewegung im niederländischen Exil. Hier publizierte etwa der belgische Parlamentarier Frans Van Cauwelaert. Das Blatt bezog zunächst einen klar belgisch-loyalen Standpunkt, geriet allerdings bald in finanzielle Nöte. In dieser Situation trat der großniederländische Politiker Frederik Carel Gerretson auf den Plan und bot großzügig seine Unterstützung an. Im Mai 1915 erwarb er, mit Geld der deutschen Gesandtschaft, eine Mehrheit der Anteile an »De Vlaamsche Stem«.17 Die Redaktion war über die Herkunft des Geldes wohl nicht unterrichtet, auch wenn es bald Mutmaßungen gab, dass die Zeitung von Deutschland übernommen worden war. Allerdings hatten auch 15 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 11. Mai 1915, PA AA, R 4486, S. 32; Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 14. Juli 1915, PA AA, R 4486, S. 40 f. 16 Wils, Beweging, S. 286; Frey, Weltkrieg, S. 75. 17 Die Initiative zur Übernahme von »De Vlaamsche Stem« ging offensichtlich nicht von der deutschen Gesandtschaft, sondern von den Großniederländern Frederik Carel Gerretson und Derk Hoek aus. Wils, Onverfranst, S. 139 f.; Hees, De financiering, S. 28–30.

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die deutschen Behörden in Brüssel keine Kenntnis über Kühlmanns Coup und verbuchten den Kurswechsel bei »De Vlaamsche Stem« als Ergebnis der eigenen Politik.18 Gerretson, den Kühlmann »unseren großniederländischen Vertrauensmann« nannte,19 änderte in der Folge schrittweise den Kurs des Blattes. So durfte die Zeitung die jungflämische »De Vlaamsche Post« nicht angreifen und auch nicht über die deutschen Kriegsverbrechen in Belgien schreiben, da diese nicht erwiesen seien.20 Gerretson propagierte den Kurs einer »bedingten Loyalität«. Nur wenn die belgische Regierung auf die Forderungen der Flämischen Bewegung eingehe, müssten sich die Flamen loyal verhalten und den Burgfrieden einhalten. Diese oberflächlich loyale Haltung sollte der Vergrößerung des aktivistischen Anhangs dienen.21 Gerretson gelang es zunächst mit seinem behutsamen Vorgehen einen Kurswechsel des Blattes zu erreichen, ohne dass es zu einem Bruch in der Redaktion kam. Dieser vollzog sich erst nach dem flämischen Feiertag anlässlich der Sporenschlacht am 11. Juli 1915. Im niederländischen Bussum hatte die Redaktion gemeinsam mit der Utrechter Studentenorganisation des Allgemeinen Niederländischen Verbandes (ndl. »Algemeen Nederlands Verbond«  – ANV) eine Feierlichkeit organisiert und im Namen der Anwesenden ein Telegramm an den belgischen König geschickt, das von den Redakteuren Alberic Deswarte und René De Clercq verfasst worden war. In diesem wurde ein »selbständiges Flandern in einem unabhängigen Belgien«, also eine Verwaltungstrennung, gefordert. Die Utrechter Studenten verabschiedeten eine Resolution, in der sie die belgische Regierung aufforderten, bereits jetzt die Einrichtung einer Flämischen Hochschule in Gent vorzubereiten. Nachdem der König seine Missbilligung über diesen Bruch des Burgfriedens deutlich gemacht hatte, versuchten einige Redakteure unter Führung Van Cauwelaerts, den Ruf der Zeitung zu retten. Sie veröffentlichen am belgischen Nationalfeiertag, dem 21. Juli 1915, ein »Flämisches Manifest« in »De Vlaam18 Dass sowohl der Generalgouverneur als auch die Politische Abteilung in Brüssel nicht über den Einfluss der Gesandtschaft informiert waren, legt ihre Einordnung des Kurswechsels bei der »Vlaamsche Stem« nahe, den sie auf interne Streitigkeiten zurückführten. Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 14. September 1915, PA AA, R 4486. S. 100; Die Politische Abteilung unterteilte die Flamen im Bericht vom August 1915 in drei Gruppen: Die loyal-belgische (nationalbelgische), die Genter Gruppe (Jungflamen), die einen Anschluss an Deutschland wünsche, und eine dritte Gruppe, die ebenfalls keine Rückkehr zur belgischen Neutralität wünsche, aber aus taktischen Gründen diesen Standpunkt nicht öffentlich vertreten wolle. Die »De Vlaamsche Stem« wurde zur nationalbelgischen Richtung gezählt. TB der Politischen Abteilung bei dem General-Gouverneur in Belgien von Anfang März bis Ende Juli 1915, PA AA, R 21364, S. 258. 19 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 23. Oktober 1915, PA AA, R 4486. S. 181. 20 Wils, Onverfranst, S. 141. 21 Vanacker, Avontuur, S. 59–62; Dass die Loyalität gegenüber Belgien nur scheinbar war, legt ein Brief Gerretsons aus dem Jahr 1928 nahe: Gerretson aan W. J.L. van Es. Utrecht, 25. Mai 1928, in: Hees u. Puchinger, S. 282.

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sche Stem«, in dem sie die Aktivisten verurteilten und sich zum Burgfrieden bekannten. Der Text wurde von allen Redakteuren bis auf René De Clercq und Antoon Jacob unterzeichnet. Diese fungierten ab dem 17. August 1915 als einzige Redakteure, nachdem Gerretson weiter in die redaktionelle Ausrichtung eingegriffen und die anderen Redakteure daraufhin das Blatt verlassen hatten.22 Der Coup bei »De Vlaamsche Stem« hatte weitreichende Folgen für die weitere Entwicklung des flämischen Aktivismus. Van Cauwelaert gründete die Zeitung »Vrij België«, deren erste Ausgabe am 27. August 1915 erschien und nun das Sprachrohr der »Passivisten« wurde. Gegenüber den beiden verbliebenen Redakteuren der »De Vlaamsche Stem« ergriff die belgische Regierung nun disziplinarische Maßnahmen. Am 17. September 1915 wurde De Clercq, der Lehrer war, vom belgischen Unterrichtsminister Prosper Poullet aufgefordert, seine Arbeit für »De Vlaamsche Stem« einzustellen.23 Als De Clercq der Aufforderung nicht nachkam, wurde er mit Königlichem Erlass vom 5. Oktober 1915 aus dem Staatsdienst entlassen, Jacob strich man von der Liste der Beamtenanwärter. Die beiden inszenierten sich anschließend erfolgreich als Opfer einer ungerechten Regierung, die sie um den Broterwerb brachte, während sie den belgisch-nationalistischen Angriffen auf die Flämische Bewegung nichts entgegensetzte.24 Vor allem die Entlassung De Clercqs, der ein beliebter Dichter war, sorgte für Empörung und wirkte radikalisierend.25 Für die Flamenpolitik war die Entlassung ein Erfolg, es kam an vielen Orten zu Solidarisierungen mit Jacob und De Clercq, die sich nun offen zum Aktivismus bekannten.26

b) Kühlmanns Intervention Kühlmanns Flamenpolitik beschränkte sich nicht auf die Beeinflussung flämischer Exilanten, der Gesandte versuchte auch direkt in die Besatzungspolitik einzugreifen. Hierbei halfen ihm seine guten Kontakte nach Berlin und die Tatsache, dass der Reichskanzler den Niederlanden große Aufmerksamkeit schenkte und die Unterstützung der Flamen schon früh als Mittel zu deren Beeinflussung vorgeschlagen hatte. Am 23. August 1915 wandte sich Kühlmann in der Angelegenheit der Flämischen Hochschule in Gent an Bethmann Hollweg. Anlass war eine Meldung der niederländischen Zeitung »De Tijd«, derzufolge 22 Vanacker, Avontuur, S. 59–61; Wils, Onverfranst, S. 141–144. 23 Wils, Onverfranst, S. 145. 24 Vanacker, Avontuur, S. 62. 25 Vrints, Stad, S. 74. 26 Dirr kommentierte nach dem Krieg mit unverhohlener Genugtuung: »Die belgische Regierung war in der Wahl des Märtyrers, den sie so mit einem Schlage brotlos zu machen hoffte, nicht eben vorsichtig gewesen. Es gab wenige flämische Dichter, ja wenige flämische Persönlichkeiten überhaupt, die in allen Kreisen ihrer Heimat so neidlos und gern gesehen waren, wie René de Clercq«. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 511 f.

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die Universität in Gent in ihrer bisherigen, also frankophonen Form und notfalls unter Hinzuziehung deutscher Professoren wiedereröffnet werden sollte.27 In den Niederlanden hatte diese Nachricht laut Kühlmann für Verstimmung gesorgt, da man sich hier Hoffnungen gemacht habe, dass in einer flämischen Hochschule auch niederländische Gelehrte berücksichtigt werden würden. Er beendete sein Schreiben mit einer knappen Zusammenfassung seines Standpunktes: Falls Deutschland eine Annexion Belgiens plane, brauche man auf niederländische Befindlichkeiten keine Rücksicht zu nehmen. Wolle man sich aber aus den »Hauptteilen Belgiens« zurückziehen und das Land durch eine »Unterstreichung der flamisch-wallonischen Zwistigkeiten« dauerhaft schwächen, so ließe sich ein Verfahren denken, »bei dem die Holländer als nützliche Werkzeuge in der flämischen Frage Verwendung finden könnten«.28 Die Hochschulfrage war nur der Anlass, um nun auch offen in die Belgienpolitik einzugreifen, eine Einmischung, über die der Generalgouverneur wenig begeistert war. Am 14. September 1915 verwehrte sich Bissing gegen das Hineinregieren aus dem Norden und verteidigte seine politische Konzeption in Bezug auf Belgiens Zukunft. Im Gegensatz zu Kühlmann, der eine direkte deutsche Herrschaft über Belgien ablehnte, und zwar sowohl weil er sie für nicht durchsetzbar hielt als auch im Hinblick auf die öffentliche Meinung in den Niederlanden,29 waren für Bissing eine möglichst enge Bindung Belgiens an Deutschland oder sogar die Annexion die einzig sinnvollen Optionen. Die Wiederherstellung eines neutralen Belgiens hielt er für unmöglich. Nach dem Krieg ginge es nur um die Frage, ob sich das Land unter französisch-englischer oder deutscher Hegemonie befinde.30 Auch den Einsatz von Niederländern beurteilte Bissing skeptisch. Die Flamen sähen sie nicht gerne als Beamte oder Professoren, überhaupt gebe es nicht viel Sympathie füreinander. Bezeichnenderweise äußerte sich der Generalgouverneur nur zurückhaltend zur geplanten Eröffnung der

27 Die Angst vor einer »Verhochdeutschung« Flanderns hatte bereits zuvor für Aufregung in niederländischen und flämischen Blättern gesorgt. So war der Vorschlag Friederich Wilhelm von Bissings, des Sohnes des Generalgouverneurs, Deutsch anstelle von Französisch als erste Fremdsprache an flämischen Schulen zu unterrichten, im Juni 1915 als erster Schritt zur Eindeutschung interpretiert worden. Bissing junior dementierte diese Absicht anschließend, konnte aber das Mißtrauen nicht vollständig ausräumen. Dolderer, Imperialismus, S. 71 f. 28 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 23. August 1915, PA AA, R 4486, S. 71 f. 29 Kühlmann berichtete am 29. August 1915 über niederländische Reaktionen auf die Reichstagsrede des Kanzlers vom 19. August 1915, dass Bethmann Hollwegs Schweigen zum Schicksal Belgiens, das in Teilen der deutschen Presse als Bekenntnis zur Annexion interpretiert worden war, für Beunruhigung auch im deutschfreundlichen Milieu der Niederlande gesorgt hatte. Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. 29. August 1915, in: RGB 137, Dokument 14, S. 23. 30 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 14. September 1915, PA AA, R 4486, S. 101.

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Universität Gent. Ein Beschluss, so schrieb er, habe vorerst noch nicht gefasst werden können.31 Bissing verschwieg, dass die Behörden in Gent bereits mit den letzten Vorbereitungen für die Wiedereröffnung beschäftigt waren. Noch am 17. September 1915, also drei Tage nach Bissings Schreiben an den Reichskanzler, fragte die deutsche Verwaltung bei den Professoren der Universität Gent an, ob diese für den Fall einer Wiedereröffnung im Oktober 1915 »verhindert« seien.32 Obwohl der akademische Rat der Universität Bedenken gegen eine Eröffnung während des Kriegs geltend machte,33 war der Präsident der Zivilverwaltung in Ostflandern, Friedrich Ecker, überzeugt, die Wiedereröffnung durchführen zu können.34 Nach den Interventionen aus Den Haag und Berlin lehnte Bissing diese allerdings am 29. September 1915 endgültig ab.35 Diese Episode macht deutlich, dass es kein Drehbuch für die Flamenpolitik gab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ohne die Einmischung Kühlmanns der Versuch unternommen worden wäre, die Universität in ihrer bisherigen Form zu eröffnen, obwohl der Reichskanzler bereits im Dezember 1914 angeregt hatte, diese in eine Flämische Hochschule umzuwandeln. Doch auch nach der Entscheidung gegen die Wiedereröffnung in alter Form war keineswegs ausgemacht, dass eine Flämische Hochschule noch während des Krieges eröffnet werden würde, geschweige denn in welcher Form. Vor allem in der Zivilverwaltung des Generalgouvernements stand man der Flamenpolitik skeptisch gegenüber, da diese die weitgehend reibungslose Zusammenarbeit mit den belgischen Behörden gefährdete. Im Bericht des Verwaltungschef hieß es, dass eine »Berücksichtigung der dringenden und langjährigen Wünsche der Vlamen bezüglich der Genter Universität zur Zeit nicht möglich« sei.36 31 Ebd., S. 99. 32 Anfrage des Zivilpräsidenten für Ostflandern, Ecker, vom 17. September 1915. Insgesamt 67 Professoren antworteten auf die Anfrage. 20 sahen keinen Hinderungsgrund, 21 erklärten ein gleiches, knüpften daran allerdings die Erwartung, dass deutsche Truppen die Gebäude der Universität räumten und Lehrmittel bereitgestellt würden, 23 Professoren und Dozenten erklärten sich persönlich bereit, die Vorlesungen wieder aufzunehmen, machten aber persönliche, moralische oder intellektuelle Gründe gegen eine Eröffnung zum jetzigen Zeitpunkt geltend, drei Professoren erklärten, die Lehrtätigkeit unter den gegebenen Verhältnissen nicht aufnehmen zu können. Dyck, Denkschrift, S. 189. 33 Stellungnahme des conseil académique vom 20. September  1915, in: Langendries Bd. 1, S. 313–315. 34 Der spätere Beauftragte für die Flämische Hochschule teilte diese Auffassung und schrieb, dass eine drohende Flamisierung die Dozenten wohl zur Mitarbeit bewegt hätte. Dyck, Denkschrift, S. 189–191 und 194. 35 Ebd., S. 191. 36 Verwaltungschef Belgien, Verwaltungsbericht vom August 1915 bis Oktober 1915, S. 26. Auch die Behörden im Etappen- und Operationsgebiet schätzten die Lage durchaus unterschiedlich ein. Während die Etappeninspektion in Ostflandern die radikalen Jungflamen unterstützte, stand das Armeeoberkommando der für das belgische Etappengebiet zuständigen 4. Armee der Flamenpolitik insgesamt skeptisch gegenüber. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 428 f.

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Für die Flamenpolitik war die Intervention Kühlmanns dennoch eine Zäsur. Zwar hatte Bissing die Flamenpolitik im Februar 1915 zur Chefsache gemacht und sie der neugebildeten und ihm direkt unterstellten Politischen Abteilung zugewiesen, doch dies bedeutete nicht, dass klar gewesen wäre, was unter »Flamenpolitik« zu verstehen war. Im Gegensatz zum Reichskanzler sah der Generalgouverneur nämlich zahlreiche Schwierigkeiten und verwies bereits im Januar 1915 auf die großen Unterschiede innerhalb Flanderns. Das flämische Problem, so Bissing, bedürfe »einer stark individualisierenden Behandlung«, um den lokalen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, eine Aussage, die kaum mit der Förderung einer flämischen Nationalbewegung vereinbar war. Bissing machte bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich, dass für ihn eine dauerhafte Okkupation Belgiens die Voraussetzung für eine Annäherung der Flamen an Deutschland war, und versuchte, den Enthusiasmus Bethmann Hollwegs zu bremsen. Der »provisorische Zustand der derzeitigen Gesamtlage« zwinge ihn zu einem in der Sache zielbewussten, »in der Form aber unauffälligen und zurückhaltenden Vorgehen«.37 An dieser Haltung Bissings änderte sich zunächst wenig. Die Flamenpolitik beschränkte sich im ersten Halbjahr 1915 auf Symbolpolitik, etwa wenn in öffentlichen Bekanntmachungen dem Niederländischen der Vorzug vor dem Französischen gegeben wurde, und auf die Schulpolitik, wo bestehende belgische Regelungen von den deutschen Behörden umgesetzt wurden. Daneben bemühte man sich, Kontakte zu führenden Flamen aufzubauen. Der Übergang von der Zivilverwaltung zur Politischen Abteilung brachte also zunächst keine wesentlichen inhaltlichen Veränderungen mit sich.38 Lediglich die Ankündigung einer Denkschrift zur Verwaltungstrennung kann als Hinweis auf weitergehende Ziele gedeutet werden. Im Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung erschien die Unterstützung der flämischen Bewegung jedoch vor allem als politisches Gelegenheitsinstrument und nicht als politisches Programm. So wurde vermerkt, dass die Auseinandersetzungen der Belgier untereinander, »namentlich in der Nationalitätenfrage«, durchaus positiv seien, da sie für Ablenkung sorgten und »für den Tätigkeitsdrang mancher führenden Elemente eine Art Ventil« geschaffen werde.39 Ähnlich äußerte sich Bissing in einer Denkschrift, die er aus Anlass der seiner Ansicht nach mit wenig Sachkenntnis betriebenen Kriegszieldiskussion über

37 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 10. Januar 1915, PA AA, R 21362, S. 152 f. und 159. 38 Der Abschlussbericht des Zivilverwaltungschefs von Sandt und der erste Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung ähneln sich bis in die Formulierungen. Verwaltungschef Sandt an den Staatssekretär des Innern über die Tätigkeit des »Ausschusses für vlamische Angelegenheiten«. Brüssel, 14. Februar  1915, BArch, R  1501/119487, S. 5; TB der Politischen Abteilung seit ihrer Errichtung am 13. Februar 1915 bis Ende April 1915, PA AA, R 21364, S. 60 ff. 39 TB der Politischen Abteilung seit ihrer Errichtung am 13. Februar 1915 bis Ende April 1915, PA AA, R 21364, S. 61.

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Belgien verfasste.40 In dem auf den 2. Mai 1915 datierten Papier zeigte sich der Generalgouverneur als Annexionist, der den Besitz Belgiens als eine »Lebensfrage für die deutsche Zukunft« bezeichnete. Den Gegensatz zwischen Flamen und Wallonen, den er als den »Kampf der beiden grundverschiedenen Rassen« bezeichnete, wollte er benutzen, um diese Einverleibung zu vereinfachen. Mit der Drohung eines steigenden flämischen Einflusses sollten die Wallonen gefügig gemacht werden. Hierbei vertrat der Generalgouverneur übrigens die Ansicht, dass die Wallonen möglicherweise einfacher als die »dickköpfigen« Flamen einzugliedern seien. Der Gegensatz zwischen Flamen und Wallonen war in dieser Konzeption nur ein Mittel, um Belgien als Ganzes anzugliedern. Bissing sprach sich aus wirtschaftlichen und administrativen Gründen ausdrücklich gegen eine Teilung Belgiens aus, die er auch deshalb für schwierig hielt, weil Brüssel jeweils zur Hälfte wallonisch und flämisch sei. Auf die Frage der Umwandlung der Universität Gent in eine Flämischen Hochschule wollte Bissing nicht eingehen, wahrscheinlich, weil ein solcher Schritt eine zu klare Parteinahme für die Flamen bedeutet hätte, als sie seiner Teile-und-Herrsche-Politik entsprach. Dass noch im Sommer 1915 nicht von einer einheitlichen Flamenpolitik gesprochen werden kann, zeigen auch die Antworten, welche die in den belgischen Provinzen amtierenden Präsidenten der deutschen Zivilverwaltung auf eine Anfrage des Reichsamts des Innern gaben. In dieser ging es um die Überlegung, bei einer »Einverleibung« oder »sonstigen Angliederung« Belgiens das Parlament zu beseitigen und stattdessen die Provinzialbehörden politisch aufzuwerten. Die Antworten zeigen, dass grundsätzliche Bedenken gegen eine Zerschlagung des belgischen Staates nicht bestanden. Gleichzeitig belegen sie, dass flamenpolitische Überlegungen zu diesem Zeitpunkt kaum eine Rolle spielten. Lediglich der Zivilverwaltungspräsident von Westflandern, Küster, sprach sich für zwei unabhängige Staaten Flandern und Wallonien aus und sah in einer »Vertiefung des vlämisch-wallonischen Gegensatzes« den Schlüssel für die Beherrschung des Landes. Die anderen wollten Belgien als Kolonie behandeln, an Preußen angliedern oder nach Schweizer Modell in Kantone einteilen. Der Zivilverwaltungspräsident von Brabant sprach sich sogar für die Beibehaltung des belgischen Parlaments aus. Belgien sei zwar ein künstlich geschaffener Staat, aber 85 Jahre staatlicher Existenz ließen sich nicht mit einem Federstrich beseitigen. Die Zertrümmerung Belgiens in neun Provinzstaaten läge weder im deutschen Interesse noch in dem des besetzten Landes. Für einen späteren Zeitpunkt wollte er eine Teilung Belgiens in eine »vlamische und eine wallonische staatliche Korporation« jedoch nicht ausschließen.41 Auch in der »Korrespondenz Belgien«, die als 40 Denkschrift des Generalgouverneurs in Belgien Bissing. Brüssel, 2. Mai 1915, GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 13221 (unpaginiert). 41 Die Antworten der Präsidenten der Zivilverwaltung finden sich als Anhang zu einem Schreiben, das der Verwaltungschef beim Generalgouverneur in Belgien Sandt am 5. Juli 1915 an den Preußischen Innenminister richtete. GStA PK. I HA Rep. 77 Ministerium des Innern. Tit. 875, Nr. 11 adh 9. Okkupationen. Selbstverwaltung in Belgien (unpaginiert).

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Sprachrohr des Generalgouvernements in Belgien agierte und von der Presseabteilung der Politischen Abteilung gesteuert wurde, spielten flämische Themen nur vereinzelt eine Rolle.42 Diese eher beiläufige Behandlung der Flamenpolitik durch die Behörden des Generalgouvernements änderte sich langsam im Herbst 1915 und ist wohl nicht zuletzt auf die Intervention Kühlmanns zurückzuführen. Der Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung räumte der Flamenpolitik bereits im August 1915 breiteren Raum ein. Für den Zeitraum Mai bis Juli 1915 wurde konstatiert, dass die Diskussion der Flamenfrage den bisherigen Rahmen verlassen habe und nicht mehr nur »als innerbelgische Sprachenfrage behandelt« werde, sondern durch den Krieg eine internationale Dimension erhalten habe. Ausführlich wurde auf die Ereignisse in und um »De Vlaamsche Stem« in den Niederlanden eingegangen, ohne dass der Berichterstatter den deutschen Einfluss auf diese erwähnte. Wahrscheinlich, weil er davon keine Kenntnis hatte.43 Im November 1915 ließ sich dem Bericht der Politischen Abteilung bereits eine ganz andere Ausrichtung entnehmen. In den Reaktionen auf die Bestrafung De Clercqs und Jacobs sah man den »Kern einer vlämischen Nationalpartei«. In der Rubrik Pressepolitik wurde vermeldet, dass die in Antwerpen erscheinende Zeitung »Het Vlaamsche Nieuws« von der »einseitigen, liberalen Parteipolitik abgekommen« sei und nun ein »vlamisches Nationalprogramm« vertrete, sie vereinige »alle vlamischen Strömungen und Gruppen (auch die katholischen)«, sofern diese sich von einer Annäherung an Deutschland Vorteile für die flämische Sache erhofften. Auch der von der gleichen Redaktion geleitete volkstüm­ lichere »Vlaamsche Courant« solle nach und nach mehr »vlamisch-anti-belgische« Politik betreiben als bisher.44 Im Vergleich zu den vorherigen Berichten zeichnete sich hier eine Politik ab, die sich nicht mehr darauf beschränkte, die Flamen mit Zugeständnissen in der Sprachenfrage für die Besatzungspolitik zu gewinnen. Die Politische Abteilung wirkte nun auf die Etablierung einer flämischen Nationalbewegung hin, die die bisherige Spaltung entlang der in Belgien existierenden Parteienfamilien (katho­lisch, liberal, sozialistisch) überwinden und offensiv gegen den belgischen Staat gerichtet sein sollte. Die Ausrichtung der Politischen Abteilung auf eine Politik zur Etablierung einer flämischen Nationalbewegung zeigte sich auch personell. Der Historiker und Belgien-Experte Robert Paul Oszwald wurde als Pressezensor in Antwerpen angestellt und der Reichstagsabgeordnete Gerhart von Schulze-Gaevernitz absolvierte von September bis Ende November 1915 eine Art Praktikum in der Politischen Abteilung. Der Nationalökonom Schul42 Die »Korrespondenz Belgien« erschien zunächst seit dem 16. Januar 1915 und bis zum 7. Mai 1915 wöchentlich unter dem Namen »Korrespondenz Piper« (Abteilung Belgien). 43 TB der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien von Anfang Mai 1915 bis Ende Juli 1915. Brüssel, 1. August 1915, PA AA, R 21634, S. 243. 44 TB der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien. Von Anfang August 1915 bis Ende Oktober 1915, PA AA, R 21365, S. 141 f.

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ze-Gaevernitz hatte sein Interesse vor allem damit begründet, ihn interessiere als »alten deutschen Universitätsprorector« besonders die »Frage der vlämischen Universität«.45 Insbesondere in dieser Angelegenheit gab es allerdings noch große Meinungsunterschiede. Nach der Intervention Kühlmanns und den Auseinandersetzungen um die Wiedereröffnung der Universität Gent bemühten sich die Behörden des Generalgouvernements also deutlich darum, mehr Aktivität in der Flamenfrage an den Tag zu legen. Der Generalgouverneur wollte Erfolge präsentieren und gleichzeitig die Erwartungen dämpfen, die der Reichskanzler in eine offensivere Flamenpolitik setzte. Ende September 1915 schickte Bissing das Programm der radikalen Gruppe Jungflandern sowie zwei weitere programmatische Papiere an den Reichskanzler und versah diese mit einem ausführlichen Kommentar. Er distanzierte sich vom politischen Stil der Jungflamen, die er als eine kleine, wenn auch lautstarke Minderheit bezeichnete, die nicht repräsentativ für die flämische Bewegung sei. Die Jungflamen, so der ehemalige Kommandeur der Gardes du corps, seien jedoch wichtig, da sie der »Vortrupp, die vorauseilende leichte Kavallerie« einer Bewegung seien, die einer »Lösung des vlämischen und belgischen Problems in deutschfreundlichem Sinne« zustrebe.46 Um die Bandbreite im aktivistischen Spektrum zu verdeutlichen, lagen dem Schreiben zwei weitere Dokumente bei, hinter deren Standpunkten, so Bissing, wesentlich mehr Flamen als hinter den Jungflamen standen. Der Generalgouverneur schrieb vage, dass hinter diesen Papieren Vertreter des Katholischen Volksbundes, des »Algemeen Nederlandsch Verbond« und des »Nationaal Vlaamsch Verbond« stünden. Das Schreiben, das als zweite Anlage dem Brief Bissings beilag, lehnte die Wiederherstellung eines neutralen Belgiens ab, da dieses in Abhängigkeit zu Frankreich und England geraten müsse. Das Schicksal des flämischen Volkes, seiner niederländischen Sprache und Kultur seien in einem solchen Staate besiegelt – eine Gefahr, vor der es nur »das stammverwandte Deutschtum« bewahren könne. Eine »Verbindung zwischen Deutschen und Vlamen« sei für beide Seiten sinnvoll, wobei jedoch den Flamen ihre »sprachliche, volkliche und kulturelle Eigenart« garantiert werden müsse. Dem Konzept lag offensichtlich die Idee einer staatlichen Eingliederung des belgischen Staatsgebiets ins Deutsche Reich zugrunde, wobei allerdings die Verwaltung der flämischen Teile inklusive Brüssels von Wallonien getrennt werden sollte. Es forderte außerdem die Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule.47 45 Schulze-Gaevernitz an Reichsamt des Innern. 18. August 1915, BArch, R 1501/119487, S. 71. 46 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 26. September 1915, PA AA, R 4486, S. 164. 47 Anlage II des Schreibens. Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 26. September 1915, PA AA, R 4486, S. 171 f. Die Herkunft des Schreibens geht nicht eindeutig aus dem Brief Bissings hervor. Inhaltlich und aufgrund der Erwähnung in Bissings Kommentar ist aber wahrscheinlich, dass es die Positionen im Kreis um Leo Picard zusammenfasste. Dieser war Mitglied der jungflämischen Genter Gruppe

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Die dritte Anlage zu Bissings Schreiben war zurückhaltender. Es handelte sich um die Aufzeichnung einer Unterredung mit einer namentlich nicht genannten Person, die »politisch und litterarisch [sic]« hervorgetreten sei und eine der größten flämischen Organisationen des Landes leite. Dieser Mann vertrat die Ansicht, dass eine offene Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzungsbehörden angesichts der Stimmung in der flämischen Bevölkerung nicht möglich sei. Er erklärte sich aber bereit, »der deutschen Verwaltung im stillen und unerkannt mit Rat zur Seite zu stehen, zum Nutzen seines Volkes, unbeschadet seiner Haltung gegenüber dem noch bestehenden belgischen Staate«.48 Zugleich äußerte auch diese Person die Hoffnung auf eine Verwaltungstrennung nach der Besatzung. Bissings Absicht war wohl vor allem, den Eindruck einer Flamenpolitik zu vermitteln, die wirkungsvoller war, als man aufgrund ihrer Ergebnisse annehmen musste, da sie gezwungen war im Verborgenen zu arbeiten. Andererseits war er deutlich darum bemüht, die Festlegung auf ein konkretes Programm zu vermeiden, das seinen Handlungsspielraum eingeschränkt hätte. Im Ergebnis illustrierte das Schreiben jedoch vor allem die Konzeptionslosigkeit des General­ gouverneurs.

c) Das Programm »Deutschland, Flandern, Holland«. Ein Meilenstein auf dem Weg zur systematischen Nation-Building-Politik Im Gegensatz zum Generalgouvernement stellte die Flamenpolitik einen Schwerpunkt in der Arbeit der deutschen Gesandtschaft in Den Haag dar. Am 7. Oktober 1915 schickte Kühlmann ein 20-seitiges Programm mit dem Titel »Deutschland, Flandern, Holland« an den Reichskanzler. Dieses war laut Kühlmann von »jungen geistigen Führer[n] der flämischen Bewegung in Holland« erstellt worden.49 Hierbei handelte es sich um Gerretson, den »großniederländischen Vertrauensmann« der Gesandtschaft sowie die Mitglieder des »unter unserer Aufsicht« entstandenen »Vlämischen Komitees« in Leiden. Zu diesem gehörten neben den Niederländern Gerretson und Derk Hoek die Flamen Eugène

und Chefredakteur der von dieser herausgegebenen »De Vlaamsche Post« gewesen, hatte sich allerdings am 2. September 1915 im Streit von Domela Nieuwenhuis getrennt und mit der Mehrheit der Mitglieder die Jungflamen verlassen. Picard befand sich seit Anfang September 1915 in den Niederlanden, wo er sich dem Kreis um Gerretson anschloss. 48 Anlage III. Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 26. September 1915, PA AA, R 4486, S. 175. 49 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 7. Oktober 1915, PA AA, R 4486, S. 133–155. (im Folgenden »Deutschland, Flandern, Holland« abgekürzt).

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Cantillon, August Remouchamps und Leo Picard.50 Die beiden letzten waren Redakteure der jungflämischen »De Vlaamsche Post« gewesen, bevor es im September 1915 zum Bruch mit dem radikalen Flügel um Domela Nieuwenhuis gekommen war. In »Deutschland, Flandern, Holland« entwarf diese Gruppe nun ein Programm, das über die flämische Frage eine Interessengemeinschaft zwischen Deutschland, den Niederlanden und Flandern herstellen sollte, nachdem der Überfall auf Belgien und die anschließende Besetzung des Landes die deutschniederländischen Beziehungen stark belastet hatten. Diese Koalition sollte realpolitisch und nicht aufgrund »romantischer Spekulationen bezüglich germanischer Stammverwandtschaft« begründet werden.51 Mit dieser Formulierung distanzierten sich die Autoren von den pangermanischen Jungflamen um Domela Nieuwenhuis und ihren alldeutschen Unterstützern. Ein gemeinsames Interesse Deutschlands, der Niederlande sowie der Flämischen Bewegung sahen sie in der Eindämmung des französischen Einflusses in Belgien. Sie vertraten dabei den Standpunkt, dass Belgien vor dem Krieg nicht wirklich neutral gewesen sei, sondern zumindest mit Frankreich sympathisiert habe.52 Diese Orientierung auf Frankreich habe sich durch den Krieg noch verstärkt, weshalb eine Rückkehr zum »status quo« des Vorkriegszustandes keine Option sei. An die Stelle der bisherigen, angeblich nur »formalen Neutralität« sollte eine »wirkliche Neutralität« treten, die man durch eine Föderalisierung Belgiens garantieren wollte. »Home Rule« in Flandern und Wallonien werde es einer belgischen Regierung unmöglich machen, eine einseitig französische oder deutsch-niederländische Politik zu verfolgen. Die Autoren gingen davon aus, dass ein solches Programm für die amtierende belgische Regierung unannehmbar war. Sie folgten damit dem von Gerretson entworfenen Konzept einer »bedingten Loyalität«, demzufolge die Flamen der belgischen Regierung nur dann zur Loyalität verpflichtet seien, wenn diese sich ihrerseits loyal gegenüber den Flamen verhalte. Eine Weigerung der Regierung, auf das Programm einzugehen, verletzte in dieser Logik die auf Gegenseitigkeit beruhende Loyalität und rechtfertigte so die Zusammenarbeit mit den Deutschen.53 50 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg über die Autoren und Unterstützer des Programms »Deutschland, Flandern, Holland«. Den Haag, 23. Oktober 1915, PA AA, R 4486, S. 181. 51 »Deutschland, Flandern, Holland«, S. 136. 52 Die Ursachen für diese verkehrte Wahrnehmung lag vor allem in der großen Bedeutung der Pariser Presse für die belgische Öffentlichkeit. In der Politik war Misstrauen gegenüber Frankreich verbreitet, das außenpolitisch häufig ungeschickt und herablassend gegenüber den Belgiern agierte. Übrigens zweifelten auch die Franzosen und Briten vor dem 2. August 1914 an der belgischen Neutralität. Bitsch; Gotovitch, Légation. 53 Diese Argumentation hat während eines Krieges, in dem der Nationalstaat von seinen Untertanen die völlige Unterwerfung bis hin zur Opferung des eigenen Lebens fordert, eine besondere Brisanz. Gleichzeitig bedeutet der Krieg die radikale Infragestellung der Existenz-

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Eine Politik nach diesen Grundsätzen habe für das Deutsche Reich nur Vorteile, denn im Fall eines völligen Sieges könne man Belgien schließlich immer noch annektieren. Sollte der Krieg jedoch verloren gehen, sei eine direkte Einflussnahme Deutschlands in Belgien nicht mehr möglich. Die Autoren empfahlen für diesen Fall, die Entstehung einer »nationalen und daher notwendig scharf antibelgischen und separatistischen Vlamenpartei« zu fördern sowie die geheimen Kontakte flämischer Politiker zur Besatzungsverwaltung offenzu­ legen. Diese würden so, schon »um ihrer eigenen Existenz willen«, genötigt sein, »gemeinsame Sache gegen die belgische Regierung zu machen«.54 Für wahrscheinlicher als einen vollständigen Sieg oder eine völlig Niederlage hielten die Autoren allerdings, dass keine Seite in der Lage sein würde, einseitig Friedensbedingungen zu diktieren. Bei Friedensverhandlungen sei dann die Existenz eines »möglichst repräsentativen vlämischen Nationalkomitees« von Nutzen, um die Forderung nach einer Föderalisierung Belgiens durchzusetzen.55 Ein solches Nationalkomitee sollte schon während des Krieges gegründet werden und sich schrittweise zu einer Art »Hilfsbehörde zur gemeinsamen Arbeit mit der deutschen Verwaltung« entwickeln, nach außen aber unabhängig von ihr auftreten.56 Im Grunde genommen unterschied sich die Zielsetzung Gerretsons und seiner Mitstreiter nicht wesentlich von jener, die der alldeutsche Verleger Reismann-Grone schon im Dezember 1914 gegenüber dem Generalgouverneur ge­ äußert hatte: Wenn man Belgien schon nicht behalte, so könne man es zumindest mit Hilfe der Flamen zerstören.57 Unter der Ägide der deutschen Gesandtschaft war diese Idee in den Niederlanden jedoch in ein kohärentes außenpolitisches Programm überführt worden. Erstmals wurden gemeinsam mit Flamen und Niederländern politische Ziele für die Zeit nach dem Krieg formuliert. Das auf der Grundlage einer außenpolitischen Analyse formulierte Minimalprogramm sollte auch im Falle des »worst case« einer deutschen Niederlage Handlungsspielräume eröffnen. Es war der erste Schritt zu einer systematischen Nation-Building-Politik. Staat und Gesellschaft des Besatzungsgebiets sollten in einer Weise beeinflusst und verändert werden, die auch ohne militärischen Zwang eine Poliberechtigung eines Staates, dessen Institutionen ansonsten für die Individuen unumstößlich erscheinen. Der Staat kann diese Legitimationskrisen nur teilweise durch nationalistische Rhetorik und Repression überwinden und ist in vielen Fällen zu Konzessionen gegenüber den Forderungen benachteiligter Minderheiten oder Klassen gezwungen. 54 »Deutschland, Flandern, Holland«, S. 148. 55 Ebd., S. 148 f. 56 Ebd., S. 151 f. Der Begriff »Nationalkomitee« wurde während des Ersten Weltkriegs für Schattenregierungen unter Aufsicht der Deutschen im Rahmen der sogenannten Aufwiegelungspolitik verwendet. Bereits im September 1914 war in Berlin ein indisches Unabhängigkeitskomitee gegründet worden. Im Februar 1915 folgten ein persisches und im Januar 1916 ein algerisch-tunesisches Komitee. Liebau; Vortrag der Autorin am 15. Dezember 2015 an der Freien Universität Berlin. 57 Müller u. Dolderer.

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tik im Sinne der ehemaligen Besatzungsmacht sicherstellte. Die hier formulierten Überlegungen sind auch insofern bemerkenswert, als sie in einer Zeit überspannter annexionistischer Forderungen in der deutschen Öffentlichkeit eine Alternative aufzeigen wollten.58 Kühlmann versuchte in einem Folgeschreiben die breite Unterstützung für den Inhalt des Programms in den Niederlanden und Flandern zu unterstreichen.59 Er listete Namen prominenter Niederländer60 und Flamen auf, die sich zu den Punkten des »Aktionsplanes« bekannt hatten oder nach Meinung des Gesandten auf dessen Linie lagen. Er wies darauf hin, dass eine »Lostrennung der belgisch-vlämischen Bewegung von der holländischen« aufgrund der engen Beziehungen zwischen beiden nicht empfehlenswert sei und die deutsche Politik in den Niederlanden von den Großniederländern wertvolle Unterstützung erhalte. Dies kann auch als Antwort auf Bissing gelesen werden, der behauptet hatte, man wolle in Flandern keine niederländischen Beamten und Professoren sehen. Der neuerliche Vorstoß aus der Haager Gesandtschaft sorgte im Generalgouvernement für heftigen Widerspruch,61 vor allem beim Leiter der für die Flamenpolitik zuständigen Politischen Abteilung in Brüssel. Lancken bezweifelte nicht nur, dass eine Verwaltungstrennung auf föderaler Grundlage ausreiche, um den deutschen Einfluss in Belgien nach dem Krieg zu garantieren, er warf Kühlmann sogar vor, deutsche Interessen zu vernachlässigen. Zwar müsse auf niederländische Interessen Rücksicht genommen werden, dies dürfe aber nicht dazu führen,

58 Im Herbst 1915 plädierten beispielsweise die Admirale Tirpitz und Holtzendorff in Denkschriften für umfangreiche Annexionen belgischen Staatsgebiets. Henning von Holtzendorff, Die Bedeutung der belgischen Häfen für unsere Seegeltung, PA AA, R 21568. S. 24–49; Alfred von Tirpitz, Die Bedeutung Belgiens und seiner Häfen für unsere Seegeltung. Zugesandt am 19. Oktober 1915 (ganz geheim), PA AA, R 21568, S. 9 ff. 59 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg über die Autoren und Unterstützer des Programms »Deutschland, Flandern, Holland«. Den Haag, 23. Oktober 1915, PA AA, R 4486, S. 181. 60 Die bekanntesten waren Abraham Kuyper, der Gründer der »Antirevolutionaire partij« (ARP) sowie Hendrikus Colijn, der frühere Kriegsminister und Direktor der »Bataafsche Petroleum Maatschappij« (BPM), dem Vorläufer von »Shell«. Puchinger, Colijn; ders., Kuijper. 61 Im Gegensatz zur Darstellung Dirrs nach dem Krieg, der das Programm »Deutschland, Flandern, Holland« als eine gemeinsame Initiative der deutschen Gesandtschaft in den Niederlanden und der Politischen Abteilung darstellte. Dirr-Bericht. S. 517; Gegen diese Darstellung spricht auch, dass Dirr im Mai 1916 in Den Haag um die Zusendung des »flämisch-belgischen Berichts« der Gesandtschaft bat. Schreiben des Gesandten in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 17. Mai 1916, PA AA, R 4888. S. 245. Dieser Bericht war Dirr also zuvor nicht zugänglich gewesen. Der Kanzler stimmte einer Übersendung zu, allerdings nicht an Dirr persönlich, sondern an die Politische Abteilung, wobei deren Chef Lancken in Kenntnis gesetzt werden sollte. Dies ein Hinweis auf die verworrenen Zuständigkeiten in Brüssel. Handschriftlicher Vermerk Bethmann Hollwegs vom 24. Mai 1916 auf dem obigen Schreiben.

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»dass notwendige deutsche Ansprüche vor holländischen oder großniederländischen Gesichtspunkten in den Hintergrund treten«.62 Diese für diplomatische Verhältnisse außergewöhnlich scharfe Formulierung ergänzte Lancken noch um den Vorwurf der mangelnden Sachkenntnis. Auch ein Föderalstaat brauche zentrale Institutionen und diese müssten nach Lage der Dinge schon allein aufgrund ihrer finanziellen Macht und besseren Bildung von den frankophonen Eliten dominiert werden. Die Flamen bräuchten deshalb die Anlehnung an Deutschland.63 Lancken vertrat offen den Standpunkt, dass die Wiederherstellung eines unabhängigen Belgiens unerwünscht sei.64 Eine Neutralitätspolitik, wie sie von Kühlmann vorgeschlagen wurde, könne von der belgischen Regierung sogar als »Ausweg« aus der schwierigen Lage betrachtet werden, in die sie durch die Flamenpolitik geraten sei.65 Ebenso wie Bissing gelang es Lancken jedoch nicht, glaubhaft zu machen, dass es für eine Politik, die offen die Zerschlagung Belgiens betrieb, ernsthafte flämische Unterstützung gab. Neben dem – wie er selbst schrieb – »nicht sehr großen Kreise der Vlaamschen Post und der sogenannten Genter Gruppe«, der er einen »nicht immer wünschenswerten Radikalismus« attestierte, nannte Lancken nur drei weitere Namen.66 Kühlmann reagierte in einem Schreiben an den Reichskanzler deutlich verschnupft auf diese Kritik. Lancken habe zwar von den deutschen Interessen in Belgien geschrieben, aber versäumt diese genauer zu definieren. Er hob erneut hervor, dass für den Fall einer offenen oder verschleierten Annexion Belgiens die Flämische Bewegung vernachlässigbar sei. In allen anderen Fällen käme ihr jedoch eine überragende Bedeutung zu. Deshalb müsse die deutsche Verwaltung versuchen, Tatsachen zu schaffen, die von einer belgischen Regierung nicht mehr beseitigt werden könnten. Auch Kühlmann bewertete die offen für ein unabhängiges Flandern eintretenden Jungflamen als wichtige Verbündete im Bestreben, den belgischen Zentralstaat zu beseitigen. Die Kraft eines großen Namens, wie es das von diesen geforderte »Königreich Flandern« sei, sei kaum zu überschätzen. Die Verwaltungstrennung erschien ihm als Begriff zu schwach, um die »breiten Massen eines schwerfälligen und ungebildeten Volkes« aufzupeitschen. Die separatistische flämische Nationalbewegung sollte allerdings vor allem dazu dienen, die Errichtung eines belgischen Föderalstaats durchzusetzen, auch wenn er ein-

62 Schreiben von der Lanckens an das Auswärtige Amt. Brüssel, 10. Dezember 1915, PA AA, R 4487, S. 4–16, hier: S. 8. 63 Ebd., S. 4–16. 64 Diese Interpretation vertritt auch Wende. Dieser ist sogar der Ansicht, Lancken habe die Errichtung eines flämischen Staates unter Ausschaltung der »völkerrechtlichen Persönlichkeit Belgiens« beabsichtigt. Wende, S. 81. 65 Schreiben Lanckens an das Auswärtige Amt. Brüssel, 10. Dezember 1915, PA AA, R 4487, S. 13. 66 Ebd, S. 10. Bei den Flamen handelte es sich um Arthur Faingnaert, Hippoliet Meert und Jacob Lambrichts.

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räumte, dass vom Standpunkt der deutschen Verwaltung im Besatzungsgebiet viel gegen eine solche Politik spreche.67 Kühlmann befürwortete also eine zumindest der Form nach revolutionäre und auf kurze Sicht riskante Politik, welche die Ruhe im Besatzungsgebiet gefährdete, um auch für den Fall einer militärischen Niederlage oder eines Verhandlungsfriedens gewappnet zu sein. Diese Position unterschied sich auch deutlich vom Programm »Deutschland, Flandern, Holland«, welches Separatismus als kontraproduktiv ablehnte. Ähnlich wie Bissing betrachtete Kühlmann die radikalen Jungflamen als »Voraustruppe«, um letztlich weniger weitgehende Ziele zu verwirklichen. Aus dem Schreiben des deutschen Gesandten in den Niederlanden lässt sich übrigens auch schließen, dass dieser von der Entscheidung Bissings, eine Flämische Hochschule in Gent zu gründen, noch nichts wusste,68 ein weiterer Beleg dafür, dass die Flamenpolitik zu diesem Zeitpunkt keineswegs in enger Abstimmung zwischen dem Generalgouvernement und der Gesandtschaft in Den Haag geführt wurde.69 Beide agierten vielmehr neben- und in einigen Fällen auch gegeneinander, ein Charakteristikum der chaotischen polykratischen Strukturen des Kaiserreichs.70 Die Intervention Kühlmanns gegen die Wiedereröffnung der frankophonen Universität Gent leitete eine Wende in der Flamenpolitik ein. Diese entwickelte sich von einer eher symbolpolitischen und an den Bedürfnissen der konkreten Besatzungspolitik orientierten Taktik zur langfristig planenden Nation-Building-Politik. Das Ziel war nun nicht mehr nur den belgischen Burgfrieden zu erschüttern und Kollaborateure zu gewinnen, sondern die wirtschaftlichen, politi­ schen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Belgien dauerhaft umzugestalten. 67 Schreiben des Gesandten in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 28. Dezember 1915, PA AA, R 4487. S. 19. 68 Kühlmann schrieb am 28. Dezember 1915, dass »die Schaffung einer Universität oder nur des Rumpfes einer solchen für das Flamentum in Gent […] eine kostbare Hilfe für das ringende Flamentum bedeuten« würde. Er war also offensichtlich nicht von der Entscheidung Bissings am 2. Dezember 1915 unterrichtet. 69 Diese Sicht suggeriert Dirr in seinem Abschlussbericht. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 517 und 524. 70 Der Begriff Polykratie scheint im Hinblick auf das Kaiserreich wesentlich zutreffender als auf den Nationalsozialismus. Die sich überschneidenden Kompetenzen unterschiedlicher Institutionen während des Nationalsozialismus waren Ergebnis eines kompetitiven Führungsstils Hitlers. Im Ergebnis führte dieser wohl eher zu einer effizienteren Verwaltung im Sinne der Nationalsozialisten. Zumindest hielten sich funktionale und dysfunktionale Aspekte die Waage. Im Gegensatz hierzu war das institutionelle Wirrwarr des Kaiserreichs teilweise historisch gewachsen und daneben Ergebnis einer eklatanten Führungsschwäche, aber kein Herrschaftskonzept. Zwar wurde der Kaiser von den verschiedenen Parteien immer wieder als Schiedsrichter angerufen, konnte diese Funktion mit zunehmender Kriegsdauer aufgrund seines Autoritätsverlusts jedoch immer weniger ausüben. Das Ergebnis war eine ineffiziente Polykratie nebeneinander bestehender Machtzentren, die sich durch das Fehlen einer zentralen Steuerung vielfach gegenseitig behinderten. Roolf, Anliegen; Afflerbach, Kaiser, S. 204.

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Das deutsch-niederländisch-flämische Netzwerk, das um die Gesandtschaft in Den Haag entstand, spielte hierbei eine wichtige Rolle und lieferte mit dem im Oktober entstandenen Programm »Deutschland, Flandern, Holland« einen entscheidenden Impuls. Kühlmann war es gelungen, ernstzunehmende flämische und vor allem niederländische Partner für seine Politik zu finden. Dass der Anstoß zu dieser Wende aus den Niederlanden kam, lässt sich vor allem mit dem neuen außenpolitischen Stil erklären, den Kühlmann etablierte. Die »Soft Power« der Kulturpolitik wurde durch die Flamenpolitik ergänzt. Ein anderer Faktor war, dass der Gesandte in Den Haag nicht mit den Alltagssorgen eines Besatzungsregimes konfrontiert war und sich bequem politischen Sandkastenspielen widmen konnte.

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4. Die Entscheidung zur Nation-Building-Politik im ersten Halbjahr 1916

Der Anlass für Kühlmanns Einmischung war die Frage der Eröffnung einer Flämischen Hochschule in Gent während der Besatzung gewesen. Dies hatte dazu geführt, dass die deutsche Verwaltung Abstand vom ursprünglichen Plan nahm, die Universität Gent in ihrer bisherigen Form zu eröffnen. Die Entscheidung gegen die alte frankophone Universität war jedoch noch längst keine für eine Flämische Hochschule. Diese fiel erst Ende November 1915, ohne dass es bereits ein Konzept für die Umwandlung gab. Unter dem Druck aus Berlin musste dieses innerhalb weniger Monate erarbeitet werden.

a) Die Entscheidung für eine Flämische Hochschule Die Forderung, die Universität Gent in eine Flämische Hochschule umzuwandeln, gehörte spätestens seit der Jahrhundertwende zu den Kernforderungen der Flämischen Bewegung. Wie gesehen hatte Bethmann Hollweg dem Generalgouverneur bereits zu Beginn der Besatzung empfohlen, diese Forderung zu erfüllen.1 Zunächst passierte in der Angelegenheit jedoch nicht viel, wenn man von der Ankündigung einer Denkschrift über die »Genter Hochschulfrage und die Forderung der Verwaltungstrennung« absieht.2 Der Verwaltungschef hatte außerdem die Gründung eines »staatlichen Lehrerseminars mit niederländischer Sprache« angeregt, da es einen erheblichen Mangel an niederländisch­ sprachigen Lehrern gab. Dieser zeigte sich, als die deutschen Behörden begannen, die belgischen Gesetze über die Unterrichtssprache an den Volksschulen konsequent umzusetzen.3 Dies war jedoch etwas völlig anderes als die Gründung einer Universität. Dass die Gründung einer Flämischen Hochschule keine Priori1 Schreiben Bethmann Hollweg an Generalgouverneur Bissing, Berlin, 16. Dezember 1914, PA AA, R 21362, S. 122–124. 2 TB der Politischen Abteilung seit ihrer Errichtung am 13. Februar 1915 bis Ende April 1915, PA AA, R 21364, S. 65. 3 Verwaltungschef Belgien, Verwaltungsbericht vom August 1915 bis Oktober 1915, S. 24; Der Zusammenhang zwischen der Benachteiligung des Niederländischen an den belgischen Schulen und der Notwendigkeit, eine Flämische Hochschule zu gründen, wurde am 9. Oktober 1915 auch in einem Artikel der vom Generalgouvernement betriebenen Presseagentur »Korrespondenz Belgien« hergestellt. Allerdings blieb dies bis zum Januar 1916 die einzige redaktionelle Stellungnahme in diesem Sinne.

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tät besaß, zeigte auch der Plan, die Universität Gent in bisheriger Form wiederzueröffnen, der erst durch die Einmischung Kühlmanns verhindert worden war. Abgesehen vom deutschen Gesandten in Den Haag wurde dem Generalgouver­ neur die Hoheit über die Flamenpolitik auch von anderer Seite streitig gemacht. Teile der Etappeninspektion und insbesondere der Chef der Zivilverwaltung in Ostflandern, Ecker, sympathisierten stark mit den Jungflamen. Gegen den Willen und ohne das Wissen der Behörden des Generalgouvernements ermöglichten sie deren charismatischem Führer im Oktober 1915 eine Reise nach Berlin.4 Hier traf sich Domela durch die Vermittlung des christlich-sozialen Reichstagsabgeordneten Reinhard Mumm mit einer Reihe wichtiger Persönlichkeiten. Admiral Tirpitz, der sich lautstark für eine Annexion Belgiens einsetzte, gefiel Domela besonders gut.5 Bissing hatte also allen Anlass, in der Flamenpolitik Initiative zu zeigen, wenn er nicht die Kontrolle verlieren wollte. Die Eröffnung einer Flämischen Hochschule in Gent, das außerhalb des Generalgouvernements im von der Armee kontrollierten Etappengebiet lag, ermöglichte es dem Generalgouverneur, unter Umständen seinen Einfluss auch auf dieses auszudehnen. Dass das Thema einer Flämischen Hochschule an Aktualität gewann, lag auch an einem Ereignis außerhalb Belgiens. Am 15. November 1915 eröffneten die deutschen Besatzungsbehörden in Warschau die Polnische Universität.6 Diese Maßnahme, so hieß es im Bericht der Politischen Abteilung Brüssel, sei von den Flamen lebhaft diskutiert worden.7 Zwei Wochen später, am 27. November 1915, erschien Bissings persönlicher Beauftragter in Flamenfragen, Pius Dirr, zu einem Vortrag über die Genter Hochschule. Er vertrat die Ansicht, dass nun gehandelt werden müsse, wenn man nicht hinter früheren Zugeständnissen des belgischen Ministerpräsidenten zurückbleiben wolle.8 Als Inhaber der höchsten Gewalt könne der Generalgouverneur den Königlichen Erlass von 1849 ändern, der das Französische als einzige Unterrichtssprache an den belgischen Universitäten vorschrieb. Auch die Finanzierung der Flämischen Hochschule hielt Dirr für gesichert, da durch die 4 Schreiben Chef Politische Abteilung Lanckens an Unterstaatssekretär Wahnschaffe über Reise Domelas nach Berlin. Brüssel, 21. Oktober 1915, PA AA, R 4486, S. 180; Bericht Domelas in: Velde, Anhang, S. I–IX. 5 Alfred von Tirpitz, Die Bedeutung Belgiens und seiner Häfen für unsere Seegeltung. Zugesandt am 19. Oktober 1915 (ganz geheim), PA AA, R 21568, S. 9 ff. 6 Kauffman. 7 TB der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien vom Anfang November 1915 bis Ende Januar 1916, PA AA, R 21365, S. 195; Auch der Sohn des Generalgouverneurs erwähnte in einem im Frühjahr 1916 in den Süddeutschen Monatsheften erschienenen Aufsatz die Bedeutung der Warschauer Universität. Bissing, S. 26. In der vom Generalgouvernement betriebenen Presseagentur »Korrespondenz Belgien« wurde dieser Zusammenhang unter dem Titel »Belgische Meinungen über die Wiedereröffnung der Universitäten« bereits am 18. Dezember 1915 (Ausgabe Nr. 60) hergestellt, ohne dass übrigens die Flämische Hochschule erwähnt worden wäre. 8 Pius Dirr, Zur Lösung der Genter Hochschulfrage. Mündlicher Vortrag erstattet am 27. November 1915 (Abschrift), Langendries Bd. 1, S. 73.

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kriegsbedingte Einstellung des Unterrichtsbetriebs an den Staatsuniversitäten Gent und Lüttich erhebliche Einsparungen entstanden waren.9 Bissing entschied kurz nach Dirrs Vortrag am 2. Dezember 1915, eine Summe für die Umwandlung in den Etat des Folgejahres aufzunehmen. Offiziell wurde dieser Entschluss am 30. Dezember 1915 verkündet. Hiermit war laut Dirr noch nicht gesagt, dass eine Flämische Hochschule unter deutscher Besatzung auch tatsächlich eröffnet werden würde. Der Generalgouverneur habe lediglich seine Bereitschaft erklären wollen, die Flamen bei der Gründung zu unterstützen.10 Die Absicht war also, mehr Flamen zur aktiven Zusammenarbeit zu bewegen. Gleichzeitig ist der Versuch, die deutsche Initiative herunterzuspielen, deutlich erkennbar. Denn selbst wenn man Dirrs Darstellung folgt, dass Bissing zum Zeitpunkt der Budgetierung die Eröffnung der Hochschule von einer flämischen Beteiligung abhängig machen wollte, so war diese Position doch bald überholt. Am 6. Januar 1916 wandte sich der Reichskanzler in einem Schreiben an Bissing, das von dem Gedanken ausging, dass Deutschland nach dem Krieg nicht nach Gutdünken über Belgien verfügen könne.11 In einem Entwurf des Schreibens vom 1. Januar 1916 wird sogar deutlich, dass Bethmann Hollweg nicht mehr an einen Siegfrieden glaubte und was Belgien betraf höchstens ein »Schutzbündnis mit politischen, militärischen und wirtschaftlichen Sicherungen« für möglich hielt.12 Die Schaffung einer flämisch-nationalistischen Bewegung sollte sowohl die deutsche Stellung in einem solchen Schutzbündnis festigen als auch die Position in Friedensverhandlungen über den Nachkriegsstatus Belgiens stärken. Zu diesem Zweck schlug Bethmann Hollweg die Schaffung eines flämischen »Nationalkomitees« vor, eine Idee, die er von Kühlmann übernommen hatte. Unter Verweis auf die im November 1915 eröffnete Polnische Universität in Warschau drängte der Kanzler auf eine schnelle Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule und regte an, deren Eröffnung als Anlass für die Bildung des Nationalkomitees zu nehmen.13 Bissing schrieb in den folgenden Wochen mehrere Male an den Reichskanzler, um diesen auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Flamenpolitik aufmerksam zu machen und so deren schleppenden Gang zu entschuldigen. Hierbei etablierte der Generalgouverneur das Narrativ eines behutsamen, aber zielbewussten Vorgehens und versuchte, sich so gegen die Einmischung von außen zu wehren. Der Generalgouverneur schrieb, dass es zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme noch kaum eine flämische Bewegung gegeben habe, so dass die Besatzungsbehörden erst Anknüpfungspunkte für eine Flamenpolitik hätten 9 Ebd., S. 75. 10 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 634 f. 11 Reichskanzler Bethmann Hollweg an den Generalgouverneur in Belgien Bissing. Berlin, 6. Januar 1916, PA AA, R 4487, S. 43. 12 Entwurf eines Schreibens Reichskanzler Bethmann Hollwegs an den Generalgouverneur in Belgien Bissing. Berlin, 1. Januar 1916, PA AA, R 4487, S. 36. 13 Reichskanzler Bethmann Hollweg an den Generalgouverneur in Belgien Bissing. Berlin, 6. Januar 1916, PA AA, R 4487, S. 45 f.

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finden müssen. Eine Unterstützung radikaler Gruppen hätte gemäßigte Kräfte abschrecken können. Deshalb habe man sich vor allem auf die Umsetzung bestehender belgischer Gesetze zugunsten der Flamen konzentriert. Dieses Vorgehen habe auch ängstlichen und sogar zunächst deutschfeindlichen Flamen die Mitarbeit erlaubt, da sie sich ja innerhalb eines legalen belgischen Rahmens bewegten. Der Generalgouverneur warnte davor, radikalen flämischen Gruppen Gehör zu schenken oder diesen gar Versprechungen zu machen. Die Zeit für die Errichtung eines flämischen Nationalkomitees, ein aus belgischer Perspektive »revolutionäres Auftreten«, sei noch nicht gekommen. Sie könnte den Rückzug von Flamen zur Folge haben, die bisher im Geheimen mit den Besatzungsbehörden in Kontakt gestanden hätten. Die »maßgebenden und einflussreichsten Führer« befänden sich weder in der Genter, d. h. jungflämischen, noch in der holländischen Gruppe, sondern in den »im stillen wirkenden großen vlämischen Verbänden«. Diese bildeten nach Meinung Bissings im Geheimen bereits eine »national-vlämische Aktionsgruppe«.14 Neben dieser Argumentation, die im Grunde auf die Erklärung hinauslief, man habe ihn in Den Haag und Berlin falsch verstanden, führte Bissing drei weitere Gründe für die langsame Umsetzung der Flamenpolitik an: erstens die Teilung des Besatzungsgebiets in Generalgouvernement und Etappen-/Operationsgebiet, wodurch Verhandlungen mit den militärischen Stellen notwendig waren, zweitens administrative Probleme, etwa den Mangel an niederländischsprachigen deutschen Beamten und drittens das Fehlen klar formulierter deutscher Kriegsziele. Das Fehlen klar definierter Kriegsziele in Bezug auf Belgien war seiner Ansicht nach auch ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung vieler Flamen, da diese eine Wiederherstellung Belgiens fürchteten. Während der Generalgouverneur die Flamenpolitik also vor allem als Instrument der Besatzungsherrschaft und für die Vorbereitung einer Annexion Belgiens betrachtete, sah der Reichskanzler sie vor allem unter außenpolitischen Gesichtspunkten und als Alternative zu einer direkten deutschen Herrschaft. Trotz seiner Einwände erklärte sich Bissing bereit, der flämischen Bewegung die »Möglichkeit einer über den Rahmen der jetzigen belgischen Verfassung und Gesetzgebung hinausgehenden Entwicklung« zu geben. Diese Auffassung habe auch der Entscheidung, die Genter Universität in eine Flämische Hochschule umzuwandeln, zugrunde gelegen, was jedoch genau geplant werden müsse. Neben Baumaßnahmen, für die er drei bis vier Monate veranschlagte, sah Bissing vor allem ein Problem darin, genügend Studenten und Dozenten für die Universität zu finden. Die Agitation gegen die Flamisierung, insbesondere durch den Historiker Henri Pirenne, schüchterte laut Bissing die anderen Mitglieder des Lehrkörpers ein. Es müsse damit gerechnet werden, zahlreiche Neuberu-

14 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 11. Januar 1916, in: Langendries Bd. 1, S. 116 f.

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fungen vorzunehmen, weswegen er die Bildung einer deutschen Beratungskommission vorschlug. Auch die belgische Studienorganisation in Studienjahre, also nicht in Semester, war ein Grund, weshalb er eine Eröffnung vor Oktober 1916 nicht für machbar hielt.15 Die Erklärung des Generalgouverneurs, die flämische Bewegung auch über den Rahmen der belgischen Verfassung und Gesetzgebung hinaus zu unterstützen, ist vielfach als Zäsur beschrieben worden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die deutschen Überlegungen oder zumindest jene des Generalgouverneurs vor 1916 in den Grenzen des Völkerrechts bewegt hätten. Wie sich bereits in der Diskussion über die Beseitigung des Parlaments gezeigt hatte, war Bissings Respekt vor der belgischen Verfassung gering und seine Einwände entsprangen einerseits praktischen Erwägungen und andererseits einem anderen politischen Konzept. Seine bessere Kenntnis der Verhältnisse vor Ort machte ihn gegenüber den hochfliegenden Plänen Bethmann Hollwegs skeptisch, während er andererseits weiterhin an einen deutschen Sieg glaubte, der eine Annexion Belgiens möglich machen würde.16 Die Erklärungen Bissings befriedigten Bethmann Hollweg keineswegs und er drängte auf eine Eröffnung der Flämischen Hochschule noch im Frühjahr 1916.17

b) Die Vorbereitungen für die Flämische Hochschule Durch diesen Druck aus Berlin musste in großer Eile ein Konzept für die Umwandlung der Universität Gent erarbeitet werden. Zuständig war hierfür der Münchner Mathematikprofessor Walther von Dyck.18 Dieser arbeitete sich seit Dezember  1915 in seine Aufgabe ein und stieß bald auf handfeste Probleme. Auf eine vorsichtige Anfrage bei den Genter Professoren, ob diese über die »Befähigung vlämisch zu lesen« verfügten, antworteten lediglich acht Hochschullehrer positiv.19 Dyck führte diese Haltung auf den organisierten Widerstand unter Führung des Historikers Henri Pirenne zurück. Durch diesen seien auch die Befürworter einer Flämischen Hochschule so eingeschüchtert, dass sie die Durchsetzung von den Deutschen erwarteten. Er vertrat die Ansicht, dass die 15 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 29. Januar 1916, in: Langendries Bd. 1, S. 121–123. 16 Denkschrift des Generalgouverneurs in Belgien Bissing. Brüssel, 2. Mai 1915, GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 13221 (unpaginiert). 17 Reichskanzler Bethmann Hollweg an den Generalgouverneur in Belgien Bissing. Berlin, 13. Februar 1916. in: Langendries Bd. 1, S. 123–125. 18 Hashagen. 19 Der zuständige Generaldirektor im belgischen Unterrichtsministerium, Léon Beckers, sah übrigens keinen Loyalitätskonflikt darin, diese Anfrage an die Professoren weiterzugeben. Er gab allerdings laut Dyck an, dass er die Flamisierung für problematisch halte und ein Absinken des akademischen Niveaus in Flandern befürchte. Dyck, Denkschrift, S. 197.

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willigen Professoren nur dann »zur Aufnahme der Vorlesungen in vlamischer Sprache gebracht werden können, wenn sie sich der eigenen Verantwortlichkeit enthoben sehen«.20 Der Widerstand gegen eine Flämische Hochschule von deutschen Gnaden wurde keineswegs nur von Personen getragen, die diese wie Pirenne schon vor dem Krieg abgelehnt hatten. Paul Fredericq, der neben Pirenne wichtigste Gegner unter den Professoren, war eine über Gent hinaus bekannte Figur in der Flämischen Bewegung. Besonderes Gewicht besaß auch der Protest Louis Francks, des faktischen Bürgermeisters Antwerpens, den dieser bereits am 8. Januar 1916 formuliert hatte. Der Liberale Franck hatte gemeinsam mit dem Katholiken Van Cauwelaert und dem Sozialisten Huysmans vor dem Krieg im Parlament die überparteiliche Initiative für eine flämische Universität angeführt. Dass er sich wie seine beiden Kollegen gegen die Gründung einer Hochschule durch die Besatzungsmacht aussprach, hatte Gewicht und hielt viele von der Mitwirkung ab.21 Bissing sah sich gezwungen zu reagieren und drohte öffentlich, streng gegen jeden Versuch vorzugehen, Professoren oder Studenten von der Mitwirkung an der Flämischen Hochschule abzuhalten.22 Die Umwandlung der Hochschule war also von Anfang an ein deutsches Projekt und keine Reaktion auf flämische Forderungen, schon gar nicht aus akademischen Kreisen. Dies wird auch an der Art der Durchführung deutlich. Für den 8. und 9. März 1916 wurde eine hochkarätig besetzte Expertenkommission deutscher Professoren nach Brüssel einberufen. Ihr prominentestes Mitglied war der evangelische Theologe Adolf von Harnack von der Universität Berlin, seines Zeichens Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Leiter der Königlichen Bibliothek Berlin, der heutigen Staatsbibliothek.23 Unter den Teilnehmern befand sich kein einziger Belgier. Zur Vorbereitung war den Mitgliedern des Gremiums eine Denkschrift Dycks zugegangen, in der dieser u. a. die vor dem Krieg in Belgien diskutierten Konzepte für eine Flämische Hochschule referierte. Diese waren: erstens 20 Dyck, Denkschrift, S. 195–197. 21 Wils, Onverfranst, S. 194–195; Vrints, Stad, S. 89. 22 Schreiben Generalgouverneur in Belgien Bissing an Louis Franck. Brüssel, 3. Februar 1916, abgedruckt in niederländischer Übersetzung im aktivistischen »Het Vlaamsche Nieuws«, 4. März 1916. 23 Die weiteren Akademiker waren der Hamburger Professor für niederdeutsche Philologie, Conrad Borchling, der Spezialist für niederdeutsche Sprache und Professor für Germanistik in Münster, Franz Jostes, der Professor für Germanistik in Berlin, Gustav Roethe, der Göttinger Germanist Edward Schröder und der in Holland geborene Professor für Sinologie an der Universität Berlin, Jan de Groot. Roethe und Jostes waren auch Ehrenmitglieder der Königlich Flämischen Akademie in Gent. Weiterhin nahmen der bedeutende Gynäkologe und Professor für Medizin an der Charité, Ernst Bumm, der Wiesbadener Mediziner, Philosoph und Psychologe Theodor Ziehen, der Würzburger Professor Georg von Schanz und der Sohn des Generalgouverneurs, der Münchner Ägyptologe Professor Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, an den Beratungen teil. Hashagen, S. 510.

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die Gründung einer fünften belgischen Universität, neben den bestehenden,24 zweitens die Verdopplung einzelner oder aller Fächer an der Universität Gent, drittens die schrittweise Umwandlung in eine flämische Hochschule. Ein solcher sanfter Übergang zur Flämischen Hochschule war auch in der Politischen Abteilung, namentlich von Dirr und Schulze-Gaevernitz, vertreten worden. Ihr Vorschlag sah eine dreijährige Frist bis 1919 vor, während der es noch gestattet sein sollte, auf Französisch zu lehren. Voraussetzung war die Bereitschaft, anschließend auf Niederländisch zu unterrichten.25 Nach dem niederschmetternden Ergebnis der Anfrage an die Genter Professoren verwarf Dyck diese Ansätze und schlug die sofortige Umwandlung der Universität vor. Hierfür hielt er umfangreiche Neubesetzungen für notwendig, insbesondere einen Austausch der Universitätsleitung.26 Anschließend sollten die Professoren aufgefordert werden, ihre Vorlesungen in niederländischer Sprache zu halten, sofern sie diese beherrschten. Denjenigen, die hierzu tatsächlich nicht in der Lage waren, sollte weiterhin ein Ruhegehalt in Höhe von zwei Dritteln der bisherigen Bezüge gewährt werden. Allen anderen sollte hingegen die Streichung des Gehalts angedroht und gegen Widerstand hart durchgegriffen werden.27 Das Protokoll der »Beratung über die Genter Hochschule«, die am 8. und 9. März 1916 in Brüssel stattfand, ist ein aufschlussreiches Dokument für die Untersuchung der deutschen Belgien- und Flamenpolitik. Neben den Professoren nahmen Vertreter des Generalgouvernements und der für das Etappengebiet zuständigen 4. Armee sowie Vertreter des Reichsamts des Innern und der bayrischen Regierung teil.28 Bei der Eröffnung der Sitzung machte der Generalgouverneur deutlich, dass er die Professoren auch deshalb hinzugezogen habe, 24 In Belgien gab es 1914 zwei staatliche Universitäten in Gent und Lüttich, daneben die liberale Freie Universität in Brüssel sowie die mit Abstand größte Hochschule, die Katholische Universität Löwen. Die Unterrichtssprache an allen belgischen Universitäten war, mit Ausnahme vereinzelter nicht prüfungsrelevanter Kurse, Französisch. 25 Dyck, Denkschrift, S. 183 f. 26 Zum Rektor wurde der Moralphilosoph Pierre Hoffmann berufen, zum Sekretär des akademischen Senats der Mediziner Emiel Lahousse. Beide Posten waren zu diesem Zeitpunkt vakant. Die Ernennung des Rektors erfolgte nach belgischem Gesetz durch das Unterrichtsministerium ohne Mitsprache der Hochschule. 27 Dyck, Denkschrift, S. 201–203. 28 Außer dem Generalgouverneur nahmen Verwaltungschef Maximilian von Sandt sowie dessen Referenten Karl Trimborn und Walther von Dyck, der Chef der Politischen Abteilung Oscar von der Lancken und dessen Referenten Pius Dirr und Hans von Harrach teil. Aus dem Reichsamt des Innern nahm Ministerialdirektor Theodor Lewald als Bevollmächtigter des Reichskanzlers teil sowie ein Geheimer Regierungsrat. Die bayrische Regierung entsandte den Referenten für das Hochschulwesen, Theodor von Winterstein. Für die 4. Armee, in deren Etappe die Stadt Gent lag, waren Oberquartiermeister Oberst Sydow, Major Sachs sowie Oberstleutnant Roland Ostertag, der Chef des Generalstabs der Etappen-Inspektion der 4. Armee in Gent abgeordnet. Außerdem nahm der Präsident der Zivilverwaltung in Ostflandern, Friedrich Ecker, teil.

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da man in Deutschland schlecht über die Verhältnisse in Belgien informiert sei. Bissing zeigte sich gekränkt über den Vorwurf, »belgische Politik« zu betreiben, und sprach im Zusammenhang mit der Eröffnung der Flämischen Hochschule von einem »germanischen Werk«. Er schloss seine Einleitung mit der Hoffnung, »dass Sie, meine Herren, uns helfen, ein deutsches Werk, ein Werk für das Germanentum zu errichten«.29 Anschließend erläuterte Dirr die politische Seite der Umwandlung. Vor dem Krieg sei die Befürchtung geäußert worden, dass die Einführung der niederländischen Unterrichtssprache die belgische Staatseinheit gefährde. Er machte deutlich, dass es seiner Ansicht nach nur begrüßt werden könne, »wenn die französisch-belgische Staatseinheit durch die Genter Universität beeinträchtigt würde«.30 Ähnlich wie der Generalgouverneur bediente sich auch Dirr aus dem Fundus der völkischen Rhetorik. So betonte er, es handle sich nicht um einen Sprachenstreit, sondern »um die Erhaltung und Fortentwicklung der germanischen Art in Belgien, die vom vordringenden Romanentum schwer gefährdet wird und schon stark beeinträchtigt ist«.31 Obwohl beide Herren sich auch in anderen Zusammenhängen einer ähnlichen Sprache bedienten, so entsprang die Deutschtümelei an dieser Stelle wohl vor allem einem Rechtfertigungsbedürfnis. Schließlich hatten die Flamenpolitik und die »Erhaltung und Fortentwicklung der germanischen Art« zunächst keineswegs zu den Prioritäten der Besatzungsbehörden gehört. Doch es gab auch deutsche Gegner einer Flämischen Hochschule. Am zweiten Sitzungstag wurde eine Erklärung des für Gent zuständigen Oberbefehlshabers der 4. Armee, Albrecht von Württemberg, verlesen. Dieser bezweifelte, dass die Flamen eine Universität verdienten, denn von »Regungen der Blutsverwandtschaft« sei bei ihnen nichts zu bemerken. Die Flamen blieben Belgier, die von einem Zusammenhange mit Deutschland nichts wissen wollten.32 Württemberg wies darauf hin, dass vor allem Spionage ein Problem darstelle, die aus allen Schichten der Bevölkerung unterstützt würde, man solle nicht damit rechnen, dass eine einzelne Wohltat zu einem Stimmungsumschwung führe.33 Der Generalgouverneur entgegnete auf diese Kritik, dass es sich bei der Eröffnung der Flämischen Hochschule nicht um ein deutsches Geschenk handle, sondern um »ein wohlbegründetes und der vlämischen Bevölkerung seit langer Zeit zustehendes Recht«.34 29 Beratung über die Genter Hochschule. Brüssel, den 8. und 9. März 1916 (streng vertraulich), in: Langendries Bd. 1, S. 403–405. Die Originale u. a. in PA AA, R 4489. 30 Ebd., S. 416. Hervorhebung im Original. 31 Ebd., S. 405–411. 32 Ebd., S. 438. 33 Ebd., S. 439 f. Dass die 4. Armee Sicherheitsbedenken gegen die Eröffnung der Flämischen Universität geltend machte, ist übrigens insofern bemerkenswert, als sie zunächst die Wiedereröffnung der Universität in frankophoner Form befürwortet hatte. Die Sicherheitsprobleme wären wohl ähnlicher Art gewesen. 34 Ebd., S. 441.

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Auch zwischen den für die Umwandlung zuständigen Beamten des Generalgouvernements gab es unterschiedliche Ansichten. Dyck war pessimistisch und erwartete, dass auch die Professoren, die zunächst erklärt hätten, auf Niederländisch zu lesen, ihre Entscheidung zurückziehen würden. Dirr vertrat hingegen die Ansicht, dass nach den ersten Neuberufungen die meisten Professoren weicher werden würden, da »ihnen der Brotkorb der deutschen Regierung näher als derjenige der [belgischen Exil-]Regierung in Le Havre« sei.35 Über die Frage, wie man mit den Gegnern der Umwandlung, namentlich den beiden Historikern Henri Pirenne und Paul Fredericq, umgehen sollte, gab es ebenfalls Meinungsunterschiede. Der Chef der Politischen Abteilung schlug vor, diese zu »bitten, ihren Wohnsitz woanders zu suchen als in Gent«.36 Der Verwaltungschef wollte hingegen vermeiden, Märtyrer zu schaffen, und empfahl, die beiden zunächst zu verwarnen, zumal sie sich keiner öffentlichen Agitation gegen die Deutschen schuldig gemacht hätten. Er wandte sich explizit an die anwesenden Professoren, die jedoch mit der Deportation ihrer belgischen Kollegen kein Problem zu haben schienen. Sandt hob dies in seinem Resümee noch einmal hervor: »Diese Angelegenheit ist dadurch erledigt, dass von den anwesenden Professoren sich niemand für die Unterlassung der sofortigen Abschiebung ausgesprochen hat, dass der Herr Generalgouverneur die Etappe um die Abschiebung ersucht hat, und dass die Etappe dem Ersuchen stattgeben wird.«37

Auf der Sitzung Anfang März  1916 setzten sich also die radikaleren Ansichten durch. Die Politik des Teile-und-Herrsche war vorbei. Sie machte einer Nation-Building-Politik Platz, die den belgischen Staat beseitigen wollte, auch wenn hierfür noch keine konkreten Maßnahmen erarbeitet worden waren. Die Radikalisierung zeigte sich auch im Umgang mit den Gegnern der Flamisierung. Gegen die »Unschädlichmachung« von Pirenne und Fredericq regte sich auf Seiten der Professoren kein Widerstand. Im Gegenteil: Diese waren immer bereit, sich von Argumenten militärischer Notwendigkeit überzeugen zu lassen. So ließ Harnack die Anregung einer Übergangsfrist für verdiente Professoren fallen, nachdem Bissing die Meinung vertreten hatte, dass dies als Schwäche ausgelegt werden würde.38 Mäßigende Töne wurden vor allem vom Verwaltungschef geäußert, während der Oberbefehlshaber der 4. Armee die Umwandlung aus militärischen Gründen ablehnte. Am 15. März 1916 wurde der Plan, die Universität Gent als Flämische Hochschule im Oktober 1916 wiederzueröffnen, offiziell verkündet.39 Wie in der Ex35 Ebd., S. 458 f. 36 Ebd., S. 456. 37 Ebd., S. 461. 38 Ebd., S. 465. Harnack hatte sich für den Gräzisten Joseph Bidez eingesetzt, der noch 1913 für die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften einen »ausgezeichneten Band« in der Sammlung der Werke der Kirchenväter publiziert hatte. Ebd., S. 447. 39 Bissing, S. 56; Verordnung über die Unterrichtssprache an der Universität Gent vom 15. März 1916 (Generalgouvernement) und 17. März 1916 (Etappengebiet), GVBl 191 (23. März 1916).

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pertenkommission besprochen, wurden die Professoren Henri Pirenne und Paul Fredericq am 18. März 1916 nach Deutschland deportiert.40 Die »Unschädlichmachung« der beiden angesehenen Wissenschaftler hatte allerdings nicht den erhofften beruhigenden Effekt. Die Stimmung unter den flämisch gesinnten Professoren, so berichtete Dyck, sei nun »noch ängstlicher und schwankender« als zu Anfang des Jahres. Die Entfernung der beiden Kritiker habe zudem das »Solidaritätsgefühl des Lehrkörpers wachgerufen«, und die Hochschullehrer hätten beim Generalgouverneur eine Eingabe zugunsten ihrer internierten Kollegen gemacht. Professoren, die mit den Plänen für die Umwandlung sympathisierten, würden angefeindet und verdächtigt, ihre Kollegen bei den deutschen Behörden denunziert zu haben.41 Außenpolitisch und propagandistisch war die Verhaftung von Pirenne und Fredericq ein Desaster. Die Entente brandmarkte die Verschleppung zweier unbescholtener Hochschullehrer als weiteren Beweis für die deutsche Gewaltpolitik in Belgien, und auch die Presse des neutralen Auslands verurteilte sie überwiegend scharf. Der Vatikan, der spanische König und der amerikanische Präsident setzten sich für die deportierten Professoren ein.42 Auch in den Nieder­landen erwies sich die Ausweisung als großer Rückschlag. Beinahe zweihundert niederländische Professoren unterstützten eine Solidaritätsadresse für ihre belgischen Kollegen. Die Erklärung, so die deutsche Gesandtschaft, sei von »Anhängern aller politischen Parteien, entente- sowie deutschfreundlich gesinnten Elementen« unterzeichnet worden.43 Sowohl der niederländische Ministerpräsident Cort van der Linden als auch Abraham Kuyper, das Urgestein der Antirevolutionären Partei in den Niederlanden, äußerten ihr Bedauern über Fredericqs Abtransport. Beide galten als »deutschfreundlich«.44 Noch im März hatte Kühlmann stolz über zwei Artikel Kuypers berichten können, in denen dieser sich positiv über die Umwandlung der Genter Universität unter deutscher Besatzung geäußert hatte.45 Der Ruf der Flämischen Hochschule war also bereits vor ihrer Eröffnung beschädigt. Trotzdem gingen die Vorbereitungen für die Umwandlung wie geplant weiter. Am 13. April 1916 verschickte Verwaltungschef Sandt die Aufforderung an die Dozenten, zum nächsten Studienjahr auf Niederländisch zu lesen. Diese war mit einer unverhohlenen Drohung versehen: 40 Wils, Flamenpolitik, S. 162. 41 Walther von Dyck, Vierter Bericht über die Vlamisierung der Universität Gent. Gent, 8. April 1916, in: Langendries Bd. 2, S. 526–529. 42 Woodrow Wilson schrieb sogar zwei persönliche Briefe an den deutschen Kaiser. Vanacker, Avontuur, S. 141. 43 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 15. Mai 1916, PA AA, R 4488, S. 235–237. 44 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 13. April 1916, PA AA, R 4488, S. 93–98. 45 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 7. März 1916, PA AA, R 4488, S. 9–11.

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»Sollten Sie die vlamische Sprache zwar genügend beherrschen, gleichwohl aber die Wiederaufnahme Ihrer Vorlesungen ablehnen, so wird die deutsche Verwaltung nicht in der Lage sein, Ihnen das Wartegeld noch weiter zu gewähren.«46

Diese Einschüchterungsversuche blieben jedoch erfolglos und konnten auch die niedergeschlagene Stimmung bei den Befürwortern nicht heben. Der designierte Rektor der Flämischen Hochschule Pierre Hoffmann und der als Sekretär vorgesehene Emiel Lahousse äußerten sich besorgt über mögliche Strafmaßnahmen des belgischen Staates. Bissing schrieb deshalb an den Reichskanzler, man müsse den Professoren »eine gewisse Sicherung für die Zukunft« bieten sowie ein »entschiedenes Auftreten (Gehaltsentziehung)« gegenüber Verweigerern an den Tag legen. Dies seien die Voraussetzungen, um einen Stamm von Professoren zu gewinnen, von dem aus der neue Lehrkörper dann aufgebaut werden könne.47 Was Lahousse und Hoffmann forderten, war nichts weniger als eine Sicherung ihrer Renten und Bezüge für den Fall einer deutschen Niederlage. Dass Bissing diese Forderung gegenüber der Reichsleitung unterstützte, zeigt, wie wenig die Flämische Hochschule ein flämisches Projekt war und wie sehr sie deutschen Interessen entsprang. Ohne erheblichen Druck auf die Professoren auszuüben und weitgehende finanzielle Verbindlichkeiten einzugehen, war es den Deutschen nicht einmal möglich, eine Minderheit der Genter Professoren zur Aufnahme des Lehrbetriebs zu bewegen. Am 26. April 1916 musste Bissing nach Berlin berichten, dass lediglich fünf Professoren und ein Dozent sich bereit erklärt hatten, an der Flämischen Hochschule zu lehren. Zwei ursprüngliche Befürworter seien »offenbar unter dem Druck der Anfeindungen und Verleumdungen der gegnerischen Kollegen zurückgetreten«.48 Das Vorhaben, bereits im Sommer medizinische Kurse durchzuführen, scheiterte. Der Mediziner Theodor Ziehen, der hiermit beauftragt worden war, musste berichten, dass die in Gent ansässigen Ärzte um ihre wohlhabenden Patienten aus dem frankophonen Bürgertum fürchteten. Angesichts der unsicheren politischen Lage und des ausbleibenden Erfolgs der deutschen Truppen bei Verdun hätten sich einige Ärzte, die zuvor mitarbeiten wollten, wieder zurückgezogen. Zudem befürchtete man bei personellen Neubesetzungen einen Streik des Klinikpersonals.49 Angesichts dieser Rückschläge ordnete der Generalgouverneur die Einrichtung einer »Studienkommission zur Vorbereitung unterrichtstechnischer Fragen an der Universität Gent« (S. K.G.) an. Dieser gehörten neben Dyck der Münsteraner Historiker Karl Spannagel, der Augsburger Stadtarchivar Pius Dirr als 46 Ebd., Anlage, S. 576. 47 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 19. April 1916, in: Langendries Bd. 2, S. 520 f. 48 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 19. April 1916, in: Langendries Bd. 2, S. 588 f. 49 Bericht Theodor Ziehens vom 24. April 1916, in: Langendries Bd. 2, S. 592–594.

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Vertreter der Politischen Abteilung sowie der Sohn des Generalgouverneurs und Ägyptologe Friedrich Wilhelm von Bissing an.50 In der S. K.G. befanden sich keine Flamen, obwohl das Gremium sowohl Vorschläge für Neuberufungen als auch für die Lehrpläne und die Durchführung der Prüfungen erarbeiten sollte.51 Die S. K.G. leitete zunächst die Entlassung jener Professoren in die Wege, die nicht willens oder in der Lage waren, auf Niederländisch zu lehren. Komplizierter als die Entlassung der alten Professoren gestaltete sich die Anstellung ihrer Nachfolger, obwohl das Reichsamt des Innern für die Bezüge der Professoren im Fall einer Rückkehr der belgischen Regierung bürgte und die Gehälter angehoben wurden.52 Der Aufbau des Lehrkörpers musste ausgehend vom »Fähnlein der sieben Aufrechten« aufgebaut werden, wie Dyck den kleinen Kreis der Genter Professoren nannte, die bereit waren, an der Flämischen Hochschule zu lehren.53 Dyck bestand zunächst darauf, dass die Auswahl der Dozenten ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen habe. Er betonte außerdem, nicht an der Flamisierung mitarbeiten zu können, wenn diese in Zusammenhang mit Absichten stünde, »welche gegen die belgische Verfassung […] verstoßen«.54 Woher diese plötzlichen Bedenken rührten ist unbekannt, lang hielten sie jedenfalls nicht vor. Die Kommissionskollegen Bissing und Dirr waren hier durchaus anderer Ansicht und als persönliche Berater des Generalgouverneurs wohl auch besser über das politische Kalkül der Umwandlung informiert.55 Im August 1916 wurde die bis dahin in Belgien unbekannte »Honorarprofessur« eingeführt, um auch solche Kandidaten berufen zu können, die nach belgischem Recht nicht qualifiziert waren, an einer Universität zu unterrichten.56 50 Hashagen, S. 515. 51 Anordnung des Generalgouverneurs in Belgien Bissing über die Einrichtung einer Studien­ kommission zur Vorbereitung unterrichtstechnischer Fragen an der Universität Gent. Brüssel, 23. Mai 1916, in: Langendries Bd. 2, S. 587. 52 Das Grundgehalt ordentlicher Professoren wurde von 6.000 auf 8.000 BEF, jenes der außerordentlichen von 4.000 auf 6.000 BEF angehoben. Verordnung betreffend die Gehälter der Professoren an Staatsuniversitäten vom 19. Juli 1916, GVBl 238 (29. Juli 1916). 53 Dyck, Umwandlung, S. 720. 54 Hashagen, S. 516 f. 55 Im Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung wurde betont, dass der Generalgouverneur bereits im Schreiben vom 11. Januar 1916 erklärt habe, dass er »durchaus geneigt sei, über den bisher in der Hauptsache innegehaltenen Rahmen der Ausführung der bestehenden Gesetze« hinauszugehen. Zum Teil sei »dies schon in der Genter Universitätsangelegenheit geschehen«. TB der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien von Anfang Februar bis Ende Juli 1916, PA AA, R 21368, S. 120–121; Nach Dirrs Meinung mangelte es Dyck überhaupt an politischer Einsicht. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 637–639 und S. 684. 56 Die Verordnung betreffend die Ernennung ordentlicher Honorarprofessoren vom 12. August 1916 (Generalgouvernement) bzw. 22. August 1916 (Etappengebiet) bestimmte, dass verdiente »Männer, deren Haupttätigkeit außerhalb der Universität liegt«, zu ordentlichen Honorarprofessoren ernannt werden konnten. Sie unterlagen nicht den gesetzlichen Bestimmungen, die die Anzahl der Professuren begrenzten. GVBl 252 (10. September 1916).

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Dyck gab den politischen Charakter dieser Maßnahme offen zu.57 Vor allem in den Naturwissenschaften war der Mangel an qualifizierten Flamen so gravierend, dass viele Niederländer angeworben werden mussten.58 Deren Berufung bereitete ebenfalls Probleme, weil zunächst nicht klar war, ob sie durch die Annahme eines ausländischen Lehrauftrags ihre Staatsbürgerschaft verlieren würden.59 Die Ernennung von Deutschen erschien ebenfalls nicht ratsam, nachdem bereits die Berufung von André Jolles, einem gebürtigen Niederländer, der an der Westfront für Deutschland gekämpft hatte, zu Protesten und dem Rücktritt eines flämischen Dozenten geführt hatte.60 Noch schwieriger als die Anwerbung von Professoren war es, Studenten für die neue Universität zu finden. Am Tag der Eröffnung gab es etwa ebenso viele Studenten wie Dozenten an der Flämischen Hochschule.61 Die deutschen Behörden bewerteten das Projekt dennoch als Erfolg, da es erstmals gelang, auch etablierte flämische Organisationen in die Besatzungspolitik einzubeziehen. Gleichzeitig verschärfte sich der Gegensatz zwischen Passivisten und Aktivisten. Während viele prominente Flaminganten eine Umwandlung unter deutscher Besatzung ablehnten, betrachteten andere sie als einen Verwaltungsakt innerhalb des belgischen gesetzlichen Rahmens, gegen den daher nicht protestiert werden müsse. Sie argumentierten, dass die Hochschule kein Geschenk der Besatzungsmacht sei, sondern ein flämisches Recht, das man wahrnehme.62 Im ANV (Abteilung Flandern) und im Katholischen Verband ehemaliger Studenten (ndl. »Katholiek Vlaams Oudhoogstudenten Verbond« – KVOHV) fanden sich Mehrheiten für die Umwandlung der Universität unter deutscher Besatzung. Mitglieder beider Organisationen gründeten im Juni 1916 den Bund zur Förderung der Flämischen Hochschule (ndl. »Bond ter Bevordering van de Vlaamsche Hoogeschool«) in Gent, zu dessen Vorsit57 »In erster Linie hatte naturgemäß die Tüchtigkeit zu entscheiden, aber doch nicht allein. Man musste sich klar sein, dass die Universität wenigstens für die nächste Zeit nicht allein die Bedeutung einer Stätte rein wissenschaftlicher Arbeit zu sein bestimmt ist, sondern dass sie ihre kulturelle Aufgabe auf breiterer Basis gründen und auf den wichtigsten Lebensbedingungen des flämischen Volkes aufbauen muss und dass sie vor allen Dingen sich ihrer politischen Mission nicht entschlagen darf als einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen das immer weiter vorgedrungene Wallonentum und damit gegen den in den Jahren vor dem Krieg immer schärfer eingesetzten Einfluss Frankreichs.« Dyck, Umwandlung, S. 724. 58 »Es konnte keine Frage sein, dass die Flamen, lange unterdrückt, nur selten zu höheren, verantwortungsvollen Stellen gelangt, für sich allein nicht stark genug, nicht kulturell gebildet genug sind, um allein aus sich heraus die Lehrkräfte einer Universität zu stellen.« Ebd., S. 725. 59 Dieses Problem wurde erst im April 1917 aus dem Weg geräumt. Verwaltungschef Sandt an das Reichsamt des Innern. Brüssel, 21. Mai 1917, PA AA, R 4492, S. 23. 60 Wils, Flamenpolitik, S. 167. Vanacker vermutet, dass Persyn von der Professur aus Angst vor belgischen Repressalien zurücktrat. Vanacker, Avontuur, S. 165. 61 Am 20. Oktober 1916 gab es 39 Dozenten und etwa vierzig Studenten. Dyck, Umwandlung, S. 727–729. 62 Vrints, Stad, S. 88 f.

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zenden die Parlamentarier Leo Augusteyns (liberal) und Adelfons ­Henderickx (katholisch) gewählt wurden.63 Am 2. September 1916 veröffentlichte der Bund ein Manifest für die Umwandlung der Universität Gent, das von 105 prominenten Flamen unterzeichnet war. Unter ihnen waren auch 16 Mitglieder der letzten flämischen Hochschulkommission, so etwa Alfons Depla und Hippoliet Meert. Der überaus populäre Lodewijk Dosfel akzeptierte eine Professur für Rechtswissenschaften.64 Für einen wirklichen Durchbruch der Flamenpolitik spricht auch, dass die Gründung der Flämischen Hochschule vermehrt an der belgischen Front thematisiert wurde. Hier zirkulierte ein Schreiben, das von dem unter den Soldaten populären Kaplan Cyriel Verschaeve verfasst war. Es beschäftigte sich mit der Frage, warum Flamen im Besatzungsgebiet bereit waren, mit dem Feind zusammenzuarbeiten. Verschaeve beklagte zwar die Umstände, unter denen die Hochschule zustande kam, gab jedoch vor allem der belgischen Regierung die Schuld daran.65 Der Verwaltungsbericht konstatierte, keine deutsche Aktivität habe mehr dazu beigetragen, »der vlämischen Bewegung neuen Inhalt zu geben«. Gleichzeitig wurde der gegen den belgischen Staat gerichtete Charakter der Maßnahme zum Ausdruck gebracht. Die Umwandlung der Universität, so hieß es, mache »eine weitere Verschmelzung der beiden Volksteile unmöglich«.66 Auch die Politische Abteilung notierte das Erstarken der »Aktivisten«. Eine »nationalvlämische Partei« sei im Kern bereits vorhanden und im Begriff zu wachsen.67 Alle diese Erfolgsmeldungen konnten aber nicht über die Tatsache hinweg­ täuschen, dass ohne deutsche Unterstützung die aktivistische Bewegung wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen wäre.

63 Eycken u. Hees; Vanacker, Avontuur, S. 148–151. 64 Elias zitiert einen ehemaligen Studenten, der die Meinung vertrat, zwei Drittel der Studenten seien nur wegen Dosfel bereit gewesen, in Gent zu studieren. Elias Bd. 1, S. 54; Wils schreibt, dass wahrscheinlich Druck auf Dosfel ausgeübt wurde. Im November 1915 war ein belgischer Spionagering ausgehoben worden. Unter den Verhafteten befanden sich zwei Vorstandsmitglieder des KVOHV, Jef Goossenaerts und Jozef Vermeulen, letzterer ein Schwager Dosfels. Als Gegenleistung für eine mildere Strafe soll der deutsche Gouverneur in Gent eine Mitwirkung an der Umwandlung der Universität Gent verlangt haben. Tatsächlich wurden Goosenaerts und Vermeulen im Gegensatz zu ihren Mittätern nicht zum Tode verurteilt. Inwiefern dies für die Positionierung des KVOHV und Dosfels eine Rolle spielte ist jedoch unklar. Wils, Onverfranst, S. 197–199. 65 Cyriel Verschaeve, Indrukken nopens de Vervlaamsching der Gentsche Hoogeschool, in: Leemans u. a., S. 87–92. 66 Verwaltungschef Belgien, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar-Juli 1916, S. 51 f. 67 TB der Politischen Abteilung von Anfang Februar bis Ende Juli 1916, PA AA, R 21368, S. 114.

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c) Verwaltungstrennung Im Gegensatz zur Flämischen Hochschule hatte die Verwaltungstrennung nicht zu den Kernforderungen der Flämischen Bewegung vor 1914 gehört. Das Thema der Föderalisierung Belgiens war erstmals öffentlichkeitswirksam von dem wallonischen Sozialisten Jules Destrée thematisiert worden. In einem offenen Brief an den König hatte er 1912 den berühmten Satz formuliert: »Es gibt in Belgien Flamen und Wallonen, aber es gibt keine Belgier.«68 Diese Äußerung war in einem Kontext gemacht worden, in dem Teile der frankophonen Bevölkerung Walloniens befürchteten, in einem von der zahlenmäßig überlegenen niederländischsprachigen Bevölkerung Flanderns beherrschten Belgien marginalisiert zu werden. In der Flämischen Bewegung war die Reaktion verhalten. Hippoliet Meert, der Gründer des ANV, antwortete Destrée ausführlich, wobei besonders der Satz »Wir fürchten die Verwaltungstrennung nicht und sie beunruhigt uns auch nicht« Bekanntheit erlangte.69 In der Folge kam es in der Flämischen Bewegung zu einer Diskussion über die Verwaltungstrennung und sogar zur Gründung einer Zeitung mit dem Titel »Bestuurlijke Scheiding« (dt. »Verwaltungstrennung«) in Gent, aus deren Kreis sich während der Besatzung viele zum Aktivismus bekannten. Im großen und ganzen war die Verwaltungstrennung vor der deutschen Besatzung jedoch eher ein politischer Slogan und kein ausgearbeitetes politisches Programm.70 In der Besatzungsverwaltung wurden unter dem Titel »Verwaltungstrennung« verschiedene Maßnahmen diskutiert, die nicht immer auf eine Trennung Flanderns und Walloniens hinausliefen. Alle diese Ansätze verfolgten aber das Ziel, den belgischen Zentralstaat zu schwächen. Noch Mitte 1915 war etwa die Idee diskutiert worden, an seiner Stelle die belgischen Provinzen und Kommunen zu stärken. Lancken hatte im Februar 1915 die Aufteilung Belgiens in kleinere Staaten vorgeschlagen.71 Im Mai 1915 wurde eine Denkschrift zur Verwaltungstrennung angekündigt. Hierbei legten die Behörden allerdings, ähnlich wie in der Hochschulfrage, keine besondere Eile an den Tag.72 Erst mit dem Programm »Deutschland, Flandern, Holland« kam im Herbst 1915 etwas Bewegung in die Sache.73 Allerdings gab es auch dort keine konkreten Vorschläge, wie eine »Reorganisation des belgischen Staates auf föderativer 68 »II y a, en Belgique, des Wallons et des Flamands; il n’y a pas de Belges.« Destrée, S. 10. 69 »[…] la séparation ne nous effraie ni ne nous inquiète«. Meert, S. 29. 70 Vrints, Stad, S. 30. 71 Wende, S. 80. 72 Im ersten Tätigkeitsbericht der Politischen Abteilung findet sich die Ankündigung einer Denkschrift zur Verwaltungstrennung, ohne dass diese erschienen zu sein scheint. TB der Politischen Abteilung seit ihrer Errichtung am 13. Februar 1915 bis Ende April 1915, PA AA, R 21364, S. 65. 73 Siehe hierzu Kapitel »›Deutschland, Flandern, Holland‹ – Die Niederlande und die Radika­ lisierung der Flamenpolitik im besetzten Belgien«.

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Grundlage« gestaltet werden sollte. Lancken stellte im Dezember  1915 sogar grundsätzlich in Frage, dass eine Verwaltungstrennung geeignet sei, die deutschen Interessen in Belgien langfristig zu garantieren. Er argumentierte, dass auch ein Föderalstaat zentrale Institutionen brauche, die dann erneut von den frankophonen Eliten dominiert werden würden.74 Unter dem Druck des Reichskanzlers setzte in Brüssel allerdings schnell ein Umdenken ein, und bereits Anfang Januar 1916 schrieb Lancken, dass unter prominenten Flaminganten der Gedanke einer Verwaltungstrennung allgemein vertreten würde.75 In den Verhandlungen über einen möglichen Separatfrieden mit Belgien zur Jahreswende 1915/16 forderte die deutschen Seite auch die Teilung Belgiens in flämische und wallonische Verwaltungsbezirke. Im Verlauf der Verhandlungen zeigte sich allerdings, dass man bereit war, diese Forderung im Gegenzug für belgische Zugeständnisse fallen zu lassen.76 Ähnlich wie in der Hochschulfrage war es die Initiative des Gesandten in den Niederlanden, die zu ersten konkreten Schritten führte. Die Zusammenarbeit mit »flämisch gesinnten Holländern«, so Kühlmann, sei ein »ausgezeichnetes Mittel, um in den Niederlanden immer festeren Fuß zu fassen und eine wirk­ liche Intimität mit führenden Geistern der holländischen Politik zu gewinnen«. In diesen Kreisen sei man sich einig, dass mit der Verwaltungstrennung noch unter deutscher Verwaltung ein »fait accompli« geschaffen werden sollte.77 Kühlmann übersandte dem Reichskanzler ein Memorandum, das die Teilung des belgischen Unterrichtsministeriums forderte und detaillierte Vorschläge machte, wie unter »möglichster Schonung des vorhandenen auf dem Gebiete der Sprache und Verwaltung eine Sonderstellung von Flandern angebahnt« werden könne. Die frankophone Bürokratie beherrsche auch unter deutscher Besatzung den flämischen Teil des Landes, deshalb müsse man alle Posten im Unterrichtsministerium doppelt besetzen und hierfür Beamte aus der flämischen Lehrerschaft heranziehen. Ein Gedanke war, dass nicht einzelne Ernennungen, sondern nur ein Netzwerk flämischer Beamter die frankophone Dominanz brechen könne. Die Besatzungsverwaltung sollte also gezielt eine flämische Verwaltungselite aufbauen. Je besser dies gelang, desto schwieriger würde es zudem der belgischen Regierung fallen, diese Maßnahmen nach dem Krieg rückgängig zu machen. Der Autor vertrat die Ansicht, dass eine Trennung des Unterrichtsministeriums innerhalb des Rahmens der belgischen Verfassung vorgenommen werden könne und müsse. Er sprach allerdings deutlich aus, dass sie nur die Voraussetzungen für eine spätere Umgestaltung Belgiens auf »separatistischer 74 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt. Brüssel, 10. Dezember 1915, PA AA, R 4487, S. 4–16. 75 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Jagow. Brüssel, 5. Januar 1916, PA AA, R 4487, S. 101. 76 Neben der Aufgabe der Neutralität wurden ein Durchmarschrecht, Stützpunkte an der Küste sowie weitreichende wirtschaftliche Zugeständnisse gefordert. Wende, S. 88–92. 77 Schreiben des Gesandten in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Den Haag, 9. März 1916, PA AA, R 4488, S. 29.

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oder anderer Grundlage« schaffen sollte. Eine Trennung der »eigentlichen Zentralverwaltung oder etwa des Justizministeriums« hielt er allerdings für kontraproduktiv, da diese nur »Verwirrung stiften« würde.78 Beim Generalgouverneur stieß die erneute Einmischung auf wenig Begeisterung, und er verwies auf seinen Verwaltungschef. Dieser sei der Ansicht, dass das Unterrichtsministerium loyal an der Umsetzung der deutschen Reformen mitarbeiten würde. Bei einer Teilung des Ministeriums sehe Sandt hingegen die Gefahr, dass diese Zusammenarbeit beendet werde, da die belgischen Beamten darin »den Anfang zur allgemeinen Verwaltungstrennung erblicken [würden], die von der belgischen Regierung und vom Parlament bekämpft worden« sei.79 Dass Bissing seine Ablehnung, das Unterrichtsministerium zu trennen, ausdrücklich mit einem Gutachten des Verwaltungschefs begründete, kann übrigens als vorsichtige Distanzierung von Sandt interpretiert werden. Auch wenn Bissing der Meinung war, dass der Augenblick, über die »Zukunft des vlämischen Volkes in allen Einzelheiten zu befinden«,80 noch nicht gekommen war, so musste er doch die veränderte politische Lage berücksichtigen. Am 5. April 1916 hatte Bethmann Hollweg vor dem Reichstag eine bedingungslose Wiederherstellung Belgiens abgelehnt und ein Bekenntnis zur Flamen­politik abgegeben. »Das Belgien nach dem Kriege wird nicht mehr das alte vor dem Kriege sein«, rief der Kanzler den Abgeordneten zu und begründete dies mit dem »Blut des Volkes«, das in den besetzten Ländern des Westens geflossen sei.81 Belgien dürfe kein englisch-französischer Vasallenstaat werden, weshalb es kein Zurück zum »status quo ante« gebe. Deutschland werde außerdem den »lange niedergedrückten flämischen Volksstamm nicht wieder der Verwelschung preisgeben«, sondern ihm eine »gesunde, seinen reichen Anlagen entsprechende Entwicklung auf der Grundlage seiner niederländischen Sprache und Eigenheit sichern«.82 Diese Erklärung des Reichskanzlers wurde sowohl in Teilen der ausländischen Presse als auch in Belgien als Bekenntnis zur Teilung des Landes verstan78 »Über die Notwendigkeit der Schaffung gesonderter wallonischer und flämischer Abteilungen innerhalb des Unterrichtsministeriums«. Anlage zum Schreiben, ebd., S. 31–45; Der Autor, ein »holländischer Flamingant«, war möglicherweise Gerretson. Vanacker, Avontuur, S. 206. 79 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 23. April 1916. PA AA, R 4488, S. 140 f. 80 So Bissing in einem Antwortschreiben an die Gruppe Jungflandern vom 23. Februar 1916. Anlage zum Schreiben Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt. Brüssel, 25. April 1916, PA AA, R 4488, S. 169. 81 Diese Formulierung muss vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Schlacht vor Verdun gelesen werden. Allerdings wurden Forderungen nach einer Annexion Belgiens bereits im Herbst 1914 unter Verweis auf das bei der Einnahme vergossene deutsche Blut gerechtfertigt. Bischoff, Kriegsziel, S. 106–109. 82 Rede des Reichskanzlers Bethmann Hollweg vor dem Reichstag am 5.April 1916. Reichstag Bd. 307, S. 852.

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den.83 Wie das Schreiben Bissings vom 23. April 1916 zeigt, gab es aber über die nun zu ergreifenden Schritte keine Klarheit. Vor allem Verwaltungschef Sandt war gegen eine Verwaltungstrennung, welche die Zusammenarbeit mit den belgischen Behörden gefährdet hätte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Zusammenarbeit mit den belgischen Behörden weitgehend reibungslos verlief. Auch an der Umwandlung der Universität Gent wirkten die Beamten des belgischen Unterrichtsministeriums mit. Noch am 20. Mai 1916 urteilte das oberste belgische Gericht, der Kassationshof (frz. »Cour de cassation«; ndl. »Hof van Cassatie«), dass der Verpflichtung der Besatzungsmacht, das öffentliche Leben wiederherzustellen, eine Verpflichtung der Bürger gegenüberstehe, sich diesen Maßnahmen zu fügen. Ausdrücklich sprach das Urteil den belgischen Gerichten das Recht ab zu prüfen, ob die Entscheidungen der Besatzungsmacht der Haager Konvention entsprachen.84 Das Urteil ist ein Hinweis darauf, dass innerhalb der belgischen Behörden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der deutschen Maßnahmen bestanden. Gleichzeitig belegt es, dass der Oberste Gerichtshof und wahrscheinlich auch die belgische Exilregierung im Mai 1916 eine Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht noch als sinnvoll erachteten. In ihren Augen war die größere Gefahr für den Fortbestand des belgischen Staates wohl eine Aufkündigung dieser Kooperation, die eine Übernahme vieler Staatsgeschäfte durch die Besatzungsmacht bedeutet hätte. Auf das Urteil sollten sich sowohl die deutschen Behörden als auch Professoren und Studenten der Flämischen Hochschule sowie nach dem Krieg wegen Kollaboration verurteilte Aktivisten und belgische Beamte berufen.85 Im Fall der deutschen Besatzungsbehörden war die Argumentation mit dem Spruch des Kassationshofes allerdings zynisch. Spätestens ab Juli 1916 betrieb man eine Politik, die im Widerspruch zur belgischen Verfassung stand und die Zerschlagung oder zumindest Schwächung des belgischen Staates beabsichtigte. Erst Ende Mai 1916 konnte der Reichskanzler den Generalgouverneur im persönlichen Gespräch überzeugen, die Verwaltungstrennung durchzuführen.86 In einem Schreiben an seinen der Maßnahme kritisch gegenüberstehenden Verwaltungschef äußerte sich Bissing ausführlich zur Zielsetzung der Verwaltungstrennung. Diese sollte eine »Machtverschiebung zugunsten des germanischen 83 Der Gesandte in Schweden Lucius an Reichskanzler Bethmann Hollweg über einen Kommentar der Zeitung »Nya Dagligt Allehanda« zur Rede vom 5. April 1916. Stockholm, 14. April 1916, PA AA, R 4488, S. 90; Übersetzung eines Artikels aus der aktivistischen Zeitung »Het Vlaamsche Nieuws« ebenfalls vom 14. April 1916, PA AA, R 4488, S. 139. 84 Der Verwaltungschef beim Generalgouverneur in Belgien Sandt an das Reichsamt des Innern. Brüssel, 27. Mai 1916. GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 875 Okkupationen Nr. 11, S. 122. Der Wortlaut des Urteils lag dem Schreiben bei. 85 So z. B. ausführlich in einer Broschüre für angehende Studenten der Flämischen Hochschule: Anonym, S. 25–31; Nach dem Krieg: Comité, S. 66–70; Für die Besatzungsverwaltung z. B.: Anonym, Der Genter Hochschule entgegen, in: »Korrespondenz Belgien« 99 (16. September 1916). 86 Wende, S. 112.

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Elementes innerhalb des belgischen Staates« bewirken und eine Rückkehr zum »status quo ante« unmöglich machen. Die Trennung des Unterrichtsministeriums sollte zudem zögernde Flamen zur Mitarbeit bewegen. Bissing beklagte in diesem Zusammenhang die Passivität der Flamen; diese beschwerten sich zwar bei der deutschen Verwaltung, scheuten aber davor zurück, Verantwortung zu übernehmen. Bei der Ernennung neuer Beamter werde man nun politisch erwünschte Persönlichkeiten mit Amt und Würden belohnen und jeden Beamten entfernen, der sich der Verwaltungstrennung aktiv oder passiv widersetze. Er betonte, dass es sich nicht nur um eine besatzungspolitische Maßnahme handelte. Die gegenüber den Flamen übernommenen Verpflichtungen sollten auch als innenpolitische Waffe gegen die »Flaumacher« in Deutschland dienen, indem sie eine Wiederherstellung Belgiens in Vorkriegsform erschwerten.87 Der neue Kurs der Flamenpolitik wurde in einer Besprechung der Behörden des Generalgouvernements festgelegt, die am 31. Juli 1916 unter Vorsitz Bissings und im Beisein Theodor Lewalds stattfand, der den Reichskanzler vertrat. Der Generalgouverneur betonte, dass mit der Umwandlung der Universität Gent eine neue Phase der Flamenpolitik begonnen und man sich vom Grundsatz, diese im Rahmen der belgischen Verfassung zu führen, verabschiedet habe. Durch eine Machtverschiebung zugunsten der Flamen innerhalb des bestehenden belgischen Staates sollten nun jene »realen Garantien« geschaffen werden, die Deutschlands Einfluss auch für den Fall einer Räumung Belgiens sichern sollten. Bissing gab sich überzeugt, dass keine belgische Regierung die von den Deutschen geschaffenen Einrichtungen wieder beseitigen könne. Der Generalgouverneur machte übrigens keinen Hehl daraus, dass er sich ein öffentliches Bekenntnis zur Absicht, Belgien zu annektieren, wünschte. In Deutschland gebe es soviel Interesse an Belgien, dass keine Regierung es »je wieder aus der Hand geben« könne. Ein Bekenntnis zu diesem Kriegsziel hätte seiner Ansicht nach auch die Flamenpolitik erleichtert, insbesondere die Rekrutierung von Personal. Um Flamen zu identifizieren, die für die Übernahme eines Ministeriums in Frage kamen, wurde dem Ausschuss für flämische Angelegenheiten ein flämischer Beirat mit beratender Funktion angegliedert.88 Die Sitzung vom 31. Juli 1916 bedeutete das Ende einer Besatzungspolitik, die zumindest formal innerhalb des Rahmens der belgischen Verfassung und Gesetzgebung blieb, und die deutschen Behörden legten sich auf ein Programm fest, dessen erklärtes Ziel es war, den Einheitsstaat Belgien zu schwächen oder zu beseitigen. Die Flämische Hochschule sollte hierbei der Kristallisationspunkt für die Bildung einer flämisch-nationalistischen Partei werden. Die Entschei87 Generalgouverneur in Belgien Bissing an Verwaltungschef Sandt. Brüssel, 27. Juni 1916, GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 875 Okkupationen adh. X Nr. 11 (Die Behandlung der Vlamen), S. 5. 88 Besprechung über die allgemeine Richtlinien der Vlamenpolitik. Brüssel, den 31. Juli 1916, GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 875 Okkupationen adh. X Nr. 11 (Die Behandlung der Vlamen), S. 57.

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dung zur Verwaltungstrennung war also auf die Zukunft gerichtet und keineswegs eine Antwort auf Obstruktionen der belgischen Verwaltung, wie dies teilweise nach dem Krieg behauptet wurde.89 Allerdings war auch zu diesem Zeitpunkt die konkrete Ausgestaltung der Verwaltungstrennung unklar. Die Pläne bezogen sich zudem ausschließlich auf das belgische Unterrichtsministerium.

89 Z. B. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494; Köhler, S. 39 f.; Hingegen bestätigt Winterfeldt die bis zur Verwaltungstrennung weitgehend reibungslose Zusammenarbeit mit der belgischen Verwaltung. Winterfeldt, S. 39.

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5. Nation-Building mit Startschwierigkeiten – Von der Einführung der Zwangsarbeit bis zur Gründung des Rates von Flandern a) Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung und die Entscheidung zur »Arbeiterabschiebung« aus Belgien Wie gezeigt dauerte es lange, bevor sich die Behörden des Generalgouvernements im Frühjahr und Sommer 1916 auf ein flamenpolitisches Programm einigten, das mit der Verwaltungstrennung den Aufbau staatlicher flämischer Strukturen und einer eigenen Elite zum Ziel hatte und das deswegen als Nation-Building im Sinne der hier gehandhabten Definition gelten kann. Im Sommer 1916 schien die Entwicklung eine Intensivierung der Flamenpolitik zu rechtfertigen. Einige wichtige flämische Verbände erklärten ihre Unterstützung für die Eröffnung der Flämischen Hochschule und der befürchtete Widerstand seitens der belgischen Behörden blieb weitgehend aus. Trotzdem geriet die Flamenpolitik in eine schwere Krise, noch bevor der Unterricht an der ersten niederländischsprachigen Universität Belgiens im Oktober 1916 begann. Grund war der Beginn einer rücksichtslosen Ausbeutungspolitik, in deren Rahmen völkerrechtswidrig zehntausende belgische Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland und an die Front verschleppt wurden. Nach den furchtbaren Verlusten an der Somme und bei Verdun wurde Generalstabschef Falkenhayn am 29. August 1916 durch die Dritte Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff abgelöst. Bereits am 31. August 1916 erhoben diese weitreichende Forderungen nach einer Ausweitung der Rüstungsproduktion und der Nutzbarmachung aller zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen, um die enormen Verluste an Männern und Material zu kompensieren.1 Ein großes Problem bei der Steigerung der Kriegsproduktion war, dass auch für die Front jeder Mann mobilisiert werden musste. Die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland konnte den Bedarf an Arbeitskräften also nur teilweise decken, da Militär und Industrie großenteils auf denselben Personenkreis zugreifen wollten. In dieser Situation schien die Rekrutierung von Arbeitern aus den von Deutschland besetzten Gebieten einen Ausweg zu bieten. Die OHL richtete sich deshalb an Bissing und seinen Amtskollegen im Generalgouvernement Warschau, Hans Hartwig von Beseler, und forderte sie auf, ohne Rücksicht auf soziale und völkerrechtliche Bedenken polnische und 1 Geyer; Welskopp.

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belgische Arbeitskräfte für Deutschland »nutzbar« zu machen.2 Anders als in Belgien hatte man in Polen schon zuvor Arbeiter zwangsrekrutiert. Die Behörden des Generalgouvernements in Brüssel hatten gegen das Preußische Kriegsministerium lange das Konzept vertreten, die belgische Industrie zu erhalten und wiederzubeleben, um sie in den Dienst der deutschen Kriegsführung zu stellen. Hintergrund war nicht zuletzt Bissings Absicht, das Land nach dem Krieg zu annektieren, ein Plan, der mit einer rücksichtslosen Demontage- und Ausbeutungspolitik nicht zu vereinbaren war.3 Im Mai 1916 kam es zu einem Kompromiss mit dem Kriegsministerium, und der Generalgouverneur erließ eine Verordnung gegen die »Arbeitsscheu«. Diese ermöglichte die zwangsweise Abschiebung nach Deutschland anstelle einer Strafe in Belgien.4 Dies bedeutete allerdings keineswegs die Zustimmung zu Massendeportationen. Die Anwerbung freiwilliger belgischer Arbeiter sollte weiterhin die Regel darstellen. Bissing weigerte sich daher zunächst, der von der OHL geforderten massenhaften »Abschiebung« belgischer Arbeiter aus dem Generalgouvernement nach Deutschland oder in das Etappen- und Operationsgebiet zuzustimmen – auch weil er hierin einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht sah. Die Chefs der Politischen Abteilung und der Zivilverwaltung lehnten die Deportationen in seltener Einmütigkeit ebenfalls ab.5 Am 17. September 1916 reiste Bissing nach Berlin, um beim Reichskanzler gegen den Plan zu protestieren, »belgische Arbeiter in großer Zahl und unter Anwendung aller Mittel, auch des Hungers,  – wie ausdrücklich gesagt wird ohne Rücksicht auf das Völkerrecht« – zu zwingen, am »Stellungsbau hinter der Westfront mitzuarbeiten«. Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur fügte hinzu, dass Bissing »fest entschlossen« sei, »eventuell auf seinem Rücktritt zu bestehen«.6 In einer ausführlichen Denkschrift begründete der Generalgouverneur seine Ablehnung der Deportationen. Er führte propagandistische, wirtschaftliche und 2 Thiel, Menschenbassin, S. 104 f. 3 Zu der Debatte zwischen Kriegsministerium und Generalgouvernement: Thiel, Menschenbassin, S. 79–88. 4 Diese Verordnung war später die legale Grundlage für die Massendeportationen. Ludendorff verwendete diese Tatsache, um Bissing später zum eigentlichen Initiator der Deportationen zu erklären, wogegen dieser empört Einspruch erhob. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Ludendorff sich der Verdrehung von Tatsachen und offener Lüge zur Erreichung politischer Ziele bediente. Verordnung gegen die Arbeitsscheu vom 15. Mai 1916, GVBl 213 (20. Mai 1916); Die Politische Abteilung beim General-Gouverneur in Belgien (Kempff) an den Staatssekretär des Äußern Zimmermann. Brüssel, 19. Februar 1917, PA AA, R 21370, S. 9 f.; Generalgouverneur Bissing an Ludendorff. Brüssel, 22. Februar 1917; Ludendorffs Antwort. Großes Hauptquartier, 3. März 1917, in: Ludendorff, Urkunden, S. 131–134. 5 Thiel, Menschenbassin, S. 105–108. 6 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Jagow. Brüssel, 16. September 1916, PA AA, R 21368, S. 173. Das Schreiben wurde ohne Wissen Bissings vertraulich an den Staatssekretär gerichtet. Es zeigt die ganze Ungeheuerlichkeit der Forderungen der OHL.

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außenpolitische Argumente an und verwies auf Gefahren für die Besatzungspolitik. Belgien könne nicht mit Polen verglichen werden, da es seit Beginn des Kriegs »durch die sogenannte Neutralitätsverletzung und den Volkskrieg« im Mittelpunkt des Weltinteresses gestanden habe. Die Zwangsarbeit könne Rückwirkungen auf die Haltung der Gewerkschaften und der Kirche in Belgien haben und insbesondere das Ernährungswerk gefährden, ohne das eine Versorgung der Bevölkerung im Generalgouvernement nicht gewährleistet werden konnte. Ausführlich ging Bissing auf den Schaden für die Flamenpolitik ein: »Ich bitte Euere Exzellenz zu erwägen, welchen Eindruck es machen müsste, wenn zur gleichen Zeit, da die unter so großen Schwierigkeiten errichtete, nunmehr aber sich günstig entwickelnde flämische Universität in Gent ihre Pforten öffnet und den wissenschaftlichen Betrieb aufnimmt, die massenhafte Abführung junger Leute aus Flandern stattfindet.«7

Gerade das Projekt einer Flämischen Hochschule in Gent war allerdings vielen Militärs ein Dorn im Auge. Die für die im Operations- und Etappengebiet liegende Stadt zuständige 4. Armee legte eine harte und feindselige Haltung gegenüber der Zivilbevölkerung an den Tag. Ihr Befehlshaber, Albrecht von Württemberg, hatte sich unter Verweis auf Spionagegefahr gegen die Einrichtung einer Flämischen Hochschule in Gent ausgesprochen und bezweifelt, dass die Universität etwas an der Ablehnung der Besatzungsmacht ändern werde.8 Da die 4. Armee die Zivilbevölkerung in erster Linie als Sicherheitsproblem betrachtete, ist es nicht verwunderlich, dass sie die Zwangsarbeit für Belgier unterstützte. Der Industrielle Carl Duisberg berichtete 1917, er habe erst bei einem Besuch in Flandern von den enormen Möglichkeiten erfahren, dort Arbeitskräfte zu mobilisieren. Der Chef des Stabes der 4. Armee, Emil Ilse, habe ihm berichtet, »dass er mit Leichtigkeit aus den ihm unterstellten Teilen Flanderns 60.000 bis 80.000 Arbeiter abgeben könne. Er würde sich freuen, wenn er diese Leute, die den ganzen Tag faulenzten und als solche schon eine Gefahr bedeuteten, sobald als möglich los würde«.9 Während Bissing versuchte die OHL von ihren Plänen abzubringen, forderte Duisberg auf einer am 16. September 1916 abgehaltenen »Industriekonferenz«, man müsse nun auch in Belgien mit der »Menschenbeschaffung« beginnen, nachdem man bereits aus Polen tausende Arbeiter »herausgeholt habe«.10 Gegen diese Allianz aus Militär und Industrie konnte der Generalgouverneur wenig ausrichten. Trotz zahlreicher Bedenken stimmte er am 6. Oktober 1916 7 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 26. September 1916, PA AA, R 21368, S. 182–193, hier: S. 188. 8 Beratung über die Genter Hochschule am 8. und 9. März 1916, in: Langendries Bd. 1, S. 437–440. 9 Duisberg sagte dies in einer Rede, die er am 27. Februar 1917 auf der sogenannten Adlon-​ Konferenz hielt. Zitiert nach Thiel, Menschenbassin, S. 110. 10 Ebd., S. 111.

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der Zwangsarbeit zu.11 Am 19. Oktober 1916 einigten sich OHL, Reichsleitung und die Zivilverwaltung des Generalgouvernements darauf, umgehend mit den Deportationen zu beginnen. Hierbei wurde erstmals Zwangsmaßnahmen der Vorrang vor der Anwerbung von Arbeitern gegeben.12 Die brutale Verschleppung tausender Belgier fügte der Liste deutscher Kriegsverbrechen ein weiteres hinzu. Einen Einblick in die Realität der »Arbeiterabschiebungen« gibt ein Bericht Lanckens von Anfang Februar 1917 über die Rückkehr von Arbeitern, die irrtümlich nach Deutschland verschleppt worden waren: »Die Zurückgekehrten sind in jämmerlicher Verfassung, heruntergekommen, vielfach krank und halbverhungert angekommen. Bitte bei Kriegsamt dahin wirken, dass die Leute in besserem Zustand hier ankommen und in den letzten Tagen vor der Abreise und auf der Reise gut versorgt werden.«13

Einwände gegen diese Politik wurden als Humanitätsduselei oder Flauheit weggewischt. Trotzdem gab es diese Einwände und die Beamten des Generalgouvernements konnten nach dem Krieg zurecht darauf hinweisen, dass sie vieles, wenn auch nicht alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, um die Deportationen zu verhindern. Hierbei spielten nicht nur besatzungspolitische Erwägungen, sondern auch Humanität und menschlicher Anstand eine Rolle.

b) Die »Von-Bissing-Universität« Für die Flamenpolitik bedeuteten die Arbeiterabschiebungen einen schweren Rückschlag. Wie sollte man den Flamen vermitteln, dass man sie vom belgischen Joch befreien wollte, während zeitgleich junge Männer aus Antwerpen, Brüssel und Gent verschleppt wurden? Nur wenige Tage nach dem Beschluss, mit den Deportationen zu beginnen, wurde die Flämische Hochschule in Gent eröffnet. Die Eröffnung erfolgte in zwei Akten. Am 21. Oktober 1916 übergab der Generalgouverneur in einer geschlossenen Zeremonie dem Lehrkörper die Hochschule, welche von ihren Gegnern bald nur noch »Von-Bissing-Universität« genannt wurde. Am 24. Oktober 1916 fand die eigentliche Eröffnung ohne die

11 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 6. Oktober 1916, PA AA, R 21368, S. 234; Dies, obwohl Lancken noch am selben Tag an das Auswärtige Amt gemeldet hatte, dass die Arbeiterabschiebung wahrscheinlich den Rücktritt des Generalgouverneurs zur Folge haben würde. Der Chef der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Zimmermann. Brüssel, 6. Oktober 1916, PA AA, R 21368, S. 224. 12 Thiel, Menschenbassin, S. 140. 13 Der Chef der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt. Brüssel, 2. Februar 1917, PA AA, R 21369, S. 320.

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Abb. 3: Die Flämische Hochschule wurde am 21. Oktober 1916 vom Generalgouverneur dem Lehrkörper übergeben.

Anwesenheit deutscher Würdenträger statt. Aus Furcht vor Protesten wurde die Zeremonie morgens abgehalten.14 Schon am Vorabend der Übergabe hatte der für die Umwandlung zuständige Walther von Dyck zugegeben, dass es schwieriger war, Studenten für die Flämische Hochschule zu finden als Dozenten. Am 20. Oktober 1916 gab es lediglich vierzig Einschreibungen.15 Ein Grund hierfür waren die Maßnahmen der belgischen Exilregierung. Diese hatte nach langem Abwarten am 10. Oktober 1916 angekündigt, allen Mitarbeitern der Flämischen Hochschule ihre Orden abzuerkennen und weder Diplome noch Berufungen der Universität anzuerkennen.16 Hinzu kamen der erhebliche Druck, dem die Studenten seitens ihres sozialen Umfelds meist einschließlich der Eltern ausgesetzt waren, und die Steine, welche die 4. Armee dem Ausbau der Universität in den Weg legte. Flämische Kriegsgefangene durften aus Sicherheitsbedenken kein Studium in Gent aufnehmen. Das Pendeln aus dem Generalgouvernement ins Etappengebiet war nicht mög14 Vanacker, Avontuur, S. 167. 15 Dyck, Umwandlung, S. 729; Ders., Hochschule, S. 62; Die Zahl der Studenten erhöhte sich bis zum 22. Dezember 1916 auf immerhin 116. Dass es schwieriger war, Studenten als Professoren für die Flämische Hochschule zu finden, wurde auch von ehemaligen Aktivisten zugegeben. Faingnaert, S. 425. 16 Vanacker, Avontuur, S. 166.

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lich, so dass Studenten aus Antwerpen oder Brüssel zusätzlich zu den Studiengebühren eine Unterkunft bezahlen mussten. Die Versorgung war schlechter als im Generalgouvernement und die Lage in Reichweite der feindlichen Artillerie trug ebenfalls nicht zur Attraktivität des Standortes bei.17 Wer sich 1916 für ein Studium in Gent entschied, dem kann ein hohes Maß an Idealismus unterstellt werden. Erst später gab es wohl auch Einschreibungen, um sich der Zwangsarbeit zu entziehen oder von den Zulagen für Studenten zu profitieren. Trotz der Schwierigkeiten werteten die deutschen Behörden die Gründung der Hochschule als einen Erfolg. Vor allem wurde hervorgehoben, dass es zu einem Zusammenschluss der Aktivisten gekommen sei. Parteipolitische Gegensätze, wie sie in Belgien zwischen Liberalen und Katholiken bestanden, verloren an der Universität an Bedeutung, so dass man dem Ziel, eine flämisch-nationalistische Partei zu etablieren, näher kam.18 Der Ausbau des Aktivismus zur Massenbewegung oder zumindest die Erweiterung seiner Anhängerschaft waren aber durch die Einführung der Zwangsarbeit in weite Ferne gerückt. Sinnfällig wurde dies am Beispiel der Eröffnung der Flämischen Hochschule. Bissing hatte vor dem verheerenden Eindruck gewarnt, den die Abführung junger Männer aus Gent machen müsste und genau dieser Fall trat nun ein. Wahrscheinlich als Machtdemonstration begann die OHL mit den Deportationen aus Gent in derselben Woche, in der Bissing feierlich die Flämische Hochschule eröffnete.19 Dieser zeitliche Zusammenfall diskreditierte die Flamenpolitik nachhaltig und wurde zu einem festen Bestandteil der belgischen Propaganda: Die Studenten der Flämischen Hochschule, so hieß es, widmeten sich dem Studium, während ihre Kommilitonen wenige Kilometer entfernt in den Schützengräben kämpften, sie fraternisierten zudem mit dem Feind, während dieser ihre Altersgenossen zur Zwangsarbeit nach Deutschland oder zum Stellungsbau hinter die Front verschleppte. Eine angebliche Begegnung zwischen den Teilnehmern der feierlichen Eröffnung und einer Kolonne von Soldaten bewachter Zwangsarbeiter in den Straßen Gents wurde zum Sinnbild für den Verrat der Aktivisten und die Besatzungspolitik überhaupt.20 Ebenso wie Deutschland planmäßig die ökonomische Ausbeutung betrieben habe, sei es systematisch darangegangen die nationale Einheit des Landes zu zerstören, um es sich nach dem Krieg besser einverleiben zu können.21 Dass dieses Bild, in dem Zwangsarbeit und Flamenpolitik 17 Ebd., S. 174–177. 18 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 662 sowie 691 f. 19 Eine ähnliche Machtdemonstration hatte bereits Anfang Oktober 1916 stattgefunden, als die ersten Arbeiter aus dem Etappengebiet verschleppt wurden, ohne dass die Verhandlungen mit dem Generalgouverneur abgeschlossen waren. Thiel, Menschenbassin, S. 123. 20 »Le jour même de l’ouverture de l’Université de Gand s’étaient croisés dans les rues une bande de travailleurs encadrés de soldats les emmenant vers la gare, avec le cortège des officiers et fonctionnaires invités à la cérémonie [der Universitätseröffnung].« Pirenne, Belgique, S. 226; Die Schilderung geht auf einen Bericht des Genter Schöffen Maurice De Weerdt zurück, der erstmals in Heyse, S. 132 erschien. 21 Pirenne u. Vauthier, S. 86.

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zwei Seiten ein und derselben Medaille waren, nicht den Tatsachen entsprach, dürfte deutlich geworden sein. Es ist reine Spekulation, wie sich die Flamenpolitik ohne die Einführung der Zwangsarbeit entwickelt hätte. Zwei Überlegungen scheinen aber für den weiteren Verlauf von Bedeutung. Erstens, die Einführung der Zwangsarbeit schreckte viele Flamen ab, an der Flämischen Hochschule mitzuwirken; zweitens, denjenigen, die sich bereits öffentlich zur Hochschule bekannt hatten, haftete nun noch stärker als zuvor das Stigma des Vaterlandsverrats an. Noch im Sommer 1916 hatten sich zahlreiche Prominente und einige Organisationen für die Eröffnung der Flämischen Hochschule unter deutscher Besatzung ausgesprochen und für diese geworben. Doch nach diesem Anfangserfolg sorgten die Deportationen und die Strafandrohungen der belgischen Regierung für eine nachhaltige Diskreditierung des Projekts. Die Eröffnung der Flämischen Hochschule war als ein Signal für den weiteren Ausbau der Flamenpolitik geplant gewesen und sollte die Verwaltungstrennung einleiten. In der Tat wurde unmittelbar nach Eröffnung der neuen Universität die Teilung des Unterrichtsministeriums angeordnet.22 Öffentlich wurde dieser Schritt allerdings kaum thematisiert und den belgischen Beamten versichert, dass die Trennung des Ministeriums nicht der erste Schritt zu einer allgemeinen Verwaltungstrennung sei. Offiziell wurde lediglich von der Einrichtung flämischer und wallonischer Abteilungen gesprochen und eine räumliche Trennung erfolgte zunächst nicht. Die Zivilverwaltung nahm hin, dass belgische Beamte die Chefs der neuen Abteilungen ignorierten und gegenüber deutschen Beamten als Verräter bezeichneten. Aufgrund dieses Widerstandes bekamen diese auch weniger Kompetenzen als ursprünglich geplant.23 Unter den belgischen Funktionären herrschte Uneinigkeit, wie auf die Maßnahme reagiert werden sollte. Der bisherige Staatssekretär des Ministeriums, de la Vallée-Poussin, der von den Deutschen im Sommer 1916 abgesetzt worden war, legte den Beamten den Rücktritt nahe. Der belgische Unterrichtsminister Prosper Poullet ließ aus den Niederlanden verlauten, dass er den höheren Beamten diesen Schritt freistelle. Die amtierenden Generaldirektoren entschieden sich letztlich dafür, im Amt zu verbleiben – wenn auch nun mit auf Wallonien beschränkter Befugnis. Die neuen flämischen Beamten nahmen ihre Posten

22 Verordnung über die organische Zusammensetzung des Ministeriums für Kunst und Wissenschaft, GVBl 273 (5. November 1916). 23 Die flämische Abteilung war für die Bildungseinrichtungen der niederländischsprachigen Provinzen zuständig. Die Absicht, ihnen auch die Zuständigkeit für Brüssel zu übertragen, scheiterte zunächst am Widerstand der alten Generaldirektoren, die für diesen Fall mit Rücktritt drohten. Der in der Zivilverwaltung für Sprachenfragen zuständige Karl Trimborn sicherte ihnen außerdem zu, dass die Einrichtung flämischer Abteilungen im Unterrichtsministerium nicht der Auftakt zu einer allgemeinen Verwaltungstrennung sei. Gille u. a., Cinquante mois Bd. 2 und 3, Einträge für den 1. und 29. November 1916, sowie den 3. Januar 1917 und 21. Februar 1917.

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am 15. Dezember  1916 ein.24 Hippoliet Meert, der designierte Generaldirektor für die weiterführenden Schulen in Flandern, war begeistert: »Macht ist in unsere Hände gelegt worden«, schrieb er im November 1916 an einen Freund.25 Zumindest er schien damit die Erwartung zu erfüllen, die man in diese Maßnahme gesetzt hatte. Die Spaltung des Unterrichtsministeriums, so hatte Bissing im Juli 1916 zu Protokoll gegeben, sollte die Möglichkeit bieten, Flamen aus der kritisch-abwartenden Haltung in die Mitarbeit zu führen.26

c) Nationalkomitee oder Beirat? – Die Gründung des Rates von Flandern Bethmann Hollweg hatte bereits Anfang 1916 die Einweihung der Flämischen Hochschule als günstigen Anlass für die Gründung eines flämischen Nationalkomitees bezeichnet. Bissing war zunächst gegen diesen Schritt gewesen, der seiner Meinung nach die Zusammenarbeit mit gemäßigten Flaminganten gefährdete.27 Erst im Sommer 1916 wurde beschlossen, ein flämisches Gremium einzurichten, von einem Nationalkomitee war hier allerdings nicht die Rede. Der flämische »Beirat« sollte eine beratende und keine repräsentative Funktion haben und vor allem dazu dienen, Aktivisten an die Verwaltungsarbeit heranzuführen.28 Weitergehende Überlegungen wurden wahrscheinlich wegen der Einführung der Zwangsarbeit auf Eis gelegt. Nur wenige Flamen wären wohl bereit gewesen, sich öffentlich derart als Kollaborateure zu exponieren. Die Idee, die Eröffnung der Flämischen Hochschule zum Anlass für die Gründung eines Nationalkomitees zu nehmen, wurde nicht wieder aufgegriffen. Ein solcher Schritt hätte der Flämischen Hochschule mehr geschadet als dem Aufbau des Nationalkomitees genützt. Die Umwandlung der Universität Gent bewegte sich schließlich noch immer zumindest am Rande der belgischen Gesetzgebung. Dies wurde von den Besatzungsbehörden ebenso wie von den Aktivisten immer wieder hervorgehoben.29 Die Gründung eines Nationalkomitees war hingegen eine eindeutig gegen den belgischen Staat gerichtete Maßnahme. 24 Vanacker, Avontuur, S. 207 f.; Gille u. a., Cinquante mois Bd. 2, Eintrag vom 1. November 1916. 25 Vanacker, Activistisch avontuur, S. 207. 26 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Verwaltungschef Sandt über die Richtlinien der Flamenpolitik. Brüssel, 27. Juni 1916, GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Tit. 875 Okkupationen adh. X Nr. 11 (Die Behandlung der Vlamen), S. 12. 27 Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 11. Januar 1916, PA AA, R 21568, S. 59, 70. 28 Besprechung über die allgemeinen Richtlinien der Vlamenpolitik. Brüssel, den 31. Juli 1916, GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern Tit. 875 Okkupationen adh. X Nr. 11 (Die Behandlung der Vlamen), S. 80; Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 586. 29 Die bekannteste Broschüre »Aan de Vlaamsche studenten. Rechtskundige raadpleging nopens de wettelijkheid van de Vervlaamsching der Gentsche Hoogeschool en de geldigheid

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Dass die Idee eines Nationalkomitees Ende 1916 wieder aufgegriffen wurde, hatte verschiedene Gründe. Für die Aktivisten war vor allem die Möglichkeit separater Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und Belgien entscheidend, die sich Ende 1916 abzeichnete. Die Angst, von den Deutschen fallen gelassen zu werden, war groß und die Besatzungsmacht nutzte sie, um die Aktivisten nun zu einer intensiveren Mitarbeit zu bewegen.30 Den Aktivisten sei dabei bewusst, so die Politische Abteilung, dass die belgische Regierung in einem solchen Vorgehen einen »staatsgefährlichen Akt« sehen würde, weshalb sie die »Anlehnung an das Reich« suchten.31 Nach einer vorbereitenden Sitzung am 7. Januar 1917 fand am 4. Februar 1917 ein flämischer »Landtag« statt, auf dem ein »Rat von Flandern« gewählt wurde. Die Bewegung, so stellte es der ehemalige Referent für flämische Angelegenheiten, Pius Dirr, nach dem Krieg dar, »kam aus sich selbst heraus zum Erfolge«.32 Diese Darstellung ist aus mehreren Gründen fragwürdig und entscheidend war wohl eher ein Meinungsumschwung in der Besatzungsverwaltung, die es nun für opportun hielt, ein repräsentatives flämisches Organ ins Leben zu rufen. Dirr selbst berichtet, dass Bissing immer wieder auf einen Zusammenschluss der Aktivisten drängte. Die »Bewegung« konnte außerdem schon deshalb nicht selbständig zum Erfolg kommen, weil die militärischen Behörden nach Kräften versuchten, die Gründung einer flämischen Vertretung zu behindern. Aktivisten, die im Etappen- oder Operationsgebiet wohnten, wurden die nötigen Passierscheine für die Reise ins Generalgouvernement verweigert.33 Erst nachdem, wie Dirr es ausdrückte, »den in Holland lebenden Flamen ›aus militärischen Gründen‹« die Einreise verweigert worden war, wurde Bewohnern des Etappengebiets die Teilnahme am »Landtag« gestattet. Einige Flamen aus dem Operationsgebiet durften auch danach nicht nach Brüssel reisen.34 Ohne die Interventionen der

van hare diploma’s« (An die flämischen Studenten. Rechtsratgeber betreffend die Gesetzlichkeit der Flamisierung der Genter Hochschule und die Gültigkeit ihrer Diplome) erschien im September 1916 und erlebte während der Besatzungszeit mehrere Auflagen. Ihr Inhalt wurde auch in der aktivistischen Presse wiedergegeben, so z. B. in »Het Vlaamsche Nieuws« (2. Oktober 1916), S. 1. 30 Dass diese Angst nicht unbegründet war, zeigen die Friedenssondierungen von 1915/16. Als sich Bethmann Hollweg die Chance auf eine militärische Vorherrschaft in Belgien bot, ließ er alle flamenpolitischen Forderungen fallen. Wende, S. 92. 31 TB der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien von Anfang August 1916 bis Ende Januar 1917, PA AA, R 21369, S. 144. 32 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 711 (im Original unterstrichen). 33 Ludendorff ließ mitteilen, er könne mit »Rücksicht auf die Kriegslage« Reisen von »Vlamenführern ins Operations- und Etappengebiet« im Zusammenhang mit der »Gründung eines vlämischen Nationalrates« nicht genehmigen. Ebenso wollte er Reisen aus dem Etappengebiet nach Antwerpen, Brüssel und Löwen zur Anwerbung von Professoren für die im Etappengebiet liegende Flämische Hochschule in Gent nicht genehmigen. Ludendorff an Auswärtiges Amt. Pleß, 30. Januar 1917, PA AA, R 21369, S. 290. 34 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 712.

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Politischen Abteilung hätten wohl nur Aktivisten aus dem Generalgouvernement teilnehmen können.35 Auf dem »Landtag« am 4. Februar 1917 kamen vor allem die radikaleren Teile der Aktivisten zusammen, um aus ihren Reihen den Rat von Flandern zu wählen. Namentlich die Jungflamen waren stark vertreten, während viele gemäßigte Aktivisten eine Teilnahme abgelehnt hatten.36 Andere wurden nicht zur Versammlung zugelassen, weil sie sich weigerten eine Erklärung zu unterzeichnen, welche die »vollständige und allseitige Selbständigkeit und Selbstregierung und die unverzügliche Verwirklichung aller Maßnahmen, die dazu führen können« forderte.37 Letztlich nahmen von 320 eingeladenen nur 125 Aktivisten an der Versammlung teil. Diese wählten aus ihrer Mitte einen zunächst 46-köpfigen Rat von Flandern, der in den nächsten Monaten auf 82 Mitglieder erweitert wurde.38 Im Rat von Flandern bildeten sich zwei Flügel. Auf der einen Seite die Jungflamen, die den Staat Belgien beseitigen wollten, und auf der anderen Seite die »Unionisten«, die eine weitgehende Föderalisierung Belgiens anstrebten. Bereits die Gründung des Rates bedeutete eine Aufwertung der Jungflamen, deren Einfluss die Behörden des Generalgouvernements bis dahin nach Möglichkeit begrenzt hatten, da sie befürchteten, dass ein zu radikales Auftreten ein Wachsen des Aktivismus erschweren würde. Der Grund für den Kurswechsel im Generalgouvernement, das in dieser Hinsicht den Wünschen des Reichskanzlers nun weiter als zuvor entgegenkam, war die Absicht, die Initiative gegenüber der OHL wiederzugewinnen. Dies konnte jedoch nur gelingen, wenn die Aktivisten in einer Form auftraten, die sich außenpolitisch ausbeuten ließ: als Repräsentanten eines nach Unabhängigkeit strebenden Flanderns.

d) Der Kaiser, die Flamenpolitik und das Ende der Deportationen aus dem Generalgouvernement Am 8. Februar 1917 berichtete Bethmann Hollweg dem Kaiser vom Landtag der Aktivisten. In Brüssel seien »200 Flamenführer« zusammengekommen und hätten »gänzliche Autonomie und völlige Selbständigkeit« für die Flamen in Bel35 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtiges Amt. Brüssel, 31. Januar 1917, PA AA, R 21369, S. 291; Ludendorff stimmt zu Teilnehmer aus dem Etappengebiet zuzulassen. Der Vertreter des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier Grünau an Auswärtiges Amt. Pleß, 2. Februar 1917, PA AA, R 21369, S. 303. 36 Vanacker, Avontuur, S. 217. 37 Dies war die Formel, auf die sich die vorbereitende Versammlung vom 7. Januar 1917 geeinigt hatte. Einige bekannte Flamen, die sich für eine Flämische Hochschule unter deutscher Besatzung eingesetzt hatten, lehnten die Formulierung als gegen den belgischen Staat gerichtet ab, so etwa Lodewijk Dosfel und Reimond Speleers. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 712 f. 38 Vanacker, Avontuur, S. 217 f.; Maeyer, S. 57.

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gien gefordert. Sie hätten aus ihren Reihen einen Rat gewählt, der nun in »Unterhandlungen mit den deutschen Behörden treten« wolle. Der Reichskanzler bat den Kaiser um die Genehmigung, eine Abordnung des Rates zu empfangen und dieser eine »entgegenkommende Antwort« zu erteilen.39 Diese irreführende Darstellung, die suggerierte, dass es sich um eine repräsentative Versammlung der Flamen gehandelt habe, die von sich aus Forderungen an die deutschen Behörden gestellt hätte, verfehlte ihre Wirkung nicht.40 Wilhelm II. reagierte begeistert und überrascht zugleich. Ihm sei von der »entscheidenden Wendung in der flämischen Bewegung bisher nichts bekannt« gewe­sen. Noch im Herbst 1916 habe Admiral Schröder41 ihm gegenüber die Existenz einer derartigen Bewegung verneint. Nun, schrieb der Kaiser, solle man dem Wunsch der Flamen »zur Entfaltung ihrer nationalen Kräfte und zu selbständigem nationalen Leben« Rechnung tragen und darauf hinarbeiten, »dass sich diese Entwicklung in enger materieller und geistiger Anlehnung an uns vollzieht«. Der Kaiser wollte noch vor dem Frühjahr Ergebnisse sehen und versprach sich von der Flamenpolitik einen großen außenpolitischen Effekt. Nicht nur entspreche man dem Nationalitätenprinzip US-Präsident Wilsons, auch für England falle ein wichtiger Grund, den Krieg fortzusetzen, weg.42 Von Brüssel aus wurde der Eindruck, als ob es sich beim Rat von Flandern um die Führung einer starken Nationalbewegung handle, teilweise verstärkt. In der Korrespondenz Belgien, der Nachrichtenagentur des Generalgouvernements, erschien unter dem Titel »Die Flamen auf dem Weg zur Selbständigkeit« ein Artikel über den Landtag und die Wahl des Rates von Flandern. Die Teilung des Unterrichtsministeriums und die bevorstehende Trennung der anderen Ministerien wurden mit den Worten kommentiert, die »Formen eines flämischen Staatsgefüges« stünden nun deutlich errichtet.43 Ein solch eindeutiges Bekennt39 Reichskanzler Bethmann Hollweg an den Vertreter des Auswärtigen Amtes im Großen Hauptquartier Grünau. Berlin, 8. Februar 1917, PA AA, R 21568, S. 202; Am Tag zuvor hatte es bereits eine Besprechung des Reichskanzlers mit den Staatssekretären des Äußern und Innern sowie dem Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien gegeben. Besprechungsnotiz. Berlin, 7. Februar 1917, in: Scherer u. Grunewald, S. 3 f. 40 Tatsächlich waren in Brüssel nicht 200, sondern nur 125 »Flamenführer« zusammengekommen, obwohl 320 eingeladen worden waren. Von den Teilnehmern kam etwa die Hälfte aus Brüssel. Gent und Antwerpen stellten jeweils etwa ein Fünftel der Delegierten. Aus Gent kamen 20 Teilnehmer, vor allem Jungflamen und 8 Professoren. Vanacker schreibt, dass man in Gent außerhalb dieser Gruppen wohl noch nicht viele Anhänger gefunden habe. Wahrscheinlich war auch die strikte Passierscheinregelung für die geringe Teilnahme aus Gent mitverantwortlich. Vanacker, Avontuur, S. 217. 41 Ludwig von Schröder war kommandierender Admiral des Marinekorps Flandern, dem das Marinegebiet Flandern mit den Städten Brügge und Ostende unterstand. Schaepdrijver, Marinegebiet; dies., Brugge. 42 Kaiser Wilhelm II. an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Pleß, 9. Februar 1917, PA  AA, R 4491, S. 105. 43 Anonym, Die Flamen auf dem Wege zur Selbständigkeit, in: Korrespondenz Belgien 120 (10. Februar 1917).

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nis zum Nation-Building war jedoch eher die Ausnahme. In einer Denkschrift für den Kaiser beschrieb der Generalgouverneur die Aktivisten wahrheitsgetreu als eine Minderheit, der ein großer Teil der Flamen teilnahmslos oder feindlich gegenüberstehe. Er wies darauf hin, dass die Vertreter des Rates von Flandern geäußert hätten, dass vor allem die Arbeiterabschiebungen die Propaganda erschwerten. Von einer Änderung dieser Verhältnisse versprächen sich die Aktivisten »eine günstige Wirkung auf die breiteren Schichten der flämischen Bevölkerung«. Die Randbemerkung des Kaisers: »Soll geschehen!« zeigte die Unterstützung des Monarchen für ein Ende der Zwangsarbeit.44 Nachdem es im Februar noch zu heftigen Auseinandersetzungen über die von Bissing abgelehnten Pläne, in Belgien Orgelpfeifen zu beschlagnahmen, kam und Versuche der OHL, dem Generalgouverneur die Schuld an den Deportationen aus Belgien in die Schuhe zu schieben, für Konflikte sorgten,45 verständigten sich beide Seiten Ende des Monats. Bei einem Treffen Lanckens mit der OHL am 20. Februar 1917 bemühte sich Ludendorff, den Konflikt mit dem Generalgouverneur beizulegen. Insbesondere in der Kirchen- und Flamenpolitik zeigte er Verständnis für die Wünsche Bissings.46 Dieser Kurswechsel wurde eine Woche später auf einer Besprechung über die Frage der Kriegskontributionen Belgiens bestätigt. Die OHL, so Ludendorff, habe bisher den Standpunkt vertreten, »dass Belgien zu den Lasten in so erheblichem Maße herangezogen werden muss, dass im Lande der Wunsch nach Frieden gewaltsam hervorbricht und das Land nach dem Kriege geldwirtschaftlich möglichst geschwächt wird«. Die Gründung eines selbständigen Flanderns würde allerdings die Haltung der OHL in dieser Frage beeinflussen, weshalb er den Reichskanzler darum bat, ihn über die Absichten der Reichsleitung in der Flamenfrage zu informieren.47 Auch Hindenburg schloss sich dieser Position an. Er werde den Reichskanzler in seiner vom Kaiser genehmigten Flamenpolitik, 44 Denkschrift Generalgouverneur Bissing: Flämische Frage und deutsche Flamenpolitik. Brüssel, 13. Februar 1917, GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode Nr. 13221 (unpaginiert). Die Stellen zur Zwangsarbeit und die Randbemerkung auf S. 11–12 der Denkschrift. Siehe auch der Chef des Geheimen Zivilkabinetts Valentini an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Potsdam, 25. Februar 1917, Abschrift in PA AA, R 4491, S. 219. 45 Tatsächlich, so Bissing, sei die »Arbeiter-Abschiebung von Oberster Heeresleitung und deutscher Industrie aufs Dringlichste gefordert worden«, während er sich dagegen »aufs Äußerste gesträubt« habe. Die Politische Abteilung beim General-Gouverneur in Belgien (Kempff) an den Staatssekretär des Äußern Zimmermann. Brüssel, 19. Februar 1917, PA AA, R 21370, S. 9 f.; Generalgouverneur Bissing an Ludendorff. Brüssel, 22. Februar 1917 und Ludendorffs Antwort. Großes Hauptquartier, 3. März 1917, in: Ludendorff, Urkunden, S. 131–134. 46 Der Chef der Politischen Abteilung beim General-Gouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt. Brüssel, 21. Februar 1917, PA AA, R 21370, S. 17. Noch am 11. Februar 1917 hatten an der ersten Sitzung des Rates von Flandern nur 23 von 46 Mitgliedern teilnehmen können, auch weil eine Passsperre die Einreise aus dem Etappengebiet unmöglich machte. Vanacker, Avontuur, S. 219. 47 Ludendorff an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Kreuznach, den 27. Februar 1917, PA AA, R 4491, S. 175.

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ebenso wie den Generalgouverneur in der Kirchenpolitik, in »loyalster Weise« unterstützen. Gleichzeitig verwahrte er sich jedoch gegen Versuche, das Etappengebiet dem Generalgouverneur zu unterstellen.48 Die Rollen hatten sich also umgekehrt und die OHL musste nach einer Phase des Hineinregierens in das Generalgouvernement nun ihren eigenen Zuständigkeitsbereich verteidigen. Die Gründung des Rates von Flandern und die Festlegung auf eine Flamenpolitik mit einem unabhängigen Flandern als Fernziel waren vor allem ein Erfolg des Reichskanzlers. Der Generalgouverneur hatte sich diesen Plänen erst nach langem Zögern und in Verteidigung gegen die rücksichtslose Ausbeutungspolitik der OHL angeschlossen. Die wirklichkeitsferne Darstellung der Lage in Belgien gegenüber dem Kaiser verpflichtete die deutschen Behörden nun auf eine utopische Nation-Building-Politik. In Flandern gab es keine nationalistische Massenbewegung und es hatte noch nicht einmal ausreichend qualifizierte Flamen gegeben, um die Professuren an der neuen Flämischen Hochschule zu besetzen. Für den Rat von Flandern und die Posten in der neu zu schaffenden flämischen Verwaltung mussten die Deutschen immer wieder auf dieselben Personen zurückgreifen. Diese rekrutierten sich vor allem aus der radikalen Gruppe Jungflandern, während gemäßigte Aktivisten sich zurückzogen oder kalt gestellt wurden. Wie schon zuvor war die Intensivierung der Flamenpolitik auch Anfang 1917 vor allem ein Ergebnis der spezifischen polykratischen Strukturen des Kaiserreichs und keine Reaktion auf ein Anwachsen des flämischen Aktivismus. Die vorangegangenen Radikalisierungsschübe waren von außen erfolgt. Die Verwaltungstrennung und die Gründung der Flämischen Hochschule waren 1916 auf Druck aus Berlin aus außenpolitischen Gründen beschlossen und gegen den Widerstand des Generalgouverneurs durchgesetzt worden. Nun diente die Gründung des Rates von Flandern dem Generalgouverneur und der Reichsleitung als Mittel, um sich gegen die Einmischung der OHL zu wehren. Interessanterweise kam hierbei Kaiser Wilhelm II. die Rolle des Schiedsrichters zwischen den Kontrahenten zu.49 Zugleich zeigt die Episode, dass zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs von einer Diktatur der OHL die Rede sein konnte. Es ist sehr die Frage, ob die überstürzte Einsetzung des Rates von Flandern überhaupt etwas mit der Entwicklung innerhalb Belgiens zu tun hatte. Der ehemalige Referent für flämische Angelegenheiten der Politischen Abteilung, Dirr, schrieb 1919, niemand habe sich darüber Illusionen gemacht, dass der Rat keine von der flämischen Bevölkerung anerkannte Volksvertretung war. Die deutsche Politik habe den Rat als eine solche Vertretung hingenommen, »um der Einigung des Aktivismus und damit der flämischen Bewegung überhaupt Vorschub zu 48 Hindenburg an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Großes Hauptquartier, 12. März 1917, PA AA, R 21370, S. 51 f. 49 Die Art und Weise, wie er diese Funktion wahrnahm, bestätigte jedoch das Urteil, Wilhelm II. sei mit der Aufgabe, Politik und Militär zu koordinieren, überfordert gewesen. Affler­bach, Kaiser, S. 204; Röhl, Wilhelm II.; Erdmann, S. 104.

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leisten und den Aktivismus zu befähigen, seinen Anhang im flämischen Volke zu vermehren«.50 Das vorrangige Ziel war also der Aufbau einer Bewegung zur Unterstützung der deutschen Nation-Building-Politik und nicht umgekehrt. Dass der Aktivismus ein deutsches Produkt war, macht auch ein Vergleich mit Polen deutlich, wo die Mittelmächte bereits am 5. November 1916 ein Königreich Polen proklamiert hatten. In Flandern, so der ehemalige Aktivist Faingnaert, habe es für einen solchen Schritt keine Grundlage gegeben. Hierfür habe es sowohl an einer staatlichen Tradition als auch an Nationalbewusstsein oder Eliten gefehlt, die für den Aufbau eines Nationalstaates notwendig gewesen wären.51 Wie schwach der flämische Separatismus zu diesem Zeitpunkt war, zeigt auch die Tatsache, dass die Gründung des Rates von Flandern nicht zu einer Einigung der Aktivisten führte, sondern zu ihrer Spaltung. Für die belgische Bevölkerung hatte die Entscheidung zur Nation-Building-​ Politik zunächst positive Folgen, da sie eine Abkehr von der radikalen Ausbeutungspolitik der OHL bedeutete. Die Deportationen aus dem Generalgouvernement wurden am 10. Februar 1917 eingestellt. Auch wenn die Flamenpolitik nicht der einzige Grund für diese Entscheidung war, so war sie doch ein wichtiges Argument, das besetzte Land zu schonen.52

50 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 719. 51 Faingnaert, S. 486–488. 52 Zu den weiteren Gründen für die Einstellung der Zwangsarbeit: Thiel, Menschenbassin, S. 156–162.

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6. Die importierte Nation – Die Zerlegung Belgiens und der Aufbau eines flämischen Staats

Bethmann Hollweg beeilte sich, die Unterstützung des Kaisers für die Flamenpolitik auszunutzen. Bereits am 3. März 1917 empfing er eine Delegation des Rates von Flandern in Berlin. Die Delegierten dankten dem Reichskanzler zunächst für seine Ansprache vom 5. April 1916, die Eröffnung der Flämischen Hochschule, Verordnungen im Schulbereich und die Gründung der flämischen Abteilung im belgischen Unterrichtsministerium. Diese Maßnahmen hätten »den Flamen Mut und Vertrauen eingeflößt«. Im Auftrag des Rates von Flandern wollte man nun erfahren, wie er sich das weitere Vorgehen vorstellte und möglichst klare Zusagen erhalten. Die Flamen forderten einerseits, dass die bereits durchgeführten Reformen im Rahmen von Friedensverhandlungen fest­ geschrieben werden sollten. Des Weiteren wollten sie »Selbstverwaltung und Selbstregierung« für Flandern, eine Formulierung, die von der Politischen Abteilung in Brüssel anstelle der schärferen Forderung nach »souveräner Selbständigkeit« eingefügt worden war. Dies ließ die Frage der Wiederherstellung Belgiens nach dem Krieg offen und der Reichsleitung mehr Spielraum in Friedensverhandlungen.1 Die Delegierten wollten außerdem, dass die Reichsleitung den Rat von Flandern als Körperschaft anerkannte, »mit der die jetzigen Maßnahmen und Vorbereitungen für die künftige Gestaltung unseres flämischen Vaterlandes beraten werden können«. Die im Unterrichtsministerium begonnene Verwaltungstrennung sollte nun auf alle anderen Behörden ausgedehnt werden. Hierbei wünschten sich die Aktivisten, dass »künftig in Brüssel nur flämische Zentralbehörden« ihren Sitz haben sollten, um es »auch äußerlich wieder zur flämischen Stadt« zu machen. Zur Durchsetzung ihrer Pläne hielten sie es für notwendig, »dass das deutsche Reich auch nach Friedensschluss seine schützende Hand« über die Flamen halte.2 Bethmann Hollweg begrüßte die Aktivisten als Vertreter eines durch »Blut und Sprache verwandten Volkes« und kündigte an, die Selbständigkeit, die das flämische Volk »zu erringen hofft, aber aus eigener Kraft kaum wird erreichen können«, zu verwirklichen. Konkret sagte er die Einführung der Verwaltungstrennung zu. Die Sprachgrenze solle nun zur »Grenzscheide zweier unter dem Befehl des Generalgouverneurs geeinter, aber ansonsten getrennter Verwaltungsgebiete« werden. Darüber hinaus versicherte er, bei Friedensverhandlun1 Vanacker, Avontuur, S. 221. 2 Abschrift der Ansprache der Abordnung des Rates für [sic] Flandern an Seine Exzellenz den Herrn Reichskanzler, PA AA, R 4491, S. 184–188.

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gen alles zu tun, um »die freie Entwicklung des vlämischen Stammes« auch nach dem Krieg zu garantieren.3 Diese Erklärung des Reichskanzlers machte, wie Köhler es rückblickend formulierte, die »Flamenpolitik in der Form einer verbindlichen Zusage zur Grundlage der Reichspolitik in Belgien«.4 Die Aktivisten waren durch den Empfang zu Repräsentanten des flämischen Volkes aufgewertet worden. Zwar legte sich die Reichsleitung formell nicht fest, doch die Ankündigung der Verwaltungstrennung war ein deutliches Zeichen gegen die Wiederherstellung Belgiens in seiner bisherigen Form. Gegenüber der zurückgekehrten aktivistischen Delegation erklärte Verwaltungschef Sandt in Brüssel, dass die Verwaltungstrennung als »Vorbereitung für die dem Friedensschluss vorzubehaltende Ländertrennung« zu betrachten sei. Aus taktischen Gründen sei es jedoch nicht wünschenswert, dies öffentlich zu machen. Diese Erklärung ging noch über jene Bethmann ­Hollwegs hinaus, erfolgte aber wahrscheinlich in Absprache mit diesem.5 Die Nachricht vom Empfang der aktivistischen Delegation schlug in Belgien und bei den Exilanten ein wie eine Bombe. Die Erklärung des Reichskanzlers wurde als Beginn der Zerschlagung des belgischen Staats verstanden und die Empörung über die Aktivisten war groß. Eine Nachrichtenübersicht der deutschen Gesandtschaft in Den Haag ergab ein eindeutiges Bild. Mit Ausnahme der aktivistischen Blätter verurteilte die belgische Exilpresse die Reise nach Berlin scharf. In der flämischen Bewegung vertiefte sich der Riss, der sich schon mit der Gründung der Flämischen Hochschule gezeigt hatte. Friedrich Rosen, der Nachfolger Kühlmanns als Gesandter in Den Haag, konstatierte, die Frage des Zusammengehens mit der deutschen Regierung sei zu einem »Schibboleth« unter den Flamen geworden.6 In der niederländischen Presse wurde der Empfang der Aktivisten durch den Reichskanzler einhellig missbilligt. Die Hoffnung, die Flamenpolitik könne helfen, das Bild eines »ausschließlich ententefreundlichen und deutschfeindlichen Belgien« zu korrigieren,7 erwies sich als falsch. Im Gegenteil: Der Rat von Flandern wurde auch im neutralen Ausland als deutsche Schöpfung wahrgenommen. Die Radikalisierung der Flamenpolitik führte zu einer Diskreditierung der deutschen Politik und ihrer aktivistischen Verbündeten und nicht wie erhofft zu einer Delegitimierung der belgischen Exilregierung. Sie verhalf im Gegenteil der Behauptung der Entente, für die Wiederherstellung der belgischen Souveränität zu kämpfen, zu neuer Glaubwürdigkeit. 3 Der Reichskanzler an den Rat von Flandern, in: NAZ vom 4. März 1917 (Zweite Ausgabe), S. 1. 4 Während der Besatzung war er Chef der Abteilung Handel und Gewerbe beim Generalgouverneur. Köhler, S. 39 f. 5 Wende, S. 120; Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 733 f. 6 Berichte des Gesandten in den Niederlanden Rosen. Den Haag, 8. und 9. März 1917, PA AA, R 4491, S. 199–206. 7 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 730.

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Die Isolation der Aktivisten nahm zu und innerhalb der Bewegung zeigten sich Risse. Einige hatten schon die Gründung des Rates abgelehnt und kritisierten nun das Auftreten der Delegation in Berlin.8 Selbst unter den Mitgliedern des Rates hätten es viele vorgezogen, wenn die Reise geheim geblieben wäre.9 Die Verunsicherung zeigte sich auch daran, dass sich die meisten Aktivisten darum bemühten, anonym zu bleiben. Der Rat gab zwar am 4. Februar 1917 mit einem »Aufruf an das flämische Volk« seine Existenz bekannt, nicht aber die Namen seiner Mitglieder. Der Grund für diese Zurückhaltung war neben der Angst vor persönlichen Nachteilen das Urteil der deutschen Besatzungsbehörden, die viele Mitglieder des Rates für ungeeignet hielten, ein öffentliches Amt auszuüben.10 Übrigens hatten auch die vom Reichskanzler immerhin als »Vertreter eines durch Blut und Sprache uns verwandten Volkes« begrüßten Delegierten eigentlich anonym bleiben sollen. Für große Aufregung sorgte es daher, als ein Foto der aktivistischen Abordnung zunächst in den Niederlanden und dann auch in Deutschland und der internationalen Presse veröffentlicht wurde. Ob es sich hierbei um einen Fehler der deutschen Zensur handelte11 oder ein absichtliches Leak, ist unklar. Die deutschen Zeitungen druckten das Bild jedenfalls eifrig und man bemühte sich auch sonst darum, die Aktivisten aus der Anonymität zu holen. Für die nun namentlich Bekannten hatte die Veröffentlichung unangenehme Konsequenzen. Sie wurden in der Exilpresse als Hochverräter bezeichnet, welche die Todesstrafe verdienten. Die belgische Regierung, so hieß es, werde sie nach ihrer Rückkehr zur Rechenschaft ziehen, selbst wenn sie durch einen Friedensvertrag gezwungen sein sollte, bestimmte unter deutscher Besatzung gemachte Reformen beizubehalten. Die Aktivisten boten kaum das Bild einer selbstbewussten Nationalbewegung, wie sie etwa in Irland oder Polen existierte, und der Rat von Flandern war ein heterogener Haufen, der sich weder über die eigenen Ziele noch über die des deutschen Bündnispartners im Klaren war. Entscheidend waren jedoch nicht die Absichten der Aktivisten, sondern der Wille der Reichsleitung, den ursprünglich nur als Beratungsgremium gedachten Rat12 zu einer »Vertretung des flämischen Volkes« zu machen.13 Die Meinung der großenteils zögerlichen Aktivisten war hierbei Nebensache, denn auf deutscher Seite war man mit oder ohne sie zur Umsetzung der Verwaltungstrennung entschlossen.14 8 Elias Bd. 1, S. 74. 9 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 724; Laut Elias war ursprünglich beabsichtigt gewesen, die Reise geheim zu halten. Elias Bd. 1, S. 74; Dass viele Aktivisten die Reise als Fehler betrachteten, belegt auch Vrints, Stad, S. 99–101. 10 Vanacker, Avontuur, S. 219. 11 Diese Ansicht vertraten Gille u. a., Cinquante mois Bd. 3, Eintrag vom 12. März 1917. 12 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 698 f. 13 Staatssekretär Helfferich auf der 151.  Sitzung des Hauptausschusses des Reichstags vom 3. Mai 1917, in: Schiffers u. Koch, S. 1416. 14 Bissing schrieb ausdrücklich an den Kaiser: »Sollten die oben genannten Schwierigkeiten, soweit sie auf dem Widerstande oder der ungenügenden Mitarbeit der Flamen und ihrer

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Für Bethmann Hollweg und die Behörden des Generalgouvernements war dies aus innenpolitischen Gründen und insbesondere in der Auseinandersetzung mit der OHL wichtig. Andererseits sahen sie in der Flamenpolitik eine Möglichkeit, Belgien auch bei einem ungünstigen Ausgang des Kriegs weiter zu beeinflussen. Eine Zerschlagung des Königreichs wurde jedoch öffentlich nicht angekündigt und hätte wohl auch keine innenpolitische Mehrheit gefunden. So mahnte etwa Peter Spahn (Zentrum), der Vorsitzende des Hauptausschusses des Reichstags, man solle die flämische Bewegung nur so weit fördern, »als sie nicht in hoch- und landesverräterischer Weise auf die Auflösung des Königreiches Belgien hinarbeite, das von Deutschland nicht annektiert, sondern in seiner Existenz anerkannt werde«.15 Genau diese Rolle hatte die Reichsleitung den Aktivisten jedoch zugedacht. Sie vermied es allerdings sich festzulegen, auch um zukünftige Friedensverhandlungen nicht zu belasten und musste außerdem der Tatsache Rechnung tragen, dass sich im Reichstag Gegner auch einer vorsichtigen Flamenpolitik befanden. Auf der anderen Seite meldeten sich die Befürworter einer Annexion wie der christlich-soziale Abgeordnete Mumm zu Wort. Er vertrat die Auffassung, dass man die Schwierigkeiten einer Annexion nicht überschätzen solle, denn »Blut finde sich zu Blut. Die 4 Millionen blauäugiger, blondhaariger, kinderreicher Germanen hätten für unsere künftige Heereskraft große Bedeutung, ebenso für unsere Flotte«.16 Während sich die Reichsleitung außen- und innenpolitisch Handlungsspielräume für einen Verhandlungsfrieden und eine Wiederherstellung Belgiens offen hielt, bekannte man sich gegenüber den Aktivisten offen zum Ziel, Belgien zu zerschlagen. Dies bedeutete einen Bruch mit der bisherigen Praxis, die eine Einbeziehung auch gemäßigter Vertreter der flämischen Bewegung angestrebt hatte, und eine Hinwendung zu den radikalen Kräften, vor allem der Gruppe Jungflandern.

a) Die Zerlegung Belgiens in Flandern und Wallonien Der Reichskanzler hatte der aktivistischen Delegation die Einführung »zweier unter dem Befehl des Generalgouverneurs geeinter, aber ansonsten getrennter Verwaltungsgebiete« angekündigt. Eine radikale Konzeption von Verwaltungstrennung, die auf eine Zerschlagung Belgiens hinauslief. Diese hatte sich in den deutschen Behörden erst im Januar 1917 durchgesetzt. Es lohnt sich, die DiskusVertreter beruhen, einen zu hohen Grad erreichen, so würde ich auf die flamische Mitarbeit verzichten und die zum Wohle Flamlands geplanten Maßregeln kurzer Hand durch Befehl treffen.« Der Generalgouverneur in Belgien Bissing an Kaiser Wilhelm II. 6. April 1917, BArch, R 1501/119391, S. 355 f. 15 122. Sitzung des Hauptausschusses des Reichstags vom 3. März 1917, in: Schiffers u. Koch, S. 1139. 16 Ebd., S. 1148.

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sion über die Form der Verwaltungstrennung noch einmal nachzuvollziehen, da hiermit endgültig der Weg zur importierten Nation geebnet wurde. Noch im Herbst 1916 waren die Besatzungsbehörden eher bedächtig vorgegangen. Bissing und sein Verwaltungschef Sandt hatten der Verwaltungstrennung skeptisch gegenübergestanden. Nachdem bereits die Eröffnung der Flämischen Hochschule das Verhältnis zu den belgischen Behörden verschlechtert hatte, wollten sie einen offenen Bruch der belgischen Verfassung vermeiden. Die Arbeiterdeportationen hatten die Deutschen in der Bevölkerung zudem verhasster denn je gemacht und belasteten auch die Flamenpolitik schwer; die Anhängerschaft der Aktivisten stagnierte trotz der Eröffnung der Flämischen Hochschule. Als Ende Oktober  1916 die Einrichtung flämischer Abteilungen im Unterrichtsministerium angeordnet wurde, bemühte sich die Zivilverwaltung darum, die Bedeutung der Maßnahme herunterzuspielen. Den belgischen Beamten wurde ausdrücklich versichert, dass es sich nicht um den Beginn einer allgemeinen Verwaltungstrennung handle.17 Sie blieben auf ihren Posten, nachdem sie bereits die Einrichtung der Flämischen Hochschule – wenn auch unter Murren – mitgetragen hatten. Öffentlich wurde die Trennung sowohl in Deutschland als auch in Belgien kaum thematisiert. Möglicherweise war auch in den übrigen Ministerien eine »schrittweise Verwaltungstrennung« nach dem Vorbild des Unterrichtsministeriums geplant. Die Einrichtung flämischer Abteilungen hätte zwar einen erheblichen Eingriff bedeutet, aber die Einheit der belgischen Institutionen in der Hauptstadt Brüssel zumindest äußerlich aufrechterhalten.18 Diese Form der Verwaltungstrennung bot die Möglichkeit, den modus vivendi mit den belgischen Beamten aufrechtzuerhalten. Sie war allerdings kaum geeignet, den Eindruck einer erstarkenden flämischen Nationalbewegung zu erwecken. Genau dies – und nicht etwa ein Kompromiss innerhalb der bestehenden belgischen Strukturen – war es jedoch, was dem Reichskanzler aus außen- und innenpolitischen Gründen vorschwebte. Ende Januar 1917 schlug der Reichstagsabgeordnete Schulze-Gaevernitz (FVP) in einer Denkschrift die Trennung Belgiens in »zwei Staatsgebilde« nach dem Modell Österreich-Ungarns vor. Der Autor war gut mit der Besatzungsverwaltung vertraut, da er im Herbst 1915 einige Monate in der Politischen Abteilung in Brüssel verbracht und mehrere Reisen nach Belgien unternommen hatte. Sein Vorschlag sah außerdem vor, die deutsche Verwaltung unter zwei »Präsidenten« für Flandern und Wallonien neu zu organisieren und gleichzeitig »französisch gesinnte belgische Beamte« von Brüssel nach Wallonien zu versetzen. Diese Pläne richteten sich nicht nur gegen die belgischen Beamten, sondern ausdrück17 Gille u. a., Cinquante mois Bd. 2 und 3, Einträge für den 1. und 29. November 1916, sowie den 3. Januar 1917 und 21. Februar 1917. 18 Der Begriff »schrittweise« Verwaltungstrennung taucht häufiger auf. Explizit findet sich diese Definition in den Erinnerungen Falkenhausens. Ludwig von Falkenhausen, Erinnerungen aus dem Weltkrieg 1914–1918 Bd. 2 (unveröffentlicht), BArch, N21/2 (Nachlass Falken­hausen), S. 155 f. (Seitenzahlen beziehen sich auf das Manuskript).

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lich auch gegen deutsche »Nur-Bürokraten«, die Belgien lediglich »technisch gut verwalten« wollten, – eine Formulierung, die auf die deutsche Zivilverwaltung zielte. Schulze-Gaevernitz wollte die Besatzungsherrschaft politischer und einheitlicher gestalten. Er regte an, Gent in das Generalgouvernement einzugliedern und im Austausch Wallonien dem Etappengebiet zuzuschlagen,19 was für die Wallonen ein verschärftes Besatzungsregime bedeutet hätte. Diese Haltung wurde auch im Zusammenhang mit der Zwangsarbeit vertreten, die er als »Schlag ins Gesicht unserer Flamenpolitik« scharf kritisierte. Er forderte, nach Nordfrankreich deportierte flämische Arbeiter zurück nach Flandern oder Deutschland zu bringen und nur Wallonen dort einzusetzen.20 Als Fernziel wollte Schulze-Gaevernitz ein »Königreich Flandern« errichten, das zu einem späteren Zeitpunkt dem Deutschen Reich beitreten sollte. Kurzfristig hielt er dessen Verwirklichung allerdings für unrealistisch. Diese Vorschläge wurden vom Chef der Politischen Abteilung in Brüssel übernommen und am 7. Februar 1917 auf einer Besprechung mit dem Reichskanzler vertreten, an der auch die Staatssekretäre des Innern und Äußern teilnahmen. Lancken schlug vor, die wallonischen Ministerien nach Namur zu verlegen und Brüssel zur Hauptstadt Flanderns zu machen. Belgien in seiner bisherigen Form müsse zerschlagen werden. Auch wenn Bethmann Hollweg daran zweifelte, dass Brüssel in Friedensverhandlungen als Hauptstadt Flanderns durchsetzbar sei, stimmte er einer Verwaltungstrennung in der vorgeschlagenen Form zu. Neu war, dass sich auch der Staatssekretär des Innern für ein entschlossenes Vorgehen aussprach. Helfferich, aus dessen Behörde die Beamten des Verwaltungschefs ressortierten, hatte zu den Kritikern der Flamenpolitik gehört. Ein Entwurf aus seinem Hause übernahm nun die von Lancken und Schulze-Gaevernitz gemachten Vorschläge und sprach offen die Intention der Verwaltungstrennung aus: Getrennt werde sich Belgien nicht der Entente anschließen können. Einige Punkte gingen sogar noch über die Vorschläge der Politischen Abteilung in Brüssel hinaus. Neben der Trennung der Ministerien wurde angeregt, zwei Oberste Gerichtshöfe und ein wallonisches Gegenstück zum Rat von Flandern einzurichten; auch die Frage, ob Belgien wirtschaftlich geteilt werden könne, wurde angeschnitten. Der Entwurf beinhaltete außerdem einen detaillierten Plan für die Teilung der deutschen Zivilverwaltung.21 19 Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Deutsche Vlamenpolitik des Jahres 1917, PA AA, R 21369, S. 277. 20 Die in Nordfrankreich eingesetzten Zwangsarbeiter waren in den sogenannten Zivilarbeiterbataillonen (ZAB) unter furchtbaren Bedingungen oft in unmittelbarer Frontnähe eingesetzt. Die OHL lehnte Schulze-Gaevernitz’ Forderung ab, da sie weiter Zwangsarbeiter aus Ostflandern rekrutieren wollte, das Ludendorff als »Hauptreservoir der im westlichen Armeegebiet arbeitenden ZAB« bezeichnete. Aufzeichnung über die Besprechung im Großen Hauptquartier am 5. April 1917 über die litauische, vlamische und elsaß-lothringische Frage, PA AA, R 21370, S. 203; Thiel, Menschenbassin, S. 127–129. 21 Referentenvorschläge zur Verwaltungstrennung in Belgien (Geheimer Oberregierungsrat Dr. Schulze). Berlin, 16. Februar 1917, BArch R 1501/119391, S. 7–9.

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Im Februar 1917 fiel also die Entscheidung, den belgischen Staat nicht nur umzubauen, sondern durch zwei neue Staaten Flandern und Wallonien zu ersetzen. Bethmann Hollweg sah zwar keinen Widerspruch zwischen der Einführung der Verwaltungstrennung und einer Wiederherstellung Belgiens unter König Albert, dieser hätte sich allerdings mit einer Doppelkrone nach österreichisch-​ungarischem Vorbild abfinden müssen. Verwaltungschef Sandt blieb nichts anderes übrig, als am 24. Februar 1917 die Pläne für eine möglichst weitgehende Trennung Belgiens zu akzeptieren. Auf Bitte des Reichskanzlers erklärte er sich dazu bereit, deren Durchführung zu koordinieren.22 Hierbei machte er allerdings seine Ablehnung der Verwaltungstrennung deutlich und bat darum, »ihn später nicht für einen der Teile des Landes zum Verwaltungs-Chef zu ernennen«.23 Um die Folgen der von ihm als falsch erachteten Maßnahme zu mildern, setzte er sich dafür ein, eine gemeinsame Zivilspitze mit möglichst weitreichenden Kompetenzen beim Generalgouverneur beizubehalten, allerdings ohne Erfolg. Der Rat von Flandern bat also den Reichskanzler um eine Verwaltungstrennung, wie sie zuvor von der Reichsleitung und den Behörden des Generalgouvernements konzipiert worden war. Die Zusage Bethmann Hollwegs legte die deutsche Politik dann offiziell auf diese Linie fest. Die Trennung und insbesondere die Verlegung der wallonischen Behörden nach Namur waren also nicht das Resultat aktivistischer Forderungen, sondern ein Ergebnis deutscher Planungen und standen schon vor dem Empfang der aktivistischen Delegation fest.24 Nach der Berlin-Reise wurden die Aktivisten am 7. März 1917 auf einer Besprechung mit den Spitzen der Behörden des Generalgouvernements übrigens noch einmal zum Vorgehen in der Verwaltungstrennung befragt. Sollten in den bestehenden Ministerien flämische Abteilungen eingerichtet werden, wie dies bereits im Unterrichtsministerium geschehen war? Oder befürworteten sie die Abschiebung der »wallonischen« Beamten nach Namur?25 Wie gezeigt war diese 22 Kurt Riezler, ein enger Vertrauter Bethmann Hollwegs, notierte höhnisch: »Nun geht es endlich mit der Trennung Vlamen Wallonen vorwärts und das Haupthindernis Sandt erhält den Befehl die Sache nun zu vollziehen und wird nur gefragt, ob er denn nicht die Liquidation seines Geschäfts noch selbst übernehmen wolle.« Riezler, Eintrag vom 24. Februar 1917. 23 Besprechung über die weitere Behandlung der Flamenfrage unter Vorsitz Reichskanzler Bethmann Hollwegs (weitere Teilnehmer: Staatssekretär des Innern Helfferich und der preußische Innenminister Loebell, Geheime Legationsrat Langwerth von Simmern, Sandt, Unterstaatssekretäre Heinrichs und Wahnschaffe). Berlin, 24. Februar 1917, BArch, R 1501/119391, S. 84. 24 Bei einer ersten Audienz des Rates beim Generalgouverneur, kurz vor der Berlin-Reise, war die Frage der Verlagerung der wallonischen Behörden nach Namur noch mit keinem Wort erwähnt worden. Umso deutlicher hatten die Aktivisten auf die negativen Folgen der Arbeiterdeportationen für die Legitimität des Rates hingewiesen. Bericht über die Audienz einer Abordnung des Rates von Flandern beim Generalgouverneur am 12. Februar 1917. BArch, R 1501/119391, S. 282. 25 Bei den betroffenen Beamten handelte es sich nicht nur um Wallonen, sondern generell um belgische Beamte, von denen Widerstand gegen die Verwaltungstrennung erwartet wurde.

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Frage rhetorisch, da sich die Deutschen schon für letzteres entschieden hatten.26 Die anwesenden Aktivisten befürworteten wenig überraschend die »Abschiebung«, sie hatten sich ja bereits in ihrer Ansprache an den Reichskanzler dafür ausgesprochen, nur flämische Behörden in Brüssel zu belassen. Auf diese Weise sollte der Widerstand gegen die Verwaltungstrennung gebrochen und außerdem Brüssel wieder zu einer flämischen Stadt gemacht werden. Mit einem Streik der betroffenen Beamten wurde nicht gerechnet, die Aktivisten warnten aber ausdrücklich davor, die Trennung auf die Justiz auszudehnen.27 In dieser Hinsicht wurden die deutschen Vorschläge also von der aktivistischen Delegation sogar abgeschwächt. Die am 21. März 1917 erlassene Verordnung über die »Bildung zweier Verwaltungsgebiete in Belgien« markiert eine Zäsur in der Besatzungspolitik. Diese hatte bis dahin die Haager Landkriegsordnung als »rechtliche Grundlage« respektiert.28 Ihre Einhaltung war für die Legitimation der Besatzung nach außen wichtig, denn der Überfall auf das neutrale Nachbarland und die Kriegsverbrechen beim Einmarsch hatten dem internationalen Ansehen Deutschlands schwer geschadet und dazu beigetragen, dass Belgien wie kein anderer Kriegsschauplatz im »Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit« stand.29 Der Rekurs auf das Völkerrecht war auch Ausdruck des Selbstverständnisses einer Besatzungsmacht, die sich als rechtmäßige Trägerin der Regierungsgewalt betrachtete.30 Die Haager Landkriegsordnung war für die Besatzungsmacht keineswegs nur eine lästige Bürde, sondern gab ihr auch weitreichende Rechte. Sie war die legale Grundlage, auf der hohe Kriegskontributionen eingetrieben wurden und regelte das Verhältnis zu den belgischen Beamten.31 Umgekehrt verpflichtete sie die Besatzungsmacht zur Wiederherstellung des öffentlichen Lebens, und zwar »soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze«.32 Nachdem der Generalgouverneur die Deportation belgischer Arbeiter unter Verweis auf das Völkerrecht kritisiert hatte, brach er es mit der Ein-

26 In einem Kommentar zum Empfang der Delegation war die Absicht, die Verwaltung für Wallonien von Brüssel nach Namur zu verlegen, bereits erwähnt worden. Diese Nachricht war auch in Belgien bekannt. Gille u. a., Cinquante mois Bd. 3, Eintrag vom 5. März 1917. 27 Besprechung zwischen Zivilverwaltung, Politischer Abteilung und Rat von Flandern. Brüssel, 7. März 1917, BArch, R 1501/119391, S. 195. 28 Köhler, S. 4. 29 Piper, S. 176. 30 Noch im September 1916 hatte Bissing versichert, dass man an das Haager Abkommen gebunden sei, auch wenn man es hier und da etwas anders angewendet habe, »als der Buchstabe es verlangt hätte«. Protokolle der Tagung Richterlicher Militärjustizbeamter in Brüssel am 29./30. September 1916, GStA PK, I. HA Rep. 84 a, Nr. 6214–6218, General-Akten des Justizministeriums betreffend die Verwaltung der im Kriege 1914 besetzten feindlichen Gebiete. Verwendung preußischer Justizbeamter, Rechtsanwälte usw. in der deutschen Zivilverwaltung Belgien Bd. 1–5, S. 64; Köhler, S. 4–7. 31 Ebd., S. 16. 32 Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907, Artikel 43.

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führung der Verwaltungstrennung nun selbst, auch wenn versucht wurde dies zu bemänteln. Die Verordnung über die »Bildung zweier Verwaltungsgebiete in Belgien« war zurückhaltend formuliert und nicht einmal die Namen »Flandern« und »Wallonien« tauchten im Text auf. Brisant war jedoch, dass das die wallonischen Teile umfassende Verwaltungsgebiet von Namur aus verwaltet werden sollte.33 Dies verstieß eindeutig gegen die belgische Verfassung, die Brüssel als einzige Hauptstadt vorsah. Die Frage, wie mit diesem Bruch des Völkerrechts umgegangen werden sollte, wurde von den deutschen Behörden unterschiedlich beantwortet. Der Ver­ waltungschef sprach offen aus, dass das Ziel der »Trennung von Flamland und Wallonien in zwei selbständige Staaten […] mit Artikel 43 der Haager Konvention kaum vereinbar« sei. Deshalb und auch weil die Aktivisten der Meinung seien, dass eine solche Maßnahme von den meisten Flamen abgelehnt werde, habe man das Ziel der »Staatenteilung« nicht bekannt gegeben. Auch die Nachfolger Sandts gaben den Verstoß gegen internationales Recht intern zu.34 Im Reichsamt des Innern bediente man sich hingegen der paradoxen Formulierung, dass völkerrechtliche Bedenken aufgrund des umfassenden Charakters des Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung nicht gemacht werden könnten und diese außerdem »hinter die Interessen Deutschlands zurücktreten« müssten.35 Der renommierte Rechtshistoriker Beyerle, der während der Besatzung für die Politische Abteilung arbeitete, kommentierte die Verordnung in der »Korrespondenz Belgien«. Über den Bruch der belgischen Verfassung ging er elegant hinweg. »Der Bestand des belgischen Staates« solle nicht angetastet werden und somit bleibe sowohl die »völkerrechtliche Legitimität unseres Vorgehens« als auch »die innerbelgische Loyalität der flämischen Mitwirkung« gewahrt.36 Dieser Auffassung konnten sich weder die belgische Exilregierung noch die Mehrheit der im Amt verbliebenen belgischen Beamten anschließen. Die Veröffentlichung der Verordnung über die Verwaltungstrennung wurde von ihnen als Kampfansage und »Attentat auf den Bestand des belgischen Staates« inter-

33 »In Belgien werden zwei Verwaltungsgebiete gebildet, von denen das eine die Provinzen Antwerpen, Limburg, Ostflandern und Westflandern sowie die Kreise Brüssel und Löwen, das andere die Provinzen Hennegau, Lüttich, Luxemburg und Namur sowie den Kreis Nivelles umfasst. Die Verwaltung des erstgenannten Gebietes wird von Brüssel aus, diejenige des letztgenannten von Namur aus geführt.« Verordnung betreffend Bildung zweier Verwaltungsgebiete vom 21. März 1917, GVBl 324 (21. März 1917). 34 Denkschrift Verwaltungschef Sandts über die Verwaltungstrennung. Brüssel, 9. März 1917, BArch, R 1501/119391, S. 114 f.; Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar-Juli 1917, S. 11. 35 Referentenvorschläge zur Verwaltungstrennung in Belgien (Referent: Geheimer Oberregierungsrat Dr. Schulze), Berlin, 16. Februar 1917, BArch, R 1501/119391, S. 2. 36 Konrad Beyerle, Der Kampf um Flandern, in: Korrespondenz Belgien 126 (24. März 1917). Dieser Beitrag war einer der wenigen namentlich gekennzeichneten in der Korrespondenz Belgien.

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pretiert.37 Mit dem Beginn des Nation-Building in Flandern begann ein bis zum Ende der Besatzung andauernder Konflikt mit der belgischen Beamtenschaft, der in seiner Heftigkeit von den deutschen Behörden weder erwartet noch beabsichtigt worden war.

b) Belgischer Widerstand gegen die Verwaltungstrennung Die Durchführung der Verwaltungstrennung beendete die bisher nicht reibungslose, aber funktionierende Zusammenarbeit zwischen belgischem Verwaltungsapparat und deutschen Behörden. Am 8. April 1917 erließ die belgische Exilregierung ein Gesetz, das erstmals politische Kollaboration unter Strafe stellte.38 Bereits dessen Präambel machte deutlich, dass man die deutschen Maßnahmen als gegen die »Einheit und die Institutionen des Königreichs« gerichtet betrachtete. Diese Feststellung war wichtig, da sowohl die deutschen Behörden als auch die Aktivisten argumentierten, die Flamenpolitik bewege sich im Rahmen des Völkerrechts und der belgischen Verfassung. Die Exilregierung stellte nun unmissverständlich klar, dass sie diesen Standpunkt nicht teilte. Beamte, die sich an den Maßnahmen der Besatzungsmacht beteiligten, riskierten nach dem Krieg aus dem Staatsdienst entlassen zu werden; allen Kollaborateuren wurde mit Inhaftierung und sogar Zwangsarbeit gedroht. Die Politische Abteilung in Brüssel schätzte die Strafandrohung als so schwerwiegend ein, dass sie eine offizielle Reaktion der Reichsleitung empfahl. Diese sollte erklären, man werde von deutscher Seite nicht zulassen, dass Belgier, die sich an der Verwaltungstrennung beteiligten, »dafür irgendwelche Vergeltungsmaßnahmen zu fürchten haben«.39 Eine solche Stellungnahme, so Lancken, würden besonders »unsere vlämischen Freunde« dankbar begrüßen. Anders als im Fall der Professoren und Dozenten der Flämischen Hochschule wurde eine formelle Garantieerklärung gegenüber den Beamten jedoch nicht abgegeben. Der Grund war wohl schlicht das unkalkulierbare finanzielle Risiko eines solchen Schritts.40 37 Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar–Juli 1917, S. 16. 38 Bis zu diesem Zeitpunkt war nur militärische Kollaboration strafbewehrt gewesen. Die belgischen Gerichte unterschieden deshalb nach dem Krieg strikt zwischen Taten, die vor bzw. nach dem 8. April 1917 begangen worden waren. Deckers, S. 165; Besluitwet – Arêté loi déterminant l’effet des mesures prises par l’occupant et des dispositions prises par le Gouvernement. URL: http://www.ejustice.just.fgov.be/eli/loi/1917/04/08/1917040850/justel (abgerufen am 14. September 2017). 39 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur Lancken an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 3. Mai 1917, PA AA, R 21370, S. 157–158. 40 Der Verwaltungschef in Flandern (Abwicklungsbehörde)  Asmis an das Auswärtige Amt (Rhomberg) über die Frage der ehemaligen flämischen Beamten. Berlin, 16. Juni 1919, PA AA, R 4496, S. 183.

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Für mindestens ebenso gefährlich wie die Strafandrohung der Exilregierung hielten die Besatzungsbehörden die Verurteilung der Verwaltungstrennung durch Kardinal Mercier.41 Das Oberhaupt der belgischen Kirche war vor dem Krieg bei vielen Flamen nicht besonders beliebt gewesen, da er sich abfällig über die niederländische Sprache geäußert hatte.42 Um den belgischen Burgfrieden zu wahren, hatte er sich jedoch während des Kriegs mit Äußerungen zur flämischen Frage zurückgehalten, und das Wort des Kardinals hatte in der katholisch geprägten flämischen Bewegung großes Gewicht. Spätestens durch seinen Protest gegen die Deportationen war er über das katholische Milieu hinaus zum wichtigsten Repräsentanten der nationalen Einheit im Besatzungsgebiet geworden.43 Gegen die Gefährdung des Einheitsstaats durch die Verwaltungstrennung reagierte der Kardinal resolut. In mehreren Schreiben verurteilte er die Verwaltungstrennung als völkerrechtswidrig und brandmarkte jede belgische Mitwirkung als Vaterlandsverrat. Den katholischen Schulen seines Bistums untersagte er die Zusammenarbeit mit den neuen flämischen Abteilungen des Unterrichtsministeriums, so dass sich der Generalgouverneur zu einer öffentlichen Stellungnahme gezwungen sah und die Reichsleitung sich beim Vatikan über das Verhalten des Kardinals beschwerte. Sogar die Möglichkeit einer Verhaftung wurde erwogen, aber aus außenpolitischen Gründen verworfen.44 Auch die Aktivisten beschwerten sich mehrfach beim Papst über das Verhalten des belgischen Primas.45 Die entschlossene Reaktion der belgischen Regierung und des Kardinals überraschte die Besatzungsbehörden ebenso wie die Aktivisten. Die Nation-­ Building-Politik trat in die Phase der offenen Konfrontation mit den angestammten Eliten ein, ohne dass sich die Deutschen auch nur der Mitwirkung der Aktivisten sicher sein konnten, die vielfach sichtlich eingeschüchtert waren. Die Politische Abteilung versuchte den Konflikt als Erfolg darzustellen und berichtete, dass die deutsch-flämischen Beziehungen nun so gefestigt seien, »dass sie von Freund und Feind als politischer Posten gebucht und in Rechnung gestellt 41 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 742. 42 Mercier hatte sich gegen eine Einführung des Niederländischen im Hochschulunterricht ausgesprochen und die Meinung geäußert, dass diese Sprache nie eine vollwertige Kultursprache sein werde. Boudens u. Gevers. 43 Roolf, Mercier. 44 TB der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien von Anfang Februar bis Ende Juli 1917, Berlin 1917, S. 8–10. 45 So z. B. im August 1917. Schreiben des Referenten für flämische Angelegenheiten in der Politischen Abteilung Pius Dirr beim Generalgouverneur in Belgien an Unterstaatssekretär Bussche im Auswärtigen Amt und Übersetzung des Protestschreiben des Rates von Flandern. Berlin, 21. August 1917, PA AA, R 21452, S. 230–241; Schon im Juni 1917 hatte August Borms, einer der führenden Aktivisten, öffentlich einen »flämischen Erzbischof« anstelle Merciers gefordert. Korrespondenz Belgien 140 (30. Juni 1917); Flämische Katholiken an Benedikt XV. vom 15. September 1917, Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte ­Eugenio Pacellis (1917–1929), Dokument Nr. 535, URL: www.pacelli-edition.de/ Dokument/535 (23. März 2017).

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werden müssen«.46 Diese Formulierung konnte nur unvollkommen bemänteln, dass gerade die Politische Abteilung die Entschlossenheit der nun einsetzenden Gegenwehr unterschätzt hatte. Bereits im Februar 1917 hatte ein Papier des Reichsamts des Innern die Gefahr thematisiert, dass sich belgische Beamte der Versetzung nach Namur und der Verwaltungstrennung widersetzen könnten. Der Autor kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die »Rücksicht auf die Aufrechterhaltung geordneter Zustände in Belgien und die Gefahr des Gehaltsverlustes […] höchstwahrscheinlich einen allgemeinen Beamtenstreik verhindern« würden.47 Diese Einschätzung wurde durch die bisherigen Erfahrungen mit den belgischen Beamten gestützt und auch der Rat von Flandern vertrat die Ansicht, dass mit einem Streik der belgischen Beamten nicht zu rechnen sei. Die Aktivisten warnten allerdings vor Eingriffen in das Justizwesen.48 Nach dem Empfang der aktivistischen Delegation in Berlin mehrten sich allerdings die Zeichen auf Widerstand. Am 9. März 1917 schrieb der Verwaltungschef, dass Schwierigkeiten in Personalfragen zu erwarten seien, weil belgische Beamte die Verwaltungstrennung und insbesondere eine Versetzung nach ­Namur ablehnten.49 Sandt riet ebenfalls dringend von einer Trennung des Justizwesens ab, da diese die Gefahr eines Streiks mit sich bringe, dem sich auch andere Beamte anschließen würden.50 Kurz vor Erlass der Verordnung äußerte Sandt die Befürchtung, dass die wallonischen Generaldirektoren »voraussichtlich fast sämtlich streiken« würden.51 Tatsächlich gingen nach Veröffentlichung der Verordnung zahlreiche Schreiben hoher Ministerialbeamter ein, die ihre zu Beginn der Besatzung gegebene Loyalitätserklärung zurückzogen.52 Dass es dennoch nicht zu einer allgemeinen Arbeitsniederlegung der höheren Beamten kam, lag daran, dass sie auf den geeigneten Zeitpunkt warteten. Auf einem klandestinen Treffen, an dem neben Spitzenbeamten der belgischen Ministerien auch im Lande verbliebene Parlamentarier teilgenommen hatten, war das Vorgehen gegen die Verwaltungstrennung besprochen worden. Es wurde beschlossen, dass nur die leitenden Beamten 46 TB der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien von Anfang Februar bis Ende Juli 1917, Berlin 1917, S. 10. 47 Referentenvorschläge zur Verwaltungstrennung in Belgien (Referent: Geheimer Oberregierungsrat Dr. Schulze). Berlin, 16. Februar 1917, BArch, R 1501/119391, S. 4. 48 Stellungnahme Verhees’ auf der Besprechung zwischen Zivilverwaltung, Politischer Abteilung und Rat von Flandern am 7. März 1917, BArch, R 1501/119391, S. 197 f. 49 Denkschrift Verwaltungschef Sandts über Verwaltungstrennung, Brüssel, 9. März 1917, BArch, R 1501/119391, S. 117. 50 Ebd., S. 118 f.; Tack und Lambrichts auf der Besprechung zwischen Zivilverwaltung, Politischer Abteilung und Rat von Flandern am 7. März 1917, BArch, R 1501/119391, S. 203. 51 Niederschrift über die unter Vorsitz des Herrn Generalgouverneurs abgehaltene Besprechung betreffend Verwaltungstrennung. Brüssel, 17. März 1917, BArch, R  1501/119391, S. 226. 52 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Reichsamt des Innern. Brüssel, 15. April 1917, PA AA, R 21370, S. 105.

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ihr Amt niederlegen sollten, um Chaos im Land zu vermeiden. Des Weiteren sollte der Streik nicht sofort und en bloc erfolgen, sondern erst wenn die Deutschen mit der Teilung der jeweiligen Ministerien begännen.53 Dank dieses taktischen Vorgehens legte sich die Beunruhigung auf deutscher Seite bald. In einer Aufstellung über den zu erwartenden Bedarf an deutschen Beamten vom 1. April 1917 korrigierte Sandt seine Einschätzung und ging nun davon aus, dass »die wallonischen Oberbeamten in Namur weiterarbeiten«. Der Bedarf an deutschen Beamten für Flandern wurde sogar höher angesetzt als in Wallonien, da »die verfügbaren flämischen Beamten bei weitem nicht genügend vorgebildet [sind], um in den Ministerien selbständig und ohne weitgehende Mithilfe der deutschen Beamten zu arbeiten«.54 Auch im Rat von Flandern hielt man eine allgemeine Arbeitsniederlegung der hohen Beamten für unwahrscheinlich. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass die Aktivisten in diesem Fall nicht über genügend Personen verfügten, um die frei gewordenen Stellen zu besetzen.55 Mit koordiniertem Widerstand wurde also nicht gerechnet und die Weigerung einiger Beamter als »Einzelwiderstand« abgetan, den man durch Deportation nach Deutschland brechen wollte.56 In diese Phase der intensivierten Flamenpolitik, des Umbaus des belgischen Staates und der deutschen Verwaltung fiel am 18. April 1917 der Tod Generalgouverneur Moritz von Bissings, der das Amt seit November 1914 bekleidet hatte. Zu seinem Nachfolger ernannte der Kaiser auf Vorschlag der OHL am 22. April 1917 Ludwig von Falkenhausen, den bisherigen Befehlshaber der 6. Armee; dieser amtierte ab dem 3. Mai 1917 in Brüssel.57 53 Gille u. a., Cinquante mois Bd. 3, Eintrag vom 31. März 1917; Die Aktivisten informierten die Besatzungsverwaltung über diese Plänen, ohne dass hieraus Konsequenzen gezogen worden wären. Protokoll der Besprechung der Besatzungsverwaltung mit Mitgliedern des Rats von Flandern über die Verwaltungstrennung (Sandt). Brüssel, 11. April 1917, BArch, R 1501/119555, S. 22. 54 Verwaltungschef Sandt an das Reichsamt des Innern über den Personalbedarf für die Verwaltungstrennung. Brüssel, 1. April 1917, BArch, R 1501/119391, S. 347. 55 Willem de Vreese: »Wij hebben de personen niet bij de hand, die onmiddelijk de opengevallen plaatsen kunnen invullen. Zijn we niet te haastig van stapel gegaan?« Protokoll der allgemeinen Sitzung des Rats von Flandern vom 9. April 1917, ARA / AGR, I 530 – 8, S. 3. 56 Protokoll der Besprechung der Besatzungsverwaltung mit Mitgliedern des Rats von Flandern über die Verwaltungstrennung (Sandt). Brüssel, 14. April 1917 sowie Besprechung der deutschen Generalreferenten in den belgischen Ministerien mit Verwaltungschef Sandt. Brüssel, 8. Mai 1917, BArch, R 1501/119555, S. 48 und S. 96. 57 Für Falkenhausen kam die Berufung zum Generalgouverneur einer Degradierung gleich. Nach den Erfolgen der Briten in der »Schlacht von Arras« hatte Ludendorff am 11. April 1917 Falkenhausens Stabschef abberufen und durch Friedrich von Loßberg ersetzt. Falkenhausens Bitte, auch ihn abzuberufen, wurde zunächst nicht entsprochen, wohl vor allem weil die neuen Leute noch nicht eingearbeitet waren. Dieser Entmachtung fügte die OHL eine weitere Demütigung hinzu, indem sie die bei der Verteidigung begangenen Fehler in einem Erlass an alle Oberkommandos schonungslos kritisierte. Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt, S. 229 und 255; Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 334 f.; Bayern, S. 145 (Eintrag vom 16. April 1916).

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Am 10. Mai 1917 wurden die Verordnungen über die Trennung der drei Ministerien für Landwirtschaft und öffentliche Arbeiten, Wissenschaft und Kunst (Unterrichtsministerium) sowie Gewerbe und Arbeit veröffentlicht. Am 16. Mai 1917 folgte das Innenministerium. Die Verordnungen wurden gemeinsam mit Listen veröffentlicht, auf denen die Namen der nach Namur zu versetzenden Beamten standen.58 Nun häuften sich die Rücktritte.59 Die plötzlichen Demissionen der Spitzenbeamten trafen die Deutschen völlig unvorbereitet und sorgten für erhebliches Chaos.60 Zu den Schwierigkeiten, die durch die Rücktritte frei gewordenen Stellen zu besetzen, kam das Problem, geeignete Kandidaten für die Besetzung der neu geschaffenen Ministerien zu finden, und zwar sowohl in Wallonien als auch in Flandern. Hierbei spielten sowohl der Mangel an qualifizierten Flamen eine Rolle als auch die massiven Anfeindungen, denen die Anwärter ausgesetzt waren. Hinzu kam die Unsicherheit darüber, was im Falle einer deutschen Niederlage geschehen werde.61 Potentielle Kandidaten weigerten sich, ihre Bereitschaft zur Übernahme eines Postens zu erklären, um sich nicht unnötig zu kompromittieren. Sie warteten stattdessen auf die Berufung durch den Generalgouverneur, um nicht selbst die Initiative zur Kollaboration ergreifen zu müssen.62 Der Rat von Flandern war nicht in der Lage, geeignete Personalvorschläge zu machen. Mehrfach wurden Kandidaten genannt, die bereits als Beamte oder als Professoren an der Flämischen Hochschule tätig waren, was belegt, wie dünn die aktivistische Führungsschicht war. Der Verwaltungschef sah sich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass jede Stelle eine volle Arbeitskraft benötige und 58 Verordnungen betreffend die Bildung zweier Ministerien für Landwirtschaft und öffent­liche Arbeiten, Wissenschaft und Kunst, Gewerbe und Arbeit. Brüssel, 5. Mai 1917, GVBl 344 (10. Mai 1917); Verfügung betreffend der Zuständigkeiten dieser Ministerien und ihres Personalbestandes. Brüssel, 6. Mai 1917, GVBl 344 (10. Mai 1917); Verordnung betreffend die Bildung zweier Ministerien des Innern. Brüssel, 12. Mai 1917, GVBl  346 (16. Mai 1917). 59 Übersicht über die Amtsniederlegungen in den Ministerien Gewerbe und Arbeit, Landwirtschaft, Inneres und Unterricht bis 2. Juni 1917, BArch, R1501/119555, S. 141. 60 Siehe die Protokolle des Verwaltungschefs über Gespräche mit Mitgliedern des Rates von Flandern über den Fortgang der Verwaltungstrennung von Ende Mai  1917 bis Anfang Juli 1917, BArch, R 1501/119555, S. 138–258; Rogge, der 1919 für das Reichsarchiv die Geschichte der Verwaltungstrennung schrieb, resümierte, dass die Verwaltungstrennung eingeleitet worden sei, ohne dass man sich über mögliche Maßnahmen gegen die streikenden Beamten im Klaren gewesen wäre oder ausreichend Ersatz für diese gehabt hätte. Rogge, Die organisatorische Durchführung der Verwaltungstrennung, BArch, R 1506/329, S. 110. 61 So konnte die Abteilung für Bevölkerungsstatistik des Innenministeriums nicht getrennt werden, da es keinen qualifizierten flämischen Kandidaten gab. Ebenso konnten Stellen bei den Justizbehörden nicht besetzt werden, da es keine Bewerber gab und sogar Bewerbungen, die noch vor dem Krieg gemacht worden waren, zurückgezogen wurden. Verwaltungs­ chef Sandt an den Staatssekretär des Innern Helfferich. Brüssel, 9. Mai 1917, BArch, R 1501/​ 119555, S. 112 f. 62 Rogge, Die organisatorische Durchführung der Verwaltungstrennung, BArch, R 1506/329, S. 113 f.

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es darüber hinaus im Interesse der flämischen Bewegung liege, »möglichst viele Personen für die Besetzung der Ämter heranzuziehen«.63 Der Sinn der Verwaltungstrennung war schließlich, die Basis des Aktivismus zu verbreitern und eine flämische Elite zu etablieren, und nicht eine Ämterhäufung bei den bereits kollaborierenden Aktivisten. Trotzdem und gegen alle Rückschläge wurde die Verwaltungstrennung fortgesetzt und sogar über neue Maßnahmen nachgedacht. Am 9. Juni 1917 waren Verordnungen über die Trennung des Justiz- und des Finanzministeriums erlassen worden, obwohl hiergegen auch in der deutschen Verwaltung starke Vorbehalte bestanden.64 Die Begründung war deutlich: »Der politische Zweck, der dahin geht, die belgische Regierung bei Friedensverhandlungen vor die durchgeführte Trennung als vollendete Tatsache zu stellen und deren Aufrechterhaltung in dem künftigen belgischen Staatsgebilde zur Friedensbedingung zu machen, verlangt aber trotz dieses provisorischen und fragmentarischen Charakters und trotz der unvermeidlichen Unbilligkeiten einen möglichst tiefgehenden Schnitt, und zwar muss das Verhältnis zwischen Flandern und Wallonien möglichst vom staatsrechtlichen auf das völkerrechtliche Gebiet verschoben werden«.65

Für das politische Ziel, Belgien zu zerteilen, wurden also »Unbilligkeiten« in Kauf genommen und notfalls wurde die Verwaltungstrennung auch ohne ausreichend qualifiziertes flämisches Personal realisiert, an dessen Stelle übernahmen die deutschen Generalreferenten, welche bisher die Arbeit in den belgischen Ministerien beaufsichtigt hatten, zunehmend Verwaltungsaufgaben. Grund waren neben dem Streik die Erfahrungen mit der Teilung des Unterrichtsministeriums, wo sich die aktivistischen Beamten als unfähig erwiesen hatten, den ordent­ lichen Betrieb aufrechtzuerhalten.66 Die Listen mit den Namen der Streikenden, die der Verwaltungschef dem neuen Generalgouverneur Ludwig von Falkenhausen vorlegte, wurden unterdessen immer länger.67 Ende Juni 1917 stand die Besatzungsmacht »vor einem Ge63 Protokoll des Verwaltungschefs Sandt über eine Besprechung mit Mitgliedern des Rates von Flandern über den Fortgang der Verwaltungstrennung. Brüssel, 24. Mai 1917, BArch, R 1501/119555, S. 147. 64 Verordnungen betreffend die Bildung zweier Ministerien für Justiz und Finanzen. Brüssel, 9. Juni 1917, GVBl 356 (12. Juni 1917). 65 Protokoll des Verwaltungschefs Sandt über eine Besprechung mit Mitgliedern des Rates von Flandern über den Fortgang der Verwaltungstrennung. Brüssel, 4. Juni 1917, BArch, R 1501/119555, S. 161 f. 66 Protokoll des Verwaltungschefs Sandt über eine Besprechung mit Mitgliedern des Rates von Flandern über den Fortgang der Verwaltungstrennung. Brüssel, 7. Juni 1917, BArch, R 1501/119555, S. 174. 67 Falkenhausen schrieb hierüber in seinen Memoiren, Sandt habe dies getan »ohne seine Schadenfreude« zu verbergen, wofür er Verständnis gehabt habe, denn schließlich kostete diesen die Verwaltungstrennung seine Position. Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N 21/2, S. 156 f. (Seitenzahlen beziehen sich auf das Manuskript).

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samtstreik aller Ministerialbeamten bis hinab zu den Boten und Putz­frauen«.68 Hinweise auf einen bevorstehenden Justizstreik69 und die Furcht vor einem Generalstreik verhinderten vorerst die Ankündigung weiterer Trennungsmaßnahmen.70 Außerdem wurde beschlossen, die streikenden Ministerialbeamten nicht mehr nach Deutschland, sondern in belgische Orte zu verbannen, da eine standesgemäße Unterbringung im Reich nicht mehr gewährleistet werden konnte.71

c) Die doppelte Zivilverwaltung Während der Konflikt mit den belgischen Beamten im Mai 1917 eskalierte und in einen allgemeinen Streik zu münden drohte, wurde die deutsche Verwaltung ebenfalls in einen flämischen und einen wallonischen Teil getrennt. An die Stelle des Verwaltungschefs für Belgien, Maximilian von Sandt, traten am 5. Juli 1917 der Verwaltungschef für Flandern, Alexander Schaible, und der Verwaltungschef für Wallonien, Karl Haniel, der seinen Amtssitz im wallonischen Namur hatte.72 Einige Bereiche, die bisher dem Verwaltungschef unterstellt waren, wurden in eigenständige Abteilungen überführt und direkt dem Generalgouverneur unterstellt. Neben die bereits zuvor bestehende Politische Abteilung und die Bankenabteilung traten die Abteilung Handel und Gewerbe und die Finanzabteilung. Die neuen Abteilungen wurden gegründet, weil es vor allem in der Wirtschaft Vorbehalte gegen eine konsequente Verwaltungstrennung gab. Dies galt übrigens auch für die belgischen Behörden. Die beschlossene Teilung des Finanzministeriums wurde nie komplett umgesetzt. Die meisten Aufgaben wurden weiterhin zentral bearbeitet und es gab auch keine Versetzungen nach Namur. Die Verdopplung der Besatzungsverwaltung unterstreicht die Bedeutung des Nation-Building-Projekts, denn sie erfolgte in Zeiten krasser Personalknappheit. Diese wurde noch dadurch verschärft, dass bereits eingearbeitete Beamte 68 Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar–Juli 1917, S. 15. 69 Am 15. Juni 1917 war dem Verwaltungschef ein Protest gegen die Maßregelung der Ministerialbeamten überreicht worden. Die Petition beinhaltete 14 Seiten Unterschriften hoher Justizbeamter. BArch, R 1501/119555, S. 228–243. 70 Besprechung des Verwaltungschefs Sandt über eine Besprechung mit Mitgliedern des Rates von Flandern über den Fortgang der Verwaltungstrennung. Brüssel, 17. Juni 1917, BArch, R 1501/119555, S. 189–192. 71 Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar – Juli 1917, S. 15; Winterfeldt, S. 78; Die Zivilgefangenen der oberen Klassen wurden in den Lagern für Offiziere untergebracht und genossen wie diese eine bessere Verpflegung und größeren Bewegungsspielraum, außerdem waren sie vom Arbeitszwang ausgenommen. Die Deutschen hatten ein Interesse daran, die Gefangenen gut zu behandeln, da ansonsten Repressalien gegen deutsche Gefangene zu befürchten waren. Steuer, S. 161–167. 72 Allerhöchste Kabinettsorder vom 14. Juni 1917, GVBl 365 (5. Juli 1917).

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Abb. 4: Die rote Linie zeigt den ungefähren Verlauf der von der Besatzungsverwaltung festgelegten Sprachgrenze an, die gleichzeitig das vom Verwaltungschef für Flandern verwaltete Gebiet im Norden von jenem des Verwaltungschefs von Wallonien abgrenzte.

als kriegsverwendungsfähig an die Front berufen wurden.73 Bis zum Ende des Jahres waren bei beiden Verwaltungschefs noch zahlreiche Stellen offen, die notdürftig mit verwundeten Offizieren und Beamten besetzt wurden, die aufgrund ihres Alters nicht an die Front geschickt werden konnten. Sandt hatte bis zuletzt versucht, in irgendeiner Form eine gemeinsame Zivilverwaltung beizubehalten, und hätte sich damit möglicherweise auch beim alten Generalgouverneur durchgesetzt. Sein Nachfolger Falkenhausen wurde allerdings sowohl von Lancken als auch vom Staatssekretär des Innern zu einer konsequenten Durchführung der Trennung gedrängt. Diese Forderung richtete sich nicht zuletzt gegen die Person Sandts selbst, der als Gegner der Flamenpolitik und als Vertreter eines auf Ausgleich mit dem belgischen Establishment 73 Die Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien beschwerten sich darüber, dass diese durch Hilfsdienstpflichtige und weibliche Arbeitskräfte ersetzt wurden. Verwaltungschefs Flandern und Wallonien, S. 6.

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gerichteten Besatzungsregimes galt, das von seinen Gegnern als technokratisch und unpolitisch kritisiert wurde.74 Letztlich setzten sich die Anhänger einer radikalen Konzeption der Verwaltungstrennung durch. Lediglich eine kleine Zivilkanzlei beim Generalgouverneur wurde beibehalten. Die Einrichtung getrennter deutscher Zivilverwaltungen für Flandern und Wallonien institutionalisierte eine auf die Zerschlagung Belgiens gerichtete Politik, die vor allem vom Chef der Politischen Abteilung vorangetrieben wurde. Lancken nahm hierbei kein Blatt vor den Mund: »Belgien verschwinden zu machen, ist das vornehmste Ziel einer zweckbewussten deutschen Politik. Auf dieses Ziel müssen sich schon jetzt alle Maßnahmen der Verwaltungstrennung einstellen.«75

Alle Maßnahmen sollten, wie es hieß, der Verschiebung der Beziehungen zwischen Flandern und Wallonien von der staatsrechtlichen auf die völkerrechtliche Ebene dienen. Lancken widersprach deshalb vehement dem designierten Chef der Finanzabteilung, Pochhammer, als dieser vorschlug, die Finanzen Belgiens nach dem Vorbild der Verfassung des Deutschen Reichs zu regeln. Deutschland, so Lancken, sei im Gegensatz zu Flandern und Wallonien ein staatsrechtliches Ganzes. Zwar sei es notwendig, dass Flandern und Wallonien weiterhin ein gemeinsames Zoll-, Währungs- und Handelsgebiet bildeten, dies solle aber nach Möglichkeit innerhalb eines größeren, von Deutschland dominierten Wirtschaftsraumes, etwa in einem erweiterten Zollverband Deutschland-Luxemburg oder gar in »dem noch größeren wirtschaftlichen Zukunftsgebilde Mitteleuropa« geschehen.76 Mitte 1917 war die Besatzungsbehörde nun bei einem politischen Projekt angelangt, das der alldeutsche Verleger Reismann-Grone schon im Dezember 1914 befürwortet hatte. Wenn man Belgien schon nicht halten könne, so hatte er dem damaligen Generalgouverneur ans Herz gelegt, dann müsse man es mit Hilfe der Flamen zerschlagen. Diese Zielsetzung wurde nun von der Besatzungsverwaltung konsequent verfolgt. Sie geriet allerdings schon bald sowohl mit der belgischen Wirklichkeit als auch mit der Innenpolitik im Reich in Konflikt. 74 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an Reichskanzler Bethmann Hollweg. Brüssel, 24. April 1917, in: Bihl, S. 271–278; Der Staatssekretär des Innern Helfferich an den Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen (Entwurf). Berlin, 3. Mai 1917, BArch, R 1501/119555, S. 366. Helfferich wurde im Entwurf sehr deutlich. Mit dem Wegfall der zentralen Zivilverwaltung gebe es für Sandt kein angemessenes Betätigungsfeld mehr: »Die Durchführung der Flamenpolitik, für die sich einzusetzen oder auch nur zu erwärmen, ihm weder seine Charakterveranlagung noch seine Überzeugung gestatteten, wird daher sein Ausscheiden aus der Zivilverwaltung für Belgien notwendig machen.« (Streichung im Entwurf, S. 367). 75 Der Chef der Politischen Abteilung Lancken an den Staatssekretär des Innern Helfferich. Brüssel, 25. Mai 1917, BArch, R 1501/119392, S. 48. 76 Der Chef der Politischen Abteilung Lancken an den Staatssekretär des Innern Helfferich. Brüssel, 25. Mai 1917, BArch, R 1501/119392, S. 43–49.

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d) Die Grenzen des Nation-Building Im Sommer des Jahres 1917 hatte die deutsche Besatzungspolitik sich end­g ültig vom Leitbild einer möglichst kostensparenden und effizienten Ausnutzung Belgiens für die Kriegsführung verabschiedet. Für das Ziel der importierten Nation waren Reichsleitung und Besatzungsbehörden bereit, in Zeiten extremer Personalnot eine aufwendige Reform der Verwaltungsstrukturen vorzunehmen und den Konflikt mit der belgischen Verwaltung einzugehen. Ihre Grenze fand die Flamenpolitik lediglich dort, wo sie die deutsche Kriegsführung unmittelbar bedrohte. Dieser Punkt wurde mit der Sprachenverordnung vom 9. August 1917 erreicht. Diese machte den Gebrauch des Niederländischen in allen staatlichen Einrichtungen obligatorisch. Ausgenommen wurde das Justizwesen, dafür wurde die Verordnung auf alle »sonstigen Anstalten, Einrichtungen, Gesellschaften und Personen, die öffentliche Dienste wahrnehmen«, ausgedehnt.77 Unter diese Bestimmung fiel auch das belgische Comité national, das für die Verteilung der Lebensmittelspenden der internationalen Commission for Relief in Belgium zuständig war. Die Versorgung eines großen Teils der Bevölkerung hing von diesen Spenden ab. Der Versuch, die Verordnung auf das Comité national anzuwenden, stieß allerdings auf Widerstand. Die Verschiffung von Lebensmitteln in die Provinzen Ostflandern, Westflandern und Limburg wurde eingestellt und die Leitung des Komitees drohte mit Rücktritt. Nachdem der niederländische Gesandte als Schirmherr des Ernährungswerks in Berlin protestiert hatte, baten sowohl das Auswärtige Amt als auch das Große Hauptquartier darum, eine Ausnahme für das Hilfswerk zu machen.78 Auch die Brüsseler Gemeinden weigerten sich, die Sprachenverordnung umzusetzen, und begründeten dies offen damit, dass eine Umsetzung auf die Anerkennung der Verwaltungstrennung hinauslaufen würde. Obwohl die Deutschen diese grundsätzliche Ablehnung als Kampfansage interpretierten, schreckten sie vor einer Deportation der Gemeindebeamten zurück, weil sie einen Generalstreik fürchteten. Ein Ausfall der Elektrizitäts-, Licht- und Wasserversorgung oder gar der Eisenbahnen in Brüssel, das als Drehscheibe für die Transporte an die Westfront diente, wäre ein zu hoher Preis für die Prinzipienfestigkeit in der Flamenpolitik gewesen. Der Verwaltungschef für Flandern fasste dies in dem Grundsatz zusammen, die Flamenpolitik müsse »an dem Punkte haltmachen, wo dadurch noch wichtigere – insbesondere militärische – Interessen ernstlich gefährdet werden könnten. Ist es deshalb nicht möglich, in absehbarer Zeit die

77 Verordnung über die Amtssprache in Flandern. Brüssel, 9. August 1917, GVBl 387 (2. September 1917). 78 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an das Reichsamt des Innern. ?. November 1917, BArch, R 1501/119392, S. 168–170.

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erforderlichen Mannschaften zu erhalten, um im Falle eines Streiks der Arbeiter in den städtischen Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken die belgischen Arbeiter durch deutsche Militärpersonen zu ersetzen, so wird von einem Vorgehen gegen die Schöffen [Dezernenten bzw. Stadträte, die einem bestimmten Ressort vorstehen, d. Vf.] abgesehen werden müssen.«79

79 Vertrauliche Niederschrift über eine Besprechung der zivilen und militärischen Spitzen des Generalgouvernements und des Etappengebiets betreffend der Maßnahmen gegenüber dem Widerstande der Gemeindeverwaltungen Groß-Brüssels in Sachen der Sprachenverord­ nung. Brüssel, 29. November 1917, BArch, R 1501/119392, S. 187–207.

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7. Institutionalisierung der Flamenpolitik und Radikalisierung der aktivistischen Flamen zwischen Juli 1917 und März 1918

Mit dem Rücktritt Bethmann Hollwegs als Reichskanzler am 13. Juli 1917 verließ nach dem Tod Generalgouverneur Bissings im April 1917 eine weitere zentrale Figur der Flamenpolitik die politische Bühne. Während der Wechsel zu Falkenhausen als Generalgouverneur zunächst ohne größeren Einfluss geblieben war, bedeutete der Abgang des Kanzlers eine Zäsur. Die Flamenpolitik war eng mit der Person Bethmann Hollwegs verbunden, der sie persönlich vorangetrieben und mit dem Empfang der aktivistischen Delegation am 3. März 1917 zu einem Teil der Reichspolitik gemacht hatte. Die Frage, ob sein Nachfolger diesen Kurs fortsetzen würde, stellte sich umso mehr, nachdem der Reichstag am 19. Juli 1917 eine Resolution verabschiedet hatte, die einen Frieden »ohne Annexionen und Kontributionen« forderte. Die »Friedensresolution« stellte die Flamenpolitik zu einem Zeitpunkt infrage, als der Konflikt zwischen der Besatzungsmacht und den belgischen Behörden mit dem Beamtenstreik einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Die Zusammenarbeit der Aktivisten mit der deutschen Verwaltung beruhte auf der Zusage, dass die Reichsleitung keine Rückkehr zum Zustand von vor 1914 akzeptieren würde. Ein Frieden ohne Annexionen und Kontributionen implizierte hingegen die vollständige Wiederherstellung des belgischen Staates: Eine Lösung, von der die Aktivisten nicht nur die Beseitigung der flamenpolitischen Errungenschaften, sondern auch eine Strafverfolgung wegen Hoch- und Landesverrates befürchten mussten. Bereits vor dem Rücktritt Bethmann Hollwegs hatte es im Rat von Flandern erhebliche Unruhe über die politische Stimmung in Deutschland gegeben. Es wurde beschlossen, sich sowohl an den Reichskanzler als auch an den Reichstagspräsidenten zu wenden, um eine öffentliche Bestätigung der am 3. März 1917 gemachten Zusagen zu erreichen. Eine solche Erklärung kam der Reichsleitung aus innenpolitischen Gründen jedoch denkbar ungelegen, weshalb die Politische Abteilung in Brüssel angewiesen wurde, die Anfrage zu verhindern.1 Mit dem Rücktritt Bethmann Hollwegs erübrigte sich dieser Schritt und der Rat von Flandern konnte ihm nur noch für die gute Zusammenarbeit danken.2 1 Der stellvertretende Chef der Politischen Abteilung Harrach an das Auswärtige Amt. Brüssel 9. Juli 1917, PA AA, R 4492, S. 255. Marginalie vom 11. Juli 1917: »Telegramm unerwünscht […] auf Unterbleiben hinwirken«. 2 Dankschreiben des Rates von Flandern an Bethmann Hollweg. Brüssel, 15. Juli 1917 und Antwort Bethmann Hollwegs. Berlin, 16. Juli 1917, in der er seinerseits für die herzlichen Abschiedsworte dankte, PA AA, R 4492, S. 267–270.

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Die Aktivisten richteten sich nun an den neuen Reichskanzler Georg Michaelis mit der Bitte, eine Delegation nach Berlin entsenden zu dürfen. Diese sollte eine Bestätigung des bisherigen Kurses erwirken und Reichstagsabgeordnete im persönlichen Gespräch überzeugen, den Rat von Flandern zu unterstützen. In Berlin war man allerdings nicht bereit, eine solche Abordnung zuzulassen, und stellte allenfalls den inoffiziellen Empfang einzelner Flamen in Aussicht, wobei man auch hierbei um Geduld bat.3 Diese hinhaltende Reaktion konnte die Aktivisten nicht beruhigen, die sich im Besatzungsgebiet mit einem zunehmenden Widerstand konfrontiert sahen. Dass dieser sich mitunter auch ganz handfest äußerte, zeigt die Bitte des Rates von Flandern, seinen Mitgliedern Polizeischutz zu gewähren und ihnen die Benutzung von Militärzügen zu erlauben.4 Dass Michaelis kein klares Bekenntnis zur Flamenpolitik seines Vorgängers ablegen konnte, lag an den politischen Verhältnissen im Reich, wie sie etwa im Interfraktionellen Ausschuss sichtbar wurden. Der Zentrumsabgeord­nete ­Constantin Fehrenbach sprach sich ebenso wie der Abgeordnete der Freien Volkspartei Otto Wiemer und die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und ­Philipp Scheidemann klar für ein Bekenntnis zur Wiederherstellung Belgiens aus. Scheide­mann bezeichnete den Rat von Flandern in diesem Zusammenhang als »künstliches Gebilde ohne Hinterleute«. Konservative und Nationalliberale bedienten sich der Flamenfrage hingegen als Argument gegen eine Wiederherstellung Belgiens, wobei es Berührungspunkte zu Matthias Erzberger vom katho­ lischen Zentrum gab, der ebenfalls eine »Regelung der Flamenfrage« wollte.5 Die Position in der Flamenfrage entwickelte sich also zu einem Bekenntnis für oder gegen einen Frieden im Sinne der Reichstagsresolution. Doch nicht nur die parlamentarische Rechte setzte sich für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses ein, auch die Behörden des Generalgouvernements versuchten, Einfluss auf die Reichspolitik zu nehmen. Am 25. August 1917 wandte sich der Generalgouverneur an den Reichskanzler, um diesen zu einem Empfang der Aktivisten und einer Bestätigung der bisherigen Flamenpolitik zu bewegen. Dass die neue Reichsleitung bereits gemachte Zusagen nicht bestätige, erwecke den Eindruck, das Deutsche Reich habe seine bisherige Politik aufgegeben. Hierzu hätten auch Äußerungen deutscher Parteiführer im Zusammenhang mit der Friedensresolution beigetragen. Die Aktivisten befürchteten nun, bei Friedensschluss hilflos ihren »welschen« Gegnern überlassen zu werden. Fal3 Telegramm des Rates von Flandern an Reichskanzler Michaelis. Brüssel, 16. Juli 1917; Schreiben des Chefs der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an Reichskanzler Michaelis. Brüssel, 16. Juli 1917, PA AA, R 4492, S. 271–274. 4 Sitzung der Hauptkommission für die Verwaltungstrennung am 26. Juli  1917, BArch, R1501/119555, S. 300. 5 Sitzung »Freier Ausschuss des Reichstags« vom 28. August 1917, BArch, R43/2447, S. 165 ff. Hintergrund der Diskussion war die Friedensnote Papst Benedikts XV., die Frieden durch Rückkehr zum status quo ante erreichen wollte. Die belgische Frage spielte in der Diskussion über die päpstliche Initiative eine zentrale Rolle, insbesondere die Frage, ob Deutschland sich in einer Antwort zur Wiederherstellung Belgiens bereit erklären sollte oder nicht.

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kenhausen warnte, dass dieser Eindruck das Ansehen Deutschlands empfindlich schädigen und sogar zum »Zusammenbruch unserer ganzen seitherigen, wohlerwogenen und gut gegründeten politischen Arbeit hier im Lande« führen könne.6 Der Chef der Politischen Abteilung in Brüssel, Lancken, hatte sich nach Berlin begeben, um dort gemeinsam mit dem Staatssekretär des Innern, Helfferich, auf den Kanzler einzuwirken – mit Erfolg.7 Michaelis, der sich am 28. August 1917 auf eine Reise an die Westfront begab und auch Brüssel besuchte, erklärte sich bereit, eine Abordnung des Rates von Flandern zu empfangen. Noch im Zug nach Belgien hatte der Kanzler eine Abordnung Ruhrindustrieller empfangen, die ihn überzeugen wollten, Belgien politisch und wirtschaftlich mit Deutschland zu verbinden. Sie forderten hierfür u. a. eine Eisenbahn-Union, Einfluss auf den Antwerpener Hafen und die Kontrolle über wichtige belgische Unternehmen. Als politische Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele wurden die »Stärkung des flämischen Elements« sowie die »Einrichtung zweier selbständiger Staaten unter personaler Union« erwähnt.8 Die Flamenfrage war also von verschiedenen Seiten an Michaelis herangetragen worden, bevor er am 29. August 1917 in Brüssel ankam. Hier wollte er sich einen Überblick über die Besatzungspolitik und die Möglichkeiten, Belgien in Zukunft zu kontrollieren, verschaffen.9 Nach Vorträgen der verschiedenen Abteilungen des Generalgouverneurs und der Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien empfing er schließlich eine Delegation des Rates von Flandern. Dieser erklärte er knapp, dass sich am Standpunkt der Reichsregierung nichts geändert habe.10 Auf die Frage nach seiner Haltung zu einem unabhängigen und wirtschaftlich mit Deutschland verbundenen Flandern ging er nicht ein. Das Treffen trug daher kaum zur Beruhigung der Aktivisten bei.11 Auch Michaelis hatte keinen positiven Eindruck von seinen flämischen Gesprächspartnern gewonnen. Jedenfalls äußerte er sich am folgenden Tag gegenüber dem bayrischen

6 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Michaelis. Brüssel, 25. August 1917, PA AA, R 21563, S. 278–283. 7 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen. Berlin, 27. August 1917, PA AA, R 4492, S. 326. 8 Aufzeichnung über die Unterredung Reichskanzler Michalis’ mit den Vertretern der Rheinisch-Westfälischen Industrie vom 12. September 1917, BArch, R  43/2447, S. 128 f.; Gesprächsnotiz über die Unterredung vom 29. August 1917, BArch, R  43/2447, S. 123. Am Gespräch nahmen Albert Vögler, Emil Kirdorf, Carl Duisberg, der Vorsitzende der Rheinischen Landwirtschaftskammer Rudolf Groote und der ehemalige Oberbürgermeister von Düsseldorf, Wilhelm Marx, teil. 9 Becker, Michaelis, S. 419. 10 NAZ vom 31. August 1917 (Erste Ausgabe). »Der Reichskanzler nahm in seiner Erwiderung Bezug auf die Erklärungen, welche dem Rat von Flandern bei dem Besuche in Berlin am 3. März d. J. von seinem Amtsvorgänger gegeben wurden, und erklärte, dass sich an dem Standpunkte der Reichsregierung nichts geändert habe.« 11 Vanacker, Avontuur, S. 279.

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Kronprinzen Rupprecht, der die in Flandern stationierte 6. Armee kommandierte, skeptisch über deren Erfolgsaussichten.12 Die Zurückhaltung gegenüber den Aktivisten war jedoch nicht nur Michaelis’ persönlicher Einschätzung geschuldet, sondern hatte vor allem politische Ursachen. Der Reichskanzler und vor allem der neue Staatssekretär des Äußern, Kühlmann, machten Belgien zum Mittelpunkt ihrer Friedensbemühungen. Kühlmann, der die Flamenpolitik als Gesandter in den Niederlanden maßgeblich vorangetrieben hatte, war inzwischen überzeugt, dass nur ein Verzicht auf Forderungen in Belgien einen Frieden mit Großbritannien möglich machen könne.13 Dieser Standpunkt wurde auch von der Reichstagsmehrheit geteilt, welche die Resolution vom 19. Juli 1917 verabschiedet hatte. Die Flamenpolitik war in dieser Perspektive vor allem ein Störfaktor, der die Anbahnung von Friedensverhandlungen erschwerte und die Reichsleitung unnötig festlegte. Hiervon zeugen auch die Protokolle des Interfraktionellen Ausschusses: Michaelis und Kühlmann übergingen Forderungen, sich zur Flamenpolitik zu äußern, wie sie insbesondere vom Nationalliberalen Gustav Stresemann immer wieder gestellt wurden.14 Die Absicht, Belgien wiederherzustellen kollidierte allerdings nicht nur mit der Flamenpolitik, sondern – was entscheidender war – auch mit den weitreichenden Annexionsabsichten der politischen Rechten, die sich am 2. September 1917 mit der Gründung der Deutschen Vaterlandspartei eine neue außerparlamentarische Organisation geschaffen hatte. Deren Vorsitzender Tirpitz gehörte zu den lautesten Befürwortern von Annexionen in Belgien und unterhielt enge Kontakte mit den Jungflamen, insbesondere zu deren spiritus rector Domela Nieuwenhuis.15 Der Reichskanzler stieß zudem auf den entschiedenen Widerstand des Militärs. Auf einer Sitzung des Preußischen Staatsministeriums am 4. September 1917 wurde offen ausgesprochen, dass in der Kriegszielfrage die Meinungen über Belgien am weitesten auseinanderlagen. Für die Marine war die Annexion der belgischen Küste unverzichtbar und auch die OHL wollte Belgien nach dem Krieg militärisch beherrschen. Dafür sollten Lüttich und ein Aufmarschgebiet im Osten Belgiens annektiert und der Rest des Landes demilitarisiert werden. Michaelis hielt diese Forderungen für unrealistisch und vertrat die Meinung, dass an ihnen Friedensverhandlungen nicht scheitern dürften. Er beabsichtigte, Belgien vor allem durch wirtschaftliche Maßnahmen an Deutschland zu binden. Doch auch in der Reichsleitung gab es Befürworter der Flamenpolitik. Der Staatssekretär des Innern forderte, dass die Verwaltungstrennung in einem 12 Becker, Michaelis, S. 420 und 423. 13 Wende, S. 133 f. 14 So z. B. in den ersten Sitzungen des Siebenerausschusses am 28. August und 10. September 1917, in: Matthias, S. 177–180 und S. 189. 15 »Gott segne von Tirpitz. Der Mann müsste regieren«, notierte Domela über seine erste Berlinreise. Velde, Anhang, S. V.

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Friedensvertrag nicht nur anerkannt, sondern eventuell noch weiter ausgestaltet werden müsse. An die Stelle Belgiens wollte er zwei weitgehend selbständige und nur durch einen gemeinsamen Monarchen miteinander verbundene Staaten Flandern und Wallonien treten lassen. Michaelis äußerte in dieser Hinsicht lediglich, dass das Versprechen, den Flamen »eine gewisse Autonomie« zu verschaffen, auch dann gehalten werden müsse, wenn Belgien als souveräner Staat wiederhergestellt werde. Die Verwaltungstrennung solle zumindest in religiösen und kulturellen Fragen beibehalten werden, – ein Standpunkt, der weit hinter die bereits unter deutscher Besatzung realisierten Veränderungen zurückging.16 An einer weiteren hochkarätig besetzten Zusammenkunft unter Vorsitz des Kaisers nahmen neben dem Reichskanzler sowie Hindenburg und Ludendorff, der Chef des Admiralstabs Henning von Holtzendorff sowie die Staatssekretäre Helfferich und Kühlmann teil. Dass auch Generalgouverneur Falkenhausen hinzugezogen wurde, zeigt, wie zentral das Thema Belgien war. Auf dieser Sitzung des »Kronrats«17 wurde ein weitgehender Verzicht auf die Annexion belgischen Territoriums vereinbart. Die OHL beharrte zwar auf der Forderung, Lüttich und ein Aufmarschgelände zu behalten, allerdings – nach Auslegung des Kanzlers – lediglich auf Zeit. Wilhelm II. wollte Belgien vor allem durch wirtschaftliche Maßnahmen und die »Lösung der Flamenfrage« an Deutschland binden. Der wichtigste Punkt war jedoch, dass es unter König Albert I. als souveräner Staat wiederhergestellt werden sollte. Der Kaiser befristete diesen Beschluss allerdings bis zum Jahresende. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt keine Friedensverhandlungen stattfänden, sollte erneut über den Fall Belgien beraten werden.18 Der Reichskanzler erhielt also in der Belgienfrage zunächst freie Hand und es ist klar, dass er die Flamenpolitik allenfalls als einen Nebenaspekt betrachtete, durch den er sich die Handlungsfreiheit nicht einschränken lassen wollte. Hingegen war sie sowohl für den Kaiser als auch den Staatssekretär des Innern eine wichtige Komponente der Belgienpolitik. Wie auch der Fall des Zentrum-Abgeordneten Erzberger zeigt, war diese Haltung über die Grenzen der annexionistischen Rechten hinweg verbreitet. Die Flamenpolitik eignete sich daher hervorragend, um die auf Friedensverhandlungen zielende Politik des Reichskanzlers auszuhebeln.

16 Protokoll der Sitzung des Königlichen Staatsministeriums. Berlin, den 4. September 1917, PA AA, R 21568, S. 401–415. 17 Streng genommen galten nur Sitzungen des preußischen Staatsministeriums unter Vorsitz des preußischen Königs als Kronräte. De facto wurde diese Bezeichnung aber auch für andere Besprechungen hoher Funktionsträger mit Wilhelm II. verwendet, so auch für die Zusammenkunft am 11. September 1917 im Schloss Bellevue. Siehe hierzu: Zilch, S. 23. Fälschlicherweise wird hier der 4. September 1917 als Datum der Sitzung angegeben. 18 Von dieser Sitzung im Schloss Bellevue am 11. September 1917 wurde kein Protokoll angefertigt. Es existieren jedoch verschiedene Darstellungen von Beteiligten. Wende, S. 138–140, der sich vor allem auf Steglich, S. 189 und S. 558–563 bezieht; Michaelis, S. 346–355; Kühlmann, S. 480–483; Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N21/2, S. 244–247.

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a) Die Institutionalisierung der Flamenpolitik Die Abkehr der Reichsleitung von der Flamenpolitik änderte an der Politik im Besatzungsgebiet kaum etwas. Einige belgische Beobachter interpretierten den Kanzlerbesuch sogar als Signal zu einer intensivierten Verwaltungstrennung, da etwa zeitgleich die Trennung der Archive der belgischen Finanzverwaltung angeordnet wurde.19 Bereits am 9. August 1917 war mit der Sprachverordnung Niederländisch zur einzigen Amtssprache in Flandern erklärt worden und am 13. September 1917 folgte eine Verordnung über die Trennung des Postministeriums.20 Die Verwaltungstrennung wurde unbeirrt fortgesetzt und nicht etwa zurückgenommen oder gebremst. Im Gegenteil, die Behörden des Generalgouvernements bemühten sich in Berlin intensiv um politische Unterstützung für ihren Kurs. Die Bitte, den Reichstagsabgeordneten Schulze-Gaevernitz erneut nach Belgien zu entsenden, wurde beispielsweise ausdrücklich damit begründet, dass dieser »aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in den Kreisen des Reichstags für die Flamenpolitik werben« könne.21 Die Besatzungsverwaltung war gezielt auf der Suche nach Mitarbeitern, um unterschiedliche Gruppen anzusprechen – in Belgien, aber eben auch in Deutschland. Der Göttinger Rechtshistoriker Konrad Beyerle verdankte seine Stelle bei der Politischen Abteilung in Brüssel weniger seiner juristischen Ausbildung als der Tatsache, dass er ein angesehener Katholik war, der unter seinen Glaubensgenossen in Belgien und Deutschland für die Flamenpolitik werben sollte.22 Der Sozialdemokrat Wilhelm Hausenstein erfüllte eine ähnliche Funktion gegenüber der organisierten Arbeiterbewegung.23 Die ungewöhnlichste Figur, in der ansonsten von Männern dominierten Flamenpolitik, war wohl die sozialdemokratische Feministin Adele Schreiber-Krieger, die ab Mai 1917 »Hilfsreferentin für flämische Frauenfragen« war. Gemeinsam mit der Aktivistin Roza de Guchtenaere baute sie verschiedene Fürsorgevereine auf, um über die soziale Arbeit flämische Frauen für den Aktivismus zu gewinnen. Schreiber-Krieger organisierte am 29. Juni 1918 sogar eine feministische Friedenskundgebung, wurde hierfür allerdings von ihren Vorgesetzten zur Ordnung gerufen. Die erste Äußerung aktivistischen Feminismus’ war somit auch zugleich

19 Gille u. a., Cinquante mois Bd. 3, Eintrag vom 9. September 1917. 20 Verordnung über die Amtssprache in Flandern, GVBl 387 (2. September 1917); Verordnung betreffend die Bildung zweier belgischer Ministerien für Marine, Post und Telegraphen vom 13. September 1917, GVBl 395 (29. September 1917). 21 Telegramm der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien an das Reichsamt des Innern. Brüssel, 13. September 1917, BArch, R 1501/119488, S. 20. 22 Dolderer, Beyerle; Der Chef der Politischen Abteilung in Brüssel Lancken an Reichsamt des Innern. Vorschlag Bayerles [sic] als Verstärkung der flämischen Abteilung. Brüssel, 7. Januar 1917, BArch, R 1501/119487, S. 250. 23 Dolderer, Duitsland–Vlaanderen, S. 1005; Roland, Kriegskolonie.

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die letzte.24 Ebenso wie ihre männlichen Kollegen betrachtete Schreiber-Krieger es als wichtigen Teil ihrer Arbeit, die Heimatfront für die Flamenpolitik zu gewinnen. Sie schrieb Artikel und war von Oktober 1917 bis März 1918 dreimal zur Vortragsreisen in Deutschland.25 Diese Lobbyarbeit der Besatzungsverwaltung war auch ein Ergebnis der Institutionalisierung der Flamenpolitik. Im Rahmen der Verwaltungstrennung wurden nicht nur die belgischen Ministerien durch flämische und wallonische ersetzt, auch die deutsche Verwaltung war in zwei Behörden getrennt worden. Hierbei waren zahlreiche Neubesetzungen vorgenommen worden. Während belgische Beamte bevorzugt durch flämische Nationalisten ersetzt wurden, hatte man in der deutschen Besatzungsverwaltung Kritiker der Flamenpolitik beseitigt, an erster Stelle Sandt und Trimborn.26 Die strukturelle und personelle Ausrichtung des Besatzungsapparates an den Erfordernissen der Verwaltungstrennung wurde auch dadurch verstärkt, dass der seit April 1917 amtierende Falkenhausen sich zunehmend autokratisch gebärdete. Bissing hatte die Belgienpolitik in enger Abstimmung mit der Reichsleitung entwickelt und sich hierbei vor allem auf seine Politische Abteilung gestützt. Deren Chef hatte diese nie als bloßen Transmissionsriemen zwischen Berlin und Brüssel verstanden, sondern sie, ähnlich wie die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes, als aktiv gestaltende Behörde geleitet. Auch wenn die Politische Abteilung in Brüssel eine treibende Kraft in der Flamenpolitik war, so hatte sie doch nie die Reichspolitik in ihrer Gesamtheit aus den Augen verloren. Dazu trug, neben Lanckens guter Vernetzung im Auswärtigen Amt, auch seine wichtige Rolle in der Anbahnung und Vorbereitung von Friedensverhandlungen bei.27 Dieses unabhängige Auftreten missfiel Falkenhausen, der es als Angriff auf seine Autorität betrachtete. Lancken verdächtigte er, ein Instrument des Auswärtigen Amtes zu sein und mit der Politischen Abteilung in Brüssel eine Art Nebenregierung im Generalgouvernement errichten zu wollen. Um sich gegen eine in seinen Augen unzulässige Einmischung zur Wehr zu setzen und, wie er sich ausdrückte, die »unterirdische[n] Kanäle zwischen Brüssel und Berlin« zu verstopfen, entzog er der Politischen Abteilung zunehmend Kompetenzen.28 Am 27. November 1917 verlor sie die Zuständigkeit in »Nationalitätenfragen«, also für die Flamenpolitik, die den Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien übertragen wurde. Im Februar 1918 wollte ihr der Generalgouverneur auch die Bereiche »Kirche«, »Wirtschaft« und »Inneres« entziehen. Lediglich die Zuständigkeit für die in Brüssel verbliebenen neutralen Diplomaten sowie die Vorbereitung der Belgien betreffenden Aspekte der Friedensverhandlungen sollten 24 Dolderer, Schreiber-Krieger; Vanacker, Avontuur, S. 323; Braune, S. 242–268. 25 Braune, S. 259–262. 26 Riezler, Eintrag vom 24. Februar 1917; Dass dieser Konflikt auch außerhalb der Besatzungsverwaltung wahrgenommen wurde, zeigt der Eintrag über Sandts Demission in Gille u. a., Cinquante mois Bd. 3, Eintrag vom 9. Juli 1917. 27 Steglich. 28 Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N 21/2, S. 158.

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bei der Abteilung belassen werden. Konsequenterweise schlug der Generalgouverneur eine Umbenennung in »Diplomatische Abteilung« vor.29 Am 1. März 1918 wurde schließlich auch die Pressezentrale den beiden Verwaltungschefs unterstellt. Die Ernennung Friedrich Bertkaus, der bisher Leiter der Presseabteilung Ober-Ost30 gewesen war, bedeutete zudem eine Machtverschiebung von der politischen auf die militärische Seite.31 Falkenhausen schrieb hierzu, dass er Lancken als einen Abteilungschef wie alle anderen betrachte. Er sei nicht bereit, diesem die »Rolle eines ersten selbständig verantwortlichen Ministers« zuzugestehen, und forderte sämtliche Korrespondenz mit Berliner Behörden zunächst zur Prüfung vorgelegt zu bekommen.32 Mit der Politischen Abteilung wurde die letzte deutsche Behörde entmachtet, die auf gesamtbelgischer Ebene mit politischen Fragen beschäftigt war. Ihre Kompetenzen wurden auf Behörden verteilt, die erst im Zuge der Verwaltungstrennung und damit nach Amtsantritt Falkenhausens geschaffen worden waren.

b) Die Ernennung Hertlings zum Reichskanzler und die »Entdeckung« der Flamen durch die OHL Die Entmachtung Lanckens hatte ihre Ursachen im autoritären Führungsstil des neuen Generalgouverneurs und seiner Abneigung gegenüber Diplomaten im Allgemeinen und dem Chef seiner Politischen Abteilung im Besonderen. Sie muss jedoch auch im Zusammenhang mit der Ernennung Georg von Hertlings zum Nachfolger des glücklosen Michaelis am 1. November 1917 betrachtet werden. Die Übernahme der Kanzlerschaft durch den bayrischen Zentrumspolitiker wurde von der politischen Rechten als schwere politische Niederlage und kultureller Schock wahrgenommen. Erstmals übernahm ein Nicht-Preuße das

29 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 1. März 1918, BArch, R 1501/119488, S. 144; Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an den Staatssekretär des Innern Wallraf, Brüssel, 8. Februar 1918, BArch, R 1501/119488, S. 127. 30 »Ober-Ost« stand für »Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte im gesamten Osten«, eine Funktion, die ab 1914 zunächst Hindenburg innehatte. Ober-Ost verwaltete die besetzten Gebiete Russlands als »Militärstaat«, der sich vor allem an den Interessen des Heeres orientieren sollte und sich im Unterschied zu Belgien oder dem besetzten Polen durch die Abwesenheit einer Zivilverwaltung auszeichnete. Liulevicius; Klare. 31 Abschrift des Erlasses des Generalgouverneurs in Belgien über die Zuständigkeiten in der Nationalitätenpolitik. Brüssel, 27. November 1917, BArch, R 1501/119488, S. 96; Anlage zum Verwaltungsbericht für den Geschäftsbereich der den Verwaltungschefs für Flandern und Wallonien gemeinsam unterstellten Abteilung X (Pressezentrale) für das Halbjahr Februar bis Juli 1918, Berlin 1918, S. 3. 32 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 1. März 1918, BArch, R 1501/119488, S. 144.

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Amt, welches in Personalunion mit jenem des preußischen Ministerpräsidenten verbunden war.33 Schwerwiegender als ein katholischer Reichskanzler im Lutherjahr 1917 war allerdings, dass Hertling fälschlicherweise als Vertreter der Parlamentarisierung wahrgenommen wurde.34 Als wie einschneidend dieser Wechsel an der Spitze der Reichsleitung empfunden wurde, illustrieren die Memoiren Falkenhausens. Dieser bezeichnete ihn rückblickend als »Niederlage der preußischen Krone«, die das Werk der »Führer der unterwühlten und verhetzten Massen« gewesen sei. Diese hätten einen deutschen Sieg nicht gewollt, da er ihren »Sonderinteressen« entgegengestanden habe.35 Auch Ludendorff und Hindenburg waren vom neuen Kanzler alles andere als begeistert, der das Amt noch im Sommer 1917 mit der Begründung abgelehnt hatte, nicht mit der OHL zusammenarbeiten zu können.36 Der 74-jährige Hertling glaubte nicht an einen »Siegfrieden« und fürchtete das Eingreifen der USA, die dem Deutschen Reich im April 1917 den Krieg erklärt hatten. Er wollte daher noch vor dem Frühjahr 1918 einen Verständigungsfrieden erreichen, bevor US-Truppen in größerer Zahl in Europa landen konnten. Mit der Reichstagsmehrheit war er der Ansicht, dass Verhandlungen nur möglich waren, wenn Deutschland sich öffentlich von allen Annexionsabsichten verabschiedete und sich zur Wiederherstellung Belgiens bekannte.37 Angesichts eines drohenden »Verzichtfriedens« war es schon vor Hertlings Ernennung zu einer Annäherung des Generalgouverneurs an die OHL gekommen. Falkenhausen befand sich am 18. und 19. Oktober 1917 zu einer zweitägigen Besprechung im Großen Hauptquartier, bei der er sich bei Ludendorff auch über den Chef seiner Politischen Abteilung beklagt hatte.38 Es war daher sicherlich kein Zufall, dass sich der Erste Generalquartiermeister Ende November 1917 in harschem Ton beim Auswärtigen Amt über die Politische Abteilung in Brüssel beschwerte. Ludendorff kritisierte insbesondere Lanckens Flamenpolitik, der es an Klarheit und Entschlossenheit fehle. Dies sei der Grund, warum es den Flamen an Vertrauen in die Absichten der deutschen Politik mangle.39 33 Clark, S. 699; Winkler, S. 354 f. 34 Hoser. 35 Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N 21/2, S. 274. 36 Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 363. 37 Hertling, der seit 1912 bayrischer Ministerpräsident war, konnte diese Überzeugung allerdings nicht offen vertreten, da sie mit den imperialen Plänen des bayrischen Königs kollidierte. Wende, S. 147; Hertling, S. 49; Hertlings Ansichten sind gut ersichtlich aus einem Schreiben an den bayrischen Kronprinzen. Der bayrische Ministerpräsident Hertling an Kronprinz Rupprecht von Bayern, München, 9. August 1917, in: Becker, Hertling, S. 153. 38 Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N 21/2, S. 271–272; Ein Ergebnis dieser Annäherung war möglicherweise die Berufung Friedrich von Falkenhausens, des Sohns des Generalgouverneurs, auf einen hohen Posten in der deutschen Verwaltung in Litauen, eines weiteren Objekts deutschen Annexionswillens. 39 Ludendorff an das Auswärtige Amt, Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier Lersner. Großes Hauptquartier, 29. November 1917, PA AA, R 4493,

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Dieses plötzliche Interesse an der Flamenpolitik, der die OHL bisher distanziert bis ablehnend gegenübergestanden hatte, war weniger inhaltlich motiviert, sondern Teil eines gemeinsamen Vorgehens mit dem Generalgouverneur.40 Lanckens Beteuerungen, man habe doch konsequent darauf hingearbeitet, die belgische Staatsgewalt »für die Zukunft zu zertrümmern«, gingen daher an der Sache vorbei.41 Es handelte sich nicht um die richtige oder falsche Flamenpolitik, sondern um die Frage, wer diese kontrollierte und als außenpolitisches Instrument einsetzen konnte. Denn Friedensverhandlungen waren nicht nur durch den Wechsel des Reichskanzlers wahrscheinlicher geworden, sondern auch durch ein Ereignis im fernen Petersburg. Am 7. November 1917 hatten die Bolschewiki in der sogenannten russischen Oktoberrevolution die Macht ergriffen und erklärten bereits am nächsten Tag, in allgemeine Friedensverhandlungen eintreten zu wollen.42 Am 15. Dezember 1917 schlossen Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und das Osmanische Reich einen befristeten Waffenstillstand mit der bolschewistischen Regierung in Russland. In Brest-Litowsk begannen Friedensverhandlungen, die auf deutscher Seite vom Staatssekretär des Äußern, Kühlmann, geleitet wurden.43 Im Rahmen dieser Verhandlungen gaben die Mittelmächte Mitte Dezember eine Erklärung ab, die Frage der staatlichen Zugehörigkeit nationaler Gruppen nicht zwischenstaatlich, sondern innerstaatlich zu regeln. Der Status nationaler Minderheiten sollte also ausdrücklich aus den Friedensverhandlungen ausgeklammert werden. Diese Klausel wurde wohl vor allem im Interesse Österreich-Ungarns aufgenommen, dessen Regierung unter allen Umständen verhindern wollte, dass Nationalitätenfragen zum Gegenstand internationaler Verhandlungen gemacht wurden. Ihr Bekanntwerden beunruhigte die flämischen Aktivisten erheblich, nachdem es ihnen nicht gelungen war, die deutsche Reichsleitung zu verbindlichen Aussagen zur flämischen Frage zu

S. 28–29; Abschrift des Erlasses Generalgouverneur Falkenhausens über die Zuständigkeiten in der Nationalitätenpolitik. Brüssel, 27. November 1917, BArch R 1501/119488, S. 96. Die Interpretation bei Fischer, Ludendorff habe in seinem Schreiben vor allem davor warnen wollen, den Flamen zu weit entgegenzukommen, greift zu kurz. Offensichtlich ging es vor allem um einen Angriff auf die Politische Abteilung in Brüssel. Fischer, S. 388. 40 Lanckens gegenüber Kühlmann geäußerte Vermutung, dass Ludendorffs Kritik an der Politischen Abteilung in Brüssel auf ein Schreiben Friedrich Wilhelm von Bissings, des Sohnes des verstorbenen Generalgouverneurs, an die OHL zurückging, war also wahrscheinlich falsch. Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Kühlmann, Brüssel, 13. Dezember 1917, PA AA, R 4493, S. 60–61. 41 Bericht über die Ziele der Flamenpolitik, Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Kühlmann. Brüssel, 13. Dezember 1917, PA AA, R 4493, S. 65. 42 Kochanek, Russische Revolution; Winkler, S. 356. 43 Kochanek, Friede von Brest-Litowsk, S. 506–508.

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bewegen. Sie befürchteten nun, dass die Formel von Brest-Litowsk auch bei Friedensverhandlungen in Westeuropa angewendet werden könnte.44 Am 22. Dezember 1917 brachte der Aktivist August Borms unangekündigt die Selbständigkeit Flanderns im Rat von Flandern zur Abstimmung. Der Friede, so Borms, sei greifbar nahe, weshalb man nun die Selbständigkeit ausrufen müsse. Die Deutschen seien unschlüssig und wollten im Hinblick auf Friedensverhandlungen keine verbindlichen Zusagen machen. Dieses Spiel dürfe man nicht mitspielen. Sein Antrag zur Ausrufung der Selbständigkeit wurde begeistert aufgenommen und mit 53 Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen. Allerdings traten in der Folge drei unionistische Mitglieder, die nicht an der Sitzung teilgenommen hatten, aus dem Rat zurück. Unter ihnen befand sich auch Antoon Jacob, der nach seiner Entlassung aus dem belgischen Staatsdienst 1915 einer der bekanntesten Aktivisten war.45 Der Beschluss, die Selbständigkeit auszurufen, war jedoch ohne die Genehmigung der Besatzungsmacht nicht durchführbar, welche die Presse und das öffentliche Leben kontrollierte. Die Erklärung war also höchstwahrscheinlich mit den Besatzungsbehörden abgesprochen, auch wenn sich Verwaltungschef und Generalgouverneur nach außen betont überrascht zeigten.46 Falkenhausen beabsichtigte, die Proklamation zu unterstützen und teilte dies am 10. Januar 1918 dem Reichskanzler mit.47 Hertling, der hinter dem Rücken des Generalgouverneurs bereits von der Politischen Abteilung in Brüssel informiert worden war, verhinderte diesen Schritt.48 Hintergrund war auch die Rede des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom 8. Januar 1918, in der dieser die volle Wiederherstellung Belgiens ohne jegliche Beschränkung seiner Souveränität zu einer Bedingung für den Friedensschluss gemacht hatte.49 In der Folge kristallisierte sich ein Gegensatz heraus, bei dem auf der einen Seite der Reichskanzler, Kühlmann und die Politische Abteilung in Brüssel standen und auf der anderen der Generalgouverneur und die OHL. Der Staatssekretär des Äußern riet von einer Veröffentlichung der Selbständigkeitserklärung ab 44 Sowohl Lancken als auch Falkenhausen wiesen gegenüber der Reichsleitung auf diesen Zusammenhang hin. Der Chef der Politischen Abteilung Brüssel an das Auswärtige Amt. Brüssel, 31. Dezember 1917, PA AA, R 4493, S. 113; Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 10. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 123. 45 Elias Bd. 1, S. 78 f. 46 Hierfür sprechen auch spätere Äußerungen. Dirr schrieb nach dem Krieg, die Vermutung, die Aktivisten seien von deutscher Seite ermuntert worden, die Selbständigkeit zu erklären, sei »nicht von der Hand zu weisen«. Die deutschen Behörden hätten jedoch »von den Absichten des Rates keine amtliche Kenntnis« gehabt [Hervorhebung J. M.]. Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 780; Vanacker, Avontuur, S. 281; Meseberg-Haubold, S. 355–357. 47 Telegramm des Generalgouverneurs in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling, Brüssel, 10. Januar 1918 und Antwort des Reichskanzlers an den Generalgouverneur vom 11. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 123 und S. 125. 48 Dirr-Bericht, BArch, R 1501/119494, S. 781 f. 49 Rede des US-Präsidenten Woodrow Wilson vor dem US-amerikanischen Kongress am 8. Januar 1918 (14-Punkte-Programm).

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und wurde dabei von Lancken unterstützt, der auch vom Empfang einer aktivistischen Delegation abriet, da dieser einen Friedensschluss erschweren würde.50 Der Generalgouverneur warnte hingegen, dass eine Enttäuschung der Aktivisten ein Scheitern der Flamenpolitik zur Folge haben könne.51 Falkenhausen wurde hierbei von OHL und Marine unterstützt, die nach dem Kollaps der russischen Armee an die Möglichkeit eines Sieges im Westen glaubten.52 Sie verwiesen insbesondere auf den militärischen Wert der Flamenpolitik. Ludendorff bat den Reichskanzler um baldige Veröffentlichung der Selbständigkeitserklärung, von der er sich einen »zersetzenden Einfluss« auf die belgische Armee versprach.53 Letztlich einigten sich Hertling und Falkenhausen auf einen Kompromiss. Die Formulierung der Selbständigkeitserklärung wurde abgeschwächt und die Aktivisten wurden verpflichtet, sich Wahlen zu stellen. Ein Punkt, mit dem Hertling die Hoffnung verband, dass »die Grundlage der Bewegung sich in der von uns gewünschten Weise verbreitern wird, so dass sie tatsächlich den Charakter einer von der Gesamtheit des flämischen Stammes getragenen Willensmeinung erhält«. Womöglich hoffte er insgeheim auf ein Scheitern der Wahlen.54 Jedenfalls lehnte es der Reichskanzler ab, eine Delegation des Rates von Flandern zu empfangen, da er Bedenken hatte, »die Reichspolitik mit einer zu starken Verantwortung für die Entwicklung der Dinge in Flandern zu belasten«.55 An seiner Stelle sollte Falkenhausen eine Abordnung des neugewählten Rates empfangen, ohne hierbei verbindliche Zusagen zu machen.

50 Der Staatssekretär des Äußern Kühlmann an das Auswärtige Amt. Brest-Litowsk, 15. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 130; Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an den Staatssekretär des Äußern Kühlmann. Brüssel, 29. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 229. 51 Der Leiter der Zivilkanzlei des Generalgouverneurs in Belgien Wilmowski an den Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei Radowitz, Brüssel, 12. Janaur 1918; Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 16. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 129 und S. 145. 52 Kennedy. 53 Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff an Reichskanzler Hertling. Großes Hauptquartier, 19. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 146. 54 De Maeyers These, die Deutschen hätten den Rat mit seiner geringen Machtbasis konfrontieren wollen und ein Interesse am Scheitern der »Volksbefragungen« gehabt, trifft jedoch sicher nicht auf den Generalgouverneur, den Verwaltungschef für Flandern und die OHL zu. Die für die Durchführung maßgeblichen Stellen hatten im Gegenteil ein Interesse an ihrem Gelingen. Maeyer, S. 38. 55 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 8. Februar 1918; Antwort Reichskanzler Hertlings an den Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen. Homburg, 15. Februar 1918, PA AA, R 4494, S. 50–53.

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c) Die »Wahlen« zum Rat von Flandern Die »Wahlen« zum Rat von Flandern waren keine Wahlen, wie sie vor dem Krieg in Belgien oder Deutschland abgehalten worden waren. Es handelte sich um aktivistische Versammlungen, auf denen die Anwesenden über eine Liste von Kandidaten per Akklamation abstimmten. Dieses Verfahren wurde »Volksraadpleging«, also in etwa »Volksbefragung« genannt.56 Ziel war es, dem Rat von Flandern mehr politisches Gewicht zu verleihen, vor allem im Hinblick auf künftige Friedensverhandlungen. Für den Generalgouverneur ging es außerdem darum, seine Flamenpolitik gegenüber Berlin zu legitimieren und Fakten zu schaffen, ohne dass er dem Rat von Flandern mehr als eine beratende Stimme zugestehen wollte.57 Die möglicherweise wichtigste Funktion der »Volksbefragungen« war, dass die Aktivisten gezwungen wurden sich zu outen, denn obwohl der Rat von Flandern schon seit gut einem Jahr existierte, waren seine Mitglieder nie der Öffentlichkeit bekannt gegeben worden. Die Verlesung der Kandidatenlisten bei den »Volksbefragungen« und die spätere Publikation der »Wahlergebnisse« sorgten dafür, dass sich dies änderte.58 Die Selbständigkeitserklärung des Rates von Flandern und die anschließenden »Volksbefragungen« waren eine viel direktere Herausforderung als die Flämische Hochschule oder selbst die Verwaltungstrennung. Diese waren vor allem als Maßnahmen der Besatzungsmacht wahrgenommen worden und hatten zumindest der Form nach den belgischen Staat nicht in Frage gestellt. Die Selbständigkeitserklärung war hingegen ein Frontalangriff auf die Einheit des Landes, ja die Existenz Belgiens überhaupt. In der am 20. Januar 1918 im Brüsseler Alhambra-Theater öffentlich verlesenen und anschließend in der aktivistischen Presse verbreiteten Proklamation wurde dies unmissverständlich ausgedrückt: »Die Unterdrückung, unter der das flämische Volk seit 1830 gebeugt geht, ist vorbei. Der Staat Flandern ist geboren. Flandern folgt hiermit der großen Strömung der Weltpolitik: der Selbständigkeit der Nationalitäten.«59 56 Wils, Onverfranst, S. 269–271; Vanacker, Avontuur, S. 284 f.; Elias Bd. 1, S. 25. 57 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 10. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 123–125; 7. Sitzung der Kommission zum Ausbau der Selbstverwaltung. Brüssel, 8. Dezember 1917, PA AA, R 4493, S. 165. 58 Dem Aktivisten H. Van de Velde war dies zu viel Öffentlichkeit. Er bat am 9. Januar 1918 darum, seinen Namen nicht zu publizieren, da er als Anwalt einige wallonische Familien vertrat und den Verlust dieser Aufträge befürchtete. Diese Bitte wurde bei der ersten Sitzung des neuen Rates am 9. März 1918 abgelehnt. Hierauf verließ er den Rat von Flandern. Protokoll der allgemeinen Sitzung des Rates von Flandern. Brüssel, 9. März 1918, ARA / AGR, I 530 – 18, S. 1 f. 59 »De verdrukking, waaronder het Vlaamsche volk sedert 1830 gebukt gaat, houdt op. De Staat Vlaanderen is geboren. Vlaanderen volgt daarin de groote strooming der wereldpolitiek: de zelfstandigheid der nationaliteiten.« Proklamation des Rates von Flandern, zitiert nach »Gazet van Brussel« vom 22. Januar 1918.

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Dieser Aufruf konnte kaum als ein Plädoyer für mehr Autonomie interpretiert werden, sondern implizierte die Beseitigung des belgischen Staates, an dessen Stelle ein flämischer treten sollte. Anders als bei der Verwaltungstrennung, welche das tägliche Leben vieler Belgier kaum berührt hatte, ging es nun darum, das öffentliche Leben und die Straße zu erobern. Die »Volksbefragungen« waren Machtdemonstrationen der Aktivisten und wurden von vielen Belgiern als ungeheuerliche Provokation empfunden. Sie wurden als Gradmesser für den Umfang der aktivistischen Bewegung betrachtet, und zwar sowohl von den Aktivisten und ihren deutschen Unterstützern als auch von ihren Gegnern. Dass es zu Konflikten kommen würde, war allen Seiten bewusst. Bereits am 11. November 1917 war das Brüsseler Alhambra-Theater die Bühne für eine aktivistische Veranstaltung gewesen, bei der feierlich erklärt wurde, die Regierung in Le Havre nicht mehr anzuerkennen. Während der Versammlung und eines anschließenden Umzugs durch die Innenstadt war es zu Störungen und auch zu Festnahmen gekommen. Ein deutsches Militärgericht hatte einen Schüler zu drei Monaten Haft und drei weitere zu hohen Geldstrafen verurteilt, weil sie die Versammlung durch Pfiffe und Zwischenrufe gestört hatten. Als strafverschärfend wertete das Gericht, dass die Schüler selbst Flamen waren. Zur Abschreckung von Nachahmern versuchte die Besatzungsverwaltung, die Brüsseler Schulen zum Aushängen des Urteils zu zwingen.60 Über den Ablauf der verschiedenen Volksbefragungen gibt es stark von­ einander abweichende Berichte, die es dennoch ermöglichen, einen Eindruck von den Ereignissen zu erhalten. Die meisten Versammlungen fanden in Sälen und unter dem Schutz deutscher Soldaten statt. Gegendemonstrationen wurden selbstverständlich nicht genehmigt. Am 20. Januar 1918 kamen in der Alhambra nach Angaben der Aktivisten 3.000 Teilnehmer zusammen, während es laut belgischen Quellen lediglich 800 bis 1.100 waren.61 Vor der Tür schützten belgische und deutsche Polizisten die Veranstaltung, während im Saal ein aktivistischer Ordnungsdienst für Ruhe sorgte und den Zugang kontrollierte. August Borms verlas feierlich die Selbständigkeitserklärung, auf einen Umzug durch die Straßen Brüssels verzichteten die Aktivisten diesmal allerdings. Wohl auch deshalb konnte Schaible berichten, dass die Veranstaltung in Brüssel »gänzlich ungestört« verlaufen sei.62

60 Majerus, Occupations, S. 130; Gille u. a., Cinquante mois Bd. 4, Eintrag vom 28. Januar 1918. 61 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an den Staatssekretär des Innern Wallraf, Bericht über die Neuwahl des Rats von Flandern und die Proteste. Brüssel, 3. Mai 1918, BArch, R 1501/119393, S. 311; Majerus, Occupations, S. 130. Die Zahlen der belgischen Polizei für eine aktivistische Veranstaltung am 11. November 1917 am selben Ort hatten zwischen 1.500 und 1.800 Teilnehmern gelegen. Es ist unwahrscheinlich, dass zu der für die Aktivisten so zentralen Volksbefragung weniger Teilnehmer erschienen. 62 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an den Staatssekretär des Innern Wallraf: Bericht über die Neuwahl des Rats von Flandern und die Proteste. Brüssel, 3. Mai 1918, BArch, R 1501/119393, S. 315.

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In Gent konnten sich die Aktivisten offensichtlich am freiesten betätigen. Die Stadt stand im Etappengebiet unter der direkten Kontrolle der Armee und war außerdem das Zentrum der Jungflamen sowie der Sitz der Flämischen Hochschule, an der Anfang  1918 etwa 400 Studenten eingeschrieben waren. Die ört­lichen Aktivisten hatten die Selbständigkeitserklärung bereits im Dezember 1917 bekannt gegeben, ohne Genehmigung, jedoch offensichtlich mit Duldung der örtlichen Militärbehörden. Die »Volksbefragung« wurde in Gent am 27. Januar 1918 abgehalten, dem Geburtstag des deutschen Kaisers, zu dessen Feier auch deutsche Militärparaden stattfanden. Mehrere tausend Genter, nach Angaben der deutschen Behörden und der Aktivisten waren es etwa 7.000, versammelten sich zur »Volksbefragung«, ohne dass es zu nennenswerten Störungen kam.63 Im Gegensatz hierzu kam es in Antwerpen zu Ausschreitungen, als am 3. Februar 1918 eine »Volksbefragung« in der Antwerpener Börse stattfand. Nach Angaben der Aktivisten hatten sich 7.000 Teilnehmer versammelt, während die Antwerpener Polizei lediglich von 1.000 Teilnehmern sprach. Diese wurden nach der Veranstaltung von einer wütenden Menschenmenge empfangen. Bei den Auseinandersetzungen wurden mehrere Personen verletzt, teilweise durch Stockschläge und Messerstiche. Die Stimmung war so bedrohlich, dass die Aktivisten unter dem Schutz deutscher Soldaten zum Bahnhof geleitet werden mussten.64 In Mecheln wurde die örtliche »Volksbefragung« am 10. Februar 1918 von Gegendemonstranten gekapert. Über das Ende der Veranstaltung berichtete der deutsche Verwaltungschef für Flandern: »Schließlich erhob sich [der aktivistische Dichter René] De Clercq und erklärte, nachdem sich der Lärm etwas gelegt hatte, er gebe zu, dass die Mehrheit der im Saal Anwesenden nicht für den Rat von Flandern sei. Hierauf zog er sich mit den aus Brüssel gekommenen Aktivisten zurück und wurde unter militärischem Schutz zum Bahnhof geleitet.«65

Am 3. März 1918 fand die letzte von insgesamt 153 »Volksbefragungen« in Brügge statt, anschließend untersagten die Deutschen weitere Veranstaltungen, ohne dass hierfür eine Begründung gegeben wurde.66 Wie erwähnt wurden über die Anzahl der Teilnehmer an den »Volksbefragungen« zwischen Ende Januar und Anfang März 1918 sehr unterschiedliche Angaben gemacht, wobei die Zahlen der belgischen Polizei deutlich unter jenen der deutschen Behörden und 63 Vanacker, Avontuur, S. 287–290; Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an den Staatssekretär des Innern Wallraf: Bericht über die Neuwahl des Rats von Flandern und die Proteste. Brüssel, 3. Mai 1918, BArch, R 1501/119393, S. 311. 64 Vrints, Stad, S. 126–131. 65 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an den Staatssekretär des Innern Wallraf: Bericht über die Neuwahl des Rats von Flandern und die Proteste. Brüssel, 3. Mai 1918, BArch, R 1501/119393, S. 317. 66 Vanacker, Avontuur, S. 285.

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Abb. 5: Diese Aufnahme von der »Volksbefragung« in Antwerpen suggeriert eine Massendemonstration der Aktivisten. Tatsächlich mussten diese von deutschen Soldaten vor Gegendemonstranten geschützt werden.

der Aktivisten lagen. Doch auch nach deren Angaben waren zu allen Veranstaltungen lediglich 50.000 Personen erschienen.67 In deutschen Berichten wurde die geringe Teilnehmerzahl mit dem starken Widerstand erklärt, denn mit der Selbständigkeitserklärung habe eine »starke wohlorganisierte Gegenbewegung« eingesetzt.68 Als Erfolg wurde ein Anwachsen der aktivistischen Basis verbucht und dass die Aktivisten sich nun zunehmend in den öffentlichen Raum trauten. Darüber, dass sie in regulären Wahlen keine Chance gehabt hätten, gab es keine Illusionen. Eine deutsche Kommission, die sich unter Vorsitz des renommierten Strafrechtlers Robert von Hippel mit der Gestaltung des zukünftigen flämischen Staats befasste, verzichtete darauf, ein flämisches Parlament zu konzipieren. Die aktivistische Bewegung, so Hippel, sei zwar »in sehr erfreulichem Fortschreiten«, es sei aber klar, dass sie bei »Einführung eines allgemeinen direkten Wahlrechts nach Art des deutschen Reichstagswahlrechts« unterliegen würde. Die Aktivisten selbst hielten daher eine deutsche Besatzung von zehn bis 67 Eine kritische Analyse der Zahlen bei Wils, Onverfranst, S. 272 (Fußnote 138); Vrints, Stad, S. 204–206. 68 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an den Staatssekretär des Innern Wallraf. Bericht über die Neuwahl des Rats von Flandern und die Proteste. Brüssel, 3. Mai 1918, BArch, R 1501/119393, S. 318.

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zwanzig Jahren für notwendig.69 Der Zweck der Volksbefragungen war neben der Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft vor allem, dieses offensichtliche demokratische Defizit vor dem Ausland zu kaschieren. Nur wenn die Aktivisten zumindest in der Öffentlichkeit präsent waren, konnte der Rat von Flandern bei Friedensverhandlungen den Anspruch erheben, das gesamte flämische Volk zu vertreten. Und wenn es auch nicht gelungen war, größere Menschenmassen zu mobilisieren, so gelang es doch immerhin, erhebliche Aufmerksamkeit zu erregen. In diesem Sinne konnte man den Widerstand gegen die »Volksbefragungen« auch positiv als ein Zeichen dafür interpretieren, dass die Aktivisten nun von ihren Gegnern ernst genommen wurden.70 Der Widerstand ging laut Schaible vor allem von den Gemeindeverwaltungen aus, daneben sei die Überwachung der Bevölkerung durch das Comité national allumfassend. Die Mittel des Komitees, »die Bevölkerung unter einer Diktatur moralischen und wirtschaftlichen Zwangs zu halten«, seien so stark, dass die Teilnehmerzahl von 50.000 ein großer Erfolg sei.71 Diese Einschätzung wird durch belgische Quellen bestätigt. Ende Januar 1918 sprach Emile Francqui, der Präsident des Comité national, auf dessen wöchentlicher Sitzung über den »schwerwiegenden Vorfall« (frz. »événement grave«), den die Selbständigkeitserklärung des Rates von Flandern darstelle. Francqui stellte klar, dass die Gefahr der Erklärung weniger im politischen Gewicht der Aktivisten läge als vielmehr in ihrer möglichen außenpolitischen Wirkung. Es sei daher wichtig, der Weltöffentlichkeit die Bedeutungslosigkeit des Aktivismus vor Augen zu führen. Francqui wies darauf hin, dass das Comité national selbst nicht politisch auftreten könne, um seine Funktion für die Ernährung der Bevölkerung nicht zu gefährden. Stattdessen müssten die gewählten Volksvertreter und die Gemeindeverwaltungen den Widerstand organisieren.72 Zahlreiche Gemeindeverwaltungen, unter ihnen die Städte Antwerpen und Gent, kamen dieser Auforderung nach und protestierten in Schreiben an den deutschen Reichskanzler gegen die Selbständigkeitserklärung.73 Am 31. Januar 1918 erstatteten belgische Parlamentarier Anzeige gegen den Rat von Flandern, den sie als revolutionäres Komitee bezeichneten. Der Brüsseler Appellationsgerichtshof (frz. »Cour d’appel«; ndl. »Hof van beroep«) ließ daraufhin am 8. Februar 1918 die prominenten Aktivisten August Borms und Pieter Tack verhaf69 Robert von Hippel, Bericht über die Arbeiten der Kommission zum Ausbau der Selbstverwaltung in den flämischen und wallonischen Landesteilen, GStA PK, I. HA Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett jüngere Periode, Nr. 32458, S. 28. 70 Verwaltungschef für Flandern, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar bis Juli 1918, S. 30. 71 Ebd., S. 6, 26 und 30. 72 Gille u. a., Cinquante mois Bd. 4, Eintrag vom 31. Januar 1918; Dass auch der belgische König den flämische Aktivismus vor allem als außenpolitisches Problem betrachtete, zeigt eine Äußerung auf einer Sitzung des Ministerrates am 1. Februar 1918. Vanacker, Frontbeweging, S. 301–305. 73 Gille u. a., Cinquante mois Bd. 4, Eintrag vom 4. Februar 1918.

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ten – ein besonderer Affront gegenüber der Besatzungsmacht, da beide Teil der flämischen Delegation gewesen waren, die der damalige Reichskanzler Bethmann Hollweg am 3. März 1917 in Berlin empfangen hatte. Laut Schaible gab der Brüsseler Generalstaatsanwalt Jottrand ihm gegenüber offen zu, dass es den Richtern vor allem darum ging, eine deutsche Reaktion zu provozieren, um so die engen Verbindungen der Aktivisten mit der Besatzungsmacht zu demonstrieren.74 Die deutsche Reaktion war hart. Nachdem Falkenhausen die Freilassung der Aktivisten veranlasst hatte, wurden die vier Vorsitzenden des Brüsseler Appellationsgerichtshofes festgenommen und drei von ihnen in Deutschland interniert, die 42 Räte des Gerichtshofes wurden suspendiert. Aus Protest legten nun die Richter des obersten belgischen Gerichts, des Kassationshofes, ihre Arbeit nieder. Fast alle Richter im Generalgouvernement folgten diesem Beispiel, so dass die belgische Rechtsprechung hier bis zur Befreiung im November  1918 fast vollständig zum Erliegen kam.75 Diese Eskalation war weder von den deutschen noch den belgischen Behörden beabsichtigt worden, doch alle Vermittlungsversuche scheiterten letztlich an der unnachgiebigen Haltung Falkenhausens.76 Deutsche Gerichte mussten nun an die Stelle der belgischen treten. Ein Ergebnis, das weder im Interesse der unter Personalnot leidenden Besatzungsverwaltung noch der im Lande verbliebenen belgischen Behörden war, die einen weiteren Bereich staatlichen Handelns aus der Hand gaben. Pläne, an die Stelle der belgischen Gerichte flämische treten zu lassen, wurden nicht mehr verwirklicht. Mindestens ebenso belastend wie der Widerstand in Belgien war für die aktivistische Bewegung die mangelnde Unterstützung aus Berlin. Am 25. Februar 1918 thematisierte Hertling in einer Rede, die vor allem eine Antwort auf Wilsons 14-Punkteprogramm war, »unsere Stellung gegenüber Belgien«. Er hob hervor, dass Deutschland nicht die Absicht habe, »Belgien zu behalten oder den belgischen Staat zu einem Bestandteil des Deutschen Reiches zu machen«. Man wolle mit Belgien »wieder in Frieden und Freundschaft« leben, auch wenn verhindert werden müsse, dass das Land zu einem feindlichen Aufmarschgebiet würde. Ausdrücklich erklärte sich Hertling zu Verhandlungen mit der belgischen Exilregierung in Le Havre bereit.77 Der Kanzler erteilte also Annexionen eine klare Absage und sprach zu einem Zeitpunkt vom belgischen Staat, als dessen Demontage seit beinahe einem Jahr in vollem Gange war. Am schmerzhaftesten für die Aktivisten war jedoch, dass der Kanzler sie mit keinem Wort erwähnte, während er sich an die Regierung in Le Havre als legitime Vertretung Belgiens wandte, jene Regierung, die ihnen mit schweren Strafen drohte. Die 74 Verwaltungschef für Flandern, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar bis Juli 1918, S. 69. 75 Ebd., S. 68–70. 76 Vanacker, Avontuur, S. 286; Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N 21/2, S. 301 f. In seinen Erinnerungen bezeichnete Falkenhausen den Richterstreik als das »hochpolitische Attentat der belgischen Richter gegen die besetzende Macht«. 77 Rede Reichskanzler Hertlings, 133. Sitzung des Reichstags am Montag, den 25. Februar 1918, Reichstag Bd. 311, S. 4140.

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Wut unter den Aktivisten war entsprechend groß und einige forderten sogar die Auflösung des Rates von Flandern. Der prominente Aktivist Hippoliet Meert erklärte seinen Rücktritt und bezeichnete die Rede des Reichskanzlers als den »schändlichsten, schnödesten Verrat, der je an einem germanischen Stamm begangen wurde, und der Beweis, dass wir nur als Spielzeug benutzt wurden«.78 Am 7. März 1918 empfing der Generalgouverneur die Aktivisten, um diese zu beruhigen. Er versicherte ihnen, dass der Reichskanzler genauso wie er selbst weiterhin zur Erklärung Bethmann Hollwegs vom 3. März 1917 stünde. Falkenhausen warnte jedoch auch vor überzogenen Forderungen. Die Bedingungen der flämischen Selbständigkeit könnten erst bei Friedensverhandlungen festgelegt werden. Die Flamen müssten hierbei selbst aktiv werden.79 Diese beruhigenden Worte wurden allerdings durch einen Artikel der »Frankfurter Zeitung« konterkariert, der die Ansprache des Generalgouverneurs als »Mahnung« an die Aktivisten interpretierte, die doch zunächst einmal die flämische Bevölkerung für ihre Ziele gewinnen sollten. Der Kommentar räumte mit allen Illusionen über die Bedeutung der aktivistischen Bewegung auf und wies darauf hin, dass die Mehrheit der flämischen Bevölkerung jegliche politische Betätigung während des Kriegs ablehne. Der Rat sei auch »nicht aus wirklichen Wahlen hervorgegangen, sondern aus öffentlichen Versammlungen, die teilweise auf starken Widerstand der übrigen Bevölkerung gestoßen« seien. Die Zeitung forderte Klarheit über die Ziele der Flamenpolitik und dass Reichsleitung und Reichstag gemeinsam Richtlinien für die Zukunft aufstellen sollten.80 Der Kommentar der international rezipierten Zeitung war eine weitere Ohrfeige für die Aktivisten, die sich ja erst auf Drängen der deutschen Besatzungsverwaltung öffentlich exponiert und damit in Gefahr gebracht hatten. In einer Antwort an den Generalgouverneur reagierte der Rat von Flandern, der sich nach dem Rückzug vieler gemäßigter Aktivisten nun überwiegend aus radikalen Jungflamen zusammensetzte, auch auf den Artikel der Frankfurter Zeitung. Die Aktivisten widersprachen der Ansicht, dass nur eine Vergrößerung ihrer Anhängerschaft die Grundlage für eine deutsche Anerkennung der flämischen 78 Verwaltungschef für Flandern, Verwaltungsbericht für das Halbjahr Februar bis Juli 1918, S. 8; Zitat Meerts nach: Vanacker, Avontuur, S. 286. »De rede van de kanselier is het schandelijkste en schnoodste verraad, dat ooit aan een Germaanschen Volksstam gepleegd werd en het bewijs, dat wij eenvoudig als speeltuig gebruikt geworden zijn.« Meert trat allerdings bereits am 9. März wieder von seinem Rücktritt zurück. Protokoll der allgemeinen Sitzung des Rates von Flandern. Brüssel, 9. März 1918, ARA / AGR, I 530 – 18, S. 1. 79 Ansprache des Generalgouverneurs in Belgien Falkenhausen an den Rat von Flandern, Brüssel, 7. März 1918, PA AA, R 4494, S. 95 f. 80 Frankfurter Zeitung (Abendausgabe)  vom 8. März 1918; Dies war nicht der einzige Fall. Empört kommentierte die aktivistische Presse etwa ein Interview mit dem Historiker Hans Delbrück, in dem dieser der Rede Hertlings zugestimmt und eine Zerschlagung Belgiens schon deshalb unmöglich genannt hatte, weil die Stadt Brüssel nicht geteilt werden könne. Delbrück über Belgien, Frankfurter Zeitung (Erste Morgenausgabe) vom 5. März 1918; Een Terechtzetting, Gazet van Brussel vom 12. März 1918; Bij een verklaring van Prof. Dr. H. Delbrück, Het Vlaamsche Nieuws vom 13. März 1918.

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Selbständigkeit sein könne, denn der Aktivismus sei von Deutschland in wohlverstandenem Eigeninteresse gefördert worden. Der Rat sei ebenso wie die deutsche Verwaltung der Meinung, dass nur »die politische Trennung mit eigener Regierung, eigener und selbständiger Gesetzgebung, ausführender und richterlicher Gewalt« Grundlage für die freie Entwicklung des flämischen Volks sein könne. Die Erklärung der Selbständigkeit sei in diesem Sinne politisch und nicht nur programmatisch abgegeben worden.81 Unterstützung fanden die Aktivisten bei der politischen Rechten in Deutschland. So erschien in der »Deutschen Tageszeitung« vom 22. März 1918 ein Artikel aus der Hand Ernst Graf von Reventlows, der die Politische Abteilung in Brüssel für die kritischen Artikel der »Frankfurter Zeitung« verantwortlich machte. Deren Mitinhaber Kurt Simon leite schließlich die Nachrichtenzentrale der Politischen Abteilung, es sei daher unwahrscheinlich, dass die Berichterstattung ohne sein Wissen erschienen sei.82 Diese Vorwürfe wurden auch im Rat von Flandern aufgegriffen.83 Die Gegensätze zwischen der in Belgien geführten Flamenpolitik und den vom Reichskanzler verfolgten Absichten wurden nach der Reichstagsrede vom 25. Februar 1918 unübersehbar. Während im Generalgouvernement der Konflikt mit den belgischen Behörden eskalierte, nachdem die Aktivisten den »Staat Flandern« ausgerufen und die belgische Regierung für abgesetzt erklärt hatten, sandte Hertling öffentlich versöhnliche Signale an diese Regierung. In dem halben Jahr zwischen dem Rücktritt Bethmann Hollwegs im Juli 1917 und der Konstituierung des zweiten Rats von Flandern im März 1918 ent­wickelte sich der Aktivismus endgültig zur separatistischen flämischen Nationalbewegung. Während die Verwaltungstrennung den belgischen Staat zumindest der Form halber bestehen lassen hatte, konnte es nach der Selbständigkeitserklärung keinen Zweifel mehr daran geben, dass dieser beseitigt werden und an seine Stelle ein »Staat Flandern« treten sollte. Am 29. März 1918 beschloss der Rat von Flandern mit 44 zu 24 Stimmen, bei zwei Enthaltungen, dass der Name »Belgien« verschwinden müsse.84 Diese Radikalisierung ist vor dem Hintergrund der mit den »Wahlen« zum Rat von Flandern beginnenden Reaktion des belgischen Staates und der Bevölkerung zu betrachten. Die Festnahme von Borms und Tack auf Anweisung des Brüsseler Appellationshofes machte den Aktivisten unmissverständlich klar, was sie von einem wiederhergestellten Belgien zu erwarten hatten. Die Aus81 Antwort (Übersetzung) des Rates von Flandern auf die von Generalgouverneur Falkenhausen am 7. März 1918 gehaltene Rede. Brüssel, 25. März 1918, BArch, R 1501/119393, S. 277. 82 Der Mitinhaber der »Frankfurter Zeitung«, Kurt Simon, war bei der Politischen Abteilung für die Organisation des gesamten Korrespondenzdienstes verantwortlich. Personal- und Geschäftsübersicht der dem Generalgouverneur in Belgien direkt unterstellten Zivilbehörden, Brüssel 1917, S.51. 83 Emiel Van Bergen auf der Sitzung des Rates von Flandern (Algemeene Vergadering), Brüssel 25. Juli. 1918, ARA / AGR, I 530 –20, S. III/2-IV/1. 84 Vrints, Stad, S. 177.

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schreitungen gegen aktivistische Veranstaltungen führten ihnen zudem ihre Abhängigkeit vom Schutz der Besatzungsmacht vor Augen. Wie der Historiker Wils es ausdrückte: Nicht nur die Ergebnisse ihrer Arbeit, auch ihr Leben hing vom deutschen Sieg und der Vernichtung Belgiens ab.85 Ermöglicht wurde diese Radikalisierung durch die Hinwendung des Generalgouverneurs zur OHL, der mit dieser das Ziel verfolgte, die Flamenpolitik zur Verhinderung eines »Verzichtfriedens« zu benutzen. Die Aktivisten waren vom Werkzeug der Reichsleitung zum Werkzeug der Militärs geworden.86

85 Wils, Flamenpolitik, S. 224. 86 Ebd., S. 223.

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8. Die Flamenpolitik als militärischer Faktor – Flämische Frontbewegung und deutsche Propaganda

Der »Gründungsmythos«1 des flämischen Nationalismus beruhte und beruht bis heute auf der Geschichte der unterdrückten flämischen Soldaten, die sich gegen ihre frankophonen belgischen Offiziere wehren mussten und deren Leiden an der Front die flämisch-nationalistischen Forderungen legitimierten. »Hier unser Blut, wann unser Recht?«, lautete nach dem Ersten Weltkrieg die Losung der alljährlichen flämisch-nationalistischen Wallfahrt, der »Ijzerbedevaart«, an die ehemaligen Schlachtfelder in Westflandern. Frontbewegung2 und Aktivismus wurden in diesem Narrativ als zwei unabhängig voneinander entstandene Phänomene beschrieben, die nach dem Krieg gemeinsam den flämischen Nationalismus prägten.3 Dieser Darstellung wurde vor allem von belgisch-nationalistischen Gruppen widersprochen, die ein politisches Interesse daran hatten, einen Zusammenhang zwischen Aktivismus und Frontbewegung herzustellen, um so den aufstrebenden flämischen Nationalismus zu bekämpfen.4 Im Folgenden soll das Verhältnis zwischen Flamenpolitik, Aktivismus und Frontbewegung während des Ersten Weltkriegs beleuchtet werden, das in der Debatte um die Entstehung des flämischen Nationalismus ein zentrales Thema war.

a) Die belgische Armee vor 1914 und zu Beginn des Krieges Die Entstehung der Frontbewegung ist nur aus den in der belgischen Armee vor und während des Ersten Weltkriegs herrschenden Bedingungen zu verstehen. Die Armee befand sich 1914 in einer Phase der Reorganisation. Bis 1909 wurden die Rekruten nach einem Lossystem eingezogen. Die ausgelosten Männer konnten sich durch die Stellung eines Ersatzmannes vom Militärdienst befreien, 1 Wever, Greep, S. 26–30. 2 Der Begriff »Frontbewegung« wurde während des Kriegs wenig benutzt. Sowohl in den flämischen als auch in den deutschen Quellen ist häufig von der »Frontpartei« die Rede. Um eine Verwechslung mit der 1919 entstandenen politischen Partei zu vermeiden, wird in der Literatur der Begriff »Frontbewegung« verwendet, wenn die politische Organisation der flämischen Soldaten bis 1918 gemeint ist. Vanacker, Frontbeweging, S. 426. 3 Elias Bd. 1, S. 103. 4 In diesem Zusammenhang wurden viele Quellen veröffentlicht, die teilweise aus deutschen Archiven gestohlen worden waren. Die bekanntesten dieser Quellensammlungen sind: Wullus und Dejongh.

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weshalb die einfachen Soldaten ganz überwiegend aus den unteren Schichten der Gesellschaft stammten. Versuche, dieses System durch eine allgemeine Wehrpflicht zu ersetzen, stießen auf hartnäckigen Widerstand im katholischen Milieu, wo die Armee als Hort des Lasters galt. Die katholische Partei, die immerhin seit 1884 die Regierung stellte, blockierte jeden Versuch, die Armee zu vergrößern. Diese Haltung änderte sich erst unter dem Eindruck der zunehmenden internationalen Spannungen. Ab 1909 wurde zunächst ein Sohn pro Familie rekrutiert, bevor 1913 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. Die katholische Ablehnung der Armee trug wesentlich dazu bei, dass sich das Offizierskorps überwiegend aus dem frankophonen liberalen Milieu rekrutierte. Diese frankophone Dominanz in der militärischen Führungsschicht war schon im 19. Jahrhundert kritisiert worden,5 aber da unter dem Lossystem die meisten Rekruten arme Teufel waren, erschien sie als ein wenig dringliches Problem. Die Soldaten waren vielfach Analphabeten und schnappten kaum mehr als das eine oder andere französische Wort der Kommandosprache auf.6 Erst die Vergrößerung der Rekrutierungsbasis machte die Sache zum Politikum. Nun kamen auch Söhne aus dem Mittelstand mit der Armee in Berührung, und aus diesem stammte die große Mehrheit der Flämischen Bewegung.7 Eine Kampagne für die Durchsetzung der Zweisprachigkeit im Militär führte bereits am 2. Juli 1913 zur Verabschiedung eines Gesetzes über die Sprachenverhältnisse in der Armee. Es sah u. a. vor, dass sich die Offiziere mit den Rekruten in einer von diesen beherrschten Sprache verständigen mussten und neben den frankophonen auch niederländischsprachige Offizierslehrgänge eingeführt wurden. Diese Regelungen trafen allerdings auf eine Verzögerungs- und Verschleppungstaktik bei Offizieren und beteiligten Behörden, wie sie in Belgien im Umgang mit der Sprachenfrage auch in anderen Bereichen typisch war.8 Vielen Flaminganten gingen die Reformen außerdem nicht weit genug. Bereits bei der Verabschiedung der allgemeinen Wehrpflicht hatten die Abgeordneten Frans Van Cauwelaert und Alfons Van de Perre die Einführung einsprachiger Regimenter gefordert; eine Forderung, die während des Kriegs an Aktualität gewinnen sollte.9   Der deutsche Überfall im August 1914 fiel also in eine Zeit der Umstrukturierung des belgischen Heeres und verhinderte die Ausführung vieler beschlossener Veränderungen. Dies betraf nicht nur die Sprachenfrage. Aufgrund der späten Einführung der Wehrpflicht standen verhältnismäßig wenige Soldaten zur Verfügung, die zudem schlecht ausgerüstet waren. Vor diesem Hintergrund ist der zähe Widerstand, den die Truppen der deutschen Invasion leisteten, durch5 Boijen, Leger, S. 1830. 6 Vanacker, Frontbeweging, S. 14; Analphabetismus war in Belgien zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch weit verbreitet. Der letzten Volkszählung vor dem Krieg (1910) zufolge waren etwa 13 % der Erwachsenen Analphabeten, die allgemeine Schulpflicht wurde erst 1914 eingeführt. Goffinet u. Damme, S. 7. 7 Zur Sozialstruktur der Flämischen Bewegung: Wever u. a. 8 Dolderer, Imperialismus, S. 11; Wils, Messias, S. 51. 9 Boijen, Leger, S. 1820–1824.  

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aus bemerkenswert. Die Kämpfe von August bis Oktober 1914 führten beinahe zur Zerschlagung der Armee, die sich nach dem Fall der Festung Antwerpen nur mit Glück hinter den Fluss Yser in Westflandern zurückziehen konnte. Diese Stellung konnten die Belgier im November 1914 halten, nachdem das Gebiet geflutet worden war. Im Anschluss kam es an dem von der belgischen Armee gehaltenen Abschnitt der Flandernfront bis 1918 nur zu wenigen schweren Kampfhandlungen. Dennoch starben viele Soldaten, denn die Überschwemmung machte die Gegend zwar für einen Infanterieangriff ungeeignet, sorgte allerdings für katastrophale hygienische Bedingungen. Ihr bekanntestes Opfer wurde der belgische Stabschef, Félix Wielemans, der am 5. Januar 1917 einer Lungenentzündung erlag, die er sich in den Schützengräben zugezogen hatte.10 Die große Mehrheit der Soldaten, die 1914 zu den Waffen gerufen wurde, stammte noch aus der Zeit des Lossystems. Zu ihnen stießen die Wehrpflichtigen der Jahre 1909 bis 1914 sowie Freiwillige und Wehrpflichtige, die während des Kriegs aus dem unbesetzten Teil Belgiens und vor allem aus der großen Anzahl der Flüchtlinge rekrutiert wurden.11 An der Yser-Front in Westflandern kämpften von 1914 bis 1918 sechs belgische Infanteriedivisionen sowie eine Kavalleriedivision, deren insgesamt 320.000 Soldaten überwiegend aus Flandern stammten. Für dieses Übergewicht waren neben der Tatsache, dass die Flamen mit 57 % die Bevölkerungsmehrheit in Belgien stellten, mehrere geographische und soziale Faktoren verantwortlich: Der kleine noch von belgischen Truppen gehaltene Teil Belgiens hatte eine flämische Bevölkerung, außerdem befanden sich bei Kriegsbeginn tausende flämische Erntehelfer in Frankreich. Flamen stellten die Mehrheit der ins Ausland geflohenen Belgier, weil die an Deutschland grenzenden wallonischen Provinzen sehr schnell erobert worden waren und auch während des Kriegs die Flucht aus den flämischen Provinzen einfacher war. Der einfachste Weg das Land zu verlassen führte, trotz des ab April 1915 installierten Hochspannungszauns, in die neutralen Niederlande.12 In den Kampftruppen waren flämische Soldaten noch stärker überrepräsentiert, als dies in der Armee ohnehin schon der Fall war. Hingegen war ihr Anteil im Offizierskorps gering. Hierfür war, wie bereits erwähnt, einmal die soziale Herkunft der meisten flämischen Soldaten verantwortlich, aber auch die französische Kommandosprache, die den Aufstieg in der Hierarchie erschwerte. Hinzu kam, dass viele flämische Soldaten dem katholischen Milieu entstammten, das der Armee ablehnend gegenübergestanden hatte. Viele Offiziere kamen hingegen aus dem liberalen Bürgertum, das sich an republikanischen Werten orientierte und zudem überwiegend frankophon war. Der Sprachenkonflikt überlagerte sich in der Armee also auch mit dem politischen Gegensatz zwischen 10 Von etwa 328.000 belgischen Sodaten starben etwa 40.000 (12,2 %), ca. 14.000 (35 %) davon starben an Krankheiten. Simoens; Majerus, War Losses. 11 620.000 Belgier hielten sich während des Kriegs außer Landes auf, das entspricht etwa 8 % der damaligen Bevölkerung. Vanacker, Frontbeweging, S. 33. 12 Vanacker, De mythe van de 80 %, S. 105–108.

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Liberalen und Katholiken, der Belgien seit seiner Gründung prägte. Zum scharfen Klassengegensatz zwischen einfachen Soldaten und Offizieren, wie er in allen Armeen des Ersten Weltkriegs bestand, kam im belgischen Heer also noch ein kulturell-religiöser Aspekt. Die Tatsache, dass die meisten Offiziere sowie die Mehrzahl der Militärpolizisten und Artilleriesoldaten frankophon waren, benachteiligte hierbei weniger die einfachen aus den Unterschichten stammenden Soldaten als vielmehr die aus der Mittelschicht stammenden, meist katholischen flämischen Intellektuellen. Diese hatten mit der Herablassung ihrer Vorgesetzten zu kämpfen und wurden bei Beförderungen häufig zugunsten frankophoner Soldaten übergangen. In den Schützengräben waren sie viel unmittelbarer und existentieller mit einem frankophon dominierten Staat konfrontiert, als dies etwa an den Universitäten oder in ihren Heimatgemeinden der Fall gewesen war. Die Diskriminierung erzwang zudem die Gemeinschaft mit den Soldaten aus den unteren Klassen, von denen man sich zuvor vielfach bewusst abgegrenzt hatte. Diese Situation wurde durchaus auch als Chance begriffen. Der Kaplan Cyriel Verschaeve, dessen Gemeinde im unbesetzten Westflandern ein wichtiger Anlaufpunkt für flämische Frontsoldaten war, verfasste im Mai 1916 die programmatische Schrift »Was die flämischen Studenten tun können« (ndl. »Wat de Vlaamse studenten kunnen doen«). In der Armee standen sie in täglichem Kontakt mit Männern aus dem Volk. Diese einzigartige Gelegenheit, so Verschaeve, mussten die jungen Akademiker ergreifen, um sie zu guten Flaminganten zu bekehren.13 Diese Hinwendung zum »Volk« trug möglicherweise dazu bei, dass der Konflikt der einfachen Soldaten mit dem durch die Offiziere repräsentierten Staat, der in Russland oder in Deutschland maßgeblich die sozialen Revolutionen hervorbrachte, sich in Belgien vor allem nationalistisch äußerte. Die flämische Frontbewegung wurde von Söhnen aus dem Mittelstand geführt, es gelang ihr jedoch auch proletarische oder subproletarische Soldaten anzusprechen, die der Sprachenfrage bis dahin gleichgültig gegenübergestanden oder eher zur Arbeiterbewegung tendiert hatten.

b) Frontbewegung Die belgische Front hatte sich im Winter 1914 stabilisiert und blieb bis 1918 weitgehend unverändert, wodurch die Entwicklung eines regen Soziallebens begünstigt wurde. Unter den flämischen Soldaten entstand eine vorrangig katholisch-sittliche Bewegung, die vor allem von Feldgeistlichen und Sanitätern getragen wurde, die im Zivilleben Seminaristen, Lehrer, Ärzte oder Studenten waren. Sie organisierten Gebets- und Lesekreise, die ein Gegengewicht zum als verderblich und demoralisierend empfundenen Soldatenleben bilden sollten. Bald erschienen auch zahlreiche kleine flämische Frontzeitungen. Die meist dezidiert 13 Wever u. a., S. 231–236; Vanacker, Frontbeweging, S. 412.

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Abb. 6: Im Gegensatz zu den Soldaten anderer Armeen konnten die Belgier keinen Heimaturlaub machen. Die oft lokal geprägten »frontblaadjes« boten in dieser Situation ein wenig Trost.

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katholischen »frontblaadjes« waren ein wichtiges Kommunikationsmedium. Sie richteten sich oft an die Soldaten aus einer bestimmten Gegend und versorgten diese mit Neuigkeiten von der Front und aus der besetzten Heimat.14 Ab Januar 1915 erschien im Badeort De Panne, im unbesetzten Westflandern die Zeitung »De Belgische Standaard«, die sich zum wichtigen Sprachrohr flämischer katholischer Intellektueller entwickelte.15 Sie vertrat vor allem gemäßigte Positionen und wurde maßgeblich von der Mäzenatin Maria Belpaire finanziert.16 Aus diesen organisatorischen Anfängen entstand die Frontbewegung, die zunächst die Situation der flämischen Soldaten verbessern wollte. An erster Stelle wurde die Umsetzung der geltenden Sprachengesetze gefordert, die das überwiegend frankophone Offizierskorps weitgehend ignorierte. Die französische Befehlssprache, so lautete ein häufiger Vorwurf, gefährde das Leben flämischer Soldaten, die in einer fremden Sprache in den Tod geführt würden. Wie berechtigt diese dramatische Anklage war, ist schwer zu sagen. Tatsache ist, dass Soldaten eine Disziplinarstrafe riskierten, wenn sie gegenüber Offizieren Niederländisch sprachen. Wer beim Appell mit »aanwezig!« anstelle »présent« antwortete, galt als Provokateur.17 Manche Offiziere waren durchaus bereit, mit einfachen Soldaten einige Worte »Vlaamsch« zu radebrechen, wenn diese des Französischen nicht mächtig waren. Die Forderung gebildeter Soldaten nach niederländischen Befehlen betrachteten sie hingegen als Ungehorsam, da diese ja in der Lage waren, Französisch zu sprechen.18   Die Kritik an den Zuständen in der Armee wurde zunehmend auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse ausgedehnt. So wurde beispielsweise eine offizielle Absichtserklärung gefordert, nach dem Krieg eine Flämische Hochschule einzurichten. Die Weigerung der belgischen Exilregierung, hierauf einzugehen, trug, ebenso wie Nachrichten über die aktivistische Bewegung im Besatzungsgebiet, zu einer Radikalisierung der Frontbewegung bei. In dieser Entwicklung spielte die im Februar  1915 im niederländischen Exil gegründete Zeitschrift »De Vlaamsche Stem« eine wichtige Rolle. Diese vertrat zunächst einen loyalbelgischen Standpunkt und gemäßigte Forderungen der flämischen Bewegung, wobei sie sich explizit von der jungflämischen »De Vlaamsche Post« abgrenzte. Finanzielle Schwierigkeiten des Herausgebers ermöglichten es der deutschen Gesandtschaft in Den Haag, über einen niederländischen Mittelsmann Einfluss auf die redaktionelle Linie des Blattes zu nehmen.19 Hierbei ging man so vorsichtig zu Werke, dass die Zeitung noch bis in den Sommer 1915 auch von gemäßig14 Schepens u. Vandeweyer; Schaepdrijver, Oorlog, S. 193. 15 Vandeweyer, Standaard. 16 Belpaire entstammte einer Familie von Waffenindustriellen und engagierte sich bereits im 19. Jahrhundert in der Flämischen Bewegung und für die universitäre Frauenbildung. Ein Konflikt mit Kardinal Mercier hatte der tief katholischen Belpaire den Beinamen »Mutter der Flämischen Bewegung« eingebracht. Christens. 17 Vanacker, Frontbeweging, S. 191–194, 311. 18 Ebd., S. 72. 19 Zu »De Vlaamsche Stem« siehe auch S. 60 in dieser Arbeit.

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ten Flamen als Forum genutzt wurde. Zu ihnen gehörte Frans Van Cauwelaert, der während des Kriegs zur Galionsfigur der loyal-belgischen flämischen Bewegung, der sogenannten Passivisten, wurde. Dieser prangerte noch am 11. Juli 1915 in »De Vlaamsche Stem« die Zustände in der belgischen Armee an. Er wiederholte in diesem Zusammenhang die Vorkriegsforderung nach der Einrichtung getrennter flämischer und wallonischer Einheiten. Van Cauwelaert und die Mehrheit der Redakteure verließen »De Vlaamsche Stem« allerdings, nachdem in einem redaktionellen Beitrag Selbstverwaltung für Flandern sowie die Einführung der Verwaltungstrennung gefordert worden waren. Antoon Jacob und René De Clercq leiteten die Redaktion nun alleine.20 Trotz dieses Konflikts war es den Deutschen gelungen, ein Medium zu etablieren, das glaubwürdiger als »De Vlaamsche Post« radikale Positionen vertrat, die auch an der Front rezipiert wurden.21 Als Jacob und De Clercq von der belgischen Regierung bestraft wurden, empfanden dies auch viele Flamen als ungerecht, die ihre Positionen nicht teilten. Hierbei wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass sich auch die frankophone Presse nicht an den belgischen Burgfrieden hielte, insbesondere der vom belgischen Ministerpräsidenten unterstützte »Le XXme Siècle«. Vor allem die Bestrafung De Clercqs durch die belgische Regierung wurde als unangemessen empfunden und sorgte für Empörung.22 Diese Entwicklungen wurden auf deutscher Seite aufmerksam verfolgt. Der Gesandte in den Niederlanden berichtete über Anzeichen von Unzufriedenheit flämischer Soldaten in der belgischen Armee.23 Zwar wurde »De Vlaamsche Stem« Ende Januar 1916 eingestellt, aber mittlerweile berichteten auch andere flämische Exilzeitungen über Missstände an der Front.24   Die von verschiedenen Seiten an die belgische Regierung herangetragenen Beschwerden flämischer Soldaten sorgten dafür, dass diese Handlungsbedarf sah. Anfang Januar 1916 ließ Ministerpräsident de Broqueville einen ersten Erlass publizieren, der sich mit der Verwendung des Niederländischen durch die Offiziere beschäftigte. Diese eher halbherzige Maßnahme war allerdings nicht dazu angetan, die Radikalisierung der flämischen Soldaten zu bremsen, zumal die deutsche Flamenpolitik gerade in eine neue Phase eintrat. Am Neujahrstag hatte Generalgouverneur Bissing angekündigt, die Universität Gent in eine Flämische Hochschule umzuwandeln und damit eine zentrale Forderung der Flämischen Bewegung zu erfüllen.25 Dieser Schritt änderte auch die Atmosphäre an der Front. Verschaeves im Mai 1916 verfasster Aufruf »Was die flämischen Studenten tun können« war das Startsignal für den Beginn einer 20 Wils, Flamenpolitik, S. 121–124. 21 Vanacker, Frontbeweging, S. 51–53. 22 De Clercq und Jacob wurden am 5. Oktober 1915 per Königlichem Erlass aus dem Staatsdienst entfernt. Vanacker, Frontbeweging, S. 56. 23 Der Gesandte in den Niederlanden Kühlmann an Reichskanzler Bethmann Hollweg, Den Haag, 4. November 1915, PA AA, R 4486, S. 194 f. 24 Wils, Onverfranst, S. 174–176. 25 Vanacker, Frontbeweging, S. 67 f.

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flämischen Studentenbewegung an der Yser-Front, die durch Berichte über die unter deutscher Besatzung entstehende Flämische Hochschule weitere Impulse erhielt.26 Angriffe der frankophonen Presse auf Persönlichkeiten, die sich an der Umwandlung der Universität Gent beteiligten, wurden als anmaßend empfunden.27 Deutliches Zeichen für ein verändertes Selbstverständnis der flämischen Frontsoldaten war auch die sogenannte »Heldenhulde«. Diese Organisation kennzeichnete seit August 1916 die Gräber flämischer Gefallener mit eigenen Grabsteinen, nachdem Klagen über einsprachig französische Inschriften schon im Herbst 1915 in der Exilpresse laut geworden waren.28 Die von »Heldenhulde« aufgestellten Steine unterschieden sich deutlich von den offiziellen. Sie hatten die Form keltischer Kreuze, in deren Balken die Aufschrift »AVV – VVK« stand, die Anfangsbuchstaben der Parole: »Alles für Flandern, Flandern für Christus« (ndl. »Alles voor Vlaanderen – Vlaanderen voor Kristus«). Unter der Aufschrift war ein stilisierter Seevogel angebracht, der »Blauwvoet«, ein Symbol der katholischen flämischen Studentenbewegung.29 Die »Heldenhulde« ging aus den katholischen Studienzirkeln an der Front hervor, so dass zunächst vor allem die Gräber von Studenten »Heldenhulde«-Grabsteine trugen. Während des Krieges wurden etwa 1.000 dieser Grabsteine aufgestellt.30 Im Herbst  1916 kam es zu einer zunehmenden Koordination der unterschiedlichen Aktivitäten und zum Versuch, eine das gesamte belgische Heer umfassende Organisation flämischer Frontsoldaten aufzubauen, also das, was schließlich als Frontbewegung bekannt werden sollte. Ab September 1916 fungierte die Zeitung »Ons Vaderland« faktisch als ihr Sprachrohr. Die belgische Heeresführung reagierte repressiv auf diese Entwicklung, in der sie eine Untergrabung der militärischen Disziplin sah. Ein Erlass des neuen Chefs des belgischen Generalstabs, Louis-Hubert Ruquoy, verbot am 11. Februar 1917 alle inoffiziellen Organisationen in der Armee, was sich vor allem gegen die flämischen Studienkreise richtete. Ab Mai 1917 wurden auch die flämischen Frontblättchen der Militärzensur unterworfen.31 Das Vorgehen der belgischen Militärpolizei (frz. »Sûreté militaire«) drängte die Frontbewegung Anfang 1917 in den Untergrund und zwang sie, sich straffer zu organisieren. Dabei orientierte sie sich an der Struktur des Heeres und erstreckte sich teilweise bis auf die Ebene der

26 Ebd., S. 412; Wils, Onverfranst, S. 176. 27 Wils, Flamenpolitik, S. 171. 28 Wils, Onverfranst, S. 174. 29 Der Entwurf stammte von dem Soldaten Joe English, der Sohn eines irischen Vaters war und wahrscheinlich deswegen die für einen belgischen Kontext ungewöhnliche Form wählte. Keltenkreuze markierten die Gräber frühchristlicher Märtyrer, auch eine Verbindung mit dem ebenfalls stark religiös geprägten irischen Nationalismus ist möglich. Shelby, Nationalism, S. 4, 94 f. 30 Boudrez. 31 Wils, Onverfranst, S. 248.

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Züge (ndl. und frz. »pelotons«).32 An ihrer Spitze stand der »Ruwaard«,33 eine Funktion, die Adiel Debeuckelaere innehatte und dem zwei Sekretäre zur Seite standen. Im sogenannten Heeresausschuss (ndl. »Legervergadering«) kamen Vertreter der verschiedenen Divisionen zusammen.34 Trotz ihrer klandestinen Form begab sich die Frontbewegung zunächst nicht in Fundamentalopposition zur belgischen Regierung. Während des gesamten Kriegs bestanden Kontakte zu flämischen Politikern der katholischen Partei und damit auch bis in die Exilregierung hinein, die ja mehrheitlich aus Katholiken bestand. Zu den neuen Aktionsformen gehörten die sogenannten »Vliegtochten« (dt. »Flugreisen«), bei denen nachts Flugblätter verteilt und Mauern und Straßen mit Parolen versehen wurden. Die deutsche Flamenpolitik und der flämische Aktivismus im Besatzungsgebiet spielten für diese Radikalisierung eine wichtige Rolle. Sie fungierten in der Auseinandersetzung mit der Regierung immer als Bezugspunkt, denn die Soldaten verlangten ja »nur«, was sogar die Deutschen im Besatzungsgebiet bereits gewährt hatten. Auf der anderen Seite wurden diese Forderungen von der Militärführung und Regierung unter Verweis auf den Aktivismus als staatsgefährdend deklariert. Diese Dynamik lässt sich gut am Beispiel des ersten »offenen Briefes« illustrieren, den die Frontbewegung anlässlich des flämischen Feiertags der Schlacht der Goldenen Sporen am 11. Juli 1917 an den König richtete. Diese Flugschrift, die an der gesamten Front verbreitet wurde, stellte die Klagen über die Situation in der Armee bereits in einen internationalen Kontext. Alle Welt spreche über das Selbstbestimmungsrecht der Polen, Iren und Finnen und selbst die den Flamen feindliche Presse sei dafür. Es sei normal, dass man für das Führen kongolesischer Truppen Kongolesisch lernen müsse, aber man könne in Belgien General werden ohne Niederländisch zu sprechen, während man bereits von einem flämischen Unteroffizier ausreichende Französischkenntnisse fordere. Auch das Verbot der Studienkreise sowie die verschärfte Zensur wurden angesprochen. Während der Vorwurf, pro-deutsch zu sein, empört zurückgewiesen wurde, ging man ausführlich auf den Aktivismus ein. Die Weigerung der belgischen Regierung, die Einrichtung einer Flämischen Hochschule zuzusagen, sei schuld daran, dass diese von den Deutschen gegründet werden konnte. Es sei richtig gewesen, dass die Aktivisten die Hochschule akzeptiert hätten, da es sich um ein Lebensrecht des flämischen Volks gehandelt habe. Die Autoren distanzierten sich vom Auftreten des Ra32 Vanacker, Frontbeweging, S. 350. 33 »Ruwaard« war eine mittelalterliche Bezeichnung für einen Herrscher, der anstelle des eigentlich rechtmäßigen regierte, wenn dieser beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, sein Amt wahrzunehmen. Das bekannteste Beispiel, an dem sich die Frontbewegung wahrscheinlich orientierte, ist allerdings Wilhelm von Oranien, der anstelle des spanischen Königs Philipp II. zum »Ruwaard« von Brabant erklärt wurde, da dieser als moralisch »unfähig« betrachtet wurde, das Land weiterhin zu regieren. Jan Wagenaar verglich in diesem Zusammenhang die Funktion des Ruwaards mit der eines Diktators im alten Rom. Wagenaar, S. 171. 34 Vanacker, Frontbeweging, S. 165.

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tes von Flandern in Berlin, schrieben aber zugleich, niemanden verurteilen zu wollen, der sich nun nicht verteidigen könne. Der Regierung wurde das Recht abgesprochen, die Aktivisten zu verurteilen, da sie die Flamen 85 Jahre lang betrogen habe. Man werde vor der eigenen Tür kehren.35 Bereits dieser erste Brief zeigt, dass die Soldaten der Frontbewegung sich intensiv mit den Vorgängen im Besatzungsgebiet beschäftigten, wobei sie die Perspektive der Aktivisten übernahmen und sich weitgehend mit diesen identifizierten. Eine Antwort des Königs blieb aus, an seiner Stelle antwortete die Armeeführung mit verschärfter Repression – höchstwahrscheinlich auf Initiative Alberts selbst. Wie wenig Regierung und Armeeführung bereit waren, auf Forderungen nach einer Gleichbehandlung des Niederländischen einzugehen, illustriert der Umgang mit einer Anfrage des Parlamentariers Van de Perre. Er wies den Kriegsminister am 15. September 1917 auf die Bestrafung flämischer Soldaten hin, die sich geweigert hatten einsprachig französische Dokumente zu unterschreiben, die nach belgischem Recht zweisprachig sein mussten. Der Minister stritt die Vorfälle nicht ab und antwortete, dass Flamen, die des Französischen mächtig seien, zu Recht bestraft würden, wenn sie sich weigerten, einsprachig französische Dokumente zu verwenden.36 Dass in dieser Lage die deutsche Flamenpolitik vielen Soldaten als attraktiv erschien, kann nur wenig verwundern. Der Boden für die Flamenpropaganda war auch durch das Verhalten belgischer Behörden längst bereitet.

c) Der Beginn der deutschen Flamenpropaganda an der Front Wie in den vorigen Kapiteln gezeigt, gab es sehr unterschiedliche Gründe, die für eine deutsche Flamenpolitik sprachen. Neben dem Ziel, die belgische Bevölkerung zu beeinflussen, sollte mit ihr auf die Öffentlichkeit im neutralen Ausland und nicht zuletzt im Deutschen Reich selbst eingewirkt werden. Gegenüber diesen besatzungs-, außen- und innenpolitischen Aspekten der Flamenpolitik spielte der militärische zunächst eine erstaunlich untergeordnete Rolle. Eine Rekrutierung flämischer Männer für die deutsche Armee oder gar die Aufstellung eigener Divisionen – wie dies im Zweiten Weltkrieg geschah – fand nicht statt. Während flämischen Kriegsgefangenen insbesondere im Lager Göttingen bereits seit 1916 besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde, begann eine speziell auf flämische Soldaten ausgerichtete Frontpropaganda in größerem Umfang erst 1918.37 Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, da die deutsche Flamenpolitik einen entscheidenden Anteil an der Entstehung der flämischen Frontbewegung hatte. 35 Open brief aan den Koning van België, in: Leemans u. a., S. 104–116. 36 Wils, Onverfranst, S. 260–262. 37 Dolderer, Göttingen.

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In fast allen Pamphleten der Frontbewegung spielten der unter deutscher Aufsicht entstandene Aktivismus, die Verwaltungstrennung und insbesondere die Flämische Hochschule eine wichtige Rolle. Gleichwohl war die Haltung, welche Heeresleitung, Marine und lokale Militärbehörden der Flamenpolitik entgegenbrachten, bis Ende 1917 ambivalent bis ablehnend. Große Teile Flanderns standen unter der Verwaltung von Armee und Marine, die dort ein im Vergleich zum Generalgouvernement hartes Besatzungsregime führten. Während die Deportationen belgischer Arbeiter aus dem Generalgouvernement Anfang 1917 eingestellt worden waren, wurden sie in der Etappe und im Marinegebiet bis zum Kriegsende fortgesetzt.38 Die Feindseligkeit und das Misstrauen vieler deutscher Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung differenzierte wenig zwischen Flamen und Wallonen und ging möglicherweise auf ein Belgienbild zurück, das schon in den ersten Kriegswochen entstanden war, als die Angst vor Überfällen belgischer Freischärler sich in der ganzen Armee verbreitet hatte.39 Die Militärbehörden betrachteten die Flamenpolitik im Generalgouvernement mit Misstrauen und als Instrument, um in die von ihnen kontrollierten Gebiete hineinzuregieren. So erklärt sich auch die ablehnende Haltung gegenüber der Umwandlung der Universität Gent, die sich im Etappengebiet der 4. Armee befand. Zwar waren die Militärbehörden in politischen Angelegenheiten formell zur Zusammenarbeit mit dem Generalgouverneur verpflichtet, faktisch führten sie jedoch häufig eine eigene Besatzungs- und auch Flamenpolitik. Letztere bestand vor allem in der Förderung der radikalen Gruppe »Jungflandern«, die eine Angliederung an Deutschland forderte und daher gut ins Konzept der überwiegend eine Annexion Belgiens anstrebenden Militärs passte. Die offensive Unterstützung dieser Gruppe stand zunächst im Widerspruch zur Politik von Reichsleitung und Generalgouvernement, die explizit auch gemäßigte Flamen ansprechen wollten und die Flamenpolitik als Mittel betrachteten, Befürchtungen vor einer Annexion Belgiens sowohl unter den Flamen als auch im neutralen Ausland zu zerstreuen. Dem jungflämischen Pfarrer Domela Nieuwenhuis wurde hingegen mehrfach und gegen den Wunsch der Behörden des Generalgouvernements ermöglicht nach Berlin zu reisen. Hier konnte er mit der tatkräftigen Unterstützung alldeutscher Politiker, wie etwa des Reichstagsabgeordneten Reinhard Mumm oder Großadmiral Alfred von Tirpitz’, für das Ziel eines Königreichs Flandern werben.40 Der Gegensatz zwischen dem Militär auf der einen sowie der Verwaltung des Generalgouvernements und der Reichsleitung auf der anderen Seite verschärfte sich noch mit der Einsetzung der Dritten OHL unter Hindenburg und Ludendorff. Diese betrachteten die Flamenpolitik vor allem als Hindernis für eine rücksichtslose Ausplünderung Belgiens und torpedierten sie daher nach 38 Thiel, Menschenbassin, S. 212–214; Dies führte zu fortwährenden Klagen der Aktivisten. Die Deportationen waren im Rat von Flandern ein beherrschendes Thema. 39 Horne u. Kramer; Bischoff, Kriegsziel. 40 Velde. Im Anhang Berichte Domelas über seine Berlin-Reisen.

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Kräften. Die Militärbehörden machten hierbei weitgehend von ihrem Recht Gebrauch, den Verkehr mit dem Generalgouvernement zu regulieren. Gegen die Ein- oder Ausreise flämischer Aktivisten wurden »Sicherheitsbedenken« geltend gemacht, so dass etwa Genter Mitglieder des Rates von Flandern kaum an den in Brüssel stattfindenden Sitzungen teilnehmen konnten. Auch die Zensur der Post wurde benutzt, um die Korrespondenz der Aktivisten zu behindern.41 Diese ablehnende Haltung gegenüber der Flamenpolitik des Generalgouverneurs änderte sich allmählich, als im April 1917 auf Vorschlag der OHL Falkenhausen zum Generalgouverneur ernannt wurde. Ausschlaggebend war jedoch die veränderte innenpolitische Situation nach dem Rücktritt von Reichskanzler Bethmann Hollweg und der Friedensresolution des Reichstags im Juli 1917. Nun setzte sich in der OHL die Erkenntnis durch, dass sich die Flamenpolitik dazu eignen konnte, den Abschluss eines Verständigungsfriedens zu verhindern. Eine klare Absichtserklärung der deutschen Seite, Belgien in seiner Vorkriegsform wiederherzustellen, war nämlich die Bedingung zur Aufnahme von Verhandlungen, die sowohl von der Entente als auch in der Friedensinitiative des Papstes formuliert worden war. Die Flamenpolitik ließ sich dazu verwenden, eine solche Erklärung zu verhindern oder zumindest unglaubwürdig zu machen. Die Unterstützung des Militärs für die Selbständigkeitserklärung des Rates von Flandern am 22. Dezember 1917 kam daher nicht von ungefähr und im Januar 1918 argumentierten OHL und Marineleitung dann verstärkt mit dem militärischen Wert der Frontbewegung. Ludendorff bat den Reichskanzler um baldige Veröffentlichung der Selbständigkeitserklärung, da man sich davon einen »zersetzenden Einfluss« auf die belgische Armee verspreche.42 Auf seine Anregung verfasste Admiral Ludwig von Schröder, der Kommandeur des Marinekorps an der belgischen Küste, eine ausführliche Denkschrift.43 In dieser forderte er nicht mehr und nicht weniger als »die feierliche öffentliche Erklärung eines unabhängigen Flanderns unter deutschem Schutze durch eine geeignete vertretende Körperschaft der Vlamen und Anerkennung dieser Erklärung durch das Deutsche Reich«. Hiervon ausgehend sollten dann weitere Maßnahmen zur »Zersetzung im belgischen Heere« erfolgen.44 Der Vorschlag, die Unabhängigkeit Flanderns zu proklamieren, ging weit über alle bisherigen Überlegungen hinaus. Der Rat von Flandern hatte ja lediglich die »Selbständigkeit« Flanderns erklärt – eine Formulierung, die auch eine größere Autonomie innerhalb des belgischen Staates bedeuten konnte. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Schröders Vorschlag in Berlin auf klare Ablehnung stieß.45 41 Protokoll Sitzung des Rates von Flandern am 26. Juli 1918, ARA / AGR, I 530 – 20, S. VII/1. 42 Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff an Reichskanzler Hertling. Großes Hauptquartier, 19. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 146. 43 Schaepdrijver, Marinegebiet. 44 Admiral Schröder an A. O.K. 4, Kaiserliches Hauptquartier, 29. Januar 1918, PA AA, R 4494, S. 18. 45 Der Staatssekretär des Innern Wallraf an den Staatssekretär des Äußern Kühlmann. Berlin, 23. Februar 1918, PA AA, R 4494, S. 68.

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Nicht alle Militärs vollzogen übrigens die Wende zur Befürwortung der Flamenpolitik mit. Obwohl Ludendorff das Gegenteil behauptete, reagierten sowohl die 4. Armee als auch die Heeresgruppe bayrischer Kronprinz Rupprecht ausgesprochen distanziert.46 Gemeinsam ließen sie verlauten, zur Flamenpolitik nicht Stellung nehmen zu wollen und die Entscheidung »der O. H.L und der Reichsregierung« zu überlassen.47 Auch wenn die OHL maßgeblich aus innenpolitischen Gründen Flamenpolitik betrieb, so war die Vorstellung, mit einer intensiven Flamenpropaganda die belgische Armee zu destabilisieren, nicht völlig unbegründet. Dies zeigen die nervösen Reaktionen der belgischen Exilregierung und der Armeeführung. Bereits am 22. Januar 1918 – zwei Tage nach der Veröffentlichung der Selbständigkeitserklärung des Rates von Flandern – wurde auf einer Sitzung des belgischen Kabinetts die Befürchtung geäußert, Deutschland könne mit Flandern einen Separatfrieden schließen48 – so wie es einige Tage später im Osten mit der Ukraine geschah.49 Der belgische König machte sich vor allem Sorgen, dass bei Briten und Franzosen Zweifel an der Kampfbereitschaft der belgischen Armee aufkommen könnten. Er forderte deshalb, die Frontbewegung konsequent zu bekämpfen. Berichte über die Selbständigkeitserklärung und die »Volks­ befragungen« wurden in der Folge von der Militärzensur unterdrückt. Gleichzeitig weigerte sich Albert I., auf Forderungen der Frontbewegung einzugehen und etwa eine Zusage über die Einrichtung getrennter flämischer und wallonischer Regimenter zu machen. Ein Grund war auch, dass er den Widerstand des frankophonen Offizierskorps mehr als einen Aufstand flämischer Soldaten fürchtete.50 Nachrichten aus dem Generalgouvernement wurden nun allerdings von den Deutschen verbreitet, die aktivistische Zeitungen in leeren Granaten über die Linien schossen. Unter Mitwirkung des flämischen Kriegsgefangenen Godfried Rooms wurde die Illustrierte »Door Vlaanderen heen« herausgegeben, die sich speziell an die flämischen Frontsoldaten richtete. Neben Neuigkeiten aus der Heimat und Informationen über die Situation der Kriegsgefangenen enthielt das Blatt auch Berichte über die aktivistische Bewegung.51 Ein Bericht der aktivistischen »Gazet van Brussel« zitierte einen namentlich nicht genannten Überläufer, 46 Ludendorff behauptete, beide hätten sich für eine Veröffentlichung der Selbständigkeitserklärung ausgesprochen. Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff an Reichskanzler Hertling. Großes Hauptquartier, 19. Januar 1918, PA AA, R 4493, S. 146. 47 Der Oberbefehlshaber der 4. Armee [Loßberg] an die OHL. Armeehauptquartier [Tielt], 29. Januar 1918; Der Chef des Stabes der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht Kuhl. Hauptquartier, 1. Februar 1918, PA AA, R 4494, S. 27 f. 48 Vanacker, Frontbeweging, S. 299. 49 Am 22. Januar 1918 hatte die ukrainische Rada die Ukraine für unabhängig erklärt und am 9. Februar 1918 schlossen die Mittelmächte mit der Ukraine einen Separatfrieden. Zhvanko; Lindemann. 50 Vanacker, Frontbeweging, S. 301–305. 51 Dolderer, Rooms.

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der behauptete alle Flamen seien verbittert und kriegsmüde und wollten gegen einen deutschen Angriff keinen Widerstand mehr leisten.52 Dieser Bericht war nicht nur reine Propaganda, denn die Spannungen in der belgischen Armee nahmen zu. Die Frontbewegung forderte angesichts der Repressionen die Autorität des belgischen Staates nun direkt heraus. In offenen Briefen wurde Verständnis für die Aktivisten geäußert und mit einem Aufstand gedroht. Der als Flamenfeind verschriene General Bernheim wurde in einem »offenen Brief« persönlich bedroht und beleidigt.53 Anfang März kam es in fünf der sechs belgischen Divisionen zu Demonstrationen flämischer Soldaten. Hierbei wurden auch Offiziere angegriffen und verprügelt.54

d) Die »edlen Deserteure« – Frontbewegung und Aktivismus in der letzten Phase des Krieges Die deutsche Frühjahrsoffensive an der Westfront begann am 21. März 1918 und erreichte am 7. April die Flandernfront mit voller Wucht. Ein am 21. April beginnender Angriff mit dem Ziel, die belgischen Linien zu durchbrechen, scheiterte, doch die Kämpfe rissen an diesem seit Ende 1914 eher ruhigen Frontabschnitt bis zum Kriegsende nicht mehr ab.55 Verhöre Kriegsgefangener ermöglichten es den Deutschen, sich ein Bild von der Stimmung in der belgischen Armee und der Wirksamkeit der intensivierten Flamenpropaganda zu machen. In einem Bericht über die »Flamenbewegung im belgischen Heer« fasste der Nachrichtenoffizier der 4. Armee einige Eindrücke zusammen. Trotz widersprüchlicher Angaben der Gefangenen war er überzeugt, dass die Flamenbewegung in der belgischen Armee wuchs. Über die Wirkung der deutschen Propaganda hieß es, dass diese ihren militärischen Zweck erfülle und die Geschlossenheit und Kampfkraft des belgischen Heeres schwäche. Zwar werde die deutsche Propaganda von den »besseren Elementen« abgelehnt, sie unterstütze jedoch mit Erfolg die radikalen. Inhaltlich ergaben die Verhöre, dass die Verwaltungstrennung von einigen Soldaten befürwortet wurde, während die Zahl der Gefangenen, die sich für einen selbständigen flämischen Staat aussprachen, klein war. Der Bericht schloss mit der Bemerkung, dass das Vertrauen in Deutschland gering sei, da die Reichsleitung »die letzten Ziele der deutschen 52 Unbekannt, De Vlamingen in het leger, in: Gazet van Brussel, 27. Januar 1918, S. 2. 53 Ob Bernheim tatsächlich schlimmer war als andere hohe Offiziere, ist hierbei sehr die Frage. Als Liberaler und Jude, der auch im Offizierskorps nicht sonderlich populär war, eignete er sich allerdings gut als Zielscheibe. Als Enkel eines deutschen Juden, so die Autoren des Pamphlets, gehöre Bernheim besser in ein Konzentrationslager. Hiermit waren im Ersten Weltkrieg Internierungslager für feindliche Ausländer gemeint. Vandeweyer, Waarom, S. 252–255. 54 Vanacker, Frontbeweging, S. 312. 55 Simoens.

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Flamenpolitik nicht klargelegt« habe.56 Dies war eine deutliche Aufforderung zu einer entschiedeneren Flamenpolitik, wie sie von der OHL immer wieder an Reichskanzler Hertling herangetragen wurde. Die Einschätzungen des Berichts deckten sich in vielerlei Hinsicht mit jenen der belgischen Armeeführung, die zunehmend Schwierigkeiten hatte, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Im April 1918 desertierten unter dem Eindruck des deutschen Angriffs 600 Soldaten, und im belgischen Hauptquartier war man der Ansicht, dass die Führung der Frontbewegung den Befehl zum Überlaufen57 gegeben habe.58 In der Tat wurde in der Frontbewegung intensiv darüber nachgedacht, wie auf die bevorstehende deutsche Offensive und ihre möglichen Folgen reagiert werden sollte. Die Frage war, was im Fall eines belgischen Rückzugs auf französisches Gebiet bzw. einer drohenden Vernichtung der Armee zu tun sei. Einige befürworteten eine offene Revolte, bei der die belgische Regierung und das Oberkommando gefangen genommen werden sollte. Dieser Plan wurde verworfen, da unklar war, wie Briten und Franzosen reagieren würden, wenn aufgrund einer solchen Meuterei ein deutscher Durchbruch drohte. Außerdem war man der Meinung, dass die meisten Soldaten sich nicht an einem offenen Aufstand beteiligen würden.59 Die Führung der Frontbewegung gab im April 1918 eine Verhaltensrichtlinie (ndl. »stelregel«) für einen deutschen Großangriff heraus. Diese besagte, dass man weder das belgische Staatsgebiet verlassen noch sich sinnlos aufopfern solle. Das Überlaufen zum Feind wurde allerdings ausdrücklich verboten, um die Frontbewegung in der belgischen Armee nicht zu schwächen.60 Diese Richtlinie war nicht so »revolutionär«, wie dies später dargestellt wurde, sondern artikulierte eine weit verbreitete Stimmung.61 Ähnlich wie in anderen Armeen waren 56 Nachrichtenoffizier A. O.K. 4, Wilhelm Staehle, über die Flamenbewegung im belgischen Heer.A. H.Qu., 11. April 1918, BArch, R 1501/119562, S. 24–26. 57 Während unter »Desertion« jegliches unerlaubte Entfernen von der Truppe zu verstehen ist, sind »Überläufer« jene Deserteure, die sich bewusst in feindliche Gefangenschaft begeben. Wieviele belgische Soldaten überliefen, ist umstritten. Vanacker kommt auf Basis deutscher Quellen auf eine Anzahl von 150 Überläufern, Monballyu auf Basis belgischer Gerichtsakten zu einer ähnlichen Zahl. Von 205 wegen Desertion zum Feind verdächtiger Soldaten wurden 120 verurteilt, einige Angeklagte wurden freigesprochen, andere Verfahren wurden eingestellt, 26 Angeklagte waren ins Ausland geflohen. Für alle Fälle gilt, dass sich die Motivation der Überläufer meistens schwer nachvollziehen ließ und auch die Unterscheidung zwischen Überläufern und Soldaten, die gefangen genommen worden waren, nicht einfach war. 93 % der verfolgten Überläufer waren übrigens Flamen. Vanacker, Frontbeweging, S. 368; Monballyu I und II, S. 64, 66 und 165. 58 Hierbei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Frontbewegung den Offizieren eine willkommene Möglichkeit bot, von eigenen Verfehlungen abzulenken. Flamingantismus war eine wohlfeile Entschuldigung für allerlei an der Front herrschende Missstände und eine beliebte Erklärung für die allgemeine Unzufriedenheit unter den Soldaten. Vanacker, Frontbeweging, S. 346. 59 Ebd., S. 316. 60 Ebd., S. 331. 61 Ebd., S. 418.

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Abb. 7: Der Überläufer De Schaepdrijver auf dem Titel des deutschen Propagandablattes »Door Vlaanderen heen«.

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die meisten Soldaten bereit, ihr Vaterland zu verteidigen, sie wollten sich aber nicht sinnlos verheizen lassen, wie es in den Materialschlachten des Kriegs so häufig der Fall gewesen war.62 Die Angst, Opfer der Planungen einer gegenüber dem Leiden der Frontsoldaten gleichgültigen Führung zu werden, war auch in der belgischen Armee vorhanden, auch wenn diese sich bis 1918 nicht an Offensiven in größerem Stil beteiligt hatte.63 Immerhin war das Herausgeben von Richtlinien an die flämischen Soldaten ein Zeichen des Selbstbewusstseins der Frontbewegung. Tatsächlich revolutionär war hingegen der Entschluss, Abgesandte ins Besatzungsgebiet zu schicken, wo diese Kontakt mit dem Rat von Flandern aufnehmen sollten. Nachdem ein erster Versuch Mitte April 1918 misslang,64  überquerten in der Nacht zum 1. Mai 1918 die belgischen Soldaten Jules Charpentier, Karel de Schaepdrijver, Vital Haesaert, Bernard Coolen und Marcel Torreele die Linien und wurden von den Deutschen gefangen genommen. Am 4. Mai 1918 ging der Soldat Carlos Van Sante, ohne Wissen der Führung der Frontbewegung, aber auf Weisung des Kaplans Verschaeve über die deutschen Linien.65 Bei einem Verhör am 2. Mai 1918 gaben die Überläufer an, Vertreter der »aktivistischen Frontbewegung im belg. Heer« zu sein und in deren Auftrag Kontakt mit dem Rat von Flandern aufnehmen zu wollen.66 Dieser Wunsch wurde ihnen von den deutschen Behörden gewährt und am 10. Mai sprachen Charpentier und De Schaepdrijver vor der Kommission der Bevollmächtigten, dem Leitungsgremium des Rats von Flandern. Charpentier erklärte, das Ziel der Mission sei es, die Einheit zwischen allen herzustellen, die für dasselbe Ideal kämpften. Sprich: zwischen Frontbewegung und Aktivisten. Er gab anschließend einen historischen Abriss der Frontbewegung, der klar die Beeinflussung durch den Aktivismus und die deutsche Flamenpolitik zeigte. Die Debatte um »De Vlaamsche Stem« und die Eröffnung der Flämischen Hochschule hob er als maßgeblich für die Entstehung der Frontbewegung hervor. Den Ausschlag für die Entscheidung zum Überlaufen habe, neben der militärischen Lage, die deutsche Propaganda gegeben, durch die man erstmals über die Entwicklung der aktivistischen Bewegung im Besatzungsgebiet informiert worden sei.67   

62 Für die französische Armee: Keegan, S. 458 f. 63 Nach den Erfahrungen von 1914 hatte König Albert entschieden, sich nur an Offensiven zu beteiligen, deren Erfolg gewiss oder zumindest wahrscheinlich war und die belgischen Kriegszielen dienten, sprich der Rückeroberung des Staatsgebiets. Simoens. 64 De Schaepdrijver vor der Kommission der Bevollmächtigten des Rates von Flandern. Anlage 2 zum Protokoll der Sitzung vom 10. Mai 1918, Notulen Commissie der Zaakgelastigden / Gevolmachtigden van de Raad van Vlaanderen, ARA / AGR, I 530 – 201 (unpaginiert). 65 Vanacker, Frontbeweging, S. 335. 66 Nachrichtenoffizier A. O.K. 4, Wilhelm Staehle, über Sondervernehmung von 3 belgischen Überläufern. Armee Hauptquartier, 5. Mai 1918, PA AA, R 4495, S. 34–42. 67 Rede Jules Charpentiers vor der Kommission der Bevollmächtigten am 10. Mai 1918, ARA / AGR, I 530 – 201 (unpaginiert).

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Die Überläufer dienten sich offen als militärische Kollaborateure an. De Schaepdrijver gab zu Protokoll, man wolle den Deutschen helfen, die belgische Armee – oder zumindest einen großen Teil davon – einzuschließen und gefangen zu nehmen. Anschließend sollten die flämischen Soldaten nach Wohnorten gruppiert werden, um in Gefangenschaft die Gründung einer Veteranenorganisation vorzubereiten, die nach dem Krieg einen Machtfaktor in Belgien bilden sollte. De Schaepdrijver selbst sprach hierbei von der »aktivistischen Macht«, welche der flämische Teil der belgischen Armee darstelle. Auf die Frage, wie die flämischen Soldaten auf eine öffentliche Selbständigkeitserklärung Flanderns reagieren würden, wurde geantwortet, dass diese ihre Waffen nieder­legen würden.68 Sowohl bei den Bevollmächtigten des Rates von Flandern als auch bei den Deutschen gab es allerdings Zweifel an dieser Darstellung. Der Bevollmächtigte Karel Heynderickx wies darauf hin, dass Charpentiers Behauptung, die Mehrheit der Soldaten wolle eine Republik und auch die Königin besitze kaum noch Sympathien, in Widerspruch zu den Aussagen anderer Soldaten stand. Auch bei der deutschen 4. Armee glaubte man nicht, dass die Frontbewegung das belgische Heer unter Kontrolle hatte.69 Diese Einschätzung hinderte die Behörden des Generalgouvernements allerdings nicht daran, die Behauptungen Charpentiers und De Schaepdrijvers gegenüber der Reichsleitung als Tatsachen auszugeben. Die flämischen Soldaten, hieß es, seien entschlossen, die Waffen niederzulegen, »sobald der Staat Flandern als selbständiger Staat anerkannt und ausgerufen ist«.70 Der Verwaltungschef für Flandern, Schaible, sah vor allem die Möglichkeit, mit Hilfe der Überläufer Vorbehalte gegenüber den Aktivisten abzubauen. Bisher hätten viele Flamen der Flamenpolitik ablehnend gegenübergestanden, weil sie nicht mit dem Feind paktieren wollten, solange die eigenen Soldaten noch an der Front standen. Diese Stimmung könne man nun verändern. Auch die OHL nahm die Überläufer zum Anlass, den Reichskanzler erneut zu einem klareren Bekenntnis zur Flamenpolitik aufzufordern.71 68 Rede Karel de Schaepdrijvers vor der Kommission der Bevollmächtigten des Rates von Flandern am 10. Mai 1918, ARA / AGR, I 530 – 201 (unpaginiert). 69 Einem Telegramm Ludendorffs über die Frontbewegung fügte der Vertreter des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier einen Kommentar des Armeeoberkommandos 4 bei, in dem es hieß, auch wenn die Frontbewegung ein Faktor sei, mit dem man rechnen müsse, gehe man nicht davon aus, dass sie in der Lage sei, die belgische Heeresleitung zu »terrorisieren«. Der Vertreter des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier Lersner an das Auswärtige Amt. Großes Hauptquartier, 5. Juli 1918, PA AA, R 4495, S. 33. 70 Robert Paul Oszwald  über »das bisherige Ergebnis der Front-Propaganda«. Brüssel, 11. Mai 1918, PA AA, R 4495, S. 138. 71 So etwa Ludendorff in einer Besprechung der OHL mit der Reichsleitung. Spa, 13. Mai 1918, BArch, R 43/2477, S. 156–157; Ludendorff, Kriegserinnerungen, S. 514; Manuskript Vortrag Generalgouverneur Falkenhausen vor Kaiser Wilhelm II., Spa 16. Mai 1918, PA AA, R 21570, S. 166 f.; Der Verwaltungschef für Flandern Schaible an das Reichsamt des Innern. Brüssel, 18. Mai 1918, PA AA, R 4495, S. 26.

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Die deutsche Frontpropaganda lief nun auf Hochtouren. Ende Mai 1918 wurden Karten in die belgischen Linien geschossen, welche die Unterschriften der Bevollmächtigten des Rats von Flandern und die von drei Überläufern trugen. So sollte die Anerkennung des Aktivismus durch die Frontbewegung suggeriert werden. Zeitgleich erschienen Artikel der Überläufer in der aktivistischen ­Presse.72 De Schaepdrijver verfasste ein Flugblatt an die »Brüder an der Yser«, in dem er die belgische Militärführung, England und Frankreich anklagte und behauptete, im Besatzungsgebiet entstünde »Neu-Flandern«. Sein Aufruf endete mit den Worten »Flandern ruft euch!«, einer deutlichen Aufforderung zum Überlaufen.73 Gemeinsam mit Charpentier gab er ab Juni die »Ijzer-Reihe« heraus, in der von der Frontbewegung verfasste Schriften erschienen, die wohl teilweise von den Überläufern mitgebracht worden waren.74 Die kleinen Bücher konnten sowohl an der Front als auch im Besatzungsgebiet als Propaganda eingesetzt werden. Daneben traten Überläufer öffentlich auf, und zwar gezielt in flämischen Dörfern und Städten, aus denen von den belgischen Behörden bestrafte Soldaten kamen. Diese Veranstaltungen, bei denen die Überläufer in ihren belgischen Uniformen auftraten, waren gut besucht. Für viele Belgier waren sie allerdings keine Helden, sondern Verräter und oft ging der Riss durch die Familien. Charpentiers Mutter erklärte ihrem Sohn, er wäre besser an der Front gefallen, De Schaepdrijvers Vater weigerte sich ihn zu empfangen; auch Carlos Van Sante war in seinem Elternhaus nicht mehr willkommen.75 In der Frontbewegung sorgten die Überläufer für gehörige Unruhe und der Führung drohte die Kontrolle zu entgleiten.76 Unter den Soldaten herrschte Verwirrung darüber, ob die Überläufer im Namen der Frontbewegung handelten oder ob die »edlen Deserteure«77 eigenmächtig über ihren Auftrag hinausgegangen waren. Die Verurteilung der Abgesandten war unter den Mitgliedern der Frontbewegung keineswegs einmütig. Einige befürworteten ein massenhaftes Überlaufen, wie Charpentier und De Schaepdrijver es forderten, letztlich setzten sich diejenigen durch, die das Überlaufen generell untersagen wollten. Die Richtlinie vom April 1918 wurde bestätigt. Die Soldaten sollten die Stellung halten, aber den Kampf nur auf belgischem Boden fortsetzen und sich nicht sinnlos aufopfern. Das »flämische Heer« müsse Flandern für den Kampf nach dem Krieg erhalten bleiben. Sowohl in »Ons Vaderland« als auch in »De Belgische 72 Flamenpolitischer Bericht der Abt. IX des Verwaltungschefs für Flandern. Brüssel, 7. Juni 1918, PA AA, R 4495, S. 143. 73 Karel De Schaepdrijver, Broeders aan den Yzer!, abgedruckt in: Wullus, S. 177. 74 Staehle gab an, dass die Überläufer zahlreiche Schriftstücke bei sich trugen. Nachrichtenoffizier A. O.K. 4, Wilhelm Staehle, über Sondervernehmung von 3 belgischen Überläufern. Armee Hauptquartier, 5. Mai 1918, PA AA, R 4495, S. 41. 75 Vanacker, Frontbeweging, S. 359 f. 76 Ebd., S. 346–350. 77 Der Titel »edle Deserteure« (ndl. »sublieme deserteurs«) wurde wohl in Anlehnung an die französische Bezeichnung »déserteurs sublimes« geprägt, mit der aus der österreichisch-ungarischen Armee desertierte Tschechen bezeichnet wurden. Vandeweyer, Deserteurs.

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Standaard« erschienen Artikel, die diesen Standpunkt zum Ausdruck brachten und mit denen sich die Frontbewegung von den Überläufern distanzierte.78 Ob diese tatsächlich über ihren Auftrag hinausgegangen waren oder ob die Führung der Frontbewegung im Nachhinein Angst vor der eigenen Courage bekam, lässt sich wohl nicht mehr mit Sicherheit klären.79   Für die belgische Armee waren die Desertionen jedenfalls ein ernsthaftes Problem. Am 5. Juli 1918 berichtete der belgische Kriegsminister De Ceuninck, dass diese im Vormonat einen neuen Höhepunkt erreicht hatten. Als Gegenmaßnahme empfahl er, die Propaganda der Frontbewegung noch konsequenter zu verfolgen. In der Folge wurden Diskussionen über die flämische Frage und Versammlungen verboten, als Unruhestifter bekannte Personen wurden von der Front weg versetzt.80 Um das Risiko für Überläufer zu erhöhen, ordnete die belgische Armeeführung an, auf diese zu schießen. Des Weiteren wurde der Befehl gegeben, grundsätzlich den Versuch zu unternehmen, Deserteure durch schnelle Vorstöße auf die deutschen Stellungen zurückzuholen. Die deutsche 4. Armee gab ihrerseits den Befehl, nicht mehr auf vereinzelte belgische Soldaten zu schießen, um diesen das Überlaufen zu ermöglichen. Inwiefern die Unruhe in der belgischen Armee tatsächlich das Resultat der Flamenpropaganda war, muss allerdings dahingestellt bleiben. Es gab genug Gründe, sich dem mörderischen Alltag der Front entziehen zu wollen. Gleichzeitig war die Frontbewegung für die belgischen Verantwortlichen eine willkommene Entschuldigung für eigene Versäumnisse. Auf der anderen Seite gaben der Desertion beschuldigte Soldaten in Vernehmungen in aller Regel an, aus persönlichen Gründen desertiert zu sein, da dies weniger schwer bestraft wurde als das Überlaufen zum Feind aus politischen Gründen.81 Die belgische Zensur nahm sich nun auch intensiver als bisher die Zeitung »Ons Vaderland« vor, die der Frontbewegung als Sprachrohr diente. Sie wurde aber nicht verboten. In einer erstaunlichen Provokation wurde ausgerechnet am belgischen Nationalfeiertag, dem 21. Juli 1918, ein Leitartikel veröffentlicht, der Alfons Depla gewidmet war, einem Mitglied im Rat von Flandern. Lediglich die Hälfte des Artikels wurde von der Zensur gestrichen. Unter dieser Lobrede auf einen Aktivisten erschien eine »Neu-Belgien« gewidmete Ode, in der diesem »wahren Vaterland«, in dem »beide Völker mit Selbstverwaltung« blühten, die Treue geschworen wurde und die daher vor allem eine ätzende Kritik an »Alt-Belgien« war.82 78 Vanacker, Frontbeweging, S. 354 f. 79 Wever, Rezension. 80 Vanacker, Frontbeweging, S. 357 f., 370. 81 Jahr. 82 Aan Dr. Alfons Depla, Ons Vaderland, 21. Juli 1918; N. Groentak, Aan Nieuw-België, Ebd. Die letzte Strophe im Original: »Nieuw-België, met uw democratisch roer / waar nauw-vereend door ’t lijdzaam liefdesnoer / de beide volkren met hun zelfbestuur / te bloeien gaan door eigen – ras – kultuur / o, Belgenland, waar ’t recht de krone spant / i k zweer U trouw, U, ’t ware Vaderland«.

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Ende Juli 1918 erfolgte dann ein Stimmungsumschwung. Für diesen waren nicht Repression und Zensur verantwortlich, sondern das Scheitern der deutschen Offensive und die Erfolge der Entente, welche die Deutschen bald wieder auf die Stellungen zurückdrängte, aus denen sie im März ihren Angriff begonnen hatten. Die Wahrscheinlichkeit eines deutschen Durchbruchs war geschwunden und zum ersten Mal seit Beginn des Kriegs schien die Rückeroberung Belgiens möglich. Die veränderte Lage sorgte für eine Abnahme der Desertionen und zu einer Wiederannäherung zwischen der Frontbewegung und katholischen flämischen Politikern, wie dem Passivisten Van Cauwelaert und den beiden Ministern Van De Vyvere und Poullet.83 Hier wurden schon Pläne für die Nachkriegszeit geschmiedet. Dies entging auch der deutschen Seite nicht. Verwaltungschef Schaible konstatierte eine Abnahme in der Anzahl der Überläufer, die er einerseits mit den drakonischen Strafen der belgischen Armee erklärte, andererseits mit einer Annäherung der »Frontpartei« an die Passivisten. Nachdem das Zusammenwirken der Überläufer mit den Deutschen zunächst von der Frontbewegung gebilligt worden sei, habe sich diese Haltung nun verändert.84 Die Frontbewegung trat in der Folge kaum noch in Erscheinung. Kurz vor dem Ende des Kriegs kam es allerdings noch zu einem Aufsehen erregenden Vorfall, als Ende  September 1918 der Anführer der Frontbewegung gefangen genommen wurde. Ob Debeuckelaere sich willentlich in Kriegsgefangenschaft begab oder es sich um einen Zufall handelte, lässt sich wohl nicht mehr klären. Tatsache ist, dass unter seinen Freunden Erleichterung darüber herrschte, dass er dem Zugriff der belgischen Armee entzogen war. Debeuckelaere hatte zuvor mehrfach behauptet, man habe ihm zu verstehen gegeben, dass er die bevor­ stehende Offensive nicht überleben werde.85 Es ist daher möglicherweise kein Zufall, dass seine Gefangennahme kurz nach der Ernennung König Alberts zum Chef der für die Endoffensive aufgestellten Heeresgruppe Flandern erfolgte. Am 24. September 1918 verhörte der Nachrichtenoffizier Wilhelm Staehle, der bereits die Abgesandten der Frontbewegung vernommen hatte, den »Ruwaard« der Frontbewegung. Debeuckelaere gab zu Protokoll, die Frontbewegung sei bereit, die Waffen niederzulegen, wenn Deutschland erkläre, Belgien zu räumen und es für erlittene Schäden zu entschädigen. Dies liege auch im Interesse Deutschlands, denn mit dem Ausscheiden Belgiens aus dem Krieg falle auch der, wie es in der deutschen Übersetzung heißt, »sittliche Faktor« für den Krieg weg. Um einen Friedensschluss zu erreichen und zuvor Kontakt mit den Aktivisten herzustellen, habe man Charpentier als Abgesandten der Frontbewegung ins Besatzungsgebiet geschickt, De Schaepdrijver sei hingegen übergelaufen, ohne dazu beauftragt worden zu sein. Die von den Überläufern verfassten defätisti83 Vanacker, Frontbeweging, S. 368, 378–380. 84 Verwaltungschef beim Generalgouverneur in Belgien Schaible über die flämische Frontpartei [teilweise synonym mit Frontbewegung verwendet, J. M.]. Brüssel, 19. September 1918, PA AA, R 4496, S. 29.    85 Vanacker, Frontbeweging, S. 380, 401–403.

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schen Flugblätter hätten an der Front für viel Empörung gesorgt. Nachdem man außerdem erfuhr, dass die deutsche Marine die flämische Küste annektieren wollte, habe man sich entschlossen, das Überlaufen zu untersagen, obwohl viele Soldaten dazu bereit gewesen wären. Debeuckelaere bezeichnete das zunehmend offensive Auftreten der belgischen Armee als »planmäßigen Menschenmord«, ein Hinweis darauf, dass auch pazifistische Motive bzw. eine generelle Kriegsmüdigkeit bei ihm eine Rolle spielten.86 In einer letzten Wendung der an Kapriolen reichen Geschichte der Flamenpolitik nahm nun ausgerechnet Ludendorff die Gefangennahme Debeuckelaeres zum Anlass, den am 3. Oktober 1918 ernannten Reichskanzler Max von Baden aufzufordern, die Räumung und Wiederherstellung Belgiens anzukündigen. Der Großteil der belgischen Soldaten, behauptete Ludendorff, sei Mitglied der Frontbewegung. Trotz der militärischen Erfolge sei die Stimmung der Soldaten gedrückt, da sie die mit den bevorstehenden Kämpfen verbundenen Opfer und eine weitgehende Zerstörung des Landes fürchteten. Von der Flamenpropaganda versprach er sich ein mögliches »Ausscheiden des belgischen Heeres aus der Front«, weshalb er den Reichskanzler zur Erfüllung der Forderung des »Ruwaards« drängte. Dieser kündigte am 5. Oktober 1918 auch tatsächlich die Räumung Belgiens an87 und Debeuckelaere verfasste hierauf einen Aufruf an die flämischen Frontsoldaten, der jedoch nicht mehr gedruckt wurde. Ein Treffen mit dem Rat von Flandern lehnte er ab.88 Durch die Gefangennahme Debeuckelaeres und die beginnende belgische Endoffensive konnte die Frontbewegung am Kriegsende kaum noch agieren. Doch trotz der hohen Opferzahlen  – 10.000 belgische Soldaten fielen in den letzten anderthalb Monaten des Kriegs, etwa ein Viertel aller belgischen Gefallenen – blieb die Führung der Frontbewegung intakt. Bei der Befreiung der ersten belgischen Städte stellten die Soldaten überrascht fest, wie verhasst die Aktivisten bei einem Großteil der Bevölkerung waren.89 Die nationale belgische Begeisterung machte alle Träume von einer Reform durch Waffengewalt zunichte. Die Intellektuellen der Frontbewegung mussten einsehen, dass die einfachen flämischen Soldaten vor allem nach Hause wollten und kein Interesse an einer Fortsetzung des politischen Kampfs zeigten. Die flämische Frontbewegung war ein Ergebnis der spezifischen Verhältnisse in der belgischen Armee. Ihre Entstehung und Entwicklung kann allerdings nicht ohne die deutsche Flamenpolitik verstanden werden, die ihr schon früh 86 Vernehmungsoffizier Gruppe Nord (Wilhelm Staehle), Kurzer Überblick über die belgische Frontbewegung (Übersetzung) des Gefangenen Adiel Debeuckelaere. Königliches Hauptquartier, 24. September 1918, BArch, RM 120/36 (unpaginiert). 87 Ludendorff an das Auswärtige Amt, Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier Lersner. Großes Hauptquartier, 4. Oktober 1918, PA AA, R 21567, S. 54; Rede Reichskanzler Badens während der 192.  Sitzung des Reichstags am 5. Oktober 1918, Reichstag Bd. 314, S. 6151. 88 Vanacker, Frontbeweging, S. 404. 89 Ebd., S. 408.

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einen Bezugspunkt lieferte. Dies gilt für die wichtigsten Wendepunkte in ihrer Geschichte, und zwar ebenso für die Debatte um die Bestrafung der Redakteure der »De Vlaamsche Stem« wie für die Frage der Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Frontbewegung nicht nur mit den Aktivisten solidarisierte und diese gegen Angriffe der belgischen Presse verteidigte, sondern sich sogar mit diesen identifizierte. So bezeichnete der auf Anweisung der Frontbewegung übergelaufene Charpentier die Frontbewegung selbst als »aktivistisch« und erklärte sich zur militärischen Kollaboration bereit. Dass sich die Frontbewegung später von ihm distanzierte, war möglicherweise eher auf die veränderte militärische Lage zurückzuführen als auf eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit mit ihrem Abgesandten. Die Frontbewegung entstand also nicht unabhängig von der Flamenpolitik, sondern war seit ihrem Entstehen stark von dieser beeinflusst. Die Frage ist gerechtfertigt, ob die Frontbewegung nicht sogar der wichtigste Erfolg der Flamenpolitik war, auch wenn dies in der bisherigen Historiographie nur wenig gewürdigt wurde. Dass sich die Mitglieder der Frontbewegung nach dem Krieg vom Aktivismus distanzierten, war taktisch motiviert und verhinderte nicht, dass die Aktivisten bald in die 1919 entstandene Frontpartei integriert wurden, die sich sogleich für die Rehabilitierung der wegen Kollaboration verurteilten Flamen einsetzte. Der Flamenpolitik gelang es also, auch in der belgischen Armee zur Entstehung einer Bewegung beizutragen, die sich zunehmend in scharfen Gegensatz zur belgischen Regierung begab und den belgischen Staat in seiner damaligen Form grundsätzlich in Frage stellte. Die Überläufer der Frontbewegung informierten die Deutschen nicht nur über die Stimmung unter den flämischen Soldaten, sondern gaben auch militärische Informationen über die eigenen Stellungen weiter, womit sie in der Tat Hochverrat begingen. Daneben beschäftigte die Frontbewegung sowohl die belgische Militärführung als auch die Regierung mehrfach und verunsicherte diese zeitweise erheblich. Diese Tatsache allein kann aus deutscher Sicht als militärischer Erfolg bewertet werden und sowohl die zeitgenössischen deutschen Berichte als auch Nachkriegsdarstellungen hoben dies hervor. Der ehemalige Stabschef beim Generalgouverneur, Winterfeldt, urteilte 1923 sogar folgendermaßen über die Frontpropaganda: »Ein greifbares Ergebnis konnte nicht erzielt werden. Immerhin stand bei Kriegsende das ganze belgische Heer den deutschen Truppen nicht mehr als achtungsgebietender Gegner gegenüber, ohne dass große Verluste oder lange schwere Anstrengungen hierfür angegeben werden konnten.«90 Diese Einschätzung ist angesichts des Kriegsverlaufs allerdings merkwürdig, denn trotz der zeitweilig großen Anzahl flämischer Überläufer wurde die Kampfkraft der belgischen Armee nicht entscheidend geschwächt. Sowohl während der deutschen Frühjahrsoffensive im April 1918 als auch während der belgischen Endoffensive im Herbst  1918 zeigten sich die belgischen Truppen 90 Winterfeldt, S. 75.

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durchaus als »achtungsgebietender Gegner«. Sie waren nicht nur in der Lage, deutsche Angriffe zurückzuweisen, sondern gingen dann auch selbst erfolgreich zur Gegenoffensive über. Es gab auch Aspekte der Flamenpolitik, die aus militärischer Sicht problematisch waren. So wurde mitten in der Vorbereitung der Frühjahrsoffensive eine Division von der Westfront angefordert, da sich die Sicher­heitslage im Generalgouvernement infolge des Justizstreiks so verschlechtert hatte, dass man einen Aufstand der Bevölkerung befürchtete.91 Abgesehen davon war die Flamenpolitik für eine Aufblähung des deutschen Beamtenapparates in Belgien verantwortlich, die in Zeiten erheblicher Personalnot auch auf Kosten des Offizierskorps ging. Über den kurzfristigen militärischen Wert der Flamenpolitik kann also gestritten werden. Unzweifelhaft ist hingegen, dass die Flamenpropaganda einen wichtigen Einfluss auf die Frontbewegung und damit auf die Entstehung des flämischen Nationalismus hatte. Flämische Veteranen spielten eine zentrale Rolle in allen flämisch-nationalistischen Organisationen der Zwischenkriegszeit.92

91 Erinnerungen Falkenhausen, BArch, N21/2, S. 342; Kriegstagebuch der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht. Eintrag vom 22. Februar 1918, BArch, PH 5-I/49, S. 33. 92 Die Führer der wichtigsten flämisch-faschistischen Organisationen, des Verdinaso und des VNV, Joris Van Severen und Staf De Clercq, entstammten beide der Frontbewegung.

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9. Die letzten Monate der Besatzung – Von der Bildung des zweiten Rates von Flandern bis zum Zusammenbruch

Am 9. März  1918 konstituierte sich der zweite Rat von Flandern und verabschiedete bereits am 28. März 1918 eine Resolution, welche die Abschaffung des Namens »Belgien« und vollständige politische Selbständigkeit forderte.1 Trotz dieses scheinbar selbstbewussten Auftretens waren die Aktivisten zutiefst verunsichert. Der entschlossene Widerstand der belgischen Behörden und großer Teile der Bevölkerung gegen die sogenannten »Volksbefragungen« hatte ihnen die Abhängigkeit von der Besatzungsmacht demonstriert. Gleichzeitig lehnte die Reichsleitung es ab, sich öffentlich auf die politische Trennung Belgiens und die Gründung eines flämischen Staats festzulegen. Reichskanzler Hertling verweigerte den Aktivisten weiterhin einen Empfang, obwohl sowohl Generalgouverneur Falkenhausen als auch die OHL ihn zu einem solchen Schritt drängten. Der politische Druck auf Hertling nahm allerdings zu, nachdem deutsche Truppen im Rahmen der Frühjahrsoffensive große Geländegewinne gemacht und bis auf hundert Kilometer an Paris herangerückt waren.2 Am 25. Mai 1918 traf Falkenhausen erneut Hindenburg und Ludendorff, um mit diesen zu besprechen, wie die Reichsleitung in der Flamenpolitik unter Druck gesetzt werden könnte.3 Auch unter Verweis auf die Überläufer der Frontbewegung wurde auf ein klares Bekenntnis zur Flamenpolitik gedrängt.4 Als Kompromiss wurde vereinbart, einen Aufruf der Flamen an das deutsche Volk zu veröffentlichen und hierauf in der offiziösen »Kölnischen Zeitung« zu reagieren. Der Aufruf und die Antwort »von besonderer Seite« erschienen Ende Juni 1918 und wurden in der ebenfalls als Sprachrohr der Reichsleitung geltenden »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« nachgedruckt. Unter dem Titel »Für ein freies Flandern« wandte sich der Rat von Flandern an das deutsche Volk und wies darauf hin, dass seit den Zusagen Bethmann Hollwegs mehr als ein Jahr vergangen war. Die Flamen hätten verstanden, dass nicht das Deutsche 1 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt, PA AA, R 4495, S. 211; Vrints, Stad, S. 177; 44 Mitglieder des Rates stimmten für die Abschaffung des Namens »Belgien«, 22 dagegen, vier enthielten sich. Protokoll der Sitzung des Rates von Flandern vom 28. März 1918, S. 32, ARA / AGR, I 530 – 18. 2 Watson; Wende, S. 152 f. 3 Wende, S. 153; Erinnerungen Falkenhausen Bd. 2, BArch, N21/2, S. 347. 4 Siehe voriges Kapitel.

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Reich, sondern die belgische Regierung ihr wahrer Feind sei. Deshalb fordere man für Flandern Selbständigkeit, die jedoch nur dann eine »unangreifbare Grundlage unseres Volkstums« sein könne, wenn sie »eine politische Selbständigkeit ist, welche eigene gesetzgebende Körperschaften, eigene Regierung und eigene richterliche Gewalt besitzt«.5 Hierauf wurde »von besonderer Seite« und unter dem Titel »Flanderns Zukunft« geantwortet. Der offiziöse Artikel zitierte zustimmend Generalgouverneur Falkenhausen, der gesagt hatte, dass es so, wie es vor dem Krieg war, nicht mehr werden dürfe. Belgien sei ein Staat gewesen, »in dem zwei nach Abstammung, Sprache und Kultur grundverschiedene Volksrassen, die Vlamen und Wallonen, zusammengeschlossen waren«. Zudem sei das Land »ohne Rücksicht auf die Wünsche des germanischen Teils der Bevölkerung« zu einer »Ostmark Frankreichs« gemacht worden. Um den zwei »so wesensverschiedenen Nationalitäten« ihre Entwicklung zu erlauben, müsse man eine »über den Rahmen der bloßen Verwaltungstrennung hinausgehende Scheidung« in Erwägung ziehen. Dies würde jedoch nicht ausschließen, dass Wallonien und Flandern staatsrechtlich miteinander verbunden blieben, wie es etwa in Österreich-Ungarn der Fall sei. Auch wirtschaftlich sollten Flandern und Wallonien sich an Deutschland anlehnen. Man wolle aber »keine Annexion, keine Zwangsverdeutschung Flanderns«, sondern ein freies Flandern.6 Bemerkenswert ist der völkische Duktus der Antwort. Inhaltlich wurde die Zusage Bethmann Hollwegs vom 3. März 1917, dass es keine Rückkehr zum »status quo ante« geben werde, wiederholt und mit der Formulierung einer möglichen über die Verwaltungstrennung hinausgehenden Scheidung erweitert. Dies spielte auf die politische Trennung an, die der Rat von Flandern im Generalgouvernement bereits verkündet hatte. Der Hinweis auf Österreich-Ungarn wies hingegen in eine föderale Richtung und schloss einen Erhalt des belgischen Staats zumindest nicht aus. Formell war hiermit den von Generalgouverneur und OHL unterstützten Wünschen der Aktivisten Genüge getan. Weder der Reichskanzler noch das Auswärtige Amt sahen sich allerdings durch diese Art der halboffiziellen Veröffentlichung gebunden.7 Von Hertling ist bekannt, dass er zu diesem Zeitpunkt sogar der Verwaltungstrennung kritisch gegenüberstand und als Hindernis für einen Friedensschluss betrachtete.8 Er lehnte es daher ebenso wie der Staatssekretär des Äußern, Kühlmann, ab, direkt auf

5 Für ein freies Flandern, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung (Morgenausgabe), 24. Juni 1918. 6 Flanderns Zukunft, in: NAZ (Abendausgabe), 26. Juni 1918 (Der Artikel war zunächst in der Kölnischen Zeitung erschienen und dann von der NAZ übernommen worden). 7 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur Lancken an den Dirigenten der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt Langwerth von Simmern. Brüssel, 11. Juni 1918, PA AA, R 4495, S. 100. 8 Reichskanzler Hertling an den bayrischen Kronprinzen Rupprecht. 5. Juni 1918, in: Hertling, S. 142 f.

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den Aufruf zu reagieren.9 Die Aktivisten brachten ihre Unzufriedenheit über diese Antwort gegenüber dem Generalgouverneur zum Ausdruck. Falkenhausen erklärte daraufhin in einem Schreiben an den Rat von Flandern, die Aussagen des Artikels entsprächen der offiziellen Politik der Reichsleitung. Dass diese Klarstellung nicht in der Presse zitiert werden durfte, minderte ihren Wert allerdings beträchtlich.10 Dass Hertling seine Haltung gegenüber den Flamen im Juli  1918 änderte, hing wiederum mit der innenpolitischen Entwicklung im Reich, genauer der sogenannten Kühlmann-Krise zusammen. Der Staatssekretär des Äußern hatte es am 24. Juni 1917 gewagt, vor dem Reichstag die Meinung zu äußern, dass ein Ende des Kriegs nicht »durch rein militärische Entscheidungen allein« erreicht werden könne.11 Eine Pressekampagne der politischen Rechten zwang den Reichskanzler daraufhin, Kühlmann fallen zu lassen. An der großen Kriegzielbesprechung am 2. und 3. Juli 1918, der sogenannten ersten Konferenz von Spa, nahm er bereits nicht mehr teil, obwohl er offiziell erst am 8. Juli 1918 zurücktrat. Da Hertling in dieser Situation sogar eine Militärdiktatur der OHL befürchtete, war er zu Kompromissen bereit, auch in der Flamenpolitik.12 In Spa akzeptierte er, dass die Beibehaltung der Verwaltungstrennung zur Friedensbedingung gemacht wurde. Auch der Kaiser äußerte sich in diesem Sinne.13 Dass diese Vereinbarungen unter Druck zustande kamen, zeigen Hertlings Äußerungen vor dem Hauptausschuss sowie vor dem Interfraktionellen Ausschuss des Reichstags am 11. und 12. Juli. Dort interpretierte er das Ergebnis von Spa vor allem als Zustimmung zu seiner Position, Belgien vollständig freizugeben. Diese Erklärung war notwendig gewesen, um die Zustimmung der Mehrheitsparteien zu den Kriegskrediten zu erhalten, entsprach aber wohl auch Hertlings Ansichten. Für Verwirrung sorgte, dass diese Aussagen zu Belgien erst

9 Abschrift des Schriftwechsels zwischen dem Unterstaatssekretär im Reichsamt des Innern Lewald und dem Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei Radowitz. Berlin, 13. Juni 1918, PA AA, R 4495, S. 81–92. 10 Erklärung Tacks vor dem Rat von Flandern, Protokoll der Sitzung vom 26. Juli 1918, S. IV/​ 1–2, ARA / AGR, I 530 – 20. 11 Rede des Staatssekretärs des Äußern Kühlmann in der 179.  Sitzung des Reichstags am 24. Juni 1918, Reichstag Bd. 313, S. 5612. 12 Reichskanzler Hertling an Vizekanzler Payer. Großes Hauptquartier, 8. Juli 1918, in: Hertling, S. 131; Fischer, S. 546. 13 Abschrift Protokoll über die Besprechung der schwebenden politischen Fragen unter Vorsitz Seiner Majestät zwischen den Vertretern der Reichsregierung und der Obersten Heeresleitung. Spa, 2. Juli 1918, PA AA, R 21570, S. 112; Wende, S. 153–155; Ein Hinweis darauf, dass für Hertling die Zustimmung zur Verwaltungstrennung nur ein Lippenbekenntnis war, ist auch die Darstellung der Besprechung von Spa bei seinem Sohn. Dieser schrieb, man habe sich darauf geeinigt, Belgien freizugeben; den belgischen König wollte man verpflichten, »die flandrische Küste selbst gegen England zu verteidigen, d. h. im verteidigungsfähigen Zustand zu erhalten«. Hertling, S. 127.

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nach und nach bekannt wurden.14 Am 13. Juli 1918 wurde Hertlings Stellungnahme vom 12. Juli veröffentlicht und auf Druck der parlamentarischen Rechten folgten am 14. Juli auch die Äußerungen, die er am 11. Juli gemacht hatte.15 Der Reichskanzler hatte Belgien zwar als ein »Faustpfand« für die Friedensverhandlungen bezeichnet, jedoch hinzugefügt, man beabsichtige nicht, es »in irgendeiner Form zu behalten«. Deutschland wünsche sich, mit einem als selbständigem Staatswesen wieder erstandenen Belgien nach dem Krieg in guten, freundschaftlichen Verhältnissen zu leben.16

a) Unruhe im Rat von Flandern Die Verwaltungstrennung hatte der Reichskanzler vor den Ausschüssen ebenso wenig erwähnt wie die Flamen. Auf die Aktivisten wirkte dies wie eine kalte Dusche. Hippoliet Meert, der bereits nach der Kanzlerrede vom 25. Februar 1918 mit seinem Rücktritt gedroht hatte, verabschiedete sich nun endgültig aus dem aktivistischen Gremium.17 Die Reaktionen im Rat von Flandern waren empört, überwiegend jedoch ernüchtert. Emiel Van Bergen, ein zur Gruppe Jungflandern zählender Aktivist der ersten Stunde, kommentierte, dass der Kanzler zwar bereit sei, die Selbständigkeit Belgiens anzuerkennen, nicht aber jene Flanderns.18 Bitter resümierte er die Lage der Aktivisten: »Durch dick und dünn sind wir der deutschen Politik gefolgt, ehrlich auf ihre Aufrichtigkeit vertrauend, in der Überzeugung den Interessen unseres Volkes zu dienen. Dadurch haben wir uns den Hass von mindestens drei Vierteln der Welt und unserer Franskiljons, die Feindschaft der Passivisten und des größten Teils unseres eigenen Volks zugezogen. Von der deutschen Politik aufgegeben, wird der Aktivismus in einem neuen Belgien isoliert und als Sündenbock der Rachsucht all jener ausgeliefert sein, die belgisch denken und fühlen. Denn, wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben, was die Gefühle der Machthaber und 14 In der NAZ hieß es lapidar, der Kanzler habe auch die Zukunftsprobleme im Westen und Osten berührt und festgestellt, dass sich die Position der Regierung mit bereits im November  1917 gemachten Erklärungen decke. Über die Rede am 12. Juli 1918 hieß es, Hertling habe über die Beurteilung der politischen Lage im Westen »vertrauliche Mitteilungen« gemacht. Graf Hertling im Hauptausschuss. Vertrauliche Darlegungen des Reichskanzlers, in: NAZ vom 11. Juli 1918 (Abendausgabe); Die Erklärung des Reichskanzlers im Hauptausschuss, in: NAZ (Morgenausgabe) vom 12. Juli 1918. 15 Die Erklärungen des Reichskanzlers im Hauptausschuss, in: NAZ (Morgenausgabe) vom 13. Juli 1918; Der Reichskanzler über die belgische Frage, in: NAZ (Sonntagsausgabe) vom 14. Juli 1918. 16 Wende, S. 155; Fischer, S. 525. 17 Wende, S. 181. 18 Protokoll der Sitzung der allgemeinen Versammlung des Rats von Flandern am 25. Juli 1918, S. IV/1, ARA / AGR, I 530 – 20; Wouters, Bergen.

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der Bevölkerung angeht, für den Fall das Belgien wiederhergestellt wird.« Das einzige Interesse der Deutschen an den Aktivisten, so Van Bergen, sei, mit ihrer Hilfe den belgischen Nachkriegsstaat zu destabilisieren.19 In der Debatte bezeichneten mehrere Redner es als Fehler, dass sich die Aktivisten zu stark auf die deutschen Militärs und die konservativen Annexionisten gestützt hätten, während man die Mehrheitsparteien im Reichstag vernachlässigt habe. Nicht nur in den meisten neutralen Ländern, auch in Deutschland lehne die Öffentlichkeit die Flamenpolitik mehrheitlich ab. In dieser Analyse waren sich die Delegierten weitgehend einig. Der gerade aus Berlin zurückgekehrte Bevollmächtigte Leo Meert berichtete, dass die Mehrheit im Reichstag die Aktivisten als eine Schöpfung der deutschen Annexionisten betrachte, um einen Verständigungsfrieden zu verhindern. Dies sei der Grund, weshalb Hertling Flandern vor dem Hauptausschuss nicht erwähnt habe.20 Insbesondere die Reaktionen sozialdemokratischer Politiker kamen zur Sprache. Während die USPD-Abgeordneten Hugo Haase und Eduard Bernstein Meert einen »Landverräter« (sic) nannten, gab Eduard David (SPD) ihm den Rat, nicht von politischer Trennung, sondern lediglich von Föderalisierung Belgiens zu sprechen. Philipp Scheidemann (SPD) sagte dem Aktivisten Lucien Brulez offen, dass die flämische Bewegung unwichtig sei, wenn man nur Frieden bekomme.21 Pieter Tack, der Vorsitzende der Kommission der Bevollmächtigten, einer Art geschäftsführenden Ausschusses des Rates von Flandern, versuchte am folgenden Tag die Lage zu beruhigen. Zunächst räumte er ein, dass das Verhalten des Reichskanzlers zu Recht zu Unzufriedenheit unter den Aktivisten geführt habe, und kritisierte diesen mit scharfen Worten: »Wir richten einen Aufruf an das deutsche Volk und man antwortet uns mit einem Artikel in der Kölnischen Zeitung. Der Reichskanzler nimmt im Hauptausschuss zum wiederholten Mal zum Thema Belgien Stellung und erwähnt dabei das Wort

19 »Welke is toch onze toestand? Door dik en dun zijn wij de Duitsche politiek gevolgd, eerlijk vertrouwend in haar oprechtheid, overtuigd het belang van ons volk te dienen. Daardoor hebben wij den haat van ten minste drie vierden der wereld en onze eigen franskiljons, de vijandschap onzer passieven en van het grootste gedeelte van ons eigen volk op den hals gehaalt. Losgelaten door de Duitsche politiek, moet het aktivisme in een nieuw België geïsoleerd staan, als een zondebok blootgesteld aan de wraakzucht van al wat Belgisch denkt en voelt, want laat ons geen begoochelingen koesteren omtrent de gevoelens van machthebbers en bevolking, in geval van België’s herstel in welken vorm ook.« Protokoll der Sitzung der allgemeinen Versammlung des Rats von Flandern am 25. Juli 1918, S. IV/3, ARA / AGR, I 530 – 20. 20 Protokoll der Sitzung der allgemeinen Versammlung des Rats von Flandern am 25. Juli 1918, S. XIV/2, ARA / AGR, I 530 – 20. 21 Protokoll der Sitzung der allgemeinen Versammlung des Rats von Flandern am 25. Juli 1918, S. XIV/1–3 und XVIII/3, ARA / AGR, I 530 – 20; Auszug aus dem Bericht über die Reise des Herrn Leo Meert von Montag, dem 8. Juli 1918 bis Donnerstag, den 18. Juli 1918 als Anhang zum Flamenpolitischen Bericht für die Zeit vom 1. bis 15. August 1918, PA  AA, R  4495, S. 284.

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Flandern nicht einmal. Ja, bei ihm scheint die Vermeidung des Wortes Flandern geradezu System zu sein.«22

Anschließend versuchte er, die Erregung unter den Aktivisten wieder einzufangen. Er entschuldigte Hertling mit dessen innenpolitischen Schwierigkeiten, da die Flamenpolitik von der Reichstagsmehrheit abgelehnt werde. Außerdem teilte er mit, dass in der Hauptkommission vom 20. Juli 1918, einem regelmäßig tagenden Gremium aus Delegierten der deutschen Verwaltung und der aktivistischen Bevollmächtigten, ein Brief des Generalgouverneurs verlesen worden sei. In diesem habe Falkenhausen erklärt, Hertling stehe fest auf dem Boden der Politik seiner Vorgänger. Der Reichskanzler erkläre sich bereit, dies in offizieller Form zu publizieren und Vertreter der Aktivisten im »intimen Kreise« zu empfangen.23 Die Unruhe unter den Aktivisten war bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung der Äußerungen Hertlings vor dem Hauptausschuss auf einer Staatssekretärsbesprechung in Berlin thematisiert worden. Vizekanzler Payer erklärte, dass in Übereinstimmung mit den Beschlüssen von Spa die Teilung Belgiens in Flandern und Wallonien angestrebt werde und man dies auch in die Rede Hertlings »hinein interpretieren« könne. Öffentlich sagen könne man dies allerdings nicht, selbst ein offiziöser Artikel wie der vom Juni wurde abgelehnt.24 Stattdessen traf sich Hertling, wie angekündigt, von Ende Juli bis Anfang August 1918 mit verschiedenen Mitgliedern des Rates von Flandern zu Besprechungen im »intimen Kreise«. Dies bedeutete, dass keine offizielle Delegation empfangen wurde, sondern jeweils zwei Vertreter an verschiedenen Tagen. Am 26. Juli 1918 empfing Hertling in Spa den Vorsitzenden des Rates von Flandern, den Jungflamen Willem De Vreese, sowie den Unionisten Max ­Oboussier, am 3. August 1918 traf er den Vorsitzenden der Kommission der Bevollmächtigten Pieter Tack und den Bevollmächtigten Josué De Decker, der zum Staatssekretär des flämischen Unterrichtsministeriums ernannt worden war. Das letzte flämische Duo machte am 10. August 1918 seine Aufwartung und bestand aus August Borms und dem führenden Unionisten Arthur Claus, der die Zusammenarbeit mit den Deutschen sehr kritisch beurteilte.25 In den

22 »Wij richtten een oproep hoofdzakelijk tot het Duitsche Volk en men antwoord ons met een dagbladartikel in de Kölnische Zeitung. De Rijkskanselier neemt herhaalde malen het woord over het Belgische vraagstuk in de Hauptauschuss en vernoemt niet eens het woord Vlaanderen. Ja, bij hem schijnt het een stelsel het woord Vlaanderen te vermijden«. Erklärung Tacks vor dem Rat von Flandern, Protokoll der Sitzung vom 26. Juli 1918, S. IV/1–2, ARA / AGR, I 530 – 20. 23 Erklärung Tacks vor dem Rat von Flandern, Protokoll der Sitzung vom 26. Juli 1918, S. IV/3, ARA / AGR, I 530 – 20. 24 Notizen des Pressechefs beim Reichskanzler über die heutige Staatssekretär-Besprechung beim Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers. Berlin, 15. Juli 1918, PA AA, R 4495, S. 167. 25 Elias Bd. 1, S. 82 f.; Vandeweyer u. Baeyens; Mommaerts u. Eetvelde-De Moor; Vandeweyer, Decker; Mommaerts u. Vandeweyer.

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Gesprächen bemühte sich der Reichskanzler, die Aktivisten zu beschwichtigen, ohne konkrete Zusagen zu machen. Als Tack ansprach, dass Deutschland durch die Rede im Hauptausschuss viel an Vertrauen verloren habe, erklärte Hertling, er habe sich aus innenpolitischen Gründen nicht zur flämischen Frage äußern können. Das Minimum, das man für die Aktivisten tun könne, sei vollständige Amnestie zu erreichen, aber er hoffe, die Gründung von zwei selbständigen Staaten Flandern und Wallonien durchzusetzen.26 Der Verwaltungschefs für Flandern, Schaible, urteilte, die Gespräche mit dem Kanzler hätten auf die Beteiligten eine beruhigende Wirkung gehabt, ansonsten halte sich jedoch das Misstrauen gegenüber Deutschland.27 Doch sogar diese Einschätzung scheint zu optimistisch. Die Hinhaltetaktik mit vagen und unverbindlichen Versprechen verfing nicht mehr und das Scheitern der deutschen Frühjahrsoffensive war auch den Aktivisten nicht entgangen. Am 16. August 1918 sprach der Rat von Flandern der Kommission der Bevollmächtigten wegen Erfolglosigkeit das Misstrauen aus. Einige wichtige Unionisten, darunter ­Arthur Claus und Max Oboussier, die an den Treffen mit dem Kanzler teilgenommen hatten, erklärten ihren Rücktritt aus dem Rat von Flandern.28 Die Unruhe erreichte auch die flämischen Kriegsgefangenen in Deutschland, unter denen die Nachricht kursierte, der Reichskanzler habe einer Vertretung des Rates von Flandern zugesagt, sich bei den Friedensverhandlungen für eine Amnestie einzusetzen. Dies wurde als Verzicht auf die Forderung nach flämischer Selbständigkeit interpretiert. Der Kommandant des Lagers Göttingen berichtete, dass die Aktivisten unter den Gefangenen »sehr bestürzt« über diese Nachricht seien.29 Dass Hertling selbst keinen guten Eindruck von den Aktivisten hatte, geht aus einem Schreiben vom 30. August 1918 hervor, das auch belegt, wie wenig er zuvor über die Situation informiert war. Nach »zahlreichen eingehenden Besprechungen, auch mit führenden Flamen« könne er die optimistische Einschätzung der aktivistischen Bewegung nicht teilen. Deren Führer seien uneinig und hätten kein gemeinsames Ziel. Der Aktivismus müsse in sich selber Halt finden und nicht »zu einer durch deutsche Stütze mühsam aufrechterhaltenen Sonderaktion einzelner Teile der flämischen Bevölkerung werden«. Die Belastung für die Friedensverhandlungen sei außerdem zu groß. Er habe den Ein-

26 Bericht über die Unterredung der Vertreter des Rates von Flandern Tack und De Decker mit Reichskanzler Hertling am 3. August 1918 in Gegenwart von Unterstaatssekretär Radowitz, Dossier »Hauptkommission Verslagen. Prof. Dr. K Heyndrickx«. 1918, ARA / AGR, I 530 – 265, S. 17. 27 Der Verwaltungschef für Flandern Schaible, Flamenpolitischer Bericht für die Zeit vom 1. bis 15. August 1918, PA AA, R 4495, S. 277. 28 Handschriftliche Notiz über den Rücktritt des Rates von Flandern. Berlin, 25. August 1918, PA AA, R 4495, S. 261. 29 Der Kommandeur des Kriegsgefangenenlagers Göttingen Riedel an die Inspektion der Kriegsgefangenenlager. Göttingen, 2. September 1918, PA AA, R 4495, S. 111.

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druck gewonnen, dass man von einer ohne Hilfe lebensfähigen Flamenbewegung noch weit entfernt sei.30 Die Kritik an der Flamenpolitik hatte übrigens nichts mit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage zu tun, denn trotz des Scheiterns der deutschen Frühjahrsoffensive war Hertling überzeugt, man gehe lediglich zur »strategischen Defensive« über. Während der zweiten Konferenz von Spa, die am 14. August 1918 stattfand, äußerte der Reichskanzler, eine Friedensinitiative erst »nach dem nächsten Erfolge im Westen« unternehmen zu wollen. Er blieb damit der Maxime treu, nur aus einer Position der Stärke heraus Verhandlungen aufzunehmen.31 Noch am 12. September 1918 sprach Vizekanzler Payer in Stuttgart öffentlich von Belgien im Sinne eines Faustpfands. In diesem Rahmen verlieh er auch der Hoffnung Ausdruck, dass nach einer Freigabe »die Flamenfrage von Belgien im Sinne der Gerechtigkeit und staatsmännischen Klugheit gelöst« werden würde. Diese Passage sorgte bei den Aktivisten für neuen Unmut, obwohl hiermit keineswegs ein Abrücken von der bisherigen Flamenpolitik ausgedrückt werden sollte.32 Falkenhausen verteidigte seine Flamenpolitik gegenüber dem Reichskanzler noch am 23. September 1918 und beklagte sich über die mangelnde Abstimmung mit ihm. Es sei ein Widerspruch, wenn der Reichskanzler in seinen Reden die Flamen nicht erwähne, zugleich aber in Belgien aktiv Flamenpolitik betrieben werde. Durch die Zusagen Bethmann Hollwegs sei Deutschland in seiner Ehre gebunden und habe daneben auch ein eigenes Interesse daran, die Flamen bei Friedensverhandlungen und danach zu stützen, da so die »Bildung einer deutschfreundlichen Schicht unter den flämischen Politikern begünstigt werde«.33 Ende September wurde ein flämischer »Regierungsbeirat« eingesetzt, der die Aktivisten noch enger in die deutsche Verwaltung einbinden sollte. Von der Veröffentlichung wurde allerdings, wie es hieß »mit Rücksicht auf die derzeitige Lage«, vorerst abgesehen.34 Diese war mittlerweile militärisch aussichtslos. Von der Zuversicht Hindenburgs, auf »französischem Boden stehen zu bleiben und dadurch schließlich den Feinden unseren Willen aufzuzwingen«, war nichts geblieben.35 Am 29. Sep30 Reichskanzler Hertling an den Referenten für katholische Angelegenheiten in der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Franz Josef Pfleger. Berlin, 30. August 1918, PA AA, R 4496, S. 25; Dolderer, Imperialismus, S. 189 f. 31 Fischer, S. 550 f.; Abschrift Besprechung im Großen Hauptquartier am 14. August 1918, BArch, R 43/2477, S. 212–214. 32 Wende, S. 201; Vanacker, Avontuur, S. 445; Flamenpolitischer Bericht vom 16. August bis 15. September 1918, PA AA, R 4496, S. 68. 33 Der Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen an Reichskanzler Hertling. Brüssel, 23. September 1918, GStA PK, I. HA Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett jüngere Periode, Nr. 13221 (unpaginiert). 34 Flamenpolitischer Bericht vom 16. September bis 1. Oktober 1918, PA AA, R 4496, S. 125. 35 Abschrift der Besprechung im Großen Hauptquartier am 14. August 1918, BArch R 43/2477, S. 214.

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tember 1918 drängten Ludendorff und Hindenburg den Kaiser zum Friedensschluss. Einen Tag später trat Hertling zurück und am 4. Oktober 1918 forderte Ludendorff den neuen Reichskanzler, Max von Baden, auf, die Räumung und Wiederherstellung Belgiens anzukündigen.36 Lancken, der die Flamenpolitik maßgeblich mitgeprägt hatte, schrieb, dass Baden das deutsche Interesse an den Flamen auf keinen Fall erwähnen dürfe.37 Der Reichskanzler folgte beiden Empfehlungen, er kündigte am 5. Oktober im Reichstag die Räumung Belgiens an und wies Falkenhausen am 8. Oktober 1918 an, keine weiteren Verwaltungsmaßnahmen zugunsten der Flamen zu erlassen.38 Mit der Gewissheit der deutschen Niederlage begann nun die ungewisse Zukunft der Aktivisten. Der Verwaltungschef für Flandern berichtete, dass nachdem die »Besetzung von Ostende und Brügge«39 bekannt geworden sei »und auch Gent immer mehr in den Bereich kriegerischer Handlungen gezogen werde«, immer mehr Flamen das Land verlassen wollten. Die meisten der »politisch hervorgetretenen Flamen«, so Schaible, wollten in die Niederlande, einige auch nach Deutschland flüchten. In beiden Ländern seien bereits »Fürsorgestellen« geschaffen worden. Was die politischen Perspektiven der Aktivisten anging, so erwartete Schaible ein Zusammengehen der unionistischen Aktivisten mit den passiv gebliebenen Flaminganten. Erst wenn diese »gemäßigte Richtung innerhalb der Flämischen Bewegung den Selbständigkeitsbestrebungen Flanderns in gewissem Umfange zum Siege verholfen« habe, könnten auch die radikalen Jungflamen wieder hervortreten. Die »stärkste Stütze für die künftige Bewegung« werde aber wohl die »flämische Frontpartei« werden.40 Die Flüchtlinge in Deutschland unterzubringen, gestaltete sich als schwierig. Bereits am 12. Oktober 1918 hatte Schaible bei der Deutsch-Flämischen Gesellschaft angefragt, ob diese für die Aufnahme von 500 Flüchtlingen in Düsseldorf sorgen könne. Die Vereinigung verneinte unter Hinweis auf die Wohnungsnot in Düsseldorf sowie die düsteren politischen und wirtschaftlichen Aussichten. Eine Unterbringung in Deutschland könne zudem die flämische Bewegung kompromittieren, weshalb Flüchtlinge lieber in die Niederlande gehen sollten.41 Ab 36 Ludendorff an das Auswärtige Amt. Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier Lersner. Großes Hauptquartier, 4. Oktober 1918, PA AA, R 21567, S. 54. 37 Der Chef der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken an das Auswärtige Amt, »Über morgige Erklärung des Reichskanzlers«. Brüssel, 4. Oktober 1918, PA AA, R 21567, S. 57. 38 Rede Reichskanzler Badens während der 192. Sitzung des Reichstags am Sonnabend, den 5. Oktober 1918, Reichstag Bd. 314, S. 6151; Der Reichskanzler Baden an den Generalgouverneur in Belgien Falkenhausen. Berlin, 8. Oktober 1918, PA AA, R 4496, S. 102. 39 Die Anwesenheit in Belgien war Schaible offenbar bereits so zur Gewohnheit geworden, dass er die Einnahme Brügges und Ostendes durch belgische Truppen ganz selbstverständlich als »Besetzung« bezeichnete. 40 Flamenpolitischer Bericht vom 1. bis 15. Oktober 1918, PA AA, R 4496, S. 133. 41 Schriftwechsel zwischen dem Staatssekretär des Innern Trimborn und Stocky (DeutschFlämische Gesellschaft) über die Unterbringung von flämischen Flüchtlingen in Deutschland. Oktober / November 1918, BArch, R 1501/119583.

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dem 27. Oktober 1918 organisierte dann Max Robert Gerstenhauer in Bad Salzuflen die Aufnahme der flämischen Flüchtlinge.42 In den Niederlanden wurde eine Fürsorgestelle in Den Haag eingerichtet, die von einem gewissen Behrens geleitet wurde.43 Auch die Frage, was mit der Flämischen Hochschule passieren sollte, ließ sich nicht einfach beantworten. Es sollte auf keinen Fall der Eindruck entstehen, die Flämische Hochschule sei als Ganzes nach Deutschland übergesiedelt, da man befürchtete, dass die belgische Regierung einen solchen Umzug als Argument gegen eine flämische Universität in Belgien nutzen könnte.44 Versuche, Studenten und Professoren in Münster unterzubringen, scheiterten am Widerstand der dortigen Universität, die Unterbringung in Hamburg an der Revolution. Letztlich erklärte sich die Universität Göttingen zur Aufnahme bereit. In Göttingen befand sich bereits ein Kriegsgefangenenlager, in dem flämische Soldaten interniert worden waren, um sie zu beeinflussen. Insbesondere der Theologieprofessor Carl Stange kümmerte sich um diese Gefangenen, von denen einige bereits während des Krieges ein Studium an der Universität aufgenommen hatten. Es erschien daher naheliegend, die Flämische Hochschule nach hier zu verlagern.45 Letztlich kamen nur 13 Studenten nach Göttingen und selbst von diesen gingen sieben im Laufe des Jahres 1919 wieder zurück nach Belgien.46 Als sich belgische Truppen Gent näherten, bekamen die Professoren der Flämischen Hochschule drei Monatsgehälter ausbezahlt. Von den insgesamt 63 Hochschullehrern gingen 40 in die Niederlande und 13 nach Deutschland. Zehn entschieden sich in Belgien zu bleiben, da sie glaubten, die belgische Regierung werde es nicht wagen, die Flämische Hochschule zu beseitigen.47 Am 1. November 1918 gab der Verwaltungschef für Flandern Weisungen für das Verhalten der Aktivisten nach dem Abzug der Deutschen heraus. Er empfahl ihnen in Belgien zu bleiben, falls keine unmittelbare Gefahr für die persönliche 42 Dolderer, Ballingen I, S. 68. 43 Dr. Behrens leitete die Stelle des »Delegierten des Generalgouverneurs bei der Kaiserlich deutschen Gesandtschaft im Haag«, so die offizielle Bezeichnung, die in das Ressort der Politischen Abteilung in Brüssel fiel. Was er dort genau machte, ist nicht bekannt, die Arbeit dieser Stelle, so wie die anderer Behörden (etwa der OHL) in den Niederlanden, erfolgte aber weitgehend unabhängig von der Gesandtschaft. Personal- und Geschäftsübersicht für die dem Generalgouverneur in Belgien direkt unterstellten Zivilbehörden (Stand: November 1917), Berlin 1917, S. 54; Siehe auch das Schreiben des Gesandten in den Niederlanden Rosen über die fortgesetzte Tätigkeit militärischer Stellen nach dem Krieg. Den Haag, 20. Januar 1919, ADAP, A, 1, S. 202; Eversdijk, S. 160. 44 Der Verwaltungschef in Flandern Schaible an das Reichsamt des Innern. 24. Oktober 1918; Der preußische Minister für geistliche Angelegenheiten Friedrich Schmidt-Ott an den Universitätskurator in Münster. Berlin, 28. Oktober 1918, in: Langendries Bd. 2, S. 816 f. 45 Dolderer, Ballingen I, S. 71–73. 46 Der Rektor der Universität Göttingen Hans Reichenbach an den Reichsminister des Innern Eduard David über die Fürsorge für studierende Flamen. Göttingen, 30. August 1919, BArch, R 1501/119591, S. 80 f. 47 Vanacker, Avontuur, S. 450.

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Sicherheit bestehe. Ein kriegsgerichtliches Vorgehen gegen die Aktivisten hielt Schaible »im Hinblick auf die zunehmende Stärke der flämischen Bewegung« für unwahrscheinlich. Zudem werde eine Verurteilung durch belgische Gerichte den meisten Aktivisten nicht unerwünscht sein, womit er auf den Propagandaeffekt solcher Verfahren anspielte. Unmittelbare Gefahr sei nur von »Ausschreitungen des Pöbels zu befürchten«. Diese hielt Schaible allerdings »bei dem Charakter des belgischen Volkes« für möglich. Die Aktivisten sollten sich möglichst ruhig verhalten und die Führung den flämischen Passivisten überlassen.48

b) Das Ende Die Furcht vor tätlichen Angriffen bewahrheitete sich. Nachdem die Belgier am 11. November 1918 in Gent einmarschiert waren, kam es zu tagelangen Ausschreitungen. Häuser und Wohnungen von Aktivisten wurden verwüstet, Geschäfte und Cafés geplündert. Drei Frauen wurden kahl geschoren, es gab ein Todesopfer und einige Schwerverletzte.49 Auch in Antwerpen kam es zu Übergriffen, allerdings nicht ganz so heftig wie in Gent.50 In Brüssel war die Situation anders. Die Stadt war ein wichtiger Knotenpunkt für den Abzug der Truppen von der Westfront und die Revolution in Deutschland hatte auch die deutschen Soldaten in der belgischen Hauptstadt erfasst. Am 10. November 1918 wurde ein Soldatenrat gebildet, dem sich die Behörden des Generalgouvernements unterstellten.51 Der Kommandeur der nach ihm benannten Heeresgruppe, der nun ehemalige bayrische Kronprinz Rupprecht, flüchtete sich am selben Tag in die spanische Botschaft und zwei Tage später in die Niederlande.52 Der Generalgouverneur verließ Belgien in der Nacht vom 12. auf den 13. November 1918 über den für die Abreise der deutschen Truppen abgesperrten Brüsseler Nordbahnhof. Der Andrang war so groß, erinnerte sich Falkenhausen, dass für ihn und seine »nächste Umgebung (fünf Offiziere) nur ein Abteil II. Klasse verfügbar war«.53 So endete nach mehr als vier Jahren das Kaiserliche Generalgouvernement in Belgien.

48 Der Verwaltungschef für Flandern. Weisungen an die Aktivisten für ihr Verhalten bei Aufhören der deutschen Verwaltung. Brüssel, 1. November 1918, PA AA, R 4496, S. 179. 49 Vanacker, Avontuur, S. 453–455. 50 Vrints, Stad, S. 191. 51 Brüsseler Kurier vom 11. November 1918; NAZ vom 15. November 1918. 52 Bericht des Chefs der Politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien Lancken, »Die Vorgänge in Brüssel während der letzten Tage vor der Räumung«. Berlin, 20. November 1918, PA AA, R 21374, S. 369 f.; Afflerbach, Kronprinz, S. 50. 53 Falkenhausen, Erinnerungen Bd. 2, BArch, N21/2, S. 386; Der Gesandte in den Niederlanden Rosen übermittelt den Bericht Lanckens über die Abreise aus Brüssel. Den Haag, 15. November 1918, PA AA, R 21374, S. 339.

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Der Brüsseler Soldatenrat hob die militärische Grußpflicht auf und setzte alle aus politischen Gründen Inhaftierten auf freien Fuß. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Ruhe zu bewahren, um die friedliche Räumung Belgiens zu ermöglichen.54 Die Macht wurde wieder an die belgischen Behörden übergeben. Auf Befehl des Soldatenrats wurde sogar ein Auto nach Goslar geschickt, um den dort internierten Brüsseler Bürgermeister zu befreien.55 Trotz der Bemühungen des Soldatenrats kam es zu Ausschreitungen und Plünderungen. Bei Schießereien zwischen kaisertreuen und revolutionären Truppen wurden dreißig bis vierzig  deutsche Soldaten getötet, aber auch ein Brüsseler Polizist sowie ein 14-jähriger Junge.56 Mindestens acht weitere Zivilisten wurden in den unruhigen Tagen bis zum endgültigen Abzug getötet. Nach deutschen Schätzungen hielten sich 50. bis 60.000 Deserteure und versprengte Soldaten in Brüssel auf. Betrunkene Soldaten randalierten, manche nutzten die Gelegenheit zum Plündern oder sogar zu Banküberfällen. Auch tausende belgische Zivilisten ergriffen die Gelegenheit, um Vorratslager zu stürmen und sich für den nahenden Winter zu bevorraten. Eine der ersten Amtshandlungen der belgischen Behörden war daher am 17. November 1918 die Erklärung des Belagerungszustands, so dass Straftaten gegen die öffentliche Ordnung nun in die Zuständigkeit von Militärgerichten fielen.57 Diese begannen bald auch mit der Verfolgung von »Verrätern«, womit nicht nur flämische Aktivisten gemeint waren, sondern beispielsweise auch Ge­ schäftsleute, die von der Besatzung profitiert hatten. Neben der juristischen »Säuberung« gab es auch sogenannte administrative Maßnahmen, die sich gegen Personen richteten, die der Kollaboration beschuldigt wurden. Diese reichten von der Entlassung von Beamten bis zur Verweigerung, die Schankerlaubnis einer Kneipe zu erneuern, weil diese ein beliebter Treffpunkt deutscher Soldaten gewesen war. Deutsche Staatsbürger wurden des Landes verwiesen. Noch im Dezember saßen allein im Raum Groß-Brüssel etwa tausend Deutsche in belgischen Gefängnissen oder Internierungslagern. Auch die etwa zehntausend oft seit Jahrzehnten in Antwerpen lebenden Deutschen mussten Belgien verlassen. Letztere hatten übrigens der Flamenpolitik oft skeptisch bis ablehnend gegenübergestanden und galten in der flämischen Bewegung als Stütze der liberalen

54 Aufruf des Brüsseler Soldatenrats an die belgische Bevölkerung, Brüsseler Kurier vom 11. November 1918. 55 Im Bericht der NAZ ist von Bürgermeister »Rose« die Rede, gemeint ist wahrscheinlich ­Adolphe Max. Dieser hatte sich aber schon selbständig auf den Weg gemacht. »M.   Max rentre triomphant«, La dernière heure, 18. November 1918; »Le retour de M. Max, L’indépendance belge«, 18. November 1918; Bericht Lanckens »Die Vorgänge in Brüssel während der letzten Tage vor der Räumung«. Berlin, 20. November 1918, PA AA, R 21374, S. 363. 56 Schaepdrijver, Oorlog, S. 273. 57 Der Gesandte in den Niederlanden Rosen übermittelt Bericht Lanckens über die Abreise aus Brüssel. Den Haag, 15. November 1918, PA AA, R 21374, S. 339; Majerus, Occupations, S. 134.

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frankophonen Eliten. Ihre Ausweisung verschob daher die politischen Kräfteverhältnisse in Antwerpen eher in Richtung der Flaminganten.58

c) Die Abwicklungsbehörde Asmis – Eine Fortsetzung der Flamenpolitik? Die Flamenpolitik war ursprünglich auch als Exit-Strategie konzipiert worden, welche die Wahrung deutscher Interessen im Fall eines erzwungenen Rückzugs garantieren sollte. Mit einer so umfassenden Niederlage hatte allerdings kaum jemand gerechnet. Wenn sich die Reichspolitik im November 1918 mit der Flamenpolitik beschäftigte, dann nur um sich von ihr zu distanzieren. In der Besatzungsverwaltung gab es jedoch auch jetzt Überlegungen, diese nach dem Rückzug fortzuführen. Am 29. Oktober 1918 schrieb Friedrich Markus Huebner, der in der Politischen Abteilung in Brüssel u. a. für die Entwicklung eines flämischen Buchhandels zuständig gewesen war, an den Leipziger Verleger Anton Kippenberg und dessen Frau Katharina. Kippenberg, der als Besatzungsoffizier in Belgien gedient hatte, war von der flämischen Literatur begeistert und stellte seine verlegerische Expertise in den Dienst der kulturellen Flamenpolitik. In der »Flämischen Reihe« seines Insel-Verlags erschienen seit 1915 die Werke zeitgenössischer flämischer Schriftsteller, aber auch mittelalterliche Werke in deutscher Übersetzung.59 Den Untergang der deutschen Besatzung vor Augen, schlug Huebner vor, Rudolf Asmis mit der Abwicklung der Flamenpolitik zu beauftragen, den bisherigen Referenten der flamenpolitischen Abteilung beim Verwaltungschef für Flandern. Asmis’ »Liquidationsreferat«, so Huebner, solle nach dem Krieg die »geheime Propagandaarbeit« koordinieren und außerdem die Flüchtlinge in Deutschland und den Niederlanden zusammenhalten. Seiner Ansicht nach war es gelungen, in Flandern »ein starkes völkisches Bollwerk gegen das Vordringen Frankreichs« zu errichten, das es auch in Zukunft zu erhalten gelte.60 Ob dieser Brief, den Frau Kippenberg am 4. November 1918 an das Auswärtige Amt weiterleitete, irgendeinen Einfluss hatte, ist nicht überliefert. Jedenfalls leitete Asmis seit Januar 1919 tatsächlich die beim Reichsministerium des Innern angesiedelte Dienststelle »Verwaltungschef für Flandern (Abwicklungsbehörde)« bzw. »Zivilverwaltung für Belgien (Abwicklungsbehörde)« in der Berliner ­Möckernstraße. Sie wurde zu einem Anlaufpunkt für ehemalige Aktivisten, die ihre materiellen Nöte an ­Asmis herantrugen, ihm aber auch politische Projekte und Vorhaben mitteilten.61 58 Majerus, Occupations, S. 146–148; Vandeweyer, Repressie; Vrints, »Klippen«, S. 35–37. 59 Roland, »Kriegskolonie«, S. 111–149; ders., Huebner; Uffelen, S. 233–246. 60 Friedrich Markus Huebner an Anton und Katharina Kippenberg. Brüssel, 28. Oktober 1918, PA AA, R 4496, S. 150–163. 61 Siehe hierzu die Aktenüberlieferung der Abwicklungsbehörde. BArch, R  1501/119583; R 1501/​119584. Fürsorge für flämische Flüchtlinge in Deutschland (Flamenfürsorge).

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Hauptsächlich widmete sich die Abwicklungsbehörde allerdings der Aufgabe, die vom Deutschen Reich eingegangenen finanziellen Verbindlichkeiten abschließend zu regeln und die Fürsorge für die flämischen Flüchtlinge in Deutschland und den Niederlanden zu koordinieren. Schon diese Tätigkeiten kollidierten allerdings mit der Absicht des Auswärtigen Amts alles zu vermeiden, was an die Besatzung und insbesondere die Flamenpolitik erinnerte. Bereits Anfang November 1918 hatte der deutsche Gesandte in Den Haag, Rosen, über einen großen Andrang flämischer Flüchtlinge an der von Behrens geleiteten Fürsorgestelle geklagt, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Gesandtschaft befand. Rosen befürchtete eine Schädigung deutscher Interessen und zweieinhalb Wochen später untersagte das Amt den Diplomaten in den Niederlanden jeglichen Kontakt zu flämischen Aktivisten.62 Die Auszahlung der Unterstützung wurde daraufhin in die Hände des Aktivisten Leo Meert gelegt.63 Die Politische Abteilung des Auswärtigen Amtes begründete das Verbot jeglicher Kontakte Ende Dezember 1918 auch mit einer möglichen wirtschaftlichen Wiederannäherung an Belgien. Hierfür sah man Chancen, weil sich das Land nicht allein dem Wohlwollen Frankreichs aussetzen wolle. »Um diese Bewegung nicht zu stören, ist es unbedingt notwendig, von der von uns während des Krieges betriebenen Flamen-Politik energisch abzurücken. Dieses durchzusetzen ist schwierig, da einzelne Persönlichkeiten, die die Leiter der Flamenpolitik in der Okkupationsverwaltung waren und die jetzt noch bei den Liquidations­ behörden tätig sind, trotz aller ergangenen Befehle noch nicht von der ihnen lieb gewordenen Tätigkeit ablassen wollen und bestrebt sind, die Verbindungen zu den aktivistischen Flamen aufrecht zu erhalten.«64 Hiermit war ohne Zweifel Asmis gemeint, obwohl dieser sich vor allem auf die materielle Unterstützung der Flüchtlinge konzentrierte, wobei der Fonds für die flämischen Exilanten in Deutschland bereits im März 1919 an sein Ende gekommen war. Die umfangreichste Verpflichtung war die Besatzungsmacht gegenüber den Professoren der Universität Gent eingegangen, denen für den Fall eines unverschuldeten Verlusts ihres Amts Emeritat und Pensionsansprüche sowie – in den meisten Fällen – zwei Drittel ihrer bisherigen Bezüge garantiert wurden. Nachdem die belgische Regierung die Professoren der Flämischen Hochschule am 21. Januar 1919 ihrer Ämter enthob, trat dieser Fall ein.65 Asmis strebte an, die 62 Der Gesandte in den Niederlanden Rosen an das Auswärtige Amt. Den Haag, 6. November 1918, PA AA, R 4496, S. 172; Das Auswärtige Amt an den Gesandten in den Niederlanden. Berlin, 25. November 1918, PA AA, R 4496, S. 184. 63 Bericht über die unterstützungsbedürftigen Flamen, Robert Paul Oszwald an den Verwaltungschef für Flandern (Abwicklungsbehörde) Asmis. Berlin, 31. Januar 1919, PA AA, R 4496, S. 207; Bericht Asmis’ über die amtliche Fürsorge für die flämischen politischen Flüchtlinge. Berlin, 16. Mai 1919, PA AA, R 4497, S. 123. 64 Aufzeichnung des Legationsrates Prinz von Hatzfeldt-Trachtenberg. Berlin, 29. November 1918, ADAP, A, 1, S. 145. 65 Rudolf Amis, Die Abfindung der in Holland aufhältlichen Professoren und Dozenten der früheren flämischen Universität Gent, PA AA, R 4497, S. 81–83.

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Ansprüche der insgesamt 61 Hochschullehrer mit einer Einmalzahlung abzugelten. Diese Regelung kam auch den Betroffenen entgegen, da angesichts der innenpolitischen Lage in Deutschland nicht absehbar war, ob auch zukünftige Regierungen zu den vom Kaiserreich gegebenen Zusagen stehen würden. Letztlich ließen sich die meisten auf eine nach Alter gestaffelte Zahlung ein, womit Asmis eine Deckelung der Ansprüche gelang. Insgesamt berechnete er den Umfang der Zahlungen auf 5.802.453 Mark.66 Gegenüber den Beamten der unter deutscher Besatzung eingerichteten flämischen und wallonischen Ministerien zeigte man sich weniger großzügig, da diesen gegenüber keine vergleichbaren Garantien abgegeben worden waren. Bis zum 1. Februar 1919 wurden die Gehälter ausgezahlt, danach war Schluss. Letztlich wurde zwischen Auswärtigem Amt und der Abwicklungsbehörde vereinbart, eine Gesamtsumme von insgesamt 250.000 Mark für die nach Deutschland und in die Niederlande geflüchteten ehemaligen Beamten zur Verfügung zu stellen sowie einen gesonderten Unterstützungsfonds in Höhe von 100.000 Mark für diejenigen einzurichten, die in Belgien geblieben waren.67 Neben den ehemaligen Beamten und Professoren bekamen die Fürsorgestelle in Salzuflen und das Unterstützungskomitee in den Niederlanden jeweils 200.000 Mark. Daneben wurde für ehemalige Studenten der Flämischen Hochschule ein Fonds eingerichtet, aus dem monatliche Stipendien in Höhe von 220 Mark gezahlt wurden. Es gab auch Sonderzahlungen an besonders verdiente Aktivisten, so etwa an Domela Nieuwenhuis und die Familie des inhaftierten August Borms.68 Noch während der gesamten 1920er Jahre richteten sich bedürftige Flamen individuell an deutsche Behörden, wobei sie sich in den meisten Fällen ihrer Kontakte aus der Besatzungszeit bedienten. Die Hilfsleistungen an die ehemaligen Verbündeten wurden nicht aus reiner Menschenliebe gezahlt, sondern auch in der Hoffnung auf einen zukünftigen politischen Nutzen. Den Bericht über die Zahlungen an die in den Niederlanden wohnenden ehemaligen Professoren der Flämischen Hochschule beendete Asmis mit der Feststellung, dass sich die meisten ehrlich gefreut und anerkannt hätten, dass Deutschland seinen Verpflichtungen trotz der für es schweren wirtschaftlichen und politischen Lage nachgekommen sei. Er glaube, »dass durch die Abfindung Sympathien erhalten bzw. geschaffen sind, die in späterer Zeit auch noch ihre Früchte für Deutschland tragen

66 Die Staffelung reichte von 25 % der Bezüge für unter 30-Jährige bis 100 % für über 56-Jährige. Deswegen, aber auch weil die Professoren nicht die gleichen Gehälter bezogen hatten, waren die Zahlungen unterschiedlich hoch. Während der Mediziner Reimond Speleers fast 200.000 Gulden erhielt, waren es für die jungen Dozenten Max Oboussier und Reimond Kimpe jeweils nur 20.000 Gulden. Ebd., S. 86–91. 67 Abschrift über Verhandlung des Herrn Konsul Dr. Asmis mit Legationsrat Köster am 14. Juli 1919 über die Entschädigung der Professoren der Universität Gent und der Beamten, PA AA, R 4497, S. 264 f. 68 Bericht Asmis’ über die amtliche Fürsorge für die flämischen politischen Flüchtlinge. Berlin, 16. Mai 1919, PA AA, R 4497, S. 128, 134 f.

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werden.«69 Die Zahlungen an ehemalige Beamte begründete er damit, dass es ansonsten zu einer »erhebliche[n] Erbitterung gegen das Deutsche Reich« kommen könne.70 Im Gegensatz zu Asmis hielt die Politische Abteilung im Auswärtigen Amt den möglichen negativen Effekt verärgerter Aktivisten für gering. Sie befürwortete eine Zahlung vor allem deswegen, weil es außenpolitisch erwünscht war, »möglichst bald die frühere Politik in Belgien zu liquidieren.«71 Was die Unterstützung bedürftiger Flamen anging, gab es zwischen den deutschen Ministerien keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten. Auch das Auswärtigen Amt war aus außenpolitischen Gründen dagegen, die noch in Bad Salzuflen untergebrachten Flamen auf die Straße zu setzen. Allerdings lehnte es jede Form der politischen Unterstützung kategorisch ab, nicht zuletzt mit dem Argument, dass diese den flämischen Nationalisten eher schaden als nützen würde. Die Bitte, sich für eine Amnestie für die Aktivisten einzusetzen, kommentierte der Chef der Politischen Abteilung Hans-Heinrich Dieckhoff mit den Worten, es könne nicht Sache der deutschen Regierung sein »eine Amnestie für die Flamen, die ihr Land verraten« hätten, zu erwirken. Außenminister Ulrich von Brockdorff-Rantzau notierte, damit »würden wir ihnen und uns nur schaden«.72 Es ist nicht überraschend, dass auch Bitten, die in Belgien gegründete flämisch-nationalistische Frontpartei finanziell zu unterstützen, abgelehnt wurden.73 Leo Meert, der den aktivistischen Unterstützungsfonds in den Niederlanden verwaltete, traf sich am 14. April mit Unterstaatssekretär Leo Simons, dem Generalkommissar der deutschen Friedensdelegation in Versailles. Simons erklärte zwar, dass man den Flamen noch immer »das lebhafteste Interesse« entgegenbringe, warnte aber zugleich davor, sich zu sehr auf Deutschland zu stützen. Die deutsche Delegation werde sich nicht explizit für die Flamen einsetzen, sondern allgemein die Forderungen vertreten, die den flämischen Wünschen entsprächen.74 Im Gegensatz zum Auswärtigen Amt wurde im Innenministerium durchaus eine offensivere Behandlung der flämischen Frage befürwortet. Die Auseinandersetzung zwischen beiden Ministerien eskalierte, als der Staatssekretär im Innenministerium am 10. Februar 1920 geradezu enthusiastisch auf die Wichtigkeit der flämischen Bewegung »für unsere zukünftige Belgien-Politik« hinwies und dies mit dem Ergebnis der belgischen Parlamentswahlen vom 16. November 69 Rudolf Asmis, Die Abfindung der in Holland aufhältlichen Professoren und Dozenten der früheren flämischen Universität Gent, PA AA, R 4497, S. 91. 70 Asmis an Legationsrat Rhomberg im Auswärtigen Amt. Berlin, 16. Juni 1918, PA AA, R 4497, S. 184. 71 Antwort Rhombergs an Asmis. Berlin, 18. Juni 1918, PA AA, R 4497, S. 186. 72 Gesprächsnotiz Legationsrat Friedrich Ludwig Kempff über ein Gespräch mit 4 Flamen aus Salzuflen am 3. April 1919 im Auswärtigen Amt. Berlin, 3. April 1919, ADAP, A, 1, S. 368 f. 73 Handschriftliche Aufzeichnung im Auswärtigen Amt vom 7. April 1919, PA AA, R 4497, S. 105. 74 Aufzeichnung Unterstaatssekretär Walter Simons über ein Treffen mit Leo Meert. Berlin, 14. April 1919, PA AA, R 4497, S. 114.

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1919 begründete. Lewald fügte seinem Schreiben einen Artikel Oszwalds über die jüngsten Entwicklungen in Belgien bei und wies auf das Anwachsen der flämischen Presse hin.75 Mit welcher Intention Lewald dieses Schreiben verfasste, ist nicht ganz klar. Wenn er eine Unterstützung der flämischen Bewegung durch die offizielle deutsche Außenpolitik erreichen wollte, gelang ihm jedenfalls genau das Gegenteil. Der Außenminister wandte sich direkt an den Innenminister, um darauf hinzuweisen, dass die flämische Bewegung nur dann von Nutzen für die deutsche Außenpolitik sein könne, wenn sie sich vom Ruf der Deutschfreundlichkeit freimachen könne. Im Augenblick werde die Politik der flämischen Bewegung von den meisten Belgiern so betrachtet wie die Politik der rheinischen Separatisten in Deutschland. Besondere Zurückhaltung sollten deshalb diejenigen an den Tag legen, die während der Besatzung »eine führende Rolle in der Flamenpolitik« innehatten. Dies bezog sich auf Asmis und Oszwald. Der Außenminister schloss mit der Bitte, die außenpolitische Bewertung der flämischen Bewegung dem Auswärtigen Amt zu überlassen. Hierauf ruderte Lewald zurück und behauptete, er habe lediglich Informationen weitergeben wollen, die er aus dem Kontakt mit Flamen erhalten habe.76

75 Der Staatssekretär im Reichsministerium des Innern an das Auswärtige Amt. Berlin, 10. Februar 1920, PA AA, R 4497, S. 417. 76 Legationsrat im Auswärtigen Amt Hatzfeldt an den Reichsminister des Auswärtigen Hermann Müller. Berlin 19. Februar 1920; Der Reichsminister des Auswärtigen Hermann Müller an den Reichsminister des Innern Erich Koch-Weser. Berlin, 29. Februar 1920; Antwort des Staatssekretärs des Innern Lewald (in Vertretung) an den Reichsminister des Auswärtigen Hermann Müller. Berlin, 15. März 1920, PA AA, R 4497, S. 428–434.

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Teil II Die Wirkungsgeschichte der »importierten Nation« in Zwischenkriegszeit und Zweitem Weltkrieg

1. Deutschland und der flämische Nationalismus von 1919 bis 1925

Mit der importierten Nation sollten Tatsachen für die Nachkriegszeit geschaffen werden. Schon unter Bethmann Hollweg war dies Teil einer Exit-Strategie, um im Fall eines Kompromissfriedens deutsche Interessen in Belgien zu sichern und eine Anbindung des Landes an die Entente zu verhindern. Die belgische Regierung, so die Überzeugung, werde die unter der Besatzung geschaffenen Strukturen eines flämischen Staates nicht einfach wieder beseitigen können. Diese Annahme erwies sich nicht zuletzt deshalb als falsch, weil Deutschland nach der Niederlage von 1918 nicht als Schutzmacht der flämischen Nationalisten fungieren konnte. Eine offene Unterstützung durch die ehemalige Besatzungsmacht, so die realistische Einschätzung in Berlin, würde den flämischen Nationalisten ebenso schaden wie den außenpolitischen Interessen des Deutschen Reichs.1 Der Rückkehr zur Nichteinmischungspolitik von vor 1914 lag also ein rationales Kalkül zugrunde und keineswegs neu gewonnener Respekt vor der Integrität des belgischen Staates. Eine Unterstützung der flämischen Nationalisten aber blieb immer eine Option, welche die Befürworter einer aggressiveren Außenpolitik in der Zwischenkriegszeit wiederholt ins Spiel brachten. Während das Auswärtige Amt eine offizielle Förderung des flämischen Nationalismus durchweg ablehnte, gab es vor 1933 drei oder vier Fälle, in denen es inoffizielle Hilfen befürwortete. Treibende Kraft dieser Initiativen war der Anfang der 1930er Jahre für Belgien zuständige Legationsrat Werner Neumeister. Er unterhielt gute Kontakte zu Rudolf Asmis, der bis 1922 die für die Abwicklung der Flamenpolitik zuständige Stelle im Innenministerium leitete, aber ebenfalls aus dem Auswärtigen Amt stammte. Beide standen in Verbindung mit dem am Reichsarchiv tätigen Robert Paul Oszwald, der in der Zwischenkriegszeit die zentrale Figur in der Szene der »Flamenfreunde« war. Neumeister ließ sich 1932 in den vorzeitigen Ruhestand versetzen, da sich das Auswärtige Amt seiner Ansicht nach nicht konsequent für eine Amnestie der ehemaligen flämischen Aktivisten in Belgien einsetzte.2 Innerhalb des Amtes gab es unterschiedliche Einschätzungen der flämischen Nationalisten. Einige sympathisierten wie Asmis und Neumeister mit den ehemaligen Verbündeten, andere verachteten sie offen als Landesverräter. Die diplomatischen Vertreter in Brüssel, die unmittelbar mit der belgischen Öffent1 Dolderer, Weimar I, S. 101–123; Klefisch, S. 194. 2 PA AA, Personalakten Werner Neumeister; Laux; Übersicht über Oszwalds Schriftverkehr zu Flandern, BArch, R 1506/306.

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lichkeit und Regierung konfrontiert waren, warnten durchweg vor Kontakten mit den flämischen Nationalisten. Diese Haltung kam etwa in einem sarkastischen Kommentar des Gesandten Landsberg über die Tätigkeit der privaten Deutsch-flämischen Gesellschaft zum Ausdruck: »Der nationalistischen belgischen Presse ist großes Heil widerfahren«, schrieb Landsberg 1922. Nichts »sei den Flamen so hinderlich wie die Unterstützung einer gewissen deutschen Seite«. Die Deutsch-flämische Gesellschaft könne »der deutschen und flämischen Sache einen großen Dienst erweisen«, indem sie sich auflöse.3 Die offizielle Nichteinmischung bedeutete jedoch kein Desinteresse. Fast alle Gesandten betrachteten die flämische Bewegung und den flämischen Nationalismus als für Deutschland positive Strömungen und berichteten ausführlicher als ihre Vorgänger vor 1914. Lediglich Horstmann, der die Gesandtschaft von 1928 bis 1931 leitete, stand dem flämischen Nationalismus reserviert bis ablehnend gegenüber.4 Von einer Kontinuität der Flamenpolitik in der offiziellen Außenpolitik kann keine Rede sein, obwohl die Ansicht, dass das Deutsche Reich eine Fürsorgepflicht gegenüber den einstigen Verbündeten habe, weit verbreitet war. Die von Asmis geleitete Abwicklungsstelle koordinierte diese Unterstützung bis Anfang 1923, auch danach wurden individuelle Hilfeersuchen oft positiv beschieden. Diskretion war hierbei oberstes Gebot und jeder Anschein einer Fortsetzung der Flamenpolitik sollte vermieden werden. Die deutsche Gesandtschaft in den Niederlanden beendete 1922 die zunächst großzügige Vergabe von Visa an Aktivisten aus Angst, Aufsehen zu erregen.5 Dennoch muss die deutsche Unterstützung für die ehemaligen Aktivisten als ein wichtiges Moment für die weitere Entwicklung berücksichtigt werden. Der flämische Nationalismus ging aus der importierten Nation unter deutscher Besatzung hervor und war daher von Anfang an ein transnationales Phänomen – viel mehr als dies auf die Flämische Bewegung vor 1914 zutraf. Die geflüchteten Aktivisten bildeten nicht einfach eine Exilbewegung, sondern konnten an Netzwerke mit Deutschen und Niederländern anknüpfen, die während des Kriegs entstanden waren. In Deutschland gesellte sich zu den Flüchtlingen eine Handvoll Kriegsgefangener, die sich in den Internierungslagern aktivistisch betätigt hatten und aus Angst vor Strafverfolgung nicht nach Belgien zurückkehrten.6 Deutsche Universitäten spielten eine wichtige Rolle bei der Integration der Exilanten, insbesondere ehemaliger Studenten und Dozenten der unter Besatzung 3 Der Gesandte in Belgien Landsberg an das Auswärtige Amt. Brüssel, 28. März und 18. Mai 1922, PA AA, R 70301 (unpaginiert); Dolderer, Unger. 4 Dies behaupteten zumindest einige flämische Nationalisten und auch der Essener Zeitungsverleger Reismann-Grone. Dolderer, Weimar I, S. 111. 5 Der Gesandte in den Niederlanden Lucius an das Auswärtige Amt. Den Haag, 25. August 1922, PA AA, R 70301 (unpaginiert); ders. Den Haag, 5. September 1923, PA AA, R 70301 (unpaginiert). 6 Details zu allen aktivistischen Flüchtlingen, die sich langfristig in Deutschland niederließen, in der Artikelserie Dolderers. Dolderer, Ballingen I–III.

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gegründeten Flämischen Hochschule.7 Einige bekamen Lektorate für Niederländisch, die etwa in Kiel oder Münster eigens für sie eingerichtet wurden.8 Ehemalige Aktivisten und Besatzungsbeamte prägten in Deutschland die sich als Fach etablierende Niederlandistik.9 Mindestens sieben Flamen erhielten außerdem Lektorate für Französisch. Allerdings, so das preußische Unterrichtsministerium, hätten die Fakultäten »mit dem Französisch der Flamen im allgemeinen keine erfreulichen Erfahrungen gemacht« und lehnten es daher ab, weitere zu beschäftigen.10 Die flämischen Akademiker, aber auch ehemalige Besatzungsbeamte beeinflussten Forschungsschwerpunkte, brachten ihre Erfahrungen aus dem Krieg ein und nahmen politischen Einfluss auf ihre Studenten.11 Bereits vor 1914 gab es eine völkische Perspektive auf Belgien, Flandern und »den Westen«, die dann während des Kriegs dominierte. Die aus der importierten Nation stammenden Netzwerke trugen dazu bei, dass diese Sicht auch nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs dominant blieb. Sie radikalisierten nicht nur die deutsche Rezeption der flämischen Frage, sondern nahmen auch auf den flämischen Nationalismus in Belgien Einfluss. Das bekannteste Beispiel ist der im deutschen Exil lebende ehemalige Aktivist Raf Verhulst, der unter verschiedenen Pseudonymen auch in belgischen Zeitungen publizierte.12 Die ungewisse politische Lage in Deutschland, ebenso wie die alliierte Besatzung des Rheinlands erschwerten in der unmittelbaren Nachkriegszeit den Austausch mit der flämischen Heimat. Dies war in den Niederlanden anders, wo sich das Gros der aktivistischen Flüchtlinge niedergelassen hatte und schon aufgrund der fehlenden Sprachbarriere die Integration leichter fiel. Auch hier gab es während des Kriegs entstandene Netzwerke. Die intensive Zusammenarbeit mit den sogenannten Großniederländern wurde fortgesetzt; namentlich die niederländischen Historiker Frederik Carel Gerretson und Pieter Geyl übten in den 1920er Jahren großen ideologischen Einfluss auf den flämischen Nationalismus aus. Geyl kritisierte die traditionelle Nationalgeschichtsschreibung, die sich auf das Staatsgebiet der Niederlande beschränkte und die er daher polemisch »kleinniederländisch« nannte. Ihr stellte er seine »niederländische Stammesgeschichte« (ndl. »Geschiedenis van de Nederlands stam«) gegenüber. Sein bevorzugter Gegner war jedoch Henri Pirenne, der als Doyen der belgischen Geschichtsschreibung die These einer spezifisch belgischen Zivilisation und insbesondere der historischen Zweisprachigkeit Flanderns vertrat. Geyl und Gerretson standen in engem Kontakt zu zahlreichen ehemaligen Aktivisten und 7 Hashagen, S. 510. 8 Dolderer, Ballingen III, S. 221. 9 Eickmans. 10 Aktenvermerk über eine Antwort des Preußischen Unterrichtsministeriums vom 7. Februar 1926, PA AA, R 70302 (unpaginiert). 11 Lejeune, S. 89. 12 Ebd., S. 91.

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nahmen auch Einfluss auf die parlamentarische Arbeit der flämisch-nationalistischen Frontpartei.13 Aus den Niederlanden wurde vor allem publizistisch in die belgische Politik eingegriffen, etwa von der wöchentlich erscheinenden flämisch-nationalistischen Zeitschrift »Vlaanderen«. Deren erklärtes Ziel war es, die Kluft zwischen »flämischen Belgizisten« – also jenen, die eine föderale Lösung der flämischen Frage innerhalb des belgischen Staates anstrebten – und den flämischen Nationalisten zu vertiefen. Die Autoren von »Vlaanderen« hofften auf einen neuen Krieg, den sie als einzige Möglichkeit betrachteten, Belgien zu zerstören und Flandern mit den Niederlanden zu vereinigen. Die flämischen Nationalisten sollten sich vorbereiten, um diesmal geschickter als die Aktivisten des Ersten Weltkriegs zu agieren. Dieser kompromisslose antireformistische Kurs sprach vor allem ein junges Publikum an.14 Die Herausgeber Josué De Decker und Robrecht De Smet, zwei ehemalige Aktivisten, standen in Verbindung mit deutschnationalen Kreisen, zu denen die ehemaligen Besatzungsbeamten Gerstenhauer und Oszwald zählten. De Smet unterhielt ab 1925 Kontakte zum Jungdeutschen Orden und versuchte, in den Niederlanden und Flandern eine ähnliche Organisation zu gründen. Dass »Vlaanderen« sowohl in der Rheinlandbesetzung als auch in der Kriegsschuldfrage deutsche Standpunkte vertrat, versteht sich von selbst.15 Die flämisch-nationalistische Diaspora hatte bereits durch ihre bloße Existenz einen radikalisierenden Effekt, weil sie die Verfolgung durch den belgischen Staat in steter Erinnerung hielt. In Deutschland und den Niederlanden konnten zudem Positionen vertreten werden, die in Belgien strafrechtliche Konsequenzen oder zumindest gesellschaftliche Ächtung nach sich gezogen hätten. Deutsch-völkische Politiker, Großniederländer und flämische Nationalisten beeinflussten sich hierbei gegenseitig und knüpften an die während des Kriegs entstandenen Kontakte an. Die Zusammenarbeit wurde auch durch den Umstand befördert, dass man sich vor allem in den ersten Nachkriegsjahren eines gemeinsamen Gegners erwehren musste. Ein erstarkter belgischer Nationalismus bedrohte nicht nur die ehemaligen Aktivisten, sondern auch die territoriale Integrität Deutschlands und der Niederlande.

13 In der ersten Ausgabe seiner Geschichte des niederländischen Stammes dankte Geyl namentlich acht Personen, unter denen Gerretson sowie die beiden Abgeordneten der Frontpartei Herman Vos und Hendrik Elias waren. Vorrede von 1930 zum ersten Teil, abgedruckt in: Geyl; Dunk; Wils, Geschiedsschrijving, S. 384–430. 14 Dolderer, Weltkriegen, S. 113; Vanlandschoot, Vlaanderen; Wever, Partijen, S. 3337. 15 Vandeweyer, Hoop; Vanlandschoot, Smet.

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a) Belgischer Imperialismus und flämischer Nationalismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit Schon während des Kriegs waren Forderungen nach einer stärkeren Interessenpolitik Belgiens laut geworden. Dieser stand vor allem das Neutralitätsstatut von 1839 entgegen, welches den außenpolitischen Handlungsspielraum Belgiens stark einschränkte. Durch den deutschen Überfall war die Neutralität allerdings von einer Garantiemacht verletzt und damit die bisherige Grundlage der belgischen Staatlichkeit zur Disposition gestellt worden. In der belgischen Regierung setzten sich letztlich die Anti-Neutralisten durch, die sich zugunsten einer aktiven Bündnis- und Außenpolitik für eine Kündigung der Verträge von 1839 aussprachen. Am 18. September 1918 richtete Außenminister Paul Hymans ein Memorandum an die Ententemächte, in dem er für Belgien Selbstbestimmung, ohne militärische, politische und wirtschaftliche Einschränkungen forderte. Kurz nach der Befreiung verkündete König Albert I. am 22. November 1918 feierlich die volle Souveränität Belgiens.16 Das Land befand sich auf dem Höhepunkt seines internationalen Ansehens und hoffte nun, die Früchte des Sieges ernten zu können. Mit der Entente marschierten belgische Truppen im Rheinland ein und besetzten dort ein Gebiet, das von Aachen bis auf die Höhe des niederländischen Nimwegen reichte (siehe Abb. 8). Aus Besetzten waren Besatzer geworden, und einige belgische Nationalisten forderten weitreichende Annexionen. Andere wollten zumindest die Errichtung eines Pufferstaats, um zukünftige Angriffe zu verhindern. Doch nicht nur Deutschland war betroffen, auch die Niederlande sahen sich mit Gebietsansprüchen konfrontiert. Durch die Einrichtung der Besatzungszone im Rheinland war die niederländische Provinz Limburg, die von 1830 bis 1839 zu Belgien gehört hatte, vollständig von belgisch kontrolliertem Gebiet umgeben. Brüssel nahm die Aufhebung des Neutralitätsstatuts zum Anlass, die 1839 festgelegten Grenzen infrage zu stellen. In Versailles forderte der belgische Außenminister Nutzungsrechte in Niederländisch-Limburg und Seeländisch Flandern sowie volle Kontrolle über die Scheldemündung, die den Antwerpener Hafen mit dem Meer verbindet. Die Niederlande sollten im Gegenzug auf Kosten Deutschlands territorial entschädigt werden. Diese Vorschläge sorgten in den Niederlanden für Empörung über den undankbaren Nachbarn, schließlich hatte man während des Kriegs zehntausende belgischer Flüchtlinge beherbergt.17 Auf den nationalistischen Rausch folgte allerdings bald die Ernüchterung. Die Großmächte lehnten die belgischen Forderungen ab und empfahlen in Versailles lediglich eine Neuverhandlung der Verträge von 1839 auf bilateraler Ebene. Belgien bekam lediglich die preußischen Kreise Eupen und Malmedy sowie die an den Kongo grenzenden deutschen Kolonien Ruanda und Urundi 16 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 35. 17 Simons u. Dedeurwaerder, S. 2174; Coolsaet, S. 223 f.

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Abb. 8: Die Belgische Besatzungszone (braun) umfasste große Teile des Rheinlands und grenzte an die niederländische Provinz Limburg, deren südlichen Teil sie mit dem belgischen Staatsgebiet umschloss. Französische Zone (blau), britische Zone (rot) und das 1923 von Belgien und Frankreich besetzte Ruhrgebiet (schraffiert).

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zugesprochen.18 Das Ergebnis war also eher mager, aber das Auftreten der belgischen Regierung hatte das Verhältnis mit Den Haag nachhaltig beschädigt. Den flämischen Nationalisten bot es die Möglichkeit, sich in den Niederlanden als Verbündete gegen einen aggressiven Nachbarn anzudienen. Die flämischen Nationalisten in Deutschland und den Niederlanden waren überwiegend ehemalige Aktivisten bzw. Kriegsgefangene, die sich aktivistisch betätigt hatten. In Belgien konnte diese Gruppe in der unmittelbaren Nachkriegszeit politisch kaum in Erscheinung treten. Prominente Aktivisten wurden verhaftet, sofern sie nicht untergetaucht waren. Mitläufer fielen der sozialen Ächtung anheim. Der Rechtsanwalt Théodore Heyse veröffentlichte einen »Index documentaire«, der Namen und Adressen der ehemaligen Studenten und Dozenten der Flämischen Hochschule nannte. Das Vorwort zu dieser schwarzen Liste verfasste der Genter Jura-Professor Georges Vanden Bossche, der jeden Versuch, das Französische in einem der Landesteile abzuschaffen, als »antinational« bezeichnete. Eine solche Politik, die er als direktes Erbe der deutschen Besatzung bezeichnete, sei nicht dazu angetan, ein Bündnis mit Frankreich zu fördern und werde auch in Großbritannien und den USA auf wenig Sympathie stoßen.19 Vanden Bossche nutzte also die Kollaboration der Aktivisten dazu, die Forderung nach einer einsprachig niederländischen Universität in Gent als Vaterlandsverrat zu brandmarken. Hierbei war er keinesfalls allein. Viele frankophone Politiker setzten ihre Interessen mit denen der Nation gleich und betrachteten das Kriegsende als Gelegenheit, längst verloren geglaubte innenpolitische Bastionen zurückzuerobern. Die Flamenpolitik diente ihnen als willkommenes Argument gegen die Gleichberechtigung des Niederländischen. In dieser Perspektive waren die Vorrechte der frankophonen Flamen, insbesondere die Erhaltung der Universität Gent als Bollwerk der französischen Kultur in Flandern, unverzichtbare Elemente im Kampf für die Einheit des Landes. Umgekehrt wurden nicht nur Personen verfolgt, die kollaboriert hatten. In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte es ausreichen, auf Niederländisch zu veröffentlichen, um verdächtigt zu werden. Laut einer Anweisung des Postministeriums war es 1919 untersagt, die Bücher zahlreicher flämischer Autoren zu befördern. Sogar Paul Fredericq, der 1916 wegen seines Widerstands gegen die Eröffnung der Flämischen Hochschule nach Deutschland deportiert worden war, fand sich auf der Liste wieder.20 Gemäßigte Flaminganten, die während 18 Ebd., S. 235–239. 19 Heyse, S. XXI f. 20 Fredericq war übrigens 1919 zum ersten Nachkriegsrektor der Universität Gent ernannt worden. Auf der Liste stand der Dichter Stijn Streuvels, der bereits 1915 nach Veröffentlichung seiner Kriegstagebücher als pro-deutsch angegriffen worden war, sich jedoch geweigert hatte Mitglied des Rates von Flandern zu werden, ebenso wie August Vermeylen, während des Kriegs ein scharfer Kritiker jeder Zusammenarbeit mit den Deutschen. Sogar Autoren aus dem 16. und 17. Jahrhundert standen auf der Liste. Luykx, S. 294 f.; Brees; Vervliet; Schryver, Interpellatie; Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer vom 15. Mai 1919, Chambre 1918–1919, S. 911 f.

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des Kriegs jede Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht abgelehnt hatten, sahen sich zuweilen dem Vorwurf des »Neoaktivismus« ausgesetzt. Von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit zwischen den Forderungen der Flämischen Bewegung und der Existenz des belgischen Staates gingen also nicht nur die flämischen Nationalisten aus, sondern auch ihre belgisch-nationalistischen Gegner.21 Der belgische Nationalismus der Nachkriegszeit zeigte ein Doppelgesicht. Er war das Ergebnis des Kampfes gegen den deutschen Eindringling und zugleich die zuweilen panische Reaktion auf beginnende Umbrüche in Staat und Gesellschaft. Diese stellten vor allem die Privilegien der Repräsentanten des belgischen Honoratiorenstaates von vor 1914 infrage. Während des Kriegs waren erstmals die Sozialisten der Belgischen Arbeiterpartei an einer Regierung beteiligt worden. Am Tag des Waffenstillstands und unter dem Eindruck der Revolutionen in Russland und Deutschland forderte der belgische König im westflämischen Loppem am 11. November 1918 eine Ausweitung dieser Politik der »nationalen Einheit«. Bei einer Kabinettsumbildung erhielten Sozialisten und Liberale weitere Ministerien. Die weitreichendste Entscheidung war jedoch die Abschaffung des Zensus und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer. Diese Reform ohne Zustimmung des Parlaments stellte einen klaren Verstoß gegen die Verfassung dar. Viele Konservative betrachteten die Vereinbarungen von Loppem deshalb als kalten Staatsstreich.22 Die ersten belgischen Wahlen nach dem Krieg am 16. November 1919 wurden bereits nach dem neuen Wahlrecht abgehalten. Das Ergebnis bestätigte die Befürchtungen der alten Eliten: Die seit 1884 allein regierende katholische Partei verlor ihre absolute Mehrheit, und die Sozialisten machten ihr nun die Position als stärkste politische Kraft streitig. Mindestens ebenso gravierend war der Bedeutungsverlust der liberalen Partei, die hauptsächlich das frankophone Bürgertum repräsentierte. Die Wahlrechtsreform ließ das demographische Gewicht Flanderns im Parlament sichtbar werden. Dies machte sich vor allem in der katholischen Partei bemerkbar, in der das Fehlen eines zentralen Parteiapparates die Entstehung gegensätzlicher Gruppen ermöglichte. Neben die bisher dominanten Konservativen trat ein christdemokratischer Arbeitnehmerflügel, der von flämischen Abgeordneten geprägt wurde. Die flamingantischen Parlamentarier bildeten zudem eine lose »Katholisch-flämische Abgeordnetengruppe« (ndl. »Katholieke Vlaamsche kamergroep«), in der Frans Van Cauwelaert, der wichtigste Vertreter des Passivismus während des Kriegs, eine entscheidende Rolle spielte. Unter den katholisch-flämischen Abgeordneten setzte sich nach dem Krieg die Forderung nach einem einsprachig niederländischen Flandern und damit der sprachgesetzlichen Gleichstellung mit dem einsprachig frankophonen Wallonien durch. Dieses »Minimalprogramm« (ndl. »Minimumprogramma«) ging 21 Dolderer, Weltkriegen, S. 112–114. 22 Delcorps.

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über die bis 1914 erhobenen Forderungen hinaus, als das vorrangige Ziel die vollständige Gleichberechtigung des Niederländischen mit dem Französischen innerhalb Flanderns war.23 Es bedeutete den Übergang vom Personalitätsprinzip, bei dem die Sprache des Staates sich nach dem jeweiligen Bürger richten sollte, unabhängig davon, wo dieser sich befand, zum Territorialitätsprinzip einsprachiger Verwaltungsgebiete. In der patriotisch und teilweise antiflämisch aufgeheizten Situation nach der Befreiung war selbstverständlich nicht an eine offene Betätigung ehemaliger Aktivisten zu denken. Die Frontpartei wurde im Laufe des Jahres 1919 von Veteranen der flämischen Frontbewegung gegründet, die sich nicht durch Kollaboration mit den Deutschen kompromittiert hatten. Dennoch stand die Partei von Anfang an auch ehemaligen Aktivisten offen.24 Wie gezeigt, kam dieses Zusammengehen nicht überraschend. Frontbewegung und Aktivismus hatten sich bereits während des Kriegs als verwandte Bewegungen betrachtet und wurden auch von ihren Gegnern so gesehen. Bei den Wahlen am 16. November 1919 errang die Frontpartei fünf Sitze in der belgischen Abgeordnetenkammer.25 Dies war kein Erdrutschsieg, aber erstmals saßen Abgeordnete einer flämisch-nationalistischen Partei im Parlament. Aus der Frontbewegung kamen ihr ehemaliger Anführer, Adiel Debeuckelaere, und sein enger Mitarbeiter, Hendrik Borginon, sowie Staf De Clercq. Sie gehörten zu den jüngsten Abgeordneten des neuen Parlaments. Daneben wurden Boudewijn Maes, den die Deutschen während des Kriegs wegen eines Protests gegen die Jungflamen kurzzeitig inhaftierten, sowie Karel Van Opdenbosch gewählt.26 Die »Fronter« ließen keinen Zweifel daran, dass sie den Aktivismus für einen legitimen Teil des flämischen Nationalismus hielten. In einem Schreiben an die Versailler Friedenskonferenz forderten sie die Errichtung eines autonomen flämischen Staates in einer belgischen Föderation. Die Kollaboration der Aktivisten wurde nicht nur verteidigt, sondern ausdrücklich als Beleg für die Existenz einer flämischen Nationalbewegung angeführt: »The acts of the Flemish in the occupied part of the country, though they were abused by the enemy, and though our government tried to represent them as if they had been prompted by other motives than the will of our people, keep their full significance.«27

23 Dolderer, Weltkriegen, S. 112–114. 24 Ebenso wie bei den anderen belgischen Parteien, mit Ausnahme der Sozialisten, gab es keinen landesweiten Parteiapparat. Die »Frontpartei« bestand aus zahlreichen lokalen Gruppierungen, so dass sich kein genaues Gründungsdatum angeben lässt. Wever, Greep, S. 33–35, 46–48; Elias Bd. 1, S. 261–267. 25 Etwa 60.000 Wähler gaben ihr die Stimme, das entsprach 3,45 % aller abgegebenen Stimmen. URL: http://www.ibzdgip.fgov.be/result/nl/result_ko.php?date=1919-11-16&vt=CK&ko_ type=KO_RK&ko=263 (18. Januar 2020). 26 Wever, Vlaamsche Front. 27 Die Abgeordneten der Frontpartei, To the Representatives of the Nations at the Peace-Conference, in: Leemans u. a., S. 354; Elias Bd. 2, S. 42.

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Das Schreiben verursachte einen Eklat. Albert Devèze, liberaler Abgeordneter und späterer Verteidigungsminister, schäumte und forderte eine Bestrafung der Verfasser, die er als »schlechte Belgier« bezeichnete (frz. »mauvais Belges«). Sie hätten »gegenüber den Alliierten in Paris« das getan, »was der Rat von Flandern gegenüber Berlin« tat, nämlich eine ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Belgiens zu erbitten. Devèze ergriff die Gelegenheit, um die Regierung aufzufordern, sowohl der Verwaltungstrennung als auch einer Abschaffung der frankophonen Universität Gent eine Absage zu erteilen.28 Die Empörung wurde längst nicht von allen Abgeordneten geteilt. Der Katholik Van Cauwelaert bedauerte zwar, dass sich die Frontpartei an das Ausland gewandt hatte, kritisierte aber zugleich die Reaktionen auf diesen Schritt. Beim flämischen Volk könne der Eindruck entstehen, dass man »im Schoße dieses Staates nicht zu einer fruchtbaren Lösung der Sprachenfrage kommen könne«. Der Trennungsgedanke, so erklärte er, sei ein Ergebnis der Verzweiflung, weshalb man nicht nur die persönlichen Rechte der Flamen anerkennen, sondern Flandern auch als Gemeinschaft zu seinem Recht kommen lassen müsse. Devèze, der die Flämische Bewegung als schädlich für das Ansehen Belgiens bezeichnet hatte, warf er vor, internationale Spannungen und Vorurteile als Argument gegen eine Gleichberechtigung der niederländischen Sprache heraufzubeschwören.29 Der Sozialist Camille Huysmans ergänzte, dass auch das belgisch-nationalistische Comité de politique nationale sich mit Forderungen an die Versailler Friedenskonferenz gerichtet hatte.30 Die flämischen Nationalisten waren also in der Abgeordnetenkammer keineswegs völlig isoliert. Die führenden gemäßigten Flaminganten äußerten Verständnis und Van Cauwelaert forderte sogar die Anerkennung der Flamen als Gemeinschaft. Die Solidarität mit der Frontpartei erklärte sich auch dadurch, dass sich die Angriffe häufig gegen die flämische Bewegung als Ganzes richteten. Der Abgeordnete Georges Hubin rückte beispielsweise nicht nur Van Cauwelaert, sondern sogar den flämisch-katholischen Minister Poullet in die Nähe des Aktivismus und forderte die Regierung auf, Maßnahmen gegen eine »aktivistische und orangistische Propaganda« zu ergreifen, welche die Einheit des Landes gefährde.31 Als »Aktivismus« definierte er jede bewusste oder unbewusste Schwächung der Nation im Dienste einer ausländischen Macht, was eine denkbar breite Begriffsbestim28 »[…] vous avez faites vis-à-vis des alliées à Paris, ce que le conseil de Flandres a fait vis-àvis des Allemands à Berlin.« Sitzung des belgischen Abgeordnetenhauses am 17. Dezember 1919, Chambre 1919–1920, S. 34. 29 »[…] dat men, in den schoot van dezen staat, niet tot eene vruchtbare oplossing van de taal­ kwestie komen kan.« Sitzung des belgischen Abgeordnetenhauses am 17. Dezember 1919, Chambre 1919–1920, S. 42 f. 30 Sitzung des belgischen Abgeordnetenhauses am 24. Dezember 1919, Chambre 1919–1920, S. 116. 31 Der Begriff »orangisme« bezog sich im 19. Jahrhundert auf Strömungen, welche die belgische Unabhängigkeit zugunsten einer Wiedervereinigung mit dem Königreich der Niederlande unter dem Hause von Oranien befürworteten. François.

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mung darstellte.32 Hubin griff die Frontpartei allerdings auch direkt an und ging dabei detailliert auf das Verhältnis der Frontbewegung zum Aktivismus ein, über das er offensichtlich aus erbeuteten deutschen Dokumenten informiert war.33 Hubin war als Anhänger einer robusten Verteidigungspolitik eine Ausnahme unter den sozialistischen Abgeordneten. Seine innenpolitischen Ansichten waren hingegen charakteristisch für eine Atmosphäre, in der viele frankophone Politiker flämische Forderungen nach einer Reform des belgischen Staates in die Nähe des Hochverrates rückten. Dass diese Situation zu einem Zusammenrücken der Flaminganten führte, ist kaum verwunderlich. Die Frontpartei fuhr indes unbeirrt fort, den Aktivismus in der Abgeordnetenkammer zu verteidigen.34 Maes nannte ihn am 9. März 1920 eine Verirrung, einen taktischen Fehler und eine Fehlkalkulation, die aber in der Hauptsache aus idealistischen Motiven begangen worden seien. Zum Entsetzen einiger Parlamentarier stellte er die flämischen Kollaborateure anschließend in eine Reihe mit den »Aktivisten« in Polen, der Tschechoslowakei, Irland und Jugoslawien. Der einzige Unterschied sei, dass letztere ihr Ziel bereits verwirklicht hätten.35 Die »Fronter« bekannten sich nicht nur rhetorisch zu den ehemaligen Aktivisten, sondern integrierten sie in ihre Strukturen. Bekanntestes Beispiel war Herman Vos, der als ehemaliges Mitglied des Rates von Flandern zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Nach seiner Freilassung wurde er Ende 1920 Sekretär der Antwerpener Frontpartei und Redakteur der ihr nahestehenden Zeitschrift »De Ploeg«.36

b) Belgische Deutschlandpolitik und flämischer Nationalismus 1919 bis 1925 Der Aufbau einer deutschfreundlichen flämischen Nationalbewegung sollte eine Westanbindung Belgiens verhindern und seine Neutralität nach dem Krieg garantieren. Wenn das Land nicht gehalten werden konnte, sollte es zumindest 32 Interpellation sur les mesures qu’il compte prendre pour enrayer et reprimer une propagande activiste et orangiste destinée a déterminer la dissolution de l’unité nationale, Sitzung des belgischen Abgeordnetenhauses am 17. Februar 1920, Chambre 1919–1920, S. 358. 33 Er erwähnte einen Hauptmann »Stahl« (gemeint ist wahrscheinlich Staehle), der als Nachrichtenoffizier der deutschen 4. Armee den Kontakt zwischen Frontbewegung und Aktivisten hergestellt habe. Die Kommunikation sei allerdings so schwierig gewesen, dass die Frontbewegung eine Delegation ins Besatzungsgebiet geschickt habe. Hierbei erwähnte er auch »Oswald« (gemeint ist »Oszwald«), den er allerdings fälschlicherweise zum Chef der Zivilverwaltung machte. Vor allem Debeuckelaere belastete er schwer. 34 Vanlandschoot, Smet. 35 Sitzung des belgischen Abgeordnetenhauses am 9. März 1920, Chambre 1919–1920, S. ­514–519; Elias Bd. 2, S. 43. 36 Causenbroeck.

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nicht zum Aufmarschgebiet für Frankreich und Großbritannien werden. Diese mit der Flamenpolitik verbundene Erwartung erfüllte sich nicht. Belgische Truppen marschierten mit der Entente in Deutschland ein und die Kündigung des Neutralitätsstatuts war einer der ersten Schritte nach der Befreiung, ohne dass der zukünftige internationale Status des Landes klar gewesen wäre. Die Absicht, die belgischen Grenzen durch eine einseitige Erklärung Großbritanniens und Frankreichs garantieren zu lassen, scheiterte ebenso wie ein militärischer Dreibund an der Ablehnung der Briten. Ein Bündnis ohne Beteiligung Londons schien wegen des erdrückenden Übergewichts Frankreichs in einer solchen Konstellation wenig wünschenswert.37 Während die meisten Sozialisten ein Bündnis wegen der militärischen Lasten ablehnten, befürchteten flamingantische Politiker aller Parteien eine französische Einmischung in die belgische Innenpolitik. Noch 1913 hatte Paris das Engagement auf der Genter Weltausstellung ausdrücklich mit der Unterstützung der dortigen frankophonen Universität gerechtfertigt. Dass belgische Befürworter eines Bündnisses fortwährend mit der kulturellen Verbundenheit argumentierten, schien diese Befürchtungen zu bestätigen. Dass es 1920 dennoch zu einem französisch-belgischen Militärabkommen kam, lag an einer Mischung außen-, wirtschafts- und innenpolitischer Faktoren. Die ökonomische Lage Belgiens war durch Kriegsschäden und Demontagen sowie den Wegfall von Exportmärkten prekär. Im Zuge der Russischen Revolution waren zudem zahlreiche belgische Unternehmen enteignet worden, die dort zu den größten ausländischen Investoren gehört hatten. Trotz der schlechten Ausgangslage herrschte unmittelbar nach dem Krieg großer Optimismus. In Erwartung einer schnellen wirtschaftlichen Erholung sowie deutscher Reparationen gewährte der Staat umfangreiche Entschädigungen für Kriegsverluste. Um die Steuern nicht zu erhöhen, wurden diese Ausgaben hauptsächlich mit US-amerikanischen Krediten finanziert.38 Der Aufschwung ließ allerdings auf sich warten, und auch die deutschen Zahlungen waren geringer als erhofft. Dies machte die Belgier für wirtschaftspolitische Anreize empfänglich, die Frankreich mit dem Abschluss eines Militärbündnisses verband. Paris signalisierte sowohl Unterstützung für eine von Belgien angestrebte Wirtschaftsunion mit Luxemburg als auch Entgegenkommen in der Handelspolitik.39 Den Anlass für eine erste franko-belgische Intervention bot der Einmarsch deutscher Reichswehr- und Freikorpsverbände in das entmilitarisierte Ruhrgebiet. Diese Truppen schlugen auf Befehl der Reichsregierung einen Arbeiteraufstand nieder, der im März 1920 mit dem Widerstand gegen den Kapp-Putsch begonnen hatte. Während Großbritannien und Italien bereit waren, die tem37 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 80–86. 38 Coolsaet, S. 229 und 243. 39 Die Mehrheit der Luxemburger hatte sich in einem Referendum 1919 für eine wirtschaftliche Anlehnung an Frankreich ausgesprochen. Nach der Militärübereinkunft mit Belgien weigerte Frankreich sich, diese zu vollziehen und machte so den Weg frei für die 1922 geschlossene belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion (Zoll- und Münzunion).

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poräre Anwesenheit dieser Truppen zu tolerieren, sah Frankreich hierin einen Versuch, die Bestimmungen des Versailler Vertrags aufzuweichen. Französische und belgische Einheiten besetzten daher die Städte Frankfurt, Hanau, Darmstadt und Duisburg als Pfand bis zum Abzug der Reichswehr aus dem Ruhrgebiet. Die belgische Beteiligung war vor allem außenpolitisch relevant, da sie eine Isolation Frankreichs unter den Siegermächten verhinderte. Brüssel war jedoch keineswegs ein bloßer Erfüllungsgehilfe der Franzosen, sondern hatte wegen der Abhängigkeit von Reparationen durchaus ein eigenes Interesse daran, den militärischen Druck auf Deutschland aufrechtzuerhalten. Die Hoffnung auf ein ökonomisches Entgegenkommen Frankreichs war ein zusätzlicher Anreiz.40 Aus dieser ersten gemeinsamen Intervention ging das französisch-belgische Militärabkommen hervor, das am 29. Juli 1920 von den Generalstabschefs unterzeichnet und durch den Austausch von Ministerbriefen im September 1920 offiziell besiegelt wurde. Der genaue Inhalt des »Französisch-belgischen Vertei­ digungsabkommens für den Fall einer unprovozierten deutschen Aggression« (frz. »Accord militaire défensif franco-belge pour le cas d’une aggression allemande non-provoquée«) war geheim. Nach der belgischen Verfassung musste es nicht einmal dem Parlament vorgelegt werden, das noch aus der Zeit des Neutra­ litätsstatuts kaum Mitspracherechte in der Außenpolitik hatte.41 Innenpolitisch war der Abschluss des Bündnisses das Ergebnis eines komplexen Interessenausgleichs zwischen Katholiken, Sozialisten und Liberalen, welche die seit 1919 amtierende Regierung der nationalen Einheit bildeten. Flämische Katholiken und Sozialisten standen dem Bündnis mehrheitlich skeptisch gegenüber, verfolgten aber eigene politische Projekte. Bei den flämischen Katholiken ging es um Sprachengesetze zugunsten des Niederländischen und bei den Sozialisten um die Einführung des Achtstundentages, die nicht durch eine eine Regierungskrise gefährdet werden sollten; zudem gab es in der Arbeiterpartei auch prominente Befürworter des Abkommens. Nachdem führende Sozialisten und flämische Katholiken ihren Widerstand aufgegeben hatten,42 verblieben die flämischen Nationalisten als einzige glaubwürdige Opposition gegen das von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnte Bündnis. Sie griffen in der Folge immer wieder die opportunistische Haltung der flämischen Katholiken und Sozialisten an, mit denen sie zuvor noch gemeinsame Demonstrationen organisiert hatten.43 Der Widerstand gegen das französisch-belgische Militärabkommen war in der Zwischenkriegszeit eines der zentralen Themen des flämischen Nationalismus. Er wurde vor allem von der ebenfalls aus der Frontbewegung hervorgegangenen flämischen Veteranenorganisation VOS (ndl. »Verbond der 40 Coolsaet, S. 211, 247–252; Waele, Frankrijk – Vlaanderen, S. 1180–1185. 41 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 111, 126, 131, 146–151; Coolsaet, S. 249–252. 42 Huysmans hatte noch am 10. Juli 1920 geschrieben, Belgien solle nicht zum »Portugal« Frankreichs werden, änderte seine Haltung aber Ende August. Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 154. 43 Ebd., S. 138–140.

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Vlaamsche Oudstrijders«) getragen, die sich im Gegensatz zu den offiziellen Veteranenverbänden durch einen radikalen Pazifismus auszeichnete.44 Der Widerstand gegen das Militärabkommen war nicht nur ein politisches Alleinstellungsmerkmal des flämischen Nationalismus, sondern eng verbunden mit der Herausbildung einer spezifischen Gedenkpraxis. Diese reichte weit über das eigentliche flämisch-nationalistische Milieu hinaus und integrierte Bestandteile der bereits bestehenden Erinnerungskultur, die in diesem Zuge uminterpretiert wurden. In besonderer Weise galt dies für die jährlich am 11. Juli stattfindenden Feiern zum Gedenken an die 1302 geschlagene »Schlacht der Goldenen Sporen« (ndl. »Guldensporenslag«). Die Erinnerung an den Sieg über ein französisches Ritterheer eignete sich ausgezeichnet für Kundgebungen gegen ein Militärabkommen mit Frankreich, und genau dieser Aspekt war den Befürwortern des Bündnisses ein Dorn im Auge. In Brüssel und Antwerpen wurden 1920 Veranstaltungen zum 11. Juli von den Behörden verboten. Bei Auseinandersetzungen wurde in Antwerpen ein Mitglied der Frontpartei von einem Polizisten angeschossen und erlag wenig später seinen Verletzungen. Das Begräbnis des 19-jährigen Herman van den Reeck wurde zu einer eindrucksvollen Kundgebung der flämischen Bewegung, an der Vertreter der Frontpartei gemeinsam mit katholischen und sozialistischen Flaminganten teilnahmen.45 Van den Reeck wurde zum ersten flämisch-nationalistischen Märtyrer der Nachkriegszeit und die Frontpartei kündigte im Parlament eine neue Gangart an. Von nun an, so Maes, werde man sich nicht mehr wehrlos niedersäbeln lassen, und er erinnerte an den Kampf der Sinn Fein in Irland.46 Der Tod Van den Reecks führte außerdem zu einer politischen Annäherung sozialistischer und katholischer Flaminganten in Antwerpen und zur Ablösung des frankophonen und liberalen Bürgermeisters Jan De Vos. Am 28. Oktober 1921 ernannte der Premierminister gegen erheblichen Widerstand Van Cauwelaert zu dessen Nachfolger.47 Der Gegensatz zwischen »Frontern« und flämischen Katholiken war zu diesem Zeitpunkt keinesfalls unüberbrückbar.48 Der Fall Van den Reeck, aber auch die erste noch bescheidene Yserwallfahrt (ndl. »Ijzerbedevaart«) an die Gräber der gefallenen flämischen Soldaten Anfang September 1920 zeigten, dass der flämische Nationalismus ein akzeptierter Teil der flämischen Bewegung war. Kulturell und politisch gewann er weit über die eigenen Organisationen hinaus an Einfluss, und zwar in viel höherem Maße, als dies angesichts seiner Anhängerschaft zu erwarten gewesen wäre. In der Gedenkkultur ebenso wie beim Widerstand gegen das Militärabkommen gaben die flämischen Nationalisten den Ton an und artikulierten einen Unmut, der auch in anderen politischen Milieus 44 Provoost u. Lemmens; Lemmens. 45 Leemans. 46 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 27. Juli 1920, Chambre 1919–1920, S. 2136. 47 Luykx, S. 309. 48 Wever, Greep, S. 33.

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vorhanden war. Als Staf De Clercq am 8. Dezember 1920 das Militärabkommen angriff, war er hierbei in der Abgeordnetenkammer nicht allein.49 Der flämische Katholik Jules Van Caenegem formulierte seine Zweifel am defensiven Charakter des Abkommens sogar noch pointierter. »Defensiv«, so Van Caenegem, sei für »unsere d’Annunzios« ein dehnbarer Begriff. Er spielte damit auf das nationalistische Comité de politique nationale an, das die Annexion deutscher Gebiete forderte und warnte davor, dass ein deutscher Schuldenrückstand als Vorwand benutzt werden könnte, um gemeinsam mit einem von der Action française aufgehetzten Frankreich ins Ruhrgebiet einzumarschieren, so wie man im April 1920 in Frankfurt einmarschiert sei.50 Dieses Szenario wurde im Frühjahr 1921 aktuell, als die deutsche Regierung sich weigerte, einen Zahlungsplan der Siegermächte zu akzeptieren. Am 8. März 1921 wurden daher Düsseldorf und Duisburg von französischen und belgischen Truppen besetzt. Diesmal mit Zustimmung der Briten, die aber eine Besetzung des gesamten Ruhrgebiets ablehnten. Doch erst das Einlenken der Deutschen am 11. Mai 1921 bannte die Gefahr vorerst.51 Die flämischen Nationalisten agitierten intensiv gegen die Besetzung weiterer Gebiete, auch bei Katholiken und Sozialisten lehnte eine Mehrheit die Intervention und das Militärabkommen mit Frankreich ab. In der Arbeiterpartei sorgte der Widerspruch zwischen Regierungshandeln und pazifistischem Programm zunehmend für Unmut, der letztlich zum Bruch der Regierung führte. Auslöser war die Teilnahme des deutschen Gewerkschafters Johannes Sassenbach an einer Tagung der belgischen Arbeiterpartei im wallonischen La Louvière am 2. September 1921. Belgische Nationalisten protestierten gegen die Anwesenheit eines Deutschen und bei einem Handgemenge mit Sozialisten wurden zwei Fahnen der nationalen Veteranenorganisation zerrissen. Die Überreichung neuer Fahnen durch das Verteidigungsministerium betrachteten die Sozialisten als Provokation und riefen ihre Mitglieder zum Austritt aus dem nationalen Veteranenverband auf. In Gegenwart des sozialistischen Ministers Edward Anseele wurde eine eigene Fahne präsentiert: vor rotem Grund zerbrach ein belgischer Soldat sein Gewehr. Die Affäre um das zerbrochene Gewehr (frz. »le fusil brisé«) führte zum Rücktritt der sozialistischen Minister und damit zum Ende der seit Kriegsende amtierenden Regierung der nationalen Einheit.52 Einige Tage später traten auch die liberalen Minister zurück, nachdem der katholische Flamingant Van Cauwelaert zum Bürgermeister von Antwerpen ernannt worden war. Allerdings waren für den 20. November 1921 bereits Neuwahlen angesetzt. Nur zehn Tage vor der Wahl wurde am 10. November 1921 der Vorsitzende der Frontpartei wegen des Verdachts auf Hochverrat festgenommen. Die An49 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 135, 142–144. 50 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 8. Dezember 1920, Chambre 1920–1921, S. 119. 51 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 198–201. 52 Colignon, S. 194; Provoost, Vlaanderen, S. 200; Luykx, S. 309.

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klage gegen Debeuckelaere beruhte auf deutschen Verhörprotokollen, die Aufschluss über seine Rolle in der Frontbewegung gaben.53 Die Frontpartei musste also ohne ihren Vorsitzenden in die Wahlen gehen. Die flämischen Nationalisten wurden zwar noch immer von etwa 60.000 Belgiern gewählt, aber aufgrund der höheren Wahlbeteiligung sank ihr Anteil von ca. 3,5 % auf etwa 3 % der Stimmen. Einige Mandate gingen wegen der Auflösung von Listenverbindungen verloren. Dass flamingantische und konservative Katholiken in einigen Wahlkreisen konkurrierende Listen aufstellten, führte insgesamt zu einer höheren Mobilisierung der katholischen Basis und wirkte sich ebenfalls negativ auf das Ergebnis der Frontpartei aus. Bis auf Staf De Clercq verloren alle bisherigen Abgeordneten ihr Mandat, dafür zogen drei neue »Fronter« in die belgische Abgeordnetenkammer ein. Emiel Butaye und Joris Van Severen stammten aus der Frontbewegung, Hendrik Picard war ebenfalls Soldat gewesen, aber während des Kriegs mit seiner Einheit in den Niederlanden interniert.54

c) Die Frontpartei und die Ruhrbesetzung 1923 Nachdem eine Besetzung des Ruhrgebiets zur Erzwingung der Reparationszahlungen bereits 1921 diskutiert worden war, wurde die Frage mit dem deutsch-sowjetischen Vertrag von Rapallo wieder aktuell. Der zwischen den beiden »Parias Europas« am 16. April 1922 geschlossene Vertrag sah den wechselseitigen Verzicht auf Reparationen und die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung vor. Mit dem »Stunt« von Rapallo war es der Reichsregierung gelungen, die außenpolitische Isolation zu durchbrechen. Die Erwartung, dass Deutschland nun noch weniger zur Zahlung der Reparationen bereit sein würde, warf die Frage nach einer alliierten Reaktion auf. Am 24. April 1922 drohte der französische Ministerpräsident Poincaré mit einseitigen Maßnahmen Frankreichs, falls Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Diese Äußerung führte zu erheblicher Verstimmung mit London, wo man dazu tendierte, Berlin entgegenzukommen, um eine Annäherung an die Sowjetunion zu verhindern. Durch diesen Konflikt zwischen den beiden Großmächten kam der Haltung Belgiens, wie schon 1920, große Bedeutung zu.55 Ähnlich wie in Frankreich befürchtete man in Brüssel ein Nachlassen der deutschen Zahlungsbereitschaft. Für zusätzliche Verstimmung sorgte, dass der deutsche Verzicht auf sowjetische Entschädigungen die Chance auf Kompensationen für im Zuge der Revolution enteignetes belgisches Eigentum verschlechterte.56

53 Wullus; Dolderer, Weimar I, S. 104; Ureel u. Vandeweyer. 54 Wever, Partijen, S. 3336. 55 Schwabe, Großbritannien, S. 54. 56 Coolsaet, S. 232, 239–241.

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Die Sozialisten lehnten einen Einmarsch in das Ruhrgebiet ab, doch in der Abgeordnetenkammer sorgte der junge Fronter Joris Van Severen für Aufsehen. Am 31. Mai 1922 prangerte er das aggressive Auftreten Poincarés an und wiederholte die Ablehnung des Militärabkommens, die er mit einer allgemeinen Kritik am Versailler Vertrag verband. Diesen bezeichnete er als »irrsinniges Rachegebilde«, das nur mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden und schon daher nicht Grundlage eines dauerhaften Friedens sein könne. Stattdessen forderte er eine allgemeine Abrüstung und den Rückzug der belgischen Truppen aus Deutschland. Van Severen grenzte so die außenpolitische Position der flämischen Nationalisten schärfer als bisher von der anderer Parteien ab und verband sie mit der Innenpolitik. Nur die Umwandlung Belgiens in einen föderalen Staatenbund Flandern-Wallonien könne das Ideal eines friedlichen Zusammenlebens der Völker verwirklichen und das Land zu einem Mittler zwischen Frankreich und Deutschland machen.57 Anders als Van Severen stellten die flämischen Katholiken die Berechtigung des Versailler Vertrags und der Rheinlandbesatzung nie in Frage. Auch Van Cauwelaert kritisierte Poincaré sowie das Militärabkommen und bezeichnete die bisherige Besatzung des Rheinlands als zu teuer und wenig zielführend. Dennoch war ihm zufolge eine belgische Beteiligung der alleinigen Besatzung durch Frankreich vorzuziehen. Nur so könne die Verwirklichung französischer Träume von einem groß-gallischen Reich verhindert werden.58 Die Haltung der flämischen Katholiken wurde auch in diesem Fall durch die belgische Innenpolitik mitbestimmt. Nach zähem Tauziehen war es gelungen, am 22. Dezember 1922 in der Abgeordnetenkammer eine knappe Mehrheit für die schrittweise Umwandlung der Universität Gent in eine Flämische Hochschule zu gewinnen. Der deutsche Gesandte ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass dieser Schritt exakt fünf Jahre nach der Erklärung der flämischen Selbständigkeit durch den Rat von Flandern erfolgte.59 Dass sich eine knappe Mehrheit für die Flämische Hochschule aussprach, diente auch dazu, die Unterstützung der flämischen Katholiken für eine Militäraktion gegen Deutschland zu sichern. Einige Wochen später marschierten belgische und französische Truppen unter dem Vorwand ausstehender Kohle- und Holzlieferungen in das Ruhrgebiet ein. Der Einmarsch führte zur schwersten diplomatischen Krise seit dem Krieg. Der deutsche Gesandte wurde am 11. Januar 1923 aus Protest abberufen und übergab die Geschäfte an Gesandtschaftsrat Conrad Roediger. Im Auswärtigen Amt betrachtete man Brüssel durchaus als eigenständigen Faktor und urteilte im Januar 1923, es sei »den Belgiern bei der 57 »[…] krankzinnig wraakgedoe van het Versailles-verdrag […] zal langer op België wegen dan dezes heroïsche zelfverdediging in 1914.« Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer vom 31. Mai 1922, Chambre 1921–1922, S. 945–948. 58 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer vom 31. Mai 1922, Chambre 1921–1922, S. 948–951. 59 Der deutsche Gesandte in Brüssel Landsberg an das Auswärtige Amt, Brüssel, 4. Januar 1923, PA AA, R 70301.

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ganzen Lage anscheinend sehr wenig wohl«.60 Die Besetzung setzte das moralische Prestige aufs Spiel, das Belgien nach dem Weltkrieg besessen hatte, denn Großbritannien schloss sich der Militäraktion nicht an, und die amerikanischen Truppen wurden endgültig aus dem Rheinland abgezogen.61 Brüssel, das stets eine einseitige Orientierung auf Frankreich vermeiden wollte, riskierte nun als bloßes Anhängsel der aggressiven französischen Außenpolitik wahrgenommen zu werden. Eine weitere Quelle belgischen Unbehagens waren innenpolitische Spannungen, da das Ruhr-Abenteuer insbesondere in Flandern von vielen abgelehnt wurde. Der belgische Außenminister bat daher die französische Regierung, alle Äußerungen zu vermeiden, die zu einer Verschärfung des flämisch-wallonischen Gegensatzes Anlass geben könnten.62 Im Parlament kritisierte zunächst nur die Frontpartei den Einmarsch scharf.63 Es darf nicht vergessen werden, dass viele Belgier die Besatzung durchaus mit Genugtuung und als gerechte Strafe für das deutsche Regime des Ersten Weltkriegs betrachteten.64 Die Erinnerung an die Kriegsverbrechen in Belgien hatte auch im Ausland den Effekt, dass sich das Mitgefühl mit den Deutschen in Grenzen hielt.65 Es gab auch handfeste materielle Gründe für eine Beteiligung. Belgien hatte anstelle der festgelegten 31,6 Milliarden BEF Reparationen lediglich 4,5 Milliarden BEF aus Deutschland erhalten. Die Befürchtung, leer auszugehen, war groß, zudem liefen viele wirtschaftliche Interessen Belgiens mit denen Frankreichs parallel. Vor allem die Stahlindustrie war eng mit der französischen verwoben und auf Steinkohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet angewiesen. Daneben spielte auch die Angst vor einer außenpolitischen Einkreisung durch Frankreich eine Rolle. Es war deutlich, dass es Paris nicht nur um die Reparationen ging. Poincaré wollte die Krise nutzen, um das Deutsche Reich weiter zu schwächen oder sogar seinen Zerfall herbeizuführen. Die Gründung eines französischen Protektorats im Rheinland oder sogar eines von Frankreich abhängigen neutralen Rheinstaats hätte eine Verschiebung der französischen Militärgrenze an den Rhein und damit eine Gefährdung belgischer Handels­ interessen bedeutet. Die Teilnahme an der Intervention wurde daher auch da-

60 Gesandter z.D. von Mutius (Leiter der Abteilung Westeuropa im Auswärtigen Amt) an den Geschäftsträger in Brüssel. Berlin, den 18. Januar 1923, ADAP, A, 7, S. 82. 61 Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 255 f. 62 Ebd., S. 253. 63 Ebd., S. 274; Sitzung des belgischen Parlaments am 26. Januar 1923, Chambre 1922–1923, S. 550. 64 Ypersele, S. 105. 65 Der deutsche Botschafter in Washington berichtete, viele Amerikaner seien der Meinung, die Deutschen hätten es »in Belgien und Frankreich auch nicht anders gemacht« und verwies auf einen Cartoon in der Zeitschrift »Life«, in dem ein Deutscher zum anderen sagt: »These verfluchte Franzosen behave as if this country were Belgium«. Der Botschafter in Washington Wiedfeldt an das Auswärtige Amt, ADAP, A, 7, 1, S. 216 (Dokument 97).

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Abb. 9: Die Karikatur aus dem amerikanischen »Life«-Magazin illustriert, welche Bedeutung die Erinnerung an die Besatzung Belgiens für die Rechtfertigung des Einmarschs im Ruhrgebiet hatte.

mit begründet, dass nur so die Wahrung belgischer Interessen garantiert werden könne.66 Die Frontpartei sah in der Militäraktion hingegen das Ergebnis einer verfehlten Anlehnung an Frankreich. Van Severen attackierte Außenminister Jaspar, der Frankreich als »Verbündeten« Belgiens bezeichnet hatte. Nun sei offensichtlich, dass das französisch-belgische Militärabkommen keinen rein defensiven Charakter habe. Belgien beteilige sich vielmehr an einem französischen Feldzug ins Herz der deutschen Schwerindustrie. Dies werde den Hass in Deutschland schüren und die Gefahr eines Krieges vergrößern. Van Severen kritisierte erneut den Versailler Vertrag, den er ein »Schandtraktat« (ndl. »schand-traktaat«) nannte. Die Behauptung einer alleinigen Kriegsschuld Deutschlands diene nun der Rechtfertigung des Einmarsches im Ruhrgebiet. Er forderte nicht nur den Rückzug aus dem Ruhrgebiet, sondern auch aus dem Rheinland und prangerte an, dass sich die belgischen Sozialisten und Katholiken nicht genügend einer Politik widersetzten, die er als »antichristlich und antiflämisch« bezeichnete. 66 Soutou, S. 63–70 und 80 f.

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Ähnlich äußerte sich Staf De Clercq, der von einem Vasallenverhältnis gegenüber Frankreich sprach. Die Ruhrpolitik habe die gesamte zivilisierte Welt gegen Belgien aufgebracht.67 Im Sommer 1923 sah es jedoch zunächst nach einem Erfolg der Ruhrbesetzung aus. Franzosen und Belgiern gelang es mit ausgesprochen hartem Auftreten, die Kohleförderung wieder in Gang zu bringen. Der neue Reichskanzler Gustav Stresemann musste am 26. September 1923 eingestehen, dass der passive Widerstand gescheitert war. Die mit der Druckerpresse finanzierten Zahlungen an streikende Staatsbedienstete und Arbeiter hatten die Inflation befördert, aber die Besatzungstruppen nicht zum Abzug bewegen können.68 Die Freude darüber, Deutschland in die Knie gezwungen zu haben, währte allerdings nur kurz. Französische und belgische Nationalisten versuchten, mit Hilfe von Kollaborateuren das Rheinland vom Reich zu trennen. In Aachen besetzten rheinische Separatisten am 21. Oktober 1923 mit Duldung der belgischen Besatzungstruppen das Rathaus. Auch in der französischen Besatzungszone schlugen die Separatisten nun los.69 Die innen- und vor allem die außenpolitischen Reaktionen in Großbritannien und Italien fielen allerdings so heftig aus, dass die belgische Regierung die Separatisten bereits am 2. November 1923 fallen ließ.70 Hierauf brach der Putsch in sich zusammen – übrigens sehr zur Überraschung der Franzosen, die von dem Kurswechsel nicht unterrichtet worden waren. Dennoch bezeichnete der belgische Außenminister Jaspar die Putschisten noch am 20. November 1923 als Vertreter einer sozialen Bewegung, die »alte und tiefe Gefühle anspreche und auf historischer und ethnischer Grundlage beruhe«.71 Der Abgeordnete William Van Remoortel zog hierauf ironisch Parallelen zu den flämischen Aktivisten des Ersten Weltkriegs: »Werden die Rheinländer in einer Sprache regiert, unterrichtet und verurteilt, die nicht die ihre ist? Gibt es eine rheinische Sprache? Haben Sie jemals davon gehört, dass die Rheinländer die Rheinlandisierung der Universität Bonn forderten? Haben Sie gehört, dass sie die Einrichtung rheinländischer Regimenter an der Seite der preußischen fordern?«72 67 Rede Van Severens, Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 23. Juni 1923, Chambre 1922–1923, S. 1952 f.; Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 294 und 300. 68 Peukert, S. 70; Winkler, S. 438 f. 69 Coolsaet, S. 244. Der belgische Abgeordnete William Van Remoortel sah die Ursache in einer französisch-belgischen Rivalität um die Kontrolle des Rheinlands. Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 21. November 1923, Chambre 1923–1924, S. 29; Zu den weitgehenden französischen Plänen: Soutou, S. 63–83. 70 Schwabe, Großbritannien, S. 73 f. 71 »[…]qui touche à des sentiments anciens et profonds et qui s’appuie sur des bases historiques et ethniques[…]«. Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 20. November 1923, Chambre 1923–1924, S. 10. 72 »Est-ce que les Rhénans sont administrés, instruits, jugés dans une langue qui n’est pas la leur? Est-ce qu’il y a une langue rhénane? Est-ce que vous avez jamais entendu dire qu’en Rhénanie on demandait la rhénanisation de l’université de Bonn? Est-ce que vous avez jamais

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Jaspar blieb jedoch auch weiterhin auf dem Standpunkt, dass die Abspaltung des Rheinlands von Preußen wünschenswert sei, und erklärte dies auch offen gegenüber dem deutschen Geschäftsträger.73 Die Rollen hatten sich also umgekehrt: Nun war es ein belgischer Politiker, der ethnische und kulturelle Argumente anführte, um ein fremdes Staatsgebiet zu zerteilen. Ernsthaft verfolgt wurde diese Politik aber nicht mehr, denn allzu deutlich war der belgischen Regierung das Risiko ihrer engen Anlehnung an Frankreich demonstriert worden. Der Hitler-Putsch am 9. November 1923 führte auch in Paris zu einem Umdenken, denn er zeigte, dass eine Schwächung der Reichsregierung nicht zwangsläufig den Zerfall des Reiches beförderte, sondern auch die Gefahr einer Stärkung radikaler deutscher Nationalisten in sich barg. Das Desaster des Ruhrabenteuers stärkte die Opposition und führte zu einer Abkehr von Paris, die sich im Februar 1924 auch durch das Scheitern eines französisch-belgischen Handelsvertrags äußerte. Dieser wurde mit den Stimmen der Frontpartei, der Sozialisten und einiger flämisch-katholischer Abgeordneter verworfen, obwohl der Premierminister die Vertrauensfrage gestellt hatte. Für Deutschland war das Ergebnis aus zweierlei Gründen positiv: Die Ablehnung des Vertrags, der französische Produkte vor allem vor deutscher Konkurrenz schützen sollte, wandte einerseits ernsthaften Schaden von der Exportindustrie ab. Andererseits verstärkte sie die Isolation Frankreichs und damit des entschlossensten Gegners einer Rückkehr Deutschlands in die internationale Politik.74 Die mit der Flamenpolitik verbundene Hoffnung, mit dem flämischen Nationalismus eine Deutschland gegenüber positiv eingestellte politische Strömung in Belgien zu etablieren, hatte sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit erfüllt. Dies belegt das Verhalten der Frontpartei in den Debatten über die französisch-belgischen Interventionen von 1920 bis 1923. Die flämisch-nationalistische Haltung war keine isolierte Minderheitenmeinung, denn auch in anderen Parteien gab es Kritik an der aggressiven Deutschlandpolitik der frühen 1920er Jahre. Sowohl in der Belgischen Arbeiterpartei als auch bei den flämischen Abgeordneten der katholischen Partei überwogen die Gegner eines Militärabkommens mit Frankreich. Aufgrund parteitaktischer Überlegungen und der Regierungsbeteiligung von Katholiken und Sozialisten kam diese Ablehnung jedoch nicht zum Tragen. Umso wichtiger war daher die Existenz einer Partei, die frei von solchen Überlegungen Opposition betreiben konnte. Entscheidend für den Einfluss des flämischen Nationalismus war auch, dass es keineswegs zu einer unüberbrückbaren Spaltung der Flämischen Bewegung in einen anti-belgischen und einen belgisch-loyalen Teil kam. Die Positionen entendu dire que les Rhénans demandaient la création de régiments rhénans à coté des régiments prussienes?« Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 21. November 1923, Chambre 1923–1924, S. 30. 73 Der Geschäftsträger in Belgien Roediger an das Auswärtige Amt. Brüssel, 29. Januar 1924, ADAP, A, 9, S. 312. 74 Provoost, Vlaanderen, S. 312–320; Luykx, S. 314–316.

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von Frontpartei und flämischen Minimalisten glichen sich und bei Veranstaltungen außerhalb des Parlaments gab es wenig Berührungsängste. Die Frontpartei wirkte als Verstärker und Katalysator bereits bestehender Tendenzen in der Flämischen Bewegung. Die mit der importierten Nation etablierte Vorstellung eines eigenen flämischen Gemeinwesens wurde hierbei zunehmend auch von den katholischen Flaminganten um Van Cauwelaert geteilt.

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2. Von Locarno bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1925 bis 1933

Bei den Wahlen am 5. April 1925 gewann die Frontpartei zwei Sitze hinzu. Neben Staf De Clercq, Joris Van Severen und Emiel Butaye wurden erneut ­Karel Van Opdenbosch sowie erstmals Thomas Debacker gewählt. Letzterer war Frontsoldat gewesen und ein wichtiges Mitglied der Veteranenorganisation VOS.1 Bemerkenswert war vor allem die Wahl von Herman Vos, der als verurteilter Aktivist bis 1920 im Gefängnis gesessen hatte. Die Frontpartei hatte zwar ­einige Wähler hinzugewonnen, aber keineswegs einen Durchbruch erzielt. Etwa 80.000 Belgier hatten die Frontpartei gewählt, während es bei den Wahlen 1919 und 1921 jeweils etwa 60.000 gewesen waren, also zwischen drei und vier Prozent der Wähler. Hierbei handelte es sich sicherlich nur um den harten Kern des Nationalismus. In Wahlbezirken, in denen flämisch-nationalistische Kandi­ daten keine Chance hatten, stimmten viele für katholische Kandidaten, die aus der Flämischen Bewegung kamen oder sogar dem flämischen Nationalismus nahestanden. Wichtiger als das Ergebnis der Frontpartei war für die weitere Entwicklung des flämischen Nationalismus der Konflikt um die Bildung einer katholisch-sozialistischen Regierung. Die Belgische Arbeiterpartei wurde 1925 erstmals stärkste Kraft und hatte ebenso viele Mandate in der Abgeordnetenkammer gewonnen wie die Katholiken. Die Liberalen büßten hingegen etwa ein Drittel ihrer Sitze ein und waren entschlossen, in die Opposition zu gehen. In der Debatte um eine Regierungsbildung mit den Sozialisten zeigten sich die schroffen Gegensätze in der katholischen Partei, die sogar ein Auseinander­brechen denkbar erscheinen ließen. Den konservativen Vertretern des frankophonen katholischen Bürgertums stand ein christdemokratischer Flügel gegenüber, dessen Kern die katholische Arbeiterbewegung bildete. Konservative und Christdemokraten vertraten in sozial- und außenpolitischen Fragen ebenso wie in der flämischen Frage teils diametral entgegengesetzte Ansichten. Während die Brüsseler Katholiken um den langjährigen Kolonialminister und späteren Premier Jules Renkin mit dem Faschisten Pierre Nothomb eine Listenverbindung eingingen, regierte in Antwerpen der flamingantische Christdemokrat Van Cauwelaert seit 1921 gemeinsam mit den Sozialisten um Huysmans. 1 Debacker hatte 1921 für die katholische Partei kandidiert, war aber wegen eines wenig aussichtsreichen Listenplatzes nicht gewählt worden. Er gründete daraufhin die Katholisch flämische Volkspartei (Katholieke Vlaamsche Volkspartij), für die er in einer Listenverbindung mit der Frontpartei gewählt wurde. Gorp.

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Der Gegensatz zwischen Konservativen und Christdemokraten war in der katholischen Partei weitgehend deckungsgleich mit jenem zwischen Gegnern und Anhängern der Flämischen Bewegung. Die nach siebzig Tagen Sondierungen am 17. Juni 1925 gewählte Regierung unter dem flämischen Katholiken Prosper Poullet wurde zwar von allen Sozialisten, aber nur von einem Teil der katholischen Partei getragen. Während die meisten flämischen Katholiken die Regierung unterstützten, ging die Mehrheit der frankophonen katholischen Abgeordneten in die Opposition.2 Das Programm der neuen Regierung sah eine Stabilisierung des Haushalts vor und die Einführung einer progressiven Besteuerung, wobei Geringverdiener ganz von der Einkommenssteuer befreit werden sollten. Daneben wurde eine Amnestieregelung für zivile und militärische Kollaborateure angekündigt.3 Außenpolitisch begann eine Phase der Entspannung. Die im Herbst 1925 unterzeichneten Verträge von Locarno sahen eine gegenseitige Anerkennung der in Versailles festgelegten Grenze mit Deutschland vor. Die Truppen wurden aus dem Ruhrgebiet abgezogen und die Regierung plante die Militärausgaben zu reduzieren und den Wehrdienst zu verkürzen. Belgisch-nationalistische Kreise betrachteten das Programm als einen einzigen Angriff auf die »Nation«. Dies galt für die sozialdemokratischen Umverteilungspläne ebenso wie für die Amnestierung ehemaliger Aktivisten und die Pläne die Armee zu verkleinern. Es kann hierbei nicht genug betont werden, dass die flämische Frage ebenso wie die soziale Frage Teil eines Kampfes um die politische Vorherrschaft in Belgien war. Die Verlierer einer sich demokratisierenden Gesellschaft betrachteten Sozialisten und Flaminganten als eine Bedrohung der »Nation«. Sie fanden sich im frankophonen liberalen und vor allem katholischen Bürgertum, das Belgien seit seiner Gründung dominiert hatte. Ihr Ressentiment richtete sich gegen alles, was die angestammte gesellschaftliche Ordnung erschütterte. Es ist wenig überraschend, dass in diesen Kreisen auch der Antisemitismus eine wichtige Rolle spielte, der übrigens zuweilen mit einer gegen Deutschland gerichteten Note versehen wurde. So bezeichnete der belgische Faschist Nothomb Karl Marx als »jüdischen Boche« (frz. »Juif boche«).4 Hinzu kam das Gefühl, um die Früchte des Siegs betrogen worden zu sein, das der italienische Faschist Gabriele D’Annunzio mit dem Begriff »vittoria mutilata« (dt. »verstümmelter Sieg«) auf den Punkt brachte.5 Im belgischen Nationalismus der 1920er Jahre liebäugelten gerade unter den konservativen frankophonen Katholiken viele mit dem Faschismus als einer Alternative zum parlamentarischen System. Das Comité de politique nationale, aus dem die Action nationale mit ihrer Miliz, den Jeunesses nationales, hervorging, war vom italienischen Faschismus und der Action française inspiriert. Das galt auch für die Faisceau belge sowie die 1922 gegründete Légion nationale. Sie alle verfügten über gute 2 3 4 5

Gerard, S. 176–218. Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 23. Juni 1925, Chambre 1925, S. 65. Gotovitch u. Libois, S. 47. Sullivan.

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Kontakte in das Militär und zur offiziösen Veteranenorganisation, der Fédération nationale des combattants.6 Die Nationalisten nahmen die Einsparungen im Verteidigungshaushalt zum Anlass für eine Machtprobe. Im Januar 1926 erklärten Verteidigungsminister Prosper Kestens und Generalstabschef Henri Maglinse ihren Rücktritt aus Protest gegen die Verkürzung der Wehrpflicht.7 Anlässlich der festlichen Überführung der Flaggen aufgelöster Regimenter ins Brüsseler Armeemuseum kam es am 9. Februar 1926 zu Tumulten. Der Ministerpräsident wurde aus der Menge beschimpft und bedroht. Der Faschist Pierre Nothomb rief sogar zu einem »Marsch auf Brüssel« auf. In der unübersichtlichen Situation formierte sich ein Demonstrationszug zum Parlament, was nicht nur der deutsche Gesandte als ersten Test für eine Machtübernahme betrachtete.8 Gewaltandrohungen gegen Regierungsmitglieder und die Herabwürdigung der Demokratie prägten die Stimmung. Am 16. April 1926 wurde der sozialistische Außenminister Emile Vandervelde, ein erklärter Gegner Mussolinis, auf offener Straße von Faschisten angegriffen. Nur dank der Polizei blieb er unverletzt.9 In der belgischen Arbeiterbewegung und bei den flämischen Nationalisten nahm die Angst vor einem faschistischen Putsch zu. Die Sozialisten stellten Arbeitermilizen auf die Beine, um sich gegen Angriffe auf ihre Veranstaltungen und Parteibüros zu verteidigen.10 Auch in flämisch-nationalistischen Kreisen wurde über Selbstschutzorganisationen nachgedacht. Ein 1926 veröffentlichter Aufruf forderte die Gründung einer »Flämischen Legion« (ndl. »Vlaams Legioen«), um Flandern vor der Gefahr des belgischen Faschismus zu schützen. Er enthielt konkrete Vorschläge für die Gestaltung der Uniformen, die erstaunlicherweise stark an jene der belgisch-faschistischen Légion nationale erinnerten.11 Gegen diese Abkehr vom Pazifismus gab es starken Widerstand im flämischen Nationalismus. Als Van Severen sich 1926 für die Gründung einer Miliz stark machte, traf er vor allem auf Ablehnung. Man war durchaus bereit, den belgischen Faschisten notfalls mit Gewalt entgegenzutreten, aber der Plan eines 6 Müller, Gruppen. 7 Der Konflikt mit der Militärführung wurde noch durch Angriffe der Sozialisten verschärft, die aufdeckten, dass 101 der 118 belgischen Weltkriegsgeneräle eine Invalidenrente für einen Invaliditätsgrad zwischen 60 % und 80 % bezogen. Immerhin 38 dieser »Invaliden« befanden sich noch im aktiven Dienst. Über den Generalstabschef selbst wurde gemunkelt, er habe sich 40 % Invalidität aufgrund einer »fatigue intellectuelle« bescheinigen lassen, ein Krankheitsbild, das wohl am angemessensten mit »Burn Out« übersetzt werden kann. Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 366–367. 8 Luykx, S. 320 f.; Bericht über eine »Fascistische Demonstration«. Der Gesandte in Belgien Keller an das Auswärtige Amt. Brüssel, 13. Februar 1926, PA AA, R 70294; Colignon, S. 197. 9 Der Gesandte in Brüssel Keller an das Auswärtige Amt. Brüssel, 16. April 1926, PA AA, R 70354. 10 Colignon, S. 197. 11 Creve, Missoorten, S. 32.

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straff organisierten oder sogar uniformierten Wehrverbandes ging vielen zu weit. Er wurde als antidemokratisch und reaktionär kritisiert.12

a) Die Entstehung einer antibelgischen flämisch-nationalistischen Subkultur Mit der Regierung Poullet nahmen die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Belgien an Schärfe zu, und die katholische Partei spaltete sich zunehmend in einen flämischen und einen frankophonen Teil. Belgisch-nationalistische Faschisten traten aggressiver auf als zuvor, auch die flämische Nationalisten gebärdeten sich radikaler und stellten die belgische Staatseinheit nun zuweilen offen und provokativ infrage. Obwohl die Regierung von einem gemäßigten Flaminganten geführt wurde und ihr Programm viele von der Frontpartei angestrebte Punkte enthielt, stimmten die flämischen Nationalisten gemeinsam mit den Liberalen und den konservativen Katholiken gegen das Kabinett Poullet. Während De Clercq bemängelte, dass der Premier die Regierungserklärung ausschließlich auf Französisch vortrug, erklärte Vos, dass nun die letzte Gelegenheit für die gemäßigten Flamingan­ ten gekommen sei zu beweisen, dass sich die Forderungen der Flämischen Bewegung innerhalb des belgischen Staats verwirklichen ließen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er eine solche Lösung für unmöglich hielt. Es gebe keine »nation élective«, sondern lediglich eine auf der Sprache beruhende nationale Zugehörigkeit. Außerdem forderte er Amnestie, insbesondere für Borms, den er das Symbol des flämisch-nationalistischen Widerstandes nannte.13 In dieser Schärfe war die Verneinung des belgischen Staates – noch dazu durch einen ehemaligen Aktivisten – ein Novum im Parlament. Einen Monat später sorgte der vom Abgeordneten der Frontpartei Van Opdenbosch provozierte »Flaggenvorfall« von Aalst für Aufregung. Anlässlich der Goldensporenfeiern am 11. Juli 1925 ordnete er in seiner Funktion als stellvertretender Bürgermeister an, die belgische Trikolore am Rathaus einzuholen. Gegenüber dem Gouverneur der Provinz Ostflandern gab er zu Protokoll, dass es sich um einen flämischen Feiertag handele, weshalb die belgische Flagge dort nichts verloren habe (frz. »Le drapeau tricolore n’a rien à y voir.«). Im belgischen Parlament verteidigten die Abgeordneten der Frontpartei ihren Kollegen. Auf den Einwand, auch Wallonen hätten 1302 gegen die Franzosen gekämpft, behauptete De Clercq, diese seien im Gegensatz zu den Flamen lediglich Söldner gewesen. Van Opdenbosch habe vielleicht einen Verrat am belgischen Vaterland be­gangen, nicht

12 Wils, Severen, S. 27; Wever, Greep, S. 56; Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 465 f.; Willequet, ­Fascismes, S.  88. 13 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 23. Juni 1925, Chambre 1925, S. 67–69.

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aber an Flandern.14 Während Van Severen noch im Mai 1925 die Umwandlung Belgiens in einen »Bundesstaat Flandern-Wallonien« (ndl. »Bondstaat Vlaanderen-Wallonië«) gefordert hatte, bezeichnete Vos bereits einen Monat später die Zerstörung des belgischen Staates als Voraussetzung für Flanderns Leben.15 Die symbolische Konfrontation mit dem belgischen Staat blieb nicht auf das Parlament beschränkt. Ob es sich um die Goldensporenschlacht, die Flagge mit dem flämischen Löwen oder die gefallenen Soldaten des Weltkriegs handelte, die flämischen Nationalisten reklamierten diese in der Öffentlichkeit für sich. Dass es ihnen gelang, den 11. Juli in einen exklusiv flämischen und sogar antibelgischen Feiertag umzudeuten, war allerdings auch der Tatsache zu verdanken, dass dieser Interpretation wenig entgegengesetzt wurde.16 Hinzu kam das eng mit der Frontbewegung verbundene Gedenkritual der Yserwallfahrt, die im Sommer 1925 erstmals den Charakter einer Massendemonstration hatte. Anlass war eine vom Kriegsministerium geplante Vereinheitlichung der Soldatenfriedhöfe, in deren Rahmen auch bereits während des Kriegs von der flämischen Soldateninitiative »Heldenhulde« aufgestellte »Yserkreuze« (ndl. »Ijzerkruisjes«) entfernt werden sollten.17 Einige dieser von den Kameraden und Familien der Gefallenen bezahlten Kreuze waren bereits zertrümmert und zu Asphalt verarbeitet worden. Dieses zumindest unsensible Vorgehen der Behörden führte zu einem Sturm der Entrüstung und dem Entschluss, ein Denkmal in Form eines riesigen »Yserkreuzes« zu errichten. Der am 24. August 1930, im Jahr der belgischen Jahrhundertfeier, eingeweihte »Yserturm« (ndl. »Ijzertoren«) und die Yserwallfahrt wurden Ende der 1920er Jahre zu den wichtigsten Symbolen des flämischen Nationalismus, welche über dessen Anhängerschaft hinaus die gesamte flämische Gesellschaft beeinflussten.18 Obwohl auf der Yserwallfahrt immer eine internationalistische und pazifistische Rhetorik verwendet wurde  – die Losung »Nie wieder Krieg!« stand nicht nur auf Niederländisch, sondern auch auf Französisch, Deutsch und Englisch auf dem Yserturm –, war das antibelgische Potential eines exklusiv den flämischen Soldaten gewidmeten Gedenkens doch unübersehbar. Gemäßigte Flaminganten versuchten, dies mit der Formel der für das belgische Vaterland gefallenen flämischen Soldaten zu überdecken, doch auch bei vielen von ihnen war das Verhältnis zu diesem Vaterland angespannt. Den flämischen Nationalisten gelang es, ein religiös geprägtes Narrativ vom Opfer und Leiden der flämischen Soldaten zu etablieren, das sich scharf vom national-belgischen Gedenken 14 »[Une trahison] Envers la patrie belge, soit, mais pas envers la patrie flamande.« De Clercq sprach entgegen seiner Gewohnheit französisch, so dass ihn auch die frankophonen Parlamentarier verstehen konnten. Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 23. Juli 1925, Chambre 1925, S. 434 f. 15 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 20. Mai 1925, Chambre 1925, S. 46 f.; Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 23. Juni 1925, Chambre 1925, S. 67–69. 16 Tollebeek u. Verschaffel. 17 Siehe auch Kapitel 8 Flamenpolitik und Frontbewegung, S. 158 in dieser Arbeit. 18 Wever, Greep, S. 60; Shelby, Nationalism, S. 108–110; Boudrez.

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abgrenzte. Den offiziellen Feierlichkeiten zum Waffenstillstand am 11. November blieb die Veteranenorganisation VOS demonstrativ fern.19 Ein exklusiv flämischer Märtyrerkult präsentierte die Leidensgeschichten einzelner Soldaten stellvertretend für das Leiden des flämischen Volks, wie etwa im Fall Renaat de Rudders. Er war wegen seiner Tätigkeit für die Frontbewegung zu Arrest verurteilt worden. Kurz nach seiner Entlassung traf ihn am 17. Dezember 1917 unter ungeklärten Umständen eine belgische Kugel. Der Vorfall wurde nicht nur als Mordanschlag interpretiert, sondern als Symbol für die Bedrohung Flanderns durch den belgischen Staat. De Rudders Statue wurde 1931 am neuen Yserturm enthüllt, seine sterblichen Überreste in einer Krypta am Fuße des Turms bestattet.20 Dieser Märtyrerkult war eng mit einem das Leiden als Tugend verklärenden Katholizismus verbunden. Nach dem Krieg wurde er auf andere Gruppen übertragen, etwa auf den von einem Polizisten erschossenen Herman Van den Reeck, aber auch auf weniger heroische Personen. So erfreuten sich die »Holzfäller von der Orne« – zehn flämische Soldaten, die 1918 mit der Begründung eines »zweifelhaften Patriotismus« in eine Strafkompanie versetzt und erst 1919 freigelassen worden waren – großer Beliebtheit. Eine wichtige Gruppe bildeten die wegen Kollaboration verurteilten Aktivisten, für die eine umfassende Amnestie gefordert wurde. Unbestrittene Galionsfigur der Amnestiekampagne war der zum Tode verurteilte und anschließend zu lebenslanger Haft begnadigte August Borms, an den auch die Abgeordneten der Frontpartei immer wieder erinnerten.21 Im flämisch-nationalistischen Märtyrerkult war das Leiden für Flandern die zentrale Kategorie, die den Unterschied zwischen den Gefallenen der Front­ bewegung, den bestraften Aktivisten und den Opfern der militanten Studentenbewegung verwischte. Die Inszenierung dieses verbindenden Leidens geschah in einer katholischen Bildtradition. Als der flämisch-nationalistische Total­ verweigerer Berten Fermont am 22. Oktober 1933 an Tuberkulose starb, die er sich im Gefängnis zugezogen hatte, saß an seinem Sterbebett der 1929 entlassene August Borms.

b) Deutsche Außenpolitik nach Locarno – Entspannung und Revision Außenpolitisch begann mit der Konferenz von Locarno, die vom 5. bis 16. Oktober 1925 stattfand, eine Phase der Entspannung. Im Rheinpakt akzeptierten Deutschland, Frankreich und Belgien den Grundsatz, ihre gemeinsamen Gren19 Deneckere, Oudstrijders, S. 278. 20 Vanacker, Frontbeweging, S. 282; Shelby, Nationalism, S. 131–140; Beck; Moons; Overloop. 21 So beispielsweise Van Severen und Vos am 20. Mai bzw. 23. Juni 1925, Chambre 1925, S. 46 f. und S. 67–69.

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zen nicht mit militärischer Gewalt zu verändern, was von Großbritannien und Italien garantiert wurde. Locarno galt in Belgien als diplomatischer Erfolg, da die Verträge die einseitige Orientierung auf Frankreich beendeten und die territoriale Integrität des Landes, einschließlich Eupen-Malmedys, international absicherten.22 Für Deutschland bedeutete Locarno die Rückkehr auf die internationale Bühne. Außenminister Gustav Stresemann fiel der Verzicht auf eine militärische Veränderung der Westgrenze leicht, da Deutschland hierzu auf absehbare Zeit sowieso nicht in der Lage war. Auf der anderen Seite garantierte der Rheinpakt auch die deutsche Grenze und minderte die Gefahr französisch-belgischer Aggres­sionen, wie sie in den Jahren zuvor stattgefunden hatten. Während die Verträge von Locarno weithin als Grundlage einer dauerhaften, auch territorialen Friedensordnung betrachtet wurden, sah Stresemann sie als Ausgangspunkt für deren Revision. Dies zeigt auch ein 1925 eingeleiteter Paradigmenwechsel in der Deutschtumspolitik, die das bisherige Ziel, die im Ausland lebenden deutschen Minderheiten zu schützen, nun mit der Forderung nach einem Staat verband, »dessen politische Grenze alle deutschen Volksteile« umfassen sollte.23 Belgien spielte eine wichtige Rolle in den deutschen Versuchen, eine Bresche in das territoriale System des Versailler Vertrags zu schlagen. Der Verzicht auf eine gewaltsame Veränderung der Grenzen bedeutete nämlich keinesfalls, dass diese nicht friedlich revidiert werden konnten. Berlin versuchte, Belgien durch finanzielle Anreize zur Rückgabe Eupen-Malmedys zu bewegen.24 Nachdem offizielle Verhandlungen im Mai 1926 gescheitert waren, trat die Reichsregierung an verschiedene belgische Politiker heran. Die Sozialisten Huysmans und Vandervelde sowie der flamingantische Katholik Van Cauwelaert standen einer Rückgabe grundsätzlich positiv gegenüber.25 Die Reichsregierung versuchte auch ihre Zustimmung, Brüssel zum Sitz der Internationalen Bank zu machen, mit einer Rückgabe Eupen-Malmedys zu verbinden.26 Die Hoffnung, die 1919 verlorenen Gebiete wiederzugewinnen, führte zu einer vorsichtigeren Haltung in der Flamenfrage. Als der ehemalige Besatzungsbeamte Oszwald 1928 unter dem Titel »Los von Belgien!« einen Artikel über den flämischen Nationalismus in den »Süddeutschen Monatsheften« ver-

22 Coolsaet, S. 264 f. 23 Fahlbusch, Deutschtumspolitik, S. 575 f.; Haar, Stiftung; Siehe auch die Rede Stresemanns vor der »Arbeitsgemeinschaft deutscher Landsmannschaften«. Berlin, 14. Dezember 1925, ADAP, B, 1, 1 (Anhang II), S. 727–753. 24 Der Staatssekretär des Auswärtigen Schubert an den Gesandten in Brüssel Keller. Berlin, 28. Juli 1926, ADAP, B, 1, 1 (Dokument 292), S. 677–681; Aufzeichnung des Staatssekretärs des Äußern Schubert über eine Besprechung mit Reichspräsident Hindenburg. Berlin, 3. August 1926, ADAP, B, 1, 2 (Dokument 1), S. 1 f. 25 Coolsaet, S. 270. 26 Aufzeichung von Unbekannt über die Frage Eupen-Malmedy. Berlin, 27. November 1930, ADAP, B, 16 (Dokument 82), S. 212.

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öffentlichte, wurde er vom Auswärtigen Amt zur Ordnung gerufen.27 In der Begründung hieß es, man müsse »in erster Linie an die Bewohner von Eupen und Malmedy denken. Deren Chancen zugunsten der Flamen zu verspielen, wäre unverantwortlich«.28 Anstelle der offiziellen Außenpolitik widmeten sich außenpolitische Vorfeldorganisationen im Rahmen der »Volkstumsarbeit« der Flamenfrage. Sie ermöglichten es der Reichsregierung, Standpunkte zu unterstützen, die sie offiziell nicht vertreten und von denen sie sich im Fall außenpolitischer Verwicklungen problemlos distanzieren konnte. Auch die Kulturpolitik war ein »Ausweg aus der Machtlosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg«.29 Die Etablierung dieser Netzwerke ging mit einem Sieg des völkischen Denkens einher, das sich nun über die Grenzen deutsch-völkischer Gruppen hinaus als hegemoniale Nationalideologie durchsetzte. Dass dies unter Stresemann geschah, der während des Kriegs ein radikaler Annexionist und wichtiger Befürworter der Flamenpolitik gewesen war, kann hierbei nicht verwundern. Der Umfang der von derartigen Vorfeldorganisationen betriebenen Flamenarbeit lässt sich nicht bestimmen, da das zentrale Archiv des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) 1943 zerstört wurde. Der Jahresbericht von 1929 behandelte Flandern jedoch auf 50 Seiten ausführlich und warnte gleichzeitig vor einem allzu offenen Auftreten.30 Inoffiziell wurden beispielsweise die Zeitschriften »Vlaanderen«, »Jong-Dietschland« und »Noorderklok« unterstützt, die sich am extrem anti-belgischen Rand des flämisch-nationalistischen Spektrums bewegten und sogar direkte Zuwendungen des Auswärtigen Amts empfingen.31 Eine Schlüsselfigur in der Förderung des radikalen flämischen Nationalismus war Oszwald, der in engem Kontakt zu den flämischen Herausgebern der genannten Zeitschriften stand.32 Oszwald war Mitarbeiter am 1919 gegründeten Reichsarchiv in Potsdam, das zu den »grauen« Institutionen der Zwischenkriegszeit zählte und nur bedingt mit einem heutigen Staats- oder Bundesarchiv vergleichbar ist. Es hatte vor allem die Aufgabe, das Archivmaterial und einen Teil des Personals des Generalstabs aufzunehmen, der nach Artikel  160 des Versailler Vertrags aufgelöst werden musste. Es handelte sich also um eine mili­ tärische Einrichtung mit zivilem Anstrich, die durchaus zukunftsgerichtet die

27 Graml, S. 76. 28 Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Bülow. Berlin, 14. September 1929, ADAP, B, 13 (Dokument 18), S. 39 f. 29 Lejeune, S. 77. 30 Ebd., S. 95 f. 31 Dolderer, Weltkriegen, S. 131; Lejeune, S. 95 f. 32 Die Korrespondenz mit den Herausgebern Raf Verhulst, Victor Leemans, Josué De Decker und Robrecht De Smet wurde nicht in den überlieferten Listen untergebracht, sondern aufgrund ihres Umfangs gesondert notiert. Diese Listen sind leider nicht mehr vorhanden. Die einzigen ehemaligen Aktivisten, mit denen Oszwald in ähnlichem Umfang korrespondierte, waren Antoon Jacob und Jef Hinderdael. BArch, R 1506/1168.

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Lehren aus den Fehlern des Ersten Weltkriegs ziehen wollte.33 Oszwald arbeitete hier seit 1919 an einer Geschichte der deutschen Verwaltung in Belgien, deren Erstellung bereits während des Kriegs in der Absicht begonnen wurde, die »Erfahrungen des gegenwärtigen Kriegs nicht verloren gehen zu lassen, sondern für die Zukunft fruchtbar zu machen«.34 Dass sich diese Zielsetzung auch nach dem Krieg nicht änderte, belegt eine Äußerung des Präsidenten des Reichsarchivs, Hermann Mertz von Quirnheim. Neben dem wissenschaftlichen Interesse sah er vor allem eine »praktisch-politische Aufgabe« in der Beschäftigung mit den ehemaligen Besatzungsverwaltungen (neben Belgien auch in Polen, Litauen, dem Baltikum und der Ukraine). Sie bestand darin, die dort geleistete »Kulturarbeit« zu belegen und so der Darstellung Deutschlands als eines »kulturlosen Barbarenstaates« entgegenzuwirken. Daneben existiere auch der »praktisch-wirtschaftliche Gesichtspunkt […] die Ergebnisse der von den deutschen Behörden in den besetzten Gebieten angestellten Forschungen auf wirtschaftlichem Gebiet zur Verwertung in Gegenwart und Zukunft der Öffentlichkeit bekanntzugeben«.35 Die Arbeit an der Verwaltungsgeschichte war also immer dezidiert politisch und auf die Zukunft gerichtet. Dass hierbei auch an militärische Aspekte gedacht wurde, kann vorausgesetzt werden. Oszwald war im Reichsarchiv auch mit einem der umstrittensten Themen des Weltkriegs betraut, dem angeblichen belgischen Franktireurkrieg im ­August 1914.36 In diesem Zusammenhang arbeitete er eng mit dem ehemaligen Aktivisten Raf Verhulst zusammen, der gemeinsam mit dem Abgeordneten der Frontpartei Ward Hermans 1929 unter dem Pseudonym Jan Terzake ein Büchlein auf Französisch und Niederländisch veröffentlichte. Hierin wurde behauptet, dass 1914 ein Kampf belgischer Franktireure gegen die deutschen Truppen stattgefunden habe. Die Broschüre erschien auch auf Englisch und in gekürzter Fassung auf Deutsch unter dem Titel »Belgien vor dem Weltgericht. Die Frage der belgischen Franktireure«. Diese Schriften wurden u. a. vom Auswärtigen Amt finanziert.37 33 Pöhlmann, Kriegsgeschichte; ders., Großer Krieg, S. 286 f. 34 Wissenschaftlicher Ausschuss zur Darstellung der deutschen Kriegswirtschaft. Vorläufiger Arbeitsplan. Berlin, 7. Februar 1918, BArch, RH 61/663 (unpaginiert). 35 Der Präsident des Reichsarchivs Quirnheim an den Reichsinnenminister. Potsdam, 16. September 1921, BArch, R 1501/119200, S. 36. 36 Laux, S. 247–290; Oszwald, Streit. 37 Mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass die deutsche Unterstützung nicht erwähnt werden solle. Empfehlungsschreiben des Gesandten in Bangkok Asmis für Verhulst. Bangkok, 16. September 1928; Befürwortung der finanziellen Unterstützung für den Druck »Das unterdrückte Flandern«, PA AA, R 70303 (unpaginiert); Aufzeichnung Legationsrat Neumeister, Auswärtiges Amt befürwortet Freistellung Verhulsts von seinen universitären Verpflichtungen unter Hinweis auf die Veröffentlichung zum Franktireurkrieg, da er Deutschland damit einen »großen Dienst erwiesen« habe. Berlin, 14. August 1929, PA AA, R 70305 (unpaginiert).

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Anders als in der Phase von 1918 bis 1925, als die Frontpartei im belgischen Parlament lautstark gegen die Militärinterventionen an der Seite Frankreichs protestiert und auch den Vertrag von Versailles kritisiert hatte, war der flämische Nationalismus bis 1933 außenpolitisch für Deutschland kaum von Bedeutung. Nachdem Locarno eine Phase der Entspannung eingeläutet hatte, fanden die Beziehungen auf Augenhöhe statt, auch wenn Belgien noch bis 1929 Besatzungstruppen im Rheinland stationiert hatte. Eine Ausnahme in den ansonsten nicht herzlichen, aber unaufgeregten Beziehungen war die sogenannte Utrechter Dokumentenkrise 1929, in der flämisch-nationalistische Netzwerke in Deutschland und den Niederlanden eine wichtige Rolle spielten. Die belgischen Gebietsansprüche nach dem Ersten Weltkrieg hatten das Verhältnis zu den Niederlanden schwer belastet. Eine Neuverhandlung der Regelungen von 1839 scheiterte 1919, auch weil flämische Aktivisten Dokumente publizierten, welche die Tätigkeit belgischer Agenten in Niederländisch-Limburg belegten. Erst 1924 wurden die Gespräche wieder aufgenommen, wobei man vor allem über wirtschaftliche Fragen verhandelte. Ein Vertrag, der die Schiffsverbindung Antwerpens mit dem Rhein verbessern sollte und außerdem eine gemeinsame Verwaltung der Scheldemündung vorsah, wurde im Juli 1926 vom belgischen Parlament mit großer Mehrheit angenommen – die Frontpartei enthielt sich. Im weiteren Verlauf stellte Herman Vos mehrere Anfragen an Außenminister Vandervelde, die sich vor allem um die militärischen Konsequenzen der Vereinbarung drehten, etwa ob belgischen und französischen Kriegsschiffen die Durchfahrt durch die Schelde gestattet sein würde.38 Vos’ parlamentarische Anfragen waren mit Großniederländern und aktivistischen Flüchtlingen in den Niederlanden abgestimmt und dienten dazu, dort Widerstand gegen den Vertrag zu organisieren. Neben ökonomischen Gründen – insbesondere der Furcht vor einer Schädigung des Rotterdamer Hafens durch die Antwerpener Konkurrenz – wurde vor allem die Solidarität mit den flämischen Nationalisten als Argument für eine Ablehnung angeführt. Hierbei spielte Gerretson, der so wichtig für die Entstehung der deutschen Flamenpolitik gewesen war, eine herausragende Rolle. Da er lange Zeit bei der BPM, der Vorgängergesellschaft von »Shell«, gearbeitet hatte, ergänzten sich bei ihm ökonomische und ideologische Motive auf harmonische Weise. Mit Geld aus Rotterdamer Unternehmerkreisen finanzierte er die flämisch-nationalistische »De Schelde«, deren Chefredakteur Vos war. Letztlich lehnte die Erste Kammer den Vertrag ab, der zunächst in der niederländischen Zweiten Kammer angenommen worden war.39 Im Mai  1929 wurden die belgisch-niederländischen Beziehungen kurz vor den belgischen Wahlen durch einen weiteren und überaus bizarren Vorfall in Mitleidenschaft gezogen. Das niederländische »Het Utrechtse Dagblad«, das bereits in der Kampagne gegen den Handelsvertrag eine wichtige Rolle gespielt 38 Simons u. Dedeurwaerder, S. 2174 f. 39 Waele, Verdrag, S. 448 f.; Wils, Beweging, S. 288; Boehme, Greep, S. 138–146.

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hatte, veröffentlichte am 23. Februar 1929 den angeblichen Text des geheimen französisch-belgischen Militärabkommens. Einige Tage später folgten ergänzende Unterlagen, denen zufolge Belgien und Frankreich planten, bei einem Einmarsch in Deutschland die niederländische Neutralität zu verletzen. Der Hintergrund der Affäre ist verworren und würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, deshalb soll hier vor allem auf die Rolle des flämischen Nationalisten Ward Hermans eingegangen werden.40 Hermans kam aus der Frontbewegung und genoss als einer der »Holzfäller von der Orne«, die 1918 in ein Strafbataillon versetzt worden waren, einen gewissen Kultstatus. In Lier ließ der örtliche VOS sogar eine Büste Hermans anfertigen, bei deren Enthüllung es 1924 zu Straßenschlachten mit der Gendarmerie kam.41 Das Verhältnis zum Veteranenverband verschlechterte sich allerdings, als Hermans seinen Pazifismus immer mehr zugunsten eines revolutionären Nationalismus aufgab. Hierbei war er ausgesprochen pro-deutsch. Wie andere flämische Nationalisten bestritt er die Alleinschuld Deutschlands am Krieg und setzte sich für ein erneutes Referendum über Eupen-Malmedy ein. Für Aufsehen sorgte eine Artikelserie, die Hermans im September 1927 in »De Schelde« publizierte und in der er die deutsche These eines belgischen Franktireurkriegs vertrat. Unter dem Pseudonym »Ijzergalm« schrieb er, dass belgische Zivilisten im August 1914 die Invasionstruppen angegriffen hätten, und behauptete, selbst an solchen Angriffen beteiligt gewesen zu sein. Für den Franktireurkrieg machte er allerdings nicht die belgische Regierung, sondern in erster Linie eine besondere Gewalttätigkeit der Wallonen verantwortlich, die zudem von der frankophilen Presse aufgewiegelt worden seien. Das für die Artikel verwendete Material stammte aus Recherchen in der Königlichen Bibliothek in Brüssel, die ein Kollege im Auftrag der deutschen Gesandtschaft für das Schuldreferat in Berlin gemacht hatte.42 Möglicherweise wollte der belgische Militärgeheimdienst Hermans’ deutsche Verbindungsleute aufdecken oder ihn politisch diskreditieren. Jedenfalls wurden ihm vermeintliche Kopien des französisch-belgischen Militärabkommens zugespielt, die von den am Abkommen beteiligten Behörden fabriziert und daher von echten nicht zu unterscheiden waren. Zum Problem wurde dieses Vorgehen für die Belgier, weil Hermans das Material nicht nur den Deutschen, sondern auch dem ehemaligen Vorsitzenden des Rates von Flandern zuspielte. Willem De Vreese war mittlerweile Direktor der Rotterdamer Gemeindebibliothek43 und informierte das niederländische Außenministerium, wo man die Dokumente prüfte und für echt befand. Die Regierung in Den Haag entschied sich, Brüssel durch Veröffentlichung der Texte zur Stellungnahme zu zwingen und sorgte mit 40 Ausführlich in Provoost, Vlaanderen Bd. 1, S. 476–510. 41 Wever, Hermans. 42 Wieland, S. 173–175; Zum Kriegsschuldreferat und seiner Unterstützung ausländischer Publi­zisten: Heinemann, S. 111–118. 43 Mommaerts u. Eetvelde-De Moor.

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der Publikation in »Het Utrechtse Dagblad« für einen Sturm der Entrüstung in den Niederlanden. Auch in Berlin war man von der Echtheit der Dokumente überzeugt und drängte auf eine Reaktion der Belgier.44 Der Gesandte Horstmann wurde beim belgischen Außenminister vorstellig, der ihn kurzerhand vor die Tür setzte und so für einen mittelschweren diplomatischen Eklat sorgte.45 Dass Hymans derart die Beherrschung verlor, zeigt, in welcher Bredouille er steckte. Im Parlament schimpfte er über das »Lügenkonstrukt« (frz. »un tissu d’artifices et de mensonges«), während Van Cauwelaert und Vos Dringlichkeitsfragen stellten. Die flämischen Nationalisten forderten den Text der Originale zu veröffent­ lichen.46 Letztlich musste die belgische Regierung einräumen, dass es sich um eine Fälschung des Militärgeheimdiensts handelte.47 Anstatt den flämischen Nationalisten zu schaden, hatte der belgische Geheimdienst ihnen zu einem Triumph verholfen. Hermans, der zunächst in die Niederlande geflohen war, nutzte den Skandal, um sein Image als Draufgänger zu bekräftigen. Er wurde nicht verhaftet, sondern zog im Mai 1929 für die Frontpartei in die belgische Abgeordnetenkammer ein.48

c) Die Borms-Wahl 1928 und die Wahlen von 1929 – Der Durchbruch des flämischen Nationalismus Dass ein Mann wie Hermans in die Abgeordnetenkammer einzog, war auch Ausdruck einer steigenden Unzufriedenheit über das Ausbleiben lang angekündigter Reformen, vor allem was die Flämische Hochschule und eine Amnestieregelung betraf. Bereits 1923 hatte das Parlament einen Kompromiss verabschiedet, der die Einrichtung einer flämischen und einer frankophonen Abteilung an der Universität Gent vorsah. Die Studenten sollten zwei Drittel der Kurse in der eigenen Sprache und ein Drittel in der anderen besuchen. Diese Regelung befriedigte weder Gegner noch Befürworter einer Flämischen Hochschule. Es 44 Die deutschen Behörden befanden sich ebenfalls im Besitz der Dokumente, die vom Reichswehrministerium für echt gehalten wurden. Siehe Schreiben des Ministerialdirektors im Auswärtigen Amt Gerhard Köpke an den Gesandten in den Niederlanden Julius ZechBurkers­roda. Berlin, 17. April 1929, ADAP, B, 11, S. 403–408 (Dokument 178). 45 Der Gesandte in Belgien Horstmann an das Auswärtige Amt. Brüssel, 28. Februar 1929, PA AA, R 30134 k. 46 Der belgische Außenminister Hymans in der Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 26. Februar 1929, Chambre 1928–1929, S. 715 f. 47 Der Militärgeheimdienst wurde als Konsequenz aus der Affäre als selbständige Behörde abgeschafft und dem Justizministerium, anstatt wie bisher dem Verteidigungsministerium unterstellt. Die bemerkenswerte Erklärung des belgischen Ministerpräsidenten Jaspar über die Entstehung der Fälschung: Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer, 7. März 1929, Chambre 1928–1929, S. 936–938. 48 Wils, Bormsverkiezing, S. 357; Waele, Documenten; Elias Bd. 3, S. 19 f.

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kam zu einem weitgehenden Boykott der abfällig als »Nolf-Baracke« (ndl. »Nolfbarak«) bezeichneten flämischen Abteilung.49 Den frankophonen Studenten ermöglichte eine mit privaten Geldern finanzierte »Ecole des Hautes Etudes«, die niederländischen Pflichtkurse auf französisch zu besuchen.50 Ein Amnestiegesetz für die ehemaligen Aktivisten war bereits 1925 von der Regierung Poullet angekündigt, aber nicht mehr realisiert worden. In den ab Mai 1926 folgenden Kabinetten verhinderte dann der Widerstand der Liberalen eine Regelung.51 Sowohl in der Frage der Flämischen Hochschule als auch der Amnestie mussten sich die flämischen Katholiken vorwerfen lassen, wenig oder nichts erreicht zu haben. Die Symbolfigur der Amnestiebewegung war August Borms, der letzte noch inhaftierte Aktivist. Er hatte es abgelehnt, im Gegenzug für seine Freilassung auf eine politische Betätigung zu verzichten. Ein internationales Komitee sammelte weltweit Unterschriften für seine Freilassung  – außer in Deutschland. Unterstützung aus dem Land der ehemaligen Besatzungsmacht war offenbar nicht erwünscht.52 Die Yserwallfahrt 1928 stand im Zeichen der Amnestie­ forderung, aber auch deren Gegner ließen von sich hören. Kurz vor der geplanten Verabschiedung eines Amnestiegesetzes veröffentlichte die »Nationale Liga für die belgische Einheit« (frz. »Ligue nationale pour l’unité Belge«) im November 1928 Dokumente, welche die Zusammenarbeit des Rates von Flandern mit der deutschen Besatzungsmacht in den Jahren 1917 und 1918 und die zentrale Rolle Borms’ hierbei belegte.53 Diese Publikation, die offenbar in letzter Minute ein Amnestiegesetz verhindern sollte, wurde in Flandern allerdings überwiegend – und übrigens zu Unrecht – als nicht vertrauenswürdig abgelehnt. Hierzu trugen die Veröffentlichung durch eine belgisch-nationalistische Organisation bei, aber auch grobe Übersetzungsfehler. Die deutsch- und niederländischsprachigen Originale wurden nicht im Wortlaut, sondern als Zusammenfassung publiziert, die zunächst auf Französisch angefertigt worden war. Bei der Rückübertragung ins Niederländische waren dann offenbar Ungenauigkeiten passiert.54 Auf die Frontpartei machte die Veröffentlichung sowieso keinen Eindruck. In einer »Brandrede« ging Van Severen im Parlament zum Angriff über. Er hielt seine Rede auf Französisch, um auch von den frankophonen Parlamentariern verstanden zu werden. Den Aktivismus bezeichnete er als eine der »nobelsten 49 Pierre Nolf war der amtierende Unterrichtsminister. Im Studienjahr 1924 waren 56 von 1521 Studenten an der gesamten Universität in der flämischen Abteilung eingeschrieben, im nächsten Jahr 67 von 1651, 1931, im letzten Jahr der Nolf-Universität, besuchten dann immerhin 203 von 1690 Studenten der Universität Gent die flämische Abteilung. Clerck, S. 2288. 50 Luykx, S. 312; Meersch, S. 1022; Clerck, S. 2288 f. 51 Luykx, S. 329; Wils, Bormsverkiezing, S. 346–354. 52 Elias Bd. 2, S. 195. 53 Dejongh. Die niederländische Version ist deutlich kürzer als die französische. 54 Elias Bd. 2, S. 196.

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Bewegungen« (frz. »un des plus nobles mouvements«). Im Gegensatz zu Debeuckelaere, der 1921 sogar die Existenz der Frontbewegung geleugnet hatte, bekannte sich Van Severen dazu, dass diese 1918 Kontakt mit den Aktivisten im Besatzungsgebiet aufnehmen wollte. Dem Boten, der damals über die Linien ging, sprach er seine Bewunderung aus und endete mit einem Bekenntnis zu den Großniederlanden.55 Dass sich Van Severen so äußern konnte, lag auch an den veränderten Umständen. Zehn Jahre nach Kriegsende musste er keine Strafverfolgung mehr fürchten. Am 6. Dezember 1928 nahm die belgische Abgeordnetenkammer das sogenannte »Auslöschungsgesetz«56 an. Dieses widerrief die gefällten Urteile nicht, erklärte jedoch die Strafen für verfallen, so dass Borms freigelassen wurde und Verurteilte aus dem Exil zurückkehren konnten. Viele Aktivisten hatten allerdings ihre politischen Rechte verloren und erhielten diese auch nach dem neuen Gesetz nicht zurück. Wer zu weniger als zehn Jahren Haft verurteilt worden war, konnte allerdings beantragen diese zurückzuerhalten.57 Die Front­ partei enthielt sich daher bei der Abstimmung, und De Clercq erklärte, dass man Borms und den anderen Aktivisten in Flandern in Zukunft Denkmäler setzen werde.58 Wenige Tage später setzte die Frontpartei Borms auf ganz eigene Weise ein Denkmal. Noch bevor das Amnestiegesetz im belgischen Senat verabschiedet wurde, kam es zu einem Ereignis, dass den belgischen Einheitsstaat in seinen Grundfesten erschütterte. Nach dem Tod eines liberalen Abgeordneten für Antwerpen musste eine Nachwahl stattfinden  – eigentlich eine reine Formalität, da die großen Parteien keine Gegenkandidaten aufstellten. Die Frontpartei stellte allerdings den zu lebenslanger Haft verurteilten Borms als ihren Kandidaten auf, was eine Gesetzeslücke ermöglichte. Personen, die ihre politischen Rechte verloren hatten, durften zwar keine Ämter ausüben, sich aber zur Wahl stellen, und diese konnte nur nachträglich für ungültig erklärt werden.59 Die Frontpartei führte eine geschickte Kampagne und erklärte die Wahl zur Abstimmung über das Amnestiegesetz. Sie warb ausdrücklich damit, dass Borms und der als Stellvertreter aufgestellte Adelfons Henderickx als verurteilte Aktivisten keine politischen Rechte besaßen und daher auch nicht ins Parlament einziehen konnten. Dieses Argument sollte Wähler ansprechen, die zwar für eine Amnestie waren, aber die politischen Ansichten des Kandidaten nicht teilten. 55 Angeblich soll Van Severen sogar mit dem Ruf »Belgien verrecke!« (»La Belgique qu’elle crève!«) geendet haben. Dieser Satz findet sich jedoch nicht im offiziellen Protokoll. Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 29. November 1928, Chambre 1928–1929, S. 61 ff. 56 Ndl. »uitdovingswet«, offiziell: »Wet over het verval van de vervolging van de straffen betreffende sommige misdaden en wanbedrijven gepleegd tusschen 4 augustus 1914 en 4 augustus 1919«; frz. »Loi sur l’extinction des poursuites répressives et des peines relatives à certaines crimes et délits commis entre le 4 août 1914 et le 4 août 1919«. 57 Vandeweyer u. Huyse, S. 277–279; Elias Bd. 2, S. 197. 58 Wils, Bormsverkiezing, S. 339. 59 Elias Bd. 2, S. 199.

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Hinzu kam eine fast religiöse Verehrung, die Borms im flämisch-nationalistischen Milieu genoss. Spenden für den Wahlkampf konnten in der Zeitung »De Schelde« mit einer kurzen Widmung versehen werden. Diese lautete dann z. B. »Damit es ein Mädchen wird« oder »Für die Genesung meines Kleinsten«.60 Borms siegte am 9. Dezember 1928 mit einem überwältigenden Ergebnis. Der wegen Hochverrats verurteilte Aktivist erhielt 83.058 Stimmen, sein liberaler Gegenkandidat 44.410, ungültig hatten 58.052 Wähler gestimmt, und zwei kommunistische Kandidaten (ein Stalinist und ein Trotzkist) kamen zusammen auf 5.696 Stimmen. Borms erhielt damit in Antwerpen mehr Stimmen als die Frontpartei bei den letzten Wahlen in ganz Belgien. Zu seinem Sieg hatte auch beigetragen, dass die Antwerpener Katholiken und Sozialisten ihre Anhänger aufforderten, ungültig zu wählen. In beiden Parteien gab es Sympathien dafür, »Brüssel« eine Lektion zu erteilen. Stattdessen wurde es ein Paukenschlag, der den Eliten den Unmut in Flandern unmissverständlich zu Gehör brachte.61 Das Amnestiegesetz wurde vom Senat am 16. Januar 1929 verabschiedet und Borms am folgenden Tag entlassen, noch vor der Veröffentlichung im Staatsblatt und nachdem man vergeblich versucht hatte, ihn zum Gang ins Exil zu bewegen. Er ließ es sich nicht nehmen, anschließend durch Flandern und die Niederlande zu touren, um seinen Triumph zu feiern.62 Die Bormswahl und die Utrechter Dokumentenkrise sowie die zunehmende Unzufriedenheit über ausbleibende Reformen trugen dazu bei, dass die Frontpartei bei den Parlamentswahlen am 26. Mai 1929 mehr als 50.000 Stimmen hinzugewann und ihren Stimmenanteil auf 6 % deutlich ausbaute. Sie stellte nun elf Abgeordnete und erstmals auch vier Senatoren. Die flämischen Nationalisten hatten sich im belgischen Parteiensystem etabliert. Der Wahlsieg leitete eine Wende in der belgischen Sprachpolitik ein. In den folgenden zehn Jahren wurde die Einsprachigkeit in Flandern schrittweise realisiert.63 Die Belgische Arbeiterpartei hatte bei den Wahlen am stärksten verloren und formulierte auf einem Parteitag am 9. und 10. November 1929 ihren Standpunkt zur Sprachenfrage, der als »Kompromiss der Belgier« (frz. »Compromis des Belges«) in die Geschichte einging. Ausgehend von dem Grundsatz, dass Französisch die Sprache in Wallonien und Niederländisch die Sprache in Flandern sei, sprach man sich für eine Festlegung der Sprachgrenze aus. Die Sozialisten waren damit die erste große Partei, die eine sprachliche Homogenität Flanderns befürwortete. Ein erster Schritt sollte mit der Verdopplung des Unterrichtsministeriums gemacht werden.64 Auch Ministerpräsident Jaspar erklärte im Juni  1929, dass die Regierung einen Plan zur Lösung der flämischen Frage vorlegen werde. Am 5. März 1930 60 Wils, Bormsverkiezing, S. 336. 61 Wever, Greep, S. 65; Elias Bd. 2, S. 199. 62 Elias Bd. 2, S. 199; Wils, Bormsverkiezing, S. 356. 63 Wils, Bormsverkiezing, S. 321. 64 Luykx, S. 331 f.

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beschloss man die Einführung des Niederländischen als einziger Unterrichtsund Verwaltungssprache an der Universität Gent, die bereits am 21. Oktober 1930 von ihrem neuen Rektor August Vermeylen eröffnet wurde.65 Dies geschah ein Jahrhundert nach Gründung Belgiens und auf den Tag genau vierzehn Jahre nach der Eröffnung der ersten Flämischen Hochschule durch den deutschen Generalgouverneur Bissing.

d) Föderalismus oder Großniederlande? – Richtungsstreit und Wende zum Faschismus 1929 bis 1933 Bis 1932 wurden weitere Gesetze verabschiedet, welche die Rolle des Niederländischen in Unterricht und Verwaltung betrafen und wesentliche Forderungen der flämischen Bewegung erfüllten. Diese Erfolge waren ohne Zweifel auch ein Verdienst des flämischen Nationalismus, der die belgischen Parteien »sturmreif« geschossen hatte.66 Doch der plötzliche Erfolg stellte die Daseinsberechtigung der Frontpartei in Frage, die auf zwei Grundpfeilern ruhte. Erstens dem Unvermögen der flämischen Katholiken sich parlamentarisch durchzusetzen und zweitens der These einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit zwischen belgischem Staat und flämischer Bewegung. Das Dilemma zeigte sich bereits anlässlich der Abstimmung über die Universität Gent, bei der die Fronter mit »Nein« stimmten. Sie be­ gründeten ihre Ablehnung mit einigen Übergangsregelungen und Debeuckelaere ließ sich sogar zu einem »Timeo Danaos et dona ferentes« hinreißen.67 Doch die radikale Rhetorik konnte die Verunsicherung über das überraschende Entgegenkommen des Staates nicht überdecken. Bei ihrer Gründung war die Frontpartei ein gemeinsames Projekt katholischer, liberaler und sozialistischer Nationalisten gewesen. Dieser »Burgfriede« (ndl. »Godsvrede«) mit dem politischen Gegner war gerade von katholischen Flamen als zeitlich begrenzt gerechtfertigt worden. Wenn die Forderung nach »Selbstregierung« (ndl. »zelfbestuur«) erfüllt war, so die Vorstellung, würde man in die jeweilige Parteienfamilie zurückkehren.68 War dieser Zeitpunkt nun gekommen? Die Frage, ob sich der flämische Natio­nalismus selbst überflüssig gemacht hatte, ist ein Beleg für die erstaunliche Integrationskraft des belgischen Staates, dem es seit seiner Gründung immer wieder gelang, scheinbar unvereinbare politische Gegensätze miteinander zu versöhnen. Dies traf bereits 1830 auf Katholiken und Liberale zu, später auf die Integration der Belgischen Arbeiterpartei. Das politische System schien nun 65 Ebd., S. 332 f. 66 Van Cauwelaert bezeichnete den flämischen Nationalismus als »Vogelscheuche« (ndl. »vogelschrik«). Wever, Partijen, S. 3336. 67 Sitzung der belgischen Abgeordnetenkammer am 5. März 1930, Chambre 1929–1930, S. 830. 68 Elias Bd. 2, S. 41.

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auch in der Lage, eine Mehrheit der flämischen Bewegung davon zu überzeugen, dass sie innerhalb der etablierten Strukturen mehr zu gewinnen als zu verlieren hatte. Die Fundamentalopposition der Frontpartei wirkte wie ein verzweifelter Versuch, sich dieser Umarmung zu entziehen. Doch auch in der Wahlperiode 1929 bis 1932 gab es einige Ereignisse, die für Aufregung sorgten. Bei der Einweihung des 40 Meter hohen Yserturms anlässlich der Yserwallfahrt von 1930 wurden aus einem Flugzeug beleidigende Flugzettel und belgische Flaggen über der Menge abgeworfen. Einige empörte Besucher nahmen dies zum Anlass, um zu randalieren und sich Straßenschlachten mit der Gendarmerie zu liefern. Belgische Flaggen wurden heruntergerissen und verbrannt.69 Im Parlament schlug vor allem Hermans radikale Töne an. Er weigerte sich zunächst die übliche Eidesformel zu sprechen, um es nach einigem Hin und Her dann doch zu tun. Hermans rief außerdem flämische Wehrpflichtige auf, französische Befehle nicht zu befolgen. Als der junge Joris De Leeuw diesen Entschluss dem Verteidigungsministerium mitteilte, wurde er noch vor Dienstantritt zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Frontpartei und sozialistische Abgeordnete setzten sich erfolgreich für seine Freilassung ein, ohne dass sich allerdings an den Verhältnissen in der Armee etwas veränderte. De Leeuw musste seinen Dienst trotzdem absolvieren.70 Es folgten Totalverweigerer, die ihre Verweigerung nicht mehr mit den Sprachenverhältnissen, sondern mit einer grundsätzlichen Ablehnung des belgischen Staates begründeten. Sie wurden dementsprechend hart verfolgt. Berten Fermont starb 1933 an den Folgen einer zweijährigen Haft. Die Verweigerer bedienten sich einer antimilitaristischen Argumentation, waren aber keineswegs Pazifisten. De Leeuw und Fermont gehörten zur »Vlaamsch-Nationale Wacht«, einer Art flämisch-nationalistischem Saalschutz in Antwerpen. Fermont war 1929 verurteilt worden, weil er mit einem Stock auf einen am Boden liegenden frankophonen Studenten eingeschlagen hatte. Die Verweigerer wurden nicht nur gerichtlich verfolgt, sondern auch von den Bischöfen verurteilt, die am 27. Juni 1930 die Liebe zum belgischen Vaterland zur Pflicht jedes Katholiken erklärten.71 Nachdem Hermans Kardinal Jozef-Ernest van Roey wegen dieses Hirtenbriefes persönlich angriff, wurde er aufgrund seiner »respektlosen« Äußerungen von den Sakramenten ausgeschlossen und entschuldigte sich wenig später.72 Diese Episode ist geradezu ein Sinnbild für den Versuch, dem drohenden Bedeutungsverlust durch Radikalität zu begegnen, was jedoch die Gefahr einer Entfremdung vom katholischen Milieu in sich barg. Der flämische Nationalismus tat sich schwer, eine Antwort auf die Reformen zugunsten der flämischen Bewegung zu finden. Dass sich am Ende die 69 Elias Bd. 3, S. 63. 70 Wouters, Leeuw; Elias Bd. 3, S. 64; Boijen, Leger. 71 Neygen; Wever, Greep, S. 72. 72 Wever, Hermans.

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Radikalen durchsetzen und 1933 der faschistische Flämische Nationalverband (ndl. »Vlaamsch Nationaal Verbond«  – VNV) gegründet werden würde, war keineswegs zwangsläufig. Mit der inhaltlichen Krise machten sich ideologische Unterschiede im flämischen Nationalismus bemerkbar. Vereinfacht gesprochen standen sich Föderalisten und Großniederländer gegenüber. Die einen wollten ein selbständiges Flandern innerhalb einer belgischen Föderation verwirklichen, die anderen strebten die staatliche Vereinigung Flanderns mit den Niederlanden an. Während die Föderalisten ihr Ziel auf demokratischem Wege und innerhalb der bestehenden Strukturen verwirklichen wollten, dominierten bei den Anhängern der Großniederlande autoritäre bis faschistische Gesellschaftskonzepte. Vielfach waren die Großniederlande hierbei eher eine Chiffre für die radikale Ablehnung des belgischen Staates als ein reales politisches Ziel. Die Trennung in Föderalisten und Großniederländer ähnelte dabei in vielem der Spaltung in Unionisten und Jungflamen, wie sie unter deutscher Besatzung im aktivistischen Rat von Flandern existiert hatte. Nach den Wahlen von 1929 war keineswegs ausgemacht, welche Seite sich durchsetzen würde. Van Severen hatte als prominenter Vertreter der autoritären Großniederländer eine bittere Niederlage einstecken müssen und sein Mandat verloren. Er erhielt eines der schlechtesten Ergebnisse, obwohl die flämischen Nationalisten insgesamt an Stimmen gewonnen hatten. Auf der Seite der Föderalisten waren vor allem die Namen Herman Vos und Hendrik Elias wichtig. Vos entwickelte mit den niederländischen Historikern Geyl und Gerretson ein Programm für eine Reform des belgischen Staates.73 Das »Föderale Statut« (ndl. »Federaal Statuut«) orientierte sich an der belgischen Verfassung und sah die Errichtung zweier Bundesstaaten in einem Vereinigten Königreich Flandern und Wallonien mit jeweils eigenen Parlamenten vor. Das neue Königreich sollte weiterhin unter der Dynastie Sachsen-Coburg-Gotha stehen, demilitarisiert und neutral sein sowie über eine Bundesregierung für gemeinsame Angelegenheiten verfügen. Deren Kompetenzen sollten allerdings stark eingeschränkt und durch Zweidrittelmehrheit eines der Teilparlamente blockiert werden können. Brüssel war als Hauptstadt des Bundesstaates Flandern vorgesehen, wobei unmissverständlich die Absicht formuliert wurde, zu »renationalisieren, was Unter­drückung und Gesetzesbruch gewalttätig denationalisiert« hätten.74 Die Hauptstadt Walloniens wurde hingegen im Text nicht bestimmt. Aus deutscher Sicht war noch interessant, dass ein neues und geheimes Referendum über ­Eupen-Malmedy abgehalten werden sollte.75

73 Geyl war allerdings der Ansicht, dass eine Föderalisierung Belgiens letztlich zum Zerfall des Staates führen müsse. Wever, Greep, S. 69; Elias Bd. 3, S. 85. 74 Ndl. »re-nationalisatie van wat met verdrukking en door wetsovertreding en wetsverkrachting gewelddadig gedenationaliseerd werd«. 75 Vorschlag zur Reform der belgischen Verfassung, Belgische Abgeordnetenkammer Sitzungsjahr 1930–1931, Dokument Nr. 177 (Sitzung vom 23. April 1931).

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Obwohl das »Föderale Statut« keine Chance auf eine Mehrheit im belgischen Parlament hatte, ist es in mehrerer Hinsicht interessant. Erstens lehnte sich der Entwurf stark an deutsche Entwürfe aus den Jahren 1915 bis 1918 an.76 Zweitens handelte es sich um die erste konkrete Aussage der Frontpartei zur staatlichen Zukunft Belgiens, und drittens war das Konzept eine klare Absage an Van Severens Vorstellungen von den autoritär und korporatistisch organisierten Groß­niederlanden. Im Gesetzesentwurf fanden sich nur sehr allgemeine und vor allem kulturelle Zugeständnisse an die Großniederländer. Das »Föderale Statut« stand also in der Tradition der »importierten Nation« und war dennoch Ausdruck einer eher gemäßigten Auffassung vom flämischen Nationalismus. Der Riss zwischen der föderalistischen Gruppe um Vos und den radikalen Großniederländern wurde allerdings bald sichtbar. Nicht nur Van Severen, der faktisch schon außerhalb der Partei stand, sondern auch die großniederländischen Zeitschriften »Vlaanderen« und »Jong-Dietschland« betrachteten den Gesetzesvorschlag als einen Ausverkauf von Flanderns Zukunft.77 Nach kurzer Zeit distanzierten sich auch die Abgeordneten Ward Hermans und Jeroom Leuridan vom »Föderalen Statut«, obwohl sie den Gesetzesvorschlag am 23. April 1931 mit eingebracht hatten.78 Auf der anderen Seite standen die autoritären Bestrebungen Joris Van ­Severens, der seit Mitte der 1920er Jahre versucht hatte, die Frontpartei straffer zu organisieren und sich dabei deutlich an faschistischen Vorbildern orientierte. Er war Befürworter eines scharfen Konfrontationskurses gegenüber dem belgischen Staat, der sich vor allem in der Propagierung der Großniederlande äußerte. Nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament 1929 versuchte Van ­Severen, seine Vorstellungen unter den flämischen Nationalisten seiner westflämischen Heimat durchzusetzen. Dort scheiterte sein gesellschaftspolitisches Programm am 15. Februar 1931 im Parteirat. Der Bruch mit Van Severen, der begann, eine faschistische Miliz aufzubauen, wurde durch einen Beschluss des VOS im April  1931 unterstrichen, der sämtliche Mitglieder paramilitärischer Verbände dazu aufforderte, die Veteranenorganisation binnen Dreimonatsfrist zu verlassen.79 Die Mehrheit der »Kreisleitung« (ndl. »Gouwbestuur«) seines Wahlkreises distanzierte sich von Van Severen, der nun zum offenen Kampf überging. Die gewaltsame Besetzung eines »Flämischen Hauses« (ndl. »Vlaams Huis«), so der Name flämisch-nationalistischer Versammlungslokale, führte zu seinem Parteiausschluss.80 76 Siehe etwa das bereits 1915 und ebenfalls unter Mitwirkung Gerretsons entstandene Programm »Deutschland, Flandern, Holland«. In dieser Arbeit auf S. 69. 77 »Vlaanderens toekomst te koop angeboden. Het federaal statuut der frontpartij«. Elias Bd. 3, S. 89. 78 Wever, Greep, S. 70. 79 Elias Bd. 3, S. 84, 93; Creve, Dinaso. 80 Van Severen besetzte das »Flämische Haus« im westflämischen Ingelmunster, um eine Sitzung mit dem Abgeordneten der Frontpartei Jeroom Leuridan zu verhindern. Elias Bd. 3, S. 94; Himpe.

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Der Konflikt hatte auch eine kulturelle Komponente. Als »Aristokrat, der sich in die Politik verirrte«,81 unterschied sich Van Severen stark von den meisten Funktionären der Frontpartei, die sich betont volkstümlich gaben. Sie pflegten ihre groben Umgangsformen als Distinktionsmerkmal gegenüber einer sich als überlegen gebärdenden verfeinerten frankophilen Elite. Van Severen stammte hingegen aus dieser Elite und seine Vorliebe für französische Literatur war bekannt. Seine Gegner warfen ihm wohl nicht ganz zu Unrecht aristokratisches und frankophiles Auftreten vor. Van Severen war vom italienischen Faschismus und der Action française inspiriert und hatte eine ausgesprochen elitäre Auffassung von Politik. Der am 6. Oktober 1931 gegründete »Verband großniederländischer National-Solidaristen« (ndl. »Verbond van Dietsche Nationaal Solidaristen« – Verdinaso) sollte keine Partei oder Massenbewegung sein, sondern eine Avantgarde, ein »Orden«, wie es Van Severen als Absolvent einer Jesuitenschule ausdrückte.82 Der Verdinaso war ausgesprochen katholisch, lehnte die parlamentarische Demokratie ab und strebte eine korporatistische Neuordnung der Gesellschaft an. Dem Liberalismus und den Freimaurern wurde ebenso wie dem Sozialismus der Kampf angesagt. Diese Vorstellungen waren im katholischen Milieu der Zeit durchaus nicht außergewöhnlich, und die im Mai 1931 veröffentlichte päpstliche Enzyklika »Quadragesimo Anno« wurde vielfach als Unterstützung solcher Tendenzen interpretiert.83 Daneben war der Antisemitismus ein fester Bestandteil der Ideologie.84 Den Kern des Verdinaso bildete die straff organisierte faschistische »Dietsche militie«. Deren militärisches Auftreten wurde von vielen flämischen Nationalisten aus pazifistischen Gründen abgelehnt, faszinierte auf der anderen Seite aber viele Jugendliche und Studenten. Im studentischen Milieu hatte es schon Mitte der 1920er Jahre Ansätze zur Gründung einer eigenen Miliz gegeben. In den Universitätsstädten Gent und Löwen kam es regelmäßig zu Schlägereien mit frankophonen Kommilitonen und auch belgischen Faschisten. Der 1929 freigelassene Altaktivist August Borms versuchte in diesem Zusammenhang entstandene lose Wehrgruppen, in einem Dachverband zu vereinigen, wobei er an seine Tätigkeit als Bevollmächtigter für Sicherheit im Rat von Flandern anknüpfte. Er hätte gerne Van Severen an der Spitze einer solchen Organisation gesehen, was dieser jedoch ablehnte. Borms’ Initiative führte jedoch zur Gründung einer Flämischen Miliz (ndl. »Vlaamse Militie«) in Antwerpen, die sich ausdrücklich in die aktivistische Tradition stellte und auch über die Stadt hinaus zu organisieren begann. Am 30. November 1931 trat sie geschlossen in den Verdinaso ein und bildete den 81 So der Titel einer Biographie. Wils, Severen. 82 Der offensichtlich von Van Severen faszinierte Willequet schrieb sogar, die Dinasos seien aufgrund ihrer aristokratischen Einstellung und trotz ihrer grünen Hemden eher mit den Jesuiten als mit den Horden des SA zu vergleichen. Ein sicherlich verharmlosendes Urteil. Willequet, Fascismes, S. 89. 83 Vanlandschoot, Verdinaso. 84 Saerens, Verdinaso.

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Kern der »Dietsche militie«. Nun lieferte man sich nicht mehr nur Schlägereien mit den örtlichen Faschisten der Légion nationale, sondern auch mit sozialistischen Milizen. Diese betrachteten den Verdinaso, im Gegensatz zur Frontpartei, als faschistisch.85 Die Abspaltung des Verdinaso verstärkte in der Frontpartei die Tendenz, eine landesweite Parteiorganisation aufzubauen. Treibende Kraft war der junge Historiker Hendrik Elias, der seit 1929 in der Abgeordnetenkammer saß und den italienischen Faschismus verabscheute, den er bei einem Studienaufenthalt in Rom kennengelernt hatte. Unter dem Namen »Flämisch-nationale Volks­partei« (ndl. »Vlaams-Nationale Volkspartij« – VNVP) sollten bestehende lokale Gruppierungen vereinigt werden, wobei die Bezeichnung »Partei« ausdrücklich in Abgrenzung zum faschistischen Verdinaso gewählt worden war und die parlamentarische Ausrichtung unterstrich. Sie sollte auf Grundlage der katholischen Gesellschaftslehre die Gründung eines selbständigen Flanderns innerhalb eines belgischen Föderalstaats anstreben. Faschismus und Diktatur wurden ausdrücklich abgelehnt.86 Die VNVP kam über das Planungsstadium allerdings nicht hinaus. Ähnlich wie beim »Föderalen Statut« lehnten viele flämische Nationalisten die Anerkennung des belgischen Staates ab. Die Wahlniederlage der Frontpartei am 27. November 1932 besiegelte die Pläne für eine föderalistische flämisch-nationalistische Partei endgültig. Am 30. Januar 1933 wurde Staf De Clercq zum Vorsitzenden eines Komitees ernannt, das einen Plan für die flämisch-nationalistische Sammlung ausarbeiten sollte. De Clercq schien als erfahrener Parlamentarier, der keiner der innerparteilichen Fraktionen zuzuordnen war, gut für die Aufgabe geeignet. Er hatte nach 14 Jahren seinen Sitz im Parlament verloren und daher genug Zeit, das Land zu bereisen und über ein Programm zu verhandeln. Die lang erwartete Gründungsurkunde des »Flämischen Nationalverbands« (ndl. »Vlaamsch Nationaal Verbond« – VNV) erschien im Oktober 1933, ohne dass sich der VNV direkt konstituierte. Das Manifest sah eine nach dem Führerprinzip aufgebaute und strikt großniederländisch ausgerichtete faschistische Organisation vor. Der parlamentarischen Arbeit wurde nur noch eine propagandistische Funktion zuerkannt, was auch im Namen zum Ausdruck kam: Der VNV war keine Partei. Weitere Punkte waren die Ablehnung von Liberalismus und Marxismus sowie eine korporatistische Wirtschaftsauffassung.87 Die autoritären und faschistisch orientierten Kräfte hatten sich also durch­ gesetzt. An die Stelle der dezentral organisierten und demokratischen Front­ partei trat eine autoritäre und antiparlamentarische Führerpartei. Einige verließen die Partei, so Herman Vos, welcher der Belgischen Arbeiterpartei beitrat. Doch die meisten Mitglieder des demokratischen Flügels blieben, auch weil der gemäßigte Flügel die Fraktion im belgischen Parlament dominierte, nachdem 85 Creve, Missoorten, S. 29 f. 86 Wever, Greep, S. 74; ders., Elias. 87 Wever, Greep, S. 102–104.

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Ward Hermans zum Verdinaso übergegangen war. In der Parteiorganisation des VNV hatten hingegen die Faschisten das Sagen. Viele, wie der junge Propa­ gandachef Reimond Tollenaere, sympathisierten offen mit dem Nationalsozialismus und im Winter 1934 wurde nach deutschem Vorbild die »Winterhilfe« (ndl. »winterhulp«) ins Leben gerufen. Obwohl es immer wieder Kritik an solcher »Nachäfferei« gab, bestimmten diese Aktionen die Wahrnehmung des VNV. Auch antisemitische Töne waren häufig zu hören, etwa bei einer Kampagne gegen Warenhäuser im Dezember 1933.88 Dennoch stand der Antisemitismus zunächst nicht so im Vordergrund, wie es in den anderen faschistischen Organisationen Belgiens, dem Verdinaso, der Légion nationale oder später der Rex-Partei, der Fall war.

88 Wever, Oostfronters, S. 186–188.

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3. Nationalsozialismus und flämischer Nationalismus Die belgische Innenpolitik war Anfang der 1930er Jahre von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit geprägt, womit ein Glaubwürdigkeitsverlust des parlamentarischen Systems einherging. Autoritäre Staaten wie das nationalsozialistische Deutschland oder Italien schienen besser in der Lage zu sein, diese Probleme zu bewältigen. Die 1931 veröffentlichte päpstliche Enzyklika Quadragesimo Anno inspirierte ebenfalls die Diskussion korporatistischer Staatsmodelle als Alternativen zur repräsentativen parlamentarischen Demokratie. Im flämischen Nationalismus setzte sich die faschistische Strömung 1933 durch und aus der katholischen Partei ging Mitte der 1930er Jahre die überwiegend frankophone Rex-Bewegung Léon Degrelles hervor. Die Interpretation der Krise als Krise des parlamentarischen Systems war nicht nur bei den Faschisten weit verbreitet. Auch der »Plan der Arbeit« des Sozialisten Hendrik de Man sah eine Stärkung der Exekutive auf Kosten des Parlaments vor.1 Bereits im Dezember 1932 hatte die Regierung außerordentliche Vollmachten zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise erhalten, die allerdings vom Parlament gebilligt und zeitlich begrenzt waren. Die Machtübernahme Hitlers fiel also in eine Phase, in der auch in Belgien – und nicht nur dort – autoritäre Antworten zunehmend Anhänger gewannen.2 Wichtigstes Ziel der nationalsozialistischen Regierung war die Wieder­ bewaffnung. Die Außenpolitik hatte die Aufgabe, das Ausland zu beruhigen und einen Krieg zu verhindern, bis Deutschland wieder verteidigungsbereit war. Diese Rolle spielte sie auch in Belgien sehr erfolgreich. Von 1933 bis 1936 wurden die bisherigen Grundlagen der belgischen Sicherheitspolitik nach 1918 beseitigt, ohne dass dies zu einer Verschlechterung der Beziehungen geführt hätte. Obwohl Deutschland sowohl den Vertrag von Versailles als auch den Locarno-Pakt aufkündigte, kann in den 1930er Jahren von einer Wiederannäherung, wenn auch nicht Normalisierung des Verhältnisses zu Belgien gesprochen werden. Für die Belgier stellte sich spätestens 1935 die Frage, wie sie auf das immer bedrohlichere Auftreten Deutschlands und die Gefahr eines Kriegs reagieren sollten. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht im entmilitarisierten Rheinland am 7. März 1936 standen erstmals seit 1918 wieder deutsche Soldaten an der belgischen Grenze. Die Kündigung des französisch-belgischen Militärabkommens am 6. März 1936 und die Rückkehr zur Neutralitätspolitik im Oktober desselben Jahres entsprangen der Hoffnung, anders als 1914 nicht in einen Konflikt hineingezogen zu werden. Belgien, das in den 1920er Jahren als Besat1 Warmbrunn, S. 20. 2 Hobsbawm, Zeitalter, S. 143–182.

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zungsmacht eine aktive Deutschlandpolitik geführt und einen Platz am Tisch der europäischen Mächte beansprucht hatte, zog sich auf sich selbst zurück. Der Umschwung in der Außen- und Verteidigungspolitik und das mit ihm einhergehende Appeasement gegenüber dem östlichen Nachbarn geschahen nicht von selbst. Dieses Kapitel soll die Rolle der flämischen Nationalisten für diesen Wechsel sowie ihre Bedeutung für die NS-Außenpolitik behandeln. Erfüllte sich die mit der Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs verbundene Erwartung, in Belgien eine deutschfreundliche Kraft zu etablieren? Die Aufmerksamkeit gilt außerdem Kontinuitäten und Brüchen im deutschen Flandern- und Belgienbild, die für den Zeitraum bis 1940 schlaglichtartig beleuchtet werden. Ein Exkurs über die deutsch-flämische Zeitschrift »De Vlag« gibt einen Einblick in das komplexe ideologische Verhältnis auf dem Gebiet von Wissenschaft und Kultur.

a) Deutschland und Belgien von 1933 bis 1936 Die nationalsozialistische Machtübernahme sorgte in Belgien für erhebliche Beunruhigung. Sozialisten, Liberale und Kommunisten, aber auch katholische Gruppen brachten ihre Besorgnis über das neue Regime und seine Verfolgungspolitik zum Ausdruck. Die NS-Regierung reagierte auf Kritik gereizt, so im Fall des Antwerpener Bürgermeisters Camille Huysmans. Der Sozialist und Flamingant hatte an einer Mai-Kundgebung teilgenommen, auf der auch eine Karikatur Hitlers am Galgen gezeigt wurde. Die deutsche Gesandtschaft wurde daraufhin beim belgischen Außenministerium vorstellig.3 Im Großen und Ganzen bemühte sich Berlin jedoch darum, die Wogen zu glätten. Schon deshalb kam eine offene Unterstützung der flämischen Nationalisten nicht in Frage. Eine Annäherung Belgiens an Frankreich sollte unbedingt vermieden und das Locarno-System so lange aufrechterhalten werden, wie Deutschland militärisch nicht in der Lage war, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Weder die Flamenfrage noch Eupen-Malmedy sollten deswegen die deutsch-belgischen Beziehungen stören. Nationalsozialistische Ideologie und außenpolitische Praxis trennte hierbei eine Kluft, die nicht immer einfach zu überbrücken war. 3 Die Initiative zu dem deutschen Protest ging wahrscheinlich vom Generalkonsulat in Antwerpen aus, dessen Berichterstattung deutlicher von der NS-Ideologie beeinflusst war, als dies in der zunächst noch vom ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Lerchenfeld geleiteten Gesandtschaft der Fall war. Über Vorgänge in der Scheldestadt wurde wenig diplomatisch und häufig mit deutlich antisemitischem Unterton berichtet. Hierbei war vor allem Huysmans die Zielscheibe, der als »Marxistenführer und Judenschützer« bezeichnet wurde, der »stark mit jüdischen Kreisen liiert« sei. Das Generalkonsulat in Antwerpen an die Gesandtschaft in Brüssel. Antwerpen, 3. Mai 1933; Der Gesandte in Belgien Lerchenfeld an das Auswärtige Amt. Brüssel, 5. Mai 1933; Das Generalkonsulat in Antwerpen (Schubert) an die Gesandtschaft in Belgien. Antwerpen, 8. Oktober 1935, PA AA, R 70297 (unpaginiert).

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Bei einem Gespräch im Auswärtigen Amt äußerte der belgische Gesandte am 23. Mai 1933 seine Zufriedenheit über die Berichterstattung der deutschen Presse, vor allem in der Eupen-Malmedy-Frage. Beunruhigt zeigte er sich wegen eines neu gegründeten »Bund[es] der Flamenfreunde« und berichtete, dass auf einer der letzten Sitzungen Gauleiter Wilhelm Kube gesprochen habe, der auch Mitglied sei.4 Der Gesandte verlieh seiner Befürchtung Ausdruck, dass es sich hierbei »um ein Aufleben der Flamenpolitik auf der Grundlage des Rassenproblems« handeln könne.5 Das Auswärtige Amt und das Propagandaministerium bemühten sich, solche Befürchtungen zu zerstreuen. So wurde beispielsweise die Ausstrahlung einer Rundfunksendung über Flandern aus außenpolitischen Gründen abgelehnt.6 Auch Einladungen zu Vorträgen flämischer Nationalisten, die völkische Gruppen regelmäßig organisierten, kam das Amt in den meisten Fällen nicht nach.7 Allerdings wurden solche Veranstaltungen in der Regel auch nicht verboten und oft von hochrangigen Parteiführern unterstützt. Diese Ambivalenz lässt sich an einem Auftritt August Borms’ zeigen, der am 14. März 1934 im »Kaisersaal« des Berliner Zoos stattfand.8 Die Ikone des flämischen Aktivismus sollte zum Thema »Unser Kampf für die niederländische Sprache und Kultur in Flandern« reden. Auswärtiges Amt und Propagandaministerium, die um jeden Preis »Ruhe mit Belgien« wollten, erwirkten ein Verbot durch die Gestapo.9 Der Versuch, das Verbot durchzusetzen sorgte im Publikum für große Empörung. Ein anwesendes Mitglied des Außenpolitischen Amtes der NSDAP ließ sich mit Gestapochef Rudolf Diels verbinden, der von einem Fehler ausging und die Veranstaltung telefonisch genehmigte.10 Trotzdem und obwohl Borms in »De Schelde« über den gelungenen Abend berichtete, erschien in den meisten belgischen Zeitungen nur die Meldung, die 4 Der Bund der Flamenfreunde war bereits 1930 aus einer auf Initiative Walther Reuschs im VDSt gegründeten Arbeitsgruppe entstanden. Zu den Mitgliedern gehörten auch Franz Fromme und Oszwald. Lejeune, S. 93 f. 5 Aufzeichnung Legationsrat Emil von Rintelen über Gespräch mit dem belgischen Gesandten Kerchove am 23. Mai 1933, PA AA, R 70307 (unpaginiert). 6 Schreiben der Reichsrundfunkgesellschaft über eine Sendung »Flandrische Erde – Flandrisches Volk«. Berlin, 11. Oktober 1933; Stellungnahme Ministerialdirektor Gerhard Köpke (Entwurf). Berlin, 14. Oktober 1933, PA AA, R 70307. 7 Einladungsschreiben Robert Ernsts vom Volksdeutschen Klub anlässlich einer Lesung Wies Moens am 1. Dezember 1933. Berlin, 28. November 1933, Handschriftlicher Vermerk: »Ich habe Herrn Dr. Oszwald und Herrn Dr. Ernst über unser Nicht-Kommen informiert«. PA AA, R 70307. 8 Der Direktor des Zoo-Restaurants war der ehemalige flämische Kriegsgefangene Peter Lewyllie. Auch die Postadresse der Organisation flämischer Exilanten »Vlaamsche Actie – Flämische Aktion« war das von Lewyllie im Zoo betriebene Restaurant. Godfried Rooms an Robert Paul Oszwald. Berlin, 4. November 1933, R 1506/306, S. 193. 9 Mitteilung Legationsrat Drechsler und handschriftlicher Kommentar von Ministerialdirektor Köpke. Berlin, 12. März 1934; Handschriftlicher Vermerk Rintelen (?), 14. März 1934, PA AA, R 70307. 10 Handschriftlicher Vermerk Rintelens über eine Mitteilung Kurt Bährens vom Reichspropagandaministerium. Berlin, 16. März 1934, PA AA, R 70307.

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Veranstaltung sei verboten worden.11 Auch der belgische Gesandte war offenbar nur über das Verbot informiert. Jedenfalls übermittelte er dem Auswärtigen Amt die »freudige Zustimmung und den Dank der belgischen Regierung« für diesen Schritt.12 Dass der Besuch Borms’ für solche Aufregung sorgte, muss im Kontext der deutsch-belgischen Beziehungen gesehen werden. Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 erschütterte das seit Locarno bestehende System kollektiver Sicherheit, denn die Aufnahme in den Völkerbund war eine Voraussetzung für das Inkrafttreten der Verträge gewesen, so dass nun Unklar­ heit über ihre weitere Gültigkeit bestand.13 Die deutsche Regierung hatte angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse allerdings das größte Interesse an deren Weiterbestehen, da sie auch die Westgrenze des Reichs garantierten. Ebenso wie die Regierungen der Weimarer Republik betrachtete das NS-Regime Locarno als Mittel, um die militärische Gleichberechtigung zu erreichen.14 Die Regierung Hitler vermied daher alles, was den Eindruck erwecken konnte, dass sie die Westgrenze infrage stellte. Im Gegensatz zur Weimarer Zeit wurde weder die Frage der entmilitarisierten Zone des Rheinlands noch jene Eupen-Malmedys angeschnitten.15 Es gab gute Gründe, Belgien nicht zu verärgern. In Frankreich war nach Massenprotesten von faschistischen Gruppen und Veteranenverbänden das Kabinett gestürzt. Anfang Februar 1934 wurde eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, deren Außenminister Louis Barthou einen harten Kurs gegenüber Deutschland vertrat.16 Ein Präventivkrieg wurde angesichts der deutschen Aufrüstung ernsthaft diskutiert. Auch in Belgien versuchten einige konservative und liberale Parlamentarier, die Regierung auf einen solchen Kurs einzuschwören. Doch der belgische Ministerpräsident wollte eine Eskalation vermeiden.17 Am 6. März 1934 äußerte sich De Broqueville vor dem belgischen Senat zur Frage der deutschen Wiederbewaffnung. Ein formelles Verfahren wegen Verstoßes gegen die Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Vertrags könne nicht eingeleitet werden, da Italien und Großbritannien hierzu ihre Zustimmung verweigerten.18 Daher bleibe als einziges Mittel ein Präventivkrieg, den er al11 Pressestimmen zur Berliner Reise des Flamenführers Dr. Borms, Generalkonsulat (Schubert?) Antwerpen. Antwerpen, 23. März 1934, PA AA, R 70307. 12 Aufzeichnung Köpke. Berlin, 22. März 1934, PA AA, R 70307. 13 Wolz, Amt. 14 Wolz, Rheinlandkrise. 15 Als Ministerialdirektor Köpke vom Auswärtigen Amt im November 1933 gegenüber dem belgischen Gesandten Kerchove äußerte, Deutschland erfahre die Demilitarisierung des Rheinlands als Diskriminierung, hatte letzterer deutlich gemacht, dass diese für die Belgier nicht verhandelbar war. Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 138. 16 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 139–145. 17 Ebd., S. 144. 18 Artikel 213 des Versailler Vertrags verpflichtete Deutschland, Untersuchungen über die Umsetzung der Abrüstungsbestimmungen zu dulden, wenn diese im Völkerbundsrat mehrheitlich beschlossen wurden.

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lerdings als ein unverantwortliches Abenteuer ablehnte. Der Ministerpräsident resümierte, es sei eine Illusion gewesen, Deutschland durch den den Versailler Vertrag dauerhaft entwaffnen zu wollen.19 Diese Ablehnung eines Präventivkriegs hatte Gewicht, denn wie in den 1920er Jahren spielte Belgien eine wichtige Rolle für die französische Deutschlandpolitik. Während 1920 und 1923 die belgische Beteiligung eine französische Militärintervention erleichtert hatte, erschwerte nun die Weigerung Brüssels ein Vorgehen gegen Deutschland. Hitler ließ es sich nicht nehmen, seine Befriedigung über De Broquevilles Stellungnahme dem belgischen Gesandten persönlich mitzuteilen. Auf dessen Nachfrage bekräftigte der Reichskanzler, dass Deutschland sich an den Locarno-Vertrag halten werde und brachte sogar den Abschluss eines Nichtangriffspakts ins Spiel.20 Die Charme-Offensive gegenüber Belgien stellte die Nationalsozialisten allerdings vor ideologische Probleme, wie sie sich etwa beim Besuch von August Borms äußerten. Während die offizielle Politik ein Interesse an guten Beziehungen signalisierte, war Belgien als »Vielvölkerstaat«, in dem »Germanen« und »Romanen« miteinander lebten, ein Unding für die Nationalsozialisten. Diesem Widerspruch wurde mit einer mehrgleisigen Propaganda begegnet. Die Tagespresse wurde angewiesen, weder über Spannungen zwischen Flamen und Wallonen zu berichten noch über Eupen-Malmedy. Wie empfindlich die Belgier reagieren konnten, zeigte der Fall des Eupener Politikers Josef ­Dehottay, der 1935 mit vier weiteren »Heimattreuen« ausgewiesen wurde, weil er am 15. September 1933 von Hitler empfangen worden war.21 Es gab eine Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros (DNB), ansonsten sollte »die Sache nicht besonders groß aufgemacht werden«.22 Noch 1939 wurde es als »unzweckmäßig« bezeichnet, »von einer germanischen Verwandtschaft mit den Flamen« zu sprechen.23 Der für das Propagandaministerium tätige Kurt Bährens publizierte 1935 sogar eine Broschüre mit dem Titel »Die flämische Bewegung. Europäische Frage oder innerbelgisches Problem«, in der er die flämische Frage zu einer rein belgischen Angelegenheit erklärte. Jede Einmischung von außen sei überflüssig, da sich die flämische Bewegung legal in Belgien entfalten könne.24 Die von Bährens formulierte Nichteinmischungspolitik sorgte unter flämischen Nationalisten für Empörung. Sie stehe im Widerspruch zum Nationalsozialismus, 19 Sitzung des belgischen Senats vom 6. März 1934, Sénat, S. 562. 20 Aufzeichnung des Reichsministers des Äußern Neurath über eine Unterredung von Reichskanzler Hitler mit dem belgischen Gesandten Kerchove. Berlin, 9. März 1934, ADAP, C, 2, 2, S. 563–565; Klefisch, S. 70 f.; Coolsaet, S. 264 f.; Goebbels, Tagebucheinträge vom 22. März 1934 und 13. Juni 1934. 21 Verhoeyen, Spionnen, S. 262. 22 Presseanweisung vom 31. Mai 1935, in: Bohrmann u. Toepser-Ziegert Bd. 3,1. 23 Presseanweisung vom 28. März 1939, in: Bohrmann u. Toepser-Ziegert Bd. 7,1; linthout, Belgien-Diskurse, S. 175–177. 24 Bährens behauptete später, das Buch mit Billigung Hitlers und Goebbels’ veröffentlicht zu haben. Klefisch, S. 207; Lejeune, S. 99.

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schrieb Ward Hermans in »De Schelde«. Der ehemalige Führer der Jungflamen, Domela, forderte Hitler zum Eingreifen auf.25 Bährens’ Buch blieb allerdings die Ausnahme und während in der Tagespresse strikte Sprachregelungen galten, wurde in Zeitschriften und Büchern die Existenz Belgiens offen infrage gestellt. Die »Nationalsozialistischen Monatshefte« setzten »Belgien« und die von ihm abgeleiteten Begriffe konsequent in Anführungszeichen.26 Der 1937 von Oszwald herausgegebene Sammelband »Deutsch-niederländische Symphonie« vereinte Beiträge ehemaliger flämischer Aktivisten und deutscher Flamenfreunde. Im Vorwort wurde die »Volksgeschichte« beschworen: »Von Brügge bis Königsberg wölbt sich der Bogen, unter dem eine einheitliche niederdeutsche Kultur in Architektur, Malerei und Plastik erblühte […] Der Blick auf das Volk, das sich eine Kultur schafft, wird klarer und das Verständnis für die Art der Menschen, die die Träger der Kulturen sind, deutlicher, wenn man sich von staatlichen Begriffsbildungen frei macht und versucht die wirkliche Volksgeschichte zu erkennen.«27

Auch in dutzenden Trivialromanen mit Titeln wie »Wir fochten in Flandern«, »Sommermond in Flandern«, »Dörfer in Flandern«, »Ein Frühling in Flandern«, »Spiel in Flandern« wurde die germanische Verbundenheit thematisiert. Meist ging es um Begegnungen deutscher Soldaten mit Flandern und seinen Frauen während des Ersten Weltkriegs.28 Während man in Tagespresse und Außenpolitik jede Provokation Belgiens vermied, dominierte im Innern eine Haltung, wie sie während des Ersten Weltkriegs etabliert worden war. Vorträge flämischer Nationalisten fanden nicht nur in völkischen Klubs, sondern auch an Universitäten statt. Ward Hermans sprach am 23. November 1934 in der Universität Leipzig, worüber sich sowohl der französische Botschafter als auch der belgische Gesandte beschwerten. Das Auswärtige Amt verbat sich die Kritik und verwies auf die Tätigkeit deutscher Exilanten in Belgien und Frankreich. Da Hermans belgischer Staatsbürger sei, könne man ja in Belgien ein Hochverratsverfahren gegen ihn anstrengen.29

25 Ein deutsches Buch über die Flamenfrage, jedoch völlig im Gegensatz zu den Grundsätzen des deutschen Nationalsozialismus (deutsche Übersetzung), »De Schelde« vom 29. Oktober 1935; Jan Derk Domela Nieuwenhuis-Nyegaard, »An den hohen Führer des Deutschen Volkes«. Beetsterzwaag, 18. August 1935, PA AA, R 70308. 26 linthout, Belgien-Diskurse, S. 179. 27 Oszwald, Vorklang, S. 9. 28 linthout, Das Buch, S. 119–124. 29 Aufzeichnungen des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Bernhard von Bülow über Unterredungen mit dem französischen Botschafter am 1. Dezember 1934 und dem belgischen Gesandten am 11. Dezember 1934, PA AA, R 70307.

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b) Nationalsozialismus und flämischer Nationalismus 1933–1935 Der außenpolitisch motivierten deutschen Zurückhaltung entsprach zunächst eine reservierte Einstellung vieler flämischer Nationalisten gegenüber dem NS-Regime. Kritisiert wurde der Umgang mit der katholischen Kirche, aber auch die Rassenpolitik wurde von vielen abgelehnt, insbesondere Antisemitismus und Eugenik.30 Anfang 1933 war zudem die Diskussion über die Gründung des VNV noch in vollem Gange und die demokratischen Mitglieder der Frontpartei waren noch nicht völlig an den Rand gedrängt. Insbesondere die Antwerpener »De Schelde« berichtete im ersten Halbjahr 1933 sehr kritisch über den Nationalsozialismus.31 Eine aufschlussreiche Quelle für diese frühe Phase deutsch-flämischer Kontakte während des Nationalsozialismus ist ein Bericht Walther Reuschs aus dem April 1933.32 Der Autor war bereits seit Mitte der 1920er Jahre in Kreisen aktiv, die sich aus geflüchteten flämischen Aktivisten, ehemaligen Beamten der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien und großniederländisch orientierten Niederländern zusammensetzten.33 Im Rahmen der studentischen »Grenzlandarbeit« unternahm er für den Verein deutscher Studenten (VDSt) zwischen 1926 und 1929 mehrere Reisen nach Belgien und in die Niederlande und knüpfte Verbindungen zu großniederländischen und flämisch-nationalistischen Studenten.34 Die meisten seiner Gesprächspartner, so berichtete Reusch, stünden dem Nationalsozialismus distanziert bis ablehnend gegenüber. Gérard Romsée, ein Abgeordneter der Frontpartei, habe ihm gegenüber die Kritik der »De Schelde« am deutschen Antisemitismus nicht nur verteidigt, sondern die NS-Politik als »minderheitenfeindlich« und vom »volkspolitischen Standpunkt« verfehlt bezeichnet. Auch Teilnehmer des großniederländischen Kongresses machten keinen Hehl aus ihrer Ablehnung des Antisemitismus und der nationalsozialistischen Kirchenpolitik. Eine positive Ausnahme war laut Reusch der Verdinaso. Dieser sei die »einzige, praktisch wirksame Gegenbewegung gegen den belgischen Staat und nicht zuletzt gegen die neue Einkreisung […] soweit sie sich auch in den Niederlanden gegen uns vollzieht«. Er empfahl deshalb die Förderung der Gruppe, die er als 30 Boehme, Revolutie, S. 233–237. 31 Wever, Greep, S. 194. 32 Walther Reusch, Bericht über »Die Lage der niederländischen Volkstumsbewegung«. ­Giessen, 26. April 1933, PA AA, R 71502. 33 Reusch pflegte seit 1926 u. a. intensiven Kontakt mit Robert Paul Oszwald und spielte auch in der Utrechter Dokumentenkrise eine Rolle. Siehe die Übersicht über Oszwalds Korrespondenz. Schriftwechsel mit Flamen und Holländern, BArch, R 1506/1168 (unpaginiert); Fußnote zum Schreiben des Ministerialdirektors im Auswärtigen Amt Gerhard Köpke an den Gesandten in den Niederlanden Julius Zech-Burkersroda. Berlin, 17. April 1929, ADAP, B, 11, S. 403–408 (Dokument 178). 34 Dolderer, Reusch.

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ein »dringlichst, unabweisbares Bedürfnis für die Politik der deutschen nationalen Bewegung«35 bezeichnete. In einem geheimen Anhang machte Reusch konkrete Vorschläge, wie er sich diese Förderung vorstellte. Abgesehen von finanzieller Unterstützung dachte er an Hilfe bei der militärischen Ausbildung. Der Verdinaso verfüge über eine Geheimtruppe, die im Falle eines »belgischen Faschismus« oder bei Unterdrückungsmaßnahmen Terrorakte verüben sollte. Er habe den Eindruck, dass der Leiter dieser Truppe gerne mit deutschen Fachleuten Kontakt aufnehmen wolle. Daneben sei die Zeitung »Hier Dinaso« unter Leitung von Wies Moens die einzige Publikation in Flandern, die sich offen für die »neue Ordnung im Reich« einsetze.36 Reusch war nicht der einzige Deutsche, der Van Severens Verdinaso als potentiellen Verbündeten betrachtete, wobei häufig der Antisemitismus der Gruppe lobende Erwähnung fand. Der Konsul in Lüttich berichtete über eine Zusammenarbeit des flämisch-nationalistischen Verdinaso mit den Faschisten der Légion nationale gegen sozialistische Gruppen. Anders als die belgisch-nationalistische Légion sei der Verdinaso aber im »Volkstum« verankert.37 Auch die katholische »Germania« hob den Unterschied zu belgisch-faschistischen Organisationen hervor. Der Verdinaso strebe eine Zusammenarbeit mit »innenpolitisch-homogenen Staaten und mit den Völkern, die zum germanischen Kulturkreis gehören« an. Kritisiert wurde, dass er eine Elitebewegung ohne Massenbasis sei.38 Der Verdinaso dominierte die deutsche Berichterstattung über flämische Gruppen im ersten Jahr der nationalsozialistischen Regierung.39 Die Gründung des VNV wurde hingegen nicht erwähnt und faschistische Tendenzen jenseits des Verdinaso skeptisch beurteilt. So schrieb die Stapo Aachen im November 1933, die Frontisten seien Demokraten, auch wenn neuerdings behauptet werde, dass »sie sich im Sinne eines gemäßigten Faschismus orientierten«. Im selben Bericht wurde den Dinasos bescheinigt »ausgesprochene Faschisten« zu sein.40 Das deutsche Interesse entging auch den belgischen Behörden nicht. Es gab mehrere Hausdurchsuchungen, u. a. bei Otto Hellwig, dem Antwerpener Ortsgruppenleiter der NSDAP Auslandsorganisation. Seine Wohnung wurde im November 1933 durchsucht, ohne dass allerdings Hinweise auf Kontakte zum Verdinaso gefunden wurden.41 35 Hervorhebung im Original. 36 Geheimer Anhang zum Bericht Reuschs vom 26. April 1933, PA AA, R 70354. 37 Der Konsul in Lüttich Max Lorenz. Lüttich, 29. Dezember 1933, PA AA, R 70354. 38 »Verdinaso  – Vom Nationaldemokratismus zur Volkstumspolitik«, »Germania«, 12. Dezember 1933, PA AA, R 70354; Siehe auch Hamburger Nachrichten vom 29. November 1933; Deutscher Beobachter vom 15. Dezember 1933. 39 Im Gegensatz zu Klefisch scheint mir die Berichterstattung des Jahres 1933 über den Verdinaso ganz überwiegend positiv gewesen zu sein. Klefisch, S. 198. 40 Bericht »Belgiens Lage unter Berücksichtigung der völkischen Strömungen« der Stapo Aachen. Geheimes Staatspolizeiamt an das Auswärtige Amt, Berlin, 1. November 1933, PA AA, R 70307. 41 Übersendung eines Berichts des Deutschen Generalkonsulats in Belgien über eine gerichtliche Hausdurchsuchung bei dem Ortsgruppenführer von Antwerpen Otto Hellwig, in: Heiber, Regesten Bd. 1, S. 28 f.; Klefisch, S. 199.

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Die Hoffnung, im Verdinaso einen geistesverwandten flämisch-nationalistischen Partner zu finden, wurde jäh enttäuscht, als Van Severen am 14. Juli 1934 überraschend eine »Neue Marschrichtung« proklamierte, die eine Abkehr vom flämischen Nationalismus bedeutete. An die Stelle der Großniederlande trat das Ideal eines neuen Burgunderreiches, ausdrücklich unter Einschluss der Wallonen. Belgien wurde nicht mehr abgelehnt, sondern als Ausgangspunkt für die Errichtung dieses Reichs in der historischen Tradition Karls V. betrachtet. Viele flämische Nationalisten verließen daraufhin die Organisation. Dies galt für Wies Moens, der noch im November 1933 als »2. Führer« des Verdinaso in Berlin aufgetreten war, ebenso wie für Ward Hermans, der noch eine Weile einen dissidenten Flügel führte und dann dem VNV beitrat. Über die Gründe für den Kurswechsel wurde gerätselt. Einige vermuteten gar den Versuch, eine »faschistische Internationale« gegen Deutschland zu errichten.42 Die deutsche Gesandtschaft machte vor allem die repressiven Maßnahmen des belgischen Staates für den Schwenk verantwortlich und erwähnte ominöse englische Freunde Van Severens.43 Was auch immer die Gründe waren, mit dem Kurswechsel kam den Nationalsozialisten jene Organisation abhanden, die sie am ehesten als Partner unter den flämischen Nationalisten betrachtet hatten. Moens und Hermans blieben weiterhin einflussreiche Vertreter der pro-deutschen Richtung im flämischen Nationalismus, Hermans bekannte sich ganz offen zum Nationalsozialismus. Beide trugen zur faschistischen Radikalisierung des VNV bei, der im Laufe des Jahres 1934 auf einen deutlich pro-nationalsozialistischen Kurs einschwenkte. Nicht alle begrüßten diese Wende. Im September 1934 beklagte Pieter Geyl, die Auslandsberichterstattung der »De Schelde« läse sich, als ob sie von der Wilhelmstraße oder dem deutschen Konsul in Antwerpen inspiriert sei.44

c) Geheime Zusammenarbeit Geyls Verdacht war nicht unbegründet. Zwar hielt sich die deutsche Außenpolitik zurück, doch Vorfeldorganisationen waren stärker als während der Weimarer Republik staatlich eingebunden und standen dem NS-Regime zudem ideologisch nahe. Spätestens 1934 wurde eine direkte Unterstützung des VNV in den Ministerien diskutiert. 42 So Dr. Wolfgang Ispert, seines Zeichens Referent für westliche Grenzlandfragen im Reichskommissariat Elberfeld, in einem Schreiben vom 9. Juli 1934 an das Auswärtige Amt, PA AA, R 70354; Frijtag, S. 48 f. 43 Bericht über den 4. Landtag der Dinaso-Bewegung. Gesandtschaftsrat Bräuer an das Auswärtige Amt, Brüssel, 10. August 1935, PA AA, R 70354; Die Einschätzung, dass die »Neue Marschrichtung« vor allem in Reaktion auf die Repression des belgischen Staates erfolgte, wird auch in der belgischen Forschung vertreten. Wever, Greep, S. 181. 44 Ebd., S. 194 f.

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Am 25. Januar 1935 fand ein Treffen in den Räumen des Verlags »Volk und Reich« statt, zu dem Robert Holthöfer eingeladen hatte, der von Goebbels als »Sonderbeauftragter für die propagandistische Bearbeitung Belgiens und Hollands« bezeichnet wurde.45 Er war Mitglied im Essener Bergbau-Verein und saß im Vorstand der Stiftung »Volk und Reich«, die auch für das Propagandaministerium Schriften publizierte.46 Ihm zur Seite stand Heinrich Emmendörfer, des weiteren waren für das Propagandaministerium Franz Hasenöhrl, Kurt Bährens sowie der für die Auslandspresse zuständige Walther Heide anwesend. An der Besprechung nahmen außerdem Oberarchivrat Robert Oszwald, der eine der zentralen Figuren unter den deutschen »Flamenfreunden« war, ein Beamter des Auswärtigen Amtes sowie Major Werner Voss teil. Letzterer betreute im Reichswehrministerium für die »Abwehr«, den deutschen Militärgeheimdienst, die Zusammenarbeit mit Nationalisten im feindlichen Ausland, etwa in der Bretagne, in Irland oder Südtirol.47 Holthöfer betonte, dass die Frage einer finanziellen Unterstützung des VNV aktuell sei, auch weil der Verdinaso nun eine »antigermanische« Haltung einnehme. Emmendörfer hatte von einem Besuch in Belgien reichlich Material über den VNV mitgebracht, das er auf der Sitzung präsentierte. Anschließend einigte man sich darauf, zunächst eine Stellungnahme des Auswärtigen Amts einzuholen, ob Kontakte außenpolitisch überhaupt sinnvoll seien.48 Am 8. Februar 1935 fand daher eine weitere Besprechung in der Wilhelmstraße statt. Außer den zuvor Beteiligten nahmen für das Auswärtige Amt ­Cécil von Renthe-Fink, Gustaf Braun von Stumm, Emil von Rintelen und Richard Hertz teil.49 Holthöfer und Emmendörfer sprachen sich für eine Unterstützung des VNV aus und wurden hierbei von Oszwald und Voss unterstützt. Voss betonte das militärpolitische Interesse an der flämischen Bewegung, von der er sich eine Zurückdrängung des französischen Einflusses erhoffte. Oszwald attestierte dem VNV eine gemäßigte Haltung und betonte, dass dieser versuche, »Flandern aus der Hörigkeit Frankreichs zu befreien«. Dieser Auffassung widersprach Rintelen für das Auswärtige Amt entschieden. Es erscheine ihm unangebracht, sich »die Formulierung flämischer Extremisten zu eigen zu machen, wonach der gegenwärtige belgische Staat einfach als antiflämisch und in Hörigkeit gegenüber Frankreich abgetan werde«. Dass die aktuelle belgische Regierung die Annäherung an Frankreich suche, sei kein Beleg für eine solche These. Die flämische Bewegung in ihrer Gesamtheit sei so stark, dass sie keine Förderung von außen nötig habe, schon gar nicht die »materielle Förderung extremistischer und meist ziemlich mangelhaft fundierter 45 Zur Geschichte von »Volk und Reich«: Müller, Westen, S. 252–264; ders., Volk und Reich. 46 Propagandaminister Goebbels an den Chef der Präsidialkanzlei Otto Meißner. Berlin, den ?. Januar 1938, in: Heiber, Regesten Bd. 2, S. 116. 47 Verhoeyen, Spionnen, S. 244. 48 Aufzeichnung über die Besprechung vom 25. Januar 1935, PA AA, R 30140, S. 24 f. 49 Aufzeichnung über die Besprechung am 8. Februar 1935, PA AA, R 30140, S. 26–32.

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Abb. 10: Obwohl Staf De Clercq den VNV pro-deutsch aufstellte, begegneten ihm viele Nationalsozialisten eher reserviert.

flämischer Sondergruppen«. Eine solche Hilfe habe weniger das Potential, der flämischen Bewegung zu helfen, als vielmehr den helfenden Staat zu diskreditieren. Renthe-Fink ergänzte, dass außenpolitisch die größten Bedenken gegen eine Förderung des VNV bestünden, jedoch nichts gegen eine vorsichtige kulturelle Zusammenarbeit spräche. Für das Propagandaministerium teilte Heide mit, dass Staatssekretär Funk seine Ablehnung signalisiert habe. Auch Bährens fand, dass er »kein lebenswichtiges deutsches Interesse sehe, das für die geplante Aktion spräche«. Weder das Auswärtige Amt noch das Propagandaministerium hatten also zunächst ein Interesse an der Unterstützung des VNV. Allerdings unterhielten die für Goebbels arbeitenden Emmendörfer und Holthöfer weiterhin gute Kontakte nach Flandern. Etwa zwei Jahre später kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen der Abwehr und dem Propagandaministerium, das ab 1937 das 249

Parteiorgan des VNV, »Volk en Staat«, finanziell unterstützte. Die Reichswehr interessierte sich schon früh für die flämischen Nationalisten. Dies belegen Berichte, die bereits im Herbst 1934 die Bedeutung des VNV und dessen deutschfreundliche Haltung hervorhoben.50 Die Abwehr ließ sich von einem Netz von Agenten über die Lage in Flandern unterrichten und sah Chancen in einer Zusammenarbeit. Dass die flämischen Nationalisten gegen das französisch-belgische Militärabkommen kämpften, war hierbei besonders wichtig.51 Staf De Clercq behauptete 1940, bereits seit 1934 mit der Abwehr kooperiert und eine Geheimorganisation in der belgischen Armee aufgebaut zu haben. Die »Militaire Organisatie« (MO) sollte nach dem Vorbild der Frontbewegung flämische Soldaten überzeugen, nicht an der Seite der Franzosen zu kämpfen. Es darf nicht vergessen werden, dass bis 1936 ein Präventivkrieg gegen Deutschland auch in Belgien diskutiert wurde. Für eine frühe Zusammenarbeit spricht auch, dass die Abwehr zugunsten De Clercqs gegen von der SS unterstützte Konkurrenten intervenierte.52 Helmuth Groscurth, der zuständige Offizier bei der Abwehr, forderte eine Unterstützung flämischer Persönlichkeiten, die mit der Abwehr in einem Vertrauensverhältnis stünden und »sich in diesem Verhältnis bestens bewährt haben«. Angriffe auf die Autorität dieser Persönlichkeiten nannte er »gleichbedeutend mit Aktionen gegen das Interesse der deutschen Landesverteidigung«.53 Eindeutige Belege für die Existenz der MO und eine Kooperation mit der Abwehr gibt es allerdings erst für den Beginn des Kriegs im September 1939.54

d) Der flämische Nationalismus als militärischer Faktor – Die Kündigung des französisch-belgischen Militärabkommens Das französisch-belgische Militärabkommen war in Belgien nie besonders populär gewesen und der besonderen Konstellation der unmittelbaren Nachkriegszeit geschuldet. Nach der Ruhrbesetzung war es zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen beiden Partnern gekommen, auch weil Frankreich das Abkommen mehrfach nutzte, um sich in die belgische Innenpolitik einzumischen. Anfang 1933 sorgten Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten Daladier sowie des führenden Militärpolitikers Pétain für Verärgerung, da sie das Abkommen sehr viel weitgehender interpretierten, als dies in Belgien 50 Verhoeyen, Spionnen, S. 245; Wever, Greep, S. 324. 51 Ausführlicher Bericht (4 Seiten) über das Programm des VNV. Herbst 1934; V-MannBericht über die Lage in Belgien und Flandern vom 7. Januar 1935; V-Mann-Bericht über Frontkämpferbewegung vom 22. Februar 1935, BArch, RW 5/414 (unpaginiert). 52 Es handelte sich vor allem um Hermans und den ehemaligen Chefredakteur der »De Schelde«, Herman Van Puymbroeck. 53 Verhoeyen, Spionnen, S. 245; Wever, Greep, S. 325–331. 54 Verhoeyen, Spionnen, S. 237–242; Wever, Greep, S. 325–340.

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der Fall war.55 In der belgischen Politik mehrten sich daher Stimmen, die eine Kündigung und die Rückkehr zur Neutralität befürworteten. Auch Leopold III., der seinem am 17. Februar 1934 gestorbenen Vater auf den Thron folgte, sprach sich in diesem Sinne aus. Allerdings gab es auch innenpolitischen Widerstand und die Frage war zudem, wie ein solcher Schritt unternommen werden konnte, ohne Frankreich allzu sehr vor den Kopf zu stoßen.56 In dieser Situation spielten die flämischen Nationalisten, die das Abkommen seit 1920 bekämpft und immer wieder zum politischen Thema gemacht hatten, eine zentrale Rolle. Den Anlass für eine Kampagne bot das Verbot einer Demonstration flämischer Organisationen durch den Brüsseler Bürgermeister Adolphe Max, während zeitgleiche Kundgebungen belgischer Nationalisten genehmigt worden waren. Max war seit seinem Widerstand gegen die Besatzung eine belgische Ikone, noch vor seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft war am 8. November 1918 ein Boulevard nach ihm benannt worden.57 Er war jedoch auch ein entschiedener Gegner der Flämischen Bewegung und hatte bis zuletzt für die Beibehaltung der frankophonen Universität Gent gekämpft. Als er einige Tage nach dem Verbot der Demonstration das Großkreuz der französischen Ehrenlegion verliehen bekam, wurde er als »Lakai des Quai d’Orsay« beschimpft. Die Empörung blieb nicht auf die flämischen Nationalisten beschränkt, wie eine Initiative des Fronters Borginons zeigte. Dessen Antrag, dem Innenminister das Misstrauen auszusprechen, weil er nicht gegen das Verbot eingeschritten sei, verfehlte nur knapp eine Mehrheit. Als Van Cauwelaert im Namen der katholischen flämischen Abgeordnetengruppe begründen wollte, warum diese gegen den Antrag gestimmt hatten, bezeichnete ein flämischer Sozialist die Gruppe als »flämische Verräter« (ndl. »Vlaamsche verraders«). Die Stimmung war aufgeheizt und am 24. März 1935 forderte der Landeskongress des VOS die Kündigung des Militärabkommens, den Übergang zur freiwilligen Neutralität und eine Reduzierung der Rüstungsausgaben.58 Unter dem Motto »Weg von Frankreich« (ndl. »Los van Frankrijk!«) begann die Veteranenorganisation eine Massenkampagne, die weit über das flämisch-nationalistische Milieu hinausging. In ganz Flandern wurden Demonstrationen gegen das »Blutabkommen« (ndl. »bloedakkoord«) abgehalten. Befürworter des Militärabkommens, wie Max oder der liberale Verteidigungsminister Devèze, wurden bezichtigt, im Dienste Frankreichs zu stehen. Die Kampagne beschränkte sich nicht auf eine Kritik des Militärabkommens, auch die Locarno-Verpflichtungen wurden kritisiert, da diese es für Belgien unmöglich machten, sich aus einem deutsch-französischen Krieg herauszuhalten. Die flämischen Nationalisten, aber auch katholische und sozialistische Abgeordnete begleiteten die Kampagne parlamentarisch. Im Mai 1935 fand der erste 55 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 153 und 163. 56 Ebd., S. 203. 57 Ypersele u. Vanraepenbusch, S. 106. 58 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 207–209; Wever, Greep, S. 192.

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Abb. 11: Kanonenfutter? Die flämisch-nationalistische Kampagne gegen das französisch-belgische Militärabkommen argumentierte Mitte der 1930er Jahre vor allem pazifistisch.

Landesparteitag des VNV statt, auf dem sich Staf De Clercq für eine freiwillige Neutralität Belgiens und die Kündigung des Militärabkommens aussprach.59 Frankreich, so De Clercq, werde immer eine Gefahr für die Großniederlande sein.60 59 Wever, Greep, S. 192; Wever, Oostfronters, S. 171–173. 60 De Clercq am 5. Mai 1935: »Het VNV heeft niet vergeten dat Frankrijk niet anders kan zijn dan een gevaar voor Dietsland: dus politiek van scherpe waakzaamheid; Duitsland kan een gevaar zijn voor Dietsland: dus gereserveerde politiek; Engeland zal op zichzelf nooit een gevaar zijn voor de lage landen aan de zee: dus politiek van brede sympathie en verstandhouding.« Zitiert nach: Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 228.

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Die Kampagne des VOS sorgte auch international für Aufmerksamkeit und für den 22. März 1936 wurde eine landesweite Demonstration in Brüssel angekündigt. Hunderte flämische Gemeindeverwaltungen riefen ihre Bürger offiziell zur Teilnahme auf und auch die katholisch-flämische Abgeordnetengruppe stellte sich nun hinter die Forderung, das Abkommen zu kündigen. Der VOS begann dank der breiten Unterstützung direkt Einfluss auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess zu nehmen. Als Verteidigungsminister Devèze im Dezember 1935 eine Verlängerung des Wehrdienstes vorschlug, richtete sich der VOS an die flämischen Parlamentarier, um sie zu einer Stellungnahme gegen das Projekt zu bewegen.61 Während die Sozialisten sich unter bestimmten Bedingungen bereit erklärten, einer Verlängerung zuzustimmen, war dies für die flämischen Katholiken angesichts der klaren Position des VNV und der für Mai 1936 angesetzten Wahlen nicht machbar.62 Letztlich wurde ein Kompromiss geschlossen, der die Kündigung des Militärabkommens im Gegenzug für eine Wehrdienstverlängerung beinhaltete. Die außerdem beschlossene Erhöhung der belgischen Militärausgaben erleichterte Frankreich die Zustimmung zur Kündigung des Militärabkommens, die am 6. März 1936 erfolgte. Einen Tag später, am 7. März 1936, marschierte die Wehrmacht in das Rheinland ein. Über Locarno sagte Hitler vor dem Reichstag, dass Deutschland sich nicht mehr an »diesen erloschenen Pakt gebunden« sehe.63 Hiermit erklärte er die Grundlage der belgischen Sicherheitspolitik seit 1925 für obsolet. Die Kampagne des VOS zeigt, dass das Interesse deutscher Militärs an den flämischen Nationalisten berechtigt war. Es ist allerdings fraglich, ob die Kündigung des Militärabkommens zunächst mehr als ein symbolisches Zugeständnis an die öffentliche Meinung in Flandern war.64 Gemeinsame Generalstabsbesprechungen zwischen Belgien und Frankreich fanden weiterhin statt. Doch die Stimmung hatte sich grundsätzlich geändert und der deutsche Einmarsch im Rheinland führte nicht zu einer Wiederannäherung an Frankreich. Der katholische Ministerpräsident Van Zeeland lehnte einen Krieg wegen des Rheinlands ab und bereits am 25. März 1936 sprach sich Van Cauwelaert angesichts der drohenden Kriegsgefahr für ein neutrales Belgien aus.65

61 Ebd., S. 204–232. 62 Ebd., S. 245–249. 63 Er begründete dies mit dem Argument, der Rheinpakt von Locarno habe bereits mit dem Abschluss des französisch-sowjetischen Beistandspakts vom 2. Mai 1935 »seinen inneren Sinn verloren und praktisch aufgehört zu existieren«. Rede am 7. März 1936, in: Hitler Bd. 1,2, S. 561–568. 64 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 279 f. 65 Luykx, S. 354 f.

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e) Die Wahlen am 24. Mai 1936 und ihre Folgen – Ideologische Verwirrung und deutsche Beeinflussungsversuche Die Wahlen am 24. Mai 1936 endeten mit einer schmerzhaften Niederlage für die katholische Partei. Sie stellte erstmals seit 1884 nicht mehr die stärkste Fraktion und musste diesen Platz zugunsten der Sozialisten räumen. Diese hatten zwar auch Verluste erlitten, jedoch in geringerem Umfang. Wahlsieger waren die antiparlamentarischen Parteien. Der VNV war in einer Art offenen Liste als »Flämisch nationalistischer Block« (ndl. »Vlaamsch Nationaal Blok«) und mit einem vor allem auf den Mittelstand gerichteten gemäßigten Wahlprogramm angetreten. Die Anzahl der flämischen Nationalisten in der Abgeordnetenkammer verdoppelte sich von acht auf sechzehn. Die Kommunisten errangen anstatt drei nun neun Mandate. Großer Sieger war die Rex-Partei Léon Degrelles, die aus dem Stand 21 Sitze eroberte. Degrelle entstammte der Katholischen Aktion und hatte zunächst versucht, die Macht in der katholischen Partei zu übernehmen. Erst als ihm dies nicht gelang, gründete er seine eigene Bewegung, die er als begabter Journalist und glänzender Redner zum Wahlerfolg führte. Die Niederlage der Katholiken hatte also vor allem mit den Erfolgen von VNV und Rex zu tun, die beide eine vor allem katholische Wählerschaft ansprachen.66 Der Sieg der antiparlamentarischen Parteien war allerdings in Zahlen weni­ ger beeindruckend, als die Reaktionen vermuten lassen würden. Rex, VNV und Kommunisten kamen zusammen nur auf ein knappes Viertel der abgegebenen Stimmen.67 Was den Wahlerfolg von Rex so bedeutsam machte, war, dass autoritäre Positionen nun in der katholischen Partei an Unterstützung gewannen. Katholiken und Liberale verfügten über keine Mehrheit und wären für eine Regierung ohne Beteiligung der Sozialisten auf die Unterstützung von Rex und VNV angewiesen gewesen. Der Vorsitzende der Belgischen Arbeiterpartei, Emile Vandervelde, nahm wenig Rücksicht auf die Ängste im bürgerlichen Lager und sprach offen aus, dass er sich eine enge Zusammenarbeit mit der am 5. Juni 1936 gebildeten französischen Volksfrontregierung unter Léon Blum wünschte. Während die Bildung der Volksfront in Frankreich eine Annäherung der belgischen Sozialisten an Paris bewirkte, löste sie bei konservativen Katholiken die gegenteilige Reaktion aus. Eine Streikwelle verstärkte die Angst vor einer belgischen Volksfront unter Einbeziehung linker Liberaler zusätzlich. Letztlich kam es in Belgien weder zur Bildung einer Rechtsregierung noch zur Volksfront. Die Sozialisten fanden keine Mehrheit und in der katholischen Partei setzten sich die Gegner einer Rechtsregierung durch, so dass am 26. Juni 1936 ein Kabinett der nationalen Einheit unter dem Katholiken Paul Van Zeeland gebildet wurde.68

66 Wever, Greep, S. 211. 67 Luykx, S. 426. 68 Coolsaet, S. 274 f.; Gerard, S. 453.

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Diese Regierung war von Anfang an starken Fliehkräften ausgesetzt und der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im Juli  1936 verschärfte den Gegensatz zwischen Sozialisten und konservativen Katholiken zusätzlich.69 Die Anhänger eines autoritären Katholizismus erhielten Unterstützung von Kardinal Jozef-Ernest Van Roey, der im September 1936 vor 125.000 Gläubigen zur Einigkeit aufrief. Diese sei besonders »im öffentlichen Leben und auf politischem Gebiet« vonnöten.70 Mit diesem Aufruf zur katholischen Einheit war offensichtlich die Rückkehr von Rex und VNV in die katholische Partei gemeint. Jedenfalls wurden mit Wissen des Kardinals Gespräche in dieser Richtung geführt.71 Ein erstes Ergebnis der mit bischöflichem Segen versehenen Öffnung nach rechts war die Bildung einer »Flämischen Sammlung« (ndl. »Vlaamsche concen­ tratie«), die durch ein Bündnis aller katholischen Flaminganten den föderalen Umbau Belgiens erzwingen wollte. Diese Annäherung wurde durch eine Reform der katholischen Partei erleichtert, die nach der Wahlniederlage mit dem Aufbau eines Parteiapparats begann, der aus zwei weitgehend selbständigen flämischen und frankophonen Teilen bestand. Die »Katholische flämische Volkspartei« (ndl. »Katholieke Vlaamsche volkspartij«), wie sich der flämische Flügel nannte, schloss eine Grundsatzübereinkunft (ndl. »beginselakkord«) mit dem VNV. In drei von vier flämischen Provinzialräten führte dies nach den Provinzialratswahlen vom 7. Juni 1936 zu Koalitionen zwischen dem VNV und der katholischen Partei.72 Kurz darauf kam es zu einer wesentlich erstaunlicheren Annäherung: Am 6. Oktober 1936 schlossen Rex und VNV eine geheime Übereinkunft. Die flämischen Nationalisten hatten Rex zuvor als belgisch und antiflämisch abgelehnt und als Konkurrenz um katholische Wähler bekämpft. Dass sie nun mit Degrelle zusammenarbeiteten, lag daran, dass er ihnen weit entgegenkam und u. a. zusagte, sich für ein föderales Belgien einzusetzen. Wahrscheinlich ging er davon aus, nach einer Machtübernahme nicht mehr an diese Vereinbarung gebunden zu sein.73 Rex befand sich auf dem Höhepunkt der Popularität und hatte bei den Provinzialratswahlen sein Ergebnis noch verbessert. In Brüssel war die Partei zweitstärkste Kraft geworden. Degrelle faszinierte nicht nur viele Belgier, sondern beflügelte auch die Phantasie einflussreicher Politiker in Deutschland und Italien. Im Gegensatz zu anderen belgischen Nationalisten hatte der Rexistenführer

69 Luykx, S. 366 f. 70 »[…] uit naam uwer bischoppen, uit naam van Zijne Heiligheid de Paus, smeken wij al de gelovigen zich in te spannen voor verstandhouding en verzoening, daar waar die verstandhouding het meest noddzakelijk is op dit ogenblik, te weten in het openbaar leven en op het politiek terrein«. Zitiert nach: Gerard, S. 469. 71 Ebd., S. 470 f. 72 Wever, Greep, S. 223; Gerard, S. 474–478. 73 Wever, Greep, S. 225–228.

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keine Berührungsängste mit Deutschland und dem Nationalsozialismus.74 Am 27. Juli 1936 traf sich Degrelle mit Mussolini, der ihm finanzielle Unterstützung zusagte, und wandte sich dann auch an Berlin.75 Im Herbst reiste Degrelle mindestens zweimal nach Deutschland, wo er wahrscheinlich am 25. oder 26. September 1936 Hitler traf.76 Am 9. Oktober 193677 kam es zu einem Treffen mit Joseph Goebbels, der sich von dem Belgier sehr angetan zeigte und folgendes in sein Tagebuch notierte: »Hotel Unterredung mit Degrelle, dem belgischen Rexistenführer. Ein forscher, junger Aktivist, der an die Macht kommen wird. Klug, energisch, weitsichtig, großzügig. Lange Aussprache. Eupen Malmedy neue, ehrliche Abstimmung, Deutschland erhält von Belgien seine Kolonie zurück, Judenfrage und Freimaurerei vorläufig für ihn kein Problem, scharf antibolschewistisch, Kleriker müssen aus der Politik heraus. Arbeiterfrage lösen! Das sind die Grundelemente seiner Politik. Er trägt das mit viel Temperament vor. Macht einen fabelhaften Eindruck. Ich bin sehr erfreut. Will Geld oder wenigstens Papier für seine Zeitungen. Papier werde ich ihm verschaffen. Er verdient es. Und wird es auch zu nutzen wissen. Wir scheiden als Freunde.«78

Diese Haltung wird auch durch weitere Tagebucheinträge bestätigt und bedeutete eine klare Abkehr von der bisherigen Nichteinmischungspolitik in Belgien.79 Laut Goebbels war auch Hitler überzeugt, dass Rex in Belgien an die Macht kommen würde.80 Die deutsche Gesandtschaft warnte allerdings vor allzu offenen Kontakten, nachdem in der belgischen Presse über Degrelles deutsche Verbindungen berichtet worden war. Auch Ribbentrop riet Hitler davon ab, einem Rex nahestehenden Journalisten ein Interview zu geben.81 Die Unterstützung eines dezidiert belgischen Politikers zeigt, dass die »rassische« Verbundenheit mit den Flamen keineswegs ausschlaggebend für die nationalsozialistische Belgienpolitik sein musste. Zwar waren völkische Erwägungen ein Faktor, aber der Eindruck, in Degrelle einen ideologischen Geistesverwandten zu haben, sowie die Überzeugung, dass er realistische Chancen auf 74 Bereits im Frühjahr 1933 hatte er auf Einladung der deutschen Gesandtschaft eine Deutschlandreise unternommen, die ihren Niederschlag u. a. in einer Hitler-Sondernummer der im Rex-Verlag erscheinenden Zeitung »Soirée« gefunden hatte. Gesandtschaftsrat Bräuer (Brüssel) an Auswärtiges Amt, Brüssel, 2. April 1936, PA AA, R 70354. 75 Krier, Rex, S. 184 f.; Wilde, S. 17–20. 76 Krier, Rex, S. 189 f., 210. 77 Klefisch, S. 227; Wilde, S. 20. 78 Goebbels, Tagebucheintrag vom 10. Oktober 1936. 79 Klefisch, S. 224 f.; Goebbels, Tagebucheinträge vom 17. Oktober 1936 und 21. Oktober 1936. 80 Goebbels, Tagebucheinträge vom 22. Oktober und 27. Oktober 1936, der Eintrag vom 11. November 1936 bestätigt die Lieferung von Papier. Weitere Finanzhilfe, laut Tagebucheintrag vom 13. September 1937. 81 Notiz des Botschafters in London Joachim von Ribbentrop für den Führer. London, 9. November 1936, ADAP, C, 6, 1, S. 50; Der Gesandte in Brüssel Herbert Freiherr von Richthofen an den geschäftsführenden Staatssekretär Ministerialdirektor Hans-Heinrich Dieckhoff. Brüssel, 13. November 1936, ADAP, C, 6, 1, S. 61.

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eine Machtübernahme in Belgien besaß, wogen schwerer. Während sich Degrelle der Sympathie und großzügigen Unterstützung Goebbels’ erfreute, war das Interesse an den flämischen Nationalisten nicht sehr ausgeprägt. Politischer Stil und die Überzeugung, es mit einer »Führerpersönlichkeit« zu tun zu haben, waren wichtiger als die germanische Stammesverwandtschaft mit den Flamen. Auf der Ebene der nationalsozialistischen Führung kann also von einer Kontinuität der Flamenpolitik keine Rede sein. Der autoritäre Umsturz blieb aus und das Bündnis mit dem VNV wurde zum Problem für die Rexisten, die viele Anhänger im chauvinistischen frankophonen und radikal unitaristischen Milieu hatten. Als Degrelle im März 1937 eine Nachwahl in Brüssel provozierte und sich selbst zum Kandidaten machte, wurde Ministerpräsident Van Zeeland von den demokratischen Parteien als Gegenkandidat aufgestellt. Dieser machte den Wahlkampf zu einer Entscheidung zwischen Demokratie und Faschismus und verwies auch immer wieder auf Rex’ flämisch-nationalistische Bündnispartner. »Wählt Rex … Borms gewinnt!« (frz. »Votez Degrelle … Borms vaincra!«) wurde in Anspielung auf den bekanntesten flämischen Aktivisten des Ersten Weltkriegs plakatiert. Die Wahl wurde zur krachenden Niederlage für den Rexistenführer, der weniger Stimmen erhielt, als ein Jahr zuvor auf VNV und Rex zusammen entfallen waren.82 Nachdem sich Rex-Politiker aktiv gegen eine Amnestie für ehemalige Aktivisten eingesetzt hatten, beendete der VNV das Bündnis im Sommer 1937.83 Spätestens ab 1937 erhielten auch flämische Nationalisten finanzielle Zuwendungen aus Deutschland, wenn auch nicht annähernd in dem Umfang wie Degrelle.84 Die Parteizeitung des VNV, »Volk en Staat«, empfing monatlich 800 RM, nachdem De Clercq im März 1937 persönlich nach Deutschland gereist war. Ab Anfang 1939 wurde die Unterstützung vom Propagandaministerium verfünffacht, auch die antisemitische Splittergruppe »Volksverwering« wurde monatlich mit 100 RM bedacht.85 Ansonsten zeigte man sich reserviert. Noch im Oktober 1938 notierte Goebbels über ein Gespräch mit dem neuen Botschafter in Brüssel, man solle die Flamen »kulturell, aber nicht politisch« unterstützen.86 Diese kulturelle Unterstützung wurde tatsächlich mit einigem Aufwand betrieben, indem beispielsweise deutsche Künstler an die Königlich Flämische Oper in Antwerpen vermittelt wurden. Deren stellvertretender Intendant Hans Mutzenbecher, ein Deutscher und überzeugter Nationalsozialist, berichtete 82 Wever, Greep, S. 235 f. 83 Deneckere, Oudstrijders, S. 300–309. 84 Allerdings kühlte sich Goebbels Begeisterung für Degrelle bald ab. Goebbels, Tagebucheinträge vom 14. Januar 1938 (»Soll zuerst mal wieder Erfolge erringen. Arbeiten, wie wir auch getan.«) und 8. November 1938 (»Der Junge macht nun lauter Blödsinn.«). 85 Die Finanzierung erfolgte zunächst über Holthöfer in Essen und das Auslandspressebüro, also das Propagandaministerium. Ab Anfang 1939 übernahm das Ministerium die Finanzierung alleine. Wever, Greep, S. 324; Krier, S. 181. 86 Die Gesandtschaft wurde im Oktober 1938 zur Botschaft aufgewertet und Vicco von Bülow-​ Schwante zum Botschafter ernannt. Goebbels, Tagebucheintrag 6. Oktober 1938.

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detailliert darüber, »welche deutschen Werke mit deutschen Künstlern« vorgeführt wurden. Nachdem am 16. November 1937 Lohengrin, am 11. Januar 1938 die Zauberflöte (»leider Dirigent Steinberg«) und am 15. März 1938 der Rosenkavalier Premiere hatten, wurde im April 1938 erstmals der gesamte Ring der Nibelungen in Antwerpen aufgeführt. Auch über die flämischen Literaturtage wurde berichtet, an denen unter anderem Rudolf Alexander Schröder und Anton Kippenberg teilnahmen, die während des Ersten Weltkriegs maßgeblich an der Entwicklung eines flämischen Buchhandels und der Übersetzung flämischer Autoren ins Deutsche beteiligt waren.87

f) Die belgische Rückkehr zur Neutralität und die Haltung der flämischen Nationalisten gegenüber Deutschland 1936 bis 1940 Die belgische Rückkehr zur Neutralität oder der Beginn der »Selbständigkeits-« oder »Unabhängigkeitspolitik« (ndl. »Onafhankelijkheidspolitiek«) wurde von einer Rede Leopolds III. am 14. Oktober 1936 eingeleitet. Der König skizzierte zunächst die veränderte Lage, die durch die deutsche Wiederbewaffnung, den Einmarsch der Wehrmacht im Rheinland sowie die Entwicklung in der Waffentechnik entstanden war. Nach dem Zusammenbruch des kollektiven Sicherheitssystems von Locarno stünden sich nun zwei feindliche politische Systeme gegenüber. Durch die Remilitarisierung des Rheinlands befinde sich Belgien strategisch fast in der Lage von 1914, daher müssten die Verteidigungsanstrengungen erhöht werden. Gegen ein Militärbündnis führte er mehrere Argumente an. Ein Bündnis habe für Belgien kaum praktischen Wert, da es erst nach einem Angriff in Kraft trete, wenn feindliche Truppen sowieso schon im Land stünden. Daneben schwäche es die außenpolitische Position des Landes. Ein weiteres zentrales Argument war, dass Bündnisse für inneren Zwist sorgten. Deshalb, so der Monarch, müsse das Land zu einer strikt belgischen Politik und daher zur Neutralität zurückkehren.88 Leopolds Hinweis auf innenpolitische Konflikte erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das Land auch durch den Spanischen Bürgerkrieg tief gespalten war und sich Degrelle anschickte, mit deutscher und italienischer Unterstützung an die Macht zu gelangen. Für die flämischen Nationalisten war die Verkündung der Neutralitätspolitik ein Erfolg. Der VNV druckte Plakate mit dem Slogan »Der König gibt uns recht« (ndl. »De Koning geeft ons gelijk«). Der VOS bedauerte 87 Hans Mutzenbecher an den deutschen Generalkonsul in Antwerpen Schmidt-Rolke. Hamburg, 12. August 1937, PA AA, R 61138 (unpaginiert); »Festtage der flämischen Literatur«, Bericht des deutschen Gesandten in Belgien Herbert Freiherr von Richthofen. Brüssel, 30. November 1937, PA AA, R 61138 (unpaginiert); Zur Rolle Schröders und Kippenbergs im Ersten Weltkrieg: Roland, Kriegskolonie. 88 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 379–381; Coolsaet, S. 299–302.

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allerdings, dass Leopold eine Erhöhung der Militärausgaben und eine Verlängerung der Wehrpflicht anstrebte.89 Die »Unabhängigkeitspolitik« wurde Ende 1936 von Großbritannien und Frankreich anerkannt. Beide Mächte erklärten, die belgischen Grenzen im Fall eines ausländischen Angriffs zu verteidigen. Am 30. Januar 1937 gab Hitler vor dem Reichstag eine ähnliche Garantieerklärung ab, nachdem Belgien zuvor bekannt gegeben hatte, im Gegenzug seine militärischen Verpflichtungen gegenüber Frankreich zu kündigen. Im Laufe des Jahres 1937 entbanden Großbritannien und Frankreich Belgien von allen Pflichten, die aus dem Vertrag von Locarno abgeleitet werden konnten. Deutschland bestätigte, dass es die Unverletzlichkeit der belgischen Grenzen anerkenne. Hiermit kehrte Belgien nach beinahe 20 Jahren wieder zur Neutralität zurück.90 Wie ernst das Land seinen neuen internationalen Status nahm, zeigte sich im Verlauf der Sudetenkrise. Am 9. September 1938 ließ Ministerpräsident Paul-Henri Spaak Deutschland wissen, dass Belgien sich nicht in die Krise ein­ mischen werde. Als Frankreich Ende September 1938 eine Intervention zugunsten der Tschechoslowakei erwog, wurde das belgische Heer mobilisiert. Paris und London wurden informiert, dass ihre Truppen als Eindringlinge behandelt werden würden, falls sie bei einem Angriff auf Deutschland belgisches Territorium betreten sollten. Hitler bedankte sich, indem er am 10. Oktober 1938 die belgische Gesandtschaft in Berlin und die deutsche in Brüssel zu Botschaften aufwertete. Ein weiterer Schritt war die Einrichtung einer Deutsch-belgischen Gesellschaft, die trotz der Kritik flamenfreundlicher Kreise am 9. November 1938 gegründet wurde.91 Spätestens mit der Annexion Tschechiens am 15. März 1939 wurde deutlich, dass Deutschland nicht nur die Errichtung eines die deutschsprachige Bevölkerung umfassenden Reichs anstrebte. Ein Krieg stand unmittelbar bevor und auch bei den Gemäßigten im VNV löste das deutsche Vorgehen Besorgnis aus. Der Fraktionsvorsitzende Borginon hatte bereits 1937 angemerkt, dass eine Trennung Flanderns und Walloniens Flandern wehrlos machen würde. Er regte deshalb eine militärische Kooperation Belgiens mit den Niederlanden an, ein Vorschlag, der sich allerdings nicht durchsetzte.92 Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen erklärte sich Belgien am 3. September 1939 für neutral, eine Haltung, die auch vom VNV und Rex unterstützt wurde.93 Belgiens Interesse, sich als Staat zu erhalten, erklärte De Clercq, laufe momentan mit dem der flämischen Nationalisten parallel. Es stehe außer 89 Provoost, Vlaanderen Bd. 2, S. 384 f. 90 Coolsaet, S. 302 f. 91 Ebd., S. 291–293; Der Geschäftsträger in Brüssel Werner von Bargen an das Auswärtige Amt über eine Unterredung mit dem belgischen Ministerpräsidenten Paul-Henri Spaak. Brüssel, 10. September 1938, ADAP, D, 2 (Dokument 455), S. 586–588; Klefisch, S. 357–371. 92 Wever, Greep, S. 315–318. 93 Gotovitch u. Libois, S. 15–17.

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Frage, dass Deutschland, Frankreich oder Großbritannien eine größere Gefahr für die flämische oder großniederländische Bewegung darstellten als der belgische Staat. Er warnte allerdings vor einem allzu großen Vertrauen in die belgische Neutralität, weshalb die Partei sich für deren strikte Einhaltung einsetzen müsse. Im Parlament forderte De Clercq Maßnahmen gegen diejenigen, die in seinen Augen die Neutralität durch pro-französische Äußerungen verletzten. Er drohte, die Regierung habe es selbst in der Hand, ob der VNV bei seiner loyalen Haltung bleibe.94 Doch kaum jemand nahm De Clercq die Rolle des Hüters der belgischen Neutralität ab. Der VNV wurde als deutschfreundlich wahrgenommen und von den politischen Gegnern als fünfte Kolonne adressiert. Niemand anderes als der VNV-Führer bestätigte dieses Urteil. Nach der belgischen Niederlage im Mai 1940 behauptete er, seit 1934 Kontakte zur deutschen Abwehr gehabt und eine flämisch-nationalistische »Militärorganisation« (ndl. »Militaire Organisatie« – MO) in der belgischen Armee aufgebaut zu haben. Ziel der MO war es, anti-französische und pro-deutsche Propaganda zu machen und eine Art zweiter Frontbewegung im belgischen Heer vorzubereiten. De Clercq beschrieb auch die belgische Wende zur Neutralitätspolitik quasi als Folge seiner Aktivitäten. Er hatte ein großes Interesse daran, sich der Besatzungsmacht in einem günstigen Licht zu präsentieren. Seine Angaben waren möglicherweise im Detail übertrieben, doch grundsätzlich trafen sie sicherlich zu.95 Der Aufbau einer klandestinen Organisation im belgischen Heer war nicht überraschend, wenn man die Entstehungsgeschichte des flämischen Nationalismus berücksichtigt. Der VNV war aus der Frontpartei entstanden, einer Gründung ehemaliger Mitglieder der illegalen Frontbewegung des Ersten Weltkriegs – eines von ihnen war Staf De Clercq. Dass organisatorische Vorbereitungen für eine neue Frontbewegung getroffen wurden, ist daher nicht erstaunlich. Eine Zusammenarbeit mit den Deutschen war allerdings eine ganz andere Sache. Dass diese Zusammenarbeit stattfand, belegt ein Bericht des Leiters der Abwehr II, Erwin Lahousen. Dieser notierte am 14. März 1940, dass der Agent Fritz Scheuermann aus Belgien zurückgekehrt sei, wo er Besprechungen mit De Clercq und anderen V-Leuten gehabt habe. Weiter hieß es, »dass die militärischen Organisationen […] des VNV erheblich dazu beigetragen haben, durch ihre Beeinflussung der flämischen Truppen die Stimmung im belgischen Heer weitergehend herabzumindern und in den Flamen den Wunsch zu erwecken, sich Kampfhandlungen nach Möglichkeit zu entziehen«.96 Die belgische Gegenspionage schien übrigens gut unterrichtet über die Aktivitäten der MO zu sein. Kurz nach dem deutschen Angriff wurden nahezu alle zivilen Mitglieder der Organisation verhaftet. Laut einem Bericht des belgischen Militärgeheimdiensts kommunizierte die MO über eine eigens produzierte Zei94 Wever, Greep, S. 321. 95 Ebd., S. 198–200. 96 Ebd., S. 335 f.

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tung mit den Soldaten. Diesen wurden auch Pakete geschickt, bevor De Clercq Kontakt mit geeigneten Soldaten aufnahm, die dann auf ihn persönlich vereidigt wurden. Ihr Auftrag war es vor allem, Propaganda zu betreiben. Beispielsweise sollte die Nachricht verbreitet werden, dass Belgien seine Südgrenze nicht gegen Frankreich verteidige. Daneben sollten Informationen über die Arbeitsabläufe in der Armee gesammelt werden. Die Parole war, nicht die Waffen gegen Deutschland zu erheben und sich im Kriegsfall zu ergeben. Einige Zeitzeugen sprachen auch von Sabotageaufträgen. Inwieweit die Organisation tatsächlich tätig wurde, ist unklar. Möglicherweise war der Krieg hierfür auch einfach zu schnell vorbei. Die MO orientierte sich an der Frontbewegung des Ersten Weltkriegs, die sich in einem jahrelangen Stellungskrieg gebildet hatte. Im Mai 1940 kapitulierte die belgische Armee hingegen nach nicht einmal drei Wochen.97 Die militärische Zusammenarbeit von Abwehr und VNV nimmt sich im internationalen Vergleich übrigens recht mager aus. Mitglieder der Eupener Heimattreuen Front und Deserteure aus Eupen-Malmedy führten als Pionierund Kommandotruppen wichtige Aufträge beim Vormarsch aus. Sie gaben nicht nur Informationen weiter, sondern verhinderten auch das Sprengen von Brücken und Schienenwegen. An Bretonen, Iren, Sudetendeutsche, aber auch an eine nationalsozialistische niederländische Gruppe lieferte die Abwehr Waffen. Eine derartige Zusammenarbeit gab es mit dem VNV nicht.98 Dennoch, der flämische Nationalismus war ein militärischer Faktor, den es so vor dem Ersten Weltkrieg nicht gegeben hatte. Entgegen seiner öffentlichen Neutralitätsbekundungen war zumindest ein Teil der Parteiführung bereit, einen deutschen Einmarsch in Belgien aktiv zu unterstützen. Wichtiger als die MO war allerdings die Beeinflussung der Innenpolitik, die maßgeblich dazu beitrug, Belgien aus dem Bündnis mit Frankreich zu lösen. Dies und die ebenfalls von flämischen Nationalisten vorangetriebene Rückkehr zur Neutralität leisteten einen wesentlichen Beitrag zum deutschen Sieg im Sommer 1940.

g) Exkurs: Die »Deutsch-Vlämische Arbeitsgemeinschaft« – DeVlag Die Deutsch-Flämische Arbeitsgemeinschaft (ndl. »Duits-Vlaamsche Arbeids­ gemeenschap – DeVlag«) war 1935 eine Initiative von Dozenten und Studenten der Universitäten in Köln und Löwen. Sie stand auf deutscher Seite in der Tradition der studentischen »Grenzlandarbeit« der 1920er Jahre, die mittlerweile von der nationalsozialistischen Reichsstudentenführung koordiniert wurde. Wichtigste Aktivitäten der »DeVlag« waren die Organisation des Studenten­ austauschs, jährlich stattfindende Kulturtage sowie die Herausgabe einer Zeit-

97 Verhoeyen, Spionnen, S. 237–267; ders., België, S. 216. 98 Ebd., S. 260, 275–288.

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schrift gleichen Namens.99 Die DeVlag eignet sich gut zur Illustration dessen, was als halbstaatliche Außenpolitik oder außenpolitische Vorfeldarbeit bezeichnet werden kann. Sie ist auch deshalb von Interesse, weil deutsche und flämische Beteiligte während der Besatzung ab 1940 wichtige Positionen bekleideten. Die zweisprachige Zeitschrift »De Vlag« erschien erstmals im November 1936, also zu einem Zeitpunkt, als eine Rechtsregierung in Belgien möglich erschien. Die Beiträge wurden jeweils von einer deutschen und einer flämischen Redaktion betreut. Verantwortlich für den deutschen Teil zeichnete Jupp Deckers, Chefredakteur des flämischen war Jef Van de Wiele. Der erste Aufsatz wurde von Franz Petri, dem späteren Direktor des Deutsch-Niederländischen Instituts in Köln, verfasst und trug den Titel »Von der Entstehung und nationalen Bedeutung der germanisch-romanischen Volksgrenze«. Die flämischen Artikel beschäftigten sich mit dem Maler James Ensor und mit Hoffmann von Fallerslebens Verhältnis zu den Niederlanden.100 Diese Zweiteilung in einen stark germanisch-völkisch geprägten deutschen und einen mehr sprach- und literaturwissenschaftlichen, auch kunsthistorischen flämischen Teil war auch für spätere Nummern charakteristisch. In den deutschen Beiträgen der ersten Ausgaben wurde offen nationalsozialistisches Gedankengut propagiert, etwa durch romantisierende Schilderungen aus dem Alltag des Dritten Reichs. Sie trugen Titel wie »Der Arbeitsmann« oder »Amrumer Tagebuch (Aus den Aufzeichnungen eines Studenten im Arbeitsdienst)«.101 Daneben gab es theoretische Texte, beispielsweise einen zweiteiligen Artikel »Rasse und Rassenseele« des Kölner Rassenhygienikers Karl Ludwig Pesch oder einen literaturwissenschaftlichen Beitrag Heinz Kindermanns, der eine »biologische Bewertung des Schrifttums« vertrat.102 Möglicherweise wollten die Mitglieder der flämischen Redaktion nicht mit diesen eindeutig nationalsozialistischen Standpunkten in Verbindung gebracht werden. Jedenfalls kam es zum Bruch und im Februar 1938 stand neben dem Namen Van de Wieles nur ein Satz im flämischen Impressum: »Die Zusammenstellung der Redaktion wird in der folgenden Nummer mitgeteilt«. In den nächsten Ausgaben gab es ein deutliches Übergewicht deutscher Texte.103 Ein Hinweis auf inhaltliche Differenzen ist auch, dass in den folgenden Nummern eindeutig rassenpolitische Artikel fehlten. Die deutsche Redaktion begründete dies nicht, erklärte aber in Zukunft thematische Schwerpunkte setzen zu wollen. Im Vorwort der flämischen Redaktion wurde hingegen das gegenseitige Verhältnis thematisiert: 99 Seberechts, Arbeidsgemeenschap; Müller, Westen, S. 258 f., 296–322; De Vlag. Zeitschrift der Deutsch-Vlämischen Arbeitsgemeinschaft Jg.1, 1937, Nr.2 (Februar), Anhang. 100 De Vlag, Jg. 1, 1936, Nr. 1 (November 1936). 101 Beide De Vlag Jg. 1, 1937 Nr. 2 (Februar). 102 Heinz Kindermann, Adolf Bartels im Kampf um die völkische Entscheidung, in: De Vlag Jg. 1, 1937, Nr. 5–6 (September), S. 214–216. 103 De Vlag Jg. 1, 1938, Nr. 7/8 (Februar).

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»Nur dies: beide Redaktionen wünschen voneinander unabhängig zu bleiben, was den Inhalt und die Standpunkte mancher Artikel betrifft. Wir wollen keine gegenseitige Haarspalterei. […] Die flämische Redaktion bleibt alleinverantwortlich für den flämischen Teil.«104

Nach dieser inhaltlichen Korrektur erschien im April 1938 eine Schwerpunktausgabe zum Thema »Geschichte«. In der sogenannten Volkstumsgeschichte war die Schnittmenge zwischen Nationalsozialisten und flämischen Nationalisten größer als in der Rassenbiologie. Insbesondere in der Kritik am belgischen Historiker Henri Pirenne, der mit seiner »Histoire de la Belgique« die offiziöse belgische Nationalgeschichte geschrieben hatte, konnten sich beide Seiten finden. In »Flandern als germanisches Grenzland«105 formulierte Petri pointiert eine Pirenne entgegengesetzte Auffassung und vertrat eine Geschichtsschreibung aus der Volkstums- und nicht der Staatsperspektive. In dieser Hinsicht sah er Flandern und die Niederlande sogar gegenüber Deutschland im Vorteil und verwies auf Pieter Geyls 1937 vollendete dreibändige »Geschiedenis van de Nederlandsche stam«. Es sei ein großes Verdienst Geyls, so Petri, dass dieser den seit Pirenne »allgemein angenommenen etatistisch-belgischen Rahmen der Betrachtung aufgegeben und dafür die Grundlage des Volkstums als die allein angemessene Basis für eine flämische Volksgeschichte zur Anerkennung gebracht« habe.106 Historische Ereignisse betrachtete Petri konsequent aus dieser völkischen Perspektive: In der Schlacht der Goldenen Sporen von 1302 habe sich Flandern »seine Selbstständigkeit als germanisches Grenzland« erkämpft. Bei der Behandlung des Achtzigjährigen Kriegs des 16. Jahrhunderts räumte Petri immerhin ein, dass eine Interpretation aus volkstumsgeschichtlicher Perspektive nicht unmittelbar einleuchtete. Der Glaubensgegensatz, »auch verbunden mit dem fürstlichen Absolutismus«, habe »zwei Jahrhunderte lang weitgehend das völkische Empfinden« paralysiert. Der Bauernkrieg gegen Napoleon wurde dann wieder als »das endgültige völkische Erwachen des germanischen Grenzlandes im 19. Jahrhundert« bezeichnet.107 Diese Punkte charakterisieren das gemeinsame Narrativ der Texte, ob es sich um Franz Steinbachs »Germanen und Romanen im Frankenreich«, Leo ­Delfos’ »Het jaar 1302 in den eeuwigen strijd om Vlaanderen« (dt. »Das Jahr 1302 im ewigen Kampf um Flandern«), Josef Schmitz-Forsts »Volk wider Burgund«, Robert van Roosbroecks »Willem van Oranje en het Nederlandsch nationaal bewustzijn« (dt. »Wilhelm von Oranien und das niederländische National­ bewusstsein«) oder Fritz Textors »Die bäuerlichen Aufstandsbewegungen gegen die französische Fremdherrschaft (1792–1815)« handelte.108 Die anti-belgische 104 De Vlag Jg. 2, 1938, Nr. 1/2 (April), S. 3. 105 Ebd., S. 22–28. 106 Ebd., S. 22. 107 Ebd., S. 27 f. 108 Alle in: De Vlag Jg. 2, 1938, Nr. 1/2 (April).

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Stoßrichtung dominierte und der Versuch, eine gemeinsame Geschichte der »Festlandgermanen« zu konstruieren, war deutlich erkennbar. Ein weiterer Aspekt der Arbeit von »DeVlag« war der Studentenaustausch, der bereits in den 1920er Jahren einen Schwerpunkt der außenpolitischen Vorfeldarbeit völkischer Organisationen dargestellt hatte. Im April 1938 wurde über einen Deutschlandbesuch des Löwener Studentenchors berichtet. Neben verschiedenen Industriebetrieben wurde auch eine Nationalpolitische Lehranstalt (Napola) besucht, ein Besuch auf der NS-Ordensburg Vogelsang musste wegen eines Schneesturms abgesagt werden. Die Eindrücke resümierte der flämische Autor folgendermaßen: »Auffallend war die eiserne Zucht, die Ordnung. Eine harte Körper- und Geisteserziehung wird einer starken frischen Jugend gegeben, auf der später die Verantwortung für ein Volk liegen wird.«109 In einem Artikel zu den »Wissenschaftlichen Aufgaben Deutsch-vlämischer Studentenarbeit« betonte Ernst Striefler die Bedeutung des Ersten Weltkriegs: »[…] in den vier Jahren des großen Krieges begegnete der deutsche Frontsoldat in Vlandern einem Volkstum, das in Art und Sprache dem seinen verwandt war. […] Die deutsche Studentenschaft aber ist die Gründung aus dem Felde heimgekehrter Frontsoldaten.« Weiter hieß es: »Die zahlreichen Gruppen von Studenten und Professoren, die herüber und hinüber kommen, lernten die Einrichtungen und den Geist des neuen Deutschlands kennen, wie andererseits ein Verständnis für das vlämische Volkstum bei den deutschen Besuchern geweckt wurde.«110

Die letzten Vorkriegsnummern erschienen im September und November 1938 zu den Schwerpunkten Kunst und Literatur. Sie belegen, wie tief die Kluft zwischen nationalsozialistischer und westeuropäischer Kunst- und Literaturauffassung war. Der deutsche Teil stand fast unvereinbar neben dem flämischen, was der Löwener Germanist René Lissens im Vorwort süffisant kommentierte: »Es scheint, dass diese beiden Ausdrucksformen germanischen Geistes und germanischer Art Eigenarten und Unterschiede aufweisen, die auf zwei verschiedene und nicht aufeinander zurückzuführende Volkscharaktere weisen. […] Dass der eine sich dabei Freiheiten erlaubt, die der andere für sich als gefährlich erachtet, ist eine logische Folge dieser Eigenheit«.111

Am Ende der Vorkriegsgeschichte von »De Vlag« stand also die Betonung des eigenen Charakters durch einen flämischen Wissenschaftler, der sicher nicht nur für sich selbst sprach. Die Analyse der Zeitschrift zeigt, dass es zahlreiche Berührungspunkte, aber auch deutliche Unterschiede zwischen flämischen Nationalisten und deutschen Nationalsozialisten gab. Gemeinsam war beiden eine 109 Het Leuvensch studentenkoor op reis, in: De Vlag, Jg. 2, 1938, Nr. 1/2 (April), S. 73–76. 110 Ernst Striefler, Wissenschaftliche Aufgaben Deutsch-vlämischer Studentenarbeit, in: De Vlag, Jg. 2, 1938, Nr. 3 (Juni), S. 140–144. 111 René Felix Lissens, De hedendaagsche letterkunde in Vlaanderen en Duitschland, in: De Vlag, Jg. 2, 1938, Nr. 6/7/8, S. 195.

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völkische Geschichtsauffassung, welche die Grenzen der Staaten als Rahmen für die Betrachtung ablehnte. Stattdessen wurde eine Geschichtsschreibung aus der Volkstumsperspektive propagiert, wobei es sehr unterschiedliche Auffassungen von »Volk« gab. Dem Versuch deutscher Autoren, den Begriff rassenbiologisch zu füllen, begegneten die meisten flämischen Nationalisten skeptisch bis ablehnend. Dennoch kann ein zumindest diffuses Gefühl »germanischer« Verbundenheit bei allen festgestellt werden. Zwiespältig war die Beurteilung der deutschen Realität. Während die wirtschaftlichen Leistungen und die Disziplin positiv gewürdigt wurden, schien der autoritäre Charakter des NS-Regimes eher abschreckend. Lissens äußerte sogar kaum verhohlen seine Verachtung für die nationalsozialistische Kulturauffassung. Dass sich flämische Nationalisten 1938 von Deutschland distanzierten, hing sicherlich auch mit dessen zunehmend aggressiven Auftreten zusammen. Ebenso wie die Rexisten sahen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, eine fünfte Kolonne der Nachbarn im Osten zu sein. Auch Flamenpolitik und Aktivismus des Ersten Weltkriegs spielten in den Texten daher kaum eine Rolle. Ihre Thematisierung hätte die Zusammenarbeit als hochverräterisch kompromittiert. Sie war auch nicht notwendig, da sie die unausgesprochene Grundlage für jede Kooperation zwischen Deutschen und flämischen Nationalisten in der Zwischenkriegszeit darstellte.

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4. Die deutschen Vorbereitungen für die Besatzung Belgiens und die Einrichtung der Militärverwaltung im Sommer 1940

Während des Angriffs auf Polen war es zu Konflikten zwischen Armee und SS gekommen und die ursprünglich geplante Militärverwaltung wurde bereits nach kurzer Zeit durch das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete abgelöst. Für den Westen forderte das Oberkommando des Heeres (OKH) daher eine »reine Militärverwaltung« unter Ausschluss von zivilen Stellen und Parteiinstitutionen. Hitler gab diesen Forderungen der Militärs zunächst nach, und die Planungen für Angriff und Besatzung Belgiens lagen seit Oktober 1939 in den Händen der Heeresgruppe  B. Die Einrichtung einer Militärverwaltung sollte auch dazu dienen, die belgische Bevölkerung davon zu überzeugen, »dass die Besetzung aus einer militärischen Zwangslage heraus erfolgt, das Land treuhänderisch verwaltet wird und keinerlei Annexionsabsicht besteht«.1 Um dies zu unterstreichen, wurden der geplanten Militärverwaltung in den »Sonder­bestimmungen für die Verwaltung und Befriedung der besetzten Gebiete Hollands und Belgiens« vom 22. Februar 1940 sowohl ein »Aufrollen der Rassenfragen« als auch »Sondermaßnahmen […] in Volkstumsfragen« ausdrücklich untersagt.2 Dennoch spielte die Flamenfrage durchaus eine Rolle für die Planungen. Eine Studienkommission unter Leitung Eggert Reeders, des Regierungs­ präsidenten von Köln und Düsseldorf, bereitete die Besatzung vor und beschäftigte sich insbesondere mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Daher saßen auch zwei ehemalige Beamte der Besatzungsverwaltung in der Kommission.3 Ein »Merkblatt für die belgisches Gebiet betretenden Truppen« gab einen geschichtlichen Abriss über die Flämische Bewegung und die flämische Frontbewegung des Ersten Weltkriegs. Die Soldaten wurden angewiesen, in Flandern »grundsätzlich nur deutsch oder niederländisch, nicht französisch« zu sprechen. Belgische Kriegsgefangene sollten in Flamen und Wallonen getrennt werden, »und zwar in der Regel danach, ob sie einem flämisch oder wallonisch [sic] sprechenden Regiment angehört haben«.4 1 Kriegstagebuch des Oberquartiermeisters der Heeresgruppe  B. Eintrag vom 19. Oktober 1939, in: Kwiet, Vorbereitung, S. 132. 2 Kwiet, Vorbereitung, S. 128. 3 Kriegstagebuch des Oberquartiermeisters der Heeresgruppe  B. Eintrag vom 19. Oktober 1939, in: Kwiet, Vorbereitung, S. 133; Majerus. 4 Jonghe, Hitler, S. 335.

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Trotz dieser Vorbereitungen war bis zuletzt unklar, was für eine Besatzungs­ verwaltung Belgien erhalten sollte. Am 10. April 1940 wandte sich die Heeresgruppe  B an das OKH, um zu erfahren, ob »eine einheitlich gesteuerte Verwaltung Belgiens für richtig gehalten« werde. Die Antwort fiel positiv aus, enthielt jedoch die Einschränkung, dass »die Bedingungen, unter denen eine Militärverwaltung in den besetzten Gebieten in Kraft tritt, sich aus dem politischen Verhalten der besetzten Länder und aus dem Verlauf der militärischen Operationen« ergeben müssten. Weitere Festlegungen wurden abgelehnt.5 Das Vorgehen auf anderen Kriegsschauplätzen machte es eher unwahrscheinlich, dass die Wehrmacht langfristig an der Besatzungsverwaltung beteiligt werden würde. Sowohl beim »Anschluss« Österreichs als auch des Sudetenlands 1938 sowie bei der Besetzung Tschechiens im März 1939 wurden keine Militärverwaltungen eingerichtet, die besetzten polnischen Gebiete wurden bereits am 26. Oktober 1939 einem Generalgouverneur unterstellt.6 In Norwegen war am 26. April 1940, also unmittelbar vor Beginn des Westfeldzuges, Joseph Terboven zum Reichskommissar ernannt worden, und trotz der Zusage Hitlers beschäftigten sich neben dem OKH zahlreiche andere Stellen mit der Vorbereitung der Besatzung Belgiens. Mit dem Angriff am 10. Mai 1940 folgten den Invasionstruppen die für die Besatzungsverwaltung zuständigen Militärverwaltungsstäbe der Heeresgruppen A und B. Am 16. Mai wurde General Alexander von Falkenhausen zum »Militär­befehlshaber für die besetzten Gebiete in den Niederlanden und Belgien« ernannt. Dieser war allerdings noch nicht im Besatzungsgebiet angekommen, als ein Führererlass vom 18. Mai die Einsetzung von Arthur Seyß-Inquart als Reichskommissar der Niederlande ankündigte. Falkenhausen übergab diesem am 29. Mai die Amtsgeschäfte in Den Haag, um anschließend nach Brüssel weiterzureisen.7 Doch auch nach der Ernennung zum »Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich« am 1. Juni 1940 schien seine baldige Ablösung wahrscheinlich. Heinrich Himmler hatte bereits am 25. Mai mit Hitler über einen Reichs­ kommissar für Belgien gesprochen und Goebbels notierte, in Belgien »werde eine Stelle vorbereitet«, wobei er den Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann als 5 Kriegstagebuch Nr. 1 des Oberquartiermeisters der Heeresgruppe B. Eintrag vom 10. April 1940, in: Kwiet, Vorbereitung, S. 140–142. 6 Kwiet, Vorbereitung, S. 123–127. 7 Erlass des Führers über Ausübung der Regierungsbefugnisse in den Niederlanden vom 18. Mai 1940, Reichsgesetzblatt vom 20. Mai 1940, S. 778; Zeittafel bedeutsamer Begebenheiten aus den Gebieten Politik, Volkstum, Kultur und Verwaltung, Anlage zum Abschlussbericht über die Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich, nach Juli 1944, BArch, RW 36/447; Für das Militär kam diese Entscheidung überraschend. Kwiet, Reichskommissariat, S. 53; Auch die militärische Zuständigkeit wurde dem OKH entzogen. Der neu ernannte Wehrmachtbefehlshaber in den Niederlanden unterstand über das OKW Hitler direkt. Führerweisung über die Befehlsbefugnisse in den Niederlanden vom 20. Mai 1940, ADAP, D, 9, S. 317.

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Kandidaten erwähnte.8 Äußerungen, die der Staatssekretär des Innern, Wilhelm Stuckart, am 1. Juni 1940 gegenüber Falkenhausen machte, deuteten ebenfalls auf die bevorstehende Ernennung eines Reichskommissars hin.9 Die Planung für die Zukunft der besetzten Gebiete Westeuropas lief unterdessen auf Hochtouren. Stuckart reichte am 14. Juni 1940 eine Denkschrift ein, in der er eine weite Verschiebung der Reichsgrenze nach Westen befürwortete und mit völkischen, geographischen, wirtschaftlichen und militärischen Argumenten begründete. Die »Notwendigkeit der Einbeziehung der Flamen in den großdeutschen Raum«, so hieß es, bedürfe keiner Begründung. Daneben müsse »die deutsche Reichsgrenze ohne Rücksicht auf die Wallonen« gezogen werden. Die Unterstreichung dieser Stellen im Dokument deutet auf eine Zustimmung Hitlers hin.10 Die zunehmende Aktivität von Parteistellen im Besatzungsgebiet kann ebenfalls als Hinweis gelesen werden, dass man beabsichtigte, die »germanischen« Teile Westeuropas zügig anzugliedern. Himmler hatte bereits im Mai 1940 die Genehmigung zur Aufstellung der Waffen-SS-Standarte »Westland« aus flämischen und niederländischen Freiwilligen erhalten. Nachdem die Trennung der belgischen Kriegsgefangenen in Flamen und Wallonen bereits vor dem Angriff befohlen worden war, entschied Hitler am 5. Juni 1940, alle flämischen Soldaten freizulassen, während die frankophonen häufig bis zum Ende des Kriegs in Gefangenschaft blieben.11 Himmler kam am 15. Juni noch einmal auf das Thema Reichskommissar zu sprechen.12 Neben Kaufmann kursierten noch weitere Namen für den Posten und auch Theodor Reismann-Grone war im Gespräch, der bereits um die Jahrhundertwende als Mitglied des Alldeutschen Verbandes die deutsch-flämische Zeitung »Germania« finanziert hatte. Während des Ersten Weltkriegs versuchte er Einfluss auf die Flamenpolitik zu nehmen, ohne allerdings eine offizielle Position in der Besatzungsverwaltung zu bekleiden. Er war 1933 erster national­ sozialistischer Bürgermeister Essens geworden, hatte diesen Posten aber 1937 wegen eines Steuerskandals verloren. Nun hoffte der 72-jährige auf ein politisches Comeback in Belgien.13 Am 20. Juni 1940 schickte er eine Denkschrift über die »Neuordnung in Holland und Belgien« an Hitler, in der er sich eher abfällig über die Flamen äußerte. Unter denen befänden sich »50 % gleichgültige Spießer, 30 % Katholisch-Konservative, 10 % Marxisten, 10 % höchstens völkische 8 Goebbels, Tagebucheintrag vom 31. Mai 1940. 9 Eintragungen vom 25. Mai und 26. Mai 1940, in: Himmler, S. 261, 276; Wagner, S. 156–158. 10 Wilhelm Stuckart, Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. 14. Juni 1940, zitiert nach: Schöttler, Generalplan, S. 93, 120 f. 11 Warmbrunn, S. 186 f.; Wagner, S. 160–162; Ende 1944 fanden sich nach deutscher Schätzung noch ca. 70.000 Wallonen in Kriegsgefangenschaft. Aufzeichnung des Gesandten Krug von Nidda, Vorlage einer Notiz für den Führer über die Bildung von flämisch-wallonischen Befreiungskomitees, 18. November 1944, ADAP, E, 8, S. 559. 12 Eintragung vom 15. Juni 1940 in: Himmler, S. 276. 13 Frech, S. 367–372; Wagner, S. 229.

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Vlamen«. Er empfahl, wichtige Ämter zunächst mit Deutschen zu besetzen, den Katholizismus aus taktischen Gründen zu schonen und mit der Einführung des Nationalsozialismus zu warten.14 Letztlich wurde nichts aus dem Posten für Reismann-Grone, obwohl in den folgenden Jahren die Ablösung der Militärverwaltung immer wieder thematisiert wurde. Erst im Juli 1944 – kurz vor der Befreiung Belgiens im September 1944 – wurde der Gauleiter von Köln-Aachen Josef Grohé als Reichskommissar für Belgien und Nordfrankreich eingesetzt. Dass die offensichtlich von Anfang an geplante Einführung eines Reichskommissariats erst so spät erfolgte, hatte auch Folgen für die Behandlung der flämischen Nationalisten. Für die Beibehaltung der Militärverwaltung spielte möglicherweise die militärische Bedeutung Belgiens für die zweite Phase des Westfeldzugs, den Angriff auf Frankreich, eine Rolle. Entscheidend war jedoch die Anwesenheit des belgischen Königs, der anders als die Monarchen in den Niederlanden, Luxemburg und Norwegen das Land nicht verlassen hatte.15 Leopold III. hatte am 27. Mai 1940 in seiner Funktion als Oberkommandierender der belgischen Streitkräfte die Kapitulation beschlossen  – und zwar gegen den erklärten Willen Großbritanniens und Frankreichs. Er lehnte es außerdem ab, der Regierung Pierlot ins Exil zu folgen und begab sich mit seinen Truppen in Kriegsgefangenschaft. Diese Entscheidung führte zu heftigen Reaktionen und der französische Ministerpräsident Paul Reynaud bezeichnete Leopold im Radio sogar als »kriminellen König« (frz. »roi felon«).16 Auch Winston Churchill, der am 10. Mai 1940 Nachfolger Chamberlains als britischer Premierminister geworden war, fand am 4. Juni 1940 deutliche Worte. Er beschuldigte den König den linken Flügel der Alliierten ohne vorherige Rücksprache und gegen den Rat seiner Minister entblößt zu haben.17 Auch die nach Frankreich geflüchtete Regierung Pierlot kritisierte Leopolds Entscheidung scharf. In einer Rundfunkrede entband der Ministerpräsident die Soldaten am 29. Mai 1940 von ihrem Eid auf den König und verkündete, die Regierung habe nun die gesamte Exekutivgewalt übernommen.18 Er stand unter schwerem Druck. Reynaud drohte, dass sich der berechtigte Zorn der Franzosen gegen die belgischen Flüchtlinge richten könnte, falls sich die Regierung nicht deutlich vom König distanziere. In Deutschland erkannte man früh, dass die alliierten Angriffe auf den König eine propagandistische Chance waren. »In London und Paris überschüttet man den belgischen König mit Kübeln von Schmutz. Wir bringen das dem Weltpublikum gebührend zur Kenntnis«, notierte Goebbels am 30. Mai.19 Bereits am Tag der belgischen Kapitulation hatte Hitler verlauten lassen, dass Leopold den 14 Denkschrift von Dr. Reismann-Grone an Adolf Hitler über die Neuordnung in Holland und Belgien. Essen, 20. Juni 1940, in: Opitz, S. 690–694. 15 Wagner, S. 144–147. 16 Benoist-Méchin, S. 334–339. 17 Churchill, S. 84. 18 Wagner, S. 138. 19 Goebbels, Tagebucheintrag vom 30. Mai 1940.

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Entschluss, dem »weiteren Blutvergießen und der völlig zwecklosen Zerstörung seines Landes Einhalt zu gebieten«, gegen seine Regierung gefasst hatte. Letztere sei zudem hauptverantwortlich »für die über Belgien hereingebrochene Katastrophe«.20 Die Auffassung, der König habe Schlimmeres verhindert, teilten wohl die meisten Belgier und betrachteten die Angriffe auf ihn als durchsichtigen Versuch, einen Sündenbock für die militärische Katastrophe zu finden. Der von Frankreich bereits am 22. Juni 1940 unterzeichnete Waffenstillstand schien diese Wahrnehmung zu bestätigen. Leopolds Entscheidungen erschienen gerechtfertigt und vernünftig, so dass er mehr als zuvor zum Symbol der nationalen Einheit wurde. Viele erwarteten, dass er eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen würde. Wie in Frankreich wurde die militärische Niederlage als ein Beleg für die Unterlegenheit des parlamentarischen Systems angesehen. Die Flucht der Regierung bot die Chance für einen autoritären Umbau Belgiens unter dem König, dessen Sympathien für eine solche Lösung bereits vor dem Krieg bekannt waren.21 Für die Deutschen waren diese Umstände äußerst günstig, denn die Anwesenheit des Königs verlieh der deutschen Besatzung eine gewisse Legitimität. Wenn das Staatsoberhaupt die militärische Niederlage und damit die Besatzung anerkannte, gab es auch für seine Untertanen keinen Grund, sich ihr zu widersetzen. Der Bruch mit der Regierung eröffnete zudem die Möglichkeit, das Land im Sinne einer deutschen »Neuordnung Europas« umzubauen. Die Militärverwaltung tolerierte die öffentliche Verehrung für den Monarchen und unterstützte so den Eindruck, dass Belgien mit ihm an der Spitze »à la manière slovaque« einen halbwegs selbständigen Platz in einem deutsch beherrschten Europa finden könne. Dies vereinfachte die Verwaltung des Landes für die Deutschen erheblich, verpflichtete sie aber auch, die Souveränität Belgiens zumindest formal zu respektieren. Die Einsetzung eines Reichskommissars ließ sich hiermit jedenfalls nicht vereinbaren, da sie als Vorstufe einer Annexion verstanden werden musste und eine Zusammenarbeit mit dem König unmöglich gemacht hätte.22 Die deutsche Führung nahm daher eine abwartende Haltung ein. Am 14. Juli 1940 hieß es: »Der Führer hat hinsichtlich der Zukunft des belgischen Staates noch keine endgültige Entschließung getroffen. Er wünscht einstweilen jede mögliche Förderung der Flamen einschl[ießlich] Rückführung der flämischen Kriegsgefangenen in ihre Heimat. Den Wallonen sind keinerlei Vergünstigungen zu gewähren.«23

20 Bekanntmachung aus dem Führerhauptquartier vom 28. Mai 1940, in: Hitler Bd. 2,3. 21 Wouters, Führerstaat, S. 30 f. 22 Jonghe, Hitler, S. 117; ders., Strijd I, S. 19; Struye, Sentiment, S. 20; Kwiet, Reichskommissariat, S. 61 f. 23 Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Keitel an den Oberbefehlshaber des Heeres Brauchitsch am 14. Juli 1940, in: ADAP, D, 10, S. 174.

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Die Entscheidung über die Zukunft Belgiens war also aufgeschoben worden, obwohl aus den bekannten Planungen, ebenso wie aus Hitlers Bemerkungen zur Behandlung von Flamen und Wallonen, deutlich hervorgeht, dass dies nicht den Verzicht auf eine »Volkstumspolitik« bedeutete. Verantwortlich für die abwartende Haltung waren neben der Anwesenheit des Königs die besonderen politischen Umstände nach der französischen Niederlage im Sommer 1940.

a) Die Organisation der deutschen Besatzungsverwaltung Das Territorium des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich umfasste das Staatsgebiet des Königreichs Belgien, die beiden nordfranzösischen Departements »Nord« und »Pas-de-Calais« sowie zunächst das Staatsgebiet des Großherzogtums Luxemburg. Letzteres wurde am 25. Juli 1940 einer Zivil­verwaltung unter Gustav Simon, dem Gauleiter des angrenzenden Gaus »­Koblenz Trier« unterstellt, mit dem es 1941 zum Gau »Moselland« vereinigt und damit ins Deutsche Reich eingegliedert wurde. Bereits am 18. Mai 1940 waren auf »Führerbefehl« die 1919 von Belgien annektierten Gebiete Eupen, Malmedy und Kelmis (das ehemalige Neutral-Moresnet) ins Deutsche Reich eingegliedert worden.24 Dass dem Militärbefehlshaber auch zwei französische Departements unterstellt worden waren, wurde militärisch begründet, hatte aber sicherlich auch mit Plänen zu tun, die Reichsgrenze weiter nach Westen zu verschieben.25 Militärbefehlshaber Alexander von Falkenhausen war ein Neffe des letzten deutschen Generalgouverneurs während des Ersten Weltkriegs, Ludwig von Falkenhausen. Eine darüber hinausgehende Beziehung zu seinem neuen Wirkungsgebiet ist nicht bekannt.26 Er war dem Oberkommando des Heeres (OKH) unterstellt und hatte im Gegensatz zum Reichskommissar für die Niederlande, der Hitler unmittelbar unterstand, keinen direkten Draht nach Berlin. Nach dem Krieg gab Falkenhausen an, er habe Hitler nie getroffen.27 24 Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Wiedervereinigung der Gebiete von Eupen, Malmedy und Moresnet mit dem Deutschen Reich vom 18. Mai 1940, RGBl 1940 Teil 1, S. 777. 25 Umbreit weist darauf hin, dass sich das Gebiet des Militärbefehlshabers auffallend »mit den Kriegszielen, wie sie u. a. von der deutschen Schwerindustrie und der Nationalliberalen Partei während des Ersten Weltkrieges formuliert worden waren« deckte. Umbreit; Freund, S. 294–298; Schöttler, Generalplan. 26 In seinen Memoiren schrieb Falkenhausen, dass er während des Kriegs mehrere Male vom ehemaligen Staatssekretär des Äußern, Richard von Kühlmann, besucht worden sei. Dieser war eine wichtige Figur in der Frühphase der Flamenpolitik. Ob sich die Gespräche der beiden Herren auch über die Besatzungspolitik oder nur um die verbindenden Erinnerungen an die Türkei und China drehten, ist nicht klar. Falkenhausen, Memoires, S. 182. 27 Alexander von Falkenhausen, Was ich dachte und was ich tat, in: Die Zeit 18/1950 (4. Mai 1950).

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Dem Militärbefehlshaber unterstanden ein für militärische Angelegenheiten verantwortlicher Chef des Kommandostabes sowie ein Chef der Militärverwaltung, der die Zuständigkeit in zivilen Angelegenheiten hatte. Der Militärbefehlshaber vereinte also zivile und militärische Kommandogewalt, während etwa dem Reichskommissar für die Niederlande ein für die Besatzungstruppen zuständiger Wehrmachtsbefehlshaber zur Seite gestellt war, der nicht ihm, sondern dem OKW unterstand.28 An der Spitze des Kommandostabes stand Oberst Bodo von Harbou, Militärverwaltungschef wurde Eggert Reeder, Regierungspräsident in Köln und Düsseldorf und zudem SS-Mitglied. 1940 bekleidete er den Rang eines SS-Brigadeführers (entspricht einem Brigadegeneral), was im weiteren Verlauf der Besatzung von Bedeutung war.29 Mehr als Falkenhausen war Reeder die für die Besatzungspolitik prägende Figur. Die Struktur der Militärverwaltung orientierte sich am Aufbau der belgischen Behörden und betrachtete sich selbst als Aufsichtsverwaltung, die nach dem Grundsatz verfuhr, nicht zu verwalten, sondern zu regieren.30 Die bel­ gischen Ministerien wurden vom Militärverwaltungschef und seinem Stab in der Absicht kontrolliert, diese nach Möglichkeit weiterarbeiten zu lassen und nur im Notfall einzugreifen.31 Die belgischen Provinzen wurden von fünf Oberfeldkommandanturen (OFK) kontrolliert, bei denen es auch jeweils einen Kommando- und einen Verwaltungsstab gab. Hierbei war eine OFK jeweils für mehrere Provinzen zuständig, darunter gab es Feldkommandanturen (FK), Kreiskommandanturen (KK) und für die Großstädte Ortskommandanturen (OK).32 Mit dem Angriff auf die Sowjetunion wurde vor allem die Zahl der FK drastisch reduziert. Von den 14 FK im Juni 1940 bestanden am 31. Mai 1942 noch vier, die meisten waren in KK umgewandelt worden.33 Die Abnahme des Personals bedeutete, dass auf lokaler Ebene immer mehr Aufgaben nicht mehr von Deutschen, sondern von Einheimischen wahrgenommen wurden.34 Im

28 Gotovitch u. Libois, S. 133. 29 Seibel. 30 Z. B. Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr, Juni 1941, BArch, RW 36/201, S. 79–87; Hailer-Bericht, BArch, RW 36/447, S. 36. 31 Wagner, S. 181. 32 Wouters, Führerstaat, S. 16; TB MV Nr. 20 vom 15. Juni 1942, CEGESOMA AA 577/89, S. 72–74. 33 Umbreit, S. 172. Die von Umbreit abweichenden Zahlen beruhen auf eigener Zählung, siehe: TB MV Nr. 20 der Militärverwaltung vom 15. Juni 1942, CEGESOMA, AA 577/89, S. 72–74. 34 Wouters zeigt am Beispiel der belgischen Staatsbahnen, wie dieser Prozess der Zähmung der belgischen Verwaltung vor sich ging. Bis Juni 1941 gab es in fast allen wichtigeren Bahnhöfen deutsche Bahnhofschefs, die für die Kontrolle zuständig waren. Danach wurden Bahnhöfe zu Gruppen zusammengefasst, die jeweils einem Überwachungsbahnhof zugeordnet waren. Zunächst wurden für militärische Transporte deutsche Lokomotiven mit deutschen Lokomotivführern verwendet. Schrittweise wurde diese Praxis verändert, so dass bereits ab 1941 in Belgien für alle Transporte, unabhängig von ihrem Charakter, belgische Lokomotiven mit belgischem Personal eingesetzt wurden. Auch die Züge, mit denen Juden aus

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Gegensatz zum Ersten Weltkrieg sank also die Anzahl der in Belgien eingesetzten Verwaltungsbeamten mit der Dauer der Besatzung. Auch wenn die Militärverwaltung im Vergleich zu anderen deutschen Besatzungsverwaltungen viel Macht konzentrierte, existierten auch auf dem Territorium des Militärbefehlshabers zahlreiche Sonderbehörden, die diesem nur formal unterstellt waren. Dies galt vor allem für den wirtschaftlichen Bereich, in dem die Vierjahresplanbehörde und nicht die Militärverwaltung entschied – in vielen Fällen ohne Rücksicht auf besatzungspolitische Überlegungen. Auf politischem Gebiet hatte Goebbels’ Propagandaministerium einiges mitzureden. Die »Propagandaabteilung« unterstand zwar der Militärverwaltung, wurde aber aus Berlin sowohl finanziell als auch mit Fachleuten unterstützt. Diese Zusammenarbeit scheint weitgehend reibungslos verlaufen zu sein.35 Hingegen kam es zu zahlreichen Konflikten mit der SS, jener Institution, die der Militärverwaltung von Anfang an am meisten Konkurrenz machte, nicht zuletzt auf dem Gebiet der »Volkstumspolitik«. Himmler hatte bereits vor Beginn der Militärverwaltung die Einrichtung eines Reichskommissariates betrieben und setzte sich auch in der Folgezeit dafür ein. Wie in anderen Besatzungs­ gebieten versuchte die SS außerdem über den Polizeiapparat Einfluss auf die Besatzungspolitik zu nehmen, wobei insbesondere dem Versuch, einen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) einzusetzen, große Bedeutung zukam. Im Gegensatz zu allen anderen Besatzungsgebieten gelang dies im Bereich des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich erst im Juli 1944.36 Allerdings wurde in Brüssel bereits am 27. Juli 1940 eine Dienststelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (Sipo-SD) eingerichtet, die zunächst von Karl Hasselbacher und dann ab Oktober 1940 von Karl Constantin Canaris, einem Neffen des Abwehrchefs Wilhelm Canaris, geleitet wurde. Sie unterstand dem Militärverwaltungschef, empfing aber auch Weisungen des SSReichs­sicherheitshauptamts (RSHA), nach dessen Vorbild sie aufgebaut war.37 Belgien deportiert wurden, fuhren wahrscheinlich bis zur deutschen Grenze mit belgischem Personal. Wouters, Jacht, S. 565–568. 35 Warum De Bens von einem »Machtkampf« zwischen Propagandaministerium und Militärverwaltung schreibt, ist auf Grundlage der von ihr genannten Informationen nicht nachvollziehbar und basiert vor allem auf Nachkriegsaussagen. Goebbels kritisierte Falkenhausen, äußerte sich aber über Reeder positiv. Bens, S. 75–78; Goebbels, Tagebucheintrag vom 14. November 1941. 36 Zu den Versuchen einen HSSPF in Belgien zu installieren ausführlich die fünf zwischen 1974 und 1984 erschienenen Artikel De Jonghes: Jonghe, De strijd Himmler-Reeder I–V. 37 Die Dienststelle Brüssel unterstand gemeinsam mit der Dienststelle Paris, die von Helmut Knochen geleitet wurde, dem Beauftragten des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Max Thomas. Nachdem Kollaborateure mit Wissen des RSHA Anschläge auf Pariser Synagogen unternommen hatten, wurde Thomas versetzt und seine Stelle nicht wieder neu besetzt, so dass die Dienststellen in Paris und Brüssel nun direkt dem RSHA unterstanden. Canaris wurde im Oktober 1941 gegen Ernst Ehlers ausgetauscht. De Jonghe vermutet, weil er zu gut mit der Militärverwaltung zusammenarbeitete. Jonghe, Strijd I, S. 24–34, 54–56; Wildt, S. 522 f.; Majerus, Occupations, S. 174 f.

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Bereits am 20. September 1940 wurde in Fort Breendonk ein »Auffanglager« eingerichtet, das von der Abteilung IV »Gestapo« der Dienststelle Sipo-SD betrieben wurde und wegen der brutalen Behandlung der Häftlinge als »Hölle von Breendonk« bekannt wurde. Ab dem 4. Februar 1941 durfte Sipo-SD selbständig Verhaftungen vornehmen, allerdings mussten »Sicherheitshaftbefehle« – im Unterschied zu den in Deutschland üblichen »Schutzhaftbefehlen«  – von der Militärverwaltung bestätigt werden.38 Ab dem 1. April 1942 war dann Richard Jungclaus als Beauftragter Himmlers für Volkstumsfragen in Belgien eine Art HSSPF im Wartestand. Der SS gelang es vor allem über die Organisierung flämischer Kollaborateure, entscheidenden Einfluss auf die Besatzungspolitik zu gewinnen.

b) Als die Zukunft deutsch war – Der Sommer 1940 Ende Juni 1940 hatte Deutschland in einem erstaunlichen Blitzkrieg Belgien, Luxem­burg und die Niederlande besetzt, die französische Armee besiegt und das britische Expeditionskorps vom Kontinent gejagt. Einen derartigen Sieg über die Gegner von 1914/18 hatten wohl nicht einmal deutsche Optimisten für möglich gehalten. Nun schien es, als ob sich nichts und niemand mehr einer deutschen Hegemonie in Europa widersetzen könne. Die militärische Niederlage Frankreichs ging mit einem moralischen Zusammenbruch einher. Und für viele Belgier hatte die Enttäuschung über die »Grande Nation« auch einen ganz persönlichen Aspekt. Zwischen anderthalb und zwei Millionen Belgier – etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung – waren vor den einmarschierenden Deutschen geflohen.39 Die Erinnerung an 1914 war noch frisch und die Angst vor deutschen Massakern saß tief. Die meisten Flüchtlinge begaben sich nach Frankreich, wo viele hilfsbereit und freundlich aufgenommen wurden. Doch spätestens nach der belgischen Kapitulation am 28. Mai 1940 schlug die Stimmung um und es begann eine regelrechte Hetze gegen belgische »Verräter«.40 Diese Entfremdung zwischen Franzosen und Belgiern konnten die Deutschen propagandistisch ausnutzen. Gleichzeitig präsentierten sie sich als milde und großzügige Sieger. Viele belgische Flüchtlinge wurden im Juni 1940 von der Wehrmacht nach Hause gebracht und waren zuvor von den mobilen Suppen­ küchen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) verpflegt worden.41 Wie wirkungsvoll diese Charmeoffensive war, zeigen die mitunter außerordent38 Jonghe, Strijd I, S. 43. 39 In einem späteren Bericht wurde sogar von 2,5 Millionen Flüchtlingen geschrieben. Hailer, Organisation, S. 30. 40 Bonnefous, S. 190. 41 Jacquemyns, Land, S. 47.

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lich positiven Berichte über deutsche Soldaten. Viele Belgier beschrieben sie als jung, freundlich und diszipliniert. Ein Bild, das umso strahlender war, weil es sich so positiv von jenem der blutrünstigen Horden des deutschen Kaiserreichs abhob, das seit 1914 vorgeherrscht hatte.42 Zwei belgische Journalisten, die bereits während des Ersten Weltkriegs ihre täglichen Eindrücke von der deutschen Besatzung niedergeschrieben hatten, stellten diesen Kontrast im Mai  1940 fest. Sie fragten sich verwundert, ob es möglich sei, dass sich die deutschen Soldaten seit 1914 derartig geändert hätten und sich das Nazi-Regime so viel milder als das Kaiserreich zeige.43 Noch im Mai 1941 – als die Stimmung des Sommers 1940 längst verflogen war – hob ein belgischer Bericht hervor, dass viele Belgier der Ansicht seien, die deutschen Soldaten unterschieden sich positiv von Briten und Franzosen. Letztere beschuldigte man, bei ihrem Rückzug eine Spur der Verwüstung hinterlassen zu haben.44 In den ersten Monaten der Besatzung schien Deutschland das Modell der Zukunft zu sein und viele Belgier waren bereit sich damit abzufinden. Ein Beleg hierfür ist die im Vergleich zu anderen Besatzungsgebieten hohe Zahl von Freiwilligen, die sich für einen Arbeitseinsatz in Deutschland meldeten. Hatten sich im Ersten Weltkrieg bis zum Beginn der Zwangsarbeit im Oktober  1916 lediglich 30.000 Belgier gemeldet, wurde am 1. Mai 1941 bereits der 150.000ste Vertrag für einen Einsatz im Reich unterzeichnet.45

42 Allerdings kam es auch im Mai 1940 zu Massakern in Belgien und Nordfrankreich, die an die Ereignisse des August 1914 denken lassen. In Belgien wurden im Örtchen Vinkt 86 Zivilisten von Soldaten der 225. Infanteriedivision erschossen. In den französischen Orten Oignies und Courrières wurden 114 Einwohner von Angehörigen der 267. Infanteriedivision erschossen und die SS-Totenkopfdivision unter Kommando des berüchtigten Theodor Eicke tötete in mehreren Orten Zivilisten. Im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg waren diese Massaker jedoch eher begrenzt und nicht typisch für die deutsche Kriegsführung. Lieb, S. 15–20; Leleu, S. 821–840. 43 »L’Allemand [sic] de 1914 aurait-il changé à ce point et se pourrait-il que le régime nazi se montrât plus accomodant et plus doux que celui de l’Allemagne impériale?« Delandsheere u. Ooms Bd. 1, S. 38; Auch Leopold III. wies in einem Gespräch mit Hitler auf diesen Unterschied hin. Hitler nutzte die Gelegenheit, um zu bemerken, dass die deutsche Besetzung Belgiens »unendlich viel besser« als die alliierte des Rheinlands sei. Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Führer und König Leopold von Belgien am 19. November auf dem Berghof, Berlin, 21. November 1940, ADAP, D, 9, S. 516. 44 »[…] on admet unanimement qu’ils [die Besatzungstruppen] restent fort en deçà de ce que l’on peut normalement redouter du contact d’une armée en campagne avec une population étrangère. On établit parfois (à tort ou à raison) une contraste, flatteur pour les Allemands, entre leur attitude vis-à-vis de la population et les excès des troupes françaises et surtout britanniques qui ont souvent laissé de fâcheux souvenirs de leur passage en mai 1940. Il n’est même pas rare d’entendre reconnaître qu’aucune armée au monde n’aurait pu occuper notre pays avec autant d’ordre, de discipline et de correction, et avec aussi peu d’incidents que les troupes du Troisième Reich.« Struye, Sentiment, S. 70, ähnliche Aussagen auf S. 81. 45 TB MV Nr. 16 für den Monat April 1941, CEGESOMA, AA 577/86, S. 5; Hinz, S. 979.

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Dieses vergleichsweise positive Verhältnis galt selbstverständlich nicht für diejenigen, die als Feinde des Nationalsozialismus betrachtet wurden. Bereits am 28. Oktober 1940 wurden erste Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung ergriffen. Die »Judenverordnung« führte eine Definition in Anlehnung an die Nürnberger Gesetze ein. Aus Belgien geflüchtete Juden durften nicht zurückkehren,46 diejenigen, die in Belgien geblieben waren, mussten sich in ihren Wohnorten in ein »Judenregister« einschreiben lassen. Firmen jüdischer Eigentümer mussten als jüdisch registriert und Gaststätten und Hotels mit der Aufschrift »Jüdisches Unternehmen« (ndl. »Joodse onderneming«, frz. »entreprise juive«) gekennzeichnet werden. Juden wurde die Ausübung öffentlicher Ämter verboten, sie durften weder Rechtsanwälte noch Lehrer sein und auch nicht als Geschäftsführer oder Redakteure in der Presse arbeiten.47 Alle diese Maßnahmen bedeuteten einen Eingriff in die belgische Staatlichkeit und einen Verstoß gegen die Verfassung. Die belgischen Behörden protestierten, aber der Masse der Bevölkerung schien die Diskriminierung der Juden, bei denen es sich zudem meist um Ausländer handelte, gleichgültig zu sein.48 Dass es im Herbst 1940 zu einer »gewissen Versteifung« gegenüber der Besatzungsmacht kam, wie Militärverwaltungschef Reeder es nannte, hatte vor allem ökonomische und militärische Gründe.49 Die Niederlage im Luftkampf um Großbritannien machte ein baldiges Ende des Kriegs unwahrscheinlich und kratzte am Image der deutschen Unbesiegbarkeit. Entscheidender war jedoch die drastische Verschlechterung der Versorgungslage. Im Gegensatz zu 1914/18, als die Commission for Relief in Belgium große Teile der Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt hatte, war das Land von Importen aus Deutschland abhängig. Zugleich begann eine Ausplünderung belgischer Ressourcen in großem Stil. Eine Folge war, dass große Teile der Bevölkerung an Unterernährung und ihren Folgen litten.50 Der Hunger traf vor allem die Armen und verschlechterte die Stimmung. Er diente jedoch auch der Kontrolle der Bevölkerung, weshalb die

46 Durch die Massenflucht nach Frankreich hatte sich die Zahl der in Belgien wohnenden Juden drastisch verringert. Die Militärverwaltung hatte auch aktiv 8.000 Juden nach Frankreich abgeschoben, in der Mehrzahl Juden, die aus Deutschland nach Belgien geflohen waren. Hilberg, S. 631–641; Debruyne, S. 210–212. 47 Bereits am 23. Oktober 1940 war mit einer »Verordnung zur Vermeidung der Tierquälerei beim Schlachten« das rituelle Schächten verboten worden. Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich vom 25. Oktober und vom 5. November 1940. 48 »Si la masse est demeurée indifférente aux ordonnances contre les Juifs, à la mise à la retraite des fonctionnaires de plus de 60 ans, et à la suspension des conseils communaux, beaucoup d’intellectuels, au contraire, ont vu dans ces mesure de véritables actes d’annexion, ne pouvant s’explique que par la volonté de traiter la Belgique en pays conquis et de lui enlever toute autonomie véritable.« Struye, Sentiment, S. 74; Zur Reaktion auf die »Judenverordnung«: Wijngaert, S. 130–132; Seberechts, Overheden, S. 293–304; Happe, S. 440 f. 49 TB MV Nr. 8 vom 3. September 1940, CEGESOMA AA 577/78, S. 2. 50 Jacquemyns, Société.

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Militärverwaltung ein neues amerikanisches Hilfswerk ablehnte.51 Lakonisch resümierte der Militärverwaltungschef diese Zwangslage: »Aus der Unselbständigkeit Belgiens in seiner Ernährungslage ergibt sich seine Abhängigkeit vom Reich und der Wille, Deutschland seine Arbeits- und Wirtschaftsleistung in einem Umfange zur Verfügung zu stellen, in dem das Reich direkt oder mittelbar zur Ernährung der Bevölkerung beiträgt.«52

Der Eindruck, dass Deutschland den Krieg gewonnen habe, sowie die Abhängigkeit vom Import deutscher Lebensmittel waren wichtige Unterschiede im Vergleich zum Ersten Weltkrieg – doch beides traf auch auf andere Besatzungsgebiete zu. Den belgischen Fall besonders machte die Anwesenheit des Königs und der Bruch zwischen ihm und der demokratischen Regierung. Beides schien die Integration Belgiens in ein von Deutschland dominiertes Europa zu begünstigen. Ein Unterschied zu den anderen Besatzungsgebieten Westeuropas war außerdem die kaum zwanzig Jahre alte Erfahrung mit einer deutschen Besatzung. Insbesondere die importierte Nation prägte die Erwartungen, und zwar sowohl bei den flämischen Nationalisten als auch in der belgischen Verwaltung.

51 Im Januar 1941 war bereits eine US-amerikanische Kommission in Belgien gewesen, um ein solches zu planen. TB MV Nr. 13 vom 2. Februar 1941, CEGESOMA, AA 577/83, S. 22–23. 52 TB MV Nr. 16 vom 9. Mai 1941, CEGESOMA, AA 577/86, S. A 12.

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5. Aus Fehlern lernen – Der Erste Weltkrieg als Erfahrungshintergrund für Militärverwaltung und belgische Behörden

Dass der Militärbefehlshaber nicht von einem Reichskommissar abgelöst wurde, war den besonderen Umständen im Sommer 1940 geschuldet und verhinderte wahrscheinlich eine stärker an volkstumspolitischen Grundsätzen ausgerichtete Besatzung. Die Politik der Militärverwaltung darf daher nicht mit den Absichten der NS-Führung verwechselt werden. Doch unter den Bedingungen des Sommers 1940 entsprachen die Planungen der Wehrmacht Hitlers Entscheidung, die Zukunft des belgischen Staates vorerst offen zu lassen.1 Anders als von den flämischen Nationalisten erwartet, knüpften die Deutschen nicht an die Nation-Building-Politik des Ersten Weltkriegs an. Reeder wollte den belgischen Staat nicht beseitigen, sondern im Gegenteil möglichst viele Aufgaben bei den einheimischen Behörden belassen. Die Militärverwaltung sollte »nicht eine verwaltende, sondern eine regierende Tätigkeit« ausüben.2 Reeder war der Meinung, dass die im Rahmen der Flamenpolitik 1917 ein­ geführte Verwaltungstrennung zwischen Flandern und Wallonien »die Schlagkraft und die Autorität des Generalgouverneurs in Belgien sehr zur Freude der deutschfeindlichen Elemente« geschwächt und »die Durchführung der kriegswichtigen Gegenwartsaufgaben« behindert habe.3 Neben den Fehlern des Ersten Weltkriegs bezog Reeder auch die Erfahrungen mit der alliierten Besatzung des Rheinlands in seine Überlegungen ein und lehnte deshalb Forderungen nach einer »härteren Gangart« ab. Belgier und Franzosen hätten sich in den 1920er Jahren durch eine kleinliche und schikanöse Behandlung der rheinischen Bevölkerung jegliche Sympathie verscherzt. Die Militärverwaltung dürfe nicht denselben Fehler machen.4 Vor allem müsse man »›Vainqueur‹-Allüren«, wie sie die Alliierten im Rheinland an den Tag gelegt hätten, vermeiden.5 Dem Ziel der Militärverwaltung, so wenig eigenes Personal wie möglich einzusetzen, kam die Absicht der belgischen Verwaltung entgegen, möglichst we1 Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Keitel an den Oberbefehlshaber des Heeres Brauchitsch am 14. Juli 1940, ADAP, D, 10, S. 174; Kriegstagebuch des Oberquartiermeisters der Heeresgruppe B. Eintrag vom 19. Oktober 1939, in: Kwiet, Vorbereitung, S. 132. 2 TB MV Nr. 7 vom 4. August 1940, CEGESOMA, AA 577/77, S. 28 (Hervorhebung im Original). 3 Ebd., S. 10 und 37. 4 TB MV Nr. 8 vom 3. September 1940 CEGESOMA, AA 577/78, S. 12 f. 5 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr (geheim), BArch, RW 36/201, S. 16.

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nige Kompetenzen an die Besatzungsmacht abzugeben. Bereits vor dem Krieg waren Regelungen verabschiedet worden, die eine Übernahme der Verwaltung durch die Besatzungsmacht verhindern sollten, wie sie 1917 nach der Verwaltungstrennung und dem Streik der belgischen Beamten erfolgt war.6 Im März 1935 wurde ein Gesetz erlassen, das staatliche Funktionsträger unter Strafandrohung verpflichtete, im Kriegsfall auf ihren Posten zu bleiben. Mit Königlichem Beschluss vom 17. März 1936 erhielten alle öffentlichen Amtsträger ein Ziviles Mobilisierungshandbuch (ndl. »Burgerlijk Mobilisatieboekje«; frz. »Carnet de Mobilisation Civile«), das Richtlinien über die Zusammenarbeit mit einer Besatzungsmacht enthielt. Die Arbeit musste fortgesetzt werden, solange sich dies mit den Pflichten eines belgischen Beamten vereinbaren ließ.7 Unmittelbar nach Beginn des deutschen Angriffs wurde am 10. Mai 1940 das Gesetz über Vollmachtsübertragung im Kriegsfall verabschiedet (ndl. »wet betreffende overdracht van bevoegdheid in oorlogstijd«; frz. »loi rélatif aux délégations de pouvoirs en temps de guerre«). Es sah vor, dass Beamte die Befugnisse ihrer Vorgesetzten übernahmen, wenn der Kontakt zu diesen abgerissen war.8 Diese mit den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs begründete Regelung wurde sehr bald relevant, da die belgische Regierung bereits am 16. Mai 1940 gezwungen war, Brüssel zu verlassen. Die Amtsgewalt der Minister wurde nun auf die höchsten Beamten in den Ministerien, die Generalsekretäre (ndl. »Secre­ tarissen-Generaal«; frz. »Sécrétaires Généraux«),9 übertragen. Das Komitee der Generalsekretäre entwickelte sich in der Folge zum höchsten belgischen Verwaltungsorgan, das sehr bald nicht nur exekutiv tätig wurde, sondern auch legislative Entscheidungen traf. Trotz der gesetzlichen Regelung bestand über den Umfang seiner Kompetenzen zunächst große Unklarheit, so dass die Generalsekretäre diesen über Rechtsgutachten zu klären versuchten. Da auch die belgische Gerichtsbarkeit unter der Besatzung weiter arbeitete, war eine juristische Kontrolle ihrer Arbeit gegeben.10 In eine ähnliche Richtung wie die administrative Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht wies auch die Entscheidung, die Industrieproduktion des Landes aufrechtzuerhalten. Dies sollte Schäden, wie sie durch Demontagen und Abschalten von Anlagen während des Ersten Weltkriegs angerichtet worden waren, verhindern. Diese Politik wurde nach dem Präsidenten der Société Générale, der größten Industrieholding des Landes, Galopin-Doktrin genannt. 6 Wijngaert, S. 2; Jean Servais, einer der bedeutendsten Juristen des Landes, brachte 1933 ein entsprechendes Gesetz ein. Er war mit der Materie vertraut, da er eine wichtige Rolle bei der juristischen Verfolgung der Kollaboration nach dem Ersten Weltkrieg gespielt hatte. Servais war Mitglied des Gesetzgebungsrats (ndl. »Raad van Wetgeving«; frz. »Conseil de législation«), eines Expertengremiums des Justizministeriums, das auch während der Besatzung eine wichtige Rolle bei der Beratung der belgischen Verwaltung spielte. Doorslaer, S. 1070. 7 Jacquemyns, Land, S. 28; Wijngaert, S. 5. 8 Wijngaert, S. 3; Parlementaire Stukken 1939–1940, Nr. 245. 9 Entspricht dem deutschen Staatssekretär. 10 Wouters, Führerstaat, S. 19–21.

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Alexandre Galopin saß einer Gruppe führender Unternehmer vor, welche die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht koordinierte.11 Ob als Galopin-Doktrin, Politik des geringeren Übels12 oder Präsenzpolitik13, der Grundsatz, an dem sich das Verhalten von Behörden und Industrie orientierte, war, so viele Zuständigkeiten wie möglich in belgischen Händen zu behalten und dafür notfalls der Besatzungsmacht weit entgegenzukommen. Die Generalsekretäre erwarteten, dass die Besatzungsverwaltung zu einer zweiten Flamenpolitik übergehen würde. Sowohl der Vorsitzende des Komitees, Alexandre Delmer, als auch der Generalsekretär des Innern, Jean Vossen, wandten sich unmittelbar vor der Flucht der Regierung an ihre Vorgesetzten, um Anweisungen in der Sprachenfrage zu erhalten. Beide erhielten die Order, nicht an einer Änderung der Sprachenverhältnisse mitzuwirken. Dass Vossen bereits am 25. Mai 1940 eine strikte Anwendung der Sprachengesetze anmahnte, zeigt, wie sehr das Thema die Beamten beschäftigte.14 Am 5. Juni 1940 fand eine erste Besprechung der Generalsekretäre mit dem neu ernannten Militärverwaltungschef statt. Reeder erklärte, dass man der belgischen Verwaltung eine große Autonomie zugestehen und zudem keine Forderungen an sie stellen wolle, die ihre nationalen Gefühle verletzten. Dies geschehe in der Hoffnung, so die Zusammenarbeit zu vereinfachen.15 Reeder war positiv überrascht, als die Generalsekretäre am 12. Juni 1940 verkündeten, im Rahmen der Haager Konvention erlassene deutsche Verordnungen wie belgische Gesetze auszuführen. Sie beschlossen außerdem, innerhalb ihrer Ressorts Entschlüsse mit Gesetzescharakter zu treffen. Für den Fall, dass mehrere Ministerien betroffen waren, sollte ein gemeinsamer Beschluss gefasst werden.16 Die General­ sekretäre interpretierten ihre Befugnisse also von Anfang an sehr weitgehend, was von der Militärverwaltung unterstützt wurde. Die Besatzungsbehörden machten den Generalsekretären »Vorschläge«, hinter denen jeweils die Drohung stand, diese notfalls selbst durchzuführen. In den ersten Monaten war Zwang allerdings kaum nötig. Reeder schrieb, er habe den Eindruck, die Generalsekretäre seien froh, »unbeeinflusst durch parlamentarisch-demokratische Hemmungen den Wiederaufbau des Landes in die Wege leiten zu können«.17 11 Darüber ob die Industriellen im Auftrag der Regierung handelten oder ob sie deren Anweisungen zu weitgehend im Sinne einer ökonomischen Kollaboration auslegten, gab es nach dem Krieg scharfe Auseinandersetzungen. Luyten, »Opdracht«, S. 163–173. 12 Ndl. »De politiek van het minste kwaad«; frz. »La politique du moindre mal«. 13 Ndl. »aanwezigheidspolitiek«; frz. »La politique de présence«. 14 Der Generalsekretär für Öffentliche Arbeiten Delmer an den belgischen Premierminister Pierlot. Brüssel, 15. Mai 1940, CEGESOMA, AA 43/53, S. 1; Der belgische Premierminister Pierlot an den Generalsekretär für Öffentliche Arbeiten Delmer. Brüssel, 15. Mai 1940, CEGESOMA, AA 43/53, S. 2 f.; Wijngaert, S. 10–13. 15 Wijngaert, S. 28. 16 Ebd., S. 30 f. 17 TB MV Nr. 5 der Militärverwaltung vom 7. Juli 1940, CEGESOMA, AA 577/75, S. 7 f.; Begeisterung für die Möglichkeiten, die sich der Exekutive unter deutscher Besatzung boten, gab es auch in anderen Ländern. Eines der bekanntesten ist wohl das von Jacob Lentz, der

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a) Deutschland und die flämischen Nationalisten im Zweiten Weltkrieg Reeders Absicht, sich auf die belgische Verwaltung zu stützen, war durch die entgegenkommende Haltung der Generalsekretäre bestärkt worden. Eine Maßnahme wie die im Rahmen der Flamenpolitik des Ersten Weltkrieges durchgeführte Verwaltungstrennung hätte diese Politik gefährdet und kam daher für ihn nicht in Frage. Das bedeutet nicht, dass er die Flamenpolitik insgesamt für falsch gehalten hätte. Vielmehr lehnte auch er den belgischen Staat aus ideologischen Gründen ab und schrieb sogar, die Idee einer belgischen Nation verletze sein »völkisches Empfinden«. Dennoch akzeptierte er, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung sich als Belgier betrachtete. Dies zu ändern war Aufgabe der »Volkstumspolitik«, die den »belgischen Raum« zu deutschem »Vorland« machen sollte.18 Reeder betrachtete die Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs also vor allem aus militärischer und wirtschaftlicher Sicht als kontraproduktiv, teilte aber viele ihrer ideologischen Prämissen. Er war der Ansicht, dass man sowohl aus den Fehlern wie aus den Erfolgen der Besatzungspolitik des Ersten Weltkriegs lernen müsse.19 Die Volkstumspolitik sollte weder die Verwaltung des Landes noch seine kriegswirtschaftliche Ausbeutung erschweren, sondern diese erleichtern. Diesem Grundsatz folgend, stützte sich die Besatzungsverwaltung schon früh auf die flämischen Nationalisten, deren Förderung Hitler zudem explizit befohlen hatte. Flämische Nationalisten wurden in die bestehenden staatlichen Strukturen eingebunden und auch bei der Schaffung neuer Institutionen bevorzugt. Daneben gab es einige kulturpolitische Initiativen. Nach zwei Monaten Besatzung skizzierte der Generalreferent des Militärverwaltungschefs, Franz Thedieck, erstmals die Flamenpolitik der Militärverwaltung. Thedieck war bereits vor dem Krieg ein enger Mitarbeiter Reeders gewesen und hatte in den 1920er Jahren als Leiter der Kölner »Abwehrnebenstelle« für das preußische Innenministerium den Kampf gegen den rheinischen Separatismus organisiert. Es handelte sich also um einen erfahrenen Beamten, die Gelegenheit nutzte, die niederländischen Identitätskarten so zu verbessern, dass sie das deutsche System an Fälschungssicherheit übertrafen. Moore, S. 235–240. 18 In einem Schreiben an den Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Militärbefehlshaber in Belgien, Werner von Bargen, schrieb er, dass, »völkisch gesehen der Begriff eines belgischen Volkes eine Fiktion« sei. Er gab jedoch zu, dass »eine große Mehrheit der Staatsbürger, nicht nur in Wallonien, sondern auch in Flandern sich als Belgier fühlt«. Dies gelte insbesondere für die Brüsseler, die er als »sogenannte dritte Volksgruppe« bezeichnete. Der Militärverwaltungschef in Belgien Reeder an den Beauftragten des Auswärtigen Amts beim Militärbefehlshaber in Belgien Bargen. Brüssel, 29. April 1942, BArch, NS 19/1541, S. 22–33; Jonghe, Hitler, S. 23 und 60. 19 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr (geheim), BArch, RW 36/201, S. 15.

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der zudem aus der völkischen Bewegung stammte.20 Das Papier, das gemeinsam mit den Historikern Franz Petri und Werner Reese erarbeitet worden war, beurteilte die Flamen ganz im Duktus der Westforschung als »ein dem Deutschen sehr nahestehendes Grenzvolkstum mit urgesunden völkischen Energien und Instinkten«. Dieses sei allerdings nicht in der Lage, Belgien ohne deutsche Hilfe von einer »französischen Ostmark« in eine »germanisch-deutsche Westmark« zu verwandeln. Trotz der Zurückhaltung in Volkstumsfragen war dies das erklärte Ziel der Militärverwaltung.21 Sowohl der VNV als auch der Verdinaso wurden skeptisch beurteilt, also jene flämischen faschistischen Gruppen, die in den 1930er Jahren die größte Aufmerksamkeit deutscher Behörden auf sich gezogen hatten. Der Verdinaso habe mit der 1934 verkündeten neuen Marschrichtung das »völkische Großniederländertum durch ein etatistisches Prinzip« ersetzt. Nach dem Tod seines Führers Van Severen, der im Mai 1940 ermordet worden war, sei er nun nichts weiter als eine Splittergruppe.22 Dem VNV wurde bescheinigt, über eine »äußere Nachahmung deutscher Vorbilder« kaum hinausgekommen zu sein. Seine »Übernahme nationalsozialistischer Ideologie« sei nur äußerlich. Dennoch sei der VNV, angesichts der »hoffnungslosen Zerspaltenheit in den übrigen nationalistischen Gruppen«, nicht zu ersetzen. Wenn man ein Gegengewicht zur belgischen Verwaltung aufbauen wolle, könne man nicht auf die Mitwirkung dieser »einzigen aktionsfähigen nationalen Gruppe verzichten«, die sich zudem »auch gewisse Verdienste« durch die Zusammenarbeit mit der Abwehr erworben habe.23 Die Kooperation mit den flämischen Nationalisten war also vor allem pragmatisch motiviert, während zugleich ideologische Vorbehalte bestanden, die ja bereits in den 1930er Jahren deutlich geworden waren. Kritisiert wurde das Festhalten des VNV an großniederländischer »völkisch-dietscher Sonderart«. Bei den flämischen Nationalisten bestünde eine »ausgesprochene Scheu«, öffentlich vom »Verhältnis zu Deutschland oder auch nur von einer gemeingermanischen Wurzel« zu sprechen. Nur wenige fänden den Mut, »ohne Rücksicht auf eine selbständige flämische Zukunft um der gemeinsamen germanischen Aufgabe willen eine weitestgehende Zusammenarbeit mit Deutschland als unbedingt notwendig zu erstreben«. Das Endziel eines großgermanischen Reichs stand also auch für die Militärverwaltung fest. Eine »Neuausrichtung in germanisch-völkischem Sinne« erhoffte sich der Autor u. a. von kulturpolitischen Maßnahmen.24 20 Zur Person Thediecks, der in der BRD Staatssekretär und Intendant des Deutschlandfunks wurde. Brüll, Thedieck. »Zeitgenosse des Jahrhunderts«; ders., Reichsbeauftragten; Ders., Thedieck und das Verhältnis; Petri, Thedieck (Petri war Referent für Volkstum unter Thedieck); Wever, Thedieck. 21 Franz Thedieck, Bericht zur Flamenfrage vom 31. Juli 1940, PA AA R 101301, S. 3 und 26 (unpaginiert, Seitenzahl des Dokuments); Zum Dokument Wever, Greep, S. 362–364; Jonghe, Personeelspolitiek, S. 6. 22 Ebd., S. 6 und 16. 23 Ebd., S. 6 und 14 f. 24 Ebd., S. 23 und 29.

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Abb. 12: August Borms (rechts) spielte auch im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle für die flämische Kollaboration. Hier bei der Yserwallfahrt 1941, neben dem Vorsitzenden des Yserwallfahrtskomitees, Frans Daels.

Eine Gruppe, von der man Unterstützung für eine solche »Neuausrichtung« erwartete, waren die ehemaligen als »Deutschfreunde bewährten Aktivisten« des Ersten Weltkriegs. Sie sollten helfen, den »Kreis der mitarbeitenden Gruppen allmählich auszubauen und zu verlagern«. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, sei es »von wesentlicher Bedeutung, dass das den Aktivisten der Weltkriegszeit nach 1918 wegen ihrer Zusammenarbeit mit Deutschland durch den belgischen Staat zugefügte Unrecht beseitigt werde«. Als konkrete Schritte wurden die Wiedereinsetzung Reimond Speleers als Professor in Gent genannt sowie die Verabschiedung einer Amnestie für die ehemaligen Aktivisten.25 Am 6. September 1940 wurde August Borms zum Vorsitzenden einer Wiedergutmachungskommission ernannt. Die Flamenpolitik der Militärverwaltung knüpfte also, was die Alt-Aktivisten betraf, an die Flamenpolitik des kaiserlichen Generalgouvernements an. Ansonsten wurde sie jedoch sowohl unter anderen Bedingungen als auch mit anderen Zielsetzungen geführt. Erstens waren die Eliten des Landes zu einer weitgehenden Zusammenarbeit bereit; zweitens gab es im Gegensatz zu 1914 flämische Nationalisten, die von der Besatzungsmacht die Realisierung ihrer politischen Ziele erhofften und noch dazu über eine Flandern und Brüssel abdeckende Organisation verfügten. Zwar waren die großniederländischen Ambitionen des VNV mit den deutschen Kriegszielen unvereinbar, doch solange das 25 Ebd., S. 18 f., 25–27.

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endgültige Schicksal Belgiens in der Schwebe gelassen wurde, konnte man sich der flämischen Nationalisten als eines willkommenen Werkzeugs bedienen. Die Militärverwaltung war jedoch nicht bereit, dem VNV die politische Bühne zu überlassen. Als dieser im August 1940 eine überparteiliche flämische »Volksbewegung« initiierte, wurde ein Versammlungsverbot erlassen. Ein Jahr später resümierte Reeder, in Belgien bestehe die Möglichkeit, »eine beachtliche uns nahestehende Minderheit eines Volkstums, das aus germanischer Blutverbundenheit und Geschichte dem Deutschtum verbunden ist, zu gewinnen […] und für uns […] arbeiten zu lassen. Die Militärverwaltung ist hierbei nicht genötigt und gewillt, dieser Minderheit eine Monopolstellung oder Generalvollmachten zuzubilligen«.26 Die Flamenpolitik der Militärverwaltung hatte also ein langfristiges und ein mittelfristiges Ziel. Langfristig sollte sie Flandern auf die Aufnahme ins Großgermanische Reich vorbereiten, mittelfristig diente sie der effizienten Verwaltung des Landes. Letzteres bedeutete einen großen Unterschied zum Ersten Weltkrieg, als die Flamenpolitik weniger durch die Notwendigkeiten des Besatzungsregimes als durch außen- und innenpolitische Überlegungen motiviert war. Die Militärverwaltung betrieb ihre Flamenpolitik hingegen unter pragmatischen besatzungspolitischen Gesichtspunkten, wobei dem VNV vor allem eine große Bedeutung für den personellen Umbau der belgischen Behörden zukam. Die abwägende Haltung der Militärverwaltung traf im Sommer 1940 auf die hochfliegenden Erwartungen der flämischen Nationalisten. Diese rechneten mit einer Fortführung der Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs und erklärten deutlich ihre Bereitschaft zu einem zweiten Aktivismus. VNV-Führer Staf De Clercq warf hierbei auch die Zusammenarbeit mit der deutschen Abwehr in die Waagschale. Noch vor der Kapitulation hatte er deutsche Agenten getroffen und war bereits am 3. Juni 1940 – noch vor den belgischen Generalsekretären – von Militärbefehlshaber Falkenhausen empfangen worden. Hierbei wies er explizit auf die Tätigkeit der flämischen Militärorganisation (MO) in der belgischen Armee hin.27 Diese Bereitschaft zur Kollaboration wurde von großen Teilen der VNV-Basis geteilt, wozu sicherlich die Empörung über Maßnahmen der belgischen Sicherheitsbehörden während des deutschen Einmarschs beitrug. In Zusammenarbeit mit den britischen und französischen Geheimdiensten waren tausende vermeintlicher und tatsächlicher Staatsfeinde festgenommen und nach Frankreich verschleppt worden. Meistens handelte es sich um »feindliche Ausländer« aus Deutschland oder von diesem besetzten Gebieten, unter ihnen viele jüdische Flüchtlinge. Doch auch verdächtige Belgier wurden verhaftet, vor allem flämische Nationalisten und Kommunisten. Neben dem Alt-Aktivisten August Borms wurden auch der Rexistenführer Léon Degrelle und der Chef des Verdinaso Joris Van Severen festgenommen, während man Staf De Clercq nach kurzer Internierung wieder frei ließ. In Frankreich ereigneten sich zahlreiche 26 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr, Juni 1941, BArch, RW 36/201, S. 19 f.; Wever, Greep, S. 364–369. 27 Wever, Greep, S. 351, 386.

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Fälle schwerer Misshandlungen, wobei ein Fall im nordfranzösischen Abbeville für besonderes Aufsehen sorgte. Am 20. Mai 1940 erschossen französische Bewacher einundzwanzig Gefangene, unter ihnen auch Van Severen. Degrelle, der ebenfalls nach Frankreich deportiert worden war, überlebte, nachdem zunächst seine Erschießung berichtet worden war.28 Die Rückkehr des von der Gefangenschaft schwer gezeichneten August Borms machte diesen einmal mehr zum Märtyrer und Symbol für das an Flandern begangene Unrecht.29 Viele flämische Nationalisten betrachteten den belgischen Staat nun mehr denn je als Todfeind und waren empört, dass die Militärverwaltung mit eben jenen Funktionseliten zusammenarbeitete, die sie für die Verschleppungen verantwortlich machten.

b) Die zweite Flamenpolitik – Der VNV als Personalreservoir Wie gezeigt, wollte die belgische Regierung Eingriffe in die staatlichen Strukturen vermeiden und war hierfür zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Dies kam der Absicht der Militärverwaltung entgegen, so wenig eigenes Personal wie möglich einzusetzen und möglichst wenig »zu verwalten, sondern auf hoher Warte stehend vorwiegend zu regieren, zu lenken und zu beraten«.30 Für diese Art der Besatzung wurde noch während des Krieges von Werner Best, der von August  1940 bis Juni  1942 Chef des Verwaltungsstabs beim Militärbefehlshaber in Frankreich war, der Begriff »Aufsichtsverwaltung« geprägt. Eine Umschreibung, die eine unpolitische, technokratische und pragmatische Besatzungsverwaltung suggerierte, im Gegensatz zu einer ideologischen »Kolonial-​Verwaltung«, wie sie Best wohl vor allem im besetzten Osteuropa sah.31 Der Begriff der »Aufsichtsverwaltung« wurde auch nach dem Krieg verwendet, nicht zuletzt, weil die alten Beamten der Militärverwaltung großen Einfluss auf die Nachkriegsforschung nahmen.32 28 Verhoeyen, »Abwehr«; Goebbels, Tagebucheintrag vom 7. Juni 1940: »Degrelle von den Franzosen in Lille erschossen. Das tut mir leid. Er war ein richtiger Nationalist und Kämpfer. Aber Kompromisse rächen sich immer, wenn manchmal auch spät. Ihm fehlte das Talent zum Letzten. Aber dieses Ende hatte er nicht verdient. Die Franzosen haben wahre Massaker an Deutschen und nationalen Belgiern vollzogen. Eine Hundsnation! Die Strafe wird nicht lange auf sich warten lassen.« 29 Falkenhausen, der Borms nach dessen Rückkehr nach Belgien empfing, schreibt, dessen zerschundenes Gesicht und seine ausgeschlagenen Zähne hätten von der Behandlung der Gefangenen in Frankreich gezeugt. Falkenhausen, Memoires, S. 120. 30 Reeder, S. 11. 31 Herbert, S. 251–258 und 279–298; Best, Grundfragen; ders., Militärverwaltung. 32 Beispielsweise von Wagner, der 1974 seine Studie mit der Frage begann, warum es »nicht zu einer Neuordnung der politischen Verhältnisse anstelle der lediglich zur Aufsicht vorgesehenen Militärverwaltung kam«. Wagner, S. 1; Zum Einfluss ehemaliger Beamter: Brüll, Thedieck. »Zeitgenosse des Jahrhunderts«.

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Diese Selbstdarstellung gilt es zu hinterfragen. Denn auch wenn weitgehende Eingriffe in die staatlichen Strukturen unterblieben, sollten die politischen Verhältnisse im Sinne einer deutschen »Neuen Ordnung« umgestaltet werden. Ein wichtiges Instrument war hierbei die Personalpolitik: Missliebige belgische Funktionäre wurden entlassen und ihre Stellen mit »deutschfreundlichen« Kandidaten besetzt. Auf der anderen Seite wurden Parallelstrukturen zu existierenden Behörden geschaffen. Für beide Konzepte spielten flämische Nationalisten eine wesentliche Rolle. Die Ernennung flämischer Nationalisten wurde durch den Umstand erleichtert, dass bei Kriegsbeginn zahlreiche Beamte ihre Posten verlassen hatten. Die Militärverwaltung ging beispielsweise davon aus, dass über ein Drittel der belgischen Bürgermeister geflohen war.33 Das hierdurch verursachte administrative Chaos demoralisierte die Bevölkerung zusätzlich und sorgte für eine weitverbreitete Wut auf die belgischen Eliten, die sich nicht auf die pflichtvergessenen Beamten beschränkte. Der Bruch zwischen dem König und der Regierung Pierlot trug ebenfalls zur negativen Stimmung gegenüber der einheimischen Verwaltung bei.34 Die belgischen Generalsekretäre beschlossen am 18. Juli 1940, Disziplinarstrafen gegen Reichsbeamte zu verhängen, die zwischen dem 10. und 30. Mai 1940 unerlaubt ihre Posten verlassen hatten. Eine Kommission untersuchte die Einzelfälle und traf eine Entscheidung über die Weiterbeschäftigung. Bis Ende 1940 wurden allein 723 Fälle geflüchteter Bürgermeister behandelt. Von diesen wurden 43 ihres Amtes enthoben, 71 mussten zurücktreten, 231 wurden zeitweise vom Dienst suspendiert und 378 freigesprochen.35 Diese Maßnahmen gingen der Militärverwaltung allerdings nicht weit genug. Zeitgleich mit dem Erlass belgischer Disziplinarregeln wurde eine »Verordnung über die Ausübung öffentlicher Tätigkeiten in Belgien« erlassen. Sie verwehrte Mitgliedern der Regierung Pierlot den Zugang zum Besatzungsgebiet und knüpfte die Rückkehr geflüchteter Beamter auf ihre Posten an die Zustimmung des Militärbefehls­ habers. Dieser behielt sich ausdrücklich das Recht vor, »auch in den durch diese Verordnung nicht erfassten Fällen bestimmten Personen die Ausübung einer öffentlichen Tätigkeit zu untersagen«.36 Die Militärverwaltung nutzte also die Stimmung im Sommer 1940 nicht nur dazu, um bei der Rückkehr von Beamten mitreden zu können, sondern verschaffte sich auch das Recht, Beamte nach Belieben aus ihren Ämtern zu entfernen. Die frei gewordenen Stellen wurden jedoch weiterhin nach den geltenden Beförderungsregeln aus dem belgischen Beamtenapparat besetzt.37

33 Hailer, Organisation, S. 36. 34 Struye, Sentiment, S. 16 und 26; Wever, Greep, S. 430. 35 Verhoeyen, België bezet, S. 50; Wijngaert, S. 40 f. 36 Verordnung über die Ausübung öffentlicher Tätigkeit in Belgien vom 18. Juli 1940, Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers für Belgien und Nordfrankreich Nr. 8 (25. Juli 1940). 37 Wouters, Führerstaat, S. 24–26.

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Dies änderte sich Anfang August  1940, als fünf mit der Regierung nach Frankreich geflohene Generalsekretäre nach Belgien zurückkehrten. Reeder stimmte zu, Emiel De Winter wieder als Generalsekretär für Landwirtschaft einzusetzen, wegen der prekären Ernährungslage, aber auch weil De Winter dem VNV nahestand.38 Den Generalsekretären für Gesundheit und Wirtschaft, Mathieu und Jean-Charles Snoy, verweigerte er hingegen seine Zustimmung, obwohl sie auf Weisung der Regierung, also nicht pflichtwidrig, nach Frankreich gegangen waren. Die Entscheidung gegen Mathieu wurde mit seiner angeblichen Ablehnung in der öffentlichen Meinung Flanderns begründet. Das Gesundheitsministerium wurde auf Vorschlag Reeders aufgelöst und seine Zuständigkeiten zwischen dem Innen- und dem Landwirtschaftsministerium aufgeteilt.39 Als neuen Generalsekretär für Wirtschaft schlug der Militärverwaltungschef den flämischen Nationalisten Victor Leemans vor. Im Gegenzug wollte er die Rückkehr der Generalsekretäre für Verkehr und Justiz, A. Castiau und Antoine Ernst de Bunswyck akzeptieren.40 Der Soziologe Leemans hatte in Deutschland studiert und schon früh Interesse am Nationalsozialismus gezeigt, wobei seine Sympathien eher rechts-konservativen Kreisen galten. Er hatte über Werner Sombart publiziert und 1933 die erste nicht-deutsche Monographie über Carl Schmitt veröffentlicht. Mit der Zeitschrift »Jong Dietschland« hatte Leemans Ende der 1920er Jahre großen Einfluss auf die Radikalisierung des flä­ mischen Nationalismus genommen, galt aber seit Mitte der 1930er Jahre eher als gemäßigt.41 Gegen den Widerstand der Generalsekretäre setzte Reeder sowohl die Absetzung Mathieus und Snoys als auch die Ernennung Leemans’ als vollwertiges Mitglied durch. Die anderen Generalsekretäre hatten ihn nur als »geschäfts­ führend« aufnehmen wollen.42 Bereits im August  1940 gelang es der Militärverwaltung also, einschneidende Veränderungen im höchsten Verwaltungs­ gremium des besetzten Landes vorzunehmen. Auch auf den unteren Ebenen erfolgten umfangreiche Neubesetzungen. So bei den Provinzgouverneuren, die außer in Brabant und Ostflandern das Land verlassen hatten. Nur der Gouverneur von Brabant behielt seinen Posten, während sein ostflämischer Kollege als »Fransquillon und Freimaurer« von der Militärverwaltung abgelehnt wurde.43 In Westflandern und Limburg wurden mit Michiel Bulckaert und Gerard Romsée zwei VNVer zu Gouverneuren ernannt, 38 Wever, Greep, S. 426; Wijngaert, S. 42. 39 Wijngaert, S. 44 f. 40 Ebd., S. 43; Schreiben Militärverwaltungschef Reeder an den Vorsitzenden des Komitees der belgischen Generalsekretäre Delmer. 1. August 1940, in: TB MV Nr. 7 vom 4. August 1940 CEGESOMA, AA 577/77, S. 18–20. 41 Dolderer schreibt, dass kein anderer flämischer Intellektueller der Zwischenkriegszeit so auf Deutschland fixiert war wie Leemans. Dolderer, Weltkriegen, S. 120; Boehme, Fronten, S. 131–154; Jonghe, Personeelspolitiek, S. 33. 42 Jonghe, Personeelspolitiek, S. 35–43. 43 TB MV Nr. 8 vom 3. September 1940, CEGESOMA, AA 577/78, S. 14.

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die neuen Gouverneure der Provinzen Ostflandern und Antwerpen, Jozef Devos und Jan Grauls, standen der Partei nahe. Grauls war zudem nur ernannt worden, weil sich der Generalsekretär des Innern, Vossen, hartnäckig der Ernennung des VNV-Mitglieds Frans Wildiers widersetzt hatte. Im September 1942 wurde Grauls Bürgermeister in der neugebildeten Agglomeration Groß-Brüssel und Wildiers doch noch Gouverneur in Antwerpen, Devos wurde 1943 durch Achiel Verstraete ersetzt, womit ab 1943 alle flämischen Provinzen VNVGouver­neure hatten.44 In Wallonien wurde 1940 mit dem Rexisten Antoine Leroy lediglich in der Provinz Hennegau ein Mann der »Neuen Ordnung« zum Gouverneur ernannt. Erst im März 1942 folgte in der Provinz Lüttich mit Georges Petit ein weiterer Rexist.45 Die Suspendierung des Parlaments, der Provinzialräte und ab 1941 auch der Gemeindevertretungen führte zu einer wesentlichen Stärkung der Exekutive. Die belgischen Generalsekretäre, Gouverneure, Bezirkskommissare und Bürgermeister verfügten während der Besatzung über viel umfangreichere Entscheidungskompetenzen als vor dem Krieg.46 Vor allem in Flandern wurde dies zu einem umfassenden Umbau der Verwaltung genutzt. Die Provinzgouverneure hatten gegenüber dem Innenministerium ein Vorschlagsrecht für die Ernennung von Bürgermeistern, das allerdings durch das Genehmigungsrecht der Militärverwaltung eingeschränkt wurde. Während dies in den flämischen Provinzen zur massenhaften Ernennung von VNVern führte, weigerten sich die Gouverneure in Brabant und den wallonischen Provinzen – mit Ausnahme des von Leroy regierten Hennegau – regelmäßig Rexisten bzw. im zweisprachigen Brabant auch VNVer vorzuschlagen. Da die Militärverwaltung bis zuletzt an der belgischen Regelung festhielt, konnten diese dann auch tatsächlich nicht ernannt werden.47 Ein Vergleich zwischen den flämischen und wallonischen Provinzen macht deutlich, welche Bedeutung der VNV für die Besatzungsmacht hatte. In den vier flämischen Provinzen ohne Brabant wurden in 61 % der Gemeinden neue Bürgermeister ernannt, während es in den frankophonen Provinzen lediglich 31 % waren. Von den neu ernannten flämischen Bürgermeistern waren 70 % VNV-Mitglieder, so dass am Ende des Kriegs knapp die Hälfte der 1.079 flämischen Gemeinden von einem VNVer regiert wurde. Im Gegensatz hierzu stellte Rex in Wallonien nur 13 % der Bürgermeister. Besonderer Wert wurde auf die Ernennung von vertrauenswürdigen Bürgermeistern in größeren Gemeinden gelegt, so dass der Anteil der Belgier, die während der Besatzung einen Bürgermeister der »Neuen Ordnung« hatten, wesentlich höher lag. In Wallonien wurde in den letzten zwei Jahren der Besatzung eine erstaunlich hohe Zahl von R ­ existen

44 Wever, Greep, S. 427 f. 45 Wouters, Führerstaat, S. 86–105; Verhoeyen, België, S. 43 f. 46 Hailer, Organisation, S. 38 f. 47 Wouters, Führerstaat, S. 88 f.

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ernannt, vor allem in den Großstädten. Auf dem Land war die Bewegung Degrelles im Gegensatz zum VNV hingegen kaum repräsentiert.48 Die umfangreiche Verwendung von VNV-Mitgliedern auf Verwaltungsposten bedeutete keinen unmittelbaren Machtzuwachs für die Partei, die nicht an der Auswahl des Personals beteiligt wurde. Die Besatzungsmacht machte von Anfang deutlich, dass sie dem VNV keine Monopolstellung auf politischem Gebiet zugestehen wollte. Staf De Clercq bemühte sich dennoch, als einzige politische Kraft in Flandern anerkannt zu werden. Am 10. November 1940 bekannte er sich öffentlich zur bedingungslosen Kollaboration mit Deutschland und zum blinden Vertrauen in die Politik Hitlers. Er spielte überdies unverhohlen auf die militärische Kollaboration im Mai  1940 an. Der VNV-Führer bezeichnete es als sein persönliches Verdienst, dass nicht noch mehr flämische und deutsche Soldaten gefallen seien.49 Dass sich De Clercq im November 1940 Hoffnungen machte, seine politischen Ambitionen doch noch verwirklichen zu können, kam nicht von ungefähr. Die Kollaboration der flämischen Nationalisten gewann an Bedeutung, weil sich das Verhältnis zwischen den Generalsekretären und der Militärverwaltung seit Oktober 1940 zusehends verschlechterte und auch die Haltung der Bevölkerung feindseliger als noch im Sommer war. Die deutsche Niederlage in der Luftschlacht um England machte ein baldiges Ende des Kriegs unwahrscheinlich. Noch schwerer wog die im Vergleich zu den Niederlanden und Frankreich katastrophale Versorgungssituation. Reeder berichtete im Januar 1941, dass in den Industriegebieten und Großstädten »die angelieferte Kartoffelmenge im Durchschnitt nur zur Befriedigung von 40 % der Rationsansprüche« reiche.50 Gleichzeitig wurden in großem Umfang Waren aus Belgien ausgeführt, was der Militärverwaltungschef plastisch schilderte: »Es war ein alltägliches Bild, in den Straßen Brüssels und aller Städte Scharen deutscher Wehrmachtsangehöriger und -gefolge mit einer Unzahl von Paketen beladen von Laden zu Laden ziehen zu sehen und oft unwahrscheinliche Mengen verschiedener Güter zu kaufen. Die Urlauberzüge waren mit Gepäckstücken aller Art so angefüllt, dass Maßnahmen ergriffen werden mussten, um neben dem Gepäck auch den Urlaubern die Mitfahrt zu ermöglichen. […] Im Volksmund heißt der deutsche Soldat Kartoffelkäfer.«51

Diese Hamsterfahrten wurden begünstigt, weil die Zollgrenze zwischen Deutschland und dem belgischen Besatzungsgebiet für Wehrmachtsangehörige aufgehoben worden war. Daneben beschlagnahmten auch deutsche Behörden Lebens48 Wever, Greep, S. 432; Wouters, Führerstaat, S. 112; Verhoeyen, België, S. 50 f.; Übersicht über die mit VNVern und Rexisten besetzten Posten beispielsweise in TB MV Nr. 25 für Juli–September 1943 vom 15. November 1943, CEGESOMA, AA 577/94, S. A16-A19; TB MV Nr. 26 für Oktober-Dezember 1943, 1. März 1944, CEGESOMA, AA 577/95, S. A22 f. 49 Wever, Greep, S. 372–375. 50 TB MV Nr. 12 vom 3. Januar 1940, CEGESOMA, AA 577/82, S. 1. 51 Ebd., S. 6.

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mittel.52 Die Militärverwaltung bemühte sich, diese Requisitionen zu begrenzen und wenn möglich von der belgischen Verwaltung anordnen und durchführen zu lassen, um so die Verantwortung für die unpopulären Maßnahmen auf diese abzuwälzen. Bereits im September 1940 klagten die Generalsekretäre, dass man ihnen in der Bevölkerung eine Mitschuld an der drohenden Hungersnot gab.53 Die hohen Besatzungskosten, die Entwicklung des deutsch-belgischen Clearings sowie die Beschlagnahmung der belgischen Goldreserven belasteten das Verhältnis zusätzlich.54 Die Generalsekretäre mussten sich Ende  1940 fragen, ob der Versuch, durch eine Kooperation mit der Besatzungsmacht Schaden vom Land abzuwenden, gescheitert war. Zum offenen Konflikt führte der Versuch, den VNVer Hendrik Elias zum Bürgermeister Gents zu machen. Der Generalsekretär im Innenministerium, Vossen, weigerte sich die Ernennung vorzunehmen. Er begründete dies mit dem offenen Bekenntnis des VNV zur Zersetzung der belgischen Armee, den er daher als eine staatsfeindliche Organisation bezeichnete. Der Militärbefehlshaber musste Elias Ende Januar 1941 selbst zum kommissarischen Bürgermeister Gents ernennen, was einen schweren Eingriff in die Unabhängigkeit der belgischen Verwaltung bedeutete. Reeder machte vor allem den Generalsekretär im Justizministerium Ernst de Bunswyck, der seit seiner Rückkehr aus Frankreich auch Vorsitzender des Komitees war, für den Widerstand verantwortlich und drängte Ende Dezember 1940 auf dessen Rücktritt.55 An seiner Stelle wollte er den Gouverneur der Provinz Limburg, das VNV-Mitglied Gerard Romsée, einsetzen. Eine Mehrheit der Generalsekretäre wollte sich diesem erneuten Eingriff widersetzen, allerdings gab es im Komitee auch andere Stimmen. Der VNVer Leemans versuchte Verständnis für die schwierige Lage der Militärverwaltung zu wecken und argumentierte, man müsse diese gegen die Extremisten von der SS unterstützen, die in Belgien eine Zivilverwaltung einführen wollten.56 Reeder gelang es, die Absetzung Ernst de Bunswycks durchzusetzen, allerdings nicht die Ernennung Romsées. Um den Widerstand der Generalsekretäre zu brechen, wurde am 7. März 1941 eine »Überalterungsverordnung« erlassen, nach der »Träger eines öffentlichen Amtes« mit Vollendung des sechzigsten Lebensjahrs automatisch aus dem Dienst ausschieden. Offiziell wurde dies damit begründet, dass zur Verwaltung des Landes »neue Wege beschritten werden« müssten.57 Tatsächlich war es das Ziel, eine »weitgreifende Bereinigung der Beamtenschaft« und nicht zuletzt die Abset-

52 TB MV Nr. 10 vom ?. November 1940, CEGESOMA, AA 577/80, S. 4. 53 Der neu ernannte Leemans gab die Schuld an der schlechten Versorgungslage Lebensmittelspekulanten, die seiner Meinung nach Lebensmittel aufkauften, um die Preise in die Höhe zu treiben. Verhoeyen, België, S. 42; Wijngaert, S. 91 f. 54 Aly, S. 159–166. 55 TB MV Nr. 13 vom 2. Februar 1941, CEGESOMA, AA 577/83, S. 12–16. 56 Wijngaert, S. 102–104. 57 Verordnung gegen die Überalterung der öffentlichen Verwaltung, Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich Nr. 34 (8. März 1941).

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zung der drei ältesten Generalsekretäre durchzusetzen.58 Die Generalsekretäre in den Ministerien für Verkehr, Kolonien und Öffentliche Arbeiten, Castiau, De Jonghe und Delmer, mussten ihre Posten aufgrund der Überalterungsverordnung räumen, Vossen war bereits am 28. Februar 1941 wegen seiner Weigerung, Elias zum Genter Bürgermeister zu ernennen, mit einem Amtsverbot belegt worden.59 Hiermit hatte die Militärverwaltung innerhalb von drei Monaten fünf von zehn Generalsekretären aus dem Amt entfernt. Die verbliebenen Mitglieder des Komitees schlugen Romsée als Generalsekretär für Inneres vor und den frankophonen Gaston Schuind für Justiz. Dieser Kompromiss wurde von Reeder akzeptiert, so dass die neuen Generalsekretäre am 4. April 1941 ihr Amt antreten konnten.60 Dass mit Romsée ein zweiter VNVer im Komitee der Generalsekretäre saß und dieses trotzdem seine Arbeit fortsetzte, war ohne Zweifel ein Erfolg für die Besatzungsmacht. Das Gremium war jedoch keineswegs zu einem willfährigen Instrument der Militärverwaltung reduziert worden. Mit dem Ausscheiden Delmers und Ernst de Bunswycks übernahm Oscar Plisnier den Vorsitz des Komitees und übte diesen bis zum Ende der Besatzung aus. Plisnier hatte als Generalsekretär für Finanzen bereits zuvor eine herausgehobene Stellung inne, da alle Unkosten verursachenden Beschlüsse anderer Generalsekretäre von ihm gegengezeichnet werden mussten. Nun kam ihm noch mehr die Rolle eines Primus inter Pares zu.61 Auch die Justiz, deren Verhalten einer der Gründe für den Konflikt gewesen war, konnte erfolgreich gegen Eingriffe der Besatzungsmacht verteidigt werden.62 Es war allerdings auch nie die Absicht Reeders gewesen, die belgische Verwaltung ausschließlich in die Hände von Mitgliedern der »Neuen Ordnung« zu legen. Der Einfluss der alten Eliten sollte zwar reduziert werden, doch war ihre Mitwirkung für die Militärverwaltung zu wertvoll, um gänzlich darauf zu verzichten. In einem Gespräch mit führenden flämischen Nationa­ listen betonte Reeder, wie wichtig es sei, dass das Gremium der Generalsekretäre nicht zu deutschfreundlich wirke. Romsée und Leemans sollten sich daher in der Öffentlichkeit auch nicht allzu sehr politisch exponieren.63 58 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatz­ jahr (geheim). Juli 1941, BArch, RW 36/201, S. 95. 59 Wijngaert, S. 115. 60 Wever, Greep, S. 428 f. 61 Wijngaert, S. 33. 62 Dies zeigte sich u. a. daran, dass die belgische Justiz wenig Eifer bei der Verfolgung des gewalttätigen Widerstands zeigte, der ab 1942 immer mehr Opfer unter den Kollaborateuren forderte. Nachdem der belgischen Justiz am 8. August 1943 zunächst mehr Kompetenzen bei der Strafverfolgung von Gewaltverbrechen eingeräumt worden waren, wurden ihr diese bereits am 4. April 1944 wieder entzogen. In der Folge stellten die belgischen Justizbehörden jegliche Kooperation in der Verfolgung von Gewalttaten ein. Weber, S. 157; Wever, Greep, S. 446. 63 Abschrift des Militärverwaltungschefs Reeder für SS-Brigadeführer Konstantin Kammer­ hofer (verantwortlich für den Aufbau der flämischen SS) über die Besprechung mit Leemans, Romsée und Borms in Anwesenheit von Craushaars, Kriegsverwaltungsrats Heym, Kriegesverwaltungsassessors Dr. Victor am 11. Mai 1941 (wahrscheinlich ist Oktober gemeint,

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Romsée begann nach seiner Ernennung zum Generalsekretär im Ministerium des Innern mit dem Umbau der belgischen Polizei. Diese war vor 1940 sehr dezentral organisiert und unterstand den Gemeinden. Romsée gelang es innerhalb kurzer Zeit, einen zentralisierten Polizeiapparat aufzubauen und die bisherigen Polizeitruppen in diesen zu integrieren. Einerseits wurden den Kommunen Kompetenzen entzogen und andererseits die nationale Polizei sowie die Gendarmerie (ndl. »Rijkswacht«; frz. »Gendarmerie«) ausgebaut. Hierbei spielten die »Luckenwalder«, eine Gruppe flämischer Offiziere, die in einem Kriegsgefangenenlager in dem südlich von Berlin gelegenen Ort gefangen gehalten worden waren, eine wichtige Rolle. Unter ihnen befand sich Adriaan Emiel Van Coppenolle, der im August  1941 nach Belgien zurückkehren durfte und bereits am 10. Oktober 1941 zum Chef der nationalen Polizei gemacht wurde. Ab Februar 1943 kommandierte er auch die Gendarmerie, deren Offizierskorps bis 1940 überwiegend frankophon gewesen war. Nun wurden bei der Rekrutierung Flamen deutlich bevorzugt, was sich vor allem in den höheren Rängen bemerkbar machte. Von den 68 während des Kriegs neu eingestellten Offizieren waren 66 flämisch.64 Der Einfluss der Überalterungsverordnung auf die Zusammensetzung der Beamtenschaft war noch stärker, als dies mit dem Rückkehrverbot der Fall gewesen war. Im Sommer  1940 waren 615  Beamte ausgetauscht worden, wegen der Überalterungsverordnung mussten hingegen bis Juni  1941 bereits 1865 Funktionäre ihren Posten räumen.65 Nach der Aufhebung der Stadt- und Gemeinderäte konnten die Neubesetzungen nun zudem von Romsée in seiner Funktion als Generalsekretär des Innern vorgenommen werden. Eine weitere Gelegenheit, renitente Beamte loszuwerden, war die Zusammenfassung der Agglomerationen Antwerpen, Brüssel, Charleroi und Lüttich zu sogenannten »Großgemeinden«.66 Neben dem personellen Umbau schuf die Besatzungsmacht im Zuge eines »Ausbaus der belgischen Verwaltung« zahlreiche neue Institutionen. Sie wurden vielfach von flämischen Nationalisten geleitet und spielten vor allem für die ökonomische Ausbeutung Belgiens eine wichtige Rolle.67

auf jeden Fall August oder später, da im Bericht erwähnt wurde, dass eine Rede Kardinal von Galens in Belgien zirkulierte. Wahrscheinlich handelte es sich um eine der im August 1941 gehaltenen Predigten gegen die Ermordung von Psychiatriepatienten im Rahmen der »Eutha­nasie«). O. U., 12. Oktober 1941. BArch, NS 19/1547, S. 20. 64 Majerus, Occupations, S. 180–190; Allgemeine Übersicht des Militärverwaltungschefs für die Zeit vom 1. Dezember 1941 – 15. März 1942, BArch, RW 36/203; Boijen, Coppenolle. 65 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatz­ jahr (geheim). Juli 1941, BArch, RW 36/201, S. 94 f. 66 Hierdurch seien »mehrere Hundert unzuverlässige, zum Teil deutschfeindlich eingestellte Bürgermeister, Schöffen und Polizeikommissare« entfernt worden. TB MV Nr. 22 vom 31. Dezember 1942, CEGESOMA, AA 577/91, S. A11. 67 Hailer, Organisation, S. 40.

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An der Spitze des »Kommissariats für Löhne und Preise« stand das VNV-Mitglied Paul Beeckman. Abgesehen von der Lohn- und Preiskontrolle widmete es sich mit deutlich antisemitischem Unterton dem Kampf gegen den »Schleichhandel«. Hierfür stellte Beeckmann 1.500  Kontrolleure an, die beinahe ausschließlich Parteimitglieder waren. Formal dem Arbeitsministerium unterstehend, führte er mit Unterstützung der Militärverwaltung eine weitgehend eigenständige Politik.68 Nachdem alle Kompetenzen für die Lebensmittelversorgung Belgiens am 12. August 1940 beim Generalsekretär für Landwirtschaft zusammengefasst worden waren, wurde ein »Verband der belgischen Ernährungs- und Landwirtschaft« unter Führung des aus der flämischen Studentenbewegung stammenden Piet Meuwissen geschaffen. Der Verband sollte die Ernährungs- und Landwirtschaft korporatistisch nach dem Vorbild des Reichsnährstands in Deutschland umbauen und vor allem der Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion dienen.69 An der Spitze des »Nationalen Arbeitsvermittlungsdienstes« (ndl. »Nationale Dienst voor Arbeidsbemiddeling«), der später in »Reichsarbeitsamt« (ndl. »Rijksarbeidsambt«) umbenannt wurde, stand mit Frits Hendriks ebenfalls ein VNVer. Wie die beiden anderen Organisationen unterstand auch das Reichsarbeitsamt formal einem Ministerium, dessen Kontrolle es sich mit Zustimmung der Besatzungsmacht entzog. Dies zeigte sich etwa bei der Rekrutierung belgischer Arbeitskräfte, die Hendriks entgegen den Richtlinien des vorgesetzten Arbeitsministeriums in enger Zusammenarbeit mit deutschen Werbestellen durchführte.70 In der Kontrolle des Wirtschaftslebens spielten flämische Nationalisten also eine wichtige Rolle, allerdings vor allem gegenüber Bauern und Arbeitern. Die Kooperation der belgischen Industrie mit der Besatzungsmacht und deutschen Unternehmen wurde hingegen direkt vom Galopin-Komitee organisiert. Je schlechter die Besatzungsbedingungen wurden, desto wichtiger wurden die vom VNV gestellten Kontrolleure. Die Partei hatte so die Möglichkeit, ihre Anhänger mit Posten zu versorgen und z. B. vor Zwangsarbeit zu schützen. Dies machte es attraktiv, dem VNV anzugehören, dessen Mitgliederzahl von 26.205 im Jahr 1939 auf einen Höchststand von 41.293 Mitgliedern 1942 anstieg. Viele einschneidende Eingriffe in das Alltagsleben erfolgten nun mit Hilfe von VNVern, was die Kollaborateure in den Augen vieler Belgier verhasster als die Deutschen machte.71

68 Wever, Greep, S. 428 f.; Wijngaert, S. 81–83. 69 Hailer, Organisation, S. 51; Wever, Greep, S. 426. 70 Wever, Greep, S. 427–429; Wijngaert, S. 204–214. 71 Wever, Greep, S. 427.

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c) Kultur- und Sprachenpolitik Wie gezeigt, erlangten die flämischen Nationalisten sehr bald eine ganz prak­ tische Bedeutung für die deutsche Besatzungspolitik, der sie als Personalreserve dienten, aus der widerspenstige belgische Funktionäre ersetzt bzw. neu geschaffene Posten besetzt werden konnten. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Deutschen war bereits vor der Besatzung vorhanden und beruhte vor allem auf der Erwartung, dass diese die Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs fortsetzen würden. Bereits im Sommer 1940 schrieb Reeder, die flämischen Nationalisten erhofften von der Militärverwaltung die Errichtung der Großniederlande.72 Im September 1940 berichtete er bereits von einer gewissen Enttäuschung darüber, dass diese Hoffnungen nicht erfüllt wurden.73 Aus der Sicht der Militärverwaltung gefährdeten Reminiszenzen an die Flamenpolitik des Kaiserreichs die Zusammenarbeit mit der belgischen Verwaltung. Wie sensibel das Thema war, hatte der Streit um den Bürgermeisterposten in Gent gezeigt. De Clercqs Ankündigung eines »zweiten Aktivismus« im Januar 1941 hielt Reeder daher für einen schweren Fehler und machte dies auch gegenüber dem VNV-Chef deutlich.74 Als August Borms eine Verwaltungstrennung vorschlug, antwortete Reeder, dass ein solcher Schritt unter den Bedingungen eines totalen Kriegs undenkbar sei. Es sei unmöglich, »innerhalb der belgischen Staatsmaschine, die nun einmal arbeiten müsse, einen Bruch auch nur anzudeuten«. Übrigens lehnten auch einige flämische Nationalisten eine neuen Aktivismus ab. Als Reeders Stellvertreter Craushaar die Frage nach einem zweiten Rat von Flandern aufwarf, sprach Leemans sich dagegen aus. Die flämischen Nationalisten müssten »imperialistisch denken«. Es sei falsch, sich nur auf Flandern zu beschränken, das Ziel müsse vielmehr sein, Belgien durch Flandern zu führen.75 Da die Militärverwaltung eine staatliche Umgestaltung Belgiens nach völkischen Gesichtspunkten ablehnte, beschränkte sich die Flamenpolitik abgesehen von der Personal- vor allem auf die Kulturpolitik. Diese wurde von den beiden Historikern Franz Petri und Werner Reese koordiniert.76 Eine der ersten Maßnahmen war die Einrichtung einer Sprachenkontrollkommission (ndl. »Commissie voor Taaltoezicht«), die über die Einhaltung des 1932 erlassenen Gesetzes über den Sprachgebrauch in der Verwaltung, im Justiz- und Bildungswesen wachen sollte. Dieser Schritt erinnerte an den Beginn der Flamenpolitik im Ersten 72 TB MV Nr. 4 vom 29. Juni 1940, CEGESOMA, AA 577/74, S. 3. 73 TB MV Nr. 8 vom 3. September 1940, CEGESOMA, AA 577/78, S. 3. 74 TB MV Nr. 13 vom 2. Februar 1941, CEGESOMA, AA 577/83. 75 Abschrift des Militärverwaltungschefs Reeder für SS-Brigadeführer Konstantin Kammerhofer (verantwortlich für den Aufbau der flämischen SS) über die Besprechung mit Leemans, Romsée und Borms am 11. Mai 1941 (wahrscheinlich ist Oktober gemeint, s. o.). O. U., 12. Oktober 1941. BArch, NS 19/1547, S. 18, 21–23. 76 Tiedau, Petri.

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Weltkrieg, die sich zunächst ebenfalls auf die Umsetzung bereits bestehender Regelungen zugunsten der niederländischen Sprache beschränkt hatte. Der Unterschied war allerdings, dass von Anfang an flämische Nationalisten und nicht deutsche Beamte die Überwachung übernahmen. Als Vorsitzenden der Kontrollkommission schlug der Militärbefehlshaber Florimond (»Flor«) Grammens vor, der vor allem durch das Übermalen illegaler französischer Schilder bekannt geworden war.77 Die Generalsekretäre widersetzten sich diesem Vorschlag, so dass Grammens zunächst nicht Vorsitzender, sondern lediglich Mitglied der dreiköpfigen Kommission wurde, die außerdem nur eine beratende Funktion hatte.78 Im Frühjahr  1941 nutzte Grammens die Schwächung der Generalsekretäre, um dies zu verändern. Am 5. Dezember 1941 wurde er Vorsitzender und auf Druck der Besatzungsmacht wurden die Kompetenzen der Sprachkommission stark erweitert. Sie durfte nun selbst Maßnahmen vorschlagen und die Ministerien mussten innerhalb von dreißig Tagen über die Umsetzung dieser Vorschläge Rechenschaft ablegen. Außerdem musste sie über alle Stellenbesetzungen in der belgischen Zentralverwaltung informiert werden. Grammens wurde direkt dem vom VNVer Romsée geleiteten Innenministerium unterstellt und übte vor allem in Brüssel und im Sprachrandgebiet einen erheblichen Einfluss in der Schulpolitik aus. In der belgischen Hauptstadt wurde die Anzahl der Schüler in niederländischsprachigen Klassen von 11 % auf 43 % gesteigert.79 Unter Vorsitz des ehemaligen Aktivisten Borms wurde eine Wiedergut­ machungskommission eingerichtet. Deren Gründung rechtfertigten die Deutschen ausdrücklich mit der im Waffenstillstandsvertrag vom 11. November 1918 getroffenen Amnestieregelung.80 Im Gegensatz zur Grammens-Kommission war die Borms-Kommission nicht in die staatlichen Strukturen integriert, auch wenn der belgische Staat die Kosten der Entschädigungen zu tragen hatte. Die Generalsekretäre weigerten sich mehrheitlich ein Mitglied in die Kommission zu entsenden und unterstrichen so den Zwangscharakter dieser Maßnahme.81 Die Wiedergutmachung, so berichtete die Militärverwaltung ein Jahr später, sei in erster Linie dazu gedacht, die Ehre der Betroffenen wiederherzustellen. Insgesamt waren 14 Millionen BEF ausgezahlt worden und einige entlassene Beamte auf ihre alten Posten zurückgekehrt, ohne dass es in den betroffenen Behörden zu Widerstand dagegen gekommen sei. Mit der Einrichtung der »Wiedergutmachungskommission« habe man sich zu »gewissen Grundsätzen der Weltkriegspolitik in Belgien« bekannt, »ohne diese in konkretem Handeln wieder aufzu77 TB MV Nr. 7 vom 4. August 1940, CEGESOMA, AA 577/77, S. 6–8; Wils, Grammens. 78 Wijngaert, S. 97 f. 79 Ebd., S. 195–197. 80 Verordnung über die Wiederherstellung des Rechtes der in Belgien wegen Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht im Kriege 1914–1918 Verfolgten (Wiedergutmachungsverordnung), Verordnungsblatt des Militärbefehlshabers für Belgien und Nordfrankreich Nr. 14 (10. September 1940). 81 Wijngaert, S. 62–64.

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nehmen«.82 Die Hilfe für die ehemaligen Aktivisten war also eine Anerkennung ihrer deutschfreundlichen Haltung während des Ersten Weltkriegs, bedeutete aber keine Übernahme ihrer politischen Ziele. Dies machte Reeder auch im Gespräch mit ehemaligen Aktivisten deutlich, von denen er sich Unterstützung für die Beeinflussung des flämischen Nationalismus in großgermanischem Sinne erhoffte. Eine besondere Episode der deutschen Flamenpolitik des Zweiten Weltkriegs stellt der Umgang mit den belgischen Universitäten dar. Die Hochschulpolitik war im Ersten Weltkrieg ein Schwerpunkt der Flamenpolitik gewesen und das deutsche Nation-Building-Projekt 1916 mit der Gründung der Flämischen Hochschule begonnen worden. Im Gegensatz zu 1914 blieben die Universitäten 1940 allerdings geöffnet, nicht zuletzt um deutsche Eingriffe zu verhindern. Neben den Reichsuniversitäten in Lüttich und Gent gab es die katholische Universität in Löwen sowie die »Freie Universität Brüssel« (frz. »Université Libre de Bruxelles« – (ULB)).83 Die Militärverwaltung beabsichtigte, das Rückkehrverbot für Geflüchtete auch auf die beiden nichtstaatlichen Universitäten anzuwenden. Insgesamt wurden von rund 450  geflüchteten Professoren, die das Land im Mai 1940 verlassen hatten, etwa 100 entlassen, was ungefähr 10 % aller belgischen Professoren entsprach. Die Universitäten waren allerdings unterschiedlich stark betroffen. Im Fall der Katholischen Universität Löwen widersetzte sich der belgische Kardinal Van Roey der Anwendung der Rückkehrverordnung mit dem Argument, dass diese dem Vatikan unterstehe. Die Katholische Universität weigerte sich außerdem, deutsche Gastprofessoren zuzulassen, die an den anderen Universitäten eine Anbindung der künftigen Elite an Deutschland vorbereiten sollten.84 Da kein Interesse an einem Konflikt mit der Kirche bestand, zeigte sich der Militärbefehlshaber nachgiebig. Anders war dies im Fall der Freien Universität Brüssel, die als deutschfeindliche »Hochburg der Freimaurer« galt.85 Neben 39 Professoren, die im Ausland verblieben, wurden bis Ende Dezember 1940 weitere 17 entlassen und die Universität einem deutschen Kommissar unterstellt. Dies war zunächst der Jurist Gustav Adolf Walz, der nur wenig Einfluss auf den Universitätsbetrieb nahm und sich auf die Umsetzung des Amtsverbots beschränkte. Neue Professoren wurden von der Universität aus dem Lehrkörper berufen. Dies änderte sich, als Walz im Mai  1941 durch Hans-Peter Ipsen abgelöst wurde, der ebenfalls Rechtswissenschaftler war. Ipsen verfolgte das erklärte Ziel, die Freie Universität Brüssel zu einer zweisprachigen Hochschule und 82 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr (geheim). Juli 1941, BArch, RW 36/201, S. 63. 83 Studentenzahlen 1940: Katholische Universität Löwen 4650 Studenten, an der liberal-freisinnigen Freien Universität Brüssel 3250 Studenten, in Lüttich 2250 und in Gent 1500 Studenten. Vanwelkenhuyzen, S. 4. 84 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr (geheim). Juli 1941, BArch, RW 36/201, S. 149. 85 Hailer-Bericht, BArch, RW 36/447, S. 106.

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einem »germanisch-deutschen Bollwerk« zu machen. Hierfür plante er die Verlegung flämischer Studenten von Gent nach Brüssel und die Ernennung neuer Dozenten. Letzteres führte zum Konflikt, denn im Gegensatz zu den staatlichen Hochschulen, an denen die Professoren vom Ministerium ernannt wurden, berief die Universität Brüssel ihre Dozenten selbst. Der Verwaltungsrat nahm hin, dass die Militärverwaltung ihr Veto gegen einzelne Kandidaten einlegte, weigerte sich aber, drei von den Deutschen vorgeschlagene flämische Kandidaten zu akzeptieren, die als Landesverräter betrachtet wurden. Der Widerstand richtete sich vor allem gegen den ehemaligen Aktivisten Antoon Jacob.86 Als die Militärverwaltung ankündigte, ihre Kandidaten auch gegen den Willen der Universitätsleitung durchzusetzen, suspendierte diese am 25. November 1941 überraschend den Lehrbetrieb und nahm ihn trotz der Inhaftierung zahlreicher Professoren bis zum Ende der Besatzung nicht wieder auf. Damit war das Ziel, in Brüssel ein »germanisch-deutsches Bollwerk« zu etablieren, gescheitert. Überlegungen, anstelle der alten Universität eine neue staatliche zu gründen, wurden nicht umgesetzt, auch weil sich die große Mehrheit der Dozenten weigerte, daran mitzuwirken.87 An der Reichsuniversität Gent wurden auf Druck der Militärverwaltung ­einige ehemalige Aktivisten wieder eingestellt, diese blieben allerdings isoliert. Bei der Wahl eines neuen Rektors erhielten der »Neuen Ordnung« nahestehende Kandidaten Anfang 1941 lediglich 6 % der abgegebenen Stimmen.88 Bei den Hochschulen etablierte sich nach der Schließung der Freien Universität Brüssel ähnlich wie in der Verwaltung ein modus vivendi zwischen belgischen Behörden und Besatzungsmacht. Erstere leisteten keinen offenen Widerstand gegen deutsche Maßnahmen und letztere verzichteten auf allzu weitgehende Eingriffe. Solidaritätsbekundungen zugunsten der inhaftierten Brüsseler Kollegen blieben offenbar die Ausnahme. Lediglich über den »ungünstigen Einfluss« der aus Brüssel an die Universitäten Gent und Lüttich gekommenen Studenten wurde berichtet.89 Der Versuch, die Freie Universität Brüssel zu germanisieren, war eine Ausnahme von der Regel, die Strukturen belgischer Institutionen zumindest formal unangetastet zu lassen. Kultur- und Sprachenpolitik waren wichtig, aber nie wichtig genug, um die reibungslose Zusammenarbeit mit der belgischen Verwaltung zu gefährden.

86 Zu Jacobs Rolle im Ersten Weltkrieg, siehe S. 62 ff. in dieser Arbeit. 87 Vanwelkenhuyzen, S. 12–37; Martin, Universités; Stengers; TB MV Nr. 18 vom 21. Dezember 1941, CEGESOMA, AA 577/88, S. B 26-B 29. 88 Martin, Rijksuniversiteit, S. 17. 89 TB MV Nr. 20 vom 15. Juni 1942, CEGESOMA, AA 577/89, S. B 20.

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6. Der VNV in der Kollaboration – Posten für die Mitglieder, Konkurrenz für die Partei

a) Auf der Suche nach dem Vaterland – Zwischen Flandern und Großdeutschland Ein deutsches Kriegsziel war die Eingliederung der als »germanisch« wahrgenommenen Staaten in ein »Großgermanisches Reich«, das nach Lage der Dinge nur ein erweitertes »Großdeutsches Reich« sein konnte. Diese Absicht kollidierte mit den Zielen der wichtigsten Kollaborateure, ob es sich um Staf De Clercq in Flandern, Vidkun Quisling in Norwegen oder Anton Mussert in den Niederlanden handelte. Diese wollten mit Hilfe der Deutschen ihre nationalistischen Ziele verfolgen, waren aber nicht bereit auf eine gewisse Selbständigkeit zu verzichten.1 Wie in Norwegen und den Niederlanden baute die SS in Flandern eine »großdeutsche« Konkurrenz zum als »separatistisch« verunglimpften VNV auf. SSHA-Chef Berger wies auf die Parallelen zu anderen germanischen Ländern hin und verlieh der Überzeugung Ausdruck, dass nur mit den »Trägern des großgermanischen bzw. des großdeutschen Gedankens« Europa aufgebaut werden könne, nicht aber mit den Nationalisten.2 Dies führte zu Konflikten mit dem VNV, aber auch mit der Militärverwaltung. Allerdings drehten sich die Konflikte zwischen SS und Militärverwaltung weniger um das Endziel der Annexion als um den Weg dorthin. Dass aus dem Machtkampf deutscher Instanzen ein inhaltlicher Gegensatz konstruiert wurde, war auch das Ergebnis einer Nachkriegsgeschichtsschreibung, die eine »saubere Wehrmacht« von der verbrecherischen SS abgrenzte.3 In Belgien haben jüngere Forschungen gezeigt, dass gerade auf dem Gebiet der Repression SS und Militärverwaltung zwar unterschiedliche Aufgaben übernahmen, aber ansonsten ohne größere Konflikte kooperierten.4 Auch in der Behandlung der flämischen Nationalisten ist die Frage, ob manche Konflikte zwischen SS und Militärverwaltung nicht auch Teil einer »good cop, bad cop«-Taktik waren. Die Drohung mit der SS diente der Lenkung des VNV, um diesen zur Zusammenarbeit mit der »vernünftigeren« Militärverwaltung zu bewegen. Reeder beschwor das Schreckbild einer von der SS gelenkten Zivil1 Mazower, S. 190. 2 SSHA-Chef Berger an den Chef der Militärverwaltung in Belgien Reeder. Berlin, 7. Oktober 1941, BArch, NS 19/1548, S. 1–3. 3 So etwa Wagner. 4 Seibel, S. 269 f.; Majerus, Occupations, S. 171–175; Brüll, Thedieck. »Zeitgenosse des Jahrhunderts«, S. 351 und 364.

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verwaltung auch gegenüber den Generalsekretären, um sie zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Militärverwaltung hatte nie beabsichtigt, dem VNV eine politische Monopolstellung zuzugestehen. Schon zu Beginn der Besatzung war klar, dass der großniederländische VNV mittelfristig durch eine großgermanische Kollaborationsbewegung abgelöst werden sollte.5 Diese Aufgabe übernahm von Anfang an die SS. Bereits am 25. Mai 1940 hatte Hitler die Genehmigung erteilt, Flamen für die Waffen-SS-Standarte »Westland« zu rekrutieren. Ebenfalls auf ausdrücklichen Befehl Hitlers wurde im September  1940 die »Allgemeine SS Flandern« gegründet. Diese sollte gemäß einer Vereinbarung Reeders mit Berger eine »überparteiliche Organisation« sein und alle Flamen organisieren, die bereit waren »sich für die Schaffung eines großgermanischen Reiches einzusetzen«. Erklärte Absicht war es, den in den Augen der SS klerikalen und separatistischen VNV zu bekämpfen und zu zwingen, »nach unserem Kurs zu marschieren«.6 Die im August 1940 begonnene Rekrutierung zur Waffen-SS diente zunächst vor allem der politischen Organisation. Erst mit den Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion gewann im Frühjahr 1941 der militärische Aspekt an Bedeutung.7 Zwischen der Flämischen  SS und dem VNV, der als einzige politische Kraft in Flandern anerkannt werden wollte, gab es daher von Anfang an starke Spannungen. Anfang 1941 hatte die SS Flandern etwa 3200 Mitglieder, unter denen sich nach Einschätzung Reeders zahlreiche »Konjunkturritter« befanden. Es gelang jedoch auch Prominente aus dem flämisch-nationalistischen Milieu zu gewinnen. Einige hatten den VNV schon vor dem Krieg kritisiert, so beispielsweise Ward Hermans, der nun Redakteur der Zeitung »De SS-Man« wurde. Erstaunlicher war der Beitritt des Priesters Cyriel Verschaeve. Der geistige Mentor der flämischen Frontbewegung des Ersten Weltkriegs glaubte bis zum Ende an die Möglichkeit, das katholische Christentum mit dem Nationalsozialismus zu versöhnen.8 Reeder hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Flämischen SS. Er kritisierte, dass durch die Gründung der Eindruck entstanden sei, dass Deutschland nun direkt Einfluss in Flandern nehmen wolle. Als positiven Effekt verbuchte er, dass beim VNV »eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber dem Reich« ge-

5 Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr, Juni 1941, BArch, RW 36/201, S. 19 f.; Wever, Greep, S. 364–369. 6 Wever, Greep, S. 371; Kater, S. 173–176; Jonghe, Strijd II, S. 27. 7 Von den ersten 465 Bewerbern wurden allerdings nur 45 ausgewählt und am 27. September 1940 zur Ausbildung nach Deutschland gebracht. Dass es so viele Ausmusterungen gab, lag vor allem daran, dass nur wenige Rekruten die vorgeschriebenen 1,70 Meter Körperlänge hatten. Ab 1941 wurden daher auch Rekruten aufgenommen, die lediglich 1,65 Meter groß waren. Wever, Collaboratie, S. 26 f. 8 Flamenbewegung in Belgien und Nordfrankreich im Jahre 1941. Bericht des SD  Brüssel Nr. 1/41 vom 15. Januar 1941, BArch, RW 36/49, S. 19.

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fördert worden sei.9 Hiermit spielte er auf die Erklärung De Clercqs zur bedingungslosen Kollaboration vom 10. November 1940 an.10 Die Hoffnung, durch die Unterstützung großgermanischer Gruppen die flämischen Nationalisten zu beeinflussen, hatte sich also aus Reeders Sicht erfüllt. Die Spannungen wurden allerdings so stark, dass die Führung des VNV nicht nur Doppelmitgliedschaften untersagte, sondern sogar die Auflösung der Flämischen SS forderte und andernfalls mit dem Ende der Kollaboration drohte. Im März 1941 wurde unter Vermittlung Reeders ein »Burgfrieden« geschlossen und der Versuch unternommen, beiden Gruppen eigene Aufgabengebiete zuzuweisen. Während der VNV sich auf die Tagespolitik konzentrieren sollte, wurden der Flämischen  SS die weltanschauliche und militärische Schulung zugedacht, ein Kompromiss, den De Clercq wohl in der Hoffnung einging, die Flämische SS früher oder später doch noch zu absorbieren.11 Diese Illusion wurde auch dadurch geweckt, dass die Militärverwaltung die Verschmelzung anderer faschistischer Gruppen mit dem VNV vorantrieb. Auf deutschen Druck gingen im Mai 1941 die Reste des nach dem Tod Van Severens führerlos gewordenen Verdinaso und Rex-Flandern in der »Einheitsbewegung-VNV« (ndl. »Eenheidsbeweging-VNV«) auf. Während Degrelle die Betätigung in Flandern untersagt wurde, ernannte De Clercq sogar einen Gauleiter für Wallonien und sein Propagandachef Reimond Tollenaere meldete offen Ansprüche auf wallonisches Gebiet an.12 Der Grund für das deutsche Entgegenkommen war der im Zuge der Angriffsvorbereitungen auf die Sowjetunion gestiegene Bedarf an Soldaten. Wegen des VNV-Verbots von Doppelmitgliedschaften war dem Versuch, flämische Freiwillige für die Waffen-SS zu gewinnen, zunächst kaum Erfolg beschieden gewesen. Der für die »germanischen« Rekruten zuständige SSHA-Chef Berger suggerierte De Clercq nun, dass im Gegenzug für die Werbung von Freiwilligen die Flämische SS in den VNV eingegliedert werden würde. Der VNV-Führer hatte zuvor vergeblich versucht, eine flämische Einheit in der Wehrmacht oder Luftwaffe aufstellen zu lassen. Dies war unter Verweis auf das Monopol der Waffen-SS bei der Rekrutierung »germanischer« Freiwilliger abgelehnt worden. Am 20. April 1941 rief De Clercq die VNV-Mitglieder dazu auf, sich zur Waffen-SS zu melden. Intern verteidigte er diesen Schritt damit, dass die Deutschen nur so überzeugt werden könnten, dem VNV das politische Monopol in Flandern zu übertragen. Weder Berger noch Militärverwaltungschef Reeder dachten allerdings daran, die SS Flandern aufzugeben: Berger, weil er dieser eine zentrale Rolle bei der Germanisierung Flanderns zudachte, und Reeder, weil er die SS als geeignetes Instrument betrachtete, um den VNV zu steuern.13

9 TB MV Nr. 12 vom 3. Januar 1941, CEGESOMA, AA 577/82, S. 17. 10 Wever, Greep, S. 372–376. 11 Ebd., S. 379–382. 12 Ebd., S. 390–393. 13 Jonghe, Strijd II, S. 46.

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Die Skepsis der flämischen Nationalisten gegenüber der Waffen-SS war allerdings groß und der Rekrutierungserfolg überschaubar. Dies änderte sich erst mit dem Beginn des »Ostfeldzugs« am 22. Juni 1941. Die VNV-Führung sah den »Kampf gegen den Bolschewismus« als Chance, die Gunst der deutschen Machthaber zu gewinnen und über die eigene Anhängerschaft hinaus die überwiegend antikommunistische flämisch-katholische Öffentlichkeit anzusprechen. Nach der Ankündigung des OKW, ausländische Freiwillige in geschlossenen Einheiten einzusetzen, bemühte sich der VNV erneut um eine Flämischen Legion in der Wehrmacht, entsprechend der Wallonischen Legion von Degrelles Rex-Partei. Auch hier griff allerdings das Monopol der SS auf die Rekrutierung von »Germanen«. Der VNV warb also wohl oder übel für die Waffen-SS, auch um der unerwarteten wallonischen  – eigentlich offen belgischen  – Konkurrenz zu begegnen. Am 2. August 1941 – kurz vor der Abreise des ersten Freiwilligenkontingents – wurde eine Vereinbarung zwischen Karl Leib, dem Leiter der für die Werbung zuständigen SS-Ergänzungsstelle in Brüssel, und dem VNV geschlossen. Sie sah die Aufstellung einer Flämischen Legion innerhalb der Waffen-SS vor. Den flämischen Nationalisten wurden hierfür weitreichende Zusagen gemacht, die denen für die ausländischen Legionen der Wehrmacht ähnelten. Die Legion Flandern sollte eigene Offiziere erhalten und ihr Kommandeur im Einver­ nehmen mit Staf De Clercq berufen werden. Es wurden Verbindungsoffiziere des VNV ernannt und katholische Feldgeistliche sowie eine Kontrolle der politischen Schulung durch den VNV vereinbart.14 Trotz dieser Zugeständnisse blieb der Rekrutierungserfolg mager. Während immerhin 860 Rekruten mit dem ersten Kontingent der Legion »Wallonien« in den Krieg zogen, waren es bei der Legion »Flandern« nicht einmal halb so viele.15 Bereits in den Ausbildungslagern wurde deutlich, dass die SS-Führung nicht daran dachte, sich an Leibs Zusagen zu halten. Die Freiwilligen wurden zunächst in die SS-Standarte »Nordwest« eingegliedert. Erst nach heftigen Protesten von Rekruten und VNV-Führung wurde am 24. September 1941 doch noch eine Legion »Flandern« gebildet. Die Konflikte um die Legion sollten in der Folge nicht mehr abreißen. Einige Freiwillige verließen die Einheit und kehrten nach Flandern zurück, wo sie über eine herablassende Behandlung durch die deutschen Offiziere berichteten, die zudem offen gegen den VNV agitierten. Die Parteiführung hielt dennoch an der Werbung für die Waffen-SS fest. Im Gegensatz zur Legion »Wallonien« wurden die Flamen nicht von eigenen, sondern von deutschen Offizieren auf Deutsch unterwiesen und kommandiert. Auch die seelsorgerische und ideologische Betreuung, die in der Legion »Wallonien« selbstverständlich in belgischen Händen lag, gestaltete sich problematisch. Innerhalb der Einheit gab es einen schwelenden Konflikt zwischen VNVund SS-Anhängern. Die Legion »Flandern« blieb auch deshalb ein Sorgenkind, 14 Wever, Rebellen, S. 591–593. 15 Wever, Collaboratie, S. 27–30.

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Abb. 13: De Clercq mit Waffen-SS-Offizieren. Die Aufnahme zeigt den VNV-Führer wahrscheinlich im Mai 1942 mit Hans-Albert von Lettow-Vorbeck (rechts), dem Kommandeur der Flämischen Legion und Richard Jungclaus (links) der seit April 1942 Himmlers Beauftragter für Volkstumsfragen in Belgien war.

weil sie im Gegensatz zum kampfstarken Verband der Wallonen nur auf wenige militärische Erfolge verweisen konnte. Zu einem endgültigen Bruch führte am 17. Mai 1943 die Umbildung der Legion »Flandern« in die SS-Sturmbrigade »Langemarck«  – ein Schritt, der nicht mit der VNV-Führung abgesprochen worden war. Am 14. August 1943 stellte Hendrik Elias, der dem 1942 verstorbenen Staf De Clercq als VNV-Führer gefolgt war, jegliche Zusammenarbeit mit der SS ein. Ein in der Geschichte der militärischen Kollaboration des Zweiten Weltkriegs wohl einmaliger Vorgang.16 In einem Gespräch mit dem Militär­ verwaltungschef machte er deutlich, dass für diese Entscheidung auch die bessere Behandlung der Legion »Wallonien« verantwortlich war.17 Anders als der VNV betrachtete Degrelle die SS nicht als Konkurrenten, sondern als Vehikel für seine politischen Ambitionen. Anfang 1943 gelang es ihm, Hitler davon zu überzeugen, dass die Wallonen Germanen seien, die nur durch einen Zufall der Geschichte Französisch redeten. Während die flämischen Nationalisten die Waffen-SS verlassen wollten, gelang es Degrelle, die Legion 16 Wever, Rebellen, S. 594–603. 17 Bericht Militärverwaltungschef Reeder über eine Unterredung mit dem VNV-Führer Elias. Brüssel, 30. August 1943, BArch, NS 19/1530, S. 13.

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»Wallonien« im Mai 1943 als Sturmbrigade »Wallonien« in die Waffen-SS eingliedern zu lassen. Die Einheit behielt ihren Feldgeistlichen und wurde weiterhin auf Französisch kommandiert, was angesichts der fehlenden Deutschkenntnisse der meisten Rekruten auch gar nicht anders möglich war.18 Die Abneigung gegen die SS führte dazu, dass der VNV versuchte, Engagement in anderen militärischen Verbänden zu zeigen, zumal hier auch kürzere Dienstverpflichtungen möglich waren. Bereits im Frühling 1941 wurde eine große Werbeaktion für das Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps (NSKK) gestartet. Die NSKK-Freiwilligen wurden formell als Teil der VNV-Miliz »Schwarze Brigade« (ndl. »Zwarte Brigade«) organisiert und trugen deren Uniform. Spätestens nach dem Angriff auf die Sowjetunion waren die NSKKer allerdings dem Zugriff der Partei weitgehend entzogen, ebenso wie Flamen, die für die paramilitärische Organisation »Todt« (OT) arbeiteten. Im Sommer 1941 wurden einige flämische Freiwillige des NSKK und der OT gegen ihren Willen an die Ostfront gebracht. Der Militärverwaltungschef kritisierte dies als »unverantwortlich«, weil hierdurch auch der freiwillige Arbeitseinsatz im Reich gefährdet werde.19 Die militärische Kollaboration des VNV begann mit einem Wortbruch der deutschen Seite. Zudem betraten zwei politische Konkurrenten die Szene. Während der VNV sich vergeblich bemüht hatte, als einzige kollaborierende Bewegung Flanderns anerkannt zu werden, gelang es Degrelle über die militärische Zusammenarbeit eben diese Position in Wallonien zu erobern. Die Erwartung, dass mit der Werbung für die Waffen-SS die Flämische  SS dem VNV unterstellt werden würde, erfüllte sich hingegen nicht. Stattdessen bekam er es mit einem weiteren Konkurrenten zu tun, der »Deutsch-vlämischen Arbeitsgemeinschaft«, kurz DeVlag. Jef Van de Wiele, der bis Ende 1938 für den flämischen Teil der gleichnamigen Zeitschrift verantwortlich gewesen war, belebte diese im August 1940 wieder. Auch die Organisation nahm ihre Aktivität wieder auf und hatte nach Angaben der Militärverwaltung im Januar  1941 bereits 1700 Mitglieder, eine Zahl, die bis zum Ende des Jahres auf 19.000 mehr als verzehnfacht wurde.20 Die DeVlag versuchte, an die Vorkriegsarbeit anzuknüpfen und deutsch-flämische Kontakte zu organisieren, was ihr, angesichts der zahlreichen deutschen Mitglieder in den Reihen der Militärverwaltung, nicht schwer fiel. Franz Petri war Referent in der Kulturabteilung, Lutz Pesch und Rolf ­Wilkening arbeiteten für die Propagandaabteilung.21 Gespräche Wilkenings führten im Mai 1941 zu einer zunächst geheimen Zusammenarbeit mit der SS, die spätestens 18 Wever, Collaboratie, S. 30. 19 Wie viele flämische Nationalisten insgesamt für NSKK und OT tätig waren, ist nicht bekannt. Nach dem Krieg wurden 4000 Belgier wegen Kollaboration im NSKK und 3000 wegen Kollaboration in der OT von belgischen Gerichten verurteilt. Wever, Collaboratie, S. 33; ders., Greep, S. 413–415; TB MV Nr. 17 vom 22. September 1941, CEGESOMA, AA 577/87, S. A 10, A 28. 20 Im Gegensatz zur Zeitschrift »De Vlag«, schrieb sich die Organisation ohne Leerzeichen »DeVlag«. 21 Meire, S. 425 f.; Bens, S. 73 f.

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ab November 1941 offiziell wurde, als SSHA-Chef Berger Präsident der DeVlag wurde. Im Herbst  1941 sah er den Zeitpunkt für gekommen, die Allgemeine SS Flandern zur »Germanischen SS in Flandern« und damit zum Teil der deutschen Organisation zu machen. Mit der DeVlag gelang es nun auch, VNV-Mitglieder anzusprechen, da diesen die Doppelmitgliedschaft nicht verboten war. Überlegungen, das Verbot auf die DeVlag auszudehnen, wurden vom Militärverwaltungschef mit der Drohung verhindert, dass dies einer Kriegserklärung gleichkäme.22 Im ersten Halbjahr 1942 wurde immer deutlicher, dass es der SS gelang, in die Reihen des VNV einzubrechen und dessen Position als wichtigste Gruppe in der flämischen Kollaboration in Gefahr zu bringen. Der VNV versuchte nun, seine Bedeutung für die Besatzungsverwaltung mit Massenaufmärschen zu demonstrieren und den nationalsozialistischen Charakter der eigenen Bewegung zu unterstreichen. Dies bedeutete eine Zerreißprobe für die Organisation, weniger wegen der katholischen Identität vieler flämische Nationalisten, sondern vor allem, weil sich die VNV-Führung auf deutschen Druck verpflichtete, nicht mehr den großniederländischen Gedanken zu propagieren. An dessen Stelle trat nun eine vage formulierte großgermanische Zukunft, auch wenn der VNV weiterhin von flämischer Selbständigkeit und Beibehaltung der niederländischen Kultur und Sprache redete. Für Außenstehende war der Unterschied zu DeVlag und SS, die einen direkten Anschluss an Deutschland anstrebten, kaum noch wahrnehmbar. Während sich im VNV eine »großniederländische« Opposition bildete, bezeichnete SSHA-Chef Berger die Partei weiterhin als »separatistisch«.23 Während sich der VNV nach außen demonstrativ zur Kollaboration bekannte, verschärfte sich der Konflikt mit DeVlag / SS. Als Staf De Clercq am 20. Oktober 1942 starb, war es bereits zu einer weitgehenden Entfremdung zwischen den flämischen Nationalisten und der Besatzungsmacht gekommen. Neuer VNV-Führer wurde der Historiker Hendrik Elias, der sich einige Wochen nach De Clercqs Tod mit Berger traf. Er verwies auf die Bedeutung der flämisch-nationalistischen Bürgermeister und Generalsekretäre, ohne deren Hilfe die Verwaltung in Belgien zusammenbrechen werde. Der SSHA-Chef interpretierte dies als Drohung und kündigte für den Fall eines Streiks an, »5 % der Hetzer« in Konzentrationslager zu sperren und so den Widerstand zu brechen.24 Der Konflikt in der flämischen Kollaboration wurde nun auch nach außen sichtbarer. Freiwillige für die Waffen-SS und das Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps (NSKK) wurden nach Parteizugehörigkeit auf unterschiedlichen Veranstaltungen verabschiedet und verließen in getrennten Transporten Belgien. Elias erließ nun doch ein Kooperationsverbot mit DeVlag und warnte vor deutschem Imperialismus, ging aber auch gegen großniederländische Dissiden22 Wever, Greep, S. 448–452. 23 SSHA-Chef Berger an RFSS Himmler. 23. September 1942, zitiert nach: Jonghe, Strijd II, S. 22. 24 Wever, Greep, S. 524 f.

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ten im VNV vor. Nachdem im Mai 1943 die Flämische Legion ohne vorherige Absprache in die Waffen-SS-Sturmbrigade »Langemarck« umgewandelt worden war, verkündete er am 14. August 1943 das Ende jeglicher Zusammenarbeit mit der SS.25 Die Situation der Kollaborateure in Belgien war nicht beneidenswert. Seit der Einführung der sogenannten Dienstverpflichtung zum Arbeitseinsatz im Reich am 6. Oktober 1942, also der Verschleppung von Belgiern zur Zwangsarbeit nach Deutschland, nahmen Anschläge auf Angehörige der »Erneuerungsbewegungen« zu. Auch wenn die Situation in Flandern, verglichen mit Wallonien und Brüssel, relativ ruhig blieb, wuchs auch hier die Feindseligkeit gegenüber den Kollaborateuren.26 Der VNV versuchte, hierauf auch mit einer Distanzierung von der Besatzungsmacht zu reagieren. Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit der SS wurden VNV-Milizen und Bürgermeister angewiesen, nicht mehr an der Erfassung und Deportation von Zwangsarbeitern mitzuwirken.27

b) Die letzten Monate der Besatzung Im Herbst  1943 wurde ein endgültiger Bruch zwischen VNV und der Besatzungsmacht immer wahrscheinlicher. Nachdem Elias am 14. August 1943 öffentlich das Ende der Zusammenarbeit mit der SS verkündet hatte, verbot er am 17. Oktober Doppelmitgliedschaften in VNV und DeVlag. Letztere reagierte mit einer Intensivierung ihrer großdeutschen Politik. Im November 1943 wurde die Hitlerjugend Flandern gegründet, ein Schritt, der allgemein als Zeichen für eine bevorstehende Annexion gewertet wurde. Elias geriet in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck, die Kollaboration ganz zu beenden, und Reeder hielt es für denkbar, dass er die Partei auflösen oder zumindest die Arbeit suspendieren würde.28 Dieses Szenario konnte auch nicht im Sinne der SS sein, die beabsichtigte, den VNV zu absorbieren. Nach langwierigen Sondierungen kam es am 29. Februar und 1. März 1944 zu Gesprächen zwischen Elias und der SS-Führung, an denen neben Himmler auch DeVlag-Führer Van de Wiele, SSHA-Chef 25 Wever, Greep, S. 452–456, 464 f., 527 f. Zu den getrennten Abschiedsfeierlichkeiten siehe Maurice De Wilde, De collaboratie Teil 8, Dokumentarserie für den BRT 1980–1986. 26 Die rexistischen Bürgermeister von Charleroi und Verviers waren im November 1942 erschossen worden, ihr Lütticher Kollege flüchtete sich daraufhin in ein Sanatorium. TB MV Nr. 22 vom 31. Dezember 1942, CEGESOMA, AA 577/91, S. A5-A9, A12. 27 Bericht von Militärverwaltungschef Reeder. Brüssel, 28. August 1943, BArch, NS 19/1530, S. 14; SSHA-Chef Gottlob Berger an Rudolf Brandt, den persönlichen Referenten Himmlers. Bericht eines Vertrauensmannes über eine Führungstagung des VNV am 14. August 1943. Berlin, 21.August 1943, BArch, NS 19/1530, S. 2. 28 TB MV Nr. 26 für die Monate Oktober bis Dezember 1943 (Allgemeiner und politischer Teil umfasst auch die Monate Januar und Februar 1944), 1. März 1944, CEGESOMA, AA 577/95, S. A 17.

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Berger, RSHA-Chef Kaltenbrunner, der Chef des Sipo / SD in Belgien Canaris sowie der Beauftragte für Volkstumsfragen in Belgien Jungclaus teilnahmen. Eine Teilnahme Reeders war abgelehnt worden, so dass sich der VNV-Führer einer geschlossenen SS-Front gegenübersah. Was in Himmlers Sonderzug von Berlin nach Salzburg genau besprochen wurde, lässt sich aufgrund fehlender zeitgenössischer Quellen nicht sagen, lediglich die Nachkriegsaussagen der beiden beteiligten Flamen sind überliefert. Danach forderte Elias deutsche Garantien für ein selbständiges Flandern sowie die Auflösung von DeVlag und flämischer HJ, was Himmler ablehnte. Auf die Frage des RFSS, ob der VNV bereit sei, die Werbung für die Waffen-SS wieder aufzunehmen, antwortete Elias negativ. Das einzige Ergebnis des Treffens war das vage und – wie sich herausstellen würde – leere Versprechen der flämischen Kollaborateure, sich in Zukunft nicht mehr gegenseitig zu bekämpfen. Letztlich hatte die SS mit dem Treffen vor allem Zeit gewonnen und ein Ausscheiden der flämischen Nationalisten aus der Kollaboration erfolgreich abgewendet.29 Ein gemeinsames Problem von DeVlag und VNV war die steigende Popularität Degrelles, der schon im Januar 1943 die Wallonen zu Germanen erklärt und davon auch die deutsche Führung überzeugt hatte. Hitler nannte ihn den »einzige[n] wirklich brauchbare[n] Belgier«30 und zeichnete ihn am 20. Februar 1944 persönlich mit dem Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz aus – kurz vor dem Treffen der flämischen Kollaborateure mit der SS-Führung. Der Rexist nutzte die Gelegenheit, um sich über die Besatzungspolitik in Belgien zu beschweren und seine Kontakte zur NS-Führung auszubauen. Goebbels notierte: »Ich höre übrigens, dass Degrelle auf den Führer den besten Eindruck gemacht hat. In der Tat handelt es sich bei Degrelle um einen der fähigsten politischen Führer aus dem Lager, das sich aus den besetzten Gebieten zu uns bekennt«.31 Auch Himmler präsentierte ihn Elias und Van de Wiele als leuchtendes Vorbild.32 Degrelle machte keinen Hehl daraus, dass er seinen Machtanspruch nicht auf Wallonien beschränkte. Am 1. April 1944 kehrte die von ihm geführte SS-Sturmbrigade »Wallonien« zum Fronturlaub geschlossen nach Belgien zurück. Nach einem Aufmarsch in Charleroi fuhr die vollmotorisierte Brigade nach Brüssel, wo Degrelle vor der Börse eine Parade abnahm.33 Die Militärverwaltung hatte einen Auftritt in der Hauptstadt noch unter dem Vorwand der Gefahr von Luftangriffen verhindern wollen. Tatsächlich befürchtete Reeder negative Reaktionen der flämischen Kollaborateure, die Brüssel wie im Ersten Weltkrieg als Teil Flanderns betrachteten.34 Er kritisierte, dass Degrelle vom »Völkischen 29 Wever, Greep, S. 555–563; Jonghe, Strijd VII, S. 130–137. 30 Jonghe, vestiging, S. 92–94; Der Vertreter des AA beim MB Belgien und Nordfrankreich Bargen. Brüssel, 15. Januar 1943, ADAP, E, 5, S. 108. 31 Goebbels, Eintrag vom 22. Februar 1944, siehe auch Eintrag vom 23. Februar 1944. 32 Wever, Greep, S. 561. 33 TB MV Nr. 27 für den Monat März 1944. Brüssel, 10. April 1944, CEGESOMA, AA 577/96, S. 10–11. 34 Ebd., S. A7 f.

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Beobachter« und anderen Zeitungen als »belgischer Volksführer« bezeichnet worden war und auch ansonsten positiv Bezug auf Belgien genommen wurde.35 Die Militärverwaltung bemühte sich gemeinsam mit Sipo / SD, die Expansion der Rexbewegung nach Flandern zu unterbinden, als diese versuchte, in Brüssel und Antwerpen Veranstaltungen durchzuführen.36 Für den VNV war besonders bitter, dass Degrelles »belgizistische« Politik weitgehend hingenommen wurde, während den flämischen Nationalisten jeder Bezug auf die Großniederlande vorgehalten wurde. Für alle Mitglieder kollaborierender Gruppen war das Jahr 1944 mit zunehmender Unsicherheit verbunden. Die alliierten Luftangriffe und die allgemeine Erwartung einer Invasion waren das eine, auf der anderen Seite nahmen Anschläge auf Kollaborateure und ihre Familienangehörigen zu, wobei die Lage in Flandern im Vergleich zu Wallonien und Brüssel relativ ruhig war. Die große Mehrzahl aller bewaffneten Widerstandshandlungen während der Besatzung, nämlich 72 %, fanden in Wallonien statt, in Brüssel und dem wesentlich bevölkerungsreicheren Flandern jeweils 14 %. Nachkriegsuntersuchungen zeigen zudem, dass höchstens 35 % der belgischen Widerstandskämpfer Flamen waren, die zu diesem Zeitpunkt 54 % der Gesamtbevölkerung ausmachten.37 Dies deckt sich mit den Berichten der Militärverwaltung, die in Flandern zudem eine größere Bereitschaft konstatierte weiterhin mit der Besatzungsmacht zusammenzuarbeiten. Während in Wallonien Arbeiter nach Luftangriffen tagelang ihrer Arbeit fernblieben, sei dies in Flandern nicht passiert. Auch die Wehrmacht berichte, dass »in Flandern von Seiten der Landeseinwohner ihnen alle erwünschte Unterstützung zuteil wird, im Gegensatz zu Holland, wo Truppen aus denselben Verbänden stehen«.38 Dennoch nahm auch in Flandern die Gewalt zu, wobei es in Limburg und um Löwen zwei Schwerpunkte gab.39 Mit der Landung der Alliierten in der Normandie eskalierte die Lage und die NS-Führung reagierte mit einer Radikalisierung der Besatzung. Am 12. Juli 1944 verkündete Hitler im Führerhauptquartier Belgien annektieren zu wollen und schlug die »die Bildung eines flämischen und eines wallonischen Reichsgaues« vor. Nach mehr als vier Jahren Militärverwaltung setzte er am 18. Juli 1944 Joseph Grohé als »Reichskommissar für die besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich« ein. Dem neuen Reichskommissar trug er auf, »unsere so bezeichneten nationalen Interessen im belgischen Raum eiskalt zu verfolgen und ganz rücksichtslos und egoistisch zu vertreten«. Die Besatzungsmacht solle sich nicht auf den belgischen Adel, sondern auf das »Vlamentum« stützen. 35 Ebd., S. 1. 36 TB MV Nr. 28 für den Monat April 1944. Brüssel, 10. Mai 1944, CEGESOMA, AA 577/96, S. 4. 37 Maerten, S. 313–315. 38 TB MV Nr. 28 für den Monat April 1944. Brüssel, 10. Mai 1944, CEGESOMA, AA 577/96, S. A11, 1. 39 Wever, Vijand, S. 307.

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Auf der gleichen Besprechung präsentierte Himmler die DeVlag als wichtigste Kollaborationsbewegung, mit deren Hilfe er den VNV aus der Verwaltung verdrängen wollte und warnte vor Degrelle, der die Idee eines »großburgundischen Reiches« verfolge.40 Mit dem Amtsantritt Grohés wurde Jungclaus zum HSSPF in Belgien ernannt und kurze Zeit später auch zum Wehrmachtsbefehlshaber. Der Wechsel war allerdings weniger radikal als erwartet.41 Im Gegensatz zu Falkenhausen, den man wegen Kontakt zu den Verschwörern des 20. Julis festnahm, blieb Reeder für die Verwaltung zuständig und auch die von Himmler angestrebte Verdrängung des VNV fand nicht statt. Grohé vertrat die Meinung, dass DeVlag und Rex zahlenmäßig nicht in der Lage waren, diesen zu ersetzen. Über Degrelle schrieb er, dass dieser »unzweifelhaft die Wiederherstellung eines souveränen belgischen Staates« beabsichtige und darauf dränge, ihn mit der »Leitung der belgischen Ministerien« zu betrauen.42 Ende August  1944 wurde deutlich, dass eine Evakuierung Belgiens unvermeidlich war. Mit den deutschen Truppen verließen auch 15.000 flämische Flüchtlinge das Land. In Deutschland erfolgte nun die Entmachtung des VNV, auf die man in Belgien wegen seiner Bedeutung für die Besatzungsverwaltung noch verzichtet hatte. Elias erfuhr fast beiläufig, dass Van de Wiele durch Entscheidung Hitlers zum Führer der flämischen Volksgruppe gemacht worden war. Dieser stellte nun eine »Landesleitung« (ndl.»landsleiding«) auf, die sich um die Flüchtlinge kümmerte und vor allem für die Waffen-SS warb. Der VNV-Führer wurde hingegen Anfang Januar 1945 interniert, nachdem ihn u. a. Cyriel Verschaeve gegenüber Himmler beschuldigt hatte, die Werbung für die Waffen-SS zu hintertreiben.43 Die »großdeutsche« Richtung in der flämischen Kollaboration hatte sich durchgesetzt, allerdings nur gegen den VNV. Bemerkenswert ist, dass Degrelle am Kriegsende gleichberechtigt als Führer der wallonischen Volksgruppe neben Van de Wiele stand, den er verächtlich einen »Schullehrer

40 Aufzeichnung des Reichskabinettsrats von Stutterheim. 13. Juli 1944, ADAP, E, 8, S. ­203–205. 41 Schon Jonghe widersprach der von Wagner, S. 292 vertretenen Darstellung, der Wechsel von der Militär- zur Zivilverwaltung habe insgesamt zu einem brutaleren Vorgehen der Besatzungsmacht beigetragen, und verwies dabei auf die Zahl exekutierter Geiseln. Während der kurzen Amtszeit der Zivilverwaltung vom 19. Juli bis 2. September 1944 wurden 65 Geiseln exekutiert. Falkenhausen ließ im vergleichbaren Zeitraum vom 12. Dezember 1942 bis 13. Januar 1943 60 Geiseln hinrichten, insgesamt waren es unter der Militärverwaltung 240. Hierbei muss zudem berücksichtigt werden, dass die Angriffe auf die Besatzungsmacht mit der alliierten Landung in der Normandie stark zunahmen. Die auch von Weber, S. 163 aufgestellte Behauptung, anhand der Zahl der Erschossenen könne ein Anstieg der Repressalien nach dem Weggang Falkenhausens belegt werden, ist also falsch. Jonghe, Strijd II, S. 82–83. 42 Aufzeichnung ohne Unterschrift (wahrscheinlich Lammers), 4. August 1944, ADAP, E, 8, S. 275–278. 43 Wever, Greep, S. 617–620.

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ohne wirkliche Bedeutung« nannte.44 Nach der Verleihung des Eichenlaubs zum Ritterkreuz am 29. August 1944 war der Rexist einer der am höchsten dekorierten Ausländer in deutschen Diensten. Der »Eichenlaubträger« Degrelle, wie er nun häufig bezeichnet wurde, erschien auf den Titelseiten deutscher Zeitungen und auch in der Wochenschau. Seine Absicht, nach der Rückeroberung Belgiens eine aus »Flamen und Wallonen zusammengesetzte Zentralregierung unter seiner Führung« einzurichten, war angesichts der militärischen Lage illusorisch.45 Ob er sie hätte durchsetzen können, bleibt Spekulation. Die Sympathien vieler deutscher Entscheidungsträger hatte er jedenfalls gewonnen. Verwandtschaft in Ideologie und politischem Stil wogen hier die rassenideologische Verbundenheit mit den »germanischen« Flamen auf. Dreißig Jahre nach dem Beginn der Flamenpolitik 1914 war ein frankophoner und dezidiert belgisch-unitarischer Politiker zum wichtigsten Bündnispartner deutscher Ambitionen in Belgien geworden.

c) Befreiung und Zusammenbruch, »Säuberung« und »Repression« De Wever schreibt von den zwei Ursachen der belgischen Kollaboration des Zweiten Weltkriegs, der ideologischen und der flämisch-nationalistischen.46 Die ideologische Strömung war hierbei sehr uneinheitlich. Sowohl der VNV als auch die Rex-Partei orientierten sich an faschistischen Vorbildern. Auf der anderen Seite landeten viele Vollblutfaschisten, vor allem frankophone, etwa aus der Légion nationale, aber auch flämische aus dem Verdinaso, im belgischen Wider­stand.47 Wenn von der ideologischen Komponente die Rede ist, muss auch an Monarchisten und andere Anhänger eines autoritären Gesellschaftsmodell bis hin zum Sozialisten De Man gedacht werden. Im Vergleich hiermit ist die zweite Komponente der belgischen Kollaboration relativ einheitlich. Wer vor dem Krieg flämischer Nationalist war, kollaborierte während des Kriegs oder bewegte sich zumindest in einem Milieu, in dem Kollaboration die Regel war. Hierbei kann übrigens davon ausgegangen werden, dass die große Mehrheit der flämischen Nationalisten bereits vor dem Krieg eine autoritäre Gesellschaftsordnung anstrebte, wie sie vom faschistischen oder zumindest faschistoiden VNV propagiert wurde. Wie erwähnt musste faschistische Ideologie jedoch nicht unbedingt in die Kollaboration führen. Was die flämischen Nationalisten für die Kollaboration prädestinierte, war nicht an erster Stelle ihre autoritäre

44 Der Vertreter des AA beim Flämisch-Wallonischen Befreiungskomitee Diehl an das AA. Diehl, 14. Januar 1945, ADAP, E, 8, S. 632. 45 Ebd. 46 Wever, Vijand, S. 293. 47 Müller, Gruppen.

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Ideologie, sondern das Erbe der importierten Nation. Mit diesem verknüpft war die Erwartung, dass die deutsche Besatzungsmacht die Errichtung eines selbständigen Flanderns oder sogar der Großniederlande fördern würde. Der deutsche Annexionismus wurde hierbei von der Mehrheit verdrängt und von einer kleinen Minderheit freudig begrüßt. Zu den Früchten der Flamenpolitik gehört auch, dass die Kollaboration der flämischen Nationalisten weit über die parteipolitisch organisierten Kreise ausstrahlte. Alle deutschen Stimmungsberichte, Statistiken über Kollaboration und Widerstand, Bereitschaft zum Arbeitseinsatz sprechen eine eindeutige Sprache. Das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten war in Flandern wesentlich besser als im frankophonen Belgien. Dies hatte auch damit zu tun, dass es den flämischen Nationalisten in den 1920er und 1930er Jahren gelang, die kulturelle Hegemonie in der Flämischen Bewegung zu erringen. Die Yserwallfahrten und Feiern zum 11. Juli waren während des Kriegs Veranstaltungen der flämischen Kollaborateure und dissidente Strömungen marginal. Dies änderte sich erst, als deutlich wurde, dass Deutschland der Gründung eines unabhängigen Flanderns nie zustimmen würde. Die Symbole der flämischen Bewegung wurden zu Symbolen der Kollaboration, weil sie flämisch-nationalistisch waren und die Wurzeln des flämischen Nationalismus in der Kollaboration des Ersten Weltkriegs lagen. Während die Passivisten von 1914 bis 1918 deutlich in der Mehrheit waren, blieben die Gegner der Kollaboration in der Flämischen Bewegung von 1940 bis 1944 nahezu unsichtbar. Mit der Befreiung Belgiens im September 1944 begann die Phase der »Säuberung« (ndl.  »epuratie«; frz. »epuration«). Unter flämischen Nationalisten wurde – wie nach dem Ersten Weltkrieg – von »Repression« (ndl. »repressie«) gesprochen, eine Bezeichnung, die sich im Flandern der Nachkriegszeit durchsetzte.48 Beide Begriffe beschreiben einen Vorgang, der über die juristische Verfolgung der Kollaborateure weit hinausging. In den ersten Monaten der Befreiung lag die Verfolgung der »unzuverlässigen Bürger« (frz. »inciviques«; ndl. »incivieken«) vielfach in den Händen der Widerstandsgruppen.49 Diese gingen teilweise mit ausgesprochener Brutalität gegen »Verräter« und solche, die dafür gehalten wurden, vor. Die Staatsmacht schaute teils hilflos, teils mutwillig zu. Schlecht bewaffnete Polizisten und Gendarmen sahen sich mit Kriegswaffen ausgerüsteten Partisanen konfrontiert. Auf der anderen Seite betrachteten auch viele Politiker eine Art Selbstreinigung der Gesellschaft als notwendig und Auswüchse als bedauerliche, aber unvermeidliche Begleiterscheinung. Frauen, die während der Besatzung einen deutschen Freund gehabt hatten oder Angehörige einer kollaborierenden Gruppe gewesen waren, wurden öffentlich die Haare »ge-

48 Im Gegensatz zu den Niederlanden, wo bis heute von »Säuberung« (ndl. »zuivering«) gesprochen wird. Sax, S. 15. 49 »Incivique« ist das Antonym zu »civique«, das ungefähr die Bedeutung »staatsbürgerlich« hat. Beispiele sind »courage civique« (dt. »Zivilcourage«) oder »sens civique« (dt. »Bürgersinn, Gemeinsinn«).

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schoren«.50 Wohnungseinrichtungen wurden kurz und klein geschlagen oder auf der Straße verbrannt, Verdächtige in Ermangelung ausreichender Zellen mitunter in Hühnerställen festgehalten. In Antwerpen benutzte man die Käfige des städtischen Zoos. Den staatlichen Instanzen gelang es nur langsam, die Kontrolle wiederzugewinnen, und sie mussten ihr Gewaltmonopol teilweise erst gewalttätig gegen die Widerstandsgruppen durchsetzen.51 Die flämischen Nationalisten bekamen den Hass von vier Jahren Besatzung und eines noch immer andauernden Krieges zu spüren. Als im Frühjahr 1945 die politischen Gefangenen und die wenigen jüdischen Überlebenden aus den Konzentrationslagern zurückkehrten, wurde das ganze Ausmaß der deutschen Verbrechen deutlich. Dies führte zu einer weiteren Welle von Straßengewalt.52 Dass in dieser Atmosphäre jede Form flämisch-nationalistischer Betätigung unmöglich war, bedarf wohl keiner Erklärung. Am 16. Juni 1945 beschädigte ein Bombenanschlag den Yserturm schwer, ein weiterer folgte am 16. März 1946 und zerstörte ihn fast vollständig. Die Proteste gegen diese Taten waren die ersten dokumentierten flämisch-nationalistischen Veranstaltungen nach dem Krieg, aber eine Yserwallfahrt fand erst 1948 wieder statt.53 Wie nach dem Ersten Weltkrieg begannen die flämischen Nationalisten mit dem Kampf gegen eine als überzogen wahrgenommene belgische »Repression«. Ebenso wie nach 1918 gehörte Amnestie für die verurteilten Kollaborateure bis in die 1990er Jahre zu den Kernforderungen. Dass die Verfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg umfangreicher ausfiel, hatte viel mit den Erfahrungen des Ersten zu tun. Schließlich waren viele der flämischen Nationalisten, die ab 1940 kollaborierten, auch schon damals aktiv gewesen.54 Für die Flämische Bewegung bedeutete der Zweite Weltkrieg einen herben Rückschlag. Die Föderalisierung Belgiens, die sich in den 1930er Jahren schon angedeutet hatte, wurde erst in den 1970er Jahren realisiert. Die katholische Partei nahm die Föderalisierung ihrer Strukturen sogar zurück und entschied sich nach dem Krieg wieder für eine unitaristische Organisation.55 Dennoch ist bemerkenswert, dass in Flandern die Geschichte keinesfalls von den Siegern geschrieben wurde. Eine Karriere in der Kollaboration stand einer Nachkriegskarriere nicht unbedingt entgegen, wie das Beispiel Victor Leemans’ belegt, der es in der katholischen Partei immerhin bis zum Präsident des Europäischen Parlamentes schaffte. Anders als in Frankreich oder den Niederlanden gab es in Flandern keinen Konsens über die Vergangenheit.56

50 Zu dieser speziellen Form der Demütigung von Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in vielen Teilen Europas üblich war und der Wiederherstellung nationaler Männlichkeit diente: Virgili. 51 Seberechts, Ieder, S. 71–75. 52 Ebd., S. 61. 53 Ebd., S. 92. 54 Aerts, S. 67 f. 55 Schryver, Unitarisme. 56 Aerts, S. 13–19.

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d) Die Bedeutung des flämischen Nationalismus für die Besatzungsherrschaft – eine Bilanz Im Unterschied zum Ersten Weltkrieg bestand mit den flämischen Nationalisten schon vor dem Krieg eine große deutschfreundliche Gruppe in der belgischen Bevölkerung, die mit dem VNV zudem über eine in ganz Flandern verankerte Organisation mit geschultem politischem Personal verfügte. Anders als 1914 waren allerdings auch die staatlichen und wirtschaftlichen Eliten Belgiens zu einer weitgehenden Kooperation mit der Besatzungsmacht bereit und – ebenfalls im Unterschied zum Ersten Weltkrieg – wollte die Militärverwaltung diese Zusammenarbeit nicht durch politische Maßnahmen zugunsten der flämischen Nationalisten gefährden. Zudem gab es mit der Rex-Bewegung auch in Wallonien eine politische Kraft von Bedeutung, die dem nationalsozialistischen Deutschland ihre Zusammenarbeit anbot. Der flämische Nationalismus war also nur einer von mehreren Faktoren, der die hohe Bereitschaft zur Kollaboration erklärt. Hinzu kommt, dass die Besatzungsmacht mit der SS Flandern und später der DeVlag den Aufbau einer großgermanischen Alternative zum VNV betrieb. Diese bewusste Spaltung der flämischen Nationalisten muss in die Betrachtung miteinbezogen werden. Sie erklärt beispielsweise, warum die Anzahl der wallonischen Waffen-SS-Freiwilligen zeitweise die der flämischen überstieg, obwohl die Rex-Bewegung deutlich weniger Mitglieder als die flämischen Organisationen hatte. Da der VNV eine Indoktrination seiner Mitglieder durch die Waffen-SS fürchtete, rief er auch zur Meldung bei flämischen Wacheinheiten, zum NSKK oder zur Kriegsmarine auf. Der große Anteil flämischer Nationalisten in militärischen Einheiten und der Verwaltung unterstreicht deren Bedeutung für die Besatzungsmacht ebenso wie die größere Akzeptanz der Besatzung in Flandern, verglichen mit dem frankophonen Belgien. Diese zeigte sich sowohl in der höheren Bereitschaft, sich für einen freiwilligen Arbeitseinsatz im Reich zu melden, als auch an der höheren Beteiligung der flämischen Bevölkerung an freiwilligen Maßnahmen wie etwa Metallsammlungen für die Deutschen. Obwohl immer deutlicher wurde, dass Deutschland die Annexion Flanderns betrieb, zogen viele VNV-Mitglieder diese Option der Wiederherstellung Belgiens vor.57 Auch für die Judenverfolgung spielte diese Haltung eine Rolle. Während die Bürgermeister der Brüsseler Gemeinden und Lüttichs sich weigerten, an der Verteilung der »Judensterne« mitzuwirken, gab es in Antwerpen keinen Widerstand, und die Behörden nutzten die Gelegenheit, um ihr »Judenregister« auf den neuesten Stand zu bringen. Auch die Polizei der Scheldestadt beteiligte sich zunächst an Razzien gegen Juden, während die Brüsseler Gemeinden eine Mitwirkung verweigerten. Letztlich wurden aus Antwerpen etwa 66 % der dort lebenden Juden deportiert, während 57 TB MV Nr. 18 vom 21. Dezember 1941, CEGESOMA, AA 577/88, S. B4, C6.

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es in der belgischen Hauptstadt mit 37 % deutlich weniger waren.58 Doch nicht nur die Bereitschaft zur Kollaboration war in Flandern höher als in Brüssel und Wallonien, auch der Widerstand war hier deutlich geringer. Lediglich ein Viertel der belgischen Untergrundpresse des Zweiten Weltkriegs war niederländisch oder zweisprachig, der Rest erschien auf französisch.59 Auch wenn diese Unterschiede zwischen Flandern einerseits sowie Brüssel und Wallonien andererseits nicht unmittelbar mit dem flämischen Nationalismus in Zusammenhang gebracht werden können, so liegt eine Verbindung doch zumindest nahe.

58 Wouters, Jacht, S. 517–530, 543–563. Die Diskussion über diese Unterschiede: ebd., S. 599– 607; Griffioen u. Zeller, S. 533–540; Saerens, Jodenvervolging, S. 199–235; Goethem, 1942. 59 Maerten, S. 213 f.

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Fazit Welchen Einfluss hatte die deutsche Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs auf die Entstehung des flämischen Nationalismus?, so lautete die Ausgangsfrage. Der Untersuchung lag die These zugrunde, dass der flämische Nationalismus erst durch die unter deutscher Besatzung importierte Nation entstand. Mit der Flämischen Hochschule in Gent, der Gründung des Rates von Flandern sowie der Einrichtung eines von Wallonien getrennten Verwaltungsgebiets Flandern, zuletzt durch die Ausrufung der flämischen Selbständigkeit 1918 baute man unter deutscher Aufsicht von 1916 bis 1918 nationalstaatliche Strukturen auf, ohne dass diese zuvor von einer flämischen Nationalbewegung angestrebt worden wären. Im Gegenteil: Erst die Existenz eines von deutschen Behörden konzipierten und aufgebauten flämischen Staatswesens brachte den flämischen Nationalismus hervor. Die enormen Schwierigkeiten der Besatzungsbehörden bei der Initiierung einer flämischen Nationalbewegung belegen diese These. Selbst die radikalen Jungflamen wussten, dass die große Mehrheit ein unabhängiges Flandern ablehnte und es nur mit deutscher Hilfe zu verwirklichen war. Sie hüteten sich davor ihre Ziele zu veröffentlichen und konzentrierten sich zunächst auf die Vorbereitung der Geister. Wie wenig man zu Beginn des Ersten Weltkriegs von einer flämischen Nationalbewegung sprechen kann, zeigt auch der Vergleich mit dem Ausland. Während in Polen, Irland oder Tschechien Unabhängigkeitsbewegungen den Krieg als Möglichkeit begriffen, ihre nationalen Ziele zu verwirklichen, konnte davon in Flandern keine Rede sein. Die deutsche Flamenpolitik war also nicht nur ein Katalysator oder Impulsgeber, sondern sie initiierte den flämischen Nationalismus und gab ihm mit der importierten Nation Inhalt und Richtung. Selbstverständlich geschah dies ausgehend von bereits bestehenden Verhältnissen. Die Einrichtung einer Flämischen Hochschule, die Frage der ökonomischen Entwicklungsbedingungen Flanderns, sogar die Verwaltungstrennung waren schon vor 1914 wichtige Themen gewesen. Dass diese Voraussetzungen für einen flämischen Nationalismus wirksam wurden und wie sie es taten, war jedoch wesentlich der deutschen Besatzungspolitik zu verdanken. Die Flämische Hochschule, die Verwaltungstrennung und die Schaffung flämischer ökonomischer Strukturen erfolgten nach deutschen Konzepten und Vorgaben. Sie waren Teil des größeren Projektes der »Zerlegung Belgiens in Flandern und Wallonien«, wie der Vorgang im Reichsamt des Innern hieß. Die Vorkriegsforderungen der flämischen Bewegung realisierte die Besatzungsmacht auf radikale Weise und mit dem Ziel, den belgischen Staat zu zerschlagen. Dieses Vorgehen schuf einen Gegensatz zwischen Belgien und flämischer Bewegung, der so zuvor nicht bestanden hatte und die Behandlung der flämischen Frage seitdem prägt. 314

Es kann nicht genug hervorgehoben werden, dass diese Entwicklung gegen den Widerstand eines großen Teils der Flämischen Bewegung begann. Die Gründung der Flämischen Hochschule musste 1916 nicht nur gegen die bisherigen Dozenten durchgesetzt werden, auch viele Befürworter einer niederländischsprachigen Universität lehnten ihre Errichtung unter deutscher Besatzung ab. Einige, wie Paul Fredericq, wurden deshalb sogar verhaftet und in Deutschland interniert. Noch deutlicher ist die deutsche Initiative bei der Verwaltungstrennung – ein Begriff, der vor dem Krieg zwar als politischer Slogan existierte, mit dem aber noch kein konkretes politisches Programm verbunden war. Unter deutscher Besatzung wurde die Verwaltungstrennung 1917 gegen alle Bedenken durchgesetzt, obwohl nicht einmal ausreichend qualifizierte Aktivisten zur Verfügung standen, um die neu geschaffenen Posten zu besetzen. Vielfach übernahmen flämische Professoren neben ihrer Tätigkeit in Gent noch eine Funktion in den neugeschaffenen Ministerien – eine Doppelbelastung, die schon aufgrund der Reisebeschränkungen zwischen Generalgouvernement und Etappengebiet nur schwer zu meistern war. Die Personalnot verschärfte sich mit dem unerwarteten Streik der belgischen Ministerialbeamten, so dass in einer Zeit, als in Deutschland jede Amtsstube nach kriegstauglichen Männern durchkämmt wurde, die Anzahl der deutschen Beamten in Belgien stieg. Denn die flämischen Ministerien funktionierten nur, weil deutsche Fachleute sie unter ihre Fittiche nahmen. Auch die Gründung des Rates von Flandern sowie die Selbständigkeitserklärung von 1918 erfolgten unter deutscher Beteiligung. Die importierte Nation war also ein deutsch-flämisches Zwitterwesen, das aus den neuen flämischen Behörden sowie der neu organisierten Besatzungsverwaltung bestand. Letztere institutionalisierte die Flamenpolitik, indem sie nicht nur die belgischen Ministerien, sondern auch den eigenen Apparat in für Flandern und Wallonien zuständige Behörden zerlegte. Deutsche Beamte – und an der Flämischen Hochschule auch niederländische Professoren – fungierten hierbei als substituierte Elite eines flämischen Nationalstaats ohne National­bewegung. Erst aus dieser importierten Nation heraus gelang es, den Kern einer flämischen Nationalbewegung zu schaffen, der eine Verwirklichung seiner Ziele eher von der Besatzungsmacht denn vom belgischen Staat erhoffte. Inwiefern der Versuch, eine flämische staatliche Elite auszubilden, Erfolg hatte, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls konnten sowohl die Flämische Hochschule als auch viele der neu gegründeten Ministerien noch vor dem Ende der Besatzung in die Hände der Aktivisten überführt werden. Die Entstehung des flämischen Nationalismus aus einer unter Besatzungsherrschaft importierten Nation macht ihn singulär: Der Abspaltungsnationalismus, der Flandern von Belgien trennen wollte, entwickelte sich als integrierender Nationalismus aus von Deutschland geschaffenen staatlichen Strukturen. Die Gründe für die Nation-Building-Politik waren vielschichtig und hatten mehr mit der deutschen Außen- und Innenpolitik zu tun als mit der Situation im Besatzungsgebiet. Der bevorzugte Gegenstand deutscher Kriegszieldebatten war 315

Belgien und für Bethmann Hollweg war die Flamenpolitik zunächst Teil seiner »Politik der Diagonale«, also des Versuchs, die Positionen von Befürwortern und Gegnern einer Annexion Belgiens miteinander zu versöhnen, um so den fragilen Burgfrieden zu erhalten. Ähnliche Absichten verfolgte Kühlmann in seiner Zeit als Gesandter in den Niederlanden 1915 und 1916. Die Unterstützung der Flamen sollte Befürchtungen vor einer deutschen Einkreisung der Niederlande zerstreuen, die durch eine Annexion Belgiens drohte. Sie sollte Sympathien in dem für die Versorgung Deutschlands wichtigen neutralen Staat gewinnen, was insbesondere bei konservativen Großniederländern gelang. Die OHL unter Hindenburg und Ludendorff betrachtete die Flamenpolitik Ende 1917 hingegen als Mittel, um einen Verständigungsfrieden zu verhindern, für den die Bereitschaft zur bedingungslosen Räumung Belgiens eine Voraussetzung gewesen wäre. Alle Beispiele zeigen, dass es in Wahrheit nicht darum ging, den »flämischen Volksstamm« vor der »Verwelschung« in einem als »künstlich« geschmähten belgischen Staat zu retten. Das Schicksal der Flamen war den meisten deutschen Flamenpolitikern wohl herzlich egal und ihre völkische Rhetorik nichts weiter als politisches »window dressing«. Allerdings entfaltete die Flamen­propaganda eine Eigendynamik, in der es auf einmal einer »echten« Nationalbewegung bedurfte. Die importierte Nation und der bemerkenswerte Aufwand, den Deutschland zu ihrer Realisierung trieb, sollten der Legende von der flämischen Nationalbewegung Leben einhauchen. Der Höhepunkt dieser Inszenierung war die Teilung des Besatzungsapparates in für Flandern und Wallonien zuständige Teile, die es zudem erlaubte, deutsche Kritiker der Flamenpolitik durch neues Personal zu ersetzen. Wie sehr es sich bei der Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs um ein Nation-​ Building ohne Nationalisten handelte, zeigt auch der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz zu 1914 gab es 1940 flämische Nationalisten. Den Aufbau eines flämischen Staates lehnte die deutsche Militärverwaltung jedoch rigoros ab. Hierfür gab es zwei Gründe: Kurz- und mittelfristig sollten der belgische Staat und seine Beamten einer effizienten Ausbeutung des Landes dienen, langfristig war eine Integration Flanderns in ein Großgermanisches Reich beabsichtigt. Mit beiden Zielen ließ sich der Aufbau eines flämischen Staates nicht vereinbaren. Dennoch gelang es der Militärverwaltung von 1940 bis 1944, die Früchte der Flamenpolitik des Ersten Weltkriegs zu ernten. Der Einsatz flämischer Nationalisten in der Verwaltung, in den Sicherheitsbehörden und im Militär wäre ohne die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und den damit verknüpften Erwartungen auf belgischer Seite nicht möglich gewesen. Daran, dass die Bereitschaft der flämischen Nationalisten zur Kollaboration ein Ergebnis der importierten Nation war, besteht kein Zweifel. Sie sahen sich in der Nachfolge der Aktivisten des Ersten Weltkriegs und erwarteten wie diese die Verwirklichung ihrer politischen Träume durch die Besatzungsmacht. Überspitzt könnte man sagen, dass das Verhalten der flämischen Nationalisten durch den Ersten Weltkrieg determiniert wurde. 316

Umgekehrt galt dies nicht für die deutsche Seite. Die historischen Erfahrungen von 1914 bis 1918 wurden für die Vorbereitung der Besatzung ausgewertet, aber keineswegs unkritisch übernommen. Vor allem die Verwaltungstrennung, der Kern der importierten Nation des Ersten Weltkriegs, fand keine Gnade vor den Augen von Militärverwaltungschef Reeder. Die importierte Nation war relevant für die Planung der Besatzung ab 1940, aber nicht handlungsleitend, obwohl sie wichtige Voraussetzungen geschaffen hatte, von denen die Militärverwaltung profitierte. Neben der Existenz eines organisierten flämischen Nationalismus muss hierbei vor allem an die Furcht der belgischen Behörden vor einem erneuten Eingriff in die staatlichen Strukturen gedacht werden. Sie erklärt die Bereitschaft zu weitgehenden Zugeständnissen an die Besatzungsmacht. Die belgische Kollaboration des Zweiten Weltkriegs hängt so in einem doppelten Sinn mit der importierten Nation des Ersten Weltkriegs zusammen. Wie konnte nach 1918 aus dem deutsch-flämischen Zwitterwesen der importierten Nation ein flämischer Nationalismus entstehen, der so wichtig für die deutsche Militärverwaltung des Zweiten Weltkriegs war? Wenn in der Zwischenkriegszeit auf die unter deutscher Besatzung gegründeten flämischen Institutionen Bezug genommen wurde, dann beinahe ausschließlich um die Flämische Bewegung zu diskreditieren. Organisationen, die sich für eine Beibehaltung des bisherigen Zentralstaats und seiner Privilegierung der französischen Sprache einsetzten, verwiesen auf die Flamenpolitik, um Forderungen nach einer Flämischen Hochschule oder einer Föderalisierung Belgiens als staatsfeindlich zu brandmarken. Diese Haltung war Ausdruck einer gesellschaftlichen Pola­ risierung, in der sowohl flämische als auch belgische Nationalisten die Ziele der flämischen Bewegung für unvereinbar mit der Existenz des belgischen Staates erklärten – freilich mit sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Wenn es in der Zwischenkriegszeit kaum eine positive Bezugnahme auf die importierte Nation gab, hinterließ diese doch ein Erbe, dessen Einfluss nicht unterschätzt werden darf. Flämische Exilanten in Deutschland und den Niederlanden, ehemalige deutsche Besatzungsbeamte, aber auch großniederländische Politiker versuchten, aus dem Ausland Einfluss auf den flämischen Nationalismus zu nehmen. Beispiele für eine Kontinuität der Flamenpolitik sind die in den Niederlanden herausgegebene Zeitschrift »Vlaanderen«, das Netzwerk um den Oberarchivrat Robert Paul Oszwald ebenso wie jenes der niederländischen Historiker Pieter Geyl und Frederik Gerretson. Im Gegensatz zur flämischen Bewegung vor 1914 war der flämische Nationalismus der Zwischenkriegszeit also ein transnationales Phänomen. Auch in Belgien spielten ehemalige Aktivisten für die Radikalisierung der Flämischen Bewegung und die Entstehung der Frontpartei, der ersten flämisch-nationalistischen Partei Belgiens, eine wichtige Rolle. Allerdings standen sie wegen der Verfolgung durch den belgischen Staat zunächst wenig im Vordergrund. Die Frontpartei wurde deshalb in den ersten Jahren von Veteranen der flämischen Frontbewegung im belgischen Heer geführt. Diese hatten sich bereits während des Kriegs stark auf die importierte Nation im Besatzungsgebiet be317

zogen und verteidigten den flämischen Aktivismus auch nach 1918 konsequent. Frontbewegung und Aktivismus waren also nie voneinander unabhängige Phänomene gewesen. Ebenso in den Bereich der Mythen gehört die Vorstellung, die Entstehung des flämischen Nationalismus habe zu einer Spaltung der Flämischen Bewegung geführt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Gegensatz zwischen Aktivisten und Passivisten schnell überwunden und in der Zwischenkriegszeit gab es keinen »cordon sanitaire« einer loyal-belgischen Flämischen Bewegung gegenüber den Nationalisten, wie er in den 1980er Jahren gegenüber dem »Vlaams Blok« bestand. Auch die Anfang der 1930er Jahre vollzogene Hinwendung zum Faschismus änderte hieran nichts. Im Gegenteil, nach dem Wahlerfolg des faschistischen VNV 1936 kam es in fast allen flämischen Provinzen zur Aufstellung gemeinsamer Listen mit der katholischen Partei. Unmittelbar nach dem Krieg hatte die Frontpartei bei den Wahlen nur zwischen 3 % und 6 % erhalten. Trotzdem gelang es dem flämischen Nationalismus, die kulturelle Hegemonie in Flandern zu erobern. Er entwickelte Symbole und Mythen eines exklusiv flämischen kollektiven Gedächtnisses und integrierte mühelos ältere Elemente flämischer Folklore. Hierbei spielte die aus der Frontbewegung hervorgegangene Veteranenbewegung eine große Rolle. Die jährliche Yserwallfahrt, eine Gedenkveranstaltung auf den ehemaligen Schlachtfeldern Westflanderns, entwickelte sich ab 1925 zu einer Massenveranstaltung mit zunehmend antibelgischem Charakter. Die dezidiert katholisch geprägte Wallfahrt bediente sich eines spezifischen Märtyrerkults, in dem das Leiden der flämischen Soldaten in der belgischen Armee stellvertretend für das Leiden Flanderns an Belgien stand. Das Gedenken an die flämischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde zum Kern einer flämisch-nationalistischen Erinnerungskultur und prägt diese bis heute. Im Rahmen der Amnestie-Kampagne für die ehemaligen Aktivisten wurden auch diese bald in den Kanon flämischer Märtyrer aufgenommen. Die BormsWahl 1928, bei der mehr als 80.000  Antwerpener dem zu lebenslanger Haft verurteilten Aktivisten ihre Stimme gaben, markierte einen Wendepunkt im Umgang mit der flämischen Frage in Belgien. In der Folge wurde nicht nur eine Amnestieregelung erlassen, sondern 1930 auch die Universität Gent in eine Flämische Hochschule umgewandelt. Weitere Gesetze folgten, die eine Gleichberech­ tigung des Niederländischen mit dem Französischen in Belgien vorantrieben. Innerhalb des flämischen Nationalismus begann Ende der 1920er Jahre ein Kampf um die inhaltliche Ausrichtung. In diesem standen sich demokratische Befürworter einer föderalen Lösung innerhalb Belgiens und faschistische Anhänger eines großniederländischen Staats gegenüber. Bei der Konzeption des sogenannten Föderalen Statuts, das den flämischen Nationalismus auf das politische Ziel einer dezentralen Reform Belgiens ausrichten sollte, standen inte­ressanterweise sowohl die Niederländer Gerretson und Geyl als auch die Strukturen der importierten Nation Pate. Letztlich setzte sich der Vorschlag des gemäßigten Flügels, der jedoch durchaus radikale Elemente enthielt, nicht durch. So sollte Brüssel innerhalb der flämisch-wallonischen Föderation zur 318

Hauptstadt des Bundesstaats Flandern gemacht und »renationalisiert« werden – eine kaum verhüllte Ankündigung, die frankophonen Bewohner zu unterdrücken oder sogar zu vertreiben. Das Föderale Statut ist eines der wenigen Beispiele aus der Zwischenkriegszeit, in dem sich flämische Nationalisten in Belgien eindeutig positiv auf die importierte Nation bezogen, auch wenn die zugrunde liegenden deutschen Pläne nicht genannt wurden. Dass Herman Vos, der Kopf hinter der Gesetzesinitiative, ein ehemaliger Aktivist war, ist sicherlich kein Zufall. Andere Ansätze, das Erbe der importierten Nation wiederzubeleben, wie etwa die von August Borms betriebene Neugründung des Rates von Flandern, fanden hingegen kaum Resonanz. Auf der strukturellen Ebene hatte die importierte Nation also weniger Einfluss auf die belgische Geschichte, als dies angesichts der Parallelen zwischen dem heutigen föderalen Belgien und den von der deutschen Besatzungsverwaltung des Ersten Weltkriegs geschaffenen Strukturen zu erwarten war. Abgesehen vom Föderalen Statut lassen sich kaum Hinweise auf eine solche Verbindung finden. Dennoch bleibt die Ähnlichkeit der deutschen Konzepte für Belgien mit dem heutigen Föderalstaat faszinierend. Wenn die damaligen Besatzungs­ beamten diese Entwicklung auch nicht anstießen, so bleibt doch die Frage, wie sie diese antizipieren konnten. Außenpolitisch ist hingegen eine deutliche Prägung durch die importierte Nation zu erkennen, denn mit der positiven Bezugnahme auf den flämischen Aktivismus war auch eine wohlwollende Haltung gegenüber Deutschland verbunden. Die flämischen Nationalisten sprachen sich ebenso gegen eine Annexion Eupen-Malmedys aus wie gegen die belgische Besatzung des Rheinlands und die Intervention im Ruhrgebiet 1923. Für die deutsche Außenpolitik besonders wertvoll war allerdings das Engagement gegen das französisch-belgische Militärabkommen sowie der Einsatz für eine Rückkehr Belgiens zur Neutralität, die 1936 erfolgte. Ohne diese militärpolitischen Entscheidungen wäre der Blitzkrieg im Mai 1940 möglicherweise ganz anders verlaufen. Diese pro-deutsche Haltung nahmen die flämischen Nationalisten ein, obwohl die offizielle deutsche Außenpolitik, sowohl während der Weimarer Republik als auch im Nationalsozialismus, zu einer Nicht-Einmischung in der Flamenfrage zurückkehrte, wie sie schon vor 1914 praktiziert wurde. Das Desinteresse war nicht nur taktischer Natur, sondern auch Ausdruck einer Asymmetrie im Verhältnis zwischen Deutschland und den flämischen Nationalisten, wie sie für den gesamten Zeitraum charakteristisch war. Während Deutschland für die flämischen Nationalisten immer eine relevante Bezugsgröße darstellte, blieben sie von Ausnahmen abgesehen eine quantité négligeable für die deutsche Außenpolitik. Die Kontinuität in der Flamenpolitik beschränkte sich auf Netzwerke, die zur völkischen, später auch nationalsozialistischen Bewegung gehörten, aber diese nicht in ihrer Gesamtheit repräsentierten. Auch die nationalsozialistische Belgienpolitik folgte weder Gefühlen der »Stammverwandtschaft« noch dem Beispiel der Flamenpolitik des Ersten Welt319

kriegs. Dies illustriert die Begeisterung, die Goebbels und Hitler dem dezidiert belgischen Nationalisten Degrelle entgegenbrachten. Sie schlug sich in einer finanziellen Unterstützung nieder, die jene für den flämisch-faschistischen VNV bei weitem übertraf. Ideologische Nähe und die Aussicht auf eine mögliche Machtübernahme der Rex-Partei waren eindeutig wichtiger als die Stammverwandtschaft mit den Flamen. Das asymmetrische deutsch-flämische Verhältnis prägte auch die zweite Besatzung Belgiens von 1940 bis 1944. Die flämischen Nationalisten verblieben auch dann noch in der Kollaboration, als überdeutlich war, dass die deutsche Führung die Errichtung eines selbständigen Flanderns ablehnte. Dieses Verharren ist auch damit zu erklären, dass die flämische Nationalbewegung auf der Erfahrung des Ersten Weltkriegs aufbaute. Die deutsche Erwartung, mit dem Aufbau einer flämischen Nationalbewegung langfristig Einfluss auf Belgien zu nehmen, erfüllte sich also. In der belgischen Außen- und Militärpolitik bildeten die flämischen Nationalisten in der Zwischenkriegszeit ein wichtiges Gegengewicht zu den Befürwortern einer Westanbindung des Landes und während der Besatzung des Zweiten Weltkriegs stellten sie die zuverlässigsten Kollaborateure. Zumindest für einige flämische Nationalisten war die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs jedoch auch mit der Einsicht verbunden, dass die Ziele der flämischen Bewegung eher innerhalb Belgiens als unter deutscher Besatzungsherrschaft zu realisieren waren. Bis Anfang der 1990er Jahre trugen sie zur Verwirklichung eines belgischen Föderalstaats bei, dessen heutige Strukturen jenen der importierten Nation zum Verwechseln ähneln. Das Erbe der Kollaboration ist immer ein Teil des flämischen Nationalismus gewesen, auch wenn die Nieuw-­ Vlaamse Alliantie (N-VA) des Historikers Bart De Wever sich in den letzten zehn Jahren bewusst von diesem zu lösen versucht. Nicht nur wegen der aktuellen Erfolge des »Vlaams Belang« gilt jedoch weiterhin, dass die Geschichte der deutschen Besatzungen und die Geschichte der importierten Nation von 1916 bis 1918 wesentlich für ein Verständnis des flämischen Nationalismus sind.

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Dank An erster Stelle danke ich Wolfgang Wippermann, ohne den diese Studie nie begonnen worden wäre. Er war mir in jeder Hinsicht ein Doktorvater. Danken möchte ich auch Oliver Janz, der nicht nur Zweitgutachter, sondern auch ein hilfsbereiter und sachkundiger Begleiter war. Danken möchte ich allen Teilnehmern des Wippermann’schen Doktorandenkolloquiums, insbesondere Tobias Blümel, Dietmar Lange, Friederike Voermanek, Sylvia Karges und Johanna Pumb, die jahrelang Kapitel gelesen und kritisch diskutiert haben. Die vielen Gespräche mit Winfried Dolderer beim Italiener, ebenso wie die regelmäßigen Treffen des Arbeitskreises historische Belgienforschung waren mir Inspiration und Hilfe. Lode Wils hat das Manuskript dieser Arbeit durchgesehen und seine Sachkenntnis hat mich vor vielen Ungenauigkeiten und Fehlern bewahrt. Ebenso danken möchte ich Katja Happe, Christine Kausch und Kristian Mennen für die Lektüre des Manuskripts und ihre Hinweise. Meinen ehemaligen Kollegen am Jüdischen Deportations- und Widerstandsmuseum in Mecheln möchte ich ebenfalls danken, obwohl sie an der Entstehung dieser Arbeit nicht direkt beteiligt waren. Sie wäre aber nie geschrieben worden ohne den Zugang zu Belgien, welchen mir Ward Adriaens, Laurence Schram, Odile Remy, Eva Vankesbeeck und Tuvia Zuckermann eröffneten. In besonderer Weise gilt dies für Josef Rothschild, dessen Freundschaft mir kostbar ist. Das Evangelische Studienwerk hat mich trotz meines für einen Doktoranden biblischen Alters und meiner drei Kinder mit einem Promotionsstipendium gefördert. Danken möchte ich weiterhin den Herausgebern der »Kritischen Studien«, insbesondere Paul Nolte, der diese Arbeit zur Aufnahme in die Reihe vorschlug sowie Hans-Peter Ullmann, der das Manuskript intensiv betreute. Besonderer Dank gebührt Ursula Müller-Wissler für ihr fachkundiges und gewissenhaftes Lektorat in jeder Phase der Entstehung des Textes sowie Dota für Pragmatismus und Poesie. Berlin im April 2020 Jakob Müller

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Karte des Generalgouvernements. Quelle: © Königliche Bibliothek Brüssel, Markierungen eigenes Werk. Original unter: https://uurl.kbr.be/1009531 (1.10.2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Abb. 2: Bildpostkarte zur Eroberung Antwerpens. Quelle: Universität Osnabrück, Bildpostkartensammlung / Wikipedia (gemeinfrei) . . . . . . . Abb. 3: Eröffnung Flämische Hochschule 1916. Quelle: Universitätsbibliothek Gent (archive.ugent. be:36132AB6-3750-11E3-B9AD-F75C98481370, Lizenz: CC BY-SA 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4: Karte des Generalgouvernements. Quelle: © Königliche Bibliothek Brüssel, Markierungen eigenes Werk. Original unter: https://uurl.kbr.be/1009531 (1.10.2019) . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5: »Volksbefragung« in Antwerpen im Februar 1918. Quelle: © Imperial War Museum. IWM (Q 79588) . . . . . . . Abb. 6: De Stem uit Opwijck. Quelle: VIAA / Erfgoedbibliotheek Hendrik Consience, CC0-Lizenz . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Door Vlaanderen heen. Quelle: VIAA / Erfgoedbibliotheek Hendrik Consience, CC0-Lizenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: Belgische Besatzungszone. Quelle: Wikipedia (gemeinfrei) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 9: »Life« vom 8. Februar 1923, S. 7. Quelle: Public Domain, Google-digitized . . . . . . . . . . . . Abb. 10: Staf De Clercq als Redner. Quelle: © Spaarnestad Photo 2019/Fotograf unbekannt . . . . Abb. 11: Kanonnenvleesch. Quelle: VAFSC2 (ADVN, Antwerpen / Archief Verbond VOS) . . . . . . . . . . Abb. 12: Borms 1941. Quelle: © Spaarnestad Photo 2019/ Fotograf unbekannt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 13: Staf De Clercq mit Waffen-SS-Offizieren. Quelle: © Spaarnestad Photo 2019/Fotograf unbekannt . . . . 322

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100

126 145 155

166 200 213 249 252 283 302

Abkürzungen ADAP ANV ARA / AGR

Akten zur deutschen auswärtigen Politik Algemeen Nederlands Verbond Algemeen Rijksarchief / A rchives générales du Royaume (Belgisches Generalstaatsarchiv) BArch Bundesarchiv BEG-CHTP Bijdragen tot de Eigentijdse Geschiedenis – Cahiers d’Histoire du Temps présent Bijdragen-Cahiers Bijdragen tot de Geschiedenis van de Tweede Wereldoorlog–­ Cahiers d’histoire de la Seconde Guerre mondiale BMGN Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Neder­landen BTNG-RBHC Belgisch Tijdschrift voor Nieuwste Geschiedenis–Revue belge d’Histoire contemporaine BWN Biografisch Woordenboek van Nederland DeVlag Deutsch-flämische Arbeitsgemeinsschaft (ndl. Duits-Vlaamse Arbeidsgemeenschap) Dinaso Mitglied des Verdinaso EEW Enzyklopädie Erster Weltkrieg EVB Encyclopedie van de Vlaamse Beweging Gestapo Geheime Staatspolizei GVBl Gesetz- und Verordnungsblatt für die okkupierten Gebiete Belgiens HJ Hitlerjugend HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer HZ Historische Zeitschrift MEW Marx-Engels-Werke MO Militärorganisation des VNV (ndl. Militaire Organisatie) MV Militärverwaltung NAZ Norddeutsche Allgemeine Zeitung NEVB Nieuwe encyclopedie van de Vlaamse Beweging NL Nachlass NSB Nationaal Socialistische Beweging NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps N-VA Neu-flämische Allianz (ndl. »Nieuw-Vlaamse Alliantie«) OHL Oberste Heeresleitung OKH Oberkommando des Heeres OKW Oberkommando der Wehrmacht OT Organisation Todt PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes RGBl Reichsgesetzblatt

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RGB Rijks Geschiedkundige Publicatiën RSHA Reichssicherheitshauptamt S. K.G. Studienkommission zur Vorbereitung unterrichtstechnischer Fragen an der Universität Gent SSHA SS-Hauptamt Stapo Staatspolizei → Gestapo TB Tätigkeitsbericht Verdinaso Vereinigung großniederländischer Nationalsolidaristen (ndl. Vereniging van Dietsche Nationaalsolidaristen) VDA Verein für das Deutschtum im Ausland VDSt Verein deutscher Studenten VfZ Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VNV Flämischer Nationalverband (ndl. Vlaams Nationaal Verbond) wt Wetenschappelijke tijdingen ZAB Zivilarbeiterbataillon z.D. zur Dienstverwendung

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Quellen- und Literaturverzeichnis Einzeln zitierte Zeitungs- und Zeitschriftentitel sind nicht in den Anhang übernommen. Bei Literatur und Quellen, die sowohl in digitaler Form als auch in Druckfassung vorliegen, ist aus Gründen der Nachvollziehbarkeit der Titel des zugrunde liegenden Druckwerkes angegeben.

Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume (ARA / AGR) I530 Archiv des Rates von Flandern I 530 – 5-I 530 –18 Protokolle der Sitzungen des Ersten Rates von Flandern vom 4. Februar 1917 bis 28. März 1918. I 530 – 19, I 530 –20 Protokolle der Sitzungen des Zweiten Rates von Flandern vom 6. Juni bis 27. September 1918. I 530 – 201 Protokolle der Kommission der Bevollmächtigten des Rates von Flandern für 1918. I 530 – 265 Dossier »Hauptkommission Protokolle«. Prof. Dr. Karel Heyndrickx (1918).

Bundesarchiv Koblenz (BArch) N 1143 Nachlass Günther von Le Suire.

Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer SS NS 19/1530 Politische Verhältnisse in Belgien, insbesondere politische Anforderungen des VNV, dessen Gegensätze zur Devlag, Autonomiebestrebungen für Flandern usw. NS 19/1541 Allgemeine Entwicklung der politischen Lage und der deutschen Besatzungspolitik in Belgien 1941 bis 1944.

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NS 19/1547 Allgemeine Situation in Flandern und deutsche Ziele hinsichtlich des flämischen Volkstums (Besprechung des Militärverwaltungschefs Reeder mit Dr. Borms, den Generalsekretären Dr. Leemans und Dr. Romsée) 1941. R 43 Reichskanzlei R 43/2463, R 43/2463a, R 43/2464 Reichskanzlei Großes Hauptquartier Bd. 1–3 von August 1914 bis Mai 1916. R 43/2447 Vorschläge zu Friedensverhandlungen Bd. 15 von Juli bis September 1917. R 43/2477 Grundlegende Besprechungen über Kriegsziele usw. (Handakten) von November 1916 bis August 1918. R 1501 Reichsamt/-ministerium des Innern R 1501/119199, R 1501/119200 Geschichte der Deutschen Verwaltung in Belgien – Bericht des Archivrats Dr. Osswald [Oszwald] Bd.1–2 von Mai 1919 bis September 1922. R 1501/119391-R 1501/119395 Verwaltungstrennung in Belgien – Zerlegung Belgiens in Flandern und Wallonien Bd. 1–5 von Februar 1917 bis Februar 1920. R 1501/119487-R 1501/119488 Politische Abteilung beim Generalgouvernement in Brüssel Bd. 1–2 von Fe­bru­a r 1915-Februar 1922. R 1501/119494 Pius Dirr, Bericht über die Tätigkeit der Politischen Abteilung bei dem Generalgouverneur in Belgien für die Zeit der Besetzung (fertiggestellt 1920). R 1501/119562-R 1501/119563 Flamenpolitik, insbesondere Flamenunterstützung Bd. 1–2 von Februar  1918 bis Oktober 1922. R 1501/119555 Berichte des Verwaltungschefs über den Fortgang der Verwaltungstrennung in Belgien Bd. 1 von März 1917 bis Januar 1918. R 1501/119583 Fürsorge für flämische Flüchtlinge in Deutschland (Flamenfürsorge) Bd. 1 von Oktober 1918 bis September 1919.

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R 1501/119591 Flämische Studenten in Deutschland. Unterstützungsfonds für flämische Studierende in Göttingen Bd. 1 von Dezember 1918 bis August 1919. R 1506 Reichsarchiv R 1506/306 Schriftwechsel über die vorhandenen Aktenbestände (Handakte Dr. Oßwald [Osz­ wald]) von März 1929 bis April 1934. R 1506/329 Bericht (Rogge): Die organisatorische Durchführung der Verwaltungstrennung. R 1506/1168 Verzeichnisse des Briefwechsels über Flandern und Holland 1912 bis 1944.

Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg (BArch) N 21/1–3 Nachlass Falkenhausen. Erinnerungen Bd.1–3. PH 5-I/49 Kriegstagebuch der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht von Januar bis April 1918. PH 5-III/3 Armeegruppe Beseler. Übergabevertrag zwischen dem Kommandeur der deutschen Belagerungstruppen Beseler und der Vertretung der befestigten Stadt Antwerpen. Kontich, 9. Oktober 1914. RH 61/663 Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt des Heeres. Verwaltungsgeschichte Belgiens. Handakte Oszwald. RM 120/36 Marinekorps. Seeoperationen – Allgemeines Bd. 4 von Februar 1916 bis Oktober 1918. RW 5/414 OKW Amt Ausland / Abwehr Gruppe III (Fremde Wehrmächte). Belgien von März 1934 bis April 1935. RW 36 Militärbefehlshaber Belgien und Nordfrankreich RW 36/49 Unterlagen über die Aufstellung einheimischer Freiwilligen-Verbände; Aufstellung von flämischen u. wallonischen Wachabteilungen; flämische u. wallonische Wachabteilungen; flämische u. wallonische Legion, Rex-Bewegung von 1941 bis 1944.

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RW 36/170-RW 36/199 Tätigkeitsberichte der deutschen Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich von Juni 1940-Juni 1944. RW 36/201

Jahresbericht der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich für das erste Einsatzjahr im Juli 1941. RW 36/203 Allgemeine Übersicht des Militärverwaltungschefs für die Zeit vom 1. Dezember 1941 bis 15. März 1942. RW 36/447 Die deutsche Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich – Abschlussbericht des Militärverwaltungsrates Dr. Walter Hailer (1944).

Centre d’Études et Documentation Guerre et Sociétés contemporaines – Studie- en Documentatiecentrum Oorlog en Hedendaagse Maatschappij (CEGESOMA) AA 43/53 Onderzoekscommissie van de Secretarissen-generaal (Commission d’enquête des Secrétaires Généraux). Dokumente aus dem Zeitraum Mai bis August 1940. AA 577/71-AA 577/99 Tätigkeitsberichte der deutschen Militärverwaltung für Belgien und Nordfrankreich Juni 1940-Juni 1944.

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Personenregister Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Fundstellen in den Fußnoten. Albert I., belgischer König  55, 61, 116, 134, 146, 159 f., 163, 167, 171, 177, 199, 202 Alfons XIII., spanischer König  85 Anderson, Benedict  14 Anseele, Edward  209 Arendt, Hannah  17 Arndt, Ernst Moritz  37 Asmis, Rudolf  187–190, 195 f., 225 Augusteyns, Leo  89 Baden, Max von  172, 183 Bährens, Kurt  243 f., 248 Bargen, Werner von  281 Barthou, Louis  242 Beckers, Léon  80 Beeckman, Paul  293 Belpaire, Maria  156 Benedikt XV., Papst  120, 131, 162 Bens, Els De  273 Bergen, Emiel Van  53, 149, 178 f. Berger, Gottlob  298–300, 304–306 Bernheim, Louis  164 Bernstein, Eduard  179 Bertkau, Friedrich  137 Beseler, Hans von  53, 96 Best, Werner  285 Bethmann Hollweg, Theobald von  18, 40 f., 45–48, 51, 57, 61, 62, 63, 64 f., 68, 72, 76, 78–80, 91–93, 97 f., 103, 104, 105 f., 108, 110–113, 115–117, 130, 147–149, 175 f., 182, 195, 316 Beyerle, Konrad  118, 135 Bidez, Joseph  84 Bismarck, Otto von  17 Bissing, Friedrich Wilhelm von  44, 63, 77, 81, 87, 93 f., 139 Bissing, Moritz von  10, 42, 44, 46 f., 61, 63–66, 68 f., 72–74, 76–80, 83, 86, 87, 92, 97–99, 101, 103 f., 107 f., 110, 112–114, 117, 122, 126, 127, 130, 136, 157 Blum, Léon  254

Blunck, Hans Friedrich  52 Boehme, Olivier  22 Borchling, Conrad  37, 81 Borginon, Hendrik  203, 251, 259 Borms, August  54–56, 120, 140, 143, 146 f., 149, 180, 189, 220, 222, 228–231, 236, 241 f., 257, 283–285, 291, 294 f., 318 Braun von Stumm, Gustaf  248 Breuilly, John  14 Brockdorff-Rantzau, Ulrich von  190 Broqueville, Charles de  157, 242 f. Brulez, Lucien  179 Bulckaert, Michiel  287 Bülow-Schwante, Vicco von  257 Bumm, Ernst  81 Butaye, Emiel  210, 217 Caenegem, Jules Van  209 Canaris, Karl Constantin  273, 306 Canaris, Wilhelm  273 Cantillon, Eugène  69 f. Castiau, A.  287, 291 Cauwelaert, Frans Van  60–62, 81, 152, 157, 171, 202, 204, 208 f., 211, 216 f., 223, 228, 232, 251, 253 Ceuninck, Armand de  160, 170 Chamberlain, Neville  269 Charpentier, Jules  167–169, 171, 173 Churchill, Winston  269 Claus, Arthur  180 f. Clercq, René De  61 f., 67, 144, 157 Clercq, Staf De  174, 203, 209 f., 214, 217, 220, 230, 237, 249 f., 252, 257, 259–261, 284, 289, 294, 300–302, 304 Colijn, Hendrikus  60, 72 Conrad, Sebastian  12 Conscience, Hendrik  16 Coolen, Bernard  167 Coppenolle, Adriaan Emiel Van  292 Coremans, Edward  34 Coucke, Jan  34

Craushaar, Harry von  291, 294 D’Annunzio, Gabriele  209, 218 Daels, Frans  283 Daladier, Édouard  250 David, Eduard  179 David, Fernand  38 Debacker, Thomas  217 Debeuckelaere, Adiel  159, 171 f., 203, 205, 209 f., 232 Decker, Josué De  180, 198, 224 Deckers, Jupp  262 Degrelle, Léon  239, 254–258, 284 f., ­300–303, 306–309, 320 Dehottay, Josef  243 Delandsheere, Paul  23, 275 Delbrück, Clemens  47 f. Delbrück, Hans  148 Delmer, Alexandre  280, 291 Depla, Alfons  89, 170 Destrée, Jules  35, 90 Deswarte, Alberic  61 Devèze, Albert  204, 251 Devos, Jozef  288 Dieckhoff, Hans-Heinrich  190 Diels, Rudolf  241 Dirr, Pius  38, 44, 47, 62, 72, 77 f., 82–84, 86 f., 104, 140 Dolderer, Winfried  37, 287 Domela Nieuwenhuis, Jan Derk  49 f., 70, 77, 133, 161, 189, 244 Dosfel, Lodewijk  89 Duisberg, Carl  98, 132 Dyck, Walther von  64, 80, 82, 84–88, 100 Ebert, Friedrich  131 Ecker, Friedrich  50, 64, 77, 82 Ehlers, Ernst  273 Eicke, Theodor  275 Elias, Hendrik  22, 89, 112, 198, 234, 237, 290, 302, 304–306, 308 Elisabeth, belgische Königin  168 Emmendörfer, Heinrich  248 English, Joe  158 Ensor, James  262 Ernst de Bunswyck, Antoine  287, 290 f. Erzberger, Matthias  131, 134 Faingnaert, Arthur  51, 73, 109 Falkenhausen, Alexander von  267 f., ­271–273, 284, 285, 286, 290, 308

Falkenhausen, Friedrich von  138 Falkenhausen, Ludwig von  42, 44, 114, 120, 122–126, 130–132, 134, 136–142, 147 f., 150, 162, 175–177, 182 f., 185, 271 Falkenhayn, Erich von  46, 96 Fehrenbach, Constantin  131 Fermont, Berten  222, 233 Fischer, Fritz  21, 139 Franck, Louis  53–55, 81 François-Poncet, André  244 Francqui, Emile  146 Fredericq, Paul  50 f., 81, 84 f., 201, 315 Fromme, Franz  37, 241 Funk, Walther  249 Galen, Clemens von  292 Galopin, Alexandre  279 f., 293 Gerretson, Frederik Carel  60 f., 69, 71, 92, 197, 234, 235, 317 f. Gerstenhauer, Max Robert  45, 52, 55, 56, 184, 198 Geyl, Pieter  197, 234, 247, 263, 317 f. Gezelle, Guido  32 Gille, Louis  23 Goebbels, Joseph  243, 248 f., 256 f., 267, 269, 273, 285, 306, 320 Goethals, Pieter  34 Goethem, Herman Van  37 Goltz, Colmar von der  42, 46 Goossenaerts, Jef  89 Grammens, Florimond (Flor)  295 Grauls, Jan  288 Grimm, Jacob  37 Grohé, Josef  269, 307 f. Groot, Jan de  81 Groote, Rudolf  132 Groscurth, Helmuth  250 Guchtenaere, Roza de  135 Haase, Hugo  179 Haesaert, Vital  167 Haller von Ziegesar, Jozef  45, 51, 53 Haniel, Karl  118, 125 f., 133, 136 Harbou, Bodo von  272 Harnack, Adolf von  81, 84 Harrach, Hans von  82 Hartung, Günter  16 Hasenöhrl, Franz  248 Hasselbacher, Karl  273 Hausenstein, Wilhelm  135 Heide, Walther  248 f.

351

Heinrichs, Adolf  116 Helfferich, Karl  112, 115, 116, 126, 127, 132–134 Hellwig, Otto  246 Henderickx, Adelfons  89, 230 Hendriks, Frits  293 Hermans, Ward  225, 227 f., 233, 235, 238, 244, 247, 250, 299 Hertling, Georg von  137 f., 140 f., 146–149, 162, 165, 175–178, 180–183 Hertz, Richard  248 Heynderickx, Karel  168 Heyse, Théodore  201 Himmler, Heinrich  267 f., 273 f., 302, 305 f., 308 Hindenburg, Paul von  24, 96, 107, 122, 133 f., 137, 138, 141, 161, 165, 175, 177, 182 f., 316 Hinderdael, Jef  224 Hippel, Robert von  145 Hippler, Jochen  20 f. Hitler, Adolf  16, 239 f., 243 f., 253, 256, 259, 266–271, 275, 278, 289, 299, 302, 306 f., 320 Hobbes, Thomas  20 Hobsbawm, Eric  14 f. Hoek, Derk  60, 69 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich  37, 262 Hoffmann, Pierre  82, 86 Holthöfer, Robert  248 f., 257 Holtzendorff, Henning von  72, 134 Horstmann, Alfred  196, 228 Houtte, Hubert Van  51 Hroch, Miroslav  15 Hubin, Georges  204 f. Huebner, Friedrich Markus  187 Huysmans, Camille (auch: Kamiel)  81, 204, 207, 217, 223, 240 Hymans, Paul  199, 228 Ilse, Emil  98 Ipsen, Hans-Peter  296 f. Ispert, Wolfgang  247 Jacob, Antoon  62, 67, 140, 157, 224, 297 Jagow, Gottlieb von  41, 58, 97 Jaspar, Henri  213–215, 228, 231 Jolles, André  88 Jonghe, Albert De  273, 308 Jonghe, Edouard De  291

352

Josson, Maurits  38, 51, 54 Jostes, Franz  81 Jottrand, Barthélémy  147 Jungclaus, Richard  274, 302, 306, 308 Kaltenbrunner, Ernst  306 Kammerhofer, Konstantin  291 Karl V., deutscher Kaiser und spanischer König 247 Kaufmann, Karl  267 f. Kerchove de Denterghem, Charles de  241 f., 244 Kestens, Prosper  219 Kimpe, Reimond  189 Kindermann, Heinz  262 Kippenberg, Anton  187, 258 Kippenberg, Katharina  187 Kirdorf, Emil  132 Klefisch, Peter  246 Knochen, Helmut  273 Koch-Weser, Erich  191 Köhler, Ludwig von  44, 111 Köpke, Gerhard  242 Koselleck, Reinhart  13 Kube Wilhelm  241 Kühlmann, Richard von  57–65, 67–69, ­72–77, 85, 91, 111, 133 f., 139 f., 157, 176 f., 271 Küster 66 Kuyper, Abraham  60, 72, 85 Laet, Jan de  33 Lahousen, Erwin  260 Lahousse, Emiel  82, 86 Lambrichts, Jacob  51, 73, 121 Lamprecht, Karl  50 f. Lancken Wakenitz, Oscar von der  36, 44, 72 f., 82, 84, 90 f., 97, 99, 105, 107, 115, 119, 126 f., 132, 136–139, 140, 141, 183 Landsberg, Otto  196, 211 Langwerth von Simmern, Ernst  116 Leemans, Victor  224, 287, 290 f., 294 Leeuw, Joris De  233 Leib, Karl  301 Lentz, Jacob  280 Leopold III., belgischer König  251, 258 f., 269–271, 275, 277 Lerchenfeld, Hugo von  240 Leroy, Antoine  288 Lettow-Vorbeck, Hans-Albert von  302 Leuridan, Jeroom  235

Lewald, Theodor  82, 94, 190 f. Lewyllie, Peter  241 Liebknecht, Karl  41 Linden, Cort van der  60, 85 Lissens, René  264 Loebell, Friedrich Wilhelm von  116 Lorenz, Max  246 Loßberg, Friedrich von  122 Loudon, John  58 Ludendorff, Erich  24, 96, 97, 104 f., 107, 115, 122, 133 f., 138, 139, 141, 161–163, 165, 168, 172, 175, 177, 183, 316 Ludwig III., bayrischer König  58,138 Luther, Martin  29 Maes, Boudewijn  203, 205, 208 Maeyer, Bram de  141 Maglinse, Henri  219 Man, Hendrik de  239, 309 Marx, Karl  36, 218 Marx, Wilhelm  132 Mathieu 287 Max, Adolphe  186, 251 Meert, Hippoliet  45, 73, 89 f., 103, 148, 178 Meert, Leo  179, 188 Meinecke, Friedrich  13, 17, 59 Mercier, Désiré  35, 120, 156 Mertz von Quirnheim, Hermann  225 Meuwissen, Piet  293 Michaelis, Georg  131–134, 137 Moens, Wies  241, 245, 247 Moltke, Helmuth von  58 Monballyu, Jos  165 Mont, Pol de  45 Müller, Hermann  191 Mumm, Reinhard  77, 113, 161 Mussert, Anton  298 Mussolini, Benito  219, 256 Mutius, Gerhard von  212 Mutzenbecher, Hans  257 Mylonas, Harris  18 Napoleon I., französischer Kaiser  263 Neumeister, Werner  195, 225 Nolf, Pierre  229 Norden, Fritz  52 Nörtemann, Gevert  16 Nothomb, Pierre  217–219 Oboussier, Max  180 f., 189 Ooms, Alphonse  23, 275

Opdenbosch, Karel Van  203, 217, 220 Ostertag, Roland  82 Oszwald, Robert Paul  37, 67, 191, 195, 198, 205, 223–225, 241, 244, 245, 248, 317 Payer, Friedrich von  180, 182 Perre, Alfons Van de  152, 160 Persyn, Jules  88 Pesch, Karl Ludwig  262 Pesch, Lutz  303 Pétain, Philippe  250 Petri, Franz  262 f., 282, 294, 303 Philipp II., spanischer König  159 Picard, Hendrik  210 Picard, Leo  50 f., 54, 68, 70 Pierlot, Hubert  269, 286 Pirenne, Henri  11, 50 f., 54, 79–81, 84 f., 101, 197, 263 Pius XI., Papst  236, 239, 255 Plisnier, Oscar  291 Pochhammer, Friedrich  127 Poincaré, Raymond  210 f. Poullet, Prosper  62, 102, 171, 220, 229 Provoost, Guido  22 Puymbroeck, Herman Van  250 Quisling, Vidkun  298 Reeck, Herman van den  208, 222 Reeder, Eggert  266, 272, 276–278, 280 f., 287, 289–291, 294, 296, 298–300, 305 f., 308 Reese, Werner  282, 294 Reinhard, Frans  51, 54 Reismann-Grone, Theodor  46, 47, 50, 71, 127, 196, 268 f. Remoortel, William Van  214 Remouchamps, August  70 Renan, Ernest  13 Renthe-Fink, Cécil von  248 f. Reusch, Walther  241, 245 f. Reventlow, Ernst von  148 Reynaud, Paul  269 Ribbentrop, Joachim von  256 Riezler, Kurt  41, 51, 116 Rintelen, Emil von  248 Roediger, Conrad  211, 215 Roethe, Gustav  81 Roey, Jozef-Ernest Van  233, 255, 296 Romsée, Gérard  245, 287, 290–292, 295 Rooms, Godfried  163, 241

353

Roosbroeck, Robert van  263 Rosen, Friedrich  111, 188 Rudder, Renaat De  222 Rupprecht, bayrischer Kronprinz  133, 138, 163, 185 Ruquoy, Louis-Hubert  158 Ryckmans, Alphonse  53 Sachs  46, 82 Sandt, Maximilian von  42, 44 f., 52, 65, 76, 82, 84 f., 92 f., 97, 111, 114, 116, 118, 121 f., 124–126, 127, 136 Sante, Carlos Van  167, 169 Sassenbach, Johannes  209 Schaepdrijver, Karel De  166–169, 171 Schaible, Alexander  118, 125 f., 128, 136, 141, 143 f., 146 f., 168, 181, 183, 185 Schanz, Georg von  81 Scheidemann, Philipp  131, 179 Scheuermann, Fritz  260 Schlieffen, Alfred von  58 Schmitz-Forst, Josef  263 Schreiber-Krieger, Adele  135 f. Schröder, Edward  81 Schröder, Ludwig von  106, 162 Schröder, Rudolf Alexander  258 Schuind, Gaston  291 Schulze, Robert Alfred  118 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von  67 f., 82, 114 f., 135 Servais, Jean  279 Severen, Joris Van  174, 210 f., 213, 217, 219, 221, 229 f., 234–236, 245, 247, 282, 284 f., 300 Seyß-Inquart, Arthur  267 Simon, Gustav  271 Simon, Kurt  148 Simons, Leo  190 Smet, Robrecht De  198, 224 Snoy, Jean-Charles  287 Sombart, Werner  287 Spaak, Paul-Henri  259 Spahn, Peter  113 Spannagel, Karl  86 Speleers, Reimond  189, 283 Staehle, Wilhelm  164, 169, 171, 205 Stange, Carl  184 Steinbach, Franz  263 Steinberg, Hans Wilhelm (später William)  258 Stresemann, Gustav  133, 214, 223 f.

354

Streuvels, Stijn  201 Striefler, Ernst  264 Struye, Paul  275 f. Stuckart, Wilhelm  268 Sydow  82 Tack, Pieter  121, 146 f., 149, 179–181 Terboven, Joseph  267 Terzake, Jan siehe: Verhulst, Raf Textor, Fritz  263 Thedieck, Franz  281, 282 Thomas, Max  273 Tirpitz, Alfred von  72, 77, 133, 161 Tollenaere, Reimond  238, 300 Torreele, Marcel  167 Trimborn, Karl  51, 82, 102, 136 Uhland, Ludwig  37 Umbreit, Hans  271 Vallée-Poussin, de la  102 Vanacker, Daniël  106 Vanden Bossche, Georges  201 Vandervelde, Emile  219, 223, 226, 254 Velde, H. Van de  142 Verhees, Emiel  121 Verhulst, Raf  197, 224, 225 Vermeulen, Jozef (Schwager Lodewijk Dosfels)  89 Vermeylen, August  201, 232 Verschaeve, Cyriel  89, 154, 157, 167, 299, 308 Verstraete, Achiel  288 Vögler, Albert  132 Vollenhoven, Maurits van  128 Vos, Herman  198, 205, 217, 220 f., 226, 228, 234 f., 237, 318 Vos, Jan De  53, 208 Voss, Werner  248 Vossen, Jean  280, 288 Vreese, Willem de  122, 180, 227 Vyvere, Aloys Van de  171 Wagenaar, Jan  159 Wagner, Wilfried  285, 308 Wahnschaffe, Arnold  116 Walz, Gustav Adolf  296 Weber, Wolfram  308 Weerdt, Maurice De  101 Wende, Frank  21, 41 Wever, Bart De  320

Wever, Bruno De  21 f., 309 Wichert, Friedrich  59 Wiedfeldt, Otto  212 Wiele, Jef Van de  262, 303, 305 f., 308 Wielemans, Félix  153 Wiemer, Otto  131 Wildiers, Frans  288 Wilhelm I., niederländischer König  30 f. Wilhelm I., Prinz von Oranien (Statt­halter)  159, 263 Wilhelm II., deutscher Kaiser  17, 41, 50, 74, 85, 105–108, 110, 112, 122, 134, 144, 168, 177, 183 Wilhelmina, niederländische Königin  58 Wilkening, Rolf  303 Willems, Jan Frans  37

Willequet, Jacques  236 Wils, Lode  21, 54, 55, 150 Wilson, Woodrow  85, 106, 140, 147 Winter, Emiel De  287 Winterfeldt, Hans von  95, 173 Winterstein, Theodor von  82 Wippermann, Wolfgang  22 Wirth, Hermann Felix  50 f. Wouters, Nico  272 Württemberg, Albrecht von  83, 98 Yammine, Bruno  54 Zeeland, Paul Van  253 f., 257 Ziegesar, Adolf von  52 Ziehen, Theodor  81, 86

355

Sachregister 4. Armee (Deutsches Kaiserreich)  42, 46 f., 64, 82–84, 98, 100, 161, 163 f., 168, 170, 205 6. Armee (Deutsches Kaiserreich)  122, 133 f 11. Juli, flämischer Feiertag, Jahrestag der Schlacht der Goldenen Sporen  16, 61, 208, 220 f., 310 21. Juli, belgischer Nationalfeiertag  61, 157, 159, 170 Abwehr, deutscher Militärgeheimdienst ​ 248–250, 260 f., 282, 284 Abwicklungsbehörde der deutschen Zivilverwaltung in Belgien  25, 187–191, 195 f. Action française  209, 218, 236 Action nationale  218 Aktivismus, flämischer / A ktivisten, flämische des Ersten Weltkriegs  10, 21 f., 24, 48–56, 60–62, 68, 88–90, 93, 100, 101, 103–114, 116–124, 130–133, 135, 139–151, 156, 159–191, 195–198, 201–205, 214, 217 f., 220–222, 224–226, 228–231, 234–236, 241 f., 244 f., 257, 265, 283–285, 294–297, 311, 315–320 Algemeen Nederlands Verbond (ANV)  61, 68, 88, 90 Alldeutsche  17, 21, 37, 38, 41, 45 f., 50, 52, 70 f., 127, 161, 268 Amnestie für ehemalige Aktivisten  181, 190, 195, 218, 220, 222, 228–231, 257, 283, 295, 311, 318 Amnestiegesetz  229 f. Analphabetismus  30, 152 Annexionismus, deutscher  41, 57, 58, 60, 63, 73, 77, 79 f., 92, 113, 133 f., 161, 176, 270, 298, 305, 312, 316 Anti-revolutionaire partij (ARP)  60, 72, 85 Antisemitismus 17, 164, 218, 236, 238, 240, 245 f., 256 f., 272 f., 276, 293, 312 Association pour la vulgarisation de la langue française  38 Aufsichtsverwaltung  272, 285 Ausbeutung Belgiens, wirtschaftliche  24, 96–103, 105–109, 114 f., 116, 117, 120, 122, 161, 275–277, 289 f., 293, 305

356

Auswärtiges Amt  128, 176, 187, 195, 241, 244, 248 f. Bataafsche Petroleum Maatschappij (BPM) ​ 72, 226 Belgische Arbeiterpartei (frz. Parti Ouvrier Belge (POB); ndl. Belgische Werkliedenpartij (BWP))  10, 35 f., 67, 81, 90, 202, 203, 204–219, 223, 231–233, 237, 240, 246, 251, 253–255, 309 Belgische Standaard, De, flamingantische Zeitung  156, 169 f. Besetzung Duisburgs und Düsseldorfs  1921, französisch-belgische 209 Besetzung Frankfurts, Darmstadts, Hanaus und Duisburgs  1920, französisch-belgische 207, 209 Borms-Wahl  228–232, 318 Breendonk, deutsches Konzentrationslager ​ 274 Brest-Litowsk, Frieden von  139 f., 163 Christdemokraten  202, 217 f. Comité de politique nationale  204, 209, 218 Comité National de Secours et d’Alimentation / Nationaal Hulp en Voedings­ comité  128, 146 Commission for Relief in Belgium  128, 276 f. Compromis des Belges  231 Delegation, aktivistische,  1917 bei ­Bethmann Hollweg 110–113, 116 f., 121, 130, 147, 175 f., 182 Deportation von belgischen Arbeitern siehe: Zwangsarbeit Deportation von Juden aus Belgien  272 f., 312 f. Deserteure siehe: Überläufer Deutsches Nachrichtenbüro (DNB)  258 Deutsch-vlämische Arbeitsgemeinschaft (DeVlag)  240, 261–265, 303–306, 308, 312 Dietsche militie  236 f.

Dietschland, siehe: Großniederlande Door Vlaanderen heen  163, 166 Ecole des Hautes Etudes  229 Ernährungswerk, belgisch-amerikanisches ​ 44, 98, 128, 146, 276 Etappengebiet  42 f., 47, 51, 64, 77, 79, 82, 84, 87, 97 f., 100, 101, 104, 105, 107, 108, 115, 129, 144, 161, 315 Eupen-Malmedy-Frage  199, 223 f., 227, 234, 240–243, 256, 261, 271, 319 Exilanten, aktivistische flämische  183 f., 187–189, 196–198, 225, 230, 241, 317 Faisceau belge  218 Faschismus / Faschisten  25, 174, 209, 217– 220, 232, 234–238, 239, 242, 246 f., 257, 282, 300, 309, 318, 320 Fédération nationale des combattants  219 Feminismus  135 f. Flaggenvorfall von Aalst  220 f. Flämisch, siehe: niederländische Sprache Flämische Hochschule  35 f., 38, 64, 66, 68, 74, 76–90, 93 f., 99–101, 103–105., 142, 156–158, 161, 173, 184, 188–190, 201, 204, 211, 228, 229, 232, 251, 297, 314 f., 318 Föderales Statut  234 f., 237, 318 f. Föderalstaat, Föderalisierung Belgiens  9–11, 35, 70, 71–73, 90 f., 105, 176, 179, 198, 211, 221, 232–235, 237, 255, 311, 317–320 Frankfurter Zeitung  148 f. Franktireurlegende  53, 161, 225, 227 Frontbewegung  21, 25, 151–175, 203, 205, 207, 210, 221 f., 227, 230, 260 f., 266, 299, 317 f. Frontpartei  12, 25, 151, 173, 183, 190, 198, 203–205, 208–217, 220, 222, 225–237, 245 f., 260, 317 f. Gazet van Brussel, aktivistische Zeitung  52, 54, 163 Gendarmerie (ndl. Rijkswacht)  227, 233, 292, 310 Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete  266 Generalgouvernement in Belgien, Kaiserliches  23, 40, 42–48, 63–69, 72–109, 113–150, 156 f., 160–164, 167, 174–191, 283, 315 Generalgouvernement Warschau  96 Generalgouverneur in Belgien, Kaiserlicher ​ 10, 42, 44, 46 f., 61, 63–66, 68 f., 72–74,

76–80, 83, 86, 87, 92, 97–99, 101, 103 f., 107 f., 110, 112–114, 117, 120, 122–127, 130–132, 134, 136–142, 147 f., 150, 157, 162, 175–177, 182 f., 185, 271 Generalsekretäre, belgische, im Zweiten Weltkrieg  284, 286–293, 295, 299, 304 Germania, deutsch-flämische Zeitschrift  37, 45 f., 50, 52, 268 Germania, katholische Zeitung  246 Geschichtsschreibung und Nationalismus ​ 12, 15, 19, 21, 197, 262–265 Gesetze zur Gleichstellung des Niederlän­ dischen in Belgien  10, 33 f., 36, 47, 48, 76, 79 f., 152, 156, 202, 232, 235, 294, 318 f. Göttingen, Kriegsgefangenenlager  160, 181, 184 Grenzlandarbeit  223, 245 f., 261, 263 Großgermanisches/Großdeutsches Reich  282, 284, 296, 298–300, 304 f., 308, 312 Großniederlande, Idee der Vereinigung Flanderns mit den Niederlanden  15, 35, 50, 59–61, 69, 72 f., 197 f., 224, 226, 230, 232, 234–237, 245–247, 252, 260, 282 f., 294, 299, 304, 307, 310, 316–318 Haager Landkriegsordnung  93, 117 f., 280 Hafen Rotterdam  58, 226 Häfen, belgische  58, 72, 77, 132, 199, 226 Heldenhulde  158, 221 Hitlerjugend Flandern  305 Hitler-Putsch 215 Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) ​ 273 f., 308 Holzfäller von der Orne  222, 227 Imperialismus, belgischer  198–201, 204, 209, 214 f., 226 Imperialismus, französischer  29 f., 38, 176, 187 f., 206, 207, 209, 211–215, 223, 250–253 Insel-Verlag  59, 187, 258 Jeunesses nationales  218 Jong-Dietschland, flämisch-nationalistische Zeitschrift  224, 235 Judenregister 276 Judenverordnung 276 Jungdeutscher Orden  198

357

Jungflamen  42, 49–51, 53 f., 61, 64, 68–70, 73 f., 77, 79, 92, 105, 106, 108, 113, 133, 144, 148, 156, 161, 178, 180, 183, 203, 234, 244, 314

Locarno, Verträge von  25, 217 f., 222 f.,226, 239 f., 242 f., 251, 253, 258 f. Loppem, Coup von  202 Lüttich, Forderung nach Annexion  41, 133 f.

Kapitulation Antwerpens  52–55, 153 Kapp-Putsch 206 Katholiek Vlaams Oudhoogstudenten ­Verbond (KVOHV)  88  f. Katholiek Vlaamsch Landsbond  51 Katholisch-flämische Abgeordnetengruppe (ndl. Katholieke Vlaamsche kamergroep)  202, 204, 208–210, 215–218, 220, 251, 255, 311, 318 Katholizismus, politischer, in Belgien  10, 30, 32–38, 49, 51, 67, 68, 81, 88 f., 101, 120, 152–159, 171, 202, 204, 207, 208–211, 213, 215–218, 220–223, 229, 231–233, 236 f., 239 f., 245 f., 251–258, 268 f., 296, 299, 301, 304, 311, 318 Kommissariat für Löhne und Preise  293 Konservative in der Katholischen Partei ​ 202, 210, 217 f., 220, 242, 252, 255, 268 Korrespondenz Belgien, Presseagentur des Generalgouvernements in Belgien  66 f., 76 f., 106, 118 Kriegsgefangene  51–53, 100, 160, 163 f., 171, 181, 184, 196, 201, 241, 268–270, 292 Kriegsschuldfrage  198, 213, 227 Kriegsverbrechen, deutsche, im Ersten Weltkrieg  48, 53, 57 f., 61, 99, 117, 212, 274, 275 Kulturpolitik, deutsche  37, 45, 59, 75, 187, 224 f., 249, 257 f., 261–265, 281, 294–297, 303 Kulturpolitik, französische  38, 59, 206 Kunststaat, Belgien (Narrativ)  11, 47, 66, 176, 263, 281, 316

Marine, kaiserliche  42 f., 58, 49, 72, 77, 106, 133 f., 141, 161 f., 172 Märtyrerkult, flämisch-nationalistischer ​ 62, 158, 208, 221 f., 227, 231, 285, 318 Militärabkommen, französisch-­ belgisches  22, 206–209, 211, 213, 215, 227, 239, 250–253, 259, 319 Militärbefehlshaber in Belgien und Nordfrankreich  267 f., 271–273, 284, 285, 286, 290, 308 Militärverwaltungschef  266, 272, 276–278, 280 f., 287, 289–291, 294, 296, 298–300, 305 f., 308 Minimalprogramm, flämisches  202–203 Militaire organisatie (MO), klandestine flämisch-nationalistische Organisation in der belgischen Armee des Zweiten Weltkriegs  260 f., 282, 284, 289 f.

Legion »Flandern« und nachfolgende Verbände im deutschen Militär  301 f., 304–307, 312 Legion »Wallonien« und nachfolgende ­Verbände im deutschen Militär  301 f., 303, 306–309 Légion nationale  218 f., 237 f., 246, 309, Liberalismus, politischer, in Belgien  10, 30, 33–36, 38, 51, 54, 67, 81, 89, 101, 152–154, 164, 186 f., 202, 204, 207–209, 217 f., 220, 229–232, 236 f., 240, 242, 251, 254, 296 f. Ligue nationale pour l’unité Belge  229

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Nation, importierte  12, 19–21, 24, 110, 277, 314–320 Nationaal Vlaamsch Verbond  51, 68 Nationalismus, belgischer  48, 62, 151, 157, 198–205, 209, 214, 218, 220, 229, 246, 251, 317 Nationalismus, irischer  18, 112, 158, 205, 208, 248, 314 Nationalismus, polnischer  18, 56, 78, 109, 112, 159, 205, 314 Nationalismustheorien 12–21 Nationalkomitee, Idee zu einem flämischen  71, 78 f., 103 f. Nationalliberale (Deutschland)  133, 271 Nationalsozialismus  22, 25, 74, 238–241, 243–250, 256 f., 261–265, 268 f., 274–276, 278, 282, 287, 296, 298 f., 303 f., 312, 319 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)  16, 241, 246 Nationalsozialistische Monatshefte  244 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) ​274 Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps (NSKK)  303 f., 312 Nation-Building  19–21, 24, 48, 57, 69, 71, 74, 76, 84, 96, 107–109, 119 f., 125, 128, 278, 296, 315, 316,

Neutralitätspolitik, belgische siehe: Unabhängigkeitspolitik Niederlande  9, 10, 15, 17, 24, 29–35, 41, ­49–51, 53, 57–75, 81, 85, 88, 90 f., 102, 104, 111 f., 133, 153, 156 f., 183–185, 187–189, 196–201, 204, 210, 226–228, 231, 234f–237, 245, 247, 252, 259–263, ­267–269, 271 f., 274, 281, 282 f., 294, 298, 304, 307, 310 f., 316 Niederländische Sprache  9–11, 14, 29–36, 38, 46–52, 55, 65, 68, 76, 79, 82–85, 87, 90, 92, 96, 102, 120, 128, 135, 152, 156 f., 159 f., 197, 201, 203 f., 207, 229, 231 f., 266, 295, 313, 315, 318 Niederlandistik in Deutschland  50, 197 Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA)  9, 320 Nolf-Baracke 229 Novemberrevolution, deutsche  154, ­184–186, 202 Nürnberger Gesetze  276 Oberkommando der Wehrmacht (OKW)  267, 272, 301 Oberkommando des Heeres (OKH)  266 f., 271 Oberste Heeresleitung (OHL)  96–99, 101, 105–109, 113, 115, 122, 133, 137–141, 150, 161–163, 165, 168, 175–177, 184, 316 Organisation Todt (OT)  303 Ostmark, Belgien als französische, ­völkisches Narrativ  38, 176, 282 Passivisten, flämische  11, 48, 62, 88, 157, 171, 178, 183, 185, 202, 214, 310, 318 Pazifismus  172, 208, 209, 219, 211, 221, 227, 233, 236, 252, 258 f. Personalitätsprinzip 202 Politik des geringsten Übels siehe: Präsenzpolitik Politische Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien  43 f., 48, 61, 67, 72, 89, 104, 118–121, 125, 130, 136, 138, 139, 140, 149, 188, 190 Polizei, belgische  52, 143, 144, 219, 292, 312 Polnische Universität  77 f. Präsenzpolitik  279–281, 283, 285, 293 f., 297, 312 Pressezensur, deutsche, im Ersten Weltkrieg  50, 52, 55, 67, 137 Quadragesimo Anno, päpstliche Enzyklika ​ 236, 239

Rat von Flandern  10, 71, 78 f., 103–112, 115–117, 121–123, 130–132, 140–150, 161, 162 f., 167 f., 170, 172, 175–182, 204, 211, 234, 236, 294 Reichsamt / Reichsministerium des Innern ​ 11, 42, 47, 66, 82, 87, 106, 115, 118, 121, 126, 132–134, 187, 268 Reichsarbeitsamt (ndl. Rijksarbeidsambt) ​ 293 Reichsarchiv  23 f., 123,195, 224 f. Reichskommissar für Belgien, Debatte um die Ernennung  267–270, 278, 290, Reichskommissar für die besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich  269, 307 f., Reichskommissar für die Niederlande  267, 271 f. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda  241, 243, 248 f., 257, 273 Reichssicherheitshauptamt  273, 306 Reichsstudentenführung 261 Reichstagsresolution für einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen  130 f., 133, 162 Reichswehr  206 f., 228, 248, 250 Reparationen an Belgien, deutsche  206 f., 210, 212 Revolution, belgische  30 f., Revolution, russische  139, 154, 202, 206, 210 Rex  238 f., 254–257, 259, 265, 284, 288, 289, 300–302, 305, 306–309, 312, 320 Rheinland,  1936 deutsche Remilitarisierung 253, 258 Rheinlandbesetzung, alliierte  197–200, ­211–215, 226, 239, 242, 275, 278, 319 Richtlinien für die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht, belgische  279 f. Rückkehrverordnung der deutschen Militär­verwaltung  282, 286 f., 292, 296 Ruhrgebiet,  1923 französisch-belgische Besat­zung 200, 209–215, 218, 250, 319 Schelde, De, flämisch-nationalistische Zeitung  226 f., 231, 241, 244 f., 247, 250 Schlacht der Goldenen Sporen (ndl. Guldensporenslag)  16, 61, 157, 159, 208, 220 f., 263, 310 Schlieffenplan 58 Schuldeingeständnis Bethmann Hollwegs  40 Schulpflicht in Belgien  36, 152 Schwarze Brigade (ndl. Zwarte Brigade)  303

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Selbständigkeitserklärung des Rates von Flandern  25, 140–150, 162 f., 168, 175 f., 181, 211, 314 f. Separatfriedensgespräche Deutschlands mit Belgien 91 Sipo-SD, Dienststelle in Belgien  24. 273, 306 f. Soldatenrat, deutscher, in Brüssel  185 f. Sowjetunion, Angriff auf die,  272, 299–303 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)  18, 41, 131, 135, 179 Spanischer Bürgerkrieg  255, 258 Sprachenkontrollkommission (Grammens-​ Kommission)  294 f. Sprachgrenze  9, 11, 31, 110, 126, 231 SS  22, 250, 266, 272–274, 275, 290, 291, 294, 298–306 SS Flandern  299 f., 304, 312 SS-Hauptamt  298, 300, 304 f. Studenten, flämische  35, 61, 79, 81, 88, 89, 93, 100 f., 103 f., 144, 154, 157 f. 184, 189, 196, 201, 222, 228, 229, 233, 236, 245, 261–265, 293, 296, 297 Studienkommission zur Vorbereitung un­ terrichtstechnischer Fragen an der Universität Gent (S. K. G.)  86 f. Süddeutsche Monatshefte  77, 223 Sudetenkrise  259, 261, 267 Territorialitätsprinzip 202 Überalterungsverordnung der deutschen Militärverwaltung 290–292 Überläufer, flämische  163–174, 230 Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)  179 Unabhängigkeitspolitik, belgische  25, 239, 258–260 Unionisten, flämische  105, 140, 180 f., 183, 234 Universität Gent, Umwandlung siehe: Flämi­sche Hochschule Université libre de Bruxelles  82, 296 f. Unterrichtsministerium, belgisches  80, 82, 91–95, 102 f., 106, 110, 114, 116, 120, 123 f., 180, 197, 231 Unterrichtssprache  9 f., 32, 76 f., 82–85, 294 f. Utrechter Dokumentenkrise  226–228, 231, 245 Utrechtse Dagblad, Het  226–228, 231

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Verband der belgischen Ernährungs- und Landwirtschaft 293 Verbond der Vlaamsche Oudstrijders (VOS) ​ 207 f., 217, 222, 227, 235, 251–253, 258 f. Verdinaso (Verbond van Dietsche Nationaal Solidaristen)  174, 236–238, 245–248, 282, 284, 300, 309 Verein deutscher Studenten (VDSt)  241, 245 Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) ​224 Verfolgung flämischer Kollaborateure  67, 86, 102, 112, 119 f., 130, 147, 157, 170 f., 173, 186, 196, 198, 204, 222, 230, 310 f. Versailles, Friedenskonferenz und Vertrag ​ 203 f., 207, 211–213, 218, 223 f., 242 f. Verwaltungschef beim Generalgouverneur in Belgien  42, 44 f., 52, 65, 76, 82, 84 f., 92 f., 97, 111, 114, 116, 118, 121 f., 124–126, 127, 136 Verwaltungschef für Flandern  118, 125 f., 128, 136, 141, 143 f., 146 f., 168, 181, 183, 185 Verwaltungschef für Wallonien  118, 125 f., 133, 136 Verwaltungsgeschichte der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien  224 f. Verwaltungstrennung  11, 19, 24, 44, 61, 65, 69, 72 f., 76, 90–96, 102 f., 108, ­110–129, 133–137, 142 f., 149, 157, 161, 164, ­176–178, 204, 278 f., 281, 294, 314 f., 317 Veteranen  168, 174, 203, 207–209, 217, 219, 221 f., 227, 235, 242, 251–253, 258 f., 317 f. Vlaams Belang, Vlaams Blok  9, 318, 320 Vlaamsch Nationaal Blok  254 Vlaamsch Nationaal Verbond (VNV)  25, 174, 232, 234, 237 f., 245–261, 282–290, 293 f., 298–310, 312 f., 318, 320 Vlaamsche concentratie  255 Vlaamsche Nieuws, Het, aktivistische ­Z eitung  55, 67, 81, Vlaamsche Post, De, jungflämische ­Z eitung  54, 61, 69, 70, 156 f. Vlaamsche Stem, De, flamingantische ­E xilzeitung  60–62, 67, 156 f., 167, 173 Vlaams-Nationale Volkspartij (VNVP) Vlaanderen, flämisch-nationalistische ­Z eitschrift  198, 224, 235, 317 Volk en Staat, Parteiorgan des VNV  250, 257 Völkerbund 242 Völkerrecht  40 f., 48, 57, 73, 80, 93, 96 f., 117–120, 124, 127, 280

Völkische Bewegung, Ideologie und ­R hetorik ​13, 16–19, 37, 45 f., 83, 176, 187, 194, 197 f., 224, 241, 244, 246, 256, ­262–265, 268, 281 f., 294, 306, 316, 319 Volksbefragungen, aktivistische (ndl. Volksraadplegingen)  141–146, 163, 175 Volksfrontregierung 254 Volkstumspolitik  223 f., 245, 261, 263, 266, 267, 271, 273 f., 278, 281 f., 284, 302, 306 Volksverwering 257 Waffen-SS  268, 299–306, 308, 312 Waffen-SS-Standarte »Westland«  268, 299 Wahlrecht, belgisches  33–36, 202, 230 Wallonien  9, 11, 19, 34 f., 38, 44, 49 f., 54, 63, 66, 68, 70, 88, 90–92, 102, 113–127, 132, 134, 136 f., 142, 153, 157, 161, 163, 176, 180 f., 189, 202, 209, 211 f., 220 f., 227, 231, 234, 243, 247, 259, 266, 268, 270 f., 278, 281, 288, 300–303, 306 f., 309, 312–315 Wallonische Bewegung  35, 90 Wehrmacht  239, 253, 258 f., 267, 270, 272, 274, 278, 289, 298, 300, 301, 307 f. Wehrpflicht in Belgien  151–153, 219, 233, 253, 259 Westforschung  22, 282 Widerstand, bewaffneter belgischer, des Zweiten Weltkriegs  291, 305, 307, 309–311

Wiederbewaffnung, deutsche  239, 242, 247 252 Wiedergutmachungskommission (Borms-​ Kommission)  283, 295 f. Winterhilfe 238 Wirtschaft, belgische  22, 30, 33, 36, 44, 47, 66, 74, 78, 91, 97, 107, 115, 125, 127, 132– 136, 146, 176, 188, 199, 206 f., 210, 212, 223, 225 f., 237, 239, 265, 273, 276 f., 280 f., 287, 289–293, 312, 314 Wirtschaftsunion, belgisch-luxemburgische  ​206 Yser-Front 19, 49, 153, 158, 164 Yserkreuze  158, 221 Yserturm  221 f., 311 Yserwallfahrt (ndl. Ijzerbedevaart)  208, 221, 229, 233, 283, 310 f., 318 Zahlungen, deutsche, an Aktivisten ​­188–191, 196 Zentralstaat, belgischer  9, 10, 33, 35, 73, 90, 257, 309, 311, 317 Zentrum  113, 131, 134, 137, 144 Zwangsarbeit während des Ersten Weltkriegs  24, 96–103, 105–109, 114 f., 116, 117, 120, 122, 161, 275 Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs  293, 305

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