Die ‘historische’ Dietrichepik: Untersuchungen zu ‘Dietrichs Flucht’, ‘Rabenschlacht’, ‘Alpharts Tod’ 9783110251319, 9783110251326

Die Monographie stellt die Textgruppe der sog. ‚historischen‘ Dietrichepik systematisch und umfassend dar. Behandelt wer

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German Pages 306 Year 2010

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Die ‘historische’ Dietrichepik: Untersuchungen zu ‘Dietrichs Flucht’, ‘Rabenschlacht’, ‘Alpharts Tod’
 9783110251319, 9783110251326

Table of contents :
Frontmatter ... Seiten: I–VI
Inhalt ... Seiten: VII–VIII
I. Voraussetzungen und Grundlagen ... Seiten: 1–24
II. Der Stoff und die Zeugnisse ... Seiten: 25–76
III. Überlieferung und Wirkung ... Seiten: 77–102
IV. Aspekte der Poetik der ‹historischen› Dietrichepik ... Seiten: 103–192
V. Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen ... Seiten: 193–230
VI. Deutungsfragen ... Seiten: 231–254
VII. Die ‹historische› Dietrichepik als «Dichtung über Heldendichtung» ... Seiten: 255–260
Backmatter ... Seiten: 261–298

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Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik Herausgegeben von Elisabeth Lienert Band 5

Elisabeth Lienert

Die ‹historische› Dietrichepik Untersuchungen zu ‹Dietrichs Flucht›, ‹Rabenschlacht› und ‹Alpharts Tod›

De Gruyter

Joachim Heinzle gewidmet

ISBN 978-3-11-025131-9 e-ISBN 978-3-11-025132-6 ISSN 1611-7581 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Einbandabbildung: ÖNB/Wien, Bildarchiv, Cod. ser. nov. 2663, fol. 50v Satz: Günter Lienert, Bremen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort

Vorüberlegungen und Voruntersuchungen zu diesem Buch haben die DFG-Projekte «Die ‹historische› Dietrichepik. Neueditionen und Untersuchungen» (1999–2004) und «DietrichTestimonien des 6. bis 16. Jahrhunderts» (2004–2005) über viele Jahre begleitet. Die Universität Bremen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben 2005/2006 für den Abschluss des Testimonien-Bandes und der Monographie Forschungssemester gewährt; widrige Umstände haben leider dennoch zu einer weiteren Verzögerung geführt. Konzipiert ist die Monographie als Versuch, die Textgruppe der Fluchtepen (‹Dietrichs Flucht›, ‹Rabenschlacht›) und das an diese angelagerte Sprossepos ‹Alpharts Tod› auf der Basis der Bremer Neueditionen und der Forschung unter verschiedenen Aspekten literarhistorisch zu erschließen. Einbezogen werden gattungsgeschichtliche Überlegungen, Untersuchungen zur Stoff- und Sagengeschichte, zur Überlieferung, zu Struktur und Erzählerstrategien, intertextuellen Horizonten, Personenkonstellationen und Konzeptualisierungen. Schwerpunkte der Darstellung resultieren in erster Linie aus der Arbeit in den Bremer Projekten zur Dietrichepik. Wo aus diesem Kontext heraus Dissertationen entstanden sind oder entstehen, begnügt sich die Darstellung mit knapperen Hinweisen. Die Analyse der Texte in ihrer überlieferten Form steht immer im Vordergrund. Vera Stollberg und insbesondere Günter Lienert ist wertvolle Hilfe bei der Literaturbeschaffung, der Einrichtung des Buchs, der Erstellung des Registers und bei Computerproblemen zu verdanken. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft gebührt Dank für die Förderung des Projekts, zahlreichen Bibliotheken und Institutionen für Literaturbeschaffung und Auskünfte, dem Max Niemeyer Verlag (Tübingen) für die kompetente Betreuung der Drucklegung.

Bremen, im Juli 2010

Elisabeth Lienert

V

Inhalt

I. Voraussetzungen und Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik» . . . . . 2. Zur Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Der Stoff und die Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historischer Stoff und sagenmäßige Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ältere Zeugnisse der Fluchtsage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spätere Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sondertraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Überlieferung und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handschriften und Fassungen der Fluchtepen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ‹Alpharts Tod› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ‹Dietrich und Wenezlan› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Textchronologie und -geographie, Auftraggeber und Mitüberlieferung . . . . . 2. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 77 77 92 94 95 100

IV. Aspekte der Poetik der ‹historischen› Dietrichepik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strukturfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Struktur der Fluchtepen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Struktur von ‹Alpharts Tod› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Raum- und Zeitstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erzählschemata und repetitive Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Probleme der Erzählkohärenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zyklusbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erzählhaltung und Erzählerrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Intertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anschluss an Traditionen ‹heroischen› Erzählens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anschluss an Brautwerbungsepik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Höfisierung, ‹heroische› Rückkopplungen und Hybridisierung . . . . . . . . . . .

103 103 103 121 124 129 129 138 153 156 173 173 188 190

V. Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antagonisten: Ermrich und Sibeche, Witege und Heime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefolgsleute und Kampfgefährten: Hildebrand, Wolfhart . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193 193 196 200

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VII

Inhalt

4. Helferfiguren: Rüdiger, Helche, Etzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Facetten des Protagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Moralisierung und Ambiguisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. ‹Heroische› und ‹pragmatische› Heldenkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 214 224 227

VI. Deutungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik . . . . . . . . . 2. Aktualisierung und Interessenbildung hoch- und spätmittelalterlicher Rezipienten: Herrschaft und Gefolgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Krieg und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 231 247 250

VII. Die ‹historische› Dietrichepik als «Dichtung über Heldendichtung» . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namen- und Sachregister

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VIII

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I. Voraussetzungen und Grundlagen

1. Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»1 Innerhalb der mittelhochdeutschen Heldenepik ist die Dietrichepik, ein literarisches Phänomen des 13. Jahrhunderts, durch ihren Stoff und ihren Helden bestimmt; ihr Gegenstand ist die Überlieferung um Dietrich von Bern, die Sagenentsprechung des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen, wobei der historische Kern freilich in der Fluchtsage transformiert wird: Der Eroberer Italiens wird zum Vertriebenen, die langjährige Friedensherrschaft des Gotenkönigs zum Exil beim Hunnenkönig Etzel-Attila, zu dem Dietrich-Theoderich in anachronistische Beziehungen tritt (vgl. S. 26–30). Die Diskussion um die Gattungshaftigkeit von Heldenepik ist seit Jahrzehnten pragmatisch beigelegt: Auch wenn das ‹Germanische› der völkerwanderungszeitlichen Stoffe keine entscheidende Rolle mehr spielt, die Texte in erster Linie in ihrem hoch- und spätmittelalterlichen Entstehungsumfeld verstanden werden,2 gibt es gute Gründe, an einer Gattung Heldenepik festzuhalten: Die Textgruppe unterscheidet sich von anderen epischen Gattungen des 13. Jahrhunderts durch spezifische Merkmale – in erster Linie durch ihre Stoffe, die im weitesten Sinn zumindest locker an die kollektiv-illiterate Geschichtsüberlieferung aus dem heroic age, der Völkerwanderungszeit, anknüpfen, und durch Relikte der Mündlichkeit sowohl in der Poetik, Sprachgestalt und Vortragsform der Texte als auch in der ausgeprägten Varianz ihrer Überlieferung.3 Auf ein zeitgenössisches Gattungsbewusstsein deuten zum einen Tendenzen zu Überlieferungsgemeinschaften in den Heldenbüchern,4 Sammelhandschriften insbesondere von aventiurehafter Dietrichepik mit dem ‹Ornit›-/‹Wolfdietrich›Komplex. Zum anderen hat die bekannte Trennung der Stoffkreise von Heldenepik und Artusroman, die (Einzeltexte übergreifend) eigene Erzählwelten mit den ihnen zugehörigen

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Überblick z.B. bei HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 143–145; HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 238f., 245–265 (einschließlich ‹Dietrich und Wenezlan› und ‹Biterolf und Dietleib›); grundlegend: HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 58–97 (einschließlich ‹Dietrich und Wenezlan›, unter Ausschluss von ‹Biterolf und Dietleib›). WISNIEWSKI 1986 (LV Nr. 594), S. 58–166, zieht zur «historischen Dietrichdichtung» auch «Dietrich-Biographien» (‹Gesta Theoderici›, die Dietrich-Passagen der ‹Kaiserchronik›, bei Heinrich von München und in der ‹Heldenbuch-Prosa› sowie die ‹Thidrekssaga›), «Heldenlieder von Dietrich von Bern», zu den historischen Dietrichepen auch ‹Dietrich und Wenezlan›, die DietrichPassagen von ‹Nibelungenlied› und ‹Klage› sowie – aufgrund der überholten Gleichsetzung Wolfdietrichs mit Theoderich-Dietrich – ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich›. Grundlegend RUPP 1960 (LV Nr. 506). Zu den Gattungsmerkmalen der Heldenepik in Abgrenzung zu anderen epischen Gattungen immer noch HOFFMANN 1974 (LV Nr. 333), S. 11–25, 60–63; skeptisch z.B. SCHUPP 1979 (LV Nr. 533). Vgl. HEINZLE 1981 (LV Nr. 303).

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Voraussetzungen und Grundlagen

Figuren konstituieren, zur Folge, dass beide Gattungen zwar Figuren des jeweils eigenen Erzählkosmos heraufbeschwören, so gut wie nie aber Figuren des anderen. Komisch inszeniert und zugleich als selbstverständlich bezeugt wird diese Trennung der Stoffkreise noch in Heinrich Wittenwilers ‹Ring› (um 1408/1410), in dem bekanntlich Personal der aventiurehaften Dietrichepik aufgeboten wird, Helden (Dietrich von Bern, Hildebrand u.a.) und Zwerge (unter Laurin) gegen Ecke und andere Riesen kämpfen, während die Ritter des höfischen Romans sich entschuldigen lassen.5 Lediglich im Bereich der Anspielungsrezeption und der Exempla ist diese Trennung der Stoffkreise aufgehoben: Nur als Exempelfiguren (meist für Kampfkraft), mithin auf einer rhetorischen Ebene können Sagenhelden auch im Roman begegnen,6 wie umgekehrt Artus in der Heldenepik als Maßstab für höfische Idealität sowohl von Dietrichs Vorfahren in ‹Dietrichs Flucht› als auch von Etzels (teilweise) verritterlichtem Hunnenhof fungiert. Zwischen Vergleichsfiguren und Akteuren wird aber deutlich unterschieden: Artus und die Artusritter agieren nicht in Heldenepen, Dietrich oder die Nibelungen nicht in Artusromanen. Dies ist besonders auffällig angesichts der Hybridisierung später Heldendichtung, ihrer Annäherung an Erzählmuster, Gewaltdiskurse und Heldenkonzeptionen auch des Artusromans.7 Die Ansätze mittelalterlichen Gattungsbewusstseins gründen in erster Linie im Stofflichen, wie auch die weitere Untergliederung der Heldenepik in Subgattungen in der Literaturgeschichtsschreibung fast durchweg auf stofflichen Kriterien beruht und mit der Einteilung in Stoffkreise zusammenfällt, wie unbefriedigend auch immer das gattungstheoretisch sein mag.8 Strukturelle Gegebenheiten oder eine spezifische Poetik der einzelnen Subgattungen treten allenfalls ergänzend hinzu. Innerhalb der Dietrichüberlieferung unterscheidet die Forschung üblicherweise die drei Überlieferungskomplexe ‹Dietrich und Ermrich› (als Kern der ‹historischen› Dietrichepik), ‹Dietrichs Abenteuer› (als Gegenstand der aventiurehaften Dietrichepen) und ‹Dietrichs Ende›.9 Der letzte Komplex – Hauptgegenstand der klerikalen Polemik gegen den Gotenkönig – ist in deutscher Sprache praktisch nicht überliefert, wenn man von einigen Andeutungen absieht. Die Stofftradition insgesamt (insbesondere die lateinische und deutschsprachige Chronistik) kennt in erster Linie Theoderichs Vulkan- und Höllensturz (seit Gregors des Großen ‹Dialogi›,10 593/594, wird über Jahrhunderte hinweg kolportiert, die Seele des Gotenkönigs sei von Papst Johannes und Symmachus in einen Vulkan gestürzt worden), daneben das Motiv von Theoderich-Dietrichs Höllenritt (der König habe, aus dem Bad springend, ein Ross bestiegen, das ihn in die Hölle getragen habe),11 ein Motiv, das auch die ‹Thidrekssaga› aufgreift, freilich um die Verdammnis des Helden zu dementieren. Auf Vergleichbares deuten Alternativen zu Dietrichs Ende in einigen wenigen deutschsprachigen Texten: In ‹Zabulons Buch›, einem Teil des ‹Wartburgkrieg›-Komplexes (Ende 13. Jh.), täuschen Dietrich und der Zwergenkönig Laurin den Vulkansturz nur vor und begeben sich in ein fernes Zwergenreich, in

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Wittenwiler, ‹Ring› (BRUNNER 1991, LV Nr. 45), v. 8025−8030; vgl. z.B. auch BOESCH 1979 (LV Nr. 153); KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 373–377; HAFERLAND 2007 (LV Nr. 264), S. 9. Vgl. auch LIENERT 2009 (LV Nr. 422). Vgl. bes. KERTH 2008 (LV Nr. 357). So BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 128f. Vgl. HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 141. Vgl. Test. Nr. 32. Vgl. Test. Nr. 93, 138, 187, 220, 227, B3; andere unsicher, vgl. Test., Verzeichnis der Eigennamen, Motive, Begriffe zur Dietrichüberlieferung.

Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

dem Dietrich tausendjähriges Leben bevorsteht;12 dem ‹Wunderer› (vor 1472)13 zufolge trägt das teuflische Ross Dietrich nicht, wie in den Höllenrittzeugnissen, in ewige Verdammnis, sondern in eine Wüste, wo Dietrich zur Buße für seine Verfehlungen bis zum Jüngsten Tag gegen Drachen kämpfen muss. Berührungen mit der ‹historischen› Dietrichüberlieferung gibt es aber nur in der ‹Thidrekssaga›, die alle drei Stränge der Dietrichüberlieferung kompiliert, und in der ‹Heldenbuch-Prosa› (vor 1479), wo Dietrich nach einem erfüllten Heldenleben, das auch Vertreibung und Exil umfasst, statt der Verdammnis anheimzufallen, ins Unbestimmte entrückt wird.14 In der ‹historischen› Dietrichepik wird Dietrichs Ende nicht erzählt, möglicherweise weil es traditionell die dort ausgesparte Rückkehr nach Italien und langjährige erfolgreiche Herrschaft voraussetzt.

Damit reduziert sich die Binnengliederung der mittelhochdeutschen Dietrichepik auf die Opposition von ‹historischer› und ‹aventiurehafter› Dietrichepik.15 Das Beiwort ‹historisch› (in erster Linie für die Fluchtepen ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› sowie für ‹Alpharts Tod›) ist wegen der Transformation historischer Ereignisse in Sagenkonstellationen freilich umstritten. Mündlicher Geschichtsüberlieferung, wie sie die Heldensage für den mittelalterlichen illiteraten Kriegeradel darstellt, kommt allerdings eine spezifische Historizität zu (vgl. S. 231, 233); von daher spricht die sagentypische Umformung historischer Faktizität alleine nicht gegen die Geschichtlichkeit der Sage und nicht gegen das Epitheton ‹historisch›. Im Kontext heroischer Überlieferung scheint der Begriff in erster Linie Verbürgtheit16 zu implizieren, auch durch mündlich-kollektive Memoria, und bedarf insofern der Historisierung und Relativierung. Inwieweit für diese Überlieferung gleichwohl Historizität – im Sinne von Wahrheitsanspruch und Verbindlichkeit der entworfenen Handlungsmodelle oder von Strategien historiographischen Erzählens – in Anspruch genommen werden kann, wird zu diskutieren sein (vgl. S. 231–246). Zunächst benutze ich (wie zumeist üblich) die Bezeichnung pragmatisch als Hilfs- und Orientierungsbegriff zur Unterscheidung zwischen den dem verifizierbaren historischen Kern (Theoderichs Italienkrieg) trotz aller Transformationen näher stehenden Fluchtepen und den wirklichkeitsenthobeneren Abenteuern Dietrichs im Kampf gegen Riesen, Zwerge, Drachen oder nibelungische Recken in der aventiurehaften Dietrichepik. Dass die ‹historische› Dietrichepik in einem mehr als klassifikatorischen Sinn als Subgattung gelten kann, muss damit nicht impliziert sein. Auch hier stellt Stoffliches (in Verbindung mit charakteristischen Erzählschablonen) das entscheidende Kriterium der Zuordnung zur Textgruppe dar:17 die Grundkonstellation der Auseinandersetzungen zwischen Dietrich von Bern und seinem Gegner um die Herrschaft in Oberitalien. Dass die Abgrenzung der beiden Textcorpora innerhalb der Dietrichepik keine absolute ist, ergibt sich aus intertextuellen Beziehungen zwischen den Gruppen (vgl. bes. S. 45–47, 48f., 62, 71–74 passim, 174, 182–184, 187f., 258–260); andererseits wird die Unterscheidung gestützt durch die strikt getrennte Überlieferung aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichepik (vgl. S. 97), wie eingeschränkt auch immer der Aussagewert der Überlieferung für die Frage nach Gattungs-

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Vgl. Test. Nr. 149; ‹Wartburgkrieg› (SIMROCK 1858, LV Nr. 108), Str. 168−173. Vgl. Test. Nr. 254. Vgl. Test. Nr. 258. Das Epitheton ‹märchenhaft› für letztere wird kaum mehr gebraucht (vgl. aber z.B. WISNIEWSKI 1986, LV Nr. 594, S. 167–264, mit Einbeziehung des ‹Biterolf›; ZATLOUKAL 2000, LV Nr. 613). So z.B. auch GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), bes. S. 187. Zur Rolle des Stoffs bei der Gattungszuordnung vgl. auch FIRESTONE 1986 (LV Nr. 216), S. 115, 117 und 123–125.

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Voraussetzungen und Grundlagen

bewusstsein und Gattungszugehörigkeiten ist. Als alternative Bezeichnung stehen für die zu etikettierende Textgruppe Umschreibungen wie ‹Fluchtepen› oder ‹Dichtungen des Dietrichund-Erm(en)rich-Komplexes› zur Verfügung, die andere Probleme mit sich bringen: Die Bezeichnung ‹Fluchtepen› trifft lediglich ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›, schließt aber ‹Alpharts Tod› aus, wo Dietrichs Konflikt mit Ermrich als vergeblicher Vertreibungsversuch Ermrichs und erfolgreiche Gegenwehr Dietrichs inszeniert ist.18 Die Umschreibung ‹Dichtungen des Dietrich-und-Erm(en)rich-Komplexes› deckt den allgemein akzeptierten Kernbestand der sogenannten ‹historischen› Dietrichepik ab, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› (das als Sprossdichtung der Fluchtsage deutbare ‹Hildebrandslied›, das Odoaker als Vertreiber und Gegner kennt, wird dadurch – unnötig? – weit abgegrenzt); die Bezeichnung fokussiert freilich nur auf den ersten und letzten Bestandteil der Handlung (Vertreibung, Rückkehrschlacht[en]). Probleme der Zuordnung zum Corpus ergeben sich bei Texten, die den ‹mittleren› Handlungsbestandteil ‹Dietrich bei Etzel› teilen (vgl. S. 5f.). Charakteristisch für mittelalterliche, vor allem volkssprachige Gattungen ist ihre systematisch kaum erfassbare Unschärfe, sowohl was Merkmale als auch was Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit von Texten an den Rändern der Gattung betrifft.19 «Der Versuch, die Dietrichepik klar abzugrenzen, beruht letztlich auf jenem älteren, präskriptiven theoretischen Gattungsbegriff, der nur deshalb nach eindeutigen Definitionen historischer Gattungen verlangt, weil er ausdrücklich oder stillschweigend mit der Grundannahme verknüpft ist, Gattungen seien aus überzeitlich gültigen Prinzipien deduktiv abzuleiten.»20 Mittelalterliche volkssprachige Gattungen konstituieren sich nicht in erster Linie über Merkmalsbündel, sondern – das ist seit Jahren Gemeinplatz in der Mediävistik und muss hier nicht mehr im Detail aufgerollt werden – als historisch gewachsene und veränderliche Traditionen, als Werkreihen.21 Texte schließen sich an Muster- bzw. Prätexte an, durchaus auch an verschiedene Texte und unterschiedliche literarische Reihen. Nicht zuletzt deswegen, freilich auch wegen des bereits für die Mündlichkeit vorauszusetzenden Sagensynkretismus gibt es in der Heldenepik Interferenzphänomene, ein «Nebeneinander von Verbindungslinien zur ‹eigenen› Werkreihe und zu anderen Werkreihen».22 Verkompliziert wird die Diskussion in diesem Fall zum einen durch den Ursprung der Gattung in der Mündlichkeit, für die Muster nicht fassbar sind, zum anderen durch die Hybridität bereits des ältesten erhaltenen mittelhochdeutschen Heldenepos, des ‹Nibelungenlieds›, das durchweg als Muster für spätere mittelhochdeutsche Heldenepen fungiert.23 Auch die erhaltenen schriftlichen Fassungen der Fluchtepen schließen

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Vgl. auch BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 13. Zur Gattungsproblematik der Dietrichepik vgl. bes. BLEUMER 2000 (LV Nr. 148); vgl. auch FIRESTONE 1986 (LV Nr. 216); KERTH 2008 (LV Nr. 357); grundsätzlich vgl. etwa KUHN 21959 (LV Nr. 402); JAUSS 1972 (LV Nr. 341); HEMPFER 1997 (LV Nr. 322); GRUBMÜLLER 1999 (LV Nr. 253). BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 127f. Grundsätzlich vgl. GRUBMÜLLER 1999 (LV Nr. 253), S. 200f.; ders. 2006 (LV Nr. 254), S. 11–16; zur Heldenepik KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 6. Ebd. Wenn KUHN 1980 (LV Nr. 406) in Dietrich von Bern den «Kristallisationskern» (S. 25) sieht, um den die mittelhochdeutsche Heldenepik «als Funktionsmodell gruppiert war» (S. 44), trägt er zwar der Popularität dieser Gestalt Rechnung, überschätzt aber die Dichte der vornibelungischen Zeugnisse

Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

sich an das ‹Nibelungenlied› an, das seinerseits bereits auf Konstellationen der Dietrichsage reagieren dürfte: Schon im Feld der Mündlichkeit treten Dietrich- und Nibelungensage über den Handlungsbestandteil ‹Exil bei den Hunnen/bei Etzel› in Kontakt. Sagenreflexe, die chronologisch vor den erhaltenen Fluchtepen anzusetzen sind, belegen drei Grundbestandteile des konstitutiven Handlungsmusters schon für die Fluchtsage: Vertreibung bzw. Flucht (I), Exil (II) und Rückkehr (III). Mit diesen Stationen der Handlung sind bestimmte Räume und Personenkonstellationen verbunden: Ober- und Mittelitalien, das Hunnenreich und wieder Italien; Ermrich als Gegner und Vertreiber Dietrichs und Etzel als Dietrichs Zuflucht. Entsprechend den Personenkonstellationen formieren sich die Komplexe ‹Dietrich und Ermrich› (I und III) und ‹Dietrich bei Etzel› (II). ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› realisieren im Verbund alle drei Handlungsbestandteile der Fluchtsage in epischer Breite, wobei die ‹Flucht› die Vertreibung, drei Gänge ins Exil sowie drei Rückkehrschlachten erzählt; die ‹Rabenschlacht› setzt die Vertreibung voraus und schildert nur die eine Rückkehrschlacht von Raben/Ravenna. Trotz Ansätzen zur Hybridisierung sogar in den Fluchtepen bilden diese fraglos den Kern des Corpus der ‹historischen› Dietrichepik. Allerdings hat dieser Kern direkt nur ‹Alpharts Tod› angezogen; produktive Weiterentwicklung erfolgt zumeist in komplexeren Konstellationen (vgl. bes. S. 259f.). Dabei gehen einige Texte, die den Helden wie auch spezifische Handlungs- und Personenkonstellationen mit den Fluchtepen gemeinsam haben – die Nibelungendichtungen (um 1200) und vielleicht ‹Biterolf und Dietleib› (um 1250?) – den erhaltenen Texten der ‹historischen› Dietrichepik (4. Viertel 13. Jh.) zeitlich voran: Muster und Variationen sind chronologisch nicht säuberlich zu trennen. Eine Reihe von Texten teilt mit den Fluchtepen nur isolierte Bestandteile der Handlungssequenz: ‹Alpharts Tod›, gestaltet, wie bereits erwähnt, nur die Auseinandersetzung von Dietrich und Ermrich (in einer Variante von I, ohne Exil II und Rückkehr III). Das ‹Nibelungenlied› verbindet mit den Fluchtepen der Komplex ‹Exil bei Etzel›, die ‹Nibelungenklage› gar die Komplexe ‹Exil bei Etzel› und – ansatzweise – ‹Rückkehr Dietrichs›; die Vertreibung ist im Exil impliziert. ‹Dietrich und Wenezlan›, ‹Biterolf und Dietleib›, ‹Rosengarten› D und der ‹Wunderer› thematisieren den Komplex ‹Dietrich bei Etzel›, wobei nur ‹Dietrich und Wenezlan› die Exilsituation voraussetzt (DWen v. 37f.); im ‹Wunderer› hält sich der noch jugendliche Held ohne weitere Erklärung an Etzels idealem Hof auf wie adlige Fürstensöhne am Artushof (vgl. bes. S. 61f.); in ‹Rosengarten› D ziehen Dietrich und Etzel gemeinsam gegen die Wormser Helden (vgl. bes. S. 48); im ‹Biterolf› stößt Dietrich als Dietleibs Verwandter mütterlicherseits zu Etzels Heer, das nach Worms zieht (vgl. bes. S. 49–51). Nachnibelungische Heldenepen tendieren zu wechselseitiger Anbindung und Verflechtung. Gleichwohl gibt es angesichts von Grundsituationen und Leitthemen der Dichtungen, vom Fragment ‹Dietrich und Wenezlan› abgesehen (vgl. S. 15–17), keine Grenz- und Zweifelsfälle hinsichtlich der Zuordnung zu aventiurehafter oder ‹historischer› Dietrichepik. Dass von Unschärfen in erster Linie der mittlere Handlungsbestandteil, ‹Dietrich bei Etzel›, betroffen ist, könnte damit zusammenhängen, dass das Exil als in der Sage weitgehend handlungsleere Zeit narrativ unterschiedlich gefüllt werden kann; zudem mag die Verbindung der Protago-

––––––– (erst ab dem ‹Nibelungenlied› scheint heroische Überlieferung zumindest teilweise in den Sog des Dietrichstoffs zu geraten).

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Voraussetzungen und Grundlagen

nisten Dietrich und Etzel und damit der Nibelungen- mit der Dietrichsage weitere sekundäre Anbindungen fördern. Von daher liegt es nahe, dass insbesondere nibelungisch beeinflusste Texte wie ‹Biterolf und Dietleib› und ‹Rosengarten› D auch auf Dietrichs Beziehung zu Etzel rekurrieren. Fluchtsagenspezifisch sind in erster Linie die Sequenzen I und III, die Konfrontation von Dietrich und Ermrich; dementsprechend ist die Grundkonstellation der Kämpfe um die Herrschaft in (Ober-)Italien das zentrale Kriterium der Zugehörigkeit zur ‹historischen› Dietrichepik. Das ermöglicht problemlos die Zuordnung von ‹Alpharts Tod› (obwohl hier, wie in ‹Biterolf und Dietleib›, nicht Dietrich selbst, sondern ein Dietrichheld Hauptprotagonist ist). Für ‹Dietrich und Wenezlan› ist nur die Zwischenstellung zwischen den Textgruppen zu konstatieren, tendenziell eher eine Anbindung an Vertreibung und Exilsituation und damit an die Konstellationen der ‹historischen› Dietrichepik. Hingegen schließt das genannte Kriterium Texte aus, deren Grundkonstellation eine andere ist: Dem ‹Wunderer› liegt die Grundkonstellation der aventiurehaften Dietrichepik (Dietrich im Kampf gegen einzelne meist nicht menschliche Gegner, oft als Rettung Unschuldiger) zugrunde. In ‹Biterolf und Dietleib› geht es in erster Linie um Vatersuche und Bewährung Dietleibs und um Auseinandersetzung mit Walthersage, ‹Nibelungenlied› und ‹Rosengarten›; die Kämpfe um Dietrichs Herrschaft spielen nicht einmal als Hintergrundfolie eine Rolle; Dietleibs Bewährung dient keineswegs dazu, ihn als künftigen Dietrichhelden aufzubauen, sondern als ‹Gründungsheros› steiermärkischer Landesherrschaft. Die Grundkonstellation des ‹Rosengarten› D ist die Auseinandersetzung der Dietrichhelden mit Kriemhild und der westlich-nibelungischen Heldenwelt. ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage› sind um den Burgundenuntergang (mit dessen Vorund Nachgeschichte) zentriert. ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich› sind mit der ‹historischen› (aber auch der aventiurehaften) Dietrichepik durch Ansippung (Dietrichs Vorfahren in ‹Dietrichs Flucht›), gemeinsame Requisiten und Motive (vgl. bes. S. 47, 56) verbunden, haben aber an der Grundkonstellation von Dietrichs Auseinandersetzung um die Herrschaft in Oberitalien keinen Anteil. Einige der genannten Texte verwenden Erzählmuster und/oder Personenkonstellationen der ‹historischen› Dietrichepik, um zu deren Handlungsmustern, Geschichtskonstruktionen, Heldenbildern und Sinnangeboten Stellung zu nehmen; zum Kernbestand der Textgruppe ‹historische› Dietrichepik aber gehören sie nicht. Das gilt insbesondere für ‹Biterolf und Dietleib›, dessen Zugehörigkeit in der Forschung besonders umstritten ist und der immer wieder, gerade auch in den letzten Jahren, in stärkere Nähe zur ‹historischen› Dietrichepik gerückt wurde.24 Für dessen Ausschluss hier spielen nur Stoff und Grundkonstellationen der Handlung eine Rolle, nicht andere Kriterien25 wie die Versform, die Frage der geglaubten Historizität, das Thema «Land und Herrschaft»26, die Rolle Dietrichs: Reimpaarverse, im Gegensatz zu heldenepischen Strophen, begegnen in der Tat auch in ‹Nibelungenklage› und ‹Dietrichs Flucht›, aber z.B. auch im ‹Laurin›. Geglaubte Historizität scheint, zumindest soweit Sagenkritik und -polemik seit dem 14./15. Jahrhundert sowie die Sagenapologie des 16. Jahrhunderts (vgl. S. 101) schließen lassen, auch der aventiurehaften Dietrichdichtung sowie dem ‹Ornit›-/‹Wolfdietrich›-Komplex nicht völlig ab-

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Vgl. bes. KNAPP 1992 (LV Nr. 372); MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 9f. u.ö.; anders KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 273–296, zum Ausschluss aus der ‹historischen› Dietrichepik S. 275. Vgl. vor allem KNAPP 1992 (LV Nr. 372), S. 70 und ff. Ebd., S. 71.

Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

zusprechen zu sein, ist also nicht allein der ‹historischen› Dietrichepik vorbehalten und somit kein Zuordnungskriterium. Das Thema «Land und Herrschaft» verbindet ‹Biterolf und Dietleib› mit der ‹historischen› Dietrichepik, ist als Kriterium einer Subgattungszugehörigkeit jedoch zu unspezifisch. Dietrich ist in der Tat auch in ‹Alpharts Tod› ebenso wenig Hauptprotagonist wie im ‹Biterolf›, doch ist die Rahmensituation in ‹Alpharts Tod› auf Dietrich bezogen, der Hauptprotagonist immerhin bereits ein Dietrichheld. Dass Dietleib im ‹Biterolf› zwar als Verwandter Ermrichs, der Harlungen und Dietrichs gezeichnet ist (der Grund für deren Teilnahme an seinem Rachezug nach Worms),27 aber eben mit keinem Wort als künftiger Dietrichheld, leistet einer Anbindung speziell an die ‹historische› Dietrichepik nicht Vorschub. Dass der Autor des ‹Biterolf und Dietleib› die Handlung als Vorgeschichte der dietrichepischen und nibelungischen Katastrophen gestaltet hat, deutet auf sekundäre Anbindung, nicht auf primäre Zugehörigkeit. Entsprechendes gilt für Gemeinsamkeiten im Personal, Motivübereinstimmungen und denkbare Anspielungen auf Konstellationen und Rollen der ‹historischen› Dietrichepik› (vgl. S. 49–51). In der Summe lässt das ‹Biterolf und Dietleib› wohl als Auseinandersetzung (auch) mit der ‹historischen› Dietrichepik, nicht nur mit dem ‹Nibelungenlied› erscheinen, nicht aber als Teil einer Subgattung, die er vielmehr auf einer Metaebene reflektiert. Mit Blick auf grundlegende Gegebenheiten des Stoffs und der darauf basierenden Handlungsmuster werden also, dem minimalen Fachkonsens entsprechend, die Fluchtepen ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› sowie ‹Alpharts Tod› zum Kernbestand der ‹historischen› Dietrichepik gerechnet; sie gestalten den konstitutiven Erzählzusammenhang der kriegerischen Auseinandersetzungen Dietrichs um die Herrschaft in Oberitalien. Für die Texte verwendet sind in dieser Arbeit die Titel, die sich seit FRIEDRICH HEINRICH VON DER HAGEN in der Forschung weitgehend eingebürgert haben. Im Falle von ‹Alpharts Tod› ist der Titel gestützt durch den Schlussvers Und hat auch dyß buch eyn ende und heyst Alparts dot (AT v. 1871/469,4). Mit ‹Dietrichs Flucht› konkurriert das an den Text angelehnte ‹Buch von Bern› (ditze b*ch von Berne, DF v. 10 080, vgl. auch v. 10 106); doch ist der weniger nichtssagende Titel ‹Dietrichs Flucht› vorzuziehen, der auf den Handlungskern von Dietrichs Vertreibung und Gang ins Exil (wenn auch nicht eigentlich eine Flucht) abzielt.28 (Dass solche Kennzeichnungen in den Texten nicht verbindliche Titel im neuzeitlichen Sinn darstellen, versteht sich.) Das nicht eindeutig zuzuordnende Fragment ‹Dietrich und Wenezlan› und der in der Forschung umstrittene ‹Biterolf und Dietleib› werden in die Untersuchungen einbezogen, soweit sie Erzählmuster, Rollenstereotype, Figurenkonstellationen und Sinnangebote der Fluchtepen aufgreifen. Nur punktuell berücksichtigt sind andere Dichtungen, die über den Komplex ‹Dietrich bei Etzel› an die Konstellationen der ‹historischen› Dietrichepik angelagert sind: ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage›, ‹Rosengarten› D. ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› beziehen sich auf zentrale Handlungselemente der Dietrichsage (vgl. bes. S. 70–73). ‹Dietrichs Flucht› erzählt in 10 12929 Reimpaarversen, wie Dieterîch von Berne schiet.30 Der Vertreibung des Berners durch seinen Onkel und Wider-

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Vgl. bes. CURSCHMANN 1978 (LV Nr. 183), bes. S. 80. So bereits MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. XXXVIII. Nach der Zählung von LIENERT/BECK 2003 (LV Nr. 22). Formulierung des Marners (nach 1230, vor 1287) für einen von seinem Publikum nachgefragten Stoff: Marner (STRAUCH 1876, LV Nr. 60), XV,14, v. 3; vgl. S. 47f.

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Voraussetzungen und Grundlagen

sacher Ermrich geht eine genealogische Vorgeschichte voran, die vollständig nur in den beiden jüngeren Handschriften enthalten, in den beiden älteren gekürzt ist (vgl. bes. S. 88, 90); erzählt wird von Dietrichs vorbildlichen Vorfahren und Vorgängern von Dietwart über Sig(e)her, Ortnit (Ottnit), Wolfdietrich, Hugdietrich bis zu Amelunch und dessen drei Söhnen Diether, Ermrich, Dietmar. Amelunch teilt das Reich unter die Söhne auf. Um die Alleinherrschaft an sich zu reißen, tötet Ermrich seine Neffen, die Harlungen, und versucht auf Sibeches Rat hin, auch Dietrich zu beseitigen. Dietrich wird vor einer verräterischen Einladung gewarnt, rüstet gegen Ermrichs Invasion und besiegt den feindlichen Onkel in einer Schlacht vor Mailand. Um das zur Entlohnung seiner Leute nötige Gold zu holen, sendet er Hildebrand, Wolfhart und weitere Gefolgsmannen aus, die von Ermrichs Leuten überfallen und gefangen genommen werden. Dietrich kann ihr Leben nur retten, indem er sein Reich dem Gegner überlässt. Mit fünfzig Gefolgsleuten begibt sich der Berner ins Hunnenreich ins Exil. Auf Fürsprache Rüdigers von Bechlarn und der Hunnenkönigin Helche gewährt ihm König Etzel großzügige Unterstützung. Mit einem hunnischen Hilfsheer zieht Dietrich zurück nach Bern. In einer weiteren Schlacht vor Mailand erleidet Ermrich große Verluste und flieht nach Raben; von dort entkommt er, während Dietrich die Stadt belagert, nach Bologna. Witege, einst Dietrichs Gefolgsmann, der zu Ermrich übergelaufen war, wird wieder in Gnaden aufgenommen, bleibt als Statthalter in Raben zurück und erhält Dietrichs Pferd Schemming als Geschenk. Dietrich führt das Hunnenheer nach Etzelburg zurück. Dort geht er auf Anraten Rüdigers und Hildebrands die ihm angetragene Verbindung mit Helches Nichte Herrad ein, die ihm die weitere Unterstützung durch den Hunnenkönig sichern soll. Eckewart überbringt die Nachricht vom erneuten Verrat Witeges, der Raben an Ermrich ausgeliefert hat. Dietrich beklagt das verzweifelt, kehrt jedoch dank Etzels Hilfe mit einem riesigen Heer nach Italien zurück. Die Schlacht vor Bologna endet für Dietrich siegreich, fordert aber hohe Verluste; insbesondere fallen der oberitalienische Statthalter Amelolt und Alphart. Ermrich kann fliehen. Dietrich betrauert den Verlust seiner Krieger und zieht an den Etzelhof zurück. Das Geschehen der ‹Rabenschlacht› (113931 Strophen von jeweils 6 Kurzversen32) schließt chronologisch an das von ‹Dietrichs Flucht› an: Dietrich befindet sich nach Ermrichs Invasion und ersten Rückkehrschlachten im Exil am Etzelhof. Etzel und Helche stellen ein neues Heer bereit. Vor dem Feldzug wird Dietrichs Vermählung mit Helches Nichte Herrad gefeiert. Trotz der Unheilsträume der Hunnenkönigin werden Helches Söhne Orte und Scharphe auf ihre dringenden Bitten hin, mitreisen zu dürfen, in die Obhut Dietrichs übergeben, der sich für ihre Sicherheit verbürgt. Auch Dietrichs junger Bruder Diether schließt sich an. In Italien werden die drei Jungen unter Elsans Aufsicht in Bern zurückgelassen, stehlen sich jedoch davon und verirren sich bis in die Umgebung von Raben, wo sie auf Witege treffen, ihn gegen seinen Willen in Kämpfe verstricken und von ihm getötet werden. In der zwölftägigen Schlacht bei Raben erringt Dietrich den Sieg (auch in einem Zweikampf gegen Siegfried); Ermrich entkommt; nur Sibeche wird von Eckehart gefangen. Die Nachricht vom Tod der drei Jünglinge macht alle Siegesfreude zunichte. Dietrich erkennt die von Mimming geschlagenen Wunden und verfolgt – Feuer speiend – Witege, der auf Schemming ans Meer

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Nach der Zählung der Ausgabe von LIENERT/WOLTER 2005 (LV Nr. 78). Die Handschriften überliefern Kurzverse; doch ist auch die Rekonstruktion einer dreizeiligen Langzeilenstrophe möglich; vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 65–67.

Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

entkommt und von einer Meerfrau gerettet wird. Witeges Onkel Rienolt wird getötet, Elsan (nach Rüdigers Bericht vor dem Hunnenkönig) bestraft. Raben, wo sich Ermrich verschanzt hat, wird erobert; Ermrich kann jedoch erneut fliehen. Durch Rüdigers Vermittlung wird Dietrich bei Etzel und Helche wieder in Gnaden aufgenommen. ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›33 dürften in der erhaltenen Gestalt in etwa zur gleichen Zeit (4. Viertel 13. Jh.), im gleichen Raum (bairisch-österreichischer Sprachraum, wahrscheinlich Niederösterreich) und für vergleichbare Rezipientenkreise (den landsässigen Adel) entstanden sein. Die Verfasser beider Epen sind unbekannt. Hainrich der Voglære, der sich in einem gegenwartskritischen Exkurs in ‹Dietrichs Flucht› nennt (DF v. 7983), gilt mittlerweile im Allgemeinen nur als Redaktor des Exkurses, allenfalls der vorliegenden Fassung von ‹Dietrichs Flucht› (vgl. S. 157–160); zum Verfasser hat CURSCHMANN festgestellt, einzig wahrscheinlich sei «die Tatsache, daß er nicht Heinrich der Vogler hieß».34 Die Annahme der ältesten Forschung, beide Epen stammten vom gleichen Verfasser, gilt bereits seit LEITZMANNs stilistischen Untersuchungen und STECHEs Analyse vor allem der Geographie der beiden Dichtungen wie der Schlachtschilderungen fast allgemein35 als widerlegt.36 LEITZMANN hebt den stilistischen Einfluss Wolframs (nur) auf die ‹Rabenschlacht› hervor;37 die unterschiedliche Verwendung der Floskeln in Flickversen;38 in der ‹Rabenschlacht› eine größere Vielfalt bei Gefühlsschilderungen39 und eine über die «ritterlich-christliche Auffassung und Gestaltung der Lebensformen» sowie einige Gebete hinausgehende Einbeziehung religiöser Elemente (Dietrichs Wunderhemd, Diethers Erdkommunion);40 italienische Herkunftsbezeichnungen in ‹Dietrichs Flucht› und nichtitalienische (teilweise deutsche) in der ‹Rabenschlacht› bei sonst großer Nähe im Namenmaterial;41 einzelne Divergenzen – bei im Großen hoher Ähnlichkeit – in der Kampfmetaphorik;42 Unterschiede in

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Ausgewählte Forschungsliteratur zu den Fluchtepen: LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410); STECHE 1939 (LV Nr. 548); VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490); FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 229−310; CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182); HOMANN 1977 (LV Nr. 338); HAUG 1979 (LV Nr. 279); MÜLLER 1980 (LV Nr. 459); KUHN 1980 (LV Nr. 405); GOTTZMANN 1987 (LV Nr. 243), S. 109−136; FIRESTONE 1989 (LV Nr. 218); KNAPP 1991 (LV Nr. 370); VOORWINDEN 1992 (LV Nr. 574); KNAPP 1994 (LV Nr. 374), S. 320−327; KOFLER 1996 (LV Nr. 383), S. 36f., 170−180; LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 80−96 und passim; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 58−83; KELLNER 1999 (LV Nr. 351); LIENERT 1999 (LV Nr. 416); KERTH 2000 (LV Nr. 353); MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 52−126; ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117); KRAGL 2007 (LV Nr. 391), S. 70, 73f., 82 A. 43, 94f.; GOERLITZ 2007 (LV Nr. 240); KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 117−154; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 187−305; MILLET 2008 (LV Nr. 454), S. 400−409. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 381. VOORWINDEN 1992 (LV Nr. 574), S. 98, sieht im Verfasser von ‹Dietrichs Flucht› auch den Bearbeiter der ‹Rabenschlacht›. Vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410); STECHE 1939 (LV Nr. 548), zusammenfassend S. 113–115, vgl. ferner bes. S. 35–38, 70–79 (Geographie), 60–69 (Schlachtschilderungen). Vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 77–80, bes. 79f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 72, stellt die Einschränkung auf die ‹Rabenschlacht› in Frage. Vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 49–58. Vgl. ebd., S. 68. Vgl. ebd., S. 68–71, Zitat S. 69. Vgl. bes. ebd., S. 72–77. Vgl. ebd., S. 58–67.

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Voraussetzungen und Grundlagen

«Wortschatz und Phraseologie».43 Die Geographie Nord- und Mittelitaliens ist in ‹Dietrichs Flucht› weitgehend stimmig wiedergegeben, in der ‹Rabenschlacht› dagegen ungenau und fehlerhaft – das dürfte, selbst wenn man partiell symbolische Bedeutung unrealistischer Angaben zugesteht, auf Verfasser mit unterschiedlichen geographischen Kenntnissen verweisen.44 STECHE45 betont daneben vor allem die militärische Präzision der Kampfschilderungen nur in ‹Dietrichs Flucht›, Ausdruck faktenorientierten Erzählinteresses im Gegensatz zum sentimentalisierenden der ‹Rabenschlacht›.46

Die beiden Texte bilden allerdings in der Überlieferung, dem Verbund von ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage› vergleichbar, konsequent ein Doppelepos (vgl. S. 96). Sie schließen chronologisch und handlungslogisch weitgehend bruchlos (bzw. mit nicht stärkeren Brüchen als gattungstypisch und als sie innerhalb der Epen vorkommen) aneinander an.47 Die ‹Rabenschlacht› nimmt Bezug auf das Ende von ‹Dietrichs Flucht› mindestens in einer der erhaltenen ähnlichen Version: Dietrich beklagt am Etzelhof noch immer die Gefallenen der Schlacht von Bologna, namentlich Alphart und Helmschart (RS 10,5f.; vgl. bes. DF v. 9680f.). Da die Situation in Oberitalien trotz einiger Schlachterfolge noch nicht geklärt ist (Ermrich war auch bei der vorausgehenden dritten Schlacht entkommen), stellen Helche und Etzel ein Heer für neue Schlachten bereit.48 Die in ‹Dietrichs Flucht› angebahnte Verbindung mit Helches Nichte Herrad (offensichtlich eine Art Vertrag) mündet in der ‹Rabenschlacht› in die feierliche Vermählung mit dem Vollzug der Ehe; weil die Vereinbarung aus ‹Dietrichs Flucht› offenbar vorausgesetzt werden kann, ist die Eheschließung ohne weitere Vorverhandlungen so kurzfristig und unvermittelt möglich.49 Diethers Vorwurf an Witege, er habe verchoufet unser lant (RS 386,4), dürfte sich nicht einfach auf Witeges Überläufertum beziehen (das wird in den Fluchtepen, anders als in der ‹Thidrekssaga› und für Heime in ‹Alpharts Tod›, nur beiläufig angedeutet; vgl. DF v. 7133f., 7149f.), sondern auf die Auslieferung Rabens an Ermrich aus ‹Dietrichs Flucht›50 (DF v. 7695–7716; ganz passgenau ist die Anspielung zwar insofern nicht, als dort nicht der Landesverrat, sondern der Tod der Frauen und Kinder der Stadt die vorrangige Rolle gespielt hatte; das dürfte aber noch im Rahmen üblicher Variation liegen). Umgekehrt erzählt bereits ‹Dietrichs Flucht› mit Blick auf das Geschehen der ‹Rabenschlacht›: Dietrich schenkt Witege sein Pferd Schemming (sagengeschichtlich unüblich; vgl.

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Ebd., S. 80–91. Vgl. STECHE 1939 (LV Nr. 548), bes. S. 35–38, 70–79. Ebd., S. 60–69. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 119–130, will darüber hinaus den Schlussteil von ‹Dietrichs Flucht› – ab v. 6988 (MARTIN 1866, LV Nr. 6, v. 6989) – einem dritten Verfasser zuweisen; doch nötigen weder der in der Tat irritierende Einschnitt und Neuansatz an dieser Stelle, mitten in der Kapitulation der Stadt Raben, noch Übereinstimmungen der Schlacht von Bologna mit der Schlacht von Raben dazu, einen Verfasserwechsel innerhalb der ‹Flucht› anzunehmen. Einige Beobachtungen schon bei VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 139f.; vgl. auch HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 129f.; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 200–205. Anders (nicht zutreffend) STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 44–47 (Dietrichs Klagen bezögen sich auf die Bedrängnis seiner oberitalienischen Untertanen durch die RS Str. 2f. geschilderte, von STECHE fälschlich nicht als Rückblick, sondern als Bericht von der aktuellen Lage verstandene gewaltsame Invasion Ermrichs). Vgl. bes. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 202–204; andeutungsweise bereits VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 102f., 120f., 139. Vgl. ebd., S. 139; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 202.

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Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

bes. S. 70); das ermöglicht dem Verräter in der ‹Rabenschlacht›, wie eine Vorausdeutung unterstreicht, Dietrichs Rache zu entgehen (DF v. 7202–7205, vgl. schon v. 7198–7201 Dietrichs Lob des uneinholbar schnellen Pferdes). Die nach den erhaltenen Zeugnissen sagenfremde Doppelung des verräterischen Ratgebers durch die Einführung Ribsteins in ‹Dietrich Flucht› stellt eine Parallele zwischen den beiden Dichtungen her. Hinzu kommen mehrere denkbare Anklänge an das Motiv vom Tod der Helchesöhne, auf die vor allem KROPIK51 hingewiesen hat; sie sind jedoch schwerlich hinreichend spezifisch: Dass Dietleib nach der zweiten Schlacht von Mailand vorübergehend vermisst und beklagt, dann aber im Kampf mit Wate aufgefunden wird (DF v. 6690–6708), hat mit der Tötung der Heldenjünglinge in der ‹Rabenschlacht› direkt wenig gemeinsam; ein Anklang an eine ähnliche (ihrerseits wohl ein Motiv einer RabenschlachtTradition aufgreifende) Szene in ‹Biterolf und Dietleib› ist wahrscheinlicher (vgl. bes. S. 50). Dass Wolfhart sich vor Padua über Dietrichs Kampfverbot hinwegsetzt (DF v. 8266–8289), rekurriert eher auf die Vorgeschichte des Amelungenuntergangs im ‹Nibelungenlied› als auf den Tod der Helchesöhne. Der eine Vers DF v. 8040 Dietheren sinen bruder liez er [Dietrich beim Aufbruch zur zweiten Rückkehrschlacht] hie [im Hunnenreich] dürfte kaum den weitreichenden Schluss tragen, hier werde «die Tragödie der ‹Rabenschlacht› gleichzeitig zitiert und suspendiert»;52 dies bedürfte wohl stärkerer Markierung, zumal bei Schemming die direkte Vorausdeutung nicht gescheut wird.

Über die relative Chronologie der Entstehung ist nichts Endgültiges auszusagen, da die Abstimmung eine wechselseitige ist. Nach den Sagenzeugnissen ist die Rabenschlacht-Fabel älter als ‹Dietrichs Flucht›, letztere daher mit einiger Wahrscheinlichkeit als Vorgeschichte zu einer nicht erhaltenen (älteren) Fassung der ‹Rabenschlacht› entstanden.53 Aus einer solchen könnte ‹Dietrichs Flucht› entlehnt haben:54 die Bestrafung eines Verräters (Sibeches bzw. Ribsteins) durch Eckehart; die ungeheure Totenklage Dietrichs (vgl. S. 70f.); vielleicht Ermrichs Flucht aus Raben, mit der Kapitulation der Stadt als Folge.55 Dass die Schlachtschilderungen in ‹Dietrichs Flucht› und ‹Alpharts Tod› aus einer ‹Rabenschlacht›-Fassung schöpfen, wie zumeist angenommen, ist angesichts der stoffkreis- und gattungsübergreifenden Stereotypie mittelalterlicher Schlachtschilderungen nicht zwingend. Plausibel ist aber das Argument des Personals: In der Schlacht von Bologna, der dritten in ‹Dietrichs Flucht›, kämpfen auf Ermrichs Seite, wie in der Schlacht von Raben, anders als in den ersten beiden Schlachten von ‹Dietrichs Flucht›, nicht süd- und mittelitalienische Gefolgsleute, sondern nördliche und rheinische Verbündete, darunter die Burgunden, wenn auch in ‹Dietrichs Flucht› (noch) ohne Siegfried. Diese Konfrontation zwischen Dietrichs südöstlichen und Ermrichs nordwestlichen Heldenverbündeten ist sinnvoll nur aus der «Rivalität der Sagen-

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Ebd., S. 201. Ebd. Vgl. z.B. auch HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 72. So SCHNEIDER 1913 (LV Nr. 517), S. 361. WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), S. 165–168, 175f., weist ferner auf Ähnlichkeiten in der Abfolge – und teilweise (entfernt!) im Wortlaut – der Szenensequenz hin, in der Dietrichs Trauer Helches Anteilnahme, Rüdigers Aktivität, Dietrichs Gang an Etzels Hof und schließlich Etzels und seiner Mannen Hilfszusagen auslöst (DF v. 5281–5430; RS 7,6–75,6); die ‹Rabenschlacht›-Szene sei möglicherweise in die ‹Flucht› übernommen, wo sie insofern nicht ‹passt›, als Etzel längst umfassende Hilfe zugesagt hat (DF v. 5261–5277), Dietrich aber dennoch in seiner Trauer verharrt. Freilich ist dies als ‹funktionale› Trauer deutbar (vgl. bes. S. 221), die Parallele bei einer stereotypen Szene nicht überzubewerten.

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Voraussetzungen und Grundlagen

kreise»56 von Dietrich und Nibelungen erklärbar; innerhalb von ‹Dietrichs Flucht› ist mit dem Wechsel von wirklichkeitsförmiger zu sagenmäßiger Personenkonstellation ein Bruch festzustellen. Dass die Schlacht von Bologna der Rabenschlacht nachgebildet ist, nicht umgekehrt, lässt außerdem die fehlerhafte Überschrift (Aventiur, wie her Dietrich herverte gein Berne, mit im furen Helchn sun, vor DF v. 8002) in den Handschriften R und W vor dem Aufbruch zur dritten Rückkehrschlacht vermuten: Der Fehler ist am zwanglosesten dadurch zu erklären, dass die Schlacht von Raben mit der Tötung der Helchesöhne im Bewusstsein des Schreibers als ursprünglich präsent war. Die erhaltene Fassung der ‹Rabenschlacht› dürfte sich ihrerseits wiederum an ‹Dietrichs Flucht› anschließen, in der Anpassung an deren Handlungsausgang (vgl. S. 10) und in einigen stilistischen Eigentümlichkeiten.57 Eine gemeinsame redaktionelle Überarbeitung beider Texte in ihren erhaltenen Fassungen kann die wechselseitige Abstimmung wohl am plausibelsten erklären. Ein Weitererzählen in Form erneuter Rückkehrschlachten ist nach der ‹Rabenschlacht› schwer vorstellbar (vgl. S. 154); wohl aus dem Grund situiert ‹Dietrichs Flucht› die zyklische Wiederholung der vergeblichen Rückkehrschlacht im Vorfeld, nicht in der Nachgeschichte der Rabenschlacht. Weitererzählt wird in der ‹historischen› Dietrichepik in Form eines Sprossepos um einen der weniger prominenten Dietrichhelden: in ‹Alpharts Tod›.58 Das nur in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts (wohl um 1470/1480) erhaltene Fragment (1871 vv., etwa 470 Strophen in Hildebrandston und Nibelungenstrophe, mit Lücken am Anfang und in der Mitte) ist vielleicht (ohne dass Sicherheit zu gewinnen ist: Zeugnisse fehlen) ebenfalls bereits im 4. Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden, möglicherweise weiter westlich als die Fluchtepen; darauf deuten Annäherungen an den Typus der Empörer-geste (Ermrich unterstellt Dietrich Rebellion; AT v. 204/52,3; vgl. auch S. 149f.)59 sowie die weiter westlich situierte Geographie des Textes. Alphart begegnet in ‹Dietrichs Flucht›,60 wo er in der Schlacht von Bologna fällt (DF v. 9508–9510 durch Pitrunch, v. 9681 durch Reicher) und von Dietrich heftig beklagt wird (DF v. 9901–9915; auch noch in der Rückschau der ‹Rabenschlacht›, RS 10,3–5). Dass er daher «als Bindeglied innerhalb der historischen Dietrichepik [...] denkbar ungeeignet»61 sei, ist daraus nicht zu schließen. ‹Alpharts Tod› ist nicht als Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› intendiert; eine kohärente Geschichte Alpharts ergibt sich aus den beiden Dichtungen nicht.

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CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 389. Vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), zusammenfassend S. 91. Zu ‹Alpharts Tod› vgl. bes. ZIMMER 1972 (LV Nr. 614); BEHR 1992 (LV Nr. 139); ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616); FIRESTONE 1993 (LV Nr. 220); FIRESTONE 1999 (LV Nr. 221); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 83–94; MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 33−51; HOFFMANN 2005 (LV Nr. 336), S. 25–30; MÜLLER 2007 (LV Nr. 467), bes. S. 178–182; MILLET 2008 (LV Nr. 454), S. 409−412. Vgl. auch ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 170; vgl. allgemein zu möglicher Beeinflussung deutschsprachiger Heldenepik durch Chansons de geste BUMKE 1967 (LV Nr. 170), S. 27f. (nicht auf ‹Alpharts Tod› bezogen). Der Heldenjüngling, dessen Tod die Hinterbliebenen zur siegreichen Racheschlacht motiviert, ist aber schwerlich als Anlehnung an den Roland der ‹Chanson de Roland› zu erklären (so FIRESTONE 1986, LV Nr. 216, S. 122). GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 4f., belegt den Namen außer in der ‹historischen› Dietrichepik nur in einer Version der ‹Virginal›, in der ‹Heldenbuch-Prosa› und in ‹Rosengarten› D. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 23.

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Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

Der erhaltene Text von ‹Alpharts Tod› setzt gegen Ende eines Wortwechsels zwischen Heime (Hen) und Kaiser Ermrich (Ementrych) ein: Heime, Ermrichs Gefolgsmann, erklärt sich widerwillig bereit, Dietrich die Kampfansage des Kaisers zu überbringen, der mit einem Heer von 80 000 Mann eine Invasion in Oberitalien plant. Auf Dietrichs Frage hin erklärt er, Ermrichs Motive und die Hintergründe des Krieges nicht zu kennen. Dietrich wirft Heime Treulosigkeit vor, da der früher (nachdem der Berner ihn in seiner Jugend im Kampf bezwungen hatte) sein Gefolgsmann war; Heime verweist auf die Pflichten, die ihm aus seinem (offenbar früher von Dietrich gebilligten) Dienstverhältnis zu Ermrich erwachsen, und erklärt, er werde im Fall eines Krieges für den Kaiser kämpfen, aber, wie auch sein Gefährte Witege (Wytdich), nicht gegen den Hildegrin, d.h. nicht gegen Dietrich selbst. Dietrich gewährt Heime freies Geleit durch Amelot und Gere. Heime kehrt zu Ermrich zurück, der mit seinem Heer bei Bern lagert, erstattet Bericht und rät vom Krieg ab: Dietrich sei ein ernst zu nehmender Gegner und der Kampf gegen den Neffen unfruntlich, ‹unverwandtschaftlich› (AT v. 247/63,2; vgl. auch v. 261/66,4). Ermrich schickt Herzog Wolfing mit 80 Männern zu einem Erkundungsritt aus. Dietrich klagt seinen Gefolgsleuten seine Bedrängnis und unterstellt, Ermrich trachte ihm auf Sibeches treulosen Rat hin nach dem Leben (AT v. 278f./71,1f.; der Kaiser selbst hatte lediglich von Unterwerfung oder Vertreibung gesprochen; AT v. 255–257/65,2–4); die Mannen versichern Dietrich ihres Beistands. Wolfharts unerfahrener Bruder Alphart schlägt vor, zum Schutz vor einem Überraschungsangriff einen Kundschafter aus der Stadt zu schicken, und besteht darauf, selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Weder von seinem Bruder Wolfhart noch von Dietrich oder Hildebrand, die wegen der mangelnden Kampferfahrung des jungen Helden Bedenken haben, lässt er sich vom Ausritt abhalten, auch nicht von seiner Gemahlin Amelgart. Von seiner Erzieherin, Hildebrands Gemahlin Ute, ausgerüstet, reitet Alphart allein los; selbst hat er sich die Bedingung auferlegt, seinen Namen nicht zu nennen und mit verdecktem Wappen zu kämpfen. Hildebrand will ihn unerkannt im Kampf zur Rückkehr zwingen, wird jedoch von Alphart besiegt, wegen seiner Torheit gescholten und muss ohne ihn heimkehren. Alphart erschlägt in einer Reihe von Zweikämpfen Wolfing und seine Männer bis auf acht, die fliehen und in Bern von der Niederlage berichten. Da alle den unbekannten Helden fürchten, muss Ermrich Witege, der sich dem angesichts des bestehenden Dienstverhältnisses nicht entziehen kann, zu einem erneuten Erkundungsritt verpflichten; Heime reitet Witege heimlich nach, hält sich aber zunächst zurück und verborgen. Alphart schmäht Witege wegen dessen Verrat. Im Kampf schlägt er Witege bewusstlos, tötet den Wehrlosen jedoch nicht. Heime macht sich auf, Witege zu helfen. − [Lücke im Text.] Heime schlägt den Abbruch des Kampfes ohne Gesichtsverlust für beide Seiten vor, doch Alphart lehnt ab und beansprucht Witege als Gefangenen. Der Waffengang beginnt aufs Neue. Heime versucht immer wieder, den bewaffneten Kampf zu vermeiden, indem er erklärt, gegen einen Dietrichhelden nicht antreten zu wollen; Alphart unterläuft jedoch diese Bemühungen, indem er sich weigert, seine Identität als Dietrichheld preiszugeben, weil er das für ein Eingeständnis seiner Niederlage hält. Witege und Heime greifen Alphart gemeinsam an. Dieser bittet um ritterlichen Kampf; seine Gegner gehen zunächst darauf ein. Während Heime die Regeln des ritterlichen Einzelkampfs einhalten möchte und sich weitgehend zurückhält, will Witege vor allem überleben, appelliert an Heimes Verpflichtung ihm gegenüber (er habe ihn und Dietrich aus einer Notlage in Montare befreit) und schilt ihn wegen früheren Treubruchs. Heime ist dadurch gezwungen, Witege beizustehen. In Todesnot missachten beide die Gebote ritterlicher Ehre und greifen Alphart gemeinsam von vorne und hinten an; Heime bringt Alphart schwer verwundet zu Fall, Witege

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Voraussetzungen und Grundlagen

tötet den Gegner grausam. − [Lücke im Text: Anscheinend ist Ermrich weiter nach Bern vorgerückt; Hildebrand hat sich nach Breisach begeben, um Hilfe zu holen.] Hildebrand wird in Breisach von Eckehart empfangen, berichtet von Ermrichs Invasion und Alpharts Tod und bittet um Unterstützung. Dank der Hilfszusagen Eckeharts, Nitgers, Walthers von Kerlingen, des Mönchs Ylsam und Hugs von Dänemark wird ein Heer von 6000 Mann versammelt, das Hildebrand nach Bern führt. Unterwegs stoßen sie auf Studenfuß vom Rhein und dessen Bruder Gere mit ihren Truppen, die der Kaiser gegen das erwartete Entsatzheer ausgesandt hat. Hildebrand schreckt als nächtlicher Späher vor Tricks nicht zurück und gibt sich (vergeblich) den Gegnern gegenüber als Ermrichs Gefolgsmann aus. Dank der Hilfe seiner Gefährten wird ein Sieg errungen; Schätze werden erbeutet. Vor Bern werden die Hilfstruppen als Gegner verkannt; ein Kampf zwischen dem als Kundschafter ausgesandten Wolfhart und Hildebrand wird aber rechtzeitig unterbunden. Dietrich empfängt die Verstärkung voll Freude; allerdings lässt er sich nur mühsam mit Ylsam versöhnen, der vor Garda seinen Verwandten erschlagen hat. Inzwischen hat Studenfuß Ermrich benachrichtigt; Sibeche rät zu sofortigem Aufbruch des Hauptheeres, und es kommt zu einer Feldschlacht vor Bern. Dietrich sucht Witege und Heime sowie den bösen Ratgeber Sibeche, die sich jedoch unkenntlich machen und, wie auch der Kaiser selbst, aus der Schlacht zurückziehen. Das löst eine Massenflucht aus. Die Invasion ist abgewehrt. Erbeutete Schätze werden verteilt, die Toten beklagt; die Hilfstruppen ziehen zurück nach Breisach. Obwohl ‹Alpharts Tod› einige sonst in deutscher Schriftlichkeit nicht oder wenig belegte, wohl aus mündlichen Traditionen stammende Sagenreflexe außerhalb des von ‹Dietrich Flucht› und ‹Rabenschlacht› bewahrten Wissensbestandes enthält (vgl. bes. S. 74), ist der Text deutlich als sekundäres Sprossepos zu erkennen, schon an der Wahl eines nicht sagenbekannten Protagonisten,62 vor allem aber am Rekurs auf die «Rolle Witeges als Töter junger Helden»63 aus der ‹Rabenschlacht›-Tradition.64 Verglichen mit ‹Dietrichs Flucht› bietet ‹Alpharts Tod› in erster Linie eine Alternativversion zum Ausbruch des Konflikts zwischen Dietrich und Ermrich; wie in ‹Dietrichs Flucht› wird auch das Verhältnis von Gefolgsherr und Gefolgsmann zum Thema (hier vor allem aus der Perspektive der Gefolgsmannen), in positiver (Unterstützung Dietrichs durch seine Mannen und die Breisacher Hilfstruppen) wie negativer Variation (Heimes und Witeges Verrat). (Mit ‹Dietrichs Flucht› stimmen auch die Angaben über Ermrichs Truppenstärke – 80 000 Mann – überein: in ‹Alpharts Tod› mehrfach wiederholt, in ‹Dietrichs Flucht› einmalig und nur am Anfang, in der Warnung Volchnants DF v. 2975; später wachsen die Heereszahlen der ‹Flucht› weiter ins HyperbolischUnermessliche.) Entsprechend der gemeinsamen Grundkonstellation der Auseinandersetzung um die Herrschaft in Oberitalien prägt ‹Alpharts Tod› zunächst ein annähernd vergleichbarer geographischer Horizont wie die Fluchtepen: Oberitalien, hier mit Bern als Ort der entscheidenden (siegreichen) Schlacht, freilich ohne die durch Dietrichs Exil bedingte Ausweitung nach Osten ins Hunnenreich, dafür – durch Konzentration des zweiten Teils auf das Heran-

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Ähnlich ebd., S. 13. HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 155. Der Status als spätes Sprossepos der Fluchtepen ist trotz in mancher Hinsicht stärker ‹heroisch› geprägter Figurenkonstellationen weitgehend unstrittig, obwohl hinsichtlich der Entstehung und sagengeschichtlichen Voraussetzungen keine Sicherheit zu gewinnen ist; vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 89–91.

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Abgrenzung und Binnenkohärenz des Corpus «‹historische› Dietrichepik»

nahen des Hilfsheeres aus Breisach – unter Verlagerung nach Westen ins Reich. Chronologisch ist ‹Alpharts Tod› am Anfang der Auseinandersetzungen mit Ermrich situiert, doch dem Geschehen in ‹Dietrichs Flucht› nicht vorgelagert, sondern alternativ: Der Konflikt bricht aus, indem Ermrich, anders als in ‹Dietrichs Flucht›, offen die Unterwerfung des Neffen verlangt. ‹Dietrichs Flucht› und ‹Alpharts Tod› gemeinsam sind das Motiv von Sibeches treulosem Rat und Ermrichs Verstoß gegen verwandtschaftliche Verpflichtungen; wie in ‹Dietrichs Flucht› wird Dietrich auch in ‹Alpharts Tod› durch einen Boten des Gegners benachrichtigt, bietet er Gefolgsleute und Verbündete gegen die Übermacht des Invasionsheeres auf. Unterschiedlich ausgestaltet freilich sind Dietrichs Position und Lebensalter, vor allem aber der Ausgang von Ermrichs militärischer Unternehmung: Der Dietrich von ‹Alpharts Tod› ist nicht der junge, unerfahrene Mann von ‹Dietrichs Flucht›, sondern ein gestählter Kämpe mit einer Vergangenheit von Siegen (über Heime, AT v. 24f./7,3f.) und Trophäen (dem Helm Hildegrin, AT v. 165/42,4 u.ö.). Die Schlacht gegen Ermrich endet siegreich; Dietrich bleibt Herr über Oberitalien; Vertreibung, Flucht, Exil finden nicht statt.65 Eine Variante von Dietrichs glücklosem Sieg stellt das Epos trotzdem dar; die Hauptgegner und Übeltäter (Heime, Witege, Ermrich, Sibeche) entkommen wie in den Fluchtepen. Dieser offene Schluss lässt die Möglichkeit offen für Fortsetzungen,66 vielleicht mit Blick auf das aus der Sagentradition bekannte Motiv von Etzels Exil, das herbeizuführen möglicherweise anderen Texten überlassen wurde. Die einzige Handschrift von ‹Alpharts Tod› enthielt (mindestens) auch eine Fassung des ‹Nibelungenlieds› (n), mithin eine Erzählung von Dietrichs Exil, wahrscheinlich in direktem Anschluss; ob die verlorenen Teile der Handschrift Rückschlüsse auf dietrichepische Zyklenbildung zugelassen hätten, ist nicht mehr zu klären. Das in einem Fragment von 510 zum Teil unvollständigen Reimpaarversen aus der Zeit kurz nach 1250 (Jahrzehnte vor den erhaltenen Fassungen der Fluchtepen) überlieferte, also bereits (spätestens) um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandene Bruchstück ‹Dietrich und Wenezlan›67 wird in Forschung und Literaturgeschichtsschreibung teils eher zur ‹historischen›, teils eher zur aventiurehaften Dietrichepik gerechnet.68 Der Text kann als Fragment

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BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 23, verweist auf weitere Widersprüche zwischen den Fluchtepen auf der einen, ‹Alpharts Tod› auf der anderen Seite: In ‹Dietrichs Flucht› läuft Randolt bedenkenlos von Ermrich zu Dietrich über (DF v. 2777–2815), während in ‹Alpharts Tod› Heime das als ehrenrührig von sich weist (AT v. 75/20,2; v. 91/24,2). Das ist freilich nicht überzubewerten und eine typische finale Motivation: Heime muss Ermrichs Mann bleiben, damit Alphart durch ihn und Witege fallen kann. Unstimmigkeiten bei der Zuordnung einzelner Figuren zur Dietrich- oder zur Ermrich-Partei gehen nicht über ähnliche Zuordnungsfehler innerhalb der einzelnen Werke hinaus (Studenfuß vom Rhein ist in ‹Alpharts Tod› «Unterfeldherr» Ermrichs, in den Fluchtepen ein Mitstreiter Dietrichs; Walther von Lengres bzw. der Lengesre gehört in den Fluchtepen zu Ermrichs Partei, während Walther von Kerlingen in ‹Alpharts Tod› Dietrich unterstützt); vgl. auch STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 96f.; HOMANN 1977 (LV Nr. 338), S. 423f. Vgl. auch BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 23. Vgl. bes. FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 219−228; HEINZLE 1980 (LV Nr. 302); FIRESTONE 1982 (LV Nr. 215); dies. 1987 (LV Nr. 217); LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 149−151; HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 257–259; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 94–97. (Eher) zur historischen z.B. WISNIEWSKI 1986 (LV Nr. 594), S. 143–145; HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 257–259; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 94–97; eher zur aventiurehaften z.B. HAUSTEIN

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Voraussetzungen und Grundlagen

nicht endgültig beurteilt werden, auch nicht im Hinblick auf den Umfang: Dietrichs Herausforderung durch Wenezlan (hinter dem möglicherweise Wenzel I. von Böhmen steht69) und der Zweikampf könnten entweder als Gegenstand eines kürzeren Episodengedichts angelegt sein oder als Teil einer umfassenderen, vielleicht Passagen des Heldenromans ‹Biterolf und Dietleib› ähnlichen Handlung, in der Dietrich an turniermäßigen Kämpfen im Umfeld eines von Rüdiger als Marschall organisierten Heereszugs des Hunnenkönigs Etzel teilnähme. Unstrittig aber ist die Zwischenstellung der erhaltenen Passagen zwischen ‹historischer› und aventiurehafter Dietrichepik:70 Mit der ‹historischen› Dietrichepik verbindet das Fragment in erster Linie die Situation des Exils bei Etzel. Unter welchen Umständen Dietrich sich dort aufhält, bleibt allerdings unklar (wohl in Etzels Heerlager, kaum in einer festen Residenz, da DWen v. 169 von Zelten die Rede ist, die beim Aufbruch zu Wenezlan abgeschlagen werden71); anders als in den Fluchtepen, wo Etzel nach kurzem Geleit für seinen Schützling stets im Hunnenreich zurückbleibt, während der Berner mit den hunnischen Hilfsheeren nach Italien zieht, wird Dietrich hier auf seinem Weg zu Wenezlan vom Hunnenkönig begleitet (wie Dietleib in ‹Biterolf und Dietleib› an Etzels Zug gegen Witzlan teilnimmt). Wolfhart spielt freilich eindeutig auf die Vertreibung aus Oberitalien an: gede, wi ih und ouch Hilde mit iu roumten r mi (DWen v. 36–38). Wie weit dieser Auszug zurückliegt, ist nicht zu klären; Dietrichs Verstrickung in einen neuen Konflikt ganz anderer Art deutet eher darauf, dass die Vertreibung nicht erst unmittelbar erfolgt ist. Weitere Ereignisse der Flucht- oder Exilsage werden nicht vorausgesetzt, weder Rückkehrschlacht(en) noch Verbindungen mit der Nibelungensage. Hinzu kommt freilich ein spezifisches Motiv, die Erpressung Dietrichs durch einen anderen Herrscher mit der Gefangenschaft von Dietrichs Gefolgsleuten:72 Offensichtlich hat König Wenezlan von Bolan (wie Ermrich in ‹Dietrichs Flucht›) unter im erhaltenen Text nicht aufgeklärten Umständen, hier aber (anders als in der ‹Flucht›) offenbar nach und unabhängig von der Vertreibung, Wolfhart und andere Gefolgsleute Dietrichs gefangen genommen; um sie zu retten, muss Dietrich der Herausforderung Wenezlans zum Zweikampf Folge leisten: Geschiht daz niht, so wi . / So geseht ouch ir uns ni (DWen v. 42f.) – trotz der Textverluste ganz offensichtlich eine Androhung unwiederbringlichen Verlusts, falls Dietrich, wie er anfangs vorgibt, dem Kampf ausweichen sollte. An die aventiurehafte Dietrichepik schließen das Herausforderungsschema in der passiven Variante (vgl. S. 132), das Rollenstereotyp des zagen (DWen v. 53), der sich dem Zweikampf zu entziehen sucht (vgl. bes. S. 222) und die eher turniermäßige Ausgestaltung des auf die Herausforderung folgenden Zweikampfs an: Dietrich wird von einem Gegner herausgefordert, der sich mit ihm messen will. Zunächst weigert er sich zu kämpfen und muss von Wolfhart zum Kampf genötigt werden. Der Zweikampf selbst findet

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1998 (LV Nr. 292), S. 49. DE BOOR/JANOTA 51997 (LV Nr. 158), S. 160f., ziehen ‹Dietrich und Wenezlan› mit ‹Rosengärten› und ‹Biterolf› zu einer dritten Untergruppe. Vgl. HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 258. Vgl. bes. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 187–191; HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 257–259. Vgl. auch FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 222f. Vgl. bereits HEINZLE 1978 (LV Nr. 214), S. 191.

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Zur Forschung

zwar in Gegenwart der Heere Wenezlans und Etzels statt, aber vor den Augen zuschauender Damen (Wenezlans Gemahlin mit Gefolge). Diese Verbindung von Heereszug und Turnierkampf erinnert, zusammen mit dem rein menschlichen Personal, tendenziell an ‹Biterolf und Dietleib›; im Unterschied zu den ‹Rosengärten› ist von der Anstiftung durch eine Dame keine Rede, und die Konstellation der Reihenkämpfe wird ausdrücklich zurückgewiesen, wenn Dietrich auf den offenbar angebotenen Vierkampf verzichtet (DWen v. 124–126). Auf ‹Biterolf› verweisen auch Namensähnlichkeiten (Wenezlan von Bolan – Witzlan von Beheim) und ein durch Herkunftsbezeichnungen hergestellter vergleichbarer politisch-geographischer Horizont: die Konfrontation zwischen hunnisch-italienischen Heeren und Helden auf der einen, einem slawischen König auf der anderen Seite. Die unterschiedliche Ausgestaltung des Motivs von der Gefangennahme der Gefolgsleute und der Erpressung des Gefolgsherrn – fairer Zweikampf statt schnöder Nötigung zur Abdankung – dürfte als bewusste Alternative zu einer früheren Fassung von ‹Dietrichs Flucht› gesetzt sein.73

2. Zur Forschung74 Bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Forschung bekanntlich die mittelhochdeutschen Heldenepen, auch die Dietrichepik, vorwiegend unter sagengeschichtlichen Fragestellungen gesehen und tendenziell eher Vorstufen rekonstruiert als die Texte im Zusammenhang ihrer Entstehungszeit analysiert.75 Ein Großteil der Fragestellungen und Ergebnisse betrifft die Dietrichsage, nicht erst die Dietrichdichtungen, so etwa die Identifikation historischer Vorbilder. Teils sind da die Ergebnisse (weitgehend) unstrittig (der Ostgotenkönig Theoderich der Große als Vorbild für den Sagenhelden Dietrich von Bern; der Hunnenkönig Attila und Ermanarich, der große Gotenkönig des 4. Jahrhunderts, als Vorbilder für Etzel und Ermrich; die Belagerung Odoakers durch Theoderich in Ravenna in den Jahren 491–493 und die Schlacht am Nedao im Jahre 454, in der Attilas Sohn Ellac fiel, als mögliche Anknüpfungspunkte für die Rabenschlacht und den Tod der Hunnenprinzen); teils aber sind ihre Sicherheit und/oder Bedeutsamkeit zweifelhaft (ob etwa Theoderichs Feldherr Ibba oder Gensimund, Gefolgsmann Valamers und seiner Brüder, oder andere das Vorbild für Hildebrand darstellten, ist weder verifizierbar noch relevant; der Verräter Witege hat mit seinen Namensparallelen Vidigoja, einem gotischen Kämpfer des 4. Jahrhunderts gegen die Sarmaten, oder dem späteren Ostgotenkönig Witigis nichts zu tun, und auch ein Bezug zu Tufa, der im Jahr 489 von Odoaker zu Theoderich und wieder zu Odoaker überlief, ist nicht zu erweisen).76 Die

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Vgl. auch HOFFMANN 1997 (LV Nr. 335), S. 258f. Ein umfassender Forschungsbericht ist nicht intendiert; skizziert werden Forschungstendenzen; ausführlicher referiert sind Grundthesen einiger wichtiger neuerer Untersuchungen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Aus der Fülle der älteren Literatur nenne ich nur STECHE 1939 (LV Nr. 548); MOHR 1944 (LV Nr. 456); VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490); SCHNEIDER 21962 (LV Nr. 520), S. 214–232. Vgl. noch WISNIEWSKI 1986 (LV Nr. 594), S. 44–54, bes. S. 46. – Zusammenfassende Hinweise zu möglichen historischen Vorbildern und Anknüpfungsmöglichkeiten für die Namengebung bei GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233) und LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 192–198.

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Voraussetzungen und Grundlagen

zentrale Frage, wie aus dem erfolgreichen Eroberer Theoderich der vertriebene Dietrich werden konnte, bleibt wohl ungeklärt (vgl. S. 29f.). Auf der Basis der Fluchtepen, der ‹Thidrekssaga›, der ‹Heldenbuch-Prosa›, der Reflexe vermeintlich älterer Sagenschichten in ‹Biterolf und Dietleib› und ‹Alpharts Tod›, des althochdeutschen und Jüngeren ‹Hildebrandslieds› sowie verstreuter Anspielungen auf die Dietrichsage hat man versucht, nicht nur Schichten der Sagenbildung, sondern auch verlorene Dietrichlieder und -epen vom Frühmittelalter bis ins 12. Jahrhundert zu ermitteln, zu datieren, bis ins Detail zu rekonstruieren und in ihren Einflusszusammenhängen (u.a. zu den altfranzösischen Chansons de geste) darzustellen.77 Solche Versuche der Vorstufenrekonstruktion sind sämtlich fragwürdig.78 Dennoch bleiben stoff- und sagengeschichtliche Fragestellungen mit Blick auf stoffliche Grundlagen der erhaltenen Texte relevant. Einen zentralen Teilaspekt des Stoffs, die Namen, hat GILLESPIE (für die gesamte Heldenepik) zusammengestellt.79 DE BOOR80 untersucht die Heldennamen in der ‹historischen› Dietrichepik noch vorwiegend unter stoffgeschichtlichen Aspekten und kommt, auch wenn die Tradition nicht exakt zu spezifizieren ist, zu einer Unterscheidung von traditionellem Namenmaterial und wohl neu hinzugefügten, oft inhaltlich nicht gefüllten, nur in Listen aufgezählten (Verweis-)Namen. Unter neuen Fragestellungen gehen die Untersuchungen von HOMANN81 (Namenkataloge als Relikte der Mündlichkeit, stark relativiert durch MICHAEL MÜLLER), LENSCHOW82 (Namenlisten als Strukturelemente, Semantisierung von Namen und Akten der Benennung oder Nicht-Benennung) sowie, gattungsübergreifend (und gattungsübergreifende Konstanten der Verwendung von Namenkatalogen betonend), MICHAEL MÜLLER83 die Namen an.

Weitere Kernanliegen der älteren Forschung waren die Verfasserfrage für die Fluchtepen und die (Ab-)Wertung der ‹historischen› Dietrichepen vor allem aufgrund der ihnen inhärenten Widersprüche und Brüche, aber auch der ‹unheroischen› Sentimentalisierung in den Fluchtepen. Seit LEITZMANN hat sich, wie erwähnt (vgl. S. 9), die Auffassung weitestgehend durchgesetzt, dass die beiden Fluchtepen nicht von einem Verfasser stammen. In neuerer Zeit hat KROPIK aufgrund des engen Zusammenhangs der Texte vorsichtig die These einer ‹DietrichWerkstatt› in den Raum gestellt.84 Widersprüche und Brüche werden seit den 1970er Jahren zumeist anders beurteilt; insbesondere CURSCHMANN85 hat die komplexe Struktur, das bewusst Gemachte der Fluchtepen herausgestellt. Die Sentimentalisierung der Fluchtepen hat vor allem MECKLENBURG86 neu gedeutet (vgl. S. 22).

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Vgl. bes. STECHE 1939 (LV Nr. 548); VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490); SCHNEIDER 21962 (LV Nr. 521), S. 214–232. Vgl. u.a. HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 144. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233); vgl. auch ders. 1989 (LV Nr. 236). DE BOOR 1941 (LV Nr. 156). HOMANN 1977 (LV Nr. 338). LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 80–96, 122–127, 149–151, 153f. MÜLLER 2003 (LV Nr. 468). Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 204 A. 61; Formulierung analog zu BUMKEs These von einer Passauer Nibelungenwerkstatt: BUMKE 1996 (LV Nr. 171), S. 590 u.ö. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), bes. S. 358 und ff. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440).

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Zur Forschung

HUGO KUHN hat apodiktisch den armen Dietrich zum Kern der Dietrichüberlieferung seit dem althochdeutschen ‹Hildebrandslied› erklärt;87 eine Modifikation dieses Heldenbilds und seiner Bedeutung innerhalb der Dietrichüberlieferung bleibt zu leisten (vgl. bes. S. 76, 220f.). Mit einzubeziehen ist dabei in erster Linie KURT RUHs88 Diktum vom ‹pragmatischen Ethos› der (aventiurehaften) Dietrichepik, das auch die Frage nach den Heldenbildern der ‹historischen› Dietrichepik tangiert. Obsolet sind inzwischen die Versuche vor allem der 1970er und 1980er Jahre, die Gestalt Dietrichs von Bern im ‹Nibelungenlied› und in der Dietrichepik psychologisierend und/oder moralisierend zu erfassen und zu bewerten.89 Die schon früh beobachtete Zaudererrolle Dietrichs rückte vor allem durch JOACHIM HEINZLE90 und einige jüngere Aufsätze91 für die Analyse der aventiurehaften Dietrichepik in den Blick; dass und inwieweit dieses Rollenstereotyp auch für die Fluchtepen eine Rolle spielt, wurde erst in jüngerer Forschung92 zur Diskussion gestellt. Insbesondere MICHAEL CURSCHMANN und WALTER HAUG haben die Fluchtepen grundlegend neu interpretiert. Dabei spielen die Geschichtskonstruktion der Texte, strukturelle Fragen sowie Figurenkonzeptionen und -konstellationen eine entscheidende Rolle. CURSCH93 MANN sieht ‹Dietrichs Flucht› sowohl unter dem Aspekt der Konkurrenz von Dietrich- und Nibelungensage als auch unter dem zur aventiurehaften Dietrichüberlieferung alternativen Dietrich-enfance. Er analysiert erstmals die planvolle Komposition von ‹Dietrichs Flucht›, die Makrostruktur sowie Responsionen und Parallelen bis in die Mikrostruktur hinein; auch für die ‹Rabenschlacht› betont er die bewusste Strukturierung; Unterschiede zur ‹Flucht› sieht er vor allem in der symbolischen Zeitgestaltung (vgl. S. 127f.).94 Wie CURSCHMANN hebt HAUG95 für die ‹Flucht› ab auf die Gegenüberstellung zwischen der Idealität der genealogischen Vorgeschichte und der einerseits von Ermrichs Vergehen, andererseits von Dietrichs triuwe geprägten Haupthandlung. CURSCHMANN setzt dabei stärker den Akzent auf Dietrichs Hineinwachsen in Herrscherverantwortung und auf die Thematik wechselseitiger triuwe zwischen König und Gefolgsleuten in ‹Dietrichs Flucht›. Der Aspekt einer angeblichen Entwicklung scheint mir dabei streckenweise etwas überbetont (dass gerade die enfances der Chansons de geste keine Entwicklung des Helden schildern, sondern dessen erste heroische Taten, betont KERTH96); Ansätze von Ambiguisierung (Dietrichs Verhalten führt mit zur Katastrophe) werden vernachlässigt (vgl. bes. S. 217–220). Mit Recht hebt CURSCHMANN hervor, dass die Fluchtepen Sagentraditionen produktiv weiterentwickeln, «ohne

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KUHN 1969 (LV Nr. 403), bes. S. 130, 134, 135–139. RUH 1979 (LV Nr. 505), S. 24–26. Vgl. bes. HORAýEK 1976 (LV Nr. 339); zur Kritik am Dietrich der Dietrichepik z.B. GOTTZMANN 1987 (LV Nr. 243), S. 109–136; FIRESTONE 1989 (LV Nr. 218); zu Dietrich im ‹Nibelungenlied› vgl. ferner HAYMES 1985 (LV Nr. 295); STEIN 1987 (LV Nr. 550); GÖHLER 1992 (LV Nr. 239); grundlegend: HEINZLE 1995 (LV Nr. 313). Ders. 1978 (LV Nr. 301), S. 188f. Vgl. HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292); BREYER 2000 (LV Nr. 165). DF, Komm. zu v. 2982; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 151. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 181); ders. 1976 (LV Nr. 182); ders. 1989 (LV Nr. 190). Ders. 1976 (LV Nr. 182), S. 371–373. HAUG 1979 (LV Nr. 279). KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 150.

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Voraussetzungen und Grundlagen

grundsätzlichen Bruch mit der Tradition diese Tradition zugleich [...] manipulieren»,97 und dabei, ihrer eigenen Literarizität bewusst, bereits auf einer Metaebene, als «Dichtung über Heldendichtung» erzählen.98 HAUG betont – unter Einbeziehung von Gattungsgeschichtlichem (arturische Idealität in der Vorgeschichte, heldenepische Gewalt in der Haupthandlung) – eher den unheilsgeschichtlichen Aspekt der ‹Flucht›, der sich in die ‹Rabenschlacht› hinein weiter steigere: Mit Ermrich kommt das Böse in die Welt, und Dietrich wird seiner, trotz seiner Qualitäten und trotz der Unterstützung, die er immer wieder erfährt, niemals Herr; Leid und Verluste sind unwiederbringlich und steigern sich von Schlacht zu Schlacht;99 nach dem Tod der Hunnenprinzen in der ‹Rabenschlacht› werde, trotz der dem hunnischen Königspaar von Rüdiger mühsam abgerungenen Versöhnung mit Dietrich, dessen Verhältnis zu seiner mütterlichen Gönnerin Helche niemals wieder völlig intakt sein. Da ist vieles richtig gesehen (insbesondere auch der enge Zusammenhang des Doppelepos, in dem die ‹Rabenschlacht› als Steigerung von Verlust und Leid erscheint), freilich um den Preis, dass Unebenheiten der Texte zugunsten einer fast mythischen Deutungskonstruktion vernachlässigt werden. Die psychologisierende Deutung Dietrichs und seiner ‹Mutterbindung› an Helche geht etwas zu weit; vieles davon ist durch Sagenvorgaben und machtpolitische Interessen auf beiden Seiten zu relativieren (vgl. bes. S. 142, 146–148, 211–213). Einiges ist zu modifizieren: Die Steigerung von Verlusten und Leid stellt sich in der Chronologie der erzählten Ereignisse her (vor allem auch, das ist zu ergänzen, in intertextueller Auseinandersetzung mit den Nibelungendichtungen und insofern mit Blick auf den unwiederbringlichsten von Dietrichs Verlusten, den Amelungenuntergang im ‹Nibelungenlied›, um dessentwillen Dietrich an den Etzelhof zurückgeführt werden muss); die vermutliche Chronologie der Textentstehung deutet eher auf Ansätze zu einer Relativierung der ganz großen Katastrophen (vgl. auch S. 154 u.ö.). Der apodiktischen Gegenüberstellung von vorgeschichtlicher Idealität und Verderbtheit der Ermrich-Zeit haben SCHULZ und KERTH widersprochen: Bereits die Vorgeschichte ist geprägt durch latente Bedrohung und Gewalt.100 KELLNER101 hat die Genealogie der Vorgeschichte demgegenüber als Konstruktion zur Herstellung von Legitimität analysiert: Dietrich erscheint so nicht als exorbitanter Sagenheld, sondern als Erbe althergebrachter Herrschaft und Ordnung. Unter sozialgeschichtlichen Fragestellungen und Aspekten der Interessenbildung der adligen Rezipienten des 13. Jahrhunderts wurden die Texte, besonders ‹Dietrichs Flucht›, in erster Linie der Heinrich dem Vogler zugeschriebene zeitgeschichtliche Exkurs, von JANDIRK MÜLLER, FRITZ PETER KNAPP und JOACHIM HEINZLE gesehen:102 Die Fluchtepen scheinen die Sage für (nieder-)österreichische adlige Rezipienten, wie sie auch in den Besitzern der früheren Handschriften greifbar werden, mit Blick auf die Interessen des vom Landesherrn in seinen Rechten und Privilegien eingeschränkten Adels zu aktualisieren; demgegen-

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CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 381. Ders. 1976 (LV Nr. 181). 99 Vgl. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 119f., 129. 100 SCHULZ 2002 (LV Nr. 526); KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 138f.; vgl. bereits HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 82. 101 KELLNER 1999 (LV Nr. 351). 102 MÜLLER 1980 (LV Nr. 459); KNAPP 1991 (LV Nr. 370); HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 72– 75. 98

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Zur Forschung

über erscheint nicht nur die ideale Gemeinschaft von Herrscher und Mannen in der genealogischen Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›, sondern auch Dietrichs fundamentale triuwe zu den Gefolgsleuten als Ideal. WELTIN103 hat sozialgeschichtliche Erkenntnisse beigesteuert, die eine eineindeutige Gleichsetzung inner- und außerliterarischer Konstellationen problematisch erscheinen lassen: Aktualisierbar sind die Texte für verschiedene politische Konstellationen des 13. Jahrhunderts seit den frühen Habsburgern.104 Diese Fragestellungen bleiben – mit Blick auf die Personen- und Problemkonstellationen im Themenfeld von Herrschaft, Gefolgschaft, Personenverband – weiterhin von Interesse; erklärungsbedürftig ist allerdings die (fragliche) Funktion eines scheiternden Helden (vgl. S. 248). Poetologisch ist die Dietrichepik als Schemaliteratur einzuordnen, die stereotype Handlungsmuster und Erzählschablonen gleichsam montiert, in der ‹historischen› Dietrichepik primär den repetierbaren Grundbaustein der Folge von Vertreibung – hunnischem Exil – Rückkehrschlacht – glücklosem Sieg – erneutem Exil usw. Gegen harmonisierende, Inkohärenzen und Unebenheiten bisweilen überspielende Interpretationskonzepte hat in erster Linie JOACHIM HEINZLE105 die Frage nach Erzählschablonen einerseits, Widersprüchen und Brüchen in der narrativen Faktur andererseits aufgeworfen, Grundgegebenheiten eines auch in der Verschriftlichung durch mündliche Traditionen geprägten Erzählens. Seine Ergebnisse zur aventiurehaften Dietrichepik sind – modifiziert – auch auf die ‹historischen› Dietrichepen zu übertragen, deren strukturelle Stereotypie der Forschung frühzeitig aufgefallen ist. Ausgehend von CURSCHMANNs106 Strukturanalysen zu ‹Dietrichs Flucht› hat in jüngster Zeit CORDULA KROPIK107 die exemplarische Funktion struktureller Korrespondenzen hervorgehoben, die kontrastierende – positive und negative – Verhaltensweisen unterstreichen. Ähnlich hat zuvor schon HANS-JOACHIM BEHR108 in Bezug auf die Doppelungen in ‹Alpharts Tod› argumentiert, die unterschiedliche Handlungen in vergleichbaren Situationen kontrastieren, in diesem Fall allerdings mit weniger eindeutiger Wertung (vgl. S. 123f., 227–229). Die neuere Forschung zur ‹historischen› Dietrichepik setzt in erster Linie an bei drei Fragekomplexen, die sich zum Teil überschneiden: Intertextualität im weiteren Sinn,109 Beziehungen zu heroischen Traditionen, dem ‹Nibelungenlied›, aber auch höfischen Gattungen (ELISABETH LIENERT, SONJA KERTH, CORDULA KROPIK);110 Heldenkonzeptionen (‹Pathos› und Sentimentalisierung: MICHAEL MECKLENBURG111); Historizität bzw. narrativer Konstitution ‹historischen› Erzählens (HARTMUT BLEUMER und wiederum CORDULA KROPIK).112 Dass

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WELTIN 1992 (LV Nr. 588). VOORWINDEN 2007 (LV Nr. 577) bezieht geographische Namen und Ereignisse dagegen auf die politische Situation während der Regierungszeit Kaiser Friedrichs II. HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 145. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), bes. S. 359, 367–374. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 229–241. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 15–23. Methodisch aufschlussreich vor allem KERTH 2008 (LV Nr. 357), mit der Unterscheidung von Einzeltextreferenz (auf bestimmte Prätexte), Systemreferenz (auf Gattungen) und Wissensreferenz (auf kollektive Wissensbestände u.a. der Sage). LIENERT 1999 (LV Nr. 416); KERTH 2008 (LV Nr. 357); KROPIK 2008 (LV Nr. 397). MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440). BLEUMER 2000 (LV Nr. 148); KROPIK 2008 (LV Nr. 397).

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Voraussetzungen und Grundlagen

auch die ‹historische› Dietrichepik heroische Gattungstraditionen nicht ungebrochen fortführt, sondern – als «späte Heldendichtung»113 – geprägt ist durch Interferenzen mit anderen Gattungen und eine tendenziell kritische Auseindersetzung mit dem Prätext verschriftlichter mittelhochdeutscher Heldenepik, dem ‹Nibelungenlied›, ist erst in jüngerer Zeit114 in den Blick gerückt; bislang erst in Ansätzen beachtet sind die Interferenzen zwischen aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichepik sowie die den Texten eingezogene Metaebene von autopoetischer Reflexion. An den Modifikationen des traditionellen ‹heroischen› Heldenbildes setzt MECKLENBURG an; Heroik werde (in den Fluchtepen) überführt in Hyperbolik, Sentimentalisierung und Pathos oder schlage (im ‹Biterolf›, den MECKLENBURG zur ‹historischen› Dietrichepik rechnet) in Parodie um. ‹Alpharts Tod› schließe stärker an traditionelle Heroik an (wie immer man die definiert), obgleich Alpharts Ehrencodex (Namensverweigerung, fairer Einzelkampf, Schonung des wehrlosen Gegners) eher höfischen Maßstäben entspricht und nur das fatale Insistieren des jungen Helden auf seiner Haltung heroischer Unbedingtheit (die Kritik der älteren Forschung an Alpharts vermeintlichem Übermut ist seit ZIMMERMANN115 weitgehend verstummt). In den Fluchtepen hingegen schlage heroisches Pathos (das aus «der Erkenntnis tragischer Unausweichlichkeit» erwachse) um in die «Darstellung eines bereits weitgehend individualisierten Gefühlsempfindens».116 Dietrich erscheine vor allem hinsichtlich seiner Kampfkraft und Heerführerqualitäten «als ein heroischer Held»,117 scheitere aber an unglücklichen Umständen. (Die Komponente von Dietrichs Fehlverhalten wird wenig berücksichtigt.) Fokus des Erzählens sei das immer exzessiver gesteigerte Leid, was zu Emotionalisierung und Sentimentalisierung führe, jenseits ritualisierter funktionaler Emotionalität. KROPIK stellt indes zutreffend klar, dass die Sentimentalisierung – neben der zuerst von MECKLENBURG selbst im Anschluss an ALTHOFF118 in beiden Fluchtepen festgestellten «kommunikativen Funktionalisierung»119 von Tränen – nicht etwa der Öffnung individuell‹privater› Innenräume dient, wie MECKLENBURG annimmt,120 sondern objektivierender Vorwegnahme künftigen Unheils und Leids.121 Die spezifische Historizität (auch) der Dietrichepik und ihrer narrativen Verfahren ist Gegenstand der Untersuchungen von HARTMUT BLEUMER und CORDULA KROPIK. BLEUMER weist darauf hin, dass die Konkurrenz zwischen Historiographie und heroischer Überlieferung, wie sie die chronistische Sagenkritik belegt, zunächst eine Konkurrenz «um die historischen Fakten» scheint, betont aber im Anschluss an HAYDEN WHITE122 die Rolle narrativer

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Begriff nach HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), bes. S. 263–268; bes. KERTH 2000 (LV Nr. 353); auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 189 u.ö. LIENERT 1999 (LV Nr. 416); KERTH 2008 (LV Nr. 357); KROPIK 2008 (LV Nr. 397). ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616). MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 13. Ebd., S. 77 und ff. ALTHOFF 1996 (LV Nr. 119); ders. 1996 (LV Nr. 120). KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 260. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), bes. S. 89–116. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 247, 259–270. WHITE 1991 (LV Nr. 590).

Zur Forschung

Verfahren.123 Entwickelt wird ein Modell mit drei Ebenen: 1. der Ebene des «historischen Feldes», d.h. der «Menge der geschichtlichen Ereignisse im Ablauf der Zeit»; 2. der Ebene der ‹Geschichte› als Ereignisabfolge, d.h. der «Auswahl einer Folge von Ereignissen und ihrer Präsentation als Geschichte [...] mit erkennbarem Anfang und Ende»; 3. der Ebene der deutenden ‹Erzählung›, die einem «Ereignismuster» bestimmte «Ereignisverknüpfungen» unterlegt und es zugleich «ideologisch perspektiviert».124 Geschichtliche Ereignisse u n d narrative Strategien verbinden sich in Historiographie und Dietrichepik; die Unterschiede sind lediglich graduell. Im Vergleich der Dietrich-Passagen der ‹Kaiserchronik› und der Dietrichepik arbeitet BLEUMER unterschiedliche narrative Strategien heraus: Die Chronik kennzeichne Orientierung an der «chronologische[n] Abfolge der römischen und deutschen Kaiser»; Verwendung «quellenmäßig verbürgte[r] Erzählelemente[]»; Orientierung an Gott und Ausrichtung auf das Seelenheil; Dominanz der Chronologie der Ereignisgeschichte über die narrativen Schemata von Exil- und Rückkehrfabel, während umgekehrt die Fluchtepen geprägt werden durch Erzählschemata (vor allem das des glücklosen Siegs).125 Sinnstiftung durch Muster, auf die hin historische Ereignisse stilisiert werden, begegnet freilich in Epik und Historiographie (sie dürfte nicht erst die Erzählung, sondern teilweise schon die Wahrnehmung von Geschehen prägen). Eine andere Art der «Historisierung» der «Ebene der erzählerischen Gestaltung» sieht BLEUMER durch Formen historischer Kommunikation und durch historische Problemkonstellationen hergestellt: durch ritualisierte ‹Emotionen›, die als kommunikative Signale dienen (wie Dietrichs trûren; vgl. bes. S. 221); durch Beratungsszenen, Feste, Botenreisen, den «realen Problemtyp» des schlechten Ratgebers;126 daher könne von «historische[r] Narration» die Rede sein.127 Freilich sind Formen ritueller Kommunikation aus der Gegenwart der Rezipienten vertraut und daher kein Beleg für Historisierung, zumal sie nicht den historisierenden Gattungen vorbehalten sind, sondern z.B. auch im Artusroman begegnen: Zeichen dafür, dass Texte, unabhängig von Textsorte und Historisierungsgrad, gerade in den Selbstverständlichkeiten gesellschaftlichen Umgangs auf ein grundlegendes kommunikatives Einverständnis mit den Rezipienten bauen. Verschiedene Zeitebenen (Gegenwart der Rezipienten, erzählte Vergangenheit) und verschiedene Gattungen werden dadurch eher nivelliert als historisiert. Hingegen leistet die Verbindung der erzählten Geschichte «mit den Fakten des historischen Feldes»128 – in der Druckfassung des ‹Eckenlieds› mit dem Sieg über Odoaker – in der Tat eine Historisierung. BLEUMER geht insgesamt von einem «historisch-narrative[n] Spektrum» aus, in dem unterschiedliche Texte und Textsorten jeweils verschiedenen Anteil an einer (von ihm nicht wirklich definierten) «erzählerische[n] Historizität»129 haben. Verfahren, wie «diese Historizität narrativ erzeugt wird»,130 beschreibt er freilich nur in Annäherung an Einzeltexte, nicht grundsätzlich.

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BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 130f., Zitat S. 130. Zitate ebd., S. 131. Ebd., S. 132–134, Zitate S. 132 und 133. Ebd., S. 136f., Zitate S. 137. Ebd., S. 152. Ebd., S. 153. Ebd. Ebd., S. 136.

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Voraussetzungen und Grundlagen

CORDULA KROPIK erläutert am Beispiel des ‹Nibelungenlieds› überzeugend, wie sich Sage auf der Ebene der Erzählhaltung und Erzählerrolle selbst inszeniert über den Nexus von kollektiver Augenzeugenschaft, kollektivem Hörensagen auf Handlungsebene und kollektiver Erinnerung, die als Sage bruchlos bis in die Gegenwart der Rezipienten reiche. Freilich bezieht sich ihr Ansatz in erster Linie nicht auf die (schwer zu beantwortende) Frage der geglaubten Historizität und Verbindlichkeit heroischer Überlieferung, sondern auf die Inszenierung von kollektiver Memoria, den Anschluss an die Tradition heroischer Überlieferung zunächst in der Mündlichkeit, dann auch in verschriftlichter Form, mithin an Gattungstraditionen heroischen Erzählens. Geschichtlichkeit wird – unhinterfragt – offensichtlich (zunächst) nicht gleichgesetzt mit verbürgter Faktizität, sondern mit «lebendiger Vergangenheit»,131 kollektiver Erinnerung an stilisierte Ereignisse der eigenen «fernen Vorzeit».132 KROPIK zeigt auf, wie die Texte (darunter auch die Fluchtepen) unterscheiden zwischen sagenhaft-mündlicher und schriftlicher Überlieferung und wie sie sich zu den Mechanismen der Inszenierung von Sage verhalten. Charakteristisch für ‹Dietrichs Flucht› sei ein historiographischer Beglaubigungsgestus, der sich mit moralisch-exemplarischem Erzählen (und einer quasi «exemplarischen Tragik»133) verbinde. Die ‹Rabenschlacht› schließe in erster Linie an das ‹Nibelungenlied› an, durch die Inszenierung nibelungischer leit-Atmosphäre und Untergangsdetermination, daneben auch an ‹Nibelungenklage› und ‹Eckenlied› – als stelle schon der bewusst gesuchte Anschluss an die Tradition verschriftlichter Heldenepik (zusammen mit den Wahrheitsbeteuerungen) Geschichtlichkeit her. Freilich korrespondiert KROPIKs Rückzug auf die Sagen- und heldenepische Tradition, ohne Fragen nach Glaubhaftigkeit, Verbindlichkeit oder Referenzialisierbarkeit des Erzählten, sowohl der Tatsache, dass heroische Überlieferung selbst ihre Geschichtlichkeit nicht ausdrücklich reflektiert, sondern mit Tradition und Memoria als selbstverständlich gegeben voraussetzt, als auch der alles übersteigenden Rolle verbürgter Quellen in der lateinischen Chronistik. Die Frage der Historizität reduziert sich in beiden Bereichen letztlich tatsächlich weitgehend auf die Frage der Verbürgtheit (vgl. bes. S. 235, 239).

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GRAUS 1975 (LV Nr. 248). KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 313. Ebd., S. 251.

II. Der Stoff und die Zeugnisse1

Sagengeschichte ist nicht Selbstzweck. Die Forschung interessieren seit Jahrzehnten die Texte im Kontext ihrer Entstehungszeit. Aber die Sage stellt zum einen – hierin schriftlichen Vorlagen zugleich vergleichbar und, weil im konkreten Detail unzugänglich, inkommensurabel – das Material, aus dem die Dichter des 13. Jahrhunderts ihre Auswahl treffen, das sie zu jeweils spezifischen Erzähl- und Deutungsmustern konfigurieren; zum anderen formt sie zumindest bis zu einem gewissen Grad mit dem Wissensstand auch den Erwartungshorizont des zeitgenössischen Publikums. Unwägbarkeiten überwiegen gesichertes Wissen freilich bei weitem. Die frühen Stadien der Sagenentwicklung sind nicht in der Schriftlichkeit zu fassen; heroische Überlieferung ist an das Medium der Mündlichkeit geknüpft. Da mündliche Überlieferung allenfalls punktuell, zufällig und spät aufs Pergament gelangt, formen sich in der Schriftlichkeit zunächst (und lange Zeit) keine kohärenten Wissensbestände: Fassen lassen sich – und auch das erst mit womöglich jahrhundertelanger Verzögerung – meist nur einzelne Reflexe der Sage, die nicht Wissen an Unwissende vermitteln, sondern den (offenbar auch schriftgebildeten Rezipienten) gemeinsamen Wissenshintergrund kollektiver Memoria voraussetzen, ohne solches Hintergrundwissen oftmals gar nicht verständlich sind, nicht selten unterschiedliche Interpretationen zulassen und sich nur im Ausnahmefall zu geschlossenen Erzählungen zusammenschließen. In der Regel dokumentieren die Zeugnisse nur einzelne Sagenzüge; insbesondere bleiben die Überlieferungen von Dietrichs Vertreibung und Exil, von Dietrichs Verbindung mit übernatürlichen Wesen und von Dietrichs Ende zumeist getrennt. Ein zusammenhängendes Heldenleben des Berners formt erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts die ‹Thidrekssaga› aus. Es mag heuristisch bis zu einem gewissen Grad sinnvoll sein, aus dieser späten Dietrich-Vita auf die ursprüngliche Sage zurückzuschließen, wenn andere Belege dazu stimmen. Methodisch gelangt man damit jedoch nie über den Status einer mehr oder weniger plausiblen Hypothese hinaus. Ebenso problematisch ist es, aus unterschiedlichen Sagenreflexen und Traditionen eine Art Sagen-Harmonie zusammenzustellen, die (der ‹Thidrekssaga› vergleichbar) Einzelzüge verschiedener Traditionen ohne Rücksicht auf ihren Überlieferungszusammenhang ein und demselben Dietrich zuschreibt. Angesichts der erforderlichen methodischen Strenge bleibt vieles notwendig punktuell. Die Zeugnisse für Dietrichs Kämpfe um die Herrschaft in Oberitalien, seine Vertreibung bzw. Flucht und seine Rückkehr lassen sich nicht zu einer in sich geschlossenen, widerspruchslosen Geschichte des Helden zusammenfügen, und auch die Geschichte des Dietrichstoffs

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Das Kapitel basiert weitgehend auf der Zusammenstellung der Zeugnisse in Test. (dort jeweils Literatur); zur Anspielungsrezeption vgl. auch LIENERT 2009 (LV Nr. 422). Nicht berücksichtigt werden historiographische Quellen ohne Sagenelemente; dazu ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617).

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Der Stoff und die Zeugnisse

bleibt inkohärent und lückenhaft, wenn, wie hier, auf Rekonstruktionen von Vorstufen verzichtet wird.2

1. Historischer Stoff und sagenmäßige Transformationen Stofflicher Kern der ‹historischen› Dietrichepik ist die nach modernem Verständnis ‹unhistorische› Fluchtsage: Dietrichs von Bern Vertreibung aus Italien, sein Exil beim Hunnenkönig Etzel (Attila) und seine Rückkehr bzw. Rückkehrschlacht(en). Dietrich von Bern ist die Sagenentsprechung des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen.3 Aufgezeichnet wurde die Geschichte des großen Ostgotenkönigs zunächst nur im Medium der antiken Schriftkultur, mit durchaus unterschiedlicher Tendenz der gotischen Hofhistoriographie und der eher theoderichfeindlichen byzantinischen Geschichtsschreibung.4 Demnach wurde Theoderich um das Jahr 453 (oder 451) in Pannonien als Sohn des Theodemer, eines Angehörigen der gotischen Herrscherfamilie der Amaler, und dessen concubina Erelieva geboren. Als Achtjähriger wurde er von Valamer, dem Bruder seines Vaters und König der pannonischen Goten, als Geisel für die Einhaltung eines Föderatenvertrags nach Konstantinopel geschickt. Dort verbrachte Theoderich zehn Jahre und lernte antike Kultur und Verwaltung kennen. Nach Theodemers Tod 474 folgte er seinem Vater nach und setzte sich in den Folgejahren gegen Theoderich Strabo als alleiniger Herrscher der pannonischen und thrakischen Goten (nunmehr Ostgoten) durch. Theoderich wurde oströmischer Heermeister, Adoptivsohn Kaiser Zenos, Konsul und Patricius. Gleichwohl blieb das Verhältnis zu Ostrom gespannt. Im Einvernehmen mit Zeno, der sich damit der gotischen Bedrohung auf dem Balkan entledigte, zog Theoderich 488 mit seinen Ostgoten nach Westen gegen den Usurpator Odoaker, der Romulus Augustulus, den letzten weströmischen Kaiser, abgesetzt und die Herrschaft über Italien an sich gerissen hatte. Theoderich besiegte Odoaker in mehreren Schlachten, unter anderem bei Verona, und belagerte ihn fast drei Jahre lang in Ravenna. 493 wurde vertraglich Herrschaftsteilung vereinbart; doch Theoderich tötete den Gegner eigenhändig beim Gastmahl und ließ seine Familie auslöschen. Die Herrschaft des Gotenkönigs wurde 497 vom oströmischen Kaiser anerkannt; sie brachte Italien jahrzehntelangen Frieden, politische Stabilität und kulturelle Blüte. Theoderich bediente sich der römischen Verwaltung und kooperierte mit der Senatsaristokratie; die Ansiedlung der arianischen Goten gelang anscheinend weitgehend konfliktfrei. Den Kaisertitel führte er nicht und bemühte sich um Einvernehmen mit Ostrom, hielt aber an der Eigenständigkeit seiner Herrschaft fest. Durch

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Anders als ältere Darstellungen (vgl. bes. STECHE 1939, LV Nr. 548, bes. S. 149–292; VON PREMERSTEIN 1957, LV Nr. 490; SCHNEIDER 21962, LV Nr. 521, S. 214–232; ZINK 1950, LV Nr. 618) gehe ich streng von den erhaltenen Zeugnissen aus. Das Folgende nach AUSBÜTTEL 2003 (LV Nr. 127); vgl. bes. auch ENSSLIN 21959 (LV Nr. 212); MOORHEAD 1992 (LV Nr. 458); WOLFRAM 42001 (LV Nr. 602); die in der Forschung angegebenen Jahreszahlen weichen geringfügig voneinander ab. – Zum Verhältnis von historischem Theoderich und Dietrich vgl. unter vielen anderen: HEINZEL 1889 (LV Nr. 299); HAUG 1971 (LV Nr. 277); MASSER 1984 (LV Nr. 435); MCLINTOCK 1987 (LV Nr. 439); FLOOD 1996 (LV Nr. 223); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 2–8; GOTTZMANN 2004 (LV Nr. 245). Zu den frühen Zeugnissen vgl. bes. GOLTZ 2008 (LV Nr. 242); vgl. auch Test. Nr. 3–31 und ff.

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Historischer Stoff und sagenmäßige Transformationen

Heiratsverbindungen mit den Herrschern der Franken, Westgoten, Burgunden, Thüringer und Vandalen versuchte Theoderich, ein germanisches Bündnissystem zu schaffen, mit dem er aber letztlich scheiterte. Die letzten Regierungsjahre des Gotenkönigs waren geprägt von innen- und religionspolitischen Konflikten. Auf Annäherungen der katholischen, prokaiserlichen Partei im Senat an Konstantinopel reagierte Theoderich mit aller Härte; der Konsul und Philosoph Boethius und dessen Schwiegervater Symmachus wurden wegen Hochverrats hingerichtet; zur Last gelegt wurde Theoderich auch der Tod Papst Johannes I., angeblich nachdem der Gotenkönig ihn im Kerker hatte verhungern lassen. Jahrhundertelang stigmatisierte ihn die klerikale Geschichtsschreibung deswegen als blutrünstigen Tyrannen. Am 30. August 526 starb Theoderich an einer infektiösen Erkrankung (vermutlich der Ruhr), ohne dass seine Nachfolge gesichert war: Er hinterließ keinen Sohn; sein von Ostrom anerkannter Schwiegersohn Eutharich war vorzeitig gestorben; seine Tochter Amalasuintha, Regentin für ihren minderjährigen Sohn Athalarich, scheiterte an der ostgotischen Opposition; in einem langjährigen Krieg zerschlugen Kaiser Justinians I. Feldherren Belisar und Narses das Ostgotenreich; 562 wurde es oströmische Provinz. Heldenlieder, wie sie in oralen oder semioralen Gesellschaften der Bewahrung der Memoria großer Könige und Krieger dienen, sind prinzipiell durch Jordanes’ ‹Getica›5 (wohl 550/551) auch für die Goten bezeugt, aber nicht für Theoderich.6 Volkssprachige Heldenlieder werden, getragen vom illiteraten Kriegeradel, über Jahrhunderte hinweg mündlich weitergegeben und nicht oder nur ausnahmsweise aufgezeichnet; in diesem Fall kommt erschwerend der Untergang des ostgotischen Reichs hinzu, der das Weiterleben mündlicher Traditionen nicht begünstigte. (Die Dietrichsage stellt man sich bei den Langobarden entstanden vor,7 deren Reich an das der Ostgoten anknüpfte; das erklärt die Lokalisierung des Sagenhelden nach Verona.) Wenn es Heldenlieder über den Ostgotenkönig gegeben hat, dürften sie sich auf Theoderichs kriegerische Frühzeit bezogen haben, die Ereignisse auf dem Balkan oder die Eroberung Italiens – Friedensherrschaft, Bautätigkeit, Heirats- und Kirchenpolitik oder gar ein Bett-Tod bieten kein heroisches Substrat. In lateinischer und volkssprachiger Chronistik sind Theoderich und mit ihm Reflexe der Dietrichsage vielfach präsent, während die Nibelungensage nur vereinzelt in Chroniken eingegangen ist, andere Sagenkreise der mittelhochdeutschen Heldenepik gar nicht (andere frühmittelalterliche Sagenstoffe, die Reflexe in der Historiographie hinterlassen haben, haben keine Tradition volkssprachiger Dichtung ausgebildet). Anders als bei anderen Sagenstoffen (etwa den Nibelungen und Siegfried) bindet in diesem Fall der (historische) Name als markanter Erinnerungskern (JOACHIM HEINZLE)8 den Sagenhelden an eine bedeutsame Figur der Historiographie. Durch seine Beziehungen zu verschiedenen Kaisern (vor allem Leo I., Zeno, Justin I.) und Päpsten (insbesondere Symmachus und Johannes I.) ist Theoderich in die Kaiser- und Papstgeschichte eingebunden; das verschafft den damit verbundenen Ereignissen um Theoderich Eingang in die Chroniken, wo diese sich nicht in Kaiser- und Papstlisten erschöpfen. Die Geschichte Italiens ist Reichsgeschichte; Theoderich selbst könnte, soweit die sehr

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Vgl. Test. Nr. 22. Einen Panegyricus auf Theoderich hat, freilich in lateinisch-schriftlicher Tradition, Ennodius im Jahr 507 verfasst; vgl. Test. Nr. 6. Vgl. z.B. MASSER 1984 (LV Nr. 435), S. 642f. Zum Begriff der Erinnerungskerne vgl. zusammenfassend KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 101–111.

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Der Stoff und die Zeugnisse

spärlichen Zeugnisse schließen lassen, in diesem Zusammenhang möglicherweise eine spezifisch reichsgeschichtliche Bedeutung zukommen (vgl. S. 232): Als Begründer des ersten Germanenreichs auf römischem Boden, das an römische Traditionen anknüpft, stellt er anscheinend für Karl den Großen eine Vorläuferfigur dar; noch Kaiser Maximilian I. knüpft an Dietrich-Theoderich an (vgl. S. 98f.). Theoderichs jahrzehntelang erfolgreiche Königsherrschaft spielt jedoch in der Sage so gut wie keine Rolle, sein Tod nur für die Chronistik und die theoderichfeindliche klerikale Überlieferung. In die Sage gehen vor allem die Kämpfe um Italien ein, freilich mit charakteristischen Verschiebungen: Auf Ostgoten und ostgotische Geschichte beziehen sich Dietrichsage und -dichtung nicht. Statt des historischen Odoaker ist der Gegner des Helden meist ErmrichErmanarich, in der Sage sein feindlicher Onkel, historisch ein Gotenkönig des 4. Jahrhunderts aus dem gleichen Herrschergeschlecht der Amaler. Aus dem Eroberer Italiens, der seinen Kontrahenten skrupellos eigenhändig tötete, wird ein Vertriebener; die über dreißigjährige Herrschaft des Gotenkönigs über Italien wird (beeinflusst vielleicht durch die langjährige Geiselzeit des jungen Theoderich in Konstantinopel) ersetzt durch ein dreißigjähriges Exil beim Hunnenkönig Attila-Etzel, der etwa zur Zeit von Theoderichs Geburt ums Leben kam. Die Identifikation Dietrichs von Bern mit Theoderich dem Großen, des Sagenhelden mit dem historischen Ostgotenkönig, steht in den erhaltenen Zeugnissen trotzdem nie in Frage, auch wenn bisweilen Fehler vorkommen, Verwechslungen oder absichtliche Gleichsetzungen mit anderen Trägern des Namens, besonders mit dem Westgotenkönig Theuderich I., Attilas Gegner in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern.9 Die Namensform Dietrich (altenglisch Ĉeodric, lateinisch Detricus, Tetricus, Ditricus) ist in volkssprachigen Zeugnissen etwa ab dem 8./9. Jahrhundert greifbar, im althochdeutschen ‹Hildebrandslied› und in frühen altenglischen Zeugnissen,10 im Lateinischen seit Metellus von Tegernsee (um 1165–1175; vgl. S. 37). Den Beinamen von Bern, de Berne bzw. Veronensis führt Dietrich-Theoderich seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts, im Hoch- und Spätmittelalter auch in der lateinischen Chronistik, sogar dann, wenn diese die Sage ignoriert oder angreift. Dass die Konstellationen der Fluchtsage und -epen die historischen Ereignisse nicht (mehr) abbilden, sondern mittels literarischer Schemata transformieren,11 entspricht den für Heldenepik gattungstypischen Verfahren der Literarisierung (Erzählen nach traditionellen narrativen Mustern), Personalisierung (aus dem politischen Konflikt Theoderichs mit seinem historischen Gegner wird ein Familienkonflikt mit dem angeblichen Onkel), Synchronisierung des Ungleichzeitigen (Ermanarich ist bereits 375/376 umgekommen; mit dem 453 gestorbenen Hunnenkönig Attila ist der um 451/453 geborene Theoderich nie zusammengetroffen).12 Die Anachronismen der Sage, an denen die lateinische Geschichtsschreibung seit Frutolf von Michelsberg in erster Linie Anstoß nahm (vgl. bes. S. 36, 234f.), sind «charakte-

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Vgl. Test. Nr. 85 (Hugo von Fleury, ‹Historia ecclesiastica›, 1109/1110); 90 (Hugo von St. Victor, ‹De tribus maximis circumstantiis gestorum›, nach 1135); 120 (Gilbertus, ‹Chronicon pontificum et imperatorum Romanorum›, um 1220/1221?), 299 (Johannes Aventinus, ‹Annales ducum Boiariae›/‹Bayerische Chronik›, 1517–1521; teilweise); 334 (Friedrich Zorn, ‹Wormser Chronik›, 1570). Vgl. Test. Nr. 50; 38, 41, 52, 57, 58. Vgl. bes. HAUG 1971 (LV Nr. 277); ders. 1975 (LV Nr. 278). Zusammenfassend z.B. HEINZLE 21994 (LV Nr. 312), S. 25–27.

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Historischer Stoff und sagenmäßige Transformationen

ristisch für die Umformung von Historie in heroische Überlieferung».13 Das Verfahren «führt dazu, daß ursprünglich eigenständige Stoffkreise zu einer geschlossenen Heldenwelt integriert werden, die man einem besonderen Zeitalter zuordnet, eben dem Heldenzeitalter (‹heroic age›), das der Gemeinschaft, die die Erzähltradition trägt, als ferne Frühe ihrer eigenen Geschichte gilt.»14 Die Umgestaltung des Eroberers Theoderich in den Exilanten Dietrich ist schwerer zu deuten.15 Das Erzählmuster von Vertreibung und Rückeroberung dürfte zunächst der Legitimation dienen;16 das gilt vor allem für die (spärlichen) Zeugnisse vor etwa 1200, in denen Theoderichs erfolgreicher Eroberungskrieg zum legitimen Kampf gegen einen Usurpator stilisiert ist (teils für Ostrom, teils für die Goten), teilweise gar zur Rückeroberung angestammter, zumindest bereits vorher bestehender Herrschaft (vgl. bes. S. 35, 65, zu ‹Annales Quedlinburgenses›, ‹Gesta Theoderici›). In späteren Dietrich-Testimonien (ab dem ‹Nibelungenlied›, besonders auch in der ‹historischen› Dietrichepik selbst, nicht bei Heinrich von München; vgl. S. 60) fehlt freilich meist der für die Legitimationsthese unverzichtbare Zielpunkt der erfolgreichen Rückeroberung; gleichzeitig wird Dietrich immer mehr zum scheiternden Helden stilisiert. Die These, in Gestalt dieses armen Dietrich bewältige heroische Überlieferung den Untergang der Ostgoten wenige Jahrzehnte nach Theoderichs Tod,17 kann freilich nicht überzeugen, stellt doch die Rolle des armen Dietrich eine vergleichsweise späte und vorübergehende Sonderentwicklung dar (vgl. S. 76); vor dem ‹Nibelungenlied› liegt der Fokus der Zeugnisse eher auf Dietrichs endgültigem Erfolg als auf seinem Scheitern; dass die erst um 1200 fassbare Vorstellung von Dietrichs Glücklosigkeit in der Bewältigung des Ostgotenuntergangs wurzeln soll, ist daher unwahrscheinlich. Am ehesten überzeugend (freilich ebenfalls hypothetisch und zudem so allgemein, dass sie für die spezifischen Ausprägungen der einzelnen Sagen nicht viel leistet) ist HAUGs These, die Stilisierung und Umdeutung des historischen Geschehens sei grundsätzlich, auch im Fall der ‹historischen› Dietrichsage, als «Akt der Bewältigung historischer Erfahrung zu verstehen», «der sich möglicherweise an einem ‹Situationsschema› orientierte, das – mit einem mehr oder weniger festen Motivinventar ausgestattet – aus älterer Erzähltradition geläufig war»,18 nämlich dem in unterschiedlichsten weltliterarischen Zusammenhängen nachweisbaren Schema von der Auseinandersetzung zweier ungleich legitimierter (verwandter) Herrschaftserben.19 Dass ein ursprünglich ‹politischer› Konflikt um Erb- bzw. Herrschaftsnachfolge in heroischer Dichtung fast regelhaft zu einem Konflikt zwischen Verwandten wird, erklärt das Auftreten des

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Ders. 1984 (LV Nr. 305), S. 143. Ders. 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 73. Vgl. auch die in Anm. 3 genannte Literatur. Vgl. DE VRIES 1965 (LV Nr. 579); zu den frühen ‹historiographischen› Versuchen vor allem von ostgotischer Seite, Theoderichs Taten zu legitimieren (die Eroberung in der Regel als Auftrag Zenos, fast omnipräsent; die Tötung Odoakers häufig durch die Unterstellung, Theoderich habe damit einem Verrat zuvorkommen oder eine Verschwörung unterbinden wollen, zum Teil als Akt der Verwandtenrache, wohl für das rugische Königspaar), vgl. bes. Test. Nr. 5, 6 (Ennodius), 10 (Cassiodor), 14 (‹Exzerpta Valesiana›), 22 (Jordanes), 23 (Prokop), 27 (Agathias), 33 (Johannes von Antiocheia), 37, 67, 100 (‹Gesta Theoderici›) u.v.a. Vgl. z.B. SCHNEIDER 21962 (LV Nr. 521), S. 450f.; MCLINTOCK 1987 (LV Nr. 439). Vgl. HAUG 1971 (LV Nr. 277), bes. S. 48 und 58–62; Zitate HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 143. Vgl. auch KNAPP 1994 (LV Nr. 374), S. 323.

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Der Stoff und die Zeugnisse

angeblichen Onkels Ermrich. HAUGs weltliterarische Parallelen20 sind freilich, weil nur in ‹literarisierten› Texten greifbar, in ihrem Bezug auf historisches Geschehen nicht abzusichern. Dennoch besitzt das Schema von Erb- und Herrschaftsstreit auch für die Dietrichüberlieferung Plausibilität. Damit verbindet sich der glücklose Sieg, ein grundlegendes Muster der Wahrnehmung von Geschichte in heroischer Überlieferung, komplementär zum Deutungsmuster des heroisch-triumphalen Untergangs, wie es beispielhaft in der ‹Atlaqviða› realisiert ist, wo Gunnar sterbend über den goldgierigen Atli triumphiert.21 Theoderich-Dietrich war ein heroisch-triumphaler Untergang nicht zuzuordnen; wenn er über ein triviales SiegerKlischee hinaus heldensagenfähig werden sollte, bedurfte sein Sieg anscheinend der Relativierung durch Leiden und Verlust. Das kann das Muster des glücklosen Siegs erklären.

2. Ältere Zeugnisse der Fluchtsage In grosso modo chronologischer Folge – abgesehen von den separat behandelten Sondertraditionen (vgl. S. 64–66) – ergibt sich folgendes Bild für die Entwicklung der Fluchtsage vor den Fluchtepen: Das älteste einigermaßen aussagekräftige Zeugnis stellt (nicht unumstritten) das althochdeutsche ‹Hildebrandslied› dar (Stabreime, 68 vv. erhalten; Hs. um 830/840). Chronologisch voran geht möglicherweise das altenglische alliterierende Heldenlied ‹WidsiÞ›22 (143 vv.; 2. Hälfte 7. Jh.?, überliefert erst im Exeter Book, um 975/1025), das Namen aus der heroischen Überlieferung aufzählt. Ihr Sagenhintergrund wird als bekannt vorausgesetzt; sie sind aber nicht immer sicher entsprechenden Sagen zuzuordnen und teilweise nicht eindeutig zu identifizieren. Darunter finden sich der Gotena cyning (‹Gotenkönig›) Eormanric (v. 8, 18, 88f., 111), zugleich als freigebig und wra?es wærlogan (v. 9; «böse[r] Treuebrecher»?23) besonders hervorgehoben; Wudga ond Hama (v. 130, vgl. auch v. 124; Witege und Heime); ein Þeodric (v. 115, ob der Goten- oder der Frankenkönig, ist umstritten) sowie einige weitere mögliche Sagennamen (Sifeca[n], v. 116, Sibeche?; Herelingas, v. 112, die Harlungen?). Ermanarich scheint bereits als treulos (und damit vielleicht schon als Verwandtenfeind?) aufgerufen;24 eine Verbindung des nicht eindeutig zu identifizierenden Þeodric mit Ermanarich wird nicht ausdrücklich hergestellt.25

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HAUG 1971 (LV Nr. 277), S. 48–58. Vgl. ders. 1981 (LV Nr. 281), bes. S. 215f.; ders. 2006 (LV Nr. 288), bes. S. 149. 22 Zitate nach MUIR 1994 (LV Nr. 34), I, S. 241−246; vgl. auch II, S. 520−526; vgl. CHAMBERS 1912 (LV Nr. 175); BRADY 1943 (LV Nr. 160), S. 149−168, bes. S. 149−160; HOWE 1985 (LV Nr. 340), S. 166−191; MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 170, 172f.; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 100–107; HAYMES/SAMPLES 1996 (LV Nr. 298), S. 57−59; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 340; Test. Nr. 38. 23 So HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 340. 24 BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 101–106, diskutiert in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Forschungspositionen die Diskrepanz zwischen der Charakterisierung als wra?es wærlogan und dem sonst positiven Ermanarichbild der Dichtung. 25 HAUBRICHS 2002 (LV Nr. 273), S. 94, sieht im ‹WidsiÞ› einen «Versuch, ein heroic age um die Figur des Ermanarich zu schaffen»; doch bezieht sich das eher auf eine ‹künstliche› zeitliche und lokale 21

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

Im ‹Hildebrandslied›26 stehen sich zwei feindliche Kämpfer – Hildebrand und Hadubrand, Vater und Sohn, wie zunächst nur Sänger und Publikum wissen – zwischen zwei gegnerischen Heeren gegenüber, anscheinend in der Situation von Hildebrands Rückkehr mit einem (hunnischen?) Heer nach langjährigem Exil. Dem Kampf, in dem der Vater, nordischen Zeugnissen des Hildebrandsstoffes nach, den Sohn töten dürfte (der Text bricht vorher ab), gehen Reizreden voraus, die zugleich den Sagenhintergrund andeuten: Hadubrand berichtet von der lange zurückliegenden Flucht Dietrichs und des totgeglaubten Vaters vor Odoaker: forn her ostar giweit, floh her Otraches nid, hina miti Theotrihhe enti sinero degano filu (v. 18f.; ‹Nach Osten einst zog er [Hildebrand]; er floh vor Otackers Haß, zusammen mit Dietrich und vielen seiner Krieger›).

Die Flucht nach Osten führt ins Exil, wo Dietrich auf seinen degano dechisto (‹liebsten Krieger›; v. 26) Hildebrand angewiesen ist. Dass darauf nicht auf den Burgundenuntergang zu schließen ist, in den Dietrich im ‹Nibelungenlied› verstrickt wird und durch den er alle seine Gefolgsleute außer Hildebrand verliert, hat JOACHIM HEINZLE deutlich gemacht: friuntlaos (v. 24) bezeichnet die sozialen Bedingungen des Exils, wo Dietrich keine Verwandten hat, die ihn unterstützen, nicht das Ergebnis eines Amelungenuntergangs.27 Ort und Dauer des Exils werden angedeutet: Hildebrand bietet dem Sohn vergeblich einen Goldreif an, so imo se der chuning gap, / Huneo truhtin (v. 34f.; ‹die ihm der König gegeben, / der Hunnen Herrscher›), wird – offensichtlich mit hunnischer Rüstung und Waffen ausgestattet – von seinem Gegner als alter Hun beschimpft (v. 39) und erwähnt sumaro enti wintro sehstic ur lante (v. 50; ‹30 Jahre, Sommer und Winter [...] in fremdem Land›). Der Hunnenherrscher (später Attila-Etzel) wird noch nicht mit Namen genannt (nicht unwahrscheinlich ist freilich, dass ein frühmittelalterliches Publikum auch ohne Namensnennung Attila, den Hunnenkönig schlechthin, identifiziert hat);28 (rund) dreißig Jahre sind auch anderorts als Dauer von Hildebrands Abwesenheit oder von Theoderichs Herrschaft belegt, für die Dauer von Dietrichs Exil freilich nur schwach.29 Dietrichs Widersacher bei der Jahrzehnte zurückliegenden Vertreibung ist sein historischer Gegner Odoaker. Die Schlacht im Hintergrund der Vater-SohnBegegnung ist durch die Erwähnung der beiden feindlichen Heere angedeutet (dass die beiden Kontrahenten als Vorkämpfer ihrer Heere einen Stellvertreterzweikampf ausfechten, geht

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Konzentration (die Helden sind Zeitgenossen, die meisten von ihnen will der Sänger am Hof Ermanarichs gesehen haben) als auf konkrete Einbindung in eine gemeinsame Sage. Zitate nach HAUG/VOLLMANN 1991 (LV Nr. 49), S. 9–15; vgl. z.B. KUHN 1969 (LV Nr. 403); WAGNER 1980 (LV Nr. 582), bes. S. 212, 222–228; DÜWEL 1981 (LV Nr. 200); MASSER 1984 (LV Nr. 435), S. 640, 643; HEINZLE 1987 (LV Nr. 308); HAUBRICHS 1988 (LV Nr. 267), S. 116−166, passim, bes. S. 147−160; MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 158f., 167f., 170, 176f.; HAUG 1989 (LV Nr. 284), S. 129–144; MEIER 1990 (LV Nr. 441); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 11–14; SCHWAB 2000 (LV Nr. 535); GOTTZMANN 2003 (LV Nr. 244); OHLENROTH 2005 (LV Nr. 479); MILLET 2008 (LV Nr. 454), S. 24−47; Test. Nr. 50. Vgl. HEINZLE 1987 (LV Nr. 308). Vgl. DE BOOR 1932 (LV Nr. 154), S. 10; kritisch z.B. WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), S. 125–132. Vgl. bes. KUHN 1963 (LV Nr. 401); Test. Nr. 52 (Bezug unsicher), 240 (Abwesenheit Hildebrands), 139 (Thidreks Exil), 23, 37, 49, 66, 67, 72, 78, 82, 104, 124, 133, 229, 250, 262, 297, 301, 330 (Theoderich-Dietrichs Herrschaft).

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Der Stoff und die Zeugnisse

aus dem Text freilich nicht hervor; eher ist an eine Begegnung im Vorfeld bzw. am Rand einer Schlacht zu denken). Dass dahinter Dietrichs Rückkehrschlacht steht, wird nicht ausdrücklich gesagt und ist entsprechend umstritten, bleibt jedoch plausibel angesichts von Dietrichs Zug nach Osten und der engen Beziehung zwischen Dietrich und Hildebrand, von Hildebrands Verbindung mit dem Hunnenkönig und der Tatsache, dass er als Hunne verkannt wird. Aus der zeitlichen Distanz von Jahrzehnten zwischen Flucht und Rückkehr, die Hildebrand mit der Zahlenangabe, Hadubrand mit dem Verweis auf seine frühe Kindheit (luttila, barn unwahsan, v. 20f.) aufreißt, und aus der beiderseitigen Unkenntnis der Lebensumstände des anderen kann geschlossen werden, dass seit der Vertreibung kein Kontakt bestand. Hintergrund der Begegnung ist also die erste und einzige Rückkehr Hildebrands (und damit wohl, unausgesprochen, auch Dietrichs), und zwar eine kriegerische Rückkehr; eine Schlacht oder Schlachten zwischen Dietrichs Flucht und Hildebrands Rückkehr nach 30 Jahren werden nicht vorausgesetzt. Der Ausgang der Schlacht im Hintergrund ist nicht erwähnt; andere Zeugnisse für den Vater-Sohn-Kampf situieren ihn im Umfeld von Dietrichs erfolgreicher Rückkehr (etwa die ‹Thidrekssaga› und, freilich recht vage, das ‹Jüngere Hildebrandslied›, Jahrhunderte später). Ohne dass hier letzte Sicherheit zu gewinnen ist, scheint das ‹Hildebrandslied› eine Sagenkonstellation vorauszusetzen, in der Dietrich zusammen mit Hildebrand und anderen Kriegern von seinem historischen Gegner ins Exil nach Osten vertrieben wurde, aus dem er drei Jahrzehnte später mit einem Hunnenheer zur einen entscheidenden (wohl erfolgreichen) Schlacht zurückkehrt.30 Mithin dürften bereits dem althochdeutschen ‹Hildebrandslied› zwar die drei Handlungsbausteine der Fluchtsage zuzuschreiben sein (mit einiger Sicherheit Vertreibung und Exil, wohl auch die Rückkehr), aber nicht zwischengeschaltete Rückkehrversuche und nicht Dietrichs Verwicklung in den Burgundenuntergang. Weder die tragisch-vergebliche Rabenschlacht noch der Amelungenuntergang sind vorauszusetzen – und damit auch nicht der arme Dietrich der Nibelungen- und späteren ‹historischen› Dietrichdichtungen. Dem Deutungsmuster des glücklosen Sieges freilich entspricht der (anzunehmende) heillose Sieg Hildebrands, die tragische Vergeblichkeit der Sohnestötung. Im altenglischen ‹Deor›,31 einem alliterierenden Klage- und Trostlied (42 vv.), das möglicherweise um 850 entstanden, aber, wie ‹WidsiÞ›, erst um die Jahrtausendwende handschriftlich überliefert ist (Exeter Book, um 975/1025), wird in einer Reihe von Beispielfiguren aus der heroischen Dichtung, die nach schwerem Leid wieder Glück erfahren haben, auch ein Ĉeodric erwähnt: Ĉeodric ahte þritig wintra Mæringa burg – þæt wæs monegum cuþ. Þæs ofereode, þisses swa mæg. We geascodan Eormanrices

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Vgl. auch HEINZLE 1987 (LV Nr. 308). Zitate nach MUIR 1994 (LV Nr. 34), I, S. 283–285; vgl. auch II, S. 566–570; Übersetzung nach: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/anglist1/html/deor.html (16.07.2008); vgl. z.B. BRADY 1943 (LV Nr. 160), S. 149−168, bes. S. 149, 161; UECKER 1972 (LV Nr. 568), S. 53, 71; MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 164–166; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 107–110; HAYMES/SAMPLES 1996 (LV Nr. 298), S. 57–59; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 15f.; Test. Nr. 52.

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

wylfenne geþot – ahte wide folc Gotena rices. Þæt wæs grim cyning [...] (v. 14−19; ‹Dietrich besaß dreißig Winter lang die Burg der Märinge; das war vielen bekannt. Das ging vorüber; so mag auch dieses vorübergehen. Wir hörten von Eormanrics wölfischen Gedanken; er beherrschte viel Kriegsvolk im Reich der Goten; das war ein grimmer König›).

Die Anspielung ist kryptisch: Mit Mæringa scheinen Goten gemeint;32 unklar bleibt, warum der Besitz von deren Burg als Beispiel für langes, aber nicht endloses Leiden gelten kann – plausibler als ein Bezug auf Dietrichs Exil wäre wohl der auf Theoderichs dreißigjährige Herrschaft, die ebenso vorübergegangen sei wie die des Eormanric. Die Zeitangabe þritig wintra und das (wenn auch unverbundene) Nebeneinander der Namen Ĉeodric und Eormanric deuten eher auf den Goten- als auf einen gleichnamigen Frankenkönig. Von Vertreibung durch Eormanric ist nicht die Rede, auch wenn der als sinistre Gestalt (grim cyning) und Gewaltherrscher erscheint. Andere Anspielungen bewahren nur Einzelelemente heroischer Traditionen, ohne direkten Bezug zur Fluchtsage: In Alfreds des Großen altenglischer Übertragung von Boethius’ ‹De consolatione Philosophiae› (890/899) könnte nur die Bezeichnung des ansonsten nach klerikaler Tradition dargestellten Theoderich als 'amulinɡ auf volkssprachige heroische Überlieferung zurückgehen.33 Flodoard von Reims gibt in seiner ‹Historia Remensis ecclesiae› (um 950) einen Brief des Erzbischofs Fulco von Reims an den ostfränkischen König Arnulf von Kärnten aus dem Jahr 883 wieder, in dem Fulco vor dem drohenden Untergang der karolingischen Sippe warnt, indem er Ermanarich und die Auslöschung von dessen Geschlecht aufgrund der Einflüsterungen eines treulosen Ratgebers als Schreck- und Warnbild herbeizitiert.34 Ein spezifischer Bezug zur Dietrichsage lässt sich nicht erkennen (die Anspielung zielt wohl eher auf die Tötung des eigenen Sohns, vielleicht auch auf die Vernichtung der Harlungen); angesichts des Vergleichs zwischen Arnulf und Ermanarich dürfte das Hauptgewicht der Aussage nicht auf der Verurteilung des letzteren, also nicht auf dem notorischen Verwandtenfeind, sondern auf der Warnung vor falschen Ratgebern liegen.35 Im altenglischen Heldenepos ‹Beowulf›36 (Datierung umstritten, Hs. um 975/1025) wird angespielt auf einen anscheinend von Hama (Heime) geraubten Schatz (Eormenrics?); Hama erscheint als Opfer von Eormenrics Nachstellungen; dass er sich für sein Seelenheil entschieden habe, kann als

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Regensburger Glossen des 12. Jahrhunderts (vgl. Test. Nr. N12) setzen Gothi und Meranare gleich; möglicherweise ist auch an Meranien zu denken, d.h. Dalmatien, das Reich von Dietrichs Großvater in der ‹Kaiserchronik› (vgl. Test. Nr. 94). SEDGEFIELD 1899 (LV Nr. 3), v. 69; vgl. Test. Nr. 58. Flodoard von Reims, ‹Historia Remensis ecclesiae›, IV,5 (STRATMANN 1998, LV Nr. 35, S. 383); vgl. HAUCK 1963 (LV Nr. 276), S. 125; GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 147−157; UECKER 1972 (LV Nr. 568), S. 72; WAGNER 1980 (LV Nr. 582), bes. S. 217 A. 47; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 73–77; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 340f.; Test. Nr. 61. Vgl. GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 152−154; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 75f. ‹Beowulf› (NICKEL 1976, LV Nr. 14), v. 1198−1201; vgl. z.B. BRADY 1943 (LV Nr. 160), S. 149−168, bes. S. 149, 161f.; GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 34; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 110–114; HAYMES/SAMPLES 1996 (LV Nr. 298), S. 59f.; ORCHARD 2003 (LV Nr. 482), S. 98, 114−116, 119, 169; Test. Nr. 63.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Übertritt zum Christentum verstanden oder möglicherweise mit Heimes Eintritt ins Kloster in der ‹Thidrekssaga›37 verglichen werden, bei dem der einen Schatz mit sich führt. Eine voll ausgebildete Erzählung von Dietrichs Vertreibung, Exil und Rückkehr bieten erst die ‹Annales Quedlinburgenses›38 (Anfang 11. Jh.). Sie vermischen historische Fakten (insbesondere Namensformen) der chronistischen Theoderich-Überlieferung mit Elementen der Svanhild-, Harlungen- und Dietrichsage, ohne dass deren Wahrheitsgehalt in Frage gestellt wird. Ermanricus, Attila, Zeno, Theoderich und Odoaker erscheinen als Zeitgenossen (zur Zeit der Kaiser Marcianus, Anastasius, Iustinus). Ermanricus wird als Verwandtenfeind charakterisiert, der (nach dem von ihm gewollten Tod des einzigen Sohnes Friedrich und der Tötung seiner Neffen Embrica und Fritla) seinen ‹Vetter› Theoderich auf den Rat seines ‹Vetters› Odoaker hin ins Exil zum Hunnenkönig Attila vertrieben habe: Theodoricum similiter, patruelem suum, instimulante Odoacro patruele suo de Verona pulsum apud Attilam exulare coegit (‹Desgleichen zwang er auf Anstiftung seines Vetters Odoaker seinen Vetter Theoderich, nachdem er ihn aus Verona vertrieben hatte, zu Attila ins Exil zu gehen›).39

Ermanricus wird von den Brüdern Hemidus, Serila und Adaccaro aus Rache für die Tötung ihres Vaters verstümmelt und stirbt (Vorgang und Namen stammen aus der Svanhildsage; die Rachemotivation ist umgestaltet). Danach erobert Theoderich mit Attilas Unterstützung sein Reich zurück, besiegt Odoaker in Ravenna und schickt ihn, da Attila gegen die Tötung interveniert, in die Verbannung: Theodoricus Attilae regis auxilio in regnum Gothorum / reductus suum patruelem Odoacrum in Ravenna civitate expugnatum interveniente Attila, ne occideretur, exilio deputatum [...] (‹Theoderich, mit der Hilfe König Attilas ins Gotenreich zurückgeführt, besiegte seinen Vetter Odoaker in der Stadt Ravenna und schickte ihn, da Attila einschritt, dass er nicht getötet werde, in die Verbannung [...]›).40

Auch das Sagengeschehen wird hier explizit dem Gotenkönig Theoderich zugeschrieben, während in der volkssprachigen Überlieferung die Goten kaum vorkommen. Theoderichs Herrschaft wird dann nach der gelehrt-klerikalen Tradition wiedergegeben. Die ‹Quedlinburger Annalen› sind der erste eindeutige Beleg für die Verbindung von Ermanarich-41 und Dietrichsage und der Erstbeleg für Dietrichs Exil bei dem namentlich genannten Attila (der trotz seiner Unterstützung für den Gotenkönig freilich in der typischen Stilisierung der Chronistik als Geißel Europas erscheint).42 Der historische Gegner Theoderichs, Odoaker (hier

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Vgl. BERTELSEN 1905/1911 (LV Nr. 93), II, S. 375f. Vgl. GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 158−188; WAGNER 1980 (LV Nr. 582), S. 227; GSCHWANTLER 1984 (LV Nr. 257); MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 169–176; HAUBRICHS 1989 (LV Nr. 268), S. 190f.; BELZER 1993 (LV Nr. 141), S. 77–99, bes. S. 81; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 346−349; MÜLLER 2000 (LV Nr. 469), bes. S. 365−376; HÄNDL 2003 (LV Nr. 262); GIESE 2004 (LV Nr. 11), bes. S. 104, 111−115; KRAGL 2007 (LV Nr. 391), S. 71; Test. Nr. 69. ‹Annales Quedlinburgenses› (GIESE 2004, LV Nr. 11), S. 410. Ebd., S. 411. Vgl. bes. BOER 1910 (LV Nr. 152); BRADY 1943 (LV Nr. 160); BELZER 1993 (LV Nr. 141). Vgl. auch WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), S. 142f.

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

Ermanricus’ Vetter, entsprechend der Tendenz der Sage, Zusammenhänge durch Verwandtschaft herzustellen), ist als böser Ratgeber und Anstifter zur Vertreibung in der Rolle beteiligt, in der später Sibeche belegt ist (der einzige ältere Beleg für den Namen Sibeche, ‹WidsiÞ›, enthält keinen Hinweis auf die Verräterrolle). In der einen erfolgreichen Rückkehrschlacht nach unbestimmter Exildauer kämpft Theoderich bei Ravenna gegen Odoaker; die Eroberung Italiens erscheint damit als legitime Rückeroberung;43 die historische Tötung des Gegners wird aber (singulär) vermieden. Das ‹Chronicon Wirciburgense› (um/nach 1057) übernimmt die Passage von Theoderichs Vertreibung und Exil und von Ermanarichs Tod fast wörtlich aus den ‹Annales Quedlinburgenses›, erzählt aber von der Eroberung Italiens (ohne Attilas Unterstützung, doch mit Tötung Odoakers) nicht im Kontext der Rückkehr aus dem hunnischen Exil, vielmehr in der üblichen Berichtssequenz der lateinischen Chronistik im Anschluss an Theoderichs Aufenthalt in Konstantinopel.44 Weitere Belege des 11. Jahrhunderts bewahren nur Einzelmotive, zum Teil ohne expliziten Bezug zur Fluchtsage: Vulculds ‹Vita Bardonis›, die Lebensbeschreibung des Erzbischofs Bardo von Mainz (nach 1051), spielt auf Sibeche als (sprichwörtlich) treulosen Ratgeber an, ohne spezifischen Bezug zur Harlungen- oder Dietrichüberlieferung.45 In Meinhards von Bamberg berühmtem Brief (1061/1063), der das Interesse seines Bischofs Gunther an Attila und dem Amelungen (Dietrich von Bern) tadelt, lässt nur die Verbindung der Namen tendenziell auf einen Bezug zur Exilsage schließen.46 Die bekannte Glosse im Clm 18140 (3. Viertel 11. Jh.) zu Gregors des Großen ‹Dialogi›, Ermanric als Vergleichsfigur für den Westgotenkönig Leovigildus, der seinen eigenen Sohn hatte hinrichten lassen, verweist auf Ermanarich als exemplarischen Verwandtenfeind.47 Das hat nur insoweit Bezug zur Dietrichüberlieferung, als das Rollenstereotyp des Verwandtenfeinds andernorts auch die Vertreibungshandlung motiviert und als Ermanarichs unväterliches Handeln gegenüber dem eigenen Sohn auch in späteren Dietrichdichtungen (‹Thidrekssaga›, ‹Dietrichs Flucht›) eine Rolle spielt. Frutolf von Michelsberg (‹Chronicon universale›, um 1098/1099, bis 1101 annalistisch weitergeführt) integriert die aus dem ‹Chronicon Wirciburgense› bekannten Elemente der Fluchtsage (Dietrichs Vertreibung durch Ermanarich auf den Rat des Odoaker hin und das

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Ähnliches gilt auch für Hugos von Fleury ‹Historia ecclesiastica› (1109/1110), die keine Sagenelemente enthält (zum Text vgl. bes. ZIMMERMANN 1972, LV Nr. 617, S. 14, 107f., 221f. [Text], 257; Test. Nr. 85): Dadurch, dass Theoderich (den Hugo mit dem gleichnamigen Westgotenkönig verwechselt) bereits vor seinem Aufenthalt in Konstantinopel die Eroberung von Teilen Italiens zugeschrieben ist, erscheint die Eroberung Italiens in Zenos Auftrag in gewisser Weise als Rückgewinnung. ‹Chronicon Wirciburgense› (WAITZ 1844, LV Nr. 19), hier S. 23f.; vgl. bes. GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), bes. S. 192−206; ders. 1984 (LV Nr. 257), bes. S. 146−149, 161−164; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 349f.; MÜLLER 2000 (LV Nr. 469), bes. S. 377−379; KRAGL 2007 (LV Nr. 391), S. 71; Test. Nr. 73. Vulculd, ‹Vita Bardonis› (WATTENBACH 1854, LV Nr. 102), S. 321; vgl. Test. Nr. 71. ERDMANN/FICKERMANN 1950 (LV Nr. 33), Nr. H 73, S. 120f.; vgl. Test. Nr. 74. STEINMEYER/SIEVERS 1882 (LV Nr. 89), S. 257; vgl. bes. HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 341f.; Test. Nr. 75.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Exil bei den Hunnen) in die Gotengeschichte nach Jordanes.48 Wirkungsmächtig wird Frutolfs Sagenkritik: Er verweist als erster auf chronologische Widersprüche zwischen der Darstellung des Jordanes und sagenhafter Überlieferung, wie sie auch manche Chroniken bestimme; Ermanarich, Attila und Theoderich würden dort als Zeitgenossen dargestellt, was mit Jordanes’ Bericht unvereinbar sei. Vorsichtig erwägt Frutolf allerdings auch, dass Jordanes sich irren könne oder dass es sich (wie das später die ‹Kaiserchronik› realisiert, siehe unten) um unterschiedliche Personen gleichen Namens handeln könne.49 Die Sage wird durchaus als potentielles Zeugnis ernst genommen. Ottos von Freising ‹Chronica sive Historia de duabus civitatibus› (1143–1146) bietet neben der chronistischen Theoderich-Tradition und zwei Versionen von Theoderichs Ende (Vulkansturz und Höllenritt) zur Fluchtsage nur die anachronistische Verbindung von Ermanarich, Attila und Theoderich und die gegenüber Frutolf noch verschärfte Kritik an deren angeblicher Zeitgenossenschaft.50 Die ‹Kaiserchronik› (17 283 vv. in Rezension A; um 1140/1150?) transponiert Sagenkritik erstmals in die Volkssprache. Auch hier bezieht sich die Kritik auf die anachronistische Zeitgenossenschaft von Attila und Theoderich, die durch kein Buch zu belegen sei und als Lüge gebrandmarkt wird (v. 14 176–14 187).51 In der Dietrich-Episode (v. 13 840–14 192) wird Dietrich von Bern selbst zwar fast vollständig auf den Theoderich der chronistischen Überlieferung zurechtgestutzt (v. 13 895–14 192); doch ist der Fluchtsage Rechnung getragen, indem ihre entscheidenden Stationen (Flucht – Exil – Rückkehrschlacht) in die Generationen von Dietrichs Vater und Großvater verlegt werden: Dietrichs gleichnamiger Großvater verliert im Konflikt mit Etzel sein Land und flieht zu Verwandten nach Lancparten (v. 13848); sein Sohn und Nachfolger Dietmar kämpft, um seine Herrschaft über das angestammte Reich zu behaupten, nach Etzels Tod gegen dessen Söhne, die beide in der Schlacht fallen (v. 13 856– 13 892). Abläufe, Personenkonstellationen und Raumstrukturen folgen zwar nicht der sagenmäßigen Ausprägung (gestaltet sind eine Flucht vor, nicht zu Etzel; nicht angestammte Herrschaft, sondern ein Exil in Italien; eine Schlacht nicht gegen den Vertreiber, sondern gegen Etzels Söhne); aber die narrative Orientierung an Erzählmustern der Fluchtsage (Exil, Rückkehrschlacht) ist dennoch unverkennbar.

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Frutolf, ‹Chronicon universale› (WAITZ 1844, LV Nr. 38), bes. S. 130f.; vgl. bes. GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 219−231; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 14, 101–105, 205–219 (Text), 257; GSCHWANTLER 1984 (LV Nr. 258); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 21; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 350−353; MILLET 2000 (LV Nr. 452), S. 262−264; Test. Nr. 83. Frutolf, ‹Chronicon universale› (WAITZ 1844, LV Nr. 38), S. 130. Otto von Freising, ‹Chronica sive Historia de duabus civitatibus›, bes. V,3 (HOFMEISTER 21912, LV Nr. 74, S. 232); vgl. bes. GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 84, 232−235; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 14, 116–119, 225–227 (Text), 257; GSCHWANTLER 1988 (LV Nr. 259), S. 37−42; MILLET 2000 (LV Nr. 452), bes. S. 264−266; Test. Nr. 93. ‹Kaiserchronik›-Zitate nach SCHRÖDER 1895 (LV Nr. 53), bes. S. 333−338; vgl. bes. OHLY 1968 (LV Nr. 480), bes. S. 144−147, 218−224; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 14, 135–140, 237–241 (Text), 257; KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 97, 99, 100 und passim; GSCHWANTLER 1988 (LV Nr. 259), S. 45−56; MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 163f.; STACKMANN 1988 (LV Nr. 546); HELLGARDT 1995 (LV Nr. 321); BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), hier S. 129−134; MILLET 2000 (LV Nr. 452), bes. S. 267−269; WOLF 2004 (LV Nr. 600); KRAGL 2007 (LV Nr. 391), S. 88−91; Test. Nr. 94.

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

Thiodericus von Deutz bezeugt im ‹Chronicon universale brevissimum›52 (um 1160/1164) Erzählungen und Heldenlieder von Attila, Ermenricus und Theodericus; (nur) die charakteristische Zusammenstellung der Namen verweist auf die Fluchtsage. Im Gedichtzyklus ‹Quirinalia› des Metellus von Tegernsee wird ein (volkssprachiges) Heldenlied von Roger (Rüdiger von Bechlarn?) und Tetricus (Dietrich von Bern) erwähnt: [...] Carmine Teutonibus celebri, Inclita Rogerii comitis Robore seu Tetrici veteris (‹[...] durch ein bei den Deutschen berühmtes Lied über die Stärke des Grafen Roger [Rüdiger] oder 53 des alten Dietrich›).

Es scheint dies der erste Hinweis zu sein auf eine Verbindung Dietrichs mit Rüdiger, seinem späteren Helfer im Exil. Ob ‹König Rother› (um 1160/1170), dessen Held als angeblicher Exilant Thi[e]derich in Konstantinopel um Kaiser Konstantins Tochter wirbt,54 als Zeugnis der Dietrichsage gelten kann, ist fraglich; auffällig ist allerdings die Verbindung des Namens Dietrich mit dem Exilmotiv.55 Auf keine spezielle Ausprägung der Dietrichsage beziehen lassen sich die Anspielungen in Eilharts von Oberg ‹Tristrant› (um 1175/1180?) und in Heinrichs von Veldeke ‹Eneas› (um 1170/1174–1185). Die beiden Texte vertreten den in den Folgejahrhunderten häufigen Typus des rhetorischen Gebrauchs von Dietrichsagennamen als Exempelfiguren und Vergleichsgrößen: von Helden wie Dietrich und Hildebrand für Kampfkraft (Eilhart),56 von Schwertern wie Eckesachs, Mimming, Nagelring für die Qualität von Waffen (Veldeke).57 Die Namen sind innerhalb der Dietrichsage unspezifisch (Dietrich und Hildebrand) oder eher für die spätere aventiurehafte Dietrichüberlieferung charakteristisch (die Schwertnamen). Als Sagenzeugnis höchst fraglich sind eine Namensübereinstimmung und mögliche Formulierungsanklänge an die ‹historische› Dietrichepik bzw. deren Vorstufen in Heinrichs ‹Reinhart Fuchs› (um

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Thiodericus von Deutz, ‹Chronicon universale brevissimum› (HOLDER-EGGER 1883, LV Nr. 96), hier S. 573; vgl. bes. ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 14, 119, 228 (Text), 257; GSCHWANTLER 1992 (LV Nr. 260), S. 50–53; KNAPP 1997 (LV Nr. 375), S. 164; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 355f.; MILLET 2000 (LV Nr. 452), S. 264; Test. Nr. 97. Metellus von Tegernsee, ‹Quirinalia›, Ode Nr. 30, v. 8−10 (JACOBSEN 1965, LV Nr. 62, S. 246f.); Übersetzung nach REICHERT 1996 (LV Nr. 494), S. 255; vgl. ferner z.B. WOLF 1995 (LV Nr. 598), S. 319; MILLET 2000 (LV Nr. 452), S. 273; Test. Nr. 99. ‹König Rother› (STEIN/BENNEWITZ 2000, LV Nr. 83), v. 820, 901 u.ö.; vgl. GILLESPIE 1974 (LV Nr. 234), bes. S. 249; KLEIN 1985 (LV Nr. 365), S. 490−512; REICHERT 1996 (LV Nr. 494), S. 241f., 249. Dass beim Freund des Helden in Konrads von Würzburg ‹Engelhard› Nachbenennung nach Dietrich von Bern (wegen dessen triuwe) vorliege (so HELLGARDT 1995, LV Nr. 321, S. 100), dürfte eher fraglich sein; Charakteristisches wie das Exilmotiv fehlt. Eilhart, ‹Tristrant› (BUSCHINGER 1995, LV Nr. 30), v. 6207–6211 [5973–5978]; vgl. Test. Nr. 101. Veldeke, ‹Eneas› (ETTMÜLLER/KARTSCHOKE 1997, LV Nr. 44), 160,20–25/v. 5726−5731; vgl. z.B. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 34; ders. 1974 (LV Nr. 234), S. 255−258, bes. S. 255f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 120f.; MILLET 2000 (LV Nr. 452), S. 273f.; Test. Nr. 103; LIENERT 2009 (LV Nr. 421).

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Der Stoff und die Zeugnisse

1180/1185), wo der Hirsch, anders als in der altfranzösischen Vorlage, den Namen Randolt trägt (vgl. Randolt von Ankowe, Bote Ermrichs und Warner Dietrichs, DF v. 2664 u.ö.?), aber abweichend von der 58 Quelle nicht mehr als Bote zu Renart fungiert.

Im zweiten Teil des ‹Nibelungenlieds›59 (1191/1204) gehört Dietrich von Bern als vertriebener König zu den ‹germanischen› Fürsten am Hof des Hunnenkönigs Etzel, der nicht mehr als Schrecken Europas, sondern als freigebiger Völkerhirte und Zuflucht von Verbannten dargestellt ist. Der Text setzt die Exilsituation der Fluchtsage voraus (Vertreibung und Vertreiber selbst sind nicht erwähnt), weist Dietrich aber auch eine eigene Handlungsrolle im Burgundenuntergang zu. Der Berner ist mit Herrad, der Nichte von Etzels erster Frau Helche, verlobt (NL Str. 1381) und steht (unmotiviert, wegen der später bezeugten sagenmäßigen Verbundenheit mit Helche?) in gespanntem Verhältnis zu Kriemhild: Dietrich warnt die Burgunden vor der Rache der Königin, tritt dieser offen feindselig entgegen und lehnt es ab, sich für ihre Pläne einspannen zu lassen (NL Str. 1723–1749); doch rettet er das hunnische Königspaar, als nach dem Massaker an den burgundischen Knappen der Kampf im Saal ausbricht (NL Str. 1983–1995). Mit Rüdiger, dem er und seine Recken unbestimmt verpflichtet sind (NL 2246,3f.), steht er in einer nicht näher spezifizierten, doch auf das gemeinsame Exil zurückgeführten Verbindung. Ob an den von Wolfhart erinnerten Schlachten Rüdigers für Etzel (NL 2260,2f.) Dietrichhelden beteiligt waren (wie in der ‹Nibelungenklage›, vgl. S. 39), bleibt offen.60 In den Vernichtungskämpfen bleibt Dietrich lange neutral; anders als Rüdiger steht er nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Etzel, das ihn zwingt einzugreifen. Noch nach Rüdigers Tod untersagt Dietrich seinen kampflustigen Gefolgsleuten den Griff zu den Waffen (NL Str. 2238–2240 und ff.), allerdings vergeblich. Durch wechselseitige Provokationen zwischen Wolfhart und Volker kommt es zum Kampf zwischen Burgunden und Amelungen, bei dem Dietrich außer Hildebrand all seine Leute verliert (NL Str. 2260– 2323). Der Berner beklagt seine Lage als gottverlassener armer Dietrich (bes. NL Str. 2319): er sprach: «und sint erstorben alle mîne man, sô hât mîn got vergezzen, ich armer Dietrîch. ich was ein künec hêre, vil gewaltec unde rîch» (NL 2319,2−4). Der Verlust seiner Krieger bedeutet für ihn das Ende seiner Königsmacht. Dennoch strebt er gegenüber den überlebenden Burgunden, Gunther und Hagen, rechtlichen Ausgleich an – vergeblich: Hagen besteht auf Kampf (NL Str. 2324–2347). Dietrich siegt, nimmt Hagen und Gunther gefangen und liefert sie, mit der Bitte um Schonung, weinend an Kriemhild aus (NL Str. 2348–2365). Dieser Sieg ist doppelt glücklos: Dietrichs unermessliche Verluste bleiben unwiederbringlich; Kriemhild setzt sich über Dietrichs Bitte, die Gegner zu schonen, hinweg. Nachdem die Königin Gunther hat töten lassen und Hagen eigenhändig enthauptet hat und dafür von Hildebrand in Stücke gehauen wurde (in ‹Thidrekssaga› und ‹Heldenbuch-Prosa›

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‹Reinhart Fuchs› (DÜWEL 1984, LV Nr. 80), v. 1105; vgl. bes. BÄRMANN 2001 (LV Nr. 128), hier bes. S. 375–379, auch S. 379–384; vgl. ferner GILLESPIE 1974 (LV Nr. 234), S. 253f.; Test. Nr. N16. Vgl. bes. HAYMES 1985 (LV Nr. 295); STEIN 1987 (LV Nr. 550); CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), bes. S. 386–390; GÖHLER 1992 (LV Nr. 239); HEINZLE 1995 (LV Nr. 313); SCHULZE 1997 (LV Nr. 530), bes. S. 230, 246, 252f.; MÜLLER 1998 (LV Nr. 463); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), bes. S. 24f., 62−66, 184−187, 197−200; Test. Nr. 109. Vgl. auch CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 388.

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

ist das Dietrichs Werk), steht der Berner zusammen mit Etzel klagend vor den Trümmern seiner Welt (NL Str. 2369–2377). Dietrichs Amelungen tragen Namen, die auch in anderen Heldenepen vorkommen, zum Teil verbunden mit den gleichen Attributen und Handlungsrollen, in erster Linie der alte Waffenmeister Hildebrand und der kampflustige, ehrversessene Draufgänger Wolfhart, die beide auch in den drei ‹historischen› Dietrichepen sowie in ‹Dietrich und Wenezlan› agieren, daneben Helmnôt, Helpfrîch, Ritschart, Sigestap, Wolfprant, Wolfwîn; von diesen erscheint Helpfrîch auch in allen drei ‹historischen› Dietrichepen; in ‹Alpharts Tod› begegnen darüber hinaus Ritschart (Rychart), Sigestap (Segenstap) und Wolfwîn.61 Für die meisten Dietrichheldennamen ist das ‹Nibelungenlied› der Erstbeleg; doch dürften sie nicht erst hier erfunden sein: Sie werden eingeführt, als seien sie bekannt; alte Kataloge dürften den Namenlisten jedoch nicht zugrunde liegen.62 Darüber hinaus sind weitere Heldensagenanspielungen eingespiegelt, aus dem Bereich der ‹historischen› Dietrichüberlieferung die von Rüdigers Frau Gotelind trauernd erinnerte Tötung des Nuodunc durch Witege (NL 1699,3f.); sie wird nicht näher erläutert (Sagenkenntnis ist offensichtlich vorausgesetzt), beschwört aber mit Witege als Töter junger Helden wohl eine RabenschlachtReminiszenz herauf. In ‹Biterolf und Dietleib› ist Nuodunc Rüdigers Sohn, in der ‹Thidrekssaga›, wo er tatsächlich in der (der Rabenschlacht entsprechenden) Gronsport-Schlacht zusammen mit den Hunnenprinzen und Dietrichs Bruder durch Widga/Witege fällt, Gudilindas/Gotelinds Bruder. Gleichwohl ist methodisch Vorsicht angebracht, da es vor der ‹Nibelungenklage› kein eindeutiges Zeugnis für den Tod der Helchesöhne oder die Rabenschlacht gibt. Die ‹Nibelungenklage›63 (1191/1204) enthält, ähnlich wie das ‹Nibelungenlied›, Reminiszenzen an die Fluchtsage (ergänzt um Hinweise auf Kämpfe von Dietrichhelden während des Exils in Etzels Dienst: Kl *B v. 1728f.64); verglichen mit dem ‹Nibelungenlied› kommen die in der Dietrichepik belegten Helden Nêre, Nîtgêr und Wîcnant hinzu. Dietrich sorgt in der ‹Nibelungenklage› dafür, dass das Leben weitergeht. Er organisiert Bergung und Bestattung der Toten sowie die Benachrichtigung der Hinterbliebenen; ein Großteil der ausgiebigen Totenklagen ist ihm in den Mund gelegt (auch um die toten Dietrichhelden, insbesondere Wolfhart, Kl *B v. 1667–1750, und um Rüdiger, Kl *B v. 1973–2037). Dietrich tadelt – gegenläufig zu seiner eigenen Rolle in der späteren ‹historischen› Dietrichepik – Etzel für maßloses Klagen und Tatenlosigkeit (Kl *B v. 852–857, 1041–1064) und wird seinerseits, wie in der ‹historischen› Dietrichepik üblich, von Hildebrand zu pragmatischem Umgang mit dem Leid gemahnt.65 Auf den Rat des alten Waffenmeisters hin bricht Dietrich mit ihm und Herrad zur (friedlichen) Rückkehr nach Italien auf (Kl *B v. 4114–4279). Unterwegs tröstet Dietrich Rüdigers Tochter Dietlind, während Etzel in geistige Umnachtung verfällt und Bischof Pilgrim die Ereignisse aufzeichnen lässt. Zu Dietrichs gegenüber dem ‹Nibelungenlied› ausgebauter Handlungsrolle in der ‹Nibelungenklage› passt es, dass auch die Reminiszenzen an die Fluchtsage sich nicht in der aus dem ‹Nibelungenlied› vorausgesetzten Exilsituation

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Vgl. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233); MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 289–292. Vgl. ebd., S. 291. Vgl. bes. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), bes. S. 390–395; BUMKE 1996 (LV Nr. 171), bes. S. 482f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 25−27; Test. Nr. 110. Vgl. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 394. Vgl. auch ebd., S. 392f.

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Der Stoff und die Zeugnisse

erschöpfen. Im Nachruf auf Rüdiger erinnert Dietrich daran, dass der Tote im Exil in kritischer Situation seine Stütze war: «[...] do ich den vîanden mîn muose rûmen mîniu lant, die triuwe ich ninder dô vant wan an dir einem, Rüedegêr! Ezel der künec hêr was mir sô vîentlîche gram, daz ez niemanne zam, der mir daz gehieze, daz er mich leben lieze. dô reit ich ûf den trôst dîn zuo den widerwinnen mîn. [...] Dô erwürbe du mir hulde, daz Ezel mîner schulde alsô grôzer vergaz. mit triuwen taete du daz. [...]» (Kl *B v. 1986–2004). Zweifellos liegt hier eine Reminiszenz an den Tod der Etzelsöhne in der Rabenschlacht vor; nur so lassen sich Dietrichs Schuld und Etzels Feindschaft erklären. In diesem Konflikt hat Rüdiger offensichtlich (wie in der erhaltenen ‹Rabenschlacht›) die Versöhnung vermittelt. Nicht ganz klar ist der Beginn der Anspielung: do ich den vîanden mîn / muose rûmen mîniu lant (Kl *B v. 1986f.) dürfte sich auf eine Situation beziehen, in der Dietrich zum Verlassen seines Landes gezwungen worden war (wodurch, ist nicht gesagt), nicht erst auf den Ausgang einer späteren Rückkehrschlacht. Man kann aber nicht, wie HERMANN SCHNEIDER,66 daraus schließen, dass die ‹ursprüngliche› Rabenschlacht vor dem Gang ins Exil stattfand, in Transformation von Theoderichs historischem Sieg bei Ravenna in eine das Exil begründende Niederlage (wie wäre da die Beteiligung der Hunnenprinzen zu erklären?). Auffällig ist allerdings in der Tat, dass der eine Gang ins Exil in der ‹Klage›Passage unmittelbar mit Etzels Feindschaft (also einer Rabenschlacht-Reminiszenz) gekoppelt ist. Die einfachste Erklärung ist freilich, dass in Dietrichs Erinnerung zwei Situationen verschmelzen: Rüdigers Unterstützung bei seiner Ankunft im Exil (Kl *B v. 1986–1989, wie in DF v. 4684–4908 und ff.) und, unbestimmte Zeit später, die durch Rüdiger vermittelte Versöhnung nach dem Tod der Hunnenprinzen.

Dietrich vertritt in der ‹Nibelungenklage› zunehmend – verstärkt auch gegenüber dem ‹Nibelungenlied›, wo er ansatzweise bereits eine «Gegenrolle»67 zur fatalen Heroik eines Hagen oder Wolfhart eingenommen hatte – ein nicht mehr heroisches, sondern pragmatisches Heldenideal, das auf Über- und Weiterleben abzielt statt auf eine Ehre, die den eigenen Untergang in Kauf nimmt. Von dieser pragmatischen Ausrichtung ist auch die Rolle des armen Dietrich betroffen, die die ‹Nibelungenklage› aus dem ‹Nibelungenlied› übernimmt, vor allem in den Totenklagen um die gefallenen Dietrichhelden, die als eine Ausweitung der

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SCHNEIDER 1913 (LV Nr. 517), S. 365f. KUHN 1969 (LV Nr. 403), S. 138.

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ersten, die Rolle ausprägenden Klage des armen Dietrich verstanden werden können. Zum einen wird das erlittene Unheil konkretisiert, indem die politisch-militärischen Folgen des Verlusts der Amelungen direkt benannt werden: Dietrich hat die Krieger verloren, die ihm zur Wiedererringung seiner êre, d.h. seiner Königsmacht in Oberitalien, hätten verhelfen können: «[...] si sint mir alle erslagen tôt, die mir dâ helfen solden und mich bringen wolden wider an mîn êre. jâ riuwent si mich sêre, die nôtgestallen mîne. Jâ maht du, künec, die dîne vil wol überwinden. du maht noch manigen vinden, der dich niht under wegen lât. umbe mich ez leider anders stât, als du maht hie selbe schouwen. jâ ligent si verhouwen, gevallen tief in daz bluot, die durch mich lîp unde guot sazten ûf die wâge [...]» (Kl *B v. 1046–1061). Zum anderen legt der Berner die Rolle des armen Dietrich trotz seiner Verluste insofern wieder ab, als er, von Hildebrand gedrängt, nach Italien aufbricht, auch wenn die Ankunft selbst nicht erzählt wird: dô wolde ouch wider in sîn lant her Dietrîch von Berne (Kl *B v. 4114f.); ir gezoges was niht mêre, niwan diu magt hêre [Herrad] und die einen zwêne man, und daz ein soumaere mit in dan truoc: vrouwen Herrâten kleit (Kl *B v. 4213–4217). Die auffällige Übereinstimmung dieses unkriegerischen Aufbruchs mit der ‹Thidrekssaga› (vgl. S. 53) deutet darauf, dass die ‹Nibelungenklage› hier auf eine vorgegebene Sagenversion von Dietrichs Heimkehr rekurriert. Allerdings ist (indirekter) Einfluss der ‹Nibelungenklage› auf die ‹Thidrekssaga› wohl nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen. In den folgenden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts dominieren wieder Anspielungssplitter auf einzelne Sagenzüge, zumeist Sagennamen: Namen sind tendenziell Erinnerungskerne, an die sich Sachverhalte oder Verhaltensprinzipien heften können, oft lange bevor kohärente Erzählungen überliefert sind. So genügen schon winzige Andeutungen oder bloße Namensnennungen, um die typische Rolle Ermrichs, Sibeches oder Wolfharts aufzurufen. Die rhetorische Vorliebe für Vergleichsfiguren (auch aus der Heldensage) trägt ebenfalls zur Präferenz für Namen bei. Da Ermrich und Sibeche in Svanhild-, Harlungen- und ‹historischer› Diet-

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richsage, Wolfhart in ‹historischer› und aventiurehafter Dietrichüberlieferung, aber auch in den Nibelungendichtungen, prinzipiell die gleichen Rollenstereotype erfüllen (Verwandtenfeind, treuloser Ratgeber, kampflustiger Draufgänger), lässt sich der genaue Sagenkontext in der Regel nicht rekonstruieren. Walther von der Vogelweide etwa unterstreicht im Fragment einer Sangspruchstrophe im Leopoldston (C. 55,VII,7)68 (um 1202/1203 oder 1205/1208?) die Warnung vor bösen Ratgebern mit einer Anspielung auf Sibeche – wie die meisten Zeugnisse für Sibeche als (oft sprichwörtlich) treulosen Verräter ohne spezifischen Bezug zu Harlungen- oder Fluchtsage. Entsprechendes gilt in den folgenden Jahrzehnten auch für die Sibeche-Anspielungen in Richalms von Schöntal ‹Liber revelationum›69 (1216/1219) und in zwei Sangspruchstrophen Reinmars von Zweter70 (um 1230/1250). Wolframs von Eschenbach Verweise auf Heldensage im ‹Parzival›71 (um 1200–1210) setzen ebenfalls bei Namen an, freilich in höherer Dichte und Komplexität: Erwähnt sind der Küchenmeister Rumolt bereits aus einer schriftlichen Fassung des ‹Nibelungenlieds› (ob aus der *B- oder der *C-Fassung, ist umstritten) sowie Wolfhart und Sibeche aus vermutlich mündlicher Dietrichüberlieferung. In der Auseinandersetzung zwischen Kingrimursel und Liddamus über adäquates Adels- und Fürstenverhalten zieht Herzog Liddamus, ein skrupelloser und pragmatischer Realpolitiker, neben anderen Figuren Wolfhart und Sibeche als Maßstäbe für sein eigenes Verhalten heran. Verworfen werden mit Wolfhart die heroischen Verhaltensmuster von Tapferkeit und Gewaltbereitschaft, für die der Dietrichheld im ‹Nibelungenlied›, aber auch in aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichüberlieferung steht, auch ohne dass das ausdrücklich betont werden muss: «[...] ich wil durch niemen mînen lîp verleiten in ze scharpfen pîn. waz Wolfhartes solt ich sîn? [...]» (Pz. 420,20–22). Als nachahmenswert erscheinen unheroische Figuren, neben dem bequemen Rumolt Sibeche, der, obwohl keinesfalls ein tapferer Kämpfer, von König Ermrich Macht und Reichtum erhalten habe: «[...] Sibche nie swert erzôch, er was ie bî [den] dâ man vlôch: doch muose man in vlêhen, grôz gebe und starkiu lêhen enpfienger von Ermrîche genuoc: nie swert er doch durch helm gesluoc [...]» (Pz. 421,23–28).

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Vgl. Test. Nr. 111. Vgl. Test. Nr. 118. ROETHE 1887 (LV Nr. 81), Sprüche 122 und 203, S. 473, 512; vgl. auch Test. Nr. 127. Vgl. bes. GILLESPIE 1989 (LV Nr. 237); DRAESNER 1993 (LV Nr. 199), bes. S. 323−325, 330f.; BUMKE 82004 (LV Nr. 172), bes. S. 11, 84f.; Test. Nr. 112.

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Wolfram lässt Liddamus Feigheit und Macht des Sibeche erläutern und spart das eigentliche Rollenstereotyp des treulosen Ratgebers aus, das u.a. etwa gleichzeitig bei Walther von der Vogelweide und wenig später bei Reinmar von Zweter als bekannt bezeugt ist: zugleich komische Selbstentlarvung des Sprechers und eine Herausforderung für Sagenwissen und Bewertungskompetenz der Rezipienten. Die Zusammenstellung von Wolfhart und Sibeche deutet darauf, dass tatsächlich Konstellationen der ‹historischen› Dietrichsage aufgerufen sind; denn nur in diesem Kontext sind beide Gestalten bezeugt. Dass Sibeche zu denen gehört, die feige die Flucht ergreifen, entspricht den Schlachtschilderungen der späteren ‹historischen› Dietrichepen, wo der treulose Ratgeber zur Flucht aus dem belagerten Raben rät (DF v. 6869ff.), mit Ermrich aus der Schlacht von Bologna (DF v. 9794) und in ‹Alpharts Tod› (trotz Kampfaufrufen im Vorfeld, AT v. 1650f./414,3f.; v. 1680–1687/Str. 422f.) mit Ermrich, Witege und Heime aus der Entscheidungsschlacht vor Bern flieht (AT v. 1815– 1817/455,4–456,2); in der ‹Rabenschlacht› wird er auf der Flucht von Eckehart gefangen (RS Str. 860). (In der ‹Thidrekssaga› dagegen zieht sich Sifka, dort auch einer von Ermanriks Heerführern, bei Gronsport erst in fortgeschrittener Schlacht zurück; in der letzten Schlacht vor Thidreks Rückkehr flieht er nicht, sondern fällt.) Ein spezifischer Bezug zu einer bestimmten Kampfsituation besteht nicht (konkrete Ausprägungen der Sagentradition, die später in die ‹historische› Dietrichepik eingeht, und damit konkrete Bezugspunkte für Wolfram sind im Feld der Mündlichkeit nicht auszumachen); doch dürfte der Rückschluss auf Fluchtsituationen in Dietrichs Schlachten gegen Ermrich und Sibeche erlaubt sein. Mithin setzt Wolframs ‹Parzival› neben dietrichepischen Rollenstereotypen auch Dietrichs kriegerische Auseinandersetzung mit Ermrich voraus (ob als Rückkehrschlacht[en] nach der Vertreibung wie in den Fluchtepen oder als erfolgreiche Abwehrschlacht wie in ‹Alpharts Tod›, lässt sich nicht entscheiden). Ob Wolframs Komik so weit geht, dass er Rezipientenwissen um Sibeches Gefangennahme während der Flucht nach der Rabenschlacht voraussetzt, dass Liddamus sein Handlungsvorbild (und damit sich selbst) also demontiert, indem er es aufruft, lässt sich nicht rekonstruieren; das raffinierte Ineinander von Aussparen und Anzitieren des zweifelsohne bekannten Rollenstereotyps des treulosen Ratgebers, mit dem Liddamus sich disqualifiziert, rückt das zumindest in den Bereich des Möglichen. Im ‹Willehalm›72 (um 1210/1220?) lässt Wolfram nicht seine Figuren, sondern den Erzähler Personal der ‹historischen› Dietrichepik als Vergleichsgröße anführen: swaz man von Etzelen ie gesprach und ouch von Ermenrîche, ir strît wac ungelîche. ich hoere von Witegen dicke sagen, daz er eines tages habe durhslagen ahtzehen tûsent als einen swamp, helme [...] (Wh. 384,20–26). Kämpfe Ermrichs und Etzels dürften wohl, in dieser fluchtsagenspezifischen Verbindung der Namen, Kämpfe für und gegen Dietrich meinen; die Anspielung auf Witeges Ruf als Massenschlächter kann sich nur auf Heldentaten im Krieg beziehen, wie sie mit ähnlichen Gefal-

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Vgl. bes. GILLESPIE 1989 (LV Nr. 237), S. 67−74; MILLET 2000 (LV Nr. 452), S. 275f.; BUMKE 2004 (LV Nr. 172), bes. S. 363; Test. Nr. 116.

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Der Stoff und die Zeugnisse

lenenzahlen in den Schlachten der späteren ‹historischen› Dietrichepen vollbracht werden, auch wenn in den erhaltenen Texten keine Stelle unmittelbar mit dem Zitat in Verbindung zu bringen ist. Der Vergleich, der sich auf die Dimensionen der zweiten Schlacht vor Alischanz (8./9. Buch) bezieht, führt auf eine Metaebene: Es geht nicht nur darum, dass die aktuelle Schlacht alles bislang (auch in der Heldensage) Dagewesene überbietet, sondern auch darum, wie adäquat von Krieg zu erzählen ist, also nicht nur um den Stoff, sondern auch um die Erzählweise von (hier noch mündlich, durch sagen vermittelter) Heldendichtung. Wolfram distanziert sich dabei von heldenepischer Hyperbolik: [...] der als manec lamp gebunden vür in trüege, ob er’s eines tages erslüege, sô waere sîn strît genuoc snel, ob *halp beschoren waeren ir vel. man sol dem strîte tuon sîn reht (Wh. 384,26–385,1). Darüber hinaus erscheint Hildebrands Gemahlin Ute als Inbegriff von Treue und zugleich, mit kaum mehr als dieser Treue als tertium comparationis, als Vergleichsfigur für den Heidenkönig Terramer, der den Rückzug der Seinen deckt: meister Hildebrands vrou Uote mit triuwen nie gebeite baz, denn er [Terramer] tet [...] (Wh. 439,16–18). Das setzt Utes langjähriges Warten auf den mit Dietrich vertriebenen Gemahl voraus, abstrahiert aber auf beinahe groteske Weise von diesem Exilhintergrund, der mit der konkreten Situation nicht vergleichbar ist In der Fabel ‹Wolf und Geiß I› (1. Hälfte 13. Jh.; vor 1218?73) ist das Wissen um die Tötung der Helchesöhne (nicht erwähnt ist der Kontext der Schlacht von Raben) zugleich anzitiert und komisiert: Der von der Geiß überlistete, in die Falle gelockte Wolf wird verspottet: ir redet, als der da gerne ræche div helchen chint, wesser wa.74 Auch wenn man die obszöne Bedeutung der späteren ‹Rache für die Helchensöhne›75 nicht voraussetzt, erscheint heldenepisches Unheilsgeschehen banalisiert. Tertium comparationis dürfte die Unfähigkeit sein, die angestrebte Rache zu nehmen. Komik liegt in der Verbindung dieser Ohnmacht mit Großsprecherei. Darauf, dass solch leere Großsprecherei bisweilen der Gattung Heldenepik zugeordnet wird, deuten rund zwei Jahrhunderte später ähnliche Konstellationen im geistlichen Spiel (die aber als Fluchtsagenzeugnisse nicht in Frage kommen).76 In Neidharts Liedern (um 1210–1240) tragen zahlreiche Dörper Heldensagennamen, vor allem von Nebenfiguren aus Massenschlachten und Turnierszenen. Neidhart dürfte weitgehend mündlichen Quellen folgen; zu seiner Wirkungszeit dürften die ersten aventiurehaften

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So GRIMM 1834 (LV Nr. 79), S. CLXXXIII. ‹Wolf und Geiß I›, v. 34f. (KOSAK 1977, LV Nr. 57, Nr. 37, S. 510–518); vgl. Test. Nr.117. Vgl. Test. Nr. 197. Vgl. Test. Nr. 230, 248, 272.

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Dietrichepen verschriftlicht worden sein; die Namen verweisen jedoch auch auf die erst später schriftlich fassbare ‹historische› Dietrichüberlieferung, insbesondere:77 Adelgêr (R 32 III,8; vgl. ‹Alpharts Tod›), Amelot(h)/Amelolt (c 117 X,3; R 21 I,13 u.a.; vgl. u.a. ‹Alpharts Tod›, ‹Dietrichs Flucht›: Amelolt von Gart), Berhtram (R 41 III,4 u.ö.; vgl. u.a. ‹Alpharts Tod›, ‹Dietrichs Flucht›), Eczel (R 6 IV,5), Erphe (R 38 VIII,5; Etzels Sohn in ‹Biterolf und Dietleib›), Fridenger/Fridegêr (c 104 III,8; vgl. ‹Dietrichs Flucht›), Herebrant (R 1 IV,15; vgl. ‹Dietrichs Flucht› u.a.), Piterolf (R 5 V,7 u.ö.; vgl. u.a. ‹Dietrichs Flucht›), Randolt (c 41 VI,4; vgl. ‹Dietrichs Flucht›, ‹Alpharts Tod›), Seybant/Sigebant (R 8 VII,1; vgl. u.a. ‹Dietrichs Flucht›), Sigherr/Sigehêr (c 43 VII,1 u.ö.; vgl. u.a. ‹Dietrichs Flucht›). Für das Schwert mæchenich (R 21 IX,1) eines Bauern begegnen in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts auch Lesarten, die Witeges Mimminc assoziieren (mennigk, memminc; c 85 IX,1 und 11). Die meisten Namen sind nicht spezifisch, in der Häufung aber signifikant: Aufgerufen werden damit kaum fest definierte Figuren mit bestimmten Handlungsfunktionen, kaum bestimmte Texte, wohl aber (hier im Kontext dörperlicher Auseinandersetzungen) eine Atmosphäre von roher, ungezügelter Gewalt, wie sie auch die ‹historischen› Dietrichepen prägt. Dass so durch Namen heldenepisch-kriegeradlige Verhaltensnormen zugleich karikiert auf dörperliche Antihelden übertragen und komisiert werden, deutet auf einen zumindest partiellen Verbindlichkeitsverlust heroischer (speziell dietrichepischer) Überlieferung und ihrer Verhaltensnormen bereits Jahrzehnte, bevor viele ihrer Texte den Weg in die Schriftlichkeit fanden. Mit dem ‹Eckenlied›78 (1. Hälfte 13. Jh.; älteste Hs. um 1230) setzt, Jahrzehnte vor den ‹historischen› Dietrichepen, die Verschriftlichung der aventiurehaften Dietrichepik ein, obgleich zuvor (abgesehen von der frühen Anspielung auf die Befreiung Dietrichs aus Riesengefangenschaft durch Witege im altenglischen ‹Waldere›,79 2. Hälfte 8. Jh.?) keine eindeutigen Anspielungen auf den Komplex von Dietrichs Abenteuern erhalten sind. Das erste aventiurehafte Dietrichepos ist zugleich dasjenige, das sich am intensivsten mit der ‹historischen› Dietrichüberlieferung auseinandersetzt; die Subgattung ‹aventiurehafte Dietrichepik› scheint sich auch in Abgrenzung von der Fluchtsage zu etablieren, noch bevor letztere schriftliterarisch geworden ist: Markiert ist in erster Linie der Bezug auf RabenschlachtGeschehen (die Tötung Diethers und der Helchesöhne durch Witege, Witeges Flucht vor dem Feuer speienden Dietrich ins Meer): «[...] so ist Dietheres herz in dir, din brĤder wunderk)ne. [...] do fĤr sin kraft in dinen lip, do in slĤc uf der gr)ne von Raban Wittich, der k)ne man.

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Nach GILLESPIE 1979 (LV Nr. 235), S. 485−491 und passim, bes. 487−489; Belege in Auswahl; Zählung und Handschriftensiglen nach SNE; soweit ein Lied in der Riedegger Handschrift R überliefert ist, werden die Belege der Parallelüberlieferung nicht eigens aufgeführt); vgl. auch Test. Nr. 123. 78 Vgl. bes. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 109; MÜLLER 1985 (LV Nr. 461), bes. S. 84; REICHERT 1996 (LV Nr. 494), S. 246f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 109−127; BLEUMER 2000 (LV Nr. 148); KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 189−222; Test. Nr. 124. 79 Vgl. Test. Nr. 41.

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doch mĤs er dir endrinnen, do du mit zorn in woltost slan und du begundost brinnen. er fl"ch vor dir in ainen se. [...]» Er [Dietrich] wart vron Helchen kint ermant [...] (E2 198,2–199,1). Eckes Bruder Fasold provoziert den Berner während ihres Kampfes, indem er ihn an dieses Unglück und damit zugleich an Dietrichs gescheitertes Racheverlangen erinnert. In der erhaltenen ‹Rabenschlacht› wird dieses Geschehen vergleichbar erzählt, freilich ausführlicher, mit stärkerer Fokussierung auf die Hunnenprinzen als auf Dietrichs Bruder und ohne die Vorstellung, dass Diethers Kraft mit seinem Tod auf seinen Bruder übergegangen sei. Tertium comparationis und intratextueller Hintergrund der Anspielung sind hier Brudertod und Streben nach Bruderrache: Dietrich hat Fasolds Bruder Ecke getötet (widerwillig, wie – in der erhaltenen ‹Rabenschlacht› – Witege die Hunnenprinzen und Diether), und Fasold versucht, Rache an Dietrich zu nehmen. Auch diese Bruderrache misslingt: Fasold kann sich nicht, wie Witege, dessen Verräterrolle quasi auf ihn übertragen ist, ins Meer flüchten,80 sondern wird besiegt und unterworfen. Sein Scheitern bedeutet für Dietrich Erfolg; die Überwindung desjenigen, der ihn für das Scheitern seiner Rache an Witege verspottet hat, impliziert zugleich Wiedergutmachung dieses Scheiterns. Die Wende vom Scheitern zum Erfolg wird dadurch unterstrichen, dass Dietrich weitere Kämpfe gegen Eckes Riesenverwandtschaft erfolgreich besteht, und zwar mit Einsatz seines Feueratems, der ihm laut Fasold in der RabenschlachtSituation nichts genützt hatte. Das Thema von Scheitern und Überwindung des Scheiterns ist für das ‹Eckenlied› aber von noch höherer Tragweite: Als glücklosen Sieg wertet Dietrich auch den Sieg über Ecke, den er beklagt, als zeige sich darin die über ihn verhängte habituelle Glücklosigkeit des armen Dietrich:81 er [Dietrich] sprach: «we, was han ich getan! uns lde wil mich niht enlan. [...]» (E2 144,4f.). Mit den Siegen über Fasold und dessen Riesenverwandtschaft, die als soziale Hilfeleistungen oder Abwehr von Verrat frei sind von der Ambivalenz des Ecke-Kampfes, überwindet Dietrich auch diese uns lde. Der zurückliegende Misserfolg in der Rabenschlacht tut Dietrichs auserlesenem Heldentum ebenso wenig Abbruch wie seinem Ruf als Günstling der S lde (E2 10,6f. u.ö.). Das aventiurehafte Dietrichepos etabliert gegen die Hypothek von Heillosigkeit aus der Fluchtsage (weniger wahrscheinlich, da nicht markiert, aus dem ‹Nibelungenlied›) ein alternatives Dietrichbild; das ‹Eckenlied› zitiert Dietrichs glücklosen Sieg, um ihn hinter sich zu lassen.82 Das dürfte der Grund sein für die dem ‹Eckenlied› eigentümliche interne Chronologie der verschiedenen Dietrichüberlieferungen, die – anders als in späteren Dichtungen zumeist üblich – Dietrichs Kämpfe gegen Riesen nicht als Jugendabenteuer positioniert,

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Vgl. BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 151. Vgl. bereits BRÉVART 1983 (LV Nr. 163), S. 275 A. 19. Vgl. auch BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), bes. S. 148.

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

sondern auf die Ereignisse der ‹historischen› Dietrichüberlieferung folgen lässt. Dass diese Chronologie zugleich Dietrichs Heimkehr nach der Rabenschlacht und damit das Ende des Exils impliziert, wird freilich nicht thematisiert. Die Fortsetzung aus dem ‹Dresdner Eckenlied› (E7 302,7 u.ö.) setzt übrigens den Amelungenuntergang aus dem ‹Nibelungenlied› offensichtlich nicht voraus; denn Wolfhart befindet sich dort noch in Dietrichs Gefolge. Der Epilog der Druckfassung treibt im 15. Jahrhundert die Abkehr vom armen Dietrich noch weiter, indem er Theoderichs historischen Erfolg an die Siege des aventiurehaften Dietrich anschließt: Mit Eckes Schwert befreit Dietrich Italien von dem Usurpator Odoaker und etabliert seine jahrzehntelange Herrschaft.83 In den Fassungen AW und Ka des ‹Ortnit› (um 1230) wird Wolfdietrich als Dietrichs Vorfahr (von Berne Dietrîches alter an) genannt, wie später in der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› (DF v. 2300).84 Die Motivparallelen zwischen Ortnit (wie auch Wolfdietrich) und Dietrich (Löwenwappen, glänzender Helm, das Schwert Rose)85 betreffen in erster Linie die aventiurehafte Dietrichepik (teils auch ‹Biterolf und Dietleib›); in den erhaltenen ‹historischen› Dietrichepen begegnen diese Motive nur ausnahmsweise (der Helm Hildegrin in ‹Alpharts Tod›, nicht in den Fluchtepen). Der Marner führt in seiner sog. Repertoire-Strophe86 (nach 1230), tatsächlich einer Schelte auf den Geschmack des Publikums, das dem Sänger bestimmte Themen abverlangt, auch Stoffe auf, die sich auf ‹historische› Dietrichüberlieferung beziehen; inwieweit sie tatsächlich existierende Lieder dokumentieren, erscheint freilich zweifelhaft – es dürfte eher um populäre Stoffe gehen, nicht darum, ob diese liedhaft ausgeformt tatsächlich zum Repertoire eines Sangspruchdichters um die Mitte des 13. Jahrhunderts gehörten: wie Dieterîch von Berne schiet (XV,14, v. 3) bezieht sich offensichtlich auf Dietrichs Gang ins Exil. Nicht eindeutig zu identifizieren ist der Bezug von Heimen ald hern Witchen sturm [...] (XV,14, v. 10), vor allem in der Lesart der Kolmarer Liederhandschrift, von wittich und von heimen strit von des jungen albrandes tot [...]:87 sturm verweist tendenziell eher auf die Schlachten der ‹historischen› als auf die Zwei- oder Reihenkämpfe der aventiurehaften Dietrichüberlieferung; der bisweilen geltend gemachte Bezug auf ‹Alpharts Tod›88 ist zweifelhaft. Andere Stoffe, die der Marner erwähnt, berühren die ‹historische› Dietrichüberlieferung nur am Rande: wâ künc Ruother saz (XV,14, v. 4) dürfte sich auf ‹König Rother› beziehen, auch wenn Rother in ‹Dietrichs Flucht› an die Amelungengenealogie angesippt wird; Ekhartes nôt (XV,14, v. 5) meint die über Ermrich als Verwandtenfeind und teilweise über gemeinsame Kämpfe Diet-

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Zum Anschluss des ‹Eckenlieds› an eine Vorstufe der erhaltenen ‹Rabenschlacht› und ‹historische› Dietrichüberlieferung vgl. auch ebd., bes. S. 148, 151. ‹Ortnit› (AMELUNG/JÄNICKE 1871, LV Nr. 71), 597,3; vgl. auch ‹Ortnit› A (KOFLER 2009, LV Nr. 72), 597,3; Test. Nr. 125. Vgl. MIKLAUTSCH 2003/2004 (LV Nr. 448); KOFLER 2003/2004 (LV Nr. 386). Marner-Zitate in diesem Abschnitt nach STRAUCH 1876 (LV Nr. 60); vgl. Meisterlieder der Kolmarer Liederhandschrift (BARTSCH 1862, LV Nr. 61), Nr. 94; vgl. bes. WACHINGER 1985 (LV Nr. 581), bes. S. 80f.; CURSCHMANN 1986 (LV Nr. 188); HAUSTEIN 1995 (LV Nr. 291), S. 222−226; REICHERT 1996 (LV Nr. 494), S. 253f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 30, 89; Test. Nr. 128. Marner (STRAUCH 1876, LV Nr. 60), S. 125, App. Vgl. z.B. GRIMM 41957 (LV Nr. 251), S. 466; BARTSCH 1862 (LV Nr. 61), S. 426; anders z.B. STRAUCH 1876 (LV Nr. 60), S. 36: Hildebrands Sohn Albrand/Hadubrand.

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Der Stoff und die Zeugnisse

richs und Eckeharts an die ‹historische› Dietrichüberlieferung gebundene Harlungensage, wen Kriemhilt verriet (XV,14, v. 6) den Stoff des zweiten Teil des ‹Nibelungenlieds› (hier ohne Andeutung einer Beteiligung Dietrichs); war komen sî der Wilzen diet (XV,14, v. 8) ist einer der seltenen Hinweise auf die nur in der ‹Thidrekssaga›, nicht in deutscher Sprache auserzählten Kämpfe Dietrich-Thidreks gegen die slawischen Wilzen. Handlungselemente, die die Fassungen des ‹Rosengarten›89 (wohl vor Mitte 13. Jh., spätestens Anfang 14. Jh.) mit der späteren ‹historischen› Dietrichepik verbinden, dürften großteils aus der ‹Rosengarten›-Tradition in die ‹historischen› Dietrichepen gelangt sein (möglicherweise, soweit angesichts der unsicheren Chronologie zu fassen, teilweise durch ‹Biterolf und Dietleib› vermittelt), in erster Linie der charakteristische Zweikampf, in dem sich mit Dietrich und Siegfried die beiden größten Helden der deutschsprachigen heroischen Überlieferung und zugleich die Exponenten des südostdeutschen, hunnisch-gotischen und des rheinisch-nibelungischen Sagenkreises zum Heldenvergleich gegenüberstehen: Helden- als Sagenkonkurrenz auf einer Metaebene. Umgekehrt finden sich mögliche Anklänge an die Fluchtsage bzw. die Fluchtepen nur in der Vulgat-Fassung D des ‹Rosengarten›90, deren Textzeugen aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammen: Dort wird Etzel als Dietrichs Begleiter in den Zug nach Worms einbezogen; das kann aus dem ‹Nibelungenlied› erklärt werden, auf das die ‹Rosengärten› in erster Linie reagieren, aber auch aus dem Handlungsbaustein ‹Dietrich bei Etzel› aus der ‹historischen› Dietrichüberlieferung. Wenn Gibich nach dem Sieg der Berner sein Reich auch von Etzel zu Lehen nehmen muss, nicht nur von Dietrich (Str. 572–576, bes. 575,2), dürfte dies (unausgesprochen) eine Korrektur nicht nur der finalen Katastrophe des ‹Nibelungenlieds›, sondern auch der Konstellation der Fluchtsage (vielleicht der Fluchtepen) bedeuten: Statt landlos Zuflucht bei Etzel suchen zu müssen und in fruchtlosen Rückkehrschlachten Etzels Heeresmacht und Söhne der Vernichtung zuzuführen, mehrt Dietrich so auch Etzels Macht. Das ist freilich nicht als primäres Sagenzeugnis zu werten, sondern Stellungnahme auf einer Metaebene, zumal das bekannte Motiv ‹Dietrich bei Etzel› nicht nur aufgegriffen wird (Dietrich macht Station in Etzels Residenz, wo die Hunnenkönigin die Kämpfer ausstattet: Str. 129–163), sondern auch eine Umkehrung ‹Etzel bei Dietrich› erfährt (um Dietrich gegen Gibich zu mobilisieren, sucht zunächst Etzel den Berner an dessen Hof auf: Str. 15 und ff.). Ebenfalls nur in ‹Rosengarten› D erhält Witege sein Pferd Schemming, das er vor Gart durch einen Kampf gegen Amelolt an Dietrich verloren habe, von diesem dafür zurück, dass er gegen den Riesen Asprîan kämpft (316,4–317,4).91 Als Wolfhart später deswegen grollt (620,3 ist im Widerspruch zu 317,3 davon die Rede, dass Wolfhart das Pferd vor Gart zum Lohn erhalten habe), kündigt Witege, um der Wülfinge übermuot (622,2) und Hass nicht mehr ertragen zu müssen, Dietrich den Dienst auf (Str. 621f.). Dietrich lässt ihn zu Ermrich ziehen, mahnt ihn freilich, auch dort zu seinen alten Treueverpflichtungen zu stehen, was Witege feierlich zusichert (Str. 623f.); dass das nicht der Fall sein wird, impliziert eine (nur in der späten, vielleicht um 1480 entstandenen, 1870 verbrannten

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Vgl. bes. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 90f., 169−187; Test. Nr. 136. Stellenangaben in diesem Absatz beziehen sich auf ‹Rosengarten› D (HOLZ 1893, LV Nr. 82, S. 71−215). Vgl. auch GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 115. (In ‹Rosengarten› A, 232,3–237,4, ist Schemming dagegen, wie in der ‹Virginal›, Dietrichs Pferd; er überlässt es Witege im Austausch gegen dessen Pferd Valke, ebenfalls als Anreiz zum Kampf gegen Asprîan.)

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

Heldenbuch-Handschrift des Diebolt von Hanowe überlieferte) Vorausdeutung auf Alpharts Tod: daz kam sider ze leide dem jungen Alphart (624,4).92 Eine ausdrückliche Schelte Witeges als Verräter ist damit nicht verbunden. Ob in der Rückgabe Schemmings an Witege eine Variation des Pferdegeschenks in ‹Dietrichs Flucht› zu sehen ist, ist unsicher; zwar ist in beiden Fällen eine ominöse Vorausdeutung auf Witeges künftige Unheilsrolle mit der PferdeGabe verbunden, hier allerdings nicht auf Witeges Flucht nach der Tötung der Helchesöhne, sondern auf Alpharts Tod und ohne unmittelbaren Kausalzusammenhang (dass Alphart sterben wird, ist Folge von Witeges Treubruch; dass dieser Dietrichs Rache für die Helchesöhne entkommt, dagegen direkte Folge des Pferdegeschenks). Der Status der Anspielungen – Bewahrung alten Sagenwissens oder Reaktion auf die erhaltenen (oder den erhaltenen ähnliche) Epen – ist isoliert schwer einzuschätzen: Ob es sich bei Alpharts Tod um eine alte Fabel handelt, ist unsicher.93 Witeges Status als Überläufer ist ‹sagengemäß›, Schemming scheint traditionell ihm zu gehören; insofern stehen die Episode von der Rückgabe des Pferdes und Witeges Parteiwechsel zu Ermrich in ‹Rosengarten› D der Tradition näher als die singuläre Pferdegeschenk-Episode in ‹Dietrichs Flucht›. Nicht traditionell sind in ‹Rosengarten› D (soweit angesichts spärlicher Zeugnisse festzustellen) der Grund für Witeges Parteiwechsel, der durch die Rückgabe Schemmings ausgelöste Konflikt mit Wolfhart, in den Fluchtepen die erfolgreiche Flucht Witeges auf Schemming und damit die fatale Verknüpfung von Pferdegeschenk und misslungener Rache. Ob hier ‹Rosengarten› D auf die Fluchtepen oder diese auf eine ‹Rosengarten› D ähnliche Tradition reagieren oder überhaupt keine Wechselwirkung anzunehmen ist, ist wohl nicht definitiv zu entscheiden. Im Kontext der Behandlung des Motivs ‹Dietrich bei Etzel› und angesichts der Chronologie freilich mutet Stellungnahme auf einer Metaebene wahrscheinlicher an. Der parodistische Heldenroman ‹Biterolf und Dietleib›94 (um 1250?) ist, mit MICHAEL CURSCHMANNs Schlagwort, «Dichtung über Heldendichtung» par excellence.95 Dietrich spielt hier als Verwandter mütterlicherseits des Helden Dietleib eine Nebenrolle: er nimmt (u.a. mit Rüdiger, Ermrich und den Harlungen) an Dietleibs Feldzug gegen die Burgundenkönige in Worms teil. In den Kämpfen in Worms tritt er – wie im ‹Rosengarten› – gegen Siegfried an (v. 10 095–12 463, passim). Mehrere topische Rollen und Motive aus der ‹historischen› und aventiurehaften Dietrichüberlieferung werden anzitiert und/oder (parodistisch) umgestaltet, darunter Dietrichs zagheit (v. 7894–7903 u.ö.) und sein Feueratem (v. 11 124 und ff., 11 132f.). Die Handlung ist «als Vorgeschichte der großen Schlachten von Mailand, Bologna und Ravenna gestaltet und peinlich genau in den Sagenrahmen eingebaut»:96 Noch stehen Dietrich, Ermrich und die Harlungen gemeinsam auf einer Seite, agiert Ermrich als Unterstützer, nicht als Feind eines Verwandten und damit als Gegenfigur zu seiner eigenen

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Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 90f.; vgl. auch FIRESTONE 1999 (LV Nr. 221), S. 230; HOFFMANN 2005 (LV Nr. 336), S. 25 A. 32. Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 91. Vgl. bes. FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 311−401; CURSCHMANN 1978 (LV Nr. 183); ders. 1978 (LV Nr. 184); FIRESTONE 1987 (LV Nr. 217); MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 127−216; BLEUMER 2007 (LV Nr. 149); KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 273−296; Test. Nr. 137. Stellenangaben zu ‹Biterolf und Dietleib› in diesem Abschnitt nach SCHNYDER 1980 (LV Nr. 16). CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 181). KNAPP 1992 (LV Nr. 372), S. 70; vgl. auch CURSCHMANN 1978 (LV Nr. 183), S. 88.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Sagenrolle. Wie bereits angedeutet (vgl. S. 6), ist Dietleib aber gerade nicht als künftiger Dietrichheld benannt, als den ihn aventiurehafte und ‹historische› Dietrichepik kennen. Festzustellen sind allerdings Gemeinsamkeiten zur späteren ‹historischen› Dietrichepik im Personal. Hildebrands Rolle als Organisator von Truppen und Arrangeur von Kampfpaarungen bei den Kämpfen vor Worms dürfte freilich eher auf die ‹Rosengarten›-Tradition Bezug nehmen;97 die Parodie der charakteristischen Wolfhartrolle des Draufgängers und Kampftreibers kann ‹Nibelungenlied› und ‹historische› wie aventiurehafte Dietrichüberlieferung treffen.98 BLEUMERs These, dass sich Biterolfs vorgetäuschte Rolle als «heimatvertriebene[r] Recke[]» mit der Wahl des Decknamens Diete «als Dietrich-Rolle konkretisiert»,99 bewertet dagegen eine allenfalls vage Anspielung wohl über (vergleichbar wäre Rothers Incognito, immerhin eindeutig Dietrich; vgl. S. 37). Dass sich der Zug gegen Worms als Rachefeldzug an die «Regeln der Dietrichepik» anlehne,100 trifft nicht zu: «[A]ktiviert» wird «der ganze Apparat aus Verwandten, Freunden und Getreuen der Dietrich-Welt»101 zwar im ‹Biterolf›, aber gerade nicht in der ‹historischen› Dietrichepik, in der durch Ermrichs Vergehen Verwandtschaftsbande sehr weitgehend aufgelöst sind (die Harlungen sind tot; Dietrich und Ermrich stehen im Krieg) und Dietrich Unterstützung außerhalb seiner Welt suchen muss; die «Vergeltungshandlung mit rechtlichen Implikationen»102 in den Fluchtepen betrifft ganz andere Vergehen als die Ehrverletzung Dietleibs – allenfalls kann man im ‹Biterolf› mit CURSCHMANN gegenüber der ‹historischen› Dietrichepik eine «Trivialisierung des Rachemotivs»103 sehen. Zitiert und in einen glücklichen Erzählausgang überführt wird das Motiv der heimlichen Kampfteilnahme eines Helden, der wegen seiner Jugend der Schlacht ferngehalten werden soll, wie es dem Tod der Heldenjünglinge in der ‹Rabenschlacht› zugrundeliegt: Dietleib, der sich gegen Etzels Kampfverbot in die Schlacht geschlichten hat, wird vermisst und beklagt; es stellt sich aber heraus, dass er nicht nur überlebt, sondern sich auch im Kampf bewährt hat (v. 3460–3484, 3503–3923, vgl. bes. Etzels Klage v. 3828–3833).104 Wenn Dietrich vor Worms lachend erklärt, er verfüge über kein Land, das er Wolfhart überlassen könne (v. 11 583–11 586), scheint er anzuspielen auf die eigene Sagenrolle als landloser Exilant, die ihm realistischerweise zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zukommt;105 eine Rationalisierung der Aussage dahingehend, dass er womöglich zu Lebzeiten seines Vaters nicht selbst ein Land beherrsche und vergeben könne, wäre denkbar, nähme dem Text aber die Pointe. Dass Dietrich dazu auffordert, das Land zu verwüsten und den feindlichen Wormsern den Versorgungsnachschub abzuschneiden, um sie durch Hunger in die Enge zu treiben (v. 7317–7325), könnte seine (in der Zukunft der erzählten Zeit angesiedelte) Rolle als Opfer

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KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 287. Ebd., S. 284. BLEUMER 2007 (LV Nr. 149), S. 204. Ebd., S. 210. Ebd. Ebd. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 181), S. 21. Vgl. DAIBER 1999 (LV Nr. 193), S. 71f.; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 287f. Vgl. ebd., S. 292; zur Szene auch FIRESTONE 2006 (LV Nr. 222), S. 140: Dietrichs Gefolgsmann Sigestap hilft aus, indem er eines seiner beiden Länder an Wolfhart abgibt.

Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

einer Invasion invertieren.106 In der Summe lässt das ‹Biterolf und Dietleib› wohl als Auseinandersetzung (auch) mit der ‹historischen› Dietrichepik erscheinen; die pointierte Alternative zur Völkerschlacht107 unter ostentativem Zurückdrehen der Zeit «before the great tragedies of Worms, Bern, Raben, and Etzelburg»108 ist wohl nicht nur gegen das ‹Nibelungenlied›, sondern auch gegen die ‹historische› Dietrichüberlieferung gerichtet. Nicht definitiv beurteilt werden können die bereits erwähnten Ähnlichkeiten zu ‹Dietrich und Wenezlan› (vgl. S. 16f.). Die norwegische Heldensagenkompilation der ‹Thidrekssaga›109 (Mitte 13. Jh.) bietet – neben der sehr viel knapperen späten ‹Heldenbuch-Prosa› – die einzige erhaltene DietrichSumme, in die (neben Sagen anderer Stoffkreise) verschiedene Dietrichüberlieferungen (Dietrichs Abenteuer; Vertreibung, Exil und Rückkehr; Dietrichs Ende) eingegangen sind. Die Zusammenstellung geht nach den Angaben des Kompilators auf niederdeutsche Erzähltradition zurück, die wohl schriftlich und mündlich vermittelt wurde; ob ‹Nibelungenlied›, ‹Nibelungenklage›, ‹Eckenlied›, ‹Rosengarten› bekannt waren oder gemeinsame Quellen benutzt wurden, lässt sich nicht klären. Erzählt wird, verflochten mit anderen Erzählsträngen (Attila, Wieland, Sigurd, Nibelungen, Walther und Hildegund), eine vollständige Vita Thidreks von den Vorfahren des Helden bis zu seinem Tod (nach dem Schema Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang des Helden und des Geschlechts der Amelungen).110 1. Thidreks Vorfahren: Die Geschichte von Thidreks Vorfahren reicht hier zurück bis zu seinem Großvater Samson, der als Aufsteiger zunächst das Reich von Salerni und in hohem Alter auch Bern erobert. Samson bestellt seinen jüngeren Sohn Thetmar zum Herrscher über Bern; der ältere Sohn Ermanrik herrscht über Romaburg sowie über weite Teile Griechenlands und Italiens. – 2. Thidreks Jugend: Thetmars Sohn Thidrek wird am Hof des Vaters durch Hildebrand, den Sohn des Herzogs von Venedig, erzogen. Thidreks Jugend wird vor allem durch Episoden bestimmt, wie sie auch aus der aventiurehaften Dietrichüberlieferung bekannt sind: Der junge Thidrek fängt den Zwerg Alfrik, erhält von diesem das Schwert Nagelring, besiegt damit das Riesenpaar Hild und Grim und erringt auch den Helm Hildigrim. Heime fordert Thidrek zum Zweikampf, wird besiegt und Thidreks Gefolgsmann. Widga/Witege wird von seinem Vater Welent/Wieland ausgestattet, u.a. mit dem Schwert Mimung, einem Helm mit einer goldenen Schlage als Helmzier (vgl. ‹Jüngerer Titurel›) und dem Pferd Skemming; auf dem Weg zu Thidrek bekämpft er Räuber, während Heime feige seine Unterstützung verweigert. Thidrek erleidet gegen Widga eine Niederlage, doch werden die beiden Schwertbrüder. Danach tötet Thidrek Ecke, besiegt Fasold und rettet Sistram/Sintram aus dem Maul eines Flugdrachen. Thidrek schenkt Heime das Schwert Nagelring, verbannt ihn jedoch, als Widga berichtet, wie Heime ihm Beistand verweigerte. Heime wird zum Räuber. Thetleif besiegt ihn, wird Thideks Gefolgsmann und überwindet während eines Fests bei König Ermanrik u.a. dessen Neffen

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Vgl. z.B. CURSCHMANN 1978 (LV Nr. 183), S. 82; MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 203; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 285 und A. 46. So CURSCHMANN 1978 (LV Nr. 183), S. 85. Ebd., S. 88. BERTELSEN 1905/1911 (LV Nr. 93); ERICHSEN 1924 (LV Nr. 94); HYLTÉN-CAVALLIUS 1850−1854 (LV Nr. 95); vgl. bes. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 38−41; KRAMARZ-BEIN 1993 (LV Nr. 393); dies. 1996 (LV Nr. 394); dies. 2002 (LV Nr. 395); dies. 2003/2004 (LV Nr. 396); Test. Nr. 138. Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 38f.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Waltari von Wasgenstein. – 3. Thidrek als Herrscher von Bern: Nach Thetmars Tod wird Thidrek Herrscher von Bern. Attila unterstützt er beim Kriegszug gegen den Wilzenkönig Osantrix, Ermanrik bei dem gegen Jarl Rimstein; Thidrek führt einen goldenen Löwen als Wappentier und reitet dank Heime das Pferd Falke. Auf dem Höhepunkt seiner Macht zieht Thidrek mit seinen Mannen ins Bertangenland, um sich mit König Ilsung und dessen Bannerträger Sigurd zu messen; bei den Reihenkämpfen zeichnet sich in erster Linie Widga aus; Thidrek gewinnt den Zweikampf gegen Sigurd nur mit dem Schwert Mimung und durch Betrug. Thidrek lässt durch Herburt um Artus’ Tochter Hild werben; als diese sich jedoch für den Werbungshelfer entscheidet, nimmt Thidrek Gudilinda, die älteste Tochter König Drusians, zur Frau. Widga heiratet nach dem Tod von Ermanriks Halbbruder Aki Örlungenschutz dessen Witwe Bolfriana und wird dadurch mit Thidreks Einverständnis zu Ermanriks Gefolgsmann. – 4. Thidreks Vertreibung und Exil: Ermanrik schändet die Frau des Sifka/Sibeche. Dieser rächt sich: Hinterhältig veranlasst er den Tod der drei Söhne des Ermanrik (u.a. lässt er Fridrek ins Wilzenland schicken und ermorden). Sifkas Frau verleumdet Ermanriks Neffen, die Örlunge Egard und Aki, beim König, der sie hängen lässt. Auch gegen Thidrek reizt Sifka den König auf. Als Thidrek die von Ermanrik durch den Boten Reinald geforderte Tributzahlung verweigert, rüstet Ermanrik zum Kriegszug gegen den Neffen. Heime und Widga tadeln Ermanrik; Widga warnt Thidrek. Dieser entschließt sich wegen der feindlichen Übermacht zu kampfloser Flucht. Heime meldet das Herannahen von Ermanriks Heer. Thidreks Ritter verwüsten während des Rückzugs Teile von Ermanriks Reich. Heime tadelt Ermanrik heftig, beschuldigt Sifka des Verrats und schlägt ihn zu Boden, entkommt aber dank Widgas Hilfe. Thidrek begibt sich in nördlicher Richtung nach Bakalar zu Rodingeir und weiter zu Attila nach Susat, wo er lange Zeit im Exil lebt. In Attilas Dienst zieht Thidrek gegen die Wilzen. Nach zwanzig Jahren des Exils klagt Thidrek Königin Erka/Helche sein Leid; Erka stellt ihm daraufhin ihre Söhne Erp und Ortwin sowie tausend Ritter für seine Rückkehr zur Verfügung, Attila – auf Erkas Fürsprache hin – zweitausend Ritter unter Markgraf Rodingeir. Erka rüstet ihre Söhne und Thether. Attila teilt das Heer – zehntausend Ritter und ungezähltes weiteres Kriegsvolk – in drei Scharen: Thidrek und sein Heer, Attilas Ritter unter Rodingeir, die restlichen Krieger unter Attilas Söhnen, begleitet u.a. von Thether, Herzog Naudung von Walkenburg, Thidreks Vetter Ulfard sowie Hialprek, dem Erka ihre Söhne anvertraut. Thidrek lässt Ermanrik den Krieg erklären und fordert ihn auf, sich bei Gronsport zur Schlacht zu stellen. Ermanrik rüstet sein Heer, 17 000 Ritter, unter den Heerführern Sifka, Reinald und Widga. Widga erklärt, er werde gegen die Hunnen kämpfen, nicht aber gegen Thidrek und Thether. Bei einem nächtlichen Spähritt vor der Schlacht trifft Hildebrand auf Reinald; gemeinsam sichten sie die Heerlager. Sifkas Heeresabteilung kämpft gegen die Thidreks, die Reinalds gegen die Rodingeirs; Widga muss mit seiner Schar gegen Thether und die Hunnenprinzen ziehen. Nachdem sein Bannerträger Waltari gefallen ist, ergreifen Sifka und die Seinen die Flucht; Thidrek, auf Falke und mit Eckesachs, verfolgt die Fliehenden. Widga erschlägt in offener Feldschlacht Naudung, Ortwin, Erp und – gegen seinen Willen – Thether, der zuvor Widgas Pferd Skemming getötet hat. Reinald tötet Ulfard, muss aber schließlich auch fliehen. Als Thidrek vom Tod der jungen Helden erfährt, verfolgt er Feuer speiend Widga, der auf Thethers Pferd vor ihm flieht und in die See entkommt. Thidrek reitet zu Attila zurück, tritt aber zunächst nicht vor das Königspaar. Rodingeir berichtet vom Sieg und vom Tod der Hunnenprinzen. Nachdem Erka von der Tapferkeit ihrer Sohne erfahren hat, führt sie Thidrek zu Attila, der ihn freundlich empfängt. Thidrek nutzt den Sieg in der Schlacht nicht aus und bleibt bei Attila. Kurz vor ihrem Tod zwei Jahre später

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Ältere Zeugnisse der Fluchtsage

gibt Erka ihre Verwandte Herrad Thidrek zur Frau. – 5. Verwicklung Thidreks in den Niflungenuntergang: Als Attilas zweite Frau Grimhild ihre Brüder einlädt, um die Ermordung ihres ersten Mannes Sigurd zu rächen, warnt Thidrek die Niflungen und lehnt es ab, sich zu Grimhilds Rachewerkzeug machen zu lassen; vom Kampf, der nach der Tötung von Attilas Sohn Aldrian ausbricht, hält er sich fern, bis Rodingeir fällt. Danach greift er ein und kämpft u.a. gegen Högni. Als Thidrek Högni einen Albensohn nennt, beschimpft dieser ihn seinerseits als Teufel (nicht Teufelssohn); daraufhin speit Thidrek vor Zorn Feuer und nimmt Högni gefangen. Thidrek tötet aber auch Grimhild und verschafft Högni die Möglichkeit, einen Sohn zu zeugen, der ihn später an Attila rächt. – 6. Thidreks Rückkehr: Thidrek berät sich im zweiunddreißigsten Jahr seines Exils mit Hildebrand, trotz des Verlusts der Gefolgsleute heimlich nach Bern zurückzukehren, das von Hildebrands Sohn Alibrand beherrscht wird, auf den die beiden Hoffnungen setzen. Herrad begleitet Thidrek und Hildebrand; die drei nehmen ein Packpferd mit (ähnlich ‹Nibelungenklage›). Attilas Angebot, ihm erneut hunnische Krieger zur Verfügung zu stellen, lehnt Thidrek ab. Unterwegs erfahren Thidrek und Hildebrand von Ermanriks Krankheit und Tod (eine Variante der alten Verstümmelung aus der Svanhildsage); das Reich von Bern stellt sich gegen Sifka, der nach Ermanriks Tod den Thron usurpiert hat, und erwartet Thidrek. Hildebrand kämpft gegen seinen Sohn, doch endet der Kampf versöhnlich. Thidrek siegt in der Schlacht; Sifka fällt durch Alibrand; Thidrek wird König von Rom. Bald darauf sterben Hildebrand und Herrad. – 7. weitere Taten: Thidrek tötet einen Drachen, rächt so Hertnid von Bergara und heiratet dessen Witwe. Nach Attilas Tod beherrscht er auch das Hunenland. Um Heime zu rächen, tötet Thidrek einen Riesen. – 8. Thidreks Ende: Im Bad hört Thidrek von einem prächtigen Hirsch, läuft ins Freie und besteigt ein teuflisches schwarzes Ross, das ihn auf Nimmerwiedersehen davonträgt; doch berichten deutsche Männer, Träume hätten Gottes und Marias Beistand für Thidrek kundgetan, weil dieser bei seinem Tod ihres Namens gedacht habe. Die altschwedische Fassung fügt eine abweichende Version von Widekes und Didriks Ende hinzu: Didrik sucht den zu seiner Ahnin, einer Meerfrau, entflohenen Wideke, um die Tötung seines Bruders und der Attilasöhne zu rächen, und erschlägt ihn auf der Insel Fimber (Fehmarn); verletzt reitet Didrik durch Deutschland und stirbt in Schwaben an seiner Verwundung. Hinzugefügt wird ein Versuch, die beiden konkurrierenden Versionen von Didriks Ende zu harmonisieren, der gleichzeitig das Rabenschlacht-Motiv von der Rache für den Bruder und die Hunnenprinzen mit der sonst getrennten klerikalen Theoderich-Überlieferung verbindet: Didrik sei mit einem Pferd heimlich und scheinbar für immer aus dem Bad weggeritten, damit Wideke nicht gewarnt werde. Das Fragment (510 vv.) ‹Dietrich und Wenezlan›,111 bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts überliefert, weist, wie bereits erläutert (vgl. S. 15f.) neben Merkmalen der aventiurehaften auch solche der ‹historischen› Dietrichüberlieferung auf: die Rahmensituation des Exils bei Etzel nach der Vertreibung aus Oberitalien (DWen v. 36–38) und die hier von der Vertreibung unabhängige Erpressung Dietrichs durch die Gefangennahme seiner Gefolgsleute (DWen v. 42f.), wohl als Alternative zur Fluchtfabel einer früheren Fassung von ‹Dietrichs Flucht›.

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Vgl. bes. FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 219−228; dies. 1982 (LV Nr. 215); dies. 1987 (LV Nr. 217); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 94–97; Test. Nr. 139.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Einige Anspielungen in Texten des 13. Jahrhunderts beziehen sich tendenziell auf Motive der Fluchtsage, ohne dass sie eindeutig zuzuordnen wären: Der Tannhäuser (Mitte 13. Jh.) scheint, wenn er in einem burlesken Katalog fiktiver und historischer Personen ausgerechnet Ermenrich als milte aufführt, den bösen, habgierigen Ermrich der ‹historischen› Dietrichsage zu parodieren.112 Im Schwankmäre ‹Die böse Frau› (um 1250?) stellt der Erzähler sein Leiden im Ehekrieg u.a. in komischer Übertreibung über Witeges und Dietrichs Kampfesnot; Kampfkraft und Gewalttätigkeit der Ehefrau gleichen derjenigen Hildebrands; die übermächtige Gegnerin nimmt aber auch quasi Dietrichs Position ein, und in komischer Verzweiflung klagt der Ehemann, dass er nicht das Zeug zu einem Witege hat.113 Das könnte eine Anspielung auf einen für Witege siegreichen Zweikampf gegen Dietrich sein, wie ihn die ‹Thidrekssaga› im Rahmen von Thidreks Jugendgeschichte kennt,114 aber auch eine komische Spitze: Witege kann in der deutschen Überlieferung allenfalls vor Dietrich fliehen, wie es denn auch der Ehemann tut. Als sicheres Zeugnis für die Fluchtsage kann das Märe aber nicht gewertet werden. Rudolf von Ems beruft sich (‹Alexander II›, um 1240/1254) auf unterschiedlichen Geschmack des Publikums, das u.a. hören wolle, wie Dietrîch von Berne / mit kraft in vremden landen streit:115 Kämpfe in der Fremde, das kann sich nicht auf aventiurehafte Dietrichüberlieferung beziehen, die grundsätzlich im Tiroler Waldgebirge lokalisiert ist; auch auf die Rückkehrschlachten in Oberitalien, Dietrichs Heimat, passt die Anspielung nicht genau; möglicherweise ist ein ähnlicher Bezugshintergrund vorauszusetzen wie in der ‹Thidrekssaga›, wo Dietrich sowohl von Bern aus als auch während seines Exils bei Attila Kriegszüge in fremde Länder unternimmt. Die ‹Sächsische Weltchronik› (um 1260/1275 oder nach 1230?) erzählt, mit pointierter Wendung gegen nicht näher definierte Lügengeschichten, in chronistischer Tradition von Theoderich, benutzt aber gleichwohl den Sagennamen Dideric van Berne und nennt seinen Vater (Dietmar) und sein Geschlecht (Amelungen).116 ‹Guðrúnarqviða› II und III der ‹Lieder-Edda›117 (Hs. um 1270, diese Texte vor 1250 bzw. vor 1270) setzen Dietrichs Exil bei Attila, eine (unklare) Verwicklung in den Niflungenuntergang und den Verlust von Dietrichs Gefolgsmännern voraus, ohne dass sich die im ‹Nibelungenlied› darauf gegründete Rolle des armen Dietrich erkennbar ausprägt. Unspezifisch wiederum sind die Anspielungen in Gottfried Hagens ‹Reimchronik der Stadt Köln›118 (1270), wo Kämpfer vor allem der eigenen Seite rühmend mit Dietrich von Bern, Witege und Heime verglichen werden. Die kurzen Anspielungen in Albrechts ‹Jüngerem Titurel› (vor 1272?/vor 1294) auf eine Verbindung von Amelungen und Hunnen

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Tannhäuser (SIEBERT 1934, LV Nr. 92), Leich V, Versikel 21, v. 88f.; vgl. Test. Nr. 140. ‹Daz buoch von dem übeln wîbe› (EBBINGHAUS 1968, LV Nr. 18), v. 257–261, 527–533; vgl. bes. REICHERT 1996 (LV Nr. 494), bes. S. 257–263; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 366−371; Test. Nr. 141. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 368. Rudolf von Ems, ‹Alexander› (JUNK 1929, LV Nr. 84), v. 20 668f.; vgl. Test. Nr. 142. Vgl. Test. Nr. 152. NECKEL 51983 (LV Nr. 27), S. 223−234; KRAUSE 2004 (LV Nr. 28), S. 389−404: vgl. bes. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 36−38; Test. Nr. 152; VON SEE [u.a.] 2009 (LV Nr. 540), S. 595–773, 775– 834, zur Datierung bes. S. 525, 764. Gottfried Hagen, ‹Reimchronik der Stadt Köln› (GÄRTNER 2008, LV Nr. 40), v. 4757, 3685, 5007, 5691; 4898f., 4813, 5027; vgl. WENZEL 1977 (LV Nr. 589), hier bes. S. 24–26; Test. Nr. 153.

Spätere Zeugnisse

(1745,4) und auf Witige bi dem slangen (3408,4; ‹Witege mit der Schlange›)119 verweisen tendenziell auf die Exilsage und/oder auf ‹Biterolf und Dietleib›, wo Amelungen und Hunnen zusammen kämpfen und Witege (wie allerdings auch in der ‹Thidrekssaga›) ein entsprechendes Zeichen führt.

3. Spätere Zeugnisse Unsicher ist die Datierung von Wernhers des Gartenære ‹Helmbrecht› (um 1280/1290?, um 1270/1280?, möglicherweise nach der erhaltenen ‹Rabenschlacht›). Auf Helmbrechts mit Szenen adliger Überlieferung verzierter Haube, die zeichenhaft für die (scheiternden) Aufstiegsambitionen des Meiersohnes steht, ist auch die Tötung der Helchesöhne und Diethers durch Witege in der Schlacht vor Raben aufgestickt: von frouwen Helchen kinden wie die wîlen vor Raben den lîp in sturme verloren haben, dô si sluoc her Witege, der küene und der unsitege, und Diethern von Berne.120 Die Formulierung in sturme deutet tendenziell eher auf eine Version, wie sie auch die ‹Thidrekssaga› enthält: Tod in der Schlacht, nicht, wie in der erhaltenen ‹Rabenschlacht›, an deren Rand bei einem eher zufälligen Zusammentreffen. (Allerdings ist diese Sagenvariante gewissermaßen auch in der ‹Rabenschlacht› selbst präsent, als Erwartung Etzels in einer Frage an Rüdiger, RS 1119,5–1120,2; vgl. S. 149) Andererseits könnte die Anspielung eine Warnung vor jugendlichem Ungehorsam darstellen, ein Negativexempel wie das moralischexemplarische Märe vom Meierssohn, der seines Vaters Ratschläge in den Wind schlägt und dadurch schändlich zu Tode kommt. Das würde eine Sagenfassung voraussetzen, in der die Hunnenprinzen und Diether sich (anders als in der ‹Thidrekssaga›, wo sie in Helches Auftrag und mit Attilas Einverständnis Thidreks Heer unterstützen) über ein Kampfverbot hinweggesetzt hätten wie in der ‹Rabenschlacht›. Aber das gleiche Motiv ist – auf Dietleib übertragen – auch in ‹Biterolf und Dietleib› belegt, also wohl eine von der erhaltenen ‹Rabenschlacht› unabhängige Sagenvariante. Auf welche Überlieferung genau sich Wernhers Anspielung bezieht, lässt sich nicht fassen. Einen umgekehrten Hinweis könnte der markante Reim Witege – unsitege (v. 79f.) liefern, der auch in der erhaltenen ‹Rabenschlacht› (nur in Handschrift R) begegnet (RS 933,1/3). MARTIN folgt, gegen den Reim, in RS 933,1 [M 934,3] WPA, die unsitige nicht haben, «denn das hier in R allein zugefügte unsitige ist als adverb anstössig, dem sinne nach überflüssig und überlädt den vers [...] Sollte dies reimwort entnommen sein

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Zitat und Stellenangaben nach: ‹Jüngerer Titurel› (WOLF/NYHOLM 1955–1995, LV Nr. 2); vgl. Test. Nr. 154. Wernher der Gartenære, ‹Helmbrecht› (PANZER/RUH 101993, LV Nr. 109), v. 76–81; vgl. bes. GILLESPIE 1979 (LV Nr. 235), bes. S. 491−494; SEELBACH 1987 (LV Nr. 541), S. 37f.; Test. Nr. 164.

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Der Stoff und die Zeugnisse

aus Helmbrecht [...]?».121 Das Zusammengehen von WPA spricht zusammen mit dem metrischen Befund in der Tat dafür, dass unsitige sekundär in R hinzugefügt wurde, vielleicht wirklich nach Wernhers ‹Helmbrecht›. ‹Helmbrecht› wäre dann vor Handschrift R der ‹Rabenschlacht› zu datieren; über die Datierung der ‹Rabenschlacht› selbst (R ist eine Abschrift) sagt die Stelle freilich nichts aus, da die fassungsübergreifend gemeinsame Überlieferung von WPA darauf deutet, dass das Original (sofern von einem solchen überhaupt die Rede sein kann) unsitige nicht enthielt. In jedem Fall erscheint Witege, wie in ‹Rabenschlacht› und ‹Alpharts Tod› auch im ‹Helmbrecht› als Töter junger Helden. Die Unsinnsdichtung ‹Wachtelmäre› (um 1300?) zitiert in einer burlesken Heldensagenparodie Namen u.a. der Dietrichüberlieferung, zumeist unspezifisch wie Dietrich von Bern und Hildebrand oder eindeutig aus der aventiurehaften Dietrichüberlieferung, aber immerhin keiser Ermenrîch aus der ‹historischen›122 – der einzige Beleg für Ermrichs Kaisertitel außerhalb von ‹Alpharts Tod›. Weitergehende Rückschlüsse lässt die Anspielung freilich nicht zu, zumal angesichts burlesker Verdrehungen heldenepischer Traditionen. Das Schwankmäre ‹Der Reiher› (um 1300) belegt im Kontext einer ehelichen Auseinandersetzung die stereotype Rolle des gewaltbereiten Wolfhart (nicht nur aus der ‹historischen› Dietrichüberlieferung): Ein über seine Frau erboster rachsüchtiger Bauer legt sich in Wolfhartes muote ins Bett und verprügelt die vermeintliche Gemahlin.123 In ‹Wolfdietrich› D (um 1300?) wird, neben genealogischen Anknüpfungen für eine Reihe von Dietrichhelden und einer Anspielung auf Dietrichs Drachenkampfe (Dietrich wird einen Wolfdietrich entkommenen Drachen töten: 1678,4), darauf vorausgedeutet, dass Hildebrand, der älteste Sohn von Wolfdietrichs Gefolgsmann Herbrant, später Dietrich unterstützen wird: der half her Dietrich er fehten manig lant (2099,4).124 Die Anspielung ist nicht eindeutig; auf aventiurehafte Dietrichepik kann sie sich schlecht beziehen, da es dort nicht um Eroberungen geht; Dietrichs Kampf um sein Erbe ist aber in der Regel als Kampf um das eine Erbland, Oberitalien, nicht um manig lant gekennzeichnet. Suggeriert wird – entgegen der für die Fluchtepen typischen Rolle des armen Dietrich – ein erfolgreicher Ausgang der Kämpfe. Hinzu kommen auch in anderen Versionen einige Namenübereinstimmungen bei Nebenfiguren sowie Motivparallelen zwischen Wolfdietrich und Dietrich (darunter ein Hemd, das den Träger vor Verwundung schützt; vgl. S. 184). Das Rätselgedicht ‹Traugemundslied›125 (wohl Anfang 14. Jh.) erwähnt Sibeches Treulosigkeit: Durch waz ist manig guot geselle von dem andern entwichen? (v. 67); Von untruwen súbichen ist manig gĤt geselle entwichen (v. 75). Ein unbestimmter Bezug auf die Fluchtsage ist auch ohne Namensnennung wahrscheinlich (dass jemand Sibeches wegen habe

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MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. XXXVI. ‹Wachtelmäre› (WACKERNAGEL 1828, LV Nr. 103), hier v. 117 (vgl. auch E. u. H. KIEPE 1972, LV Nr. 32, S. 57–61); vgl. bes. KERTH 2000 (LV Nr. 354), bes. S. 285−288; dies. 2008 (LV Nr. 357), S. 371−373; Test. Nr. 176. NGA I, Nr. 15, S. 100−107, hier v. 374f.; vgl. Test. Nr. 177. Zitat und Stellenangaben nach ‹Wolfdietrich› D (KOFLER 2001, LV Nr. 73); vgl. bes. ders. 2003/2004 (LV Nr. 386); MIKLAUTSCH 2003/2004 (LV Nr. 448); dies. 2005 (LV Nr. 449), bes. S. 180−182, 193−196; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 335−354, bes. 349f.; Test. Nr. 178. Zitate nach E. u. H. KIEPE 1972 (LV Nr. 32), S. 39−42; vgl. bes. TOMASEK 1994 (LV Nr. 565), S. 329−333, bes. S. 331; Test. Nr. 181.

Spätere Zeugnisse

fliehen müssen, trifft in erster Linie auf Dietrich zu); von der für ‹Dietrichs Flucht› spezifischen Erpressung durch Ermrich ist nicht die Rede. In Engelberts von Admont ‹Speculum virtutum moralium› (um 1300/1309) werden Gestalten auch aus der Dietrichsage aufgeführt; das Nebeneinander von Theoderich de Verona und Attila verweist auf ‹historische›, Ecke auf aventiurehafte Dietrichüberlieferung, Hildebrand ist diesbezüglich neutral (vgl. auch S. 238).126 In Ottokars von Steiermark ‹Steirischer Reimchronik› (um 1301/1319), die (neben einer unspezifischen Berufung auf Dietrichs Kampfkraft) mehrfach vor allem aventiurehafte Dietrichüberlieferung als Vergleichsgröße für das Erzählte aufbietet, wird auch angespielt auf das Unrecht, das Dietrich durch Ermrich zugefügt wurde: Der Vorwurf der Verschwörung gegen Ulrich von Lichtenstein und andere steirische Landherren sei so abwegig, als werfe man diesen vor «[...] wir heten den kunic Ermrich ûf den Bernær geladen [...].»127 ûf den Bernær geladen dürfte wohl ‹gegen den Berner aufgehetzt› meinen (wenn daran die Vorstellung absurd sein soll, dass die quasi apriorische Feindschaft der heldenepischen Gegner der Anstiftung bedarf, wäre zu überlegen, ob Ottokar versteckt Assoziationen an Sibeche aufrufen will). Nähme man geladen wörtlich und als Anspielung auf eine (verräterische) Einladung, könnte das möglicherweise auf ‹Dietrichs Flucht› rekurrieren (andere Zeugnisse für den Ausbruch des Konflikts zwischen Dietrich und Ermrich, ‹Thidrekssaga› und ‹Alpharts Tod›, kennen keine Einladung, nur die direkte Aufforderung zur Unterwerfung); doch ist die Reminiszenz zu unklar, als dass sichere Schlüsse möglich wären. Die Deutschordensdichtung ‹Von siben ingesigeln› des Tilo von Kulm (1331) nennt Dietrich als Exempelfigur dafür, dass kein Mensch, nicht einmal der tapferste, freiwillig für seine vrunde (‹Freunde/Verwandte›, hier wohl ‹Gefolgsleute›) sterbe – eines solchen Opfers sei nur Christus fähig.128 Hier könnte neben Dietrichs Tapferkeit auch das Verhältnis zu seinen Gefolgsleuten als Verständnishintergrund vorausgesetzt sein, freilich nur für einen Rezipienten, der die Episode von der Auslösung gefangener Gefolgsleute kennt, wie sie ‹Dietrichs Flucht›, ‹Dietrich und Wenezlan› und später die ‹Heldenbuch-Prosa› überliefern oder voraussetzen. Ein konkreter Prätext für die Anspielung ist nicht auszumachen. Das Spottlied (auf Ludwig den Baiern und Graf Rudolf von Hohenberg) ‹Zug nach Feldkirch›129 (1334/1336) und das wohl in engem Zusammenhang damit entstandene ‹Quodlibet

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Engelbert von Admont, ‹Speculum virtutum moralium› (UBL 2004, LV Nr. 31), hier S. 345; vgl. bes. KNAPP 1991 (LV Nr. 371), hier S. 8−14, bes. S. 12−14; ders. 1999 (LV Nr. 376), bes. S. 328f., 480 und passim; Test. Nr. 182. Ottokar von Steiermark, ‹Steirische Reimchronik› (SEEMÜLLER 1890−1893, LV Nr. 75), v. 9889f.; vgl. bes. MÄRZ 1997 (LV Nr. 429); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 178f.; Test. Nr. 185. Tilo von Kulm, ‹Von siben ingesigeln› (KOCHENDÖRFFER 1907, LV Nr. 98), v. 3474−3481, Zitat v. 3476; vgl. Test. Nr. 189. LILIENCRON 1865–1869 (LV Nr. 50), I, Nr. 11, S. 40−45; vgl. KERTH 1997 (LV Nr. 352), S. 112f., 226f.; Test. Nr. 193.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Von der stampeney›130 (1333/1348) spielen ironisch auf Dietrich an. Mit dem Gegeneinander von Ez rait zu Bern her Dietrich (‹Zug nach Feldkirch›, v. 68) und Ez rait vz bern als man vns sait / Herr dietrich von bern (‹Quodlibet Von der stampeney›, v. 102f.), Dietrichs Ritt nach und aus Bern, könnten (freilich ohne jede Sicherheit) der Auszug des Berners ins Exil und seine Rückkehr (zu Bern ‹nach Bern›?) assoziiert sein. Das bereits erwähnte Fragment eines Schwankmäre ‹Rache für die Helchensöhne›131 (Hs. Mitte 14. Jh.) wendet die Vorstellung von der Rache für die Helchensöhne ins KomischObszöne: Ein Ehemann erläutert seiner naiven Frau den Ehevollzug: Er räche so den Verlust von chinden (v. 75−78); sie ermuntert ihn, indem sie sich beschuldigt, Erpfen vnd ouch orten (v. 115), d.h. Helches Söhne, erschlagen zu haben, woraufhin der Mann zu weiterer Tat schreitet: di helchen chint er an ir rach (v. 176). Die Namensformen stimmen zu denen in ‹Biterolf und Dietleib›, ähnlich wie in der ‹Thidrekssaga›, nicht zu denen der erhaltenen ‹Rabenschlacht›; hier dürfte ein von dieser unabhängiges Zeugnis vorliegen. Wenn im ‹Anonymus Leobiensis›132 (nach 1343?) Dietricus Veronensis im Zusammenhang mit den Kriegen des Hunnenkönigs Attila genannt wird, gemeinsam mit Hildebrand, Rüdiger von Bechlarn und Nibelungenpersonal, ist das eher ‹Nibelungenlied›- als Dietrichsagen-Reminiszenz. Im großen ‹Seelentrost›133 (Mitte 14. Jh.) deutet nur die Verbindung van hern Didericke van den Berne vnde van den olden hunen auf Exil und Fluchtsage. Eines der spätesten Zeugnisse der ‹historischen› Dietrichüberlieferung und das einzige eindeutige Rezeptionszeugnis der erhaltenen Fluchtepen selbst ist Heinrichs von München ‹Weltchronik›, eine in unterschiedlichen Fassungen (um 56 000–100 000 vv.) überlieferte gereimte Weltchronikkompilation (wohl um 1370/1380), in die verschiedene Quellen für die Dietrichgeschichte eingegangen sind.134 Das ‹historiographische› Gerüst des Abrisses zu Dietrich und Etzel bilden die entsprechenden Passagen der ‹Sächsischen Weltchronik› und der ‹Kaiserchronik›, die ihrerseits der Fluchtsage nicht unmittelbar zugehören, aber gegen sie anschreiben (vgl. S. 36, 54). Zwei Handschriften enthalten ein Exzerpt der genealogischen Einleitung von ‹Dietrichs Flucht› (vgl. S. 77, 88f.); insoweit ist die ‹Weltchronik› Heinrichs von München auch ein Textzeuge der ‹historischen› Dietrichepik. Dietrich- und Etzelpassagen sind in neun Handschriften der Weltchronikkompilation enthalten,135 freilich nicht als

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LASSBERG 1825 (LV Nr. 59), Bd. 3, Nr. 248, S. 561−564; vgl. Test. Nr. 194. Zitate und Stellenangaben nach THOMA 1937 (LV Nr. 97), S. 77−80; vgl. Test. Nr. 197. DIEMER 1849 (LV Nr. 21), Anmerkungen, S. 62−64, hier S. 63; vgl. bes. ZAHN 1864 (LV Nr. 609), hier bes. S. 55 A. **; KNAPP 2005 (LV Nr. 379), S. 41; SCHULZE 2007 (LV Nr. 531), hier S. 178; Test. Nr. 192. ‹Seelentrost› (SCHMITT 1959, LV Nr. 85), 1,28f.; vgl. Test. Nr. 198. Das Folgende nach KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390). Stellenangaben in diesem Abschnitt beziehen sich, soweit nicht anders erwähnt, auf die Ausgabe von SHAW/FOURNIER/GÄRTNER 2008 (LV Nr. 43); Handschriftensiglen (eingeführt von KORNRUMPF) ebd., S. XXIV–XXVI; Exzerpte aus ‹Dietrichs Flucht› ediert bei J. u. W. GRIMM 1815 (LV Nr. 250). Vgl. ferner GSCHWANTLER 1971 (LV Nr. 256), S. 252–265, 307f.; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 15, 142–146, 242–249 (Text), 258; BRUNNER 1998 (LV Nr. 169); Test. Nr. 204. H3 (Ny1; New York, Pierpont Morgan Library, M. 769, Bairisch, Ende 14. Jh.), H4 (W5, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. s.n. 9470, Bairisch, nach 1372), H8 (M5, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 7377, Bairisch, Ende 14. Jh.), H9 (M3, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 7330, Runkelstein bei Bozen, 1394), H11 (Gr1, Graz, Universitätsbibliothek, Cod.

Spätere Zeugnisse

kohärente Erzählung, sondern in Form mehrerer Einzelabschnitte, die jeweils an passender Stelle der Kaiser- und Papstreihen (Kaiser Valens bis Justinian I. und zugehörige Papstkapitel) eingefügt sind, wie es der incidentia-Struktur auch volkssprachiger Weltchroniken entspricht. Die Handlungsabschnitte haben unterschiedlichen Umfang und Inhalt, enthalten teils nur ein ‹Nibelungenlied›-Resümee (Fassung 3 [H9, H11] mit, Fassung 5 [H17, H18, H19] ohne Erwähnung Dietrichs), teils auch Elemente der Dietrichsage: Fassung 1 [H3, H4] erwähnt Etzel und Dietrich, letzteren als Mitstreiter der Hunnen. Die Fassungen 2 [H8] und 4 [H15] integrieren in unterschiedlichem Umfang Elemente der Dietrichüberlieferung: Dietrichs Vorfahren (nach ‹Dietrichs Flucht›, gekürzt – in Fassung 2 stärker als in Fassung 4 – und mit Ortsnamen aus der ‹Kaiserchronik›); die Vertreibung durch Erntrich/Ermrich und die Flucht zu Etzel; den Burgundenuntergang (in Fassung 2 sind Dietrich und Hildebrand erwähnt, in Fassung 4 nur Hildebrand). Nach der Neuedition der Neuen Ee in Heinrichs von München ‹Weltchronik›, die für die relevanten Kapitel in den Abschnitten von Kaiser Valens bis Kaiser Justinian I. H3 folgt,136 stellt sich die Dietrich-Etzel-Episode folgendermaßen dar: Die Hunnen fallen in Ungarn ein; Etzel ist der Sohn des Königs Vallerades (Kap. 76, Incidens nach Kap. 75, Valens). (In H3 ist Dietrich an dieser Stelle nicht erwähnt; in H8 und H15 folgen auf 76,62 Exzerpte aus ‹Dietrichs Flucht› zu Dietrichs Ahnen.137) Etzel bezwingt mit seinen Hunnen und dem Perner (84,19) die Reiche des Westens (Kap. 84, Martian). Dass Dietrich von Bern auf Etzels Seite kämpft, wird hier sehr unvermittelt erwähnt und nicht erklärt; wenn man nicht als Hintergrund die historische Abhängigkeit von Theoderichs Vaterbruder und Vater, Valamer und Theodemer, von Attila annehmen will, setzt das einen Aufenthalt Dietrichs bei Etzel (mithin das Exil) voraus. Die Stelle wirkt wie ein Rückbezug auf den nur in den ȕ-Handschriften H8 und H15 enthaltenen Schluss der genealogischen Vorgeschichte, wo Dietrichs Vertreibung und Flucht zu Etzel erwähnt sind, dem dient er seit vil fl[e]izzikleich / vnd waz pey jm vil [i]ar.138 Etzel verlangt frevlerisch die Schwester des Kaisers zur Frau; Gott straft ihn, indem er ihn an seinem Nasenbluten ersticken lässt. Der alte Kaiser Zeno setzt aus Furcht vor den Römern während seines Aufenthalts in Konstantinopel Augustulus als ir kayser (87,23) ein (Kap. 87, Zeno und Odoaker). Otacker (87,34f.) fällt mit 5000 Mann in Rom ein und wird von den Römern als Kaiser angenommen; Augustulus wird abgesetzt und flieht. Die Römer schmieden Kriegspläne gegen Zeno. [V]on Pern her Dietreich (87,67) hält sich nach Etzels Tod bei Zeno auf: wan do k)nick Ezel tot gelag und daz zu Ungern all sein mag

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470, Tramin an der Etsch, 1415), H15 (Go1, Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. A 3, Bairisch, 1398), H17 (W1, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2768, Bairisch, Ende 14. Jh.), H18 (B1, Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Mgf 1107, Bairisch, 1387), H19 (M4, München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 7364, Bairisch, 1449); H2–H7 sind Į-, H8– H19 ȕ-Handschriften (H1 repräsentiert die Erstfassung) (SHAW/FOURNIER/GÄRTNER 2008, LV Nr. 43, S. XXIII, Stemma S. XXX). Vgl. ebd., bes. S. XXXII u.ö. Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 93, 102–104. Heinrich von München, ‹Weltchronik› (J. u. W. GRIMM 1815, LV Nr. 250), v. 336f.; Zitat anhand der Handschriften geprüft, Korrekturen in eckigen Klammern nach Cgm 7377 (ich danke der Bayerischen Staatsbibliothek und der Forschungsbibliothek Gotha für Bereitstellung von Kopien).

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in dem sal wurden erslagen, do chom her Dietreich in den tagen gen Constantinopel aldo zu dem kayser Czeno [...] (87,71–76). Ohne nähere Angaben vorausgesetzt sind hier Dietrichs Exil bei Etzel und der Amelungenuntergang im Nibelungenkontext, auf den in dem sal eindeutig verweist; die lakonische Andeutung mag ein Indiz für sekundäre Kürzung sein. Dietrich bietet Zeno an, Krieg gegen Otacker zu führen, zusammen mit all mein man und mein ch)nn in Lamparten dem lant (87,88f.). Letzteres kann sich nur auf die (in dieser Handschrift nicht auserzählte) Geschichte von Dietrichs Ahnen und lombardischer Verwandtschaft beziehen.139 Zeno belehnt Dietrich mit Italien. Vor Ravenna kommt es zur Schlacht und zum Zweikampf der Anführer; Dietrich schlägt Otacker den Kopf ab. Die weiteren Erwähnungen Dietrichs in den Folgekapiteln (89, 90, 91, 92) enthalten keine Sagenelemente. Den Abschluss von Kap. 92 bildet freilich ein Hinweis auf das Ende der Geschichte von den Amelungen, wie den nu ist gelungen (92,35f.); da in der Handschrift selbst nur von Dietrich die Rede war, nicht von seinem Geschlecht, scheint auch das ein Relikt der Ahnengeschichte aus der ‹Flucht›, das ebenfalls auf sekundäre Kürzung deutet.140 In allen Fassungen, die Dietrich erwähnen, zieht sich dieser nach dem Burgundenuntergang und dem Verlust seiner Gefolgsleute zu Zeno zurück: Der Aufenthalt dort ist damit, unhistorisch, zu einer Art zweitem Exil umgestaltet, im Anschluss an das bei Etzel; die Rückkehr aus dem Exil gelingt erst von Konstantinopel aus. Obwohl das Römische Reich als angestammtes Herrschaftsgebiet der Amelungen durch Meran und Lamparten ersetzt ist, wird Lamparten im Zeno-Kapitel gleichgesetzt mit Italia (87,102), die Eroberung Italiens mithin als Rückkehr, in gewisser Weise sogar als Rückeroberung stilisiert. Die Dietrich- und Nibelungensage wird, außer in Fassung 5, zur Vorgeschichte der Theoderich-Historie, die ihrerseits die üblichen Angaben aus der klerikal geprägten chronistischen Überlieferung von Theoderichs Italienfeldzug bis zu seinem angeblichen Vulkansturz bietet. Die ausführliche Fassung der Dietrich-Passagen dürfte die primäre sein (dafür spricht neben den bereits angeführten Argumenten ferner, dass auch bei den kürzeren Fassungen im Zeno-Kapitel Dietrichs Vater Dietmar entgegen allen chronistischen Vorlagen und entgegen Heinrichs sonstiger Vorliebe für Stammbäume nicht mehr erwähnt, also möglicherweise als – aus der Genealogie – bekannt vorausgesetzt wird141); die Kürzungen sind vermutlich sekundär, wohl aufgrund von Skepsis gegen die (unhistorische) direkte Verbindung von Dietrich und Etzel.142 Seit Jakob Twinger von Königshofen (‹Deutsche Chronik›, 1382–1420)143 spielt die ‹historische› Dietrichüberlieferung auch in der Sagenkritik keine Rolle mehr; sie wird nicht einmal mehr der Gegnerschaft gewürdigt wie die aventiurehafte. GISELA KORNRUMPF hat

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KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 96 A. 30. Ebd. Ebd., S. 103. Ebd., S. 107. Vgl. JONES 1952 (LV Nr. 347), S. 1098; HAUCK 1963 (LV Nr. 276), S. 123; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 15, 146–148, 249–253 (Text), 258; KOPPITZ 1980 (LV Nr. 388), S. 105; KNAPE 1984 (LV Nr. 367), bes. S. 357; MASSER 1984 (LV Nr. 435), S. 636f.; KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 100, 108 und passim; KIRCHERT 1993 (LV Nr. 364), S. 21−46; Test. Nr. 218.

Spätere Zeugnisse

Twingers Kritik am positiven Dietrichbild der volkssprachigen Dietrichüberlieferung allerdings nicht nur auf den «strahlenden Sieger[]» der aventiurehaften Dietrichüberlieferung bezogen, sondern vorsichtig auch auf die ‹historische›: Etliche leigen lobent disen Dieterich gar vaste, und hette doch einen b sen anevang und usgang, wan er was ein basthart und fĤrte ein unkristenlich Arrianen leben und starp ellendekliche [...] er betwang vil lant und lüte mit strite und mit ufsetzen sines volkes und nüt mit sin selbes sterke [...].144 «Diese Kritik mag ihre Schärfe sogar aus der Erinnerung an die Blutbäder und Totenklagen der historischen Epik beziehen, in der schließlich bis auf Hildebrand niemand von Dietrichs Mannen und Gesellen übrigbleibt.»145 KORNRUMPF subsumiert hier (angesichts der Handlungs- und Deutungskontinuität mit Recht) auch das ‹Nibelungenlied› der «historischen Epik» um Dietrich. Freilich stammen Twingers Vorwürfe – uneheliche Abkunft, Ketzerei, heilloser Tod – aus der klerikalen chronistischen Tradition und beziehen sich auf Theoderich den Großen bzw. dessen polemisches Zerrbild, gerade nicht auf den Dietrich von Bern der Sage. Da von den Schlachten der ‹historischen› Dietrichüberlieferung ebenfalls kein meister in latyne146 schreibt, liegt es fern, dass Twinger sich in seiner Invektive ausgerechnet darauf stützen soll. Falls in der Reminiszenz an verlustreiche Schlachten trotzdem entsprechendes Sagenwissen mitschwingen sollte, wäre das allenfalls als Negativbefund aufschlussreich: Das positive Bild Dietrichs als legitimer Nachfahre idealer Könige, als unerschrockener Vorkämpfer seines Heers und als bis zur Selbstaufgabe fürsorglicher Gefolgsherr, wie es vor allem ‹Dietrichs Flucht› entwirft, spielt für Twinger keine Rolle. Das Wunschgedicht ‹De vier heren wenschen›147 (um 1390/1400) enthält eine unspezifische Anspielung auf Schemming und Mimming, ohne Nennung ihres Besitzers Witege. Konrad Bollstatter führt in seinem ‹Losbuch›148 (2. Hälfte 15. Jh.) unter vier Recken neben Nibelungennamen auch Dietrichhelden (Haym, Wyttig) an; doch sind Witege und Heime als Heldenpaar nicht spezifisch einer bestimmten Dietrichüberlieferung zuzuordnen. Die Heldenballade ‹Jüngeres Hildebrandslied›149 (vor 1459) schildert den versöhnlichen Ausgang des Vater-Sohn-Kampfes zwischen Hildebrand und Alebrant bzw. Ollebrant im Kontext von Hildebrands Rückkehr nach Bern nach dreißig- bzw. zweiunddreißigjähriger Abwesenheit, ohne ausdrücklichen Hinweis auf eine Vertreibung; Dietrich von Bern kommt nur eine Nebenrolle zu. Im ‹Wunderer› (vor 1472; 13. Jh.?; auch im Fastnachtspiel ‹Wunderer› F, wohl Ende 15. Jh.)150 steht der Aufenthalt des hier jugendlichen und noch kampfunerfahrenen Dietrich

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Twinger, ‹Chronik› (HEGEL 1870/1871, LV Nr. 99), S. 381; vgl. dazu KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 108. Ebd. Twinger, ‹Chronik› (HEGEL 1870/1871, LV Nr. 99), S. 380. ‹De vier heren wenschen›, v. 143f. (BLOMMAERT 1841, LV Nr. 76, S. 103f., 114−116); MONE 1830 (LV Nr. 77), S. 148−154; vgl. Test. Nr. 206. SCHNEIDER 1973 (LV Nr. 17), fol. 142r; vgl. bes. dies. 1970 (LV Nr. 523), bes. S. 300f.; Test. Nr. 239. MEIER 1935 (LV Nr. 52), S. 1−21; vgl. bes. CURSCHMANN 1983 (LV Nr. 186); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 51–53; Test. Nr. 240. Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 9f., 18−20, 188−194; Test. Nr. 254, 268.

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Der Stoff und die Zeugnisse

bei Etzel in aventiurehaftem Kontext (Ungeheuer-Kampf zwecks Rettung einer bedrängten Frau), ohne Anklänge an Vertreibung und Exil. Dietrichs Aufenthalt bei Etzel dürfte sich hier dem Artusroman verdanken, der den Artushof als bevorzugten Ort der Sozialisation für heranwachsende junge Helden etabliert, und der seit dem ‹Nibelungenlied› fassbaren Annäherung Etzels und des Etzelhofs an arturische Konstellationen. Die Jugend des Helden stammt angesichts der geringen Wirkmächtigkeit der Fluchtepen schwerlich aus ‹Dietrichs Flucht›, sondern entspricht einem Muster aventiurehafter Dietrichepik. Die ‹Heldenbuch-Prosa›151 (vor 1479) entwirft eine Geschichte des Heldenzeitalters (von der Erschaffung der Helden als Kämpfer gegen das in den Riesen verkörperte Böse bis zu ihrem Untergang in einer großen Schlacht vor Bern; vgl. auch S. 244 und 245 A. 73) und enthält in diesem Rahmen eine Kurzvita Dietrichs von Bern, die trotz etlicher Unterschiede in einigen Punkten ‹Dietrichs Flucht› ähnelt (Vorfahren, Fluchtsage), daneben Elemente der Nibelungen- und der aventiurehaften Dietrichüberlieferung integriert und gegen klerikale Traditionen anerzählt. Insgesamt vertritt die ‹Heldenbuch-Prosa› wohl eine von den Fluchtepen unabhängige (mündliche) Sagentradition. Dietrich ist einerseits dämonisch konnotiert (während der Schwangerschaft von Dietrichs Mutter findet diese beim Erwachen den bösen Geist Machmet neben sich liegen, der ihr prophezeit, sie werde den stärksten Geist [!] gebären und der werde im Zorn Feuer speien; der Teufel erbaut in drei Nächten die befestigte Stadt Bern); andererseits aber wird der Berner nach dem Untergang der Heldenwelt von einem Zwerg mit einem Christuswort entrückt. Dietrich ist, wie üblich, Dietmars Sohn und Wolfdietrichs Enkel, hat hier aber drei Brüder: Ementrich (!), Harlung und den in seiner Jugend (ohne Nennung Witeges) getöteten Diether (fol. 4va auch Dieterich genannt). Unter Dietrichs Helden werden auch Hildebrand, Wolfhart und Alphart aufgeführt. Dietrichs zweite Frau (nach Hertlin) sei Herrad gewesen. Der Ausbruch des Konflikts mit Ermrich wird anders motiviert als üblich: Am Anfang steht nicht Ermrichs Aggression gegen Dietrich, sondern Dietrichs und Eckeharts Rache für die Harlungen: Ermrich vergewaltigt wie in der ‹Thidrekssaga› die Frau seines Marschalls Sibeche, der aus Rache zum treulosen Ratgeber wird und seinen König dazu veranlasst, die Söhne des Harlung aufzuhängen. Deren treuer Erzieher Eckehart von Breisach und Dietrich führen daraufhin Krieg gegen den Verwandtenfeind. Dietrich nimmt Ermrichs Sohn gefangen, Ermrich acht von Dietrichs Männern (die unterschiedliche Zahl gefangener Dietrichhelden – in ‹Dietrichs Flucht› sind es sieben – spricht eher für eine unabhängige Überlieferung). Da der Gegner den Gefangenenaustausch ablehnt, muss Dietrich – wie in ‹Dietrichs Flucht› – sein Land Ermrich überlassen, um seine Gefolgsleute zu retten, und zieht in die Fremde. Auf Fürsprache Rüdigers von Bechlarn gewährt ihm König Etzel Exil, wie in allen bekannten (ausführlichen) Sagenversionen von Dietrichs Verbannung. Etzels Gemahlin Helche (Herche) vermählt ihn mit Herrad, die – wie in einem späten Zeugnis der Hunnensage – nicht ihre, sondern Etzels Nichte ist. Mit einem Hilfsheer Etzels erobert Dietrich sein Reich zurück; vorangehende erfolglose Rückkehrschlachten sind nicht erwähnt, auch nicht die Tötung der Helchesöhne und Diethers in der Rabenschlacht (trotz der Erwähnung von Diethers Tötung in der Exposition der Figuren). Dietrichs Verwick-

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Heldenbuch (HEINZLE 1981/1987, LV Nr. 47), I, fol. 1r–6r; vgl. auch II, S. 223–242; vgl. bes. RUH 1979 (LV Nr. 505), bes. S. 17–21; KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 99; MÜLLER 1985 (LV Nr. 461), bes. S. 74, 83f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 46−50; KRAGL 2007 (LV Nr. 391), S. 82f., 86, 99; Test. Nr. 258.

Spätere Zeugnisse

lung in den Nibelungenuntergang ist umgestaltet: Aus Rache für Siegfrieds Tötung durch Dietrich im Rosengarten heiratet Siegfrieds Witwe Kriemhild nach Helches Tod Etzel, lädt alle Helden der Welt zu einem Fest an den Etzelhof ein und provoziert ein Gemetzel. Dietrich nimmt zwei Brüder Kriemhilds gefangen. Kriemhild schlägt ihnen die Köpfe ab und wird dafür (wie in der ‹Thidrekssaga›) von Dietrich in Stücke gehauen. In einer späteren Schlacht vor Bern gehen Helden und Heldenwelt unter. (Auf die ‹Heldenbuch-Prosa› zurückgehen dürften Motive der Fluchtsage in Cyriacus Spangenbergs ‹Adelsspiegel›, 1591 und 1594: Der treue Eckehart habe die Tötung der Harlungen mit Hilfe des Berners an Ermrich rächen wollen, doch wegen der Notwendigkeit, acht gefangene Gefolgsmänner Dietrichs auszulösen, wenig ausgerichtet.152) Ein seltenes Zeugnis für Alpharts Tod ist eine Glosse in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts zum ‹Carmen satiricum occulti Erfordensis›, Zechprellerei werde vulgariter (hier wohl «lateinisch-umgangssprachlich») als alphard percutere (‹Alphart totschlagen›) bezeichnet.153 Tertium comparationis der «metaphorische[n] Redewendung mit der Bedeutung ‹jemanden betrügen, übervorteilen›»154 ist der Betrug, Witeges und Heimes hinterlistiges Vorgehen gegen Alphart. Hinter der Redewendung kann also nicht Alpharts Schlachttod in ‹Dietrichs Flucht› stehen, sondern eine Version seines Todes, wie sie in ‹Alpharts Tod› erzählt wird; als Prätext zu sichern ist dieser jedoch nicht. Anders als in einem zweiten Fall des Sprichwörtlichwerdens von Konstellationen der Dietrichsage (‹Ecke ist an den Berner geraten› im Sinne von ‹einer hat seinen Meister gefunden›)155 ist das zugrunde liegende Sagenmotiv nur sehr selten überliefert – wie es (angeblich) zur Redensart werden konnte (und das im Lateinischen), bleibt ein Rätsel. Die Heldenballade ‹Ermenrikes dot›156 (Druck um 1540) ist das einzige deutschsprachige Zeugnis für Ermrichs Tod, auf den die Fluchtepen wiederholt (nach sonstigen Sagenzeugnissen: ins Leere) verweisen – und überhaupt das einzige für die Tötung Ermrichs durch Dietrich: In der ‹Thidrekssaga› stirbt Ermanrik nach einer nicht näher definierten Krankheit, in den meisten Zeugnissen der Ermanarich-Sage durch die Brüder der Svanhild. Der Sagenhintergrund für ‹Ermenrikes dot› ist nicht mehr zu rekonstruieren; schon Namensformen sind verderbt, Figurenkonstellationen und geographische Bezüge wohl auch durch Verwechslung bzw. unklare und inkohärente Sagenreminiszenzen zustande gekommen: Dietrich will den in Franckriken (1,1) herrschenden König van Armentriken (2,3 u.ö.; wohl Ermrich) wegen seiner Grausamkeit vertreiben (so Fassung A; in Fassung B der Ballade wird angedeutet, der König habe Dietrich vertreiben wollen, der einzige spezifische Bezug zur Fluchtsage). Von Hillebrandt (1,4 u.ö.) erfährt Dietrich, dass der König ihn und seine elf Helden hängen lassen will. Hildebrands Frau teilt mit, dass der König mit 350 Mann in Freysack (4,2; Friesach in Kärnten? Breisach, Sitz Eckeharts, des Vormunds der Harlungen?) lagere, und rät, den jun-

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Vgl. MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 202; ders. 1985 (LV Nr. 461), S. 85; HAUSTEIN 1989 (LV Nr. 290), bes. S. 119−124; vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 196; Test. Nr. 346. ENDERMANN 2003 (LV Nr. 211), S. 183−185 [mit Text], Zitat S. 185; vgl. FLOOD 2006 (LV Nr. 224), S. 109; Test. Nr. 271. ENDERMANN 2003 (LV Nr. 211), S. 184. Vgl. Test. Nr. 253, 303, 317. Vgl. WEDDIGE 1995 (LV Nr. 586), danach auch Zitate und Stellenangaben; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 53−56; Test. Nr. 308.

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Der Stoff und die Zeugnisse

gen Riesen K ninck Bl delinck (9,1 u.ö.) als Helfer zu gewinnen. Dietrich und seine Männer verkleiden sich als Tänzer und ziehen von Bern aus los, vorbei an einem Galgen, der angeblich für sie bestimmt ist. In Freysack verweigert ihnen Reinholt van Meilan (13,1 u.ö.) zunächst den Zugang und meldet dem König, Dietrich sei gekommen, um Rechenschaft zu fordern. Der Name kommt auch in ‹Alpharts Tod› und ‹Dietrichs Flucht› vor: Rienolt von Mailand, Gefolgsmann des Ermrich, wird in ‹Dietrichs Flucht› von Wolfhart erschlagen. Die Helden fragen, was sie dem König angetan hätten. Als dieser schweigt, schlägt Dietrich ihm den Kopf ab. Alle Burgbewohner außer Reinholt werden erschlagen. Bldelink, zeitweise vermisst, prahlt, er habe 350 Mann verwundet. Alle zwölf Helden sind unversehrt; Gott wird gepriesen. Die Todfeindschaft zwischen Dietrich und Ermrich verweist auf die Fluchtsage, der in Fassung B angedeutete (anscheinend vergebliche) Vertreibungsversuch möglicherweise auf eine ‹Alpharts Tod› ähnliche Konstellation. (Gemeint sein könnte freilich auch, dass mit Dietrichs Rückkehr, die möglicherweise der Konstellation der Ballade zugrunde liegt, der Vertreibungsversuch vereitelt ist.157) Mehr ist an Bezügen zu Fluchtsage und Fluchtepen nicht zu rekonstruieren. Hinzu kommen – diffus verschmolzen – Elemente der Harlungenüberlieferung (Motiv des Hängens und des Galgens, Bezug von Freysack zu Eckehart?) und Svanhildsage (Tötung Ermrichs aus Rache) sowie das Zwölfkampf-Motiv aus der aventiurehaften Dietrichepik.

4. Sondertraditionen Sondertraditionen von begrenzter Ausstrahlung bilden die ‹Gesta Theoderici regis› und die sogenannte Hunnensage der ungarischen Chronistik aus. Verbindungen dieser Sondertraditionen mit der Fluchtsage sind genetisch nicht zu greifen, in Einzelmotiven aber unbestreitbar. Die ‹Gesta Theoderici regis› sind in drei Fassungen erhalten, in ‹Fredegar-Chronik› (um 658/660), Aimoins von Fleury ‹Historia Francorum› (um 1000), ‹Vita Fuldensis› (1176/ 1177).158 Nach der Redaktion der ‹Fredegar-Chronik› ist Theoderich der Sohn makedonischer Sklaven (Theodorus und Lilia) in Konstantinopel; ein Traum seiner Mutter in der Hochzeitsnacht von einem Baum, der aus ihrem Bauch bis über die Wolken wächst, verweist zeichenhaft auf künftigen Aufstieg. Der Junge wird von einem oströmischen Patricius adoptiert und unter Kaiser Leo militärisch ausgebildet. Die in Italien herrschenden Goten erbitten von Leo, dem sie sich nach ihrem Einfall unterworfen haben, Theoderich als Helfer gegen den Usurpator Odoaker. Auf kaiserlichen Befehl hin zieht Theoderich nach Italien und wird dort von Römern und Goten zum Patricius eingesetzt. Nachdem er zunächst geflohen und dafür von seiner Mutter zurechtgewiesen worden war, besiegt er Odoaker bei Ravenna und lässt ihn

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Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 54f. ‹Fredegar-Chronik›: KRUSCH/KUSTERNIG 1982 (LV Nr. 37), II,57–59; Aimoin: MIGNE 1844 (LV Nr. 1); KRUSCH 1888 (LV Nr. 36), S. 210−214; ‹Vita Fuldensis›: KRUSCH 1888 (LV Nr. 36), S. 202−210; vgl. auch VOGEL 1970 (LV Nr. 569), S. 9−86, 134−175; vgl. ferner bes. OHLY 1968 (LV Nr. 480), S. 144−147, 222; ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 12, 75–79, 183–189 (Text), 156; WISNIEWSKI 1986 (LV Nr. 594), bes. S. 60−65; MAROLD 1988 (LV Nr. 432), S. 162f.; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 344; Test. Nr. 37, 67, 100. Nur selten wird auf diese Tradition rekurriert (Hugo von Flavigny, vgl. Test. Nr. 82; Christine de Pizan, vgl. Test. Nr. 212).

Sondertraditionen

und seine Familie töten. Zwei Mordanschläge des Kaisers werden durch einen treuen Senator verhindert. In Kämpfen gegen Hunnen und Avaren gewinnt Theoderich einen Gegner als treuen Gefolgsmann. 32 Jahre lang herrscht Theoderich als König über Italien. Zur Strafe für die Ermordung von Papst Johannes I. und Symmachus trifft ihn Gottes Zorn: Er wird von seinem angeblichen Bruder Gaisericus (dem Vandalen Geiserich?) getötet und von Johannes und Symmachus in einen Vulkan auf Sizilien gestürzt. Die späteren Versionen stellen um, lassen weg (z.B. die angebliche Tötung durch Geiserich) oder ergänzen im Detail, ohne freilich die Substanz der Geschichte anzutasten; auffällig ist eine gewisse Rehistorisierung in der ‹Vita Fuldensis›. Die Geschichte hat narratives Potential: fast alle Daten der historiographischen und den Vulkansturz der klerikalen Tradition; außerdem noch die epentypische zweifelhafte Herkunft des außergewöhnlichen Helden (nur in der ‹Vita Fuldensis› wird das Sklavenpaar mit den historischen Eltern gleichgesetzt); die großen Themen der Heldensage in dramatischen Episoden von Verrat, Freundes- und Gefolgschaftstreue; in der ältesten Version ferner Ansätze zur sagentypischen Versippung getrennter Stoffe durch die Verwandtschaft des Helden mit dem Vandalen (?) Geiserich, der seinen angeblichen Bruder Theoderich tötet. Alle Versionen enthalten insbesondere die Episode von Theoderichs Flucht vor Odoaker und der – antiken Modellen nachempfundenen – Beschämung des Helden durch seine Mutter: In panischer Flucht enteilt Theoderich; die Mutter tritt ihm entgegen und schilt ihn heftig für seine Feigheit: weiter könne er nicht mehr fliehen, ob er sich im Mutterleib verkriechen wolle? Daraufhin stellt sich Theoderich zum Kampf und erringt den jetzt wieder historischen Sieg. Mit der Fluchtsage verbindet die Aufsteigergeschichte159 der ‹Gesta› auf den ersten Blick nichts; doch zeigen sich Ansätze zu einer Legitimierung der Eroberung Italiens: zum einen (wie häufig auch in der chronistischen Tradition) durch den Auftrag Kaiser Leos bzw. (historisch) Zenos, zum anderen durch Ansätze, diesen Krieg zur Rückeroberung nicht nur für Ostrom, sondern auch für die Goten zu stilisieren: In der ‹Fredegar-Chronik› herrschen die Goten bereits in Italien und rufen Theoderich gegen den Usurpator Odoaker herbei. In der eindrücklichen Szene von Theoderichs anfänglicher Flucht, seiner Beschämung durch die Mutter und seinem letztlichen Sieg prägen die ‹Gesta› zudem erstmals die Zaudererrolle aus, die für die literarische Dietrichfigur ab dem 12./13. Jahrhundert typisch wird (vgl. auch S. 222f.), auch wenn zugegebenermaßen ein Einfluss der ‹Gesta› auf volkssprachige Erzähltraditionen nicht zu greifen ist. Die ungarische Hunnensage (vertreten z.B. durch die Chroniken des Simon von Kéza, 1282−1290, Johannes von Thurocz, 1487, Miklós Oláh, um 1550; mit Wirkung u.a. auf Heinrich von Mügeln und Veit Arnpeck)160 enthält mehrere Abschnitte zur Rolle Dietrichs von Bern in der Geschichte Attilas und des Hunnenreichs. Dabei fließen Reminiszenzen ein an die (historische) Abhängigkeit der pannonischen Goten unter Theoderichs Vaterbruder und Vater, Valamer und Theodemer, von den Hunnen und von Attila, aber auch an Elemente der deutschen Sagentradition: Dietrich führt (als Herrscher über Rom und Vorkämpfer der Germanen) in Pannonien Krieg gegen die Hunnen; nach einer Niederlage hält er sich zeit-

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Vgl. auch KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 57. Vgl. Test. Nr. 165, 261, 319; 203, 263; vgl. bes. BLEYER 1906 (LV Nr. 150); ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S.15, 128f., 233f. (Text), 258.

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Der Stoff und die Zeugnisse

weise an Attilas Hof auf und erteilt dem Hunnenkönig den Rat, die Reiche im Westen zu erobern; nach Attilas Tod sät er Zwietracht zwischen dessen Söhnen und ergreift dabei Partei für Kriemhilds Sohn. Mit der Fluchtsage verbindet diese Tradition – außer dem Sagennamen Ditricus Veronensis – das Motiv von Dietrichs Aufenthalt bei Attila (ohne Vertreibung und Exil, mit einer anders gelagerten Grundkonstellation, in der Dietrich Gegner der Hunnen ist und nur als Besiegter vorübergehend Attilas Gefolgsmann); an diesen Aufenthalt schließt sich unbestimmt – ohne die Verwicklung in den Burgundenuntergang – seine Parteinahme für Attilas und Kriemhilds Sohn an. (Die Episode mit einem Pfeilschuss in die Stirn, den Dietrich überlebt, was ihm den Ruf der Unsterblichkeit einträgt, spielt allenfalls für die Diskussion um eine Mythisierung von Dietrichs Ende eine Rolle, nicht für die Fluchtsage.) Nicht fluchtsagenspezifisch ist der glänzende Helm, den Johannes von Thurocz besonders hervorhebt,161 auffällig allerdings die mit der ‹Heldenbuch-Prosa› gemeinsame Verbindung mit einer Nichte Attilas bei Miklós Oláh.162

5. Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der DietrichTestimonien Angesichts der spärlichen Zeugnisse ist die Rekonstruktion von Vor- und Zwischenstufen oder ursprünglichen Versionen zum Scheitern verurteilt, obwohl als sicher angenommen werden darf, dass es solche Vorstufen – ob dichterisch geformt oder ungeformt als Prosaerzählung – gegeben hat. Andernfalls wären die kurzen Anspielungen nicht zu erklären, die Sagenwissen voraussetzen – der Regelfall bei den Dietrich-Testimonien. Ferner beruhen Dichtungen wie ‹Biterolf und Dietleib› und ‹Dietrich und Wenezlan›, die auf einer Metaebene auf Fluchtsagenmotive zu reagieren scheinen (in gewisser Weise auch die ‹Kaiserchronik›, die die Erzählmuster von Vertreibung, Exil und Rückkehrschlacht auf Dietrichs Großvater und Vater überträgt), auf einigermaßen fest ausgeformten Vorstellungen von der Fluchtsage, auf inhaltlicher wie struktureller Ebene. Auf der Basis der erhaltenen Zeugnisse ist nur festzustellen, welche Motive, Erzählschablonen, Handlungssequenzen, Namen und Rollenstereotype überliefert sind und wann sie erstmals bezeugt werden. Konturen einer Fluchtsage umreißen (außer den ‹historischen› Dietrichepen selbst) nur wenige Texte: das ‹Hildebrandslied› (mit erheblichen Unsicherheiten), die ‹Quedlinburger Annalen›, ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage›, die ‹Thidrekssaga› und die späte ‹Heldenbuch-Prosa›. Hinzu kommen Anspielungen auf einzelne Ereignisse, häufig nur an Namen geknüpfte Rollenstereotype, Personenkonstellationen, die die Rekonstruktion von Sagenabläufen nicht oder allenfalls für Einzelzüge erlauben. Den Befund ergänzen können Andeutungen, die den Konfigurationen der Fluchtsage nahestehen, aber nicht zwangsläufig auf diese verweisen: Anspielungen auf Ermanarich als Treuebrecher und Verwandtenfeind, auf Sibeche als treulosen Ratgeber, auf Figurenkonstellationen wie die Verbindung von Dietrich und Rüdiger oder Witege und Heime als Heldenpaar: Ermrich und Sibeche gehören auch in den Kontext der

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Johannes de Thurocz, ‹Chronica Hungarorum›, Kap. 13f. (GALÁNTAI/KRISTÓ 1985, LV Nr. 51, S. 35–37). Nicolaus Olahus, ‹Hungaria›, Kap. 17 (EPERJESSY/JUHÁSZ 1938, LV Nr. 70).

Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien

Svanhild- und Harlungensage (die Rollen Ermrichs als Verwandtenfeind und Sibeches als böser Ratgeber können daher auf die Ermordung des Königssohns, das Erhängen der missliebig gewordenen Harlungen oder die Vertreibung des Neffen Dietrich bezogen werden), die Verbindung von Dietrich und Rüdiger, Dietrich und Etzel auch in die Nibelungenüberlieferung. Bisweilen lässt nur die Zusammenstellung bestimmter Namen auf Dietrichsage schließen. Dietrichs Vertreibung zusammen mit Hildebrand ist seit dem ‹Hildebrandslied› (Hs. 9. Jh.) belegt, ebenso (mit gewissen Unsicherheiten) das dreißigjährige Exil bei den Hunnen und eine Rückkehrschlacht (unausgesprochen wohl Dietrichs), über deren Erfolg nichts ausgesagt wird. Seit den ‹Quedlinburger Annalen› (um 1100) wird Dietrich durch ErmanarichErmrich vertrieben – mit Hilfe eines bösen Ratgebers, der nur hier Odoaker heißt. Sibeche/Sifka als Anstifter zur Vertreibung Dietrichs ist ausdrücklich erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts, in der ‹Thidrekssaga› und in den ‹historischen› Dietrichepen, bezeugt; die seit dem Frühmittelalter häufigen Anspielungen zunächst nur auf den Namen, seit der Mitte des 11. Jahrhunderts auch auf die Rolle als treuloser Ratgeber sind zumeist nicht spezifisch; sein Motiv (die Vergewaltigung seiner Frau durch Ermrich) wird erstmals Mitte des 13. Jahrhundert in der ‹Thidrekssaga›, in deutscher Sprache nur in der ‹Heldenbuch-Prosa› verdeutlicht. Ebenfalls erstmals in den ‹Quedlinburger Annalen› ist das Exil bei den Hunnen ausdrücklich als Exil bei Attila konkretisiert. Das ‹Nibelungenlied› setzt um 1200 Dietrichs langjähriges Exil bei Etzel voraus und thematisiert erstmals die Verbindung mit Helches Nichte Herrad. Eine (unspezifische) Verbindung mit Rüdiger ist bereits einige Jahrzehnte zuvor bei Metellus von Tegernsee angedeutet, doch bezeugt erst das ‹Nibelungenlied› die enge Verbundenheit der beiden Helden; die ‹Nibelungenklage› begründet sie aus Ereignissen der Dietrichsage heraus. Schon im ‹Nibelungenlied› werden Dietrichhelden wie Hildebrand, Wolfhart und andere, auch der hier ohne Sagenwissen nicht einzuordnende Nuodunc und Witege als Töter junger Dietrichhelden, in ihren Namen und zum Teil in ihren Handlungsrollen vorausgesetzt, obwohl sie hier zum ersten Mal bezeugt sind. Dietrichs Klage und seine Selbststilisierung zum armen, gottverlassenen Dietrich folgen im ‹Nibelungenlied› aus dem Amelungenuntergang, der alle Aussichten auf eine Rückeroberung von Dietrichs Herrschaft zunichte macht. Inwieweit aus der Sage die Rolle des armen Dietrich vorausgesetzt werden kann, ist fraglich; fassbar ist sie erst ab dem ‹Nibelungenlied›. Hinzu kommen in der ‹Nibelungenklage› eine Anspielung auf Dietrichs Vertreibung und Rüdigers entscheidende Rolle als Vermittler bei Etzel (offensichtlich nach dem Tod der Etzelsöhne, also der Rabenschlacht-Konstellation, die hier erstmals mit einiger Sicherheit indirekt bezeugt ist) sowie Dietrichs unkriegerische Rückkehr nach Italien. Die knappen Anspielungen bei Wolfram (Anfang 13. Jh.) setzen die stereotypen Handlungsrollen Sibeches und Wolfharts sowie Hildebrands (und damit Dietrichs) Exil voraus und bezeugen erstmals mit Witege als Massenschlächter die Massenschlachten im Umfeld der ‹historischen› Dietrichsage ebenso wie die Hyperbolik solcher Schlachtschilderungen. Außer in ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage› und eindeutiger als dort ist die Rabenschlacht, konkret: die Tötung der Helchesöhne, seit Anfang des 13. Jahrhunderts in mehreren Texten bezeugt, teilweise (‹Eckenlied›) in auffälliger Nähe zur erhaltenen späteren ‹Rabenschlacht›, teilweise in einer Version, die tendenziell eher auf den Schlachttod junger Krieger verweist wie in der ‹Thidrekssaga› (‹Helmbrecht›), teilweise in burlesker Ironisierung (‹Wolf und Geiß I›; ‹Rache für die Helchensöhne›). Ein umfassendes Reservoir von Sagenheldennamen und die Komisierung von heroischer Gewalt zugleich demonstrieren Neidharts Lieder, ohne freilich Rückschlüsse auf

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Der Stoff und die Zeugnisse

Sagenkonturen zuzulassen. Im ‹Ortnit› (um 1230) ist (wie auch später im ‹Wolfdietrich› D) bereits vor der erhaltenen ‹Flucht› die genealogische Anknüpfung Dietrichs an Wolfdietrich belegt. Erst die ‹Thidrekssaga› bezeugt eine kohärente Dietrichsage: die Vertreibung als kampflose Flucht; das Exil als Zeit von Kämpfen für Attila; die der Rabenschlacht entsprechende Gronsport-Schlacht nach zwei Jahrzehnten des Exils mit dem Tod der Hunnenprinzen und Thethers in heldenhaftem Kampf während der Schlacht und mit der vergeblichen Verfolgung Widgas durch Thidrek; die besondere Verbundenheit mit Rodingeir/Rüdiger und der Hunnenkönigin, die Verwicklung in den Burgundenuntergang und den Verlust der Gefolgsleute; die zunächst kampflose Rückkehr nach Italien nach mehr als dreißigjährigem Exil und nach Ermanriks Tod, danach eine siegreiche Schlacht gegen den zum Usurpator gewordenen bösen Ratgeber Sifka. ‹Dietrich und Wenezlan› verweist um die Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals (in Reaktion auf einen nicht erhaltenen Text) qua Gegenbild auch auf die Gefangennahme von Dietrichmannen und Dietrichs Erpressung durch Ermrich, die sonst nur später in ‹Dietrichs Flucht› selbst und in der ‹Heldenbuch-Prosa› bezeugt sind. Inwieweit einige der Sagenmotive auf Chanson-de-geste-Einfluss zurückgehen,163 lässt sich mangels erhaltener Texte aus der Zeit möglicher Einflussnahme nicht verifizieren: Sibeches Kumpan Ribstein in ‹Dietrichs Flucht› mag auf den Verräter Ripemont in den ‹Haimonskindern› verweisen, obgleich auch ältere Vorbilder geltend gemacht wurden.164 In anderen Fällen (etwa bei der Rolle des Verwandtenfeinds und Töters des eigenen Sohnes) ist das Sagenmotiv eindeutig älter. Ob das Zaudern, markantes Merkmal der Dietrichrolle der aventiurehaften Dietrichepik (variiert auch der ‹historischen›; vgl. S. 222f.), auf Chanson-de-geste-Einfluss zurückgeführt werden kann, ist fraglich. Dass die Schlachtschilderungen der ‹historischen› Dietrichepen einiges den Chansons de geste verdanken, vor allem die exorbitanten Zahlenverhältnisse, die Namenshäufungen und die – bisweilen freilich auch in Antikenromanen des 13. Jahrhunderts zu beobachtende – Tendenz zur Hyperbolik, dürfte unstrittig sein. Im Einzelfall ist das schwer zu verifizieren – und es betrifft nicht den Stoff, sondern die Erzähltechnik.

Bei den (vermutlich) späteren Zeugnissen sind die meisten Verweise zu unspezifisch, als dass festzustellen wäre, ob sie sich auf mündliche Überlieferung bzw. nicht erhaltene Texte oder auf die Fluchtepen selbst beziehen (zusammenfassend zur Wirkung der Fluchtepen vgl. S. 100f.). Auf mögliche Sagentraditionen außerhalb der Fluchtepen verweisen ‹Helmbrecht› (mit einer Version der Rabenschlacht, in der die jungen Helden kämpfend in der Schlacht umkommen; Inkonsistenzen in der ‹Rabenschlacht› selbst deuten auf eine solche Version als Hintergrund; vgl. bes. S. 149), das ‹Jüngere Hildebrandslied› (mit der denkbaren Implikation von Dietrichs glücklicher Heimkehr) und die ‹Heldenbuch-Prosa› (siegreiche Racheschlacht für die Harlungen vor der Vertreibung mittels Erpressung). Auffällig ist insgesamt, auch wenn man das für mündliche Überlieferung charakteristische Fluktuieren der Sage165 mitbedenkt, die Koexistenz unterschiedlicher Versionen für Details und sogar für die wesentlichen Stationen der Fluchtsage. Die eine «Grundfabel der historischen Dietrichsage, die nur eine Flucht Dietrichs ins hunnische Exil und nur eine tragisch siegreiche Rückkehrschlacht kennt»,166 gibt es in dieser homogenen Form nicht; die Aussage trifft allenfalls als Abstraktion zu. Für die Vertreibung – sofern sie überhaupt stattfindet: in

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Vgl. BUMKE 1967 (LV Nr. 170), S. 27f. Vgl. WAGNER 1985 (LV Nr. 582). Vgl. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), bes. S. 384f., 403; HEINZLE 1998 (LV Nr. 315), S. 57. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 198.

Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien

‹Alpharts Tod› ist dies zumindest vorläufig nicht der Fall – existieren folgende Variationen: Vertreibung im Einzelfall durch Odoaker, meist durch Ermrich (in der Regel mit Unterstützung eines bösen Ratgebers, der meist Sibeche, im Einzelfall auch Odoaker heißt); Vertreibung als Akt der Aggression im Regelfall gegen Dietrich als etablierten Herrscher, vereinzelt gegen Dietrich als unerfahrenen jungen Mann (‹Dietrichs Flucht›) oder als Reaktion auf einen von Dietrich geführten Krieg gegen Ermrich (‹Heldenbuch-Prosa›); Vertreibung nach anfänglichem Widerstand (oder gar Schlachtsieg) wie in ‹Dietrichs Flucht› und ‹HeldenbuchProsa› oder kampfloser Rückzug ins Exil (wie in der ‹Thidrekssaga›); Aggression Ermrichs als offene Kampfansage bzw. Unterwerfungsforderung (‹Thidrekssaga›, ‹Alpharts Tod›), nur in ‹Dietrichs Flucht› als verräterische Einladung. Das Exil bei den Hunnen bzw. bei Etzel ist eine Konstante außer in ‹Alpharts Tod›. Wie es ausgefüllt wird, erscheint variabel: durch eine Rückkehrschlacht (mehrere Rückkehrschlachten nur in ‹Dietrichs Flucht›), in der ‹Thidrekssaga› (angedeutet auch in der ‹Nibelungenklage›) daneben durch Kämpfe für Attila. Letzteres würde erklären, warum in den Fluchtepen die Verbindung mit Dietrich als wichtiger Machtfaktor für das hunnische Königspaar ins Feld geführt wird, obwohl der Berner mit Etzels Truppen schwere Verluste erleidet und allenfalls Teilerfolge erringt. Eine Rückkehrschlacht kann während des Exils (so in allen erhaltenen aussagekräftigen Darstellungen der Rabenschlacht) und/oder an dessen Ende stattfinden (‹Hildebrandslied›, ‹Quedlinburger Annalen›; zeitversetzt hinter die unkriegerische Rückkehr nach Bern die Schlacht gegen Sifka in der ‹Thidrekssaga›). Die tragisch-vergebliche Rabenschlacht mit dem Tod der Helchesöhne, die im 13. Jahrhundert mehrfach zitiert und meist als eine der Hauptstationen des Fluchtsagenverlaufs wahrgenommen wird, ist erst ab der ‹Nibelungenklage› mit hinreichender Sicherheit bezeugt. Dietrichs endgültige Rückkehr kann kriegerisch erfolgen (vor allem in den älteren Zeugnissen, letztlich auch in der ‹Thidrekssaga›) oder unkriegerisch (in der ‹Nibelungenklage› und anfangs in der ‹Thidrekssaga›); dass sie zu erwarten ist, wird mehrfach erwähnt und ist in der (vereinzelt belegten) Begrenzung des Exils auf (etwa) 30 Jahre impliziert; die ‹historische› Dietrichepik spart (wie das ‹Nibelungenlied›) die Rückkehr aus, vermutlich wegen der engen Bindung an die Nibelungenüberlieferung, die Dietrichs Präsenz am Etzelhof bis zum Burgunden- und Amelungenuntergang voraussetzt. Man wird davon ausgehen, dass nicht jedem Rezipienten und auch nicht jedem ‹Verfasser›/Sänger/Schreiber von Heldenepen alle Versionen präsent waren. Gleichwohl dürften Auswahl aus einem Motivreservoir, Neukombination im Rahmen übergeordneter Muster und sogar eigenständige Veränderung prinzipielle Möglichkeiten narrativer Variation darstellen. Die Fluchtepen schließen sich in vielen Details an Sagentraditionen an, treffen aber eine Auswahl aus dem, was verfügbar zu sein scheint, und weichen in Einzelheiten auch ab: ‹Dietrichs Flucht› thematisiert die auch sonst überlieferten Komplexe ‹Dietrich und Ermrich/Vertreibung durch Ermrich› und ‹Dietrich bei Etzel/Exil›. Gegenüber älteren Zeugnissen neu eingeführt ist die genealogische Vorgeschichte von Dietrichs Vorfahren, nicht nur der quasi-arturische Spitzenahn Dietwart, sondern auch die andernorts nicht belegte Ansippung an Rother und Siegfried; andere Zeugnisse kennen nur Wolfdietrich als Dietrichs Vorfahr. Entsprechend den mehrfach bezeugten Sagenrollen erscheinen Ermrich und Sibeche: Ermrich als Verwandtenfeind – auch gegenüber dem eigenen Sohn, den er ins Verderben senden wird (wie in der ‹Thidrekssaga›, freilich nicht wie dort vor der Tötung der Harlungen, sondern in unbestimmter Zukunft); Sibeche (nur hier gemeinsam mit Ribstein) als treuloser Ratgeber, ohne dass diese Rolle (wie in ‹Thidrekssaga› und ‹Heldenbuch-Prosa›) durch die Schändung seiner Gemahlin erklärt würde. Ermrich wird – wie sonst allenfalls in der ‹Rabenschlacht› –

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Der Stoff und die Zeugnisse

zum Urbösen stilisiert. Anders als in der ‹Thidrekssaga› und in ‹Alpharts Tod› versucht Ermrich, Dietrich durch eine verräterische Einladung in den Tod zu locken, sind Heime oder Witege nicht an der Fehdeansage gegen Dietrich oder an der Warnung beteiligt. Anders als in der ‹Thidrekssaga› räumt Dietrich nicht kampflos der Übermacht das Feld, sondern stellt sich zur Schlacht und siegt (wie in ‹Alpharts Tod› und ‹Heldenbuch-Prosa›). Wie in ‹Alpharts Tod›, aber anders als in der ‹Heldenbuch-Prosa› nimmt Eckehart nicht an dieser ersten Schlacht gegen Ermrich teil (in ‹Alpharts Tod› wird er erst durch Hildebrand herbeigeholt; in ‹Dietrichs Flucht› stößt er am Hunnenhof zu Dietrich; vgl. auch S. 194). Anders als anscheinend in ‹Alpharts Tod› (aber wie in der ‹Heldenbuch-Prosa›) vertreibt Dietrich den Aggressor durch seinen Schlachtsieg nicht. Der Handlungsbaustein von der Aussendung der Goldboten, ihrer Gefangennahme durch Ermrich und der daraus folgenden Erpressung Dietrichs ist vereinzelt auch außerhalb der Fluchtepen bezeugt, direkt (‹Heldenbuch-Prosa›) oder indirekt, abgemildert zur Herausforderung zum Zweikampf, in ‹Dietrich und Wenezlan›. Sagenüblich ist die großzügige Unterstützung des Exilanten auf Fürsprache Rüdigers und Helches. In anderen Quellen nicht belegt sind die beiden zugleich siegreichen und – im Ergebnis – erfolglosen Rückkehrschlachten vor Mailand und vor Bologna, die Dietrich statt nach Italien immer wieder zurück an den Hunnenhof führen. ‹Dietrichs Flucht› vervielfältigt die eine siegreich-glücklose Rückkehrschlacht der ‹Rabenschlacht›-Tradition, wie sie, geographisch anders situiert, auch die ‹Thidrekssaga› bezeugt; in anderen Zeugnissen ist die Rückkehrschlacht nicht notwendig erfolglos. Bei der Witege-Rolle deutet sich eine Umgestaltung gegenüber der Tradition an, die auf die ‹Rabenschlacht› vorausweist: Dietrichs ehemaliger Gefolgsmann, der zu Ermrich übergelaufen war, wird nicht nur rehabilitiert und zum Statthalter Ravennas bestellt, sondern erhält auch noch Dietrichs Pferd Schemming als Geschenk, auf dem er nach der Tötung der Hunnenprinzen und Diethers entkommen wird. Diese Episode vom verhängnisvollen Pferdegeschenk ist so in anderen Quellen nicht belegt: In der ‹Thidrekssaga› gehört das Pferd, wie das Schwert Mimming, zu Widgas Ausstattung durch seinen Vater; in ‹Alpharts Tod› wird nicht ausgeführt, seit wann und woher Witege sein Pferd besitzt; in ‹Rosengarten› A ist Schemming Dietrichs Pferd, wie in der ‹Virginal›, und wird Witege als Lohn für einen Riesenkampf überlassen; die Anspielung auf die Rückgabe Schemmings an Witege in ‹Rosengarten› D steht zwischen beiden Versionen (Eigenbesitz Witeges, Gabe Dietrichs) (vgl. S. 49). Die Verbindung mit Helches Nichte Herrad, die Dietrich widerstrebend eingeht, bezeugen auch mehrere andere Quellen, vor allem ‹Rabenschlacht›, Nibelungendichtungen, ‹Thidrekssaga› und (mit der Variation, dass Herrad nicht Helches, sondern Etzels Nichte ist) ‹Heldenbuch-Prosa› sowie ein Zeugnis der Hunnensage. Für Witeges (erneuten) Verrat, die Auslieferung Ravennas an Ermrich, gibt es keine älteren bzw. sicher von ‹Dietrichs Flucht› unabhängigen Sagenzeugnisse; die – nicht seltenen – Anspielungen auf Witege als Beispielfigur beziehen sich auf dessen Kampfkraft, nicht auf eine Verräterrolle; die Schelte Witeges als Verräter durch Diether in der ‹Rabenschlacht› sowie durch Alphart und den Erzähler in ‹Alpharts Tod› dürfte auf diesen Verrat in ‹Dietrichs Flucht› anspielen. Heime, in den Dietrich-Testimonien (wie in ‹Alpharts Tod›) bisweilen (nicht allzu häufig) mit Witege zu einem Heldenpaar verbunden, tritt in ‹Dietrichs Flucht› zwar als Ermrichs Gefolgsmann auf, aber ohne besondere Beziehung zu Witege und ohne dass er als ehemaliger Gefolgsmann Dietrichs oder als Verräter gebrandmarkt würde: Die Verräterrolle bleibt in ‹Dietrichs Flucht› (wie auch in der ‹Rabenschlacht›, anders als in ‹Alpharts Tod›) Witege alleine vorbehalten. Dietrichs Selbststilisierung als armer Dietmares chint (DF v. 9893) in den Totenklagen nach der Schlacht von Bologna (DF v. 9889–9979)

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Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien

entspricht seinen Klagen in ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage› wie auch in der ‹Rabenschlacht›, wirkt aber in der ‹Flucht› dysfunktional und daher zitathaft: Verglichen mit Dietrichs Verzweiflung angesichts des Verlusts all seiner Gefolgsleute beim Burgundenuntergang und angesichts des Tods der Helchesöhne und Diethers mag die Klage über Verluste in einer siegreichen Schlacht übertrieben scheinen, wie sehr auch Trauer um gefallene Gefolgsleute zu den rituell-pflichtgemäßen Trauergebärden eines Herrschers gehören mag.167 Im Vergleich mit der ‹Rabenschlacht› und mehr noch mit ‹Alpharts Tod› oder gar ‹Biterolf und Dietleib› fällt auf, wie konsequent ‹Dietrichs Flucht›, trotz intertextueller Anbindung an Ortnit/Wolfdietrich und die Nibelungen, Sagenelemente aus der aventiurehaften DietrichTradition meidet: Außer dem Pferd Schemming, einigen in verschiedenen Traditionen belegten Namen, der vielleicht aus der ‹Rosengarten›-Tradition importierten (aber auch aus dem ‹Nibelungenlied› erklärbaren) Konfrontation Dietrichs mit den Burgundenkönigen und dem (auf den Spitzenahn Dietwart übertragenen, bei Ortnit/Wolfdietrich sagenmäßigen) Drachenkampf fehlen aventiurehafte Motive völlig, sogar das – fast omnipräsente – Schwert Mimming (vgl. aber zur Übertragung des Schwertnamens auf einen Schwertgefährten des Dietwart, DF v. 452, S. 178). CURSCHMANNs bekannte These, ‹Dietrichs Flucht› gestalte, was Dietrichs Jugend betrifft, ein wirklichkeitsnäheres Gegenbild zur aventiurehaften Dietrichepik,168 bietet eine mögliche Erklärung dafür, dass eine allzu enge Bindung an aventiurehafte Motive vermieden wird. Insgesamt deutet ‹Dietrichs Flucht› insbesondere die Vertreibung durch die (sagenfremde) Vorgeschichte als Unrecht und erklärt sie, ohne den Status des Helden als Sieger anzutasten, durch die (auch andernorts belegte) Gefangennahme der Gefolgsleute und Ermrichs Erpressung; darüber hinaus verdreifacht die ‹Flucht› die sagengeschichtlich vorgegebene einmalige Rückkehrschlacht und etabliert damit den glücklosen Sieg als wiederkehrendes Deutungsmuster. Die ‹Rabenschlacht› teilt mit der ‹Thidrekssaga› die fatale Schlacht mit dem auch in Anspielungen bezeugten Tod der Helchesöhne und Diethers, mit ‹Dietrichs Flucht› und ‹Alpharts Tod› Witeges Rolle als Verräter, mit ‹Dietrichs Flucht› und den Nibelungendichtungen die Verbindung des Helden mit Herrad und die Rolle des armen Dietrich, der dort seine Gefolgsleute, hier den Bruder und die Helchesöhne zu beklagen hat. Verglichen mit anderen Zeugnissen sind die Hunnenprinzen (hier Orte und Scharphe, in der ‹Thidrekssaga› Erp und Ortwin, ähnlich in ‹Biterolf und Dietleib› und ‹Rache für die Helchensöhne›) vergleichsweise kindlich gezeichnet (mit einigen Inkonsistenzen, vgl. S. 148f.) und werden daher von der Schlacht fern gehalten, während ihre Mutter sie in der ‹Thidrekssaga› ausdrücklich zur militärischen Unterstützung Thidreks aussendet (die meisten anderen Anspielungen sind unspezifisch). Wie in der ‹Thidrekssaga› werden Helches Söhne einem Helden anvertraut (dort Hialprek, in der ‹Rabenschlacht›, freilich außerhalb des Schlachtgeschehens, Elsan). In der ‹Rabenschlacht› begegnen sie (anders als in der ‹Thidrekssaga› und in der Anspielung im ‹Helmbrecht›) Witege nicht während der Schlacht, sondern durch einen unglücklichen Zufall an deren Rand; einen der ‹Rabenschlacht› ähnlichen Kontext kindlichen Ungehorsams scheint freilich auch ‹Helmbrecht› aufzurufen; die Anspielung im ‹Eckenlied›

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Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 370f.: Dietrich beweise durch die Totenklage seine triuwe. Vgl. ebd., bes. S. 364–366, 374–377.

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Der Stoff und die Zeugnisse

und die anderen Verweise sind unspezifisch. Diethers Witege-Schelte scheint Witeges erneuten Abfall von Dietrich und die Auslieferung Ravennas aus ‹Dietrichs Flucht› vorauszusetzen. Dass Witege die Jünglinge widerwillig tötet (anders als in der ‹Thidrekssaga›, wo dies nur für die Tötung Thethers gilt; die anderen Anspielungen sind nicht detailliert genug, um Rückschlüsse zuzulassen) und heftig beklagt, überträgt in eigenartiger Variation das Motiv des glücklosen Siegs von Dietrich auch auf seinen Gegner. Heime begegnet, wie in ‹Dietrichs Flucht›, mehrfach als Kämpfer für Ermrich, aber nicht als naher Gefährte Witeges (RS 836,1 und 837,1 allerdings zusammen mit Witegise[n]) und nicht als verräterischer ehemaliger Gefolgsmann des Berners. Dessen (durch den Tod der Jünglinge und/oder Ermrichs Entkommen) glückloser Schlachtsieg verbindet alle Texte, in denen die Rabenschlacht erzählt oder ausführlicher auf sie angespielt wird (außer der ‹Rabenschlacht› selbst besonders ‹Thidrekssaga›, ‹Nibelungenklage›, ‹Eckenlied›). Dass Sibeche von Eckehart gefangen wird, kenne ich aus anderen Quellen nicht (in der ‹Thidrekssaga› usurpiert Sifka nach Ermanriks Tod den Thron, wird von Thidrek bekriegt und findet in der Schlacht den Tod). Dass Dietrich – Feuer speiend – Witege verfolgt, der in die See entkommt, entspricht der Darstellung des ‹Eckenlieds›; die Entrückung durch die Meerfrau ist in anderen Zeugnissen nicht belegt (nur in der altschwedischen Fassung der ‹Thidrekssaga› kann sich Wideke vorübergehend zu seiner Ahnin, der Meerfrau, flüchten; im ‹Chronicon imperatorum et pontificum Bavaricum›169 ist die Meerfrau als Ahnin auf Dietrich übertragen). Schemming als Witeges Reittier während seiner Flucht kenne ich sonst nicht (in der ‹Thidrekssaga› reitet Widga das Pferd des von ihm getöteten Thether; Skemming hat er vorher in der Schlacht verloren), ebensowenig die Tötung von Witeges Onkel Rienolt durch Dietrich und die laut Rüdigers Bericht erfolgte Bestrafung Elsans. Dass Dietrich durch Rüdigers Vermittlung bei Etzel und Helche wieder in Gnaden aufgenommen wird, belegen alle einschlägigen Texte, ‹Rabenschlacht›, ‹Thidrekssaga› und die Anspielung in der ‹Nibelungenklage›. Verglichen mit ‹Dietrichs Flucht› zeigt sich die ‹Rabenschlacht› offener gegenüber Motiven anderer Dietrichüberlieferungen: Mimming ist Witeges Schwert (so wie Balmung dasjenige Siegfrieds). Dietrichs Kampf gegen Sifrit von Niderlant (RS Str. 671–683), hier während der Schlacht bei Raben, dürfte aus der ‹Rosengarten›-Tradition stammen, obwohl die Spezifika der ‹Rosengarten›-Dichtungen fehlen, Dietrichs Zaudern ebenso wie der Feueratem, durch den Siegfrieds Hornhaut schmilzt. Dagegen ist der Feueratem (nur) im Zusammenhang mit der vergeblichen Verfolgung Witeges nach der Tötung der Jünglinge belegt, wie im ‹Eckenlied› und in der ‹Thidrekssaga›. Für das Turnier vor Padua, während Dietrichs Heer von Etzels Reich über die Lombardei nach Verona zieht, das im Kriegskontext tödlichen Ernstkampfs merkwürdig fehl am Platz wirkt, halte ich gegen MECKLENBURGs Bedenken170 an der einzigen Parallele fest, die die Zeugnisse belegen, der zum Turnier von Worms in ‹Biterolf und Dietleib›.171 ‹Alpharts Tod› thematisiert nicht nur den Ausbruch des Konflikts mit Ermrich, sondern, abweichend von den Fluchtepen, auch seine zumindest vorläufige Beendigung durch Dietrichs Schlachtsieg: Der Vertreibung steht hier ein (wenigstens vorerst) gescheiterter Vertreibungsversuch entgegen; allenfalls in Fassung B von ‹Ermenrikes dot› lässt sich dieses Motiv

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Vgl. Test. Nr. 171. Vgl. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 57 A. 10. VOORWINDEN 2007 (LV Nr. 577), S. 248, bezieht die Anspielung auf Ritterspiele während Kaiser Friedrichs II. Aufenthalt in Padua im Jahr 1239; spezifische Referenzen freilich fehlen.

Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien

sonst noch erahnen. Ermrich wirft (in der Dietrichüberlieferung singulär) dem Neffen Auflehnung gegen das Reich vor (AT v. 204/52,3);172 als Kaiser ist Ermrich Herrscher über das Römische Reich (AT v. 253/64,4; ähnlich, wenn auch ohne Kaisertitel, in der ‹Thidrekssaga›, wo Thidrek nur Bern, Ermanrik aber Romaburg beherrscht), während diese Position in den Fluchtepen Dietrich als König über romisch lant, Reichsitalien, zukommt. Anders als in ‹Dietrichs Flucht› trachtet Ermrich Dietrich nicht offensichtlich nach dem Leben, sondern verlangt Unterwerfung (ähnlich wie in der ‹Thidrekssaga› Tributzahlungen) (der Konflikt wird in einer Sagenreminiszenz gleichwohl auf Sibeches treulose Ratschläge zurückgeführt); nicht eine verräterische Einladung, sondern offene Herausforderung leitet die Konfrontation ein. Ermrichs Botschaft wird, anders als in ‹Dietrichs Flucht› (Randolt von Ankowe als Bote und Warner) und in der ‹Thidrekssaga› (Reinald als Bote für die Tributforderung, Widga als Warner) durch den zu Ermrich übergelaufenen ehemaligen Dietrichhelden Heime überbracht; in der offenen Kampfansage ist die Warnung de facto enthalten. Wie in der ‹Thidrekssaga› wird Ermrich von Heime für sein Verhalten getadelt (allerdings ohne dass Heime daraus wie dort die Konsequenz zieht, Ermrich zu verlassen). Anders als dort, wo das Thema der Pflichtenkollision in der prekären Lage des Überläufers zwischen früherem und aktuellem Gefolgsherrn, Dietrich und Ermrich, in erster Linie an Widga durchgespielt wird, hat Witege in ‹Alpharts Tod› an Warnung und Kritik keinen Anteil. Gegenüber den Fluchtepen tritt Heime stärker in den Vordergrund, wird er – wohl analog zu deren Witege-Rolle, vielleicht in Anlehnung an eine Heime-kritische Sagentradition, wie sie (inhaltlich anders akzentuiert, siehe unten) auch die ‹Thidrekssaga› wiedergibt – zur zweiten großen Verräterfigur (vgl. S. 198– 200). Anders als in der ‹Thidrekssaga› räumt Dietrich – wie in ‹Dietrichs Flucht› und ‹Heldenbuch-Prosa› – nicht kampflos der Übermacht das Feld, sondern stellt sich zur Schlacht und siegt, wenn auch mit einer durch Alpharts Tod und die Herbeiholung eines Hilfsheeres bedingten Verzögerung. Wie in ‹Dietrichs Flucht›, anders als in der ‹Heldenbuch-Prosa›, ist Eckehart (von Brysach, kaum mit dem AT v. 290/74,1 als Gefolgsmann Dietrichs erwähnten Echhart identisch, sonst müsste Hildebrand ihn nicht nach Alpharts Tod eigens herbeiholen) nicht von Anfang an an den Kämpfen beteiligt. Alphart selbst ist, wie bereits erwähnt (vgl. S. 12 und A. 60), außerhalb der Fluchtepen nur schwach bezeugt; mit dem Alphart der ‹Flucht› (einem der von Dietrich beklagten Gefallenen der Schlacht von Bologna) ist der Held von ‹Alpharts Tod› nicht in einen Handlungszusammenhang zu bringen. Das Motiv des fatalen Ausritts junger Helden gegen ausdrücklichen Befehl oder Wunsch begegnet auch in der ‹Rabenschlacht› (bezogen auf die Hunnenprinzen und Diether) und ‹Biterolf und Dietleib› (bezogen auf Dietleib). Wenn Alphart Witege wegen dessen Verrat schmäht, dürfte dies nicht nur dem Überläufer zu Ermrich gelten, sondern Witeges Verräterrolle antizipieren, wie sie (nur) für die ‹historische› Dietrichüberlieferung typisch ist; andernorts ist sie nicht bezeugt, allenfalls in punktuellen, im Kontext weitgehend unmotivierten Negativwertungen in ‹Thidrekssaga› und ‹Biterolf› angedeutet. Der Kampf zweier gegen einen scheint die entsprechende Konstellation der ‹Rabenschlacht› zu variieren: Während dort der Einzelkämpfer Witege mehrere schwächere Gegner besiegt, greifen hier Heime und Witege den überlegenen Gegner Alphart an. Witeges Rolle als Töter junger Helden wird dabei auf ein anderes Opfer (Alphart) bezogen und durch Übertragung auch auf Heime gedoppelt. Witege reitet ganz

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Vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 170.

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Der Stoff und die Zeugnisse

selbstverständlich Schemming; nicht ausgeführt ist, ob es sich dabei um Dietrichs Geschenk handelt wie in ‹Dietrichs Flucht› oder um Witeges ureigenen Besitz wie in der ‹Thidrekssaga› (die Beiläufigkeit, mit der Schymig erwähnt wird, AT v. 935/235,2, deutet eher auf letzteres). Witeges Bemerkung, er habe (in unbestimmter Vergangenheit) Dietrich und Heime in Montare aus Lebensgefahr gerettet (AT v. 1006–1011/253,3–254,4) spielt möglicherweise an auf die Riesengefangenschaft, aus der Witege Dietrich im altenglischen ‹Waldere› rettet;173 Montare entspricht wohl der Burg Muter in der ‹Virginal›,174 wo Dietrich von Riesen eingekerkert und in einer Reihe von zwölf Zweikämpfen u.a. durch Witege und Heime befreit wird (von einer Befreiung Heimes ist in beiden Fällen nicht die Rede). Witeges Vorwurf habitueller Treulosigkeit gegenüber Heime (AT v. 1040/262,1) könnte dagegen – unbestimmt – auf Episoden verweisen, wie sie die ‹Thidrekssaga› überliefert: Heime steht dort dem Gefährten wiederholt in Kampfesnot nicht bei und wird dafür von Thidrek verbannt.175 Einfluss der ‹Thidrekssaga› selbst dürfte freilich auszuschließen sein; ‹Alpharts Tod› spiegelt hier wohl mündliches Sagenwissen ein. Die in Ermrichs traditioneller Rolle als Verwandtenfeind angelegte Verbindung der Flucht- mit der Harlungensage ist durch die Unterstützung Eckeharts und die Herbeiholung des Hilfsheeres aus Breisach, dem sagengemäßen Sitz der Harlungen, gegenüber den Fluchtepen stärker hervorgehoben, obwohl die Tötung der Harlungen selbst nicht ausdrücklich erwähnt ist; ferner begegnet unter den Dietrichhelden auch Hoch (AT v. 286/73,1 u.ö.), das ist möglicherweise Hache, andernorts Eckeharts Vater. (Teilweise) wie in ‹Alpharts Tod› führt Dietrich auch in der ‹Heldenbuch-Prosa› mit Eckeharts Hilfe Krieg gegen Ermrich; freilich ist dort der Schlachtsieg (wie in ‹Dietrichs Flucht›) der Dienstmannenepisode vorgelagert und insofern vergeblich. Auch in anderer Hinsicht ist der Sagenhorizont von ‹Alpharts Tod› weiter als in den Fluchtepen, insofern Anspielungen auf Namen der aventiurehaften Dietrichepik vorkommen: auf Dietrichs Helm Hildegrin (wenn auch ohne Hinweis auf dessen Erwerb im Riesenkampf) (AT v. 165/42,4 u.ö.), Heimes Schwert Nagelring (AT v. 1086/273,3 u.ö.) und Hildebrands Bruder, den kriegerischen Mönch Ylsam/Ilsan (AT v. 1272/320,1 u.ö.), eine typische Figur vor allem der Rosengarten-Tradition. Dieser Ylsam ist offensichtlich nicht mit dem Elsan der ‹Rabenschlacht› identisch; seine Schuld wird anders bestimmt: Ylsam habe Dietrichs Oheim bei Garda erschlagen (AT v. 1618/406,3; eine nicht mehr identifizierbare, andernorts nicht belegte Anspielung); weil aber Dietrich die Unterstützung von Ylsams Gefährten nicht aufs Spiel setzen will, kommt es zur Versöhnung. Inwieweit Schwert- und Pferdenamen, die andernorts nicht belegt sind176 (Gleste als Schwert, Roschlin als Pferd des Eckehart [sonst vereinzelt Rusche], AT v. 1780/447,1; Lone [sonst Limme] als Helm, Mynfurge [sonst Mimming/Mimung] als Schwert Witeges, AT v. 1798/451,3, 1803/452,4), ad hoc-Erfindungen sind oder auf andere Traditionen rekurrieren, lässt sich nicht mehr feststellen. Dass Dietrichs Unterstützung durch Breisacher Hilfstruppen (statt durch ein Hunnenheer) eine Sagenvariante voraussetzt, die ohne das Exil und Etzels Unterstützung auskommt, ist unwahrscheinlich (vergleichbare Zeugnisse fehlen; in der ‹Heldenbuch-Prosa› gibt es zwar eine erste Schlacht ohne hunnische Hilfstruppen, mit Unter-

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‹Waldere› (VOGT-SPIRA/SCHAEFER 1994, LV Nr. 106), Fragment II, 7b–9. ‹Virginal› h/V10 (ZUPITZA 1870, LV Nr. 100), 726,1–730,13; vgl. ZINK 1950 (LV Nr. 618), S. 238f.; GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 145 A. 3; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 17, 90. Vgl. BERTELSEN 1905/1911 (LV Nr. 93), I, S. 152f., 158f., 204f. Vgl. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 52, 90, 94f., 113.

Fluchtsage, Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien

stützung Eckeharts, doch folgt das hunnische Exil später). Einen (allerdings nur vorläufigen) Schlachtsieg (vor der Gefangennahme der Gefolgsleute) kennen auch ‹Dietrichs Flucht› und ‹Heldenbuch-Prosa›. Nur in ‹Alpharts Tod› wird Dietrich nicht um die Früchte seines Siegs gebracht; die Möglichkeit zu einer fataleren Fortsetzung bleibt durch Ermrichs traditionelle Flucht aus der Schlacht allerdings offen. Angesichts der Variabilität vieler Sagenzüge, Handlungssequenzen, Motive wird man nur in einigen wenigen Fällen singulärer Abweichung von gängigen Traditionen feststellen können, was das ursprüngliche Motiv ist und was die Abweichung: Dass Ermrich Dietrich in ‹Dietrichs Flucht› als Heranwachsenden vertreibt, begegnet sonst nicht, ebenso nicht die Variante der verräterischen Einladung; nur in ‹Dietrichs Flucht› versucht Dietrich durch eine Unterwerfungsgeste wenigstens Bern zu behalten und den bereits zugesagten Gang ins Exil zu vermeiden. Singulär ist vor allem (wie bereits mehrfach erwähnt), dass in ‹Dietrichs Flucht› zwischen der Vertreibung (nach einer ersten Schlacht) und der Rabenschlacht weitere Rückkehrschlachten stattfinden;177 dabei dürfte es sich um spätere Zutaten (wohl tatsächlich erst in ‹Dietrichs Flucht›) handeln – die Hinweise auf (Massen-)Schlachten bei Wolfram, Rudolf von Ems und in ‹Wolfdietrich› D sind zu unspezifisch. Während die ‹Bösewichter› Ermrich und Sibeche offenbar zu den Konstanten der Fluchtsage gehören (wie auch Dietrichs Helfer Etzel, Helche und vor allem Rüdiger), scheint die auffällige Rolle Witeges als treuloser Verräter (nicht die weiter verbreitete des Töters junger Helden) nur den ‹historischen› Dietrichepen vorbehalten, die Heimes als Verräter an Dietrich gar nur ‹Alpharts Tod›. Die Bestrafung des bösen Ratgebers ist ebenfalls ein Motiv, das nur die Fluchtepen belegen.178 Ermrichs Tod ist in den deutschen Zeugnissen – mit Ausnahme von ‹Ermenrikes Dot›, des einzigen erhaltenen Textes, in dem tatsächlich Dietrich den Gegner tötet – nicht erwähnt. Dass Dietrich in der ‹Nibelungenklage› ausgerechnet nach dem Verlust seiner Gefolgsleute, der eine gewaltsame Rückeroberung unmöglich macht, einen Rückkehrversuch unternimmt, wäre durch Ermrichs Erkrankung oder Tod (wie in der ‹Thidrekssaga›) als Chance zur Rückkehr plausibel zu machen, doch ist das nicht ausdrücklich erwähnt. Die Vorausdeutungen auf Ermrichs Ende vor allem in ‹Dietrichs Flucht› (vgl. S. 108f., 161f., 224f.) lassen offen, worin der diesseitige Teil der in Aussicht gestellten Strafe Gottes besteht. Dietrichs Rückkehr und Sieg über Ermrich werden in den Fluchtepen, anders als in anderen ausführlicheren Zeugnissen, nie erzählt, sondern allenfalls in eben diesen Erzählervorausdeutungen angedeutet. Vor dem Hintergrund der Dietrich-Testimonien fällt in den Fluchtepen (analog zu den Nibelungendichtungen) die starke Negativierung der Ereignisse und ihrer Bewertung auf, der sich wiederholende glücklose Sieg ohne Perspektive, das sich steigernde Unglück und Leid. Insgesamt wird man auch für die Texte der ‹historischen› Dietrichepik annehmen dürfen, dass diese über ein umfassendes Inventar von Handlungsschablonen und Motiven – ggf. einschließlich Varianten für ein und dasselbe Motiv – verfügten und eine gewisse Freiheit der Kombination und Variation hatten; ob diese Freiheit exakt für die erhaltenen Fassungen gilt oder für nicht erhaltene (nicht rekonstruierbare) Vorstufen, dürfte nicht zu klären sein. Methodisch ist eigenständige Variation nicht völlig abzusichern, da Verlust von Zeugnissen (auch denkbaren ‹Vorstufen›, die womöglich bereits mehrere Sagenzüge unterschiedlicher

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Vgl. SCHNEIDER 1913 (LV Nr. 517), S. 362; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 198 u.v.a. Missverständlich KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 201.

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Der Stoff und die Zeugnisse

Traditionen vereinten) nie ganz auszuschließen ist. Für ein produktiv-variierendes Verhältnis zur Tradition sprechen freilich die Verfügbarkeit und Kombinierbarkeit der verschiedenen Motive; die substantiellen Variationen gegenüber der Sage (die Vervielfachung der tragischvergeblichen Rückkehrschlacht, die Abstempelung Witeges und Heimes zu Verrätern, die stärkere Betonung des Musters vom glücklosen Sieg und der Rolle des armen Dietrich); aber auch die trotz der Abweichungen ausdrückliche Rückbindung mindestens der ‹Flucht› an die Sage, die einen Vergleich des Neuen mit dem Altüberkommenen nahe legt (bes. DF v. 2487– 2490; vgl. S. 149, 168 u.ö.). Welche Folgen die Verfügbarkeit unterschiedlicher Sagenversionen für die Frage nach der Verbindlichkeit der Sage hat, ist schwer abzuschätzen: Anzukommen scheint es lediglich auf Namen und auf narrative Grundmuster. Hochgradig fest sind Personennamen und zugehörige Rollenstereotype (vor allem die textgruppenübergreifenden, allgemein heldenepischen wie der alte Hildebrand, der milte Rüdiger), auch Bestandteile des plots, die Leitstationen von Vertreibung, Exil, Rückkehr. Schon Muster der Wahrnehmung heroischen und/oder historischen Handelns wie der glücklose Sieg, aber auch die Rolle des armen Dietrich sind nicht von vornherein omnipräsent, sondern werden erst allmählich fassbar und auch wieder zurückgedrängt. HUGO KUHNs179 Vorstellung, Kern der heroischen Dietrichüberlieferung sei die Gestalt des armen Dietrich, bedarf kritischer Einschränkung. Außerhalb der Nibelungendichtungen und der Fluchtepen begegnet die Rolle des armen Dietrich praktisch nicht. Die eine frühe (unsichere) Anspielung auf Dietrichs Leiden (?) im ‹Deor› ist zu unspezifisch, als dass sie weit tragen könnte (noch nicht einmal ein Bezug auf Exil und Vertreibung ist zu sichern, geschweige denn auf größeres Unglück), und zudem tendenziell konsolatorisch: alles geht vorüber, selbst größtes Leid. Das althochdeutsche ‹Hildebrandslied› variiert im vermutlich mit der Sohnestötung endenden Vater-Sohn-Kampf zwar das Thema des glücklosen Siegs. Ansonsten aber begegnen sowohl dieses Deutungsmuster als auch das Rollenstereotyp des armen Dietrich erst mit Amelungenuntergang und Rabenschlacht, die vor dem ‹Nibelungenlied› und der ‹Nibelungenklage› (um 1200) nicht zweifelsfrei belegt sind. Zwar könnte das ‹Nibelungenlied› hier mündliche Überlieferungen voraussetzen; jedoch fehlen gesicherte ältere Zeugnisse (die wenigen Reminiszenzen an den Amelungenuntergang in der ‹LiederEdda› dürften trotz Unsicherheiten der Datierung jünger sein). Die ‹historischen› Dietrichepen prägen den glücklosen Sieg, die Rolle des armen Dietrich gegenüber den Nibelungendichtungen weiter aus und relativieren sie zugleich. Wie ‹Alpharts Tod› zeigt, gehören Vertreibung und Exil in den Auseinandersetzungen um Oberitalien nicht zwingend zum Erzählsubstrat, tritt der Held selbst in diesem Zusammenhang nicht notwendig als armer Dietrich auf. Der glücklose Sieg hat zudem nicht viel, der arme Dietrich keine Resonanz außerhalb der Nibelungendichtungen, der Fluchtepen und (in Abgrenzung) des ‹Eckenlieds› gefunden: Die meisten Dietrich-Testimonien rufen Dietrich als überlegenen Kämpfer auf, wohl primär unter dem dem Einfluss der aventiurehaften Dietrichepik, die die ‹historische› im Lauf des 14. Jahrhunderts verdrängt. Vor den Nibelungendichtungen und nach den Fluchtepen ist die Rolle nicht belegt; im Grunde erzählt schon die ‹historische› Dietrichepik selbst mit einem Helden, der trotz allen Unglücks niemals aufgibt und immer wieder Unterstützung findet, gegen ihr eigenes Rollenmuster an (vgl. S. 156, 181, 223 u.ö.).

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KUHN 1969 (LV Nr. 403).

III. Überlieferung und Wirkung

1. Überlieferung a) Handschriften und Fassungen der Fluchtepen1 ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› sind bekanntlich weitestgehend vollständig und in einem festen Textverbund in vier oberdeutschen (zumeist bairischen) Handschriften vom späten 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts überliefert (R: Ende 13. Jh.; W: 1. Viertel 14. Jh.; P: 1443/1447; A: 1504–1516); hinzu kommen zwei Bruchstücke, je ein Fragment des 14. Jahrhunderts von ‹Dietrichs Flucht› (K, Anfang 14. Jh.) und ‹Rabenschlacht› (S, Mitte 14. Jh.), und die Exzerpte aus der genealogischen Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› in zwei Handschriften der ‹Weltchronik› Heinrichs von München aus dem 14. Jahrhundert (H8 [M5]:2 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 7377, Bairisch, Ende 14. Jh.; H15 [Go1]: Gotha, Forschungsbibliothek, Cod. Chart. A 3, südliches Mittelbairisch, 1398). R Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Mgf 1062 Sammelhandschrift von Romanen, Neidhart-Liedern, Dietrichepik (Riedegger Handschrift) Pergament I + 137 gez. + I Bll. 32–32,5 x 23–23,5 cm Niederösterreich Ende 13. Jh. Lagen: 17 Quaternionen, 3 Einzelbll., 1. Lage verloren, Blattverlust nach fol. 24, 62, 94, 134, 136; fol. 137 wohl erst beim Binden hinzugefügt. ‹Dietrichs Flucht› beginnt mit einer neuen Lage. Lagenzählung, Reste einer älteren Foliierung. Schriftraum: 24,5 x 17 cm. Zweispaltig. 47–48 Zeilen. Verse bzw. Strophen (‹Rabenschlacht›) in den epischen Teilen abgesetzt, jeder 2. Vers ausgerückt, teilweise Reimpunkte. Textualis, zumeist von einer Hand (außer Nachtragstrophe fol. 50v), von derselben Hand die Fragmente Cgm 194/IV und 5249/3a des ‹Parzival›. Rote und rot-blaue vier- bis sechszeilige Initialen am Anfang von ‹Pfaffe Amis›, ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›, zweizeilige rote (teils auch blaue)

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Handschriftenbeschreibungen und Ausführungen zu den Fassungen der Fluchtepen aktualisiert gegenüber DF, S. IX–XXI; RS, S. IX–XX; bei den Weltchronik-Handschriften musste auf eine Beschreibung verzichtet werden; Forschung ist detailliert dokumentiert bei ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117); grundsätzlich zur Überlieferung von Heldenepik und ihrer buchgeschichtlichen Einordnung: WOLF 2008 (LV Nr. 601), S. 219–226. Siglen nach SHAW/FOURNIER/GÄRTNER 2008 (LV Nr. 43), S. XXIV–XXVI (in eckigen Klammern die Siglen der Würzburger Forschergruppe: BRUNNER 1998, LV Nr. 169). Die Neuedition enthält die Exzerpte aus ‹Dietrichs Flucht› nicht, da sie anderen Leithandschriften folgt; die Passage schließt sich an Kap. 76, v. 62 der Ausgabe an (S. 384, App. 2). Vgl. bes. J. u. W. GRIMM 1815 (LV Nr. 250) (mit Textabdruck); MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. LVI–XLIX; KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), bes. S. 93, 102–104; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 59f. (Weiteres siehe S. 58 A. 134).

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Überlieferung und Wirkung

Lombarden (z.T. nicht ausgeführt), Überschriften und Zwischenüberschriften im Neidhart- und im Heldenepik-Teil sowie Schreibervers fol. 48ra rot, gelegentlich rote Zierstriche. Einband: 1969, Halbleder (Holzdeckel mit hellbraunem Lederrücken), 5 Bünde, roter Aufkleber mit Signatur.

Entstehung, Geschichte: Die aufwändige Handschrift wurde von einem Schreiber (wohl einem Berufsschreiber) in zwei Teilen (fol. 1–62; 63–136: Fluchtepen) gesondert geschrieben, aber bald nach der Niederschrift zusammengefügt. Marginalien (wohl 14. Jh.): Asteriskus (fol. 92rb, markiert DF v. 7938–7940, Kritik an erzwungenem Dienst im VoglerExkurs); monetur omnis homo q[uin?] ueniet iudicare (fol. 98va, neben DF v. 9342–9346, Schilderungen des Sterbens in der Schlacht); heus in nomine tuo (fol. 112rb, neben RS 307,3– 309,1, Unterredung zwischen Dietrich und Elsan über dessen Verhalten im Fall von Dietrichs Schlachttod); der Asteriskus könnte ein Interesse an der aktualisierenden Fürstenschelte der Fluchtepen unterstreichen. In einer Notiz fol. 137r (14. Jh.? vermutlich etwas jünger als die Handschrift selbst, doch etwa aus dem gleichen Entstehungszeitraum) sind Angehörige niederösterreichischer Adelsgeschlechter genannt, Otto von Hakenberg (urkundlich bezeugt 1276–1295) und Albero von Kuenring (urkundlich bezeugt ab 1284, gest. 1342); vermutlich handelt es sich weder um Federproben noch um eine Widmung – Auftraggeberschaft eines Hakenbergers, Handschriftenbesitz eines Kuenringers lässt sich nicht beweisen; doch verweist der Eintrag in jedem Fall auf die Provenienz der Handschrift aus niederösterreichischem Adelsbesitz. Weitere Provenienzhinweise: Herren von Schaunberg, von Breitenfeld (fol. 137r), Joseph am weinperig (fol. Iv), Grafen von Starhemberg (fol. Ir); 1643–1889 in der Starhembergischen Bibliothek (Burg Riedegg, später Eferding; alte Signatur: I 202); 1889 mit dem Verkauf der Bestände der Schlossbibliothek Eferding an die Staatsbibliothek (fol. Iv: acc. 1889. 63). Mundart: Mittelbairisch. Inhalt: fol. 1ra–35ra Hartmann von Aue, ‹Iwein› (Hs. E; v. 1–1330 verloren); fol. 35rb–48ra Stricker, ‹Der Pfaffe Amis›; fol. 48ra–62rb Neidhart, Lieder; fol. 63ra–102vb ‹Dietrichs Flucht› (v. 2298/R 1–10 129; v. 8450–8639 verloren); fol. 102vb–136vb ‹Rabenschlacht› (Str. 1–1124; Str. 1029–1060 und 1125–1139 verloren); fol. 137r Notiz (Namen). Ausgewählte Literatur: ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 17–50. BECKER, PETER JÖRG: Sammelhandschrift mittelhochdeutscher Epen und Lieder. In: Zimelien. Abendländische Handschriften des Mittelalters aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin. Ausstellung und Katalog TILO BRANDIS. Wiesbaden o. J. [ca. 1976], S. 137f. BECKER 1977 (LV Nr. 138), S. 57–61. BENECKE, GEORG FRIEDRICH (Hg.): Hern Nîtharts Wîse. In: Beyträge zur Kenntniss der Altdeutschen Sprache und Litteratur II. Göttingen 1832. Nachdr. Wiesbaden 1966, S. 297–300. BENNEWITZ-BEHR, INGRID: Original und Rezeption. Funktions- und überlieferungsgeschichtliche Studien zur Neidhart-Sammlung R. Göppingen 1987 (GAG 437), S. 9–20, hier S. 14–20. DF, S. IX–XI. BOUEKE, DIETRICH: Materialien zur Neidhart-Überlieferung. München 1967 (MTU 16), S. 17f. DEGERING, HERMANN: Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek. I. Die Handschriften im Folioformat. Leipzig 1925 (Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek VII). Nachdr. Graz 1970, S. 149. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 59.

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Überlieferung

HOLZNAGEL, FRANZ-JOSEF: Wege in die Schriftlichkeit. Untersuchungen und Materialien zur Überlieferung der mittelhochdeutschen Lyrik. Tübingen/Basel 1995 (Bibliotheca Germanica 32), S. 285–300. KAMIHARA, K[IN'ICHI] (Hg.): Des Strickers Pfaffe Amis. Göppingen 1978 (GAG 233), S. 1–3. RS, S. IX–XI. SCHNEIDER, KARIN: Gotische Schriften in deutscher Sprache. Bd. 1: Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300. Textband. Tafelband. Wiesbaden 1987, S. 226–228, Abb. 128. SCHWEIKLE, GÜNTHER: Neidhart. Stuttgart 1990 (SM 253), S. 6f. SIMON, ECKEHARD: Neidharte and Neidhartianer. Notes on the History of a Song Corpus. PBB (Tüb.) 94 (1972), S. 153–197, hier S. 159f. SNE III, S. 513. VOETZ, LOTHAR: Überlieferungsformen mittelhochdeutscher Lyrik. Heidelberg 1988, S. 272f. MR: http://www.mr1314.de/1222 (11.05.2010).

W Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2779 Sammelhandschrift mit erzählenden Texten (Chronik, Kleinepik, höfische Romane, Heldenepik) (Windhager/Windhagensche Handschrift) Pergament 170 gez. Bll. 35,5 x 25,5 cm Niederösterreich (Wien?) 1. Viertel 14. Jh./Anfang 2. Viertel 14. Jh. Lagen: meist Quinternionen, fol. 36a wurde eingefügt, vor und nach fol. 111 ein Blatt herausgeschnitten (Textverlust am Ende von ‹Dietrichs Flucht› und am Anfang der ‹Rabenschlacht›), am Ende unvollständig; vorne eingebunden Fragmente von 1 Doppelbl. und 2 Einzelbll.; zugehörig: eingebundene Fragmente I–IV, ‹Krone›-Fragment Linz, Oberösterreichisches Landesarchiv, Sch. 3 II/4e. ‹Dietrichs Flucht› beginnt mit einer neuen Lage. Unterschiedliche Lagenzählungen der verschiedenen Schreiber. Schriftraum: ca. 29,5 x 20,5 cm. Dreispaltig (fol. 1, 2 zweispaltig). 50–60 Zeilen. Verse abgesetzt, nur beim 2. Schreiber teilweise ausgerückt. Textualis, von vier Händen (1. fol. 1r, nach 1358; 2. fol. 1v–2r, 85v–90v; 3. fol. 2v–46r, 130v [Kolophon], 131r–170v; 4. 46r–85r, 91r–130v; Zählung der Hände in der Reihenfolge des Codex, nicht der Entstehung, nach MENHARDT). Rote Überschriften zu Beginn der Texte, rote Zwischenüberschriften in ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›, mehrzeilige kunstvolle FleuronnéeGroßinitialen zu Beginn, gelegentlich auch innerhalb der längeren Texte (vierzeilig zu Beginn von ‹Dietrichs Flucht›); zahlreiche (zwei bis zwölf pro Spalte) zwei-, seltener dreizeilige rote (grün-gelb verzierte) und blaue (rot verzierte) Abschnittsinitialen und Lombarden zu Beginn der meisten Strophen. Einband: sog. Wiener Stil, 15. Jh., braunes Leder, mit Einzelstempeln, darunter Spruchband Maria; Spuren von zwei seitlichen Schließen und fünf Metallbeschlägen vorne. Die Hs. wurde 1927 restauriert.

Entstehung, Geschichte: Der Codex dürfte, vielleicht mit Ausnahme der ‹Krone›, als Einheit geplant sein. Vermutlich wurden zunächst zeitgleich ‹Kaiserchronik› und ‹Dietrichs Flucht›/‹Rabenschlacht› von zwei verschiedenen Schreibern (3. und 4. Hand) geschrieben; nach Abschluss dieser Teile schrieb der Schreiber der Fluchtepen (4. Hand) ‹Iwein›, ‹Heidin› und ‹Ortnit›, der der ‹Kaiserchronik› (3. Hand) – möglicherweise mit einem gewissen zeitlichen Abstand (vgl. Kolophon fol. 130v am Ende der ‹Rabenschlacht›, jedoch einheitliche Verzierungen) – die ‹Krone›; die ursprünglich frei gebliebenen Seiten nach dem ‹Ortnit› wurden später mit geistlichen Texten beschrieben (2. Hand); nach 1358 wurden die Texte fol. 1ra hinzugefügt (1. Hand). Der Codex wurde wahrscheinlich in Wien, vielleicht in der Deutschordenskommende gefertigt (enthalten ist u.a. Deutschordensdichtung; die FleuronéeMalerei ähnelt der um 1320 in Wien entstandenen ‹Willehalm›-Handschrift). 1358 befand sich die Handschrift im Besitz der Familie Turs, eines bedeutenden niederösterreichischen

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Überlieferung und Wirkung

Ministerialengeschlechts, als Literaturkenner oder Auftraggeber jedoch nicht bekannt3 (die Nennung fol. 1ra dürfte sich auf Katharina von Turs beziehen, gest. 1370, Gemahlin des Jans Turs von Raucheneck bei Baden). Ob Job Hartmann von Enenkel den Codex besaß, ist unsicher. Im 17. Jahrhundert befand er sich in der Bibliothek des Joachim Enzmiller (Enzmilner), Graf von Windhag (1600–1678) (Exlibris von 1656, Vorderdeckel). Nach dessen Tod gelangte die Windhagsche Bibliothek 1678 in die Bibliothek des Wiener Dominikanerklosters, 1784 in die Wiener Hofbibliothek (alte Signatur Cod. Rec. 2259). Mundart: Bairisch-Österreichisch. Inhalt: fol. 1ra Gebete, Vermerk über das Weihnachtsopfer einer Tursin; fol. 1va–1vc ‹Die Witwe und ihr Sohn›; fol. 1vc–2ra ‹Von einem Edelmann›; fol. 2va–46ra ‹Kaiserchronik›; fol. 46ra–68rc Hartmann von Aue, ‹Iwein›; fol. 68rc–71va ‹Die Heidin›; fol. 71va–85rc ‹Ortnit›; fol. 85va–88va ‹Von den Siebenschläfern›; fol. 88va–89va ‹Vom heiligen Kreuz›; fol. 89va–89vc Stricker, ‹Der Sünder und der Einsiedler›; fol. 89vc–90rb Stricker, ‹Der wahre Freund›; fol. 90rb–90va ‹Maria und der Ritter›; fol. 90va–90vb ‹Der Maler und der Teufel›; fol. 90vb–90vc ‹Die Mönche und der Teufel›; fol. 91ra–111vc ‹Dietrichs Flucht› (v. 2298/R 1–9866; v. 9867– 10 129 verloren); fol. 112ra–130vc ‹Rabenschlacht› (Str. 16,3–1140; 1,1–16,2 und 75,5–133,3 verloren); fol. 130vc Kolophon; fol. 131ra–170vc Heinrich von dem Türlin ‹Krone› (Hs. V, bis v. 12 281). Ausgewählte Literatur: ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 51–73. BECKER 1977 (LV Nr. 138), S. 61–64. DF, S. XI–XIII. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 59. Kaiserchronik (SCHRÖDER 1895, LV Nr. 53), S. 20f. KNAPP, FRITZ PETER: Einleitung. In: Heinrich von dem Türlin, Die Krone. Hg. von F. P. K./MANUELA NIESNER. Tübingen 2000 (ATB 112), S. IX f. MENHARDT, HERMANN: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. 3 Bde. Wien 1960/1961 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13), Bd. 1 (1960), S. 287–293, bes. S. 291f. ROLAND, MARTIN: Cod. 2779. In: ANDREAS FINGERNAGEL/M. R. (Hgg.), Mitteleuropäische Schulen I (ca. 1250–1350). Textband. Wien 1997 (Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters I, 10), S. 266–268. RS, S. XI–XIII. SCHÖNBACH, ANTON E.: Studien zur Krone Heinrichs von dem Türlin. PBB 33 (1908), S. 340–372, hier S. 340–347. THUTEWOHL, HERMAN: Die handschriftliche Überlieferung der Krone Heinrichs von dem Türlin. Diss. [masch.] Wien 1938. MR: http://www.mr1314.de/2693 (11.05.2010).

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ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 65f.

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Überlieferung

P Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 314 4 Sammelhandschrift (Fabeln, kleinere Reimpaardichtungen, Heldenepik), aus ursprünglich selbständigen Teilen zusammengebunden Papier 249 Bll. ca. 28,5 x 21 cm Augsburg 1443–1449 Lagen: mehrheitlich, im Heldenepik-Teil ausschließlich Sexternionen; ‹Dietrichs Flucht› beginnt fol. 105 mit einer neuen Lage (davor 23 leere Bll., alte Zählung 111–136); die ‹Rabenschlacht› (mit der Datierung auf 1447) endet fol. 197; fol. 198–200* (mit der Rabsakstainer-Notiz von 1449) gehören zur gleichen Lage. Foliierungen des 15. und 17. Jahrhunderts, teils fehlerhaft. Verschiedene Wasserzeichen. Schriftraum variierend (ca. 22–23 x 15,5–16,5 cm), im Heldenepik-Teil 21,7–22,5 x 15,5–16,2 cm. Meist zweispaltig. Zeilenzahl variierend (35–44 im Heldenepik-Teil). Verse teilweise abgesetzt (auch in ‹Dietrichs Flucht›), Strophen in der ‹Rabenschlacht› nicht abgesetzt. Bastarda von neun Händen, darunter Sigismund Gossembrot (fol. 4*, 16*r, 50va–54rb, 63ra–63vb, 81v, 95r–97r, 100v–103r, 104v, 200*v und zahlreiche Randbemerkungen, Kapitelüberschriften etc.), Stephan Hüttaus (fol. 1ra–50ra); ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› (bis auf fol. 105ra) von je einer (nicht identifizierten) Hand (Nr. VIII, IX). Mehrzeilige Initialen zu Beginn der längeren Texte (Boner, Freidank; siebenzeilig am Beginn von ‹Dietrichs Flucht›, sechszeilig am Beginn der ‹Rabenschlacht›), zahlreiche zweizeilige Lombarden (rot), Anfänge abgesetzter Verse rot gestrichelt. 90 kolorierte Federzeichnungen (ein Maler, stilistisch nach Augsburg gehörig) zu Ulrich Boners ‹Edelstein›; fol. 104v, 200*v nichtkolorierte Federzeichnungen (104v Taubenschlag, entspricht der Federzeichnung 12vb, 200*v Dach mit zwei Fahnen). Einband: Pergamenteinband des 17. Jh. (Rom), Rückentitel des 19. Jh., Aufkleber mit Signatur.

Entstehung, Geschichte: Die Handschrift ist in Augsburg entstanden (fol. 94rb Explicit fridankus in Augusta Anno domini MCCCCXLIIIo, Augsburg 1443); sie wurde aus mehreren Teilen unterschiedlichen Formats, unterschiedlicher Ausstattung (und teilweise unterschiedlicher Einrichtung) zusammengebunden (teilweise geringe Textverluste durch Beschneiden auf einheitliches Format). Die unterschiedliche Datierung des Freidank- und des HeldenepikTeils (1443 bzw. 1447: fol. 197vb 1447 die 20 decembris) deutet auf getrennte Entstehung; doch dürfte sich die Handschrift angesichts der (nicht unumstrittenen) Zuweisung der beiden Notizen fol. 4*r (Hinweis auf illustrierte Bücher aus der Werkstatt Diebold Laubers) und fol. 200*v (Hinweis auf Buchausleihe an und von Friedrich Rabsakstainer, Gerichtsschreiber von Rain, nördlich von Augsburg, 1449) an die Hand des Augsburger Patriziers Sigismund Gossembrot (1417–1493) bereits 1449 in der vorliegenden Zusammenstellung in dessen Besitz befunden haben. Dass die Handschrift in Gossembrots Auftrag zusammengestellt wurde, ist möglich, die Provenienz aus seiner Bibliothek unstrittig: Zahlreiche Randnotizen stammen von seiner Hand; Einträge in Gossembrots Bibliothekskatalog (Æsopus vulgaris depictus, liber russus5) dürften sich auf Cpg 314 beziehen. Dass der Codex aus dem Besitz der Margarethe von Savoyen (1420–1479) stamme,6 ist nicht nachzuweisen.7 Vielmehr dürfte die

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5 6 7

Ich begnüge mich bei P mit einer zusammenfassenden Kurzbeschreibung; für Einzelheiten (Lagenformel, Wasserzeichen, Inhalt im Einzelnen) und insbesondere für die in älteren Beschreibungen strittigen Details zu Schreiberhänden sei verwiesen auf MILLER/ZIMMERMANN 2007 (siehe S. 83). Vgl. JOACHIMSOHN 1894 (siehe S. 82), S. 258; SCHÄDLE 1938 (siehe S. 83), S. 69. So WEGENER 1927 (siehe S. 83), S. VII. In kurpfälzischem Besitz nachgewiesen sind eine Handschrift von ‹Ortnit›/‹Wolfdietrich› (Cpg 365) und eine des ‹Rosengarten› (Cpg 359, R9), beide im Besitz des Pfalzgrafen Ludwig III. (1378 [1410]– 1436), eine Handschrift der ‹Virginal› (Cpg 324, V10), von Ludwig IV. (1424[1437]–1449) bei Diebold Lauber gekauft, eine des Jüngeren ‹Sigenot› (Cpg 67) aus der Henfflin-Werkstatt, im Besitz von

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Überlieferung und Wirkung

Handschrift über die Bibliothek Ulrich Fuggers in die Palatina gelangt sein («Vgl. in den Fuggerkatalogen von 1571 [Cod. Pal. lat. 1921, 100r]: Æsopus deutsch Inn reimen weiß [gleichlautend Cod. Pal. lat. 1915, 306r»8). Der Codex gehörte zu den 1622/1623 aus der Bibliotheca Palatina nach Rom an die Bibliotheca Vaticana verschleppten, 1816/1817 nach Heidelberg rückgeführten Hss. 1*v (alter Spiegel) alte Signatur: 23,079 de 39; fol 4*r Capsanummer: C. 2; alte römische Signatur: 373. 1*v Inhaltsangabe (20. Jh., Bibliothekar Hermann Finke). Mundart: Schwäbisch, zum Teil mit bairischen und mitteldeutschen Merkmalen. Inhalt: fol. 4*r Verzeichnis von bei Diebold Lauber erhältlichen Büchern; fol. 16*r Fragespiele und vulgäre Kleinepik; fol. 1ra–50rb Ulrich Boner, ‹Edelstein› (illustriert); fol. 50va–103ra zahlreiche kleinere deutsche Reimpaardichtungen und mehrere lateinische Kleindichtungen (u.a. Fabeln; Cato: Disticha; Freidank: Sprüche; Stricker-Hs. h; Teichner; ‹Oberdeutscher vierzeiliger Totentanz› lat.-dt.); fol. 105ra–161vb ‹Dietrichs Flucht› (Kurzfassung); fol. 162ra– 197vb ‹Rabenschlacht› (Kurzfassung); fol. 200*v Notiz Gossembrots über wechselseitige Buchausleihe mit Friedrich Rabsaksteiner (1449). Ausgewählte Literatur: Digitalisat: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg314 (11.05.2010). ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 117–157. ADELUNG, FRIEDRICH VON: Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Heidelbergischen Bibliothek in die Vatikanische gekommen sind. Königsberg 1796, S. 161–168. Ders.: Altdeutsche Gedichte in Rom, oder fortgesetzte Nachrichten von Heidelbergischen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek. Königsberg 1799, S. 312–320. BARTSCH, KARL (Hg.): Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg. Bd. 1. Die altdeutschen Handschriften. Heidelberg 1887, Nr. 149, S. 72–75. BACKES, MARTINA: Das literarische Leben am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg im 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Gönnerforschung des Spätmittelalters. Tübingen 1992 (Hermaea 68), S. 68f. BODEMANN, ULRIKE/GERD DICKE: Grundzüge einer Überlieferungs- und Textgeschichte von Boners ‹Edelstein›. In: VOLKER HONEMANN/NIGEL F. PALMER (Hgg.), Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985. Tübingen 1988, S. 424–468, hier S. 431, 440 Anm. 48. DF, S. XIII–XV. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 59. HORNUNG, HANS (Hg.): Das Nibelungenlied in spätmittelalterlichen Illustrationen. Bozen 1968, S. 10– 20 (16) und Anm. 64. JÄGER, BERNDT: «Durch reimen gute lere geben». Untersuchungen zu Überlieferung und Rezeption Freidanks im Spätmittelalter. Göppingen 1978 (GAG 238), hier bes. S. 39f., 116–119 (vgl. auch Register). JOACHIMSOHN, PAUL: Aus der Bibliothek Sigismund Gossembrots. Centralblatt für Bibliothekswesen 11 (1894), S. 249–268, 297–307. KAUTZSCH, RUDOLF: Diebolt Lauber und seine Werkstatt in Hagenau. In: Centralblatt für Bibliothekswesen 11 (1894), S. 1–32, 57–113, hier S. 14–16, 109, 111. KIENING, CHRISTIAN: Schwierige Modernität. Der ‹Ackermann› des Johannes von Tepl und die Ambiguität historischen Wandels. Tübingen 1998 (MTU 113), S. 60f., 493–496, Abb. 4/5.

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Ludwigs IV. Gemahlin Margarethe von Savoyen: vgl. FECHTER 1935 (LV Nr. 213), S. 66; HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 277. MILLER/ZIMMERMANN 2007 (siehe S. 83), S. 56; anders ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 47.

82

Überlieferung

MILLER, MATTHIAS/KARIN ZIMMERMANN: Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 304–495), Wiesbaden 2007 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg VIII), S. 56–66 (URN: urn:nbn:de:bsz:16-opus-84706; URL: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/8470: 17.02.2010). RS, S. XIII–XV. SAURMA-JELTSCH, LIESELOTTE E.: Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung. Bilderhandschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers in Hagenau. Wiesbaden 2001, Bd. I, S. 73f., 240f., 244f. SCHÄDLE, KARL: Sigmund Gossenbrot, ein Augsburger Kaufmann, Patrizier und Frühhumanist. Diss. München. Augsburg 1938, S. 58–60, 69–71. SCHNEIDER, KARIN: Berufs- und Amateurschreiber. Zum Laien-Schreibbetrieb im spätmittelalterlichen Augsburg. In: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts. Hg. von JOHANNES JANOTA/WERNER WILLIAMS-KRAPP. Tübingen 1995 (Studia Augustana 7), S. 8–26, hier S. 21f. WEGENER, HANS: Beschreibendes Verzeichnis der deutschen Bilder-Handschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitäts-Bibliothek. Hg. von der Univ.-Bibl. Heidelberg. Leipzig 1927, S. 53. WILKEN, FRIEDRICH: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Ein Beytrag zur Literaturgeschichte vornehmlich des funfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts. Heidelberg 1817, S. 405–407. WORSTBROCK, FRANZ JOSEF: Sigismund Gossembrot. In: 2VL 3 (1981), Sp. 105–108. Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/4904 (11.05.2010).

A Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. nov. 2663 Sammelhandschrift von höfischer Epik, Kleinepik und Heldenepik (‹Ambraser Heldenbuch›) Pergament 5 + 238 Bll. 46 x 36 cm Bozen 1504–1516 (Malereien –1517) Vorsatzblätter Papier. Lagen: meist Quaternionen, lateinische Foliierung, fol. 128 fehlt. Schriftraum: 36 x 23,5–24,5 cm. Dreispaltig (Tabula zweispaltig). 66–68 Zeilen. Strophen meist, Verse nicht abgesetzt, Reimpunkte (auch Doppelpunkte). Frakturnahe Kanzleischrift, von einer Hand (Hans Ried). Großinitialen zu Beginn der Texte bzw. Kapitel, zahlreiche rote und blaue meist dreizeilige Lombarden zu Strophenbeginn. Überschriften rot. Titelbild: zwei Ritter (Riesen?); farbige Randverzierungen im sog. ‹Donaustil› (Pflanzen, Tiere u.a.) auf den Titelseiten. Goldschnitt. Einband: Pappdeckel mit braunem Kalbleder (Mitte 19. Jh.), überklebt mit Resten des alten Ledereinbands, vorne und hinten Rollenmuster in Blinddruck (teils 19., teils 16. Jh.). Rücken: Das Heldenbuch, 1517, Nr. 73.

Entstehung, Geschichte: Geschrieben im Auftrag Kaiser Maximilians I. von Hans Ried (gest. 1516), zumeist nach Vorlagen des 13. Jahrhunderts (eine Vorlage für den heldenepischen Hauptteil?). Aus der Bibliothek Erzherzog Ferdinands von Tirol auf Schloss Ambras bei Innsbruck; erstmals erwähnt 1596 (Inventar von Schloss Ambras: das hölden Puech); mit anderen Werken aus der Ambraser Bibliothek 1806 nach Wien gebracht, zunächst in das Obere Belvedere, 1891 in das Kunsthistorische Museum (alte Signatur: 73. E. 1 bzw. II. a. 118); seit 1936 in der Österreichischen Nationalbibliothek. Sprache: Bairisch gefärbtes Frühneuhochdeutsch. Inhalt: fol. I*r–IV*v Tabula des Heldenp*chs; fol. 1ra–50vb höfische Texte (Stricker, ‹Frauenehre›; ‹Mauricius von Craûn›; Hartmann von Aue, ‹Iwein›, Hs. d, ‹Klage› und sog. [Zweites] ‹Büchlein›; Heinrich von dem Türlin, ‹Mantel›; Hartmann von Aue, ‹Erec›); fol. 51ra–214vc Heldenepik (fol. 51ra–75ra ‹Dietrichs Flucht›, v. 1–10 129; fol. 75rb–92rb ‹Rabenschlacht›, Str. 1–1138; fol. 95ra–127va ‹Nibelungenlied›, Hs. d; fol. 131va–139vb ‹Klage›; fol. 140ra–166ra ‹Kudrun›; fol. 166rb–195vc ‹Biterolf und Dietleib›; fol. 196ra–205vb ‹Ortnit› A; fol. 205vb–

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Überlieferung und Wirkung

214vc ‹Wolfdietrich› A); fol. 215ra–237vc kleinere Werke österreichischer Autoren und Verschiedenes (‹Die böse Frau›; vier Mären Herrands von Wildonie; Ulrich von Lichtenstein, ‹Frauenbuch›; Wernher der Gartenære, ‹Helmbrecht›; Stricker, ‹Der Pfaffe Amis›; Wolfram von Eschenbach, ‹Titurel›; ‹Priester Johannes›). Ausgewählte Literatur: Faksimile: Ambraser Heldenbuch. Vollständige Faksimile-Ausgabe. Textband, Kommentarband. Kommentar von FRANZ UNTERKIRCHER. Graz 1973 (Codices selecti 43). ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 75–115. BATTS, MICHAEL S. (Hg.): Das Nibelungenlied. Paralleldruck der Handschriften A, B und C nebst Lesarten der übrigen Handschriften. Tübingen 1971, S. 808f. BÄUML, FRANZ H. (Hg.): Kudrun. Die Handschrift. Berlin 1969, S. 1–31. BECKER 1977 (LV Nr. 138), S. 153–155, 194–197. BUMKE 1996 (LV Nr. 171), S. 186–190. DF, S. XV–XVIII. FRITSCH-RÖßLER 2008 (LV Nr. 228). GLIER, INGEBORG: Artes amandi. Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden. München 1971 (MTU 34), S. 389–392. GOTTLIEB, THEODOR: Die Ambraser Handschriften. Bd. I. Büchersammlung Kaiser Maximilians I. Leipzig 1900. Nachdruck 1968, S. 137f. VON DER HAGEN, FRIEDRICH HEINRICH: Nibelungen. Wien-Ambraser Handschrift. Germania 8 (1848), S. 1–16. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 59f. JANOTA, JOHANNES: ‹Ambraser Heldenbuch›. In: 2VL 1 (1978), Sp. 323–327. KLEIN, DOROTHEA (Hg.): Mauricius von Craûn. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Stuttgart 1999, S. 7–16. KOFLER 2009 (LV Nr. 72), S. 11–13. LEITZMANN, ALBERT: Die Ambraser Erecüberlieferung. PBB 59 (1935), S. 143–234, hier S. 145–156, 189–234. Ders. (Hg.): Erec von Hartmann von Aue. Mit einem Abdruck der neuen Wolfenbütteler und Zwettler Erec-Fragmente. Hg. von A. L., fortgeführt von LUDWIG WOLFF. 7. Aufl. bes. von KURT GÄRTNER. Tübingen 2006 (ATB 39), S. XI–XIII. LOHSE, GERHART: Die Tabula des Ambraser Heldenbuchs. Ein Beitrag zur Arbeitsweise des Hans Ried und zur Textgeschichte des Nibelungenliedes. In: ROLF FUHLROTT/BERTRAM HALLER (Hgg.), Das Buch und sein Haus. FS Gerhard Liebers. Wiesbaden 1979, S. 131–141. MENHARDT, H[ERMANN]: Das Heldenbuch an der Etsch. Der Schlern 32 (1958), S. 318–321. Ders. 1960/1961 (siehe S. 78), Bd. 3 (1961), S. 1469–1478, bes. S. 1472. MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 196f., 322. REINITZER, HEIMO (Hg.): Mauritius von Craûn. Tübingen 2000 (ATB 113), S. VII–XII. RS, S. XV–XVIII. SCHNEIDER, KARIN: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung, Tübingen 1999 (Sammlung kurzer grammatischer Dialekte, B: Ergänzungsreihe Nr. 8), S. 79, 131, 134 A. 97. SCHNYDER 1980 (LV Nr. 16), S. 3–13. SCHÖNHERR, D[AVID]: Der Schreiber des Heldenbuchs in der k. k. Ambraser Sammlung. Archiv für Geschichte und Altertumskunde Tirols 1 (1864), S. 100–106 = Germania 9 (1864), S. 381–384. SCHRÖDER, EDWARD (Hg.): Zur Überlieferung und Textkritik der Kudrun. Nachrichten von der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.–hist. Kl. (1917), S. 21–37; (1918), S. 506–516; (1919), S. 38–60, 159–169; (1920), S. 285–306. Ders.: Der Ambraser Wolfdietrich. Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl. (1931), S. 210–240, hier S. 212–218.

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Überlieferung

SCHUBERT, MARTIN J.: Offene Fragen zum ‹Ambraser Heldenbuch›. In: Exemplar. FS Kurt Otto Seidel. Hg. von RÜDIGER BRANDT/DIETER LAU. Frankfurt a. M. 2008 (Lateres. Texte und Studien zu Antike, Mittelalter und früher Neuzeit 5), S. 99–120. THORNTON, THOMAS P.: Die Schreibgewohnheiten Hans Rieds im Ambraser Heldenbuch. Diss. [masch.] Baltimore 1953. Ders.: Die Schreibgewohnheiten Hans Rieds im Ambraser Heldenbuch. ZfdPh 81 (1962), S. 52–82. UNTERKIRCHER, FRANZ: Das Ambraser Heldenbuch. Der Schlern 28 (1954), S. 4–15. WEINACHT, HELMUT: Archivalien und Kommentare zu Hans Ried, dem Schreiber des Ambraser Heldenbuches. In: KÜHEBACHER 1979 (LV Nr. 398), S. 466–489. WIERSCHIN, MARTIN: Das Ambraser Heldenbuch Maximilians I. Der Schlern 50 (1976), S. 429–441, 493–507, 557–570. ZIMMERL, RUDOLPH: Hans Rieds Nibelungenkopie. Diss. Wien 1930. ZINGERLE, OSWALD: Das Heldenbuch an der Etsch. ZfdA 27 (1883), S. 136–142. Ders.: Zur Geschichte der Ambraser Handschrift. AfdA 14 (1888), S. 291–293. Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/3766 (11.05.2010).

K Innsbruck, Universitäts- und Landesbibliothek, Fragm. B 3 ‹Dietrichs Flucht› (Fragment) Pergament 2 Bll. 27,5 x 18 cm Südtirol Anfang 14. Jh. Drittinnerstes Doppelbl. einer Lage. Schriftraum: 21 x 13,5–14 cm. Zweispaltig. 39 Zeilen. Verse abgesetzt, teilweise Majuskeln am Versanfang vorgerückt (2. Hand), Reimpunkte. Von zwei Händen (1. Hand: Textualis, ähnlich Cgm 34, ‹Nibelungenlied› A, und der Haupthand in Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2699a; 2. Hand mit Übergängen zur Kursive; die 1. Hand verweist auf Ende 13., die 2. auf Anfang 14. Jh.; da die beiden Hände innerhalb eines Bogens wechseln, ist eher Ablösung eines älteren Schreibers durch einen jüngeren anzunehmen als eine jahrzehntelange Schreibpause). Abschnittsinitialen (1. Hand: zweizeilig, 2. Hand: einzeilig) alle 10 Zeilen vorgesehen, nur bei jedem 20. Vers ausgeführt.

Entstehung, Geschichte: Anfang des 14. Jahrhunderts von zwei Schreibern wohl in einer südtirolischen Kanzlei gefertigt (vielleicht selbständiges Faszikel, auf Vorrat kopiert, «das vergeblich auf seine Einbindung wartete»9?); das Doppelblatt diente als Einband eines Zinsverzeichnisses von 1526 für die Herren von Schlandersberg (Südtiroler Ministerialengeschlecht); aus Schloss Kasten im Vinschgau (Südtirol). Mundart: Bairisch-Österreichisch (1. Hand mit einigen ostoberdeutschen, 2. Hand mit einigen mittelbairischen Merkmalen) Inhalt: ‹Dietrichs Flucht›, v. 5183–5264, 5273–5346 (fol. 1); 5965–6120 (fol. 2). Literatur: ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 159–161. BERTELSMEIER-KIERST, Christa: Tiroler ‹Findlinge›. ZfdA 123 (1994), S. 334–340. DF, S. XVIII f. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 60. HOFFMANN, WERNER J.: Konrad von Heimesfurt. Untersuchungen zu Quellen, Überlieferung und Wirkung seiner beiden Werke ‹Unser vrouwen hinvart› und ‹Urstende›. Wiesbaden 2000 (Wissensliteratur im Mittelalter 37), S. 357f.

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ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 162.

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Überlieferung und Wirkung

OTTENTHAL, EMIL VON: Ein Fragment von ‹Dietrichs Flucht›. ZfdA 23 (1879), S. 336–344. MR: http://www.mr1314.de/1685 (11.05.2010).

S Graz, Universitätsbibliothek, Ms. 1969 ‹Rabenschlacht› (Fragment) Pergament 1 Doppelbl. 25 x 18 cm Steiermark

Mitte 14. Jh.

Innerstes Doppelbl. einer Lage aus einer Quarthandschrift. Schriftraum: 19 x 14 cm; teilweise beschnitten. Zweispaltig. 34 Zeilen. Strophen abgesetzt, Verse nicht abgesetzt; Reimpunkte. Gotische Buchschrift, von einer Hand. Abwechselnd blaue, rote, grüne, goldene zwei-, selten dreizeilige Lombarden (teilweise rot verziert) zu Beginn der Strophen. Beide Blätter sind beschädigt; teilweise Textverlust.

Entstehung, Geschichte: Mitte des 14. Jahrhunderts von einem Schreiber gefertigt. Das Doppelblatt diente als Einband eines Zunftbuches aus den Jahren 1661–1720 für die Huf- und Wagenschmiede von Knittelfeld und Umgebung (Steiermark). 1918 von Conrad Gallhofer in Seckau bei Knittelfeld zur Identifizierung an den Leiter der Grazer Universitätsbibliothek, Konrad Zwieržina, gesandt. Mundart: Bairisch-Österreichisch. Inhalt: ‹Rabenschlacht›, 10,1–56,1 (Str. 10–32 fol. 1; Str. 33–56,1 fol. 2). Die ‹Rabenschlacht› muss mitten in einer Lage begonnen haben,10 nach dem Strophenbestand der beiden erhaltenen Blätter mitten auf der dem erhaltenen Doppelblatt vorangehenden Seite. Literatur: UBG Ms. Seckau 1969. Digitalisiertes Fragment. Universitätsbibliothek Graz – Abteilung für Sondersammlungen – Digitalisierung von mittelalterlichen Handschriften. Version 2001. Vgl. auch http://www-classic.uni-graz.at/ubwww/sosa/katalog/katalogisate/1969.html (11.05.2010). ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 167–170. KERN, ANTON: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Graz. Bd. 2. Wien 1956 (Handschriftenverzeichnisse österreichischer Bibliotheken, Steiermark 2), S. 404. RS, S. XVIII f. ZWIERŽINA, KONRAD: Seckauer Bruchstücke der Rabenschlacht. PBB 50 (1927), S. 1–16. MR: http://www.mr1314.de/3012 (11.05.2010).

Insbesondere im Zusammenhang mit einer möglichen Nachwirkung der Handschrift R ist die Forschung verstreuten Hinweisen auf die Existenz verlorener Textzeugen nachgegangen, vor allem solcher, die – wie R – Neidhart-Lieder und Dietrichepik enthalten haben könnten;11 doch beziehen sich diese Hinweise, soweit überhaupt zu verifizieren, auf Drucke aventiurehafter Dietrichepen (mehrmals ‹Sigenot›12), in keinem Fall auf mögliche verlorene Textzeugen der ‹historischen› Dietrichepen. Aus der Textgeschichte freilich ergibt sich notwendig die Existenz weiterer (verlorener) Handschriften: W geht nicht direkt auf R zurück; also muss es mindestens eine gemeinsame Vorlage *RW gegeben haben. Etliche Fälle von Abweichungen zwischen R auf der einen, WPA[K] auf der anderen Seite (vgl. A. 14) deuten auf (mindestens) eine verlorene gemeinsame Vorlage für WPA[K]. Die jüngere, aber vollständigere

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Vgl. auch ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 169. Zusammenfassend ebd., S. 45–50. Vgl. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 278; ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 49f.

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Überlieferung

Handschrift A kann nicht auf der älteren Kurzfassung P beruhen; den beiden Handschriften geht also mindestens eine nicht gekürzte Handschrift *PA mit genealogischer Vorgeschichte voraus; K (Anfang 14. Jh.) kann diese Vorlage nicht gewesen sein (die Lücke DF v. 5265– 5272 findet sich nur in K, nicht in A und P). Auch die Weltchronik-Exzerpte, die ältesten Überlieferungszeugnisse für die genealogische Vorgeschichte (Ende 14. Jh.), setzen eine Handschrift mit Vorgeschichte spätestens im 14. Jahrhundert voraus. Weitere Zwischenstufen sind wahrscheinlich (darauf deuten Verbindungen zwischen den Handschriftengruppen13), doch im Detail nicht zu rekonstruieren. Die Handschriften bilden bekanntlich – für ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› gleichermaßen – zwei Überlieferungszweige, *RW und *PA. Die beiden älteren Textzeugen R und W stammen aus dem Raum, in dem die Fluchtepen entstanden sein dürften (Niederösterreich). Sie unterscheiden sich in gemeinsamen Formulierungen, in Textfolge und Textbestand von den jüngeren Handschriften P und A: im Umfang der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›; durch die R und W weitgehend gemeinsamen, in P und A dagegen fehlenden Zwischenüberschriften; durch die unterschiedliche Position einer Passage von 63 Versen (in P und A, plausibler, nach DF v. 6299, in R und W DF v. 6312–6374); durch Wortumstellungen, Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Partikeln, Einzelwörtern und Syntagmen, Plus- oder Minusverse, ferner eine Zusatzstrophe – Str. 226a – in der ‹Rabenschlacht› in *PA. R und W weisen, bedingt durch Blattverlust, unterschiedliche Lücken auf. W geht bisweilen näher zusammen mit *PA[K],14 gelegentlich auch mit P[K] alleine15 als mit R. In

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Ausführlich ebd., S. 268, 280f. u.ö. Siehe App. 2 zu DF ab v. 2298, Varianten zu v. 2386, 2437, 2478, 2531, 2539, 2544, 2617, 2635, 2651, 2673, 2689, 2706, 2738, 2792, 2830, 3003, 3008, 3108, 3162f., 3173, 3191, 3254, 3295, 3328, 3393, 3395, 3410, 3416, 3447, 3499, 3507, 3570, 3603, 3674, 3778, 3804, 3836, 3858, 3899, 3930, 4138, 4186, 4241, 4267, 4379, 4385, 4547, 4556, 4559, 4735, 4773, 4862, 4875, 4920, 5025, 5029, 5105, 5167, 5232, 5257, 5308, 5319, 5429, 5539, 5557, 5573, 5613, 5619, 5642, 5675, 5688, 5746, 5848, 5925, 5926, 5949, 5956, 6007, 6018, 6102, 6137, 6151, 6167, 6168, 6190, 6414, 6425, 6432, 6492, 6498, 6517, 6604, 6628, 6717, 6729, 6763, 6786, 6797, 6805, 6812, 6869, 6881, 6886, 6913, 6933, 6980, 7035, 7077, 7097, 7129, 7143, 7200, 7240, 7262, 7310, 7392, 7418, 7505, 7578, 7595, 7610, 7696, 7769, 7773, 7783, 7889, 7947, 8049, 8073, 8095, 8156, 8252, 8254, 8298, 8374, 8448, 8651, 8680, 8693, 8717, 8734, 8756, 8790, 8856, 8859, 8874, 8882, 8911, 8933, 8981, 9100, 9114, 9119, 9163, 9192, 9216, 9246, 9274, 9334, 9359, 9372, 9383, 9405, 9523, 9532, 9620, 9626, 9681, 9786, 9816; App. 2 zu RS, Varianten zu 18,3; 24,1; 49,3; 72,5; 72,6; 151,4; 158,5; 159,6; 165,2; 167,5; 176,6; 177,2; 192,2; 205,6; 207,1; 208,4; 212,1; 212,6; 219,4; 232,1; 236,1; 241,2; 243,5; 250,4; 253,6; 264,1; 266,3; 279,4; 294,3; 296,6; 306,5; 312,5; 322,2; 330,6; 340,6; 344,2; 369,5; 378,5; 379,1; 387,3; 389,2; 391,6; 392,6; 393,2; 402,2; 403,5; 406,6; 414,2; 414,3; 425,1; 428,4; 431,6; 432,2; 434,2; 435,3; 438,6; 440,4; 442,1; 442,2; 445,4; 448,5; 459,6; 480,3; 483,2; 484,3; 489,6; 490,3; 492,1; 496,4; 496,5; 499,5; 511,1; 513,6; 527,4; 533,4; 534,1; 541,5; 556,2; 564,6; 572,1; 585,6; 592,6; 593,2; 596,3; 599,3; 604,3; 605,5; 611,3; 615,4; 627,6; 639,2; 656,3; 663,4; 668,4; 671,6; 676,6; 680,4; 682,6; 685,3; 687,6; 689,6; 690,5; 698,6; 704,1; 713,2; 721,1; 725,6; 731,4; 755,5; 764,2; 775,6; 782,4; 789,3; 793,4; 794,6; 797,5; 806,6; 808,4; 816,4; 822,4; 822,6; 825,2; 836,6; 838,6; 852,3; 856,3; 868,6; 872,5; 873,1; 876,3; 877,2; 877,6; 878,2; 879,3; 879,6; 881,4; 883,6; 884,1; 892,1; 901,5; 901,6; 902,4; 910,4; 915,4; 918,6; 922,3; 928,5; 929,5; 933,3; 935,6; 942,4; 946,5; 947,5; 962,6; 969,5; 972,4; 981,1; 983,3; 984,4; 985,6; 988,5; 991,3; 999,6; 1002,4; 1009,3; 1016,3; 1018,4; 1025,1; 1027,3; 1064,4; 1070,6; 1082,1; 1089,6; 1096,6; 1098,4;

87

Überlieferung und Wirkung

der weit überwiegenden Zahl der Lesarten handelt es sich dabei um iterierende Varianten; in einigen Fällen bietet WPA sicher (in den Ausgaben wurde dann eingegriffen), in anderen möglicherweise gegenüber R die richtige Lesart. Zu Handschrift R stellt sich das Fragment S der ‹Rabenschlacht›,16 zu Handschrift A das Fragment K von ‹Dietrichs Flucht›.17 K und A vertreten einen Tiroler Überlieferungszweig der ‹Flucht›;18 sie dürften auf eine (bereits spätestens Anfang des 14. Jahrhunderts vorliegende) gemeinsame Vorlage zurückgehen. Die beiden Weltchronik-Exzerpte stehen A am nächsten. Am augenfälligsten sind die Unterschiede in der Makrostruktur hinsichtlich der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›: R und W bieten lediglich einen rund 200 Verse umfassenden genealogischen Vorspann über Dietrichs unmittelbare Vorfahren (Hugdietrich, Amelunch und Dietmar), der unvermittelt mit dem Tod von Dietrichs Ururgroßvater Wolfdietrich einsetzt. Dieser Teil von Dietrichs Genealogie ist in allen vier Vollhandschriften enthalten. In P und A geht dem über rund 2000 Verse hinweg die Geschichte von Dietrichs weiter zurückliegenden Vorfahren und Vorgängern voraus, vom artusgleichen Spitzenahn Dietwart bis zu Ortnit und (unter Bruch der biologischen Kontinuität) zu Wolfdietrich. Exzerpte aus dieser ‹langen› Vorgeschichte sind Ende des 14. Jahrhunderts in zwei Handschriften der ‹Weltchronik› Heinrichs von München (vgl. auch S. 58–60) integriert, unter Beibehaltung von insgesamt rund 360 Versen aus ‹Dietrichs Flucht› in einer dem ‹Ambraser Heldenbuch› nahe stehenden Version.19 Diese Auszüge belegen die Existenz der ausführlichen genealogischen Vorgeschichte bereits im 14. Jahrhundert (zu ihrer Bedeutung für die geglaubte Historizität des Stoffes vgl. S. 236f.).20 Zur Textkonstitution tragen die Exzerpte

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1099,1; 1100,5; 1101,2; 1104,6; 1114,5; 1116,5; 1121,1; 1123,1 (WPA, für DF teils auch WPAK; keine signifikanten Bindefehler, vgl. allenfalls DF v. 7392; RS 306,5). Siehe App. 2 zu DF ab v. 2298, Varianten zu v. 2388, 2609, 2641, 2849, 2858, 3101, 3248, 3317, 3338, 4044, 4101, 4203, 4286, 4358, 4475, 4519, 4524, 4557, 5067, 5330, 5556, 5665, 5989, 6392, 6469, 6538, 6562, 6810, 6811, 7025, 7186, 7545, 7684, 7971, 8228, 8229, 8360, 8775, 8841, 8939, 9451, 9683, 9693, 9724, 9774 (WP); zu v. 6048, 6086 (WPK); App. zu RS, Varianten 24,6; 30,6; 45,1; 45,6; 246,4; 248,5; 287,5; 291,1; 295,2; 308,2; 310,6; 331,3; 332,1; 354,4; 373,6; 381,4; 384,6; 397,6; 412,4; 458,5; 462,6; 480,4; 491,6; 497,6; 507,4; 510,4; 518,3f.; 526,1; 551,6; 603,4; 608,6; 678,6; 692,6; 756,5; 757,5; 763,1; 770,6; 771,6; 792,1; 816,6; 886,5; 892,2; 909,3; 911,1; 926,1; 934,5; 948,5; 954,4; 967,1; 993,4; 1000,4; 1000,5; 1022,4; 1108,4 (WP) (der in WP fehlende Vers DF v. 3248 ist angesichts der allgemeinen Kürzungstendenz von P nur bedingt signifikant; RS 332,1 Bindefehler RA?). Anders ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 268, 280f.: S stehe zwischen den Fassungen. Siehe App. 2 zu RS 10,1–56,1: Nähe von S zu W belegen Varianten zu 29,1; 29,3; 29,6; 31,4; 51,3; zu WA Variante zu 34,2; zu WPA Variante zu 36,6; zu PA Varianten zu 31,4; 42,6; 55,2; zu WP Varianten zu 45,1; 45,6; zu P Varianten zu 20,3; 27,2; 50,6. Ich halte die Übereinstimmungen (meist iterierende Varianten) in keinem Fall für signifikant. Siehe App. 1 und 2 zu DF v. 5183–5264, 5273–5346, 5965–6120, mit zahlreichen gemeinsamen Lesarten PAK, etlichen Sonderlesarten P und Übereinstimmungen AK, bes. auffällig App. 1 zu v. 5333 (vgl. die wörtliche Parallele zu K RS 7,6); Übereinstimmung von K mehr mit P als mit A belegen nur vereinzelte Lesarten (App. 1 zu v. 5205, 5325, 5977, 6036; App. 2 zu 6071), eine Parallele zu W App. 2 zu v. 5973. Vgl. OTTENTHAL 1879 (siehe S. 86), S. 337f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 61. Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 101–104. Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 63.

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Überlieferung

nicht bei, da sie (soweit einerseits aus dem gemeinsamen Wortlauf von A und P, andererseits aus der gezielten Anpassung an den neuen chronistischen Kontext zu schließen) ausgeprägten Bearbeitungscharakter aufweisen. Das Exzerpt umfasst in der längeren Fassung der Gothaer Handschrift (H15) rund 360 Verse, auf die die rund 2500 Verse der ausführlichen Vorgeschichte in ‹Dietrichs Flucht› reduziert werden. Entsprechend gängigen Tendenzen bei der Verarbeitung ausführlicher Vorlagen in der Chronik kommt es «auf Namen und ‹Fakten› an»:21 Stark gekürzt wird vor allem die ausführlich erzählte Werbung Dietwarts; je knapper ‹Dietrichs Flucht› selbst formuliert, desto näher bleibt der Chronist bei der heldenepischen Vorlage. An die üblichen geographischen Namen der Historiographie angepasst sind die Bezeichnungen für Oberitalien (vgl. auch S. 237);22 die «fabelhaft-patriarchalischen Lebenszeiten und Kinderzahlen» werden auf «Normalmaß» reduziert.23 WILHELM GRIMM, der die relevanten Textauszüge bereits 1815 publizierte,24 führte die Geschichte von Dietrichs Ahnen in den beiden Handschriften der ‹Weltchronik› noch auf eine verlorene Vorstufe der ‹Flucht› zurück; die kürzere Version des Cgm 7377 (H8) bzw. von dessen Dresdener Abschrift, die er abdruckte, hielt er für ursprünglicher, die Version der Gothaer Handschrift (H15) für nachträglich in Annäherung an ‹Dietrichs Flucht› erweitert. Schon MARTIN hat das widerlegt:25 Die Kürzung im Cgm 7377 erweist sich als sekundär; der Gothaer Text steht auch in unbedeutenden Details ‹Dietrichs Flucht› näher, die sich (anders als längere Zusätze) nicht gut durch sekundäre Abgleichung mit dem Epos erklären lassen; Abweichungen von ‹Dietrichs Flucht›, auf die GRIMM hinweist, sind entweder unbedeutend oder leicht aus historischgeographischem Allgemeinwissen, aus späteren Teilen der Dichtung, aus Sagenwissen oder aus anderen Quellen, insbesondere der bereits genannten ‹Kaiserchronik›, zu erklären.26 Die wörtlichen Übereinstimmungen zu ‹Dietrichs Flucht› sind schlagend;27 hinzu kommen sagengeschichtliche Besonderheiten: So sind nur dort (DF v. 2472) und eben in den beiden Heinrich von München-Handschriften (v. 306) drei (statt sagenüblich zwei) Harlungen erwähnt. Dass Wolfdietrichs Sohn Dietreich (v. 233) statt, wie in der ‹Flucht›, Hugdietrich (DF v. 2319 u.ö.) heißt, dürfte auf den alten Dietrich der ‹Kaiserchronik› zurückgehen.28 Die Namensform Erntreich (v. 281 u.ö.) für Ermrich entspricht der des ‹Ambraser Heldenbuchs›;

––––––– 21

KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 103. Ebd., S. 104. 23 Ebd., S. 103; die Reduktion ist als solche ersichtlich in Varianten der Gothaer Hs. zu v. 106, 108 des Cgm 7377. 24 J. u. W. GRIMM 1815 (LV Nr. 250). 25 MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. CLVIII f.; vgl. auch KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 103, A. 50. 26 Vgl. MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. CLVIII f. Dass Ortnit in der ‹Flucht› (DF v. 2242–2244) vor der Steinwand gefunden und in den Berg, in der Weltchronik (J. u. W. GRIMM 1815, LV Nr. 250, v. 200– 202; weitere Stellenangaben ohne andere Kennzeichnung im Folgenden nach diesem Abdruck) in die Steinwand getragen wird, macht keinen großen Unterschied. Lamparten (v. 124, für Sighers Reich) ist DF v. 2443 als Erbe Dietmars erwähnt; Meran (v. 70 für Dietwarts Reich) stammt vielleicht aus dem ‹Wolfdietrich›; der Hinweis auf das von Dietmar errichtete wunderhaus in Pern (v. 323f.) könnte eine Verwechslung mit dem Dietrichs hûs zahlreicher Testimonien sein (vgl. Test., Verzeichnis der Eigennamen, Motive, Begriffe zur Dietrichüberlieferung), das Erhängen der Harlungen in Ravenna (v. 311) eine Kontamination mit dem späteren Massaker in Raben (DF v. 7716 u.ö.). 27 Vgl. MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. XLIX. 28 Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 102. 22

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Überlieferung und Wirkung

Hans Ried hat sie also aus einer Vorstufe übernommen und nicht erst selbst in fehlerhafter Annäherung an die allegorischen Namen in Maximilians Gedechtnus-Werk (die Ehrenreich des ‹Theuerdank›) gebildet. Der unvermittelt einsetzende Vorspann in R und W ist ohne Zweifel sekundär gekürzt; die Langfassung der Vorgeschichte in der in A überlieferten Gestalt (P ist insgesamt eine kürzende Bearbeitung) kann als «original»29 gelten. Dafür spricht, dass auch in der kurzen Vorgeschichte Dietrichs Ahnen (bis hin zu Dietmar) das biblische Lebensalter und teilweise die hohe Kinderzahl eines Dietwart und Sigher zugeschrieben sind. Zudem verbinden intratextuelle Beziehungen die lange Vorgeschichte und den Hauptteil von ‹Dietrichs Flucht›, in erster Linie die gleiche Tendenz zur laudatio temporis acti und Fürstenschelte in den Erzählerkommentaren (v. 192–246, 7932–8001); diese Tendenz verweist die lange Vorgeschichte und den Hauptteil in das Umfeld des niederösterreichischen Adels in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts30 – umso erstaunlicher, dass die lange Vorgeschichte gerade in der aus diesem Raum stammenden ältesten Handschrift R nicht enthalten ist. Wenn in den älteren Handschriften die Vorgeschichte um den quasi-arturischen Teil gekürzt ist, entfällt die Gegenüberstellung von prekärer Ermrich-Dietrich-Zeit und (fast) idealer arturischer Vorvergangenheit, die die Geschichtsperspektive der ‹Flucht› prägt (vgl. S. 128, 244–246). Primär freilich dürfte eine Reduktion auf eine sagenkompatible Genealogie des Helden beabsichtigt sein; nur Ortnit und Wolfdietrich, nicht Dietwart und Sigher sind als Dietrichs Vorfahren bzw. Vorgänger auch andernorts belegt. Für die Hypothese, dass der in R und W fehlende Großteil der genealogischen Einleitung möglicherweise in einer nicht erhaltenen Vorstufe *RW wegen der Mitüberlieferung von ‹Ortnit›/‹Wolfdietrich› (quasi in einem genealogischen Zyklus mit den Dietrichepen) entbehrlich erschienen war,31 sprächen vor allem der unvermittelte Einsatz von R und W mit dem Tod Wolfdietrichs, dessen Vorgeschichte offensichtlich als bekannt vorausgesetzt wird, und einzelne Überlieferungsgemeinschaften auch in den erhaltenen Handschriften (vgl. S. 96f.). Verifizierbar ist sie freilich nicht. Die Fassung von ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› in Handschrift P stellt, verglichen mit A, eine kürzende Bearbeitung des Gesamttextes dar: Im ‹Ambraser Heldenbuch› hat ‹Dietrichs Flucht› einen Umfang von 10 132 Versen, P dagegen weist nur 9441 Verse auf; die Kürzung beläuft sich damit auf 6,8 Prozent (wobei im Einzelfall auch möglich ist, dass A Zusätze gegenüber der gemeinsamen Vorlage enthält; dafür sprechen gelegentliche Plusverse von A gegenüber RWP im Hauptteil und einige völlig inhaltsleere Füllverse in A in der Vorgeschichte). Die ‹Rabenschlacht› hat im ‹Ambraser Heldenbuch› – mit der genannten Zusatzstrophe – einen Umfang von 1139 Strophen. In P fehlen demgegenüber 20 vollständige Strophen; 71 Strophen sind durch Wegfall von insgesamt 126 Versen unvollständig. Insgesamt weist P 1120 (teilweise unvollständige) Strophen auf (davon die mit A gemeinsame Zusatzstrophe 226a). Die Kürzung beläuft sich damit auf 3,6 Prozent des Textbestandes. Bei den Kürzungen von P handelt es sich fast ausnahmslos um gezielte Eingriffe eines Bearbeiters, die vor allem dem Ideal der brevitas verpflichtet sind. In ‹Dietrichs Flucht› bleibt das Reimpaar als Grundelement bei den Kürzungen fast immer erhalten, Weglassung von Einzelversen

––––––– 29 30 31

So ebd., S. 103, A. 52. Vgl. HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 72–75. Vgl. zuletzt ders. 1999 (LV Nr. 317), S. 60f.

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Überlieferung

begegnet nur selten. Meist umfassen die Eingriffe ein oder mehrere (bis zu drei, gelegentlich auch vier) ganze Reimpaare. In der ‹Rabenschlacht› wird in P nicht selten die Strophe durch Kürzung und Umstellung der Verse zugunsten eines einfacheren Reimschemas verändert (zwei paar- oder kreuzgereimte Verspaare, meist hergestellt durch Wegfall des jeweils 1. und 3. oder – häufiger – des 5. und 6. Kurzverses32). Häufig werden Überleitungsverse um- bzw. ‹Flickverse› neu formuliert, syntaktische Zusammenhänge angepasst. Gelegentliche Fehler oder Störungen im semantischen oder syntaktischen Zusammenhang belegen bei beiden Texten zweifelsfrei sekundäre Kürzung. Sie trifft bevorzugt Wiederholungen, redundante Informationen und formelhafte Wendungen. Füllwörter wie do, nv, gar, so etc. sind häufig getilgt, Eigennamen nicht selten durch Personalpronomina ersetzt. Handlungsabschnitte größeren Umfangs (zehn Verse und mehr in der ‹Flucht›; in der ‹Rabenschlacht› zwei Strophen oder mehr, vgl. RS Str. 528f.) dagegen sind nur sehr selten gekürzt; dass ganze Episoden, Figuren, Gesprächsszenen oder Nebenhandlungsstränge gestrichen werden, kommt nicht vor. In ‹Dietrichs Flucht› bleiben selbst digressive Passagen – wie beispielsweise die Zeitklage im Exkurs Heinrichs des Voglers (DF v. 7932–8001) – in der Substanz erhalten, freilich mit den beschriebenen Kürzungsphänomenen. In der ‹Rabenschlacht› werden z.B. die Zeitklage (RS Str. 96–100) oder die Minneepisode (RS Str. 119–122) von fünf bzw. vier auf eine (RS Str. 98) bzw. zwei (RS Str. 119, 121) Strophen gekürzt. Die Vorgeschichte der ‹Flucht› in der Handschrift P ist gegenüber der des ‹Ambraser Heldenbuchs› um 12,2 Prozent kürzer, der Hauptteil dagegen nur um 5 Prozent. Vergleicht man den Hauptteil in P (7233 Verse) mit dem Hauptteil des ältesten Textzeugen R (7422 Verse), ist der Umfang von P sogar nur um 2,5 Prozent geringer. In der ‹Rabenschlacht› werden ab Str. 144 meist nicht mehr ganze Strophen (bis dorthin 11 Strophen), sondern Einzelverse gestrichen, im letzten Drittel des Textes auch das kaum mehr. Der Textbestand der Kurzfassung33 P stimmt für beide Texte zu rund 95 Prozent mit dem der anderen Textzeugen überein; die Bearbeitungsdichte erweist sich damit als vergleichsweise gering; abgesehen von der bewussten Straffung und einigen unterschiedlichen Akzenten im Detail ist kein eigener «Formulierungswille» festzustellen; von «gleichwertige[n] Parallelversionen» kann bei beiden Texten nicht die Rede sein.34 Auffällig allerdings ist bei der ‹Rabenschlacht› die partielle Abkehr von der Strophenform: P bietet offensichtlich keine sangbare Fassung, sondern einen Lesetext. Die Kürzungstendenz von P ist nicht durchgehend gleichmäßig: Gegen Ende des Textes nimmt, wie häufig in spätmittelalterlichen Handschriften, die Bearbeitungsdichte deutlich ab. ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› werden in P in dieser Hinsicht jeweils als Einzeltexte behandelt, nicht als ein einheitliches Doppelepos, mit stärkerer Kürzung zu Beginn, geringerer gegen Ende bei jedem der beiden Texte. Das fällt vor allem insofern auf, als die Abhängigkeitsverhältnisse der Handschriften insgesamt für beide Texte übereinstimmen, was auf die Festigkeit des Überlieferungsverbunds deutet.

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33

34

Siehe z.B. RS Str. 132, 152, 154, 265, 362, 407, 446, 464, 466, 500, 505, 506, 522, 549, 556, 561, 562, 568, 705, 737; bisweilen erfolgt Reduktion auf nur ein Reimverspaar, z.B. Str. 758, 800; teilweise entfallen durch Streichung von Versen auch Reime. Es handelt sich damit nicht um eine Fassung im Sinne BUMKEs (1996, LV Nr. 171, bes. S. 32), der Fassungen gerade als Versionen ohne Bearbeitungscharakter bestimmt; grundsätzlich zu Kurzfassungen vgl. STROHSCHNEIDER 1991 (LV Nr. 554); HENKEL 1993 (LV Nr. 323). Vgl. BUMKE 1996 (LV Nr. 171), S. 32.

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Überlieferung und Wirkung

b) ‹Alpharts Tod› ‹Alpharts Tod› ist unikal in einer rheinfränkischen Papierhandschrift aus dem 15. Jahrhundert (vermutlich um 1470/1480) überliefert.35 Die (fragmentarische) Handschrift war mit einiger Sicherheit Teil einer (vorwiegend heldenepischen?) Sammelhandschrift, zu der außerdem die Handschriften Hs. 4257 (‹Nibelungenlied›, Fassung n) und Hs. 4314 (Johann von Würzburg, ‹Wilhelm von Österreich›) der Hessischen Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt gehörten. Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Mgf 856 ‹Alpharts Tod› (Fragment) Papier 33 Bll. erhalten 27,7 x 20,7 cm Hessen (?) wohl 2. Hälfte 15. Jh. Wasserzeichen: Bll. 4–7, 11–13, 16, 19, 20, 22 überkronte Lilien mit untergesetzten Buchstaben in drei Variationen, ähnlich BRIQUET Nr. 7251 und 7252 (zwischen 1467 und 1515). Bll. 35, 36, 39–41, 46 stilisiertes P: P 1 wie PICCARD, WZ P III/282 (1478); P 2 ähnlich BRIQUET Nr. 8527 (1463–1472); ähnlich PICCARD WZ P III/207 (1477). Ursprüngliche Lagen zerstört; STAUB/WEIMANN-HILBERG rekonstruieren eine Lage von 25 Doppelbll. aus fol. 24–46 von ‹Alpharts Tod› und 1–27 von ‹Nibelungenlied› n; Blattverlust vor fol. 2 (1 Bl.), nach fol. 17 (1 Bl.), zwischen fol. 22 und 35 (12 Bll.); fehlende Blätter im 18. Jh. durch leere ersetzt; Risse fol. 9, 10, 14, 21; geringe Textverluste durch Beschneiden fol. 37r, 38r, 42r, durch Einbinden fol. 14v, 15v, 20v, 21v, 22v; ältere Foliierung, fol. 2–17, 19–22, 35–46). Schriftraum: ca. 20 x 14 cm, durch horizontale und vertikale Linien begrenzt. Einspaltig. Im ersten Teil (fol. 2–22) 28–32, im zweiten Teil (fol. 35–46) 26–30 (fol. 46v: 7) Zeilen. Verse abgesetzt, Strophen nicht abgesetzt (der Schreiber hat Strophen nicht mehr gesehen).36 Bastarda, von einer Hand: Johann Lang; von derselben Hand: Darmstadt, Hessische Universitäts- und Landesbibliothek, Hs. 4257: ‹Nibelungenlied› n (dort fol. 62v Kolophon mit – zu den Wasserzeichen in Widerspruch stehender – Datierung auf 1449), Hs. 4315: ‹Johann von Würzburg II›. Sporadisch Stellvertreter für zwei- bis vierzeilige (mit einer Ausnahme fol. 22v) nicht ausgeführte Initialen; Zierleisten fol. 5r, 21r/v, 43r; Unterstreichungen und Randglossen (Ritter Recht fol. 2v; Sich bemühen / anhalten fol. 6v; Kreuz fol. 11v; bald fol. 15r; gnau fol. 21v; lieblich fol. 35r; warten fol. 37r; Indem fol. 37v; offenbar fol. 38v; 18. Jh.), metrische Anmerkungen und einzelne Strophenzählungen von anderer Hand (Hundeshagen?). Einband: hellbraunes Kleisterpapier (18. Jh.). Die Handschrift wurde 2002–2004 restauriert.

Entstehung, Geschichte: Gemeinsamkeiten in Schreiberhand, Format, Layout, Einband, Wasserzeichen sowohl des alten Papiers als auch der im 18. Jahrhundert eingeschobenen leeren Blätter wie der Vor- und Nachsatzblätter, Benutzerspuren des 18. Jahrhunderts (Titelbeschriftungen und Randglossen von gleicher Hand, Rötelunterstreichungen) bestätigen zweifellos die Zusammengehörigkeit von Mgf 856, Hs. 4257 (‹Nibelungenlied› n) und Hs. 4315 (‹Johann von Würzburg› II) der Hessischen Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Nach

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Handschriftenbeschreibung aktualisiert nach AT/DWen, S. 3–5. Die zugrunde liegenden Strophenformen (Hildebrandston und Nibelungenstrophe: vgl. HEINZLE 1999, LV Nr. 317, S. 84–86 u.a.) sind grundsätzlich erkennbar, allerdings mit erheblichen Freiheiten vor allem bei Auftakt und Kadenzen, mit Unter- und Überfüllungen; eine Melodie zu ‹Alpharts Tod› ist nicht überliefert, allerdings zum Hildebrandston (vgl. BRUNNER 1970, LV Nr. 167, S. 152; ders. 1979, LV Nr. 168, S. 304–307). Die zumeist nicht ausgeführten Initialen wären freilich nur schwer (und mehrfach um den Preis von Streichungen) mit einer Strophengliederung in Einklang zu bringen.

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Überlieferung

der Rekonstruktion der Lagen durch STAUB/WEIMANN-HILBERG37 folgten ‹Alpharts Tod›, ‹Nibelungenlied n› und ‹Johann von Würzburg› unmittelbar aufeinander; ob die Teile, wie KORNRUMPF38 vorschlägt, einer größeren Heldenbuch-Sammlung zugehörten, lässt sich nicht verifizieren. Als denkbare Auftraggeber kämen im Entstehungsraum der Handschrift Johann von Dalberg, die Grafen Johann IV. und Philipp von Katzenelnbogen, die Grafen von Manderscheid-Blankenheim oder Adelsfamilien der Wetterau wie das gräfliche Haus Hanau in Frage.39 Nach allgemeiner Forschungsmeinung wurde der ursprüngliche Codex Ende des 18. Jahrhunderts bzw. um 1800 (nach den Wasserzeichen der Zusatzblätter wäre 1766 terminus post quem40) zerteilt. Zum Zeitpunkt der Foliierung (in allen drei Teilen von derselben Hand, stets mit 1 beginnend, fol. 1 in ‹Alpharts Tod› verloren) waren die Teile nicht zusammengebunden. ‹Alpharts Tod› gelangte, bereits unvollständig, auf unbekannte Weise vor 1810 (Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Auszugs durch VON DER HAGEN41) in den Besitz Helfreich Bernhard Hundeshagens. Die Darmstädter Teile stammen aus der Bibliothek der Familie Günderrode (1922 als Leihgabe in Darmstadt, 1958 aufgekauft, 1975 – Hs. 4275 – bzw. 1985 – Hs. 4314 – bei Katalogisierungs- bzw. Restaurierungsarbeiten aufgefunden). Offen bleibt, ob die Günderrodes und Hundeshagen die Teile des Codex aus einer gemeinsamen Quelle bezogen oder ob die Familie Günderrode auch Vorbesitzer von ‹Alpharts Tod› war; Verbindungen zwischen Hundeshagen und den Günderrodes bestanden über Karl Christian Wolfart (1778– 1832), der mit beiden verkehrte. Spätestens nach 1870 gelangte die Handschrift in die Preußische Staatsbibliothek. Mundart: Rheinfränkisch. Inhalt: ‹Alpharts Tod›. Ausgewählte Literatur: AT/DWen, S. 3–5. BRIQUET, CHARLES MOISE: Les Filigranes. Dictionnaire Historique des Marques du Papier. Dès leur Apparition Vers 1282 jusqu’en 1600. Paris 1907. 4 Teile. 2. Aufl. Leipzig 1923. Teil 2, S. 398, Teil 3, S. 459f. DEGERING 1925 (siehe S. 78), S. 111 [Abschrift], S. 119. GÖTTING, FRANZ/RUPPRECHT LEPPLA: Geschichte der Nassauischen Landesbibliothek zu Wiesbaden und der mit ihr verbundenen Anstalten, 1813–1914. Wiesbaden 1963 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau, 15), S. 15–47. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 83f. JUNG, RUDOLF: Zur Geschichte der Familie von Günderrode. In: Alt-Frankfurt. Vierteljahresschrift für seine Geschichte und Kunst. Hg. von dem Verein für Geschichte und Altertumskunde [u.a.]. Jahrgang 5 (1913), S. 65–79, 107–114. KORNRUMPF 1984 (LV Nr. 389), S. 334.

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STAUB/WEIMANN-HILBERG 1987 (siehe S. 94), S. 266–268. KORNRUMPF 1984 (LV Nr. 389), S. 334. Vgl. VORDERSTEMANN 2000 (LV Nr. 68), S. XVII f. Vgl. ZIMMER 1972 (LV Nr. 614), S. 34. VON DER HAGEN 1810 (LV Nr. 5).

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Überlieferung und Wirkung

NOLL, JULIUS: Helfreich Bernhard Hundeshagen und seine Stellung zur Romantik. Jahresberichte des Königlichen Kaiser-Friedrichs-Gymnasiums zu Frankfurt a. M., Ostern 1891, S. 17 = 1891. Programm Nr. 378. PICCARD, GERHARD: Wasserzeichen Buchstabe P. Teil 1: Text, Teil 2: Abbildungen. Stuttgart 1977 (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg. Sonderreihe: Die Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart), Teil 1, S. 30f., Teil 2, S. 69. STAUB, KURT HANS/THOMAS SÄNGER: Deutsche und niederländische Handschriften mit Ausnahme der Gebetbuchhandschriften. Hg. vom Direktor der Bibliothek. Wiesbaden 1991 (Die Handschriften der hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt 6), S. 161f. STAUB, KURT HANS/BIRGITT WEIMANN-HILBERG: Johann von Würzburg (II), Wilhelm von Österreich. Ein neu aufgefundener Textzeuge in der hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt. In: ELLY COCKX-INDESTEGE/FRANS HENDRICKX (Hgg.), Miscellanea Neerlandica. FS Jan Deschamps. Leuven 1987, S. 263–271. VORDERSTEMANN, JÜRGEN: Eine unbekannte Handschrift des Nibelungenliedes in der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt. ZfdA 105 (1976), S. 115–122. VORDERSTEMANN 2000 (LV Nr. 68), S. IX–XXIX. ZIMMER 1972 (LV Nr. 614), S. 31–41, 216–219. Handschriftencensus: http://www.handschriftencensus.de/3520 (11.05.2010).

c) ‹Dietrich und Wenezlan› ‹Dietrich und Wenezlan› ist als Fragment von zwei nicht zusammenhängenden Doppelblättern aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts überliefert:42 Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, Cod. N I 1 Nr. 67 ‹Dietrich und Wenezlan› (Fragment) Pergament 4 Bll. 23,4–26,6 x 14,2–19,5 cm Ostmittelbairisch kurz nach 1250 Zwei (beschädigte) ineinander gehörende Doppelbll., zwischen fol. 2 und 3 mindestens ein Doppelbl. verloren. Teilweise zerschnitten (einzelne Streifen sind verloren, erhaltene Teile wieder zusammengeklebt) und verschiedentlich beschädigt, Textverluste am oberen und an den seitlichen Rändern. Fol. 1: 23,4 x 14,2 cm, Schriftraum 19,1 x 11–12,6 cm. Fol. 2: 26,1 x 14,7 cm, Schriftraum 20,5 x 13,1 cm. Fol. 3: zusammenhängend mit fol. 2, 26,6 x 19 cm, Schriftraum 20,5 x 15,2 cm. Fol. 4: mit fol. 1 zusammengeklebt, 23,5 x 19,5 cm, Schriftraum 20,6 x 15,2 cm. Zweispaltig. Ursprünglich 32 Zeilen. Verse abgesetzt, Majuskeln am Versanfang ausgerückt, großteils Reimpunkte. Textura von einer Hand. Lombarden meist alle sechs, in einigen Fällen alle zwölf Zeilen. Schwärzliche Tinte, teilweise verblasst. Fol. 1 und 3 Rest einer Linierung. Von jüngerer Hand Marginalien (fol. 1vb Jtem, fol. 4ra Hailis und in beiden) und einige diakritische Zeichen (übergestelltes e und o überwiegend bei den aus mhd. î und û entstandenen neuen Diphthongen). Sechs Strichzeichnungen fol. 4r. Signatur und Stempel der Universitätsbibliothek Basel auf jedem Doppelbl.

Entstehung, Geschichte: Die Handschrift entstand kurz nach 1250 im ostmittelbairischen Raum. Die Pergamentreste wurden von einem Buchdeckel abgelöst. Zur Zeit der Veröffentlichung durch WILHELM WACKERNAGEL (1836) befand sich die Handschrift im Besitz des Baseler Juristen Schnell,43 ging kurz danach aus ungeklärten Gründen verloren und blieb über

––––––– 42 43

Beschreibung des Fragments (gekürzt) nach AT/DWen, S. 87f. Vgl. WACKERNAGEL 1836 (LV Nr. 23), bes. S. 329.

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Überlieferung

einen längeren Zeitraum verschollen; vor 1933, als Edward Schröder Einsicht in eine Photographie nahm, war das Fragment in die Universitätsbibliothek Basel gelangt. Sprache: Ostmittelbairisch. Inhalt: ‹Dietrich und Wenezlan› (Fragment, 510 Verse). Ausgewählte Literatur: AT/DWen, S. 87f. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 2–4. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 94. SCHNEIDER 1987 (siehe S. 79), S. 172f. SCHRÖDER 1933 (LV Nr. 525). STEINMANN, MARTIN: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Übersicht über die Bestände und deren Erschließung. Nr. 1. 2. nachgeführte Aufl. Basel 1987, S. 21, 26f. Ders.: Die Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Register zu den Abteilungen C I–C VI, D–F sowie zu weiteren mittelalterlichen Handschriften und Fragmenten bearbeitet von M. S. Basel 1998, S. 47. WACKERNAGEL 1836 (LV Nr. 23). WACKERNAGEL, WILHELM: Über die mittelalterliche Sammlung zu Basel nebst einigen Schriftstücken aus derselben. Basel 1856, S. 7. ZUPITZA 1870 (LV Nr. 24), S. LII–LIV. MR: http://www.mr1314.de/1232 (11.05.2010).

d) Textchronologie und -geographie, Auftraggeber und Mitüberlieferung Anders als bei der aventiurehaften Dietrichepik ist die Überlieferung der ‹historischen› schmal und verstreut: Von den Fluchtepen sind je eine Vollhandschrift des späten 13., des 14., 15. und 16. Jahrhunderts erhalten; bei Einbeziehung der Fragmente und der Exzerptüberlieferung ist ein kleiner Schwerpunkt im 14. Jahrhundert festzustellen; im 15. und 16. Jahrhundert scheint das Interesse an den Texten nur mehr ganz punktuell. ‹Alpharts Tod› und ‹Dietrich und Wenezlan› sind unikal und lediglich fragmentarisch überliefert. Textgeographisch liegt der Schwerpunkt, weitgehend gattungstypisch, im bairischen Sprachraum. Dies gilt für die Fluchtepen fast ausschließlich (R und W sind höchstwahrscheinlich in Niederösterreich, K und A in Südtirol, S in der Steiermark entstanden; die WeltchronikHandschriften sind bairisch bzw. mittelbairisch); nur Handschrift P ist etwas weiter westlich in Augsburg zu situieren. Das Fragment ‹Dietrich und Wenezlan› gilt als ostmittelbairisch. Lediglich die rheinfränkische Handschrift von ‹Alpharts Tod› ist außerhalb dieses Sprachraums entstanden (aus welchem Sprachraum die Vorlage stammte, lässt sich nicht feststellen44). Textsoziologische Befunde sind entweder (bei ‹Alpharts Tod› und ‹Dietrich und Wenezlan›) nicht zu ermitteln oder (bei den Fluchtepen) nicht homogen: Besitzer aus dem Adel (für R und W aus dem niederen Adel bzw. der Ministerialität; auch das Anspruchsniveau von S lässt auf Adelsbesitz schließen) begegnen ebenso wie der kaiserliche Auftraggeber Maximilian I. (‹Ambraser Heldenbuch› A) und der Patrizier Sigismund Gossembrot (P). Die Mit-

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Vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 90.

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überlieferung, soweit eine solche erhalten ist (bei ‹Dietrich und Wenezlan› und den Fragmenten K und S der Fluchtepen ist das nicht, bei ‹Alpharts Tod› nur teilweise der Fall), lässt auf wechselnde (jeweils punktuelle) Rezipienteninteressen schließen, tendenziell eher auf regionales bzw. lokales Interesse (R, teilweise auch W, A)45 als auf ein Interesse am Dietrichstoff oder an der Gattung Heldenepik. Ein (wenn auch nicht ausschließliches) Interesse an Heldenepik bezeugen aber die erhaltenen Teile der Handschrift von ‹Alpharts Tod›, die auch eine Fassung des ‹Nibelungenlieds› enthielt, und der umfassende Heldenepik-Teil des ‹Ambraser Heldenbuchs›. Eine Konstante in allen (annähernd) vollständigen Handschriften der Fluchtepen ist die Überlieferung von ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› als «Doppelepos oder Fortsetzungsroman»46 in der Reihenfolge der Ereignischronologie wie bei ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage›, trotz unterschiedlicher metrischer Form. (Die Fragmente lassen diesbezüglich keine Aussage zu, schließen gemeinsame Überlieferung aber auch nicht aus.) Meist beginnt ‹Dietrichs Flucht› in den Handschriften mit einer neuen Lage (Ausnahme ist lediglich das ‹Ambraser Heldenbuch› A), die ‹Rabenschlacht› in der Mitte einer Lage unmittelbar nach ‹Dietrichs Flucht› (in A bleibt nach der ‹Flucht› der Rest der Spalte leer). In R, W und A (nicht in P) sind beide Texte vom selben Schreiber geschrieben.47 Vergleichbare Handschriften- und Fassungsverhältnisse deuten darauf, dass der Überlieferungsverbund bereits aus den Vorlagen der erhaltenen Textzeugen vorausgesetzt werden kann. Überlieferungsgemeinschaften zwischen den Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› sind nicht erhalten (was freilich angesichts von dessen unikaler Überlieferung nicht viel besagt); ob die verlorenen Teile der Handschrift von ‹Alpharts Tod› noch weitere Heldenepen (etwa die Fluchtepen) enthielten, lässt sich nicht feststellen. Überlieferungsgemeinschaften mit dem ‹Nibelungenlied› (in der Handschrift von ‹Alpharts Tod›) bzw. mit ‹Nibelungenlied› und ‹Nibelungenklage› (A) liegen angesichts der stoffbedingten Überschneidungen von Nibelungen- und Dietrichsage nahe. Bei Überlieferungsgemeinschaften mit ‹Ortnit› (W) bzw. ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich› (A) wird, anders als beim Verbund mit den Nibelungendichtungen, keine korrekte Ereignischronologie hergestellt; die Texte stehen jeweils in der gleichen Handschrift voneinander getrennt. Dass in W die Blätter zwischen ‹Ornit› und ‹Dietrichs Flucht›, die erst nachträglich mit vorwiegend geistlichen Texten beschrieben wurden, für ‹Wolfdietrich› hätten bestimmt gewesen sein können,48 ist eine ansprechende Vermutung, wenn auch kodikologisch unwahrscheinlich (der Raum hätte für einen vollständigen ‹Wolfdietrich›-Text nicht ausgereicht49). Ein hypothetischer genealogischer Zyklus Ortnit-Wolfdietrich-Dietrich könnte insbesondere die auch in W (wie in R) verkürzte genealogische Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› (teilweise) erklären. In der Überlieferung durchgesetzt hat sich ein solcher Zyklus freilich nicht – und auch kein anderer. Mehrere weitere Heldendichtungen neben den Flucht-

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Zur Rolle regionaler Interessen (insbesondere auch der jeweils regional verfügbaren Texte) vgl. HOLZNAGEL 1995 (siehe S. 79), S. 27 (zu R); KNAPP 2000 (siehe S. 80), S. IX f. (zu W). CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 381, 398. Vgl. auch ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 171. Für R und A besagt das nicht viel, da beide Handschriften jeweils von einem Schreiber stammen. Vgl. BECKER 1977 (LV Nr. 138), S. 62. Fol. 85va–90vc, d.h. 11 Seiten, also 33 Spalten à 50–60 Verse, ingesamt rund 1650–1980 Verse; vgl. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 61.

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Überlieferung

epen enthält lediglich das ‹Ambraser Heldenbuch›, darunter (neben der nichtdietrichepischen ‹Kudrun›) Texte mit Dietrich als handelnder Figur (‹Nibelungenlied›, ‹Nibelungenklage›, ‹Biterolf und Dietleib›) sowie jeweils eine Fassung von ‹Ornit› und ‹Wolfdietrich›, die genealogisch anzubinden sind. Freilich entspricht die Überlieferungsfolge der Heldenepen im ‹Ambraser Heldenbuchs› (Fluchtepen, Nibelungendichtungen, ‹Kudrun›, ‹Biterolf und Dietleib›, ‹Ortnit› A, ‹Wolfdietrich› A) nur teilweise der Ereignischronologie: Die Folge von ‹Dietrichs Flucht› bis zur ‹Nibelungenklage› erzählt, in deutschsprachiger Dietrichüberlieferung einmalig, eine nahezu vollständige Dietrichgeschichte von der Vertreibung über Exil und Rückkehrschlachten bis zum Aufbruch zur Rückkehr nach Italien. ‹Biterolf und Dietleib›, dessen Handlung vor den Ereignissen der Fluchtsage angesiedelt ist, sowie ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich›, deren Protagonisten der Geschichte von Dietrichs Ahnen zugehören, stehen dagegen ereignischronologisch ‹falsch› nach der ‹Nibelungenklage›. Die ‹Kudrun› ist, um Stoffzusammenhänge der Dietrichsage unbekümmert, im Anschluss an die Nibelungendichtungen eingeordnet, vor ‹Biterolf und Dietleib›. Die Eingliederung beider Texte an dieser Stelle dürfte, soweit nicht zufällig, am ehesten durch Anschluss ans ‹Nibelungenlied› zu erklären sein, mit dem sie sich offensichtlich (‹Biterolf›) bzw. möglicherweise (‹Kudrun›) auseinandersetzen. Verbindungen zur aventiurehaften Dietrichepik zieht die Überlieferung nicht, obwohl es in den Texten Querverbindungen gibt (vgl. S. 45–47, 48f., 62, 71–74 passim, 174, 182–184, 187f., 258–260). Die Handschriften der Fluchtepen (R, W, A; mit Modifikationen auch P) und die Handschrift von ‹Alpharts Tod› vertreten den in Codices des 13. bis 16. Jahrhunderts bisweilen als Sonderfall belegten50 Typus der gattungsmäßig ‹gemischten› Sammelhandschrift, der Zusammenstellung von Heldenepik mit Romanen (in diesem Fall bevorzugt Hartmanns ‹Iwein›), daneben (nicht in der Handschrift von ‹Alpharts Tod›) mit dem Stricker oder anderen Mären sowie mit weiteren Texten (höfischer Epik, Chronik, religiös-erbaulicher oder didaktischer Literatur); freilich fragt sich, ob angesichts der geringen Zahl von Handschriften dieser Art (dazu zu rechnen wäre etwa noch der Codex Sangallensis 858 u.a. mit ‹Nibelungenlied› und ‹Parzival›) von einem Typus überhaupt die Rede sein kann. Anscheinend tendieren nur die aventiurehaften Dietrichepen sowie teilweise ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich› (die gegenüber aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichepik anschlussfähig sind) zu einer exklusiv heldenepischen Zyklusbildung; andere Heldenepen schließen sich sowohl untereinander als auch an gattungsfremde Texte an. Bei den einzelnen Handschriften sind Konzeptionen oder übergreifende Rezipienteninteressen schwer auszumachen. Für die Riedegger Handschrift wurden mögliche spezifische Interessen des landsässigen Adels geltend gemacht: das Thema rechter Herrschaft und die Abgrenzung gegenüber dem Landesherrn, wie sie die Fluchtepen formulieren; doch lassen sich dem nicht alle Texte der Handschrift zwanglos subsumieren, auch wenn manche Beziehungen zwischen den Texten (etwa zwischen Neidharts Liedern und den Fluchtepen über die Namen, vgl. S. 45), offenkundig sind.51 Nicht alle Texte der Windhager Handschrift W sind durch ein gemeinsames Thema verbunden, aber immerhin ‹Ortnit› und die Fluchtepen (auch

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Vgl. KUHN 1980 (LV Nr. 406), S. 46f.; ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 42 u.ö. Vgl. BECKER 1977 (LV Nr. 138), S. 60; BENNEWITZ-BEHR 1987 (siehe S. 78), S. 298f.; ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 39f.

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Überlieferung und Wirkung

ohne ‹Wolfdietrich›) durch den quasi-genealogischen Zusammenhang zwischen Ortnit und Dietrich, die Heldenepen und die ‹Kaiserchronik› durch ein im weitesten Sinn ‹historiographisches› Erzählinteresse. Beim Cpg 314 (P) dagegen dürfte eine einheitliche Konzeption der Sammelhandschrift auszuschließen sein; an ehesten vertritt sie «den Typ einer eigenständig zusammengestellten Textsammlung zum Privatgebrauch des Erstbesitzers»,52 der an Texten unterschiedlicher Art (insbesondere auch Kurzepik und Didaxe) interessiert war; die Heldenepen wirken (auch in Kurzfassung) in diesem Kontext eher wie ein zufälliger Fremdkörper. Beim ‹Ambraser Heldenbuch› A ist neben den gewaltigen Dimensionen der Sammelhandschrift am auffälligsten, dass dort (offenbar gezielt) ältere Texte (zumeist des 13. Jahrhunderts) aufgenommen wurden, darunter eine Reihe von Unica, unter den Heldenepen ‹Kudrun› und ‹Biterolf und Dietleib›. Gattungsübergreifend besteht lediglich zwischen ‹Helmbrecht› und ‹Rabenschlacht› ein (wohl zufälliger) Zusammenhang über das Bildzitat des Rabenschlacht-Geschehens auf Helmbrechts Haube (vgl. S. 55). Verglichen mit anderen Sammelhandschriften wirkt das ‹Ambraser Heldenbuch› ausgesprochen exklusiv.53 Sammelinteresse und Maximilians gedechtnus-Programm scheinen dabei Hand in Hand zu gehen. Dieses Programm, gespeist sowohl aus mittelalterlich-christlichem Gebetsgedenken als auch aus humanistischen Memoria-Bestrebungen, bedient in erster Linie nicht antiquarische Interessen, sondern die kaiserliche Selbstdarstellung. Im Kontext von Maximilians Inszenierung seiner eigenen Legitimität und Memoria spielt die Gestalt Theoderichs des Großen bzw. Dietrichs von Bern eine zentrale Rolle.54 Das kaiserliche Sammelinteresse auch an Dietrichepik ist nur ein Aspekt davon; hinzu kommen pseudo-genealogische Anknüpfung in verschiedener Form und die strukturelle Anlehnung an die alten heldenpuoch im eigenen literarischen Werk; zu erwähnen ist auch die Restaurierung der Fresken auf Burg Runkelstein, unter denen Darstellungen der (aventiurehaften) Dietrichsage zu finden sind.55 Maximilian nimmt den historischen Theoderich, den er mit dem Sagen- und Epenhelden Dietrich von Bern gleichzusetzen scheint, für die eigene Vorgeschichte in Anspruch (wie auch Artus und die Trojaner):56 Im monumentalen Holzschnitt der ‹Ehrenpforte› (1515 datiert, Druck 1517/1518)57 ist Theoderich-Dietrich «neben Odoaker als germanische[r] König in Italien in die Reihe der römischen Kaiser von Caesar bis auf Maximilian»58 gestellt. Die Bronzestatue des Gotenkönigs aus der Werkstatt Peter Vischers des Älteren (um 1460−1529) in Nürnberg (1513), eine Phantasiedarstellung des stehenden Theoderich im Kettenpanzer, war für Maximilians Innsbrucker Grabmal vorgesehen.59 Im ‹Ambraser Heldenbuch› sammelt der Kaiser

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SCHNEIDER 1995 (siehe S. 83), S. 8. Vgl. GLIER 1971 (siehe S. 84), S. 392. Vgl. bes. MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 190–206. Vgl. Test. Nr. B9 (dort weitere Literatur). Vgl. MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 195–197. Vgl. Test. Nr. B22 (dort weitere Lit.); ‹Ehrenpforte› 1972 (LV Nr. 29); MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 153−159, 196; vgl. bes. HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 31; SCHAUERTE 2001 (LV Nr. 509), S. 159f., 311 und A. 530f., Abb. S. 392. MÜLLER 1982 (LV Nr. 460), S. 196. Vgl. bes. ebd., S. 196; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 31 und Abb. 3; Test. Nr. B21 (dort weitere Lit.). Ob Maximilian damit tatsächlich «die Idee eines gerechten Volkskönigs» Dietrich für sich in

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Überlieferung

u.a. ‹historische›, keine aventiurehafte Dietrichepik. Maximilians ‹Theuerdank› (Druck 1517), ein autobiographisch-allegorischer Schlüsselroman, dessen Held Theuerdank (Maximilian) auf der Brautfahrt zu Frau Ehrenreich (Maria von Burgund) ein Abenteuer nach dem anderen zu bestehen hat, ist dagegen nach dem in Artusroman und aventiurehafter Dietrichepik vorgegebenen strukturellen Muster der Aventiurefahrt erzählt. Außerdem sind ‹Theuerdank› und Dietrichüberlieferung miteinander verbunden durch das Prinzip von allegorischer Verschlüsselung und Allegorese, auf das hin Heldensage und Heldendichtung im 16. Jahrhundert zunehmend interpretiert werden (vgl. S. 101); dabei dient bisweilen der von vornherein allegorisch angelegte ‹Theuerdank› als Modell, die allegorische Auslegung von Heldensage zu erläutern.60 Vergleichbar sind zudem die Heldenkonzeptionen des ‹Theuerdank› und der ‹historischen› Dietrichepik: Theuerdank-Maximilian erscheint zwar letztlich als strahlender Sieger, aber auch als anfechtbarer, gefährdeter Held, der in einer widerständigen Wirklichkeit immer wieder neu mit unerwarteten Schwierigkeiten konfrontiert wird, freilich in all diesen Widrigkeiten niemals resigniert. Es ist dies der gleiche Heldentypus, wie ihn der arme, doch trotz aller Rückschläge niemals aufgebende Dietrich der ‹historischen› Dietrichepik vertritt. Maximilians Sammlung ‹historischer› Dietrichepik ist im 16. Jahrhundert singulär; selbst im Gesamtkontext der kaiserlichen Dietrich-/Theoderich-Rezeption scheint das ‹Ambraser Heldenbuch› isoliert (auch Maximilians Interesse gilt sonst, wie im 16. Jahrhundert üblich, dem historischen Theoderich und/oder dem aventiurehaften Dietrich). Das kaiserliche Interesse an der ‹historischen› Dietrichepik könnte insofern aus einem Interesse an deren spezifischem Heldentypus herrühren. Die Rolle des armen Dietrich wird freilich durch den Überlieferungsverbund der Fluchtepen mit den Nibelungendichtungen im ‹Ambraser Heldenbuch› umgedeutet: Schon der Dietrich der ‹historischen› Dietrichepik resigniert nicht; am Ende des Überlieferungsverbundes stehen mit der ‹Klage› erst recht Nicht-Aufgeben und Neuanfang, Dietrichs Rückkehr nach Italien. Ob und wie Maximilian diesen ebenso wenig herrscherlichen wie heroischen Neuanfang in Italien mit der erfolgreichen Herrschaft Theoderichs zusammengesehen hat, die wohl Voraussetzung für die pseudo-genealogische Vereinnahmung des Gotenkönigs ist, ist nicht mehr feststellbar. Die Anbindung der eigenen Selbstdarstellung an Dietrich-Theoderich belegt in jedem Fall, zusammen mit der mangelnden Trennung zwischen dem historischen Theoderich und dem Dietrich der Sage, den hohen Stellenwert und die Verbindlichkeit der Dietrichüberlieferung. Umstritten und letztlich nicht zu klären ist die Vorlagenfrage für das ‹Ambraser Heldenbuch›.61 Eine Vorlage für die Handschrift als Ganzes ist nicht anzunehmen. Hinweise auf (verlorene) Handschriften im Umfeld des Kaisers lassen es nicht ganz undenkbar erscheinen, dass sogar für den heldenepischen Teil, für den mehrheitlich eine einheitliche Vorlage angenommen wird, unterschiedliche potentielle Vorlagen zur Verfügung standen. Das viel diskutierte «Heldenbuch an der Etsch»62 ist nicht zu fassen. Allerdings erlaubt es die Indizienlage auch nicht, die zyklische Konzeption der Folge von ‹Dietrichs

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60 61 62

Anspruch nehmen wollte (ACHENBACH 2004, LV Nr. 117, S. 99 A. 127, mit Bezug auf ältere Literatur), ist zweifelhaft: Die Dietrich-Testimonien belegen eine solche Idee nur punktuell und erst ab den allegorischen Deutungen der Heldensage im fortschreitenden 16. Jahrhundert. Vgl. Test. Nr. 334 (Friedrich Zorn), 346 (Cyriacus Spangenberg). Zusammenfassend JANOTA 1978 (siehe S. 84); ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 85f. und passim. Vgl. bes. ZINGERLE 1883 (siehe S. 85); MENHARDT 1958 (siehe S. 84); UNTERKIRCHER 1973 (siehe S. 84), bes. S. 8f.; WIERSCHIN 1976 (siehe S. 85).

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Überlieferung und Wirkung

Flucht› bis zur ‹Nibelungenklage› Maximilian bzw. seinen Redaktoren zuzuschreiben – sie kann ebenso aus einer Vorlage stammen. Genealogie als Textorganisationsprinzip und Denkform, wie sie in der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› zum Ausdruck kommt, passt gut zu Maximilians eigenen genealogischen Projekten.63 Gleichwohl scheint es angesichts der insgesamt spärlichen Überlieferung eher unwahrscheinlich, dass die Wiedergabe einer Fassung von ‹Dietrichs Flucht› mit langer genealogischer Vorgeschichte auf bewusster Auswahl zwischen zwei verschiedenen Fassungen, einer mit und einer ohne genealogische Vorgeschichte, beruhen könnte. Überdies haben nicht notwendig Maximilians Interessen die Entstehung der Handschrift bestimmt: Die Überwachung der Arbeiten (vielleicht einschließlich der Textauswahl, bis auf den von ihm selbst ausdrücklich gewünschten ‹Priester Johannes›) überließ er Florian Waldauf und nach dessen Tod 1509 Paul von Liechtenstein.64

In die Heldenbücher wird die ‹historische› Dietrichepik nicht aufgenommen, trotz der Verbindung des Stoffs mit den dort regelhaft vertretenen Epen ‹Ortnit› und ‹Wolfdietrich›. Lediglich die ‹Heldenbuch-Prosa› bringt Elemente der ‹historischen› Dietrichüberlieferung (der Fluchtsage, nicht der Fluchtepen) in die aventiurehafte Dietrichüberlieferung des gedruckten Heldenbuchs ein (vgl. S. 62f.).

2. Wirkung Wie aus der Zusammenstellung der (vermutlich) späteren Sagenzeugnisse (vgl. S. 55−64) hervorgeht, sind nach den Fluchtepen Anspielungen auf Dietrichs Flucht bzw. Vertreibung, Exil und Rückkehr(versuche) auffallend selten. Der Stoff steht offensichtlich an Beliebtheit weit hinter der aventiurehaften Dietrichüberlieferung zurück. Rezeption der erhaltenen ‹historischen› Dietrichepen ist nur im Einzelfall sicher nachzuweisen, nämlich in den beiden genannten Handschriften von Heinrichs von München ‹Weltchronik› (vgl. S. 58−60, 77, 88f.). Alle anderen möglichen Anspielungen sind unsicher (auf die Vertreibung, vielleicht ‹Dietrichs Flucht›: ‹Traugemundslied›, Ottokars von Steiermark ‹Steirische Reimchronik›, Tilos von Kulm ‹Von siben ingesigeln›; kaum auf ‹Dietrichs Flucht› die ‹Heldenbuch-Prosa› und Cyriacus Spangenberg; auf die ‹Rabenschlacht›: kaum Wernhers des Gartenre ‹Helmbrecht›, sicher nicht die ‹Rache für die Helchensöhne›; vielleicht auf ‹Alpharts Tod›: ‹Wachtelmäre›, Glosse zum ‹Carmen satiricum occulti Erfordensis›, ‹Ermenrikes dot›/Fassung B). Auffällig ist, dass die eindrücklichsten Auseinandersetzungen mit Deutungsmustern der Fluchtepen den erhaltenen Texten zeitlich voranzugehen scheinen: die Überwindung des Deutungsmusters vom glücklosen Sieg im ‹Eckenlied›; die höfisch abgemilderte Variante der Erpressung Dietrichs durch Gefangennahme seiner Gefolgsleute in ‹Dietrich und Wenezlan›; vielleicht die betonte Abgrenzung gelingender Konfliktlösungsstrategien von den großen heldenepischen Tragödien in ‹Biterolf und Dietleib› (vgl. S. 45−47, 53f., 49−51). Anscheinend haben die verschriftlichten Fluchtepen selbst außerhalb der eigenen Textgruppe nicht einmal mehr Erwiderungen provoziert. Textzeugen und Rezeptionszeugnisse der ‹historischen› Dietrichüberlieferung sind punktuell; in jedem Fall formieren sich Zusammenhänge und Überlieferungsinteressen neu. Das spricht zunächst nicht gegen einen hohen Bekanntheitsgrad; im Gegenteil kann das vereinzel-

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Zusammenfassend ACHENBACH 2004 (LV Nr. 117), S. 101–103, 112. Vgl. ebd., S. 88.

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Wirkung

te Wiederauftauchen in unterschiedlichen Kontexten durchaus auf eine verlorene (mündliche?) Tradition schließen lassen, die nur punktuell in der Schriftlichkeit fassbar und für ihr Weiterbestehen nicht auf lückenlose Kontinuität in der Schriftlichkeit angewiesen ist. Verglichen mit der ungleich dichteren aventiurehaften Dietrichüberlieferung ist die ‹historische› gleichwohl auffällig schmal und zeitlich begrenzt; sie endet, mit Ausnahme des ‹Ambraser Heldenbuchs›, mit dem 15. Jahrhundert. In die Drucküberlieferung gehen Fluchtsage und ‹historische› Dietrichüberlieferung (von der genannten ‹Heldenbuch-Prosa› abgesehen) nicht ein. Das Rezeptionsinteresse an den Fluchtepen scheint so rasch zu versickern wie das Interesse an der Fluchtsage. Ab dem 15. Jahrhundert wird die ‹historische› Dietrichüberlieferung auch in der Anspielungsrezeption und in der Sagenkritik von der aventiurehaften verdrängt. Fluchtsage und Fluchtepen könnten mit in die Dietrichsagenreminiszenzen der Anspielungsrezeption65 eingegangen sein, die Dietrich und einige Dietrichhelden als Exempelfiguren vor allem für Tapferkeit und Kampfkraft exponieren, damit zugleich aber nivellieren, den armen Dietrich ebenso wie die Aventiure-Kritik der aventiurehaften Dietrichepik. Ab etwa 1400, seit Jakob Twinger von Königshofen, wird die Kritik an den Anachronismen der ‹historischen› Dietrichüberlieferung durch Kritik an der mangelnden Verbürgheit der aventiurehaften ersetzt (vgl. S. 235f.). Im 16. Jahrhundert rezipiert anscheinend nur mehr Maximilian I. ‹historische› Dietrichepik. Kennzeichnend für die gelehrte Sagenrezeption des 16. Jahrhunderts ist ein signifikanter Kurzschluss zwischen aventiurehafter Dietrichüberlieferung und Historiographie durch allegorisierende Ausdeutung und damit Apologie der Heldenbücher; durch diesen Kurzschluss rückt die ‹historische› Dietrichüberlieferung ganz aus dem Blickfeld: Friedrich Zorn (1570) und Cyriacus Spangenberg (um/vor 1572, 1594) etwa erklären das Sagenpersonal zur allegorischen Repräsentation historischer Figuren oder Stände (Riesen und Zwerge stünden für Tyrannen und einfaches Volk, Helden für rechtschaffene Adlige und Fürsten); die volkssprachige Dietrichüberlieferung lassen sie so als Geschichtsüberlieferung sui generis bei den ‹alten Deutschen› gelten.66 Aventiurehafte Dietrichüberlieferung ist durch Allegorisierung leichter rehistorisierbar; sie kann trotz märchenhaft-wunderbarer Erzählelemente als ‹verhüllte Wahrheit› reklamiert werden; das Anachronismusproblem stellt sich nicht. Zugleich lässt sich eine Abkehr vom armen Dietrich erkennen, der auf die Dauer weniger attraktiv gewesen zu sein scheint als der allem Zaudern zum Trotz letztlich doch überlegene Sieger, als der sich Dietrich in der aventiurehaften Dietrichüberlieferung erweist.67

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Vgl. auch LIENERT 2009 (LV Nr. 422). Test. Nr. 334, 338, 346. Vgl. auch KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 108.

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IV. Aspekte der Poetik der ‹historischen› Dietrichepik

1. Strukturfragen Historische Erfahrung wird wesentlich über Erzählschemata, die zugleich grundlegende Wahrnehmungsmuster darstellen, in heroische Überlieferung transformiert.1 Freilich ist die ‹historische› Dietrichepik, wie Heldenepik insgesamt, anders als (nach traditioneller Forschungsmeinung) der Artusroman Chrétien-Hartmannscher Prägung nicht durch eine sinntragende Gesamtstruktur bestimmt, sondern durch Einzelmotive, Motivsequenzen, wiederkehrende Erzählmuster.2 Anders als für die Brautwerbungsepik ist auch kein einzelnes Handlungsschema prägend. Die drei ‹historischen› Dietrichepen folgen nicht ein und demselben «Bauplan»3. Gleichwohl sind (auch Einzeltexte übergreifend) wiederkehrende Abläufe und Strukturen feststellbar, auf der Ebene der Makrostruktur wie auf der einzelner Szenen bzw. Szenensequenzen,4 und alle drei Epen teilen neben repetitiven Strukturen auch Unebenheiten und Brüche in der Erzählkohärenz. Die Makrostruktur der Epen ist von (wiederkehrenden) Mikrostrukturen nicht ganz zu trennen, da Repetition die Festlegung von Abschnitten und Abschnittsgrenzen mitbestimmt. Gleichwohl soll es zunächst in erster Linie um die Untergliederung in Großabschnitte einerseits, makrostrukturell prägende Erzählschablonen andererseits gehen.

a) Zur Struktur der Fluchtepen Die Fluchtepen sind entsprechend ihrer wechselseitigen Abstimmung und ihrer Überlieferung, aber auch aufgrund struktureller Analogien als Ganzheit zu betrachten. ‹Dietrichs Flucht›5 umfasst, wenn nach narrativen Einschnitten und Schauplatzwechseln gegliedert

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Vgl. bes. HAUG 1971 (LV Nr. 277); vgl. auch ders. 1975 (LV Nr. 278); zur Kritik vgl. z.B. EBENBAUER 1988 (LV Nr. 202), bes. S. 24f.; BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 129 u.ö.; zur Terminologie MARTÍNEZ 1997 (LV Nr. 434); zur Problematik von Schemata vgl. auch BLEUMER 2007 (LV Nr. 149), bes. S. 191–198. Vgl. z.B. HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292), S. 60. Begriff nach HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 185 (und ff.). Allgemein zu Erzählschemata und Standardszenen (in Verbindung mit Rollenstereotypen und sprachlichen Stereotypien) vgl. auch TISDELL 1978 (LV Nr. 563). Basis für diese (und alle weiteren) Überlegungen zur Struktur von ‹Dietrichs Flucht› ist die Gliederung bei CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 358 und ff., Schema S. 359 (hier geringfügig modifiziert und mit der Verszählung der Neuausgabe). Vgl. ferner die Gliederung des Hauptteils in Handlungs-«Zonen» bei DE BOOR 1941 (LV Nr. 156), S. 234f. (mit der Verszählung der Neuausgabe): I. v. 2546 – (ca.) 5254 [mitten im ersten Empfang des Berners am Hunnenhof, vor Etzels Hilfszusa-

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Aspekte der Poetik

wird, drei Hauptteile, die genealogische Vorgeschichte, die Vertreibung sowie Dietrichs Exil und Rückkehrversuche; die ‹Rabenschlacht› ließe sich diesem letzten Abschnitt anschließen: I. Genealogische Vorgeschichte (DF v. 1–2521) II. Dietrichs Vertreibung (DF v. 2522–4529/45446) mit den Stationen A. Untaten Ermrichs, Fehdeansage, siegreiche Schlacht: erste Schlacht von Mailand (DF v. 2522–3562) B. Gefangennahme der Gefolgsmannen, Erpressung, Abzug ins hunnische Exil: DF v. 3563–4529/4544) III. Dietrichs Exil und Rückkehrversuche (DF v. 4530/4545–10129) A. erstes Exil, erster Rückkehrversuch: zweite Schlacht von Mailand (DF v. 4530–7215) 1. erstes Exil (DF v. 4530–5629) 2. zweite Schlacht von Mailand (DF v. 5630–7215) B. zweites Exil, zweiter Rückkehrversuch: Schlacht von Bologna (DF v. 7216–10129) 1. zweites Exil (DF v. 7216–8092) 2. Schlacht von Bologna (DF v. 8093–10129).7 In der ‹Rabenschlacht› erzählt sind (in der Ereignischronologie) C. drittes Exil, dritter Rückkehrversuch: Schlacht von Raben (RS Str. 1–1139) 1. drittes Exil (RS Str. 1–201) 2. Schlacht von Raben (RS Str. 202–1139). Allerdings trägt die Gliederung nach Abschnitten (Vorgeschichte, Vertreibung, Exil) nicht den tatsächlichen Erzählproportionen Rechnung, schon gar nicht der ‹Rabenschlacht› als (metrisch deutlich abgegrenztem) Einzeltext und auch nicht dem (vermutlichen) sagengeschichtlichen Primat der Schlacht von Raben. Neben narrativen Einschnitten und Schauplatzwechseln gibt es auch vielfältige andere Gliederungssignale: strukturierende Erzählerbemerkungen und die Häufung von Erzählervorausdeutungen in den ‹Übergangszonen› zwischen den Abschnitten;8 die Wiederkehr bestimmter Erzählschablonen; Parallelen und Kontraste, die strukturelle Einschnitte markieren können. Diese Signale sind aber vielfach nicht eindeutig, sondern unterlaufen bisweilen durch Übercodierung Versuche einer exakten Gliederung. In der handlungsbestimmenden Folge von glücklosem Sieg – Gang ins Exil – Rückkehr in die Heimat – erneutem glücklosem Sieg – erneutem Gang ins Exil usw. definiert nur der Ausgangspunkt das Ende eines Durchgangs durch die Stationen; die potentiell unendliche Fortsetzbarkeit lässt Anfang und Ende

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gen], II. (ca.) v. 5354 [ab den konkreten Hilfszusagen] – 6987 [kurz vor Ende der Übergabe Rabens an Dietrich], III. v. 6988–10 129. Wenig hilfreich ist die Gliederung nach dem PROPPschen Modell durch FIRESTONE 1975 (LV Nr. 214), S. 229–257 (zur Kritik vgl. STEIN 1981, LV Nr. 549, S. 37f.). Weitere Gliederungsversuche referiert LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 85–91. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 229–241, baut mit Modifikationen auf CURSCHMANN auf. Bis zur Trennung von Amelolt (DF v. 4529) bzw. bis zur Ankunft im Hunnenreich (DF v. 4544). Zwischen I. und II. leiten Erzählervorausdeutungen zu Ermrichs Untaten über (DF v. 2521–2535). Die Sinnzusammenhänge reichen freilich von den Auslösern der jeweiligen Rückkehrversuche (Botschaften Amelolts vor dem ersten, Eckewarts vor dem zweiten Rückkehrversuch) bis zum jeweiligen Rückzug nach den Schlachten ins erneute Exil (DF v. 5439–7665, 7666–10128). Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 359.

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verschwimmen. Insofern sich im Sieg schon seine Vereitelung andeutet, im Exil bereits die Vorbereitung der Rückkehrschlacht und in oder kurz nach der Schlacht wieder der Rückzug ins Exil, setzen die Texte nicht in erster Linie Abschnittsgrenzen, sondern etablieren Erzählschablonen, die, vor allem in der mehrfachen Wiederholung, durch fließende Übergänge und eine Art Kreisbewegung geprägt sind. Struktur ist hier nicht als statisch zu begreifen. Auch sonstige Mittel der Strukturierung sind nicht eindeutig auszumachen: AventiureÜberschriften gibt es nur in der Riedegger und Windhager Handschrift (R, W), nicht im ‹Ambraser Heldenbuch› A (mit Ausnahme der Titeln ähnlichen Überschriften am Anfang beider Epen) und nicht im Heidelberger Codex P. Fehler (insbesondere die ‹Verwechslung› der Schlacht von Bologna, der dritten Schlacht der ‹Flucht›, mit der Rabenschlacht: Überschrift vor DF v. 8002 Aventiur, wie her Dietrich herverte gein Berne, mit im furen Helchn sun) sprechen dafür, die Überschriften nicht dem ‹Autor› bzw. Redaktor zuzuschreiben. Diese Aventiure-Überschriften sind nur bedingt als Gliederungssignale zu werten. ‹Dietrichs Flucht› weist folgende (Zwischen-)Überschriften auf (nur in RW, daher nicht in der nur in PA überlieferten längeren Vorgeschichte9): R setzt gegen Ende der genealogischen Vorgeschichte ohne Überschrift ein; W hat Dietreiches p*ch von pern (App. 2 zu DF v. 2298). Nicht durch eine Zwischenüberschrift markiert ist insbesondere der – durch vorund zurückgreifende Erzählerbemerkungen (DF v. 2521–2535) fließende – Übergang von der Vorgeschichte zum Hauptteil, der Geschichte Dietrichs und Ermrichs. [1.]10 Hie hebt sich der erste streit (vor DF v. 2924, mit der Ausgabe nach R) zäsuriert die Vorgeschichte der ersten Schlacht: Ermrich hat die Harlungen getötet. Seine verräterische Einladung an Dietrich ist dank der Warnung des Boten Randolt von Ankowe gescheitert, so dass er in Dietrichs Reich einfällt und bis vor Mailand Verwüstungen anstellt. Um Dietrich zu warnen, schickt Herzog Saben von Raben Volchnant als Boten nach Bern; zwischen Volchnants Ankunft vor der Stadt und seine Nachricht (also mitten in eine Szene) ist die genannte Überschrift platziert. Angeschlossen sind Volchnants Warnung, Beratungen in Bern über das Vorgehen gegen Ermrich, die Ankunft von Hilfstruppen, der Aufbruch des Heeres, die Aussendung eines Spähtrupps, der Überfall auf Ermrichs schlafende Krieger, die offene Schlacht zunächst gegen Rienolts, dann gegen Heimes Kämpferschar, die Heldentaten des Berners, die Klagen der Frauen, Ermrichs Flucht und die Gefangennahme seines Sohnes. Ohne weitere Untergliederung folgen, quasi immer noch im Kapitel ‹Erste Schlacht›, nach dem Schlachtsieg – durch Erzählervorausdeutungen und -klagen ausführlich angekündigt – die Sorge um die Besoldung der Krieger, die Aussendung der Gefolgsleute, um deren Gold zu holen, ihre Gefangennahme und Ermrichs Erpressung, die vergebliche Bitte um Bern, der Auszug ins Exil, etwas abgemildert durch Amelolts Erfolge (Rückeroberung von Garte und Metz), die Reise ins und Ankunft im Hunnenreich, darüber hinaus noch das Aufgebot von Kriegerscharen für die nächste Schlacht, der Bericht Amelolts von der Rückeroberung Berns, Dietrichs Aufbruch nach und Ankunft in Italien, die Vorbereitungen beider Seiten für die zweite Schlacht von

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Die Gesamtüberschrift (nur in A) Von Dietwart, kqnig in romischem lanndt, und darnach von seinem sun Perner Diettrich und auch Erenreich, seinem ungetrewen vetter benennt den Spitzenahn, quasi den ersten Protagonisten der genealogischen Vorgeschichte, sowie Protagonist und Antagonist des Hauptteils (mit einem Fehler: Dietrich ist nicht Dietwarts Sohn, sondern ein ferner Nachkomme). Die Zählung der Zwischenüberschriften (in eckigen Klammern, ohne Berücksichtigung der Eingangsüberschrift in A) ist gegenüber Handschriften und Ausgabe hinzugefügt.

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Mailand und sogar diese Schlacht selbst: Dass den Überschriften nach selbst die zweite Schlacht dem Abschnitt ‹Erste Schlacht› subsumiert wäre, verdeutlicht, dass die Zwischenüberschriften nicht alles zusammenfassen, was bis zur nächsten Überschrift auf sie folgt, sondern nur das jeweils nächste ‹Großereignis› ankündigen. Dabei wird keineswegs konsequent jedes wichtige Ereignis durch eine Überschrift hervorgehoben, z.B. eben nicht die zweite Schlacht. Die Überschrift hat hier keine Gliederungsfunktion. Die zweite Zwischenüberschrift [2.] Aventiur, wie er die lant stifte und wider ze Heunen f)r (vor DF v. 7144) steht mitten in der für den nächsten glücklosen Sieg entscheidenden Unterredungsszene zwischen Dietrich und dem gefangenen Witege, der um Gnade gebeten und Treue geschworen hat. Nach der Überschrift plädiert Rüdiger für Witeges Begnadigung; Dietrich macht ihn zum Statthalter Rabens, ordnet durch Einsetzung des Tydas in Mailand und des Elsan in Bern die Verhältnisse in Oberitalien und zieht wieder ins Hunnenreich. Das nächste Ereignis, die Vereinbarung über die Eheschließung zwischen Dietrich und Herrad, wird eigens angekündigt: [3.] Aventiur, wie vr" Herrat hern Dietrich wart enphestent (vor DF v. 7452); allerdings unterbricht auch diese Überschrift eine Szene, die Unterredung zwischen dem zurückgekehrten Dietrich und den im Hunnenreich Verbliebenen, Etzel und Diether. Die Handlungssequenz von Etzels Heiratsvorschlag über die Beratung Dietrichs mit seinen Gefolgsleuten bis zum Vertragsschluss (DF v. 7452–7665) ist in sich abgeschlossen, in der narrativen Größenordnung freilich viel kleiner als die vorangegangenen Großabschnitte. Der folgende Abschnitt – [4.] Aventiur wie her Dietrich gegen Berne f*r mit herschraft (vor DF v. 7666) – beinhaltet, anders als der vorangehende, nicht was er in Aussicht stellt, sondern nur die Nachricht von Witeges Verrat und Ermrichs Erstarken in Oberitalien, Etzels Heeresaufgebot und Helches finanzielle Unterstützung für Dietrich, damit der seine Leute entlohnen könne, Anlass für den berühmten Vogler-Exkurs (DF v. 7666–8001; vgl. bes. S. 157f.). Von Dietrichs Aufbruch selbst berichtet erst der nächste Abschnitt – überschrieben als [5.] Aventiur, wie her Dietrich herverte gein Berne, mit im furen Helchn sun (vor DF v. 8002); wie bereits erwähnt, liegt hier eine Verwechslung mit der Rabenschlacht vor. Im Einzelnen sind erzählt: der Aufmarsch des Heers in Gran, Dietrichs Abschied von Helche und Diether sowie, nach kurzer Begleitung durch Etzel bis Gran, der Zug durch Istrien (mit der Rückkehr der Stadt Pula zu Dietrich), ein von Wolfhart initiiertes Scharmützel vor Padua gegen Ermrichs Sohn Friderich und der Beschluss, nach Raben zu ziehen (nicht, wie die Überschrift besagt, nach Bern). Die nächste Überschrift – [6.] Aventiur, wie si die vrowen tote funden und begraben wurden vor Raben (vor DF v. 8402) – bezieht sich auf einen negativen Höhepunkt von Dietrichs Kriegszug, Auffindung und Bestattung der toten Damen von Raben sowie die Totenklage; bereits nach wenigen Versen (ab DF v. 8426) geht die Erzählung allerdings ohne Zwischenüberschrift weiter zur Fortsetzung des Feldzugs nach Bologna und zu Planungen für einen Zangenangriff in der am nächsten Tag bevorstehenden Schlacht. Mitten in der Aufzählung der beiden Gruppen von Helden, vor dem Satz Hie beliben auf dem wal (DF v. 8592), der den Katalog der Helden abschließt, die mit Dietleib auf dem Schlachtfeld zurückbleiben, steht die nächste Überschrift: [7.] Aventiur von dem driten streit, wie her Dietrich gesigte da (vor DF v. 8592, hier wegen Lücke in R nach W); der Abschnitt beginnt mit der zweiten Heldenliste, denen, die mit Dietrich reiten; ein Katalog der Ermrich-Helden schließt sich an; es folgen der Ritt Dietrichs und seiner Begleiter, die Ermrichs Heerlager heimlich umgehen, die Aufstellung zum Kampf mit Ermunterungsreden Dietrichs, der Überraschungsangriff auf Ermrichs Heer, das Eingreifen der zweiten Heeresabteilung unter Dietleib und die in vollem Gang befindliche Schlacht mit dem Eingreifen weiterer Helden und

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Strukturfragen

ihrer Kriegerscharen. Den nächsten Einschnitt setzt eine Überschrift gegen Ende der Schlacht, vor Ermrichs Flucht, die die Massenflucht einleitet und so Dietrichs Sieg besiegelt: [8.] Aventiur, wie Ermrich entran und der Bernær nach jeit (vor DF v. 9718). Enthalten sind in diesem Abschnitt (DF v. 9718–10129) darüber hinaus aber vor allem auch (ab v. 9835) die Totenklagen nebst Bestattung der Gefallenen, danach die Sicherung der Herrschaft über die eroberten Städte und die Rückkehr ins Hunnenreich. Die ‹Rabenschlacht› weist in den gleichen Handschriften (RW) eine entsprechende – über weite Strecken (nicht für die Schlachtschilderung selbst) etwas dichtere – AventiureGliederung auf: Der Gesamttitel ist deutlich als solcher gekennzeichnet: Hie hebent sich diu liet von dem grozem strite und wie vr"n Helchen sune tot gelagen und Diether von Witegen. In dieser Hinsicht setzt die ‹Rabenschlacht›, trotz der Überlieferung als Doppelepos, neu ein. Der Titel fokussiert auf das zentrale, Sinn bestimmende Ereignis der fatalen Rabenschlacht: den Tod der Helchesöhne und Diethers durch Witege. Erzählt wird zunächst von Dietrichs Lage am Etzelhof, seiner Trauer um die Gefallenen, die erneute Hilfszusagen nach sich zieht; diejenige Etzels, die den Katalog der Helfer und ihrer Versprechungen einleitet, ist mit der Aufforderung zum Vollzug der Vermählung mit Herrad gekoppelt; es folgen aber zunächst lange Aufzählungen der Helden und ihrer Truppen (RS Str. 1–80). Einen eigenen Abschnitt scheint das Hochzeitsfest einzunehmen – überschrieben mit [1.] Aventiur, da nam Dietrich vr"n Herrate (vor RS Str. 81); doch wird die Episode hier nicht zu Ende erzählt; vielmehr nimmt der Erzähler die Geschenke an die Festteilnehmer zum Anlass für eine zeitkritische laudatio temporis acti (Str. 96–100), so dass die Hochzeitserzählung erst wieder nach einem Neuansatz mit nahezu wortgleicher Wiederholung der Zwischenüberschrift – [2.] Aventiur, da nam Dietrich vron Herraten ze rehter e (vor RS Str. 101) – zu Ende geführt wird. Die Überleitung vom Vermählungsfest zu Dietrichs erneutem Aufbruch nach Italien steht bereits in einem neuen Abschnitt [3.] Aventiur, wie diu broutloft ende nam und Helchen sune furen hin (vor RS Str. 143), in dem das Ansinnen der Helchesöhne, mit Dietrich mitzuziehen, und ihr Abschied im Mittelpunkt stehen; ohne Erwähnung in der Überschrift angeschlossen ist noch der Zug nach Italien über Mailand in Richtung Padua. Die Station Padua, die durch die Veranstaltung eines Turniers aus dem Rahmen des Feldzugs fällt, ist durch eine Überschrift hervorgehoben: [4.] Aventiur, wie Rudeger und die rekchen vor Badowe tjostirten von dem strite (vor RS Str. 214). Wiederum sind weitere Episoden subsumiert: der Zug nach Bern, der Bericht des Boten Alpher von Ermrichs Heeresaufgebot. Die sich anschließende Beratung Dietrichs mit seinen Gefolgsleuten, die die Sicherheit der Hunnenprinzen betrifft, beginnt noch in diesem Abschnitt, wird aber unterbrochen durch [5.] Aventiur, wie vr"n Helchen sune und Diether vor Raben erslagen wrden (vor RS Str. 276); die Überschrift ist insofern irreführend, als es im folgenden Abschnitt noch nicht um die Tötung der Helchesöhne geht, sondern um ihre vermeintlich sichere ‹Verwahrung› durch Elsan in Bern, während Dietrich und sein Heer aufs Schlachtfeld ziehen. Zum Abschluss gebracht wird allerdings dieser Aufbruch des Heers ohne die Jungen (Danne fur daz her, und beliben diu chint ze Berne 333,6) wiederum erst im nächsten Abschnitt [6.] Aventiur, wie si von danne urloup namen in romisch lant (vor RS Str. 333), der dann aber in der Tat hauptsächlich davon erzählt, wie die Jungen Elsan um die Erlaubnis bitten, die Stadt verlassen zu dürfen, und sich dabei in die Gegend von Raben verirren. [7.] Aventiur, wie Helchen sune und Diether mit Witegen striten, do er si sl*ch (vor RS Str. 375) enthält, was die Überschrift verspricht: den fatalen Kampf der drei Jungen gegen Witege, von dessen Auftauchen bis zu den Totenklagen. Mit [8.] Aventiur, wie diu her mit ein ander striten da (vor RS Str. 464) wechselt die Erzählung zur

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Schlacht von Raben, die mit Dietrichs Aufforderung endet, Überlebende zu suchen. [9.] Aventiur, wie man diu chint tote vant und wie her Dietrich chlagte (vor RS Str. 868) setzt ein mit der Bergung der Gefallenen der Schlacht und Elsans Ankunft; es folgen die angekündigte Auffindung der toten Jungen und exorbitante Totenklagen, aber auch die in der Überschrift nicht erwähnte vergebliche Verfolgung Witeges durch Dietrich, die die Totenklage unterbricht. Fortgesetzt wird letztere im Abschnitt [10.] Aventiur, wie Dietrich chlagt ob vr"n Helchen sunen (vor RS Str. 974), der sich allerdings nicht auf die erneute Totenklage beschränkt, sondern – unangekündigt – auch die Belagerung und Eroberung Rabens erzählt, bei der Ermrich wieder entkommt. Vor allem enthält der Abschnitt auch die Unterredung zwischen Dietrich und Rüdiger, in der der Berner den Markgrafen mit der heiklen Mission betraut, dem hunnischen Königspaar von der Katastrophe zu berichten und sie von Dietrichs Unschuld zu überzeugen. [11.] Aventiur, wie sich der strit endet und wie si heim in Hiunen f*ren (vor RS Str. 1026) berichtet, anders als die Überschrift suggeriert, nicht mehr vom Ende der Schlacht, sondern setzt mit Rüdigers Abschied von Dietrich ein und beinhaltet den Bericht des Markgrafen vor Helche und Etzel, deren Reaktion und die Versöhnung mit dem inzwischen ebenfalls an den Hunnenhof zurückgekehrten Berner. Die Überschriften unterstreichen wichtige Ereignisse, ohne sie klar abzugrenzen. Meist werden nur die erste oder erste und zweite Station der folgenden Handlungssequenz angekündigt, bisweilen nicht einmal das wichtigste Ereignis (etwa im letzten Abschnitt der ‹Rabenschlacht› die Versöhnung des hunnischen Königspaars mit Dietrich). Eine auch nur einigermaßen vollständige und aussagekräftige Abbreviatur des Inhalts liefern die AventiureÜberschriften nicht (teils aufgrund von Fehlern, teils weil sie recht nichtssagend sind), aber auch keine konsequenten Hinweise auf die narrativen oder ‹emotionalen› Höhepunkte des Geschehens. Die Überschriften stehen keineswegs immer bei narrativen Zäsuren; vereinzelt dienen sie dazu, von einer digressio zurückzulenken zur Haupthandlung. Schon die höchst unterschiedliche Länge der Abschnitte zwischen den Überschriften, aber auch die Tatsache, dass die Überschriften zum Teil mitten in eine Szene fallen, die man sich schwerlich unterbrochen vorgetragen denken kann, lässt auch Vortragseinheiten bzw. -einschnitte in der Regel wenig wahrscheinlich anmuten. Für eine rein optische Gliederungsfunktion sind die Überschriften wohl zu spärlich gesetzt. Auch Erzähleräußerungen lassen die Übergänge verschwimmen, statt präzise Einschnitte zu fixieren: Der Erzähler deutet oft schon im Vorfeld eines Einschnitts auf diesen voraus, springt dann gelegentlich aber auch wieder zurück, so dass es unmöglich ist, den Einschnitt versgenau zu fixieren. Gegen Ende der genealogischen Vorgeschichte und am Anfang des Hauptteils häufen sich die Vorausdeutungen auf Ermrichs Treulosigkeit und die verheerenden Folgen für Amelunchs Nachkommen (vor allem für Dietmars Söhne Dietrich und Diether), für das Römische Reich und seine Krieger wie auch für Ermrich selbst (DF v. 2419, 2455, 2462–2466, 2473–2475, 2518–2521, 2535, 2544f., 2561–2567). Freilich liegen die Vorausdeutungen auf unterschiedlichen Zeitebenen: In den meisten Fällen verweist der Erzähler auf unmittelbar bevorstehendes Geschehen, den nächsten Erzählabschnitt (hier auf die Vertreibung und ihre Implikationen), teils aber auch auf Sagenereignisse jenseits der erzählten Handlung (den Tod von Ermrichs Sohn Friderich, der in der ‹Flucht› noch agiert, DF v. 2462–2466), teils sogar auf durch die Sage schwerlich gedecktes und auch in den Fluchtepen nicht erzähltes Geschehen in unbestimmter Zukunft, Gottes Strafe für Ermrich (DF v. 2561–2567). Solche Vorausdeutungen auf Ermrichs verdiente Bestrafung, finden sich unabhängig von den Abschnittsübergängen (DF v. 2867; vgl. auch v. 6553–6555: als

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Wunsch des Erzählers) oder nur locker, ohne zwingenden Bezug mit ihnen verbunden (DF v. 4289–4295), vielleicht provoziert durch andere Vorausdeutungen und/oder durch Klagen über Dietrichs Unglück. Nach der ersten Schlacht von Mailand stehen wiederum mehrere Vorausdeutungen auf die bevorstehende unglückliche Wendung des Geschehens, noch bevor sich die Ereignisse entsprechend anbahnen, an der von CURSCHMANN11 gesetzten Abschnittsgrenze (DF v. 3563–3574), aber auch zwischendurch, nach der Abfertigung der Goldboten (DF v. 3649–3657 und v. 3711). Die eben erwähnte Vorausdeutung auf Ermrichs Bestrafung (DF v. 4289–4295) trennt zwei Erzählabschnitte niederer Ordnung, die beiden Akte gescheiterter ritueller Kommunikation mit Ermrich, zunächst Dietrichs und dann der Damen flehentliche öffentliche Bitte, dem jungen König wenigstens Bern zu belassen; die Vorausdeutung auf künftige Verluste an Menschenleben (DF v. 4344) steht mitten in den ausführlichen Schilderungen des Abschieds der Vertriebenen aus Bern; mitten in die Abschiedsszene zwischen Amelolt und den Damen, die im Land verbleiben, und Dietrich und seinen Recken, die ins Hunnenland ziehen, fällt die Ankündigung künftiger Erfolge Amelolts für seinen Herrn im Kampf gegen Ermrich (DF v. 4495–4499; gemeint ist die Rückeroberung Berns, die in der Tat, nach langer Erzählung von Dietrichs Aufnahme am Etzelhof, Dietrichs ersten Rückkehrversuch einleitet) – der Erzähler verweist danach aber nicht etwa auf Ereignisse des nächsten Großabschnitts, sondern auf das weinen (DF v. 4502) beim Abschied der Damen. Gegen Ende der zweiten Schlacht von Mailand kündigen Erzählervorausdeutungen nicht das erneute Exil an, sondern (die nächsten Handlungsabschnitte überspringend) Witeges Verrat (DF v. 7183) und – noch weiter vorausgreifend – das Leid, das Dietrich in der ‹Rabenschlacht› daraus erwachsen wird, dass er Witege das Pferd Schemming schenkt (DF v. 7202–7205). Dass die Erzählervorausdeutungen nicht konsequent nur die Ereignisse des nächsten Großabschnitts ankündigen und nicht ausschließlich an den Großabschnittsgrenzen stehen, sondern durchaus auch zwischen einzelnen Handlungsschritten innerhalb der Abschnitte, relativiert ihre strukturelle Funktion. Eher verwischen sie die Grenzen zwischen den Handlungsabschnitten, als dass sie sie exakt markieren; vielfach leisten sie nur eine unbestimmte Andeutung, was denn irgendwann folgen wird. In der Regel beziehen sich diese Andeutungen auf künftiges Unheil, kommenden Glückswechsel. Ihre Funktion besteht insofern – auch in ‹Dietrichs Flucht› – eher in der Erzeugung einer Atmosphäre des Unheils als in exakter Gliederung der Handlung. Freilich sind angesichts der Kippstruktur der Erzählung, des Wechsels zwischen Glück und Unglück, Schlachtsieg und Zunichtewerden des Erfolgs, Abschnittsgrenzen mehrfach mit solchen Glückswechseln gekoppelt: der Einschnitt zwischen der Idealität der Vorfahren und der Treulosigkeit der Ermrich-Welt; Wechsel von Schlachtsiegen zu der auf sie folgenden Vereitelung; nur einmal, nämlich bei der Vorausdeutung auf Amelolts künftige Erfolge (DF v. 4495–4499), in umgekehrter, positiver Richtung. Irritierend hinzu kommen nur scheinbar strukturierende Erzählerbemerkungen, die möglicherweise «entstehungsgeschichtlich wichtige[] Einschnitt[e]»12 markieren: Hie mit endet sich das mære (DF v. 6987) steht keineswegs am Ende des Erzählabschnitts ‹Übergabe von Ravenna›; voraus gehen das Unterwerfungsangebot der Bewohner und der Rat von Dietrichs Gefolgsleuten, dieses Angebot anzunehmen; die Annahme des Angebots (mit dem Stellen von Geiseln) folgt (summarisch abgehandelt) erst DF v. 6988–6992. Aus grundsätzlichen methodischen Erwägungen heraus ist es unmöglich zu verifizie-

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CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 359. Ebd., S. 359 A. 6.

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ren, auf welcher stoffgeschichtlichen Grundlage vom ‹Ende› einer Geschichte die Rede sein kann. Hier ist eher ein Vortragseinschnitt denkbar.13 Das würde insbesondere erklären, warum das Ende der Episode ‹Übergabe von Ravenna› nur kurz abgehandelt wird (quasi als Rekapitulation der vorangegangenen Vortragseinheit), im Gegensatz sowohl zum Vorangegangenen (Unterwerfung der Bewohner) als auch zum Nachfolgenden (Klage über Ermrichs Flucht, Beratung über Dietrichs Maßnahmen zur Sicherung der oberitalienischen Städte). Möglich ist aber auch, dass der Erzähler die Episode durch solche Bemerkungen nicht abschließt, sondern lediglich ihren bevorstehenden Abschluss anzeigt (‹Ich komme allmählich zum Schluss›). Ähnliches zeigt sich z.B. DF v. 3554: Die rede laz wir hie mit stan: Voran geht Dietrichs Schlachtsieg, aber mit dem Vers ist die Erzählung davon keineswegs beendet, sondern es folgt noch, wie Dietrich Ermrichs Leute als Gefangene mit sich führt (DF v. 3555–3581, bereits durchsetzt mit Vorausdeutungen auf die unglückliche Wendung, die das Schicksal des Helden nimmt).

Nicht alle strukturellen Einschnitte in den Fluchtepen sind durch Erzählerrede markiert. Da Erzähleräußerungen in hoher Dichte auch die narrativen und ‹emotionalen› Höhepunkte der Erzählung begleiten und Vorausdeutungen oft mit Klagen und Verwünschungen gekoppelt sind, lassen sich strukturierende und ‹emotionalisierende› Erzähleräußerungen nicht scharf trennen. Insbesondere die Erzählervorausdeutungen in der ‹Rabenschlacht› (RS 126,2–6; 196,6; 198,5f.; 319,3–6; 321,5f.; 322,3f.; 329,3–6; 331,6; 340,3–6; 363,5f.; 365,3–6: auf den Tod der Helchesöhne; 189,6: auf das leidvolle Wiedersehen mit Dietrich; 336,2: auf die Schlacht von Raben; 1014,6: auf Ermrichs schaden in unbestimmt ferner Zukunft) haben keine strukturierende Funktion, sondern dienen zumeist dazu, eine Unheilsatmosphäre heraufzubeschwören. Ankündigungen beziehen sich nicht immer auf die großen Peripetien, oft z.B. nur auf Heldenkataloge oder Protagonistenreden. Dabei ist es fraglich, ob (insbesondere für ein Hörerpublikum) Vorausdeutungen auf sagenbekanntes entferntes Unheil und Ankündigungen unmittelbar bevorstehender Erzählsequenzen auch banaleren Inhalts deutlich zu unterscheiden waren. Außerdem sind umgekehrt Vorausdeutungen zum Teil auch handelnden Personen in den Mund gelegt. Bei der Strukturanalyse kann daher nicht unhinterfragt von gehäuftem Vorkommen von Erzähleräußerungen ausgegangen werden; signifikant sind neben den narrativen Einschnitten zwischen verschiedenen Episoden, Stationen, Handlungssequenzen insbesondere signifikante Wiederholungen, die Muster etablieren und abgrenzen.14 Strukturiert wird nicht nur durch Einschnitte, sondern auch durch die Wiederkehr strukturbildender Handlungssequenzen, in der Vorgeschichte der ‹Flucht› des Brautwerbungsschemas (vgl. bes. S. 130–132), in der Dietrich-Ermrich-Handlung von ‹Flucht› und ‹Rabenschlacht› der bereits mehrfach erwähnten konstitutiven Folge von glücklosem Sieg – Exil – Rückkehrschlacht. Die Forschung hat – teilweise mit Recht – dabei Entsprechungen zwischen der Vertreibung und den drei Rückkehrschlachten aufgezeigt: In allen vier Fällen steht, durch Parallelen und Kontraste im Detail unterstrichen, die grundsätzlich gleiche Sequenz von Schlacht, Sieg, Vereitelung des Siegs, Gang bzw. Rückzug ins hunnische Exil. Diese strukturprägende Erzählschablone dominiert über eine Abschnittbildung nach inhaltlichen Einschnitten; die ursprüngliche Vertreibung (II) und spätere Rückzüge ins Exil (III A, III B

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Vgl. DF, S. 208, Anm. zu v. 6987. LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411) weist auch auf die Rolle von Namenlisten als Strukturelement hin: Sie unterstreichen in ‹Dietrichs Flucht› in der Vorgeschichte die Tendenz zu zunehmender Verkürzung der einzelnen Teilhandlungen, im Hauptteil das Prinzip der Steigerung (S. 153); in der ‹Rabenschlacht› werde «der Höhepunkt der Handlung durch die rasche Abfolge von fünf Namenlisten [...] markiert» (S. 154).

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und ‹Rabenschlacht›, quasi III C) sind entsprechend dieser Erzählschablone strukturiert; die Vertreibung (II) läge damit strukturell nicht auf einer Ebene mit dem Exil insgesamt (III), sondern mit den einzelnen in den Rückzug ins Hunnenreich mündenden Rückkehrschlachten während des Exils (III A, III B, ‹Rabenschlacht› III C). Die Struktur und Sinnkonstitution bestimmende Folge typischer «Handlungs-Situationen»15 (Flucht, Exil, gescheiterter Rückkehrversuch) beginnt aber (anders als in der ‹Thidrekssaga›) nicht mit der Flucht, sondern mit einer ersten Schlacht.16 KROPIK hat daher einen Vorschlag für die Gliederung des Hauptteils der ‹Flucht› vorgelegt, der weniger die großen Handlungsabschnitte (Vertreibung, Exil) als die mehrfach wiederkehrende Erzählschablone berücksichtigt: I. erste Schlacht von Mailand, Vertreibung (DF v. 2522–4529) II. erstes Exil, zweite Schlacht von Mailand (DF v. 4530–7215) III. zweites Exil, Schlacht von Bologna (DF v. 7216–10129).17 Alle drei Teile gliedern sich in korrespondierende Unterabschnitte: I.1. Ermrichs Heimtücke (DF v. 2522–2819) I.2.1. Ermrichs Überfall und Schlachtvorbereitungen (DF v. 2820–3131) I.2.2. erste Schlacht von Mailand (mit Ermrichs Flucht) (DF v. 3132–3562) I.3. Gefangennahme der Gefolgsleute, Erpressung, Vertreibung/erster Gang ins Hunnenreich (DF v. 3563–4529) II.1. erstes Exil (DF v. 4530–5438)18 II.2.1. Vorbereitung der ersten Rückkehr, Heereszug nach Bern (DF v. 5439–6053)19 II.2.2. erste Rückkehrschlacht (zweite Schlacht von Mailand, mit Ermrichs Flucht) (DF v. 6054–6798)20 II.3. Versöhnung mit Witege, Ernennung von Statthaltern in Oberitalien, erster Rückzug/zweiter Gang ins Hunnenreich (DF v. 6799–7215)21 III.1. zweites Exil (und Vertrag betreffend die Eheschließung zwischen Dietrich und Herrad) (DF v. 7216–7665)22

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KUHN 1969 (LV Nr. 403), S. 139. So auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 231. Ebd., S. 232. KROPIK (ebd.) setzt DF v. 5595 als Abschnittsgrenze an und rechnet den die Rückkehr auslösenden Botenbericht Amelolts zum ersten Exil; ich ziehe – wegen der Markierung des Einschnitts durch die Einleitung des Botenberichts Nu horet niweu maere hie, DF v. 5439, und wegen dessen Auslöserfunktion – seine Zuordnung zu den Vorbereitungen der Rückkehrschlacht vor. Die Abschnittsgrenze zwischen Schlachtvorbereitungen und Aufmarsch zur Schlacht ist ebenfalls fließend; hier wird der Schlachtbeginn mit dem Aufbruch zum Schlachtfeld gleichgesetzt. Abschnittsgrenze hier ist die Rückkehr vom Schlachtfeld nach Mailand. Abschnittsgrenze hier ist Dietrichs Aufbruch ins Hunnenreich, während Amelolt in Gart zurückbleibt. KROPIK sieht den Einschnitt bei DF v. 8001, zwischen Helches Goldgeschenk und dem sich anschließenden Vogler-Exkurs auf der einen, dem Neuansatz mit einer Erzählerrekapitulation und der Sammlung des Heers in Gran auf der anderen Seite (gestützt durch diese Erzähleräußerungen und eine Aventiure-Überschrift in RW) (KROPIK 2008, LV Nr. 397, S. 232). Ich betone dagegen den Einschnitt DF v. 7665, vor dem Botenbericht (ab DF v. 7666), der den Anlass für die Rückkehr gibt (gestützt durch die Erzählerankündigung DF v. 7666f. und die Aventiure-Überschrift, die auf den Aufbruch hinweist).

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Aspekte der Poetik

III.2.1. Vorbereitung der zweiten Rückkehr, Heereszug nach Bologna (DF v. 7666– 8425)23 III.2.2. zweite Rückkehrschlacht (Schlacht von Bologna, mit Ermrichs Flucht) (DF v. 8426–9834)24 III.3. Totenklage, zweiter Rückzug/dritter Gang ins Hunnenreich (DF v. 9835–10129).25 Die ‹Rabenschlacht› ließe sich, mit Modifikationen, entsprechend anschließen: IV. drittes Exil, Schlacht von Raben (RS Str. 1–1139) IV.1. drittes Exil (und Hochzeitsfeier) (RS Str. 1–145)26 IV.2.1. Vorbereitung der dritten Rückkehr, Heereszug nach Raben (RS Str. 146–332)27 IV.2.2. Tötung der Helchesöhne und Diethers, dritte Rückkehrschlacht (Schlacht von Raben, mit Ermrichs Flucht) (RS Str. 333–867)28 IV.3. Totenklage um die Helchesöhne und Diether (darin: vergebliche Verfolgung Witeges durch Dietrich), dritter Rückzug/vierter Gang ins Hunnenreich (RS Str. 858– 1139). Damit stehen jeweils an strukturell entsprechender Position: I.1. Ermrichs Heimtücke – II.1. erstes Exil – III.1. zweites Exil – IV.1. drittes Exil; I.2.1. Ermrichs Überfall und Schlachtvorbereitungen – II.2.1. Vorbereitung der ersten Rückkehr, Heereszug nach Bern – III.2.1. Vorbereitung der zweiten Rückkehr, Heereszug nach Bologna – IV.2.1. Vorbereitung der dritten Rückkehr, Heereszug nach Raben; I.2.2. erste Schlacht von Mailand – II.2.2. erste Rückkehrschlacht (zweite Schlacht von Mailand) – III.2.2. zweite Rückkehrschlacht (Schlacht von Bologna) – IV.2.2. Tötung der Helchesöhne und Diethers, dritte Rückkehrschlacht (Schlacht von Raben); I.3. Gefangennahme der Gefolgsleute, Erpressung, Vertreibung/erster Gang ins Hunnenreich – II.3. Versöhnung mit Witege, Ernennung von Statthaltern in Oberitalien, erster Rückzug/zweiter Gang ins Hunnenreich – III.3. Totenklage, zweiter Rückzug/dritter Gang ins Hunnenreich – IV.3. Totenklage um die Helchesöhne und Diether (darin: vergebliche Verfolgung Witeges durch Dietrich), dritter Rückzug/vierter Gang ins Hunnenreich.

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Analog zum Beginn der ersten Rückkehrschlacht setze ich das Ende des Abschnitts, geringfügig anders als KROPIK (ebd., S. 232: DF v. 8428), mit dem Aufbruch zum Schlachtfeld an, nicht mit der Ankunft. Anders als KROPIK (ebd.: DF v. 9760), setze ich das Ende des Abschnitts erst nach vollendeter Flucht und vergeblicher Verfolgung Ermrichs und seiner Leute an, vor dem Beginn der Totenklagen, den eine Erzählerankündigung (DF v. 9835f.) markiert. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 232. In der ‹Rabenschlacht› gibt es keinen Botenbericht als Auslöser der Rückkehr; die Abschnittsgrenze setze ich an beim Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten. Die Hilfszusagen als Teil der Vorbereitung der Rückkehr liegen freilich vor der Hochzeitsfeier; die Handlungsschritte sind ineinander verschachtelt, vgl. auch S. 120. Den Einschnitt sehe ich beim Aufbruch des Heeres zum Schlachtfeld. Den Einschnitt sehe ich vor der Ankunft des Elsan, der die Nachricht vom Verschwinden der Jungen bringt.

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Strukturfragen

Die Parallelen und Kontraste, auf die großteils bereits die ältere Forschung hingewiesen hat, rücken dadurch noch weiter in den Vordergrund (vgl. bes. auch S. 114–120). Besonders deutlich sind die Korrespondenzen29 zwischen II.1. erstes Exil – III.1. zweites Exil – IV.1. drittes Exil: Die Herrad-Handlung verbindet insbesondere III.1. (Vertrag betreffend die Eheschließung zwischen Dietrich und Herrad) und IV.1. (Hochzeitsfeier); I.1. ist isoliert: Dietrich befindet sich noch in der Heimat; II.2.1. Vorbereitung der ersten Rückkehr, Heereszug nach Bern – III.2.1. Vorbereitung der zweiten Rückkehr, Heereszug nach Bologna – IV.2.1. Vorbereitung der dritten Rückkehr, Heereszug nach Raben: Die Vorbereitungen für die erste und zweite Rückkehr stehen sich insofern näher, als beide durch Botenberichte ausgelöst bzw. forciert werden; gewisse Korrespondenzen (Botenberichte als Auslöser für die Schlachtvorbereitungen) gibt es auch zu I.2.1. (Ermrichs Überfall); I.2.2. erste Schlacht von Mailand – II.2.2. erste Rückkehrschlacht (zweite Schlacht von Mailand) – III.2.2. zweite Rückkehrschlacht (Schlacht von Bologna) – IV.2.2. Tötung der Helchesöhne und Diethers, dritte Rückkehrschlacht (Schlacht von Raben): Hier sind alle vier Schlachten (wie auch die Schlacht in ‹Alpharts Tod›) durch das Motiv von Ermrichs Flucht verbunden, das «Fortsetzbarkeit»30 ermöglicht; in den Schlachtschilderungen gibt es vor allem Parallelen einerseits zwischen erster und zweiter Schlacht von Mailand, andererseits zwischen der Schlacht von Bologna und der Schlacht von Raben; I.3. Gefangennahme der Gefolgsleute, Erpressung, Vertreibung/erster Gang ins Hunnenreich – II.3. Versöhnung mit Witege, Ernennung von Statthaltern in Oberitalien, erster Rückzug/zweiter Gang ins Hunnenreich – III.3. Totenklage, zweiter Rückzug/dritter Gang ins Hunnenreich – IV.3. Totenklage um die Helchesöhne und Diether, dritter Rückzug/vierter Gang ins Hunnenreich: Diese Strukturposition enthält (bei unterschiedlichen Erzählverläufen) das Motiv der Vereitelung des Siegs, die Dietrich ins Exil treibt. Freilich geht die Struktur nicht ganz auf: In der ‹Rabenschlacht› wäre das entscheidende Handlungselement – der Tod der Helchesöhne und Diethers – dem Schema nach nur eine Variante der Strukturposition ‹Rückkehrschlacht›; hier verzerrt die Anwendung des Schemas die thematische Fokussierung. Zudem ist die Struktur insofern unterlaufen, als besonders in der ‹Rabenschlacht› Vorausdeutungen die Abschnittsgrenzen überspielen. Allerdings bewährt das Schema durch die Subsumierung eigentlich anders angelegter Teilerzählungen und Szenen sein Eigengewicht: Nur die Vertreibung und der erste Gang ins Exil I.3. resultieren in der Tat aus einem glücklosen Sieg – besser: einem Sieg, der durch ein darauf folgendes Unheil (Gefangennahme der Gefolgsleute) zunichte wird; bei den späteren Schlachtsiegen und darauf folgenden Rückzügen an den Hunnenhof in der ‹Flucht› (II.3., III.3.) ist das nicht der Fall: In II.3. wird durch die Versöhnung mit Witege nur der Grundstein für die spätere Vereitelung gelegt (die in III. gleichsam nachgeholt wird: Dietrich kehrt zunächst als Sieger zurück; erst Witeges Verrat wendet den Sieg ins Glücklose). Nach der Schlacht von Bologna (III.3.) wird Dietrich nicht um die Früchte seines Siegs gebracht, tritt die Klage um in einer Schlacht selbstverständliche Verluste strukturell an die Stelle der vom Schema verlangten Vereitelung des Siegs. In IV.3. war die Entwertung des Sieges durch die Tötung der Helche-

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Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 232 und f. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 221f.

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Aspekte der Poetik

söhne und Diethers bereits in IV.2.2. dem Sieg vorausgegangen (was in IV.3. wahrgenommen wird). Das heißt: der ‹glücklose Sieg›, der zum Rückzug ins Exil führt, ist bei den mittleren Durchgängen durch die Stationenfolge der Erzählschablone nur strukturell gesetzt, quasi künstlich ‹gemacht›. Selbst in ‹Dietrichs Flucht› ergibt sich, trotz der erläuterten Eigendynamik der Erzählschablone und trotz der Parallelen zwischen dem ursprünglichen Gang ins Exil und späteren Rückzügen an den Etzelhof, eine deutliche Asymmetrie: Der Vertreibung, dem ersten Gang ins Exil und der ersten Aufnahme Dietrichs bei Helche und Etzel kommt narrativ ein höheres Gewicht zu; Dietrichs Verhältnis zu Rüdiger, Helche und Etzel wird hier überhaupt erst exponiert und im Folgenden vorausgesetzt. (Das ähnliche Verfahren in der Vorgeschichte – ausführliche Erzählung von Dietwart, nur summarische Abhandlung seiner Nachfolger – ist insofern nicht vergleichbar, als sich dort das gleiche Schema mit verändertem Personal ohne inhaltliche Veränderungen knapper wiederholt. Dietrichs Aufenthalte am Etzelhof sind aber – bei gleichem Personal – durchweg unterschiedlich modelliert: Beim ersten Aufenthalt geht es darum, das unbestimmt vorausgesetzte Vertrauensverhältnis zu Rüdiger zu reaktivieren, eine politische Beziehung zu Helche und Etzel aufzubauen; der zweite und – schon zu Beginn der ‹Rabenschlacht› – der dritte Aufenthalt dienen der Berichterstattung und der Erneuerung des Beistands für Dietrich durch Ergänzung der militärischen Ressourcen und das Ehebündnis mit Herrad, der vierte Aufenthalt, nur kurz im Empfang Dietrichs angedeutet, der Verarbeitung der Katastrophe des Tods der Hunnenprinzen.) Ohne Dietrichs endgültige Heimkehr nach Italien, wie sie nur ‹Thidrekssaga› und ‹Nibelungenklage› nach dem Burgunden- und Amelungenuntergang vorsehen, ergibt sich eine Kreisstruktur nur vom Exil aus: Aus dem Exil zieht Dietrich immer wieder nach Italien, erringt in einer Rückkehrschlacht immer wieder einen letztlich glücklosen Sieg und zieht sich immer wieder ins Exil zurück. Der erste Handlungs- und Bewegungsbogen (Vertreibung und erster Gang ins Exil) schließt sich in den Fluchtepen nicht. Die solchermaßen gestörte Kreisstruktur der Fluchtepen bildet sich in erster Linie in den Raumstrukturen ab (vgl. S. 124–126). Allenfalls die Vorausdeutungen auf Ermrichs verdientes Ende (vgl. bes. S. 108f., 161f., 224f.) stellen ein Gegengewicht dazu dar. Sinntragend ist insgesamt nicht die Strukturierung nach Großabschnitten, sondern einerseits die sich wiederholende Erzählschablone, andererseits (durchaus auch gegenläufig) ein System von Parallelen und Kontrasten, das einzelne Stationen der wiederholten Durchgänge auch im Detail aufeinander bezieht. Die Forschung hat die Parallelen mehrfach zusammengestellt:31 II.2.2. (zweite Schlacht von Mailand; CURSCHMANN III A 2) stimmt zu I.2.2. (erste Schlacht von Mailand; CURSCHMANN II A): Volchnant wird mit einer Warn- bzw. Freudenbotschaft zu Dietrich nach Bern entsandt (DF v. 2896–2977, hier geht der VolchnantBotschaft eine erste Botschaft, die Fehdeansage und Warnung Randolts von Ankowe voraus; DF v. 5742–5869, da folgt der Volchnant-Botschaft eine weitere von Helches Bote Baltran, der das Kommen des hunnischen Heers ankündigt). Truppen für Dietrich (seine Gefolgsleute bzw. das hunnische Hilfsheer) treffen ein, werden zunächst für Feinde gehalten und dann

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Vgl. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 188–195; VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 99–105; CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 368–371; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 233. Meine Beobachtungen abstrahieren weniger stark von Varianten; Versgrenzen weichen zum Teil ab.

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Strukturfragen

erkannt (DF v. 2992–3031; 5936–5939, freilich folgt vor der zweiten Schlacht von Mailand eine weitere Botschaft: Jubarts Bote meldet die Bedrängnis der Mailänder). Beim folgenden Festmahl trumpft Wolfhart als Kampftreiber auf (DF v. 3067–3071; 6025–6031). Dietrichs Heer bricht auf (vor der zweiten Schlacht von Mailand unter erneuten Aufmunterungsreden Wolfharts: DF v. 6037–6053) und nähert sich Ermrichs Heerlager bzw. Mailand. Auf Hildebrands bzw. Rüdigers Rat hin werden vier Kundschafter ausgeschickt, darunter in beiden Fällen Hildebrand (DF v. 3117–3183; 6107–6241). Hildebrand (bzw. die Kundschaftergruppe um Hildebrand) berichtet und warnt angesichts von Ermrichs Übermacht vor einem offenen Angriff; doch Wolfhart drängt zum Kampf (DF v. 3190–3219; 6259–6293). Das Heer bricht auf und gelangt so weit wie zuvor die Kundschafter (vor der ersten Schlacht von Mailand, DF v. 3220–3265) bzw. Dietrichs Leute setzen die Beratungen fort (Rüdiger rät zur Teilung des Heeres und einem Zangenangriff, DF v. 6394–6329); kurz vor dem bevorstehenden Angriff bekräftigt ein fünfter Kundschafter (Hunolt bzw. Alphart), dass es gelingen könne, die Feinde zu überraschen (DF v. 3266–3286; 6330–6364). Dietrichs Leute überfallen das feindliche Lager und töten zahlreiche Gegner, bevor sich Gegenwehr formiert (DF v. 3286–3317; 6408–6482, da allerdings erst nach der Teilung des Heeres). Beide Schlachten enden mit der Feststellung der Verluste und Totenklagen sowie mit Ermrichs Flucht (DF v. 3318–3562; 6483–6994).32 Exakte Parallelität ist nicht zu gewinnen; das zeigt insbesondere die Doppelung von Ermrichs Flucht in der zweiten Schlacht von Mailand, zunächst vom Schlachtfeld, dann aus der belagerten Stadt Raben, die ein Nachspiel zur Schlacht (Verfolgung Ermrichs, Belagerung Rabens) zur Folge hat. III.1. (zweites Exil; CURSCHMANN III B 1) ist in vielen Punkten parallel zu II.1. (erstes Exil; CURSCHMANN III A 1) organisiert:33 Bevor Dietrichs ins Exil zieht, ordnet er die Verhältnisse in Oberitalien, indem er (beim ersten Gang ins Exil, DF v. 4450–4537) Amelolt und Eckewart die von ihnen zurückeroberten Städte Metze und Garte bzw. (beim zweiten Gang ins Exil, DF v. 7008–7215) u.a. Witege Raben anvertraut. Auch die Stationen des Exils entsprechen sich: Ankunft in bzw. Rückkehr nach Gran (DF v. 4540–5139; 7220–7451); Vorbereitung des Empfangs durch Kontaktaufnahme mit dem Hunnenhof (DF v. 4540–4893; 7220–7382); Empfang durch Helche bzw. Etzel und Helche (DF v. 4894–5139; 7383–7451); Fest und Hilfszusage Etzels (DF v. 5140–5437; 7452–7665, da mit Heiratsvertrag). Ebenfalls parallelisiert sind II.2.1. und III.2.1.: Botennachrichten von der Rückeroberung Berns durch Amelolt bzw. von Witeges Verrat und dem Verlust Rabens (DF v. 5439–5489; 7666–7716); führen zum Aufbruch nach Oberitalien (DF v. 5490–5629; 8014–8092). III.2.2. (Schlacht von Bologna; CURSCHMANN III B 2) teilt mit den beiden Schlachten von Mailand einige strukturelle Positionen: «An der Strukturstelle der Volcnant-Botschaft steht hier die Rückkehr der Stadt Bole unter Dietrichs Herrschaft (8099–8195) – sie korrespondiert insbesondere mit Volcnants Bericht über die Zurückgewinnung der Stadt Meilan in II.2. Ebenfalls in III.2. findet sich außerdem die Beratung vor der Schlacht, in der Rüdeger dieselbe militärische (Zangen-)Strategie vorschlägt, die schon in der 2. Schlacht Anwendung gefunden hatte (8476–8591)».34 Die Strukturstelle ‹Ermrichs Flucht› findet sich in allen

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Als Einschnitt sehe ich die Rückkehr vom Schauplatz des letzten Siegs, Raben, nach Mailand. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 369f.; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 233, weicht im Detail teilweise ab. Ebd.

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Aspekte der Poetik

Schlachten der ‹historischen› Dietrichepik, in den drei Schlachten der ‹Flucht› (vgl. DF v. 3497–3525; 6619–6622/6865–6927; 9718–9830), in der Schlacht von Raben in der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 861f.) und in der Schlacht von Bern in ‹Alpharts Tod› (AT v. 1815/455,4). KROPIK35 weist ferner hin auf die Steigerung der Gefallenenlisten in I.2. und II.2. (DF v. 3534–3562; 6629–6688) zur Totenklage in III.3. (DF v. 9831–9979; in der ‹Rabenschlacht›, RS Str. 875–912/975–987, noch weiter gesteigert zur verzweifelten Klage um die von Witege getöteten Jungen). Die Schlacht von Raben (quasi IV.2.2.) ist, wie bereits erwähnt, teilweise parallelisiert (aufgrund der vermutlich ‹umgekehrten› Entstehungschronologie eher gespiegelt als vorweggenommen) in III.2.2. (Schlacht von Bologna; CURSCHMANN III B 2), auch wenn die Zeitstrukturen andere sind.36 Bisweilen, darauf hat vor allem KROPIK aufmerksam gemacht, unterstreichen ‹sinnlose› Wiederholungen und «mangelnde Einbindung einzelner Episoden ins narrative Gefüge» die strukturelle Parallelität, teilweise um in der Gegenübereinstellung unterschiedlichen Verhaltens in entsprechenden Situationen einen «exemplarischen Sinn» aufzuzeigen, teilweise aber auch nur zu rein strukturellen Zwecken, um «literarische Komponiertheit» zu demonstrieren.37 Letzteres belegt die auffällige Parallelität des Geschehens im Vorfeld der beiden Schlachten von Mailand. Die Ausgangssituation ist jeweils unterschiedlich: Vor der ersten Schlacht von Mailand befindet sich Dietrich in Bern, bis ihn Ermrichs verräterische Einladung und die Warnungen zunächst Randolts, später Volchnants erreichen; vor der zweiten Schlacht von Mailand hält sich Dietrich am Etzelhof auf, bis Amelolts Bericht von der Rückeroberung Berns den Rückkehrversuch auslöst. Durch Parallelepisoden aber wird die ganz anders gelagerte Konstellation um die erste Schlacht und die Vertreibung angepasst an die Erzählschablone von vergeblicher Rückkehrschlacht und Exil. Diese Parallelen – die Volchnant-Botschaften und das Verkennen eintreffender Hilfsheere – werden als künstlich gesuchte unterstrichen: Dem dient zum einen die Irritation, dass in beiden Fällen Volchnant, obwohl eben als ausgewählter Bote vorgestellt, eingeführt wird wie ein Unbekannter (Ein degen, der hiez Volchnant, / der chom ze Bern fur gerant, DF v. 2924f.; vgl. v. 5784f.) und dass er seine Botschaft an Dietrich schon verkündet, bevor man ihn zum Adressaten geführt hat (DF v. 2926–2941; 5786–5796). Zum anderen ist nur die erste Szene funktional: Ermrich liegt mit seinen Invasionstruppen vor Mailand, und Herzog Saben schickt daher Volchnant nach Bern, um Dietrich zu warnen. Unmittelbar nach der Warnbotschaft trifft die Nachricht ein, ein Heer nähere sich Bern; ausdrücklich wird erklärt (DF v. 3000f.), Dietrich sei nicht informiert worden, es handle sich um seine Leute, so dass sinnvoll Vorkehrungsmaßnahmen gegen die vermeintlichen Feinde getroffen werden; erst danach stellt sich heraus, dass es sich um Hilfstruppen handelt. Vor der zweiten Schlacht von Mailand wird wiederum – durch eine Erzählerankündigung ans Publikum (DF v. 5780–5783) hervorgehoben – Volchnant (hier von Tydas auf Vorschlag von Herzog Friderich, DF v. 5742–5779) als Bote von Mailand nach Bern entsandt, diesmal, um zu melden, dass Mailand sich von Ermrich ab- und Dietrich zugewandt habe. Dennoch folgt, zunächst streckenweise fast wörtlich, die gleiche VolchnantSzene wie vor der ersten Schlacht von Mailand (DF v. 2926–2934; 5786–5794), mit der

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Vgl. ebd. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 372f. und A. 23. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 233–236, Zitate S. 235.

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Strukturfragen

Warnung an Dietrich, die zwar zu Ermrichs Greueltaten im Vorfeld der ersten Schlacht passt, nicht aber zu der jetzt übermittelten Freudenbotschaft (als solche erst DF v. 5801 präzisiert). Noch weniger funktional erscheint die Fortsetzung der parallel laufenden Handlungssequenzen: Hilfstruppen für Dietrich (jetzt das hunnische Hilfsheer) treffen ein, werden zunächst für Feinde gehalten und dann erkannt. Hier ist das nur eine kurze (und schnell ausgeräumte) Irritation und vollkommen unmotiviert: In Etzelburg war ausdrücklich problematisiert worden, dass Dietrich vorzeitig aufbricht und das Hunnenheer ihm folgen wird (bes. DF v. 5602f., 5611f.); in Bern wird das baldige Eintreffen der Hilfstruppen durch Helches Boten Baltran nochmals – genau für den entsprechenden Tag – angekündigt (DF v. 5870–5923). KROPIK weist mit Recht darauf hin, dass hier nicht nur kein Versuch unternommen wird, Unstimmigkeiten zu überspielen, sondern dass im Gegenteil Unstimmiges offensiv hervorgehoben wird, «als ein Zitat, das dazu dient, den Gleichlauf der Abschnitte II.2. und I.2. zu markieren»; ‹Dietrichs Flucht› nehme so «Brüche und Motivatonslücken nicht bloß in Kauf, sondern sucht sie geradezu. Wörtliche Wiederholungen auffälliger Passagen und zitathafte Einschübe eigentlich überflüssiger Motive wollen bemerkt werden und kennzeichnen so die Parallelität der Handlungsstränge. Auf diese Weise wird das Muster der dreifach wiederholten Fabel betont, vor deren Hintergrund dann wiederum Gegensätze sinnfällig hervorgehoben werden können.»38 Die Schlussfolgerung wirkt auf den ersten Blick bestechend, geht aber nicht auf: Die offensichtliche dreifache Wiederholung des Musters von Schlachtsieg – Vereitelung des Siegs – Gang ins Exil bedarf schwerlich der Unterstreichung durch nichtfunktionale Wiederholungen von Details. Selbst wenn Detailwiederholungen wiederkehrende Muster verdeutlichen sollten, sind Nebenmotive und omnipräsente Szenen wie Botenbericht und Ankunft von Truppen schwerlich signifikant. Das Motiv der Verkennung von Hilfstruppen als (mögliche) Feinde begegnet etwa auch bei der Ankunft der Verbündeten aus Breisach in ‹Alpharts Tod› (AT v. 1543–1597/387,4–401,2), ohne dass eine spezifische Responsion zu den Mailänder Schlachten von ‹Dietrichs Flucht› vorläge. Dass Responsionen rechtes und verfehltes Handeln an entsprechenden strukturellen Positionen kontrastieren (KROPIK spricht mit Recht von «kompositorischer Exemplarik»39 in ‹Dietrichs Flucht›), betrifft in erster Linie Herrscherverhalten (Ermrich und Dietrich) auf der einen, das Verhalten von Gefolgsleuten (Witege und treue Dietrichmannen) auf der anderen Seite. Was da richtig ist und was falsch, wird nicht nur durch Kommentare (in erster Linie Abwertungen Ermrichs und Witeges) expliziert, sondern auch durch pointiert unterschiedliches Verhalten in strukturell korrespondierenden Szenen verdeutlicht: Die signifikantesten Beispiele für positives und negatives Herrscherverhalten betreffen die Ereignisfolge nach den beiden Schlachten von Mailand, vor der Vertreibung bzw. vor Dietrichs zweitem Gang ins Exil (I.3. und II.3.):40 Nach der ersten Schlacht von Mailand kann Dietrich seine Kämpfer nicht entlohnen, da Dietmars Schatz erschöpft ist (DF v. 3586–3603); als Dietrichs Gefolgsleute ersatzweise Berhtrams Gold herbeischaffen, werden sie von Ermrichs Mannen gefangen (DF v. 3604–3815); Dietrich schlägt einen Gefangenentausch vor; Ermrich lehnt ab und verlangt, dass der Neffe sein Reich aufgibt; Dietrich stimmt entgegen anders lautenden Emp-

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Vgl. ebd., S. 235f., Zitate S. 236. Ebd., S. 229 und ff. Vgl. ebd., S. 236–239.

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Aspekte der Poetik

fehlungen seiner Ratgeber zu (DF v. 3816–4106). Dem kontrastiert scharf Ermrichs Verhalten nach der zweiten Schlacht von Mailand: Dietrich will seine Kämpfer mit dem Lösegeld für Ermrichs gefangene Krieger belohnen (DF v. 7029–7047); er schlägt seinem Onkel die Auslösung vor; der stimmt aus Geldgier jedoch nur zögernd und erst auf nachdrückliches Drängen der Ratgeber zu (DF v. 7048–7129). Die Strukturparallelen sind freilich nicht ganz exakt: Zwar enden beide Schlachten von Mailand mit der Rückkehr Dietrichs in eine Stadt, Bern bzw. Mailand (DF v. 3575–3584; 6799–6802); zwar korrespondieren deutlich die Szenen, in denen Dietrich seine Krieger wegen Geldmangels nicht bzw. mit dem zu erwartenden Lösegeld belohnen kann (DF v. 3586–3657; 7029–7047). Auch zwischen Dietrichs deditio, die Ermrich ablehnt (DF v. 4176–4449), und der der Bürger von Raben, die Dietrich annimmt (DF v. 6928–6992), besteht eine gewisse Entsprechung. Jedoch stehen die entsprechenden Szenen (bereitwillige versus widerwillige Auslösung gefangener Gefolgsleute; zwei deditio-Vorgänge) nicht an gleichen Strukturstellen: Im einen Fall folgt die deditio der Auslösung (I.3.); im anderen geht sie ihr voran (II.3.). Dass auch die hinterhältige Gefangennahme der Gefolgsleute und deren tapfere Gegenwehr in I.3. (DF v. 3658–3815) auf der einen Seite, Ermrichs feige Flucht zunächst nach und dann aus Raben in II.3. (DF v. 6619– 6622/6803–6933) auf der anderen kontrastieren,41 trifft prinzipiell zu: Ermrich wird stets nicht nur als schlechter und treuloser Herrscher, sondern auch als Feigling gegenüber Dietrich und den tapferen Kriegern der Dietrichpartei herabgesetzt. Für eine präzise Responsion jedoch ist die Handlungskonstellation (Überfall auf eine kleine Gruppe reisender Krieger versus Belagerung einer Stadt) zu unterschiedlich. Wenn der Überfall aus dem Hinterhalt als Negativverhalten hätte gebrandmarkt werden sollen, hätte das wohl auch Auswirkungen auf die Bewertung nächtlicher Überfälle auf wehrlose Gegner, die in der Kriegsführung der Dietrichseite eine bedeutende Rolle spielen; da erfolgsorientierte Taktik dort nicht abgewertet wird, dürfte auch hier keine Negativwertung intendiert sein (vgl. S. 252). Das offensichtlichste Beispiel für strukturelle Parallelen und Kontraste im Verhalten von Gefolgsleuten sind die beiden (bereits mehrfach erwähnten) Botenberichte, die im ersten (II.1.) und im zweiten Exil (III.1.) den Anstoß zu Dietrichs Rückkehr nach Italien geben und somit die Vorbereitungen zum jeweils nächsten Rückkehrversuch (II.2.1., III.2.1.) einleiten: Amelolt berichtet von seinem Erfolg bei der Rückeroberung Berns (DF v. 5439–5595), Eckewart von Witeges Verrat, der Auslieferung Rabens an Ermrich und dem Massaker, das Ermrich unter den Frauen und Kindern von Raben veranstaltet (DF. v. 7668–7765). Dass hier triuwe und untriuwe von Gefolgsleuten, der treue Amelolt und der Verräter Witege, pointiert gegenübergestellt sind, wird durch Etzels Kommentar noch unterstrichen (DF v. 7763–7765); auch der Erzähler lenkt auf die Botenberichte als niweu bzw. starchiu mær besondere Aufmerksamkeit (bes. DF v. 5439; 7667).42

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Vgl. ebd., S. 237. Durch diese Botenberichte werden die strukturell korrespondierenden Episoden, in denen Dietrich die Frauen von Bern Amelolt und Eckewart anvertraut, die für ihn Metz und Garte zurückerobert haben (DF v. 4450–4537), bzw. Witege zum Statthalter von Raben einsetzt (DF v. 7130–7205) im nachhinein zu Kontrastszenen; dass aber Dietrich außer Witege auch Tydas und Elsan (neben dem bewährten Amelolt) zu Statthaltern in Oberitalien ernennt (DF v. 7206–7215), macht einen triuwe-untriuweGegensatz auch innerhalb der zweiten Szene deutlich und schwächt so den scharfen Kontrast zwischen den beiden Szenen ab.

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Strukturfragen

Insgesamt ist das System von Sinn und Wertung tragenden Parallelen und Kontrasten jedoch nicht an die Großstruktur gebunden. Die auf Demonstration richtigen und falschen Verhaltens abzielende Kontrastierung kann unabhängig von strukturellen Responsionen erfolgen. Parallelen und Kontraste verbinden nämlich nicht nur Szenen, die an analogen Strukturstellen stehen. Es handelt sich vielfach eher um «assoziative Umwandlung[]»,43 um ad-hoc-Korrespondenzen, nicht um präzise strukturelle Responsionen. Parallel- und Kontrastszenen markieren oft gerade keine exakten strukturellen Einschnitte – hier nur einige wenige Beispiele: Wiederholt werden Szenen des Abschieds von den Frauen gezeigt: beim Abschied vor der ersten Schlacht von Mailand (DF v. 3090–3114) und bei Dietrichs erstem Aufbruch ins Hunnenreich (DF v. 4501–4539).44 Witege steht im Zentrum von drei Episoden, die unter jeweils verschiedenen Aspekten kontrastiv oder parallel aufeinander zu beziehen sind: Er führt in I.3. (CURSCHMANN II B) mit Heime den Trupp an, der die Goldboten überfällt und gefangen nimmt (DF v. 3658–3786, bes. v. 3683); in II.2.2. (CURSCHMANN III A) gerät er selbst in einen Hinterhalt und wird gefangen (DF v. 6206–6294, 6655–6672, 7130 und ff.); in III.2.1. (CURSCHMANN III B 1) zieht die Nachricht von Witeges Verrat Dietrichs Rückkehr nach Italien nach sich (DF v. 7695–7716 und ff.).45 In zweien dieser Episoden nimmt Witege andere gefangen bzw. wird selbst gefangen genommen; in zweien führt er verhängnisvolle Aktionen durch (Gefangennahme der Goldboten, Auslieferung Rabens). In der ‹Rabenschlacht› wird diese Folge durch noch fataleres Handeln überboten, die Tötung der Helchesöhne und Diethers. Im Kleinen gibt es weitere Responsionen, die Dietrichs Verhalten gegenüber Witege – nicht eindeutig – spiegeln: Die Episode von Witeges Begnadigung und Verrat (DF v. 7130–7204, 7695–7716) ist quasi gerahmt durch zwei andere Berichte über die Rehabilitation von Abgefallenen: Voraus geht die Begnadigung der Stadt Raben (DF v. 6933–6991, bes. 6965–6991); es folgt (während Dietrichs Zug nach Italien) die der Bewohner von Pula (DF v. 8099–8195, bes. v. 8194f.). In beiden Fällen lässt sich Dietrich Geiseln stellen (wie übrigens, aus Misstrauen, auch Ermrich beim Loskauf seiner Gefangenen, DF v. 7121–7123), um sich gegen einen erneuten Verrat abzusichern. Genau das versäumt er in der zentralen Begnadigungsszene gegenüber Witege, dem er nicht nur keinerlei Sicherheiten für die Begnadigung abverlangt, sondern auch ohne Not und ohne den Rat der Gefolgsleute die Stadt Raben anvertraut und das Pferd Schemming schenkt. Freilich – und das lässt den Sinn der dreifachen Parallele verschwimmen – erlässt Dietrich sogar nach der Erfahrung mit Witeges Verrat den Bürgern von Pula ihre Geiseln (v. 8194f.), anscheinend ohne negative Folgen. (Veruneindeutigend kommt noch die Parallele hinzu, dass bei der Begnadigung der Stadt Raben wie bei der Verzeihung für Witege Rüdigers Rat für Dietrichs Entscheidung den Ausschlag gibt; vgl. S. 208f.) Die vermeintliche Eindeutigkeit von Gegenüberstellungen verschwimmt, wenn sämtliche Responsionen einbezogen werden. Wiederholt begegnen ferner kleinere Muster, auch außerhalb eines Strukturschemas. Z.B. kommt die Handlungsfolge ‹Dietrich oder ein erfahrener Held mahnt zur Vorsicht; Wolfhart drängt zum Kampf› vor den beiden Schlachten von Mailand an strukturell entsprechender Position vor (DF v. 3190–3219; 6259–6293, jeweils nach der Rückkehr der Kundschafter), aber auch an

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CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 369. Vgl. auch VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 106f. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 368f.

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Aspekte der Poetik

anderer Stelle: Bereits vor der Aussendung der Kundschafter vor der zweiten Schlacht von Mailand warnt Dietrich vor offenem Kampf, brennt Wolfhart vor Kampflust (DF v. 6116– 6137; ohne Entsprechung im Vorfeld der ersten Schlacht von Mailand). Stellvertretend für den Verräter Sibeche wird zweimal ein anderer gefangen und bestraft, im Vorfeld der Schlacht von Bologna Sibeches Sohn Saben (DF v. 8345–8379), nach ihrem Ende Ribstein (DF v. 9795–9824); zu Ende geführt wird das in der Gefangennahme Sibeches am Ende der Schlacht von Raben (RS 862,2–865,6). Derartige Wiederholungen dürften tendenziell auf verfügbare Versatzstücke zurückgehen, die bequem wiederholt einsetzbar waren. Insbesondere Wiederholungen im Wortlaut dürften, wenn es nicht um zentrale Aussagen geht, nicht auf Unterstreichung bewusst gesetzter struktureller Responsionen abzielen – der Erinnerungsund Wiedererkennungseffekt über tausende von Versen hinweg dürfte gering sein, jedenfalls bei der Masse nicht sonderlich signifikanter Entsprechungen. Die ‹Rabenschlacht› enthält zwar – von der Ereignisfolge der Fluchtepen her gesehen zum vierten Mal – die musterbildende Handlungssequenz von Exil, Rückkehrschlacht, Rückzug an den Hunnenhof. Sie bietet aber strukturell (als einfacher Durchgang durch das Schema) und thematisch (mit ihrem Fokus auf dem außerordentlichen – und daher Parallelen und Kontrasten schwer zugänglichen – Unheil des Tods der Hunnenprinzen und Diethers) wenig Ansatzpunkte für «kompositorische Exemplarik». CURSCHMANN hat für den ersten Teil, das dritte Exil (RS Str. 1–201), eine Schlachtelstruktur nachgewiesen:46 Die meisten Handlungselemente fügen sich nicht zu in sich abgeschlossenen Phasen, sondern werden ineinander geschachtelt, unterbrochen, danach wieder aufgegriffen: Beim Festmahl (RS Str. 30–35) leitet der Hunnenkönig Dietrichs Vermählung mit Herrad, bereits in ‹Dietrichs Flucht› vertraglich geregelt und daher ohne weitere Umstände umsetzbar, in die Wege (RS Str. 36). Der Hochzeit (RS Str. 81–142) gehen freilich – etwas zusammenhanglos ohne die hier nicht mehr ausdrücklich thematisierte Bindung von Etzels Hilfe an die Vermählung – die Hilfszusagen des Hunnenkönigs und seiner Gefolgsleute sowie das Heeresaufgebot voraus (RS Str. 37– 80). Noch in der Brautnacht träumt Helche den Unheilstraum, der auf den Tod ihrer Söhne vorausweist (RS Str. 123–126); insofern ist der Abschied von den Jungen (RS Str. 154–187) bereits während des Hochzeitsfestes vorweggenommen. Nach der Vermählung dauern die Festlichkeiten für sechs Wochen an (RS Str. 143–145), bis die zuvor aufgebotenen Truppen eingetroffen sind (RS Str. 146–153). In Dietrichs Aufbruch (RS Str. 146, 188–201) eingebunden sind die Bitten der Helchesöhne, die sich dem Heer anschließen wollen (RS Str. 154– 187), und damit auch ihr Abschied. Dass diese Struktur «auf dramatische Spannung angelegt[]» sei,47 ist freilich nicht nachzuvollziehen: Gerade die Vorwegnahmen machen deutlich, dass das Ergebnis vorgewusst ist, von der (wohl als bekannt vorauszusetzenden) Tradition her ebenso wie aufgrund der Erzählweise der ‹Rabenschlacht› selbst. Die Vorausdeutungen haben atmosphärische und emotionalisierende Funktion. Die Schlacht von Raben selbst entspricht einerseits der Schlacht von Bologna, die ihr nachgebildet sein dürfte: In beiden Schlachten finden sich «Padua als Durchgangsstation; der Typ der Zangenschlacht mit dem dazugehörigen nächtlichen Umgehungsmanöver; die Teichoskopie vor der Schlacht; das auf

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Vgl. ebd., S. 371. Ebd.

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Strukturfragen

Ermrichs Seite kämpfende Personal, zu dem u.a. die Burgunder gehören».48 Andererseits haben die Aufspaltung in zwei – leicht zeitversetzte – Erzählstränge (Tod der Jungen, Schlacht von Raben)49 und die eher zeichenhafte als realistische Zeitstruktur der Schlacht von Raben (vgl. S. 126f.) keine Entsprechungen in der ‹Flucht›. Auch geht dem Aufbruch zur Schlacht kein Botenbericht voran (eines über den Ausgang der letzten Schlacht hinausgehenden Auslösers von außen für den Heereszug bedarf es nicht). Trotz der Unterschiede aber hat die ‹Rabenschlacht› Anteil an den strukturellen Korrespondenzen von ‹Dietrichs Flucht›: bei der sich in ihrer Tragweite steigernden Folge fataler Aktionen Witeges (Gefangennahme der Gefolgsleute, Verrat und Auslieferung von Raben, Tötung der Helchesöhne und Diethers), bei der übergeordneten Erzählschablone des glücklosen Siegs und Rückzugs ins Exil. Dietrichs Totenklagen um seine gefallenen Gefolgsleute am Ende von ‹Dietrichs Flucht› bereiten die Totenklagen um Diether und die Prinzen in der ‹Rabenschlacht› vor; Rüdigers Vermittlerrolle am Ende der ‹Rabenschlacht› greift die entsprechende Rolle bei Dietrichs erstem Eintreffen im Exil gesteigert wieder auf. Diese Parallelen dienen aber nicht exemplarischem Erzählen, sondern ‹emotionaler› Steigerung.

b) Zur Struktur von ‹Alpharts Tod› Zu ‹Alpharts Tod› sind Aussagen nur unter Vorbehalt möglich, da der Textanfang (fol. 1, ca. 28–32 Verse pro Seite) und Passagen in der Mitte des Textes (fol. 18, ca. 28–32 Verse pro Seite; zwölf Blätter, fol. 23–34, ca. 26–32 Verse pro Seite) fehlen, ein Textbestand von je rund 56–64 Versen am Anfang und nach fol. 17 sowie von rund 624–768 Versen mit dem Ende des ungleichen Kampfs zwischen Alphart und seinen Mördern sowie dem Übergang zu Hildebrands Mission in Breisach nach fol. 22 (vgl. S. 92). Erhalten sind zwei Teile: I. Ermrichs Fehdeansage an Dietrich und Alpharts Wartritt mit dem fatalen Kampf gegen Witege und Heime (AT v. 1–1220/1,1–306,3); II. die Einholung von Hilfstruppen aus Breisach und die mit deren Unterstützung geschlagene siegreiche Schlacht (AT v. 1221–1871/307,2–469,4). Diese beiden Teile sind als Alpharts Tod und Racheschlacht für Alphart direkt aufeinander bezogen; Ermrichs Fehdeansage und Vertreibungsabsicht vom Anfang sind am Ende vereitelt. Insofern bildet sich eine doppelte strukturelle Klammer, die Rückschlüsse zulässt auf eine trotz der Lücken thematisch geschlossene Komposition. Der Erzählschablone der Fluchtepen entspricht der enthaltene Torso von ‹Alpharts Tod› nur in Teilen. Da die Handlung des Sprossepos als Alternative zum Beginn von ‹Dietrichs Flucht› (bis zum Ende der ersten Schlacht von Mailand) angelegt ist, lassen sich die Erzählstationen nicht adäquat einordnen; doch wären sie in etwa folgendermaßen auf das oben erläuterte Gliederungsmuster zu beziehen (Nummerierung analog KROPIK, vgl. oben S. 111f.):

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Ebd., S. 373 A. 25. Sonst gibt es in beiden Epen nur bei der Darstellung der beiden gegnerischen Parteien, besonders bei den beiderseitigen Schlachtvorbereitungen Ansätze zur Mehrsträngigkeit; Gleichzeitiges ist auch da narrativ als Nacheinander paralleler Vorgänge (etwa der Vorstellung der Kämpfer beider Seiten oder der Aufstellung der Heere für die Schlacht) wiedergegeben.

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Aspekte der Poetik

*I.1. Ermrichs Fehdeansage (AT v. 1–270/1,1–69,1) *I.2.1. Schlachtvorbereitungen, Alpharts Tod (AT v. 271–1220/69,2–306,3) *I.2.2. Einholung der Hilfstruppen, Schlacht von Bern (mit Ermrichs Flucht) (AT v. 1221–1871/307,2–469,4). Die strukturelle Gemeinsamkeit zwischen ‹Alpharts Tod› und den Fluchtepen betrifft in erster Linie den Rahmen: den Beginn der Fehde mit Ermrich bzw. seine Vertreibungsabsicht (*I.1.) und das Ende mit Ermrichs Flucht aus einer von Dietrich gewonnenen Schlacht (*I.2.2.). Die beiden texttypischen Handlungsfolgen dazwischen (weitere können angesichts der Blattverluste in der Handschrift fehlen) entsprechen, wenn überhaupt, strukturell anderen Positionen des Schemas von ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›: Alpharts fataler Kampf mit Witege und Heime (hier, unzureichend, *I.2.1. subsumiert) korrespondiert der Tötung der Helchesöhne und Diethers in der ‹Rabenschlacht› (IV.2.2.); die Herbeiholung der Hilfstruppen aus Breisach (*I.2.2.) hat nur vage Entsprechungen mit Einzelmotiven (etwa dem Motiv der Verkennung von Hilfstruppen in den beiden Schlachten von Mailand I.2.2. und II.2.2., DF v. 2992–3031; 5936–5939). Korrespondierende Szenen erscheinen in den Texten an unterschiedlichen Strukturstellen; Einzelmotiv und stereotype, gleichwohl in Ausgestaltung und struktureller Position variable Einzelszene sind wichtiger als Großstrukturen. Innerhalb der einzelnen Teile von ‹Alpharts Tod› sind Erzählschablonen im Kleinen, Handlungssequenzen und Szenentypen verwendet, wie sie auch (nicht nur) in den Fluchtepen begegnen: Botengang, Beratung, Hilfszusagen, Wartritt, Zweikampf (aber auch, wie beim Kampf der Jungen gegen Witege in der ‹Rabenschlacht›, Kampf zweier gegen einen), Massenschlacht, Flucht unterlegener Bösewichter und anderes; im Einzelnen (die Stellenangaben sind, wie bei denen der Fluchtepen, nicht versgenau möglich, die Übergänge nicht trennscharf): in *I.1.: (1) Aussendung Heimes als Bote nach Bern und Übermittlung der Fehdeansage an Dietrich (AT v. 1–173/1,4–44,4) – (2) Heimes Rückkehr und Bericht an Ermrich (AT v. 174–265/45,1–67,4; die Rückkehr von Heimes Geleitschutz, AT v. 266–272/68,1–69,3, leitet über zur Reaktion der Dietrichseite); in *I.2.1.: (1) Dietrichs Beratung mit seinen Gefolgsleuten, Hilfszusagen, Alpharts Vorschlag, auf Wart zu reiten (AT v. 273–465/69,4–117,4) – (2) Alpharts Ausritt und Bewährung (dreifach sich steigernd: Pferdesprung; Kampf gegen Hildebrand; Kampf gegen Herzog Wolfing und seine 80 Leute; AT v. 466–797/Str. 118–200; darin Bericht der Überlebenden vor Ermrich, AT v. 716–797/180,3–200,4; in der gleichen Beratungsszene unmittelbar anschließend Entsendung und Wappnung Witeges zum Wartritt, AT v. 798–829/Str. 201–208) – (3) Alpharts tödlicher Kampf gegen Witege und Heime (AT v. 830–1220/209,1–306,3: Ausritt Witeges, Heime folgt; Alpharts Konfrontation mit Witege, der unterliegt; Alpharts Kampf mit Witege und Heime, mit Lücke nach v. 983/247,2: Heime bringt zusammen mit Witege Alphart zu Fall; vergebliche Versuche Heimes, den Kampf zu beenden; Kampf zweier gegen einen; Verhandlungen über Einzelkampf; Fortsetzung des Kampfs gegen Alphart, zunächst nur durch Heime, dann durch beide Gegner, unterbrochen durch vergebliche Bitten Alpharts um fairen Einzelkampf, Tötung Alpharts durch Witege); in *I.2.2.: (1) Einholung und Eintreffen der Breisacher Hilfstruppen (AT v. 1221– 1647/307,2–413,4: Ankunft und Empfang Hildebrands in Breisach; Bericht von Ermrichs Vertreibungsplan und Alpharts Tod, Hilfszusagen Eckeharts, Nitgers, Walters, Ylsams, Hugs von Denmarck; Sammlung der Hilfstruppen und Aufbruch; Wartritt Hildebrands und siegrei-

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Strukturfragen

cher Kampf gegen das Heer des Studenfuß und Gere; Ankunft der Hilfstruppen in Bern mit nächtlicher Schildwacht Hildebrands, Verkennen des Heers, Kampf Wolfharts gegen Hildebrand, Begrüßung und Versöhnung Dietrichs mit Ylsam) – (2) siegreiche Schlacht vor Bern (AT v. 1648–1871/Str. 414–469: Aufmarsch von Ermrichs Truppen, Beratungen der Berner und ihrer Gegner; Kämpfe und Flucht der Bösewichter Sibeche, Ermrich, Witege, Heime nach Raben; Totenklage und -bestattung, Siegesfest und Abschied der Hilfstruppen). Zum Teil gehen die verschiedenen Abschnitte (abgesehen von der durch Blattverluste bedingten Lücke) fließend ineinander über: So ergeben sich Alpharts einsamer Wartritt aus der Beratung der Dietrichmannen nach Ermrichs Fehdeansage und die Entsendung Witeges gegen den unbekannten Dietrichhelden, die dem fatalen Kampf gegen Alphart vorangeht, als Reaktion auf den Bericht von der Niederlage der Wolfing-Truppe. Präzise Gliederungssignale gibt es nicht, keine klaren Einschnitte, keine Aventiure-Überschriften, keine eindeutig disponierenden Erzähleräußerungen. Der Erzähler greift an den Gelenkstellen zum Teil vor; bisweilen setzt er mehrfach an und kehrt zwischendurch zum vorigen Ereignis zurück. Ein besonders deutliches Beispiel für Diskontinuität erzeugende Erzähleräußerungen ist die Vorausdeutung auf Alpharts Tod mitten im Gespräch zwischen Dietrich und Heime nach der Übermittlung der Fehdeansage: Dietrich appelliert an Heime, rytters ere und druwe zu wahren (AT v. 43f./12,2f.). Darauf folgt erst die Ankündigung unheilvoller Folgen der Fehdeansage: Also der rych keyer her Dytrich weder bot, da hub sych mychel reysen, angst und not (AT v. 46f./13,1f.). Angeschlossen ist, ausdrücklich ans Publikum gerichtet und wohl assoziativ anknüpfend an die Kernbegriffe ere und druwe aus Dietrichs Appell an Heime, eine Vorausdeutung auf untruwe gegenüber Dietrich und Alphart: Der daz gerne hore, das kan ich gesagen, was großer untruwe an dem Berner wart erhaben: Wytdich und Hen, dye brachen gotes recht, [...] das man an eym jongen rytter das gots recht ye gebrach! [...] (AT v. 48–53 und ff./13,3–14,4 und ff.). Danach freilich wird die Unterredung zwischen Dietrich und Heime fortgesetzt, als sei sie nie unterbrochen gewesen: Her Dytterich wart uff Hen zorn (AT v. 61/16,4); dieser Zorn aber bezieht sich lediglich auf dessen Loyalität gegenüber Ermrich. Vorausdeutungen und Ankündigungen haben, hier noch ausgeprägter als in den Fluchtepen, statt einer Gliederungs- eine Hervorhebungsfunktion. Wie die Fluchtepen ist auch ‹Alpharts Tod› geprägt durch Wiederholungen und Responsionen. «Das Verhältnis von Doppelung und Stereotypie» in ‹Alpharts Tod› hat vor allem HANS-JOACHIM BEHR untersucht.50 «Das Stilmittel der Dublette [...] fungiert in ‹Alpharts Tod› [...] als Indikator handlungsbestimmender Textelemente, sei es zur Markierung [...], sei es zur Gegenüberstellung und Korrektur einzelner Szenen [...]. Im Vergleich zum Artusroman ist in der Heldendichtung die Einzelepisode stärker in sich abgeschlossen und damit

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BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 15–23, Zitat S. 15.

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im Aufbau invariabler», aber «durch die Lizenz zu freier Kombinierbarkeit [...] in höherem Maße ‹wiederverwertbar›, flexibler, weil repetierbar ohne entsprechende inhaltliche Vorgaben, so daß sich Bedeutung und Funktion allein aus dem Kontext bestimmen.»51 Handlungsdubletten dienen in erster Linie der Kontrastierung von unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten in vergleichbarer Situation: «mit Alphart und Hildebrand steht zweimal ein Gefolgsmann Dietrichs auf einsamem Posten [...]. Beide werden in Kämpfe verwickelt und beide verhalten sich höchst unterschiedlich»:52 Alphart strebt den Kampf an, um Anerkennung als Held zu erlangen; Hildebrand versucht, unnützen Kampf zu vermeiden. Alphart weigert sich gegenüber Heime und Witege, seine Identität preiszugeben (AT v. 886/223,1, v. 987/249,2 v. 1052–1055/265,1–4); Hildebrand rettet (im Kampf gegen Alphart) sein Leben bzw. verhindert (gegenüber Wolfhart) den Verwandtenkampf, indem er sein Incognito lüftet. Das könnte – trotz eindeutiger Sympathielenkung zugunsten Alpharts – die Angemessenheit von Alpharts Verhalten und Ehrencodex relativieren: «Handlungsdoppelungen werden in ‹Alpharts Tod› dazu benützt, Verhaltensweisen zu kontrastieren und ggf. zu korrigieren»53 (vgl. auch S. 2268). Bisweilen dienen repetitive Strukturen aber auch lediglich zur Hervorhebung und/oder als Stilmittel (vgl. S. 135–137).

c) Raum- und Zeitstrukturen Die Raumstrukturen vor allem der Fluchtepen sind, wie bereits erwähnt, aufs Engste verbunden sowohl mit einigen (nicht allen) Abschnittsgrenzen, die durch Schauplatzwechsel markiert werden, als auch mit der zentralen Erzählschablone der sich wiederholenden Folge von Gang ins Exil und vergeblichem Rückkehrversuch, die sich zugleich als räumliche Bewegung zwischen Oberitalien und dem Hunnenreich vollzieht. Lediglich in ‹Alpharts Tod› ist diese räumliche Bewegung nach Westen (Breisach) verschoben, von wo Hildebrand Hilfstruppen herbeiführt. Die Geographie der ‹historischen› Dietrichepik ist im Wesentlichen die «wirklichkeitsförmige» Geographie Oberitaliens, mithin eine «vorfindliche[] Landschaft».54 Dabei spielt es für die Wahrnehmung der Texte durch ein vermutlich nicht ortskundiges Publikum keine nennenswerte Rolle, ob Geographie und Reiserouten einigermaßen realistisch wiedergegeben sind wie in ‹Dietrichs Flucht› oder in ihrer Ungenauigkeit auf einen Verfasser ohne Ortskenntnisse zurückzugehen scheinen wie in der ‹Rabenschlacht›.55 Bekannte Namen und nachvollziehbare Modi der Raumaneignung und Streckenbewältigung binden hinreichend an die geographische Wirklichkeit. Lediglich beim verhängnisvollen Irr-Ritt der drei Jungen dürfte die auffällig-zufällige Annäherung an das Schlachtfeld nicht nur auf mangelhafte geographische Kenntnisse zurückgehen, erweisen sich die Landschaften um Bern/Verona und Raben/Ravenna, wiewohl scheinbar realistisch, als durchaus «beweglich»:56 Kaum haben die Jungen Bern verlassen, verlieren sie sich im Nebel und finden sich am anderen Morgen in der

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Ebd., S. 22. Ebd., S. 16. Ebd., S. 20. STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 237 und 238. Vgl. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 120 u.ö. STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 237.

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Strukturfragen

Nähe von Raben wieder; der Raum (gewissermaßen auch die Zeit, vgl. S. 127) ist für diese Episode der Bewegung der Protagonisten nachgeordnet; hier gilt punktuell das «übergreifende[] Prinzip[] ‹Raumregie nach Bedarf›».57 Die ‹mentale› Geographie58 der Texte geht freilich über die Schauplätze hinaus; Vorstellungen von Räumen und Raumstrukturen werden bekanntlich auch geprägt durch die Herkunft von Protagonisten (im höfischen Roman oder im ‹Nibelungenlied› auch von Luxusgütern). In den Fluchtepen betrifft dies die Herkunft der aus fernen Landen eingeholten Bräute in der genealogischen Vorgeschichte und die Herkunftsbezeichnungen der Verbündeten in den Schlachten von Bologna und Raben. Die ‹Rabenschlacht› entwirft (die Schlacht von Bologna dürfte dem folgen, in Abkehr von den fast ausschließlich ‹italienischen› Kämpfern der beiden ersten Schlachten) eine den dargestellten inneritalienischen Machtkämpfen nicht entsprechende Gegenüberstellung von (im Wesentlichen) ‹südöstlichen› Helden auf Etzels (und damit Dietrichs), nördlichen und ‹deutschen› Helden auf Ermrichs Seite.59 Diese Herkunftsräume schaffen eine Art ‹literarischer› Geographie (von «Sagengeographie» spricht in anderem Zusammenhang FRITZ PETER KNAPP60), die in alle Himmelsrichtungen ausgedehnte Heldensagenwelt. Es ist dies die typische Geographie der ‹Rosengarten›Dichtungen und des ‹Biterolf›, die eine Konfrontation der hunnisch-gotischen mit der rheinisch-nibelungischen Sagenwelt impliziert. Hinzu kommt die Anderwelt von Dietwarts Dracheninsel, auf die ein Sturm die Brautwerber verschlägt (DF v. 1536–1683), während für Ortnit durch die Entsendung der Drachen die lombardische Alltagswelt zur Drachenwelt wird, bis Wolfdietrich sie wieder von Drachen befreit (DF v. 2223–2285). Aber auch die ‹realistischen› Räume sind innertextlich semantisiert:61 Der Etzelhof (in der ‹Rabenschlacht› deutlich getrennt von Gran als dem Ort des Heeresaufgebots) ist Ort des Höfischen, aber zugleich der Hilfszusagen für künftige Kriege – der Gegensatz zum Italien der Schlachtfelder von Verona, Mailand, Padua, Ravenna ist insoweit nicht sehr scharf. Innerhalb Italiens hat die Semantisierung in erster Linie eine zeitliche, keine räumliche Dimension: Dietwarts Hof an einem unbestimmten Ort (Bern wird ausdrücklich erst von Dietmar erbaut, DF v. 2500) ist, mehr noch als der Etzels, Ort höfischer Idealität. Seit Ermrich kann aber davon die Rede nicht mehr sein: Auch Dietrichs Hof in Bern ist Ort erlittener Gefahr und sich formierenden Widerstands, wiewohl meist nicht selbst Schauplatz von Kämpfen (lediglich in ‹Alpharts Tod› findet die Schlacht vor Bern statt). «Sedimente von Geschichte»62 schlagen sich, wenn ich recht sehe, nur in ‹Alpharts Tod› nieder, wo Dietrichs Widerstand als Auflehnung gegen das rych Kaiser Ermrichs interpretiert wird (AT v. 204/52,3; vgl. S. 151f.). Der Donauraum in den Fluchtepen gehört zum Hunnenreich (wie im ‹Nibelungenlied›), als wäre die Chronologie eine völkerwanderungszeitliche; er hat also eine historische Tiefendimension. Sonst ist

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59

60 61 62

Ebd., S. 222. Vgl. u.a. ebd., S. 37 u.ö.; vgl. auch ZUMTHOR 1993 (LV Nr. 619); der Abschnitt zu den Raumstrukturen beruht streckenweise auf LIENERT 1997 (LV Nr. 414). Vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 72–76; STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 29–33, 91–98, sowie die Namenverzeichnisse von DF und RS. KNAPP 1992 (LV Nr. 372). Vgl. grundsätzlich STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 50, 53–63. Ebd., S. 45.

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eine solche aus Herkunftsangaben der Protagonisten, Herrschaftsgebieten und politischen Konstellationen nicht zu erschließen.63 Hinter der scheinbar realistischen Geographie der Oberfläche stehen auch in der ‹historischen› Dietrichepik imaginäre Raumvorstellungen. PAUL ZUMTHOR hat zwei Grundstrukturen räumlicher Erfahrung im Mittelalter kontrastiert: demeure, ‹Bleiben›, und chevauchée, ‹Unterwegssein›.64 Der Modus der demeure ist der archaischere, chevauchée der jüngere, auch literarisch, der Raummodus nämlich des höfischen Romans. In der ‹historischen› Dietrichepik dominiert (wie im ‹Nibelungenlied›) trotz raumgreifender Heereszüge und (in den Fluchtepen) lang andauernden Exils die räumliche Grundstruktur der demeure. Unterwegssein ist häufig (in der Vorgeschichte der ‹Flucht› bei Werbungsfahrten, in beiden Fluchtepen beim wiederholten Gang ins Exil, in allen drei Epen bei den Truppenbewegungen), aber es hat keinen Eigenwert. Narrativ spielen nicht Zwischenräume und kaum Reiserouten, sondern die jeweiligen Handlungszentren eine Rolle, in Oberitalien in erster Linie Bern und die verschiedenen Schlachtfelder, im Hunnenreich Etzelburg mit dem Etzelhof und Gran, wo sich in der ‹Rabenschlacht› die Hilfstruppen sammeln; in ‹Alpharts Tod› kommt Breisach hinzu. Demeure impliziert Rückkehr; räumliche Bewegungen (Brautwerbungsfahrten in der Vorgeschichte, Aufbruch zu Rückkehrschlachten in Italien, Rückzüge ins Hunnenreich im Hauptteil der ‹Flucht› und in der ‹Rabenschlacht›) streben zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Die Raumstruktur ist im Prinzip eine Struktur von Auszug und Rückkehr; aber die Versuche der Rückkehr nach Italien bleiben erfolglos. Der Grundkontrast von Ferne und Nähe spielt eine tragende Rolle, als Gegeneinander von Etzels Hunnenreich, Dietrichs Exil, und Oberitalien, Dietrichs angestammter Heimat; aber die Fronten von Heimat und Exil verwischen sich:65 Dietrichs Auszug erfolgt nur bei der Vertreibung von der oberitalienischen Heimat aus; danach wird zunehmend das Exil zum Ausgangspunkt für Auszug und Rückkehr, das so zu Dietrichs räumlichem Zentrum, quasi zu seiner (neuen) Heimat mutiert. Die serielle Abfolge von Weg ins Exil, Rückkehrschlacht, vergeblichem Sieg, erneutem Weg ins Exil ist zyklisch; wegen der nicht erfolgten Heimkehr, der Verschiebung des Fixpunkts vom eigenen Reich ins hunnische Exil ist die innere Raumstruktur der Fluchtepen freilich die eines gestörten Kreises. Der Kreis schließt sich nur in ‹Alpharts Tod›, wo Dietrich in seinem oberitalienischen Reich bleibt und die Hilfstruppen zurückkehren. Eine «vorfindliche Zeitrechnung»66 fehlt in heroischer Überlieferung. Es gibt keine chronologischen Fixierungen, keine Einordnung in chronikalische Zeitraster und Zeitabläufe (vgl. auch S. 235, 241), auch nicht in Heilsgeschichte oder Kirchenjahr. Der regional unterschiedlich zwischen dem 23. und 25. April gefeierte St. Georgstag (DF v. 358, 599), an dem Dietwarts Schwertleite stattfindet, ist die einzige Ausnahme. Georg dürfte, passend zum Festanlass, als Ritterheiliger aufgerufen sein, vielleicht bereits als Drachentöter und damit als siegreicher Kämpfer gegen das Böse (mit der ‹Legenda aurea› wird Ende des 13. Jahrhunderts die Drachentöter-Legende um Georg populär). «Zeit als Ordnungsfaktor der Erzählung»67 tritt nur im Kleinen in Erscheinung, insbesondere in der zeitlichen Darstellung der

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Vgl. aber S. 73 A. 171. Vgl. ZUMTHOR 1993 (LV Nr. 619), S. 49ff., 143ff. Vgl. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 126f. STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 237. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 181), S. 18.

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Strukturfragen

Rabenschlacht und des Geschehens um Ausritt und Tod der Hunnenprinzen und Diethers.68 Die Schlacht dauert mit ihren unmittelbaren Vorbereitungen und der auf Ermrichs Flucht folgenden Belagerung Rabens fünfzehn Tage und vierzehn Nächte (RS Str. 334–1014); auf den Auszug des Heeres folgt in kurzem zeitlichem Abstand der Ausritt der Jungen aus Bern (RS 338,1f./5f.), die, während die Heere die Schlacht erwarten, bei Raben auf Witege treffen und fallen. Die Schlachtvorbereitungen (RS Str. 334–337; 464,3–583) und die Handlung um die drei Jungen (RS Str. 338–463, mit 464,1–4 als Überleitung) laufen strikt gleichzeitig ab; dazu ist eigens ein Waffenstillstand eingeführt, der die Heere vor der Schlacht gleichsam ‹anhält›, während sich am Rande der Schlacht von allen anderen unbemerkt das Unheilsgeschehen vollzieht: Sumeliche hat des wnder, daz daz her so lange lach (RS 468,1f.); Die weil daz her mit vride lach ouf der heide wit, in der vrist dort geschach von den chinden der strit (RS 469,1–4). Zeitangaben unterstreichen das Voranschreiten der Zeit: Einen ganzen Tag lang reiten die Jungen dem Heer nach (RS 365,1f.); die Nacht bricht herein (RS 366,4–367,2); am anderen Morgen ze fr* imbiz zit (RS 371,1–3) gelangen sie auf die Heide, wo sie auf Witege treffen und bis zum Abend des gleichen Tages mit ihm kämpfen (RS 428,4f. 449,5f.). Ähnliche Zeitangaben im anderen Handlungsstrang (Dietrichs Heer reitet alle die naht, RS 584,2, liegt unz an fr* imbiz zit verborgen, RS 586,3) unterstreichen die Gleichzeitigkeit der Abläufe. «Diese beiden Handlungsstränge sind genau und zwar so synchronisiert, dass der Kampf mit Witege, der mit dem Tod der Kinder endet, im gleichen Zeitraum stattfindet, in dem sich das Heer noch eingehend auf die Schlacht vorbereitet. Das Publikum ist damit nachdrücklich darauf hingewiesen, dass, bevor nun am Morgen des dritten Tages die Schlacht beginnt, der mögliche Sieg bereits tragisch verwirkt ist.»69 Der glücklose Sieg ist in ‹Dietrichs Flucht› bei den beiden Schlachten von Mailand in eine Folge von Sieg und dessen Zunichtewerden aufgelöst; in der ‹Rabenschlacht› geht umgekehrt die Vereitelung dem in der Folge sinnlos gewordenen Sieg voraus. Im Kleinen gibt es auch eine Semantisierung der Zeit; von den üblichen «semantische[n] Stereotypen»70 werden die kleinteiligen genutzt: Der Georgstag bezeichnet als Beginn der schönen Jahreszeit stereotyp die Zeit des Fests und der Freude. Vor den und während der Schlachten bringt die Nacht (mehrfach Zeit heimlicher Überfälle) wie üblich Gefahr; doch sind die Tage nicht weniger blutig und verlustreich: das Stereotyp ist aufgebrochen. Im Großen bleiben die Zeitdimensionen weitgehend unbestimmt. Genaue Zeitangaben sind selten (das Hochzeitsfest für Dietrich und Herrad etwa und zugleich die Mobilmachung dauern sechs Wochen: RS 144,2) und stellen kein Zeitkontinuum her. Es bleibt offen, wie lange die Reisen und Kriegszüge dauern und wie lange das Exil. Nur aus einer beiläufigen Bemerkung Helches, die Dietrich ausrichten lässt, sie schätze ihn trotz der Rabenschlacht-

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Vgl. ebd., S. 17f. Ebd., S. 17; vgl. auch ders. 1976 (LV Nr. 182), S. 371f. Vgl. grundsätzlich STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 107–120.

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Aspekte der Poetik

Tragödie sam in dem ersten jare, / do ich in erste sach (RS 1098,1f.), geht hervor, dass seit Beginn des Exils viele Jahre vergangen sein müssen. Die Anachronismen, an denen die lateinische Geschichtsschreibung in erster Linie Anstoß nahm, sind typisch für heroische Überlieferung (vgl. S. 28f. und Kap. II., VI., passim). Ein homogenes Heldenzeitalter entwirft aber zumindest ‹Dietrichs Flucht› nicht (vgl. S. 244–246); der heroischen Zeit Dietrichs, Ermrichs und Etzels geht die zwar qua Genealogie an die Dietrichzeit geknüpfte, aber in sich fast geschichtslose, zeitenthobene Vorvergangenheit von Dietrichs Ahnen und Amtsvorgängern voran. Zwar werden über Generationen hinweg (biblisch) lange Lebensalter der Herrscher genannt (Dietwart und Sigher werden jeweils 400 Jahre alt, DF v. 1874, 2021; nach dem unbestimmt früh verstorbenen Ortnit erreicht Wolfdietrich wieder ein Lebensalter von 503 Jahren, DF v. 2308; Hugdietrich lebt fumfthalphundert jar, DF v. 2366, Dietmar 340 Jahre, DF v. 2511; bei Amelunch und Amelunchs anderen Söhnen entfallen die Altersangaben); doch vermittelt das nicht die Vorstellung exakt nachvollziehbarer Chronologie. Zur Unbestimmtkeit dieser Vorvergangenheit tragen die gleichförmig sich wiederholenden Verläufe in der Vorgeschichte bei (selbst der genealogische Bruch nach Ortnits Tod wird «im Text nicht als Diskontinuität inszeniert»71). Ansätze zur Reheroisierung der entheroisierten und enthistorisierten Vorgeschichte beeinträchtigen die chronologische Stimmigkeit der Zeitkonstruktion: Siegfried gehört als Ortnits Neffe Dietrichs Urgroßvater-Generation an; dennoch kämpfen seine nibelungischen Zeitgenossen in den Fluchtepen gegen Dietrich (vgl. S. 140f.). Genealogisch setzt sich die Vorgeschichte zwar fort bis zu den Akteuren der Haupthandlung; doch kommt mit Ermrich das Böse in die Welt (DF v. 3513f.; vgl. bes. S. 196, 246). Durch diesen Einschnitt teilt sich die erzählte Zeit in die (scheinbar) ideale, fast zeitlose Zeit der Vorgeschichte und die von Treulosigkeit, Gewalt und (vergeblichem) Kampf gegen das Böse geprägte Dietrich-Ermrich-Zeit; durch zeitkritische Erzählerkommentare wird die verderbte Gegenwart von Erzähler und Rezipienten als dritte Zeitebene ins Spiel gebracht (vgl. S. 157– 160, 247f.). Trotz dieser Ansätze von Unheils- und Verfallsgeschichte scheinen zyklische Zeitkonzepte zu dominieren; das Geschehen scheint sich in der Spirale von vergeblichen Rückkehrversuchen und glücklosen Siegen ergebnislos, quasi im Leerlauf, aufzuhängen. Mehrfach (nicht immer) bringt oder hält fataler Zufall diese Spirale in Gang. Durch nicht weiter motivierte unglückliche Zufälle erfährt Ermrich nach der ersten Schlacht von Mailand von der Goldtransport-Mission der Gefolgsleute (DF v. 3660: daz wart gesagt Ermriche, ohne weitere Erläuterung), treffen vor der Schlacht von Raben die drei Jungen auf Witege. Die Tötung der Jungen erscheint kontingent; nicht einmal aus einer Fortuna-Perspektive wird Sinn erzeugt; Notwendigkeit entsteht nicht auf der Ebene von göttlicher Providenz oder unbekanntunbestimmtem Schicksal,72 sondern nur auf der Ebene von Stoffzwang und Erzählschematismus: Dass die Helchesöhne fallen, ist lange vor der erhaltenen ‹Rabenschlacht› bezeugt; freilich wird das Motiv von der Schlachtteilnahme der Heldenjünglinge, deren Tod logische Folge des Kampfs ist, zum unglücklichen Zufall des Sich-Verirrens umgestaltet, Kontingenz auf diese Weise unterstrichen. Narrativ wird – vor allem mittels Vorausdeutungen, die den unglücklichen Zufall zum vorhergewussten negativen Ziel objektivieren – ein anderer Ver-

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KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 48, vgl. auch S. 49. Zusammenfassend zu den Begriffen STÖRMER-CAYSA 2007 (LV Nr. 553), S. 155f.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

lauf ausgeschlossen. Auf der Handlungsebene gibt es keine positive Zukunftsperspektive: Alle wichtigen Protagonisten bleiben ohne Nachkommen oder verlieren ihre Kinder: Dietrich und Herrad sind offenbar kinderlos. Ermrich wird, so ist angedeutet (DF v. 2460–2466), seinen eigenen Sohn in den Tod schicken, und die Haupthandlung der ‹Flucht› beginnt mit der Tötung der Harlungen (DF v. 2473–2475, 2551–2556). Helches und Etzels Söhne kommen, wie Dietrichs Bruder Diether, in der ‹Rabenschlacht› durch Witege ums Leben. Die ideale Welt der Vorgeschichte ist unwiederbringlich vergangen und selbst durch Dietrichs Wiederanknüpfen sowohl an die kämpferische Potenz als auch an das ideale Herrscherverhalten eines Dietwart nicht wieder einzuholen. Insofern kann für das Ganze der erzählten Zeit, trotz der zyklischen Komponente der Erzählschablone des wiederholten glücklosen Siegs, von zyklischer Konzeption in den Fluchtepen die Rede nicht sein. Teleologische Sinnbildungskonzepte werden ebenfalls nicht vorgeschlagen. Zukunft ist tendenziell negativ konnotiert: Selbst in ‹Alpharts Tod› könnten wegen Ermrichs Flucht Vertreibung und Exil jederzeit später stattfinden; die Fluchtepen imaginieren keine Zukunft jenseits des Exils. Ein positiver Fluchtpunkt ist nur notdürftig in den Vorausdeutungen auf Ermrichs Bestrafung (vgl. bes. S. 108f., 161f., 224f.) vorausgesetzt, aber nicht wirklich erzählt, vielmehr vor allem in der ‹Rabenschlacht› aus der Sphäre der Gewissheit in die des Wunschdenkens, der Racheschwüre und Verwünschungen überführt. Dennoch stellen diese Vorausdeutungen ein gewisses Gegengewicht dar zum negativen Zufall.

2. Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben a) Erzählschemata und repetitive Strukturen Zu den ersten Leseeindrücken gehört die Stereotypie der ‹historischen› Dietrichepen: Handlungsmuster und «Erzählschablonen»73, Abläufe von Beratungs- und Kampfszenen, selbst Formulierungen sind durch die Wiederkehr von stereotypen Versatzstücken geprägt. Zum Teil stützen Wiederholungen die Großstruktur der Texte, zum Teil sind sie unabhängig von dieser gesetzt (vgl. bes. S. 110, 114, 116f., 119f.). Durch Repetition bilden sich Erzählmuster heraus: in den Fluchtepen in erster Linie die mehrfach genannte, für Handlung, Struktur und Sinnkonstitution zentrale wiederkehrende Folge von Flucht/Gang ins Exil – Exil – Rückkehrschlacht; in ‹Rabenschlacht› und ‹Alpharts Tod› die Tötung junger Helden durch Witege; in ‹Alpharts Tod› darüber hinaus das Motiv von der Enthüllung oder Nicht-Enthüllung der Identität in gefährlichem Zweikampf. Sowohl im Fall des glücklosen Siegs wie in dem der Tötung junger Helden scheint ein Einzelfall durch Wiederholung Muster zu bilden und so ggf. auch die ‹Anlagerung› weiterer Texte zu begünstigen. Die Handlungsschemata (vor allem das des glücklosen Siegs) sind ihrerseits an Figuren- bzw. Rollenstereotype gebunden (vgl. Kap. V., passim). Neben diesen textgruppenspezifischen Mustern werden auch traditionelle Erzählschablonen verwendet, teils für Heldenepik gattungsspezifische (z.B. die verräterische Einladung), teils gattungsübergreifende (z.B. das Brautwerbungsschema). In ‹Alpharts

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VOORWINDEN/DE HAAN 1979 (LV Nr. 578), S. 1.

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Aspekte der Poetik

Tod› finden sich (an den Kontext des Ernstkampfs angepasste) Varianten des Herausforderungsschemas sowie die Racheschlacht (soweit Rache als ‹Muster› gelten kann); ‹Dietrich und Wenezlan› wird in erster Linie durch das Herausforderungsschema der aventiurehaften Dietrichepik (Herausforderung des zaudernden Dietrich zum Zweikampf) geprägt. Hinzu kommen, auf der Ebene der Mikrostrukturen, wiederkehrende Muster für die ‹alltäglichen› Abläufe heroischer Erzählung und ihre typischen Handlungsbestandteile: Auswahl, Entsendung und Empfang von Boten; Techniken der Schlachtschilderung, wie sie Antikenroman und Heldenepos kennzeichnen: Szenentypen etwa wie Wartritt und Ausspionieren des Gegners; Rüstung und Aufstellung der Heere zur Schlacht; Heldenkatalog und Teichoskopie; Überfall auf schlafende Gegner, Zangenangriff, Aristien einzelner Helden oder Zweikämpfe der großen Krieger. Musterbeispiel schlechthin für mittelalterliche Schemaliteratur74 ist bekanntlich das Brautwerbungsschema mit seinen Elementen ‹Herrscher bedarf zur Sicherung der Nachfolge einer ebenbürtigen Braut› – ‹Ratgeber raten zur Königstochter im fernen Land› – ‹Brautwerber ziehen ins ferne Land› – ‹Herrscher erlangt die Hand der Königstochter›; es begegnet in verschiedenen Varianten, insbesondere als formelle versus gefährliche Brautwerbung, Werbung durch den Bräutigam oder durch stellvertretende Brautwerber, Übergabe der Braut mit Zustimmung des Brautvaters oder Entführung gegen dessen Willen, mit oder ohne Zustimmung der betroffenen Frau. Das Schema bestimmt in mehrfacher Wiederholung vor allem die genealogische Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›.75 Diese Vorgeschichte ist, der Folge der Amtsvorgänger und Ahnen entsprechend (Dietwart, Sigher, Ortnit, Wolfdietrich, Hugdietrich, Amelunch, Amelunchs Söhne), chronologisch organisiert. Für die einzelnen Abschnitte ist das Muster der Herrschervita äußerlich insofern eingehalten, als von der Herrschaftsübernahme nach dem Tod des Vaters bzw. Vorgängers über Eheschließung und (meist) Zeugung von Nachkommen bis zum Tod erzählt wird; bei Dietwart ist ausführlich noch die Schwertleite einbezogen, bei Ortnit das Ende durch die Drachen, bei Wolfdietrich kurz die Ankunft in Ortnits Reich, bei Amelunch die dem Tod vorausgehende Herrschaftsteilung. Narrativ und strukturell prägend ist aber das Brautwerbungsschema. Freilich wird dieses nur einmal ausführlich exponiert (bei Dietwart, DF v. 1–1900, hier bes. v. 789–1872 und ff.) und danach mit nur geringer qualitativer Variation in immer stärker verkürzter, auf das Gerüst des Schemas reduzierter Form und in immer rascherem Erzähltempo wiederholt (Sigher, DF v. 1901– 2072, hier bes. 1940–2006 und ff.; Ortnit, DF v. 2093–2281, hier bes. 2121–2222 und ff.; Wolfdietrich, DF v. 2281–2325, hier bes. 2282–2289 und ff.; Hugdietrich, DF v. 2326–2380, hier bes. 2350–2365 und ff.; Amelunch, DF v. 2381–2448, hier bes. 2398–2404), in radikaler Reduktion (auf die bloße «Schwundstufe»76 der Erwähnung von Eheschließungen) bei Amelunchs Söhnen:77

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76 77

Grundlegend: SCHMIDT-CADALBERT 1985 (LV Nr. 514). Vgl. bes. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182); KELLNER 1999 (LV Nr. 351); KROPIK 2008 (LV Nr. 397). MÜLLER 2007 (LV Nr. 467), S. 364 A. 7. Vgl. z.B. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 47; BLEUMER 2007 (LV Nr. 149), S. 196. MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 297, betont die «katalogische Struktur» der Genealogie. Versgrenzen sind nicht exakt anzugeben, da schon vor dem endgültigen Ableben des Vorgängers bzw. vor den abschließenden Totenklagen auf den Sohn bzw. Nachfolger vorausgewiesen wird.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

Si namen alle drie wip und gewunnen bi den wiben kint, die arbeit liten sint (DF v. 2453–2455). Das Brautwerbungsschema ist verquickt mit dem ebenfalls in mehrfacher Wiederholung durchgespielten Motiv des Drachenkampfs, bei Dietwart, Ortnit, Wolfdietrich in jeweils sich steigernder Verdichtung der Motivverflechtung: Bei Dietwart ist der Drachenkampf nur Schema-Zitat aus dem Erzählmuster der ‹gefährlichen Brautwerbung› im Rahmen eines sonst unproblematischen dynastischen Vorgangs78 (vgl. S. 139f.); bei Ortnit handelt es sich um die kontingente Spätfolge der an sich längst erfolgreich bestandenen gefährlichen Brautwerbung; bei Wolfdietrich schließlich fallen Drachenkampf und Brautwerbung zusammen, erwirbt sich der Held Frau und Reich unmittelbar durch die Tötung des Ungeheuers: Nu was auch Wolfdietrich k*men [...] und sl*g den wurm ze tode seyt und rach den kunig Otnidt. Damit gewan er die frawen sein (DF v. 2282–2286). Durch Brautwerbung wird Genealogie begründet – und damit die Legitimationsstrategie für Dietrichs ererbte, nicht eroberte Herrschaft.79 Schon vom Schema her steht die generative Funktion der Braut im Fokus (umso ambivalenter wirken die Vielzahl von männlichen Nachkommen und deren radikale Dezimierung auf den einen Erben); die Reihe von Brautwerbungen hebt Generationen und Herrschaftsnachfolge weiter hervor. In diesem Kontext wird auch der Erweis von Herrschertauglichkeit zum Thema; auch dazu dient der Drachenkampf. Zudem geht es um das Verhältnis des Herrschers zu den Gefolgsleuten, bei Dietwart überdies um ideale Hofhaltung. Thema ist also letztlich nicht die Brautwerbung, sondern rechte Herrschaft und legitime Sukzession, und strukturell leistet das Brautwerbungsschema nur eine Binnenstrukturierung der Generationenfolge. Dennoch bleiben Thema und Struktur so wichtig, dass das Brautwerbungsschema episodisch auch in der Haupthandlung realisiert wird: in Dietrichs Verbindung mit Herrad, aufgeteilt auf ‹Dietrichs Flucht› (Vertragsschluss) und ‹Rabenschlacht› (Vollzug). Auch hier handelt es sich (zunächst) um ein Zweckbündnis, werden Gefolgsleute als Ratgeber beteiligt. Die Variation besteht äußerlich zum einen darin, dass die Verbindung aktiv durch die Verwandten der Braut in die Wege geleitet und somit tendenziell zu einer «Bräutigamserwerbung»80 wird, bei der der Held eine passive Rolle einnimmt; zum anderen wird die Zweckheirat in der ‹Rabenschlacht› punktuell umgestaltet zur Minneehe (vgl. S. 145f.). Strukturell und konzeptionell freilich greift die Kappung der genealogischen Zukunft tiefer (vgl. S. 129); Ehezweck ist und bleibt Dietrichs machtpolitische Bin-

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80

Vgl. z.B. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 360; SCHULZ 2002 (LV Nr. 526), S. 402f. Vgl. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 47f. Nach KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 225f., etabliert die fünffache Wiederholung des Brautwerbungsschemas in der Vorgeschichte darüber hinaus auch für den Hauptteil der ‹Flucht› eine Erzähltechnik, die «auf Rekapitulation berechnet ist» (S. 225). Freilich fragt sich, ob eine so universelle Form des Erzählens qua Wiederholung der Anregung durch das Brautwerbungsschema bedarf. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 133, vgl. auch S. 139f.

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Aspekte der Poetik

dung an das hunnische Königshaus mit der daraus resultierenden Unterstützung für den Berner; von Nachkommenschaft und Erbfolge ist nicht die Rede. Dem heldenepischen Schema der ‹verräterischen Einladung› in Verbindung mit charakteristischen Rollenstereotypen folgt der Anfang des Hauptteils von ‹Dietrichs Flucht›: Der böse Ratgeber Sibeche rät, der Verwandtenfeind Ermrich greift zum Mittel der verräterischen Einladung; im Falle der Harlungen gelingt, im Falle Dietrichs misslingt der Anschlag, vor allem dank der Warnung, die Dietrich anders als seinen Vettern zuteil wird. Variiert ist die Ausführlichkeit, mit der das Schema ausgestaltet wird; anders als bei den Variationen über das Brautwerbungsschema geht hier die ‹Schwundstufe›, die bloße Andeutung einer verräterischen Einladung voran: Da er in tach het gegeben, da schiet er si von dem leben und zoch sich z* ir lande (DF v. 2554–2556). Zum wiederkehrenden Muster wird die verräterische Einladung nicht ausgestaltet; voll ausgebildet begegnet es nur, als Ermrich Dietrich unter einem Vorwand zu sich lädt, um ihn zu beseitigen. Gleichwohl wird die Schemawiederholung dadurch unterstrichen, dass die Einladung an Dietrich explizit an die Geschichte der Harlungen anschließt: Ermrich gibt vor, er wolle zur Buße für die Tötung der Harlungen auf Kreuzzug ziehen und Dietrich solle währenddessen sein Reich verwalten (so Sibeches Rat, DF v. 2609–2629). Insofern trägt das Muster prinzipiell die Warnung schon in sich. Die narrativen Möglichkeiten dieser Konstruktion werden freilich nicht genutzt: Dass die Durchsichtigkeit der Wiederholung unmittelbar Erkenntnis auslöst, ist schon deswegen nicht möglich, weil Randolt seine Botschaft nicht wörtlich ausrichtet, die Harlungen gar nicht mehr zur Sprache bringt, sondern nur die Vorladung als solche erwähnt und die ausdrückliche Warnung gleich anschließt (DF v. 2769– 2794). Das Wissen um Ermrichs böse Absichten führt zudem nicht etwa zu heroischem Insistieren auf der Gefahr, sondern zu pragmatischen Reaktionen (vgl. S. 187). Das Herausforderungsschema ist, das hat JOACHIM HEINZLE81 herausgestellt, eine der beiden die aventiurehafte Dietrichepik konstituierenden Erzählschablonen, mit einer aktiven Variante (Dietrich fordert einen Gegner heraus, so im ‹Laurin›) und – häufiger – einer passiven (Dietrich wird herausgefordert, so u.a. im ‹Eckenlied›, ‹Rosengarten›, auch in ‹Dietrich und Wenezlan›). In der Grundkonstellation von Krieg und Völkerschlachten in den Fluchtepen und in ‹Alpharts Tod› spielt das tendenziell auf Zweikampf abgestellte Schema der Herausforderung keine zentrale Rolle. Dass Ermrichs Botschaft in ‹Dietrichs Flucht› den Konflikt auslöst, könnte als an den Kontext des Ernstkampfs angepasste Variation des Herausforderungsschemas verstanden werden; freilich trägt das wenig zur Erkenntnis bei, nivelliert es doch signifikante Unterschiede: Die verräterische Einladung ersetzt gerade die offene Herausforderung. Eine solche liegt freilich in ‹Alpharts Tod› mit Ermrichs ausdrücklichem Verlangen nach Unterwerfung Dietrichs vor. Im Gegenzug stellt in gewisser Weise Alpharts Wartritt eine Provokation gegnerischer Krieger zum Kampf dar, und die Reizreden im Vorfeld der Kampfbegegnungen (vor allem die Schelte des Verräters Witege durch Alphart, AT v. 846–914/213,1–230,1) verstärken diese Komponente. Allerdings bilden Wartritt und Reizreden im Vorfeld und Verlauf von Einzelkämpfen Muster sui generis; auch hier birgt die

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HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 186–188 u.ö.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

Zuordnung zum Herausforderungsschema die Gefahr der Nivellierung. Dass Hildebrand bei seinen Wartritten meist nicht nur selbst nicht herausfordert, sondern auch einem Herausgefordertwerden nach Möglichkeit ausweicht, lenkt den Blick im Fall Alpharts andererseits doch auf den Aspekt der Herausforderung, freilich im Sinn einer Motivationsstruktur, nicht einer Erzählschablone. In den Fluchtepen spielt die aktive Variante des Herausforderungsschemas fast keine Rolle: Zur Konstruktion eines bellum iustum gehört der Defensivkrieg, in dem Dietrich lediglich reagiert. Hinzu kommt, dass in den Kriegen Kriegslisten, Massenschlachten und Aristien einzelner Helden, die ihre Gegner reihenweise abschlachten, eine größere Rolle spielen als Zweikämpfe, und auch diese bahnen sich meist aus dem Schlachtgetümmel heraus ohne Herausforderung an: Siegfried und Dietrich, um den prominentesten Zweikampf zu nennen, reiten in der ‹Rabenschlacht› an der Spitze vielköpfiger Scharen gegeneinander (RS Str. 635–646), und Siegfried greift Dietrich als Vorkämpfer der Seinen umstandslos ohne verbales Vorgeplänkel an (RS 646,6). Vereinzelt kommen allerdings ausdrückliche Herausforderungen vor, so insbesondere die Wates an Dietleib (DF v. 3924–3971, 6707–6797), wo der daraus folgende Zweikampf erst viel später stattfindet, am Ende der zweiten Schlacht von Mailand (hier schlägt das Herausforderungsschema eine Brücke zwischen weit entfernten, einander nicht korrespondierenden Positionen der Großstruktur – I.3., II.2.2. –, läuft dieser also entgegen). ‹Rache›, eher Motivation als Erzählmuster, kann als solches allenfalls insofern gelten, als sie strukturell wirksam wird. Das ist innerhalb der ‹historischen› Dietrichepik nur in ‹Alpharts Tod› der Fall, wo die Schlacht des zweiten Teils, wie bereits erläutert, primär als Rache für Alphart motiviert ist. Trotz der genannten Einschränkungen wird hier Kriegsgeschehen immerhin partiell in zwei traditionelle Schemata der Heldendichtung eingebunden: Herausforderung (auf die Kämpfe folgen) und Rachehandlung (als die die Schlacht begriffen werden kann). Insgesamt werden überkommene Schemata durchaus produktiv genutzt. Von ‹Alpharts Tod› (teilweise) abgesehen, stellen die traditionellen Erzählschablonen freilich nur ein zusätzliches Mittel der Vertextung dar. Primär organisieren sich die Fluchtepen (und teilweise auch ‹Alpharts Tod›) nach einem ihnen zwar nicht ausschließlich, aber wesentlich eigenen und, nach allem, was zu schließen ist, in ihnen selbst ausgeprägten Erzählmuster. Heroische Überlieferung kennt früh die Grundmuster des Triumphs in der Niederlage und des glücklosen Siegs (vgl. S. 30).82 Letzteres heftet sich früh an die Dietrichsage und ihre Sprossfabeln (soweit man aus der nordischen Parallelüberlieferung Hildebrands Sieg interpolieren darf, bereits im althochdeutschen ‹Hildebrandslied›). Schon im ‹Nibelungenlied› überwindet Dietrich Gunther und Hagen; der Verlust seiner Gefolgsleute bleibt jedoch unwiederbringlich, und das Leben der beiden Burgunden kann er nicht retten; seine Tränen bezeugen die Vergeblichkeit seines Siegs. Strukturell wirksam wird das Deutungsmuster aber erst in den Fluchtepen: Die ‹Rabenschlacht› erzählt die – vom Einzeltext her gesehen – einmalige Handlungsfolge von Rückkehrschlacht, glücklosem Sieg und Rückzug ins Exil; die Deutungsperspektive wird narrativ umgesetzt zur Handlungsfolge. Durch die mehrfache Wiederholung der gleichen Sequenz in ‹Dietrichs Flucht› (vgl. bes. S. 71, 75, 110f. u.ö.) wird sie als Erzählschablone und Deutungsmuster zum Grundbaustein für die ganze Textreihe. Variiert wird das Schema durch wechselnde Erklärungen für den Umschlag von Sieg in Niederlage: die Er-

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Vgl. HAUG 1971 (LV Nr. 277).

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Aspekte der Poetik

pressung Ermrichs mit den gefangenen Dietrichmannen nach der ersten Schlacht von Mailand; den Verrat Witeges nach der ersten Rückkehrschlacht; den fatalen Zufall der Begegnung der Helchesöhne und Diethers mit Witege nach der Schlacht von Raben; lediglich nach der zweiten Rückkehrschlacht (bei Bologna) entfällt die Vereitelung des Siegs, der von vornherein als Teilsieg und damit auf Fortführung des Krieges hin angelegt war. Wie die Variationen trotz zum Teil nicht unerheblicher Abweichungen quasi in den Sog des Schemas geraten, wurde bereits erläutert (vgl. S. 113f.). Auch vorgegebene Rollenstereotype werden bekanntlich der Doppelung (ggf. auch Vervielfachung) unterworfen und insofern strukturell wirksam: Ermrich erweist sich mehrfach als Verwandtenfeind (gegenüber dem eigenen Sohn, den Harlungen, Dietrich) und als Feind der eigenen Gefolgsleute wie der Zivilbevölkerung (nach der ersten Schlacht von Mailand weigert er sich, Gefangene auszutauschen, nach der zweiten Schlacht von Mailand löst er seine Gefolgsleute nur widerwillig aus; bei Dietrichs erstem Gang ins Exil droht er den für den Neffen bittenden Frauen von Bern mit Schändung, nach Witeges Verrat lässt er Frauen und Kinder von Raben niedermetzeln). Die Rolle des bösen Ratgebers wird gedoppelt: zu Sibeche gesellt sich Ribstein. Witeges Rolle als Töter junger Helden in der RabenschlachtTradition wird auf Alphart als Opfer ausgeweitet und in Heime ebenfalls gedoppelt. Hinzu kommen auf einer niedrigeren Ebene Handlungsschablonen im Kleinen; bestimmte Szenentypen gehorchen sehr weitgehend feststehenden Abläufen und werden teilweise mit nur wenig variierten Formulierungen erzählt. Hierzu zählen in erster Linie wiederkehrende Abläufe rekurrenter Szenen (Beratung; Botenentsendung, Botenempfang und Überbringen einer Botschaft;83 Abschied, vor allem von Frauen; insbesondere aber die Szenen in und im Umfeld einer Schlacht: Erkundungs- und Spähritt, Kampfbegegnung während des Wartritts, Beratung, Aufstellung der Heere, Ermunterungsreden, nächtlicher Überfall, Schar- und Zweikämpfe, Flucht und Verfolgung, Totenbestattung und Totenklagen).84 Dazu zählt im Kleinen auch der Heldenkatalog, in der Regel makrostrukturell entweder mit der Aufstellung der Heere beider Seiten oder mit Hilfszusagen der Verbündeten verbunden. Schiffs-, Verbündeten- und Heldenkataloge gehören weltliterarisch zu den charakteristischen Stilmitteln vor allem des Epos, von Homer bis zum ‹Rolandslied›. Wissensvermittlung – der traditionelle Aspekt des kulturellen Gedächtnisses – spielt in den mittelalterlichen verschriftlichten Heldenepen freilich nicht mehr die entscheidende Rolle: «Von den 101 Personennamen, die im Buch von Bern nur in Katalogen auftauchen, finden sich 34 nur dort und nirgends sonst in der deutschen Heldendichtung.»85 Offenbar kommt es nicht in erster Linie auf Wiedererkennungseffekte an, sondern auf den Gestus feierlichen Heraufbeschwörens von Namen, der in erster Linie im öffentlichen Vortrag wirkt.86 Die acht Heldenkataloge in der ‹Rabenschlacht› beanspruchen nach HOMANN 128 Strophen, 11,2 % des Textbestandes; in ‹Dietrichs Flucht› gibt es 21 Namenslisten (16 davon Personenverzeichnisse),87 über die Texte verteilt, mit Schwerpunkt bei den großen Schlachten. In der Regel handelt es sich um Aufzählungen von Schlachtteilnehmern, Verbündeten, Gegnern, Kämpferpaarungen, Überlebenden, Gefallenen, Gefangenen.88 Kataloge dienen unter anderem – wie die Auflösung von Schlachten in Zweikämpfe und von

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Vgl. EGBERTS 1972 (LV Nr. 206). Vgl. bereits VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 202–205. HOMANN 1977 (LV Nr. 338), S. 418. Vgl. ebd., S. 417. Stellen und Statistik ebd., S. 419. Vgl. ebd., S. 419f.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

Gesprächsszenen in einzelne Dialoge oder Monologe – der erzähltechnischen Bewältigung «gleichzeitiger Vielheit».89 Kennzeichnend sind die hochgradige Stereotypie der Aufbauschemata und die formelhafte sprachliche Gestaltung (zur Namensnennung gesellen sich allenfalls schematische Herkunftsangaben sowie stereotype Anreden und Epitheta; immer wieder erscheinen «an metrisch analogen Stellen des Verses» identische oder fast identische Formulierungen, Zusammenstellungen bestimmter Heldennamen und bestimmte Reime90). Innere Unstimmigkeiten und logische Widersprüche begegnen nicht selten: Dietrich werden z.B. durch Volchnant nicht nur prospektive Unterstützer, sondern auch seine eigenen Helden aufgezählt, die er schon kennt (DF v. 5848–5869) – ein Beleg dafür, dass die Kataloge in erster Linie ans Publikum gesprochen sind;91 Zahlen von Gefallenen stimmen nicht; Kämpfer erscheinen als Verbündete einmal der einen, dann der anderen Seite (vgl. S. 174, 176 u.ö.).92 Als «Elemente mündlicher Dichtung»93 sind die Kataloge gleichwohl nicht zu erweisen: Der Gestus der Mündlichkeit kann leicht nachgeahmt werden. Auch in Schriftliteratur sind Widersprüche und Unstimmigkeiten nicht auszuschließen. Etliche Namen sind aus heroischer Tradition nicht bekannt und wahrscheinlich aus schriftlichen Traditionen bezogen oder ad hoc gebildet (was ein gebrochenes Verhältnis zur kollektiven Memoria andeutet). Nicht selten werden einzelne traditionelle Namen verwendet, aber «mit anderen Herkunftsnamen»; die Zusammenstellung beruht «nicht auf mündlich tradiertem Erzählgut».94 Ferner werden «dieselben Katalogtechniken» verwendet wie in deutschen Chansons de geste.95

Kataloge – ursprünglich eine Technik mündlichen Erzählens – dürften als prototypische Versatzstücke gelten, wie sie stereotyp – und manchmal unbekümmert um den konkreten Erzählzusammenhang – in bestimmten Geschehenskonstellationen verwendet wurden. Repetitive Strukturen dienen vor allem in ‹Alpharts Tod› gelegentlich auch nur der Hervorhebung: Alphart verweigert zweimal die Nennung seines Namens (AT v. 886/223,1; v. 1052–1055/265,1–4). Heime muss sich vor Dietrich zweimal wegen seines Dienstes für Ermrich rechtfertigen (AT v. 21–45/6,4–12,4; v. 62–69/17,1–18,4), zweimal weist er Dietrichs Meinung zurück, er hätte den Dienst quittieren können (AT v. 70–85/19,1–22,4; v. 86– 93/23,1–24,4), zweimal gibt er die Größe des gegnerischen Heers an (AT v. 77/21,1; v. 110/29,1), zweimal bittet er um freies Geleit (AT v. 134–137/35,1–4; v. 142f./37,1f.); das unterstreiche «Heimes frühere[n] Vasallenstatus am Berner Hof».96 Dabei fragt sich, was bewusste Doppelung ist und was Redundanz; über weite Strecken wirkt ‹Alpharts Tod› wie eine Rohfassung, deren endgültige Überarbeitung ausgeblieben ist. Bereits die Eingangsunterredung zwischen Dietrich und Heime weckt Zweifel an der Intentionalität der Doppelungen: Wieso sollte Heimes feste Überzeugung, angesichts seiner Dienstbindung an Ermrich nicht anders handeln zu können, so herausgestellt werden, wenn der Überläufer vom ersten längeren Erzählerkommentar an (AT v. 50–60/13,4–16,3) als Rechtsbrecher und Bösewicht dargestellt, die Ambiguisierung narrativ gar nicht genutzt wird? Die Umkehr von Heimes Begleitern Amelolt und Nere und Heimes Rapport bei Ermrich, die zweimal erzählt werden

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93 94 95 96

Ebd., S. 422. Vgl. ebd., S. 424–431, Zitat S. 430. Vgl. ebd., S. 423. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 96f., vgl. auch S. 30–32 zur (gewollten) Ungenauigkeit der Namengebung der ‹Rabenschlacht›. HOMANN 1977 (LV Nr. 338), S. 434. MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 299. MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 306. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 20.

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Aspekte der Poetik

(AT v. 182–210/47,1–51,4; v. 220–249/56,3–63,4 und ff.; zwischengeschaltet sind des Kaisers Frage nach geeigneten Kundschaftern und der Ausritt der Wolfing-Schar), sind keineswegs Schlüsselszenen, die besonders hervorzuheben wären; allerdings kann auch von bloßer Wiederholung insofern nicht die Rede sein, als die zweite Durchführung des Botenberichts Heimes Warnung vor Dietrichs Tapferkeit und den Tadel des Gefolgsmanns gegenüber dem Kaiser ausführlicher und deutlicher hervorhebt. Der Wiederholung ganzer Szenensequenzen freilich hätte es dazu nicht bedurft; sie schwächt den Effekt von Heimes Kritik eher ab. In ähnlicher Weise wird auch Dietrichs Beratung mit seinen Gefolgsleuten zweimal wiederholt (AT v. 273–281/69,4–71,4; v. 316–321/80,3–81,4; zwischengeschaltet ist ein Katalog der versammelten Dietrichhelden): Dietrich tritt vor seine Helden (das wird sogar dreimal gesagt: AT v. 273/69,4; v. 282/72,1 [hier als Einleitung zum Heldenkatalog]; v. 316/80,3) und berichtet von Ermrichs Ansinnen, das er beim ersten Bericht sagenmäßig (und im Widerspruch zum sonst Erzählten, soweit erhalten) als von Sibeche angestifteten Anschlag auf sein Leben interpretiert, bei der Wiederholung als Vertreibungsabsicht. Hier mag die Doppelung verschiedene Schichten des Verständnisses anzeigen (vgl. S. 151f.). Ob eine Wiederholung funktional ist oder nicht (beides kommt vor, ohne dass eine Regularität zu greifen wäre), muss jeweils für den Einzelfall erörtert werden. Manchmal werden nicht ganze Szenen (oder Teile von Szenen) wiederholt, sondern lediglich Formulierungen; ich greife nur wenige Beispiele heraus: Zu Beginn der Konfrontation zwischen Witege und Alphart, nachdem Alphart dem Gegner Treulosigkeit vorgeworfen hat, stehen in relativ dichter Folge zweimal die Verse Da sprach Wytdich: «Das wer myr harte leyt und must mych umber ruwen, wo man das von myr seyt. By allen mynen zyden, in myn kyntlichen tagen han ich in stormen und in stryden den pryß nach rytterlich getragen.» (AT v. 878–881/Str. 221; vgl. v. 894–897/Str. 225). Die Versuchung, als Editor einzugreifen, ist groß (MARTIN streicht die erste Stelle; als Reaktion auf Alpharts Schelte, die Witege als Beleidigung empfindet, passt dessen Aussage dort allerdings besser als bei der zweiten Stelle, der Antwort auf Alpharts Weigerung, seinen Namen preiszugeben). Freilich ist Witeges Rede affektiv besetzt, und als affektive Steigerung, Ausdruck zunehmender Erregung und Verärgerung ist die Wiederholung im Herausforderungsdialog sinnvoll. (Nur) in einem Fall deutet der Text selbst an, dass die Wiederholung absichtlich gesetzt ist (die Strophengliederung ist kein Gegenargument; der Schreiber hat sie nicht mehr gesehen, und ohne Streichungen ist sie nicht herzustellen): Alphart dringt wiederholt darauf, dass Witege und Heime ihn einzeln angreifen, um nicht gegen ritterliche Ehre (AT v. 1098/276,3) und gots recht (AT v. 1115/280,2) zu verstoßen. Heimes Reaktion auf zwei aufeinander folgende Mahnungen Alpharts ist zweimal fast mit den gleichen Worten wiedergegeben: «Horstu das, geselle Wytdich?», sprach Hen der degen unvertzeyt. «Das ich dych beden wel, er hat uns war geseyt, du salt von myr entwichen, ich wel ine alleyn bestan.»

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

«Uwe», sprach Wytdich, «du erkennest nit recht den man!» (AT v. 1106–1109/Str. 278);97 nach erneutem Drängen Alpharts nochmals: Da sprach der helt Hen, der degen unvertzeyt: «Horste du das, gesel Wytdich? Er hat uns a b e r war geseyt. Du salt von myr entwichen, ich wel in allein bestan.» «Uwe, neyn!», sprach Wytdich, «du kenst nit recht den man [...]» (AT v. 1118–1121/Str. 281; Hervorhebung E.L.). Hier deutet das aber (AT v. 1119/281,2) auf absichtliche Wiederholung. So wie Alphart seine Position immer wieder vorbringt, reagieren auch die Gegner stereotyp. Unabhängig von möglicher Funktionalität freilich gehören Wiederholungen auch in den Formulierungen zu den Stilmitteln des Textes; Vorwürfe Alpharts an seine Gegner, die typische Befindlichkeit eines in Kampfhitze geratenden Helden, Worte, mit denen sich Alphart zum Kampf stellt, sind in verschiedenen Episoden gleich oder ähnlich formuliert: «[...] der großen ungenoden», sprach der rytter gut, «dye yr unverschulter dynge dem edeln fogt von Bern dut» (AT v. 528f./133,3f.; vgl. v. 968f./243,3f.); [...] Dem hylten, dem was heyß, das im uff der heyde grune dorch dye ringe trang der sweyß (AT v. 680f./171,3f.; vgl. v. 832f./209,3f., v. 1090f./274,3f.); Da sprach uß fryem mude Alpart der jonge degen: «Wem got des heyls gonne, der leb, die wil er gemag leben.» (AT v. 902f./227,1f.; vgl. v. 1060f./267,1f.). Diese Wiederholungen liegen auf anderer Ebene: Sie folgen nicht eng aufeinander, fallen daher wohl nicht als Responsionen auf und können insofern schwerlich der Hervorhebung dienen. Für wiederkehrende stereotype Situationen stehen anscheinend vorgeprägte Formulierungen zur Verfügung. Handlungsschablonen und Sprachformeln sind nicht notwendig Kennzeichen nur der Mündlichkeit;98 Mündlichkeit kann auch fingiert werden; Formelhaftigkeit und erzähllogische Unstimmigkeiten sind «wahrscheinlich Stilphänomene».99 Im Falle der Fluchtepen (mehr noch als bei ‹Alpharts Tod›) schließen eine vorwiegend buchepische, sonst lediglich auf Vortragsmündlichkeit bezogene Erzählerrolle und eine vergleichsweise komplexe Intertextualität (vgl. S. 172–191) Bezüge zu lebendiger konzeptioneller Mündlichkeit weitgehend aus. Handlungsschablonen auf der Ebene der Makro- und der Mikrostrukturen, festgefügte Szenen und wiederkehrende, ‹formelhafte› Formulierungen sind in der Schriftlichkeit zu (gattungstypischen) Versatzstücken geworden.

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ZIMMER 1972 (LV Nr. 614) und MARTIN 1866 (LV Nr. 6) streichen in Str. 278 v. 1108f., um die gedachten Strophenanfänge wieder mit den vorgesehenen Initialen der Handschrift in Einklang zu bringen. Vgl. etwa SCHAEFER 1994 (LV Nr. 508); HAUG 1994 (LV Nr. 287). STEIN 1981 (LV Nr. 549), S. 49.

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Aspekte der Poetik

b) Probleme der Erzählkohärenz Neben Redundanzen und Wiederholungen fallen vor allem Widersprüche auf, Lücken oder umgekehrt Doppel- und Übercodierung der Motivation, Mangel an Erzählkohärenz. Widersprüche reichen von Unstimmigkeiten im Kleinen (wenn etwa die Herkunftsbezeichnungen von Helden sich ändern oder Krieger abwechselnd unterschiedlichen Parteien zugeordnet werden100) bis hin zum Nebeneinander unterschiedlicher Motivationen (etwa der Mehrfachmotivierung für das Ausreiten der drei Jungen in der ‹Rabenschlacht›).101 Nicht alle vermeintlichen Inkonsistenzen sind tatsächlich Brüche – vieles lässt sich aus der Alterität der Motivationsstrukturen vormodernen Erzählens (und vormoderner Mentalitäten) begreifen, anderes aus der Eigendynamik von Sagenzügen, literarischen Schemata und Rollenstereotypen, die nicht mit den Maßstäben kausaler oder psychologischer Stimmigkeit gemessen werden dürfen; aber auch nicht alles geht bruchlos auf. Ich beschränke mich auf einige (teils bereits erwähnte) signifikante Beispiele, die freilich auf unterschiedlichen Ebenen liegen; es sind dies (in der Ereignisreihenfolge der Fluchtepen, danach in ‹Alpharts Tod›): 1. Dietwarts nicht-funktionaler Drachenkampf in der genealogischen Vorgeschichte der ‹Flucht›; 2. der

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Vgl. z.B. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 30–32. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 9–16, 98–101, führt Widersprüche unterschiedlichen Gewichts detailliert auf; hier nur einige (plausible) Beispiele: Dietleib ist Dietrichs Lehensmann, begegnet aber in Gran als Gefolgsmann der Helche (DF v. 3640, 4685 u.ö., vgl. S. 193f.). Alphart fällt zweimal (DF v. 9508, 9681; vgl. S. 12). (Kaum als Widerspruch zu werten sein dürfte dagegen der Übergang von Personenrede in Erzählerrede, etwa im Katalog der Ermrich-Verbündeten vor der Schlacht von Raben, RS Str. 475–498, der 475,6–477,4 Hildebrand, ab 477,5 dem Erzähler in den Mund gelegt ist.) Ankündigungen und Ausführung widersprechen sich bisweilen (der Zweikampf zwischen Wate und Dietleib soll in sechs Wochen stattfinden, ergibt sich aber erst viele Monate später, DF v. 3966– 3968, 6702–6798; vor Padua will Hildebrand herausfinden, wer Befehlshaber in der Stadt ist, dann aber reitet Dietrich selbst dorthin, RS Str. 217f.). Heldenkataloge und tatsächliche Situation sind nicht immer aneinander angepasst (die Einteilung der Scharen RS Str. 556–562 entspricht nicht der vorangehenden Aufzählung der Helden). Bei der Schlacht von Raben hält der Erzähler die Schilderung des Zangenangriffs nicht genau ein, sondern springt unvermittelt von der Heeresabteilung Helpfrichs zu Wolfhart (RS 600,6), der aber zu der (zurückgebliebenen) Heeresabteilung Dietrichs gehört, was erst RS 613,5–614,6 klar wird. (Als Wiedergabe unübersichtlichen Schlachtengetümmels plausibel ist dagegen die manchmal etwas verworrene Schilderung der Schlacht selbst.) Eingeleitete Handlungssequenzen laufen gelegentlich ins Leere (so bittet Helche nach ihrem Unheilstraum Bloedel, Rüdiger zu holen, was dieser auch tut; doch verläuft die Handlung im Sande, RS Str. 127– 133 und ff.; vgl. auch S. 209). Rüdiger berichtet Helche vom Tod ihrer Söhne, wird während des darauf folgenden Gesprächs zwischen dem Königspaar aber offenbar vergessen und stößt (obgleich eigentlich anwesend) später dazu (RS Str. 1100–1103). Dass Elsan im Fall der Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht mit dem Tod büßen muss, droht Dietrich an (RS Str. 290f.); die Ausführung dieser Drohung wird aber nicht erzählt, nur von Rüdiger berichtet (Str. 1118f.). Rienolt war an der Tötung der Jungen nicht beteiligt und taucht mitten während Witeges Verfolgung durch Dietrich wie aus dem Nichts auf (RS 929,6); Rüdigers Bericht an Etzel weicht davon wiederum ab (Str. 1122, 1129) (vgl. S. 151). Bei der Motivation des fatalen Ausritts der jungen Prinzen konkurrieren unfreiwilliges Verirren und absichtliches Nachreiten (vgl. S. 148–150). Vorausdeutungen laufen bisweilen ins Leere, z.B. dass Dietrich Herrad traurig wiedersehen werde (RS 189,6), wo doch das Wiedersehen nie erzählt wird; dies dürfte freilich damit zusammenhängen, dass hier Vorausdeutungen eine Unheilsatmosphäre erzeugen sollen und nicht unbedingt auf konkrete Ereignisse verweisen.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

Tod im Paradies, die Dezimierung der Nachkommen der Vorzeitkönige; 3. nibelungische Zeitunstimmigkeiten zwischen Vorgeschichte und Hauptteil; 4. die widersprüchliche Einführung Dietrichs als sagenbekannter Held und unerfahrener Jüngling am Anfang von ‹Dietrichs Flucht› wie in Dietrichs Position am Hunnenhof; 5. die zweite Volchnant-Episode in ‹Dietrichs Flucht›; 6. die ‹unlogische› Kombination von Schlachtsieg und Gang ins Exil; 7. Unstimmigkeiten in den Heldenkatalogen; 8. die unterschiedliche Ausgestaltung der Vermählung von Dietrich und Herrad in ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht›; 9. Widersprüche in der Helcherolle und im Verhältnis zwischen Etzel und Helche; 10. die Mehrfachmotivation für das Ausreiten der Helchesöhne und Diethers in der ‹Rabenschlacht› und, damit verbunden, die Widersprüche zwischen den Berichten des Erzählers und Rüdigers; 11. die doppelte Motivierung von Ermrichs Fehdeansage in ‹Alpharts Tod› zwischen Empörer-geste und Sibeche-Sage; 12. Alpharts vermeintlich unmotivierte Weigerung, sich kenntlich zu machen. ad 1. Dietwarts Brautwerbung folgt der Schemavariation der offiziellen Werbung durch Werbungshelfer mit Einverständnis des Brautvaters (der freilich seine Zustimmung von der Anwesenheit des Bräutigams abhängig macht; DF v. 1309–1313). Da verschlägt ein Sturm Dietwart und seine Leute auf eine Insel, wo der König unter Lebensgefahr einen Drachen tötet (DF v. 1536–1683); anschließend geht die Brautfahrt wie verabredet weiter. Der Drachenkampf wirkt retardierend, syntagmatisch unfunktional (mit dem Brauterwerb hat er nichts zu tun); lediglich die Spannung steigt, ob der Bräutigam trotz der Verzögerung rechtzeitig ankommen wird. Paradigmatisch aber hat die Episode verschiedene Funktionen, erzähltechnisch wie konzeptionell, und ist damit eben kein bloßes «Versatzstück»:102 Das Brautwerbungsschema wird um die Variante ‹gefährliche Brautwerbung› ergänzt.103 Der König demonstriert Fürsorge für die Seinen und Heldenqualitäten (indem er ausdrücklich alleine gegen das Untier antritt: DF v. 1652–1654), Teilaspekte der propagierten Herrscheridealität. Der Drachenkampf zeigt darüber hinaus an, dass auch die scheinbar unangefochtene Idealität der Vorgeschichte zu ihrer Stabilisierung heroischer Qualitäten bedarf. Noch freilich ist das im Drachen verkörperte Böse in einer Anderwelt am Rand von Dietwarts höfischer Welt situiert und kann vergleichsweise einfach durch einen einmaligen Akt heroisch-rettender Gewalt aus der Welt geschafft werden. Insoweit deutet das Motiv voraus auf Ortnits und Wolfdietrichs Begegnungen mit Drachen (DF v. 2223–2297): Da folgt die Bedrohung durch Drachen aus einer wirklich gefährlichen Brautwerbung; die Gefahr reicht bis ins Heimatland hinein und kostet den König das Leben; erst Wolfdietrich wird der Bedrohung Herr und qualifiziert sich als Drachentöter zum Herrschaftsnachfolger. Das in den Drachen verkörperte Böse kommt immer näher und ist immer mühsamer zu bewältigen. Nahe liegt, die Verkörperung des Bösen in Ermrich als eine in kriegeradlige Alltagswirklichkeit übersetzte ‹Fortsetzung› der Bedrohung durch Drachen zu interpretieren – eine Inkarnation des Bösen, der nicht mehr so leicht Herr zu werden ist. Dietrich von Bern ist in der aventiurehaften Dietrichüberlieferung auch als Drachenkämpfer belegt (wenngleich die Datierung entsprechender Texte vor den Fluchtepen nicht zu sichern ist – ‹Virginal› ist vielleicht schon im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden, vielleicht aber auch erst um 1300). ‹Dietrichs Flucht› dagegen wechselt mit dem Übergang zur Dietrichhandlung die Ebene der Auseinandersetzung mit

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KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 48. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 360.

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dem Bösen: von den Drachen in einer sonst beinahe idealen Welt zum politisch-militärischen Gegenspieler in einer Welt von Verrat und Gewalt. Dietwarts Drachenkampf bereitet dies vor; die allmähliche Steigerung der Bedrohung durch das auch in den Drachen verkörperte Böse wirkt konzeptionell und strukturell der einfachen Polarisierung von idealer Vorgeschichte und verderbter Zeit Dietrichs und Ermrichs entgegen.104 ad 2. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Idealität der Vorgeschichte gebrochen ist, ist der Tod, der die Nachkommen der Könige in großer Zahl vorzeitig ereilt: Die biblische Vielzahl von Söhnen (Töchter spielen nur ausnahmsweise eine Rolle) demonstriert mit der Fruchtbarkeit der Könige eine archaische Komponente von deren Herrschafts- und Zukunftsfähigkeit. Damit dennoch die Herrschaftsnachfolge problemlos erfolgen kann, bedarf es nach der narrativen Logik der «Dezimierung auf je nur einen Erben»; dass diese keine natürliche Auslese darstellt, sondern eine «kulturelle Kodierung, die wiederum auf Kontinuität der Herrschaft ausgerichtet ist», hat KELLNER gezeigt.105 Freilich ist die vom Tod vieler Söhne abhängige Balance höchst prekär. Bereits die erste Konstellation, in der mehr als ein Sohn überlebt (Amelunchs drei Söhne Diether, Ermrich und Dietmar), schafft unlösbare Probleme: Die rechtlich-politische Lösung, die Amelunch auf Anraten seiner Ratgeber umzusetzen versucht, die Reichsteilung, schafft zwar eindeutige Legitimität zugunsten Dietmars und damit Dietrichs: «Ermrich [...] fällt durch die Erbteilung aus der Reihe der Nachfolger für dieses Herrscheramt heraus»;106 dass der dritte Sohn romisch erde erhält, nicht der älteste, Diether (DF v. 2408–2448, hier bes. v. 2444), wird nicht problematisiert. Die Regelung erweist sich aber nicht als tragfähig, hält sie doch Ermrich nicht vom Versuch ab, gewaltsam die Alleinherrschaft an sich zu reißen und damit, wie Sibeche formuliert, die Reichsteilung zunichte zu machen, daz aller iwer vordern lant / wartent iwer eines hant (DF v. 2636f.). Ermrich versucht im Grunde nichts anderes, als sich den über Generationen hinweg etablierten privilegierten Status des einzelnen Erben zu verschaffen. Das passende Wegsterben potentieller Konkurrenten in früheren Generationen verhindert anscheinend, rückblickend gesehen, dass die Konstellation von Machtstreitigkeiten zwischen Brüdern schon früher Wirklichkeit wird. Machtkampf unter Verwandten wird damit als nahe liegende Gefahr etabliert. Dem läuft freilich zuwider, dass Ermrichs Verhalten gerade nicht als politisch nahe liegend, sondern als widernatürlich bewertet wird (vgl. S. 160–162, 196f.). Machtkampf, HAUGs Grundmotiv von der Auseinandersetzung unterschiedlich legitimierter Herrschaftserben,107 ist doppelt codiert: als unvermeidlicher Interessenkonflikt und als beinahe metaphysisch ‹böse›. Der Tod der Miterben in früheren Generationen, der den Machtkampf verhindert, trägt zu dieser Doppelcodierung bei. ad 3. Die Vorgeschichte entwirft in ihrer spezifischen Mischung arturischer Wertungsmaßstäbe und brautwerbungsepischer Erzählschemata eine Eigenzeit, die weder an die historiographische Theoderich-Überlieferung noch an die Dietrichsage anschließt (vgl. bes. S. 244–246). Dennoch sucht die Vorgeschichte den Anschluss an Heldensage: nicht nur an Ortnit und Wolfdietrich in Dietrichs direkter Genealogie, sondern auch, auf einem Seitenast der Verwandtschaft, an die Nibelungensage (DF v. 2042–2057): Sighers Tochter, Ortnits

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Vgl. auch SCHULZ 2002 (LV Nr. 526). KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 52. Ebd., S. 49. Vgl. HAUG 1971 (LV Nr. 277); ders. 1975 (LV Nr. 278).

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

Schwester, ist Siglint, die Sigmund heiratet und deren Sohn Siegfried/Seyfrid von Hagen ermordet werden wird. Demnach gehört Siegfried in etwa (wenn man Wolfdietrich, den Gemahl von Ortnits Witwe, zur gleichen Generation rechnet wie Ortnit und Siglint) der Generation von Wolfdietrichs Sohn Hugdietrich an, Dietrichs Urgroßvater (DF v. 2370f.). Dennoch agieren im Hauptteil der ‹Flucht› zwar nicht Siegfried selbst (der taucht erst in der ‹Rabenschlacht› auf), aber doch sein Mörder Hagen sowie Gunther und Gernot, ohne dass sie sich durch hohes Alter vor ihren Kampfgefährten und Gegnern auszeichnen.108 Das mag ein Relikt der vermutlichen Entstehungsgeschichte sein: Die Burgundenkönige gehören zum tendenziell sagengeographisch ausgewählten Personal der ‹Rabenschlacht› und geraten durch Anlehnung an die Schlacht von Raben auch in die dritte Schlacht (Schlacht von Bologna) der ‹Flucht›. Ob die nibelungischen Zeitunstimmigkeiten zwischen Vorgeschichte und Hauptteil der ‹Flucht› lediglich auf Unachtsamkeit zurückgehen oder ob der Verfasser diese Unstimmigkeit bewusst in Kauf genommen hat, um Anbindung an die eben vergleichsweise synchrone, nicht in die tiefe Vergangenheit zahlreicher Generationen zurückreichende Heldensagenwelt der Dietrichhandlung zu gewährleisten, lässt sich nicht mehr feststellen. Dass Siegfrieds Ermordung durch Hagen später nicht mehr erinnert wird, deutet tendenziell eher auf Unaufmerksamkeit, Mangel an Abstimmung. ad 4. Wohl um dem zuvorzukommen, dass die über weite Strecken sagenfremde Genealogie von ‹Dietrichs Flucht› die Identität des Helden verunklären könnte, wird Dietmars Sohn mit geradezu feierlichem Gestus eingeführt als der weithin bekannte Berner, der elleu diu wunder vollbracht habe, von denen man singet unde seit (DF v. 2487–2490, Zitate v. 2489f.; vgl. S. 168). Aus der Perspektive und Zeitstruktur von ‹Dietrichs Flucht› heraus kann das als Vorausdeutung auf die Dietmars Sohn in Zukunft bevorstehende Sagenkarriere fungieren, um die das Publikum der Rezeptionsgegenwart weiß. Insofern besteht zunächst kein zwingender logischer Widerspruch zur Charakterisierung Dietrichs als unerfahrener Jüngling am Anfang der Haupthandlung. «[...] Von sprunge al rest vert din nam, den sold du machen bechenlich.» (DF v. 3243f.), mahnt man Dietrich zur Tapferkeit vor dem ersten Gefecht gegen Ermrich. Gleichwohl hat der Berner auf Initiative Wolfharts das Kommando über seine Truppen bereits übernommen (DF v. 3220–3229). Dietrichs Jugend erweist sich nicht als textinterne ‹Tatsache›, sondern als zweckgerichtete (und als solche durchsichtige) Konstruktion, zum einen um Ermrich noch stärker abzuwerten (wie dies insbesondere bei dessen hartherziger Ablehnung der deditio seines auf seine Jugend pochenden Neffen der Fall ist, DF v. 4176–4288, bes. 4186–4188), zum anderen (vielleicht) um so etwas wie ein Hineinwachsen des Helden in seine Herrscheraufgaben darzustellen.109 Dietrich ist alt genug, um mehr als jeder andere als Statthalter Ermrichs während dessen angeblicher Kreuzfahrt in Frage zu kommen (DF v. 2626–2628), sonst ist die verräterische Einladung nicht plausibel. Er selbst freilich pocht auf seine angebliche Jugend: daz ich noch nicht zeinem man / vol wahsen bin, als ich sol (DF v. 4187f.); daz mine sinne chranch sint (DF v. 4229); unz ich gewachse zeinem man (DF v. 4253). Der Erzähler

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Vgl. auch KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 126f. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182).

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Aspekte der Poetik

führt Ermrichs Invasion als erste swære auf, die der Berner zu bestehen hatte, e er ge7hs zeinem man (DF v. 2828–2831). Dass die aventiurehaften Dietrichepen (in erster Linie ‹Virginal›) tendenziell als Dietrichs Jugendabenteuer aufgefasst werden, könnte den pointierten Hinweis auf die erste swære erklären: Dann wäre ‹Dietrichs Flucht› eine alternative DietrichJugendgeschichte, ohne die in der aventiurehaften Dietrichüberlieferung üblichen Drachen-, Zwergen- und Riesenkampfabenteuer.110 Der Widerspruch zur verräterischen Einladung, die Dietrichs Befähigung zur Statthalterschaft voraussetzt, wird offenbar in Kauf genommen. Zugleich ist der aufgerufene Sagenruhm gerade nicht in die Zukunft der erzählten Zeit verlegt, sondern bereits dem jugendlichen Helden zugeschrieben. Es bleibt nämlich nicht bei der einmaligen Konstruktion zu Beginn der Haupthandlung, die der Selbstpositionierung der ‹Flucht› als stärker wirklichkeitsbezogener Alternative zu aventiurehafter Dietrichüberlieferung dienen mag. Bei Dietrichs Ankunft am Hunnenhof wird die Zweigleisigkeit von Jugendlichkeit und (Sagen-)Ruhm erneut deutlich: Helche nimmt sich Dietrichs an wie eine Mutter eines hilfsbedürftigen Jungen (DF v. 4842, 4936 u.ö.); aber ihr Interesse (wan si gesah nie cheinen man / so rehte gern also dich, DF v. 4829f.) ist nicht nur von Mitgefühl bestimmt und nicht nur von ihrer Rolle als Heldenmutter und Zuflucht von Exilanten (vgl. aber S. 149), schon gar nicht von persönlicher oder politischer Verbundenheit (sie kennt Dietrich nicht: DF v. 4917f.), sondern vom (Sagen-)Ruhm, der dem recken (DF v. 4848) Dietrich und seinen Mannen vorauseilt (vgl. auch DF v. 5196–5211) und den er nach dem, was bislang erzählt wurde, schwerlich erst in ‹Dietrichs Flucht› erworben haben kann. Auch die sagenmäßige Beziehung zu Rüdiger ist vorgegeben (DF v. 4731–4746 und ff.), ohne dass klar wird, woher Dietrich und Rüdiger sich kennen; die Bekanntschaft wird aus Dietrich- und Nibelungensage quasi zirkulär vorausgesetzt, bevor sie überhaupt realistischerweise entstanden sein kann. Es wäre ein Leichtes gewesen, das zu motivieren – etwa epentypisch aus alter Gastfreundschaft oder anderen Beziehungen zum Vater; doch wird darauf verzichtet (eine notdürftige Motivationsbrücke schlägt allenfalls, wiewohl selbst erklärungsbedürftig, die Anwesenheit Eckeharts und Dietleibs von Steier, der sich noch bei der Gefangennahme der Gefolgsleute und den Verhandlungen um ihre Freilassung bei Dietrich aufgehalten hatte, im Gefolge der Hunnenkönigin, DF v. 4685–4687; vgl. S. 193f.). Das deutet darauf, dass hier bewusst auf zwei Ebenen erzählt wird: auf der Ebene textexternen Sagenwissens und auf der durchaus (vor allem für Dietrichs Ruhm) auf Sagenwissen zählenden, sich aber eben auch von landläufigen Sagen abgrenzenden Ebene der neuen, ‹historischen› Dietrich-Jugendgeschichte. Hier liegt in der Tat so etwas wie «paradigmatisches» Erzählen111 vor. (Wenn überhaupt irgendwo – in der ‹Thidrekssaga› ist Thidrek, wie erwähnt, zum Zeitpunkt der Vertreibung als etablierter Herrscher, nicht als heranwachsender Jüngling gedacht –, dann dürfte diese textintern und im Dialog der Texte angedeutete, nicht spannungsfreie Koexistenz alternativer Jugendgeschichten im ‹Nibelungenlied› vorgeprägt sein, in dessen Nebeneinander von höfischer und archaischer Variante von Siegfrieds Jugend.112) Sagenreminiszenzen halten traditionelles Erzählen von Dietrich offensichtlich nicht nur deswegen präsent, weil man sich davon nicht lösen

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Vgl. ebd., bes. S. 364. Zum Begriff vgl. SCHULZE 1997 (LV Nr. 530), S. 132–136. Vgl. HEINZLE 1998 (LV Nr. 315), S. 60f.

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konnte, sondern um gerade angesichts der eigenen Neuerungen an den Horizont der Sage und damit wohl auch an deren Dignität anknüpfen zu können. ad 5. Ein bekanntes Beispiel für die Verwendung vermutlich vorgefertigter Versatzstücke ist die bereits erwähnte doppelte Volchnant-Episode in ‹Dietrichs Flucht› (DF v. 2893–2965 und ff., bes. 2926–2941; v. 5739–5859 und ff., bes. 5786–5796; vgl. S. 114f., 116f.). Sabene und Friderich von Raben senden Volchnant nach Bern, um Dietrich Meldung vom Einfall Ermrichs zu erstatten; Tydas lässt Volchnant vom Parteiwechsel Mailands zu Dietrich berichten. Die ältere Forschung hat u.a. aus der Unterbrechung des Erzählzusammenhangs und dem «Ton», der «unbedingt vortrefflich und sehr alt» sei, darauf geschlossen, die Passage sei Bestandteil einer älteren Dichtung, womöglich gar eines Fluchtliedes113 – das deutlichste Beispiel für narrative Brüche, die man aus (vermuteten) Vorstufen der erhaltenen Dichtung erklären zu können glaubt. Der Einschub ist über etliche Verse hin fast gleichlautend formuliert (nur graphisch und morphologisch geringfügig variiert), sowohl die Einführung des Boten, als sei er ein Unbekannter, als auch seine Warnung, noch bevor er vor Dietrich tritt: Ein degen, der hiez [Ein degen heizet, v. 5784] Volchnant, der chom ze Bern fur gerant: «Nu wol ouf, herre Dietrich, vil sere [sere, v. 5787] riwestu mich. Dir hant di Ermriches man so vil ze leide getan: Si ligen ouf diner marche, di edelen brennent [si brennent da vil, v. 5791] starche. Nu ledige [Nu lose, v. 5792] wip und chint, die mit grozen [die mit vil grozen, v. 5793] noten sint. Nu wer dich [Nu wol "f, v. 5794], degen here, [...]!» (DF v. 2924–2934; vgl. v. 5784–5794). Zum Kontext passt dieser Botenauftritt, wie erläutert, nur bei der Meldung von Ermrichs Invasion, nicht bei der Freudenbotschaft von der Parteinahme Mailands für Dietrich. Es geht aber nicht in erster Linie um den Inhalt der Botschaft (das ist daraus zu schließen, dass sie gar nicht gegenüber dem eigentlichen Adressaten vorgebracht wird), sondern um ein kommunikatives Signal: Ein Bote trifft ein und macht spektakulär auf sich aufmerksam. Das könnte für KROPIKs These sprechen, der Verfasser verweise absichtlich «auf den Umstand der Wiederholung selbst» und fordere so zum Vergleich der beiden Situationen auf, um Ermrichs untriuwe und die triuwe der Mailänder zu kontrastieren.114 Gerade dafür ist die Doppelung freilich entbehrlich; was in ‹Dietrichs Flucht› triuwe und untriuwe ist, geht aus Erzählerkommentaren hinreichend hervor. Im Gegenteil bestünde eher die Gefahr, dass durch die Parallele, wenn sie in der Fülle der Ereignisse und Verse denn bemerkt wird, der Seitenwechsel der Mailänder problematisiert werden könnte. Unzweifelhaft zeigt die Wiederholung vor allem eines: Die Dichtung bedient sich wiederkehrender Versatzstücke, typischer Szenen und Szenenfolgen, und wiederkehrende Szenen neigen zur Stereotypie nicht nur der Abläufe,

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114

Vgl. MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. XLIX f., Zitat S. L; ferner STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 174f., 189f.; VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 16f., 105f. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 234f., Zitat S. 234.

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sondern auch der Formulierungen: Botenszenen ähneln sich in ihrer strukturellen Position, in Details der szenischen Abläufe (von der Auswahl und Entsendung über die Ankunft am Bestimmungsort und beim Adressaten bis zur eigentlichen Übermittlung der Botschaft), sogar in manchen Formulierungen. Wo für die gleiche Szene mit dem gleichen Akteur (der gleiche Bote liegt hier aufgrund des gleichen Ausgangsorts für die Botenentsendung nahe), also für den gleichen Handlungsbaustein einprägsame Formulierungen zur Verfügung stehen, sind Handlungsbaustein und markante Formulierung anscheinend fest zu einem ‹Versatzstück› verbunden, das unabhängig vom Handlungskontext eingesetzt wird – jedenfalls dann, wenn der Erzählduktus der Dichtung Stimmigkeit nicht in erster Linie fordert. Vergleichbares gilt etwa für Schlachtschilderungen, vor allem Aufmunterungsreden im Kampf. ad 6. Schon die Grundkonzeption der Fluchtepen geht von einem Paradoxon aus: Dietrich ist der größte Held und muss als solcher siegen (kampflose Flucht wie in der ‹Thidrekssaga› ist offenbar nicht vorgesehen, schon gar nicht eine als heroisch begreifbare Niederlage); die narrative Konstruktion der Fluchtepen vor dem doppelten Hintergrund der Fluchtsage und des ‹Nibelungenlieds› aber setzt das Exil voraus. Wie und warum sich Dietrich trotz seiner Siege ins Exil begibt, ist unterschiedlich motiviert: Bei der Vertreibung selbst wird, wie mehrfach erläutert, der Gang ins Exil durch Erpressung erzwungen; hier wird tatsächlich ein Sieg vereitelt. Beim zweiten, dritten und (mit Einschränkungen) selbst beim vierten Durchgang durch die Erzählschablone dagegen ist der erneute Gang ins Exil nicht oder erst nachträglich durch einen vereitelten Sieg motiviert: Dietrich verlässt Oberitalien als Schlachtsieger. Nach der zweiten Schlacht von Mailand und der Schlacht von Bologna sind oder scheinen Teile Oberitaliens sicher in der Hand von Dietrichs Gefolgsleuten (zur strategischen Notwendigkeit, zur ‹Machtbasis› ins Exil zurückzukehren, vgl. S. 217). Das Schema vom glücklosen Sieg, der die Folge von Exil und Rückkehrschlachten (wieder) in Gang setzt, wird erst im nachhinein durch Witeges Verrat erfüllt. Narrativ ‹nötig› ist dieser Verrat aber nicht – es bedürfte auch ohne konkreten Anlass weiterer Schlachten mit weiteren Heeren. Witeges Verrat dient also in erster Linie dazu, das Schema (verzögert) zu realisieren. Nach dem Teilsieg in der Schlacht von Bologna kommt eine sofortige Fortsetzung des Krieges nicht in Frage, da das erforderliche neue Heer nur mit Unterstützung des Hunnenkönigs aufzubieten ist, wie es schon anlässlich der Verlobung mit Herrad hieß (DF v. 7600–7606). Gleichwohl scheint es, als mache die Trauer um die verlorenen Gefolgsleute den Sieg schemagemäß zum glücklosen, begreift sich doch der Berner in seiner Rolle als armer Dietrich (DF v. 9893), trotz des Sieges und obgleich Verluste im Krieg unabänderlich sind (vgl. auch S. 220); es scheint fast, als hindere ihn die Trauer daran, den Sieg auszunutzen. Nach der Rabenschlacht ist der Sieg durch den Tod der Etzelsöhne und Diethers dagegen tatsächlich sinnlos geworden; hier dient die Rückkehr an den Hunnenhof in erster Linie der Versöhnung mit dem hunnischen Königspaar (zur Betonung des Sieges als Gegengewicht zur Niederlage selbst in der ‹Rabenschlacht› vgl. S. 151, 210, 212). Dietrichs Verhalten erscheint nicht (nur) als schemabedingt, sondern wird (auch) militärisch oder ‹psychologisch› (und, insofern Personenbindungen auch politische und militärische Bündnisse begründen, politisch) motiviert; die Eigendynamik der Erzählschablone und Ansätze zur Plausibilisierung stehen nebeneinander, sind aber durchaus miteinander zu verbinden. ad 7. Auf keinen Fall überzubewerten sind Unstimmigkeiten in den Heldenkatalogen (vgl. S. 134f.). Dass z.B. nibelungische Helden, teilweise nachweislich aus dem ‹Nibelungenlied› selbst, als Verbündete teils Dietrichs, teils Ermrichs aufgeführt sind (vgl. S. 174), dürfte schlicht ein Versehen sein; mit Relikten ursprünglicher Mündlichkeit ist nicht zu rechnen; die

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Fehler sind ja auch den Abschreibern nicht als sonderlich korrekturbedürftig aufgefallen. Derartige Ungenauigkeiten sind in der Heldenepik vielfach zu beobachten und keineswegs ungewöhnlich oder interpretationsbedürftig. ad 8. Als einer der auffälligsten Widersprüche zwischen ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› galt lange Zeit die zugleich doppelte und unterschiedliche Inszenierung der Vermählung von Dietrich und Herrad: In ‹Dietrichs Flucht› (DF v. 7496–7665) sträubt sich Dietrich zunächst höflich gegen den Vorschlag des hunnischen Königspaares, akzeptiert dann aber das ihm von Rüdiger und Hildebrand als politische Notwendigkeit vorgeführte Zweckbündnis: «[...] sult ir betwingen iwer lant, iu ist daz selbe wol erchant: Daz muz mit Ezele geschehen [...] Nemt ir vr" Herraten niht, nimmer mer iu dienst geschiht [...]» (DF v. 7604–7609); «[...] Sit iwer dinch, herre, also stat, daz ir niht Ezelen mugt enbern, so sult ir vil gerne gewern, swes vr" Helche an iuch m*te» [...]. Do soufte der Bernære. Mit zuhten sprach der mære: «Swes niht rat sin chan, daz sol man lazen fur sich gan» (DF v. 7615–7623). Dietrichs Zögern ist motiviert mit seiner deklassierten Lage (die ihm eine standesübliche Form aktiver Werbung anscheinend nicht erlaubt) und verbindet sich – obwohl er sich nicht ganz uninteressiert nach der Erwählten erkundigt (DF v. 7536–7539) – mit der Sagenrolle des «frauenlosen Helden», wie sie Albrechts von Kemenaten ‹Goldemar› bezeugt: wan seit uns daz er wære gên vrouwen niht ein hovelîch man (sîn muot stuont im ze strîte).115 In der ‹Rabenschlacht› dagegen ordnet Etzel die Vermählung für den Abend desselben Tages einfach an, und Dietrich fügt sich bereitwillig (RS Str. 35f.). Die Irritation löst sich insofern leicht auf, als das Ganze als Fortsetzungshandlung, nicht als Doppelung zu begreifen ist (vgl. S. 10): In ‹Dietrichs Flucht› wird eine vertragliche Vereinbarung über die Heirat getroffen; in der ‹Rabenschlacht› schließen sich ohne weitere Verhandlungen Hochzeitsfest und Beilager an. Entgegen der Motivation als Zweckheirat wird die Verbindung in der ‹Rabenschlacht›

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‹Goldemar› (ZUPITZA 1870, LV Nr. 116), 2,6–8; vgl. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 221.

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allerdings punktuell sentimentalisiert zu einer Liebesheirat, die, wie Wolframs ‹Willehalm›, das Leid des Krieges wenigstens für einen kostbaren Moment aufhebt:116 Ir leit, daz was mit liebe zergangen (RS 119,6); zwisschen in was lieplichiu minne (RS 120,6); Si waren ze ende chomen gar ir sorgen (RS 122,6). Es handelt sich in erster Linie wohl um intertextuelle Einspiegelungen höfischer Motive und damit um eine punktuelle Abmilderung der heroischen Grunderfahrung von Krieg und Gewalt, der Grundstimmung von Leid und Verlust. Das Glück der Hochzeitsnacht bleibt freilich Intermezzo; die Hochzeitsfeierlichkeiten füllen lediglich die Zeit der Kriegsvorbereitungen (um der militärischen Unterstützung des Hunnenkönigs willen war die Verbindung in ‹Dietrichs Flucht› vereinbart worden, und das wird nun quasi ‹eingelöst›); bereits in der Hochzeitsnacht selbst nimmt Helche träumend das Unheil der Rabenschlacht vorweg (für das sie später Herrad als Gemahlin des Schuldigen gleichsam straft, RS Str. 1071). Unterstrichen wird damit die Unmöglichkeit dauerhaften Glücks in einer Welt von Krieg und Gewalt, die das Höfische letztlich wenig berührt (vgl. auch S. 191). ad 9. Widersprüche in der Helcherolle und im Verhältnis zwischen Helche und Dietrich gehen zum einen auf die erwähnte Zweischichtigkeit von Dietrichs (Sagen-)Ruhm einerseits, seiner Jugendlichkeit andererseits zurück (vgl. S. 141–143), zum anderen auf thematische Interferenzen zwischen den Komplexen ‹Macht› und ‹Sentimentalisierung›. Helche ist als Königin mit großem Einfluss auf ihren Ehemann, aber auch mit weit reichenden eigenen Machtbefugnissen gekennzeichnet. Über sie führt ein privilegierter Zugang zum König; auch ihr zuliebe unterstützt Etzel den Berner großzügig. Sie verfügt über eigene Ressourcen, die ihr ermöglichen, Dietrich mit einem Goldschatz zur Entlohnung seiner Krieger auszustatten und ein eigenes Heer zur Begleitung ihrer Söhne auszurüsten (vgl. auch S. 149). Pragmatische Klugheit und Machtbewusstsein äußern sich nicht nur darin, wie sie Dietrich dazu ermahnt, sich mit ihrem Gold die Dienstwilligkeit seiner Leute langfristig zu sichern (DF v. 7922–7931), sondern bereits in ihrer Argumentation zur Unterstützung des Exilanten: Dietrichs Rang und das Ansehen seiner Helden mehren Etzels Macht. «[...] Nu maht du [Etzel] wol sin sælichlich, sit ein so hoher chunich rich ouf genade ist chomen in din lant und gerne wil warten diner hant. Du gewnne nie bi dinen tagen [...] so edele dinære als den Bernære. [...] Die hohen recken, di er hat, der manheit an maniger stat hie und dort ist wol erchant.

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Vgl. KERTH 2000 (LV Nr. 353), S. 165; dies. 2008 (LV Nr. 357), S. 143.

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Sin ist getiwert immer mer din lant und elliu diniu riche, behaldest du Dietrich.» (DF v. 5196–5211). Es ist dies (auch) eine Strategie, um Etzel für Dietrich einzunehmen (Helche formuliert, wie Rüdiger beim Bericht vom Tod der Hunnenprinzen, adressatenorientiert). Mehrere Schichten der Figur stehen unverbunden nebeneinander: Helches Sagenrolle als Heldenmutter und Zuflucht von Exilanten ist vorgängig vorausgesetzt: Schon bei ihrer Ankunft in Gran befinden sich Exilanten in Helches Gefolge, Dietleib und Eckehart der Harlunge man (DF v. 4685–4687). Rüdiger betont, daz alle ellende hant z* iu trost (DF v. 5000); Dietrich dankt ihr nicht nur für ihre persönliche Anteilnahme an seinem Unglück, sondern spricht sie grundsätzlich an als der ellenden trost (DF v. 5032), und wiederum Rüdiger weitet den Preis der Hunnenkönigin ins Grundsätzliche aus: «[...] wand iwer tugent hat erlost vil manigen ellenden man. Alle die muzen vreude han, die ie chomen in iwer lant. Iwer herz und iwer gebnde hant und iwer tugende manichvalt, diu vreut vil manigen recken balt» (DF v. 5059–5065). Das entscheidende Stichwort ist gebnde hant: Es geht nicht um Mitleid für die Vertriebenen, sondern um aktive finanzielle und damit auch politisch-militärische Unterstützung. Dass die Heldenmutter nun ausgerechnet den eigenen Söhnen gegenüber – anders als in der ‹Thidrekssaga› – nichts als mütterliche Sorge kennt (RS Str. 155–182), stimmt zu der Sagenrolle nicht. Das wider besseres Wissen indulgente Verhalten gegenüber den eigensinnigen Jungen (RS Str. 181f.) wiederum passt nicht zum Ausmaß ihrer Sorge, obgleich sorgfältig motiviert ist, wie die beiden Prinzen ihren Willen durchsetzen (mit rationaler Argumentation, der Gefahr lasse sich begegnen; dank Dietrichs Hilfe; letztlich durch emotionale Erpressung: RS 180,5f.). Helches affektive Reaktion auf Rüdigers Bericht von der Katastrophe (verzweifelte Furcht, leiderfüllte Erinnerung, rasender Zorn auf Dietrich, der schnell in Reue und Mitgefühl mit dem Mit-Leidenden umschwenkt; RS Str. 1063–1092) stimmt nicht zu der sonst klug vorausdenkenden, machtbewussten Königin, wohl aber zur Sorge beim Abschied von den Jungen. Offensichtlich aktualisiert der Text jeweils zwei Aspekte der Figur: die Rolle der machtbewussten Königin und die der liebenden, sorgenden, leidenden Mutter. Im Verhältnis zu Dietrich mischen sich beide Aspekte. Hier bemüht sich der Verfasser bisweilen auch um Plausibilität im Detail: «[...] Dir sol daz niht zorn sin, daz ich dir du spriche. Dar an ich niht zebriche dehein min ere noch min zuht, wan du hast her zu mir flucht.» (DF v. 5045–5049). Die naiv scheinende Szene, in der Helche erklärt, warum sie den fremden König duzt, ist jedoch mehrschichtig: Die Königin scheint zunächst den realen Machtverhältnissen Rech-

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Aspekte der Poetik

nung zu tragen: Dietrich ist als Flüchtling von ihr abhängig. Dass sie sich veranlasst fühlt, sich zu entschuldigen, die Sorge um dehein min ere noch min zuht, erinnert aber auch an ‹Biterolf und Dietleib›, der Helches Vorliebe für fremde Helden intertextuell ironisiert (vgl. S. 211). Hier schwingen hinter der etikettebewussten Königin die Sagenrolle der Heldenmutter und womöglich bereits eine Reaktion auf eine Parodie dieser Sagenrolle mit. Im Verhältnis zwischen Etzel und Helche irritiert insbesondere die Frage der Verteilung von Macht und Einfluss. Helche ist sich ihres Einflusses auf Etzel sicher, und der mächtige König überlässt ihr Entscheidungen von der Unterstützung für den Berner über die widerwillige Zustimmung zum Aufbruch der Söhne bis zur Wiederversöhnung mit Dietrich nach der Katastrophe von Raben, macht ihr aber im Affekt Vorwürfe und schiebt die Schuld auf sie (RS 1110,5f.; 1113,5–1114,4), obwohl es nach mittelalterlichem Eheverständnis (man denke etwa an die Mären des Strickers) Sache des Ehemannes ist, die Herrschaft in der Ehe zu wahren, Sache des Königs überdies, Entscheidungen zu treffen, die die Zukunft der Dynastie und des Reichs betreffen. Hier sind die Diskurse von Macht und Affekt gegenläufig organisiert, ein Effekt der gattungsfremden Sentimentalisierung. Sentimentalisierung verträgt sich aber durchaus mit Machtbewusstsein.117 Psychologische Plausibilität darf man bei mittelalterlichen Personenkonzeptionen nicht erwarten. Dass sie trotzdem immer wieder versucht wird (etwa als die Jungen ihren Willen ertrotzen; als Rüdiger Königin und König genau auf der Ebene anspricht, auf der diese zugänglich sind: Helche auf der Ebene gemeinsamen Leids, Etzel auf der Ebene des vermeintlich Faktischen, vgl. S. 150), ist besonders auffällig: Weder wird konsequent syntagmatisch stimmig noch konsequent paradigmatisch erzählt. ad 10. Das wohl bekannteste Beispiel für Brüche ist die widersprüchliche Perspektivierung des Geschehens um die Tötung der Helchesöhne und Diethers in der ‹Rabenschlacht›.118 Hier überlagern sich drei inkompatible Motivations- und Deutungsschichten: (1) Die jungen Prinzen wollen tatsächlich, wie sie von Anfang an behaupten, aus ‹touristischen› Gründen mitreisen (RS 158,5f.), reiten wirklich aus Bern, um Stadtbefestigung und Umgebung zu besichtigen (RS Str. 341f.), und gelangen zufällig in die Gegend von Ravenna. Letzteres wird vom Erzähler meist (nicht konsequent) in der Tat als Sich-Verirren dargestellt: Die Jünglinge gelangen ouf ein unrehtez phat (RS 351,4; vgl. auch 363,1f.), reiten aber gleichwohl dem Heer nach (RS 365,1f.); besorgt stellen sie fest, dass sie sich verirrt haben (RS 367,3–369,6; Str. 372); der Anblick der Landschaft, als der Nebel endlich aufklart, begeistert sie, als wäre es ihnen bei ihrem Ausritt wirklich um das Naturerlebnis gegangen (RS 373,6–374,6). Mit dem Motiv des Sich-Verirrens ersetzt eine Komponente fatalen Zufalls heroische Zwangsläufigkeit; die Jugend der Opfer steigert das aus ihrem Tod resultierende Leid und rückt den Töter, Witege, in ein besonders negatives Licht. (2) Die Jünglinge streben von vornherein heimlich die Teilnahme an der Schlacht an und stehlen sich absichtlich gegen ausdrückliches Verbot davon, um mitzukämpfen. Dafür spricht zunächst die grundsätzliche Plausibilität: Ein Kriegszug ist nicht der Ort für eine Bildungs- oder Besichtigungsreise (umso unverständlicher ist freilich, käme es auf Kausalitäten an, dass man die Jungen mitnimmt, zumal sie ohnehin in Bern zurückgelassen werden). Warum sollten die drei, wenn sie Bern von außen besichtigen wollen, eilends wegreiten (RS 350,4; 351,2), warum sollten sie, wenn sie sich

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Vgl. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), bes. S. 101. Vgl. auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 276–283.

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denn tatsächlich verirren, ausgerechnet zielstrebig dem Heer nachfolgen und bis nach Ravenna gelangen? Dafür spricht ferner die Tatsache, dass die Jünglinge so stark gerüstet und bewaffnet sind, dass sie Witege einen mehrstündigen Kampf liefern können (RS Str. 390–454); ir harnasch was wan sumer chleider (RS 412,6) ist metaphorisch zu verstehen (gegen einen Kämpfer wie Witege schützen die Harnische so wenig, als seien es Sommerkleider)119 – ohne Rüstung hätte er sie binnen Minuten einfach abgeschlachtet oder gar nicht gegen wehrlose Jugendliche gekämpft. Scharphe, Orte und Diether suchen den Kampf mit Witege – verirrte Kinder wären dem aus dem Weg gegangen. Schließlich setzen Dietrich (bei Elsans Ankunft) und Etzel (gegenüber Rüdiger) die Anwesenheit der Jungen im Heer, ja die Teilnahme an der Schlacht voraus («[...] Mich muz des michel wunder han, / daz si bi dem vanen niht sint [...]», RS 874,3f.; «[...] Und sint si in dem here / bede samt erslagen? [...]», RS 1120,1f.). Im Hintergrund steht ferner (3) die vielleicht alt-‹heroische› Konstellation, wie sie die ‹Thidrekssaga› überliefert: dass Helche ihre Söhne rüstet und Dietrich zur Unterstützung mitgibt. So kommentiert der Erzähler Helches Traum (do si dem Bernære / ir liebeu chint ze helfe lie, RS 126,3f.), und so deutet Witege die Anwesenheit der Jungen: «[...] Ich furht den vogt von Berne, / dem ir ze helfe sit verlan [...]» (RS 416,3f.). Ein Relikt dieser Konstellation ist ferner, dass Helche ihren Söhnen eigens zwölftausend Krieger mitgibt (RS Str. 191) – und zwar nicht zur Bewachung; denn sie bleiben nicht bei den Jungen in Bern, sondern ziehen offenbar mit in die Schlacht. Anders als Machtbewusstsein und Sentimentalität in der Konzeption der Helche, anders auch als das (zeitweilig als zeitliche Folge deutbare) Nebeneinander eines jungen und eines (später) sagenbekannten Dietrich schließen sich die drei Schichten gegenseitig aus. Die widersprüchlichen Hinweise begegnen aber zu häufig, als dass sie als Versehen zu erklären wären: Sie sind ganz offensichtlich absichtlich gesetzt. Dahinter dürfte wiederum die bereits mehrfach beobachtete Tendenz stehen, die Schicht des Sagenwissens und die Schicht der Aktualisierung – hier die Ebenen von Heroik und Sentimentalisierung – nebeneinander bestehen zu lassen: Um das Leid als Leitthema der ‹Rabenschlacht› angemessen in Szene zu setzen, bedarf es anscheinend einer stärkeren Sentimentalisierung als sie der (kriegerischer ‹Normalität› entsprechende) Schlachttod bietet; der erwartbare Kampftod junger Krieger wird daher zum verhängnisvollen Zufall umstilisiert, das Abschneiden dynastischer Zukunft zur Tötung fast noch kindlicher Knaben gesteigert. Einher geht damit eine Abwertung Witeges, der zum Verräter und Schlächter (fast, aber eben nur fast) wehrloser, jedenfalls nicht annähernd gleichwertiger Gegner, beinahe zum Kindermörder wird. Warum trotzdem an der Sagenschicht festgehalten wird, ist schwerer zu erklären: Zum einen ist es ein durchgehender Gestus des Erzählens in beiden Fluchtepen, die Sage gerade auch dann anzuzitieren, wenn Neuerungen hinzutreten; anscheinend ist dem Verfasser der Kontakt zum Sagenwissen seines Publikums so wichtig, dass er bereit ist, Widersprüche (in diesem Fall nicht zu glättende Widersprüche) in Kauf zu nehmen. Zum anderen scheint für ranghohe Protagonisten der ‹guten› Seite eine wenigstens rudimentär heroische Komponente unverzichtbar; der Erzähler hält bei aller Vergeblichkeit des ungleichen Kampfs den tapferen Widerstand der Jungen unbeirrt (wenn auch klagend) über viele Strophen fest (vgl. bes. RS 391,5f.; 394,2–395,5; Str. 398–400; 402,3; Str. 405f.; 412,1–413,4; Str. 422–424, 438, 446– 452) – auch wenn das niemanden tröstet, anders als in der ‹Thidrekssaga›, wo es in erster

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Vgl. schon LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 61.

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Linie darum geht, ob die Königssöhne heldenhaft gestorben sind. (Ein Relikt davon ist Etzels Frage, ob Rüdiger seine Söhne habe kämpfen sehen, RS 1119,6; doch spielt das für die Folgehandlung, die Versöhnung des Königspaars mit Dietrich, keine Rolle.) Hinzu kommen Widersprüche zwischen den Berichten des Erzählers und Rüdigers von den Ereignissen in und am Rande der Rabenschlacht. Übergeordneter Gesichtspunkt für die Beurteilung von Rüdigers Bericht ist die Funktion seiner Mission: Es geht nicht um einen ‹objektiven› Tatsachenbericht, sondern darum, das Königspaar von Dietrichs Unschuld zu überzeugen. Diesem Ziel ist alles Weitere untergeordnet; aus diesem Grund unterscheiden sich auch die Perspektiven auf das Geschehen im Bericht an Helche und im Bericht an Etzel:120 Bei Helche zielt Rüdiger darauf ab, Verzweiflung und Zorn der Königin umzulenken in Mitgefühl mit dem durch den Tod des Bruders gleichermaßen von Leid geschlagenen Berner; daher werden Diethers Tod und Dietrichs exzessive Klage besonders herausgestrichen (RS 1078,3–1080,1; Str. 1085–1088).121 Dem König gegenüber stehen die Geschehensabläufe und Dietrichs korrektes Verhalten im Vordergrund. Daher werden die Klagegebärden des Berners geradezu buchhalterisch konkretisiert: Helche gegenüber ist davon die Rede, Dietrich habe aus Verzweiflung ouz sinen henden / diu lit mit vleisch gebissen (RS 1088, 3f.), Etzel gegenüber dagegen exakt von zwai glid, dem Tod der zwei Prinzen entsprechend (RS 1128,6); im Erzählerbericht war es nur [e]in gelit gewesen (RS 895,1). Daher berichtet Rüdiger, Dietrich habe Elsan als Verantwortlichen getötet (RS 1118,4–1119,4), ohne dass vorher erzählt worden wäre, dass Dietrich seine Drohung tatsächlich wahr gemacht hätte. Dies kann entweder als narrative Ökonomie interpretiert werden oder als ‹diplomatische› Aussage Rüdigers, die wirkungsvoll suggeriert, die Bestrafung des Vergehens sei bereits erfolgt, weitere Rache nicht mehr erforderlich (dass Dietrich die Versöhnung, die er erbittet, selbst nicht gewährt, scheint keine Rolle zu spielen). Daher ist im Bericht von den Trauergesten des Berners nicht mehr von seinem Schmerz um den Bruder die Rede, der Helche gegenüber eine Gemeinschaft im Leid begründet, sondern im Gegenteil davon, dass Dietrich in seiner Klage um Etzels Söhne vor aller Augen Diethers vergas (RS 1128,2), anscheinend ein Zeichen außerordentlicher Loyalität gegenüber dem königlichen Vater. Dass in Etzels Frage, wie seine Söhne sich in der Schlacht gehalten hätten, die wohl ‹traditionellere› Version des Tod der Hunnenprinzen mitschwingt, wurde soeben erwähnt. Rüdiger selbst berichtet vom Todeskampf der Jungen abseits der Schlacht (RS 1120,5–1122,6); des Erzählers Schwanken zwischen Sich-Verirren und absichtlichem Nachreiten wird in Richtung des letzteren aufgelöst (do riten si nach uns leider sint, RS 1121,4), vermutlich weil in diesem Zusammenhang eine griffige Abbreviatur der Ereignisse ausreicht und gegenüber dem König eher die Tapferkeit der Söhne herausgestellt werden sollte als ihr Missgeschick. Rüdiger führt freilich weitere Widersprüche ein: Die vom Erzähler sorgsam aufgebaute Zeitstruktur des Nacheinanders von Tötung der Jungen und Rabenschlacht wird unterlaufen, das Geschehen als gleichzeitig dargestellt: «[...] Die weil daz diu chint hie striten,

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Vgl. bes. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 98–104; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 291–295. PHILIPOWSKI 2006 (LV Nr. 485), S. 269, weist mit Recht darauf hin, dass es auch bei Helche nicht um Gefühle geht, sondern um Dietrichs überzeugende Trauergebärden.

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do strit ouch wir dort [...]» (RS 1123,1f.). Damit wird die vom Erzähler inszenierte tragische Vergeblichkeit, mit der die Schlacht sinnlos geworden ist, noch bevor sie begonnen hat, zurückgenommen. Überdies berichtet Rüdiger vom Sieg in der Rabenschlacht, als mache dieser den Verlust zumindest partiell wieder wett (Ermrich ist siglos dan gescheiden, RS 1123,5). Ferner vertieft der Markgraf den bereits im Erzählerbericht angedeuteten Widerspruch in Bezug auf Rienolt: Laut Erzähler war Witege den drei Jungen alleine begegnet; mitten in der Verfolgung Witeges durch Dietrich taucht unmotiviert Witeges Verwandter Rienolt auf (RS 929,6) und wird getötet, da nur er sich zum Kampf stellt (RS 952,6–953,5), ein Ersatzobjekt für Dietrichs Rache, die Witege gegenüber misslingt (nicht zuletzt deswegen, weil der Kampf gegen Rienolt Witege Zeit verschafft zu entkommen, was aber der Erzähler ausdrücklich nicht erwähnt). Rüdiger führt nun Rienolt bereits bei Witeges Zusammentreffen mit den drei Jungen mit ein – gegen den Erzählerbericht und ohne Vorgabe in erhaltenen Sagen: «[...] Witege und Rienolt sint waren ouf die wart geriten. Gegen in chomen diu chint, diu sit leider mit in striten [...]» (RS 1122,1–4). Stimmigkeit freilich resultiert daraus nicht, denn auch laut Rüdiger tötet (wie üblich) Witege allein die drei Jungen: «[...] Owe, da namen si den ende alle drei von sin eines ende [...]» (RS 1122,5f.). Rienolt wird von Rüdiger nicht mehr erwähnt, nicht einmal mehr bei der Verfolgung Witeges durch Dietrich (RS 1129,3f.). Hier lässt sich beim besten Willen keine plausible Erklärung finden; auch der Rekurs auf Sagentradition scheidet wohl aus; denn es gibt kein Zeugnis für eine Beteiligung Rienolts an der Tötung der drei Jungen. Festzustellen ist nur der narrative Defekt – allenfalls vielleicht der (misslungene) Versuch, einen narrativen Defekt, wie er beim Erzählerbericht vorlag, bei Rüdigers Rekapitulation durch ‹Vorziehen› der Beteiligung Rienolts zu tilgen. Gelingen konnte das nicht, weil Witege als alleiniger Töter der jungen Helden traditionell festgeschrieben gewesen sein dürfte. Von Rienolts fragwürdiger Rolle abgesehen freilich stellt Rüdiger einen in sich stimmigeren, fast «gewöhnlichen kriegstechnischen Vorgang»122 dar. ad 11. Die doppelte Motivierung von Ermrichs Fehdeansage in ‹Alpharts Tod› zwischen Empörer-geste und Sibeche-Sage entspricht dem bereits mehrfach beobachteten Verfahren doppelschichtigen Erzählens. Sagenversion und Aktualisierung stehen gleichberechtigt nebeneinander, hier ohne Versuch, das Nebeneinander aufzulösen oder plausibel zu machen. Allenfalls könnte es als Ausflucht Ermrichs aufgefasst werden, dass er als Grund für sein

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KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 295.

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Aspekte der Poetik

Vorgehen gegen den Verwandten dessen Rebellion gegen die Zentralgewalt geltend macht: «[...] / Er wel sych weder das rych setzen / [...]» (AT v. 204/52,3). Dagegen spricht aber, dass Ermrich diese Erklärung im Rahmen der ersten Berichterstattung Heimes vorbringt, die dessen Tadel noch nicht enthält, nur eine Warnung vor der Tapferkeit des Gegners; erst die Wiederholung der Szene bringt Heimes Kritik an Ermrich, nicht aber dessen Selbstrechtfertigung (myr dint das romsch rych, AT v. 253/64,4, ist hier eher Behauptung eigener Übermacht als Apologie). Dietrichs Erklärung – «Syebich der ungetruwe, der hat rat uber mych geben / mynem vettern Ementrich und ryt myr an myn leben / [...]» (AT v. 278f./71,1f.) – kann aufgrund des defekten Anfangs des Epos nicht verifiziert oder falsifiziert werden; sie entspricht der Sage, nicht dem erhaltenen Erzählablauf (insbesondere plant Ermrich nicht Dietrichs Tod, nur seine Unterwerfung oder schlimmstenfalls Vertreibung, AT v. 253– 257/64,4–65,4). Darüber hinaus mag Dietrichs Behauptung kommunikativ dazu dienen, seine Gefolgsleute zu besonderer Unterstützung zu bewegen. ad 12. Alpharts vermeintlich unmotivierte Weigerung, sich kenntlich zu machen, liegt auf anderer Ebene, derjenigen der von modernen Plausibilitäts- und Kohärenzvorstellungen abweichenden Motivationsstrukturen vormoderner Erzähltexte. Alpharts Verhalten wird, wie die Forschung schon seit etlichen Jahren mehrfach ausführlich untersucht hat,123 im Text sorgfältig motiviert: Zwar liegt keine überpersönliche Notwendigkeit oder auch nur Konvention für ein solches Verhalten vor (Alphart selbst erlegt sich die Regel auf, seine Identität zu verbergen, als er durchsetzt, alleine auf Wart reiten zu dürfen: AT v. 371–373/94,2–4); zwar ist die Namensverweigerung eher ein Motiv des höfischen Romans als der Heldendichtung; aber die mindestens subjektiv geradezu existentielle Notwendigkeit für Alphart, sich Kampfesruhm und damit seine Identität als Held zu verschaffen, wird deutlich: «ich wel nach hude sterben, ader ich werde zu eym recken getzalt.» [...] «Ich hyeß nit ein degen, was solt ich, wogt ich nit lyp und leben. [...]» (AT v. 361–363/91,4–92,2). Das erklärt Alpharts Weigerung, sich auf Heimes Ansinnen einzulassen: Namensnennung und Selbstidentifikation als Dietrichs Gefolgsmann würden den Kampf beenden und damit den Versuch unterbinden, um den Preis des eigenen Todes unsterblichen Ruhm zu erwerben. Dass Hildebrand (dessen Ruhm längst etabliert ist) sich anders verhält, setzt Alpharts Motivation nicht außer Kraft, beeinflusst allenfalls die Bewertung unpragmatisch-tödlichen heroischen Verhaltens (vgl. S. 202f., 228f.). Die Analyse solcher ‹Brüche› ergibt unterschiedliche Befunde: Vielfach lassen sich in der Tat andere Motivationsstrukturen und andere Erzählinteressen nachweisen. Es besteht eine gewisse Tendenz zur Doppelcodierung vor allem in Richtung auf ein Nebeneinander von Sagenmotivation und aktualisierender Neumotivierung: (Vermutlich) traditionelle Sagenmotive und Rollenstereotype werden, anscheinend weil kommunikativ unverzichtbar und/oder signalhaft für die gattungsmäßige Selbstpositionierung, anzitiert, aber von neuen (‹politischen› oder literarischen) Motivationen überlagert. Gelungen ist das nicht immer (wobei unsere Kriterien für ‹Gelingen› der Historisierung bedürften, eine solche aber allen-

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Vgl. bes. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616); MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 37–51; MÜLLER 2007 (LV Nr. 467), bes. S. 178–182.

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Erzählprinzipien und Strukturprobleme von Schemaliteratur und ‹seriellem› Schreiben

falls im Vergleich mit wirkungsmächtigeren Werken wie dem ‹Nibelungenlied› möglich ist). Wo es um Konzeptionelles geht (kaum bei vergleichsweise belanglosen, letztlich narrativer Bequemlichkeit dienenden Versatzstücken wie der Volchnant-Ankunft), dürfte die Doppelcodierung in der Regel bewusst gesucht sein, auch wenn bisweilen der Eindruck bleibt, dass Widersprüche weder aufgelöst noch sinntragend sind: Dass sich beim Hauptprotagonisten die Ebenen der Sage (Dietrich als größter Sagenheld) und der aktuellen Erzählung (Dietrich als junger, unerfahrener Herrscher) überlagern, bedeutet mehrschichtiges, in der Tat «paradigmatisches» Erzählen und ist auch insofern stimmig, als zwei Zeitebenen, die gegenwärtiger Taten und die künftiger fama, ineinander geblendet sind. Dass aber die Helchesöhne teils als kriegerische Heldenjünglinge, teils als eigensinnige, verirrte Jugendliche dargestellt werden, geht auf keiner Ebene auf, obgleich es als Voraussetzung für die die erhaltene ‹Rabenschlacht› konzeptionell prägende Sentimentalisierung erklärbar ist. Dass immer wieder (etwa beim Duzen Dietrichs durch Helche oder beim Verkennen der Hilfstruppen) versucht wird zu motivieren und zu plausibilisieren, also Widersprüche und Brüche zu beseitigen, dürfte mit einiger Sicherheit darauf schließen lassen, dass Brüche nicht zum poetologischen Prinzip erhoben werden. Sie bleiben lediglich stehen: teils wegen der Eigendynamik der Sagentradition, teils wegen anderer Kohärenzprinzipien und Motivationsstrukturen, teils aber doch wohl auch im Sinne narrativer Defekte, die der Erzähler teilweise auszubügeln versucht. Weniger als Defekte denn als stilistische Eigentümlichkeiten zu werten sind Wiederholungen und Redundanzen im Kleinen, insbesondere in ‹Alpharts Tod› (vgl. S. 135–137), deren Funktionalität großteils zweifelhaft ist; auch in ‹Dietrichs Flucht› zeigt sich diese Tendenz zu redundantem Erzählen, auch dazu, bei der Erzählung einer Episode (z.B. den dysfunktionalen Anfängen der beiden Volchnant-Episoden, vgl. S. 116) mehrfach anzusetzen. Insgesamt aber dürfte dem Anschluss an das (vermutliche) Sagenwissen der Rezipienten solches Gewicht zukommen, dass andere Erzählinteressen dahinter zurücktreten. Das ist wohl in erster Linie als Aspekt der Gattungszuordnung zu deuten: Zur Selbstpositionierung als Heldendichtung scheint vor allem der stoffliche Anschluss an die Sage unverzichtbar, mehr noch als der konzeptionelle und erzähltechnische intertextuelle Anschluss an schriftliche Heldenepen (vgl. S. 174–184), auch wenn sich daraus Widersprüche zwischen der Sage und den eigenen Neuerungen ergeben. Daneben – auch das ein Aspekt gattungsbezogenen Selbstverständnisses – dürfte die Mehrschichtigkeit neben aller (neuen) Sentimentalisierung und Moralisierung eine um Tapferkeit und Kampftüchtigkeit zentrierte Vorstellung von Heroik bewahren, wie sie den vergeblichen, aber hartnäckigen Abwehrkampf der Jungen ebenso kennzeichnet wie Dietrichs Kampfverhalten. c) Zyklusbildung Serielles Schreiben ist auf Fortsetzung hin angelegt und an einen überlebenden Helden wie an fortdauernde Konflikte gebunden. Vor allem dann, wenn der Sieg des Helden, wie auch in moderner Trivial- und Schemaliteratur, am Ende des einzelnen Werks stehen soll (und Dietrich ist als Sieger konzipiert, nicht als tragisch Unterliegender), besteht ein wesentliches – und zeitlos simples – Mittel, die Fortsetzbarkeit zu sichern, darin, dass der Bösewicht entkommt: Dietrichs Siege sind nicht nur insofern glücklos, als Dietrich um ihre Früchte gebracht wird (durch Ermrichs Erpressung nach der ersten, Witeges Verrat nach der zweiten Schlacht von Mailand) oder sie durch unwiederbringliche Verluste (den Tod der loyalen oberitalienischen Statthalter in der Schlacht von Bologna, des Bruders und der Hunnenprin-

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Aspekte der Poetik

zen am Rand der Schlacht von Raben) teuer erkauft werden, sondern auch insofern, als sie – selbst im vergleichsweise glanzvollen Sieg in ‹Alpharts Tod› – schon durch Ermrichs Flucht als vorübergehend und gefährdet gekennzeichnet sind. Eine narrativ substantielle Fortsetzung jenseits der ‹Rabenschlacht› und außerhalb des Nibelungen- und Amelungenuntergangs gibt es freilich nicht. Sagengeschichtlich bietet sich nur die ‹Thidrekssaga› zum Vergleich an, und auch da ist die Zeitspanne zwischen Gronsportschlacht und Niflungenuntergang nicht mit weiteren Rückkehrschlachten gefüllt. Auf die deutsche Literatursituation übertragen hieße das: Das Ausmaß des Unglücks nach dem Tod der Helchesöhne lässt eine Wiederaufnahme der Rückkehrschlachten nicht wahrscheinlich anmuten, trotz Ermrichs Flucht, trotz Dietrichs Racheplänen, trotz der bereits mehrfach erwähnten Erzählervorausdeutungen auf Gottes Strafe für Ermrich und trotz des merkwürdigen Befundes, dass Dietrich wieder vro wird (RS 1139,5), als könne er umgehend die Vorbereitung des nächsten Rückkehrversuchs ins Werk setzen. Die Ereignisfolge der Fluchtepen ist auf Steigerung hin angelegt (diese Steigerungsstruktur läuft insoweit der zyklischen Repetierbarkeit zuwider); aber die einzig denkbare Steigerung des Todes der Hunnenprinzen und Diethers, der Amelungenuntergang, mithin die einzig sinnvolle Fortsetzung der ‹Rabenschlacht›, existiert bereits in den Nibelungendichtungen, und mit Dietrichs Aufbruch zu friedlicher Heimkehr in der ‹Nibelungenklage› schließt sich der Kreis von Vertreibung und Rückkehr endgültig. Grundsätzlich gibt es verschiedene narrative Verfahren der Zyklusbildung: Fortsetzung, Ergänzung einer Vorgeschichte, Ausfaltung von Nebenhandlungen oder Zuordnung neuer Ereignisse zu Nebenfiguren. In welcher Richtung und Reihenfolge Zyklusbildung in der Sage erfolgt ist, wissen wir nicht – die Zeugnisse sind zu punktuell. Bei den in Schriftform erhaltenen Dietrichepen lässt sich eine rückwärts, in die Vergangenheit gerichtete Zyklusbildung feststellen: Das ‹Nibelungenlied› als Ausgangspunkt schriftlich fassbaren Erzählens von Dietrich wird selbst zwar in der ‹Nibelungenklage› in die Zukunft hinein fortgesetzt, und mit dieser Fortsetzung der Nibelungenhandlung sind auch Fortsetzung und, zumindest im Ansatz, Abschluss der Dietrichhandlung verbunden. Die deutlichen Bezugnahmen der Fluchtepen auf das ‹Nibelungenlied› (vgl. S. 174–182) lassen ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› aber (auch) als narrative Ausfaltungen der Vorgeschichte des Amelungenuntergangs im ‹Nibelungenlied› erscheinen. Innerhalb der ‹historischen› Dietrichepen ist der Ausgangspunkt die Rabenschlacht-Fabel (wahrscheinlich nicht die erhaltene ‹Rabenschlacht›, vgl. S. 11f.). ‹Dietrichs Flucht› ergänzt deren Vorgeschichte, und zwar nicht nur die (sagenmäßig mit dem Exil vorauszusetzende und bezeugte) Vertreibung, sondern auch die (sagenfremden) Rückkehrschlachten vor der Rabenschlacht. Die damit verbundene zyklische Wiederkehr der Handlungssequenz von Rückkehr nach Italien, Schlacht, Sieg, Vereitelung des Siegs und erneutem Rückzug ins Hunnenreich macht, wie erwähnt, das einmalige Geschehen zugleich zur Erzählschablone und zum Deutungsmuster. Einerseits wird so der Einzelfall zur Regel, Dietrich nicht einmal, sondern immer wieder und damit grundsätzlich zum glücklosen Sieger, Witege nicht einmal, sondern grundsätzlich zum Verräter und Katalysator der Katastrophe. Andererseits aber wirkt Wiederholung banalisierend; jede neue Wiederholung in die Vorgeschichte der ganz großen Katastrophen hinein schwächt diese im Grunde ab. Indem die ‹Flucht› serielles Schreiben von Dietrichs glücklosen Rückkehrschlachtsiegen etabliert, erschöpft sie es zugleich: ‹Dietrichs Flucht› steuert auf die ‹Rabenschlacht› zu und lässt keine Lücke und damit keine weitere Fortsetzungsmöglichkeit mehr vor der Schlacht von Raben: Zu eng schließt die ‹Rabenschlacht› mit der Umsetzung des Heiratsvertrags und den Klagen um die Toten der Schlacht

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von Bologna an das Ende von ‹Dietrichs Flucht› an, als dass ein Dazwischen denkbar wäre. Auch die eigene Vorgeschichte liefert ‹Dietrichs Flucht› gleich mit. Der zeitlich umfassende Anspruch der ‹Flucht› macht so weiteres Erzählen von Dietrich im abgesteckten Rahmen fast unmöglich. Auch das erklärt die begrenzte Zahl von ‹historischen› Dietrichepen, nicht nur das angesichts der Überlieferung wie der Rezeptionsgeschichte nachweislich geringe Interesse an Fluchtsage und Fluchtepen. Das Muster ist nur prinzipiell wiederholbar; in praxi aber begrenzt die ‹historische› Dietrichdichtung sich selbst durch die Prinzipien von Zeitgebundenheit, Finalität und Steigerung – die Fluchtsage hat einen Anfang in der Vertreibung und ein Ende in der Rückkehr nach Italien; die Höhepunkte im Tod der Helchesöhne und im Amelungenuntergang sind nicht weiter steigerungsfähig, trotz der prinzipiell unendlich wiederhol- und fortsetzbaren Erzählschablone um den glücklosen Rückkehrschlachtsieg. Fortsetzbar im Sinne der Erzählervorausdeutungen auf Ermrichs Ende (DF v. 2561–2567, 2867, 4289–4295; auch RS 78,3–80,6, RS 151,6) ist das Erzählte nur entweder im Zusammenhang mit Dietrichs Rückkehr (in der ‹Thidrekssaga› und, ansatzweise, in der ‹Nibelungenklage›) oder außerhalb des Zusammenhangs der ‹historischen› Dietrichepen und Nibelungendichtungen. Daher wohl steht die spät überlieferte Heldenballade ‹Ermenrikes dot› (vgl. S. 63f.) so isoliert, keine Fortsetzung bekannter Dietrichsagenzusammenhänge, sondern Episodengedicht, ohne Bezug zu Exil oder Rückkehrschlachten und mit nur vager Erinnerung an einen Vertreibungsversuch (nur in Fassung B). Von den skizzierten Möglichkeiten der Zyklusbildung bleiben damit nur die Ausfaltung von Nebenhandlungen und/oder das Auserzählen der Geschicke von Nebenfiguren in Sprossdichtungen (althochdeutsches ‹Hildebrandslied›, ‹Alpharts Tod›, ‹Jüngeres Hildebrandslied›) sowie die Entfaltung narrativer Alternativen zu den Katastrophenerzählungen der Fluchtsage (‹Dietrich und Wenezlan›; ‹Biterolf und Dietleib›; in gewisser Weise bereits ‹Alpharts Tod› selbst; ansatzweise auch ‹Eckenlied› und ‹Rosengarten› D; vgl. S. 259f.). Es sind dies, wie die Datierung der genannten Werke anzeigt, narrative Möglichkeiten, die nicht erst dann greifen, wenn Fortsetzung und Vorgeschichte sich erschöpft haben: Das älteste Zeugnis der ‹historischen› Dietrichsage, das althochdeutsche ‹Hildebrandslied›, ist als Dichtung vom Dietrichhelden Hildebrand bereits eine Sprossdichtung. ‹Dietrich und Wenezlan› und ‹Biterolf und Dietleib› stellen schon aus chronologischen Gründen sicher (‹Dietrich und Wenezlan›) bzw. möglicherweise (‹Biterolf›) keine Reaktionen auf die erhaltenen Fluchtepen dar, sind also nicht als Ausweichen vor dem ‹lückenlosen› Erzählen der ‹Flucht› aufzufassen, sondern als konzeptionelle Alternativen zur Fluchtsage. Konkret ist alternatives Erzählen von Dietrichs Nicht-Vertreibung in ‹Alpharts Tod› über weite Strecken zugleich auch die Geschichte einer Nebenfigur, nämlich des Dietrichhelden Alphart. Auf die Fluchtepen bezogen ist die Geschichte Alpharts durch den Hintergrund der (versuchten) Vertreibung Dietrichs durch Ermrich und durch die Motivation der Schlacht gegen den Aggressor als Rache für den jungen Helden; Alphart stirbt aufgrund heroischen Verhaltens (seinem Insistieren auf einer Ehre, die er zu eigenwilligen Bedingungen definiert), liefert aber gerade dadurch den Anlass für eine siegreiche Schlacht und damit für eine Alternative zum heroischen Deutungsmuster des glücklosen Siegs. Mit der Alternative ist ein Wegdriften aus dem Kern der ‹historischen› Dietrichüberlieferung verbunden; das kann auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Mitteln erfolgen: Dietrich ist gerade in den den Fluchtepen vergleichsweise nahe stehenden Alternativerzählungen nicht mehr Hauptprotagonist (‹Alpharts Tod›, ‹Biterolf und Dietleib›; Ausnahme ist, soweit aus dem Fragment zu schließen, ‹Dietrich und Wenezlan›). Erzählalternativen

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Aspekte der Poetik

werden teilweise in anderen Handlungskontexten verhandelt; nur noch ‹Alpharts Tod› und ‹Dietrich und Wenezlan› sind vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Dietrich und Ermrich bzw. des Exils situiert, nicht ‹Biterolf und Dietleib›. Teilweise kommen andere Erzählmuster hinzu, so in ‹Dietrich und Wenezlan› Elemente der aventiurehaften Dietrichüberlieferung wie das Herausforderungsschema und Dietrichs zagheit; so wird anscheinend, alternativ zur Dienstmannenepisode von ‹Dietrichs Flucht›, aufgezeigt, wie sich Gefangennahme und Erpressung ritterlich regeln lassen – ob ohne blutige Völkerschlachten, lässt das Fragment nicht erkennen; das Exil bleibt Dietrich jedenfalls nicht erspart. Im Fall von ‹Biterolf und Dietleib›, noch mehr von ‹Eckenlied› und ‹Rosengarten› D allerdings werden Thema und Deutungsmuster der ‹historischen› Dietrichüberlieferung ganz in andere Gattungskontexte gestellt. In diesen letzten Fällen kann Dietrich auch wieder Hauptprotagonist sein. Dass Zyklusbildung im Fall der Dietrichüberlieferung auf Alternativen zielt, nur am Rande auf Komplettierung, betrifft schon die Fluchtepen selbst im Verhältnis zum ‹Nibelungenlied› und im Wechselverhältnis von ‹Rabenschlacht› und ‹Dietrichs Flucht›. Was sich in der Ereignischronologie und im Überlieferungsverbund als Ausweitung und bruchlose Steigerung der Rolle des armen Dietrich ausnimmt, die für die Fluchtepen im Tod der drei Jungen und im Zusammenhang mit den Nibelungendichtungen im Amelungenuntergang kulminiert, kann von der Zyklusbildung ‹nach hinten› her anders verstanden werden: ‹Dietrichs Flucht› vervollständigt nicht nur Dietrichs Unheilsgeschichte, sondern demonstriert auch, wie Dietrich immer wieder neu anfängt, niemals aufgibt und immer wieder Rückhalt und Unterstützung findet. Obwohl unbestimmt bleibt, was dominiert – das ständige Scheitern oder das Niemals-Aufgeben, die Unausrottbarkeit des Bösen oder die Beständigkeit des Guten –, kann das durchaus als Alternative zur nibelungischen Katastrophe wie zur dietrichepischen Rolle des armen Dietrich gelten. Zyklusbildung impliziert in diesem Fall Sinnkomplexion.

3. Erzählhaltung und Erzählerrolle124 Die ‹historische› Dietrichepik kennt wie ‹Nibelungenlied› und ‹Klage› die auch im höfischen Roman üblichen grundlegenden Erzählerfunktionen und -floskeln:125 Quellenberufungen, Wahrheitsbeteuerungen und Glaubwürdigkeitsversicherungen, Beteuerungen von Nichtwissen im Einzelfall, Unsagbarkeits- und Unzulänglichkeitstopoi, Vorankündigungen und Vorausdeutungen, seltener Rückverweise, häufig Gliederungssignale und Überleitungen, Formeln zur Pflege des Publikumskontakts, Erklärungen, Kommentare und Wertungen. Diese Erzählereingriffe kennzeichnen eine von Mündlichkeit oder Schriftlichkeit und sogar von Gattungen weitgehend unabhängige ‹Standard-Erzählerrolle›, die in der Heldenepik ebenso begegnet wie in der sog. Spielmannsepik, in deutschen Chansons de geste und im höfischen Roman, zum Teil sogar in der Chronistik. Typisch für die ‹historische› Dietrichepik (und Heldenepik allgemein) ist allenfalls ein negativer Befund gegenüber dem höfischen Roman:

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Das Teilkapitel beruht weitgehend auf früheren Überlegungen (LIENERT 2003, LV Nr. 420) unter Einbeziehung der Kritik von KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 205–221. Allgemein zum Erzähler in mittelhochdeutscher Dichtung vgl. etwa PÖRKSEN 1971 (LV Nr. 489); NELLMANN 1973 (LV Nr. 475).

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

Was über die ‹Standard-Erzählerrolle› hinausgeht, fehlt ganz oder weitgehend, die Fiktionalisierung der Erzählerrolle in Bruchstücken fiktiver Erzählerbiographien mit Stilisierung einer Autorrolle ebenso wie nennenswerte Metafiktion. Verglichen mit ‹Nibelungenlied› und ‹Klage› ist dieser Befund in den ‹historischen› Dietrichepen noch stärker ausgeprägt, indem sie textspezifische Besonderheiten zumindest teilweise nivellieren. Tendenziell neigt die ‹Rabenschlacht› eher zu Sentimentalisierungen und Vorausdeutungen, die ‹Flucht› eher zu Moralisierungen;126 aber auch die ‹Rabenschlacht› kennt moralisierende Wertungen, die ‹Flucht› auch Sentimentalisierungen und Vorausdeutungen. In beiden Fluchtepen sind die Erzähler auffällig präsent. In ‹Alpharts Tod› finden sich ebenfalls Erzählerbemerkungen fast jeder Art, aber nicht in der gleichen offensiven Häufigkeit; vor allem die in den Fluchtepen omnipräsenten beiläufigen Zwischenbemerkungen (wie Aufforderungen zur Aufmerksamkeit, Wahrheitsbeteuerungen, Bekundungen der Anteilnahme) begegnen seltener. In keinem der Texte gibt es eine persönliche Erzählerfigur, weder als Autor-Figura noch als fiktive ‹Person›. Die einzige Ausnahme ist Heinrich der Vogler, «vielleicht der Redaktor der vorliegenden Fassung des Werks»,127 der sich im zeitgeschichtlichen Exkurs von ‹Dietrichs Flucht› (DF v. 7932–8001) in der Spruchdichterrolle des Zeitkritikers präsentiert.128 Dieser Erzählerexkurs beginnt (eng geknüpft an Helches Ratschläge, Gefolgsleute angemessen zu belohnen, um undiensthaften muot, DF v. 7930, zu verhindern) mit einer generalisierenden Fürstenlehre: [H]ohen fursten stehe es gut an, sich mit helf, g*te und willigem m*te der Bereitwilligkeit und des Dienstes ihrer Leute zu versichern (DF v. 7932–7937). Insbesondere zur Kriegsführung sei der leute gunst unverzichtbar (DF v. 7938f.). Eindringlich gewarnt wird davor, sich Dienst zu erzwingen (DF v. 7940–7945). Markiert durch die mehrfach wiederholte Zeitangabe nu (DF v. 7946, 7947, 7948, 7949, 7958) und durch einleitendes emphatisches Owe (eine häufige Erzähler-Interjektion in beiden Fluchtepen), geht die Lehre in Zeitklage über: Owe, waz des nu geschiht, wie manigen nu man dinen siht, betwngen die nu alle tage! Ist iz nu meist der werlde chlage, daz si so vil dient an ir danch und daz diu helfe ist so chranch, die man in dar umbe t*t (DF v. 7946–7952). Die Klage über erzwungenen Dienst und fehlende Entlohnung mündet ihrerseits in eine heftige Verfluchung der (schlimmen) Fürsten, wie sie in der Gegenwart (nu) anscheinend vorherrschen. Das wiederholte nu unterstreicht den Gegensatz zur erzählten Vergangenheit des offenbar idealen Fürsten Dietrich. Anklänge im Erzählduktus an die Verfluchungen Ermrichs (siehe S. 160–162) betonen die Parallele zwischen den bösen Fürsten in Vergangenheit und Gegenwart:

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Vgl. auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 221. HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 74. Vgl. CURSCHMANN 1986 (LV Nr. 188), S. 188; COXON 1998 (LV Nr. 179), S. 157; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 207.

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Aspekte der Poetik

Des swende got der fursten g*t, und sei ir sele und ir leben dem ubelen tievel ergeben. Diser fl*ch chlagelich ge uber die bosen fursten rich, die nu da fursten sint genant! (DF v. 7953–7958). Der Fluch wird gemünzt auf die, die ihren Besitz missbräuchlich einsetzen (DF v. 7959– 7963) und mit einer Warnung an die Adressaten verbunden: ir wert nimmer ane sorgen (DF v. 7964). Diese Warnung wird in direkter Rede fingierter Boten ausgemalt in zwei konkreten Situationen der Ausbeutung durch ‹böse› Fürsten: der Aufforderung zu ruinöser Hof- und Heerfahrt (DF v. 7965–7981). Die stufenweise Konkretisierung – von allgemeiner Fürstenlehre über Zeitklage und Fürstenschelte hin zu konkreten Kritikpunkten – gipfelt in der Namensnennung: Dise berndiu swære hat Hainrich der Voglære gesprochen und getihtet (DF v. 7982–7984). Dass damit eine fremde Dichtung Heinrichs des Voglers zitiert werde,129 ist mir nicht nachvollziehbar; Selbstnennungen in der 3. Person sind ganz gängig; berndiu swære dürfte die soeben im Exkurs kritisierten anhaltenden Missstände der Gegenwart meinen. ‹Heinrich der Vogler› gilt allgemein als Namensfiktion. Viele Spruchdichter tragen allerdings ‹fiktive› (freilich zumeist sprechende) Namen. Zeitkritik, Lob der Vergangenheit, Fürstenmahnung und -schelte gehören zum traditionellen Repertoire der Spruchdichtung. Konkretisiert werden im Folgenden auch die Adressaten: graven, vreien, dinstman (DF v. 7986, 7998). Die Übergriffe des Landesherrn gegenüber diesem nicht-fürstlichen Adel werden als Rechtsbruch definiert (DF v. 7989f.) und weiter als ‹Enteignung› konkretisiert: Iz ist war, daz ich iu sage. Man setzet die geste "f iwer erbe veste und m)zet ir dar z* sehn (DF v. 7991–7994). Zu protestieren dürfe niemand wagen, und auch der Kritiker resigniert: Da seine Kritik keine Abhilfe bringe, beschränkt er sich auf eine Bitte um Gottes Segen für seine Adressaten (DF v. 7995–8001). Welche Funktion die Namensnennung hat, bleibt unklar: Autornennung dürfte auszuschließen sein, nicht nur wegen der gattungstypischen Anonymität der Heldendichtung, sondern auch wegen des durchsichtig fiktiven Namens und der Platzierung der Nennung im Rahmen eines Exkurses, der deutlich von der Haupthandlung abgehoben ist. In beiden Fluchtepen finden sich freilich vergleichbare Erzählerkommentare mit laudatio temporis acti und Schelte der Jetztzeit (Kritik an ausbeuterischen Fürsten der Gegenwart, Klage über den Niedergang der Höfe und höfischer Tugenden), nicht nur im Hauptteil der ‹Flucht› (allgemeiner auf den Niedergang der Hofesfreude bezogen auch DF v. 7492–7495), sondern auch

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So CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 379f.

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

in der genealogischen Vorgeschichte (DF v. 94–96, 192–246) und in der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 96–100).130 Weren die fursten nu niht so plint, so gedechten sy an dienst nu, als die fursten tetten do (DF v. 94–96); Waren da die leute starch, so sint sy nu ungetrewe und karg, faul und unstgtte. [...] Der pesten f*r, der man nu phliget, daz ist, daz die schannde nu wiget ze vast für die ere. [...] Die ere hat zu hofe ir stat, owe, laider gar verlorn [...] Ir herren, ir habt nu klainen trost, die da hayssent graven, freyen, dienstman, seit man ewr dienst nicht lonen kan [...] (DF, aus v. 192–246); [...] Mich nimt des michel wnder, war chomen si bi disen tagen rehte milt und ere, [...] [...] war t*t diu werld nu hin daz g*t, daz man so læsterliche ze allen ziten da mit t*t! [...] Getriu und erbære was diu werld bi alten tagen [...] Nu ist diu tugende verswnden, mit schanden lebt diu werlt bi disen stunden. Nu verweizet man mir sere min vluechen und min chlagen [...]

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Vgl. COXON 1998 (LV Nr. 179), S. 156–161. Zu den Zeitklagen in den Exkursen von ‹Dietrichs Flucht› vgl. bes. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 379; MÜLLER 1980 (LV Nr. 459), S. 209– 214; HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 72–75.

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Aspekte der Poetik

Ich wil chlage mazzen, wand ez vervæht mich niht, und al min vluechen lazzen. Swa grozzer schade nu geschiht, dar ouf ahtet man nu chleine. Nu sein si vur sich verteilet und unreine! (RS, aus Str. 96–100). Alle diese Erzählerexkurse verbindet die durch Zeitangaben unterstrichene Gegenüberstellung von idealer Vergangenheit (do, bi alten tagen u.ä.) und verderbter Gegenwart (nu, bi disen stunden). In allen Fällen geht es in erster Linie (auch wo generalisierende Aussagen sich erst allmählich konkretisieren) um rechtes und verfehltes Fürstenverhalten, ausdrücklich in allen drei Exkursen der ‹Flucht›, implizit auch in der ‹Rabenschlacht› (angesprochen sind auch dort Fürstenqualitäten). Auffällig sind insbesondere die Parallelen zwischen dem längeren Exkurs der genealogischen Vorgeschichte und dem Vogler-Exkurs, in dem sogar wörtlich dieselben Adressaten angesprochen sind: graven, freyen, dienstman (DF v. 241, wie v. 7986, 7998). Ein zentrales Thema in der Vorgeschichte wie im Hauptteil der ‹Flucht› ist unbelohnter, erzwungener Dienst. Vor allem im längeren Exkurs der Vorgeschichte und in der ‹Rabenschlacht› geht es grundsätzlicher um tugende und übergreifende Fürstenqualitäten wie ere und triuwe, die freilich immer auch auf milte, angemessene Entlohnung, ausgerichtet sind. Der resignative Gestus hilflos-folgenlosen Klagens ist beiden Fluchtepen gemeinsam (bes. DF v. 232f., 243–245, 7998–8001; RS Str. 99f., bes. 100,1–3), aber auch die als ‹Fluchen› bezeichnete scharfe Kritik (DF v. 7956, vgl. v. 7960; RS 99,2, 100,3, vgl. 97,5). In der ‹Rabenschlacht› fehlt freilich jeder konkrete Anknüpfungspunkt für die Zeitkritik; dafür sind die Formulierungsanklänge an die der erzählten Vergangenheit immanente Fürstenkritik (an Ermrich) deutlicher. Die Ähnlichkeiten sprechen für eine Art gemeinsamer ‹Endredaktion› der Fluchtepen, bei der die Kommentare eingefügt worden sein könnten. Eine solche dürfte Korrektur an Schriftfassungen, mithin monatelanges Redigieren in einer Schreibstube voraussetzen. Auf einen fahrenden Berufsdichter als Redaktor dürfte die Namensnennung (obwohl sie den Benennungsgepflogenheiten der Fahrenden am ehesten entspricht) also nicht verweisen; sie wäre vielmehr als intertextuelles Signal für die Spruchdichterrolle zu deuten, die der Erzähler in den Exkursen annimmt. Die Erzählerkommentare mit laudatio temporis acti entsprechen der zeitlichen Grundstruktur von ‹Dietrichs Flucht› mit ihrer Gegenüberstellung von (fast) idealer Vorvergangenheit und nicht mehr (bzw. nur noch partiell) idealer Heldenzeit (vgl. S. 128, 246). Aus den anderen Erzählerbemerkungen fallen sie (teilweise) heraus durch die Länge und – in der ‹Flucht› – ihre politische Tendenz (vgl. S. 247f.). Freilich teilen sie ihre moralisierende Grundtendenz mit Erzählerwertungen von Ermrichs untriuwe: Der ander, der hiez Ermrich. Herre got, nu chlag ich, daz er ie einen tach genas, wand er der ungetriwiste was, der ie von m)ter wart geborn (DF v. 2414–2418); dar an man sin untriwe sach (nu seht!), da er sin triwe brach an sinem liewem kinde (DF v. 2464–2466 und ff.);

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

Owe der grozzen schande, daz die [die Tötung der Harlungen] got vertragen hat! [...] Got daz sit allez rach an sinem g*t, an sinem leben. Er nam im, swaz erm het geben, und rach den mæinræten zorn. Der lip, der wart hie verlorn. Nu ist diu sele geselle des tyevels in der helle (DF v. 2557–2567); Daz [Ermrichs Niederlage] wart vil seine gechleit, wan er ist ewichlich verlorn. Ist er ze helle geborn, daz dunchet nieman unbillich. Untriwe ist von im in diu rich leider alreste chomen, [...]. Da von chlag ich in seine, wand er was unreine an allen sinen dingen. Des m*st im misselingen (DF v. 3509–3519); Diu verteilte jugende [Ermrich] begie ein groz untugende (DF v. 4330f.); Des werd im verteilet, des schuld ez erste was, sin sel si ungeheilet, wand ich an b*chen nie gelas von so grozen untriwen! Des sol ouch mich sin schade selten riwen. Ich meine Ermriche, von dem manigiu leit sint chomen sicherliche, als ich iu e han geseit [...] (RS 79,1–80,4 und ff.); Des sei verfluchet diu vart, die si in romisch lant ie getaten! Ermrich, der het si alle verraten (RS 722,4–6); Daz chom et allez von Ermrichen. Des m*z im got an dem urteil gesweichen und gewinne sin nimmer r*che weder dort noch hie! Daz ich im also fl*che, daz moht ich gelazen nie.

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Aspekte der Poetik

Ja m*st von sinen schulden manich man den grimmen tot dulden (RS 757,5–758,6); Des m*ze got verteilen Ermriche! (RS 778,6); Nu bitet alle, daz got Ermrichen schende! (RS 817,6); Owe, ja chlag ich chlagelichen, daz si niht sl*gen selb Ermrichen (RS 864,5f.). Die Bösewichter und ihre untriwe werden radikal und voll emotionaler Anteilnahme abgewertet. Gut und Böse sind in eindeutiger Schwarzweißmalerei verteilt: Gut sind Dietrich und seine Leute; mit Ermrich kommt die untriwe in die Welt (DF v. 3513f.). In ‹Alpharts Tod› werden Witeges und Heimes Rechts- und Treuebruch gebrandmarkt: Der daz gern hore, das kan ich gesagen, was großer untruwe an dem Berner wart erhaben: Wytdich und Hen, dye brachen gotes recht, dye here gesellen. Hye vor da was es slecht. Das muß got erbarmen, das ys ye geschach, das man an eym jongen rytter das gots recht ye gebrach! Zwene bestonden eyn, das was hye vor nyt syede. Wytdich und Hen swechten yr ere sere da myde. [...] (AT v. 48–55 und ff./13,3–15,2 und ff.); [...] wan er [Heime] syn truw an herre Dytrichen brach, er und syn geselle Wytdich. Von Sebichs reten das geschach (AT v. 160f./41,3f.). Die Erzähler der ‹historischen› Dietrichepik sind alle dezidierte Moralisten. (Die Erzählerkommentare stellen freilich nur einen Teil der Wertungen; vielfach sind Abwertungen auch handelnden Personen in den Mund gelegt, in ‹Alpharts Tod› die Kritik an Ermrich dem Überläufer Heime, die Schelte von Witege und Heime auch Alphart selbst.) Wenn es zutrifft, dass Wertung bewusste Sinngebung aus schriftliterarischer Distanz darstellt, die die fraglose Wahrheit des gemeinsamen kollektiven Traditionsstroms ersetzt,131 steht die ‹historische› Dietrichepik einem kollektiven Traditionsstrom, mithin ‹mündlichem› Erzählen (soweit wir es rekonstruieren können) fern. Die laudationes temporis acti der Erzähler in den Fluchtepen brechen mit der Kluft, die sie zwischen idealisierter Vergangenheit und bedrohlicher Gegenwart aufreißen, das Kontinuum kollektiver Tradition mindestens auf einer inhaltlichen Ebene auf.132 Dieser Bruch zwischen Gegenwart und Tradition betrifft den heldenepischen Hauptteil von ‹Dietrichs Flucht› und die strophische ‹Rabenschlacht› ebenso wie die von anderen Gattungen geprägte Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›. Ansonsten stilisiert sich der Erzähler in erster Linie als Präsentator vor einem (impliziten) Hörerpublikum und beschränkt sich sehr weitgehend auf ‹Regiebemerkungen›: Überleitungen, Ankündigungen, Rückerinnerungen. Vorausdeutungen dienen in der ‹Flucht› auch zur

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Vgl. MERTENS 1996 (LV Nr. 443), S. 362; ders. 1997 (LV Nr. 444), S. 145. Vgl. ebd., S. 143.

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

Strukturierung (vgl. bes. S. 108–110), in der ‹Rabenschlacht› daneben der Einstimmung auf zu erwartendes Leid. Überleitungen beenden Nebeninformationen (wie z.B. den intertextuellen Verweis auf Siegfrieds Ermordung durch Hagen, DF v. 2058f.) und führen zum Haupthandlungsstrang zurück (hier Sighers Tod). Mit Nu lazze wir diu mære wesen (DF v. 2378) wird der Bericht von Hugdietrich abgekürzt. Nu lassen wir die rede stan / und heben hie wider an (DF v. 3816f.) leitet über von Dietrichs Klage um die Gefangennahme seiner Mannen zum Schicksal der Gefangenen, Nu laze wir diu mære stan / und heven hie wider an (DF v. 4176f.) von den Treuezusagen der Gefolgsleute für den Gang ins Exil zu Dietrichs Vorschlag, Ermrich wenigstens um Bern bitten zu wollen. Nu laze wirz hie mit gestan. / Welt ir, ich wil iuch wizen lan (DF v. 4500f.) beendet die Vorausdeutung auf Amelolts Kämpfe gegen Ermrich und leitet die Schilderung des tränenreichen Abschieds der Exilanten von den Damen ein. Nu laze wir die mære stan (DF v. 6054) schließt eine Aufmunterungsrede Wolfharts ab und markiert den Übergang zum Aufbruch des Heers Richtung Mailand. Innerhalb einer längeren Erzähleraussage bezeichnet Nu laze wir diu mære stan / und heben hie wider an (DF v. 9654f.) das Ende langer Hyperbeln für das Ausmaß der Verluste nach der Schlacht von Bologna und die Rückkehr zu namen- und faktenorientiertem Bericht. Nicht selten freilich werden solch stereotype Überleitungsfloskeln eingesetzt, wo Überleitung gar nicht erforderlich ist, da weder eine Episode durch eine andere abgelöst wird noch der Erzählstrang wechselt: Nu lassen wir die mere stan / und heben aber an (DF v. 127f.) und Dise rede lassen wir nu sein (DF v. 137) stehen, dicht aufeinander folgend, beide innerhalb der rühmenden Beschreibung von Dietwarts Hof- und Lebensführung. Nu lassen wir die mare stan / und heben hie wider an (DF v. 1894f.) leitet nach dem ersten Hinweis auf Dietwarts Tod und seinen Sohn Sigher (DF v. 1888–1893) nochmals zurück zu Dietwarts Ende. Eine nahezu gleichlautendende Schein-Überleitung (DF v. 2522f.) steht zwischen mehreren Anläufen, von Dietmars Tod und den Folgen von Ermrichs Treubruch für Dietmars Söhne und Reich zu erzählen: [...] Owe, do starp er [Dietmar] leider! [...] Do het er niwan zewei kint, die liten arbeite sint. Daz was Diether und Dietrich, die sit vertraip chunich Ermrich. Nu laze wir di mære stan und hebn hie mit wider an: Do der kunich Dietmar starp, romisch lant nach im verdarp, daz iz wart allez de [...] daz geschach von dem kunich Ermrich [...] (DF v. 2514–2529); Überleitung und Wiederansetzen des Erzählflusses sind allenfalls als Rückkehr von der Vorausdeutung in die Kontinuität der erzählten Zeit zu deuten; da aber Ermrichs Treubruch unmittelbar folgt, kann aber von einer unterschiedlichen Tendenz der beiden Anläufe, von

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Aspekte der Poetik

Dietmars Tod und seinen Folgen zu erzählen, nicht die Rede sein. Solche ScheinÜberleitungen dürften – wie Erzähleräußerungen jeder Art – auch der Hervorhebung dienen. Ein markantes Beispiel aus der ‹Rabenschlacht› illustriert, dass Regiebemerkungen dort tendenziell länger und umständlicher formuliert sind als in der ‹Flucht›: Nu merchet ane missewende, waz ich gesaget han. Nu hat die helfe ein ende, die dem von Berne wolden gestan ouf den chunich Ermriche. Nu horet anderiu mær sicherliche (RS Str. 76). Das schließt die Liste der Helden ab, die Dietrich in wörtlicher Rede ihre Unterstützung zusagen. Die angekündigten anderiu mær bestehen aber zunächst nur in einer hyperbolischen Beteuerung, die eigene Geschichte (ditze mære) übertreffe alles, was bislang wnders von Kriegen erzählt worden sei (RS 77,1–5), und dann in einem bloßen Resümee: Da gewan ein her der Bernære, daz nie her so starche chom in romisch lant (RS 77,6–78,2). Erst nach einer unbestimmten Vorausdeutung auf kommendes Leid und einer vehementen Invektive gegen Ermrich (RS 78,3–80,6) folgt wirklich etwas Anderes, die Schilderung von Dietrichs und Herrads Hochzeitsfest. Die aber wird erneut durch den Erzähler eingeleitet, mit Publikumsanrede und Gliederungssignal (in RW auch durch eine Aventiure-Überschrift): Merchet ir besunder, hie heb ich wider an. Haptz niht fur wnder, nu wil ich iuch wizen lan diu rehten mære drate: Nu nimt her Dietrich vr"n Herrate (RS Str. 81). Der lange Exkurs mit laudatio temporis acti, mit dem der Erzähler die Schilderung des Hochzeitsfestes unterbricht, wird wiederum durch eine Regiebemerkung (in RW zusätzlich durch eine Aventiure-Überschrift nahezu gleichen Inhalts wie die vorige) beendet: An minem altem mære [der Schilderung der Vermählung] heb ich wider an (RS 101,1f.). Wie um ein durch die Abschweifung irritiertes Publikum zu besänftigen, verspricht der Erzähler, diesmal bei der Sache zu bleiben: Dar an ich iu stæte beleibe (RS 101,6). In ähnlicher Form (Überleitung zum Abschluss des einen und Beginn des nächsten Ereignisses, begleitet von einer Aventiure-Überschrift, RS 143,1–4) schließt der Erzähler das Heeresaufgebot an die Vermählung an. Wieder wird hier das Geschehen nicht zielgerichtet vorangetrieben, sondern der Erzähler verweilt, trotz seiner Ankündigung, daz mære beleiben zu lassen und weiterzuerzählen (RS 143,1–3), für einige weitere Strophen (RS Str. 144f.) bei der Hochzeit und kündigt das Folgegeschehen dem Publikum noch mehrfach eigens an: [...] nu sult ir horen ane strit, wiez an daz ende ist bechomen.

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

Nu vernemt iz alle gerne: nu bereitet sich der vogt von Berne. An alle missewende sult ir daz vernemen. Ez hat nu hie mit ende. Iu mach ze horen wol gezemen ditz starche mære: Nu wil sich hebn heim ze land der Bernære. Nu vernemt endichliche rehte, waz ich sage, und horet al geliche (RS 146,3–148,3). Auf die Ankündigung folgt kurz ein Hinweis auf die sich sammelnden Heere, verbunden mit einer Rückwendung zu den bereits genannten Kampfgefährten (als ir e habt vernomen, RS 149,4) und mit Vorausdeutungen auf Ermrichs leit (RS 151,6). Das Wichtigste am Aufbruch der Heere, die Beteiligung der Helchesöhne, wird nochmals feierlich angekündigt: Nu horet starche mære, die ich iu sagen wil, und merchet sunderbære, so chund ich iu des wnders vil und wil iu daz bescheiden. Nu lat iu ditz mær niht leiden (RS Str. 152). Wieder dient die Erzähleräußerung in erster Linie der Hervorhebung. Publikumskontakt und Textregie fallen vielfach zusammen; Regiebemerkungen sind nicht selten an das als Zuhörer imaginierte Publikum gerichtet. In allen Texten wird in erster Linie die aktuelle Rezeptionssituation gestaltet, und zwar als Vortragssituation, als konstruierte Mündlichkeit. (Angesichts der regelhaften Vortrags- bzw. Vorlesesituation für mittelalterliche Literatur ist diese Rezeptionssituation auch realiter wahrscheinlich; erstaunlich ist, in welchem Umfang diese Selbstverständlichkeit in die Texte eingeht.) Bei weitem die häufigsten Erzähleräußerungen der ‹historischen› Dietrichepik sind Formeln, Aufmerksamkeit zu heischen, und Mittel des Publikumskontakts. Schon die Eingangspassagen beider Fluchtepen (in ‹Alpharts Tod› fehlt der Textbeginn) sind in erster Linie an ein Zuhörerpublikum gerichtet, dem der Erzähler den Vortrag von Unerhörtem (‹Dietrichs Flucht›) bzw. scheinbar gut nibelungisch von ‹alten Geschichten› (‹Rabenschlacht›) ankündigt und dafür um Gehör wirbt: Welt ir nu horen w*nnder, so verkúnde ich euch besonder die starchen newen m’re. Last euch nicht wesen schw’re, ob ich euch sage die warhait (das habt nicht verlait) von ainem edlen kqnige heer (DF v. 1–7). Dass der Erzähler für die zu erzählende angebliche Wahrheit erst werben muss (so als bereite die, anders als fiktionale Unterhaltung, eher Verdruss), irritiert; möglicherweise soll damit von der nicht fraglos verbürgten Wahrheit der genealogischen Vorgeschichte abgelenkt wer-

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Aspekte der Poetik

den. Der Beginn der ‹Rabenschlacht›, die Ankündigung alte[r] mære scheint konventioneller (RS 1,1–4). Freilich verschiebt sich die Bedeutung der alten mære: dar z* (RS 1,4), d.h. zum gegenwärtigen Vortrag, sollen die Zuhörer schweigen, wenn sie ‹alte Geschichten› hören wollen. Worum es geht (zugleich ein kurzes Resümee der vorangegangenen Ereignisse), wird in den ersten drei Strophen umrissen, mit Ankündigungen ans Publikum (daz t*n ich iu bechant RS 2,2) und Verweisen auf unbestimmte Gewährsleute (als mir ist geseit RS 3,2). Strophen 4 und 5 verbinden Ankündigung und Wendung ans Publikum unter erneuten Anklängen an das ‹Nibelungenlied› (RS 4,1f.; RS 5,1f.; vgl. auch S. 178). Nu und hie (RS 4,1f.; 5,1) verstärken die Lenkung hin zum aktuellen Vortrag, dem freilich zugleich die Signalwörter altheroischer Memoria oder zumindest des nibelungischen Prätextes (grozer arbeit, michel wnder, singen unde sagen; RS 4,2; 5,1f.) zugeschlagen werden. Anders als im ‹Nibelungenlied›, wo das Publikum und Hörer einschließende uns (NL 1,1) allmählich in Erzähler und ir (NL 1,4) ausdifferenziert wird, gibt es hier am Anfang nur ein ir, kein uns; die Doppelformel singen unde sagen bezieht sich nicht auf kollektiv-mündliche Tradition, sondern auf den aktuellen Vortrag. Dennoch suggeriert die Sequenz der Erzähleräußerungen durchaus ein Heraustreten des eigenen Vortrags aus dem Horizont der kollektiven Memoria: Welt ir in alten mæren wnder horen sagen [...] so sult ir gerne dar z* dagen (RS 1,1–4); daz t*n ich iu bechant (RS 2,2); als mir ist geseit (RS 3,2); Nu sult ir horen gerne (RS 4,2); Nu horet michel wnder hie singen unde sagen (RS 5,1f.). Pointiert interaktive Strukturen oder Simulation von Kopräsenz fallen insgesamt in den Fluchtepen nicht auf; die Stilisierung des Erzählvorgangs zur Vortragssituation erfolgt hauptsächlich über Formeln des Aufmerksamkeit-Heischens wie ‹Nun hört›, ‹Nun merkt auf›, etwa: nu merchet reht, waz ich iu sage (DF v. 4547), Nu habt irs alles wol vernomen (DF v. 1774). Besonders häufig, fast formelhaft erscheint in beiden Fluchtepen – wegen des Reims auf Berne – Nu sult ir horen gerne (DF v. 3318, RS 4,1 u.ö.). In den häufigen Wendungen des Typs nu sult ir h ren, wie er sprach (z.B. DF v. 3901) wird das Publikum als Ohrenzeuge von Figurenrede angerufen. Gerade der Publikumsbezug des Erzählers ist indes typisch für schriftliterarische Kontexte – «der mündliche Stil ist ‹kontaktarm›».133 Die Erzählerfunktionen in der ‹historischen› Dietrichepik sind – wie im ‹Nibelungenlied›, anders als in der ‹Klage› – regelhaft vom Erzähler übernommen. Nur in den Botenberichten – besonders ausführlich denen Rüdigers bei seiner diplomatischen Mission nach der fatalen Rabenschlacht (vgl. S. 150f., 210) – fungieren auch handelnde Personen als Erzähler, mit zum Teil eigener Perspektive auf das berichtete Geschehen. Einen konsequenten terminologischen Unterschied zwischen ‹Reden› auf der Figurenebene und ‹Erzählen› auf der Erzählerebene gibt es nicht: Figurenrede und Erzählerrede, Alltagsrede und heroische Erzählung

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CURSCHMANN 1984 (LV Nr. 187), S. 236.

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

scheinen in dieser Hinsicht kaum gegeneinander ausdifferenziert; beides kann rede oder mære sein, sprechen oder sagen. (Allerdings wird die aktuelle mündliche Rede handelnder Figuren häufiger mit sprechen bezeichnet; für Erzähleräußerungen sind meist sagen, künden, verkünden, bescheiden, wissen lan gewählt, selten sprechen, gelegentlich tihten.) Sogar die Formulierung die starchen newen m’re, die vielleicht programmatisch antinibelungische Inhaltsankündigung im prologähnlichen Eingang von ‹Dietrichs Flucht› (DF v. 3),134 wird auch für handelnde Figuren, insbesondere für Botenberichte verwendet (DF v. 3008, 5977 u.ö.; vgl. auch RS 261,5). Eine Reflexion über Rede und Schrift auf der Metaebene findet nicht statt; Ansätze zur Selbstreflexion des Erzählens gibt es kaum. Schon in den Selbstbezeichnungen der Texte135 wie auch in den Bezeichnungen der Quellen sind b*ch, mære, rede und liet nahezu austauschbar. In der ‹Rabenschlacht› herrscht mære (z.B. RS 98,3; 101,1) vor: Hie mit hat ein ende ditze mære (RS 1139,6). In ‹Alpharts Tod› sind buch und liet fast synonym verwendet: als uns sagt dys dutzsch buch, und yst eyn alts lyet (AT v. 175/45,2); das buch (AT v. 218/56,1) meint die Quelle, dyß buch, das heyst Alparts dot (AT v. 1871/467,4) dagegen den aktuellen Text – wie lyet (AT v. 216/55,3). In ‹Dietrichs Flucht›, die für den aktuellen Text wie für die Quelle das Nebeneinander von mere/mære (z.B. DF v. 1788, 2322 [nur Hs. A], 2378, 2421), b*ch und liet kennt, endet sich daz liet (DF v. 10129) – trotz der Selbstbezeichnung ditze b*ch von Berne (DF v. 10 080, fehlt P; vgl. auch v. 10 106: des b*ches von Berne). In den letzten 50 Versen von ‹Dietrichs Flucht› begegnen b*ch (DF v. 10 080, 10 106), mære (DF v. 10 096), rede (DF v. 10 125) und liet (DF v. 10 129). Die Selbstbezeichnung b*ch von Berne reimt, wohl mit Bezug auf die Vorlesesituation, auf horen gerne (DF v. 10 081). Die (seltenen) Varianten in der Überlieferung tauschen mære und b*ch, mære und rede gelegentlich weiter aus; es stehen sich gegenüber Hie mit daz mær ende nam (DF v. 7446, nach Hs. R) und Hie mit die rede ende nam (Lesart der Hs. P), als wir daz b*ch horen sagen (DF v. 2395, nach R) und Als ich daz mere horte sagen (P). Von einem programmatischen «Anspruch der Schriftliteratur»136 kann angesichts der Verweise auf die Mündlichkeit der Rezeption kaum die Rede sein. Dies hängt damit zusammen, dass bekanntlich schon die Wortsemantik keine Opposition schriftlich/mündlich vorsieht: sprechen und sagen bezeichnen jede Art von Mitteilung, rede ist jede mündliche oder schriftliche Äußerung. Eindeutig ist einzig singen, das in diesem Gattungskontext ausschließlich den strophischen Heldenepen vorbehalten scheint, freilich in Bezug auf den konkreten Vortrag, nicht auf die Quelle. Erzählen inszeniert sich in den ‹historischen› Dietrichepen im Spannungsfeld zwischen (unbestimmter) schriftlicher Quelle (inwieweit mündliche Tradition noch eine Rolle spielt, ist strittig) und Vortragsmündlichkeit. Metabemerkungen, die eindeutig ‹schriftliterarisches› Erzählen oder aber Erzählen als Fortführung kollektiver Memoria thematisieren, kommen so gut wie nicht vor. Thematisiert ist Erzählen als Vortrag, nicht als konzeptioneller Vorgang. Autorschaft137 ist für mittelalterliche Erzähltexte fast ausnahmslos nur als Aspekt der Selbstinszenierung des Erzählens zu fassen. Reflexion über Urheberschaft und Autorität des Erzählens findet in mittelhochdeutscher Heldenepik allenfalls zurückprojiziert auf Quellen statt:

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Vgl. LIENERT 1999 (LV Nr. 416). Vgl. allgemein DÜWEL 1983 (LV Nr. 201). Vgl. MERTENS 1997 (LV Nr. 444), S. 142. Vgl. bes. COXON 2001 (LV Nr. 180), zur Heldenepik S. 145–174, S. 167 zu ‹Dietrichs Flucht›.

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Aspekte der Poetik

Der Autor, wenn er überhaupt erwähnt wird, ist der Autor der (fiktiven) Quelle. Einschlägig ist in der ‹historischen› Dietrichepik allerdings nur eine einzelne Bemerkung in ‹Dietrichs Flucht› und nur in Handschrift A: Der unns das máre zusamen sloss, der t*t unns an dem p*che kundt (DF v. 1843f.). Die Formulierung zusamen sloss deutet auf einen ähnlichen Redaktionsvorgang, wie ihn die ‹Nibelungenklage› schildert (Kl *B v. 4295–4315), nicht auf Erfinden, sondern auf Zusammenstellung von Gefundenem. Autor- bzw. Redaktor-Figura der Quelle und aktuelle Erzähler-Figura des tatsächlich vorgetragenen Textes treten auseinander. Zur Entstehung heroischen Erzählens äußern sich die Erzähler nicht; nur handelnde Personen imaginieren bisweilen, wie sich heroische Überlieferung formieren könne (vgl. S. 256f.). Immerhin die Existenz mündlicher Dietrichüberlieferung als bis in die Gegenwart lebendige Memoria ruft auch der Erzähler auf, um den Spross seiner teilweise sagenfremden Vorzeitkönige eindeutig als den bekannten Sagenhelden zu identifizieren: Daz ist der Bernere, der mit maniger manheit elleu diu wunder hat bejeit, da von man singet unde seit (DF v. 2487–2490).138 Auf einer anderen Ebene liegt: Des starchen Dietriches hant rach da schaden unde leit, da von man noch hiute seit (DF v. 9083–9085). Hier dürfte die Suggestion kontinuierlichen sagens von den Ereignissen bis zur Erzählergegenwart nur die Bedeutsamkeit von Dietrichs Taten unterstreichen; denn die Schlacht von Bologna, von der hier die Rede ist, ist mit einiger Sicherheit sagenfremd – der Erzähler scheint hier für sein eigenes Erzählen die Aura der Sage in Anspruch zu nehmen. Quellenberufungen und Wahrheitsbeteuerungen sind weitgehend der Funktion des Publikumskontakts zu- und untergeordnet und daher meistens beiläufig. Die ‹historischen› Dietrichepen kennen – anders als die ‹Nibelungenklage› (Kl *B v. 4295–4318) – dabei keine Verschriftlichungsfiktion, die geschichtlich-heroische Erfahrung statt in mündlich-kollektive Erzähltraditionen systematisch in Wahrheit sichernde Schriftlichkeit überführt. Das dürfte bedeuten, dass Schriftlichkeit schon selbstverständlich geworden ist, obwohl offensichtliche Bindungen an konkrete schriftliche Quellen vermieden werden, trotz der wiederholten Berufung auf ein (erfundenes oder verlorenes?) b*ch. Ausgesprochen häufig sind – vor allem in den Fluchtepen – Wahrheitsbeteuerungen.139 Auch das scheint zu implizieren, dass die fraglose Wahrheit eines gemeinsamen kollektiven Traditionsstroms nicht mehr gegeben ist.140 Der ‹Nibelungenlied›-Erzähler stellt sich ausschließlich in die Tradition der alten mæren

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Das singen oder sagen von nicht näher definierten vreuden (DF v. 4721f.) bezieht sich allerdings nicht notwendig auf Sagenüberlieferung. Z.B. des hab ich nicht gelogen (DF v. 736), Ditze ist ein warez mære (RS 423,5) u.v.a. Vgl. MERTENS 1996 (LV Nr. 443), S. 362; ders. 1997 (LV Nr. 444), S. 145.

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(NL 1,1).141 Nachnibelungischen Heldenepen ist dies nicht mehr möglich. Im Prinzip – nur weniger elaboriert und reflektiert – verfahren die Erzähler der Fluchtepen ähnlich wie der der ‹Klage›: Alle Arten von Quellenanrufungen und Quellenverweisen auf schriftliche Texte und mündliches Hörensagen kommen vor (der Befund für die ‹Rabenschlacht› ist, trotz des programmatisch scheinenden Unterschieds der Ankündigungen auf alte oder newe mære zu Beginn der Dichtungen, nicht wesentlich von ‹Dietrichs Flucht› unterschieden142). Häufig sind Verweise auf Hörensagen (nur ein Bruchteil der Belege ist hier angeführt): Waz ich ye horte gesagen (DF v. 50), als ich vernomen han (RS 7,2), ist mir gesagt (DF v. 273), als man mir gesaget hat (DF v. 6905), als mir ist geseit (RS 3,2), Uns saget dikch daz mære (RS 121,5), ir habt iz ofte horen sagen (RS 98,4). Ebenso häufig begegnen aber auch deutliche Verweise auf eine schriftliche Quelle, ein ‹Buch› (Belege in knapper Auswahl): wie das p*ch von im las (DF v. 1927), als unns das p*ch von im las (DF v. 2273, fehlt in Hs. P), wie uns daz b*ch las (RS 446,2), als man an dem b*che las (DF v. 6643, fehlt P). Gelegentlich gehen Hörensagen und Quelle Hand in Hand: als ich fur war han vernomen und an den b*chen gelesen (DF v. 6331f.). Wie schon in Texten des 12. Jahrhunderts üblich, ist vielfach das Buch als Sprecher imaginiert143– wie mære (z.B. als wir das mer horen sagen, DF v. 1349) und liet (z.B. Nu horet, waz uns sagt daz liet, DF v. 3688): als mir das p*ch sait (DF v. 2031), als mir daz b*ch gesaget hat (DF v. 6207), wie mir daz b*ch hat geseit (RS 338,4), als uns daz b*ch gesaget hat (DF v. 3691); am häufigsten ist als wir daz b*ch horen sagen (DF 2395, 3542, 6630 – fehlt hier in P; RS 112,4). Gelegentlich wird ein Moment der Distanzierung vom buoch deutlich, wie seit dem ‹Alexander› des Pfaffen Lambrecht im höfischen Roman gängig: Uns welle daz b*ch liegen (RS 752,3). Das Verhältnis des Erzählers zur Tradition (ob mære oder b*ch) ist gestaltet wie das Verhältnis des Publikums zum Erzähler, selten als ‹Lesen›, nicht als bewusstes Gestalten oder Auswählen, sondern als h$ren oder vernemen. Schrift und Rede, Lesen und Hören sind auch hier nicht konsequent geschieden:144 ere mogent ys horen gern, als wyr ys vernomen han, wye ys an dem buch hye stet geschreben (AT v. 217f./55,4f.). KROPIK weist in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass schriftliterarische Texte in der Regel vorgelesen wurden.145 Das erklärt das Buch in der Rolle des Sprechers und rückt den Bezug auf mündliche Traditionen in weitere Ferne. Insofern indiziert das Schwanken des Pronominagebrauchs zwischen wir bzw. uns und ich bzw. mir in der Tat nur scheinbar die Position des Autor-Erzählers zwischen kollektiver Memoria und eigenem Erzählen. Wenn das b*ch in der Regel uns sagt oder liest, nicht ‹mir›, das mære aber mir erzählt (vgl. z.B. RS 446,2f.), ist das aus der Vorlesesituation zwanglos zu erklären. An minem altem mære / heb ich wider an (RS 101,1f.) bezieht sich vollends nur mehr auf die eigene Erzählung (für die

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Vgl. bes. CURSCHMANN 1992 (LV Nr. 191). Anders MERTENS 1997 (LV Nr. 444), bes. S. 144–146. Vgl. GRUBMÜLLER 1995 (LV Nr. 252), S. 38; COXON 2001 (LV Nr. 180), S. 151. Vgl. grundsätzlich etwa GREEN 1994 (LV Nr. 249), S. 147–149; SCHAEFER 1994 (LV Nr. 508). Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 210–212.

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Aspekte der Poetik

freilich mit dem Epitheton alt zugleich suggestiv die Aura der kollektiven Memoria reklamiert wird). Die Verweise auf Hörensagen – als ich vernomen han oder als man seit – sind nicht text- oder gattungsspezifisch; auf das Vorlesen eines Buchs müssen sie nicht notwendig verweisen, zumal mindestens für die strophische Heldenepik Sangvortrag, nicht Vorlesesituation die Regel gewesen sein dürfte. Dass die «Quellenimagination» konsequent die eines Buchs sei, das ein mære enthält und vorlesen oder erzählen kann, eine «Berufung auf die mündlich-kollektive Überlieferung» fehle,146 ist nur bedingt richtig: Eindeutig auf mündlichkollektive Sagentradition bezieht sich die bereits zitierte Aussage über die Heldentaten des Berners, da von man singet unde seit (DF v. 2490). Auch sonst lassen sich Formulierungen zum Teil schwerlich auf die Vorlesesituation beziehen, vor allem dann nicht, wenn der Erzähler sich auf ein anonymes man seit beruft – b*ch mag mit dem mære gleichzusetzen sein, das es enthält, aber schwerlich mit man. In den Verweisen auf Hörensagen wird die Grenze von Vortragsmündlichkeit und mündlicher Stoffüberlieferung verwischt. Bezug auf kollektive Traditionen wird zumindest durch die Formulierungen suggeriert. Freilich hat die Berufung auf ein man seit (die auch in höfischen Romanen vorkommt, dort meist eher in Bezug auf Weltwissen und Erfahrungen des Publikums) nichts von der Emphase der Beschwörung uns vertrauter alter mære im ‹Nibelungenlied›; d.h. mündlich-kollektive Traditionen, wenn sie denn vorausgesetzt werden, erscheinen allenfalls als beiläufiger Hintergrund. Die eine große – vermutlich aber doch die Rezeption steuernde – Ausnahme ist die oben zitierte feierliche Berufung auf die Sagentradition bei der Einführung des Protagonisten in ‹Dietrichs Flucht›. (In der ‹Rabenschlacht› hat diese Exposition kein Gegenstück, wohl weil sie für beide Teile des Doppelepos gilt.) Freilich dient diese Berufung auf die Sagentradition und die Dietrich zugeschriebenen wunder zwar der Positionierung des Helden im Sagenhorizont, zugleich aber auch der Abgrenzung des aktuellen Erzählens, das eigene Wege geht. Gegenüber der Tradition wird eine Kontinuität nicht in erster Linie des Weitererzählens, sondern des Überbietens hergestellt. Emphase fehlt auch den b*ch-Berufungen durchgängig; sie sind zumeist beiläufig und banal, beziehen sich – anders als die Identifikation des Protagonisten – meist auf nicht wirklich beglaubigungsbedürftige Nebenumstände (Zahlen, Namen, Heldenruhm oder Niederlage von Gegnern, banale Füllformeln und Redundanzen) und sind nicht an gewichtiger, die Rezeption steuernder Eingangsposition entwickelt. Quellenberufungen für Beiläufiges und Banales sind eher Topoi als echte Quellenangaben. Das ‹Buch› ist nicht zu identifizieren, keine tatsächlich nachweisbare Quelle also, sondern eine ‹Leerstelle›, die Berufungen auf das Buch sind Leerformeln, Aufrufe einer Glaubwürdigkeit verheißenden Quelle, mehr nicht. Offenbar hat, zumindest in den typischen Formulierungen, die Schrift ein Legitimationsprivileg. Dass die «wahrheitsverbürgende Kraft» der Berufung auf eine schriftliche Quelle schon um 1200 «längst verloren» sei,147 dürfte durch eine neuere Untersuchung widerlegt sein, die ähnliche Formeln auch in spätmittelalterlichen Romanen nachweist.148 Insofern ist es nicht zwingend, dass KROPIK den Gebrauch solcher Quellenberufungen in den Fluchtepen auf Anlehnung an den typischen Beglaubigungsgestus der zeitgenössischen Historiographie

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Ebd., S. 211 und 212. GRUBMÜLLER 1995 (LV Nr. 252), S. 50. Vgl. SCHMITT 2005 (LV Nr. 515).

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Erzählhaltung und Erzählerrolle

zurückführt;149 problematisch sind auch ihre Schlussfolgerungen, die «massiv auftretenden Wahrheitsbeteuerungen und Quellenberufungen» seien Indizien für «Zurücknahme des Fiktionalisierungsgrades»,150 demonstrierten mit Mitteln der Chronistik ein Festhalten am «Anspruch auf historische Wahrheit».151 Dass eine strophische Dichtung wie die ‹Rabenschlacht›, die mit Strophen- und Vortragsform den Bezug zur heroischen Tradition anzeigt, über Beglaubigungsstrategien, wie sie auch in der Chronistik vorkommen, aber eben auch in Romanen, die Autorität einer Chronik zu gewinnen, überhaupt den Gattungshorizont und damit den Wahrheitsanspruch der Chronistik aufzurufen vermöchte, ist zweifelhaft. Auf welche deutschsprachigen Chroniken des 13. Jahrhunderts KROPIK sich bezieht, erwähnt sie nicht. Wie Chroniken tatsächlich verfahren, zeigen bei diesem Stoff am authentischsten die Theoderich- bzw. Dietrich-Erwähnungen der Chronistik. In deutscher Sprache sind das im 13. Jahrhundert die ‹Sächsische Weltchronik› (um 1260/1265), Gottfrieds Hagens ‹Reimchronik der Stadt Köln› (1270), ‹Prosakaiserchronik› (nach 1275), Jans’ von Wien ‹Weltchronik› und ‹Fürstenbuch› (nach 1277), ‹Livländische Reimchronik› (nach 1290), im 14. Jahrhundert Ottokars von Steiermark ‹Steirische Reimchronik› (um 152 1301/1319). Nirgendwo dort finde ich eine den Fluchtepen vergleichbare Häufung von Wahrheitsbeteuerungen und Quellenberufungen. Wo die (meist an Berufungen auf lateinische Quellen gekoppelte) Sagenkritik an der anachronistischen Zeitgenossenschaft Dietrichs und Etzels fehlt (das ist, außer in der ‹Sächsischen Weltchronik› und der ‹Prosakaiserchronik›, der Regelfall), wird anscheinend die ‹Wahrheit› (auch von Episoden aus der aventiurehaften Dietrichüberlieferung) kommentarlos und ohne Beglaubigungsnotwendigkeit vorausgesetzt. Weit eher wirkt die Masse der quantitativ übersteigerten und qualitativ vagen Quellenberufungen und Wahrheitsbeteuerungen in den Fluchtepen wie eine Reaktion auf Sagenkritik nach Art der ‹Kaiserchronik› (vgl. S. 36), als gehe es darum, die Existenz eines Buchs herbeizureden, das Dietrichs Aufenthalt bei Etzel belegt. Welchen Bekanntheitsgrad und Status derartige Sagenkritik im volkssprachigen Adel des späten 13. Jahrhunderts hatte, ist wohl nicht mehr rekonstruierbar. Die ‹Kaiserchronik› selbst war in verschiedenen Fassungen und Bearbeitungen (u.a. der genannten ‹Prosakaiserchronik›) auch im 13. Jahrhundert weit verbreitet. Dass die Fluchtepen den Eindruck machen, sich gegen Sagenkritik dieses Typs zu wehren (ohne sich freilich die Blöße zu geben, Bedenken gegen ihren Stoff im Detail zu zitieren), muss nicht bedeuten, dass der Adel sich davon je hat beeindrucken lassen (die Hartnäckigkeit der Sagenkritik deutet im Gegenteil eher auf ebenso hartnäckiges Festhalten an der Sage); vielmehr scheinen sich die Verfasser so nach allen Seiten abzusichern. Mehr als Hypothese kann das freilich nicht sein. An den bereits erwähnten Auszügen aus ‹Dietrichs Flucht› in zwei Handschriften der ‹Weltchronik› Heinrichs von München (Ende 14. Jh.; vgl. S. 77, 88f.) lässt sich beobachten, dass die von KROPIK als typisch für die deutschsprachige Chronistik reklamierten Quellenberufungen und Wahrheitsbeteuerungen im ‹Flucht›-Exzerpt großteils ebenso von Kürzungen betroffen sind wie andere Erzähleräußerungen, soweit sie nicht (das betrifft vor allem einversige Bemerkungen der Art) durch den Reim vor Wegfall geschützt sind. Hinzugefügt sind freilich Verweise auf die in diesem Fall angesichts wörtlicher Übernahmen unzweifelhafte schriftliche Quelle, eine Handschrift von ‹Dietrichs Flucht› nämlich, die Heinrich von München als choranik apostrophiert (vgl. S. 236f.). Kürzere Wahrheitsbeteuerungen und Berufungen auf ein b*ch begegnen durchaus, im ‹Flucht›-Exzerpt häufiger als in anderen Teilen der ‹Weltchronik›. Daraus dürfte zu schließen sein, dass sich in den Dietrich-Passagen bei Heinrich von München Wahrheitsbeteuerungen und Quellenberufungen eher ‹Dietrichs Flucht› verdanken als dem Redegestus der Chronistik. (Immerhin sind auch Erzähleräußerungen zur Pflege des Publikumskontakts aus der ‹Flucht› beibehalten, die sonst in der ‹Weltchronik› sehr viel seltener zu finden sind.) Gewiss ist aus Handschriften vom Ende des 14. Jahrhunderts und einem

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Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 216f. Ebd., S. 195. Ebd., S. 193. Vgl. Test. Nr. 151, 153, 155, 156, 166, 185.

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Aspekte der Poetik

Text, der als Kompilation stärker an die Gegebenheiten seiner Quellentexte gebunden ist, nicht zwingend auf die Situation Ende des 13. Jahrhunderts zurückzuschließen. Auffällig ist der Befund trotzdem.

Die Erzählerstrategien sind, anders als der fingiert-‹orale› Schablonen- und Formelstil, von schriftliterarischen (auch romanhaften) Traditionen kaum zu unterscheiden. Der Erzähler ist, obwohl er es durchaus darauf anlegt, «seine eigene Präsenz zu betonen»,153 sehr weitgehend reduziert auf die skizzierte Inszenierung mündlichen Vortrags; sein Agieren ist im Grunde genauso topisch und formelhaft wie die behauptete Schriftlichkeit der Quellen: ‹Formeln› ersten Grades (aus der Mündlichkeit) und ‹Formeln› sozusagen zweiten Grades (aus schriftliterarischen Konventionen für die Erzählerrolle) sind struktuell vergleichbar. KROPIK hält – mit Recht – dagegen, die zweifelsohne vorliegende Einheits-Erzählsituation werde hypertrophiert.154 Dies könnte möglicherweise hypothetisch aus der Hauptfunktion, dem Publikumskontakt, zu erklären sein, auf den hin alle anderen Funktionen zugeschnitten sind – so als wolle der Erzähler durch massiven Publikumskontakt anderen Defizienzen abhelfen: mangelnder Erzählkohärenz ebenso wie der eben nicht mehr fraglosen Kontinuität seines Erzählens zur kollektiven Memoria. Umso mehr scheint mir die Verwischung der Grenzen zwischen Vortragsmündlichkeit und mündlicher Stofftradition in den Formulierungen funktional: Sie suggeriert Kontinuität, wo diese nicht mehr fraglos gegeben ist. Signifikante Befunde innerhalb der handschriftlichen Überlieferung gibt es nicht, wie die oben vermerkten (seltenen) Abweichungen der Handschriften von ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› demonstrieren: Die Erzählerrollen sind erstaunlich konstant. Einzelne Kommentare variieren, nicht aber die Grundsätze der Gestaltung des Publikumsbezugs und der Stilisierung der Vortragssituation. Die Kurzfassung P kürzt bevorzugt auch bei Erzähleräußerungen (gerade bei den inhaltsleeren, auf die Erzählsituation bezogenen, die wohl als überflüssig erscheinen mochten); eine konsequente Veränderung in Richtung Verschriftlichungsstrategien aber lässt sich nicht nachweisen. Auch gibt es wenig Unterschiede zwischen literarisierter (arturischer) Vorgeschichte und dem – durch standardisiertes heldenepisches Szeneninventar, Handlungsschablonen und sprachliche Stereotypien – stärker ‹mündlich› geprägten (heldenepischen) Hauptteil von ‹Dietrichs Flucht›, zwischen paargereimter ‹Flucht› und strophischer ‹Rabenschlacht›. Die Erzählerrolle bleibt sich ziemlich gleich; sie ist unabhängig von anderen poetologischen Vorgaben (Erzähltechnik, intertextuellen Bezügen) gestaltet. Allerdings ist, wie erwähnt, ein Unterschied in den Erzähleräußerungen von ‹Flucht› und ‹Rabenschlacht› insofern festzustellen, als Quellenberufungen in der ‹Flucht› «vor allem die faktische Wahrheit und den moralisch-exemplarischen Wert des Geschehens» bekräftigen, während sie in der ‹Rabenschlacht› «eher Emotionen unterstreichen und die unheilvolle Atmosphäre verdichten».155 Die Differenz ist freilich nur graduell, nicht kategorial.

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COXON 1998 (LV Nr. 179), S. 161. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 208. Ebd., S. 221.

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Intertextualität

4. Intertextualität Mittelhochdeutsche Heldenepen tendieren von Anfang an dazu, auf andere Sagenkreise anspielend einen Gesamtzusammenhang der heroischen Welt herzustellen und sich selbst darin zu positionieren. Vor allem die Symbiose und zugleich die Konkurrenz von Dietrich- und Nibelungentradition prägen bekanntlich die mittelhochdeutsche Heldenepik stark.156 Das ‹Nibelungenlied› misst sich bei der Selbstkonstitution der Gattung Heldenepik im Übergang zur Schriftlichkeit an anderen Sagenkreisen, indem es diese zitiert und integriert, nicht zuletzt an der Dietrichsage. Andererseits avanciert das ‹Nibelungenlied› formal zum Muster für die nachnibelungische Heldenepik, vielfach bei Abgrenzung in der Konzeption. Die Anspielung auf mündliches Sagenwissen mutiert dabei zur Auseinandersetzung mit schriftlichen Texten der eigenen Tradition, aber auch anderer Gattungen.157 Ein wesentliches Merkmal nachnibelungischer (‹später›) Heldendichtung ist bekanntlich auch die Überlagerung heldenepischer Substrate durch gattungsfremde, vor allem romanhafte Elemente. Entgegen dem ersten Anschein nehmen trotz weitergehenden Anschlusses an Erzählweise, Heldenkonzeption, Konzeptualisierungen der ‹heroischen› Tradition auch die Fluchtepen (auf der Ebene der Heldenkonzeption partiell auch ‹Alpharts Tod›) Bezug auf nicht-heroische Gattungen. Markierte Einzeltextreferenzen beziehen sich in erster Linie auf das ‹Nibelungenlied›, Systemreferenzen außerhalb des ‹eigenen› heldenepischen Stoff- und Gattungshorizonts auf Artusroman und Brautwerbungsepik.

a) Anschluss an Traditionen ‹heroischen› Erzählens Ein ‹heroischer› Kern ‹später› Heldenepen ist angesichts der ursprünglichen Mündlichkeit der Gattung methodisch über JULIA KRISTEVAs Begriff der Wissensreferenzen operationalisierbar: Wissensreferenzen beziehen sich auf «frei verfügbares», eindeutig dem Rezipientenwissen von Heldensage zuzuordnendes «Stoffmaterial aus der mündlichen Tradition».158 Dass Stoffe oder Erzählmuster aus dem Bereich des (mündlich-kollektiven) kulturellen Gedächtnisses stammen, ist vor allem dann anzunehmen, wenn ausdrücklich auf Sagenwissen der Rezipienten rekurriert wird; wenn für traditionelle Stoffversionen oder Motive (für deren Bezeugung wir freilich auf schriftliche Zeugnisse angewiesen sind) kein konkreter Prätext als Vorlage ausgemacht werden kann; wenn auf zwei Ebenen, der traditionellen Sagenwissens und der textspezifischer Aktualisierung, erzählt wird. Wissensreferenzen, die sich auf den Stoff, und Systemreferenzen, die sich auf Gattungsmuster beziehen, sind für die heldenepische Tradition nicht immer trennscharf auseinanderzuhalten, da Stoff sich über Erzählschablonen, Figurenstereotype und rekurrente Szenentypen organisiert. Inwieweit die ‹historischen› Dietrichepen gegenüber der – aus den Dietrich-Testimonien vorsichtig zu rekonstruierenden – Sage Neuerungen einführen, inwieweit sie auf die Fluchtsage rekurrieren, wurde bereits dargelegt (vgl. bes. S. 69–76). Neben den wesentlichen Handlungsstationen (Vertreibung, Exil, Rückkehrschlacht), die zugleich eine Erzählschablone

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Vgl. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), bes. S. 389f. Vgl. bes. KERTH 2008 (LV Nr. 357). Vgl. ebd., S. 95–115, Zitat S. 115.

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Aspekte der Poetik

begründen, wird vor allem auf Rollenstereotype der Fluchtsage zurückgegriffen (vgl. auch Kap. V.). Im Detail sind Verschiebungen oder Neuerungen festzustellen, insbesondere die Darstellung Dietrichs als junger, erst heranwachsender Herrscher in ‹Dietrichs Flucht› und die Vervielfachung der Erzählschablone von Vertreibung, Exil, Rückkehrschlacht. Auffällig ist das zum Teil pointierte Nebeneinander von Sagentradition und eigener Ausprägung bestimmter Motive (vgl. bes. S. 152f., 170). Hinzu kommen Anspielungen auf andere Sagenkreise, meist Namen (Nibelungen; Ortnit, Wolfdietrich; Eckehart, Harlungen; in ‹Alpharts Tod› auch aus der aventiurehaften Dietrichüberlieferung) und heldenepische ‹Requisiten› wie Witeges Pferd Schemming, sein Schwert Mimming (nicht in der ‹Flucht›) und Dietrichs Feueratem in der ‹Rabenschlacht›. Bei den Referenzen auf den Nibelungenstoff hat die neuere Forschung – gegen CURSCHMANNs These von einer vorliterarischen «Rivalität der Sagenkreise»159 – intertextuelle Auseinandersetzung mit den verschriftlichten Texten (‹Nibelungenlied›, ‹Klage›) nachgewiesen,160 ebenso beim ‹Eckenlied›.161 Ob der ‹Ortnit›-/‹Wolfdietrich›Komplex aus mündlicher oder schriftlicher Überlieferung bekannt war,162 muss wohl offen bleiben (der Erzähler bezieht sich teils auf mündlich vermitteltes Wissen, bes. DF v. 2238, 2241, 2283, teils auf ein Buch, DF v. 2372). Bei den Querverbindungen zwischen ‹historischer› und aventiurehafter Dietrichepik gibt es Beziehungen in beide Richtungen, Bezugnahme der ‹historischen› auf die aventiurehafte Dietrichüberlieferung bei der vielleicht alternativen enfance des Helden in ‹Dietrichs Flucht›, der ‹Eckenlied›-Reminiszenz in der ‹Rabenschlacht› sowie einigen Requisiten und Reminiszenzen vor allem in ‹Alpharts Tod›, aber auch Bezugnahme der aventiurehaften auf die ‹historische› Dietrichüberlieferung im ‹Eckenlied›, in ‹Rosengarten› D und vielleicht im ‹Wunderer› (zu letzteren vgl. bes. S. 45– 47, 48f., 62, 258, 259f.). Nicht zu vernachlässigen ist ferner die textgruppeninterne Intertextualität der ‹historischen› Dietrichepen (vgl. bes. S. 10–12, 154f., 156, 259). ‹Nibelungenlied›-Bezüge in den Fluchtepen (nicht in ‹Alpharts Tod›) sind markiert durch Zitate von Namen und Formulierungen.163 In den Schlachten von Bologna und Raben kämpft Nibelungenpersonal auf der Seite von Dietrichs Gegner Ermrich: ‹Dietrichs Flucht› nennt unter Ermrichs Verbündeten Leudegast (DF v. 8612), Liudeger (DF v. 8614), Rumolt (Rymolt, DF v. 8617), Gunther von Reine (DF v. 8636 u.ö.), Gernot (DF v. 8637 u.ö.) und schildert Zweikämpfe zwischen Dietrich und Gunther (DF v. 9210–9215) sowie zwischen Wolfhart und Volker von Alzey (DF v. 9216–9220); allerdings erscheinen fälschlich Liudeger und Leudegast (DF v. 5898f.), Ortwin von Metz (DF v. 3021) sowie Hagen (DF v. 5902, 8582) und Dankwart (DF v. 8582) (auch) unter Dietrichs Leuten. In der ‹Rabenschlacht› stehen unter anderem Gunther (RS 487,3 u.ö.) von Burmz (RS 721,1) bzw. von Reine (RS 810,1), Gernot (RS 722,1), Volker von Alzey (RS 704,1 u.ö.), Rumolt von Burgonie lant (RS 224,1f. u.ö.), Liudegast (RS 733,2) und Liudider (RS 734,1) sowie Sifrit von Niderlant (RS 494,1/6

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CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 389. Vgl. bes. LIENERT 1999 (LV Nr. 416); KERTH 2008 (LV Nr. 357), bes. S. 119–122; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 187, 264, 271–299. Vgl. ebd., S. 300–302; bereits VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 133. KOFLER 1996 (LV Nr. 383), S. 170–180, vermutet Weiterentwicklung aus Hinweisen eines ‹Wolfdietrich› B-Textes. Das Folgende nach LIENERT 1999 (LV Nr. 416); vgl. auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 272– 284.

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Intertextualität

u.ö.) auf Ermrichs Seite; ausführlich geschildert ist ein Zweikampf zwischen Siegfried und Dietrich (RS 646,6–683,3). (Ortwin steht RS 576,1 auf Dietrichs Seite; RS 729,3 ist die Zuordnung nicht eindeutig.) Die Namen Liudeger, Liudegast, Dankwart sind vor dem ‹Nibelungenlied› nicht belegt und danach nur in Texten, die dieses voraussetzen;164 die Herkunftsbezeichnungen für Siegfried und Volker, Niderlant und Alzey (RS 642,4; 704,1), entsprechen denen des ‹Nibelungenlieds›. Allerdings fehlen entgegen dessen Gepflogenheiten die Sammelbezeichnungen Burgunden (vgl. aber Burgonis man, DF v. 9098; von Burgonie lant, RS 224,2) und Nibelungen.165 Die Fluchtepen inszenieren ausgesprochen klägliche Niederlagen Gunthers und Siegfrieds gegen Dietrich; die Gegner kommen eben noch mit dem Leben davon (DF v. 9237–9249). Gunthers und Gernots Flucht in der Schlacht von Bologna gibt den letzten Anstoß für Ermrichs und damit die allgemeine Flucht (DF v. 9742–9760). In der ‹Rabenschlacht› fleht der überwundene Siegfried um sein Leben (RS 681,3–682,4); Dietrich tötet den Gegner nicht – das dürfte teils als Anlehnung an das höfisch-romanhafte Gebot der Gegnerschonung, teils als Zugeständnis an den Sagenhintergrund zu erklären sein, nach dem Siegfrieds Tod durch Dietrich nicht vorgesehen ist.166 Tradierte Figuren werden ohne handlungsmäßige Verankerung in tradierten Fabeln anzitiert. Stammen dürfte das Motiv der Kämpfe zwischen Dietrich und den Burgunden und/oder Siegfried aus der ‹Rosengarten›Tradition;167 im ‹Nibelungenlied› erscheint Dietrich erst im zweiten Teil, als Warner der Burgunden und Kritiker Kriemhilds, nicht schon als Siegfrieds Gegner. CURSCHMANN hält Dietrichs Nibelungen-Kämpfe in den ‹historischen› Dietrichepen für Reste mündlicher nibelungischer Traditionen.168 In den erhaltenen Sagenzeugnissen ist das Motiv außerhalb der ‹Rosengarten›-Tradition aber nicht nachweisbar; die Konstellation der ‹Thidrekssaga›, wo in der Tat Thidrek und Sigurd (nicht aber Thidrek und Gunnar) gegeneinander kämpfen, ist nicht vergleichbar: Dieser Kampf zum Zweck des Heldenvergleichs steht mit dem auch im ‹Rosengarten› thematisierten Zwölfkampf, aber weder mit Thidreks Vertreibung noch mit dem Niflungenuntergang in Verbindung. Dietrichs Kämpfe gegen Siegfried und die Burgunden in der ‹historischen› Dietrichepik sind in die Situation von Exil und Rückkehrschlachten eingebunden, aber ohne sachliche Notwendigkeit, rein zitathaft: Sie indizieren in der Tat nichts als die bekannte «Rivalität der Sagenkreise». Eine solche ist aber erstmals im ‹Nibelungenlied› nachweisbar, personifiziert in einer gleichsam apriorischen Feindseligkeit zwischen Dietrich und Kriemhild (inwieweit damit auf Sagenwissen angespielt wird, wie allgemein angenommen,169 ist streng genommen nicht zu beweisen, allenfalls über die apokryphskurrile Ausprägung der Gegnerschaft zwischen Dietrich und Kriemhild in der ‹HeldenbuchProsa›, die mit der Tötung Kriemhilds durch Dietrich – wie in der ‹Thidrekssaga› – durchaus ein altes Motiv bewahren könnte;170 in ‹Guðrúnarqviða› II und III dagegen erscheinen Diet-

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Vgl. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 90, 23. Vgl. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 399. Die angebliche Tötung Siegfrieds durch Dietrich im Rosengarten in der ‹Heldenbuch-Prosa› (vgl. S. 63) liegt auf einer anderen Ebene. Einzelne andere (mögliche) ‹Rosengarten›-Bezüge sieht STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 176. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 399f. Vgl. bes. ebd., S. 388. Handschriften-Fassung der ‹Heldenbuch-Prosa›, in: Heldenbuch (HEINZLE 1981/1987, LV Nr. 47), II, S. 223–242, hier S. 238–240, Z. 500–556, bes. 501–518 und 555f.

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Aspekte der Poetik

rich und Gudrun als Vertraute). In den erhaltenen mittelhochdeutschen Texten manifestiert sich die «Rivalität der Sagenkreise» im Grunde als ‹Nibelungenlied›-Diskussion. Stärkstes Argument für CURSCHMANNs Deutung der Nibelungenbezüge in den ‹historischen› Dietrichepen aus dem «Fluidum mündlich-informell tradierten Sagenwissens»171 heraus, außerhalb bewusster intertextueller Bezugnahme, sind die Inkonsequenzen in der Zuordnung der Gegner: Burgundisches Personal steht meist auf Ermrichs, zeitweise aber auch auf Dietrichs Seite. Ob diese Beliebigkeit zwingend auf eine «Grundlage von mündlich tradierten und laufend modifizierten Namenskatalogen»172 deutet, scheint fraglich: Vor dem ‹Nibelungenlied› nicht nachweisbare Namen und ‹Nibelungenlied›-spezifische Herkunftsbezeichnungen dürften dann mit einiger Wahrscheinlichkeit durch das ‹Nibelungenlied› (nicht notwendig in einer erhaltenen, aber sicher in einer den erhaltenen ähnlichen Fassung) vermittelt sein, wenn dieses nachweislich (belegt durch präzisere Responsionen, vgl. S. 177f.) sowieso bekannt ist – zumindest ist diese Erklärung als die einfachste vorzuziehen. Der Sachsenkrieg, aus dem Liudeger und Liudegast in die Schlachten von Bologna und Raben importiert sind, dürfte kaum zum ‹Urgestein› der Nibelungensage gehören; sagengeschichtlich stehen Nibelungen- und Dietrichstoff nur durch Dietrichs Exil und Verwicklung in den Nibelungenuntergang in Verbindung. Beliebigkeit des Herbeizitierens von Namen ohne Rücksicht auf Kontexte kann statt auf Mündlichkeit im Gegenteil auf Klitterung deuten, wie etwa in der ‹Kudrun› die Verwendung der nibelungischen Namen Hagen und Siegfried für unnibelungische Figuren, einen irischen Königssohn und gar einen König von Môrlant.173 Entsprechend sind wohl auch die Doppelung traditioneller Sagennamen weniger prominenter Figuren und erst recht die Übertragung der weit verbreiteten Schwertnamen Miminnckh und Palm*nck auf Schwertgefährten Dietwarts als intertextuelles Spiel zu deuten (DF v. 452, 501); mündliche Sagentraditionen mit Mimming und Balmung als Heldennamen dürften auszuschließen sein. Dass Hagen in der ‹Flucht› zu den zu Dietrichs Unterstützung abkommandierten Gefolgsleuten des Hunnenkönigs gehört, wäre zwar stimmig aus den Konstellationen der Walthersage zu erklären, doch befriedigt das, zumal angesichts des dort nicht vorgesehenen Dankwart, nicht. Unstimmigkeiten bei Namenkatalogen freilich sind nicht überzubewerten (vgl. S. 144f.); sie begegnen z.B. auch in den eindeutig schriftliterarischen Namen- und Schiffskatalogen der Dares-/Dictys-Tradition. CURSCHMANNs Argument, dass die nibelungischen Namen die betreffenden Personen nicht in der im ‹Nibelungenlied› entworfenen «individualisierten Form» bezeichnen,174 trifft zu. Methodisch ist jedoch nicht eindeutig zu unterscheiden zwischen der nichtindividualisierten Ungeformtheit mündlicher Überlieferung und der entindividualisierenden Beliebigkeit spätzeitlich klitternder Zitate. Eher für Klitterung sprechen Ansätze zur Parodie nibelungischer Rollenstereotype, wenn etwa in der ‹Rabenschlacht› ausgerechnet Rumolt (vgl. bes. S. 184, 257f.) zum weithin berühmten Kriegshelden stilisiert wird: «[...] Mit ellenthafter hant

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CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 403. Ebd., S. 400; vgl. HOMANN 1977 (LV Nr. 338). ‹Kudrun› (STACKMANN 2000, LV Nr. 58), 22,4; 580,1 u.ö. CURSCHMANN 1989 (LV Nr. 190), S. 399 und f.

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hat er bi sinen ziten wnder getan in manigen herten striten.» (RS 224,4–6). Wenn Rumolt sich auch noch an einem Turnier gegen die Dietrichhelden vor den Stadttoren Paduas beteiligt (RS, bes. Str. 236–245), verlagert sich das Erzählte vollends auf eine Metaebene. Mit dem Überlieferungsverbund der Nibelungendichtungen verbindet die Fluchtepen der Überlieferungstyp als Doppelepos (vgl. bes. S. 96), jeweils mit einem Text in heldenepischen Strophen (‹Nibelungenlied›, ‹Rabenschlacht›) und einem in fortlaufenden Reimpaarversen (‹Nibelungenklage›, ‹Dietrichs Flucht›), der gängigen Versform u.a. des höfischen Romans und der Reimchronik. Da sind ferner Korrespondenzen (die in ihrer Vagheit freilich eher auf «Reproduktion nach dem Gedächtnis»175 deuten als auf ‹nachschlagendes› Zitieren) in Formulierungen, Motiven, Szenentypen (z.B. Ez geliget hie niemen tot, / niwan der doch must tot geligen DF v. 9123f. – vgl. dâ sterbent wan die veigen NL 150,2; Daz beweinten sit diu wip DF v. 8813, ähnlich v. 3479, 8885–8887; RS 811,6 – vgl. daz muose sît beweinen vil manec edel wîp NL 200,4;176 das nibelungische liebe/leit-Motiv DF v. 5463, 5476, 5477; RS 119,6; Helches unheilverkündender Traum RS 123,6–125,6, eine Parallele zu Kriemhilds und Utes Träumen, kontaminiert mit dem Drachenmotiv aus dem ‹Parzival›; sentimentalisierte Abschiedsszenen mit Vorausdeutungen vom ‹Nibelungenlied›-spezifischen Typus Ich wæn’, in het ir herze rehte daz geseit [...] NL 70,2; Ich wæn’, in sagt’ ir herze [...] NL 373,1 – Owe, ja sagt iz ir [Helche] ir herze / umbe diu chint, owe, welch ein smerze RS 199,5f.).177 Das markanteste Beispiel – freilich, mittelalterlicher Zitierpraxis178 entsprechend, nur durch vage Responsionen in den Formulierungen gestützt – ist das Motiv des Bluttrinkens:179 Wie im ‹Nibelungenlied› Hagen nach dem Saalkampf fordert in ‹Dietrichs Flucht› Wolfhart in offener Feldschlacht die Kampfgefährten dazu auf, das Blut der Gefallenen zu trinken. Dô sprach von Tronege Hagene: «ir edeln ritter guot, swen twinge durstes nôt, der trinke hie daz bluot. daz ist in solher hitze noch bezzer danne wîn. ez enmac an disen zîten et nu niht bezzer gesîn.» (NL 2114,1–4); Wolfhart schre vil sere: «[...] Ist under uns hie ieman, er si herre ode furste, den von hitze durste, der lege sich nider und trinchz bl*t und veht aber als ein helt g*t [...]» (DF v. 6561–6569). Im Kontext der ins Heillose gewendeten Blut-Wein-Metaphorik des ‹Nibelungenlieds› erfüllt Hagens Aufforderung komplexe Funktionen; in ‹Dietrichs Flucht› dagegen kann das Blut-

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HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 79ff. Vgl. LIENERT 2000 (LV Nr. 417). Dazu vgl. auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 262f. Vgl. PANZER 1950 (LV Nr. 483). Vgl. schon STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 179.

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Aspekte der Poetik

trinken, zum Stärkungsmittel banalisiert, lediglich als literarische Reminiszenz gedeutet werden. Man wird kaum ausschließen können, dass das Motiv bereits vor dem ‹Nibelungenlied› selbst bekannt war; dagegen sprechen aber die individualisierte drastische Ausprägung und die Dichte der Blut-Wein-Metaphorik im ‹Nibelungenlied› (wobei letztere in der ‹Flucht› allerdings nicht aufgegriffen wird). Wenig mündlichkeitsverdächtig, gerade in ihrer Distanz indizierenden programmatischen Inszenierung von Mündlichkeit, erscheint die aus der *C-Fassung stammende Eingangsstrophe des ‹Nibelungenlieds›,180 und auf diese nehmen ‹Rabenschlacht› und ‹Dietrichs Flucht› eingangs Bezug: Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nu wunder h$ren sagen (NL 1,1–4); Welt ir in alten mæren wnder horen sagen von rekchen lobewæren, so sult ir gerne dar z* dagen (RS 1,1–4); Nu sult ir horen gerne von grozer arbeit, [...] (RS 4,1f.); Nu horet michel wnder hie singen unde sagen: Sich hebt an besunder beidiu weinen unde chlagen [...] (RS 5,1–4); Welt ir nu horen w*nnder, so verkúnde ich euch besonder die starchen newen m’re (DF v. 1–3). Offensichtlich sind die Responsionen in der ‹Rabenschlacht›: in alten mæren NL 1,1/RS 1,1;181 wunders vil NL 1,1/michel wnder RS 5,1; helden lobebæren NL 1,2/ rekchen lobewæren RS 1,3; von grôzer arebeit NL 1,2/RS 4,2; von weinen und von klagen NL 1,3/beidiu weinen unde chlagen RS 5,2; wunder h$ren sagen NL 1,4/RS 1,2). Die Formulierungen in ‹Dietrichs Flucht› wären auch aus der ‹Rabenschlacht› erklärbar (Welt ir RS 1,1/DF v. 1; Nu horet michel wnder RS 5,1/Welt ir nu horen w*nnder DF v.1; besunder RS 5,3/DF v. 2). ‹Dietrichs Flucht› stellt starche[] newe[] m’re (DF v. 3) in Aussicht – ähnlich «bezieht sich» in der ‹Klage› «[d]er Prolog [...] nicht auf die alten maeren, sondern kündigt ein neues an: hie hevet sich ein maere.»182 Aufgrund der Unsicherheit der relativen Chronologie der Fluchtepen (vgl. S. 11f.) ist nicht eindeutig zu klären, ob ‹Dietrichs Flucht› in programmatischem Gegensatz zu den alten mæren des ‹Nibelungenlieds› oder der ‹Rabenschlacht› newe

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Vgl. bes. CURSCHMANN 1992 (LV Nr. 191). Vgl. auch STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 147. MERTENS 1996 (LV Nr. 443), S. 367; vgl. Kl *B v. 1 (MERTENS zitiert noch nach BARTSCH).

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m’re ankündigt, ob die ‹Rabenschlacht› nur auf das ‹Nibelungenlied› reagiert oder gegenüber der ‹Flucht› ostentativ zu den alten mæren des ‹Nibelungenlieds› zurückkehrt; doch ist kaum denkbar, dass ein Rezipient, der das ‹Nibelungenlied› kennt, beide Anfänge nicht mindestens auch auf das ‹Nibelungenlied› bezieht. Die alten mære der ‹Rabenschlacht› dürften – trotz der Berufung auf ein b*ch als Quelle und trotz deutlichen Anschlusses an das ‹Nibelungenlied› selbst – Bezug auf kollektivmündliche heroische Überlieferung zumindest suggerieren, auch wenn gegenüber dem erschließbaren Sagenwissen eigene Akzente gesetzt werden, u.a. die (partielle) Sentimentalisierung des Geschehens durch ‹Verkindlichung› der Opfer, die Desynchronisierung von Schlacht und Tötung der Helchesöhne sowie die Negativierung Witeges (vgl. S. 71–73). KROPIK sieht die umfassendere Darstellung des Leids in der ‹Rabenschlacht› durch nibelungische Erzähltechnik bewerkstelligt; die durch Vorausdeutungen erzeugte «Transparenz des leidvollen Ausgangs», die «Grundstimmung unheilvoller Fatalität», verleihe der ‹Rabenschlacht› «eine ‹nibelungische› Atmosphäre».183 Die Abläufe zur Bewältigung der Katastrophe von Raben – Bergung der Toten, Totenklage, Bestattung, Botenaussendung zur Übermittlung der Todesnachricht, Botenbericht bei Hof und Reaktion des Hofs – ähneln freilich denen der ‹Nibelungenklage›.184 Wenn Helche schon vor Rüdigers Bericht aus dem Erscheinen der herrenlosen Pferde ihrer Söhne auf deren Tod schließt (RS 1037,5–1045,6), dürfte das dem Auftauchen von Rüdigers Pferd Boymunt nachgebildet sein (Kl *B v. 2855–2867 und ff.). Rüdigers diplomatische Mission beim hunnischen Königspaar scheint an diejenige Swämmels am Burgundenhof in Worms anzuschließen (Kl *B v. 3611–3659, 3776–3947; vgl. auch v. 2622–2642); beide sollen sie die Adressaten von der Unschuld ihres Auftrag-

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KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 270–299, Zitate S. 271. Im Detail bestehen freilich gewisse Bedenken: Formulierungsähnlichkeiten des Typus Daz bewæinten seit di vil schonen vrowen (RS 811,6) könnten auch durch das daz beweinten sit diu wip der ‹Flucht› vermittelt sein (DF v. 3479, vgl. v. 8813, 8885, vgl. auch v. 3491, 6481; vgl. S. 177). Dass die Vermählung von Dietrich und Herrad ausgerechnet an die Siegesfeier nach dem Sachsenkrieg angelehnt sein soll, kann ich nicht nachvollziehen; der Sinn der Feste als flüchtiger höfischer Gegenbilder zur heroischen Welt des Kriegs und des Leides betrifft nicht nur ‹Rabenschlacht› und ‹Nibelungenlied›, sondern auch Wolframs ‹Willehalm› (vgl. S. 146). Dass die ‹Rabenschlacht› den Schlachtsieg durch die vorangehende Tötung der Jünglinge in der Tat als von vornherein sinnlos darstellt, ist mit der von KROPIK herangezogenen Szene des ‹Nibelungenlieds› (Dietrichs Kampf gegen Hagen und Gunther) nicht wirklich vergleichbar (im ‹Nibelungenlied› weiß, wie KROPIK selbst einräumt, Dietrich um seine vorgängigen Verluste; den Doppelzweikampf verbindet wenig mit der Massenschlacht). Dass die Inszenierung des «Aufeinanderprall[s] zweier Sagenversionen» (S. 284) bei der Doppelmotivation für den Tod der Jungen am Nebeneinander verschiedener Versionen von Siegfrieds Jugend im ‹Nibelungenlied› geschult sei, erscheint nicht zwingend – eher träfe das zu auf die Darstellung Dietrichs als hochgerühmter Sagenheld und unerfahrener junger Mann zugleich. Auch dass die genannte Doppelmotivation das Geschehen «in jenen Zwischenraum zwischen Absicht und schicksalhaftem Zufall [stellt], der auch im ‹Nibelungenlied› eine entscheidende Rolle spielt» (S. 281), sehe ich so nicht: Das unentschlossene Schwanken zwischen (vager) Absicht und banalem Zufall in der ‹Rabenschlacht› erzeugt nicht «schicksalhafte Zwanghaftigkeit» (S. 283), sondern Kontingenz – im Gegensatz zur bewussten, entschlossenen Annahme und Gestaltung des ‹Schicksals› durch Hagen. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 283–298.

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Aspekte der Poetik

gebers (Etzels in der ‹Klage›, Dietrichs in der ‹Rabenschlacht›) überzeugen und Versöhnung stiften; beide passen ihren Bericht (bzw. ihre Berichte) dem Zweck ihrer Gesandtschaft an. Auch das Vro wart der Pernære (RS 1139,5) am Ende der ‹Rabenschlacht› mag eine Anlehnung an die Wiederherstellung der Hofesfreude in der ‹Nibelungenklage› (Kl *B v. 4098f.) darstellen.185 Die zu Beginn von ‹Dietrichs Flucht› angekündigten Neuerungen dürften nicht nur auf Stoffliches abzielen, sondern möglicherweise auch auf eine in Ansätzen antinibelungische Sinnkonstitution. (Die Passage ist zwar nur in der längeren der beiden Versionen von ‹Dietrichs Flucht›, *PA, enthalten; doch dürfte es sich dabei um die ursprüngliche Version handeln; vgl. S. 88–90.) Die programmatisch anmutende Formulierung von den starchen newen m’re[n] deutet auf einen pointierten Gegenentwurf zu den bekannten alten (einzuschränken ist freilich, dass die Formulierung mehrfach auch ohne programmatischen Anspruch in Botenberichten begegnet, DF v. 3009, 5977 u.ö., RS 261,5; vgl. S. 167). In der gewichtigen Eingangsposition dürfte die Ankündigung newe[r] m’re gleichwohl den Anspruch implizieren, gegenüber dem ‹Nibelungenlied› konzeptionell Neues zu bieten. Schon formal grenzt sich ‹Dietrichs Flucht› ab durch die Reimpaarversform und die unnibelungisch moralisierende Erzählerrolle (vgl. S. 153, 160–162); wesentliche konzeptionelle Unterschiede betreffen die Bewertung der Burgunden und Dietrichs Verhältnis zu ihnen, die Konzeption der Dietrichrolle und die Erzähl- bzw. Sinnstruktur. Die Sympathielenkung der nôt-Fassung des ‹Nibelungenlieds› ist bekanntlich ambivalent, mit deutlicher Tendenz, Hagen und die Burgunden im zweiten Teil auf Kosten Kriemhilds aufzuwerten. Dazu trägt Dietrich wesentlich bei: durch seine Warnung, mit der er sich gegen die vâlandinne Kriemhild (NL 1748,4) stellt; durch langdauernde Neutralität; durch den vergeblichen Versuch, den Konflikt von der heroischen auf die rechtliche Ebene zu verlagern und so gegen Schadenersatzleistung Hagens und Gunthers Leben zu retten.186 Dietrich selbst spricht von friuntschefte (NL 2312,2), freundschaftlicher Verbundenheit mit den Nibelungen. In den Fluchtepen dagegen kämpfen die Burgunden für Ermrich; sie stehen auf Seiten des Bösen, und Dietrich ist ihr siegreicher Gegner von Anfang an, lange vor den Ereignissen des ‹Nibelungenlieds›. (Dass Hagen, wie erwähnt, unter Dietrichs Verbündeten aufgelistet wird, ist nicht überzubewerten: In Kataloge schleichen sich leicht Fehler ein,187 und wo Kämpfe eingehend geschildert werden, ist die Gegnerschaft Dietrichs und der Burgunden eindeutig. Dennoch legt die Unachtsamkeit der Zuordnung Vorsicht bei der Annahme eindeutiger Deutungsprogramme nahe.) Dass die Burgunden in den Fluchtepen als Ermrichs Verbündete erscheinen, vereindeutigt im nachhinein Dietrichs prekäre Rolle im ‹Nibelungenlied›: Das dietrichepische Burgundenbild vorausgesetzt, liefert der Berner nicht seine Freunde und heroischen Gegner einer Teufelin Kriemhild aus, sondern feindliche Helfershelfer des Bösen ihrer gerechten Strafe. Dass in den Fluchtepen Dietrich fraglos Sieger gerade auch über Nibelungenpersonal bleibt, bedeutet auf einer Metaebene, dass auch die Konzeption der ‹historischen› Dietrichepik gegen und über die pessimistische Perspektive des ‹Nibelungenlieds› gestellt wird.

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Vgl. MERTENS 1997 (LV Nr. 444), S. 146; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 296. Vgl. HEINZLE 1995 (LV Nr. 313). Vgl. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 96f.; HOMANN 1977 (LV Nr. 338), S. 423f.

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Intertextualität

Nachnibelungische Heldenepik als ‹Nibelungenlied›-Diskussion zu begreifen, ist in der Forschung gängig. FIRESTONE etwa hat versucht, die ‹Rabenschlacht› als Anti-‹Nibelungenlied› zu sehen, insofern dort Helches Verzeihung für Dietrich dem Rachegedanken des ‹Nibelungenlieds› entgegengesetzt sei.188 Verzeihung (besser: Entlastung vom Vorwurf der Schuld am Tod der Hunnenprinzen) wird freilich nur Dietrich gewährt; sonst steht Rache als Handlungsmotiv im Vordergrund (vgl. S. 185f. und Kap. V., passim). Vielmehr scheint sich in der ‹historischen› Dietrichepik eine der ‹Kudrun› gerade nicht vergleichbare ‹Nibelungenlied›Rezeption anzudeuten: nicht als Kriemhildkritik, sondern als grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Problem der «Determination zum Untergang» (URSULA SCHULZE). Im ‹Nibelungenlied› erscheint Dietrich nach dem Amelungenuntergang als glückloser, all seiner Macht beraubter König (vgl. S. 38). Vertreibung und Exil sind in der Sage vorgegeben; Dietrichs Rolle als glückloser Sieger wird aber durch den Verlust all seiner Leute auf die Spitze getrieben. Sein Handeln wird darüber hinaus konsequent mit dem Signum der Vergeblichkeit gezeichnet: Er warnt die Nibelungen – vergeblich. Er versucht, Neutralität zu wahren, wird aber gegen seinen Willen in die auch ihn als Herrscher vernichtenden Kämpfe hineingezogen. Er besiegt Gunther und Hagen, hat jedoch keinen Vorteil davon. Er bittet um Schonung für die Gefangenen und gibt sie dennoch gegen seine Absichten, doch ohne anders handeln zu können, dem Untergang preis. Dietrich ist Kriemhilds Feind von Anfang an, wird aber gegen seinen Willen zu ihrem Helfershelfer. Das ‹Nibelungenlied›, weit davon entfernt, Dietrich zur «Gegenrolle des Endes»189 zu stilisieren, zieht ihn im Gegenteil mit hinein in die «Determination zu leidvollem Untergang».190 In den ‹historischen› Dietrichepen ist der Berner bekanntlich ähnlich glücklos, formelhaft ebenso ein armer Dietrich; dennoch nehmen die Fluchtepen (nicht nur ‹Alpharts Tod›) diese nibelungische Dietrichrolle wenigstens teilweise wieder zurück (vgl. bes. S. 76, 156, 223): Dietrich gibt niemals auf, findet immer wieder Unterstützung. Auch steht in der Chronologie der Ereignisse am Ende nicht die Katastrophe, sondern der Versuch, sie zu bewältigen: In der ‹Nibelungenklage› organisiert Dietrich die Bestattung der Toten und die Benachrichtigung der Hinterbliebenen;191 danach bricht er in seine Heimat auf (Kl *B v. 4114ff.). Auf die ‹Klage› nimmt auch ‹Dietrichs Flucht› Bezug – zwar nicht durch präzise intertextuelle Verweise, aber durch Anlehnung im Formalen (Reimpaarversform, Erzählerrolle mit vergleichbarer Tendenz zu moralisierender Schwarzweißmalerei und christlichem Lehrgestus192); aufgegriffen werden die Ansätze der ‹Klage› zur Abwertung der Burgunden und Dietrichs deutlich abgekühltes Verhältnis zu ihnen.193 Verglichen mit ‹Dietrichs Flucht› steigert die fatale Rabenschlacht-Fabel (der Tod der Helchesöhne) das Unheil in

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Vgl. FIRESTONE 1989 (LV Nr. 218), bes. S. 70. KUHN 1969 (LV Nr. 403), S. 138. SCHULZE 1984 (LV Nr. 529), S. 127. Vgl. z.B. GILLESPIE 1972 (LV Nr. 232), S. 26. Vgl. VOORWINDEN 1992 (LV Nr. 574). Dietrichs Nachruf auf die tote Königin und ihre triuwe (Kl *B v. 772–791, bes. v. 784) rückt indirekt die Burgunden in ein negativeres Licht; der Berner kritisiert Hagen als übermüete (Kl *B v. 1158) und kommentiert Gunthers und Hagens Schicksal als zwar bedauerlich, aber letztlich verdient (Kl *B v. 1149–1210); von einer besonderen Verbundenheit zwischen den Burgunden und Dietrich ist nicht mehr die Rede.

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Aspekte der Poetik

die Beinahe-Katastrophe.194 Als Doppelepos teilen ‹Rabenschlacht› und ‹Dietrichs Flucht› dennoch vergleichbare Dietrich-contra-Nibelungen-Konstellationen, eine gemeinsame ‹antinibelungische› Tendenz und eine nichtnibelungische Dietrichrolle: Am Schluss, als Dietrich dem hunnischen Königspaar Rache in Aussicht stellt, klingt Zuversicht zumindest an (RS 1139,5). Das Böse ist nie mehr aus der Welt zu schaffen, aber trotz der «Vergeblichkeit des Guten»195 bleibt dieses unzerstörbar. Die ‹historische› Dietrichepik bietet einen mittleren Weg an, zwischen arturischem Optimismus und nibelungischem Pessimismus, zwischen schicksalhafter Katastrophe und geschichtsloser Idealität. Der Held geht weder unter noch erringt er bleibende Siege, aber er gibt niemals auf – und Gott steht, ein deutliches Gegenbild zum gottverlassenen Dietrich des ‹Nibelungenlieds›, auf seiner Seite gegen Ermrich (DF v. 2557–2567 u.ö.; vgl. S. 109f., 161f., 224–227). Das Böse bleibt unausrottbar, aber man muss und kann es immer bekämpfen. In diesem Punkt berührt sich die ‹historische› mit der aventiurehaften Dietrichepik und mit einer archetypischen Funktion des Helden: Dietrichs ureigene Aufgabe ist es, gegen das in Ungeheuern und Riesen verkörperte Böse anzukämpfen, wie dies in der ‹Heldenbuch-Prosa›196 als grundsätzliche Aufgabe der Helden begriffen ist. Entsprechend formuliert im ‹Jüngeren Sigenot› Hildebrand ausdrücklich: «Wir vehten durch der welte frumen, Ich und her Dieterîche, Daz wir der risen übermuot Zerst$ren; want der vâlante Der welt vil ze leide tuot.»197 Dietrich als Kämpfer gegen das Böse ist im Einzelfall immer siegreich – siegreich aber immer nur für den Einzelfall und immer wieder neu gegen neue Verkörperungen des Bösen gefordert. Ein Bezug der ‹historischen› zur aventiurehaften Dietrichepik betrifft damit nicht nur die (punktuelle) Konzeption eines jugendlichen Helden in Abgrenzung zur Sagentradition, sowohl zu den aventiurehaften Dietrich-enfances mit Zwergen-, Riesen- und Drachenkämpfen als auch zur Fluchtsage, die (soweit aus der ‹Thidrekssaga› zu schließen ist) einen etablierten Helden zum Opfer von Ermrichs Vertreibung werden lässt. Diesbezüglich lässt sich Abgrenzung gegenüber den aventiurehaften Dietrich-enfances nicht als markierte Einzeltextreferenz fassen. Dagegen bezieht sich eine solche auf das ‹Eckenlied›: Schon MARTIN weist darauf hin, dass die Formulierung von ‹Dietrichs Flucht› zur Verschleppung des schlafenden Ortnit durch den Drachen fast wörtlich dem ‹Eckenlied› entspricht:198

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Vgl. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 119f. Ebd., S. 131. Handschriften-Fassung der ‹Heldenbuch-Prosa›, in: Heldenbuch (HEINZLE 1981/1987, LV Nr. 47), II, S. 223–242, hier S. 226, Z. 59–68. ‹Jüngerer Sigenot› (SCHOENER 1928, LV Nr. 87), 154,9–13; zur Stelle vgl. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 241. MARTIN 1866 (LV Nr. 6), S. XLVIII; vgl. zu DF v. 2245 (die w*rme zugen in hin durch das werch) auch ‹Ortnit› A (KOFLER 2009, LV Nr. 72), 574,4 ([...] und saugten in durch daz werch); im Kontext ist die Parallele zum ‹Eckenlied› freilich deutlicher.

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Intertextualität

Das hat man euch auch gesait, wie in der wurm slaffende vant vor einer wilden stainwant. Er tr*g in hin in ein perg, die w*rme zugen in hin durch das werch (DF v. 2241–2245); ain wurm in slaffend []zainer zit vant vor aines staines wende. der tr*k in in den holen berk und lait in fpr die jungen: die sugen in durch das werk (E2 21,9–13). KROPIK199 hat darüber hinaus aufgezeigt, wie die Verfolgung Witeges durch Dietrich nach dem Muster der Verfolgung Dietrichs durch Ecke im ‹Eckenlied› gestaltet ist, auch wenn die Parallelen, die sie zeichnet, teilweise dadurch gewonnen sind, dass abweichende Elemente (insbesondere die Vorwürfe wegen der Tötung der Knaben sowie Unterredung und Kampf mit Rienolt in der ‹Rabenschlacht›) ignoriert werden und die im ‹Eckenlied› nur angedeutete Verfolgungssituation etwas übertrieben wird (Dietrich flieht dort nicht; er wendet sich Ecke grüßend zu und fragt nach dessen Anliegen, E2 72,9–13; allerdings erklärt E2 74,5 Ecke, Dietrich zu Fuß nicht erreichen zu können). Die Verfolger holen ihren Gegner nicht ein und versuchen daher, ihn dazu zu überreden, sich zu stellen. Wie Ecke an Dietrichs manheit, appelliert Dietrich an die Witeges (RS 926,4; E2 85,4; 96,4); wie Ecke Dietrich mit seiner kostbaren Brünne, versucht Dietrich den Gegner mit der Aussicht auf die Städte Bern und Mailand und sein Reich zu ködern (E2 74,10–13; RS Str. 937); Eckes blasphemischer Verzicht auf Gottes Beistand (E2 99,12f.) könnte in der ironischen Anrufung der Heiligen Gangolf und Zeno durch Dietrich aufgegriffen sein (RS 936,1f.);200 in beiden Texten kann der Verfolger nur rosseloufes wit (RS 961,2) bzw. rosseloufes ferre (E2 72,3) aufholen, stellt er dem Verfolgten den Sieg in Aussicht (E2 74,10–13; RS Str. 937). Dass Witeges Todesfurcht (RS 925,3) und seine Weigerung zu kämpfen (RS 922,6, 940–948 u.ö.) Dietrichs zagheit und Kampfunwilligkeit entsprechen sollen, ist dagegen zu oberflächlich gesehen: Witege entzieht sich, anders als Dietrich, einem Kampf, der für ihn den sicheren Tod bedeuten würde. Auffällig ist freilich in der Tat Dietrichs und Eckes Aufforderung abzusteigen: so erbeize z* mir nidere (RS 931,5; vgl. E2 99,11): Was in Bezug auf den ‹Fußgänger› Ecke sinnvoll ist, passt in der wilden Verfolgungsjagd zu Pferd in der ‹Rabenschlacht› nicht; auch Rienolt kämpft zu Pferd gegen Dietrich (RS Str. 950–953), allerdings nachdem er zuvor abgestiegen ist, um den Sattelgurt festzuzurren (RS 949,1–5). Hier scheinen dem reitenden Dietrich Eckes Worte in den Mund gelegt. Ferner soll Witege sich (wie Dietrich im ‹Eckenlied›) um der Damen willen zum Kampf stellen: «nu kera, degen here! [...] so ker her, werder degen g*t, durch aller vr"wan ere» (E2 96,3–6);

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KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 300–302. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 71, sieht darin in erster Linie einen Hinweis auf die Lokalisierung des Werks «im mittleren oder südlichen Tirol».

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Aspekte der Poetik

«[...] nu chera, helt, nu chere! [...]» (RS 936,5); «Nu chere, helt mære, durch elliu werdiu wip!» (RS 938,1f.). Frauendienst treibt zwar Ecke, (hier) aber weder Dietrich noch Witege an. Das FrauendienstMotiv ist in der ‹Rabenschlacht› völlig unmotiviert und – mit der markanten Ähnlichkeit der Formulierung – wohl nur als Reminiszenz an das ‹Eckenlied› erklärbar, und zwar an eine schriftlich erhaltene (oder den erhaltenen Fassungen ähnliche) höfisierte ‹Eckenlied›Fassung; aus älterer mündlicher Tradition kann es schwerlich stammen. Möglicherweise ist die Beziehung zwischen ‹Eckenlied› und Rabenschlachtsage bzw. ‹Rabenschlacht› sogar noch komplexer, vielleicht auch bei dieser Szene eine wechselseitige (zumal angesichts dessen, dass das ‹Eckenlied› die Rabenschlacht-Situation zitiert; vgl. S. 45f.): Im ‹Eckenlied› ist der Überredungsversuch, nicht aber die Vorstellung von der Verfolgung eines Fliehenden stimmig; in der ‹Rabenschlacht› ließe umgekehrt die Verfolgungsjagd realistischerweise den Überredungsversuch gar nicht zu. In beiden Fällen legt der Mangel an vordergründiger Stimmigkeit eine hintergründige literarische Reminiszenz nahe. Verifizierbar ist diese bei den Verfolgungsszenen allerdings nur mehr in einer Richtung: Die ‹Rabenschlacht› rekurriert auf das ‹Eckenlied›. Offenbar – so weit ist KROPIK zu folgen – sucht sie den Anschluss an andere Heldenepen, vergewissert sich ihrer Literarizität innerhalb der eigenen Gattung; dass sie damit ausgerechnet auch im Fall des ‹Eckenlieds› «den literarischen Status ihres Referenztextes auf sich selbst zu übertragen sucht»,201 kann ich freilich nicht nachvollziehen. Bezugnahmen auf andere Heldenepen sind nicht eindeutig durch Markierungen zu sichern: Das Seidenhemd mit eingenähten Reliquien, das Dietrich in der ‹Rabenschlacht› vor Siegfrieds Speerstoß schützt (RS Str. 650–652), erinnert an das Wolfdietrichs.202 Die Darstellung des bequemen Küchenmeisters Rumolt aus dem ‹Nibelungenlied› als für seine Tapferkeit weithin berühmter Kriegsheld (RS Str. 223–225) verbindet die ‹Rabenschlacht› mit ‹Biterolf und Dietleib›.203 (Schon die ‹Nibelungenklage›, Kl *B v. 4017–4082, zeichnet Rumolt freilich seriöser als das ‹Nibelungenlied›, als Mitorganisator des Neubeginns nach der nibelungischen Katastrophe, insofern er die Krönung von Gunthers Sohn vorschlägt.) Helphrichs Erinnerung an eine gemeinsame Heldenvergangenheit (RS Str. 225) scheint gleichwohl ins Leere zu laufen. Gerade angesichts der Bezüge zum ‹Biterolf› kann ich mir diese Darstellung Rumolts nach dem ‹Nibelungenlied› und gar nach Wolfram (vgl. S. 42) nicht ernst gemeint vorstellen.

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KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 302. Vgl. ‹Wolfdietrich› B (AMELUNG/JÄNICKE 1871, LV Nr. 71, DHB III), Str. 349, 687f.; vgl. auch ‹Wolfdietrich› A (KOFLER 2009, LV Nr. 72), 27,3−30,3 u.ö.; vgl. LEITZMANN 1926 (LV Nr. 410), S. 70f.; STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 148 (dort Hinweise auf weitere mögliche Entlehnungen aus ‹Wolfdietrich› B). Vgl. ‹Biterolf› (SCHNYDER 1980, LV Nr. 16), v. 7696, 10 139–10 144, 10 550–10 577, 11 904– 11 911, 12 246f. (Rumolt verwundet Wolfhart), 12 697–12 704 (Witege erinnert sich an Rumolts Kampfkraft); vgl. STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 135–141 (zur Benutzung des ‹Biterolf› in der ‹Rabenschlacht›, mit zahlreichen, zumeist nicht zwingenden Anklängen); LIENERT 1999 (LV Nr. 416), S. 28f.; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 299.

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Intertextualität

KERTH hat für die späte Heldendichtung darüber hinaus typisch ‹heldenepische› Elemente herausgearbeitet, auf die vielfältig Bezug genommen wird, ohne dass Einzeltextreferenz vorläge: auf der Ebene struktureller Intertextualität204 im Bereich der Großstruktur eine an Rachethematik und Gewalteskalation gebundene Untergangsstruktur (in Abgrenzung vom [arturischen] Aventiureweg und dem gattungsübergreifenden Brautwerbungsschema), im Bereich der Substrukturen Herausforderungs- und Befreiungsschema, Reihenkampfschema, Heldenvergleich, bei Formulierungen die Vorausdeutungen; auf der Ebene szenographischer Intertextualität205 (d.h., nach ECO, kleinerer Erzähleinheiten oder rhetorischer Schemata, «die vom Rezipienten aufgrund seiner literarischen Kompetenz in einen einzeltextübergreifenden Kontext eingeordnet werden können»206) die an sich nicht gattungsgebundenen, vom Kontext her aber tendenziell Gattungen zuzuordnenden Motive, Szenentypen und Schemata von Massenschlacht, Heldenkatalog, verräterischer Einladung, Reiz- und Kampfreden, Dietrichs Feueratem, Pferdeprobe, Rüstungsbeschreibung sowie die rhetorischen Topoi der Kampfschilderungen. Zu Gewalteskalation und Untergangsstruktur stellt die ‹historische› Dietrichepik – in der Auseinandersetzung der Fluchtepen mit dem ‹Nibelungenlied› – eher einen Gegenentwurf dar: Gewalt wird nicht als unkontrollierbar eskalierend begriffen wie in ‹Nibelungenlied› *B, sondern entweder als Untat gebrandmarkt oder als (Defensiv-)Reaktion legitimiert (vgl. S. 250f.). Allenfalls der Steigerung der Heeresgrößen, der Gefallenenzahlen und des aus Kampf und Krieg resultierenden Leides ist Eskalation strukturell inhärent. Insofern die Wiederholung von Rückkehrschlachten und Gang ins Exil auch von taktischen Erwägungen geprägt ist (Schlachten dauern eine begrenzte Zeit, danach bedarf es erneuter Sammlung militärischer Ressourcen), ist den Abläufen im Gegenteil ein Moment zumindest formaler Kontrolle inhärent. Eine Untergangsstruktur – als heldenepisches Strukturmerkmal aus dem ‹Nibelungenlied› abgeleitet und nicht eo ipso gattungsprägend – ist insofern nicht gegeben, als Dietrich grundsätzlich als überlebender Held gezeichnet ist207 und seinem Unglück (dem Exil) – auch wenn dies in den Fluchtepen weitgehend aus dem Blick gerät – das Ende (die Rückkehr) prinzipiell eingeschrieben ist. Strukturell auf Untergang ausgerichtet sind daher nur Einzelepisoden, vorrangig die Schicksale der Helchesöhne und Diethers in der ‹Rabenschlacht›, Alpharts in ‹Alpharts Tod›. Die Wiederholung der Erzählschablone des glücklosen Siegs in ‹Dietrichs Flucht› etabliert vollends, wie erläutert, eine zyklische Struktur, die nicht auf Untergang zustrebt. Selbst ohne den Fluchtpunkt in der Rückkehr (wie sie nicht erst die ‹Nibelungenklage›, sondern schon der Stoff vorsieht) und/oder in der göttlichen Bestrafung Ermrichs (wie sie die Erzählervorausdeutungen aufrufen) ist diese zyklische Struktur immer neuer Versuche der Gegenwehr und Rückeroberung ein Gegenentwurf zur linearen Untergangsstruktur des ‹Nibelungenlieds›.208 Die Rachethematik freilich prägt, obgleich sie hier keine Katastrophe nach sich zieht, auch die ‹historischen› Dietrichepen, trotz christlicher Fassade. Rache motiviert Dietrich

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Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 67–75. Vgl. ebd., S. 76–85. Ebd., S. 76. Vgl. auch MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), bes. S. 117. Vgl. LIENERT 1999 (LV Nr. 416), bes. S. 43; KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 122.

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Aspekte der Poetik

mehr noch als Machtinteressen.209 Die triuwe-Bindung zwischen Herrscher und Gefolgsleuten setzt voraus, dass diese helfen rechen miniu leit (DF v. 3224). In Helches Verhältnis zu Dietrich (vgl. S. 146f., 211–213) kommt es, wie auch bei Etzel, auf die finanzielle und militärische Unterstützung der Rückeroberungs- und damit Rachepläne an: ich gehilf iu rechen iwer leit (DF v. 5028). Die Rückeroberung scheint heroisch umdefiniert zur Rache am Gegner (z.B. RS 24,4f.). Besonders deutlich ist dies, wo Dietrich gegenüber Helche darauf insistiert, höchstpersönlich die Rache am Bösewicht vollziehen und (so seine rhetorisch übersteigerte Beteuerung) dafür notfalls auch auf seine Macht verzichten zu wollen: «Daz mær hort ich ungerne, daz in ieman sl)ge wan ich. Und sold ich noch gerechen mich, dar umb wold ich romisch lant verchlagn und mich dest armer betragen.» (DF v. 4983–4987). In der ‹Rabenschlacht› geht es darüber hinaus auch um Rache für die toten Hunnenprinzen und Diether. Als die Rache an Witege misslingt (RS Str. 919–973), werden stellvertretend Rienolt und, wie Rüdiger berichtet (RS 1119,1–3), der säumige Aufpasser Elsan von Dietrich getötet. Gegen das, was von der Stoffgeschichte her zu erwarten ist (es gibt keine Zeugnisse für weiteres kriegerisches Vorgehen gegen Ermrich nach der Rabenschlacht, wenn man von der ganz anders gelagerten Konstellation in ‹Ermenrikes dot› absieht), stellt Dietrich, gleichsam als Grundlage der Versöhnung, dem Hunnenkönig Rache für seine Söhne in Aussicht:210 «[...] ich gelige danne tot, oder ich gereche dein swere.» Hie mit gewan hulde der herre Dietreich [...] (RS 1138,6–1139,2). In ‹Alpharts Tod› wirkt die Rache, wie erläutert, unmittelbar strukturbildend, da die Abwehrschlacht gegen Ermrich zugleich als Racheschlacht für Alphart erscheint, Rache so die beiden erhaltenen Teile motivisch und strukturell aufeinander bezieht. Herausforderungs- und Befreiungsschema, Reihenkampfschema, Heldenvergleich spielen im Ernstkampfkontext der ‹historischen› Dietrichepik keine (Befreiungsschema) oder eine geringere Rolle (vgl. bes. S. 130, 132f., 156, 175, 222): Vor oder innerhalb der Schlachten der Fluchtepen fordern sich gelegentlich Helden zu Zweikämpfen heraus. Die Schlacht von Raben ist über weite Strecken, reihenkampfartig, als «Kette von Zweikämpfen» – auch «zwischen dem gotisch-hunnischen und dem burgundischen Sagenpersonal»211 – inszeniert; freilich ist die Auflösung der Schlacht in Zweikämpfe schon weltliterarisch eines der Mittel zur Schlachtdarstellung und daher nicht in erster Linie auf das anders motivierte Reihenkampfschema zu beziehen. Der Zweikampf zwischen Dietrich und Siegfried (RS Str. 671–682) stellt auf einer Metaebene eine Form des Heldenvergleichs dar, resultiert aber ohne vorangehende Herausforderung aus dem Zusammenstoß der Anführer zweier feindlicher Abteilun-

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Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 123. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 299.

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Intertextualität

gen. Auf die Variationen des Herausforderungsschemas in ‹Alpharts Tod› und das ‹klassische› Herausforderungsschema der aventiurehaften Dietrichepik in ‹Dietrich und Wenezlan› wurde ebenfalls bereits hingewiesen. Zahlreiche andere Erzählelemente (auch solche, die KERTH unter dem Etikett der «szenographischen» Intertextualität subsumiert) sind nicht als Systemreferenzen einzuordnen, sondern gattungsübergreifende Merkmale epischen Erzählens, wie sie Heldenepik, Antikenroman, (deutsche) Chansons de geste in ähnlicher Weise prägen und allenfalls in Opposition zum höfischen Roman als ‹heldenepisch› gelten können: Massenschlacht und rhetorische Schemata aus der Topik der Kampfschilderungen wie Reizund Aufmunterungsreden, Hyperbolik, die Kampfmetaphorik von Feuer, Blutbächen und Leichenbergen, Heldenkataloge, Rüstungsbeschreibungen. Einige Aspekte der Schlachtdarstellung in den Fluchtepen («[d]etaillierte Wiedergabe des Schlachtenpersonals, schlichter Bericht zur Aufstellung feindlicher Truppen oder die Klage des Führers zu den Gefallenen»)212 ähneln überdies eher «der geistlichen Geschichtsdichtung des 12. Jahrhunderts».213 Aufmunterungsreden dienen allerdings mehrfach der Markierung der stereotypen Wolfhartrolle (vgl. bes. S. 203–207) und sind insoweit (auch in der Übertragung auf andere Dietrichhelden) ‹heldenepisch› vereindeutigt. Das Motiv der Pferdeprobe in ‹Alpharts Tod› stammt wohl aus französischen Chansons de geste: In der Reihe von Alpharts Bewährungsproben besteht die erste darin, dass Alphart sein Pferd acht Klafter weit springen lässt (AT v. 470– 477/Str. 119f.) und so Dietrich von seiner Eignung für den Wartritt überzeugt.214 Das Erzählschema der verräterischen Einladung (vgl. bes. S. 132) kommt, «archetypisch heldenepisch»,215 auch im ‹Nibelungenlied› und weltliterarisch z.B. in ‹Odyssee› und ‹Atlaqviða› vor. Es wird in ‹Dietrichs Flucht› freilich deutlich entheroisiert: Dietrich leistet der Einladung ganz selbstverständlich nicht Folge. Randolt setzt nach und aufgrund seiner Warnung das Scheitern von Ermrichs Plan voraus. Dietrichs Reaktion kommt zunächst gar nicht zur Sprache; während der ganzen Botenhandlung wird lückenlos auf Randolt fokussiert, bis zur Nachricht an Ermrich, dass dessen Plan gescheitert sei, und bis zu Randolts Rückzug aus Ermrichs Umfeld (DF v. 2768–2815); danach schwenkt die Erzählperspektive zu Ermrich: Er trifft nun Vorkehrungen für eine kriegerische Invasion, gegen die die Dietrichseite rüstet. Trotz der pragmatischen Umgestaltung scheint durch die Aussparung der unmittelbaren Reaktion des Herausgeforderten (auf die möglicherweise der ansonsten unklare Vers des doch ze Berne nie wart gedacht, DF v. 2806, hinweist) dem heroischen Muster Rechnung getragen, so als wollte der ‹Autor› vermeiden, dass die Frage nach Dietrichs Tapferkeit oder Feigheit, die das Schema in heroischer Perspektive aufwirft, überhaupt gestellt wird. Dietrichs Feueratem (RS 972,5–973,1) dürfte aus der aventiurehaften Dietrichepik in die ‹Rabenschlacht› gelangt sein;216 im ‹Eckenlied› ist er, wie in der ‹Rabenschlacht›, der Ver-

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MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 306. VOORWINDEN 1992 (LV Nr. 574), S. 102; vgl. MÜLLER 2003 (LV Nr. 468), S. 306. Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 79, 130. Ebd., S. 78. Zu RS 945,5f. («[...] nu sihstu, wie er limmet, / reht alsam ein hous, daz da brinnet») vgl. ‹Rosengarten› D (HOLZ 1893, LV Nr. 82), 531,1f. ([...] riechen er began, / als ein hûs, daz dâ dimpfet). Für Einzeltextreferenz ist die Markierung nicht eindeutig genug, lediglich ein Motiv- und Formulierungsanklang. (Für Dietrichs Beziehung zu Etzel und die Vorausdeutung auf Witeges Verrat und Alpharts Tod scheint eher umgekehrt ‹Rosengarten› D auf ‹historische› Dietrichüberlieferung zu

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Aspekte der Poetik

folgung Witeges zugeordnet und Zeichen von Dietrichs erbittertem Zorn (E2 198,9f.; vgl. S. 45f.); nicht erinnert wird er, wie erwähnt, beim Kampf gegen Siegfried (RS Str. 635–646), wo er im ‹Rosengarten› eine zentrale Funktion hat, nämlich die, Siegfrieds Hornhaut zu erweichen. In der ‹Heldenbuch-Prosa› (vgl. S. 62) wird Dietrichs Feueratem bekanntlich auf dämonische Begleitumstände der Geburt des Helden zurückgeführt, die in der ‹Rabenschlacht› nicht zur Sprache kommen (in den Feueratem-Zeugnissen spielen dämonische Assoziationen nur noch in der ‹Thidrekssaga› eine Rolle). Möglicherweise handelt es sich um die nachträgliche Dämonisierung eines Motivs, das ursprünglich eine bloße Metapher für Kampfzorn gewesen sein mag (dafür spricht die feste Verbindung des Feueratems mit Dietrichs Zorn in allen sicheren Zeugnissen). In der durch Leid und Racheverlangen geprägten Szene der Verfolgung Witeges trägt die eigenartige Variante des Feueratem-Motivs groteske Züge: Dietrich erweicht, so die Meerfrau gegenüber Witege, mit seinem Feueratem die eigene Rüstung und macht damit potentiell sich selbst besiegbar, nicht etwa den Gegner Siegfried (RS 972,5–973,1). Inwieweit hier Komik intendiert ist, ist, wie bei der Darstellung Rumolts, schwer zu beurteilen (vgl. auch S. 257f.). Im Grunde enthält bereits die traditionelle Verwendung im Kontext des Kampfs gegen Siegfried im ‹Rosengarten› einen Anflug von Komik: Siegfrieds übernatürlicher Vorteil, die Hornhaut, wird durch Dietrichs Feueratem, der das Horn schmelzen lässt, passend gekontert. Auch die Gegenüberstellung von Dietrich und Witege, Feuer speiendem Verfolger und ins Wasser fliehendem Verfolgten, in der Rabenschlacht-Fabel ist davon nicht völlig frei. Literarisierung demonstriert die Brechung des traditionellen Motivs in der erhaltenen ‹Rabenschlacht› in jedem Fall.

b) Anschluss an Brautwerbungsepik Die Verwendung des Brautwerbungsschemas wurde bereits dargestellt (vgl. S. 130–132). Das Schema ist zugleich gattungsübergreifend (in deutschen Chansons de geste wie ‹Rother›, in Heldenepen wie ‹Nibelungenlied›, ‹Ortnit› und ‹Kudrun›, im höfischen Roman ‹Tristan›) und gattungskonstitutiv für die Brautwerbungsepik.217 Auf Brautwerbungsepik verweisen in der Dietwart-Handlung vor allem die Anspielung auf den Helden des ‹Rother› (R*ther, der Erbe von Westenmer, ist der Bruder der Dietwart-Gattin Minne, DF v. 1318f.) und Andeutungen auf das Muster der gefährlichen Brautwerbung (der tränenreiche Abschied, DF v. 1050–1085; die Befürchtungen der Werbungsboten bei der Ankunft in Westenmer, DF

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reagieren; vgl. S. 48f.) Zum Motiv von Dietrichs Feueratem vgl. Test. Nr. 124 (‹Eckenlied›), 129 (‹Laurin›), 130 (‹Sigenot›), 131 (‹Virginal›), 136 (‹Rosengarten›), 137 (‹Biterolf und Dietleib›), 138 (‹Thidrekssaga›), 159 (‹Rabenschlacht›), 213? (Heinrich Wittenwiler, ‹Ring›, sehr unsicher), 227 (Felix Hemmerli, ‹Liber de nobilitate›, hier wohl als ‹Rosengarten›-Reminiszenz), 250 (Niedersächsische Chronik), 251 (Ctibor Tovaþovský von Cimburk, ‹Hádání Pravdy a Lži o knČžské zboží a panování jich›), 254 (‹Der Wunderer›), 258 (‹Heldenbuch-Prosa›), 287 (‹Ein lied von dem tod›), 326 (Hans Sachs, ‹Ein Tragedj mit 17 personen: Der h(ernen Sewfrid›, aus der ‹Rosengarten›-Tradition), N2? (Damaskios, ‹Vita Isidori›, sehr unsicher: Theoderichs angeblicher Vater Valamer habe aus dem eigenen Körper heraus Funken gesprüht), B12 (‹Rosengarten›-Miniaturen), B17 (Albertus Pictor, Fresko in der Floda Kyrka, Södermanland; Feueratem im Zusammenhang mit einem Kampf gegen Witege). Zur Durchführung in den einzelnen Teilhandlungen vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 134–140.

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Intertextualität

v. 1124–1130, 1139f.; die Bedingung des Brautvaters, der Werber müsse persönlich erscheinen, DF v. 1308–1313; der Sturm, der Dietwart auf die Dracheninsel verschlägt, und der lebensbedrohliche Drachenkampf, DF v. 1537–1678) – Befürchtungen und Gefahren, die sich sämtlich zerstreuen und letztlich auf den gattungskonformen erfolgreichen Erzählausgang zusteuern. Auch für die Sigher-Handlung sieht KERTH218 in erster Linie Anschluss an die Brautwerbungsepik, obgleich die offizielle Werbung ohne Hindernisse (in ‹Dietrichs Flucht› schon aufgrund der Reduktionsformen der späteren Brautwerbungserzählungen die Regel) in den Brautwerbungsepen eher die Ausnahme darstellt (dagegen begegnet sie in Etzels Werbung um Kriemhild im ‹Nibelungenlied›) und obwohl die Vorstellung Sighers als kriegerischer Eroberer (DF v. 1881–1883) zumindest punktuell an heldenepische Deutungsmuster anschließt. Nur Ortnits Werbung ist (traditionell) eine gefährliche Brautwerbung, und in der Tat kommt Ortnit durch die vom Brautvater gesandten Drachen ums Leben. Dass es dabei nicht um ein Versagen Ortnits geht (sei es konkretes Fehlverhalten219 oder Mangel an Kampf- und Zeugungskraft220), hat ebenfalls KERTH deutlich gemacht: Maßgeblich ist die «stofflich-erzähltechnische Notwendigkeit, mit Ortnit denjenigen vom Thron und aus Liebgards Ehebett zu entfernen, der dem ersten biologischen Vorfahren Dietrichs, Wolfdietrich, im Wege steht.»221 Bei Wolfdietrich erfolgt die Brauterwerbung durch den Drachenkampf; die Initiative geht insofern von der Frau aus, als sie die Bedingung festlegt, wie ihre Hand zu erlangen ist (DF v. 2251–2255); das sonst in der ‹Flucht› übliche Schema von Brautwerbungsrat und offizieller Werbung entfällt. Bei Hugdietrich mischen sich statt der heldenepischen höfische Elemente in die Brautwerbungsgeschichte ein, nicht nur höfische Tugenden des Königs, sondern auch so etwas wie Minne- und Frauendienst als Motiv222 für die Eheschließung: In sinen besten ziten, daz er begunde striten [...] nach der minne breise, do nam er von Franchriche ein kuneginne riche (DF v. 2350–2355). Amelunch wird, ähnlich wie später Dietrich, bedroht durch not und zahlreiche Kriege, die er jedoch siegreich besteht (DF v. 2385–2388): «Die lange Brautwerbungsserie hat also offenbar eine Eigendynamik entwickelt, die die erzählerischen Weichen eindeutig auf einen guten Ausgang stellt und die in der Handlung angelegten Probleme wie bei Dietwarts Werbung unterdrückt.»223 In der durch Unrechts- und Gewalterfahrung, Krieg und Leid geprägten (heldenepischen) Welt Dietrichs freilich trägt das optimistische Brautwerbungsschema nicht länger; mehr als vorübergehendes Glück wird Dietrich und Herrad nicht zuteil. Der Rekurs auf Brautwerbungsepik (statt auf heroische Ausprägungen des Brautwerbungsschemas) un-

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Ebd., S. 135f. Vgl. SCHMIDT-CADALBERT 1985 (LV Nr. 514), S. 216–219; MIKLAUTSCH 1997 (LV Nr. 447). Vgl. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 48. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 136f. Nicht, wie ebd., S. 138, angenommen, eine Phase des Frauendienstes vor der Heirat. Ebd.

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Aspekte der Poetik

terstreicht die Diskrepanz zwischen der (vergleichsweise) idealen Vorgeschichte und der leidvollen Dietrichhandlung. Zudem verbindet sich mit dem Brautwerbungsschema das Thema ‹legitime Herrschaft›, das die heldenepische Konflikthandlung um Dietrich und Ermrich unter die – nicht traditionell heldenepische – Perspektive von Legitimität, Recht und Moral stellt. Das Interesse an auserzählter Genealogie freilich ist weder typisch für die Brautwerbungsepik, die sich in der Regel auf ein Paar (mit Ausblick auf dessen Nachkommen) beschränkt, noch für heroische Überlieferung, sondern für den späthöfischen Roman und die von diesem beeinflusste späte Heldendichtung (‹Kudrun›), freilich auch für die Chronik. Die genealogische Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› ist sagenfremd, «literarische Neuerfindung, die den Zeitgenossen des Dichters als solche durchschaubar gewesen sein muß»224 und in offensichtlicher Annäherung an Traditionen des (späten) Artusromans erzählt. Die zugrunde liegenden Strukturen (nicht die erzählten Fakten und Namen) entsprechen freilich auch den historiographischen Denkprinzipien von Genealogie, Legitimation, Vererbung.225 Muster des späthöfischen Romans, der Sage und der Historiographie verschmelzen.

c) Höfisierung, ‹heroische› Rückkopplungen und Hybridisierung Häufiger als in der ‹Rabenschlacht›, die in erster Linie den Anschluss an heldenepische Traditionen sucht, finden sich in ‹Dietrichs Flucht› Anklänge an höfische Texte.226 Mit einer fast (aber eben, typisch für Reproduktion aus dem Gedächtnis, nicht ganz) wörtlichen Reminiszenz an Walthers von der Vogelweide Preislied («Der mære bringet, daz bin ich», DF v. 2765; vgl. C. 32, I, v. 2) führt sich Ermrichs Bote Randolt an Dietrichs Hof ein. Hugdietrich wird der Tugendkatalog aus Hartmanns von Aue ‹Armem Heinrich› zugeschrieben: Er [Hugdietrich] was der nothaften z* fluht, der milte ein gelichiu wage, ein trost aller siner mage. Im enwart uber noch gebrast. Er was [...] der zuht ein rehter adamant (DF v. 2337–2342; vgl. auch RS 910,3).227 Dietwart, der höfische Idealkönig, wird an Artus gemessen (DF v. 106, 131, 495), sein Gefolgsmann Tibalt an Parzival und den Rittern der Tafelrunde (DF v. 491–495): Er [Dietwart] lebt recht als Artaus mit rechter ritterscheffte (DF v. 106f.). Parzival dürfte aus Wolframs Gralroman bekannt sein; die Nennung von Artus und der Tafelrunde verweist auf keinen konkreten Prätext, stellt also eine Systemreferenz dar. Mit den Namen werden ritterscheffte und höfisches Leben aufgerufen; dazu gehören Schwertleite und (quasi-arturisches) Pfingstfest. Darüber hinaus konnotiert der höfische Roman, wie die Brautwerbungsepik, mit der er sich teilweise auch im Herrschaftsideal trifft, utopische Har-

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KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 102f. Vgl. ebd., S. 103; KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 45. Hinweise auch bei STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 147, 166f., 176f., 203 und passim. Vgl. Hartmann von Aue, ‹Der arme Heinrich› (PAUL/GÄRTNER 2001, LV Nr. 41), v. 62–67.

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Intertextualität

monie. Nach WALTER HAUG228 korrespondiert die Gegenüberstellung der Gattungen, Artusroman (in Verbindung mit Brautwerbungsepik) und Heldenepik, der Gegenüberstellung von idealer (arturischer) Vergangenheit und prekär gewordener (heldenepischer) Zeit Dietrichs im Rahmen der von ‹Dietrichs Flucht› entworfenen Verfallsgeschichte (vgl. bes. S. 128, 246). Auch in der Haupthandlung und in der ‹Rabenschlacht› treten höfische Elemente indes nicht ganz zurück: Der Etzelhof wird höfisch stilisiert, Etzel damit (obgleich das, anders als bei Dietwart in der Vorgeschichte der ‹Flucht›, nicht explizit gemacht wird) an Artus angenähert (zum möglichen intertextuellen Spiel mit einer Annäherung Helches an Ginover vgl. S. 211); in die Zweckheirat von Dietrich und Herrad mischt sich Liebesglück (vgl. S. 146).229 Sogar Kämpfe sind teilweise überformt zu Taten sozialer Verantwortung des Herrschers für sein Reich (vgl. S. 250f.). Wenn im preisenden Nachruf auf Diether (RS Str. 910f.) dem Toten wie Hugdietrich eine Eigenschaft aus Hartmanns Tugendkatalog zuerkannt wird (RS 910,3), demonstriert das freilich, dass höfische Idealität in der Ermrich-Zeit nicht zum Überleben taugt. Gegenläufig zur Entheroisierung durch Arturisierung wird sogar die Vorgeschichte angenähert an heroische Überlieferung durch Ansätze zur Heroisierung auch der artusähnlichen Könige der Vorzeit (auch sie besiegen Drachen, bestehen Kriege, erobern Reiche: DF v. 1882f., 2115, 2174–2216, 2360–2364, 2385–2388) und durch (sekundäre) Tendenzen zur Integration: Andere heldenepische Stoffkreise werden ‹angesippt› (vgl. auch S. 140f.), nicht nur der brautwerbungsepische König Rother: Siegfried ist der Sohn von Ortnits Schwester; Ortnit und Wolfdietrich werden als Vorläufer bzw. Vorfahr Dietrichs reklamiert. So garantiere «Genealogie [...] als Intertextualitätsmodell» auch den Zusammenhang der Texte «über die Verwandtschaftsbeziehungen ihrer Figuren».230 (Hinzu kommt, dass außer Dietwart, dessen Name gleichwohl aus den Sagennamen Dietrich, Dietmar, Diether abgeleitet sein kann,231 auch die neuen Könige alte Sagennamen wie Sigher und Amelunch tragen.) Freilich gehen diese Verwandtschaftsbeziehungen (mit Ausnahme der auch andernorts belegten Abkunft Dietrichs von Wolfdietrich) nicht auf Sagenwissen zurück, sondern sind exklusiv in ‹Dietrichs Flucht› (und den beiden hierin der ‹Flucht› folgenden Handschriften der ‹Weltchronik› Heinrichs von München) nachzuweisen, also bewusst nachträglich gestiftet, um Kohärenz der Heldenzeit und der Heldenepen herzustellen. Auf die Missachtung chronologischer Stimmigkeit der Generationenfolge (die eher auf Unachtsamkeit als auf ‹sagenmäßige› Tendenz zur Synchronisierung des Ungleichzeitigen zurückzuführen scheint) wurde bereits hingewiesen (vgl. S. 128, 140f.).232 Nicht- oder anti-heroische Elemente sind tendenziell gesetzt, um sich als wirkungslos zu erweisen: Etzels Hof ist zwar auch als Ort höfischer Festfreude gezeichnet; doch zeitigt diese

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HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 120–125. Vgl. bes. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 140–144. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 56; zur «Neigung zu zyklischer Verknüpfung der heldenepischen Stoffe» vgl. auch HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 158. Vgl. auch KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 55. Ebd., S. 56: Diese «Genealogie der Texte» sei «in einer Übergangssituation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit» situiert. Schriftliterarische Strategien scheinen (mit quasi-lebensweltlicher Anknüpfung über Verwandtschaftsbezeichungen und mit der Synchronisierung des Ungleichzeitigen) Anleihen zu machen bei Verknüpfungsmechanismen der Sage.

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Aspekte der Poetik

oberflächliche Freude keine Wirkung auf Dietrich – die habituelle Trauer des Berners ist nur durch aktive militärische Unterstützung zu zerstreuen (vgl. bes. S. 221). Das Glück der Liebesnacht mit Herrad bleibt so folgenlos, dass nicht einmal Dietrichs Abschied von seiner Gemahlin oder die Wiedervereinigung nach der Rückkehr erzählt werden. Gleichwohl unterläuft die Anlehnung an andere Gattungsmuster heroische Konzeptualisierungen, vor allem durch die Hybridisierung von Helden233 und die damit verbundene Problematisierung heroischen Gewaltverhaltens (vgl. bes. S. 227–229).

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Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 85–95, 145–154.

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V. Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

1. Allgemeines1 Figuren stehen in verschiedener Hinsicht im Fokus der Sinnbildungsleistung und der Erzählstrategien der ‹historischen› Dietrichepik: durch Reproduktion, Verstärkung und Ausweitung, aber auch Variation von traditionellen Rollenstereotypen und Figurenkonstellationen bis hin zur Hybridisierung oder gar Problematisierung. Die Textgruppe selbst ist, zumindest in einer konstitutiven Komponente, durch den Hauptprotagonisten definiert. Sagen- und Stoffgeschichte (vgl. Kap. II.) liefern Rollenvorgaben nicht nur für Dietrich von Bern selbst, sondern auch für andere Figuren unterschiedlichen Gewichts. Im Falle einiger Dietrichhelden werden lediglich Sagennamen aufgegriffen, ggf. zusammen mit Herkunftsbezeichnungen, ohne dass die Figuren im Sinne fester Rollenstereotype vorgeprägt sind oder geprägt werden. Ein bezeichnendes Beispiel ist Dietleib, der Sohn des Biterolf: Name und Herkunftsbezeichnung (Styer, Steiermark) dürften vorgegeben sein.2 Dietleib wird in ‹Dietrichs Flucht› durch wichtige (in anderen Texten teilweise nicht oder nicht so bezeugte) Handlungsfunktionen hervorgehoben: Er gehört zu Dietrichs Goldboten (DF v. 3640), entkommt als einziger, berichtet in Bern von Ermrichs Überfall und der Gefangennahme der Gefährten (DF v. 3787f.) und verhandelt als Dietrichs Bote wegen der Auslösung der Gefangenen (DF v. 3888–4000). Mit diesem Botengang verbinden sich die Herausforderung durch Wate, der Dietleibs Heldenruhm bezeugt (vgl. S. 256), und der daraus resultierende Zweikampf am Ende der zweiten Schlacht von Mailand (DF v. 6689–6798), an dem Dietrich und seine Mannen nachdrücklich Anteil nehmen und in dem Dietleib Wate tötet. Zwischenzeitlich hält Dietleib sich, als Dietrich bei seiner ersten Ankunft in Gran die Hunnenkönigin erwartet, in deren Gefolge auf (DF v. 4685). Eine Erklärung dafür (etwa dass Dietleib seinem Herrscher ins Exil vorausgeeilt sein könnte) ist ausgespart; Dietleip von Stwr, ein recke her (DF v. 4685) wird im Rahmen eines kurzen Heldenkatalogs eingeführt, als sei er ein Unbekannter. In ‹Biterolf und Dietleib› ist Dietleib kein Dietrichheld, sondern hält sich auf der Vatersuche am Hunnenhof auf, lange bevor er mit seinem Verwandten Dietrich zusammentrifft; möglicherweise ist seine Zuordnung zu Helches Gefolge in der ‹Flucht› ein

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Material zu den Figuren (auch) der ‹historischen› Dietrichepen bei GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233); vgl. ferner STECHE 1939 (LV Nr. 548); DE BOOR 1941 (LV Nr. 156); VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490); HOMANN 1977 (LV Nr. 338); LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411); ROLLNIK-MANKE 2000 (LV Nr. 498), S. 155–229; MÜLLER 2003 (LV Nr. 468); wichtige Deutungsaspekte vor allem bei MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440); KROPIK 2008 (LV Nr. 397); KERTH 2008 (LV Nr. 357), bes. S. 145–154. Vgl. GILLESPIE 1973 (LV Nr. 233), S. 24f.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Relikt einer solchen Sagentradition. (Insgesamt freilich überwiegen in den Testimonien Belege für Dietleibs Status als Dietrichheld.) In den Schlachten der ‹Flucht› gehört Dietleib zu den herausragenden Hauptleuten auf Dietrichs Seite; in der Schacht von Bologna etwa kämpft er u.a. gegen Heime (DF v. 9229–9232). Eine traditionelle Rolle oder textspezifische Figurengestaltung freilich ist darüber hinaus nicht mit ihm verbunden. Lediglich das Motiv, dass man sich am Ende der zweiten Schlacht von Mailand um den Vermissten sorgt, bis man vom Zweikampf gegen Wate erfährt (DF v. 6689–6708 und ff.), könnte eine Reminiszenz sein an eine ähnliche Episode des ‹Biterolf und Dietleib›,3 die ihrerseits möglicherweise das Motiv der unerlaubten Kampfteilnahme aus einer nicht erhaltenen alternativen Tradition des Tods der Helchesöhne variiert (vgl. S. 50). Freilich bestehen erhebliche Unterschiede; insbesondere ist Dietleib in der ‹Flucht› kein unerfahrener Knappe, der sich heimlich in den Kampf davonstiehlt, sondern ein bewährter Ausnahmeheld und Anführer in der Schlacht. Für Dietleib lassen sich in ‹Dietrichs Flucht› verschiedene Schichten fassen: die nicht hinterfragte, nicht ganz passende Situierung in Helches Gefolge (analog zu ‹Biterolf und Dietleib›); seine Taten als Dietrichheld (parallel zu seiner Rolle in aventiurehaften Dietrichepen); eine Anspielung auf das wohl ursprünglich den Hunnenprinzen zugeordnete, auf Dietleib übertragene Sagenmotiv der heimlichen Kampfteilnahme. In der ‹Rabenschlacht› gehört Dietleib durchgehend zu Etzels Gefolgsleuten, die dem Berner militärische Hilfe leisten, nicht zum Kern der Dietrichhelden und Gefährten im Exil (RS Str. 43 u.ö.). Diese Zuordnung gründet sich in erster Linie auf die vielleicht teilweise traditionelleres Material bewahrenden Heldenkataloge4 und entspricht im Prinzip der Konstellation des ‹Biterolf›. Freilich wird die dort erst am Ende vorgenommene Belehnung mit der Steiermark in den Fluchtepen von Anfang an im Beinamen vorausgesetzt. Die Verwandtschaft mit Dietrich, aufgrund derer der Berner im ‹Biterolf› an Dietleibs Rachefeldzug teilnimmt, wird in den Fluchtepen nicht erwähnt. In ‹Alpharts Tod› begegnet Dietleib nicht; das entspricht der Konstellation ohne Exil und ohne hunnische Hilfstruppen. Im Fall einer anderen Nebenfigur mit vorgeprägter Sagenrolle, Eckehart, ist der Befund teilweise vergleichbar: Bei der kurzen Anspielung auf die Harlungen (angedeutet sind die verräterische Einladung durch Ermrich und das Motiv, dass er seine Neffen aufhängen lässt, DF v. 2472–2475, 2551–2556) ist ihr sagenberühmter Erzieher nicht erwähnt. Vorausgesetzt wird die Rolle gleichwohl: Ekkehart der Harlunge man (DF v. 4687) befindet sich mit Dietleib bei Dietrichs erstem Gang ins Exil in Helches Gefolge; er trägt sein sagenmäßiges Epitheton der vil getriwe man (DF v. 4697), das im Kontext freilich eher auf seine Sorge um Dietrich gemünzt scheint. In beiden Fluchtepen ist ihm die Rolle dessen zugedacht, der die bösen Ratgeber straft: In ‹Dietrichs Flucht› enthauptet er den (sonst sagenfremden) Ribstein (DF v. 9796–9824); in der ‹Rabenschlacht› nimmt er (ohne erhaltene Sagenparallelen) Sibeche gefangen und führt ihn anscheinend der gerechten Strafe zu (RS 862,3–865,6; die Tötung selbst ist nicht erzählt). Erst hier wird sein Motiv, die Rache für die Harlungen, explizit: Nu sint gerochen mine herren (RS 863,5); dabei war in ‹Dietrichs Flucht› in der HarlungenEpisode von Sibeches Rat nicht die Rede gewesen; in der ‹Rabenschlacht› ist die Vorgeschichte der Rache ausgespart. Noch irritierender ist der Umgang mit der Figurenkonstella-

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Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 287f. u.a. (vgl. auch S. 50). Vgl. DE BOOR 1941 (LV Nr. 156); HOMANN 1977 (LV Nr. 338); MÜLLER 2003 (LV Nr. 468).

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Allgemeines

tion und -motivation in ‹Alpharts Tod›: Der Name Breisach markiert die typische HarlungenGeographie (Brisache gehört in ‹Dietrichs Flucht› zum Erbteil des Diether, des Vaters der Harlungen, DF v. 2439–2441; in ‹Alpharts Tod› sitzen Eckart und andere Helfer in Brysach, AT v. 1221ff./Str. 307 ff.); dennoch wird das Motiv für Eckeharts Unterstützung ausgetauscht: Neben der Hilfe für Dietrich ersetzt hier die Rache für Alphart die Rache für die Harlungen (vgl. auch S. 74). Eckehart und Dietleib sind, graduell unterschiedlich, Beispiele dafür, wie traditionelle Figuren übernommen und ohne besondere inhaltliche Auseinandersetzung variiert werden. Hier dürfte im weitesten Sinn intertextuelles Spiel vorliegen, kein schlichtes Weitererzählen: Bei Dietleib ist offensichtlich eine Metaebene eingezogen, durch Wates Verweis auf Dietleibs Sagenbekanntheit (vgl. S. 256) und durch den (wahrscheinlichen) Rekurs auf die genannte ‹Biterolf›-Szene, in der Dietleib nach der Schlacht vermisst wird. Bei Eckehart sind Sagenmotivationen so ausgespart, dass diese ‹Leerstelle› Irritation beim Rezipienten hervorruft und eine bloße Reproduktion von Sagenmotiven verhindert. Hinzu kommt bei Sibeche und Ribstein die Doppelung der stereotypen Sagenrolle des treulosen Ratgebers, wohl zu dem Zweck, die moralisch-exemplarischem Erzählen (nicht heroischem) naheliegende Bestrafung von Untaten zu ermöglichen, ohne Sibeche (der in der ‹Rabenschlacht› noch gebraucht wird) vorzeitig auszuschalten. Auch in anderen Fällen bauen die ‹historischen› Dietrichepen auf traditionellen Rollenvorgaben auf – und an ihnen weiter: Das gilt für Helferfiguren wie die Dietrichhelden Hildebrand, Dietrichs stereotyp ‹alten› meister und Ratgeber, und Wolfhart, den unbeherrschtaggressiven Kampftreiber, sowie den selbstlos großzügigen und klugen Hauptunterstützer Rüdiger, aber auch für den Bösewicht Ermrich.5 Zum Teil ist dabei schwer zu unterscheiden, was vorausgesetzt, was ausgebaut wird. Tendenziell gibt es hauptsächlich drei Möglichkeiten des Umgangs mit Rollenstereotypen des Sagenrepertoires: Verstärkung (Ermrich z.B. wird in den Fluchtepen zum Bösen schlechthin, noch stärker als es die Sagentradition vorgibt); Ironisierung, die bisweilen mit Hybridisierung einhergeht (etwa bei Helche; vgl. S. 211); Ambiguisierung und Problematisierung (bei den Antagonisten Witege und Heime, deren Stilisierung zu Bösewichtern selbst wohl eine einseitige Deutung von Sagenrollen darstellt; bei den Hunnenprinzen und Diether, deren vordergründige Positivwertung konterkariert wird durch ihren töricht-tödlichen Eigensinn, mit dem sie die Teilnahme am Feldzug ertrotzen und auf dem Kampf gegen Witege bestehen; bei Dietrich selbst, in dem sich Rollenvorgaben der Sage und Eigenkonzeptualisierungen überlagern). Auch Problematisierung ist teilweise durch Hybridisierung bedingt, durch Annäherung an andere als ‹heroische› Heldenkonzeptionen. Bei aller – zugegebenen – Schwierigkeit, d a s ‹Heroische› exakt zu definieren,6 gilt schon die moralisierende Schwarzweißmalerei nicht als traditionell ‹heroisch› (DE BOOR7 sieht die menschlichen Bösewichter der ‹historischen› Dietrichepik eher analog zu den dämonischbösartigen Gegnern Dietrichs in der aventiurehaften). Sowohl die Problematisierung des

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6 7

Relativ oberflächliche Charakterisierungen der Protagonisten (weitgehend ohne Rekurs auf Rollen und Stereotype) z.B. bei STECHE 1939 (LV Nr. 548), S. 16–23, 79–87; Hinweise zu vielen Einzelgestalten/Rollen bei VON PREMERSTEIN 1957 (LV Nr. 490), S. 170–195; nach ROLLNIK-MANKE 2000 (LV Nr. 498), S. 155–229, geht es nicht um ‹Rollen› oder ‹Charaktere›, sondern um Personenbeziehungen. Vgl. zusammenfassend MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 13–33 (mit Forschungsresümee). Vgl. DE BOOR/JANOTA 51997 (LV Nr. 158), S. 136.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Helden als auch die Ambiguisierung der ‹Opfer› und der Bösewichter brechen die Schwarzweißmalerei auf – freilich ohne dass damit eine Rückkehr zum Heroischen oder sonst eindeutige Konzeptualisierungen verbunden wären. Seltener sind die einfache Reproduktion (die betrifft eigentlich nur die Heldenkataloge, meist nur die «Verweisnamen», nicht die «Kernnamen»8) und – bei Rumolt – die (wohl komische) Umkehrung (vgl. S. 176, 184, 257f.).

2. Antagonisten: Ermrich und Sibeche, Witege und Heime9 Bei Dietrichs Gegnern sind die Wertigkeiten gestaffelt: Respektable Kampfgegner werden ebenso respektiert wie die eigenen Leute. Die Hauptantagonisten sind dagegen als Verkörperungen des Bösen konzipiert, in erster Linie Ermrich und sein treuloser Ratgeber Sibeche. Ermrichs Vorgehen gegen Dietrich wäre durchaus auch als Interessenkollision, Machtkampf, Erbstreit darstellbar, gerade angesichts dessen, dass es (vgl. DF v. 2636f.) gewissermaßen aus Amelunchs Erbteilung resultiert; das in der Vorgeschichte mehrfach wiederholte Motiv von der Dezimierung der Nachkommen auf den einen Erben des Gesamtreichs bereitet Interessenkonflikte mehrerer überlebender Söhne vor (vgl. S. 140). Ermrichs Streben nach dem ungeteilten Erbe wird aber gerade nicht als politischer Interessenkonflikt inszeniert, sondern moralisch als Untat bewertet. Mit Ermrich kommt die Treulosigkeit in die Welt (vgl. S. 128, 246): Untriwe ist von im in diu rich leider alreste chomen (DF v. 3513f.). Gewalt und Krieg gibt es zwar auch vorher schon, Bedrohung durch Drachen und die Treulosigkeit von Ortnits heidnischem Schwiegervater Godian, aber die kommen aus einer fremden Außenwelt; Ermrichs Treulosigkeit dagegen gibt die eigene Sippe und ihr Herrschaftsgebiet der Gewalt preis. Seine Gewalt wird einerseits als Einflüsterung eines bösen Ratgebers dargestellt, andererseits zumindest punktuell geradezu als teuflisches Wirken dämonisiert (DF v. 3731, 7835: die zahllosen Gegner erscheinen den Dietrichmannen wie vom Teufel gesandt). Dass Ermrich das Böse verkörpert, losgelöst von historisch-politischen Konstellationen und Interessen, wird insgesamt (tendenziell mehr in den Fluchtepen als in ‹Alpharts Tod›) vorausgesetzt und sukzessive aufgefüllt durch entsprechend verwerfliche Verhaltensweisen. Ermrichs Vorgehen ist geprägt durch heimtückischen Verrat und Verwandtenmord (DF v. 2535, 2546–2556). In seiner Bosheit handelt er unmotiviert sogar gegen ureigene Familienbande und Machtinteressen: Die erste Tat, die ihm überhaupt zugeschrieben wird, ist die (in der Zukunft der erzählten Zeit gedachte) Vernichtung des eigenen Sohnes, den er sit versande hin ze der Wilzen lande, dar an man sin untriwe sach

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Begriffe hier nach LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 13 und passim; vgl. bes. DE BOOR 1941 (LV Nr. 156), passim. Vgl. auch HOFFMANN 2005 (LV Nr. 336), S. 18–34.

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Antagonisten: Ermrich und Sibeche, Witege und Heime

(nu seht!), da er sin triwe brach an sinem liewem kinde (DF v. 2462–2466). Das ist voraussetzungslos erzählt und insofern sinnlos, als Ermrich damit seine eigene dynastische Zukunft auslöscht (wieder aufgegriffen wird die Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Sohn, als Ermrich sich weigert, die gefangenen Dietrichmannen gegen seine Leute und seinen Sohn auszutauschen; DF v. 3853–3855). Es folgen, durch Macht- und Habgier motiviert, die (in der unmittelbaren Vorgeschichte der erzählten Abläufe gedachte) Ermordung der Harlungen (DF v. 2473–2475, 2551–2556) und die verräterische, auf Mord abzielende Einladung an Dietrich (DF v. 2570ff.). Dass Ermrich sich nicht gegen die Brüder wendet, sondern gegen seine noch jugendlichen Neffen, Schutzbefohlene wie die Harlungen zumal (DF v. 2532–2535), verstärkt den Eindruck der Verwerflichkeit. Ergänzt ist die Rolle des Verwandtenfeindes und -mörders durch ein übersteigert negatives Herrscherverhalten, das machtpolitisch nicht einmal zweckmäßig ist: Ermrichs Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Leuten ermöglicht es erst, Dietrich zur Aufgabe seines Reichs zu erpressen (DF v. 3838–3863). Die Gegend um Bern lässt Ermrich brandschatzen und plündern (DF v. 4094–4106), obwohl der Berner bereits auf die Erpressung eingegangen war, Ermrich also sein eigenes Land und seine eigenen Untertanen schädigt. Den flehenden Neffen demütigt er in grober Missachtung des kommunikativ offenbar üblichen Appellcharakters der deditio (DF v. 4212–4288);10 den für Dietrich bittenden Damen droht er gar sexuelle Gewalt an (DF v. 4296–4342). Höhepunkt verwerflichen Herrscherverhaltens ist das Massaker an Frauen und Kindern in Ravenna nach Witeges Verrat (DF v. 7698–7716). Nur ein einziges Mal – und das nur zögernd und auf Drängen anderer – erfüllt Ermrich die Grundanforderung der Reziprozität, indem er für seine Gefolgsleute Lösegeld zahlt, aber nur, weil ihm mahnend vorgehalten wird, dass andernfalls niemand mehr für ihn kämpfen werde (DF v. 7078–7119). Noch ausgeprägter ist der Einfluss des Rollenstereotyps beim bösen Ratgeber, der erst beim geplanten Verrat an Dietrich auf den Plan tritt, nicht schon beim Mord an den Harlungen und nicht bei der Vorausdeutung auf Friderichs Ende: Sibeche ist als Bösewicht vorausgesetzt. Die Ratgeber (auch der sagenfremde Ribstein) werden durch kommentarlose Namensnennung eingeführt, als seien sie längst bekannt: do riet Sybech und Ribstein (DF v. 2570); die folgenden Ratschläge und Handlungsweisen bestätigen die aus der Sage (für Sibeche) bekannte Rolle. Ermrichs Lob Sibeches als getriwer man, / der ninder unstete hat (DF v. 2587f.) wirkt vor dem Wissenshintergrund des Publikums ironisch; der Erzähler dürfte hier mit dem Stereotyp des treulosen Ratgebers spielen. Besonders in ‹Alpharts Tod› wird dieses Rollenstereotyp nachträglich, geradezu zitathaft als Erklärung für ein sonst im Text machtpolitisch motiviertes Verhalten Ermrichs herangezogen: Wenn Dietrich (AT v. 278f./ 71,1f.) dem treulosen Sibeche einen Anschlag auf sein Leben unterstellt (wovon sonst im Text nicht die Rede ist), spricht aus ihm (soweit aus dem erhaltenen Text zu schließen) nicht das persönliche Wissen über die Hintergründe seiner aktuellen Situation, sondern das überpersönliche Sagenwissen des Erzählers (vgl. S. 152). Sogar Witeges und Heimes Vorgehen gegen Alphart wird ohne weitere Erklärung auf Einflüsterungen Sibeches zurückgeführt (AT v. 161/41,4; vgl. S. 162). Die Sage kennt bekanntlich ein Motiv für Sibeches Verhalten, das zugleich Ermrichs letztlich irrationale sippen- und selbstzerstörerische Aktionen erklärt:

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Vgl. bes. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 68f.; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 238.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Sibeche rächt sich an Ermrich für die Vergewaltigung seiner Frau, indem er ihn seine eigene Sippe zerstören lässt. (Bezeugt ist das in der ‹Thidrekssaga› und in der ‹Heldenbuch-Prosa›; die Parallele deutet auf altes Sagenwissen, nicht nachträgliche Plausibilisierung.) Diese Erklärung wird in den ‹historischen› Dietrichepen jedoch nicht einmal angedeutet; die Aussparung dürfte dazu dienen, die Figuren noch stärker auf ihre Bösewichterrolle festzulegen als in der Sage. Der Konflikt zwischen Dietrich und Ermrich wird durch die Diffamierung der Gegner als Bösewichter moralisiert und damit gewissermaßen entheroisiert. Der altepischen Erzählstrategie, den Gegner nicht abzuwerten, um den Ruhm des Helden zu erhöhen, läuft dies fundamental zuwider. Dietrich sieht sich zudem als Verteidiger des ‹Guten› zur Gewalt gezwungen und damit legitimiert – eine zentrale Strategie im Gewaltdiskurs nachnibelungischer Heldenepik (vgl. S. 250f.). Bei den ehemaligen Dietrichhelden Witege und Heime kann dagegen nur mit gewissen Einschränkungen von Schwarzweißmalerei die Rede sein,11 obwohl beide zu Verrätern aufgebaut werden, Witege bereits in den Fluchtepen, Heime erst in ‹Alpharts Tod›. (In den Fluchtepen agiert Heime, wenig exponiert, als einer von Ermrichs Hauptleuten; mit Witege ist er an der Gefangennahme der Dietrichmannen beteiligt; in den Schlachten tritt er gegen namhafte Dietrichhelden an, z.B. in der Schlacht von Bologna gegen Dietleib, DF v. 9229– 9232.) Witege ist in ‹Dietrichs Flucht› schon als ehemaliger Gefolgsmann Dietrichs und Überläufer zu Ermrich eingeführt, ohne dass Details oder Motive für den Parteiwechsel erläutert werden (DF v. 7133f., 7149f., 7153). Er ist Hauptmann bei der Gefangennahme der Goldboten (DF v. 3683) und führt so die Zwangslage mit herbei, die Dietrich zur Aufgabe seines Reichs und ins Exil nötigt. Im weiteren Verlauf wird Witege, wie mehrfach erwähnt, wieder in Gnaden aufgenommen und zum Statthalter von Raben befördert, läuft jedoch erneut zu Ermrich über und liefert diesem die Stadt Raben aus, was zu einem Massaker an der Zivilbevölkerung führt. Den Gipfelpunkt erreichen Witeges Untaten in den Fluchtepen bekanntlich mit der Tötung der Helchesöhne und des Dietrichbruders in der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 375–463). Das traditionelle Motiv wird insofern zu einer verstärkten Negativwertung Witeges genutzt, als seine Gegner nicht als wehrhafte Heldenjünglinge dargestellt sind wie in der ‹Thidrekssaga›, sondern als (nahezu) wehrlose Jugendliche (vgl. bes. S. 72, 148f.). Genau da aber wird die Schwarzweißzeichnung zugleich auf die Spitze getrieben und aufgebrochen: Witege kämpft und tötet nur widerwillig, weil die Jungen sich trotz wiederholten Zuredens (bes. RS Str. 388; 414,5–416,6 und Str. 418; Str. 425) nicht vom Kampf abhalten lassen; er beklagt die Toten (RS Str. 459–461) – und das anscheinend noch nicht einmal nur aus Furcht (vgl. aber RS 416,3f.). Seine wilde Flucht vor Dietrich setzt ihn dem Vorwurf der Feigheit übrigens nicht aus; Flucht (sofern sie nicht habituell ist) gehört zu den Handlungsoptionen eines Helden – wie auch Dietrich selbst vor Ermrich ins Exil weicht, auch wenn dies nicht als kluger Rückzug, sondern als Folge einer Erpressung dargestellt wird. In ‹Alpharts Tod› wird die Ambivalenz der Bösewichter noch deutlicher, vor allem in den Skrupeln Heimes schon beim Überbringen der Fehdenachricht (AT, bes. v. 5/2,4; 19/6,2) und vollends, mehrfach wiederholt, während des ungleichen Kampfs gegen Alphart (bes. AT v. 981–1220/246,4–306,3, passim):

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Vgl. auch ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 176.

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Antagonisten: Ermrich und Sibeche, Witege und Heime

«Das yst war», sprach Hen, «das stonde uns ubel an, slugen wyr beyde den kindeschen man. Wer ys, das wyr in betzwongen, und worde er dan erslagen, von unsern untruen must man umber singen und sagen. Urspronge [...] aller untrue musten wyr umber wesen, vor keym bederman konden wyr nomer genesen. Dorch recht solt uns schelden man und dar zu wyp. Ach, wye hetten wyr dann geswecht zweyer degen lyp!» (AT v. 1012–1019/Str. 255f.). Witege und Heime sind und bleiben Verräter und werden auf der Handlungsebene von anderen Akteuren wie auch auf der Ebene der Erzählerkommentare als solche gebrandmarkt: Wytdich und Hen, dye brachen gotes recht (AT v. 50/14,1). Gänzlich negativiert aber erscheinen sie nicht. Indirekte Strategien der Sympathielenkung zeigen an ihnen durchaus die Problematik des Gefolgschaftswechsels auf. Strukturell folgt die Gestaltung Heimes in ‹Alpharts Tod› mit seiner doppelten Bindung an Dietrich und an Ermrich dem Schema der Pflichtenkollision, wie es prototypisch in Rüdigers Konflikt im ‹Nibelungenlied› durchgespielt ist.12 (Bei Witege ist nur ein Anflug davon angedeutet, wenn Heime erklärt, nicht nur er, sondern auch sein Gefährte werde nicht gegen Dietrich selbst kämpfen, AT v. 163– 165/42,2–4.) Obwohl Heime unwidersprochen behaupten kann, dass er im Einvernehmen mit Dietrich seinen ‹Dienstherrn› gewechselt habe (AT v. 101/26,4),13 wird das nicht zu einer Aufwertung des Überläufers genutzt, weil die Bewertungen der beiden Seiten polarisierend verteilt sind; vielmehr setzt es Dietrich noch mehr ins Recht, wenn Ermrich durch seinen eigenen Gefolgsmann getadelt wird.14 Heime steckt gleichwohl in einem Dilemma; «so wenig Rüdiger durch Rückgabe seines Besitzes an Etzel seine Handlungsfreiheit zurückzugewinnen vermag (NL 2157,1–4), so wenig kann sich Heime seiner Verantwortung im Gefolge Ermenrichs entziehen, denn schließlich hat er (wie Rüdiger) Gold und Ländereien im Vorgriff auf später zu leistende Dienste genommen»15 (AT v. 122–124/32,1–3). Heimes Parteiwechsel fällt anscheinend in eine Zeit des Einvernehmens zwischen Dietrich und Ermrich (AT v. 95– 101/25,2–26,4); nach Ausbruch des Konflikts führt das zu einer Kollision von Loyalitäten, die in den Auseinandersetzungen Heimes mit Dietrich und mit Ermrich zum Ausdruck kommt, aber auch in Heimes vergeblichen Bemühungen, als solche identifizierte Dietrichhelden im Kampf zu meiden. Wenn Witege seinerseits an Heimes Verpflichtung ihm gegenüber appelliert, indem er daran erinnert, dass er, Witege, in einer unbestimmten Vergangenheit nicht nur Dietrich, sondern auch Heime in Montare gerettet habe (AT v. 1008–1011/ Str. 254; vgl. S. 74), erhöht das den Druck auf Heime ebenso wie Witeges Vorwurf, der Gefährte habe ihn mehrfach treulos im Stich gelassen (AT v. 1039–1042/261,4–262,3; vgl. S. 74). Alpharts Insistieren auf dem Kampf und seine hartnäckige Weigerung, sich als Dietrichheld zu identifizieren, lassen Heime kaum eine andere Wahl als den ungleichen Kampf. Dass die Täter ihre eigenen Werte (nicht nur die Alpharts, vgl. S. 198f., 228) zurückstellen müssen, um zu überleben, unterläuft ebenso die Negativwertung.

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Vgl. ebd., S. 169; BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 21. Vgl. auch ebd. Vgl. auch ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 169f. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 21.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

In der aventiurehaften Dietrichepik erscheinen Witege und Heime mehrfach in Dietrichs Gefolge. Die ‹Thidrekssaga› zeigt sie als Überläufer wider Willen; Widgas Parteiwechsel zu Ermanrik ist sorgfältig motiviert und die Tötung der Etzelsöhne reguläres Schlachtgeschehen; Heime zieht sich aus Protest gegen Ermanrik gar aus dessen Dienst wieder zurück. In ‹Rosengarten› D lässt Dietrich Witege auf dessen Wunsch hin ziehen, ermahnt ihn jedoch, auch in Zukunft zu seinen alten Treueverpflichtungen zu stehen (vgl. S. 48f.). Ein über den Überläuferstatus der beiden ehemaligen Dietrichhelden und über Witeges Rolle als Töter junger Helden hinausgehender Verrat scheint, den Dietrich-Testimonien nach, traditionell nicht vorgeprägt zu sein. Anscheinend haben die Fluchtepen (oder ihre unmittelbaren Vorlagen) Witege als schändlichen Bösewicht überhaupt erst etabliert (ob im Zusammenhang mit dem zweiten Verrat, der Übergabe Rabens an Ermrich in ‹Dietrichs Flucht›, oder mit der sentimentalisierten, den Töter verirrter Knaben stärker abwertenden Version des Tods der Helchesöhne in der ‹Rabenschlacht›, ist nicht zu entscheiden). ‹Alpharts Tod› setzt diese negativierte Witege-Rolle voraus, und Heime scheint in ihren Sog zu geraten; die Rolle des Töters junger Helden wird gedoppelt (vgl. S. 73). Wenn die beiden Überläufer trotzdem punktuell ambiguisiert werden, könnte das entweder ein Aufbrechen der klaren Frontenbildung sein oder ein Zugeständnis an die zwar problematischen, aber trotz allem respektablen Heimeund Witege-Bilder der Tradition. Verlässlich rekonstruieren lässt sich weder das eine noch das andere.

3. Gefolgsleute und Kampfgefährten: Hildebrand, Wolfhart Die Bindung an das Typenrepertoire der Sagentradition ist bei Dietrichs prominentesten Gefolgsleuten am ausgeprägtesten: dem alten, listenreichen und pragmatischen Hildebrand, dem kampflustigen Draufgänger Wolfhart. Die Dietrich-Testimonien belegen den Kern beider Stereotype bereits im ‹Nibelungenlied›. Hildebrand trägt schon dort den ‹Titel› meister und das Epitheton alt, agiert freilich nicht annähernd so besonnen und überlegen wie häufig vor allem in der aventiurehaften Dietrichepik: Von Dietrich beauftragt, Erkundigungen einzuziehen, setzt er sich, obgleich wîse, nicht gegenüber dem tumben Wolfhart durch (NL 2250,1), begibt sich gegen Dietrichs Waffenverbot bewaffnet mit den Amelungen zu den Burgunden und überlässt Wolfhart und Volker ihren wechselseitigen Provokationen, die zum Ausbruch des Kampfes (in den er sich als erster stürzt) und damit zum Amelungenuntergang führen; selbst zieht er sich verwundet vor Hagen zu Dietrich zurück und muss dafür später den Hohn des Gegners erdulden. Es scheint, als demontiere das ‹Nibelungenlied› damit eine pragmatische Hildebrandrolle, wie sie ansonsten erst später in der Dietrichepik fassbar wird; an der Gewalteskalation, die in den Untergang führt, hat Hildebrand kaum weniger Anteil als Wolfhart. In den ‹historischen› Dietrichepen dagegen nehmen die beiden konträre Positionen ein (teils in direkter Konfrontation bei Beratungen über vorsichtiges oder draufgängerisches Vorgehen im Vorfeld einer Schlacht, vgl. S. 115, 119f.). Freilich erweisen sich diese Positionen zumeist auf ihre Art als erfolgreich und damit als komplementär.

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Gefolgsleute und Kampfgefährten: Hildebrand, Wolfhart

In ‹Dietrichs Flucht› wird Hildebrand mit seinem stereotypen Attribut der alte16 als Erzieher von Dietmars Söhnen eingeführt: Er ist schon vor der Vertreibung, also Jahrzehnte vor dem Burgundenuntergang im ‹Nibelungenlied› und erst recht vor der Rückkehr aus dreißigjährigem Exil im althochdeutschen ‹Hildebrandslied›, ‹alt›, so wie Giselher im ‹Nibelungenlied› noch Jahrzehnte nach seinem ersten Auftreten der junge bzw. daz kint bleibt (NL 1444,4; 2045,1 u.ö.), Zeichen sagenmäßiger, nicht wirklichkeitsförmiger Figurenzeichnung. Zugleich erscheint Hildebrand als Beistand der Dietmarsöhne in künftiger Bedrängnis: die zoh ein herzoge rich, Hildebrant der alte, der ch)ne und der balde, der sit not, arbeit durch sine liebe herren leit (DF v. 2541–2545). An Dietrichs Hof nimmt Hildebrand wichtige Funktionen wahr: Er ist es, der in ‹Dietrichs Flucht› die Boten Randolt, Volchnant und Eckewart als erster begrüßt (DF v. 2760–2764, 2944–2950, 7680f.). Nach Volchnants Bericht vom Einfall Ermrichs stellt Hildebrand mit triwen (DF v. 2966) die zentrale Frage nach der Stärke von Ermrichs Truppen und spricht dem schweigenden Dietrich Mut zu – eine auch im Folgenden stereotype Funktion: Leit wart dem Bernære. Hildebrant der mære, der troste sinen herren: «Umbe disen grozen werren sult ir, chunich, niht verzagen! [...]» (DF v. 2978–2982). Im Vorfeld der Schlachten erteilt Hildebrand die entscheidenden Ratschläge zum militärischen Vorgehen, befehligt – als der, dem (anscheinend notorisch) die stige und ouch die straze wol bechant sind (DF v. 3170, 3169; ähnlich v. 6145) – erfolgreiche Spähtrupps und berichtet Dietrich von Stärke und Schwachstellen der Gegner (vor der ersten Schlacht von Mailand DF v. 3144–3207, vor der zweiten Schlacht von Mailand DF v. 6138–6267), warnt insbesondere vor einem offenen Angriff auf den überlegenen Feind (DF v. 3206f., 6264f.). Auch als Dietrich nach der ersten Schlacht von Mailand beklagt, dass er seine Krieger nicht entlohnen kann, muntert Hildebrand ihn auf: «[...] ir sult niht ze sere chlagen noch dar umbe niht verzagen [...]» (DF v. 3606f.). Die Mahnung ist zugleich mit einem konkreten Handlungsvorschlag gekoppelt, nämlich sich der Reichtümer der Gefolgsleute zu bedienen. Gegenüber Ermrichs hinterlistigem Überfall freilich sind sowohl der kluge Hildebrand als auch kämpferische Helden wie Wolfhart machtlos. Auch in Ermrichs Gefangenschaft führt Hildebrand das Wort und spricht eine Auslösung der Gefangenen an, woraufhin Ermrich (der zuvor nur einen Austausch im Auge gehabt hatte: DF v. 3679f.) darauf verfällt, Dietrich zu erpressen (DF v. 3835–3887). Selbstverständ-

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Vgl. LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 228, 251 u.ö.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

lich gehört der alte Ratgeber zu den Gefolgsleuten, die Dietrich ins Exil begleiten; die bereits von Wolfram (ohne Nennung des Namens der Frau schon im althochdeutschen ‹Hildebrandslied›) bezeugte Trennung von seiner Gemahlin Ute (DF v. 4362–4374, 4414–4416, 4511– 4529; vgl. S. 44) ist dabei durch rituelle Äußerungen von Abschiedsschmerz nur scheinbar sentimentalisiert.17 Die stereotype Kritik an Dietrichs Klage gleitet im Exil fast zur DietrichSchelte ab (DF v. 4566–4579; vgl. S. 223). Als Dietrich auf seiner Klage insistiert, verweist Hildebrand ihn (texttypisch, aber nicht rollenkonform) freilich auf Gottes Gnade (DF v. 4601–4605). Während Dietrich im Verborgenen weiter trauert, übernimmt der getriwe (DF v. 4635) Ratgeber nicht nur die Funktion des Quartiermachers, sondern zieht auch die Erkundigungen ein, die die Vertriebenen Hoffnung auf Rüdiger und Helche schöpfen lassen (DF v. 4655–4679). Bei den Schlachten agiert Hildebrand, wie erwähnt, vor allem im Vorfeld: durch Ausspähen des Gegners und taktische Ratschläge; während der Kämpfe spielt er keine herausgehobene Rolle. Als nach der zweiten Schlacht von Mailand die Verhältnisse in Oberitalien durch Ernennung von Statthaltern zu regeln sind, ist Hildebrand wiederum der erste und wichtigste Ratgeber (DF v. 7015–7031). An der verhängnisvollen Versöhnung mit Witege ist er allerdings nicht beteiligt (vgl. auch S. 208f.). Zur Vermählung Dietrichs mit Herrad drängt Rüdiger; Hildebrand stimmt lediglich zu (DF v. 7614–7619) – Dietrich fügt sich indes mit einer beinahe Hildebrandschen Formulierung in sein Schicksal: «Swes niht rat sin chan, daz sol man lazen fur sich gan» (DF v. 7622f.). Gleichwohl scheint im Laufe von ‹Dietrichs Flucht› Hildebrands Einfluss auf den Berner abzunehmen. Doch dürfte das nicht primär auf einen ‹Reifungsprozess›18 des jungen Königs zurückzuführen sein (vgl. S. 216). Vielmehr tritt Dietrich im Exil in Beziehung zu anderen Helferfiguren; vor allem Rüdiger fungiert mehrfach – statt oder vor Hildebrand – als Ratgeber. In der ‹Rabenschlacht› stehen das Verhältnis zwischen König und Gefolgsleuten (auch Hildebrand) aufgrund der Fokussierung auf die Tötung der Hunnenprinzen weniger im Vordergrund. Vor Padua scheint Dietrich selbständiger zu agieren als sonst: Zunächst teilt er zwar, wie in der ‹Flucht›, sein Anliegen mit (hier: wissen zu wollen, wer Padua kommandiert), auf das Hildebrand verbal wie üblich mit einer Zusage reagiert (RS 217,6); dazu aber kommt es nicht: Dietrich nimmt die Sache selbst in die Hand (RS 218,2). Als wegkundiger Führer freilich fungiert Hildebrand weiter (RS 337,3); er führt das Heer nach Raben und weist der Heeresabteilung die Wege, die mit Ermrichs Fahne das gegnerische Heer von hinten angreift (RS 580,4–6; 582,5f.). Ebenso kennt Hildebrand die gegnerischen Fahnen und Helden (vgl. bes. RS 495,3f.); ihm ist daher die Heerschau in den Mund gelegt (RS 473,5– 477,4; freilich geht hier Figuren- in Erzählerrede über, markiert durch Tempuswechsel und Publikumsanreden). In der Schlacht von Raben wird der Wissende ausnahmsweise auch als Kämpfer genannt (gegen Tyban, RS Str. 719), und Dietrich vertraut ihm den gefangenen Fruote an (RS Str. 796). In ‹Alpharts Tod› ist Hildebrands Rolle stärker hervorgehoben. Seine Verwandtschaftsbeziehungen werden enger geknüpft als in den Fluchtepen; er erscheint nicht nur als Gatte

––––––– 17 18

Vgl. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 63–71, bes. 67. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), bes. S. 375f.

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Gefolgsleute und Kampfgefährten: Hildebrand, Wolfhart

der Ute, sondern auch als Bruder des Ylsam und Nere, Onkel des Alphart und Wolfhart. Hildebrand (Hylbrant) warnt – wie Dietrich und ausnahmsweise auch Wolfhart – den unerfahrenen jungen Neffen Alphart vor dem Wartritt und kämpft incognito mit ihm, um seine Umkehr zu erzwingen. Dabei macht er freilich keine gute Figur: Er unterliegt, kann sich nur durch Enthüllung seiner Identität retten, wird von Alphart für seine törichte Leichtfertigkeit getadelt und in Bern verspottet (AT v. 479–561/121,2–141,4). Anders verhält es sich bei der Einholung der Breisacher Hilfstruppen. Gegen Studenfuß’ Truppen reitet Hildebrand auf Schildwacht; zwar vergewissert er sich (anders als Alphart) der Hilfe anderer und versucht zunächst eine List (indem er sich als Ermrich-Mann ausgibt), schlägt sich dann aber zusammen mit den Gefährten tapfer gegen die feindliche Übermacht. Vor Bern geben sich die Breisacher auf seine Initiative hin zunächst nicht zu erkennen – motiviert wird das damit, er wolle der kunen Wolffinge mut (AT v. 1555/390,4) auf die Probe stellen; doch löst sich der Schein-Konflikt mit Wolfhart, indem Hildebrand rechtzeitig vor dem Kampf sein Wappen aufdeckt. Gegenüber Alphart vertritt Hildebrand eine pragmatische Gegenposition, die sich mit Tapferkeit verträgt, Heldentum und Heldenruhm aber nicht um jeden Preis anstrebt. Selbst durch die peinliche Niederlage gegen Alphart wird Hildebrand nicht auf Dauer beschädigt und ist letztendlich erfolgreich; dank der von ihm herbeigeführten Hilfstruppen wird Ermrich vertrieben. In ‹Dietrich und Wenezlan› spielt Wolfhart darauf an, dass er und Hildebrand Dietrich ins Exil begleitet hätten (DWen v. 37). Ob Hildebrand sich unter den anscheinend von Wenezlan gefangenen Dietrichhelden befindet (DWen v. 79), ist im erhaltenen Fragment nicht sicher zu verifizieren. Wolfhart wird als der starche (DF v. 3005 u.ö.) eingeführt; mit Helmschart zusammen trifft er nach der Volchnant-Botschaft an Dietrichs Hof ein, kündigt die Ankunft weiterer Dietrichhelden an und fordert Dietrich auf, diese zu empfangen. Gleich nach der Mahlzeit nimmt er die für ihn typische Rolle ein, indem er zum Kampf drängt – mit der heroischen Motivierung durch Rache: Wolfhart der starche degen riet vast ouf die reise, ze rechen die vreise, die Ermrich und sine man im ze leide heten getan (DF v. 3067–3071). Auf Hildebrands Warnungen vor offenem Kampf gegen Ermrichs Übermacht nach den Wartritten vor beiden Schlachten von Mailand reagiert Wolfhart mit Reiz- und Trutzreden: «Ez wirt dehein wider vart, swie ez uns, herre, sule ergan. Wir suln die vinde bestan [...] wir suls an rennen! Reche wir daz brennen [...]» (aus DF v. 3209–3215 und ff.; vgl. auch DF v. 6268–6272). Bezeichnenderweise entspinnt sich daraus kein nennenswerter Konflikt mit Hildebrand, sondern es kommt zu einem pragmatischen Kompromiss: Dietrich ruft ebenfalls zum Kampf auf; die Krieger brechen unter seiner Führung auf; doch entschließt man sich, Hildebrands Warnung entsprechend, nicht zur offenen Schlacht, sondern zum nächtlichen Überfall auf

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Ermrichs ahnunglos schlafende Leute bzw. (vor der zweiten Schlacht von Mailand) zu einem Zangenangriff. Heroisches Draufgängertum, das vorschnell den eigenen Tod sucht, vertritt Wolfhart, anders als in den Nibelungendichtungen, nicht mehr; Gewaltbereitschaft und pragmatische (letztlich skrupellose) Orientierung am Kampferfolg sind effektiv verbunden. Die Rolle des um der Ehre willen todbereiten Helden ist in den ‹historischen› Dietrichepen anderen zugewiesen: sentimentalisiert den beinahe noch kindlichen Heldenjünglingen der ‹Rabenschlacht›, programmatisch Alphart in ‹Alpharts Tod› (vgl. S. 227–229). Der Kern der Dietrichhelden bleibt unberührt von der Problematik der Koppelung zwischen Ehre und Heldentod – vermutlich eine Anlehnung an den von Dietrich selbst vertretenen Typus des überlebenden Helden (vgl. S. 185). In den Schlachten kämpft Wolfhart mit seiner Schar mehrfach an vorderster Front, so gegen Rienolt von Meilan zu Beginn der ersten Schlacht von Mailand (DF v. 3335–3384). In stereotypen Aufmunterungsreden ruft er während der Schlachten dazu auf, möglichst viele Gegner zu töten: «Nu wert iuch, Amelunges man, und lat ainen niht genesen! [...]» (DF v. 3387f.). Wolfhart kämpft im Bewusstsein der eigenen heroischen Memoria – freilich nur mehr in Erfüllung einer Rolle; Konsequenzen für den eigenen Tod hat das trotz fatalistischer Anklänge nicht mehr: «[...] Wir vehten, als wir winnen: Wir m)zen doch ersterben. Wir suln hiute werben, daz man uns chlagt hin nach.» (DF v. 3407–3410). Auch im Vorfeld der zweiten Schlacht von Mailand sind Aufforderung und Aufmunterung zum Kampf Wolfhart in den Mund gelegt (DF v. 6025–6031, 6037–6053; hier spricht auch Dietrich seinen Kriegern Mut zu und verspricht Entlohnung, DF v. 6059–6071). Die Sorge wegen Ermrichs Übermacht schiebt Wolfhart draufgängerisch beiseite: ir geleit dest mer under (DF v. 6133: je mehr Gegner es gibt, desto mehr können getötet werden). Vor dem Überfall auf Ermrichs Lager ebenso wie während der Kämpfe fordert wiederum Wolfhart als ein 7tender man (DF v. 6474) dazu auf, ein Blutbad unter den Gegnern anzurichten: «[...] Wir suln in mannes bl*te waten unz uber die sporn, [...] Wir machen sætel lære, [...] daz man so vil der toten, der veinde nider schroten. So vreut sich min herze, und endet sich min smerze. Ahy, waz vreuden mir geschiht, swenn noch hiut min oug an siht,

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daz sich die gyer und die raben mit dem bl*te muzen laben! [...]» (aus DF v. 6421–6439; vgl. auch v. 6473–6481). Das geht so weit, dass er – die deutlichste ‹Nibelungenlied›-Reminiszenz – dazu auffordert, das Blut der Gefallenen zu trinken (DF v. 6565–6569; vgl. S. 177) bzw. sich darin zu waschen: «[...] Wir suln mit bl*te dwahen uns, des get ouch wærlich not [...]» (DF v. 6573f.). Auch während des Zweikampfs zwischen Dietleib und Wate nimmt Wolfhart, sam ob er wær ein tobender man (DF v. 6720), die Funktion des Kampftreibers wahr (DF v. 6722–6724, 6749f.), als ginge es darum, entsprechende Rollenerwartungen lückenlos zu bedienen. Nach dem Ende der Schlacht wird Wolfharts Kampflust durch Dietrichs kontrastierendes Verhalten relativiert: Während Wolfhart nur an die Vollendung der Rache am entflohenen Ermrich denkt (DF v. 6998–7007), regelt Dietrich die Verhältnisse in Oberitalien (vgl. S. 217). Dass der Dietrichheld eine vorgeprägte Rolle spielt, geht in ‹Dietrichs Flucht› vor allem aus dem Scharmützel vor Padua hervor: Wie im ‹Nibelungenlied› (Aventiure 38) setzt sich Wolfhart über Dietrichs ausdrückliches Kampfverbot hinweg (DF v. 8273f., 8283–8289 und ff.); anders als dort hat das aber keine fatalen Folgen; dank seiner Erfolge (zu acht töten er und seine Gefährten 80 Gegner; außerdem nimmt Wolfhart Sibeches Sohn gefangen) empfängt Dietrich ihn lachend (DF v. 8350f.); die Insubordination wird nicht zum Problem. Auch der Schlacht von Bologna geht eine hitzige Aufmunterungsrede Wolfharts voran: «[...] Da sol geschehen ein solch strit, daz m)ter chint beweinen m*z. Wir machen lebens mit tode b*z. Da sulen vogel unde tier b)zen irs hungers gier mit ase und mit bl*te. [...] Nu machet sætel lære, [...]» (aus DF v. 8439–8446). Wolfharts aggressive Parolen in Reaktion auf Rüdigers klugen Schlachtplan (DF v. 8553– 8562) übergeht Dietrich (er selbst ruft in seinen Ermunterungsreden nicht zu Grausamkeiten auf). Während der Schlacht tut sich Wolfhart wiederum durch Heldentaten hervor (DF v. 9059–9061). Sein Kampf gegen Volker von Alzey (DF v. 9216–9220) führt die Kontrahenten der verbalen Auseinandersetzungen im Vorfeld des Amelungenuntergangs im ‹Nibelungenlied› (NL Str. 2266–2278) im Kampf gegeneinander. Wolfhart tötet ferner Reicher von Parise (DF v. 9672), der Dietrich wichtiger Gefolgsleute beraubt hat, die dieser heftig beklagt. Das könnte der Grund dafür sein, dass in diesem Fall nicht Hildebrand, sondern Wolfhart Dietrichs ausuferndes Klagen kritisiert: Vom König wird Handlungsfähigkeit verlangt; Trost spenden soll einerseits die Aussicht darauf, dass die Toten Söhne hinterlassen haben, die sie rächen werden, andererseits – ganz und gar nicht zu Wolfharts Rolle passend – die

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Mahnung zum Gebet (DF v. 10 002–10 025). Dass Wolfhart diese Mahnung dennoch zukommt, zeigt die lakonische Mitteilung, dass Dietrich seiner Aufforderung Folge leistet: Her Dietrich tet, des man in bat (DF v. 10026). In der ‹Rabenschlacht› verkörpert Wolfhart wieder die gleiche aggressive Rolle: Mitten in den Hilfszusagen der Etzel-Helden erklärt er, selbst die Rache an Ermrich vollziehen zu wollen (RS 64,5f.). Die Aufmunterungsrede vor der Schlacht von Raben (zunächst einem unbestimmten man, RS 514,4, zugeschrieben, dann auf Wolfhart als Sprecher hin vereindeutigt, RS 516,6) beinhaltet, zum Teil fast wörtlich, die gleichen blutrünstigen Stereotype wie die Kampfreden der ‹Flucht›: «[...] Wir tungen daz gevilde, daz man enowe sehe gan den pach von dem bl*te. [...]» [...] «Ich gemache sætel lære, daz man da von m*z immer sagen mære» (aus RS 516,3–518,6). Auch hier sind der Blick auf den eigenen Nachruhm und das stehende Epitheton der wutende man (RS 517,2) rollenkonform; bezeichnend ist der Unterschied zu Dietrichs Aufmunterung an die Seinen, die mit der Mahnung zu Vorsicht und Klugheit gekoppelt ist (RS Str. 523f.). Auf die Warnung vor Ermrichs Übermacht hin bekundet Wolfhart erneut seine Tollkühnheit: Je mehr Gegner es gibt, desto mehr werden fallen: Ist ir vil, wir slahen ir dest mere (RS 525,6). Ein Konflikt der Positionen wird freilich so wenig aufgerissen wie in ‹Dietrichs Flucht›. Dietrich mahnt: nu rihtet iuch alle dar nach! (RS 528,4) – ob nach ihm selbst oder nach Wolfhart, scheint keinen Unterschied zu machen; es geht um Sieg über Ermrich, so oder so, mit List und mit Tollkühnheit. In der Schlacht lebt Wolfhart angesichts des Blutvergießens geradezu auf: Si vielen vast ane zal. Owe, daz velt lach getunget. Wolfhart des tages vaste junget (RS 600,4–6). Fast alle Bekundungen von Tollkühnheit und Aufforderungen, die Gegner abzuschlachten, sind Wolfhart in den Mund gelegt, bisweilen in Reaktion auf Warnungen anderer (RS 639,3– 6; 643,1–6; Str. 853–855). Selbst kämpft er gegen B)zolt von Norwæge (RS Str. 716f.) und stellt mort an (RS 852,6). Dennoch wird deutlich nicht er als der überlegene Held inszeniert: Im Kampf wird er von Starcher vom Pferd gestochen, den Dietrich anschließend tötet (RS Str. 624–631). Als der Berner fragt, wer gegen Siegfrieds Schar antreten solle, verlangt Wolfhart das von Dietrich selbst: «Wer tæt ez so billiche» [...] «als ir, chunich von romisch riche? Wir vechten niwan umb iwer lant» (RS 638,1–4). Die übliche Kampfmetaphorik der Blutfluten wird ins Groteske übersteigert zur Vorstellung, man könne darauf mit dem Schiff fahren:

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«Wir suln daz velt fullen hiut mit den scharen, daz man mit den z)llen ouf dem bl*te m)z varn. [...]» (RS 746,1–4). Hier wirkt Wolfhart wie seine eigene Karikatur. In ‹Alpharts Tod› trägt Wolfhart das rollenentsprechende Epitheton der kune (AT v. 293/ 74,4 u.ö.); anders als in den Fluchtepen wird er, wie Hildebrand, in seine heldenepische Verwandtschaft eingeordnet als Sohn Sighers, Bruder Alpharts, Neffe Hildebrands: Bei der Rache für Alphart geht es nicht nur um Loyalität gegenüber Dietrich, sondern auch um Loyalität der Gefolgsleute untereinander; möglicherweise wird darum deren Verwandtschaft stärker hervorgehoben. Ausnahmsweise treibt Wolfhart seinem jüngeren Bruder Alphart gegenüber nicht zum Kampf an, sondern versucht im Gegenteil, diesen besonnen vom Wartritt zurückzuhalten (AT v. 350–353/Str. 89). Die Wolfhartsche Ehrversessenheit ist (bei sonst aber ritterlichem Verhaltenscodex) auf Alphart übertragen. Als es bei der Ankunft der Breisacher Hilfstruppen die Identität der vermeintlichen Feinde herauszufinden gilt, drängt allerdings Wolfhart sich zu dieser Aufgabe: [...] Er erfacht als eyn eber, / wan er wart ertzornet und er kam in den stryt (AT v. 1569f./394,2f.). Allerdings läuft der Kampfzorn ins Leere, als Hildebrand sich zu erkennen gibt. Sonst ist Wolfharts Kampflust (nur in diesem Text) mit dem Leid um und der Rache für den toten Bruder motiviert (AT v. 1656–1659/Str. 416); daher kann Wolfhart gegenüber Walther, der nicht aus Verwandtenrache kämpft, den vorstryt für sich beanspruchen (AT v. 1704–1711/Str. 428f.): «Ich thun ys wol von schulden, mych zwingt die not: Alpart myn bruder yst myr gelegen dot.» (AT v. 1710f./429,3f.). In der Schlacht kämpfen Wolfhart und Hildebrand Seite an Seite an vorderster Front (AT v. 1748–1750/439,1–3); Hildebrand steht Wolfhart gegen zwei Angreifer bei (AT v. 1752– 1771/Str. 440–444): eine Gegenepisode zu Alpharts Tod. Das Rollenhafte wird gegenüber den Fluchtepen zurückgenommen; schwerer als der Unterschied verschiedener Heldenkonzeptionen wiegt die Loyalität der Kampfgefährten – und Verwandten – untereinander. In ‹Dietrich und Wenezlan› ist Wolfhart neben Dietrich die einzige Figur, die trotz des Fragmentcharakters etwas an Profil gewinnt. Wolfhart überbringt Wenezlans Herausforderung zum Zweikampf und muss, wie bisweilen Hildebrand in der aventiurehaften Dietrichepik, den zaudernden Berner dazu bewegen, diese Herausforderung anzunehmen. Dies geschieht, indem Wolfhart zunächst Dietrichs Sagenruhm aufruft (DWen v. 5–12), dann an seine und Hildebrands triwe (DWen v. 39) erinnert und als Gegenleistung den Beistand in der jetzigen Gefangenschaft einfordert (DWen v. 40–43), schließlich, indem er ihn als zage[n] (DWen v. 53) schilt und mit der Aufkündigung seines Dienstes droht (DWen v. 60f.). Beim Zweikampf mahnt er Dietrich, der am Rand der Niederlage steht, erfolgreich zu tapferer Gegenwehr (DWen v. 426–457). Bis auf diese (vergleichsweise pragmatische und gemäßigte) Aufmunterungsrede ist die typische Wolfhartrolle im erhaltenen Fragment nicht ausgeprägt. Insgesamt sind Hildebrand und Wolfhart weitgehend auf die wohl traditionellen Rollenstereotype angelegt, im Falle Wolfharts in den Fluchtepen (nicht in ‹Alpharts Tod›) bis an die Grenze zur Parodie seiner selbst. Auffällig ist aber, dass die Gegensätze (anders als bei Hildebrand und Alphart) nicht als solche gegeneinander ausgespielt sind, sondern dass klug-

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

pragmatisches und gewaltbereit-‹heroisches› Verhalten zumeist vermittelt werden in Richtung auf Erfolg, zumindest in den Schlachten. Dass diese Erfolge in den Fluchtepen dennoch zunichte werden, liegt nicht in der Konzeption der Nebenfiguren begründet.

4. Helferfiguren: Rüdiger, Helche, Etzel. Markgraf Rüdiger und das hunnische Königspaar gehören untrennbar zu Dietrichs Exil und treten daher in ‹Alpharts Tod› nicht auf, nur in den Fluchtepen, Rüdiger und Etzel beiläufig auch in ‹Dietrich und Wenezlan› (ersterer als Marschall auf dem Heereszug nach Bolan, DWen v. 189; letzterer anders als in den Fluchtepen nicht ‹ortsfest› am Hunnenhof, sondern in Begleitung Dietrichs während dessen Zug zu Wenezlan, bes. DWen v. 157–169). Während die eigenen Gefolgsleute bisweilen auch Forderungen an Dietrich stellen oder sein Verhalten (vor allem tatenlose Trauer) kritisieren, sind Rüdiger, teilweise auch Helche und Etzel fast uneingeschränkt und weitgehend unkritisch als Unterstützer des Berners konzipiert. Rüdiger tritt von der ersten Begegnung in Gran an (DF v. 4731–4795 und ff.) in der Rolle als Dietrichs Vertrauter und quasi ‹vorherbestimmter› Helfer auf, die die späteren Sagenereignisse im Grunde schon voraussetzt: Wie beschaffen die Beziehung zwischen dem jungen oberitalienischen König und dem Markgrafen des Hunnenkönigs ist und wodurch begründet, wird so wenig erläutert wie die Bekanntschaft zwischen Dietrich und Eckehart (DF v. 4693–4730); sie ist sagenbekannt, im Fall Rüdigers quasi ex post: Dietrich und Rüdiger stehen auch in den Sagenzeugnissen nur durch das Exil miteinander in Verbindung. In ‹Nibelungenlied› und ‹Klage› wird Dietrichs Verbundenheit mit Rüdiger mit dessen Unterstützung im Exil begründet. In ‹Dietrichs Flucht› ist die Vertrautheit der beiden dagegen schon zu Beginn des Exils, vor der Unterstützung gegeben, gleichsam zirkulär auf der Metaebene der Sagenrollen vorausgesetzt, wie Rüdigers Status als margrave (DF v. 4673) und sein (auch in den Nibelungendichtungen) stehendes Epitheton milte (DF v. 4708): Hocherfreut begrüßt Rüdiger die Berner wie alte Bekannte (DF v. 4733–4748). Auf Dietrichs Bericht von der Vertreibung reagiert er mit Hilfszusagen, die er mit der bestehenden Vertrautheit begründet (Ir sit mir triwen nahen, DF v. 4786) und umgehend durch großzügige materielle Zuwendungen in die Tat umsetzt (DF v. 4797–4813), die es Dietrich ermöglichen, am Hunnenhof halbwegs sein Gesicht zu wahren: «[...] Ez sol nieman werden inne diner arm*t an dirre vrist, daz du so armer chomen bist» (DF v. 4811–4813). Dietrichs Aufnahme bei Helche vermittelt Rüdiger. Großzügigkeit ist bei ihm stets gepaart mit Klugheit, vollendetem höfischem Benehmen (zuht[], z.B. DF v. 4938) und meist mit richtiger Einschätzung der Lage. Vor allem die pragmatische Klugheit rückt den Markgrafen an Hildebrand heran und lässt ihn zeitweise dessen Funktion als Ratgeber übernehmen. Die Parallelität der Figuren zeigt sich auch an winzigen Details, z.B. daran, dass Rüdiger Amelolt empfängt wie Hildebrand Volchnant (DF v. 5447–5466 und ff.) und andere Boten. Rüdiger führt die hunnischen Hilfstruppen für Dietrich. Vor der zweiten Schlacht von Mailand rät er, wie Hildebrand vor der ersten, einen Spähtrupp auszusenden (DF v. 6107–6115); nach dem Bericht schlägt er einen strategisch günstigen Zangenangriff vor (DF v. 6297–6329) und regt

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Helferfiguren: Rüdiger, Helche, Etzel

die Ernennung eines houptman[s] an (DF v. 6392–6406); nach der Schlacht mahnt er zur Verfolgung des flüchtigen Ermrich (DF v. 6803–6818). Als die Bewohner von Raben kapitulieren, führt seine Stellungnahme dazu, dass Geiseln gestellt werden (DF v. 6965–6976); im Fall Witeges empfiehlt Rüdiger (als einziger der Ratgeber namentlich genannt), den Abtrünnigen zu begnadigen (DF v. 7144–7151). In beiden Fällen gibt Rüdigers Meinung für Dietrich den Ausschlag; im Fall der Bewohner von Raben erweist sich der Rat als richtig, im Fall Witeges als falsch; allerdings rät Rüdiger nur zur Begnadigung, nicht zu Dietrichs darüber hinausgehender Großzügigkeit (vgl. S. 217). Angesichts von Etzels und Helches Vorschlag, Dietrich solle sich mit Herrad vermählen, macht Rüdiger deutlich, dass der Berner das Angebot annehmen muss, da er auf die Unterstützung des Hunnenkönigs angewiesen ist (DF v. 7580–7611). Auch bei den Beratungen vor der Schlacht von Bologna gibt Rüdiger den entscheidenden Rat und schlägt wiederum einen Angriff von zwei Seiten vor (DF v. 8485– 8550); vor dem Angriff Gunthers und seiner Mannen spricht der Markgraf Dietrich Mut zu (DF v. 9096–9124): «[...] [...] verzagt niht umbe dise not. Ez geliget hie niemen tot, niwan der doch must tot geligen» (DF v. 9122–9124). Eine in der Dietrichepik sonst Hildebrand, gelegentlich auch Wolfhart zukommende Funktion ist hier auf Rüdiger übertragen. In der ‹Rabenschlacht› übernimmt der Markgraf wieder – und verstärkt – die Vermittlerrolle zwischen Dietrich und dem hunnischen Königspaar. Das betrifft zunächst die (kausallogisch nicht motivierten) Erkundigungen nach Dietrichs trûren, die in (vor dem Hintergrund der ‹Flucht› erneute) Hilfszusagen münden (RS Str. 15–29 und ff.); Rüdiger selbst steuert 2000 Krieger bei (RS Str. 40). Die stereotype Rolle des Markgrafen als Helches Vertrauter zeigt sich besonders da, wo sie ins Leere läuft: Als die Königin nach dem Unheilstraum Rüdiger rufen lässt, eilt der sofort zu ihr; doch ein Gespräch folgt nicht – sie begibt sich statt dessen zu Dietrichs und Herrads Kemenate (RS Str. 127–133 und ff.). Während des Zugs nach Raben ruft Rüdiger zur Rache an Ermrich auf und warnt vor dessen Hinterlist (RS Str. 209–211). Im Turnier vor Padua, an dem Rüdiger teilnimmt, stechen er und Rumolt sich gegenseitig vom Pferd (RS Str. 232–245). In Bern schlägt der Markgraf Elsan als Aufpasser für die drei Jungen vor (RS Str. 280). Vor der Schlacht von Raben hält Rüdiger eine Aufmunterungsrede und fordert die Krieger zur Beichte auf (RS Str. 508–511), erteilt auch Dietrich weitere Ratschläge und ordnet im Vorfeld der Schlacht die Heeresabteilungen (RS Str. 530–537); zusammen mit N*dunch führt er selbst 20000 Mann (RS Str. 549, 560). In der Schlacht kämpft er tapfer und weist vorausschauend mehrmals auf herannahende Feinde hin (bes. RS 641,2–642,6 auf Siegfried). Zusammen mit Dietrich greift er – in deutlichem Gegensatz zum ‹Nibelungenlied› – kampflustig und ohne zu zögern Gunther und dessen Leute an (RS Str. 811f. und ff.). Heime schlägt er in die Flucht (RS Str. 840–846). Nach dem Tod der Etzelsöhne nimmt Rüdiger zunächst Anteil an Dietrichs Unglück: «Ir mugt wol chlagen immer mer, iuch hat got hoh gephant. Owe, nu riuwet ir mich vil sere! Heunisch lant geseht ir nimmer mere» (RS 890,3–6).

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Trotz dieser Einschätzung, die Dietrichs Verzweiflung bestätigt, und trotz seines Status als Etzels Gefolgsmann bietet Rüdiger seine Hilfe an (RS 904,5f.). An Dietrichs Totenklagen um die gefallenen Hunnenprinzen beteiligt er sich voll Anteilnahme am Leid der königlichen Eltern (RS 983,3–984,6). Seine Handlungsfähigkeit bewahrt er gleichwohl: Er macht Dietrich auf den fliehenden Witege aufmerksam (RS 913,5–914,2); er veranlasst die Belagerung des flüchtigen Ermrich in Raben (RS 988,6). Nach Ermrichs Flucht überträgt Dietrich dem Markgrafen seine in der Dietrichepik zentrale (und in den Nibelungendichtungen vorausgesetzte) Mission: den Berner mit dem hunnischen Königspaar zu versöhnen (daz du in hiunisch riche / r*chst entreden mich; RS 1019,1f.), zugleich von Dietrichs schulde [...] an den chinden (RS 1021,4) zu berichten und seine unschulde (RS 1023,3) zu belegen. Dies gelingt vor allem dadurch, dass Rüdiger strategisch klug (und gender-spezifisch) die Berichte vom Unheilsgeschehen an sein jeweiliges Gegenüber anpasst (vgl. bes. S. 150): Helche gegenüber betont er vor allem Dietrichs eigenes Leid um den toten Bruder, die Echtheit seiner Klage um die getöteten Jungen und stiftet so eine Gemeinschaft im Leid, die Helche von Dietrichs Unschuld überzeugt (RS Str. 1073– 1100). Rüdiger ist dabei klug genug, sich Dietrichs Sicherheit zusichern zu lassen (RS Str. 1093, 1099f.). Sein Pragmatismus grenzt fast an Zynismus, wenn er argumentiert, es gehe hier um Schadensbegrenzung; man solle dem Verlust der Prinzen nicht noch größeren Schaden hinzufügen (RS 1096,3–6). Unklar bleibt der Status der machtpolitischen Argumente: Sogar Helche gegenüber erklärt Rüdiger, wenn Dietrich in Ungnade falle, drohe dem Hunnenreich Schaden (RS 1081,6–1082,2 und 5f.; positiv gewendet 1094,5f.) – das würde implizieren, dass der Schlachtsieg und damit die Aussicht auf Dietrichs endgültigen Sieg über Ermrich entgegen dem Erzählmuster des glücklosen Siegs eine wichtige Rolle für Rüdiger und Helche spielen. Etzel gegenüber konzentriert sich Rüdiger auf die (zum Teil neu perspektivierten) Fakten, d.h. auf Dietrichs Totenklagen um die Königssöhne, die Bestrafung Elsans und die Verfolgung Witeges (bes. RS Str. 1115–1131). Dass Rüdiger letztlich wirklich die Verzeihung des Königspaares für Dietrich erlangt, ist ein Triumph seiner Diplomatie. Auch Etzel gegenüber ist von einer positiven Zukunft die Rede: Er [Dietrich] mach dich [Etzel] deiner laid wol ergetzen (RS 1130,6) – freilich bleibt die Zusage eine Leerstelle, deren Ausfüllung im Horizont der ‹Rabenschlacht› unvorstellbar bleibt, obwohl auch Dietrich zumindest Rache, wenn schon nicht Entschädigung, verheißt (RS 1138,6). Diese angedeutete positive Zukunft mag zum einen ein Gegengewicht sein zur Abwärtsspirale sich ständig steigernder Verluste – ein Gegengewicht freilich, das im Wissen um Rüdigers eigenes Geschick im ‹Nibelungenlied› an Überzeugungkraft verliert, ohne dass es in der ‹Rabenschlacht› selbst als ironisch markiert wäre. Zum anderen mildert das Argument, die Versöhnung mit Dietrich liege auch im Interesse der Geschädigten, Rüdigers traditionell prekäre Stellung zwischen den Fronten, im dietrichepischen Kontext als Anwalt dessen, der die Verantwortung für den Tod der Söhne seines Lehensherrn trägt. In die Schlüssel- und Höhepunktszene von Rüdigers dietrichepischer Rolle als Mittler zwischen Dietrich und dem Hunnenhof sind so auch Reflexe seiner eigenen nibelungischen Pflichtenkollision eingespiegelt. Bei Helche und Etzel beziehen sich die narrativen Probleme der Figurenkonzeptionen und -konstellationen zum ersten auf Interferenzen zwischen heldenepischer Grundlage und höfisierender Modellierung, zum zweiten auf eine Gemengelage von Großzügigkeit und Machtinteressen bei der Förderung Dietrichs, zum dritten auf Widersprüche in der Beziehung des Königspaares: Der Etzelhof ist höfisch stilisiert; das geht so weit, dass Dietrich (in den Handschriften RW) bzw. Etzel (in den Handschriften PA) beim Fest selbst den reien anführt (DF

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Helferfiguren: Rüdiger, Helche, Etzel

v. 7484–7486). Anders als im ‹Nibelungenlied› bricht keine höfische Fassade nieder, der Hof als solcher verändert sich nicht; doch hat die höfische Freude keine Auswirkungen auf die von Krieg, Gewalt und Leid geprägte Haupthandlung. Da ist der Hunnenhof nicht als Ort höfischer Feste entscheidend, sondern als Quelle finanzieller und militärischer Unterstützung. Für die Personenkonzeptionen impliziert die Höfisierung eine Annäherung Etzels an König Artus (vgl. S. 190), für Helche teilweise eine Annäherung an Ginover. Basis ist in beiden Fällen die außerhalb der nordischen Zeugnisse und der Historiographie positive Sagenrolle Etzels als Zuflucht fremder Recken19 und, gewiss daraus abgeleitet, die Helches als Gönnerin und Fürsprecherin der Zuflucht suchenden Helden, die heldensagenspezifische Modulation einer typischen Rolle hochgestellter Frauen an mittelalterlichen Höfen.20 Dass Helches Vorliebe für fremde junge Helden im Sinne der Annäherung an Ginover und den Lancelot-Stoff missverstanden werden kann, macht vor allem ‹Biterolf und Dietleib› humoristisch deutlich.21 In ‹Dietrichs Flucht› ist, wie bereits angedeutet (vgl. S. 147f.), allenfalls ein leiser Reflex davon darin zu erkennen, dass Helche ausdrücklich betont, nicht gegen ihre ere und zuht zu verstoßen, indem sie den Hilfe suchenden Dietrich duzt (DF v. 5045–5049).22 Freilich dürfte es hier nicht in erster Linie um zweideutige Verdächtigungen gehen, sondern um korrektes höfisches Benehmen: Helche verteidigt sich nicht gegen die mögliche Unterstellung eines erotischen Interesses, sondern stellt klar, dass sie mit dem Duzen aufgrund der besonderen Situation gegenüber dem fremden König nicht gegen die Etikette verstoßen hat. Die Forschung, vor allem WALTER HAUG,23 hat Helches ‹mütterliches› Verhältnis zu Dietrich hervorgehoben, aus dem Dietrich freilich herauswachse24 und das zudem nach dem Tod von Helches Söhnen trotz der Dietrich gewährten Verzeihung dauerhaft abgekühlt sei. Das trifft freilich nur teilweise zu: Das ‹Mütterliche› ist Teil von Helches Sagenrolle und wird von Dietrich und Rüdiger als grundsätzliche Qualität im Verhältnis zu allen von ihr geförderten Recken, nicht als Spezifikum ihrer Beziehung zu Dietrich hervorgehoben (vgl. auch S. 147): «[...] daz ir so muterliche t*t an manigem ellenden recken g*t» (DF v. 4936f.); «[...] daz alle ellende hant z* iu trost [...]» (DF v. 5000; vgl. auch v. 5052–5065). Nur einmal, als die Hunnenkönigin von Dietrichs Unglück erfährt, bevor sie von seiner Ankunft weiß, ist m)terliche (DF v. 4842) auf Helches Haltung gegenüber Dietrich bezogen, die Mischung von Mitgefühl und aktiver Fürsorge. Diese Fürsorge für Dietrich ist nicht mit persönlicher Sympathie begründet, sondern – besonders Etzel gegenüber (bes. DF v. 5196– 5211) – machtpolitisch mit Dietrichs Rang und Ruhm (vgl. auch S. 146). Zudem fordert Dietrichs angesichts der Fallhöhe außerordentliches Unglück das Mitgefühl und Erbarmen

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Zu Attila-Etzel vgl. grundsätzlich WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), bes. S. 157–176. Zu Helche vgl. grundsätzlich FIRESTONE 1991 (LV Nr. 219). Vgl. ‹Biterolf› (SCHNYDER 1980, LV Nr. 16), v. 1265–1276; vgl. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 128. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 374f. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 127–131; vgl. auch CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 374f. Vgl. ebd., bes. S. 376f.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

der Hunnenkönigin in besonderer Weise heraus (bes. DF v. 4836–4841 und ff., 4857ff.). Mitgefühl und Erbarmen (barmherze wird Helche genannt, DF v. 4852 u.ö.) sind freilich hier in erster Linie Herrscher(innen)-Tugenden. Die Sorge um Dietrich beinhaltet dezidiert militärische Unterstützung: Die Königin versetzt Dietrich durch Vermittlung bei ihrem Gemahl und durch eigene militärische und finanzielle Ressourcen in die Lage, immer wieder neue Heere ausrüsten zu können, daz du gerichest dine not (DF v. 5082 u.ö.). Helche gibt Dietrich, zusätzlich zu Etzels Hilfstruppen, 500 Krieger mit (DF v. 5621) und schickt 24 000 Mann nach (DF v. 5921f.); ihren Söhnen rüstet sie ein eigenes Heer von 12000 Mann aus (RS Str. 190f.). Die vom Königspaar gemeinsam betriebene, von Dietrich selbst (und dem Erzähler) Helches Anstiftung zugeschriebene (DF v. 7572–7574, 7643–7647 und ff.) Verbindung mit Herrad (DF v. 7499–7665) ist ebenfalls in erster Linie als Akt sowohl der Unterstützung für den Vertriebenen als auch der Bindung eines zumindest potentiell machtvollen Herrschers an die eigene Dynastie gedacht. Dass es bei der Unterstützung für den Berner letztlich auch immer um das Ansehen des Hunnenhofs geht, ist zwar angesichts von Dietrichs Unglück narrativ nicht plausibel: Die Serie der Siege und Rückschläge ist, mit dem Fokus des Erzählens auf Dietrichs Verlusten und Trauer, vollends mit dem Tod der Helchesöhne, nicht glaubhaft auf den Erfolg am Ende ausgerichtet, sondern (auch ohne direkte Vorausdeutungen) in nibelungischer Perspektive auf Dietrichs Verbleib am Hunnenhof bis zum Burgunden- und Amelungenuntergang. Trotzdem wird immer wieder auf die ere des Hunnenhofs abgehoben, direkt (über die herrscherliche milte, die Macht ebenso wie Großzügigkeit demonstriert) und indirekt (über die Krieger und Könige, die man durch milte an sich bindet und deren Ruhm zur eigenen Macht und ere beiträgt). Ein Nebenmotiv zeigt, dass es nicht in erster Linie um Mitleid und Hilfeleistung geht, sondern um Status und Macht: Viel scheint darauf anzukommen, dass Dietrich nicht allzu ärmlich und kläglich erscheint – daher rüstet ihn Rüdiger als Sofortmaßnahme mit dem Nötigsten aus (vgl. S. 208), und daher ermahnt ihn Helche, Etzel gegenüber nicht zu jämmerlich aufzutreten: «[...] T*t, als ein man t*n sol, und chlagt niht ze sere. [...]» (DF v. 5025f.). Gleichzeitig übernimmt Helche damit punktuell eine Rolle, die sonst tendenziell von Hildebrand und Wolfhart wahrgenommen wird: den klagenden Dietrich zu tatkräftigem Handeln zu bewegen. Derartige Ermahnungen durch Helche kommen später nicht mehr vor (der Rat, Dienstleute großzügig zu entlohnen, als sie ihm vor der Schlacht von Bologna großzügige Mittel zu diesem Zweck überlässt, liegt auf einer anderen Ebene; DF v. 7918–7931). Daraus ist jedoch nicht notwendig auf zunehmende Reifung Dietrichs25 oder gar ‹Abnabelung› von Helche zu schließen – Ermahnungen wären im späteren Verlauf schlicht nicht mehr funktional. Die zunehmende Distanz zwischen Helche und ihrem Schützling ergibt sich daraus, dass nach Dietrichs Aufnahme am Hunnenhof die Exilszenen zur erzählerischen Routine werden, schemagemäße Zwischenstationen zur Wiederherstellung der Ressourcen, dass auch sein Status (quasi als ‹anerkannter Flüchtling› und unterstützenswerter Verbündeter) Helches Mitleid und direkte Intervention weniger nötig macht; dass ihm mit Hildebrand und zuneh-

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So ebd., S. 377.

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Helferfiguren: Rüdiger, Helche, Etzel

mend mit Rüdiger andere Ratgeber zur Verfügung stehen; auch damit, dass in der ‹Rabenschlacht› Helches Bindung an ihre eigenen Söhne überwiegt. Gerade in der ‹Rabenschlacht› zeigen jedoch Helches persönliche Anteilnahme an der Vermählung Dietrichs und Herrads (RS Str. 117f.) und ihre wortreiche Reue über die voreilige Verwünschung des Berners (RS Str. 1089–1091) ihre Sympathie auf einer stärker von Machtinteressen losgelösten (emotionaleren?) Ebene als in ‹Dietrichs Flucht›. Am Anfang der ‹Rabenschlacht› aber steht mit Helches Reaktion auf Dietrichs ‹funktionales› Trauern die aus der ‹Flucht› bekannte zielgerichtete Unterstützung, die hier freilich von Helche zunächst nur angestoßen und dann weitgehend Etzel und dessen Gefolgsleuten überlassen wird (RS Str. 11–28). Noch bei der Versöhnung am Ende spielen politische Aspekte eine Rolle (RS 1094,6f.; 1095,6). Helches Verzeihung ist dahingehend formuliert, dass sich in ihrer Wertschätzung Dietrichs nichts gegenüber der ersten Begegnung geändert hat: «[...] ich sich in hiut und immer also gerne sam in dem ersten jare, do ich in erste sach [...]» (RS 1097,6–1098,2). Hier schließt sich ein Kreis, endet keine Entwicklung. Psychologische Plausibilität zu suchen, wäre wohl verfehlt; doch auch eine politische ist schwer zu sehen. Etzels Beziehung zu Dietrich ähnelt, stärker auf Machtinteressen und Militärisches konzentriert, der Helches, ist freilich weitgehend über die Königin vermittelt. Der Hunnenkönig (und mit einer gewissen Eigenständigkeit beim Aufbieten eigener Heere seine Gemahlin und seine Gefolgsleute) bieten Dietrich die notwendige politische und vor allem militärische Unterstützung. Aus diesem Grund lehnt Dietrich die angetragene Heirat mit Herrad nicht ab, kehrt er nach geschlagenen Schlachten (auch siegreichen) zum Hunnenhof zurück. Was die Plausibilität der Logik der Machtinteressen betrifft, die hinter der Unterstützung des exilierten Königs wie auch hinter der Versöhnung nach dem Tod der Hunnenprinzen steht, gilt Vergleichbares wie für Helche, mit der bereits beschriebenen Verlagerung auf Dietrichs korrektes Verhalten und seine Loyalität. Auffällig ist, wie weitgehend der Hunnenkönig fast alle erzählten Entscheidungen seiner Gemahlin überlässt: von der Protektion für den Vertriebenen (DF v. 5191–5212 u.ö.) über die Wahl von Dietrichs Ehefrau (DF v. 7528–7559)26 und die Erlaubnis für die Söhne, Dietrich zu begleiten (RS Str. 181–183), bis hin zur Versöhnung nach dem Tod der Prinzen (bes. RS 1131,3–6). (Insofern kann auch nicht die Rede davon sein, dass Helche zunehmend in den Hinter-, Etzel in den Vordergrund trete27 – das trifft allenfalls für die Handlungsanteile bei Dietrichs erstem und zweitem Exil in ‹Dietrichs Flucht› zu.) Helche nimmt gegenüber ihrem königlichen Gemahl wie gegenüber ihrem Schützling Dietrich durchgehend eine dominante Position ein, trotz der Demonstration der Machtfülle des Hunnenkönigs vor allem in ‹Dietrichs Flucht›. Freilich ist Helches Macht von der des königlichen Ehemanns abgeleitet: Ihre Hilfszusage für Dietrich gilt unter Vorbehalt

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Etzel schlägt die Vermählung vor; Helche benennt die vorgesehene Braut; Dietrich berichtet seinen Ratgebern davon als von Helches Vorschlag (DF v. 7499–7559, 7572f.). So CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 377; vgl. WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), S. 172.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

(«[...] ez si, daz Etzel sterbe tot», DF v. 5083), auch wenn ihr Einfluss auf den König nahezu unbegrenzt ist: «[...] so ist mir Etzel dannoch so holt, swes ich in bitte, daz er daz dolt. [...]» (DF v. 5022f.). Das entspricht sehr weitgehend der üblichen Modellierung weiblicher Macht in mittelalterlichen (nicht nur literarischen) Texten:28 Weibliche Macht ist abgeleitete Macht. «Although Helche [...] takes most of the decisions [...] each of her decisions requires Etzel’s approval before it may be carried out.»29 Gleichwohl werden die fatalen Entscheidungen, die letztlich die dynastische Zukunft des Hunnenkönigs vernichten, durch die Zuschreibung an Helche auch narrativ (nicht nur in Etzels Vorwürfen) der Frau zur Last gelegt: Selbst die muterliche Helche entpuppt sich als femme fatale, auch wenn, anders als im ‹Nibelungenlied›, keine in Rache gegründete Gewalteskalation in Gang kommt.

5. Facetten des Protagonisten. Dietrichs Sagenruhm wird gerade auch in ‹Dietrichs Flucht› vorausgesetzt, trotz der Darstellung des Protagonisten als unerfahrener Jüngling (vgl. S. 141–143). Aus der Sage und/oder dem ‹Nibelungenlied› dürften, soweit aus den Zeugnissen erschließbar, die zentralen Rollen des Helden als glückloser Sieger und (mit den bereits skizzierten Einschränkungen) als armer Dietrich stammen, aber auch Teilmotive wie die zumindest als Hintergrund präsente Zaudererrolle und zagheit Dietrichs und seine gelegentlich in der aventiurehaften Dietrichepik angedeutete Rolle als ‹frauenloser› Held, die (neben seinem degradierten Status) bei seinem Vorbehalt gegen die Verbindung mit Herrad mitschwingt. Inwieweit das in Dietrichs Kinderlosigkeit implizierte Fehlen einer genealogischen Zukunft mit diesem Motiv des ‹frauenlosen› Dietrich zusammenhängt, ist wohl nicht zu klären. Auf die Zaudererrolle komme ich zurück; sie hängt mit den Fragen nach Dietrichs ‹heroischen› Zügen und der Sentimentalisierung des Helden in seinen Klagen zusammen. Auffällig ist, zumindest auf den ersten Blick, dass Sagenaura und Sagenmotive stark zurückgenommen sind. Das gilt vor allem für die Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›, hat aber – über die Legitimierung des Helden und die Akzentuierung seiner Herrscherrolle – Auswirkungen auch für den sagennäheren Hauptteil und (im Überlieferungsverbund) die ‹Rabenschlacht›. Dietrich ist – gerade in den Fluchtepen, besonders in der ‹Flucht› (vor allem durch die genealogische Vorgeschichte), aber auch in ‹Alpharts Tod› – als ‹normaler› feudaler Herrscher gekennzeichnet, nicht als außergewöhnlicher Held von zweifelhafter Herkunft (die zumeist zweifelhafte Legitimität nach sich zieht30). Gegenüber Dietrichs Vorfahren scheinen – ausdrücklich wird das nicht aufgerechnet – biblische Lebensalter und Kinderzahlen Vergangenheit (obgleich noch Dietmar ein Lebensalter von 340 Jahren zugeschrieben wird: DF

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Unter dieser Perspektive auch FIRESTONE 1991 (LV Nr. 219). WILLIAMS 1981 (LV Nr. 593), S. 164. Vgl. z.B. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 60.

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Facetten des Protagonisten

v. 2511). Die Geschlechterfolge zu Beginn von ‹Dietrichs Flucht› bindet Dietrich in eine «lückenlose[] Adelsgenealogie», die – wie üblich – patrilinear organisiert ist.31 Unterstrichen werden nicht Einmaligkeit oder gar Exorbitanz des ‹Heros›, sondern seine Position als «Glied[] einer Kette», die Legitimität verleiht – eine Denkform, die der auf den außerordentlichen Einzelhelden zentrierten Sage wie dem heroischen Epos fremd ist.32 Dietrich wird durch Erbe Herrscher in Oberitalien. Spektakuläre heroische Taten werden ihm nicht abverlangt, statt außerordentlicher Einzeltaten eher Heerführerqualitäten, die sich in Schlachtsiegen äußern. Exorbitanz zeigt sich allenfalls in Dietrichs übersteigerten Klagen, im außerordentlichen Opfer, in exzessiver triuwe, die Herrscherqualitäten freilich auch wieder in Frage stellt (vgl. S. 217–220). Im Kampf siegt Dietrich zwar regelhaft, doch ohne besondere heroische Attribute und mit nicht mehr heroischer Auszeichnung, als sie von der epischen Konvention der Aristien großer Helden vorgesehen ist. Heroische oder gar übermenschlichdämonische Konnotationen sind ausgeblendet. Der Sieg sogar über Siegfried in der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 646–683), wohl Zitat eines Versatzstücks aus der Konfrontation der Sagenkreise, wie sie in der Rosengarten-Überlieferung geprägt sein dürfte und im ‹Biterolf› bereits zitiert wird, entbehrt der übernatürlichen Zutaten von Hornhaut und Feueratem (vgl. bes. S. 48, 72, 188): Nicht Siegfrieds Hornhaut schmilzt vor Dietrichs Feueratem, nur die halsperge glühen – in üblicher Kampfmetaphorik – in der Hitze des Gefechts (RS 673,3f.); nicht eine möglicherweise dämonische Eigenschaft rettet Dietrich, sondern die in seinem Seidenhemd eingenähten Reliquien, die Siegfrieds Speer abprallen lassen (RS Str. 650f.). Als verzagender Herrscher, der den Onkel vor dem Gang ins Exil um Schonung anfleht (DF v. 4212–4288), macht Dietrich nicht einmal eine besonders heroische Figur. Freilich geht es dabei nicht in erster Linie um Dietrichs Profilierung, sondern um die negative seines Gegners (vgl. S. 197). Die außergewöhnlichen Zutaten eines typischen Heldenlebens wie zweifelhafte Geburt und wunderbare Begleitumstände des Heldentodes werden für den Dietrich der ‹historischen› Dietrichepik fast ostentativ nicht reklamiert. Welche Traditionen in Bezug auf ‹übernatürliche› Aspekte der Dietrichgestalt Ende des 13. Jahrhunderts bekannt waren, ist angesichts spärlicher Zeugnisse schwer zu verifizieren. Nur in der ‹Rabenschlacht› bleibt der Feueratem (RS 945,5f.; 972,5f.) als Relikt einer unbestimmten Verbindung mit dem Übernatürlichen (vielleicht Dämonischen) – wenn nicht, was ich eigentlich annehmen möchte, der Feueratem ohnehin lediglich eine Weiterentwicklung gängiger Metaphorik von Feuer und Hitze in Kampf und Kampfzorn darstellt; auf Feuermetaphorik verweist gerade in der ‹Rabenschlacht› die Vorstellung, daz fiwer reht von ir "gen glaste (RS 445,6). Angesichts von Dietrichs pointierter Religiosität und wiederholt eingeforderter Gottesnähe bleiben Teufelsassoziationen in den Fluchtepen in jedem Fall aus; eine Herkunft als Teufelssohn wird durch die Genealogie und die privilegierte Beziehung zu Gott ausgeschlossen. Die ‹Rabenschlacht› selbst belegt den Feueratem in einer verfremdeten Variante, insofern er Dietrichs eigene Rüstung erweicht (vgl. bes. S. 188). Inwieweit das als Bruch mit dem Erwartungshorizont des Publikums (oder als partielles Zugeständnis daran) zu sehen ist, ist angesichts spärlicher Zeugnisse kaum zu rekonstruieren.

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Vgl. MÜLLER 2007 (LV Nr. 467), S. 49. Vgl. ebd., S. 75f., Zitat S. 75.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Mit der ‹Normalisierung› und Feudalisierung des Sagenhelden zum Königssohn und Erben des Römischen Reichs sind zwei weitere Modellierungen in Abweichung von der Sage verbunden: Dietrichs Jugend und seine Rolle als Herrscher. Beide Aspekte sind insofern miteinander verbunden, als – nach CURSCHMANN33 – Dietrich in seine Herrscheraufgaben allmählich hereinwachse. Auf die mit der Jugend des Helden verbundenen Widersprüche wurde bereits hingewiesen (vgl. S. 141–143): Die verräterische Einladung setzt Dietrichs Befähigung zur Statthalterschaft voraus, auch wenn der Erzähler (DF v. 2828–2831), Dietrichs Gefolgsleute (DF v. 3243f.) und Dietrich selbst (DF v. 4187f., 4229, 4253) seine Jugend betonen. Schon dadurch wird eine mögliche ‹Entwicklung› des Helden relativiert. Die These von einem Prozess der Reifung, des Unabhängigwerdens von Ratgebern erscheint darüber hinaus insofern verfehlt, als in mittelalterlichen Texten die Beratung mit Gefolgsleuten altersunabhängig zum Habitus des idealen Herrschers gehört, Entscheidungen gegen den Rat der Getreuen eher problematisch als ein Indiz für souveräne Unabhängigkeit sind. Darüber hinaus sind wesentliche Veränderungen nicht festzustellen: Von Anfang bis Ende ist Dietrich in den Fluchtepen verbunden mit Personen, die ihn beraten: Hildebrand, Rüdiger, zeitweise auch Helche. Von Anfang an führt Dietrich seine Heere erfolgreich; bereits bei Dietrichs erstem Kampf (dem Überfall auf Ermrichs Heer zu Beginn der ersten Schlacht von Mailand) wird seine Tapferkeit herausgestrichen: Die schar leite her Dietrich selbe harte manlich des heres an daz ende. Mit manlicher hende daz sper er under diu uchsen twanch [...] (DF v. 3288–3292 und ff.). Trotz seiner Unerfahrenheit und obwohl Hildebrand und Wolfhart den Ton anzugeben scheinen, hat Dietrich offenbar Strategie und Heeresabteilungen für die Schlacht festgelegt (DF v. 3320–3325), und während der Schlacht selbst werden seine Heldentaten hyperbolisch hervorgehoben: Nu horet, wes der Bernær phlach: Der tet dort michel wunder. Von im gelach da under vil manich Ermriches man. Von im wart solich mort getan, daz ez an dem mære ungelouplich ze sagen were. Die houfen lagen ouf dem wal, die toten vaste ane zal vielen von des Bernæres hant. [...] (DF v. 3467–3476 und ff.). Darüber hinaus nimmt er in der ersten Schlacht von Mailand eigenhändig Ermrichs Sohn gefangen (DF v. 3528). In den späteren Schlachten ändert sich an Dietrichs unangefochtenem

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CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), bes. S. 364.

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Facetten des Protagonisten

Status als tapferer Kämpfer und Anführer nichts, auch wenn andere (vor allem Rüdiger) bei allen vier Schlachten Strategie und Schlachtpläne (mit-)bestimmen. Gezeigt wird keine ‹Entwicklung›, sondern Konstanz sowohl in Bezug auf Dietrichs militärische Kompetenz als auch auf seine – mit den Ratgeberfiguren abgestimmte – strategische Voraussicht für die einzelne Schlacht und darüber hinaus. Nach der zweiten Schlacht von Mailand regelt Dietrich, unbeeindruckt durch Wolfharts kurzsichtige Forderung nach Vollendung der Rache (zur Stelle vgl. S. 205), die Verhältnisse in Oberitalien, um ins Hunnenreich zurückzukehren (DF v. 7012–7014). Dass das kein Ausdruck von Resignation ist oder von Unfähigkeit, den Sieg auszunutzen, geht daraus hervor, dass sogar Hildebrand dem zustimmt: Dirre sin, der ist g*t (DF v. 7016). Anscheinend ist die Rückkehr zur Machtbasis nach einem Etappensieg eine strategische Notwendigkeit zum Zweck der Berichterstattung und ggf. Siegesfeier, der Rückführung der fast ausschließlich hunnischen Hilfstruppen, vor allem aber der Sammlung neuer finanzieller und militärischer Ressourcen, die angesichts dessen, dass Ermrich die Herrschaft über Dietrichs eigenes Machtzentrum usurpiert hat, nur im verbündeten Hunnenreich zu gewinnen sind.34 Nicht etwa Dietrichs Abhängigkeit von Ratgebern und Gefolgsleuten ist überwindungsbedürftig. Ratgeber wirken in den Fluchtepen grundsätzlich auf den Herrscher ein, bei der Entscheidung über die Eheschließung ebenso wie bei der über Schlachtpläne oder den sicheren Verbleib der Hunnenprinzen. In ‹Alpharts Tod›, wo der Berner, anders als in der ‹Flucht›, nicht als unerfahrener junger Mann, sondern als etablierter Herrscher gezeigt wird, erzwingen Gefolgsleute und Verbündete sogar ein von ihnen erwünschtes Verhalten, die Verzeihung für Ylsam (AT v. 1608–1635/404,1–410,4); den Erfolg gefährdet das nicht – im Gegenteil: Dietrich scheitert hier nicht. Problematisch erscheinen eher Entscheidungen gegen den Rat der Gefolgsleute oder über diesen hinaus: die Auslösung der gefangenen Gefolgsleute und die Rehabilitation Witeges. Gegen den Rat der Getreuen beschließt Dietrich, Ermrichs Erpressung zu folgen und sein Reich preiszugeben, um die gefangenen Gefolgsmannen zu retten (DF v. 4023–4025). Mit Witeges Begnadigung greift Dietrich zwar den Rat (auch Rüdigers) auf, den vermeintlich reuigen Überläufer zu rehabilitieren (DF v. 7146–7150), geht aber weit darüber hinaus, indem er ihn zum Statthalter von Raben ernennt und ihm das Pferd Schemming schenkt (DF v. 7158–7205), was Witeges erneuten Verrat in ‹Dietrichs Flucht› und seine Flucht nach dem Tod der Heldenjünglinge in der ‹Rabenschlacht› ermöglicht.35 Dietrichs exorbitante Großzügigkeit gegenüber dem Abtrünnigen ist fast so wenig wie das exorbitante Opfer für die Getreuen durch Rat gedeckt: Die Verantwortung trägt der König allein (Preisgabe des Reichs) oder fast allein (Vertrauen gegenüber Witege). Die Textstrategien lassen keine eindeutigen Wertungen zu: Dietrichs Fürsorge für seine Gefolgsleute illustriert vorbildliche triwe in musterhafter Reziprozität; wie die Gefolgsleute dem Herrscher ihr eigenes Vermögen zur Verfügung stellen, opfert er seine Herrschaft: «Und weren min elleu rich, die wold ich [Dietrich] elliu lan e mine getriwe liebe man. [...]

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Vgl. bes. ebd., S. 368 A. 18; MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 120–122. Zur Stelle vgl. auch HOFFMANN 2005 (LV Nr. 336), S. 39f.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Ich wil im [Ermrich] alle die sine lan, dar nach allez, daz ich han, daz wil ich im f)r eigen gebn, den worten daz er mir laze leben mine recken wol gesunt.» (DF v. 4023–4025, 4032–4036). Der Erzähler betont ausdrücklich Dietrichs Unschuld: Dise starche geschiht, diu chom von im selben niht (DF v. 3568f.). Ein unbestimmtes Schicksal, Dietrichs rollenmäßige Glücklosigkeit, wird verantwortlich gemacht: wie in diu unselde verriet [...] (DF v. 3564). Im Kontext von Dietrichs Entscheidung gegen den ausdrücklichen Rat von mage und man (DF v. 4014–4036) sind explizite Wertungen auffällig ausgespart. Implizite Wertungen zugunsten Dietrichs ergeben sich aus dem Kontrast zur Verwerflichkeit von Ermrichs Handeln und aus der Bereitschaft der Dietrichmannen, ihrem König ins Exil zu folgen (DF v. 4144–4175). Signifikant mag auch sein, dass die Ratgeber nicht mit den Interessen des Reichs, sondern mit den eigenen argumentieren, was ihrem Votum Gewicht entzieht: «E daz wir solich g*t lan, wir mugens e verchiesen, e daz wir verliesen g*t, leip unde leben. Sold wir daz umb si siben geben, so ist bezer, daz si sterben tot, denn daz wir leiden immer not.» (DF v. 4015–4021). Freilich wird aus dem Erzählverlauf schnell deutlich, dass Dietrich zwar exorbitante triwe demonstrieren und adligen Wunschvorstellungen von fürstlichem Verhalten (Entscheidungen zum Wohl der Gefolgsleute) nachkommen mag, dass diese Entscheidungen aber nicht den Interessen des Landes dienen: Dietrichs Entscheidung setzt das Reich hilflos einem despotischen Gewaltherrscher aus, der, nachdem sein Neffe der Übergabe des Reichs zugestimmt hat, die Gegend um Bern brandschatzen und plündern lässt (DF v. 4098–4106). Dietrich beklagt als (in diesem Moment) vorbildlicher Herrscher auch nicht die eigenen Verluste, sondern den jamer, den er sach, / der an sinen liuten geschach (DF v. 4112f.). Witeges Felonie kostet nicht nur den Berner die Herrschaft über die Stadt Raben, sondern auch hunderte Unschuldige das Leben; Dietrichs exzessive Klagen über leit und unsælde (DF v. 7725, 7730) sind darin begründet, dass das Leiden seiner Schutzbefohlenen sein Versagen als Herrscher anzeigt (DF v. 7695–7747). Zwar wird auch hier nicht Dietrich die Schuld gegeben – die liegt, auch in den Augen Etzels, allein beim Verräter (DF v. 7763–7765). Aber es wird sehr wohl deutlich, dass das Unglück, anders als bei der Gefangennahme der Gefolgsleute, nicht auf einen unglücklichen Zufall zurückgeht, sondern klar auf Dietrichs Fehleinschätzung. Der Fehler wird nicht nur durch die Erzählervorausdeutung auf die fatalen Folgen von Dietrichs Großzügigkeit als solcher markiert. Hildebrand hatte ausdrücklich dazu geraten, einen verlässlichen Mann als Statthalter zu wählen: «[...] Raben bevelht einem man, an den ir iuch des muget lan

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Facetten des Protagonisten

mit triwen manichvalde, der sich also behalde an iurem lande, herre, daz iu da von iht gewerre leiht noch ein ungemach. [...]» (DF v. 7020–7026). Das hat Vorausdeutungsfunktion, unterstreicht aber auch Dietrichs Versäumnis; Entsprechendes gilt für die spiegelnden Episoden von der Verzeihung für die abgefallenen Städte Raben und Pula (vgl. S. 119), wo mindestens zeitweise Geiseln als Garanten für die Verlässlichkeit der ehemals Abgefallenen eingefordert werden. Die Wertungsstrategien der ‹Flucht› sind mehrschichtig: ostentative, fast plumpe polarisierende Wertungen auf der Ebene der Erzählerkommentare, unterschwellig aber auch Signale dafür, dass Dietrichs Handeln als Herrscherverhalten problematisch ist. Damit soll keiner Abwertung Dietrichs das Wort geredet werden (Negativurteile wie insbesondere die GOTTZMANNs36 sind angesichts der Untaten der wirklich Bösen und angesichts der eindeutigen Erzählerkommentare zugunsten Dietrichs verfehlt). Wohl aber sind Ansätze zur Wertungs- und Sinnkomplexion festzustellen, vor allem in ‹Dietrichs Flucht›. Ideales Herrscherverhalten hat das Wohl des Herrschaftsverbands im Auge – bei Dietrich kann davon nicht die Rede sein.37 Vorbildlichkeit erscheint hier verkürzt auf das triwe-Verhältnis von Herrscher und Gefolgsleuten (vgl. auch S. 248f.). KROPIK38 hält trotz der Ambivalenzsignale an der ungebrochenen Idealität des Herrschers Dietrich fest, die im Widerspruch zu dessen Scheitern zu stehen scheint. Dieses Scheitern ist in der Tat stoffbedingt weitgehend festgeschrieben (auch wenn ‹Alpharts Tod› eine Alternative bietet): Handlungen sind im Verbund der Fluchtepen nicht ergebnisoffen; Dietrich muss vertrieben werden, die Hunnenprinzen müssen ums Leben kommen. Von daher erscheint die Frage nach der Schuld des Berners verfehlt; es gäbe kein Verhalten Dietrichs, durch das das Unheil hätte verhindert werden können; der unglückliche Ausgang ist primär, und es fragt sich nur noch, wodurch es zur Katastrophe kommt. Genau da aber ist Spielraum für verschiedene Erklärungen und damit auch Wertungen: für die Schuld der Bösen, für Verhängnis oder unglücklichen Zufall (der mit Blick auf das vorbestimmte Resultat immer zielgerichtet erscheint), ggf. aber auch für Mitverantwortung Dietrichs: In der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 175–188) unterstützt Dietrich die Fahrt der Hunnenprinzen und verbürgt

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GOTTZMANN 1987 (LV Nr. 243), S. 109–136: Dietrich als Musterbeispiel eines ungerechten Herrschers. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 149f., verweist auf die «taktischen Fehler des Berners»: «das blinde Vertrauen gegenüber Witege [...], die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Wolfhart vor Padua [...], sowie das Versäumnis in beiden Epen, Ermrich und seinen Sohn zu verfolgen und endgültig zu besiegen». Die Fälle sind jedoch unterschiedlich gelagert: Dass Ermrich nicht endgültig besiegt werden kann, ist nicht Dietrich zur Last zu legen, sondern Folge teilweise des Stoffs (selbst die erfolgreiche Rückkehrschlacht in der ‹Thidrekssaga› setzt Ermanriks Tod voraus), teilweise des fluchtepentypischen Erzählmusters des glücklosen Siegs. Dass Wolfharts Verstoß gegen Dietrichs Kampfverbot nicht kritisiert wird, hängt mit einer Banalisierung heroischen Draufgängertums zusammen, das mit pragmatisch-erfolgsorientiertem Vorgehen kompatibel ist (vgl. bes. S. 200, 205, 229). Lediglich die Fehleinschätzung Witeges wird vom Text als solche profiliert. Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 248–252.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

sich für ihre Sicherheit (freilich ist dies nicht plausibel, nur final motiviert); im späteren Verlauf ist dem Berner kein Versagen vorzuwerfen (er trifft geeignete Vorsorge, indem er die Jungen in Bern zurücklässt und, im Einklang mit den Ratgebern, mit Elsan, dem auch die Stadt anvertraut ist, einen im Prinzip vertrauenswürdigen Aufpasser bestellt); Leichtfertigkeit, Ungehorsam und Kampflust der Jungen wirken zusammen mit unglücklichen Zufällen. Anders verhält es sich in ‹Dietrichs Flucht› (vgl. oben): Für die Auslösung der Dienstmannen mag KROPIKs Argumentation teilweise einleuchten, Dietrichs Unglück resultiere nicht aus einem Fehlverhalten, sondern im Gegenteil – in exemplarischer Variation heroischer Tragik – aus seiner vollkommenen triwe, seiner Herrscheridealität; heroisch sei diese triwe durch das ihr inhärente Opfer, vor allem aber durch ihre Exorbitanz. Exorbitanz freilich schließt Herrscheridealität aus, sind doch mittelalterliche Vorstellungen von adäquatem Herrscherverhalten (wie KROPIK selbst einräumt) auf das Ideal des Maßhaltens und das Wohl der Beherrschten ausgerichtet. Im Fall Witeges handelt es sich gar um einen klaren Fall von Fehleinschätzung Dietrichs. Von bruchloser Idealität kann keine Rede sein; insofern geht KROPIKs These von der exemplarischen Heroik in ‹Dietrichs Flucht› nicht auf. Die habituellen Klagen des Helden perspektivieren seine Selbstdarstellung auf die Rolle des von Unheil verfolgten armen Dietrich hin:39 «[...] Ich armer Dietmares chint [...]!» (DF v. 9893); «[...] ich armer Dietriche. [...] Unsæld hat sich zu mir gephlihtet. [...]» (RS 896,3–6). Anders als in ‹Nibelungenlied› und ‹Rabenschlacht› wirken die Klagen in ‹Dietrichs Flucht› (nach der Schlacht von Bologna) oder in ‹Alpharts Tod› unverhältnismäßig, habituell und lediglich schemagemäß (zu ihrer Funktion im Rahmen pflichtgemäßer Trauer des Herrschers um seine Gefolgsleute vgl. aber S. 71); in einer Schlacht, auch einer siegreichen, sind ganz selbstverständlich Verluste zu erwarten: «[...] Ere wyst doch wol selber, forst lobesam, das man in solichen stryden muß großen schaden han.» (AT v. 1834f./460,3f.). Unausgesprochen dürfte als narratives Telos hinter der Rolle des armen Dietrich und den regelmäßig als unverhältnismäßig und/oder nutzlos kritisierten Klagen des Berners in den Fluchtepen dessen bevorstehende Verstrickung in den Burgundenuntergang stehen, bei dem er im ‹Nibelungenlied› mit seinen Kriegern seine Machtbasis als König verliert. Narrativ resultiert die paradoxe Konstruktion von Dietrich als glücklosem Sieger aus der Verbindung von Dietrichs Exil, das eine Niederlage voraussetzt, mit seiner Rolle als größter Held, der nicht im Kampf unterliegen darf (vgl. bes. S. 174): Dietrich siegt, wird aber um die Früchte seines Sieges gebracht. Die Rolle des armen Dietrich bleibt, wie erläutert, sehr weitgehend

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PHILIPOWSKI 2006 (LV Nr. 485), S. 269, bezieht arm nur auf Dietrichs «angegriffene[n] Status».

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Facetten des Protagonisten

beschränkt auf Nibelungendichtungen und Fluchtepen; selbst innerhalb der ‹historischen› Dietrichepik wird dem victor victus in ‹Alpharts Tod› mindestens für den Einzeltext ein «Sieger im Glanz epischer Konventionalität» entgegengestellt40 (vgl. S. 76 u.ö.). Gleichwohl bietet die Gestalt des glücklosen Siegers Anschlussmöglichkeiten mit Themen wie der Mühsal und Bedrängnis des Helden, den Klagen über Treulosigkeit und «das Unglück der Guten», dem Verlust alter Werte, «Verzweiflung und Trauer».41 Dass in Dietrichs Verzweiflung und Trauer freilich zumeist ritualisierte ‹Gefühlsäußerungen› zu sehen sind, haben vor allem MICHAEL MECKLENBURG (auch wenn er letztlich wieder zur Annahme einer Sentimentalisierung des Helden zurückkehrt42) und CORDULA KROPIK gezeigt:43 Klagen um tote Gefolgsleute entsprechen konventionell gefordertem Herrscherverhalten; ostentatives Trauern über eigene Bedrängnis teilt unmissverständlich ein «Bedürfnis nach Unterstützung»44 mit. Besonders auffällig ist Letzteres am Etzelhof, wo Dietrich nach den Hilfszusagen von Rüdiger und Helche Grund zur Zuversicht hätte, aber in seiner der Freude der anderen entgegengesetzten Trauer verharrt: Si waren da vro uber al, an alleine her Dietrich, der gehapte sich tr"richlich (DF v. 5331–5333; vgl. RS 7,6) Das ändert sich erst, als auch Etzel seine helfe verspricht (DF v. 5335–5353 und ff., bes. 5343). Entsprechend führen Dietrichs Trauer und Klagen (mit Ausnahme der fehlgeschlagenen deditio gegenüber Ermrich) stets dazu, dass seine Umgebung ihm Unterstützung zukommen lässt. Und nur die aktive politische und militärische Unterstützung lässt Dietrich wieder vro werden; dies ist seine habituelle Reaktion auf Hilfszusagen, gelegentlich auch auf Erfolg versprechenden Kriegsrat, Eintreffen von Hilfstruppen oder Siege (DF v. 3032, 5429, 5878, 5925, 6294, 8026; RS 866,1 – hier ironisch, insofern der Schlachtsieg bereits im Vorfeld durch den Tod der Jungen entwertet ist). So indiziert Trauer nicht in erster Linie ein Gefühl, sondern ein politisch-militärisches Defizit,45 Freude die Abhilfe (gelegentlich auch: die vermeintliche Abhilfe) dafür. In diesem Sinn verliert der merkwürdige Schluss der ‹Rabenschlacht› einiges von der ihm inhärenten Irritation: Vro wart der Pernære (1139,5) bedeutet nicht, dass der Schmerz über den Verlust der Jungen überwunden wäre, sondern dass die politische Allianz zwischen Dietrich und dem hunnischen Königspaar wieder intakt ist. Die Kritik der Gefolgsmannen, gelegentlich auch Rüdigers und Helches an Dietrichs exzessiven Klagen bezieht sich nicht auf das Gefühl (um den Schmerz und seine Gültigkeit geht es nicht), auch nicht auf ihre (selbst in den krassen Trauergebärden bei den Totenklagen um die getöteten Jungen in der ‹Rabenschlacht› ritualisierte46) Form, sondern auf pragmatische

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BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 23. Alphart selbst kann dagegen als Variation des scheiternden Helden gesehen werden, mit «heldenhafte[r] Niederlage gegenüber einer Übermacht»; vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 175. HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292), S. 51; vgl. auch HAUBRICHS 1994 (LV Nr. 271), bes. S. 48f. Vgl. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), bes. S. 89–126. Vgl. ebd., bes. S. 63–71; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), bes. S. 247, 259–270. BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 137. Vgl. auch GOERLITZ 2007 (LV Nr. 240), S. 526–528. Vgl. SCHWAB 1990 (LV Nr. 534).

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

Aspekte der Klage: Klage nützt nichts, gefährdet vielmehr die Handlungsfähigkeit des Klagenden, seine Führungsrolle und Verpflichtung gegenüber den Überlebenden. Daher ist die Kritik an der Klage, vor allem an exzessiver, nicht enden wollender Klage, häufig gekoppelt mit Kritik an ‹unmännlichem› Verhalten und dem Vorwurf der zagheit. Dietrichs zagheit, das Rollenstereotyp des Zauderers, wird meist47 nur der aventiurehaften Dietrichepik (insbesondere ‹Eckenlied›, ‹Rosengarten›) zugeschrieben: Dietrich geht Kämpfen aus dem Weg, weigert sich mit rationalem Kalkül entweder zur Sinnlosigkeit des unmotivierten Kampfes und/oder zur Gefährlichkeit des Gegners zu kämpfen, obwohl man ihm Feigheit vorwirft; gelingt es aber, ihn hinreichend zum Kampfzorn zu reizen, wird er zum Berserker und erringt mühelos den Sieg. Die Herkunft des Motivs ist umstritten. Eine rein erzähltechnische Erklärung – es diene der Retardation zur Steigerung der Spannung – greift zu kurz.48 Gegen HERMANN SCHNEIDERs49 These, das Motiv sei aus den Wilhelms-gesten in die deutsche Heldendichtung übertragen worden, wendet JOACHIM HEINZLE ein, dass Dietrichs zagheit die von altfranzösischer Heldenepik unbeeinflusste aventiurehafte Dietrichdichtung kennzeichne, nicht die ‹historische›, wo Einflüsse der Chansons de geste fassbar sind; vielmehr sei das Motiv in der aventiurehaften Dietrichepik als Weiterentwicklung der Dietrichrolle des ‹Nibelungenlieds› entstanden.50 HAUSTEIN deutet das Motiv der zagheit als heldenepische Variante der Aventiure-Kritik des höfischen Romans: Dietrich entziehe sich «seiner von der Gattung vorgegebenen Aufgabe, frag- und klaglos in den Heldenkampf zu gehen»;51 allerdings wird Dietrichs Heldenrolle gerade in der aventiurehaften Dietrichepik durch Konzentration auf den glanzvollen Sieger eher affirmiert als kritisiert. Diese Argumentationen freilich hängen an der Prämisse, dass die ‹historische› Dietrichepik Dietrichs zagheit nicht kennt. Das trifft nicht zu. An das Herausforderungsschema der aventiurehaften Dietrichdichtung geknüpft ist lediglich die Ausprägung der Zaudererrolle als vorübergehende Verweigerung eines (vermeintlich) unnötigen Zweikampfes, wie sie ‹Dietrich und Wenezlan› aufgreift. Das Zitat des ZaudererSchemas ist dort deutlich als solches daran zu erkennen, dass die Rettung der Gefolgsleute einen zwingenden Kampfgrund darstellt, Dietrich also, wenn er erklärt, nicht grundlos kämpfen zu wollen («Durch so getaniu mær / wil ih mit niman strit», DWen v. 46f.), nicht etwa begründete Kampfskepsis äußert, sondern sich selbst, seine eigene Rolle spielt (entsprechend erklärt er später, er habe lediglich gescherzt, DWen v. 99) – in ‹Dietrichs Flucht› nimmt er in vergleichbarer Situation sehr viel mehr auf sich als einen Zweikampf, nämlich die Preisgabe seines Reichs, die in der Exilsituation von ‹Dietrich und Wenezlan› vorauszusetzen ist. In anderer Form und Funktion begegnet das zagheit-Motiv auch in den Fluchtepen und in ‹Alpharts Tod›, und zwar unter auffällig exponierter Nutzung einschlägigen Wortmaterials:

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Vgl. bes. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 188–190; HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292), S. 51; anders auch KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 151. Zusammenfassend zu anderen Erklärungsansätzen der Forschung (Hintergrund sei die angeblich vorsichtig taktierende Politik Theoderichs oder dass «die mittelalterliche Zoologie über Dietrichs Wappentier, den Löwen, Vergleichbares berichtet») HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292), S. 55. SCHNEIDER 1926 (LV Nr. 520), S. 213 u.ö. Vgl. HEINZLE 1978 (LV Nr. 301), S. 188–190. HAUSTEIN 1998 (LV Nr. 292), S. 61

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Facetten des Protagonisten

«Wer solt so chlægelichen und also zægelichen gebaren, als ir, herre, t*t? Ir soldet uns herzen unde m*t hohen, daz st)nde fursten wol. Nu t*t, als ich iu raten sol, und gebaret rehte als ein man und gedenchet ouch dar an, daz mit trouren nieman mach sin leit uber winden einen tach. Und merchet rehte da bi und trahtet, herre, wie dem si: Daz nieman erwenden chan, daz sol man slehtes varn lan.» (DF v. 4566–4579). Die Dietrich (hier von Hildebrand) vorgeworfene zagheit ist nicht, wie in der aventiurehaften Dietrichepik, dem Kampf vorgelagert, sondern Reaktion auf seine Folgen, auf Verluste und vereitelten Sieg (hier auf das Exil). Am Kämpfen wird der Berner durch sein Klagen nicht gehindert; die zagheit-Vorwürfe implizieren nicht den der Feigheit, sondern den der Tatenlosigkeit. In erster Linie dient der Vorwurf dazu, den König seine Handlungsfähigkeit wiedergewinnen zu lassen. Dietrich wird immer wieder aufgefordert, nicht zu verzagen (vgl. z.B. DF v. 2981f., 3606f., 5080, 5347, 9122). Immer wieder wird ostentativ betont, dass er und seine Helden unverzagt kämpfen ([d]er zagheit wart vergezzen, DF v. 3248; [d]er zagheit si vergazzen, RS 522,1); Helche gegenüber Etzel und der Erzähler gegenüber dem Publikum bezeichnen ihren Helden als unverzagten Dietrich[] (RS 84,6; 828,6; 974,4); Heime warnt in ‹Alpharts Tod› Ermrich: «[...] er yst sin unvertzeyt. Wyr mogent wol entgelden siner ellenthafften hant, wan man den forsten selden in zagheyt fant.» (AT v. 199–201/51,2–4).52 Das zagheit-Motiv ist tendenziell dazu eingeführt, um dementiert zu werden. Weder die zagheit noch eventuelle Ansätze zur Sentimentalisierung heben Heroik auf. Das strukturbildende Grundmuster des glücklosen Sieges freilich dementiert Heroisierung. Dietrich wird durch Scheitern und Misserfolg aber nicht zum Antihelden, er kämpft, siegt, tötet ja weiter. Sein Heldentum ist freilich kein naives; es besteht im Niemals-Aufgeben gegen das Böse: «Das Heroische [...] ist vergebliche Tat gegenüber dem Bösen».53

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Tendenziell eher der ‹aventiurehaften› Rolle des zagen entspricht Witege in der ‹Rabenschlacht›, der der Herausforderung ausweicht und seine Flucht vor Dietrich fortsetzt; entsprechend wird er von der Meerfrau gescholten: «Du hast vil zagliche / gevarn und getan [...]» (RS 970,1f.); vgl. aber S. 183. HAUG 1979 (LV Nr. 279), S. 126.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

6. Moralisierung und Ambiguisierung Die Moralisierung der handelnden Personen in der ‹historischen› Dietrichepik bringt in doppelter Weise Probleme mit sich: Auch die ‹Guten› werden problematisiert, die ‹Bösen› teilweise humanisiert. Der von moralisierendem Erzählen im Grunde verlangte Sieg des Guten bleibt aus. Zur Problematisierung Dietrichs durch die fatalen Folgen seiner Entscheidungen als Herrscher wie auch zum punktuellen Aufbrechen der Negativwertung Witeges und Heimes wurde bereits das Nötige gesagt (siehe S. 217–220, 198–200). Problematischer ist das Scheitern des Guten: Der Stoff – nicht eo ipso die Dietrichsage insgesamt, die auch die (mehr oder weniger) erfolgreiche Rückkehr kennt (indirekt ‹Eckenlied›; ‹Thidrekssaga›, ‹Heldenbuch-Prosa›) und den letztlich unproblematischen Sieger der aventiurehaften Dietrichüberlieferung – scheint die Konstellation eines scheiternden Dietrich (mit den skizzierten Modifikationen) vorzugeben: Trotz aller Unterstützung und aller Siege, trotz intakter Beziehung zwischen Herrscher und Gefolgsleuten gelingt es nicht, Siege auszunutzen, schlagen Siege in Niederlagen um, gelingt es den ‹Bösen› zu entkommen. Die Vertreter des Guten finden zwar immer wieder Unterstützung und unternehmen immer wieder neue Anläufe gegen die Macht des Bösen; auf die Dauer aber ist seiner zumindest in den Fluchtepen (‹Alpharts Tod› bietet wenigstens vorübergehend eine Alternative) nicht habhaft zu werden. Dass das für die Texte selbst ein Problem darzustellen scheint, belegen die Gegenakzente, die gesetzt werden: Zwar gelingt es nicht, Ermrich dauerhaft auszuschalten, und auch Witege entkommt; doch ereilt einerseits die Strafe wenigstens die Bösen niederen Rangs (in ‹Dietrichs Flucht› Ribstein, in der ‹Rabenschlacht› immerhin Sibeche selbst); andererseits stellen die Vorausdeutungen auf Gottes gerechte Strafe für Ermrich54 ein symbolisches Gegengewicht dar. Die Texte etablieren also zumindest auf dieser Ebene massiv die simple Mechanik moralisierenden Erzählens: den Lohn der Tugend, die Bestrafung des Lasters, auch wenn dies nur behauptet, nicht erzählt wird. Damit wird jedoch menschliche Rache nicht etwa in die Schranken verwiesen;55 Dietrich überlässt keineswegs passiv Gott die Rache. Sowohl die Kritik an Dietrichs Klagen als auch die Erzählstruktur immer neuer Versuche, Rache zu nehmen und das Reich zurückzuerobern, zielen auf die Überwindung drohender Resignation. Es geht auch nicht darum, unschuldig erlittenes Unrecht und Unglück mit unerschütterlicher virtus zu ertragen;56 Dietrichs auch durch Misserfolge unbeirrbarer, immer wieder neu ansetzender Kampf gegen das Böse ist nicht auf moralische oder gar religiöse Ziele gerichtet, sondern auf die Wiedererlangung der Herrschaft. Inwieweit die zyklische Struktur der Fluchtepen, die wiederholte Folge von Sieg und Verspielen des Siegs, auf das ebenfalls zyklische fortuna-Konzept, die Folge von Aufstieg und Fall, zu beziehen ist, muss wohl offen bleiben: Die Polarität von virtus und fortuna ist terminologisch nicht hinreichend präsent, auch wenn der arme Dietrich seine unsælde (‹Glücklosigkeit›, DF v. 7730; RS 896,6; DF v. 3564 in Erzählerrede) beklagt, die teilweise ausdrücklich auf Gottes Wirken zurückgeführt wird: Gott, so der Berner etwa in

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Vgl. DF v. 3511f., 4289–4295, 6553–6555, 9356–9366, 9607–9613; RS Str. 79f.; 562,6–563,6; 817,6; vgl. S. 109f., 161f. So FIRESTONE 1989 (LV Nr. 218), S. 70. Ebd.

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Moralisierung und Ambiguisierung

seiner Verzweiflung über Witeges Verrat, habe ihn, Dietrich, so reht unsælich gemacht (DF v. 7736). Auffällig oft wird in den Fluchtepen (ähnlich häufig, aber nur kurz und formelhaft in ‹Alpharts Tod›,57 nicht im erhaltenen Fragment von ‹Dietrich und Wenezlan›) Gott angerufen, werden von Protagonisten und Erzähler Gottes Beistand und Erbarmen für Dietrich reklamiert,58 Ermrichs Bestrafung und Verdammnis beschworen (siehe oben); Gegner werden bisweilen mit dem Teufel in Verbindung gebracht (vgl. S. 196).59 Auch Dietrichs Helden führen Gott im Mund.60 Diether stirbt nach einer ‹Notkommunion› mit Erde (RS 456,3– 458,6); vor der Schlacht von Raben legen die Krieger die Beichte ab (RS Str. 511–513). All das ist eine Konsequenz aus der Moralisierung; die ‹Guten› vertrauen auf Gott, und der Erzähler bekräftigt das. Anerzählt wird damit gegen die Rolle des Gottverlassenen, als der sich Dietrich im ‹Nibelungenlied› stilisiert. Dietrich beklagt zwar auch in den Fluchtepen verzweifelt sein Unglück: «Got schire mich geschende, unsælde si mir ouf getan! Nimmer mer werd ich geheilet, elliu vroude sei mir widerteilet! Des bit ich vleizliche dich, vil heiliger got, ich armer Dietriche. [...]» (RS 895,3–896,3 und ff.; vgl. auch DF v. 9895f., 9947–9950). Bisweilen bittet er, der Topik von (Toten-)Klagen entsprechend, gar um den eigenen Tod, bedauert, je geboren zu sein.61 Der wiederholt beschworene Beistand Gottes (als Tatsache – z.B. Da nerte got den edelen Bernære, RS 807,6; vgl. auch DF v. 5647f. und ff. – oder als Hoffnung auf Abhilfe – DF v. 4601–4605, 10 016–10 024) korrigiert die immer wiederkehrenden Anflüge von Verzweiflung, stellt ein trotz allem glückliches Ende in Aussicht und ist damit gleichsam als metaphysisches Pendant zu Dietrichs Nicht-Aufgeben konzipiert. Gebete freilich ändern weder Verhalten noch Bewertungsmaßstäbe der Kämpfer (vgl. auch S. 185f.): Erstrebt wird göttlicher Beistand in der Schlacht, ja bei der Rache: «[...] Ich [Dietrich] bite dich, heiliger Christ, daz du mir gebest so lange vrist, la mich leben so lange gesunt und gefuge mir noch die stunt,

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Vgl. z.B. AT v. 415/105,2; 425/107,4; 437/110,4; 469/118,4; 756/190,3; 834/210,1; 889/223,4; 905/ 227,4; 1033/260,2; 1061/267,2; 1065/268,2; 1115/280,2; 1383/347,4; 1720/432,1; in AT aber auch von Alpharts Gegnern, z.B. AT v. 950/239,1; 953/239,4. Vgl. DF v. 4208, 4459f., 4844, 6378, 6400–6406, 7794; RS 32,1–5; 331,1f. u.ö. Vgl. DF v. 3731, 7835. Z.B. Dietleib (DF v. 3992–3994), Rüdiger (RS 209,1; 210,5f.), Elsan (RS 311,5f.), sogar Hildebrand (DF v. 3837, 4374–4378, 4529, 4602–4605) und Wolfhart (DF v. 6037f., 6137, 10016–10024). Vgl. DF v. 3805, 4010–4012, 4121f.; RS 886,4–888,3; 891,6; 892,3; 898,6.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

daz ich gereche miniu leit. [...]» (DF v. 4432–4436; anlässlich der Vertreibung); [...] «Herre got vil g*te, nu la mich [Dietrich] noch den tach gelebn und r*ch mir die vrist gebn, daz ich mich herzenliche gereche an Ermriche!» (DF v. 8203–8207; vor der Schlacht von Bologna). Darin liegt vor allem eine Legitimationsstrategie im Krieg: «[...] Dar z* sei mir din helfe frum, herre vater, heiliger geist, want du min reht wol weist. [...] Nu r*ch mir ze helfe chomen, und niwan als ich reht han! Swaz hiut hie wirt getan, daz riche, vil heiliger Christ, in den, der reht schuldich ist! [...]» (DF v. 8709–8719, vgl. auch ff.; ähnlich Rüdiger RS 210,5f.); «[...] Der [Jesus] sol ouch min reht bedenchen und helfe mir minen veint bechrenchen. [...] nu hilf mir ouch an dirre vrist, daz ich min leit gereche, und velle ouch mich, ob ich unrehte spreche! Hilf mir wan nach minen schulden, als ich reht han. [...]» (RS 312,5–314,2 und ff.). Nach den Selbstverwünschungen bittet Dietrich Gott, ihn für die Rache an Witege am Leben zu lassen (RS 902,5f.). Dass der Erzähler bei der Schilderung der Schlachten (vor allem in der ‹Rabenschlacht›) Mitgefühl für beide Seiten aufbringt (die wirklichen Drahtzieher ausgenommen), dass Dietrich selbst bisweilen Gegner schont (Siegfried und Fruote, RS 681,5– 683,3; 792,3–796,6) und auch gegnerische Tote bestatten lässt (DF v. 10 027–10 037; AT v. 1850f./464,3f.), ist nicht ausdrücklich christlich motiviert, sondern teils altepische Tradition (Balance von Leid und Mitgefühl auf beiden Seiten), teils Zugeständnis an höfische Gegnerschonung und das mittelalterliche Herrscherideal der Barmherzigkeit. Dass die Botschaft der ‹Rabenschlacht› klerikal sei, Warnung vor Rache und Mahnung zur Vergebung,62 wird durch die Sympathielenkung zugunsten der kampflustigen Jünglinge und durch die Variationen über das Thema ‹Rache› widerlegt (vgl. auch S. 185f., 224, 225 u.ö.). Selbst bei der

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Vgl. FIRESTONE 1989 (LV Nr. 218), S. 70.

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‹Heroische› und ‹pragmatische› Heldenkonzeptionen

Rehabilitation Dietrichs durch das hunnische Königspaar geht es nicht um Vergebung, sondern um «Unschuldsbeweise[]»;63 Figuren und Erzähler reklamieren Gottes Hilfe bei Racheaktionen für sich. Die Erzählervorausdeutungen auf Gottes Rache an Ermrich kritisieren nicht Dietrichs Racheverlangen, sondern tragen dem Bedürfnis des Publikums nach poetischer Gerechtigkeit Rechnung.

7. ‹Heroische› und ‹pragmatische› Heldenkonzeptionen Dem vor allem im ‹Nibelungenlied› exponierten heroischen Handlungsmuster von Gewaltbereitschaft und Ausrichtung auf Nachruhm, ohne Rücksicht auf fremdes oder eigenes Leben, entspricht am ehesten Wolfhart,64 auch wenn er in der ‹historischen› Dietrichepik am Leben bleibt (für den Amelungenuntergang im ‹Nibelungenlied› am Leben bleiben muss). Alphart vertritt mit den Idealen des fairen Zweikampfs und der Schonung wehrloser Gegner eher ritterliche als heroische Ideale (heroische Gattungstraditionen kennen den skrupellosen Einsatz von Täuschung und List ebenso wie überlegene Kampfkraft);65 die exorbitante Kompromisslosigkeit, mit der er, selbst um den Preis des eigenen Lebens, an diesem Ideal festhält und auf von ihm selbst gesetzten Regeln (Nicht-Preisgabe der eigenen Identität) beharrt, kann freilich als heroisch gelten.66 In ‹Alpharts Tod› wird der Erwerb heroischer fama und Memoria schlechthin inszeniert;67 an Alphart wird vorgeführt, wie ein junger Krieger zum Helden wird: Dass Alphart hartnäckig darauf insistiert, den vorgeschlagenen Wartritt selbst zu übernehmen, ist nicht «Übermut»,68 obwohl teilweise als vormeßentlich (AT v. 414/105,1; 434/110,1) gekennzeichnet, sondern Notwendigkeit, sich als Held zu profilieren und die Anerkennung der Gemeinschaft zu erlangen (vgl. bes. S. 152). Die folgenden Episoden bestätigen die bis dahin nur verbal behauptete Überlegenheit des jungen Helden sogar gegenüber Hildebrand (AT v. 536/135,3f.) und im Urteil Dietrichs (AT v. 559–561/Str. 141). Auch der Sieg über die Wolfing-Truppe demonstriert Alpharts Heldentum, zeigt indes zugleich «die Grenzen [...], innerhalb derer der Held das Unmögliche leisten kann»:69 Der Einzelheld kann nur siegen, wenn die Gegner sich an die Regel des Einzelkampfs halten und dafür mit dem Leben bezahlen. Im weiteren Verlauf wird Alphart konsequent gegenüber Witege und Heime herausgestrichen: Seinen Gegnern ist der junge Held an Tapferkeit und Kampfkraft überlegen (AT, bes. v. 946–980/Str. 238–246); seine Ritterlichkeit (AT v. 978–80/246,1–3) alleine lässt ihn Witege schonen und ermöglicht damit den Doppelangriff. Als tödlich erweist sich Alpharts Resistenz gegen jede Art von Pragmatismus. Alphart «verhindert [...] die vor allem von Heime angebotene friedliche Beilegung des Konfliktes»,70 lässt den Gegnern keine andere Mög-

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PHILIPOWSKI 2006 (LV Nr. 485), S. 269. Vgl. auch KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 145. Vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 178. Vgl. z.B. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 37–46. Vgl. MÜLLER 2007 (LV Nr. 467), S. 178–182. Vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 170–181. Ebd., S. 175. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 20.

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Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen

lichkeit als entweder zu töten oder getötet zu werden, wenn er seinen Namen verschweigt und sein Wappen verbirgt, obgleich – oder weil – Heime ausdrücklich erklärt, gegen einen Dietrichhelden nicht kämpfen zu wollen (AT v. 1037f./261,2f.; vgl. auch v. 991–993/250,2– 4).71 Alphart zieht aus, um sich selbst einen Namen zu machen (der Name steht metonymisch für Ruhm und Status und damit für die Identität des Helden); daher verschweigt er seinen Eigennamen72 ebenso wie seinen Status als Dietrichheld – erst die exorbitante Ruhmestat verleiht ihm seinen Namen im Sinne von fama und Memoria. Dass hier Ruhm an den Tod des Helden geknüpft ist, entspricht heroischem Verhalten, wie es im ‹Nibelungenlied› von Wolfhart (NL Str. 2265ff., bes. 2301–2303) und – bei der Ablehnung von Dietrichs finalem Ausgleichsvorschlag – von Hagen (NL 2341,2f.) vorgeführt wird. Eindeutig ist die Sympathielenkung zugunsten Alpharts: durch die Solidarisierung der Dietrichhelden und Verbündeten zur Racheschlacht für den Getöteten; durch Erzählerkommentare, die nur Witege und Heime verurteilen, nicht den jungen Helden und seine rigorose Haltung: Alpharts Tod ist ein klarer Bruch von reht.73 Witeges anfängliche Bereitschaft, auf Alpharts Kampfbedingungen einzugehen, und Heimes Skrupel bei der Verletzung der Regeln bestätigen diese als überpersönlichen Ehrencodex zumindest in der Theorie (vgl. bes. AT v. 1012–1019/Str. 255f.; ferner z.B. v. 1107/278,4; 1119/281,2; 1149/288,4).74 Der Rechtsbruch wird «erklärt durch Eide und triuwe unter den Angreifern» und «spiegelt nicht den Konflikt zweier Normensysteme, sondern Pflichtenkollission [sic!] innerhalb desselben Systems wieder [...]. Die Normen, auf die sich Alphart beruft, haben sich nicht überholt, und aus dem Gewissenskonflikt der Angreifer wird dies deutlich».75 Vbermut wäre es, dem Text nach, lediglich gewesen, mutwillig gegen eine vielfache Übermacht anzutreten, wovor Alphart dezidiert zurückschreckt (AT v. 760f./191,3f.); sein Tod bleibt von diesem Vorwurf frei. Alphart stirbt, weil er allein ist – anders als Hildebrand im zweiten Teil, der auf helfe rechnen kann. Der Verzicht auf helfe (gegen den Wunsch der Frauen, AT v. 444f./112,3f.; vgl. auch v. 1176f./295,3f.) ist nur final motiviert: Alphart muss sterben, soll aber selbst in der Niederlage als überlegener Held erscheinen, was durch den feigen Doppelangriff gewährleistet wird. Dennoch ist Alpharts Position offensichtlich nicht nachahmenswert. Hildebrands zugleich parallele und kontrastierende Handlungen führen erfolgreichere Alternativen vor Augen (vgl. auch S. 124): «Wenn [...] Alphart und Hildebrand in analogen Situationen als unterschiedlich reagierend dargestellt werden und der Erzählverlauf den einen ehrenvoll scheitern, den anderen indes ebenso ehrenvoll siegen läßt, dann wird es Zeit, den Text vom Ausgang her, d.h. aus der Perspektive des Erfolgreicheren noch einmal zu durchdenken».76 Auch isoliert sich Alphart sehr weitgehend, indem er gegen Rat und Wunsch seines Gefolgsherrn und seiner Verwandten als Einzelkämpfer agiert. Freilich macht ihn sein Tod durch die Gegner des DietrichheldenKollektivs wieder zum Glied seiner Gemeinschaft, die nicht nur seinen Tod rächt, sondern auch seinen Ruhm bewahrt (nur insofern hat Alphart eine Zukunft, als seine im ehrenvollen

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73 74 75 76

Vgl. auch ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 177f. Zu Namensnennung und Verschweigen des Namens und zum Zusammenhang von Name und Identität vgl. auch LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 126f., 154, 163f., 166. Vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 179 u.ö. Vgl. ebd., S. 177, 179. Ebd., S. 179. Das Folgende ebd., S. 180. BEHR 1992 (LV Nr. 139), S. 18f.

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‹Heroische› und ‹pragmatische› Heldenkonzeptionen

Tod erworbene postume Memoria zu dauern verspricht und als die Rache für ihn zugleich Sieg über Ermrich bedeutet, Dietrichs Herrschaft also im Horizont des erhaltenen Textes stabilisiert). Der heroische Held ist, zumal in der verklärenden Verbindung mit hehren ritterlichen Idealen, wohl Sympathieträger, aber kein Handlungsvorbild, eher letztes Exemplar einer aussterbenden Gattung (ähnlich wie der alte Ritter in der Schar Herzog Wolfings, der ebenfalls auf Einhaltung eines ritterlichen Kampfcodex drängt). Das Sterben des Einzelnen ist Auslöser für den kollektiven Sieg, insofern die Rache für Alphart Solidarität stiftet und die Kampfanstrengungen gegen Ermrich verstärkt. Ein heroisches Opfer für die Gemeinschaft ist aber in Alpharts unnötigem Tod schwerlich zu sehen. Telos des heroischen Einzelnen mag der Nachruhm sein. Die Gemeinschaft der Dietrichhelden und Dietrich selbst zielen dagegen langfristig (wie vorläufig der einzelne Erfolg auch sein mag) auf Sieg, auf die Rückeroberung Italiens, die Rache an Ermrich. Daher entzieht sich der Berner, anders als bei den verräterischen Einladungen der heroischen Tradition, der Gefahr, statt auf ihr zu insistieren (vgl. S. 187). Memoria spielt in Dietrichs Überlegungen keine Rolle (sein Sagenruhm wird vorausgesetzt, vgl. S. 143f.), unter den Dietrichhelden nur bei Wolfhart (vgl. bes. S. 202, 204). Der hat seine wichtigen Funktionen: Tapferkeit im Kampf, Aufmunterung der Krieger, bisweilen auch Dietrichs; doch stehen komplementär die pragmatischen, erfolgsorientierten Ratgeber Hildebrand und Rüdiger. Man lässt Wolfhart gewähren, erkennt seine Teilerfolge an; die zentralen Entscheidungen freilich treffen andere. Trotz hyperbolisch herausgestrichener Tapferkeit in den Schlachten kommt es angesichts von Ermrichs Übermacht stets in erster Linie darauf an, sich durch List und Skrupellosigkeit Vorteile zu verschaffen (vgl. auch S. 252). Heroischer Kampf und pragmatisch-strategische Klugheit wirken zusammen. In der verschriftlichten mittelhochdeutschen Heldenepik mischen sich von Anfang an romanhafte und heldenepische Konzeptualisierungen von Heldentum, heroische Krieger und höfische Ritter, und auch in der ‹historischen› Dietrichepik zeigt sich solche Hybridisierung in den Heldenkonzeptionen:77 im Nebeneinander ‹höfisierter› und ‹heroischer› Helden; in der Arturisierung Etzels; in Ansätzen zu einer «metatextuelle[n] Perspektivierung»78 Wolfharts, der seine traditionelle Rolle spielt; in einem Anflug von Problematisierung des Heldenjünglings Alphart und der kampflustigen Jungen in der ‹Rabenschlacht›; im «pragmatische[n] Heldenethos»,79 wie es vor allem Hildebrand propagiert und agiert, in den pragmatischen Facetten der Gestalt Dietrichs von Bern.

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Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 145–154. Ebd., S. 91. RUH 1979 (LV Nr. 505), S. 24.

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VI. Deutungsfragen

1. Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik Heroische Überlieferung hat bekanntlich, trotz ihrer Abweichungen von den Fakten, nicht als Fiktion zu gelten, sondern als spezifische Form mündlicher Überlieferung des illiteraten Kriegeradels. Heldensage bewahrt Erinnerungen an historische Ereignisse der Frühzeit der eigenen Gemeinschaft, des heroic age, im Fall der Germania der Völkerwanderungszeit. Der Dietrich von Bern der Sage entspricht dem historischen Ostgotenkönig Theoderich dem Großen; der historische Kern wird dabei jedoch überformt: Der historische Sieger wird zum Vertriebenen, die politisch-militärische Gegnerschaft zu Odoaker zum Familienkonflikt; Ermanarich-Ermrich (gest. 375/376), Attila-Etzel (gest. 453) und Theoderich-Dietrich (um 451/453–526) treten anachronistisch in Kontakt (vgl. S. 28 u.ö.).1 Man begreift die sagenmäßige Überformung historischer Ereignisse seit Jahrzehnten nicht als Enthistorisierung, sondern als Form der Bewältigung von Geschichte, indem man sie sich erklärbar macht durch Annäherung an vertraute Wahrnehmungs- und Erzählmuster.2 Dabei werden regelhaft – es gehört dies zu den konstitutiven Merkmalen des «kulturellen Gedächtnisses»3 – ‹faktische› Details nicht bewahrt, schieben sich Zeitabläufe unbekümmert um exakte Datierungen ineinander. Häufig bleiben dagegen Personennamen oder markante Ereignisse als Erinnerungskerne, markante Schauplätze als Erinnerungsorte im Gedächtnis haften, wohl weil sie das kollektive Gedenken stützen können: «Die Absicherung des Wahrheitsanspruches der Heldenepik [...] erfolgt im wesentlichen über Namen.»4 Zeitpunkte dagegen – nicht anschaulich, sondern nur abstrakt zu bestimmen – entziehen sich einer anderen als schriftlichen Fixierung und gerinnen in der Mündlichkeit über die Jahrhunderte zu einer unbestimmt fernen, aber dennoch, nach allem, was man erschließt, ‹geglaubten› «Vorzeit»5 – in Einzelheiten und in der Anpassung an die Bedürfnisse der jeweiligen Rezipientenzeit durchaus fließend. Die diametrale Umkehrung der historischen Tatsachen freilich, die Transformation des erfolgreichen Eroberers und Herrschers Theoderich in den glücklosen Exilanten (vgl. S. 29f.), ist auch in diesem Kontext ein Extremfall. Die mittelhochdeutschen Texte allerdings betrifft dieses Problem nicht mehr: Dietrich ist in sei-

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Zusammenfassend z.B. HEINZLE 21994 (LV Nr. 312), S. 25–27. Grundlegend: HAUG 1971 (LV Nr. 277), vgl. auch S. 29f. Vgl. bes. ASSMANN 1992 (LV Nr. 126); vgl. auch ASSMANN 1999 (LV Nr. 125). LENSCHOW 1996 (LV Nr. 411), S. 251. Zur Anlehnung mittelhochdeutscher Heldenepik an historische Personennamen vgl. ebd., S. 184–187; S. 187–192 aber auch der Hinweis auf die Suggestion scheinbarer Authentizität durch «neugeschaffene Namen», z.B. «aus gängigen Rufnamen und real situierten Herkunftsbezeichnungen» (Zitate S. 187). Noch BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 139.

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Deutungsfragen

ner festen Rolle etabliert; den Bezug zum Gotenkönig Theoderich belegen die Chroniken; für die Dichtungen spielt er keine Rolle. Dem kollektiven Gedächtnis geht es nicht um exakte politische Konstellationen, sondern um eine Vergangenheit, die nicht Faktengeschichte, sondern Vorgeschichte der eigenen Gegenwart und Lebensform ist. Auf diesen etwas allgemeinen Nenner wird man wohl die Verbindlichkeit der Dietrichüberlieferung weitgehend reduzieren müssen. Eine «formative» oder «normative» Funktion «identitätssichernden» kollektiven Wissens6 ist in diesem Fall nicht konkret festzumachen. Als Adelsüberlieferung dürfte Dietrichdichtung zwar bis in die Frühe Neuzeit hinein einen Rest von Verbindlichkeit bewahren – worin immer die im Einzelfall bestehen mag. Im Kern aber scheint die Dietrichsage weder als Mittel der Orientierung und Handlungsanweisung noch für das Herkommen adliger Rezipienten des hohen und späten Mittelalters eine Rolle zu spielen. Anknüpfungen an Dietrich selbst sind selten (im Grunde auf Karl den Großen und Maximilian I. beschränkt). Als quasi-nationale Leitfigur (wie Charlemagne für Frankreich) spielt Theoderich-Dietrich keine Rolle. Zwischen dem italienischen Ostgotenreich und Karls des Großen Imperium bestand keine direkte Kontinuität, auch wenn Karls wohl letztlich reichsgeschichtlich motiviertes Interesse an Theoderich u.a. durch die Theoderich-Statue belegt ist, die er aus Ravenna nach Aachen bringen ließ (bezeugt vor allem durch das polemische Gedicht ‹De imagine Tetrici› des Walahfrid Strabo).7 Die Theoderich-Überlieferung der Chroniken ist durch theoderichfeindliche Tendenzen dominiert; der arianische ‹Ketzer›, der für den Tod des Boethius, Symmachus und des Papstes Johannes I. verantwortlich gemacht wurde und dem man seit Gregor dem Großen ein spektakuläres Ende durch Höllensturz zuschrieb,8 dürfte sich für klerikal Gebildete als Identifikationsfigur schwerlich anbieten. Die volkssprachige Dietrichüberlieferung zeichnet mit der Figur des glücklosen Siegers (aber auch mit dem siegreichen aventiurehaften Dietrich) keinen Prototypen erfolgreicher Herrschaft; auch fehlt ihr die Orientierung an Heilsgeschichte und translatio imperii.9 Eine lokale Anbindung geht (von der durch Giovanni Mansionario10 dokumentierten Veroneser Ortssage abgesehen) weitgehend verloren: «[S]eine ‹Historisierung› muß notwendigerweise unvollkommen bleiben und der Held von Verona konnte deshalb später auch nicht ‹nationalisiert› werden».11 Der Typus ‹Hausüberlieferung›12 scheint ebenfalls für die Dietrichüberlieferung im Kern keine Rolle zu spielen. Einzelne lokale oder genealogische Anknüpfungen betreffen nicht

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Begriffe von ASSMANN 1992 (LV Nr. 126), S. 16f., 18, 142, nach ihrer Anwendung auf die Nibelungensage durch HEINZLE 1998 (LV Nr. 316), S. 207. Zu Karls des Großen Interesse an Theoderich vgl. bes. LÖWE 1958 (LV Nr. 424); vgl. z.B. auch HAUBRICHS 1989 (LV Nr. 269), S. 22f.; ders. 2002 (LV Nr. 273), S. 88; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 194. Zu Walahfrid Strabo: DÄNTL 1930 (LV Nr. 104), Text S. 2–23; HERREN 1991 (LV Nr. 105); vgl. bes. ZIMMERMANN 1972 (LV Nr. 617), S. 149–152, 198 (Text), passim; THÜRLEMANN 1977 (LV Nr. 562); MAROLD 1985 (LV Nr. 431), bes. S. 450, 468f.; HERREN 1992 (LV Nr. 329); HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 13; SMOLAK 2001 (LV Nr. 543); vgl. auch Test. Nr. 48. Vgl. Test. Nr. 31 und Verzeichnis der Eigennamen, Motive, Begriffe zur Dietrichüberlieferung. Vgl. auch GRAUS 1975 (LV Nr. 248), S. 39–46; NEUDECK 2003 (LV Nr. 476), S. 88f. Vgl. Test. Nr. 187. GRAUS 1975 (LV Nr. 248), S. 45. Vgl. HAUCK 1961 (LV Nr. 274); kritisch GRAF 1993 (LV Nr. 247).

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

den Dietrich der Fluchtsage, sondern deren Ränder:13 die Harlungensage (das bekannteste Beispiel für genealogische Anknüpfung sind die ‹Pegauer Annalen›, die die Genealogie des Wiprecht von Groitsch auf einen der Harlungen zurückführen14), das angebliche Riesengrab des Dietrichhelden Heime in Stift Wilten bei Innsbruck15 sowie das aventiurehafte Motiv der Rettung eines Halbverschlungenen aus einem Drachenmaul.16 Vielleicht deuten aber gerade diese eher peripheren Belege auf ein Bedürfnis, an die Dietrichüberlieferung anzuschließen, wie weit hergeholt auch immer, gerade weil Dietrich selbst wenig Anknüpfungsmöglichkeiten bot. Maximilians bewusster Anschluss an Theoderich-Dietrich (vgl. S. 98f.) gilt wohl dem Vorgänger in der Funktion des Herrschers. (Ob, analog zu Artus, wo Maximilian nur Romane gekannt haben kann, immer nur der Dietrich der Heldensage gemeint ist,17 ist nicht sicher, vergewissert sich doch gerade auch die humanistische Geschichtsschreibung des historischen Gotenkönigs; dass Maximilian in seiner Theoderich-Dietrich-Rezeption aber auch den Sagenhelden im Auge hatte, den er nicht vom historischen Herrscher trennte, ist offensichtlich.) Eine neuere umfassende Untersuchung zu möglichen Dietrichsagennamen in urkundlichen Zusammenhängen fehlt18 (aus den Dietrich-Testimonien war dieser Komplex aus methodischen Überlegungen heraus ausgeschlossen gewesen) und dürfte auch wenig Erkenntnisgewinn versprechen; die Menge auch nur der Träger der Namen Dietrich und Hildebrand ist praktisch unüberschaubar; im Regelfall dürfte aus der Namengebung höchstens auf Sagenkenntnis zu schließen, Nachbenennung nicht zu sichern sein. Für die frühen Jahrhunderte gilt heroische Überlieferung unstrittig als kollektive Memoria einer (semi-)oralen Kriegeradelsgesellschaft und damit in gewisser Weise als Geschichtsüberlieferung; in vorschriftlichen Gesellschaften wird «‹frühen› Erzählformen» als «Kristallisationen einer mémoire collective» «verbindliche Wahrheit» zugeschrieben.19 Inwieweit das noch für die verschriftlichten und literarisierten Heldenepen des 13. Jahrhunderts gilt, ob sich die Verbindlichkeit der kollektiven Memoria ins Medium der Schriftlichkeit und über etliche Jahrhunderte hin fortsetzt und welchen Status (Geschichtlichkeit? ‹Wahrheit›?) die erzählte Vergangenheit hat, ist schwer zu fassen.20 Frühe Zeugnisse für eine «formative» Funktion der Fluchtsage fehlen. Anscheinend spielt erst im Spätmittelalter die spezifisch geschichtliche

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Möglicherweise kann auch die singuläre Aussage der ‹Quedlinburger Annalen› (vgl. auch S. 34f.), der von Theoderich besiegte Odoaker sei in die Gegend des Zusammenflusses von Elbe und Saale verbannt worden (‹Annales Quedlinburgenses›, GIESE 2004, LV Nr. 11, S. 411) auf «lokalhistorisches Interesse des Chronisten» und eine nachträglich gesuchte Verbindung des Ortes Etgersleben mit der Sage zurückgeführt werden (BELZER, 1993, LV Nr. 141, S. 85 und f.). ‹Annales Pegavienses› (PERTZ/WAITZ 1859, LV Nr. 9); vgl. bes. GRAF 1993 (LV Nr. 246), S. 45, 48f.; HAUBRICHS 2000 (LV Nr. 272), S. 359–361; Test. Nr. 95. Vgl. Test. Nr. 145, 333, 336; vgl. bes. SEEMÜLLER 1895 (LV Nr. 542); REICHERT 1994 (LV Nr. 493). Zur Burgdorf-Sage vgl. bes. SCHNEIDER 21962 (LV Nr. 521), S. 271−274, bes. 273f.; GRAF 1993 (LV Nr. 246), S. 56f.; HEINZLE 1999 (LV Nr. 317); BÄRMANN 2001 (LV Nr. 128), S. 244−312; Test. Nr. N32. So JOHANEK 2002 (LV Nr. 346), S. 24. Vgl. immer noch GRIMM 41957 (LV Nr. 251). Zitate GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 177. Dezidiert für fortdauernde Verbindlichkeit v.a. HEINZLE 1998 (LV Nr. 316); vgl. auch ders. 1995 (LV Nr. 314); skeptisch für die späte Heldendichtung z.B. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 102f.; schon für das 12. und 13. Jahrhundert KRAGL 2007 (LV Nr. 392), bes. S. 64f., 83.

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Deutungsfragen

Dimension der Dietrichüberlieferung wieder eine Rolle – in bewusster, sekundärer Rehistorisierung, nicht in fragloser Kontinuität, so z.B. in der Druckfassung des ‹Eckenlieds› und in der ‹Heldenbuch-Prosa›;21 auch Maximilians Dietrich-/Theoderich-Rezeption und der Kurzschluss zwischen Theoderich-Historie und aventiurehafter Dietrichüberlieferung durch Allegorisierung der letzteren im 16. Jahrhundert (vgl. S. 98f., 101) liegen auf dieser Ebene. Dass aber eine solche Wiederanknüpfung in verschiedenen Kontexten möglich ist (und zwar – abgesehen von Maximilians etwas wahlloser Anbindung an die Trojaner, an Artus und an Theoderich – selektiv), erlaubt den vorsichtigen Schluss, dass man an eine Tradition geglaubter Verbindlichkeit anknüpfen konnte. Verkompliziert wird die Problemlage dadurch, dass das kulturelle Gedächtnis bekanntlich anderen als historiographischen Prinzipien folgt: Es geht grundsätzlich um die Bewahrung der Vergangenheit nicht als solcher, sondern für die jeweilige Gegenwart: Veränderung, Anpassung, Aktualisierung sind daher konstitutiv; daraus, nicht aus der (in der Mündlichkeit unmöglichen) Fixierung von Wissensbeständen resultiert ihre Verbindlichkeit. ‹Geschichtlichkeit› besteht hier in der Wechselwirkung zwischen Memoria und Aktualisierung. Medium der verschriftlichten Heldenepen ist aber nur noch im Vortrag die Mündlichkeit; aus der Schriftlichkeit rühren andere Fixierungsmöglichkeiten – auch wenn offensichtlich (erkennbar am Auftauchen ‹alter› mündlicher Sagentraditionen in späten Zeugnissen wie dem ‹Lied vom Hürnen Seyfrid› oder der ‹Heldenbuch-Prosa›) mündliche Traditionen immer wieder punktuell in die Schriftlichkeit einfließen können. Im Horizont der Schriftlichkeit ergibt sich auch – zumindest theoretisch – die Konfrontation mündlich-heroischer mit schriftlich-chronistischer Geschichtsüberlieferung. Nur der Theoderich-Dietrichstoff partizipiert in signifikantem Ausmaß an beiden Traditionen. Daher stellt sich das Problem nur da – und auffälligerweise nur einseitig: Zwar setzt sich die Chronistik immer wieder mit der mündlich-heroischen Dietrichüberlieferung auseinander, entweder in bloßer Kenntnisnahme ihrer Existenz oder in dezidierter Sagenkritik, nicht aber die volkssprachige Dietrichdichtung mit der TheoderichTradition der Chroniken: Die Dietrichepik bleibt (wenn man von den erwähnten spätmittelalterlichen Historisierungstendenzen absieht) von der Tradition der Chroniken fast unberührt. Allenfalls die genealogische Vorgeschichte der ‹Flucht› kann als ein Anerzählen gegen Dietrichs zweifelhafte Legitimität in der weit verbreiteten ‹Kaiserchronik› und andernorts verstanden werden (vgl. S. 245f. und A. 73). Für das Verhältnis zwischen Fluchtsage bzw. Fluchtepen und Chronistik spielt nur ein Aspekt eine Rolle – und der nur in der Chronistik: die anachronistische Zeitgenossenschaft von Theoderich-Dietrich und Attila-Etzel (gelegentlich auch von Ermanarich-Ermrich), der Hauptansatzpunkt für die Sagenkritik in der Tradition Frutolfs von Michelsberg (vgl. bes. S. 36). Gerade diese Sagenkritik belegt indes die prinzipielle historische Referenzialisierbarkeit und Referenzialisierung des Sagenhelden und damit den Anspruch der Sage auf ‹Geschichtlichkeit›: Wäre der Dietrich der Sage nicht mit dem historischen Theoderich identisch gedacht, Etzel nicht mit Attila, gäbe es keinen Grund, an der sagenmäßigen Zeitgenossenschaft Anstoß zu nehmen. Die Fluchtsage scheint, anders als die offensichtlicher wirklichkeitsferne Überlieferung von Dietrichs Abenteuern (die erst um 1400 zum Gegenstand der

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Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390); MÜLLER 1985 (LV Nr. 461).

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

Kritik wird), als Konkurrenzüberlieferung zur Historiographie gegolten zu haben;22 insofern bestätigt die Sagenkritik der Chroniken eher den Glauben an die Sage, als dass sie ihn widerlegt. Gleichzeitig markiert der Fokus der Kritik das für mittelalterliche Chronisten anscheinend zentrale Unterscheidungsmerkmal von Sage und Geschichtsschreibung: den Umgang mit der Chronologie. Anders als die Sage ordnet die mittelalterliche Chronistik Ereignisse und Personen in die series temporum der Geschichte ein. Hintergrund ist das Anliegen, den eigenen Ort in einer Geschichte zu bestimmen, die in erster Linie als von Gott gelenkte Heilsgeschichte gedacht ist; das erklärt die Intensität der Bemühungen um korrekte Zeitrechnung und möglichst genaue Einordnung aller (auch der ‹säkulargeschichtlichen›) Ereignisse in das Zeitraster der Weltalter und Weltreiche, im sechsten Weltalter zudem in das der Kaiser- und Papstreihen.23 Zugleich verweist die Kritik an den Anachronismen auf das zentrale Merkmal mündlich-kollektiver Memoria: das Verschwimmen exakter Datierungen und zeitlicher Abfolgen, die Tendenz zur Synchronisierung. Hinzu kommt die Frage der Verbürgtheit: Frutolf stößt auf das Anachronismusproblem durch die Konfrontation zweier unvereinbarer Traditionen: der Sage (und ‹gewisser› an der Sage orientierter Chroniken) auf der einen Seite, der Hauptquelle der Gotengeschichte, Jordanes, auf der anderen. Er selbst wahrt weitgehend Neutralität; in der Folge aber konzentriert sich die Kritik tendenziell auf die Sage. Anscheinend hat diese einen Status minderer Verbürgtheit, auch wenn noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Thiodericus von Deutz in seinem ‹Chronicon universale brevissimum› «die narrationes et decantationes tragicorum über Attila, Ermanarich und Dietrich neben das Zeugnis der Geschichtsschreiber stellte».24 Bisweilen schwingt die geringere Verbürgtheit mit in der Zuweisung der Sagenüberlieferung an rustici oder (ge)buren, nichtgebildete Träger oder Rezipienten.25 Ausdrücklich thematisiert wird das Kriterium der Verbürgtheit durch zuverlässige Quellen allerdings erst durch Jakob Twinger von Königshofen in seiner ‹Deutschen Chronik› (1382–1420) und in Bezug auf aventiurehafte, nicht ‹historische› Dietrichüberlieferung: Doch sit Dieterich von Berne, von dem die geburen singent und sagent, ist ein künig ouch gewesen über ein teil dis volkes der Gothen und Hünen, derumb wil ich etwas von ime sagen, das do in den bewerten b)chern von ime ist geschriben.26 Aber wie her Dieterich von Berne und sin meister Hiltebrant vil wurme und drachen erslĤgent und wie er mit Ecken dem rysen streit und mit den querhen und in dem rosegarten, do schribet kein meister in latyne von. dovon habe ich es für lügene.27 Auffällig ist da, dass weder das Anachronismusproblem eine Rolle spielt (die ‹historische› Dietrichüberlieferung ist ausgeklammert; vgl. S. 60) noch das Unwahrscheinliche, Wirklichkeitsferne der aventiurehaften Dietrichüberlieferung (das Wunderbare ist nicht eo ipso Fiktionalitätsmerkmal oder gar Skandalon, sondern, wie Wundergeschichten unterschiedlichster Provenienz belegen, durchaus als Teil einer von Gott gelenkten Geschichte begreifbar; die

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Vgl. auch BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 129f. Vgl. JOHANEK 2002 (LV Nr. 346), bes. S. 14f. Ebd., S. 12f.; zu Thiodericus vgl. S. 37. Vgl. Test. Nr. 69, 213, 214, 218, 219, 229, 238, 250, 267, 330. Twinger, ‹Chronik› (HEGEL 1870/1871, LV Nr. 99), S. 376f. Ebd., S. 380.

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Deutungsfragen

‹Heldenbuch-Prosa› bezieht sogar Riesen und Zwerge in Gottes Schöpfungsplan ein): Entscheidend ist allein der Mangel an bewerten b)chern, zuverlässigen, d.h. schriftlichen, lateinischen, autoritativen (meister) Quellen. Für volkssprachige Erzählliteratur dürfte das zunächst kein relevantes Kriterium sein; auf die Funktion der Berufungen auf ein Buch als Quelle (vgl. auch S. 168–171, 239) komme ich zurück. Bis ins 14. Jahrhundert ist die Sage einem volkssprachigen Publikum gegenüber nicht einfach zu dementieren oder zu ignorieren; stofflich bleibt sie präsent, und bisweilen prägt sie die Chronistik sogar strukturell, mit den narrativen Schemata von Vertreibung und Rückkehrschlacht in der ‹Kaiserchronik› und mit der Umdeutung des Aufenthalts bei Zeno zu einer Art zweitem Exil bei Heinrich von München. Die ‹Kaiserchronik› verteilt die Ereignisse von Sage und Historie auf verschiedene Generationen; Dietrich selbst ist in Grundzügen die Geschichte Theoderichs zugeordnet, die Fluchtsage wird in die Zeit der Vorfahren verlegt (vgl. S. 36). In der ‹Weltchronik› Heinrichs von München (14. Jh.) werden die Sagenereignisse einer unbestimmten Lebensphase vor Dietrichs Aufenthalt bei Kaiser Zeno zugeordnet (vgl. S. 58–60). In beiden Texten trägt übrigens der Gotenkönig (wie in vielen anderen Texten) auch während seiner historischen Taten den Sagennamen Dietrich von Bern. Bei solchen Harmonisierungsversuchen geht die Vertreibungssage in der Regel der historischen Eroberung Italiens voraus, die so als Rückeroberung eines angestammten Reichs legitimiert werden kann: Legitimation erscheint als grundlegende Deutungsstrategie nicht nur, aber auch in Chroniken. Bisweilen werden nicht nur Fluchtsage und Historiographie, sondern zusätzlich auch die Überlieferung von Dietrichs Riesen- und Zwergenkämpfen in eine mehr oder weniger kohärente Folge gebracht: Die Druckfassung des ‹Eckenlieds› setzt eine chronologische Sequenz von Fluchtsage, Riesenkämpfen und Krieg gegen Odoaker an. Auch die sekundäre Historisierung, Dietrich habe mit dem Eckesachs Odoaker besiegt, belegt die prinzipielle Vereinbarkeit von Sagenüberlieferung und Historie (vgl. S. 47). Vor allem die erwähnten Exzerpte im Rahmen zweier Handschriften der ‹Weltchronik› Heinrichs von München (vgl. S. 58–60, 77, 88–90) bezeugen die geglaubte Historizität eines Stoffes, der noch im 14. Jahrhundert «Geschichtsüberlieferung» bleibt;28 sie belegen darüber hinaus, dass ‹Dietrichs Flucht› hier quasi als historiographische Quelle für die ‹wahre› Genealogie der Amelungen rezipiert wurde.29 Die ‹Flucht›, aus der die Geschichte der Amelungen stammt, gilt dem Kompilator als choranik: nu han ich ew gesait gar von dem gesl cht der Amelungen, wie jr stam ist ensprungen, alz ir choranik sait vns f)r die gantzen warhait, vnd alz ich ez gelesen han.30 Ausgerechnet die sagenfremde, erst in der ‹Flucht› auserzählte Geschichte von Dietrichs Ahnen aus dieser choranik ist exzerpiert und selbst in den Handschriften ohne längere ‹Flucht›-Exzerpte im Hintergrund vorausgesetzt – ein Beleg dafür, dass eine quasi ‹historio-

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HEINZLE 1999 (LV Nr. 317), S. 63. Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 104. J. u. W. GRIMM 1815/1999 (LV Nr. 250), v. 338–343.

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

graphische› Dignität auch der verschriftlichten Heldenepik zukommt und die Sagenmündlichkeit kollektiver Memoria nicht (mehr?) voraussetzt. (Heinrich von München greift allerdings auf eine Vielzahl ‹historiographiefähiger› Quellen außerhalb der Chronistik zurück, auch auf Alexander- und Trojaroman, Karlsepik, Bibel- und Legendendichtung; das impliziert trotz weitgehender Ausgrenzung ‹fiktionaler› Stoffe eher Nivellierung als Differenzierung.) Die Veränderungen in der ‹Weltchronik› sind bezeichnend für den Unterschied von ‹sagenmäßigem› und ‹historiographischem› Erzählen, betreffen sie doch die chroniktypische raumzeitliche Verortung des Geschehens. Die romischen lanndt (DF v. 9 u.ö.) als angestammtes Herrschaftsgebiet der Amelungen entsprechen den in der Chronik erzählten historischen Abläufen nicht (Theoderich erringt die Herrschaft über Italien erst mit dem Sieg über Odoaker) und werden daher (der römischen Kaisergeschichte und den geographischen Bezeichnungen der ‹Kaiserchronik› entsprechend) durch Meran (Dalmatien) und Lamparten (Lombardei) ersetzt.31 Weniger leicht zu bewältigen sind die Schwierigkeiten der Synchronisierung von Dietrichs Ahnen mit den historischen Herrschern Italiens: Während Dietrich selbst entsprechend der chronistischen Tradition mühelos in die Kaiser- und Papstreihen integrierbar ist und daher den Kapiteln zu den Kaisern von Valens bis Justinian I. zugeordnet wird, kann seinen Vorfahren kein entsprechender Ort zugewiesen werden; die Sage wird dementsprechend im Vorfeld der historischen Ereignisfolge unter Kaiser Zeno, im «historischen Niemandsland»32 des Marcianus-Kapitels situiert. Für die Zusammenführung von Etzel und Dietrich ist eine solche Lösung ausgeschlossen: Attila hat, wie Theoderich, seinen Platz in der series temporum, aber eben nicht den gleichen. Das dürfte die nachträgliche Tilgung der entsprechenden Sagenpassagen in anderen Handschriften der ‹Weltchronik› erklären.33 Es ist hier nicht der Ort, die kontroverse Diskussion um Fiktionalität oder Historizität in mittelalterlicher Erzählliteratur zu referieren. Ich begnüge mich mit einer Skizze der Probleme.34 Die Diskussionen, die insbesondere in der Folge von WALTER HAUGs These von der «Entdeckung der Fiktionalität» geführt wurden,35 haben vor allem eines gezeigt: Fiktionalität in mittelalterlicher volkssprachiger Erzählliteratur (wenn es sie denn gibt) ist die begründungsbedürftige Ausnahme, (geglaubte) Historizität tendenziell eher die Regel. Sogar Romanstoffe mit Ausnahme (vielleicht, regional unterschiedlich) des Artusromans «scheinen [...] als historische Stoffe begriffen worden zu sein».36 Umso weniger Probleme sollte man bei der ‹historischen› Dietrichepik konstruieren. Im «Übergangsfeld zwischen historiographischem und fiktionalem Diskurs»37 ist schon der Stoff zur ‹historiographischen› Seite hin angesiedelt, was die Wahrheitsbeteuerungen (vgl. S. 239) unterstreichen.

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Vgl. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390), S. 104. Ebd. 33 Vgl. ebd., S. 107. 34 Aus der uferlosen Literatur seien lediglich herausgegriffen: KNAPP 1997 (LV Nr. 375); KNAPP/NIESNER 2002 (LV Nr. 380); KNAPP 2005 (LV Nr. 379); KRAGL 2007 (LV Nr. 392); vgl. von historischer Seite z.B. SCHMALE 1985 (LV Nr. 511); GOETZ 1998 (LV Nr. 241); JOHANEK 2002 (LV Nr. 346). 35 Aktuelle Zusammenfassung der Diskussion bei GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 169–171. 36 Ebd., S. 191. 37 Ebd., S. 196. 32

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Deutungsfragen

Die lateinische Gattungstheorie unterscheidet prinzipiell zwischen historia und fabula38 (die dritte Größe, argumentum, spielt in diesem Kontext keine Rolle), daneben auch «zwischen funktionaler, suppletiver Fiktion in der historia und reiner, substitutiver Fiktion des Romans».39 Ob die besonders von FRITZ PETER KNAPP festgestellte Skepsis gegenüber der fabula40 volkssprachiges Erzählen überhaupt und schon gar die Heldenepik tangiert, scheint zweifelhaft:41 Die lateinischen Theorien dürften einem volkssprachigen Adelspublikum kaum bekannt gewesen sein. Das ‹Speculum virtutum moralium› des steirischen Abtes Engelbert von Admont (um 1300/1309) ist, einige Jahrzehnte nach der mutmaßlichen Entstehung der Fluchtepen in der überlieferten Fassung, der einzige Kronzeuge für einen Kurzschluss von lateinischer Gattungspoetik und Heldenepik. Heldenepisches Erzählen wird von Engelbert als Erfindung zu Unterhaltungszwecken abgetan (der einzige Beleg außerhalb chronistischer Sagenkritik); die Erfindung aber wird – ausnahmsweise – nicht abgewertet, sondern als kommunikative Strategie und rhetorisches Mittel gerechtfertigt. Unter den fabulae fictae werden solche von Heldensagengestalten aufgeführt, auch aus der Dietrichsage: [...] sunt fabule apud Ytalicos de RĤlando et Olivero et apud Francigenas de Karolo et Arbegasto et apud Theotonicos de Theodorico de Verona et rege Attila et de Ekkone et Hiltebrando (‹[...] die Geschichten handeln bei den Italienern von Roland und Olivier, bei den Franzosen von Karl und Arbogast und bei den Deutschen von Dietrich von Bern und König Attila, von Ecke und Hildebrand›).42

Inwieweit Engelbert dabei eine volkssprachige Praxis heroischen Erzählens zur bloßen Unterhaltung im Auge hatte, scheint ungewiss, in seiner Region (Steiermark) aber nicht unmöglich; dass sein Votum auf volkssprachiges Erzählen ausstrahlte, auf Heldenepik zumal, ist jedoch schwer vorstellbar. Obgleich mittelalterliche Definitionen von historia einmütig auf Faktenwahrheit abheben,43 tritt die Frage nach dem, ‹was wirklich gewesen ist› zurück. Historizität oder NichtHistorizität haben tendenziell eher mit geglaubter Wahrheit als mit Faktizität zu tun. Was bei wem als prinzipiell glaubhaft galt, ist nicht dem Einzeltext zu entnehmen, sondern hochgradig abhängig von textexternen Umständen, der Gebrauchssituation, dem Wissensstand der Rezipienten, ggf. auch impliziten kommunikativen Vereinbarungen. Ein textinternes Kriterium für Historizität gibt es so wenig wie ein «Kriterium der Fiktionalität, das den Texten inhärent wäre. Ob ein Text die Wahrheit sagt oder eine Wirklichkeit fingiert, ist nicht eine Frage der Gattungspoetik, sondern der Gebrauchszusammenhänge und Machtverhältnisse, in denen er geschrieben und gelesen wird.»44 Historizität und Fiktionalität wären damit in erster Linie pragmatische, nicht gattungspoetische Kategorien.45 Die Frage, ob die ‹historische›

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43 44 45

Vgl. u.v.a. KNAPP 2002 (LV Nr. 378), S. 149. Ebd., S. 147. Vgl. KNAPP/NIESNER 2002 (LV Nr. 380), S. 140f. Vgl. GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 173. Engelbert von Admont, ‹Speculum virtutum›, X,18 (UBL 2004, LV Nr. 31, S. 345); vgl. bes. KNAPP 1991 (LV Nr. 371); Test. Nr. 182. Isidor von Sevilla, ‹Etymologiae› I, xliv,5; nach KNAPP/NIESNER 2002 (LV Nr. 380), S. 150. WYSS 1993 (LV Nr. 607), hier S. 244. Vgl. GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 185–197.

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Dietrichüberlieferung tatsächlich ‹geglaubt› wurde, ist nicht pauschal, sondern allenfalls mit Blick auf die Rezipientenkreise zu beantworten.46 Einem nicht klerikal gebildeten Publikum wäre die Sage wohl als altüberliefertes, bis ins Spätmittelalter nachweislich auch in der Mündlichkeit präsentes kollektives Wissen geläufig, die klerikale Theoderich-Tradition mit ihrer Sagenkritik möglicherweise über die ‹Kaiserchronik› bekannt; dass man es nicht für nötig hielt, diese Kritik überhaupt zu erwähnen (wenn sie denn bekannt war), deutet auf feste Verwurzelung in der (vermeintlichen) Authentizität des Sagenwissens hin. In der nichtgelehrten Rezeptionssituation der Heldenepik ist kritisches Hinterfragen der Zeugnisse nicht zu erwarten; die Frage der Glaubwürdigkeit stellte sich womöglich gar nicht erst. Nur «[h]istoriographische Skepsis misst solche Erzählstoffe an der Verbürgung in lateinischen Quellen»47 – wie bei Jakob Twinger von Königshofen (vgl. S. 235f.). «Während in der Moderne Romanhelden und historische Personen zu zwei antinomischen Wissensdomänen zählen, gehören die gesta Theoderichs und Dietrichs einem Wissenskontinuum an, in dem es allerdings ein Verbürgungs- und Legitimitätsgefälle gibt. Theoderich und Dietrich sind unterschiedlich gut verbürgt, so daß sie von verschieden strengen Authentizitätsansprüchen unterschiedlich beurteilt werden müssen.»48 Konkret freilich bleibt eine Bestimmung des Verbindlichkeitsgrads verschiedener Überlieferungen schwierig, weil in der Regel Wissensstand und Erwartungshorizont der konkreten Rezipienten nicht rekonstruierbar sind, auch weil die Namen Theoderich und Dietrich gerade in der Chronistik häufig zusammenfallen. Soweit ein Wissensbestand in das kollektive Gedächtnis eingeht, wird man davon ausgehen dürfen, dass er als erinnerungswürdig und damit wohl als glaubhaft galt, auch wenn schwer zu ermitteln sein dürfte, auf welchen Realitätsstatus (Faktenwahrheit und/oder ‹höhere› Wahrheit?) sich dies gründet. In diesem Zusammenhang gibt das Aufbieten aller möglichen Beglaubigungsmechanismen in den Fluchtepen zu denken: Verweise auf kollektiv-mündliches Wissen ebenso wie auf schriftgestützte Quellen. Die Erzähler der ‹historischen› Dietrichepik bedienen, ja inszenieren einen doppelten Erwartungshorizont, altüberkommenes kollektives Wissen von Helden ebenso wie (und tendenziell zunehmend) Verbürgung in der Schriftlichkeit, um Beglaubigung auf beiden Ebenen zu sichern (vgl. S. 168–171). Beglaubigungsstrategien lenken aber den Blick auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit, wie sie heroische Überlieferung traditionell gar nicht stellt. Die «fast epidemischen»49 Glaubwürdigkeitsversicherungen, Wahrheitsbeteuerungen und Quellenberufungen könnten prinzipiell Fiktionalitätssignale darstellen.50 Zwar sind fiktiv-ironische Quellenberufungen und Wahrheitsbeteuerungen auch für mittelalterliche Texte möglich; tendenziell ist aber davon auszugehen, dass Quellenberufungen «für das Erzählte den Anspruch geltend [machen], an das ‹echte› Welt- und Geschichtswissen anschließbar zu sein und an dessen Legitimität teilzuhaben.»51 Im Falle der ‹historischen› Dietrichepik dürften die Wahrheitsbeteuerungen für nicht-gelehrte Rezipienten schwerlich «ein durchsichtiges Manöver»52 darstellen, zumal sich

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Vgl. ebd., S. 188. Ebd., S. 187. Ebd., S. 188. KNAPP 2002 (LV Nr. 378), S. 150. Vgl. GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 189–191. Ebd., S. 189; vgl. auch KNAPP/NIESNER 2002 (LV Nr. 380), S. 142. GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 191.

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Deutungsfragen

prinzipiell gleiche Beglaubigungsstrategien auch dort finden, wo Historizität nicht zweifelhaft ist.53 Viel gewonnen ist damit noch nicht: Gewiss ist der Held (Dietrich-Theoderich) historisch referenzialisierbar, sind die Raumstrukturen wirklichkeitsnah und nicht erkennbar fiktiv; für die Zeitstrukturen und genealogischen Konstruktionen in der Vorgeschichte der ‹Flucht› gilt das aber schon nicht mehr. Hinzu kommt, dass mit der Möglichkeit von argumenta verisimilia auch in der (lateinischen) Theorie und selbst in der historiographischen Praxis Spielräume für «suppletive Fiktion» bleiben, für einen «wahrheitsneutralen» Gestaltungsspielraum in Bezug auf die formalrhetorische Ausgestaltung, aber auch die Beschreibung von Figuren, Ergänzung von Motivation und Kausalitäten, Überbrückung von Lücken, Kommentierung – einen Gestaltungsspielraum, der den grundsätzlichen Wahrheitsanspruch der historia nicht tangiert.54 Heldenepik dürfte, obwohl unberührt von der Theorie, zu den Gattungen gehören, denen «die Vereinbarkeit von geglaubter historischer Wahrheit mit beträchtlichen Ausschmückungs- und Literarisierungsspielräumen [...] den Stempel auf[drückt]».55 Ob man über die zentrale Frage der Verbürgtheit hinaus narrative Verfahren bestimmen kann, die ‹historiographisches› von ‹fiktionalem› Erzählen eindeutig abgrenzen, ist fraglich. Neuere Untersuchungen heben, bei allen Unterschieden im Detail, gleichermaßen ab auf fließende Übergänge. Historiographie und Dietrichepik partizipieren an geschichtlichen Ereignissen und narrativen Strategien, mit graduellen, nicht grundsätzlichen Unterschieden.56 Als tendenziell ‹historiographische› Erzählstrategien gelten Anbindung an Fakten- und Heilsgeschichte, Verortung in einer wirklichkeitsnahen Geographie, Plausibilisierung des Erzählten durch Anbindung an Erfahrungswirklichkeit und Wissensbestände des Publikums, Beglaubigungsstrategien wie Verweise auf Augenzeugen(berichte) und/oder schriftliche (womöglich lateinische) Zeugnisse oder gar deren kritische Auswahl;57 spezifische Erzähltechniken lassen sich freilich allenfalls tendenziell auf brevitas, Schlichtheit, Fehlen romanhafter dilatatio reduzieren. Merkmale fiktionalen Erzählens wie «indirekte poetische Ausdrucksweise», impliziter Dialog des auktorialen Erzählers mit dem Rezipienten, «eine utopische Sinndimension des Werkes» oder «indirekte Sinnvermittlung durch eine frei geschaffene symbolische Erzählstruktur»58 treffen teilweise selbst auf historiographische Texte zu; sogar einen «Freiraum in der Herausarbeitung des Sinns» – innerhalb des christlichen Weltbilds – können auch Geschichtsepik und Geschichtsschreibung nutzen.59 Auch Sage verbucht nicht Fakten, sondern arrangiert Deutungsmuster für geschichtliche Erfahrung und Anknüpfungsmöglichkeiten für die jeweilige Gegenwart des Kriegeradels. Raumzeitliche

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58

59

Vgl. JOHANEK 2002 (LV Nr. 346), S. 12f., 15f. KNAPP 2002 (LV Nr. 378), S. 147, 151; vgl. auch GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 178–180. Ebd., S. 178f. Vgl. BLEUMER 2000 (LV Nr. 148) (vgl. auch S. 22f.). Vgl. z.B. auch BAUSCHKE 1995 (LV Nr. 132), S. 11–13 (und ff.); OPITZ 1998 (LV Nr. 481), S. 76– 82; WOLF 2004 (LV Nr. 600), S. 328 u.ö. WOLF führt auch andere Möglichkeiten der Einordnung in (textextern vorgegebene) chronologische Raster an, den dezidierten Rückblick auf einen historischen Tatbestand der Vergangenheit oder die Einordnung von Personen in eine Genealogie. Die von GRÜNKORN 1994 (LV Nr. 255) entwickelten Kriterien nach den Formulierungen bei KNAPP/ NIESNER 2002 (LV Nr. 380), S. 143. Vgl. ebd., S. 148.

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

Fixierung als Bedingung der historia ist in der Tat durch mittelalterliche Definitionen vorgegeben. Der Verzicht auf «die Verortung des erzählten Geschehens in einer bekannten historischen und geographischen Wirklichkeit» kann Fiktionalitätssignal sein.60 In fast allen narrativen Textsorten außer dem Artusroman, neben der Heldenepik auch im Antikenroman und (teilweise) in der Brautwerbungsepik, ist eine zumindest in großen Teilen ‹realistische› Geographie zu beobachten. Die Einordnung in welt- und heilsgeschichtliche Abläufe dagegen (meist relative Einordnungen, nicht genaue Datierungen nach exakter Zeitrechnung) bleibt sehr weitgehend der Chronistik vorbehalten (und/oder Texten, die sich hierin an die Chronistik annähern). Fehlende zeitliche Einordnung deutet aber nicht notwendig auf NichtHistorizität, sondern auf eine andere – erinnernde statt aufzeichnende – Art der Bewahrung von Geschichte. Gerade als mit der schriftgestützten Historiographie konkurrierende Form der Geschichtsüberlieferung ist Heldenepik nicht adäquat an Merkmalen der Historiographie zu messen.61 Dass Dietrich in den Fluchtepen, anders als Theoderich in der Chronistik, kein fester Ort in den Kaiser- und Papstreihen zugewiesen ist, bedeutet übrigens nicht, dass von ihm außerhalb der Heilsgeschichte erzählt wird; die pointierte Religiosität der Fluchtepen könnte nicht nur gegen die klerikale Abwertung Theoderich-Dietrichs anerzählen, sondern auch den in den Epen fehlenden heilsgeschichtlichen ‹Anschluss› des Helden ersetzen. Die alte Frage nach dem Status der Heldensage als Geschichtsüberlieferung dürfte sich, wie erwähnt, dahingehend modifizieren, ob und wie lange der für das Frühmittelalter unstrittige Status heroischer Überlieferung als verbindlicher Adelsüberlieferung für Hoch- und Spätmittelalter weiter gilt. Die ‹historischen› Dietrichepen selbst geben diesbezüglich keinen Aufschluss. Andere Dietrich-Testimonien lassen auf ein Nebeneinander von Sagenschelte, Literarisierung und trotz allem erhaltener Verbindlichkeit schließen. Worin genau diese Verbindlichkeit bestehen könnte, wäre aber allenfalls für den Einzelfall zu erschließen. Der Bericht des Froben Christoph von Zimmern (Mitte 16. Jh.),62 sein Onkel Gottfried Werner dichte Verse auf Dietrich von Bern und den Riesen, verweist mindestens auf die Rolle der Dietrichsage in adliger Unterhaltungskultur, die Ausschmückung adliger Wohnräume (u.a. auf den Burgen Runkelstein und Wildenstein) auch durch Darstellungen der Dietrichsage63 auf deren Repräsentationsfunktion. Diese Zeugnisse beziehen sich freilich nicht auf ‹historische›, sondern auf aventiurehafte Dietrichüberlieferung und implizieren keinen auf Geschichtlichkeit gegründeten Verbindlichkeitsanspruch. Die Rezeption aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichüberlieferung durch Kaiser Maximilian I. (1459–1519) (vgl. S. 98f.)

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62 63

Ebd., S. 144. BAUSCHKE 1995 (LV Nr. 132), bes. S. 14–16, legt dar, dass die französische Historiographie ihren Stil in Anlehnung an den epischen Formelstil der Chansons de geste entwickelt und auch von daher Legitimität und Wahrheitsanspruch bezieht, während der Pfaffe Konrad – wohl aufgrund chronistischer Polemik gegen die Sage – für seine Bearbeitung der ‹Chanson de Roland›, gerade um Wahrheitsanspruch und Authentizität geltend zu machen, nicht den Stil der deutschen Heldenepik wählt, sondern den der lateinisch beeinflussten Historiographie. Möglicherweise deutet dies aber nicht in erster Linie auf einen Verbindlichkeitsverlust deutschsprachiger heroischer Dichtung, der es verböte, sich ihres Stils zu bedienen, sondern wiederum auf Stoffliches: Die Vertextungsstrategien der Heldenepik könnten den Stoffen des eigenen kollektiven Gedächtnisses vorbehalten sein. Vgl. Test. Nr. 331. Vgl. Test. Nr. B9, B23.

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Deutungsfragen

und insbesondere dessen Anbindung der eigenen Selbstdarstellung an Dietrich von Bern sind ohne vorgängige Dignität des Gegenstands nicht erklärbar. Einige Jahrzehnte später bezeugt Hans Sachs’ ‹Fechtspruch›64 (1545) aus stadtbürgerlicher Außenperspektive (und mit entsprechender Distanzierung vom adligen Gewaltprivileg) die Engführung von Heldensage und kriegerisch-adliger Lebensform: In der Nachfolge des Hercules wie der Helden der Sage habe der Adel, trotz Gewaltverbots im spätantiken christlichen Rom, bis in jüngste Zeit verderbliche Kämpfe ausgefochten. Die Abwertung von (adliger) Gewalt ist da in eine Geschichtskonstruktion gekleidet, eine translatio militiae, die traditionell (wie z.B. im ‹Mauricius von Craûn›) mit der Erfindung der Kampfkunst vor Troja anfängt und die üblichen Stationen (Griechenland, Rom) passiert, freilich im Zuge der Negativierung von Gewalt die Sagenhelden (Dietrich eingeschlossen) an die Stelle der in mittelalterlicher höfischer Literatur üblichen Ritter setzt. Noch in der Negation scheint dieses späte Zeugnis einen verbindlichen Zusammenhang von (gewaltorientierter) Lebensform des Adels und Sagenhelden ebenso wie die Historisierung dieses Zusammenhangs zu dokumentieren. Dass die erwähnte Sagenapologie des 16. Jahrhunderts die ‹historische› Dietrichüberlieferung zugunsten der Engführung von historiographischem Theoderich und allegorisch ausgedeuteter aventiurehafter Dietrichüberlieferung völlig ausblendet (vgl. S. 101), scheint ein Gegenargument gegen die Historizität der ‹historischen› Dietrichüberlieferung, bestätigt aber zugleich die prinzipielle Geschichtlichkeit selbst sehr viel wirklichkeitsfernerer Ausprägungen der Dietrichsage. Gegen Verbindlichkeit und geglaubte Historizität, für Fiktionalisierung und Literarisierung sprechen Sagenkritik, Fiktionsschelte (insofern mit Abstrichen, als Sagenkritik, wie erwähnt, bisweilen mit Rettungsversuchen gekoppelt ist, vgl. S. 236) und vor allem die Einpassung der Dietrichsage und -sagenzeugnisse in das literarische System rhetorischer Topoi. Das betrifft vor allem die Vielzahl der kurzen Anspielungen auf einzelne Figuren oder Motive, durch die gleichsam sageneigene Topoi und Exempelfiguren entstehen.65 Diese Eigentopik der Heldensage unterscheidet sich nur stofflich, im Namenmaterial, nicht strukturell und pragmatisch von der Topik biblischer oder antiker Exempla: Helden dienen als Exempelfiguren für Kampfkraft oder Kampfzorn, Schwerter als Vergleichsgrößen für gute Waffen. Bei dieser Verwendungsweise werden die Unterschiede auch in der Verbindlichkeit zwischen biblischen, antiken, heldenepischen und sogar arturischen Stoffen nivelliert. Auf unterschiedliche Wahrheits- und Verbindlichkeitsgrade der verschiedenen Stoffkreise könnte dagegen die traditionelle scharfe Trennung der Erzählwelten von Heldensage und höfischem Roman deuten, die bis ins Spätmittelalter erhalten bleibt (vgl. S. 1f.). Eine auffällige Komisierung der Dietrichsage betrifft freilich, wie die Testimonien demonstrieren, auch die ‹historische› Dietrichüberlieferung, zum Teil schon Zeugnisse vor den erhaltenen Epen (vgl. S. 42f., 44, 45, 58): die Anspielungen auf Wolfhart, Sibeche und teilweise auch die auf Witege in Wolframs ‹Parzival› und ‹Willehalm›; die Komisierung des Motivs von der Rache für die Helchesöhne in der Fabel von ‹Wolf und Geiß I› und im derb-erotischen Schwank; die grotesk-komische Gewalttätigkeit von Neidharts Bauern mit Dietrichsagennamen auch aus ‹historischer› Dietrichüberlieferung; die (wenn auch nicht primär auf Rollenstereotype speziell der ‹historischen› Dietrichüberlieferung bezogenen) Sagenanspielungen in Ehekriegs-

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Vgl. Test. Nr. 314. Vgl. LIENERT 2009 (LV Nr. 422).

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

mären und geistlichen Spielen; der Rekurs auf dietrichepische Gewalt in der Kriegsgroteske des ‹Ring› und in der Unsinnsdichtung (vgl. S. 254). Inwieweit diese Komisierung einen Verbindlichkeitsverlust anzeigt, ist schwer zu sagen. Sicheres Wissen um die Tradition und ihre Stereotype wird bis ins Detail vorausgesetzt, sonst können die Anspielungen nicht zum Lachen reizen. Dass diese Tradition so weit verfügbar geworden ist, dass sie in ihr Gegenteil kippt, zeigt freilich Literarisierung an (ansatzweise auch in den Fluchtepen selbst; vgl. bes. S. 188). Die Komisierung vor allem von dietrichepischer Gewalttätigkeit (vgl. S. 254) deutet auf eine Abwertung der gattungstypischen Konzeptualisierungen, auch wenn der Kern dietrichepischer Sinnkomplexion nicht getroffen ist: die Problematisierung von Gewalt und Heldentum vor allem durch die Gestalt des Zauderers und pragmatischen Helden Dietrich, der hinter den heroischen Großtaten der Massenschlachten auch in der ‹historischen› Dietrichepik ausgeprägt wird. Spätestens im 16. Jahrhundert zeigt das ‹Versickern› der Tradition der ‹historischen› Dietrichüberlieferung (vgl. S. 101) einen Verlust an Relevanz und damit den endgültigen Bruch mit diesem Teilbereich kollektiver Memoria an. Insgesamt ist trotz kategorialer Unterschiede zwischen heroisch-kollektiver Memoria und klerikal-lateinischer Historiographie auffällig, wie wenig die Fluchtepen (insbesondere die Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht›) und ‹Alpharts Tod› die «geschichtliche Rückendeckung»66 der Theoderich-Historie suchen. Dies betrifft auch die raumzeitliche Verortung und die Geschichtsperspektive der Dichtungen: Schon in der Dietrichsage spielen die Goten und das historische Ostgotenreich in Italien so gut wie keine Rolle. Die Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› konstruiert (anders als alle Darstellungen Theoderichs in der Chronistik) ein in unvordenkliche Vorzeiten zurückreichendes oberitalienisches, weit nach Mittel- und Süditalien, aber auch auf den Balkan und ins Breisgau ausgreifendes Reich von Dietrichs Vorfahren, das so zu keiner Zeit bestanden hat. Das kann auch volkssprachigen Rezipienten bewusst gewesen sein, soweit ‹Kaiserchronik› und ‹Sächsische Weltchronik› auf deren möglichen Wissenshorizont schließen lassen. (Heinrich von München korrigiert bei seinem ‹Flucht›-Exzerpt die geographischen und ‹politischen› Bezeichnungen entsprechend; vgl. S. 237). Kontakt mit der Theoderich-Historie, der über das grundsätzliche Bewusstsein von der Historizität des Helden hinausginge, würde, wie ‹Kaiserchronik› und Heinrich von München demonstrieren, das Problem der Anachronismen bloßlegen; die fraglose Kontinuität heroischer Überlieferung bedarf der Rückversicherung in chronistischem Wissen nicht, verträgt eine solche aber auch nicht: Nebeneinander und damit Konkurrenz verschiedener Überlieferungen stellen sicheres Wissen in Frage, statt es zu stützen. Freilich steht gerade die Vorgeschichte der ‹Flucht› auch nicht in der Kontinuität heroischer Überlieferung (eine Rückbindung an kollektive Memoria dürften allenfalls die Anspielungen auf Siegfried und die Nibelungen, Ortnit und Wolfdietrich leisten). ‹Geglaubte› Stoffe wie der Dietrichstoff scheinen indes ein gutes Maß an Literarisierung zu vertragen. In der Exempelfunktion, der exemplarischen Vorbildlichkeit des Herrscher-Helden, wie sie Dietrich vor allem in ‹Dietrichs Flucht› (nicht uneingeschränkt, vgl. S. 217–220) zu haben scheint, hebt sich der Gegensatz von Fiktionalität und Historizität sowieso teilweise auf, auch wenn rhetorikgeschichtlich exemplum und historia zusammenhängen, vorzugsweise historisch ‹wahre› Personen und Ereignisse als mustergebende Beispiele fungieren können.

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GLAUCH 2009 (LV Nr. 238), S. 286 (zu ‹Mauricius von Craûn›).

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Deutungsfragen

Während sich die ‹historischen› Dietrichepen in der Quellenfrage recht weitgehend an Konventionen der Schriftlichkeit anpassen, indem sie Wahrheitsbeteuerungen und Quellenberufungen in ihre Selbstlegitimation einbeziehen, gehen sie in der Zeitbehandlung eigene Wege, da die ‹synchronisierende› Grundtendenz von Heldenepik der series temporum und auch einer nachträglichen Einordnung in diese Zeitfolge entgegensteht. Heldenepik modelliert ggf. eine andere, eine spezifische Heldenzeit. Für Heldenzeitkonstruktionen67 gibt es verschiedene Grundmodi: Die Synchronisierung, die Zusammendrängung aller wichtigen Helden in einer, höchstens zwei Generationen, kennzeichnet eine frühere Phase der Gattungsgeschichte (so bezieht das ‹Nibelungenlied› neben der schon sagenmäßigen Gleichzeitigkeit von Dietrich, Etzel und den Burgunden auch Konstellationen der Walthersage ein; vergleichbare Befunde zeigen in gewisser Weise bereits ‹Waltharius› und später, zitathaft und spielerisch, ‹Biterolf und Dietleib›).68 In der sekundär historisierenden spätmittelalterlichen Heldendichtung69 bilden sich andere Konzeptualisierungen einer heroischen Eigenzeit heraus. Insbesondere die ‹Heldenbuch-Prosa›70 (Ende 15. Jh.) entwickelt eine weltumspannende Geschichte des Heldenzeitalters von der Herogonie, der Erschaffung von Riesen, Zwergen und Helden, über die Ereignisse um Dietrich und die Nibelungen bis zum Untergang der Heldenwelt. In diese Konstruktion sind Stoffe der aventiurehaften Dietrichepik (Riesenkämpfe und Dietrichs Kampf gegen Siegfried im Rosengarten) sowie die Fluchtsage und der Nibelungenstoff montiert, allerdings ohne stimmige interne Chronologie. Als Ganzes stellt diese Klitterung zugleich einen Gegenentwurf und über weite Strecken eine Entsprechung zur Welt- und Heilsgeschichte dar: Gott, der Schöpfer der Riesen, Zwerge und Helden, ist auch der Herr dieser alternativen Geschichte; auch sie reicht von der Schöpfung bis zu einer Art Kontrafaktur des Jüngsten Tags. Der Ansatz zur Konstruktion einer Heldenvorzeit in der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› ist eigenständig, freilich durch intertextuelle Beziehungen an arturische und brautwerbungsepische Traditionen sowie an biblische Konzepte von langer Lebensdauer und zahlloser Nachkommenschaft gebunden. Mit genuin heldenepischen Zeit- und Geschichtskonstruktionen berührt er sich nur teilweise: Die Zeitabläufe der Vorgeschichte laufen auf die heroische ‹Kernzeit› um Dietrich, Etzel und die Nibelungen zu, die in sich schon stoffbedingt dem Modus der Synchronisierung folgt. Voran geht die bereits heroisch bekannte und codierte Zeit Ortnits und Wolfdietrichs, die indes in weitere Ferne rückt als üblich (in der ‹Heldenbuch-Prosa› ist Wolfdietrich Dietrichs Großvater, in ‹Dietrichs Flucht› sein Ururgroßvater; die Verwandtschaftsbezeichnungen im ‹Ortnit› und im ‹Wolfdietrich› D sind unspezifisch; das ‹Eckenlied› zeichnet einen anderen Weg von Ortnits Brünne zu Dietrich als den der Vererbung). Noch weiter vorgeschaltet ist freilich – beispiellos und nur gleichsam sprachgeschichtlich, durch das diet-Element des Namens abgesichert71 – eine Ahnengeschichte außerhalb jeder geschichtsstiftenden Tradition. Verglichen mit anderen Herkunftsgeschichten

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69 70 71

Vgl. grundsätzlich auch KRAGL 2007 (LV Nr. 392). Dass vor allem in späterer Heldendichtung und in parodistischen Anspielungen (etwa bei Heinrich Wittenwiler) Synchronisierung eher Konfabulation als Geschichtskonstruktion bedeutet, betont HAFERLAND 2007 (LV Nr. 264). Vgl. bes. KORNRUMPF 1985 (LV Nr. 390); MÜLLER 1985 (LV Nr. 461). Vgl. Test. Nr. 258; vgl. S. 62f.; bes. RUH 1979 (LV Nr. 505), S. 17–21. Vgl. auch KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 55.

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Zu ‹Historizität› und Verbindlichkeit der ‹historischen› Dietrichepik

Dietrichs72 erscheinen die Konzepte von Idealität, Konfliktfreiheit, langer Dauer und uneingeschränkter Legitimität der Herrschaft in ‹Dietrichs Flucht› «singulär».73 Eine außergewöhn-

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Ebd., S. 56–61, zur «Eigenart der genealogischen Vorgeschichte» im Vergleich mit Dietrich-Genealogien in anderen Texten: ‹Gesta Theoderici›, ‹Kaiserchronik›, ‹Urschwabenspiegel›, ‹Thidrekssaga›, ‹Heldenbuch-Prosa› (zu den Texten vgl. auch Kap. II., S. 64f., 36, 51–53, 62f.). KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 56–61, Zitat S. 60. Die ‹Gesta Theoderici› greifen nur bis in die Elterngeneration Theoderichs zurück; dass hier «Illegitimität qua Natur und Legitimität qua Gesetz [...] auseinander[fallen]» (S. 57), trifft allerdings nicht zu: Theoderichs biologische Eltern sind verheiratet, und patrizische Adoptiveltern begründen keinen legitimen Anspruch auf Herrschaft. KELLNER vernachlässigt, dass der Text an einer abgeleiteten Legitimität arbeitet: der Legitimation durch die oströmischen Kaiser als Auftraggeber, durch die Abwertung Odoakers zum Usurpator, durch Ansätze einer Modellierung der Eroberung Italiens als Rückeroberung (vgl. S. 65). In der ‹Kaiserchronik› wird die Theoderichgeschichte eingebettet «in die Kette der kaiserlichen Amtssukzessionen» (KELLNER, S. 58); das ist freilich das übliche Muster der Chroniken, auch der ‹Gesta›. Mit der Aufspaltung Dietrichs in den quasi-historiographischen Theoderich und einen gleichnamigen Großvater geht die ‹Kaiserchronik› zwar hinter den historisch verbürgten Vater Dietmar zurück, aber längst nicht so weit wie ‹Dietrichs Flucht›; es geht ihr nicht um Legitimation Dietrichs (dessen Vorfahren dort gerade nicht Herrscher des Römischen Reichs sind), sondern um eine Lösung des Anachronismusproblems. Dietrich wird als Kebsensohn dargestellt, im ‹Urschwabenspiegel› gar als ‹Mann des Teufels› (nicht Abkömmling des Teufels, wie KELLNER, S. 58, fälschlich behauptet; vgl. ‹Urschwabenspiegel› [ECKHARDT 1975, LV Nr. 91], S. 292: man seit von dir du syest des túfels man vnd was du sterkin habest di habest du von im). Dass KELLNER Dietrichs Zorn in der ‹Kaiserchronik› mit seiner potentiell dämonischen Abkunft und seinem Ende in Verdammnis in Verbindung bringt, entspricht nicht der sorgfältigen Motivation des Textes, der Dietrichs durch den Bastardvorwurf beleidigte Ehre unterstreicht und ihn damit trotz des üblichen Vulkan- und Höllensturzes deutlich gegenüber klerikalen Konzepten von Theoderich als Ketzer (oder gar, falls man das unausgesprochen voraussetzen darf, Teufelssohn) aufwertet (vgl. v.a. HELLGARDT 1995, LV Nr. 321, bes. S. 105f., 108f.). In der ‹Thidrekssaga› wird «die Dietrichvita in weltgeschichtliche Zusammenhänge eingebunden»; chronologisch fällt die Heldenzeit in die Epoche nach dem Tod Konstantins des Großen; genealogisch gehören die Helden in die «Deszendenz des ursprünglich riesenhaften Menschengeschlechts seit der Zeit Noahs», Thidrek und seine Vorfahren schließen an deren Qualitäten an (KELLNER, S. 58 und f.). Thidreks Vorfahren sind «bereits in Italien angesiedelt», der Held ist «rechtmäßiger Erbe und Nachfolger seines Vaters im Land um Bern»; doch «bleiben [...] Zweifel an seiner Legitimität, die sich im Vorwurf Högnis äußern, Thidrek sei ein Teufel bzw. stamme vom Teufel ab» (S. 58). Högnis Vorwurf freilich ist punktuell und widerspricht sowohl dem zu Thidreks ‹regulärer› Abkunft Erzählten als auch der abschließend in Aussicht gestellten himmlischen Gnade; er ist Teil wechselseitiger Reizreden in den Kämpfen des Niflungenuntergangs während Thidreks Exil, ohne jeden Bezug auf die Herrschaft in Bern, und hat daher nicht die Funktion, Legitimität in Zweifel zu ziehen, sondern lediglich die, Thidreks Vorwurf, Högni sei ein Albensohn, durch Überbietung zu kontern. Dietrichs Genealogie in der ‹Heldenbuch-Prosa› ähnelt der in ‹Dietrichs Flucht›, insofern Kaiser Otnit als Dietrichs Vorgänger, Wolfdietrich als Vorfahr (allerdings ‹nur› Großvater) des Helden genannt ist. Wolfdietrichs Großvater erscheint als König von Griechenland; das Geschlecht nimmt seinen Ursprung also in Ostrom, nicht in Italien, obgleich bereits Wolfdietrich als römischer Kaiser bezeichnet wird. Wolfdietrichs Auseinandersetzungen mit seinen Brüdern «[prägten] den Bruderzwist in der Generation Dietrichs und Ermentrichs genealogisch vor[...]» (S. 60). Dietrich ist legitimer Nachfolger seines Vaters; dass «ein Schatten über seiner Herkunft» liege, insofern dämonische Abkunft insinuiert werde (S. 60), ist nicht genau beobachtet: Wenn Traditionen von Dietrichs Teufelssohnschaft überhaupt vorausgesetzt

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Deutungsfragen

liche Herkunft des Helden, die «ein Legitimierungs oder ein Delegitimierungspotential mit sich führen» kann,74 wird vermieden. Zeit- und Raumstrukturen unterstreichen das Legitimationsinteresse: Lange Dauer vermeidet den «Aspekt der Aufsteigergeschichte», die konsequente Situierung in Italien, ohne Ortswechsel von Ostrom/Griechenland, den der «Eroberungsgeschichte».75 ‹Dietrichs Flucht› entwirft insofern kein homogenes Heldenzeitalter, als ihr heroic age (wenn man angesichts der Arturisierung davon sprechen kann) in Schichten gestaffelt wird. Am Anfang steht die genealogisch an die heroische Zeit geknüpfte, aber in sich fast geschichtslose Vorvergangenheit von Dietrichs Ahnen und Amtsvorgängern; die Tendenz heroischer Überlieferung, alles auf eine, höchstens zwei Generationen zusammenzudrängen, wird in der Vorgeschichte ins Gegenteil verkehrt, durch lange Generationenfolge und biblische Lebensalter der einzelnen Generationen zerdehnt. Vorzeit ist zugleich ferne Vergangenheit und zeitlos, immer gleich.76 Ausdrücklich bricht mit Ermrich, in einer Art säkulargeschichtlichem Sündenfall, das Böse in die Welt ein (DF v. 3513f.; vgl. S. 128, 196); die heroische Zeit Dietrichs und Ermrichs erscheint als gemischte Zeit der Gewalt, aber auch des Widerstands gegen das Böse. Als dritte Zeitebene wird in Erzählerkommentaren die verderbte Gegenwart der Rezipienten einbezogen (vgl. S. 128, 157–160, 247f.). Diese geschichtsmythische Konstruktion77 steht partiell in merkwürdiger struktureller Analogie zum Dreischritt christlicher Geschichtsdeutung. Dem Sündenfall korrespondiert indes keine Erlösung. Die ideale Welt der Vorgeschichte ist unwiederbringlich vergangen und selbst durch Dietrichs Wiederanknüpfen an die kämpferische Potenz und an das ideale Herrscherverhalten eines Dietwart nicht wieder einzuholen.78 Möglicherweise wächst in diesem Zusammenhang dem rätselhaften Dietrichzeugnis des Tilo von Kulm Sinn zu (vgl. S. 57f.): Selbst durch einen noch so idealen Dietrich ist Erlösung nicht zu leisten. Ermrichs Bestrafung kann und wird, so die bereits genannten Erzählervorausdeutungen, nur durch Gott selbst erfolgen (vgl. S. 109f., 161f., 224–227). Zukunft wird auf der Ebene der (biologischen) Genealogie abgeschnitten (vgl. S. 129), auf der Ebene des Amtes aufgehoben im Fortgang der Geschichte: Ein Römisches Reich gibt es nur über die translatio imperii, die im Horizont der Fluchtepen keine Rolle spielt, allenfalls im Kaisertitel für Ermrich in ‹Alpharts Tod›. Diese Geschichtskonstruktion hat keine Beziehungen zu anderen Zeitkonzeptionen, weder der Heldenepik noch der Historiographie; ‹Dietrichs Flucht› entwirft eine alternative, eine Eigenzeit.

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werden können (zweifelsfrei bezeugt sind sie nicht), wären sie deutlich abgemildert: statt von dämonischer Zeugung ist von einer Geistererscheinung während der Schwangerschaft der Mutter die Rede. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 60. Ebd., S. 60f. Vgl. auch ebd., S. 50. Vgl. CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 182), S. 363. Vgl. auch KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 54.

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Aktualisierung und Interessenbildung

2. Aktualisierung und Interessenbildung hoch- und spätmittelalterlicher Rezipienten: Herrschaft und Gefolgschaft Die Möglichkeit zur Aktualisierung ist kollektiver Memoria inhärent: Es geht grundsätzlich um die Bewahrung der Vergangenheit nicht als solcher, sondern für die jeweilige Gegenwart; Erinnerung an Vergangenes wird angepasst an die Bedürfnisse der aktuellen Rezipienten. Auf den ersten Blick scheint die Aktualisierung der alten Stoffe für die auch zeitgenössische Thematik adäquaten Herrscherverhaltens in ‹Dietrichs Flucht› (in Ansätzen auch in der ‹Rabenschlacht›) einen typischen Modus mündlicher Geschichtsüberlieferung aufzugreifen, scheinen die Fluchtepen damit am Sagenmechanismus immer neuer Aktualisierung kollektiver Memoria zu partizipieren:79 Geschichte wird nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern als Modus der Selbstvergewisserung der Gegenwart benutzt, hier in Form der Diskussion rechter Herrschaft und Gefolgschaft. Charakteristisch für kollektive Memoria und mündliche Überlieferung ist freilich, dass die Anpassung an Rezeptionsinteressen und Gegebenheiten der Gegenwart quasi ‹automatisch› erfolgt, ohne Selbstreflexion – und vor allem dass sich durch diese Anpassung die Darstellung der Vergangenheit fortlaufend ändert. Die bewusste Kontrastierung von Vergangenheit und Gegenwart in der für die Fluchtepen (vor allem ‹Dietrichs Flucht›) charakteristischen Argumentationsfigur der laudatio temporis acti, der Gegenüberstellung von idealer Vergangenheit und verderbter Gegenwart (vgl. bes. S. 157–160), liegt auf einer anderen Ebene. Dass ‹historische› Stoffe grundsätzlich bis zu einem gewissen Grad der Rezipientengegenwart angepasst werden, ist ein gängiges Phänomen: am augenfälligsten bei der Mediaevalisierung antiker Stoffe u.a. im Antikenroman oder bei der Anpassung biblischer Stoffe an mittelalterliche Lebensformen und Vorstellungen in der Bibelepik seit dem ‹Heliand›. Davon betroffen ist bekanntlich auch die Heldenepik: Schon im ‹Nibelungenlied› geht eine höfische, keine völkerwanderungszeitliche Welt unter, und auch in nachnibelungischer Heldenepik sind Kostüme und Waffen (soweit geschildert) die des 13. Jahrhunderts. Hinzu kommen Formen historischer Kommunikation, ritualisierte Gesten, Äußerungen von Emotionen und Abläufe bei Beratungen, Festen, Bittgängen, Botenszenen.80 Anders als BLEUMER81 postuliert, dienen solche Kommunikationsformen freilich nicht der Historisierung, sondern dem Anschluss an vertraute Rituale und damit an die gegenwärtige Lebenswelt. Seit den 1980er Jahren wurden die Fluchtepen bisweilen aus der Perspektive der zeitkritischen Exkurse gelesen als «poetische Kommentare zum Verfall überkommener Normvorstellungen in einer als drückend empfundenen Gegenwart».82 Die Thematik von Herrschaft und Gefolgschaft bietet sich, vor allem als «Demonstration richtigen und falschen Verhaltens in der Beziehung zwischen Fürst und Adel» für eine Aktualisierung an, die «vor dem Hinter-

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Vgl. auch KROPIK 2008 (LV Nr. 397), S. 255. Im Anschluss an ALTHOFF 1996 (LV Nr. 119); ders. 1996 (LV Nr. 120); ders. 1997 (LV Nr. 121); vgl. bes. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 63–71 u.ö.; BLEUMER 2000 (LV Nr. 148), S. 136f. u.ö. Ebd., S. 136f., 152. HEINZLE 1984 (LV Nr. 305), S. 145; vgl. bes. MÜLLER 1980 (LV Nr. 459); KNAPP 1991 (LV Nr. 370); HEINZLE 21994/1995 (LV Nr. 306), S. 72–75.

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Deutungsfragen

grund der österreichischen Verhältnisse» in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zur frühen Habsburgerzeit zu sehen sein dürfte; allerdings dürfte dieses politische Interesse nicht den Anlass zur Literarisierung der mündlichen Erzähltradition gegeben haben, sondern ihn sich nur «punktuell zu Nutze mach[]en».83 Die Fürstenschelte ist dabei nicht nur auf eine einzige politische Konstellation zu beziehen, sondern von grundsätzlicher Bedeutung für wiederkehrende Interessenkollisionen zwischen Landesherrschaft und landsässigem Adel. Zentraler Ausgangspunkt für zeitgeschichtliche Bezüge und die entsprechende Aktualisierung des heldenepischen Stoffes ist der bekannte fürstenkritische Exkurs (DF v. 7932–8001) im Anschluss an Helches Mahnung, Gefolgsleute großzügig zu entlohnen; hinzu kommen vergleichbare Erzählerkommentare in der Vorgeschichte von ‹Dietrichs Flucht› und in der ‹Rabenschlacht› (vgl. S. 157–160). Angesprochen sind die Landherren, graven, vreien, dinstman (DF v. 7986, 7998; vgl. auch DF v. 241), der nicht-fürstliche Adel, der unter den Übergriffen der Fürsten zu leiden habe. Das dürfte als «anti-habsburgisches Manifest aus der Sicht der Landherren» zu verstehen sein wie ‹Seifried Helbling›, wo in ähnlicher Weise wie in den Erzählerkommentaren der Fluchtepen die Denkfigur der laudatio temporis acti genutzt wird; ein «Integrationsangebot an den Kleinadel», sich mit den Landherren gegen den Landesfürsten zu solidarisieren, lasse sich hingegen nicht nachweisen.84 Verglichen mit der «amorphe[n] Zeittiefe»85 der (fast) idealen Vorgeschichte fällt die Aktualität der kriegerischgewalttätigen Dietrich-Ermrich-Zeit auf, in der nur Dietrich und seine treuen Gefolgsleute rechtes Herrscherverhalten und (mit Einschränkungen) wahre triuwe bewahren. Gegenüber der in den Exkursen eingebrachten Gegenwart des 13. Jahrhunderts erscheinen die ideale Vorzeit ebenso wie Dietrichs (relative) Idealität als «positiver Spiegel», Ermrichs Untaten dagegen als «negativer Zerrspiegel».86 Das entscheidende Problem bei der Frage nach dem Aktualisierungspotential ist die Heldenkonzeption der Fluchtepen: «Wie kann der politische und sozialgeschichtliche Aspekt den bemitleidenswert erfolglosen Helden Dietrich erklären [...]?»87 Hier könnte eine potentiell konsolatorische Funktion greifen, wie sie HAUBRICHS88 der Heldendichtung analog zur Legende zuschreibt; worin konkret eine solche freilich bestehen kann, bleibt offen. Ganz unabhängig von der Komplexität der historischen Verhältnisse im Herzogtum Österreich Ende des 13. Jahrhundert zeigt Dietrichs Scheitern, dass das als ideal propagierte Herrscherverhalten nicht mehr als Erfolg versprechendes Handlungsmodell taugt, trotz aller Protagonisten- und Erzählerwertungen.89 Kritisiert wird Dietrichs Verhalten nie; Ansätze von Problematisierung freilich finden sich durchaus, insbesondere bei der Auslösung der Gefolgsleute und der Rehabilitation Witeges (vgl. S. 217–220). Hinzu kommen Störungen in der Reziprozität der triuwe von Herrscher und Gefolgsleuten; im Problemfeld von Herrschaft und Gefolgschaft geht es fast ausschließlich um triuwe-Verpflichtung und Freigebigkeit des Herrschers, nur

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Ebd., S. 74. Vgl. ebd. KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 54. Ebd. STEIN 1981 (LV Nr. 549), S. 65. Vgl. HAUBRICHS 1994 (LV Nr. 271). Vgl. MÜLLER 1980 (LV Nr. 459), S. 238f.; KELLNER 1999 (LV Nr. 351), S. 54.

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Aktualisierung und Interessenbildung

untergeordnet um die Loyalität der Vasallen (vgl. auch S. 219):90 Zwar wird Reziprozität (mit problematischen Implikationen) in der Dienstmannenfabel der ‹Flucht› vorgeführt, wo die Gefolgsleute Dietrich ihr Gold bieten und der Herrscher sein Reich opfert, um sie zu retten. Mehrfach aber werden gerade Situationen thematisiert, in denen Gefolgsleute gegen ihre triuwe verstoßen: Witege in der ‹Flucht›, Witege und Heime in ‹Alpharts Tod›. In diesen Fällen bleibt die Projektion auf die gegenwärtige politische Lage weitgehend aus.91 (Für die Verrätergestalten verbietet es sich wohl, zeitgeschichtliche Entsprechungen zu suchen: Nicht einmal Ottokar von Steiermark nutzt in seiner Anspielung auf Dietrichepik im Kontext eines Verschwörungsvorwurfs ausdrücklich die Anknüpfungsmöglichkeit an die notorischen Verräter der Dietrichüberlieferung; vgl. S. 57.) Durch die Konzentration auf das Verhältnis von Herrscher und adligen Gefolgsmannen wird die Verantwortung des Herrschers (und der Gefolgsleute) für sein Reich weitgehend ausgeklammert; nur in Dietrichs exzessiven Klagen über Witeges Verrat und dessen Folgen für Frauen und Kinder von Raben (DF v. 7717–7747) wird ein Anflug von Herrscherverantwortung (und Bewusstsein von Versagen) deutlich. Keine Rolle für die explizite Aktualisierung in den Fluchtepen spielt die Thematik von (adliger) Gewalt, die häufig als der Anknüpfungspunkt schlechthin gilt für die Rezeption und Aktualisierung von Heldenepik: Gewalt als Handlungsmodus, der den Bestand einer kriegerischen Adelsgesellschaft sowohl garantiert als auch – durch Eskalationsprozesse und unkontrollierte Destruktion – gefährdet. Gewalt wird nicht nur auffallend wenig problematisiert, sondern auch konsequent moralischen Wertungen unterworfen und dadurch zumindest auf einer Seite legitimiert (vgl. S. 250f.). Der Kampf zweier gegen einen in ‹Alpharts Tod› mag eine immer wieder aktualisierbare Erfahrung für ein kriegeradliges Publikum darstellen,92 ebenso das Auseinanderklaffen von Theorie (Positivwertung von Alpharts Ehrencodex) und Praxis (Tödlichkeit der Einhaltung der Spielregeln); doch verzichtet der Text hier auf eine direkte Anbindung an die Erfahrungswirklichkeit der Rezipienten. Mit Blick auf die Fluchtepen ist die These von KERTH,93 späte Heldendichtung sei in erster Linie ein literarisches Phänomen, gleichwohl zumindest teilweise zurückzunehmen: Das Spannungsfeld von Adel und Landesherrschaft eröffnet Ansatzpunkte für Aktualisierung. Methodisch ergeben sich freilich Schwierigkeiten: Konkrete Auftraggeber der Handschriften oder gar der Texte sind (mit Ausnahme Maximilians für das ‹Ambraser Heldenbuch›) nicht zu benennen, nur grundsätzlich (für die beiden älteren Handschriften der Fluchtepen) geographisch und soziologisch zu bestimmen; konkrete zeitgeschichtliche Anbindungsmöglichkeiten sind somit kaum zu verifizieren. ‹Alpharts Tod› verzichtet gänzlich auf einen Blick in die Rezipientengegenwart; die Fluchtepen formulieren ihre Fürstenschelte recht unbestimmt.

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Vgl. MÜLLER 1980 (LV Nr. 459), S. 238. MECKLENBURG 2002 (LV Nr. 440), S. 81, weist auf ein denkbares Interesse des Adels an der «prinzipielle[n] Möglichkeit zur Reintegration abgefallener oder geächteter Standesvertreter» hin; ausdrückliche Kommentare im Text fehlen. Vgl. ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 181f. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 363–365.

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Deutungsfragen

3. Krieg und Gewalt94 Heldenepik ist Kriegeradelsliteratur; des Helden Lebensnorm ist die Ehre, seine Lebensform – und das Hauptthema der Heldenepik – ist der Kampf.95 Kampf und Krieg bieten dem Helden Gelegenheit, sich zu bewähren und Ruhm zu erringen. Dies betrifft in erster Linie Alphart, der sich in ‹Alpharts Tod› beim Wartritt im Vorfeld des Kriegs gegen Ermrich Anerkennung als Held und damit seine heroische Identität zu erwerben sucht (vgl. bes. S. 152, 227). In den Fluchtepen stellt Kampfruhm nur ein Nebenmotiv dar – immerhin aber wird der junge Dietrich zu Beginn der Kampfhandlungen der ‹Flucht› von seinen Gefolgsleuten mit der Aufforderung angetrieben, seinen Namen bechenlich (DF v. 3244) zu machen, agiert Wolfhart um seiner Memoria willen (vgl. S. 204, 206, 256f.). Heldentum definiert sich in mittelhochdeutscher Heldenepik in erster Linie über Gewaltbereitschaft. Das ‹Nibelungenlied› erzählt eine ungewollte und unkontrollierbare Eskalation von Gewalt; ein Held nach dem anderen wird unweigerlich – ob durch eigenes Zutun, d.h. eigene Provokationen und Gewalttaten, oder gegen seinen Willen – in den Untergang hineingerissen, und zwar nach wiederkehrenden «Spielregeln»,96 in erster Linie das auf Rache und Gegenrache ausgerichtete Handeln (fast) jedes Einzelnen (einschließlich Kriemhilds), eine mit Todesbereitschaft einhergehende Ehrversessenheit (vor allem Wolfharts und Hagens), aber auch eine grundsätzlich auf wechselseitige Verpflichtungen (triuwe) hin ausgerichtete Bindung der Helden aneinander, der Vasallen an ihre Könige und umgekehrt, die es verbietet, Einzelne zu isolieren, und alle in den Strudel von Gewalt und Gegengewalt hineinzieht. Heroisches Handeln, das nur an der Kriegerehre ausgerichtet ist, unkontrollierte Rache, aber auch Regeln des Personenverbands, die Gewaltgemeinschaften konstituieren, führen zwangsläufig zur Vernichtung und reißen eine ganze Welt in die Katastrophe. Nachnibelungische Heldendichtungen, auch die ‹historischen› Dietrichepen, entwerfen demgegenüber Spielregeln für das Überleben: ein anderes Heldenideal und Konzepte der Deeskalation, der Regulierung von Gewalt. Leitbild ist die legitime Gewalt, die man nutzt, wo man sie braucht, und begrenzt, wo sie zerstörerisch zu werden droht. In der ‹historischen› Dietrichepik wird Kampf nicht in erster Linie um der Kriegerehre willen propagiert (das ist nur ein Nebeneffekt für den Einzelhelden), sondern als Kampf gegen unrechtmäßige Gewalt legitimiert. Dietrichs Krieg ist ein bellum iustum im Sinne des Augustinus:97 ein Defensivkrieg gegen einen Usurpator und Gewaltherrscher. Die Feindbildkonstruktionen muten denkbar schlicht an: Der Feind ist der Böse schlechthin; auf Dietrichs Seite dagegen stehen das Recht und Gott (vgl. bes. S. 224–226). Der Berner wird zum Abwehrkampf gegen das Böse gezwungen. Den gleichrangigen Interessenkonflikt gibt es nicht, nur Ausübung und Bekämpfung des Bösen, aber auch keine Alternative zu Krieg und Gewalt: Sie werden Dietrich aufgezwungen, nicht nur bei der ersten Schlacht gegen den Usurpator. Wenn Dietrich sich auch nur vorübergehend zurückzieht, hat das fatale Folgen: Als er sich der Erpressung beugt und dem Gegner das Reich überlässt, kommt es zu Plünderungen und Brandschatzungen (DF

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Vgl. LIENERT 2001 (LV 419). Vgl. auch ZIMMERMANN 1992 (LV Nr. 616), S. 166. MÜLLER 1998 (LV Nr. 463) im Anschluss an ALTHOFF 1997 (LV Nr. 121). Vgl. Augustinus, ‹Der Gottesstaat› (PERL 1979, LV Nr. 12), IV,6.

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Krieg und Gewalt

v. 4098–4106). Als Witege in Dietrichs Abwesenheit Raben an Ermrich ausliefert, veranstaltet der ein Massaker an der Zivilbevölkerung (DF v. 7697–7716). Auch im Vorfeld der Schlacht von Raben ist von Ermrichs Gewaltherrschaft die Rede (RS 2,3–3,6): Mit roube und mit brande 7st er in eigem sinem lande (RS 3,5f.). Dies motiviert und legitimiert die erneute Mobilmachung gegen Ermrich, über Dietrichs eigene Machtinteressen und legitimes Bedürfnis nach Wiederherstellung ererbten Rechts wie auch nach Rache für Rechtsbruch und Gewalt hinaus. Insofern sind Dietrichs Kämpfe teilweise überformt zu Taten sozialer Verantwortung des Herrschers für sein Reich, in jedem Fall zum Kampf um die Wiederherstellung des Rechts. Krieg wird freilich als unvermeidliche Selbstverständlichkeit begriffen. Schon in der Vorgeschichte der ‹Flucht› setzt die artusgleiche Idealität von Dietrichs Vorfahren Gewaltbereitschaft und siegreich geführte Kriege voraus:98 Gefolgsleute zeichnen sich nicht zuletzt durch Kampftüchtigkeit aus (DF v. 496f.). Dietwarts Sohn Sigher demonstriert seine außerordentlichen tugende (DF v. 1881) mit der Zahl seiner Eroberungen, dass er wol vierundzwaintzig lanndt / zwanng mit sein aines hanndt (DF v. 1882f.). Ortnit vollbringt w*nder an manigen streiten (DF v. 2115) und zwingt König Godian mit Waffengewalt und Verwüstung seines Reichs dazu, ihm die Tochter zur Frau zu geben (DF v. 2174–2216): Man prennet das lanndt, die veste man prach (DF v. 2203). Auch Hugdietrich scheint sich seine Gattin im Kampf zu erwerben (DF v. 2360–2364). Amelunch ist in zahlreiche Kriege verstrickt: Amelunch leit sit grozze not mit manigen *rliugen, [...] Idoch betwanch er manich lant [...] (DF v. 2385–2388). Freilich bleiben solche Kriege unproblematisch im Hintergrund. Eine Alternative zum Krieg scheint nicht auf: Zwar gibt es bisweilen Gesten der Großmut (wenn Dietrich hochrangige Gegner verschont und tote Feinde bestatten lässt; vgl. S. 226), vereinzelt (nur für Dietrich in der ‹Rabenschlacht›) auch Versöhnung. Rache (hier wohl unreflektiert gleichgesetzt mit der Wiederherstellung des Rechts) bestimmt jedoch den Motivationshorizont von Dietrichs Handeln (ebenso den seiner Krieger und Förderer); selbst Gott wird, in Gebeten um Beistand bei der Rache und Erzählervorausdeutungen auf Ermrichs Bestrafung, in diesen Horizont einbezogen (vgl. bes. S. 224–226). Bei aller Steigerung der Krieger- und Gefallenenzahlen im Verlauf der Schlachten der Fluchtepen lässt sich eine Gewalteskalation im nibelungischen Sinn, als gegenseitiges SichHochschaukeln von Gewalt und Gegengewalt, nicht feststellen: Gewalt ist nicht Selbstzweck, sondern auf Machtmehrung, Reichseroberung bzw. -rückeroberung, allenfalls (wie in Dietrichs Haltung gegenüber Ermrich und Witege und in der Motivierung der Schlacht vor Bern als Reaktion auch auf Alpharts Tod) auf Rache ausgerichtet, die freilich immer auch eine überpersönliche Funktion hat. Kämpfe sind (ausgenommen lediglich, soweit aus dem Fragment zu schließen, die Herausforderung Dietrichs durch Wenezlan in ‹Dietrich und Wenez-

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Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 138.

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Deutungsfragen

lan›) Teil des übergeordneten Krieges, auch Wartritte Einzelner (wie der Alpharts) oder von kleinen Gruppen (Hildebrands und seiner Gefährten im Vorfeld der Schlachten von ‹Dietrichs Flucht›) und Zweikämpfe im Rahmen der zum Teil mehrtägigen Schlachten. (Allenfalls das Turnier vor Padua – ein wohl nur intertextuell erklärbarer Fremdkörper – fällt aus dem Kriegskontext heraus; vgl. S. 176.) Die Darstellung der Schlachten folgt sehr weitgehend den Konventionen mittelalterlicher Kampfschilderungen,99 übersteigert und überbietet diese freilich auch: im Nebeneinander von Massenschlacht, Aristien und Zweikämpfen herausragender Einzelhelden; in der typischen Hyperbolik unermesslicher Kämpfer- und Gefallenenzahlen wie auch immer weiter ansteigender Blutfluten; in Helden- und Gefallenenkatalogen. Auffällig ist in erster Linie die pragmatische, ausschließlich erfolgsorientierte Taktik beider Seiten (vgl. auch S. 200, 229). Es geht bei allem grundsätzlich um militärische Erfolge, nicht in erster Linie um Ehrerwerb. Einen für den Kämpfer selbst nachteiligen Ehrencodex befolgt (abgesehen von der Nebenepisode der Tötung der Wolfing-Helden) nur Alphart – mit fatalen Folgen. Zwar wird, wie erläutert, Alphart nicht kritisiert, fällt alle Schuld auf seine Mörder, die selbst die Gültigkeit der Normen ihres Gegners bestätigen. Aber sonst hält sich niemand auf die Dauer an Regeln ‹ritterlichen› Kampfes. Das schließt einzelne Zweikämpfe Mann gegen Mann, wie etwa den Dietrichs gegen Siegfried in der ‹Rabenschlacht› (sogar ohne Hilfsmittel wie Hornhaut und Feueratem, mit Gegnerschonung) nicht aus. Für die Schlachtabläufe insgesamt aber kommt es darauf an, sich um jeden Preis einen Vorteil zu verschaffen. Lediglich Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung werden Dietrich und den Seinen nicht zur Last gelegt, nur Ermrich (es sind dies anscheinend Indikatoren für Tyrannis). In und vor den Schlachten aber schreckt auch Dietrichs Partei nicht vor nächtlichen Überfällen auf wehrlose Gegner zurück, die einfach niedergemetzelt werden. Das Ausspähen des Gegners gehört regelhaft zu den Schlachtvorbereitungen, Hinterhalt und Zangenangriff zur Taktik, und auch das Mittel des Überraschungsangriffs unter Vortäuschung fremder Identität und Parteizugehörigkeit, wird mehrfach genutzt: als Amelolt mit Ermrichs Fahne Bern zurückerobert (DF v. 5556–5585); als Helphrich in der Schlacht von Raben vorschlägt, der Heeresteil, der Ermrichs Heer von hinten in die Zange nimmt, möge Ermrichs Fahne führen, die Gegner so in Sicherheit wiegen und überrumpeln (RS Str. 571–573 und ff.). Wenn jemand im Zweikampf zu unterliegen droht, kommen andere ihm zu Hilfe (etwa Dietrich, als Wolfhart von Starcher vom Pferd gestochen wird, RS Str. 628). Auch das Beutemachen wird nicht verschmäht: Dietrich erobert sich das Pferd Valche von Starcher (zurück?) (RS Str. 633). Tapferkeit gibt es auf beiden Seiten. Aus aussichtslosen Kämpfen zieht man sich gleichwohl zurück (etwa Gunther und Gernot in der Schlacht von Bologna, DF v. 9248f., 9744ff., Heime in der Schlacht von Raben, RS Str. 846), ohne dass das eo ipso als ehrlos gilt (freilich erhöht die Flucht der Gegner Dietrichs Ruhm; seine Leute fliehen nicht). Habituelle Flucht allerdings, vor allem eine, der keine eigenen Kampfanstrengungen vorangegangen sind, ist Feigheit und kennzeichnet nur die ‹Bösen›, besonders Ermrich und Sibeche. Mit den Schlachten hat auch die Gewalt zunächst ein Ende: Gefangene werden in der Regel gegen Lösegeld freigelassen. Für die Fortsetzung des Krieges bedarf es erneuter Mobilisierung frischer Ressourcen.

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Vgl. immer noch BODE 1909 (LV Nr. 151).

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Krieg und Gewalt

Die ‹historische› Dietrichepik scheint geradezu zu schwelgen in Helden, die ihre Gegner zu Tausenden abschlachten, in mauerhohen Haufen von Toten und knietiefen Blutmeeren. Wolfram von Eschenbach (Wh. 384,20–385,6; vgl. S. 43f.) kritisiert solche Hyperbolik als unrealistisch, oberflächlich und simplifizierend. Die ‹historischen› Dietrichepen scheinen sie teilweise selbst aufzubrechen, indem sie sie auf eine groteske Spitze treiben, wenn Wolfhart zum Blutsaufen auffordert wie zu einem Imbiss (DF v. 6562–6578), wenn sich die Blutfluten für eine kleine Bootspartie anzubieten scheinen (RS 746,1–4). Wie eine ‹Kudrun›Reminiszenz wirkt Wolfharts Hinweis, die Toten hätten doch Söhne hinterlassen und damit neue Krieger für neue Schlachten (DF v. 10007–10014). An der Ausgestaltung der Wolfhartrolle (vgl. S. 203–207) zeigt sich freilich beispielhaft, wie heroische Aggressivität zwar eingedämmt und Mittel zum Zweck, damit aber letztlich doch verharmlost wird. Die potentiell fatalen Folgen aggressiven Heldentums sind ausgespart; selbst wenn Wolfhart sich, wie im ‹Nibelungenlied›, über Dietrichs Kampfverbot hinwegsetzt, erzielt er respektable Erfolge (DF v. 8273–8368): Draufgängertum hat immerhin begrenzten Nutzen und richtet keinen Schaden an, wenn insgesamt pragmatische Klugheit die Strategie bestimmt. Kämpferqualitäten und Kampferfolge sind selbst bei Dietrich unentbehrlich (vgl. S. 216 u.ö.). Trotz gelegentlicher Heroisierung, teilweise gar einer naiv anmutenden Freude am Blutvergießen und Menschenschlachten rechnet die ‹historische› Dietrichepik indes durchaus den Preis des Heldentums auf. Verluste im Krieg, wie unzweideutig gerechtfertigt dieser auch scheinen mag, werden überdeutlich gemacht: Krieg ist nicht – bzw. nur mehr für Wolfhart und seinesgleichen – blutig-erwünschte Gelegenheit heroischer Bewährung, sondern Übel schlechthin: erbarmungslose Schädigung des Gegners; Leiden der unbeteiligten Zivilbevölkerung; Mord, Plünderung, Brandschatzung. Krieg ist grundsätzlich etwas daz beweinten sit diu wîp (DF v. 3479 u.ö.):100 etwas, das den Frauen Grund zur Klage und zum Weinen gibt. Besonders in der ‹Rabenschlacht› beteiligt sich auch der Erzähler an der Erzeugung einer Atmosphäre des Leides. Niemand außer Ermrich und seinen Helfershelfern sucht den Krieg freiwillig. Dietrich wird vor Verzweiflung über seine Verluste fast handlungsunfähig, besonders deutlich am Ende der Schlacht von Bologna, wo er (ähnlich wie Willehalm nach der zweiten Schlacht von Alischanz bei Wolfram von Eschenbach) nicht den (Teil-)Sieg feiert, sondern verzweifelt die toten Gefolgsleute beklagt (DF v. 9881–9979): «Owe, nu han ich gar wnne unde vreud verlorn, sit min rekchen ouz erchorn alle hie nu tot sint. Ich armer Dietmares chint, nu muz ich mit jamer leben! Herre got, du hast mir gegeben niwan ungemach und herzenleit [...]» (DF v. 9889–9896 und ff.). Andere schließen sich an, so dass die Totenklage (vorübergehend) fast allumfassend wird:

––––––– 100

Vgl. LIENERT 2000 (LV Nr. 417).

253

Deutungsfragen

Ez waren alle die unvro, die dannoch lebten da gesunt (DF v. 9993f.). Dietrich ist und bleibt in den Fluchtepen der größte Held, und sein menschliches wie göttliches Recht steht außer Frage, aber er kämpft nicht gern, nur reaktiv (auch wenn seine zagheit in der ‹historischen› Dietrichepik kein Zurückschrecken vor dem Kampf impliziert, sondern Verzweiflung danach; vgl. S. 223); er macht Fehler, verstrickt sich in Schuld; seine glücklosen Siege sind nicht dazu angetan, sein Heldentum herauszustreichen. Dass Dietrich damit nicht zum Antihelden wird (er kämpft, siegt, tötet weiter), dass sein Heldentum aber im Niemals-Aufgeben gegen das Böse besteht, wurde bereits erwähnt (vgl. S. 223). Dass Heldenepik – gerade auch Dietrichepik – trotzdem für die Konzeptualisierung unkontrollierter Gewalt steht, zeigt freilich die Funktionalisierung heldenepischen Erzählens als Zeichen sinnloser und bisweilen grotesker Gewalt in ‹Die böse Frau›, ‹Wachtelmäre› und Heinrich Wittenwilers ‹Ring›,101 zeigt auch, ohne komische und groteske Elemente, Hans Sachs’ ‹Fechtspruch› (vgl. S. 242). Vergleichbares belegen die Komisierung dietrichepischer Gewalt auch in anderen Ehekriegsmären und die Negativierung von Heldensage im geistlichen Spiel, wo bisweilen Christi Widersacher und Grabwächter Dietrichsagennamen tragen, Dietrichsagenrequisiten führen, sich mit dietrichepischer Lust an der Gewalt womöglich gar dem auferstehenden Christus entgegenstellen wollen.102 Ein spezifischer Rekurs auf ‹historische› Dietrichüberlieferung erfolgt dabei freilich nicht: Im ‹Ring› deutet die Beteiligung von Riesen und Zwergen, von Ecke und Laurin, auf aventiurehafte Dietrichepik; allenfalls könnte der Kontext eines (hier mythisierten) Kriegs (nicht markiert) auf ‹historische› Dietrichepik verweisen. Die Ehekriegsmären beziehen sich entweder eindeutig auf aventiurehafte Dietrichüberlieferung (‹Die gezähmte Widerspenstige›, mit der Nennung des Riesen Asprian, dessen Größe dem Gatten der Widerspenstigen so wenig nützen würde wie Dietrichs Stärke103) oder auf Vorstellungen von Dietrichs, Witeges oder Hildebrands Kampfkraft und Wolfharts Aggressivität (‹Die böse Frau›, ‹Der Reiher›; vgl. S. 54, 56), wie sie in aventiurehafter und ‹historischer› Dietrichepik begegnen. Für die geistlichen Spiele mit Dietrichsagenanspielungen gilt Entsprechendes (Namen vor allem aus aventiurehafter Dietrichüberlieferung in ‹Kremsmünsterer Dorotheenspielfragment›, ‹Bozner Osterspiel I›, ‹Bozner Osterspiel III› und ‹Egerer Passionsspiel›; Mimming, tendenziell eher der aventiurehaften Dietrichüberlieferung zugehörig, im ‹Redentiner Osterspiel›; nicht für eine bestimmte Textgruppe spezifische Vorstellungen von Dietrichs Kampfkraft in ‹Bozner Osterspiel I› und ‹Alsfelder Passionsspiel›). Die Problematisierung von Gewaltverhalten in diesen Texten scheint sich weniger auf Kriege und Massenschlachten als auf die Gefahr ungehemmter Gewalttätigkeit des nicht mehr als ungebrochen heldenhaft wahrgenommenen Einzelnen zu beziehen und damit auf den Gattungshorizont gerade nicht speziell der ‹historischen› Dietrichepik, die kaum mehr als Hintergrund präsent sein dürfte und überdies mit ihren konsequenten Gewaltlegitimierungsstrategien im Kontext eines Defensivkriegs einer Negativierung nicht primär Vorschub leistet.

––––––– 101 102 103

Vgl. KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 365–377. Vgl. Test., S. 21, 23; Nr. 141, 177, 180; 196, 230, 231, 248, 270, 272. Vgl. Test. Nr. 180.

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VII. Die ‹historische› Dietrichepik als «Dichtung über Heldendichtung»

MICHAEL CURSCHMANNs viel zitiertes Schlagwort von der nachnibelungischen Heldenepik als «Dichtung über Heldendichtung»1 wird von ihm selbst – außer auf ‹Biterolf und Dietleib› – auch auf ‹Dietrichs Flucht› und ‹Rabenschlacht› angewendet, obgleich diese auf den ersten Blick weit ungebrochener in heroischen Stoff-, Erzähl- und Wertetraditionen verwurzelt scheinen und insbesondere das Element von Burleske und Parodie weitgehend vermissen lassen. Verschriftlichung in der Phase nach dem ‹Nibelungenlied› bedeute, «dass die Heldenepik sich selbst zum literarischen Gegenstand wird, in literarischen Experimenten, die im Zusammenhang eines allgemeinen Aufbruchs zu neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten zu sehen sind».2 An ‹Dietrichs Flucht› hebt CURSCHMANN insbesondere die Aktualisierung hervor,3 vor allem durch die Thematik der Fürstenerziehung und die Fürstenspiegelfunktion des Textes. Aktualisierung impliziert freilich noch nicht Selbstreflexion der Gattung, verlängert vielmehr tendenziell eher einen traditionellen Rezeptionsmodus heroisch-kollektiver Tradition in die Gegenwart hinein. Dass die Schilderung der Schlacht bei Raben in ihrem Mittelteil rafft und abstrahiert, in der Tat «apostrophiert»,4 gehört zu den in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelten gattungsübergreifenden Techniken der Schlachtschilderung, kann also nicht als Gattungszitat gelten. Das von CURSCHMANN richtig beschriebene «ausgeprägte[] Gefühl für die Zeit als Ordnungsfaktor der Erzählung» in der ‹Rabenschlacht› bedeutet keinesfalls, dass der Verfasser «sich deutlich von der Tradition abhebt, aus der sein Stoff und sein Thema stammen»5 – von dieser Tradition ist nur das ‹Nibelungenlied› fassbar, das sehr wohl die Zeit als «Ordnungsfaktor der Erzählung» nutzt.6 Gleichwohl trifft das Etikett «Dichtung über Heldendichtung» in der Tat auch die Fluchtepen,7 insofern sie eine Metaebene der Reflexion über heroisches Handeln und heroisches Erzählen etablieren, heroische Verhaltensweisen, Interaktionsmuster und Rollenstereotype thematisieren. Darüber hinaus erfolgt eine im weitesten Sinn intertextuelle Auseinandersetzung mit anderen Heldensagen und Heldenepen, in erster Linie mit dem ‹Nibelungenlied›. Indem die Texte sich schließlich als Stellungnahmen zu ihren eigenen Erzählformen, Strukturmustern und Konzeptualisierungen aneinander anschließen, konstituieren sie sich als

––––––– 1 2 3 4 5 6 7

CURSCHMANN 1976 (LV Nr. 181). Ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. ebd., S. 17f., Zitat S. 18. Ebd. Grundlegend: WACHINGER 1960 (LV Nr. 580). So z.B. auch KERTH 2008 (LV Nr. 357), S. 146 und passim; KROPIK 2008 (LV Nr. 397), passim.

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«Dichtung über Heldendichtung»

Textgruppe, (Sub-)Gattung, und bieten zugleich in der für späte Heldendichtung charakteristischen Hybridisierung und Offenheit Anschlussmöglichkeiten für Texte anderer literarischer Reihen (in erster Linie aventiurehafte Dietrichepen oder den im Schnittfeld mehrerer literarischer Traditionen stehenden ‹Biterolf›). Die genannten Aspekte wurden im Detail bereits erörtert; hier seien sie mit Blick auf die literarhistorische Stellung der ‹historischen› Dietrichepen nochmals pointiert gebündelt. Die ‹historischen› Dietrichepen greifen Sagenmuster auf, vor allem Handlungsschemata und Rollenstereotype der Sage (besonders den glücklosen Sieg und das Exil; den alten Hildebrand, den aggressiven Wolfhart, den milten Rüdiger, die ‹Heldenmutter› Helche, den Töter junger Helden und Überläufer Witege, den armen Dietrich). In den meisten Fällen werden die Muster nicht einfach reproduziert, sondern produktiv weiterentwickelt; insbesondere wird der glücklose Sieg durch Wiederholung zum Deutungsmuster, der Held durch wiederkehrendes Unglück erst recht zum armen Dietrich. Wiederholung bedeutet freilich zugleich auch Abschwächung, wiederkehrendes Unglück auch wiederkehrenden Widerstand des Helden: Heroik wird so mit den ihr eigenen Mustern zugleich bestätigt und subtil unterlaufen. Zugleich wird zumindest gelegentlich explizit ein Metastandpunkt zu heroischen Verhaltensmustern und Denkformen eingenommen. Das geschieht zum Teil neutral bzw. affirmativ, um das eigene Erzählen – trotz deutlicher Variation – an die Sage anzuschließen. Aus diesem Grund wird der noch jugendliche Dietrich durch den Erzähler (DF v. 2487–2490) und teilweise durch die Mitglieder des Hunnenhofs punktuell doch auch als der gerühmte Sagenheld wahrgenommen. In ‹Dietrich und Wenezlan› scheint, Wolfhart zufolge, Dietrichs Sagenruhm zu Beweisen seiner Tapferkeit, d.h. zur Annahme von Wenezlans Herausforderung zu verpflichten (DWen v. 5–12.) Auch Wates Anrede an Dietleib als den weithin bekannten Sagenhelden, von dem man groze wunder seit (DF v. 3927), dürfte noch neutral sein, obwohl die fama des Helden da (wie bei Dietrich im ‹Eckenlied›) nur mehr den Effekt hat, Herausforderer und damit vermeidbare Gewalt zu provozieren. (Dass der Zweikampf der ohnehin gewaltgesättigten Schlacht aufgesetzt wird, führt hier keine Komponente von Höfisierung ein, sondern die heroischen Mechanismen von fama, Herausforderung und reaktiver Gewalt vor.) Die Diagnose fataler fama bestätigt insbesondere ‹Alpharts Tod›: Wenn Alphart sich einen Namen macht, indem er durch Verweigerung der Namensnennung den eigenen Tod provoziert, treibt das – trotz der Sympathielenkung zugunsten des jungen Helden – den Mechanismus heroischer Memoria so pointiert auf die Spitze, dass man im Handeln des jungen Helden (zumal bei seinem substantiell höfischen, nicht heroischen Verhaltenscodex) schwerlich traditionelle Heroik erkennen mag, sondern eher ein Lehrstück über die Tödlichkeit heroischer Unbedingtheit, mit der Alphart freilich trotzdem zum Katalysator der Racheschlacht und damit von Dietrichs Sieg wird. Trotz des übergeordneten Interesses an militärischem Erfolg ruft vor allem Wolfhart dazu auf, durch Tapferkeit den eigenen Sagenruhm zu etablieren – so wie im ‹Nibelungenlied› Rüdiger (NL 2154,3), Hagen (NL 2341,2f.) und eben auch Wolfhart (NL 2302,1–2303,4) die mündliche Bewahrung ihrer Memoria imaginieren: «[...] Wir suln hiute werben, daz man uns chlagt hin nach.» (DF v. 3409f.);

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«Dichtung über Heldendichtung»

«[...] Wir sulnz also schaffen, daz laien unde phaffen von dirre vreise mær sagen [...]» (DF v. 6428–6430); «Ich gemache sætel lære, daz man da von m*z immer sagen mære» (RS 518,5f.). Freilich wirkt in ‹Dietrichs Flucht› einiges verfremdet: Klage ersetzt heroische Memoria (einen heldenhaften Tod will der Held, wie Wolfhart im ‹Nibelungenlied›, traditionell nicht beklagt wissen); phaffen gehören (auch wenn die Doppelformel bekanntlich nur ‹alle› umschreibt) ursprünglich nicht zu Trägern heroischer Memoria – hier ist die Vorstellung von der Bewahrung der Memoria bereits aus dem mündlich-kollektiven Gedächtnis in klerikale Schriftlichkeit verschoben. In ‹Alpharts Tod› fürchtet Heime dagegen Lieder über seinen und Witeges Verrat als mündliche Anti-Memoria: «[...] / von unsern untruen must man umber singen und sagen [...]» (AT v. 1015/255,4). Mindestens Wolfharts Aufrufe können – vor dem Hintergrund der Dominanz pragmatischer Interessen – nicht mehr als ‹naiv› heroisch gelten; der Erzähler lässt Wolfhart vielmehr seine traditionelle Rolle spielen. Unterstrichen wird das durch die bereits analysierten Szenen rückhaltloser Gewaltbereitschaft, vor allem, wo die Wolfhartrolle in grotesk übersteigerten Blutmotiven (Bluttrinken, Bootfahren auf den Blutfluten) auf die Spitze getrieben ist (vgl. S. 205, 206f.). Das führt Heroik vor, im Wissen sowohl um Rollenvorgaben (Wolfhart) als auch um typisch heroische Erzähltraditionen (Hyperbolik) und heroische Werte (Tapferkeit, Gewaltexzesse, Nachruhm). Heroik zieht hier freilich, anders als im ‹Nibelungenlied›, keine Gewalteskalation oder gar Katastrophe nach sich (die sind Ermrich und Witege zur Last gelegt); vielmehr sind pragmatischerfolgsorientiertes und heroisches Verhalten harmonisiert. In Übersteigerung und Ironisierung von Heroik ist zugleich Verharmlosung impliziert. Destruktion ist nicht mehr der Heroik selbst inhärente Gefahr, sondern kommt von außen, durch die Machenschaften der Bösewichter. Heroische Gewaltbereitschaft, die sich in ‹Nibelungenlied› und ‹Klage› durch Selbstzerstörung totläuft, wird hier zwar überspitzt zitiert, aber nicht als Ursache der Katastrophe benannt, sondern eines der Mittel, sich dagegen zu wehren. Die triuwe dagegen, im ‹Nibelungenlied› neben ungezügelter Gewaltbereitschaft und Ehrversessenheit der Krieger eine der Ursachen der Gewalteskalation, behält ihr destruktives Potential, wenn Dietrich um der triwe zu seinen Gefolgsleuten willen sein Reich und seine Schutzbefohlenen dem Gewaltherrscher Ermrich preisgibt. Dass sie zumindest streckenweise und in pointierter Gegenüberstellung zur untriwe Ermrichs als ideales Herrscherverhalten propagiert wird, deutet auf eine vergleichbare Tendenz zur Entproblematisierung, gerade wenn diese nur gesucht und nicht wirklich erreicht wird. Meta-heroische Äußerungen und Erzählstrategien betreffen nicht nur die Sage, sondern auch die verschriftlichte Heldenepik. Die ‹historischen› Dietrichepen stehen in intertextuellen Beziehungen zum ‹Nibelungenlied› und anderen Heldenepen, daneben aber auch zu anderen Gattungen, Brautwerbungsepik und höfischem Roman, und stellen insoweit hybride Gebilde dar. Trotz der Funktion dieser Hybridisierung für die Legitimation des Helden und die Geschichtsperspektive der Dichtungen dürfte der Aspekt literarischen Spiels sogar in den von Ernstkampf und Krieg geprägten ‹historischen› Dietrichepen eine Rolle spielen: Dafür spricht das Turnier vor Padua in der ‹Rabenschlacht› (RS Str. 214–255), das, zumal mit dem im

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Vergleich zum ‹Nibelungenlied› und zu Wolfram von Eschenbach rollenwidrig agierenden Rumolt (RS Str. 223–225), schwerlich als ernsthafter Bestandteil der Kriegführung verstanden werden kann; dafür sprechen Ansätze zu einer – den Texten sonst fremden – Komisierung8 bei der Umkehrung (Rumolt; vgl. S. 176, 184) oder Übersteigerung (Wolfhart) von Sagenstereotypen und bei der grotesk selbstbezüglichen Variation von Dietrichs Feueratem, mit dem er ausgerechnet die eigene Rüstung aufweicht (vgl. bes. S. 189f.). Die Komisierung gerade des tragischen Motivs von der Rache für die Helchesöhne in anderen Zeugnissen, der Fabel ‹Wolf und Geiß I› und dem Schwankfragment ‹Rache für die Helchensöhne› (vgl. S. 44, 58), lässt eine entsprechende Lesart nicht ganz abwegig erscheinen. Im Vordergrund freilich dürfte in den Fluchtepen die der Hybridisierung inhärente Stellungnahme zum heroischen Substrat von Krieg und Gewalt stehen. Dieses heroische Substrat wird durch die Annäherung an andere Gattungstraditionen verfremdet und relativiert, darüber hinaus auf nichtheroische Ideale von Herrschaft verpflichtet. Dass Höfisierung nur ein punktuelles, auf Dauer nicht valides Gegenstück darstellt, wurde bereits erläutert. Die entscheidende Verschiebung gegenüber heroischen Traditionen erfolgt nicht durch Höfisierung, sondern durch Moralisierung und Legitimierung einerseits, durch Ausrichtung des Kampfes auf pragmatische Erfolge andererseits – auch wenn diese, der Sagenrolle des armen Dietrich entsprechend, innerhalb der erzählten Zeit auf die Dauer ausbleiben. Dieser Pragmatismus lässt sich aus der Annäherung an höfischen Roman oder Brautwerbungsepik nicht erklären, sondern dürfte auf grundsätzliche Änderungen in Gewaltdiskurs und Gewaltverhalten schließen lassen. Die Verschiebung gegenüber heroischen Traditionen impliziert in erster Linie Stellungnahme zum ‹Nibelungenlied› (vgl. bes. S. 182–184): Gegenüber dem ‹Nibelungenlied› wird Dietrich aus seiner prekären Stellung zwischen den Fronten befreit, wird er von vornherein zum Gegner der Burgunden, die, indem sie Ermrich unterstützen, auf der Seite des Bösen stehen. Die Rolle des armen Dietrich wird zwar einerseits ausgebaut (Dietrich erleidet nicht einmal, sondern wiederholt schwerste Verluste), aber andererseits, wie in der ‹Klage›, auch relativiert: Dietrich gibt niemals auf und findet immer wieder Unterstützung. Eine «Determination» (URSULA SCHULZE), wenn nicht «zum Untergang», so doch zu habituellem Scheitern und Unglück, wird in Dietrichs Klagen angesichts der über ihn verhängten unsælde (vgl. bes. S. 222, 226f.) zwar verbal beschworen, aber eben gerade nicht tatenlos hingenommen. Auch als Stellungnahme zum ‹Nibelungenlied› nehmen die Fluchtepen eine Metaebene ein. Intertextuelle Verweise auf andere Heldenepen (vgl. S. 182–184) dienen nicht in erster Linie der Diskussion von Konzeptualisierungen heroischer Epik, sondern der Einbindung in den Horizont der Gattung.9 Das ‹Eckenlied› ist als Auseinandersetzung mit der Rolle des armen Dietrich, mit dem Deutungsmuster des glücklosen Siegs angelegt (vgl. S. 45–47). Wenn nun die erhaltene ‹Rabenschlacht› das ‹Eckenlied› zitiert, zielt das nicht etwa gegen das ‹Eckenlied› und nicht auf eine Restitution der traditionellen Rolle des armen Dietrich; auf die Meta-Konzeptualisierung des ‹Eckenlieds› wird nicht rekurriert; Dietrich agiert in der entsprechenden ‹Rabenschlacht›-Szene nicht wie der Dietrich des ‹Eckenlieds›, sondern quasi in der Rolle Eckes. Ein Anflug von literarischem Spiel zeigt sich auch in dem bloß

––––––– 8

9

Grundsätzlich zur Komik in der Heldendichtung: WURZER 1951 (LV Nr. 605); BRAUN 2005 (LV Nr. 161). Vgl. KROPIK 2008 (LV Nr. 397).

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zitathaft, schwerlich funktional eingesetzten Motiv vom Frauendienst – als handle der Dietrich der ‹historischen› Dietrichepik mit Blick auf die Anerkennung der Damen und als wäre Witege derjenige, der um der Damen willen sein Leben riskiert. Im Verhältnis der ‹historischen› Dietrichepen zueinander spielt beides eine Rolle: der Anschluss an die eigene Gattung und die Auseinandersetzung mit deren Konzeptualisierungen. In ‹Dietrichs Flucht› wird, wie mehrfach erläutert, der eine glücklose Sieg der RabenschlachtFabel durch Wiederholung als Erzähl- und Deutungsmuster etabliert, Dietrich das Scheitern nicht nur einmalig, sondern dauerhaft auf den Leib geschrieben; dennoch hindert das wiederkehrende Unglück Dietrich nicht daran, immer wieder aufs Neue die Rückeroberung zu versuchen. Gegenüber der Rabenschlacht-Tradition impliziert Wiederholung ‹nach vorne›, gegenläufig zur Steigerung des Unheils, eine gewisse Bagatellisierung, Wiederkehr des Unheils auch die Wiederkehr des angestrengten Widerstands. Beide Fluchtepen sind angesichts ihrer ‹Nibelungenlied›-Reminiszenzen als Antwort auf das ‹Nibelungenlied› interpretierbar: Dessen Pessimismus wird in den Fluchtepen zwar nicht aufgehoben, aber doch durch die spezifische Heldenkonzeption Dietrichs relativiert. Inwieweit die ‹Rabenschlacht› sich nicht nur stärker an heldenepische Traditionen anschließt, metrisch wie erzähltechnisch, sondern sich auch dezidiert von der ‹Flucht› abgrenzt, auf deren Ereignisfolge sie gleichwohl abgestimmt ist (vgl. S. 11f.), lässt sich angesichts der Unsicherheiten in der Chronologie nicht sagen. Feststellbar ist in jedem Fall ein ‹Dialog› der Texte: Die Fluchtepen antworten auf das ‹Nibelungenlied› und reagieren zugleich aufeinander; dadurch konstituieren sie den Zusammenhalt der Textgruppe. Das Sprossepos ‹Alpharts Tod› lagert sich an die Fluchtepen an, indem es an deren Grundkonstellation (den Konflikt von Dietrich und Ermrich) und Rollenstereotype (von Ermrich, Sibeche, Witege, Hildebrand und Wolfhart) anknüpft. Gerade weil der Ausbruch des Konflikts zwischen Dietrich und Ermrich thematisiert wird, parallel zu ‹Dietrichs Flucht›, nicht davor, eröffnet die Anlagerung zugleich Erzählalternativen: statt der verräterischen Einladung die offene Herausforderung, statt der Vertreibung durch Erpressung nach glücklosem Sieg einen glanzvollen Schlachtsieg, der den Aggressor zumindest fürs Erste vertreibt. ‹Dietrich und Wenezlan› setzt Vertreibung und Exil voraus und schließt auch mit dem Motiv der Erpressung Dietrichs durch Gefangennahme seiner Gefolgsleute an ‹historische› Dietrichüberlieferung (nicht an die erhaltenen Texte) an; insofern bei der Erpressung die Herausforderung zum Zweikampf an die Stelle des erzwungenen Exils tritt, dürfte auch hier eine Alternative zu der entsprechenden Episode der ‹Flucht›-Tradition vorliegen. Freilich ist dies, wie bereits erwähnt, verbunden mit dem Motiv von Dietrichs Zaudern in seiner aventiurehaften Ausprägung und mit der gleichwohl unbestimmt vorausgesetzten Exilsituation. Die Textgruppe entsteht und wächst durch das Aufgreifen vorgegebener Handlungsmuster und Rollenstereotype; aber auch andere Texte schließen sich an, indem sie einzelne Muster und Stereotype übernehmen, sich freilich daneben oder primär anderen literarischen Reihen zuordnen. Daraus resultieren die fließenden Grenzen der Subgattung (vgl. S. 4, 5f.) und eine Ansammlung weiterer Erzählalternativen: Am ausgeprägtesten ist die partielle Attraktion einzelner Erzählelemente bei gleichzeitiger Ausprägung narrativer und konzeptueller Alternativen, wenn ‹Biterolf und Dietleib› punktuell auch dietrichepische Konstellationen einbezieht in seine postheroische Parodie: Ermrich kämpft nicht als Verwandtenfeind gegen Dietrich und die Harlungen, sondern vereint mit ihnen auf der Seite des gemeinsamen Verwandten Dietleib; nicht nur der Erzähler macht sich über Wolfharts (in Nibelungen- und Dietrichüberlieferung) typische Rolle lustig, sondern auch Dietrich über sein späteres Selbst als landloser König (vgl. S. 49–51); die Alternative zur nibelungischen Katastrophe, die die burlesken

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Konfliktlösungsstrategien von Worms aufzeigen, dürfte prospektiv auch für die Dietrichhandlung gelten. Das ‹Eckenlied› setzt – ohne Erklärung, wie Dietrich wieder in sein angestammtes oberitalienisches Reich gelangt ist – die Katastrophe der Rabenschlacht voraus und kann als Alternative zur ‹historischen› Dietrichüberlieferung gelten (nicht zu den später entstandenen erhaltenen Fluchtepen), insofern Dietrichs Heimkehr nach der Rabenschlacht zwar nicht auserzählt, aber doch vorausgesetzt wird und insofern eine Auseinandersetzung mit der überkommenen Rolle des mit unsælde geschlagenen armen Dietrich, des glücklos klagenden Siegers erfolgt (vgl. S. 45–47);10 die zentrale Heldenkonzeption der ‹historischen› Dietrichepik wird in die aventiurehafte gezogen, um sie einerseits in der sozialen Bindung des Kampfes gegen Fasold, andererseits im vorauszusetzenden Ende des Exils und (in der in der Druckfassung angeschlossenen Fortsetzung des Geschehens) im historischen Erfolg gegen Odoaker aufzuheben.11 Vergleichbares gilt für ‹Rosengarten› D, wo Dietrich Etzel einmal nicht seiner Krieger und Söhne beraubt, sondern mit ihm und auch für ihn Gibeches Reich als Lehen gewinnt (vgl. S. 48); Dietrich zehrt hier nicht von, sondern mehrt Etzels Macht. Nur im ‹Wunderer› ist das Motiv von Dietrichs Aufenthalt am Etzelhof so stark arturisiert, dass der Text aus der ‹historischen› in die aventiurehafte Reihe abdriftet (vgl. S. 61f.). ‹Dietrichs Flucht› scheint als eine nicht von Drachenkämpfen, sondern von politischen und militärischen Herausforderungen an einen jungen Herrscher geprägte Jugendgeschichte eine (wenn auch im Zusammenhang mit Dietrichs Jugend nicht eindeutig markierte) Reaktion auf die aventiurehafte Dietrichüberlieferung darzustellen. Andererseits greifen Schemata der ‹historischen› Dietrichüberlieferung auch auf die aventiurehafte Dietrichepik über. Das gilt nicht nur für Dietrichs Verbindung mit Etzel, sondern auch für das Schema vom glücklosen Sieg, mit dem sich nicht nur das ‹Eckenlied› auseinandersetzt, sondern das, als niemals endgültiger Sieg über das Böse, möglicherweise auch auf die (Heidelberger) ‹Virginal› ausstrahlt, wo die Nachricht vom Krieg in Bern das glückliche Ende unterläuft. Das gleiche Verfahren, das die Fluchtepen und ‹Alpharts Tod› zu einer Textgruppe zusammenschließt, bedingt auch ihre Öffnung nach außen.

––––––– 10 11

Vgl. BLEUMER 2000 (LV Nr. 148). Vgl. ebd., bes. S. 148, 151.

260

Abkürzungen

AbäG ACME AfdA Archiv AT ATB BLVSt C. DF DHB DTM DVjs DWen E2/E7 FS GAG GRM Handschriftencensus Hs., Hss. JOWG Kl *B MGH MR MTU N.F. NGA NL PBB PL Pz. RGA

RLW

RS SB

Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Annali di lettere e filosofia dell’Università degli Studi di Milano Anzeiger für deutsches Altertum Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen ‹Alpharts Tod› (LIENERT/MEYER 2007, LV Nr. 8). Altdeutsche Textbibliothek Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart Walther von der Vogelweide (CORMEAU 1996, LV Nr. 107) ‹Dietrichs Flucht› (LIENERT/BECK 2003, LV Nr. 22) Deutsches Heldenbuch Deutsche Texte des Mittelalters Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte ‹Dietrich und Wenezlan› (LIENERT/MEYER 2007, LV Nr. 8) ‹Donaueschinger› bzw. ‹Dresdner Eckenlied› (vgl. BRÉVART 1999, LV Nr. 26) Festschrift für Göppinger Arbeiten zur Germanistik Germanisch-Romanische Monatsschrift Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters. Ein Gemeinschaftsprojekt von Rudolf Gamper u.a.: http://www.handschriftencensus.de Handschrift, Handschriften Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft ‹Nibelungenklage› (BUMKE 1999, LV Nr. 64), Fassung *B Monumenta Germaniae Historica Marburger Repertorium. Deutschsprachige Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts. Leitung Prof. Dr. Joachim Heinzle/Dr. Klaus Klein: http://www.mr1314.de/ Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Neue Folge NIEWÖHNER 21967 (LV Nr. 69) ‹Nibelungenlied› (DE BOOR/WISNIEWSKI 1996, LV Nr. 66) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Patrologia Latina Wolfram von Eschenbach, ‹Parzival› (LACHMANN/KNECHT 1998, LV Nr. 111) Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. 2., völlig neu bearb. und stark erw. Aufl. hg. von HEINRICH BECK/DIETER GEUENICH/HEIKO STEUER. 35 Bde. und 2 Registerbde. Berlin/New York 1972–2008 Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. 3 Bde. Hg. von KLAUS WEIMAR u.a. 3. Aufl. Berlin/New York 1997–2003 ‹Rabenschlacht› (LIENERT/WOLTER 2005, LV Nr. 78) Sitzungsbericht(e)

261

Abkürzungen

SM SNE SS Test. 2 VL

WdF Wh. ZfdA ZfdPh ZfG

262

Sammlung Metzler Neidharts Lieder (LV Nr. 63) Scriptores Dietrich-Testimonien (LV Nr. 195) Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Aufl. hg. von KURT RUH/BURGHART WACHINGER [u.a.]. 14 Bde. Berlin/New York 1978–2008 Wege der Forschung Wolfram von Eschenbach, ‹Willehalm› (HEINZLE 1991, LV Nr. 112) Zeitschrift für deutsches Altertum Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für Germanistik

Literaturverzeichnis

Ausgaben 1. 2.

3. 4.

5.

6. 7. 8.

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Namen- und Sachregister

Das Register erfasst Autoren und Werke der Primärliteratur (nicht Autoren der Forschungsliteratur) sowie ausgewählte Eigennamen, Motive, Begriffe und sonstige Sachhinweise. Nicht verzeichnet sind fast omnipräsente Namen und Begriffe wie Dietrich von Bern (wichtige Motive und Personen, die ihm zugeordnet sind, erscheinen jeweils unter den entsprechenden Stichworten), Bern als Herkunftsbezeichnung Dietrichs, Heldenepik, ‹historische› Dietrichepik, Fluchtepen, ‹Dietrichs Flucht›, ‹Rabenschlacht›; zu umfassenden Stichwörtern wie Gattungsfragen, Gewalt(diskurs), Heldentum werden nur die zentralen Stellen aufgeführt. Namen sind in der Regel nach den üblichen deutschen Sagennamen eingeordnet.

Albrecht von Kemenaten, ‹Goldemar› 145 Albrecht, ‹Jüngerer Titurel› 51, 54, 55, 84 Allegorisierung von Sage 99, 101, 234, 242 Alphart 8, 10, 12–15, 22, 49, 62, 63, 70, 73, 115, 121–124, 132–137, 138 A. 1, 139, 152, 155, 162, 185, 186, 187, 195, 197, 198f., 199, 202f., 204, 207, 221 A. 40, 225 A. 57, 227–229, 249, 250, 251, 252, 256 ‹Alpharts Tod› 3–7 passim, 10, 11, 12–15, 18, 21, 22, 39, 43, 45, 47, 56, 57, 63, 64, 66, 69, 70, 71, 72–75, 76, 92–94, 95, 96, 97, 100, 113, 116, 117, 121–124, 125, 126, 129, 132, 133, 134, 135–137, 138, 139, 151f., 153–156 passim; 157, 162, 165, 167, 173, 174, 181, 185, 186, 187, 194–200 passim, 202f., 204, 207, 208, 214, 217, 219– 223 passim, 224, 225 und A. 57, 227, 243, 246, 249, 250, 251, 256, 257, 259, 260 alte maere 166, 168, 178f. Ambiguisierung 19, 135, 195f., 200, 224 ‹Ambraser Heldenbuch› 83–85, 88–91 passim, 95–98 passim, 98–100, 101, 105, 249 Amelunch (Vorgänger Dietrichs) 8, 88, 108, 128, 130, 140, 189, 191, 196, 251 Amelungen, Amelungenuntergang 11, 20, 31, 32, 35, 38, 39, 41, 47, 51, 54, 55, 60, 67, 69, 76, 114, 154; 155; 156, 181, 200, 205, 212, 227, 236, 237 Anachronismus, anachronistisch 1, 28, 36, 101, 128, 171, 231, 234f., 235, 243, 245 und A. 73 ‹Annales Quedlinburgenses› 29, 34f., 35, 66, 67, 69, 233 A. 13 armer Dietrich 18, 29, 32, 38, 40f., 46f., 54, 56, 67, 71, 76, 99, 101, 144, 156, 220f.,

214, 220, 224, 225, 256, 258, 260 ĺ auch: glückloser Sieg Artus, Artushof 2, 5, 52, 62, 98, 190, 211, 233, 234 Arturisierung, arturisch 20, 62, 69, 90, 140, 172, 182, 185, 190f., 229, 242, 244, 246, 260 Artusroman 1, 2, 23, 62, 99, 103, 123, 173, 190, 237, 241 Attila ĺ Etzel Aventiure(fahrt, -weg, -kritik) 99, 101, 185, 222 aventiurehaft, aventiurehafte Dietrichüberlieferung/Dietrichepik 1, 2, 3, 5, 6, 15, 16, 19, 21, 22, 37, 42, 44f., 45–47, 49, 50, 51, 53, 54, 56, 57, 60f., 62, 64, 68, 71, 74, 76, 86, 95–101 passim, 130, 132, 139, 142, 156, 171, 174, 182–184, 186, 187f., 194, 195, 199, 200, 207, 214, 222, 223, 224, 232, 233, 234, 235, 241, 242, 244, 254, 256, 259, 260 (Aventiure-)Überschriften 12, 87, 105–108, 111f. A. 22, 123, 164 Balmung (Siegfrieds Schwert) 72, 176 Beglaubigung, Wahrheit(sbeteuerungen), 3, 24, 101, 156, 157, 162, 165, 168, 170f., 172, 231, 233, 237, 239f., 241 A. 61, 244 ‹Beowulf› 33 ‹Biterolf und Dietleib› 1 A. 1, 3 A. 15, 5–7, 11, 15 A. 68, 16f., 18, 22, 39, 45, 47, 48, 49–51, 55, 58, 66, 71, 72, 73, 83, 97, 98, 100, 125, 148, 155f., 184, 187 A. 216, 193, 194, 195, 211, 215, 244, 255, 256, 259

291

Namen- und Sachregister

Blutvergießen, Blutströme, Bluttrinken, Blutbad, Blutflut, Blutmeere 61, 177f., 187, 204, 205, 206f., 252f, 257 ‹Die böse Frau› 54, 84, 254 Brautwerbung, Brautwerbungsschema, Brautwerbungsdichtung/-epik 103, 110, 129, 130–132, 139, 140, 173, 185, 188–190, 191, 241, 244, 257, 258 Brüche 10, 18, 21, 103, 117, 138–153 Burgunden ĺ Nibelungen burlesk ĺ Komik Chanson(s) de geste 12 A. 59, 18, 19, 68, 187, 222, 241 A. 61 christliche Elemente ĺ Religiosität ‹Chronicon imperatorum et pontificum Bavaricum› 72 ‹Chronicon Wirciburgense› 35 Chronik(en), Chronistik, chronistisch 2, 22, 24, 27, 28, 34f., 35f., 54, 60f., 64f., 126, 156, 171f., 189, 232, 234–241 passim, 243, 245 A. 73 dämonische Züge Dietrichs, Verbindung mit dem Teufel 62, 188, 215, 245f. A. 73 ‹De vier heren wenschen› 61 ‹Deor› 32f., 76 deutsche Chansons de geste 135, 156, 186, 188 Diether (Bruder Dietrichs, von Witege getötet) 8–11 passim, 45f., 55, 62, 70, 71, 72, 73, 106, 107, 108, 112, 113, 114, 119–122 passim, 127, 129, 134, 139, 140, 144, 148– 150, 154, 185, 186, 191, 195, 225 Dietleib (von Steier, Dietrichheld) 5, 6f., 11, 49f., 55, 73, 106, 133, 138 A. 101, 142, 147, 193–195, 198, 205, 225 A. 60, 256, 259 Dietmar, Theodemer (Dietrichs Vater) 8, 26, 36, 54, 59, 60, 62, 65, 88, 89 A. 26, 90, 108, 117, 125, 128, 140, 141, 163f., 191, 200, 201, 214, 245 A. 73 Dietwart (Vorgänger Dietrichs) 8, 69, 71, 88, 89, 90, 105 A. 9, 114, 125, 126, 128, 129, 130f., 138, 139f., 163, 176, 188–191 passim, 246, 251 ‹Dietrich und Wenezlan› 1 A. 1, 5, 6, 7, 15– 17, 39, 51, 53, 57, 66, 68, 70, 94–96, 100, 130, 132, 155f., 186, 203, 207, 208, 222, 225, 251, 256, 259

292

Drache, Drachenkampf, Drachentöter 3, 51, 53, 56, 71, 125, 126, 130, 131, 138, 139f., 142, 182, 188, 189, 191, 196, 233, 235, 260 Eckehart (Erzieher der Harlungen) 8, 11, 14, 43, 48, 62, 63, 64, 70, 72, 73–75 passim, 122, 142, 147, 174, 194f., 208 ‹Eckenlied› 23, 24, 45–47, 51, 67, 71, 72, 100, 132, 155, 156, 174, 182–184, 187, 222, 224, 234, 236, 244, 256, 258, 259f. Ehekrieg, Ehekriegsmären 54, 242f., 254 Ehre, Ruhm 13, 40, 136, 142, 146, 152, 155, 198, 204, 207, 211f., 214, 228f., 245 A. 73, 250, 252, 256 ĺ auch: Memoria, Nachruhm Eilhart von Oberg, ‹Tristrant› 37 Elsan (Aufpasser der Etzelsöhne, nach deren Tod von Dietrich bestraft) 8, 9, 71, 72, 74, 78, 106; 107, 108, 112 A. 28, 118 A. 42, 138 A. 101, 149, 150, 186, 209, 210, 219, 225 A. 60 Emotion, emotional, Emotionalisierung, Sentimentalisierung 10, 18, 21, 22, 23, 108, 110, 120, 121, 146, 147; 148, 149, 153, 157, 162, 172, 177, 179, 200, 204, 213, 214, 221, 223, 247 enfance(s), Kindheits- bzw. Jugendgeschichte(n), Jugendabenteuer 19, 46, 54, 142, 174, 179 A. 183, 182, 215f., 260 Engelbert von Admont, ‹Speculum virtutum moralium› 57, 238 Erbe(n), Erbstreit 20, 56, 89 A. 26, 131, 140, 196, 215, 245 A. 73 Erinnerungskern(e) 27, 41, 231 ‹Ermenrikes dot› 63f., 72, 75, 100, 155, 186 Ermrich, Ermenrich, Ermanarich, Ermanrik (Gotenkönig, Onkel und Feind Dietrichs) 2, 4–17 passim, 19, 20, 28, 30, 31, 33–36, 37, 38, 41, 42, 43, 47–54 passim, 56, 57, 59, 62, 63, 64, 66–75 passim, 89, 90, 104– 119 passim, 121, 122, 123, 125, 127, 128, 129, 132, 134, 135, 136, 138 A. 101, 139– 144 passim, 151f., 153–156 passim, 157, 160–162, 163, 164, 165, 174, 175, 176, 180, 182, 185, 186, 187, 189, 190, 191, 193–210 passim, bes. 196–198, 216, 217, 218, 219 A. 37, 221, 223, 224–227 passim, 229, 231, 234, 235, 246, 248, 250–253 passim, 257, 258, 259 Erzähler, Erzähleräußerungen, Erzählerrolle, Erzählsituation 23, 43, 54, 70, 75, 90,

Namen- und Sachregister

104, 105, 107, 108–110, 111f. A. 22/24, 116, 118, 123, 128, 135, 137, 138 A. 101, 139, 141, 143, 148–155 passim, 156–158, 160, 162–172, 180, 181, 185, 197, 199, 202, 212, 216, 218, 219, 223, 224–228, 239, 240, 246, 248, 251, 253, 256, 257, 259 Erzählschablone(n), Erzählschema(ta) 3, 21, 23, 66, 103, 104f., 110f., 114, 116, 121, 122, 124, 128, 129–133, 140, 144, 154f., 173f., 185, 187 Etzel, Attila (Hunnenkönig) 1, 2, 4, 5–11 passim, 15, 16, 17, 20, 26, 28, 31, 34–40 passim, 43, 45, 48–55 passim, 57–60 passim, 62, 63, 65–70 passim, 72, 74, 75, 103 A. 5, 106–109 passim, 114–118 passim, 120, 125, 126, 128, 129, 138 A. 101, 139, 145, 146–148, 149, 150, 171, 179, 185, 187 A. 216, 189, 190, 191, 194, 199, 208–214 passim, bes. 213f., 218, 221, 223, 229, 231, 234, 235, 237, 238, 244, 260 ĺ auch: Exil Exempelfunktion von Helden und Heldensage 243 ĺ auch: Exempelfigur(en), Vergleichsfigur Exempelfigur(en), Beispielfigur(en) 2, 32, 37, 57, 70, 101, 242 Exil Dietrichs (bei Attila-Etzel), Exilant(en) 1, 3, 5–8 passim, 14, 15, 16, 21, 23, 25, 26, 28, 29, 31–40 passim, 44, 47, 51–55 passim, 58, 59, 60, 62, 66–70 passim, 74, 75, 76, 97, 100, 104, 105, 109–115 passim, 117, 118, 120, 121, 124, 126–129 passim, 133, 134, 139, 142, 144, 146, 147, 154, 155, 156, 163, 173–176 passim, 181, 185, 193, 194, 198, 201, 202, 203, 208, 212, 213, 215, 218, 220, 222, 223, 231, 236, 245 A. 73, 256, 259, 260 ĺ auch: Vertreibung Falke (Pferd Dietrichs) 52 Fest(-e) 23, 51, 63, 107, 115, 120, 123, 126, 127, 145, 164, 179 A. 183, 190, 191, 210, 211, 247 Feueratem, Feuerspeien 8, 45, 46, 49, 52, 53, 62, 72, 174, 185, 187f., 215, 252, 258 Fiktion, Fiktionalität, fiktional, fiktiv 54, 157, 158, 165, 168, 171, 231, 235, 237–243 Flodoard von Reims, ‹Historia Remensis ecclesiae› 33

Fluchtsage 1, 4, 5, 6, 26, 28, 30–75 passim, 97, 100, 101, 144, 155, 173f., 182, 233, 234, 236, 244 ĺ auch: Exil, Vertreibung Fortuna 128, 224 Frauendienst 184, 189, 259 ‹frauenloser› Held Dietrich 145, 214 ‹Fredegar-Chronik› 64f. Friderich (Ermrichs Sohn) 34, 106, 108, 197 Friedrich II. (Kaiser) 21 A. 104, 72 A. 171 Fruote (Gegner Dietrichs) 202, 226 Frutolf von Michelsberg 28f., 35f., 234, 235 Fürstenspiegel 255 Gattung, Gattungsfragen 1–7, 21f., 45, 129f., 153, 173–186, 188, 190f., 240, 254, 255– 260 Gattungspoetik, lateinische 238 Gefolgschaft 21, 65, 199, 247–249 Gegnerschonung 22, 175, 226, 227, 252 geistliches Spiel 44, 243, 254 Genealogie, genealogisch 7, 19, 20, 47, 56, 58, 59, 60, 68, 69, 77, 87, 88, 90, 96–100 passim, 104, 105, 108, 125, 128, 130, 131, 138, 140, 141, 159, 160, 165, 189f., 191, 214, 215, 232f., 234, 236, 240, 244–246 ‹Gesta Theoderici› 1 A. 1, 29, 64f., 245 A. 72 und 73 Gewalt(diskurs) 2, 20, 42, 45, 56, 67f., 128, 140, 146, 184f., 189, 191, 196, 198, 200, 203, 207, 211, 227–229, 242f., 246, 248, 249, 250–254, 256, 257, 258 Ginover (König Artus’ Gemahlin) 190, 211 Giovanni Mansionario 232 Glosse zu Gregors des Großen ‹Dialogi› 35 Glosse zum ‹Carmen satiricum occulti Erfordensis› 63, 100 glückloser Sieg, victor victus , unsælde (Dietrichs) 15, 21, 23, 29, 30, 32, 38, 46, 70, 71, 72, 75, 76, 100, 104, 106, 110, 113, 114, 121, 127, 128, 129, 133, 144, 153, 154, 155, 181, 185, 210, 214, 218, 219 A. 37, 220f., 223, 224, 225, 231, 232, 254, 256, 258, 259, 260 Gott, Anrufungen Gottes ĺ Religiosität Gunther (Burgundenkönig, Gegner Dietrichs) 38, 133, 141, 174, 175, 179 A. 183, 180, 181, 184, 209, 252 Gregor der Große, ‹Dialogi› 2, 232

293

Namen- und Sachregister

Hache (Dietrichheld) 74 Hadubrand, Alebrant (Hildebrands Sohn) 31, 32, 47 A. 88, 61 Hagen (von Tronje) 38, 40, 133, 141, 163, 174, 176, 177, 179 A. 183, 180, 181, 200, 228, 250, 256 Hagen, Gottfried, ‹Reimchronik der Stadt Köln› 54, 171 Harlungen, Harlungensage 7, 8, 30, 33, 34, 35, 41, 42, 48, 49, 50, 62, 63, 64, 67, 68, 69, 74, 89, 105, 129, 132, 134, 161, 174, 194f., 197, 233, 259 ĺ auch: Eckehart Hartmann von Aue, ‹Der arme Heinrich› 190, 191 Heilsgeschichte, heilsgeschichtlich 126, 232, 235, 240, 241, 244 Heime (Dietrichheld, Verräter) 10, 12–15, 30, 33, 43, 47, 51–53, 54, 61, 63, 66, 70, 72–76 passim, 105, 119, 121–124 passim, 134–136 passim, 152, 162, 194, 195, 197, 198–200, 209, 223, 224, 227, 228, 233, 249, 252, 257 ĺ auch: Wilten Heinrich der Vogler 9, 20, 78, 91, 106, 111 A. 22, 157–160 Heinrich von München, ‹Weltchronik› 1 A. 1, 29, 58–60, 77, 87, 88–90, 100, 171, 191, 236f., 243 Heinrich von Veldeke, ‹Eneas› 37 Heinrich, ‹Reinhart Fuchs› 37f. Helche, Erka (Gemahlin Etzels, Gönnerin Dietrichs) 8–11 passim, 20, 38, 52f., 55, 62, 63, 67, 70, 72, 75, 106, 108, 111, 114, 115, 117, 120, 127, 138 A. 101, 139, 142, 145, 146–148, 149f., 153, 157, 177, 179, 180, 185f., 190, 193f., 195, 202, 208–214, bes. 211–214, 216, 221, 223, 248, 256 Helche(n)söhne, Etzelsöhne 11, 12, 36, 39, 40, 44, 45, 46, 48, 49, 52, 53, 55, 58, 62, 66, 67, 69, 71, 107, 108, 110, 112, 113, 119, 120, 121, 122, 128, 129, 134, 138 A. 101, 139, 144, 146–150 passim,153, 154, 155, 165, 179, 181, 185, 186, 194, 198, 200, 209–213 passim, 242, 258 Heldentum, Heldenkonzeptionen 2, 21, 46, 99, 173, 195f., 203, 207, 223, 227–229, 243, 248, 250–254, 259, 260 Heldenbücher, (gedrucktes) Heldenbuch 1, 100 ‹Heldenbuch-Prosa› 1 A. 1, 3, 12 A. 60, 18, 38f., 51, 57, 62f., 66–70 passim, 73, 74, 75, 100, 101, 175 und A. 166, 182, 187 A. 216,

294

188, 198, 224, 234, 235f., 244, 245f. A. 72/73 Heldenvergleich 48, 175, 185, 186 Heldenkataloge, Namenkataloge 18, 39, 54, 106, 107, 110, 130, 134f., 136, 138 A. 101, 139, 144f., 176, 180, 185, 187, 193, 194, 196, 252 Helferfiguren 37, 75, 195, 202, 208–214 Herausforderungsschema 16, 130, 132f., 156, 185, 186, 222 Heroik, heroisch, (Re-)Heroisierung 14 A. 64, 19, 22, 27, 30, 40, 42, 67, 76, 99, 128, 132, 139, 144, 146, 148, 149, 152, 153, 155, 179 A. 183, 180, 185, 187, 191, 195f., 198, 203, 204, 207, 214, 215, 219 A. 37, 220, 223, 227–229, 243, 250, 253f., 255, 256–258 Herrad (Nichte der Helche, Dietrichs Gemahlin) 8, 10, 38, 39, 41, 53, 62, 67, 70, 71, 106, 107, 111, 113, 114, 120, 127, 129, 131, 138 A. 101, 139, 144, 145f., 164, 179 A. 183, 189, 191, 192, 202, 209, 212, 213, 214 Herrschaft(sthematik), Herrscherverhalten 19, 20f., 29f., 71, 97, 99, 117f., 129, 131, 139, 140, 141, 185, 189, 190f., 197, 212, 214–221, 224, 226, 245f., 247–249, 250f., 257 Hildebrand (der Alte, Dietrichs Gefolgsmann) 2, 8, 13, 14, 17, 31, 32, 37, 38, 39, 41, 44, 50–63 passim, 67, 70, 73, 74, 76, 115, 121– 124 passim, 133, 138 A. 101, 145, 152, 155, 182, 195, 200–207, bes. 200–203, 208, 209, 212, 216, 217, 218, 223, 225 A. 60, 227, 228, 229, 238, 252, 254, 256, 259 ‹Hildebrandslied› (althochdeutsches) 4, 18, 28, 30, 31f., 66, 67, 69, 76, 133, 155, 201 Hildegrin (Dietrichs Helm) 13, 15, 47, 66, 74 Historizität, Geschichtlichkeit 3, 6, 21, 22– 24, 88, 231–243 ĺ auch: Rehistorisierung Hof, höfisch, Höfisierung 2, 22, 100, 125, 139, 142, 146, 158, 175, 179 A. 183, 184, 189, 190–191, 208, 210f., 226, 229, 247, 256, 258 Höllensturz, Höllenritt Dietrichs 2, 3, 36, 232, 245 A. 73 Hornhaut (Siegfrieds) 72, 188, 215, 252 Hugo von Fleury 28 A. 9, 35 A. 43 Hunnen ĺ Etzel, Exil

Namen- und Sachregister

Hunnensage 62, 64, 65f., 70 Hyperbolik, hyperbolisch, Hyperbel 14, 22, 44, 67, 68, 163, 164, 187, 216, 229, 252, 253, 257

Kriemhild/Gudrun (Gemahlin Siegfrieds und Etzels) 6, 38, 63, 66, 175, 176, 177, 180, 181, 189, 250 ‹Kudrun› 83, 97, 98, 176, 181, 188, 189, 253

Idealität, ideal, Idealisierung, Vorbildlichkeit 2, 5, 8, 19, 20, 61, 90, 109, 125, 128, 129, 131, 139, 140, 157, 160, 162, 182, 189, 190, 191, 216–220 passim, 226, 227, 229, 243, 245–248 passim, 251, 257, 258 Ilsan, Ylsam (Hildebrands Bruder, kriegerischer Mönch) 14, 74, 122f., 203, 217 Interessenbildung 20, 247–249 Intertextualität, intertextuell 3, 20, 21f., 71, 137, 146, 148, 153, 160, 163, 172, 173– 192, 195, 244, 252, 255, 257f.

laudatio temporis acti 90, 107, 158–160, 162, 164, 247, 248 Legende, legendenhaft 126, 237, 248 legitim, Legitimität, Legitimierungsstrategien 20, 29, 35, 61, 65, 98, 131, 140, 185, 189f., 198, 214f., 226, 234, 236, 239, 241 A. 61, 244, 245f., 249, 250, 251, 254, 257 ‹Lieder–Edda› (‹Guðrúnarqviða›) II und III 54, 76, 175f. List 44, 133, 200, 203, 206, 227, 229 Literarisierung, literarisches Spiel 28, 172, 188, 240, 241, 242f., 248, 257f. lokale/regionale Anbindung an Dietrichsage 232f.

Jans von Wien, ‹Weltchronik› und ‹Fürstenbuch› 171 Johannes von Thurocz, ‹Chronica Hungarorum› 65f. Jordanes 27, 29 A. 16, 36, 235 Jugendabenteuer ĺ enfance(s) ‹Jüngeres Hildebrandslied› 18, 32, 61, 68, 155 ‹Kaiserchronik› 1 A. 1, 23, 33 A. 32, 36, 58, 59, 66, 79, 80, 89, 98, 171, 234, 236, 237, 239, 243, 245 A. 72/73 Kampfkraft Dietrichs und seiner Helden 2, 22, 37, 54, 57, 70, 101, 227, 242, 254 Kampfschilderung ĺ Schlachtschilderung kollektiv, kollektive Memoria/Tradition, kollektives Gedächtnis 1, 3, 21 A. 109, 23f., 25, 135, 162, 166–170 passim, 172, 173, 179, 231f., 233–235, 237, 239, 241 A. 61, 243, 247, 255, 257 Komik, komisch, Komisierung von Heldensage; burlesk, grotesk 2, 43, 44, 45, 54, 56, 58, 67, 188, 196, 206, 242f., 253, 254, 255, 257f., 259 ‹König Rother› 37, 47, 188 Kontingenz, kontingent 128f., 131, 179 A. 183 Krieg 7, 13, 43f., 50, 52f., 54, 60, 62, 65, 69, 74, 105–124 passim, 125, 127, 129 f., 132f., 134, 144, 146, 148f., 157, 164, 185f., 189, 191, 196, 201, 203–207 passim, 208f., 211f., 220, 221, 225f., 229, 250–254, 257, 260

Marner 7 A. 30, 47f. Maximilian I. (Kaiser) 28, 83, 90, 95, 98– 100, 101, 232, 233, 234, 241, 249 Meerfrau (Ahnin Witeges) 8, 53, 72, 188, 223 A. 52 Meinhard von Bamberg 35 Memoria, Nachruhm 3, 23, 24, 25, 27, 98, 135, 166–172 passim, 204, 206, 227, 228, 229, 233, 234, 235, 237, 243, 247, 250, 256f. Metaebene 7, 19, 22, 44, 48, 49, 66, 167, 177, 180, 186, 195, 208, 255–260 Metellus von Tegernsee, ‹Quirinalia› 28, 37, 67 Mimming (Witeges Schwert) 8, 37, 61, 70, 71, 72, 74, 174, 176, 254 Minne, Minneehe 91, 131, 145f., 189 Moralisierung, moralisierend 19, 24, 153, 157, 160–162, 172, 180, 181, 195, 196, 198, 224–227, 249, 258 Motivation 15 A. 65, 34, 117, 133, 138, 139, 142, 145, 148–152, 153, 155, 179 A. 183, 194, 195, 240, 245 A. 73, 251 Mündlichkeit, mündlich 1, 3, 4, 5, 14, 18, 21, 24, 25, 27, 42, 43, 44, 50, 62, 68, 74, 76, 100f., 135, 137, 145, 156, 162, 165–172, 173–176, 178, 179, 184, 191 A. 232, 231, 234f., 237, 239, 247, 248, 256, 257

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Namen- und Sachregister

nachnibelungische Heldenepik 5, 169, 173, 180, 198, 247, 250, 255–260 Nagelrinc (Heimes Schwert) 37, 51, 74 Neidhart 44f., 67, 77, 78, 86, 97, 242 Nibelungen, Nibelungenuntergang, nibelungisch; Burgunden, Burgundenuntergang 2, 3, 6, 7, 11, 24, 27, 31, 32, 38, 49, 51, 53, 54, 58, 59, 60, 61, 63, 66, 68, 69, 71, 114, 121, 125, 128, 133, 141, 144f., 154, 156, 165, 166, 174–181 passim, 184, 186, 200, 212, 220, 243, 244, 245 A. 73, 251, 258, 259 ‹(Nibelungen-)Klage› 1 A. 1, 5, 6, 7, 10, 24, 38, 39–41, 51, 53, 66, 67, 69, 71, 72, 75, 76, 96, 97, 99, 114, 154–157 passim, 166, 168, 169, 174, 177–181 passim, 184, 185, 208, 257, 258 ‹Nibelungenlied› 1 A. 1, 4–7 passim, 10, 11, 19–24 passim, 29, 31, 38f., 40, 42, 46, 47, 48, 50, 51, 54, 58, 59, 61, 62, 66, 67, 69, 71, 76, 83, 96, 97, 125, 126, 133, 142, 144, 153, 154, 156, 157, 166, 168, 170, 173– 189, bes. 174–182, 199, 200, 201, 205, 208, 209, 210, 214, 220, 222, 225, 227, 228, 244, 247, 250, 253, 255–259 passim, bes. 258/259 ‹Nibelungenlied› n 15, 92, 93, 96 Nuodunc (Verwandter/Sohn von Rüdigers Gemahlin Gotelint, von Witege getötet) 39, 52, 67, 209 Odoaker (Gegner Theoderichs) 4, 17, 23, 26, 28, 29 A. 16, 31, 34, 35, 47, 59, 64, 65, 67, 69, 98, 231, 233 A. 13, 236, 237, 245 A. 73, 260 Oláh, Miklós 65, 66 Ortnit/Hertnid 8, 47, 53, 71, 88, 89 A. 26, 90, 98, 125, 128, 130, 131, 139, 140, 141, 174, 182, 189, 191, 196, 243, 244, 251 ‹Ortnit› 1 A. 1, 6, 47, 68, 79, 80, 81 A. 7, 83, 90, 96, 97, 100, 174, 182 A. 198, 188 Otto von Freising, ‹Chronica sive Historia de duabus civitatibus› 36 Ottokar von Steiermark, ‹Steirische Reimchronik› 57, 100, 171, 249 Parodie, parodistisch 22, 49, 50, 54, 56, 148, 176, 207, 244 A. 68, 255, 259 Parzival ĺ Wolfram ‹Pegauer Annalen› 233 ‹Prosakaiserchronik› 171

296

Publikum ĺ Rezipienten, Vortragssituation Quelle, Quellenberufung 24, 44, 51, 58, 70, 72, 89, 156, 167–172, 179, 235–237, 239f., 244 Rache 10, 34, 38, 44, 46, 49, 53, 58, 62, 63, 64, 68, 121, 130, 133, 150, 151, 155, 181, 185f., 194f., 203, 205, 206, 207, 209, 210, 214, 217, 224, 225–227, 228, 229, 256 ‹Rache für die Helchensöhne› 44, 58, 67, 71, 100, 242, 258 Raumstruktur(en), Räume 5, 36, 114, 124– 126, 240, 246 Recht 123, 136, 162, 189, 199, 250, 254 Rehistorisierung, sekundäre Historisierung 65, 101, 234, 236, 244 reichsgeschichtliche Bedeutung Theoderichs 27f., 232 Reihenkämpfe, Zwölfkampf 17, 47, 52, 64, 175, 185, 186 Reimpaarvers(e), Reimpaarversform 6, 7, 15, 177, 180, 181 Reinmar von Zweter 42, 43 Reizrede(n) 31, 132, 245 A. 73 Religiosität, christliche Elemente, Gebete, Gott 9, 181, 215, 224–227, 241, 251 Rezipienten, Publikum, Publikumskontakt 9, 20, 23, 25, 31, 43, 47, 54, 57, 69, 96, 97, 110, 116, 123, 124, 127, 128, 135, 141, 149, 153, 156, 162–166, 168–173, 179, 185, 195, 197, 202, 215, 223, 227, 231, 236, 238, 239, 240, 249 Ribstein (böser Ratgeber) 11, 68, 69, 120, 134, 194, 195, 197, 224 Richalm von Schöntal, ‹Liber revelationum› 42 Riedegger Handschrift 45, 77–79, 97, 105 Riesengefangenschaft Dietrichs 45, 74 Riesenkämpfe 2, 3, 46, 48, 51, 53, 62, 70, 74, 142, 182, 236, 244 Ritter, Ritterschaft, Rittertum, ritterlich 2, 9, 13, 72 A. 171, 92, 126, 136, 156, 190, 207, 227, 229, 242, 252 Rom, Römisches Reich 51, 53, 59, 60, 65, 73, 74, 107, 108, 140, 152, 161, 163, 164, 186, 206, 215, 245 A. 73, 246 ‹Rosengarten› 5, 6, 7, 12 A. 60, 15 A. 68, 17, 48f., 50, 51, 70, 71, 72, 74, 81 A. 7, 125, 132, 155, 156, 174, 175, 187 A. 216, 188, 200, 215, 222, 260

Namen- und Sachregister

Rother (Schwager Dietwarts) 47, 69, 188 Rückkehr, Rückkehrversuch (Dietrichs nach Italien), Rückkehrschlacht 3, 4, 5, 8, 11, 12, 13, 16, 21, 23, 25, 26, 32, 34, 35, 36, 39, 40, 43, 48, 51–54 passim, 58, 60, 62, 64, 66–71 passim, 75, 76, 97, 99, 100, 104– 120 passim, 124, 126, 128, 129, 133, 134, 144, 154f., 173, 174, 185, 200f., 219 A. 37, 224, 236 Rüdiger (von Bechlarn, Markgraf) 8, 9, 11 A. 55, 16, 20, 37, 38, 39, 40, 49, 55, 58, 62, 66, 67, 68, 70, 72, 75, 76, 106, 108, 114, 115, 119, 121, 138 A. 101, 139, 142, 145, 147, 148, 149, 150f., 166, 179, 186, 195, 199, 202, 205, 208–210, 211, 212, 216, 217, 221, 225 A. 60, 226, 229, 256 Rudolf von Ems, ‹Alexander› 54, 75 Rumolt 42, 174, 176f., 184, 188, 196, 209, 258 Runkelstein, Schloss (Fresken) 98, 241 ‹Sächsische Weltchronik› 6, 54, 58, 171, 243 Sachs, Hans 188 A. 216, 242, 254 Sagenkritik 6, 22 36, 60, 101, 171, 234f., 238, 239, 242 Schemaliteratur 21, 23, 28, 29, 103–128 passim, 129–137, 153 Schemming/Skemming (Dietrichs und Witeges Pferd) 8, 10, 11, 48, 49, 51, 61, 70, 71, 72, 74, 109, 119, 174, 217 Schlacht-, Kampfschilderung(en) 9, 10, 11, 43, 67, 68, 107, 113, 130, 138 A. 101, 144, 185, 187, 226, 252f., 255 Schriftlichkeit, schriftlich 14, 21, 24, 25, 27 A. 6, 42, 45, 51, 100, 101, 134, 135, 137, 153, 154, 156, 167, 168f., 170, 172, 173, 174, 176, 184, 191 A. 232, 231, 233, 234, 236, 239, 240, 244, 255, 257 ‹Seelentrost› 58 ‹Seifried Helbling› 248 Sentimentalisierung ĺ Emotion serielles Schreiben 129–156 passim Sibeche/Sifka (treuloser Ratgeber) 8, 11, 13, 14, 15, 30, 35, 41, 42, 43, 52, 53, 56, 57, 62, 66–69 passim, 72, 73, 75, 120, 123, 132, 134, 136, 139, 140, 151, 194, 195, 196, 197f., 224, 242, 252, 259 Siegfried 8, 11, 27, 48, 49, 63, 69, 72, 128, 133, 141, 142, 175, 176, 179 A. 183, 184,

186, 188, 191, 206, 209, 215, 226, 243, 244, 252 ‹(Jüngerer) Sigenot› 81 A. 7, 86, 182, 187 A. 216 Simon von Kéza 65f. Spangenberg, Cyriacus 63, 99 A. 60, 100, 101 strophisch, Strophenform 6, 12, 91, 92, 136, 162, 167, 170, 171, 172, 177 synchron, Synchronisierung (des Ungleichzeitigen) 28, 141, 191, 235, 237, 244 Tannhäuser 54 Teufel, teuflische Verbindungen Dietrichs ĺ dämonische Züge Theoderich der Große 1, 2, 3, 17, 26–30, 31– 36 passim, 40, 47, 53, 54, 57, 59, 60, 61, 64–66, 98f., 171, 222 A. 48, 231–243 passim, 245 A. 73 ‹Thidrekssaga› 1 A. 1, 2, 3 10, 18, 25, 32, 34, 35, 38, 39, 41, 43, 48, 51–53, 54, 55, 57, 58, 62, 63, 66–75 passim, 111, 114, 142, 144, 147, 149f., 154, 155, 175, 182, 187 A. 216, 188, 198, 199f., 219 A. 37, 224, 245 A. 72/73 Thiodericus von Deutz 37, 235 Tilo von Kulm, ‹Von siben ingesigeln› 57, 100, 246 ‹Traugemundslied› 56f., 100 triuwe/triwe 19, 20, 37 A. 55, 40, 44, 71 A. 167, 118, 143, 160, 181 A. 193, 185, 194, 197, 201, 202, 207, 215, 217–220, 228, 248, 249, 250, 257 Twinger von Königshofen, Jakob, ‹Deutsche Chronik› 60f., 101, 235f., 239 Unsinnsdichtung 56, 243 Untergangsstruktur 184, 185 untriuwe/untriwe, Verrat, Verräter, verräterisch 8, 10, 11, 13, 14, 17, 35, 42, 46, 49, 52, 57, 65, 68–73 passim, 75, 76, 105, 106, 109, 113–121 passim, 129, 132, 134, 140, 143, 144, 149, 153, 154, 160, 161, 162, 187, 196, 197, 198–200, 217, 218, 225, 249, 257 Ute (Gemahlin Hildebrands) 13, 44, 201, 202 Valamer (Vaterbruder Theoderichs) 17, 26, 59, 65, 188 A. 216 Verbindlichkeit, Verbindlichkeitsverlust 3, 23, 24, 45, 76, 99, 231–243

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Namen- und Sachregister

Verfasser(frage) (für die Fluchtepen) 9f., 18, 124 Vergleichsfigur, Vergleichsgröße 2, 35, 37, 41, 43, 44, 57, 242 Verrat ĺ untriuwe verräterische Einladung 8, 57, 69, 70, 73, 75, 105, 116, 129, 132, 141, 142, 185, 187, 194, 216, 229, 259 Versagen, Schuld, Fehlverhalten Dietrichs 22, 40, 180f., 189, 210, 218–220, 249, 254 Vertreibung Dietrichs 3–7 passim, 13, 15, 16, 21, 25, 26, 29, 31–35 passim, 38, 43, 51, 52, 53, 59, 61, 62, 64, 66, 67–69, 71, 72, 75, 76, 97, 100, 104, 108, 110–114 passim, 116, 117, 121, 122, 126, 129, 136, 142, 144, 152, 154, 155, 173, 174, 175, 181, 182, 200, 208, 226, 236, 259 ĺ auch: Exil victor victus ĺ glückloser Sieg ‹Virginal› 12 A. 60, 48 A. 91, 70, 74, 81 A. 7, 139, 142, 187 A. 216, 260 ‹Vita Fuldensis› 64, 65 Vorausdeutung(en) 10, 11, 49, 75, 104, 105, 108–110, 113, 114, 120, 123, 128, 129, 138 A. 101, 141, 154, 155, 156f., 162–165 passim, 177, 179, 185, 187 A. 216, 197, 212, 218, 219, 224, 227, 246, 251 Vortrag, Vortragssituation 1, 108, 110, 134, 137, 165, 166, 167, 170, 171, 172, 234 Vulculd, ‹Vita Bardonis› 35 ‹Wachtelmäre› 56, 100, 254 Wahrheit(sbeteuerungen) ĺ Beglaubigung, Verbindlichkeit Walahfrid Strabo, ‹De imagine Tetrici› 232 ‹Waldere› 45, 74 Waltharius, Walthersage 6, 51, 176, 244 Walther von der Vogelweide 42, 43, 190 ‹Wartburgkrieg› 2f. Wate (Held) 11, 133, 138 A. 1, 193, 194, 195, 205, 256 Wernher der Gartenre, ‹Helmbrecht› 55f., 84, 100 ‹WidsiÞ› 30, 32, 35 Wilten (Kloster, von Heime gegründet) 233 Windhager Handschrift 79f, 97f., 105 Witege/Widga (Dietrichheld, Verräter) 8, 10, 13, 14, 15, 17, 30, 39, 43, 45, 46, 48, 49, 51, 52, 54, 55, 56, 61, 62, 63, 66–76 passim, 106–124 passim, 127, 128, 129, 132, 134, 136, 138 A. 101, 144, 148f., 151, 153,

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154, 162, 174, 179, 183f., 186, 187 A. 216, 188, 195–200 passim, bes. 198–200, 202, 208f., 210, 217, 218, 219 A. 37, 220, 223 A. 52, 224–228 passim, 242, 248–251 passim, 254, 256–259 passim Wittenwiler, Heinrich, ‹Ring› 2, 187 A. 216, 244 A. 68, 254 ‹Wolf und Geiß I› 44, 67, 242, 258 Wolfdietrich (Vorfahr Dietrichs) 1 A. 1, 8, 47, 56, 62, 69, 71, 88, 89, 90, 96, 125, 128, 130, 131, 139, 140, 141, 174, 184, 189, 191, 243, 244, 245 A. 73 ‹Wolfdietrich› 1, 6, 56, 68, 75, 81 A. 7, 84, 89 A. 26, 90, 96, 97, 98, 100, 174, 184 A. 202, 244 Wolfhart (Dietrichheld) 8, 11, 13, 14, 16, 38–43 passim, 47–50 passim, 56, 62, 64, 67, 106, 115, 119, 120, 123, 124, 138 A. 101, 141, 163, 174, 177, 184 A. 203, 187, 195, 200–207, bes. 203–207, 209, 212, 216, 217, 219 A. 37, 225 A. 60, 227, 228, 229, 242, 250, 252, 253, 254, 256–259 passim Wolfram von Eschenbach, ‹Parzival› 42f., 77, 97, 177, 190, 242 Wolfram von Eschenbach, ‹Willehalm› 43f., 79, 146, 179 A. 183, 242, 253 ‹Der Wunderer› 3, 5, 6, 61f., 174, 187 A. 216, 260 Zauderer(rolle), zagheit 19, 49, 65, 156, 183, 214, 222f., 243, 254 Zeitstruktur(en) 116, 121, 126–129, 141, 150f., 240, 244–246 Zeno (oströmischer Kaiser) 26, 27, 29 A. 16, 34, 35 A. 43, 59f., 65, 236, 237 Zimmern, Froben Christoph von 241 Zorn, Friedrich 28 A. 9, 99 A. 60, 101 Zufall 71, 128f., 134, 148, 149, 179 A. 183, 218, 219 ‹Zug nach Feldkirch› 57f. Zweikampf 8, 13, 16f., 31, 48, 51, 52, 54, 60, 70, 74, 122, 129, 130, 132, 133, 134, 138 A. 101, 174, 175, 179 A. 183, 186, 193, 194, 205, 207, 222, 227, 252, 256, 259 Zwölfkampf ĺ Reihenkampf Zyklus(bildung), zyklisch 12, 15, 90, 96, 97, 99, 126, 128f., 153–156, 185, 191, 224