Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins [1 ed.] 9783428497713, 9783428097715

In der vorliegenden Arbeit untersucht Cheong, wie Heidegger von der Seinsfrage her auf die Frage nach der Geschichtlichk

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Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins [1 ed.]
 9783428497713, 9783428097715

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EUNHAE CHEONG

Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins

Philosophische Schriften Band 39

Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins

Von

Eunhae Cheong

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Cheong, Eunhae: Die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins I von Eunhae Cheong. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Philosophische Schriften ; Bd. 39) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09771-8

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-09771-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 1997 von den Philosophischen Fakultäten der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen. Das Thema der Arbeit wurde von meinem Doktorvater Prof. Dr. FriedrichWilhelm v. Herrmann angeregt. Hierfür wie auch für seine geduldige Betreuung meiner Studien schulde ich ihm herzlichen Dank. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Caspar, der als Zweitgutachter meine Arbeit bereitwillig und freundlich korrigiert hat. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Günter Dux und Herrn Prof. Dr. Gunther Eigler, die mir wichtige Perspektiven in den Bereichen Soziologie und Erziehungswissenschaften aufgezeigt haben. Auch meinen koreanischen Hochschullehrern Herrn Prof. Dr. InSeok Cha und Herrn Prof. Dr. KwangHee Soh, durch die mein Interesse an deutscher Philosophie geweckt wurde und die meine ersten Schritte in diesem Bereich gelenkt und mich unterstützt haben, möchte ich herzlich danken. Des weiteren bin ich meinen Kollegen Ino Augsberg und Gernot Müller für das mühevolle und langwierige Korrekturlesen der Arbeit und die anschließenden Diskussionen zu Dank verpflichtet. Ein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau ChaeHyang You, die mich während meines gesamten Studienaufenthaltes in Deutschland unterstützt hat. Auch bin ich dankbar für das Verständnis meiner Kinder, die sich trotz der weiten Entfernung von ihrem Vater prächtig entwickelt haben. Und last but not least möchte ich Herrn Thomas H. T. Wieners, cand. phi!. dafür danken, daß er sich - trotz vielseitiger anderer Belastungen - um die Drucklegung meiner Dissertation sowie um die Erstellung eines Registers gekümmert hat.

Eunhae Cheong

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

Die historische Situiertheit Heideggers Geschichtsdenkens und die ursprüngliche Frage nach der Geschichte ... ...... .... ...... ........ ............... ...............

13

§2

Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Frühschriften ' ... ..................

19

§3

Aufbau und Aufriß der Abhandlung.............................................................

31

Vorbereitender Teil

35

Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

35

Der Bezug der Seinsfrage zur Daseinsanalytik im fundamentalontologischen Denken ................................................................................................

35

Der immanente Wandel von der fundamentalontologischen Blickbahn in die seinsgeschichtliche Blickbahn ................................... ........ ............ ..........

39

Das Sein als Ereignis im seinsgeschichtlichen Denken.................................

47

Erster Teil

52

Das Dasein, die Zeit und die Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

52

§I

§4 §5 §6

§7

§8

Erstes Kapitel

52

Die ursprüngliche Interpretation des Seins des Daseins als Zeitlichkeit

52

Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins ................. ...... ........

52

a) Die Notwendigkeit der Gewinnung der zureichenden hermeneutischen Situation rur die ursprüngliche Interpretation des Daseins .......................

52

b) Die existenziale Aufweisung der möglichen Ganzheit der Sorge als Vorlaufen zum Tode .................................................................................

57

c) Die existenzielle Aufweisung der möglichen Eigentlichkeit der Sorge als Entschlossenheit ........ ............ ...... ...... .......................... .... .......... .... ......

63

Die Zeitlichkeit als der ontologische Seinssinn des Daseins ... .... ....... ..... ......

70

8

§9

§ 10

§ 11

§ 12

Inhaltsverzeichnis a) Die Sicherung der henneneutischen Situation und die Aufweisung der Einheit des Seins des Daseins ................ ...... .............................. ......... ......

70

b) Die Einheit der Ganzheit der Sorge als deren Selbst-ständigkeit..............

75

c) Die Herausstellung des ontologischen Sinnes der Sorge als Zeitlichkeit

78

Zweites Kapitel

86

Die ursprüngliche Zeit als Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit

86

Die transzendentale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit.....................

86

a) Die Vollzugsweise der eigentlichen Zeitlichkeit.......................................

87

b) Die Vollzugsweise der uneigentlichen Zeitlichkeit...................................

92

c) Das Weltphänomen und die Zeitlichkeit des Besorgens ...........................

96

d) Der Bezug der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit............................................

101

Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit..............................

107

a) Die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses .............. ...........

107

b) Die temporale Zeitigung und der Horizont für das Verstehen des Seins..

114

c) Die ursprüngliche Zeit als Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit. .............. ...................... ............... ....................................

120

Drittes Kapitel

125

Die Geschichtlichkeit des Daseins als eine zeitliche Seinsart

125

Die existenzial-ontologische Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins...............................................................................................................

125

a) Die Geschichte im betonten Sinne und das primär Geschichtliche...........

125

b) Die eigentliche Geschichtlichkeit als sichüberliefernde Wiederholung....

133

c) Die uneigentliche Geschichtlichkeit als Horizont der Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins...................................................................

138

Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften und die Aufgabe der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie..................

143

a) Die ontologische Genesis der theoretischen Wissenschaft in der Gegenwärtigung des Vorhandenen................................................................

144

b) Die ontologische Verwurzelung der Historie in der Geschichtlichkeit des Daseins................................................................................................

149

c) Die historische Destruktion der Geschichte der Ontologie als zweifache Wiederholung .....................................................................................

157

Inhaltsverzeichnis

§ 13

§ 14

§ 15

9

Zweiter Teil

163

Das Ereignis, der Zeit-Raum und die Geschichtlichkeit im seinsgeschichtlichen Denken

163

Erstes Kapitel

165

Von der Geschichte des Seins zum Ereignis als der ursprünglichen Geschichte selbst

165

Die seinsgeschichtIiche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters .............. ....

165

a) Die Seinsverlassenheit als das Grundgeschehnis für den Übergang der Geschichte.................................................................................................

165

b) Die Herrschaft der Machenschaft und des Erlebnisses.......... ........ ....... .....

170

c) Die seinsgeschichtliche Besinnung auf die Wissenschaft ............. ....... .....

171

Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte..........................................

178

a) Das Denken im Übergang als geschichtliche Besinnung auf die Metaphysik........................................................................................................

178

b) Die Geschichte der Metaphysik unter der Herrschaft des Platonismus.....

187

c) Die Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes und das Wesen der Wahrheit als lichtende Entbergung .....................................................

192

Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte ...... ....................................... 201 a) Die inneren Bezugsgeschehnisse innerhalb des Ereignisses ....... .............. 202

§ 16

b) Die eigenen Geschehnischaraktere des Ereignisses..................................

207

c) Das Ereignis als ursprüngliche Geschichte selbst ...... ...... ....... ...... ............

210

Zweites Kapitel

217

Die Gründung des Zeit-Raumes als die Augenblicks-Stätte des Ereignisses

217

Der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit ............ .................. .........

217

a) Der Zeit-Raum als Ab-grund qua erstwesentIiche Wesung des Grundes..

217

b) Der Ab-grund für den Grund und den Ur-grund.......................................

219

c) Der Zeit-Raum als den Entwurf in der Verhaltenheit benötigender .......... 223 § 17

Die ab-gründige Zeitigung-Räumung als das erste Geschehen für das Ereignis................................................................................. ............................

226

a) Die ab-gründende Zeitigung als Entrückung der sichversagenden Wahrheit....................................................................................................

228

IO

§ 18

§ 19

§ 20

Inhaltsverzeichnis b) Die ab-gründende Räumung als Beruckung der zögernden Wahrheit ,.....

231

c) Der Zeit-Raum als Augenblicks-Stätte des Ereignisses ............................

233

Das Zurückdenken der TemporaIität, der Zeitlichkeit und der Räumlichkeit in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung ............................

237

a) Die ereignishaft-temporale Zeitigung .......................................................

237

b) Die ereignishaft-existenziale Zeitigung.....................................................

240

c) Die ereignishaft-existenziale Räumung..................... .................. ...... ........

241

Drittes Kapitel

243

Das andersanfanglich gedachte Menschsein und seine Geschichtlichkeit

243

Das seinsgeschichtlich erfahrene Menschsein .......................... ............. ........

243

a) Das Da-sein als das den Menschen in seiner Möglichkeit auszeichnende Sein.......................................................................................................

243

b) Die Ek-sistenz als ursprüngliches Wesen des Menschen ..........................

248

c) Das Entbergen des Seienden in seiner Offenbarkeit als konkreter Vollzug der Ek-sistenz.....................................................................................

254

Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen ... ............

257

a) Ereignis und Geschichtsgründung ... ................................. ......... ......... ......

257

b) Geschick und Geschickhaftigkeit..............................................................

262

c) Das Dingen des Dinges und der Wandel der Grundstellung des Mensehen........................................................................................... ..............

266

d) Die Zu-künftigen als geschichtliche Menschen ........................................

275

Schluß bemerkung

280

Literaturverzeichnis ............. .... ......... ............ ...... .................... ......... ............... ..........

284

Sachwortverzeichnis .................................................................................................

291

Abkürzungsverzeichnis AdEdD

Aus der Erfahrung des Denkens (GA 13)

BüH

"Briefüber den Humanismus", in: Wegmarken (GA 9)

BzP

Beiträge zur Philosophie (GA 65)

BWD

"Bauen Wohnen Denken", in: Vorträge und Aufsätze

Ding

"Das Ding", in: Bremer und Freiburger Vorträge (GA 79)

EiM

Einleitung in die Metaphysik (GA 40)

EzHD

Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (GA 4)

EzWiM

"Einleitung zu ,Was ist Metaphysik''', in: Wegmarken (GA 9)

FS

Frühe Schriften (GA 1)

Gefahr

"Die Gefahr", in: Bremer und Freiburger Vorträge (GA 79)

Gel

Gelassenheit

GdP

Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24)

Ge-Stell

"Das Ge-Stell", in: Bremer und Freiburger Vorträge (GA 79)

Holz

Holzwege (GA 5)

luD

Identität und Differenz

Kehre

"Die Kehre", in: Bremer und Freiburger Vorträge (GA 79)

N.II

Nietzsche Bd. II

NzWiM

"Nachwort zu ,Was ist metaphysik''', in: Wegmarken (GA 9)

KPM

Kant und das Problem der Metaphysik

PLvdW

"Platons Lehre von der Wahrheit", in: Wegmarken (GA 9)

Prol

Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (GA 20)

SuZ

Sein und Zeit (GA 2)

SvG

Der Satz vom Grund (GA 10)

UdK

"Der Ursprung des Kunstwerkes", in: Holzwege (GA 5)

UzS

Unterwegs zur Sprache (GA 12)

V.Sem

Vier Seminare

WdG

Vom Wesen des Grundes, in: Wegmarken (GA 9)

WdW

Vom Wesen der Wahrheit, in: Wegmarken (GA 9)

WhD

Was heißt Denken?

ZdW

"Die Zeit der Weltbilder", in: Wegmarken (GA 9)

zS

"Zur Seinsfrage", in: Wegmarken (GA9)

zSdD

Zur Sache des Denkens

Einleitung § 1 Die historische Situiertheit Heideggers Geschichtsdenkens und die ursprüngliche Frage nach der Geschichte Diese Arbeit stellt sich die Aufgabe, Heideggers Geschichtsdenken von seinem Seinsdenken aus zu entfalten. Sein Geschichtsdenken steht in einem Zusammenhang mit der voraufgehenden geschichtsphilosophischen Bewegung und ist als solches eine ursprünglichere Übernahme ihrer Grundprobleme, die sich vor allem bei Rickert und Dilthey deutlich zeigten. I Heideggers ursprünglichere Übernahme der zeitgenössischen Probleme besagt vor allem, daß er diese Probleme in eine ganz andere Dimension versetzt, die sich aus der Seinsfrage eröffnet. Sein Geschichtsdenken hat einen inneren Bezug zu seinem Denken des Seins, das von alters her die Hauptfrage der Philosophie gewesen ist. Sein Denken des Seins ist von Anbeginn an die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Er findet diesen Sinn in der Zeit, indem er sie in seinem Frühdenken als Horizont des Seinsverständnisses, im Spätdenken (nun qua Zeit-Raum) als Grundgefiige der Wahrheit denkt. Heideggers Denken der Geschichte und der Geschichtlichkeit entfaltet sich immer in Hinblick auf ,Sein' und ,Zeit'. Die Eigentümlichkeit seines Geschichtsdenkens findet sich also darin, daß dieses die innere Entfaltung seines Seinsdenkens ist, das mit der Frage nach der Zeit zusammengeht. Sofern jedoch Heideggers Geschichtsdenken als eine ursprünglichere Übernahme der Grundprobleme der voraufgehenden geschichtsphilosophischen Bewegung erscheint, müssen wir zuerst die Historie der Auffassung der Geschichte kurz skizzieren, um die historische Situiertheit und die Eigentümlichkeit von Heideggers Geschichtsdenken hervorheben zu können. Die Geschichte wurde historisch jeweils anders verstanden. Im Griechentum hatte das Geschichtsverständnis einen entscheidenden Bezug zur Naturerfahrung. Die Natur, die dort als ,ewiger Rhythmus des Geschehens'2 bzw. als ,ewige Wiederkehr') erfahren wurde, hat im Kontext des Verstehens des Menschen

I Dazu vgl.: F. Kaufmann, ,Geschichtsphilosophie der Gegenwart' (1931), H. Schnädelbach, ,Geschichtsphilosophie nach Hege!' (1974), J. A. Barash, ,Martin Heidegger and the Problem of Historical Meaning' (1988), E. Angehrn, ,Geschichtsphilosophie'

(1991).

Rickert, ,Probleme der Geschichtsphilosophie', 135. Löwith, ,Weltgeschichte und Heilsgeschehen " 14, Gadamer, ,Hermeneutik: Wahrheit und Methode', Bd. 2,27. 2

3

14

Einleitung

und seiner Geschichte eine bestimmte Implikation. Sofern der Wiederkehrcharakter der Natur als das wesentliche Moment ihrer Ewigkeit verstanden wird, ist die Menschheitsgeschichte etwas Wesentliches rur die Ewigkeit der Menschheit. Sofern aber der Ewigkeitscharakter der Natur als ihr Wesen verstanden wird, ist die Menschheitsgeschichte eine Verfallsgeschichte. Im Judentum/Christentum hingegen hat das Geschichtsverständnis einen entscheidenden Bezug zur Gotteserfahrung. Die endliche Menschlichkeit steht hier der unendlichen Göttlichkeit gegenüber. Aus dieser Hinsicht wird die Menschheitsgeschichte als Heilsgeschichte des verfallenden Menschen verstanden. Im 18. Jahrhundert entstanden nacheinander zwei neue Tendenzen der Geschichtsschreibung. Zuerst wurde Geschichte als ganzer Wirkungszusammenhang in Einzelzusammenhänge (Politik, Recht, Religion, Dichtung) zerlegt. Dann wurde der Beweggrund der Geschichte nicht von außen her, sondern von innen her gesucht. 4 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden sich zwei parallele Strömungen des Geschichtsdenkens, d.h. eine philosophische Spekulation über den gesamten Sinn der geschichtlichen Entwicklung (Deutscher Idealismus) und eine von Comte beeinflußte empirische Gesellschafts- und Geschichtsforschung (Positivismus). 5 Als letzter idealistischer Denker faßte Hegel die Geschichte als Prozeß des Selbstverständnisses des absoluten Geistes. Das philosophische Selbstbewußtsein ist ihm zufolge das absolute Ende der Bewegung des Selbstbewußtseins des absoluten Geistes. Je mehr aber uns die Endlichkeit des Menschen und seine Angewiesenheit auf die faktische Gegebenheit zu Bewußtsein kommen, desto mehr verliert die Rede von der Selbstentfaltung des absoluten Geistes ihre Überzeugungskraft. In der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte die spekulative Geschichtskonstruktion der positivistisch-naturalistischen Zeittendenz nicht mehr ausweichen. In dieser Situation entfaltete sich das neue Geschichtsdenken vieltaltig. 6 Innerhalb dieses neu entfalteten Geschichtsdenkens steht auf der einen Seite das relativistische Denken, das die Inkommensurabilität aller Geschichte aner-

4 Dilthey nennt diese zwei Tendenzen zwei Prinzipen der im 18. Jahrhundert erreichten "neuen Stufe" der Geschichtsschreibung (vgl. VII, 164). Entgegen der Troeltsch'schen und Dilthey'schen Meinung, daß "das eigentlich historische Denken erst mit dem 18. Jahrhundert beginne" (,Weltgeschichte und Heilsgeschehen', 12), glaubt K. Löwith, daß "die modeme Geschichtsphilosophie dem biblischen Glauben an eine Erfüllung entspringt und daß sie mit der Säkularisierung ihres eschatologischen Vorbildes endet" (S. 13). 5 Dazu: Rickert, ,Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffbildung', 1-2, R. Schaeffler, ,Einführung in die Geschichtsphilosophie', 198-200. 6 Dazu: Rickert, ,Die Grenzen', 4 f. F. Kaufmann, ,Geschichtsphilosophie der Gegenwart', 1-2. Derselbe, "Geschichtsphilosophie", in: ,Die Philosophie im XX.Jahrundert', 501.

§ 1 Die historische Situiertheit Heideggers Geschichtsdenkens

15

kennt und auf die allgemein begriffliche Verarbeitung der Geschichte verzichtet. Auf der anderen Seite steht das positivistische Denken, das sich nach dem Vorbild der Physik als eine strenge Wissenschaft begründen will. Zwischen beiden Seiten tritt eine philosophische Analyse der empirischen Geschichtswissenschaft auf, die als erkenntniskritisches Denken den Bereich der Geschichte von der Natur unterscheidet und eine eigene Methode der Geschichtswissenschaft zu ergründen versucht, die den Sinn der geschichtlichen Entwicklung fassen läßt. Zum Kreis dieses erkenntniskritischen Geschichtsdenkens gehören Windelband, Rickert, Dilthey, Troeltsch und Simmel. Diese haben je in verschiedener Weise versucht, gemäß der historischen Methode des Verstehens den Sinn des geschichtlichen Prozesses als einer Ganzheit zu konstruieren und eine starke Wirkung auf das nachfolgende Geschichtsdenken ausgeübt. 7 In der Phase seiner ,Frühschriften ' gehört Heidegger zu der nach Hegel und auch gegen die positivistisch-naturalistische Geschichtstheorie entstandenen Strömung des Geschichtsdenkens. 8 Aber sein in ,SuZ' gezeigtes Geschichtsdenken verwandelte diese Strömung in die ursprünglichere Frage nach der Geschichte, die sich hinsichtlich der Dimension, in der sich sein Geschichtsdenken, sowohl von der logisch orientierten wie auch von der lebensphilosophisch orientierten Geschichtsphilosophie unterscheidet. In seinem Spätdenken, das sich vor allem in den ,BzPh' ausdrücklich enthüllt, entfaltet Heidegger das Geschichtsproblem noch ursprünglicher vom Ereignis, d.h. Seinsgeschehen her. Insofern zeigt sich sein Geschichtsdenken in seiner Eigentümlichkeit als diejenige Philosophie der Geschichte, die in seinem Frühdenken fundamentalontologisch, in seinem Spätdenken ereignishaft entfaltet wird. Was in der nachhegeischen geschichtlichen Bewegung befragt wurde und als solches einen Methodenstreit entfachte, zeigt sich einerseits als die Ermöglichungsbedingung der Geschichtswissenschaft, andererseits als die Ermöglichungsbedingung der Geschichte. Jene bezieht sich auf das erkenntnistheoretische Problem bzw. auf das Objektivitätsproblem der Geschichtswissenschaft, diese auf das Problem der Wesensbestimmung des geschichtlichen Menschen. Beide Probleme schließen die Problematik des geschichtlichen Zusammenhangs ein. Eine kurze Heraushebung dieser Thematik von Rickert und Dilthey

7 F. Kaufmann faßt die geschichtsphilosophische Bewegung, "in der wir heute noch stehen" als diejenige, die "die von Windelband und Rickert eingeschlagenen Methoden weiter entwickelt hat, vor allem aber auch in Auseinandersetzung mit ihnen zu neuen Aufgaben sich durchrang" (,Geschichtsphilosophie der Gegenwart', 2). 1. F. Barash berichtet, daß die verschiedenen Strömungen des Geschichtsdenkens zwischen dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert einen Hinblick auf "the kinds of coherence" (,Martin Heidegger and the Problem of Historical Meaning', I) eröffneten und "the problem of historical meaning" (ebd. 19) erscheinen ließen. K Vgl.: § 2.

16

Einleitung

aus ist insofern bedeutsam, als Heidegger selbst um diese Problematik wußte und sie in den §§ 72-75 von ,Sein und Zeit' ontologisch aufklärt. Wenn Geschichte als ein einheitlicher Zusammenhang der einzelnen Phasen der Entwicklung der Menschheit und dieser wieder als eine Tatsache angesetzt wird, erhebt sich nun die Frage nach der Bedeutung eines solchen Zusammenhangs. Rickert versuchte, mit dem Begriff des Wertgesichtspunktes hierauf zu antworten. Ihm zufolge leistet der Historiker mit einem Wertgesichtspunkt die Auswahl der wertbezogenen Individuen und schließt diese zu einer kausalen Verbindung zusammen. Somit wird der geschichtliche Zusammenhang ein kausaler Zusammenhang des Realisierungsprozesses der Kulturwerte. Der so gefaßte Zusammenhang ist zwar keine bloß inkonsequente zeitliche Reihe, aber er zeigt auch nicht einen inneren Zusammenhang, der die Auswahl und den Zusammenschluß erst ermöglicht, sondern einen geschichtswissenschaftlich konstituierten äußerlichen Zusammenhang. 9 DiltheylO versuchte, aus dem Leben als Zusammenhang einerseits die Geschichte als Wirkungszusammenhang, andererseits die Geschichtswissenschaft als eine besondere Verstehensweise dieses Wirkungszusammenhangs aufzuklären. Ihm zufolge gründet die Möglichkeit der Geschichte und der Geschichtswissenschaft im in der Zeit verlaufenden psychischen Zusammenhang. Aber Diltheys psychologisch orientierter Aufweis des Gründungsbezugs des psychischen Lebenszusammenhangs zum geschichtlichen Zusammenhang ist nicht ausreichend rur die Erläuterung des Geschehens des geschichtlichen Zusammenhangs. 11 Der Lebenszusammenhang ist nicht schon die letzte Antwort auf 9 Wenn angenommen wird, daß ftir das Betreiben der Geschichte als Wissenschaft "transzendente Annahmen unentbehrlich" (,Grenze', 18) sind, und daß das erkennende Subjekt stets "eine Umbildung der Objekte bei ihrer Erkenntnis" (,Probleme', 29) vornimmt und das historische Universum nur "eine Idee im Kantischen Sinne" (ebd. 126) ist, wird der innere Zusammenhang der Geschichte von Anfang an ausgeschlossen. Kaufmann sagt mit Recht, daß "Simmel gleich Rickert [die strenge Trennung] zwischen wirklichem Geschehenszusammenhang und historischer Komposition vornimmt" (,Geschichtsphilosophie' , 38, vgl. 29, 36). Gegenüber Rickerts "Lehre von dem Wertbezug des Gegebenen" kann man mit Gadamer die kritische Frage stellen, "inwieweit die wirkliche Geschichte in ihrer Geschichtlichkeit so überhaupt gesichert wird und nicht vielleicht nur das an der Geschichte, was sich in einen Bereich unwandelbarer Geltung erheben läßt" (,Hermeneutik: Wahrheit und Methode', Bd.2, 134). \0 Für die unterschiedlichen Weisen der Dilthey-Rezeption vgl.: H. - H. Gander, ,Positivismus als Metaphysik', § 9 (Vorbereitende Bemerkungen zur Systematik von Diltheys Frageansatz. Anmerkungen zur Dilthey-Rezeption), 133-39. 11 Was Dilthey in seinem ersten großen Buch ,Einleitung in die Geisteswissenschaften' von 1883 versuchte, ist, mit dem historischen und auch systematischen Verfahren "die Frage nach den philosophischen Grundlagen der Geisteswissenschaften" (,Einleitung', XV) zu lösen. Mit dieser Lösung versuchte er zuletzt von der Struktur des Erlebens aus eine eigene Logik der Geisteswissenschaften zu konstituieren. Dies erreichte er jedoch nicht: M. Riedel beschreibt mit Recht, daß "ihm der Schritt vom Aufbau der hermeneutischen Logik (,Theorie des Wissens') zu einer methodisch aufgebauten Logik der

§ 1 Die historische Situiertheit Heideggers Geschichtsdenkens

17

die Frage nach dem Geschehen der Geschichte, sondern nur ein Hinweis auf Geisteswissenschaften nicht wirklich gelungen ist" (, Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften', Einleitung, 64). Jedenfalls ist das, was das Problem der philosophischen Grundlegung der Geisteswissenschaften lösen soll, bei Dilthey "nicht die Annahme eines starren apriori unseres Erkenntnisvermögens, sondern allein Entwicklungsgeschichte, welche von der Totalität unseres Wesens ausgeht" (,Einleitung', XVIII). Das Wesen des Menschen als Menschennatur ist bei Dilthey das Leben. Was er mit ,Leben' meint, ist "der Inbegriff, dessen, was uns im Erleben und Verstehen aufgeht", d.h. der "das menschliche Geschlecht umfassende[r] Zusammenhang" (VII, 131). Das so gefaßte Leben ist in sich der Zusammenhang der Erlebnisse. Wenngleich das Vergangene und das zukünftig Mögliche dem vom Erlebnis erfüllten Moment "transzendent" sind, ist bei des "auf das Erlebnis bezogen in einer Reihe, welche durch solche Beziehungen zu einem Ganzen sich gliedert" (VII, 140). Bei Dilthey ist es der "psychische[n] Zusammenhang in der Zeit, der den Lebensverlauf ausmacht. Dieser Lebenszusammenhang ist [... ] eine durch Beziehungen, die alle Teile verbinden, konstituierte Einheit. Von dem Gegenwärtigen aus durchlaufen wir rückwärts eine Reihe von Erinnerungen bis dahin, wo unser kleines ungefestigtes, ungestaltes Selbst sich in der Dämmerung verliert, und wir dringen vorwärts von dieser Gegenwart zu Möglichkeiten, die in ihr angelegt sind und vage, weitere Dimensionen annehmen" (VII, 140). Das Leben als Zusammenhang der Erlebnisse ist bei Dilthey auch der Wirkungszusammenhang. Hinsichtlich dieses Wirkungszusammenhangs gewinnen die Teile des Lebenslaufs und des geschichtlichen Prozesses eine bestimmte Bedeutung: "Zunächst haben die Teile des Lebensverlaufes nach ihrem Verhältnis zu dem Leben, seinen Werten und Zwecken [... ] eine Bedeutung. Dann werden historische Ereignisse dadurch bedeutend, daß sie Glieder eines Wirkungszusammenhanges sind, in dem sie zu Verwirklichungen von Werten und Zwecken des Ganzen mit anderen Teilen zusammenwirken" (VII, 168). Der Bedeutungszusammenhang bildet sich durch die Erinnerung, die sich in der zeitlichen Struktur des Lebens vollzieht: "Indem wir zurückblicken in der Erinnerung, erfassen wir den Zusammenhang der abgelaufenen Glieder des Lebensverlaufs unter der Kategorie ihrer Bedeutung" (VII, 201). In diesem Kontext klärt Diwald auf, daß der Bedeutungszusammenhang auf dem strukturellen Charakter der Zeit gründet: "Historisches ist ein Wirken, das in den Wirkungszusammenhang eines Zeitalters eingreift, den gleichen Wirkungszusammenhang, der die Bedeutung jedes Einzelteils in [dem] ,System der Zeit' bestimmt" (H. Diwald, ,Dilthey', 233). Geschichte ist bei Dilthey nur "das Leben, aufgefaßt unter dem Gesichtspunkt des Ganzen der Menschheit, das einen Zusammenhang bildet" (VII, 256). Diese Geschichte wird durch die historischen Erlebnisse konstituiert, die durch das Nachleben (das Verstehen der Lebensobjektivation) gebildet werden. Weil sich der Erlebniszusammenhang als Bedeutungszusammenhang bildet, gehört zur Geschichte, die durch das Nachleben konstituiert wird, der Bedeutungszusammenhang. Insofern ist es bei Dilthey der psychische Zusammenhang in der Zeit, der den Wirkungs- und Bedeutungszusammenhang der Geschichte ausmacht. Dieser Zusammenhang der Geschichte ist "nicht ein Produkt geschichtswissenschaftlicher, sondern geschichtlicher Arbeit" (Kaufmann, ,Geschichtsphilosophie', 110, vgl. H. Diwald, ,Dilthey', 114), d.h. ein Produkt des Verstehens der Lebensobjektivation, das als Nachleben in das psychische Leben hineinfließt. So trägt der psychische Zusammenhang den geschichtlichen Zusammenhang. Insofern ist der geschichtliche Zusammenhang nichts anderes als der psychische Zusammenhang. Dieses Ergebnis, d.h. die Homogeneität von bei den, ist aber nicht unproblematisch, sofern bezüglich der Epochenerfahrung folgende Frage sinnvoll ist, "wie sich von dieser psychologischen Erlebniskontinuität aus jene ganz anderem, großem Maßstab gehaltene [Kontinuität] der geschichtlichen Zusammenhänge eigentlich ergeben soll" (,Hermeneutik: Wahrheit und Methode', Bd. 2, 134). 2 Cheong (PHS)

18

Einleitung

die Dimension, worin und worauf die Geschichte eigentlich geschieht. Dilthey hat allerdings die entscheidende Frage, d.h. die Frage nach derjenigen Geschehensweise der Geschichte, nicht gestellt, in der die Geschichte eigentlich geschieht. Der Grund dafür, warum es uns um die ,vergangene' Geschichte geht, liegt darin, daß unsere zukünftige Möglichkeit allein in der Geschichte liegt. Insofern soll das Geschichtsdenken ursprünglich die Frage aufwerfen, wie sich Geschichte als eine solche Möglichkeit für uns enthüllt. Die entscheidende Frage nach der Geschichte kann sich nicht primär auf die Sinndeutung ihres tatsächlichen Zusammenhangs oder ihrer tatsächlichen Kontinuität beschränken. 12 Vielmehr muß sie ursprünglich nach der Bedingung der Möglichkeit dessen fragen, was die Geschichte für uns eigentlich enthüllt und von uns ausdrücklich übernommen werden kann. Diese Möglichkeit ist als solche die Möglichkeit der geschichtlichen Kontinuität, die sich in der Weise der epochemachenden Diskontinuität bildet. I3 Es liegt nur in der spezifischen Geschehensstruktur des Menschen, d.h. in dessen ursprünglichen Geschichtlichkeit, daß die Kontinuität der Geschichte in der Weise der epochemachenden Diskontinuität gebildet wird. Insofern wird die ursprüngliche Geschichtsfrage als Denken des Geschehens der Geschichte zur Frage nach der ursprünglichen Geschichtlichkeit des Menschen. Die Möglichkeit der diskontinuierlichen Kontinuität der Geschichte kann nicht an einem andern Ort als im Menschen selbst gefunden werden. Wenn eine solche Möglichkeit im Menschen, in seiner Seinsweise, gesucht werden muß, enthält die ursprüngliche Geschichtsfrage die Frage nach dem Sein des Menschen und somit nach dem Sein überhaupt. Es ist Heideggers Verdienst, daß er die Frage nach der Geschichte zur Frage nach der ursprünglichen Geschichtlichkeit verwandelte, auf die er vom Denken des Seins aus zu antworten versuchte. 14 Den Hauptpunkt von Heideggers Geschichtsdenken finden wir sowohl in seiner Frühzeit wie auch in seiner Spätzeit in seinem Begriff der Ge-

12 Dies faßt F. Kaufmann zutreffend wie folgt: "Erst wenn klar geworden ist, weIchen Seins-, weIchen Bewegtheitscharakter Geschichte überhaupt habe, erst dann kann wahrhaft über das Recht der Frage nach dem faktischen Richtungssinn einer geschichtlichen Bewegung geurteilt werden" (,Geschichtsphilosophie', 120). 13 Schon früh hat Gadamer darauf hingewiesen, daß "gerade in der Auszeichnung des Augenblicks, Diskontinuität im Fortgang des Geschehens zu sein, die Möglichkeit begründet liegt, geschichtliche Kontinuität zu wahren und zu erfahren" (,Hermeneutik: Wahrheit und Methode', Bd. 2, 144). 14 J. F. Barash sagt bezüglich des frühen Heideggers mit Recht: Er "deflected the primary source of historical meaning from continuity and coherence of an objective historical process to the ontological structures of Dasein" (,Martin Heidegger and the Problem ofHistorical Meaning', 303-304).

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Frühschriften'

19

schichtlichkeit. 15 Von diesem Gesichtspunkt her stellt sich diese Arbeit die Aufgabe, sein Denken der Geschichte und der Geschichtlichkeit aus seinem Seinsdenken her zu entfalten. Im folgenden (§ 2) aber werden wir zuerst von Heideggers ,Frühschriften ' aus den Ansatz seines Geschichtsdenkens zeigen, um in Vorblick auf ,SuZ' den inneren Bezug von seinem Seinsdenken und seinem Geschichtsdenken herauszuheben.

§ 2 Die Geschichts- und Seins frage in Heideggers ,Frühschriften' Wir vollziehen hier Heideggers ,Frühschriften' chronologisch nach. Die mögliche Leseweise von diesen ist schon von Heidegger selbst angegeben. Einerseits sind sie insofern im Vorblick auf die Thematik von ,SuZ' zu lesen, als die Vergangenheit immer nur von "einer Gegenwart" aus gesehen "Sinn" (FS, 427) hat. Andererseits sind sie insofern im Rückblick auf die zeitgenössische Thematik zu lesen, als zur historischen Methode "die Herausstellung des Zusammenhanges" (FS, 430) der festgestellten Tatsachen gehört. Wir wollen hier die ,Frühschriften' einerseits im Kontext der zeitgenössischen Strömungen von Positivismus, Relativismus, Neukantianismus und Lebensphilosophie, andererseits im Kontext der in ,SUZ' vollzogenen Seinsfrage nachvollziehen, die mit der Daseinsfrage, Zeitfrage und Geschichtsfrage zusammengeht. 16 In seiner ersten veröffentlichten Schrift ,Das Realitätsproblem in der modernen Philosophie' (1912) stellt Heidegger zwei herrschende erkenntnistheoreti-

15 Zu dem möglichen Ausmaß des inneren Zusammenhangs von Seins- und Geschichtsfrage vgl.: O. Pöggeler, "Einleitung: Heidegger heute", 26-7, 49-50, in: ,Heidegger: Perspektiven zur Deutung seines Werkes', hrsg. von demselben, Köln/Berlin 1970, 11-53. In diesem Aufsatz spricht O. Pöggeler auch von dem Begriff der Geschichtlichkeit. Da erst von dem Geschehen der Wahrheit (Geschichte als Wahrheit) her die Geschichte als Gegensatz der Natur verständlich gemacht wird - und nicht umgekehrt -, führt Heidegger - Pöggeler zufolge -, um ein Mißverständnis zu beseitigen und den Standort seines Denkens zu präzisieren, anstatt der "Rede von der Geschichte des Seins oder der Geschichtlichkeit des Denkens und der Wahrheit" (ebd. 49) "neue Worte wie Schicksal, Geschick, Ereignis" an und meidet "in seinem Spätwerk z. B. ein nicht zuletzt durch ihn in Umlauf gekommenes Wort wie ,Geschichtlichkeit'" (ebd. 50). Sicher bedeutet diese Aussage aber nicht, daß in den Spätwerken Heideggers die Begriffe ,Geschichte des Seins und Geschichtlichkeit des Menschen' nicht herauszuarbeiten sind. 16 Die Untersuchung über Heideggers ,Frühschriften' von verschiedenen Hinsichten her findet sich in folgenden Arbeiten: Claudis Strube, ,Die Vorgeschichte der hermeneutischen Fundamentalontologie', Würzburg 1993. O. Pöggeler, ,Der Denkweg Martin Heideggers', Pfullingen 1983, 17-26. John D. Caputo, ,Heidegger and Aqinas', Fordham 1982, 15-45. D. C. Hoy: "History, Historicity and Historiography in Being und Time", in: ,Heidegger and Modern Philosophy: Critical Essays', hrsg. v. Michael Murray, New Haven and London 1978, 329-353. W. Franzen, ,Martin Heidegger', Tübingen 1976,28-37. O. Pugliese, ,Vermittlung und Kehre', FreiburglMünchen 1965, 129-38, 172-74.

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Einleitung

sche Ansichten vor und versucht, sich mit diesen auseinandersetzend einen kritischen Realismus wie den Külpe'schen zu unterstützen. Die von Heidegger rur zwei herrschende erkenntnistheoretische Richtungen gehaltene Anschauungen sind "Konszientialismus (Immanentismus) und Phänomenalismus, [... ] die eine Bestimmung des Realen oder sogar, wie die erste, auch eine bloße Setzung einer bewußtseinsabhängigen Außenwelt als unzulässig und unmöglich dartun wollen" (FS, 3). Durch eine kritische Auseinandersetzug mit diesen beiden Anschauungen will Heidegger positiv auf folgende Frage antworten: "Wie ist die Realisierung, näherhin die Setzung und Bestimmung von transsubjektiven Objekten möglich?" (FS, 5). Die Möglichkeit der Setzung der Realitäten findet er darin, daß "ein und dasselbe Objekt verschiedenen Individuen unmittelbar kommunikabel ist" (FS, 12). Diese Kommunikabilität wird als eine in einem kausalen Verhältnis zwischen Außenwelt und Wahrnehmungen gegründete gedacht. Insofern wird die Außenwelt als "Ursache unserer Wahrnehmungen" (FS, 13) gesetzt, wobei ,Ursache' nicht schon die Implikation enthält, daß die Außenwelt, wie rur die Empiristen, mit den sinnlichen Eindrücken vergleichbar ist, sondern nur die Implikation, daß die Außenwelt, wie bei Külpe, ,die Trägerin der fremdgesetzlichen Beziehungen unserer Sinneseindrücke' ist. Von der Möglichkeit der Bestimmung der Realitäten sagt Heidegger: "Diese Bestimmung wird inhaltlich normiert durch die konstatierten Beziehungen, d.h. sie muß so ausfallen, daß die Relate als befahigt dargestellt sind, das reale Geschehen auszuruhren" (FS, 14). Die so darzustellende Bestimmung der Realitäten bedeutet aber nicht schon "eine vollgültige, adäquate Bestimmung der gesetzten Realitäten" (FS, 14). Sie bleibt lediglich "ein ideales Ziel" (FS, 14). So unterstützt Heidegger eine mit "Erfahrung und Denken" (FS, 13) sieh entfaltende Erkenntnistheorie, d.h. einen kritischen Realismus. Heidegger faßt diesen als eine neue erkenntnistheoretische Bewegung, deren "positiv fördernde Arbeit" die aristotelisch-scholastische Philosophie, die "von jeher realistisch dachte" (FS, 15), leisten soll. In dieser Auffassung zeigt sich Heideggers Glaube, daß die Scholastik als traditionelle Philosophie wiederholt werden muß, was ein Gespräch zwischen der Scholastik und der modemen Philosophie bedeutet. Heideggers Dialog mit der Scholastik wurde in seiner ersten Schrift begonnen und bis zu der Veröffentlichung von ,SuZ' geruhrtY Hier können wir uns fragen, wie in ,SuZ' das An-sieh-sein des Realen aufgeklärt wird. In ,SuZ', dessen Thematik nicht mehr eine Erkenntnistheorie oder eine Logik, sondern die Fundamentalontologie ist, die sich von der Daseinsanalytik aus entfaltet, wird das An-sich-sein des Realen als im Verstehen des Daseins liegendes aufgeklärt: "Seiendes ist unabhängig von Erfahrung, Kenntnis und Erfassen, wodurch es erschlossen, entdeckt und bestimmt wird. Sein aber ,ist' nur im Verstehen des Seienden, zu dessen Sein so etwas wie Seinsver-

17

Vgl.: lohn D. Caputo, ,Heidegger and Aqinas', 23-27, 45.

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Früh schriften '

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ständnis gehört" (SuZ, 244). Und weiter: "Wenn Dasein nicht existiert, dann ,ist' auch nicht ,Unabhängigkeit' und ,ist' auch nicht ,An-sieh'. [... ] Es kann jetzt wohl, solange Seinsverständnis ist und damit Verständnis von Vorhandenheit, gesagt werden, daß dann Seiendes noch weiterhin sein wird" (SuZ, 281). Das An-sieh-sein des Realen, d.h. die Vorhandenheit des Seienden, ist eine Weise des Seinsverständnisses, das zum seinsverstehenden Dasein gehört. Von dieser Hinsieht aus kritisiert Heidegger den Versuch, die Realität der Außenwelt zu beweisen (vgl. SUZ, 272). Wenngleich Heidegger die kritisch-realistische Denkweise unterstützt, ist er sieh doch auch des Eigenwerts des Logischen deutlich genug bewußt. In seiner im selben Jahr veröffentlichten zweiten Schrift ,Neuere Forschungen über Logik' (1912) betont er dem Psychologismus gegenüber die Unterscheidung von psychischem Akt und logischem Inhalt. Diese faßt er wiederum als die Unterscheidung dessen, was ,ist', von dem, was ,gilt'. Das, was ,gilt', ist der "reine, in sich Bestand habende Sinn" (FS, 22) und als solcher Gegenstand der Logik. Heidegger unterscheidet das Logische von "der raumzeitlichen Wirklichkeit überhaupt" (FS, 24), d.h. vom Sinnlich-Seienden ebenso wie vom Übersinnlich-Metaphysischen. Kant hat "die Logik der Seinskategorien" (FS, 24) geschaffen, indem er die Formen (Kategorien) des Materials herausgestellt hat, die zu der dem Dinghaften (d.h. dem physischen Seienden) gegenüberstehenden Dinghaftigkeit (d.h. dem physischen Sein) gehören. Die Logik aber faßt als Kategorienlehre wieder die Formen des Materials (z.B. Seinskategorien) durch andere weitere logische Formen: "Die philosophische Kategorie ist also Form der Form" (FS, 25). Während die Formen des Realen zum Sein als Gebietskategorie gehören, gehören die Formen des Logischen zum Gelten als konstitutiver Kategorie: "Wie das Sein ,Gebietskategorie' für das sinnlich anschauliche Material, so ist das Gelten konstitutive Kategorie für das unsinnliche Material" (FS, 25). Gelten und Sein sind je die Kategorie von Realem und Geltendem. Scheinbar tritt hier eine Dualität der Kategorie auf. 18 Die Seinskategorien aber sind es, die für das Reale gelten und somit zum Geltenden gehören. Insofern ist das Gelten zwar eine andere Kategorie als das Sein, aber zugleich dieses umfassende Kategorie. Hier gibt es nicht so sehr eine Dualität, sondern eine scharfe Trennung von Form und Form der Form, d.h. eine Trennung von einer Gebietskategorie (sei es Physisches, Psychisches, Mathematisches oder etwas anderes) und der diese umschließenden Gelten-Kategorie, was wir später im verwandelten Kontext als Unterschied von Seinsweise (sei es Vorhandenheit, Leben, Bestand oder etwas anderes) und Erschlossenheitscharakter (Wahrheitscharakter des Sein überhaupt) sehen werden. Heideggers Auseinandersetzung mit dem Psychologismus hat ihn vor das Kategorienproblem geführt, das für

IR

Vgl.: lohn D. Caputo, ,Heidegger and Aqinas', 32.

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Einleitung

seine Lösung vor allem die Stellung einer ursprünglicheren Seinsfrage fordert, die die Analytik des Daseins benötigt, zu dem die Erschlossenheit gehört. In Heideggers Dissertation ,Die Lehre vom Urteil im Psychologismus' (1913) zeigt sich der Unterschied zwischen Psychischem und Logischem noch deutlicher, und zwar in der Form der Seinsfrage nach dem Logischen, die aus einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Positivismus hervorgeht. Hier sagt er: "Es wäre nun kaum verwunderlich, wenn dieser allgemeine Einfluß der Psychologie nicht auch auf die Philosophie, speziell die Logik als die ,Lehre vom Denken', sich erstreckt hätte" (FS, 63). So zeigt er seinen kritischen Standpunkt gegenüber dem Psychologismus, der als ein Empirismus (vgl. FS, 165) bzw. ein Positivismus das Zeitalter prägt und so die Philosophie bedroht. Zu seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Psychologismus innerhalb des Bereiches der Logik wählt er als Streitpunkt die Urteilslehre. Denn er glaubt, daß "sich am Urteil [... ] am schärfsten der Unterschied zwischen Psychischem und Logischem herausstellen lassen muß" (FS, 64). Von diesem Gesichtspunkt aus untersucht Heidegger kritisch verschiedene psychologisch bedingte Theorien des Urteils, d.h. W. Wundts Lehre von der Urteilsentstehung, H. Maiers Lehre vom Urteilsbestehen aus Teilakten, Fr. Brentanos Urteilslehre mit Klassifikation der psychischen Phänomene und Tb. Lipps' Lehre von der Vollendung des Urteilsvorgangs. Nach diesen kritischen Untersuchungen entfaltet er seine eigene, rein logische Urteilslehre. Bei dieser Entfaltung stellt er, wie in seiner Habilitationsschrift, fest, daß der Sachverhalt, daß es neben dem Psychischen einen selbständigen Bereich des Logischen gibt, keine Sache des Beweisens im Sinne einer Deduktion aus einem Obersatz, sondern eine Sache des Aufweisens als des Aufzeigens (vgl. FS, 165, 213) ist. Diese Feststellung könnte uns an die spätere Sprachwendung erinnern: "Ontologie ist nur als Phänomenologie möglich" (SZ, 48). Heidegger zeigt auf, daß das rein Logische unveränderlich und allgemeingültig ist und daher von der Beliebigkeit des Urteilsvorgangs unterschieden werden muß. Die logische Seite des Urteilens ist das Urteil selbst bzw. der Inhalt des Satzes. Das Urteil als Inhalt des Satzes hat eine andere Wirklichkeitsform als das Urteilen: "Die Wirklichkeitsform des Sinnes ist das Gelten; die Wirklichkeitsform des Urteilsvorgangs [... ] ist das zeitlich bestimmbare Existieren" (FS, 172). Der Sinn als Urteil ist es, der das Gelten zu seiner Wirklichkeitsform hat. Der geltende Sinn selbst scheint für Heidegger hinsichtlich seines Sinnes einerseits fragwürdig, andererseits jedoch unbeantwortbar zu sein: "Die Frage nach dem Sinn des Sinnes ist nicht sinnlos. Nur ist fraglich, ob bezüglich des Sinnes noch eine schulgerechte Definition möglich ist" (FS, 171). Insofern beschränkt er sich auf das Aufzeigen der inneren Struktur des Sinnes und faßt in Hinsicht auf "die Sinnstruktur und damit das Wesen des Urteils" das "Gelten eines Bedeutungsgehaltes von einem anderen" (FS, 175) als eine von solcher Hinsicht beschränkte Antwort auf die Sinnfrage nach dem Sinn. Das Gelten wird auch als die Antwort auf H. Maiers Frage nach dem Sinn des ,Seins' im Urteil (vgl. FS, 93, 178) gesetzt. Sofern wir in

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Fruhschriften'

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,SuZ' die Sinnfrage nach dem Sein überhaupt fmden, könnten wir vermuten, daß die von Heidegger hier nicht für sinnlos gehaltene, aber auch nicht behandelte Sinnfrage nach dem Sinn nicht vernichtet, sondern zurückgehalten und mit dem Wandel der Thematik von einem noch ursprünglicheren Hinblick aus in die noch tiefere Dimension verwandelt wurde. In seiner Habilitationsschrifft ,Kategorien- und Bedeutungslehre von Duns Scotus' (1915) sehen wir, daß in der Form der Kategorienlehre die Seinsfrage nach dem logischen Sinn gestellt w-ird. Hier stellt Heidegger zuerst seine Auffassung der Philosophiegeschichte und der historischen Forschung dar. Er sagt, daß die Vorbedingungen für eine wirklich philosophische Auswertung der Scholastik, insbesondere der Lehre von Duns Scotus "mehr historischliterargeschiehtliche und vorwiegend theoretisch-philosophische Untersuchungen" (FS, 195) sind. Damit drückt sich mit aus, daß die philosophiegeschichtliehe Forschung mehr als eine rein historische Forschung ist und somit von dieser unterschieden wird. Sofern zum Arbeitsgebiet der Philosophie die Philosophiegeschichte gehört und somit diese in der Weise der Auswertung ausgedeutet wird, heißt es: "Nur Geschichte ist nun einmal die Geschichte der Philosophie nicht [... ]" (FS, 195). Das Verhältnis der Philosophiegeschichte zur Philosophie ist anders als z. B. das Verhältnis der Mathematikgeschichte zur Mathematik. Dies liegt zuerst an dem eigenen Charakter der Philosophie, d.h. im "Bestimmtsein aller Philosophie vom Subjekt her" (FS, 196). Die Philosophie, die von der lebendigen Persönlichkeit bestimmt wird, schöpft "aus deren Tiefe und Lebensfülle Gehalt und Wertansprueh" (FS, 195-96). Auf Grund des Bestimmungsbezugs des Menschenlebens zur Philosophie sagt Heidegger: "Bei der Konstanz der Menschennatur wird es nun verständlich, wenn die philosophischen Probleme sich in der Geschichte wiederholen" (FS, 196). Die Geschichte der Philosophie ist also die Geschichte der sich wiederholenden Probleme, d.h. die Problemgeschichte, in der aber hinsichtlich der Problemlösung nicht so sehr "eine Entwicklung" im Sinne der systematischen Fortschrittes festzustellen ist, sondern hauptsächlich "eine immer fruchtbarere Auswicklung und Ausschöpfung eines begrenzten Prob lern bezirkes" (FS, 196) gefunden wird. Wenn die Philosophie als ein solches immer neu einsetzendes Bestreben um einen einigermaßen gleichen Problembezirk angesetzt wird, verlangt sie ihre eigene Auffassung der ,Geschichte'. Der Wesensbezug der Philosophiegeschichte zur Philosophie entsteht nur dann, wenn sie nicht als ",reine Geschichte', Tatsachenwissenschaft" (FS, 196) bleibt, sondern diese "in die rein philosophische Systematik projiziert" (FS, 196-97) wird. In diesem Fall hört die Philosophiegeschichte auf, bloße Vergangenheit zu sein, und gewinnt ihren Bezug zur Gegenwart und zwar derart, daß sich "die verschiedenen verwandten Problemlösungen" auf "das Problem an sich" (FS, 196) sammeln. So sieht Heidegger das Wesen der Philosophiegeschiehte in ihrem Bezug zur Philosophie, d.h. darin, daß sie als eine Problemgeschichte die verwandten verschiedenen Problemlösungen für das Problem an sich hergibt. Von dieser Auffassung der

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Einleitung

Philosophiegeschichte aus versteht er die Scholastik problemgeschichtlich, bezieht diese auf das Kategorienproblem und stellt die Aufgabe der "Ausdeutung und Wertung [der Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus als des ,scharfsinnigsten aller Scholastiker'] mit Hilfe des philosophischen Problemgehaltes als solchen" (FS, 204). Heidegger nimmt hier bezüglich der Bedeutungslehre auch Stellung zu dem zeitgenössischen Problem der Einteilung der Wissenschaften, erwähnt ihre verschiedenen Weisen (inklusive der Dilthey'schen und Rickert'schen Weise) und behauptet, daß zur Stellungsanweisung der Bedeutungslehre die Einteilung der Wissenschaften durch die Kategorienlehre vorzüglich ist, weil mit dieser das Gegenstandgebiet der Bedeutungslehre deutlich erkannt werden kann. Die verschiedenen Gegenstandsgebiete, die die einzelnen Wissenschaften bearbeiten, gehören zu bestimmten Wirklichkeitsbereichen. So hebt Heidegger hinsichtlich der Stellenanweisung der Bedeutungslehre die Aufgabe "einer kategorialen Charakteristik der Wirklichkeitsbereiche" (FS, 211) hervor. Sofern von der Kategorienabgrenzung her dem Bereich der Bedeutungen seine Stelle angewiesen wird, ist sie "Verständnisgrundlage" (FS, 212) der Bedeutungslehre. Die Bedeutungslehre hat zur Aufgabe, die Formen der Bedeutung herauszustellen, die in den logischen Akten konstruiert werden und als solche die Redeteile der Sprache (Nomen, Pronomen, Verbum usw.) konstituieren (vgl. FS, 310, SuZ, 220). Anders als die Sprache, die zum realen Bereich gehört, gehören Bedeutung und Sinn (Bedeutungskomplex), seien sie in der Sprache verkörpert oder nicht, zum logischen Bereich, dessen Seinsweise als "geltungsartige[r] Wirklichkeitsweise" (FS, 279) und dessen Gebietskategorie als "Intentionalität" (FS, 283) gefaßt wird. So sehen wir in Heideggers Habilitationsschrift, daß die Kategorienlehre einen entscheidenden Bezug zur Bedeutungslehre hat, in der wir einen Hinweis auf die Notwendigkeit der Daseinsanalytik sehen können. Wie in seiner Dissertation, unterscheidet Heidegger auch in seiner Habilitationsschrift die reale Welt, sei sie sinnlich (physisch und psychisch) oder übersinnlich (mathematisch und metaphysisch), von dem logischen Bereich. '9 Die Kopula ,est' bedeutet das ,Gelten' der Beziehung der Bestandstücke des Urteils und als solche ist sie "der eigentliche Träger der Wahrheit" (FS, 270). Wenn ,est' so wenig mit ,existieren' zusammenfallt und eigentlich ,gelten' bedeutet, ist das Urteil, dessen Einheit durch ,est' gebildet ist und das in einer Beziehung mit dem realen Sachverhalt steht, eine Wahrheit, die nicht als die reale Wirklichkeit (ens naturae, ens extra animam), sondern als die logische Wirklichkeit (ens logicum, ens rationis, ens in anima) gefaßt wird: "Die Beziehung ,Gelten' und somit die eigentümliche Wirklichkeitsweise bleibt in jedem Urteil unangetastet dieselbe" (FS, 269-70). Sofern die logische Wirklichkeit ,ens in anima' 19 Wir können hier schon einige verschiedenen Seinsweisen finden. Vgl.: SuZ, 9, GdP, 14.

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Frühschriften'

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ist, das im Unterschied zur realen Wirklichkeit als dem ,ens extra animam' steht, heißt es: "Der kardinalste Unterschied der Wirklichkeitsweisen ist der zwischen Bewußtsein und Realität, genauer: nicht geltungsartiger Wirklichkeitsweise, die ihrerseits immer nur durch und in einem geltungsartigen Sinnzusammenhang gegeben ist" (FS, 279). Hier drückt sich ein Wissensermöglichungsbezug des Bewußt-seins zum Real-sein aus. Diesen Bezug verdeutlicht Heidegger wie folgt: "Nur indem ich im Geltenden lebe, weiß ich um Existierendes" (FS, 280). Eine ähnliche Sprachwendung finden wir später in ,SuZ': "Aller Zugang zu solchem Seienden [zum Realen] ist ontologisch fundiert in der Grundverfassung des Daseins, dem In-der-Welt-sein" (SuZ, S. 268). Und weiter: ,,[ ... ] nur weil Dasein ist als konstituiert durch Erschlossenheit, das heißt Verstehen, kann überhaupt so etwas wie Sein verstanden werden, ist Seins verständnis möglich. Sein - nicht Seiendes - ,gibt es' nur, sofern Wahrheit ist. Und sie ist nur, sofern und solange Dasein ist" (SUZ, 304). Die ursprüngliche Ermöglichungsbedingung für das Erkennen des Seienden wird hier in ,SuZ' als Erschlossenheit des Seins gedacht, deren Stelle dort das Bewußt-sein des Geltenden einnimmt. In ,SuZ', in dem nicht die Logik, sondern die Fundamentalontologie behandelt wird, wird der Sinn (der Urteilsgehalt, das Verständnis des Seienden) von seiner Ermöglichungsbedingung her gedacht, die ontologisch die Erschlossenheit bezeichnet. 20 Die Erschlossenheit ist das existenziale Phänomen, in dem die Verständlichkeit überhaupt bzw. das formal-existenziale Gerüst des Artikulierbaren (d.h. das Gefüge von Selbstverständnis des Daseins, von dessen Weltverständnis und dem in diesem gehaltenen Seinsverständnis des Seienden) liegt. Es scheint so, daß sich die früher nicht behandelte Frage nach dem Sinn des Sinnes (d.h. dem Wesen des Urteilssinnes) in die Frage nach der Erschlossenheit von Verständlichkeit überhaupt (Seins verständnis und Seiendesverständnis), in die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt (d.h. nach der Erschlossenheit von Sein überhaupt für den Urteilssinn) wandelt. 21 Sofern die Erschlossenheit die zeitliche ist, ist die Erschlossenheitsfrage in sich die Frage nach der Zeit.

2U "Wenn innerweltliches Seiendes [... ] zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. Verstanden aber ist, streng genommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das, worin sich Verständlichkeit von etwas hält" (SuZ, 201, vgl. 477-78). "Den Begriff des Sinnes restringieren wir nicht zuvor auf die Bedeutung von ,Urteilsgehalt', sondern verstehen ihn als das gekennzeichnete, existenziale Phänomen, darin das formale Gerüst des im Verstehen Erschließbaren und in der Auslegung Artikulierbaren überhaupt sichtbar wird" (SuZ, 207-208). Die Erschlossenheit gründet sich ihrerseits in der ursprünglichen Zeit. 21 Zur Untersuchung derselben Thematik vgl.: E. Morscher, "Von der Frage nach dem Sein von Sinn zur Frage nach dem Sinn von Sein - der Denkweg des frühen Heidegger", in: ,Philosophisches Jahrbuch', Bd. 80 (1973),379-85.

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Einleitung

In dem Schlußkapitel (1916), das fiir den Druck der Habilitationsschrift (1915) verfaßt wurde, verdeutlicht Heidegger die drei Aufgaben der Kategorienlehre. 1. Wenn die Kategorien als "Elemente und Mittel der Sinndeutung des Erlebbaren" (FS, 400) angesetzt werden, schließt das Kategorienproblem die Aufgabe der Gegenstandsbereichabgrenzung ein. Diese Abgrenzung bedeutet "die charakterisierende Abgrenzung der verschiedenen Gegenstandsbereiche in kategorial aufeinander unreduzierbare Bezirke" (FS, 400).

2. Kategorien sind in sich "allgemeinste Gegenstandbestimmtheit" (FS, 403). Wenn man Kategorie "als Gegenstandsbestimmtheit entscheidend begreifen" will, ist "die Hineinstellung des Kategorienproblems in das Urteils- und Subjektsproblem" (FS, 401) nötig, weil Gegenständlichkeit nur fiir ein Subjekt Sinn hat und im Urteil aufgebaut wird. Das Subjekt bzw. Bewußtsein als "sinnvolle und sinnverwirklichende lebendige Tat" (FS, 406) faßt Heidegger als lebendigen Geist. Dieser Geist hält Sinn offen, verwirklicht ihn in das Wirkliche und baut die wahre Wirklichkeit, die der ontischen Bedeutung des logischen Sinnes gleichkommt. Die Philosophie begnügt sich nicht "mit einem Buchstabieren der Wirklichkeit", sondern soll auf "einen Durchbruch in die wahre Wirklichkeit und wirkliche Wahrheit" (FS, 406) abzielen. Für diesen Durchbruch muß sich die Philosophie am Begriff des lebendigen Geistes orientieren. Denn nur aus dem Begriff des lebendigen Geistes ist die "nur metaphysisch durchfiihrbare letzte Begründung" des "Satzes der Immanenz" (FS, 407) zu bewerkstelligen. Dieser Satz begründet sich im lebendigen Geist, der Sinn offenhält, ihn in das Wirkliche verwirklicht und so ihn diesem immanent sein läßt. Insofern ist nur vom lebendigen Geist her verständlich, daß "der ,unwirkliche' ,transzendente' Sinn uns die wahre Wirklichkeit und Gegenständlichkeit verbürgt" (FS, 406). 3. Das Kategorienproblem, das in jeder Zeit gemäß ihrem geschichtlich bestimmten gedanklichen Milieu eine sie prägende eigene Lösung gewinnt (vgl. FS, 196, 202), erhält erst durch Hineinstellung in den lebendigen Geist seine "eigentliche Tiefendimension und Bereicherung" (FS, 407). Der lebendige Geist ist es, der als "historischer Geist" (FS, 407) nur durch das Aufheben der "ganze[n] Fülle seiner Leistungen, d.h. seine(r) Geschichte" (FS, 408) zu begreifen ist. Sofern das Kategorienproblem fiir seine eigentliche Tiefendimension und Bereicherung die Deutung des Bewußtseins als historischen Geistes braucht, ergibt sich die Aufgabe der Hineinstellung der "Geschichte und [ihrer] kulturphilosophisch-teleologische[n] Deutung"22 in das Kategorienproblem und zwar als dessen "bedeutungsbestimmendes Element" (FS, 408). So tritt das

22 Hier zeigt sich Heideggers Hinblick sowohl auf die Dilthey'sche und Rickert'sche wie auch auf die Hegel' sehe Geschichtsdeutung. Vgl.: FS, 411.

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Frühschriften'

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Problem der Deutung der Geschichte im Kontext der Vertiefung und Bereicherung des Kategorienproblems auf. In Heideggers Habilitationsschrift sehen wir einerseits, daß seine Auffassung der Geschichte und des Menschseins vor allem im kultur- und lebensphilosophischen Diskussionskontext steht. Andererseits sehen wir, daß Heideggers Verdeutlichung der drei Aufgaben der Kategorienlehre eine Zusammengehörigkeit der Probleme von Kategorien, lebendigem Geist und Geschichte zeigt. Eine ähnliche Zusammengehörigkeit werden wir in ,SuZ' sehen. Dort zeigt sich in einer anderen, d.h. fundamentalontologischen, Problematik die Zusammengehörigkeit der Fragestellungen von Sein überhaupt, Dasein und Geschichte (vgl. SuZ, 28).23 In seiner Probevorlesung (1915) ,Der Zeitbegriff in der Geschichtswissenschaft' stellt Heidegger in Hinsicht auf den Unterschied von Natur und Geschichte die Frage nach dem Zeitbegriff der Geschichtswissenschaft. 24 Hier sagt Heidegger einerseits, daß zum Verdienst der kritischen Erkenntnistheorie die scharfe Abgrenzung von Natur- und Kulturwissenschaften und die logische Begründung ihrer Selbständigkeit gehören, andererseits daß jedoch viele Einzelprobleme gelöst werden müssen, um "die umfassende Zukunftsaufgabe einer allgemeinen Wissenschaftstheorie" (FS, 416) unternehmen zu können. Heidegger zählt zu diesen Einzelproblemen das Problem des Zeitbegriffes in der Geschichtswissenschaft. Er formuliert dieses Problem mit folgender Frage: "Welche Struktur muß der Zeitbegriff der Geschichtswissenschaft haben, um als Zeitbegriff dem Ziel dieser Wissenschaft entsprechend in Funktion treten zu können?" (FS, 417). Diese Frage wird aber unter dem Vorbehalt einer Untersuchung dessen, "welche Struktur des Zeitbegriffes in sie [i. e. Geschichtswissen-

23 Vgl.: W. Franzen, ,Martin Heidegger', 32. C. Strube, ,Zur Vorgeschichte der hermeneutischen Phänomenologie', 91-98. Wenn wir uns hier an H.-G. Gadamers folgende Aussage erinneren: "Es waren zwei Probleme, die uns, als ich selbst in den frühen zwanziger Jahren in die Diskussionssituation der Philosophie unseres Jahrhunderts eintrat, am meisten bewegt haben. Auf der einen Seite war es das Problem des historischen Bewußtseins [... ]. Auf der anderen Seite war es die Frage, aufweiche angemessene Weise der Philosoph vom Göttlichen zu reden vermag - und vielleicht reden muß" (Hermeneutik im Rückblick, Bd. 10, 247), richtet sich unsere Aufmerksamkeit auch auf Heideggers Gottesdenken. Zu dieser Problematik vgl.: C. Strube, ,Das Mysterium der Moderne: Heideggers Stellung zur gewandelten Seins- und Gottesfrage' , München 1994. F.-W. v. Herrmann, "Mensch - Gott und Ereignis", in: ,Wege ins Ereignis', Frankfurt 1994,325-86. Coriando, Paola-Ludovica, ,Der letzte Gott als Anfang. Zur ab-gründigen Zeit-Räumlichkeit des Übergangs in Heideggers "Beiträge zur Philsosophie", , Freiburger Dissertation 1997. 24 Das, was für den jungen Heidegger in Hinsicht auf die Geschichte die eigentliche Intention war, wird von H.-G. Gadamer als "sein eigenes christliches Erbteil" (,Heideggers Wege', Tübingen 1983, S. 130), von O. Pöggeler als "die urchristliche Religiosität" (,Heidegger und die hermeneutische Philosophie', Freiburg/München 1974, 144) aufgefaßt.

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schaft] hineinpaßt" (FS, 417-18), herausgearbeitet und zwar in der Weise, daß er "von der Geschichtswissenschaft als Faktum" ausgeht und "die tatsächliche Funktion des Zeitbegriffes in ihr" (FS, 418) untersucht. Unter dem, was er vorbehält, könnten wir im Vorblick auf ,SuZ' die Zeitstruktur in der an der eingentlichen Geschichtlichkeit orientierten Historie 25 vermuten. Bevor Heidegger den Zeitbegriff in der Geschichtswissenschaft behandelt, schickt er eine Kennzeichnung des physikalischen Zeitbegriffes voraus. Das Ziel der Physik ist die Zurückruhrung aller Erscheinungen auf Bewegungsgesetze einer Masse. Die physikalische Bewegung steht ersichtlich in einem Verhältnis zur Zeit. Dieses Verhältnis von Bewegung und Zeit [mdet sich in der "Messung der Bewegung mit Hilfe der Zeit" (FS, 421-22). Insofern stellt Heidegger fest: "Die Funktion der Zeit ist es, Messung zu ermöglichen" (FS, 423). Gegenüber der Meinung des Physikers Planck, die Zeitauffassung der Relativitätstheorie ,übertrifft an Kühnheit wohl alles, was bisher in der spekulativen Naturforschung, ja in der philosophischen Erkenntnislehre geleistet wurde', sagt Heidegger: ,,[ ... ] in der Relativitätstheorie als einer physikalischen Theorie handelt es sich um das Problem der Zeitmessung, nicht um die Zeit an sich. [... ] sie bestätigt nur in erhöhtem Maße [... ] den homogenen, quantitativ bestimmbaren Charakter [des naturwissenschaftlichen Zeitbegriffes ]" (FS, 424). In dieser Bemerkung Heideggers drückt sich seine Meinung aus, daß es bis dahin ausgeblieben ist, die Zeit an sich26 philosophisch zu erklären. Zwar gehört auch in die Geschichtswissenschaft die Funktion einer Stellenordnung, d.h. die historische Festlegung der Ereignisse in der Zeit. Aber die Zeit in der Geschichtswissenschaft bezieht sich jeweils auf "ein ganz bestimmtes individuelles Ereignis" (FS, 425). Dort ist jede Zeitbestimmung ein historischer Begriff, der vom Ziel der Geschichtswissenschaft her bedingt ist. Heidegger faßt dieses Ziel wie folgt: "Ziel der Geschichtswissenschaft ist [... es], den Wirkungs- und Entwicklungszusammenhang der Objektivationen des menschlichen Lebens in ihrer durch Beziehung auf die Kulturwerte verstehbaren Einzigartigkeit und Einmaligkeit darzustellen" (FS, 427). Diese Auffassung könnte uns an die Geschichtstheorie von Rickert und Dilthey erinnern. Jedoch setzt Heidegger seinen Akzent auf die Funktion der Zeit in der Geschichtswissenschaft. Er findet den Grund darur, daß Vergangenheit den Historiker interessiert, darin, daß sie einen Sinn rur die Gegenwart hat. Dieser Sinn erwacht aber nur dann, wenn Vergangenheit in ihrer qualitativen Andersheit ins Bewußtsein der Gegenwart kommt: "Vergangenheit hat immer nur Sinn von einer Gegenwart aus gesehen" (FS, 427). Heidegger setzt hier voraus, daß die Möglichkeit des Verstehens der vergangenen Zeiten in der Gemeinsamkeit des Menschenlebens liegt: "Insofern die historische Vergangenheit immer eine Andersheit von 25 2fi

Vgl.: § 12 b. VgI.: § 8 b.

§ 2 Die Geschichts- und Seinsfrage in Heideggers ,Frühschriften'

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Objektivationen des Menschenlebens ist und wir selbst in einer solchen leben und solche schaffen, ist von vornherein die Möglichkeit gegeben, die Vergangenheit zu verstehen, da sie kein unvergleichbar Anderes sein kann" (FS, 427).27 Das Verstehen der qualitativ anderen Zeiten bedeutet schon die Überwindung der zeitlichen Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In diesem Faktum der Zeitüberwindung, das sich im Vollzug der historischen Methode deutlich zeigt, ist der Zeitbegriff der Geschichtswissenschaft zu ersehen. Die zwei historischen Aufgaben nennt Heidegger die Sicherstellung der "Tatsächlichkeit" (FS, 428) der historisch darzustellenden Vorgänge und "die Herausstellung des Zusammenhanges der zuvor im einzelnen festgestellten Tatsachen" (FS, 430). In der Geschichte muß für die wissenschaftliche Verwendbarkeit einer Quelle ihre Entstehungszeit festgestellt werden. Die zeitliche Sicherstellung der Quelle ist nur möglich, weil jede Zeit einen eigenen Charakter hinsichtlich ihrer ganzen Schöpfungen und Äußerungen trägt. Aufgrund der Feststellung der Entstehungszeit der Quelle wird das Kulturverhältnis der zur eigenartig verschiedenen Zeiten gehörenden ,Tatsachen' herausgestellt. Im Vollzug der zwei historischen Aufgaben ist also jede Zeit als kulturbezogene und eigenartige vorausgesetzt. Das Wesentliche im geschichtlichen Zeitbegriff findet sich so darin: "Die Zeiten der Geschichte unterscheiden sich qualitativ" (FS, 431). Dabei bedeutet das Qualitative des historischen Zeitbegriffes die "Verdichtung - Kristallisation - einer in der Geschichte gegebenen Lebensobjektivation" (FS, 431). Die Zeit tritt in der Geschichtswissenschaft qualitativ in Funktion und verdichtet als solche in sich eine Kultur als Lebensobjektivation. Zum historischen Zeitbegriff gehört ein qualitativ bestimmbarer und kulturbezogener Charakter, während die Zeit in der Physik zur Messung der Bewegung "den homogenen, quantitativ bestimmbaren Charakter" (FS, 424) hat. Nun können wir den Standpunkt Heideggers in seiner Probevorlesung charakterisieren. Seine Behauptung, daß Gegenwärtiges und Vergangenes als Lebensobjektivation gemeinsam im Menschenleben gründen und daher vergleichbar sind, steht der relativistischen Meinung gegenüber, daß die historische Vergangenheit eine inkommensurable und so unverständliche Andersheit ist. Heideggers Darstellung, daß die Aufgabe der historischen Methode die HeraussteIlung des Zusammenhangs der zuvor im einzelnen festgestellten Tatsachen ist, schließt die relativistische Meinung aus, daß die Tatsache abhängig ist von einer jeweiligen Interpretation, und daß die Feststellung der Tatsache und die Herausstellung des Zusammenhangs nicht unterschiedliche Arbeiten sind. 28 Heideggers Annahme der Kultur als Lebensobjektivation und der Wertbezie27 Hier sieht D. C. Hoy, daß die Möglichkeit des Verstehens der Vergangenheit "inconklusiv" gezeigt wird, und vermutet, daß dies Heidegger in ,SuZ' die Frage nach dem "common human life underlying the qualitative differences between historical ages" ("History, Historicity and Historiography in Being and Time", 333) herausarbeiten läßt. 2R D. C. Hoy: "History, Historicity and Historiography in Being und Time", 331-36.

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hung als "Prinzip der historischen Begriffsbildung" (FS, 433) verdeutlichen, daß seine Auffassung der Geschichtswissenschaft im kultur- und lebensphilosophischen Diskussionskontext steht. Aber es zeigt sich auch schon ein Ansatz seines eigentümlichen Geschichtsdenkens vor allem in der Behauptung, daß die Geschichtswissenschaft auf Grund ihres qualitativen Zeitbegriffes als "originale und auf andere Wissenschaften unreduzierbare Geisteshaltung" (FS, 433) theoretisch zu begründen ist. Wir können hier einige, von der Thematik von ,SuZ' aus gesehen in der Probevorlesung noch ausbleibende Fragen herausheben. Wenn die eine selbe Zeit einmal in der Geschichtswissenschaft qualitativ, zum anderen in der Physik quantativ in Funktion tritt, welche Zeitigungsweise setzt dann die so je in verschiedene Funktion tretende Zeit voraus? Wenn in der Darstellung der Vergangenheit die zeitliche Kluft überwunden ist, wie zeitigt dann eigentlich die Zeit, um die Zeitüberwindung ermöglicht zu haben? Wir werden in ,SuZ' sehen, daß verschiedene Zeitigungsweisen als der existenzialontologische Ursprung der verschiedenen Wissenschaften nachgewiesen werden. 29 In den ,Frühschriften' Heideggers, so können wir zusammenfassend sagen, sehen wir hinsichtlich seines kritisch-realistischen und logischen Denkens, daß er dem Phänomenalismus und dem Psychologismus gegenübersteht. Sein Geschichtsdenken setzt sich dem Positivismus und dem Relativismus entgegen und steht im Umkreis der kultur- und lebensphilosophischen Geschichtsphilosophie. Aber schon in dieser Phase zeigt sich sein Versuch, die verschiedenen Standpunkte, d.h. einerseits hinsichtlich des Realismus und der Logik die Scholastik und die modeme Philosophie, andererseits hinsichtlich des Geschichts- und des Subjektsproblems die Rickert'sche Kulturphilosophie und die Dilthey'sche Lebensphilosophie zu vermitteln. Dieser Versuch vollzieht sich zwar nicht schon aus dem fundamentalontologischen Hinblick, aber zeigt in sich die Tendenz des Übergangs zur ursprünglichen Fragestellung nach Sein, Dasein, Zeit und Geschichte. 30 Diese Fragen sammeln sich in ,SuZ' auf die Seinsfrage und werden von dieser her ursprünglich ausgearbeitet. Die Geschichtsfrage, d.h. die Frage nach der Geschichtlichkeit des Menschen und nach der Geschichte des Seins, ist für Heidegger ursprünglich die Seins frage. Insofern können wir Heideggers geschichtliches Denken nur dann sachgemäß verstehen, wenn wir es von der Seinsfrage her verstehen und so entfalten. Die Anfangsfrage dieser Abhandlung wird daher die Frage nach dem Sein werden.

Vgl.: § 9 a, c, § 12 a, b. Vgl.: Kar! Lehmann, "Metaphysik, Transzendentalphilosophie und Phänomenologie in den ersten Schriften Martin Heideggers", in: ,Philosophisches Jahrbuch', Bd. 71 (1963/64), 354. Zu Heideggers Denken in der Zeit zwischen den ,Frühschriften' und ,Sein und Zeit' vg1.: F.-W. v. Herrmann, ,Wege ins Ereignis', 7-12. 29

)0

§ 3 Aufbau und Aufriß der Abhandlung

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§ 3 Autbau und Aufriß der Abhandlung " ... understanding is aprerequisite to more than verbal disagreeing ... " (E. Gilson, ,Being and Some Philosophers', ix) In dieser Arbeit wird untersucht, wie Heidegger von der Seinsfrage her auf die Frage nach der Geschichtlichkeit des Menschen und der Geschichte des Seins antwortet. Geschichte und Geschichtlichkeit werden von ihm stets im Zusammenhang mit der Seinsfrage und somit mit der Zeitfrage gedacht. Wenn so sein geschichtliches Denken einen inneren Zusammenhang mit der Frage nach dem Sein und der Zeit hat, ist es unumgänglich, die Geschichtlichkeit des Menschen und die Geschichte des Seins von der Seins- und Zeitfrage her zu fassen. Dies gilt sowohl für sein frühes Denken in der transzendental-ontologischen Blickbahn wie auch für sein späteres Denken, das sich in der seinsgeschichtlich-ereignishaften Blickbahn entfaltet. In seinem Hauptwerk ,Sein und Zeit' stellt Heidegger in der transzendentalontologischen Blickbahn die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Für die Aufklärung der Zeit als Sinn von Sein überhaupt schickt er die Aufklärung des Seins des Daseins als Zeitlichkeit voraus. Denn für die Aufklärung der Zeit als Horizont des Seinsverständnisses muß zuvor der Seinssinn des seinsverstehenden Seienden freigelegt werden. Auf Grund der Zeitlichkeitsstruktur des Daseins wird die ursprüngliche Zeit als Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit und der in dieser gezeitigten horizontalen Zeit gefaßt. Von der Zeitlichkeit her wird die Geschichtlichkeit des Daseins als seine spezifische Seinsweise aufgeklärt. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins, in der es sich in einer gewesenen Seinsmöglichkeit überliefert, gründet in der eigentlichen Zeitlichkeit. Die JetztZeit, der gemäß die Geschichte öffentlich als innerzeitiges Geschehen gefaßt wird, wird als eine der ursprünglichen Zeit entsprungene Zeit enthüllt, die zur alltäglichen Seinsart des Daseins gehört und somit ihren Geburtsschein und ihr natürliches Recht erhält. Insofern verliert auch die Historie, die in Hinsicht auf die Jetzt-Zeit die Geschichte als innerzeitiges Geschehen auslegt, ihr natürliches Recht nicht. Die eigentliche Geschichtlichkeit zeigt sich innerhalb des Seinsdenkens in der Destruktion der Geschichte der Ontologie, die die Wiederholung des Ursprungs der Ontologie bedeutet. Im frühen Denken Heideggers wird so vom Seinssinn des Daseins her die ursprüngliche Zeit, die Geschichtlichkeit des Daseins, der ontologische Ursprung der Historie, deren natürliches Recht und die Aufgabe der Wiederholung des Ursprungs der Ontologie aufgezeigt. Nach dem immanenten Wandel des Denkens Heideggers von der transzendental-horizontalen in die seinsgeschichtlich-ereignishafte Blickbahn wird das Sein neu gedacht. Wie in seinem seinsgeschichtlichen Hauptwerk ,Beiträge zur Philosophie' ausdrücklich gezeigt wird, denkt er das Sein nun in seinem Wesensgeschehen, d.h. als Ereignis. Das Ereignis nennt das Wesensgeschehen des

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Einleitung

Seins in der Wahrheit (Erschlossenheit, Offenheit) und ist als solche die Einheit von er-eignendem Bezug des Seins zum Da-sein und ereignetem Bezug des Da-seins zum Sein. Jetzt denkt Heidegger nicht mehr von der Transzendenz des Daseins und dem Zeit-Horizont aus das Sein, sondern vom Ereignis her den Zeit-Raum und das Dasein. Im ereignishaften Denken wird das Wesensgeschehen des Seins als ursprüngliche Geschichte und somit als Ursprung der Geschichte des Menschen erläutert, die bisherige Seinsgeschichte daher als erstanfangliche Geschichte des Seins qua Ereignisses, der Zeit-Raum als das erst Offene für das Ereignis, der er-eignete Entwurf des Zeit-Raumes als eigentliche Geschichtlichkeit des zukünftigen Menschen. In späterer Zeit denkt Heidegger so vom Ereignis her die Seinsgeschichte, den Zeit-Raum und die Geschichtlichkeit des Menschen. Das so zu fassende Grundverständnis des Zusammenhangs von Heideggers Seins- und Geschichtsdenken bestimmt den Aufbau und die Gliederung dieser Arbeit. Sie hat einen zweiteiligen Aufbau, der dem immanenten Wandel in Heideggers Denken entspricht. Sie schickt aber einen vorbereitenden Teil voraus, in dem das frühe und spätere Seinsdenken Heideggers hinsichtlich des immanenten Wandels kurz dargestellt werden. Im vorbereitenden Teil werden der Bezug der Seinsfrage zur Daseinsanalytik im fundamentalontologischen Denken, der immanente Wandel der fundamentalontologischen in die seinsgeschichtliche Blickbahn und das Sein als Ereigilis im seinsgeschichtlichen Denken aufgeklärt. Im I. Teil werden der Seinssinn des Daseins, von diesem her die ursprüngliche Zeit und von dieser her die Geschichtlichkeit des Daseins untersucht. Zunächst werden wir Heideggers Daseinsanalytik nachvollziehen, in der der Seinssinn des Daseins als seine Zeitlichkeit herausgestellt wird (I. Kap.). In diesem ersten Kapitel werden zuerst die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins für die ursprüngliche Interpretation des Seins des Daseins aufgeklärt (§ 7) und dann die Zeitlichkeit als ontologischer Seinssinn des Daseins herausgestellt, der die Einheit des Seins des Daseins ermöglicht (§ 8). Sodann werden wir untersuchen, wie von der Zeitlichkeit des Daseins her die ursprüngliche Zeit aufgeklärt wird (2. Kap.). In diesem zweiten Kapitel wird zuerst die transzendentale Zeitigung der Zeitlichkeit in ihren vielfältigen Vollzugsweisen aufgeklärt (§ 9) und anschließlich die temporale Zeitigung der Zeitlichkeit herausgearbeitet, die mit der transzendentalen Zeitigung die ursprüngliche Zeit bildet (§ 10). Hierauf werden wir in Hinblick auf die Zeitlichkeit die Geschichtlichkeit des Daseins als sein zeitliches Geschehen darlegen (3. Kap). In diesem dritten Kapitel wird auf dem Grunde der Herausarbeitung der Zeitlichkeit die existenzialontologische Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins aufgezeigt (§ 11). Auf der Basis dieser Aufklärung werden der existenzial-ontologische

§ 3 Autbau und Aufriß der Abhandlung

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Ursprung der Wissenschaften und die Aufgabe der historischen Destruktion der ontologischen Geschichte dargelegt (§ 12). Im 2. Teil unserer Arbeit werden das Ereignis, von diesem her der ZeitRaum und von dort aus die Geschichtlichkeit des Menschen untersucht. Zunächst werden wir Heideggers Andenken an die Seinsgeschichte nachvollziehen (1. Kap.). In diesem ersten Kapitel wird zuerst die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters aufgezeigt (§ 13) und dann das von dieser Erfahrung aus geschehende andenkende Vor-denken der Seinsgeschichte untersucht (§ 14). Danach wird von diesem seinsgeschichtlichen Denken her das Ereignis als Ursprung der Geschichte dargelegt (§ 15). Ferner werden wir untersuchen, wie vom Ereignis her der Zeit-Raum als dessen Augenblicksstätte enthüllt wird (2. Kap.). In diesem zweiten Kapitel wird zuerst der Zeit-Raum als Grundgeruge der Wahrheit des Seins aufgezeigt (§ 16) und dann die ab-gründige Zeitigung-Räumung als erstes Geschehen für das volle Ereignis dargelegt (§ 17). Auf dem Grunde der Ursprünglichkeit der ab-gründigen Zeitigung-Räumung werden weiter Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit, die in der transzendental-ontologischen Blickbahn herausgearbeitet wurden, in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht (§ 18). Hierauf werden wir in Hinblick auf das Ereignis das seinsgeschichtlich gedachte Sein des Menschen und seine Geschichtlichkeit freilegen (3. Kap.). In diesem dritten Kapitel wird zuerst das Sein des Menschen wiederum seinsgeschichtlich aufgezeigt (§ 19). Im Anschluß daran werden hinsichtlich des vollen Ereignisses die zeitlichen Implikationen der Geschichtlichkeit des Menschen dargelegt (§ 20). Wie durch den Aufbau und die Gliederung dieser Arbeit gezeigt wird, ist die Untersuchungsweise des Verfassers im Nachvollzug von Heideggers Geschichtsdenkens allein erstphilosophisch bzw. seinsphilosophisch. Was der Verfasser unter ,Seinsphilosophie' versteht, ist dasjenige Denken, das von der Seinsfrage her andere philosophischen Fragen in den Bereich des Seins als die ursprüngliche Fragedimension bringt und in Hinblick auf diese auf jene zu antworten versucht. Der Verfasser versucht zu zeigen, wie Heidegger vom Denken des Seins her in Hinblick auf das Wesensgeschehen des Seins auf die Frage nach der Geschichtlichkeit des Menschen und nach der Geschichte des Seins antwortet. Sofern der Verfasser Heideggers Denken, das sich in seiner frühen Zeit fundamentalontologisch, in seiner späten Zeit ereignishaft vollzieht, seinsphilosophisch nachvollzieht, bleibt die Untersuchung dieser Arbeit von Anfang bis zu ihrem Ende die Entfaltung von Heideggers Geschichtsdenkens aus seinem Seinsdenken her. Zwar hat diese Untersuchungsweise eine Grenze für die Enthüllung von Heideggers Geschichtsdenkens von seiner zeitgenössischen Umgebung her, weil sie wenig Rücksicht auf die historische, wissensso3 ChOODg (PHS)

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Einleitung

ziologische und politische Implikation von Heideggers Geschichtsdenkens nimmt. Sie hat aber möglicherweise einen Vorteil für die Enthüllung der Eigentümlichkeit seines Geschichtsdenkens, weil sie sich von einem möglichen, vorurteilsbelasteten Mißverständnis befreit und lediglich die betreffende Sache selbst zur Sprache bringt. Durch die seinsphilosophische Untersuchung wird Heideggers Denken von der Geschichtlichkeit des Menschen und der Geschichte des Seins hoffentlich in seiner Eigentümlichkeit verdeutlicht.

Vorbereitender Teil

Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers § 4 Der Bezug der Seins frage zur Daseinsanalytik im fundamentalontologischen Denken a) Wie allgemein bekannt, stellt Heidegger in ,Sein und Zeit' die Frage nach dem Sein. Man kann sich aber zuerst fragen, ob eine solche Fragestellung überhaupt nötig ist. Denn ,Sein' ist für uns nicht so sehr fraglich. Wie Heidegger selbst sagt, sind wir heute keineswegs "in der Verlegenheit, den Ausdruck ,Sein' nicht zu verstehen" (SuZ, I). Die Seinsfrage wird schon lange nicht mehr für besonders notwendig gehalten. Worin gründet aber ein solches "Halten"? Sicher gründet es in unseren Vorurteilen über das Sein. Diese Vorurteile faßt Heidegger wie folgt zusammen: Der Begriff ,Sein' ist der allgemeinste, undefinierbare und selbstverständliche (vgl. SUZ, 4-6). Heidegger verwirft diese Vorurteile nicht, sondern arbeitet aus diesen unbefragt herrschenden Vorurteilen die Notwendigkeit der Fragestellung nach dem Sein heraus. l Dies ist als eine Selbstrechtfertigung der Fragestellung ein philosophisches Sichverhalten, das etwas Selbstverständliches in Frage stellt und so den allem alltäglichen Verhalten des Daseins zugrundeliegenden "Verhaltungen" (GA21, 197) die Grundlegung gibt. 2 Wenn jedoch durch die Erwägung der Vorurteile verdeutlicht wird, daß "nicht nur die Antwort auf die Frage nach dem Sein fehlt, sondern daß sogar die Frage selbst dunkel und richtungslos ist" (SuZ, 6), wie soll dann die Seinsfrage gestellt werden? Wo liegt Heideggers neue Weise der Fragestellung nach dem Sein? Wir fmden sie zunächst darin, daß er zuerst nach dem fragenden Dasein selbst fragt. Dies ist die Folge der Strukturanalyse der Seinsfrage. Jede

I Denn (1) die Allgemeinheit des Seins bedeutet nicht die Unbedürftigkeit seiner "klarsten und aller weiteren Erörterung" (SuZ, 5). (2) Gerade die Undefinierbarkeit des Seins "fordert" zur Frage nach dem Sinn des Seins "auf' (SuZ, 6). (3) Das Selbstverständliche soll als ",die geheimen Urteile der gemeinen Vernunft' (Kant) ausdrückliches Thema der Analytik (,der Philosophen Geschäft')" (ebd) werden. 2 Zu Heideggers Aufklärung des philosophischen Sichverhaltens in seinem Frühdenken vgl.: ,SuZ', 6, GA21, 197 f. Bei Heidegger betrifft die Tragweite einer philosophischen Grundlegung die Philosophie selbst: "Jede Grundlegung der Philosophie muß diese selbst verwandeln; aber Verwandlung ist nur möglich im Ergreifen und Festhalten des Wesentlichen" (GA26, 132).

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

Frage hat ihre formale Struktur, der gemäß sie gestellt werden muß. Insofern analysiert Heidegger zuerst die formale Struktur der Frage nach dem Sein. Demzufolge ist das Fragen als Suchen vorgängig von dem Gefragten als Gesuchtem geführt. Das Fragen beinhaltet als ein Anfragen bei ... das Befragte als ein Angefragtes. Wenn wir das Befragte nach dem Gefragten befragen, liegt im Fragen das, was hinsichtlich des Gefragten intendiert ist. Das Intendierte ist das Erfragte. Bei der Seinsfrage ist das Gefragte das Sein, das Befragte das Seiende und das Erfragte der Sinn von Sein überhaupt. Dabei ermöglicht der Sinn von Sein überhaupt das Verstehen des Seins, das Sein seinerseits das Erfahren des Seienden. Sofern aber das Befragte das Seiende ist, fragt sich für die Seinsfrage dringend: Was ist gleichsam das exemplarische Seiende für die Erschließung des Seins, und in welchem Sinne hat es einen Vorrang vor allem anderen? Für die ausdrückliche und durchsichtige Fragestellung handelt es sich um die rechte Wahl des zu befragenden Seienden und die Herausarbeitung der genuinen Zugangsart zu diesem Seienden. Sofern aber Wahl und Zugang als konstitutive Verhaltungen des Fragens selbst die Seinsmodi des fragenden Seienden (d.h. des Daseins) sind, verlangt die ausdrückliche und durchsichtige Seinsfrage "eine vorgängige angemessene Explikation eines Seienden (Dasein) hinsichtlich seines Seins" (SuZ, 10). So wird das Dasein als exemplarisches Seiende gefaßt. Das Dasein wird also für die Ausarbeitung der Seinsfrage als das primär Befragte vorgegeben. Die Frage nach dem Dasein ist bei Heidegger die existenziale Analytik des Daseins. Diese ist insofern eine Fundamentalontologie, als der Umfang der Daseinsanalytik vom Ziel der fundamentalontologischen Ausarbeitung der Seinsfrage her begrenzt ist. 3 Die Daseinsanalytik zielt auf das Sichtbarmachen der Bedingung der Möglichkeit der Ontologie überhaupt und ist als solche die Fundamentalontologie. Diese ist ebenso wie andere Wissenschaften "existenziell, d.h. ontisch verwurzelt" (SuZ, 18), weil das philosophisch-forschende Fragen selbst eine Seinsmöglichkeit des je existierenden Seienden, d.h. des Daseins, ist. Auf Grund der Seinsmöglichkeit des existierenden Seienden besteht die Möglichkeit der Fundamentalontologie und die der Ontologie überhaupt. Worin aber liegt die sachliche Möglichkeit des Zusammenbringens von Daseinsanalytik und Fundamentalontologie? Heidegger fmdet sie im vorontologischen Seinsverständnis des Daseins als dessen Seinstendenz. 4 Wenn das Dasein 3 "Die so gefaßte Analytik des Daseins bleibt ganz auf die leitende Aufgabe der Ausarbeitung orientiert. Dadurch bestimmen sich ihre Grenzen" (SuZ, 23). Insofern wird die Daseinsanalytik in Hinsicht auf die universale Ontologie "unvollständig" (ebd) gefaßt. 4 Das Dasein als "das primär zu befragende Seiende" ist dasjenige Seiende, "das sich je schon in seinem Sein zu dem verhält, wonach in dieser Frage gefragt wird" (SuZ, 20). Als Sichverhalten zum Sein vollzieht das Dasein immer schon eine unausdrückliche (vorontologische) Seinsfrage. Die ontologische Seinsfrage als ausdrückliches Sichverhalten des Daseins zum Sein ist die Radikalisierung der Seinstendenz des Daseins.

§ 4 Der Bezug der Seinsfrage zur Daseinsanalytik

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in Hinsicht auf sein seinsverstehendes Sein analysiert wird, dann enthüllt sich die Bedingung der Möglichkeit seines Seinsverstehens. Damit enthüllt sich auch die Bedingung der Möglichkeit der Ontologie überhaupt. Insofern ist die Fundamentalontologie nichts anders als "die Radikalisierung einer zum Dasein selbst gehörigen wesenhaften Seinstendenz, des vorontologischen Seinsverständnisses" (SUZ, 20). Die Daseinsanalytik hat also die Fundamentalontologie zum Ziel, das sich auf dem vorontologischen Seinsverständnis des Daseins als dessen Seinstendenz gründet. Obwohl sich Heideggers neue Sichtweise der Seinsfrage in Hinsicht auf deren Ausarbeitungsweise zuerst im Vorausschicken der Daseinsanalytik fmdet, erschöpft sich ihre Neuheit nicht nur in diesem. Was Heideggers Seinsfrage von der traditionellen Ontologie unterscheidet, liegt vor allem darin, daß er nicht nach dem Seienden in Hinsicht auf sein Sein, sondern primär nach dem Sein selbst in Hinsicht auf dessen Sinn fragt. 5 Diese Frage wird in der fundamentalontologischen Blickbahn als die Frage nach dem "Sinn von Sein überhaupt" (SUZ, 24) bzw. nach der "Einheit des Seinsbegriffes in seiner Vieldeutigkeit" (GdP, 170) gekennzeichnet. b) Wie können wir uns dann dem Sein nähern? Die Behandlungsart der Seinsfrage ist für Heidegger die phänomenologische. Dabei darf die Phänomenologie weder als ein Standpunkt noch als eine Richtung verstanden werden, sondern sie bedeutet "primär einen Methodenbegriff' (SUZ, 37), der als das Wie der Forschung durch die Formel "zu den Sachen selbst"6 gekennzeichnet wird. Im Bereich des Seins hat die Sache selbst den Vorrang vor der Methode, weil sich das Sein als Sache zunächst und zumeist nicht zeigt und daher nur mit der ihr angemessenen Methode gezeigt werden kann. Insofern wird die Methode der Seinsfrage von der Sache selbst aus gefordert und bestimmt. 7 Die so 5 Dazu: "Um aber die wesenhafte Bestimmtheit des Seienden durch das Sein begreifen zu können, muß das Bestimmende selbst hinreichend faßbar, das Sein als solches, nicht erst das Seiende als solches, muß zuvor begriffen werden" (KPM, 216); "Von wo aus ist dergleichen wie Sein, und zwar mit dem ganzen Reichtum der in ihm beschlossenen Gliederungen und Bezüge, überhaupt zu begreifen?" (KPM, 218). 6 Die Sache selbst wurde zwar schon von Husserl und Hegel, aber je in einem anderen Sinne betont. Vgl.: Hegel, Die Phänomenologie des Geistes (GA 9), Vorrede, 9, hrsg. v. W. Bonsiepen und R. Heede. Felix Meiner Verlag Hamburg. Für die Interpretation der sachlich unterschiedlichen Bedeutung der Sache von Husserl und Hegel vgl.: Heidegger, Zur Sache des Denkens (GA14), 67-71. 7 Davon heißt es: "Aus den sachlichen Notwendigkeiten bestimmter Fragen und der aus den ,Sachen selbst' geforderten Behandlungsart kann sich allenfalls eine Disziplin ausbilden" (SuZ, S.37). Heideggers Besinnnung auf den dem wissenschaftlichen Vorstellen entgegengesetzten Denkweg läßt ihn später im seinsgeschichtlichen Denken anstatt der Worte "Methode" und "Thema" die Worte "Weg" und "Gegend" gebrauchen. Die Methode entscheidet in den neuzeitlichen Wissenschaften darüber, was zum Gegenstand des Wissens wird, und was für ein Wissen als Wissen gilt. Im seinsgeschichtlichen Denken kennzeichnet Heidegger mit den Worten "Gegend" und "Weg" das neue Verhältnis von Sache und Denkweg. Weg wird dabei von der Gegend bestimmt und hält sich in dieser auf: "Der Weg des Erdenkens wird, je echter er Weg zum Seyn ist, um so

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

geforderte und bestimmte Methode der Seinsfrage heißt "Phänomenologie". Der Ausdruck "Phänomenologie" ist aus "Phänomen" und "Logos" zusammengesetzt. Heidegger stellt durch die Aufklärung der beiden Ausdrücke 8 die Bedeutung der Phänomenologie als eines Methodenbegriffes wie folgt fest: "Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen" (SuZ, 45). Der Begriff "Phänomenologie" bezeichnet für Heidegger keine Gegenstände der betreffenden Wissenschaft, sondern "das Wie der Aufwiesung und Behandlungsart dessen, was in dieser Wissenschaft abgehandelt werden soll" (ebd). Das, was in der Phänomenologie abgehandelt werden soll, ist das Phänomen im ausgezeichneten Sinne. Ein solches Phänomen ist für Heidegger etwas, "was sich zunächst und zumeist nicht zeigt, was gegenüber dem, was sich zunächst und zumeist zeigt, verborgen ist, aber zugleich etwas ist, was wesenhaft zu dem, was sich zunächst und zumeist zeigt, gehört, so zwar, daß es seinen Sinn und Grund ausmacht" (SuZ, 47). Was sich zunächst und zumeist zeigt, ist dieses oder jenes Seiende. Insofern besagt das Phänomen im ausgezeichneten Sinne als phänomenologischer Begriff von Phänomen "das Sein des Seienden, seinen Sinn, seine Modifikationen und Derivate" (SuZ, 48).9 Die Phänomenologie als Methodenbegriff bedeutet daher im Bereich der Seinsfrage: das Sein von ihm selbst her sehen lassen, d.h. es sich so zeigen lassen, wie es an ihm selbst "ist". Hinsichtlich des späteren Denkens Heideggers ist besonders seine folgende Bestimmung der Phänomenologie beachtlich: "Das Verständnis der Phänomenologie liegt einzig im Ergreifen ihrer als Möglichkeit" (SuZ, 52). Wenn die Phänomenologie als die Möglichkeit ergriffen wird, die die Sache selbst sich zeigen läßt, kann sie je nach dem, wie diese sich zeigt, ei-

unbedingter vom Seyn selbst be-stimmt" (BzP, 86); "hier gibt es weder die Methode noch das Thema, sondern die Gegend, die so heißt, weil sie das gegnet, freigibt, was es für das Denken zu denken gibt. Das Denken hält sich in der Gegend auf, indem es die Wege der Gegend begeht. Hier gehört der Weg in die Gegend" (UzS, 178-79). Nach diesen Zitaten hat die Gegend den Vorrang vor dem Weg, weil dieser von jener bestimmt wird und in jene gehört. x Heidegger unterscheidet viele Weisen des Sichzeigens einer Sache, indem er von der Auslegung des griechischen Wortes ,phainomenon' ausgeht. (a) Demnach bedeutet "Phänomen" etymologisch "das Sichzeigende", "das Offenbare", "das Sich-an-ihmselbst-zeigende" (SuZ, 38). (a') Die Sache aber kann sich als das zeigen, was es an ihm selbst nicht ist. Solches Sichzeigen ist "Scheinen". Ein Beispiel dafür ist "ein Gutes, das so aussieht wie - aber ,in Wirklichkeit' das nicht ist, als was es sich gibt" (SuZ, 39). (b) Außer dem Sichzeigen bleibt "das SichrneIden von etwas, das sich nicht zeigt, durch etwas, was sich zeigt" (ebd). Dieses SichrneIden ist "Erscheinen" als "ein Sich-nicht-zeigen" (ebd). Die Beispiele dafür sind: "Alle Indikation, Darstellungen, Symptome und Symbole" (SuZ, 40). (b') Wenn sich das Erscheinende (Meldendes) privativ, d.h. nicht an ihm selbst, zeigt, wird es als ein privativer Modus der Erscheinung zu "bloßem Schein" (SuZ, 41). Die Grundbedeutung des griechischen Wortes ,Logos' faßt Heidegger als die Rede im Sinne von "apophainesthai" (SuZ, 43), d.h. von aufweisendem Sehenlassen. 9 Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 45.

§ 5 Wandel von fundamental ontologischer in seinsgeschichtliche Blickbahn

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ne gewandelte Gestalt haben. Diese Sache ist für Heideggers frühes Denken das Sein in Hinblick auf den Zeit-Horizont, für sein Spätdenken hingegen die Wesung des Seins als Ereignis. Obwohl sich die Gestalt der Phänomenologie je nach der Sache wandelt, bleibt die Phänomenologie in Hinsicht auf ihren Wesenscharakter, d.h. als das Wie des Denkens, dieselbe. Für Heidegger wird die Philosophie in Hinsicht auf Gegenstand und Behandlungsart durch die Titel "Ontologie" und "Phänomenologie" charakterisiert. Dabei geht die Philosophie als universale phänomenologische Ontologie von der Fundamentalontologie als Hermeneutik des Daseins aus, weil diese als Daseinsanalytik "das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es zurückschlägt" (SuZ, 51).10 Die Daseinsanalytik hat als hermeneutische Phänomenologie des Daseins den Charakter der Fundamentalontologie für die universale Ontologie.

§ 5 Der immanente Wandel von der fundamentalontologischen Blickbahn in die seinsgeschichtliche Blickbahn Die im April 1927 erschienene Abhandlung ,Sein und Zeit' enthält bekanntlich nur die erste Hälfte des geplanten Werkes, die lediglich die ersten beiden Abschnitte des ersten Teils einschließt. Die Veröffentlichung der zweiten Hälfte, die aus dem dritten Abschnitt des ersten und dem ganzen zweiten Teil bestehen sollte, wurde zunächst auf einen späteren Zeitpunkt verlegt und blieb schließlich in dieser Form ganz aus. Die Überschrift des unveröffentlichten 3. Abschnittes des 1. Teils lautet ,Zeit und Sein'. Nach dem Überblick über den systematischen Aufriß des Werkes (§ 8) findet die leitende Frage der ersten Hälfte ihre Antwort erst in diesem 3. Abschnitt. Hier sollte aus der in den ersten beiden Abschnitten als Seinssinn des Daseins gewonnenen Zeitlichkeit die

10 Daseinsanalytik als die Phänomenologie des Daseins hat viele möglichen Bedeutungen: (a) Nach dem methodischen Sinn der phänomenologischen Deskription ist sie die Hermeneutik als Wissenschaft von der Auslegung (hermeneuein), durch welche "dem zum Dasein selbst gehörigen Seinverständnis der eigentliche Sinn von Sein und die Grundstrukturen seines eigenen Seins kundgegeben werden" (SuZ, 50). Die phänomenologische Deskription ist ftir Heidegger als die Auslegung gerade eine Seinsweise des Daseins. Hinsichtlich Heideggers Spätdenkens ist es wichtig, auf die Erläuterung des ,hermeneuein' als Kundgeben zu achten. Denn er erläutert es auch im Spätdenken als Kundebringen. (b) Sofern durch die Hermeneutik der Horizont ftir jede weitere Ontologie des nichtdaseinsmäßigen Seienden herausgestellt wird, ist sie zugleich ",Hermeneutik' im Sinne der Ausarbeitung der Bedingung der Möglichkeit jeder ontologischen Untersuchung" (ebd). (c) Sofern aber das Dasein in seiner Möglichkeit der Existenz den ontologischen Vorrang vor allem Seienden hat, erhält die Hermeneutik "einen spezifischen dritten - den, philosophisch verstanden, primären Sinn einer Analytik der Existenzialität der Existenz" (ebd), in der "die Methodologie der historischen Geisteswissenschaften" (SuZ, 51) wurzelt.

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

darin gezeitigte horizontale Zeit als der transzendentale Horizont fiir das Verstehen von Sein überhaupt entfaltet werden. Die Zeitlichkeit des transzendierenden Daseins (die existenziale oder transzendentale Zeitlichkeit) und die in ihr gezeitigte Zeit als Horizont fiir das im Transzendieren eingeholte Verständnis von Sein überhaupt bilden in ihrer wesenhaften Zusammengehörigkeit die ursprüngliche Zeit. Diese Zeit ist es, von der her die spezifische zeitliche Bestimmung des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden, d.h. die temporale Bestimmung der Seinsweisen des Realen, zu begreifen ist. Der nicht veröffentlichte 2. Teil von ,Sein und Zeit' heißt "Grundzüge einer phänomenologischen Destruktion der Geschichte der Ontologie am Leitfaden der Problematik der Temporalität". Was in diesem Teil behandelt werden sollte, findet sich in verschiedenen in der fundamentalontologischen Blickbahn verfaßten Schriften bzw. Vorlesungen: Beispielsweise gehört zum 1. Abschnitt des 2. Teils das Buch ,Kant und das Problem der Metaphysik' (1929), zu seinem 2. Abschnitt die Vorlesung ,Einfiihrung in die phänomenologische Forschung' (1930). Am Anfang der dreißiger Jahre - wie es in der Vorlesung (WS 1931/32) ,Vom Wesen der Wahrheit' gezeigt wird - erfährt Heideggers Denken einen neuen Durchbruch, der es von der fundamentalontologischen Blickbahn abbringt und in die seinsgeschichtliche Blickbahn fiir die Erfragung des Ursprungs des Seins als solchen einweist. 11 In der seinsgeschichtlichen Blickbahn, die sich in ihrem Gefiige ausdrücklich in den ,Beiträge zur Philosophie' (193638) zeigt, orientiert sich Heideggers Denken nicht mehr an den Leitbegriffen von Transzendenz und Horizont, sondern an der Seinsgeschichte bzw. dem Ereignis als der Wesung des Seins. 12 Sofern sich die transzendental-horizontale Blickbahn in die seinsgeschichtlich-ereignishafte verwandelt hat, d.h. das Sein nicht mehr von der Transzendenz und dem Zeit-Horizont her, sondern vom Ereignis her die Zeit und das Dasein gedacht werden, läßt sich eine aus der neu ausgerichteten Blickbahn gedachte zweite Hälfte nicht sinngerecht "anschließen, ohne daß die erste neu dargestellt würde" (SuZ, Vorbemerkung (1953». Daher wurde die zweite Hälfte von ,Sein und Zeit' nie veröffentlicht. Jedoch

11 Im seinsgeschichtlichen Denken wird die Frage nach dem Sinn des Seins selbst in Hinsicht auf die Herkunft des Seins als solchen noch deutlicher und ursprünglicher gestellt: "Woher empfangt das Sein als solches (nicht nur das Seiende als Seiendes) seine Bestimmung?"( "Ein Vorwort. Brief an P. William 1. Richardson vom April 1962", in: William J. Richardson, ,Through Phenomenology to Thought', Den Haag 1974, XI). "Worin gründet überhaupt die Unverborgenheit des Seins?"(,Antwort. Martin Heidegger im Gespräch'. Hrsg. G.NeskelE. Kettering, Pfulligen 1988, S.26). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 17. 12 "Wesung" besagt als "die Weise, wie das Seyn selbst ist" (BzP, 484), "das Geschehnis der Wahrheit des Seyns und zwar in seiner vollen Geschichte, die jeweils die Bergung der Wahrheit in das Seiende einbegreift" (BzP, 287). Im Sinne der Wesung wird auch das Wort ,Wesen' verwendet, wie in der Sprachwendung: "Wesen als Wesung" (ebd). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 92, 93, 96.

§ 5 Wandel von fundamentalontologischer in seinsgeschichtliche Blickbahn

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bedeutet der Wandel von der fundamentalontologischen Blickbahn in die seinsgeschichtliche Blickbahn nicht, daß die fundamentalontologische Blickbahn als erster Ausarbeitungsweg der Seinsfrage keine Bedeutung mehr für die Seinsfrage habe: "Deren Weg bleibt indessen auch heute noch ein notwendiger, wenn die Frage nach dem Sein unser Dasein bewegen soll" (ebd). Der erste Ausarbeitungsweg ist auch heute noch von Bedeutung, weil er uns aus der Seinsvergessenheit zum Seinsdenken erweckt. Wir wollen uns nun die Aufgabe der Fundamentalontologie vergegenwärtigen, um eine in dieser enthaltenen Kehre zu verdeutlichen. Die fundamentalontologische Aufgabe wird mit dem Aufweis von der Zeitlichkeit als Sinn des Daseins und der Temporalität als der Sinnbestimmtheit der Seinsweisen des Realen nicht schon abgeschlossen. Die noch nicht vollzogene Aufgabe wird von Heidegger in der Vorlesung ,Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz' (SS 1928) und im ,Brief über den Humanismus' (1949) aufgeklärt. Demzufolge enthält die noch nicht vollzogene Aufgabe in sich eine Kehre. Heidegger schreibt in einer Stelle im ,BüH' wie folgt: "Der zureichende Nach- und Mitvollzug dieses anderen, die Subjektivität verlassenden, Denkens ist allerdings dadurch erschwert, daß bei der Veröffentlichung von ,Sein und Zeit' der dritte Abschnitt des ersten Teils, ,Zeit und Sein', zurückgehalten wurde (vgl. ,Sein und Zeit' S. 39). Hier kehrt sich das Ganze um. Der fragliche Abschnitt wurde zurückgehalten, weil das Denken im zureichenden Sagen dieser Kehre versagte und so mit der Hilfe der Metaphysik nicht durchkam" (BüH, 327-28). In den veröffentlichten Abschnitten von ,Sein und Zeit' wurde das Sein des Daseins als Sorge (I. Abschnitt des I. Teils) und der Seinssinn der Sorge als Zeitlichkeit (2. Abschnitt des I. Teils) aufgewiesen. Der 3. Abschnitt des I. Teils, der den Titel ,Zeit und Sein' tragen sollte, wurde nicht veröffentlicht. Mit dem Verb "umkehren" meint Heidegger eine Wendung innerhalb dieses 3. Abschnittes. In diesem Abschnitt wären zwei weitere Schritte erfolgt. 13 Im ersten Schritt hätte, der vorausgehenden Analyse folgend, die Explikation der zur existenzialen Zeitlichkeit gehörenden horizontalen Zeit erfolgen sollen. Im zweiten Schritt wären vier Grundprobleme der Fundamentalontologie behandelt worden, zu denen auch das Problem der "möglichen Modifikation des Seins" und der "Einheit seiner Vielfältigkeit" (GA24, 25) gehören. Die mannigfaltigen Seinsweisen sind es, die von der horizontalen Zeit aus ihre temporale Bestimmung empfangen. Insofern muß in diesem zweiten Schritt eine Blickwendung erfolgen: von der horizontalen Zeit in die von ihr temporal bestimmten mannigfaltigen Seinsweisen. Sofern sich diese Blickwendung innerhalb der fundamentalontologischen Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt vollzieht, kann sie als eine fundamentalontologische Kehre gefaßt

13

Siehe: F.-W. v. Hemnann, ,Wege', 53-55, 66-68.

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

werden. Erst mit der Ausarbeitung der temporal bestimmten vielen Seinsweisen wird die Aufgabe der Fundamentalontologie abgeschlossen. In den ,Metaphysischen Anfangsgründen' wird ebenfalls von einer Kehre gesprochen. Der Vorlesung zufolge soll die Grundlegung und Ausarbeitung der Ontologie die Analytik der Temporalität des Seins einschließen. Innerhalb dieser Analytik liegt eine Kehre der Fundamentalontologie in die metaphysische Ontik vor. Diese Kehre wird als Umschlag in die Metontologie gekennzeichnet l4 . Dabei vollzieht sich der Umschlag auf Grund des Nachweises, daß die Seinsweisen alles nichtdaseinsmäßigen Seienden temporal bestimmt sind. Nach diesem Nachweis kehrt sich die abgeschlossene Aufgabe der Fundamentalontologie in die Aufgabe einer Metontologie der mannigfaltigen Bereiche des Seienden. Unter den "mannigfaltigen Bereichen" sind beispielsweise die Bereiche von Natur, Zeug, Dasein, Geschichte, Technik, Kunst, Politik, Ethik, Zahl, Leben zu verstehen. Die Metaphysik des Daseins ist dabei als metontologische Daseinsanalytik eine Region der Metontologie l5 • Der Bezirk der metaphysischen Ontik ist also derjenige, der sich durch den Umschlag der Analytik der Temporalität des Seins ergibt: der Bezirk der ,regionalen Ontologien'. Die Blickwendung vom Zeithorizont zu den durch diesen temporal bestimmten Seinsweisen geht zur metontologischen Bestimmung des Seienden aus diesen Seinsweisen über. Insofern kann die Kehre von der Fundamentalontologie in die Metontologie als eine metontologische Kehre gekennzeichnet werden. 16 Die Metontologie hat ihre Voraussetzung in der abgeschlossenen Fundamentalontologie und kann als solche wiederum das Fundament der positiven Wissenschaften sein. Mit der metontologischen Kehre ist die Verlegung des Betrachtungsschwerpunkts von den temporal bestimmten Seinsweisen hin zur metontologischen Untersuchung des Seienden vollzogen. Die so aufgewiesenen weiteren Aufgaben, d.h. die Analytik der Temporalität des Seins und der Vollzug der Metontologie, wurden aber wegen der Schwierigkeit der sprachlichen Fassung der temporal bestimmten mannigfaltigen 14 Dazu heißt es: "Dieses Ganze der Grundlegung und Ausarbeitung der Ontologie ist die Fundamentalontologie; sie ist 1. Analytik des Daseins und 2. Analytik der Temporalität des Seins. Diese temporale Analytik ist aber zugleich die Kehre, in der die Ontologie selbst in die metaphysische Ontik, in der sie unausdrücklich immer steht, ausdrücklich zurückläuft. Es gilt, durch die Bewegtheit der Radikalisierung und Universalisierung die Ontologie zu dem in ihr latenten Umschlag zu bringen. Da vollzieht sich das Kehren, und es kommt zum Umschlag in die Metontologie" (GA26, 201). 15 Die Daseinsanalytik als Fundamentalontologie bereitet auch die Metaphysik des Daseins vor: "Diese Seinsverfassung des Daseins ist von der Art, daß darin die innere Möglichkeit des zum Dasein wesenhaft gehörigen Seinsverständnisses aufweisbar wird. Daher geht es nicht um Anthropologie und nicht um Ethik, sondern um dieses Seiende in seinem Sein überhaupt - und darum um eine vorbereitende Analytik; die Metaphysik des Daseins selbst steht noch nicht im Zentrum" (GA26, 171). I" Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 87-9.

§ 5 Wandel von fundamentalontologischer in seinsgeschichtliche Blickbahn

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Seinsweisen und wegen des Ausbleibens der Herausarbeitung des Existenzbegriffes aufgegeben. 17 Heidegger sieht im Januar 1927, kurz vor dem Erscheinen der ersten beiden Abschnitte des 1. Teils, die Unverständlichkeit der bisher in der Ausarbeitung des 3. Abschnittes gebrauchten Sprache und entscheidet, die begonnene erste Ausarbeitung des 3. Abschnittes des l. Teils abzubrechen und zu einer neuen Ausarbeitung überzugehen. 18 Diesen neuenVersuch unternimmt er in der Vorlesung ,Die Grundprobleme der Phänomenologie'. Aber auch der zweite Versuch wurde nach Heideggers Ansicht unzureichend vollzogen, wenngleich dieser den Kern einer Beantwortung der Seinsfrage aus transzendental-horizontaler Blickrichtung sichtbar werden läßt. Zwar ist der Existenzbegriff innerhalb der ,Daseinsanalytik' in seinen wesentlichen Strukturen aufgezeigt. Aber er ist dabei methodisch auf die Existenz als In-der-Welt-sein beschränkt. Die Existenz ist als diejenige Seinsweise des Daseins bestimmt, die sich aufgrund der Erschlossenheit vollzieht. Zu dieser gehören nicht nur das Selbstverständnis des Daseins als des In-der-Welt-seins, sondern auch das in diesem beinhaltete Verständnis der Seinsweisen des Realen. Die Herausarbeitung des Existenzbegriffes in Bezug auf diese mannigfaltigen Seinsweisen aber ist insofern ausgeblendet, als sie eigentlich als eine Aufgabe des nicht veröffentlichten 3. Abschnittes geplant war. 19 So wurde wegen des Ausbleibens dieses Abschnittes auch die Metontologie ausgeblendet. Die Metontologie, die nach einer sprachlich zureichenden Ausarbeitung der Fundamentalontologie erfolgen und unter dem transzendental-horizontalen Blick stehen sollte, wurde aufgrund des Scheiterns an der ungenügenden Sprache nicht mehr ausgearbeitet. Später aber wird sie innerhalb der seinsgeschichtli17 Dazu heißt es in der Vorlesung ,Die Metaphysik des deutschen Idealismus': "Außerdem wird das Verständnis des in ,Sein und Zeit' gebrauchten ,Existenzbegriffes' dadurch erschwert, daß der ,Sein und Zeit' gemäße existenziale Existenzbegriff erst voll entwickelt war in dem Abschnitt, der infolge des Abbruchs der Veröffentlichung nicht mitgeteilt wurde. [... ] Allerdings war ich damals der Meinung, übers Jahr schon alles deutlich sagen zu können. Das war eine Täuschung. So kam es in den folgenden Jahren zu einigen Veröffentlichungen, die auf Umwegen zu der eigentlichen Frage ·hinführen sollten" (GA49, 39-40). IR Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 14. 19 In ,Sein und Zeit' werden zwar Zuhandensein und Vorhandensein als Seinsweisen des nichtdaseinsmäßigen Seienden aufgewiesen. Weil aber der 3. Abschnitt des 1. Teils von ,Sein und Zeit' nicht veröffentlicht ist, wo erst die mannigfaltigen temporal bestimmten Seinsweisen behandelt werden sollte, finden wir die Untersuchung zu den temporal bestimmten mannigfaltigen Seinsweisen erst in den ,Grundproblemen der Phänomenologie', wo Heidegger vier Grundprobleme der Phänomenologie aufzeigt: Die ontologische Differenz zwischen Sein und Seiendem, die Grundartikulation des Seins als Was- und Wiesein, die Modifikation des Seins in die verschiedenen Seinsweisen und der Wahrheitscharakter des Seins. Heidegger unterscheidet insgesamt "fünf bzw. sechs Grundweisen des Seins: Existenz, Mitdasein, Zuhandenheit, Vorhandenheit, Leben und Bestand" (F.-W. v. Herrmann, ,Heideggers "Grundprobleme der Phänomenologie''', 48-49).

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

chen Ausarbeitung der Seinsfrage unter dem Begriff "Gründung" (der Wahrheit des Seins) (vgl. BzP, Abschnitt 204-237) zu ihrem Recht kommen. Am Anfang der dreißiger Jahre erkennt Heidegger, daß die Seinsfrage geschichtlich angesetzt werden muß. Die seinsgeschichtliche Ansetzung der Seins frage enthält in sich eine Kehre. Diese Kehre vollzieht sich aus der seinsgeschichtlichen Erfahrung der Geschichtlichkeit des Seins. 20 Insofern kann sie als eine seinsgeschichtliche Kehre gefaßt werden. Von dieser Kehre heißt es im ,BüH': "Der Vortrag ,Vom Wesen der Wahrheit', der 1930 gedacht und mitgeteilt ist, aber erst 1943 gedruckt wurde, gibt einen Einblick in das Denken der Kehre von ,Sein und Zeit' zu ,Zeit und Sein'. Diese Kehre ist nicht eine Änderung des Standpunktes von ,Sein und Zeit', sondern in ihr gelangt das versuchte Denken erst in die Ortschaft der Dimension, aus der ,Sein und Zeit' erfahren ist, und zwar erfahren in der Grunderfahrung der Seinsvergessenheit" (BüH, 328). Sofern hier die Kehre das Gelangen in den Ursprung der Seinserfahrung bedeutet, ist die Kennzeichnung dieser Kehre als diejenige zu ,Zeit und Sein' irreführend. Denn ,Zeit und Sein' kann als Titel des 3. Abschnittes der transzendental-horizontalen Analytik verstanden werden. Im ,BüH' steht aber ,Zeit und Sein' für den gewandelten Ansatz und kennzeichnet so die seinsgeschichtliche Kehre. Diese Kehre bezieht sich nicht auf einen neuen Versuch innerhalb desselben transzendental-horizontalen Ansatzes, sondern auf den seinsgeschichtlichen Ansatz, d.h. den Ansatz der seinsgeschichtlichen Ausarbeitung der Seins frage. Die Setzung des seinsgeschichtlichen Ansatzes bedeutet zugleich das Aufgeben des transzendental-horizontalen Ansatzes. Weil aber die seinsgeschichtliche Kehre keine Veränderung des Standpunktes, d.h. der Sinnfrage nach dem Sein, sondern die Umwandlung des Ansatzes innerhalb des selben Standpunktes besagt, ist sie ein immanenter Wandel. 21

20 F.-W. v. Herrmann sieht das Unzureichende der transzendental-horizontalen Blickbahn darin, daß "auf diesem Wege nicht die Geschichte des Seins selbst und seiner Wahrheit gedacht werden konnte" (,Weg und Methode', 26). Dies bedeutet zugleich, die Notwendigkeit des Übergangs liegt darin, "daß sich die Anwesenheitsweise des Seienden geschichtlich wandelt" (ebd. 27, vgl. ,Wege', 30, 93). Für die Entstehung und Entfaltung des seinsgeschichtlichen Denkens von Heidegger vgl.: F.-W. v. Herrmann, "Nachwort des Herausgebers" in ,Beiträge zur Philosophie', 518 f. 21 Die Überschrift des 42. Abschnittes von ,Beiträge zur Philosophie': "Von ,Sein und Zeit' zum ,Ereignis'" kennzeichnet den Wandel des Weges Heideggers. Davon heißt es: "Auf diesem ,Weg', das Stürzen und Steigen so heißen kann, wird immer die selbe Frage nach dem ,Sinn des Seyns' und nur sie gefragt. Und deshalb sind die Standorte des Fragens ständig verschieden" (BzP, 84, vgl. 10, 11, 18,433,451,475). "Es ist der seit 1930 immer wieder untergenommene Versuch, die Fragestellung von ,Sein und Zeit' anfänglicher zu gestalten. Dies bedeutet, den Ansatz der Frage in ,Sein und Zeit' einer immanenten Kritik zu entwerfen" (zSdD, 61). Nach diesem Zitat bedeutet "die immanente Kritik" nicht ein Aufgeben der Daseinsanalytik, sondern deren verwandelte Ausarbeitung und zwar in Hinsicht auf den anfänglichen Ursprung des Seins als solchen. Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 1-2,5-7.

§ 5 Wandel von fundamentalontologischer in seinsgeschichtliche Blickbahn

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Wo gründet aber die sachliche Notwendigkeit dieses immanenten Wandels? In einer im Rückblick angefilgten Randbemerkung innerhalb des Aufrisses des ersten Teils von ,Sein und Zeit' fmden wir Heideggers Übergang von der transzendental-horizontalen Blickbahn zur seinsgeschichtlichen Blickbahn. Dort ist über "Zeit und Sein" folgendes bemerkt: "Die transzendenzhafte Differenz. Die Überwindung des Horizonts als solchen. Die Umkehr in die Herkunft. Das Anwesen aus dieser Herkunft" (SuZ, 53). Hier besagt die transzendenzhafte Differenz22 vor allem den transzendental-horizontalen Ansatz. Der Horizontbegriff ist untrennbar von dem Transzendenzbegriff. Transzendenz heißt in der Fundamentalontologie: das Seiende im Vollzug des geworfenen Entwurfs auf sein Sein, aber zuerst auf den dieses temporal bestimmenden Zeithorizont hin zu übersteigen, um von diesem her auf das Seiende zurückzukommen und somit dieses in seiner temporal bestimmten Seinsweise zu entdecken. Im fundamentalontologischen Denken wird also das Seinsverständnis von der Transzendenz und dem Horizont her erläutert. Im seinsgeschichtlichen Denken aber wird sowohl der Horizont wie auch die Transzendenz von dem Ursprung der Erschlossenheit des Seins her gedacht. Der neue Denkansatz ist in der oben genannten Randbemerkung dadurch angezeigt, daß der Horizont als solcher überwunden werden soll. Die Überwindung des Horizontes heißt in ,BzP': "die Transzendenz zu überspringen und anfanglich vom Seyn her und der Wahrheit zu fragen" (BzP, 250-51). Dieses Überspringen hat sein ,Wohin'. Dieses Wohin ist der Ursprung der Erschlossenheit, von woher erst sowohl Horizont wie auch Transzendenz ursprünglich verständlich werden kann. Das Dasein ist unverfilgbar in die Erschlossenheit des Seins überhaupt geworfen. Sofern die Erschlossenheit als diejenige erfahren wird, wohinein das Dasein vom Sein in der Weise des Zurufens geworfen ist, enthüllt sich der Zuruf des Seins phänomenologisch als ihr Ursprung (vgl. BzP, 407). Die Notwendigkeit des Überspringens der Transzendenz und des Horizontes liegt also in der Erfahrung des Zurufs des Seins, demzufolge das Dasein in die Erschlossenheit geworfen ist. Die Überwindung der Transzendenz und des Horizontes ist hinsichtlich ihres

22 Max Müller arbeitet heraus, daß der Begriff "Differenz" bei Heidegger in drei Hinsichten verstanden wird. Es "versuchte Heidegger - nach seiner Mitteilung - eine dreifache Differenz zu unterscheiden: a) die ,transzendentale' oder ontologische Differenz im engeren Sinne: den Unterschied des Seienden von seiner Seiendheit; b) die ,transzendenzhafte' oder ontologische Differenz im weiteren Sinne: den Unterschied des Seienden und seiner Seiendheit vom Sein selbst; c) die ,transzendente' oder theologische Differenz im strengen Sinne: den Unterschied des Gottes vom Seienden, von der Seiendheit und vom Sein. Aber als nicht erfahren, sondern nur spekulativ, experimentierend gleichsam, aufgestellt, wurde dieser Versuch der Fassung als selbst noch ,ontotheologisch' wieder aufgegeben, weil er eine Aussage über Gott wagt, die so eben in der Erfahrung des ,wesentlichen Denkens' nicht unmittelbar gemacht ist" (Max Müller, Existenzphilosophie, 86).

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

,Wohin' die Umkehr in den Zuruf des Seins als den Ursprung der Erschlossenheit. 23 Mit der Erfahrung des Ursprungs der Erschlossenheit als Zuruf des Seins wird der Bezug zwischen dem zurufenden Sein und dem entwerfenden Dasein neu gedacht: "Der Werfer selbst, das Da-sein, ist geworfen, er-eignet durch das Seyn" (BzP, 304). Das Dasein ist vom Sein in dessen Erschlossenheit geworfen und so er-eignet. Dabei bedeutet das Er-eignen des Seins sein Be-stimmen des Daseins "zum Eigentum des Seyns" (BzP, 263) und in solchem Sinne die "Ereignung" (BzP, 342) des Daseins. Das eröffnende Entwerfen der Erschlossenheit des Seins vollzieht sich nur als das Zugehören des Da-seins zum er-eignenden Sein. 24 Das zugehörende Entwerfen setzt immer schon das Er-eignetsein des Daseins durch das Er-eignen des Seins voraus. Dieses Er-eignen wird auch als "der Wurf, dem die Geworfenheit des Daseins entstammt" (BüH, 342) gekennzeichnet. Der Wurf ist zwar nicht schon das volle Geschehen der Erschlossenheit, aber das in der Weise des Er-eignens winkende Geschehen der Erschlossenheit für deren Entwurf durch das Dasein. Der so zu fassende Wurf des Seins ist als Herkunft der Geworfenheit des Daseins zugleich der Ursprung der Erschlossenheit. Insofern müssen der Horizont des Seinsverständnisses und die Transzendenz in den Wurf des Seins zurückgenommen werden. Die Transzendenz und der Horizont werden in den ereignenden Wurf des Seins verwandelt. Das heißt: Die Horizont-Zeit wandelt sich zum wesentlichen Phänomen des Wurfs des Seins. Der Zeit-Horizont wird also in der Weise überwunden, daß er in den entrückend-ereignenden Wurf des Seins zurückgenommen wird. Mit der Wendung "das Anwesen aus dieser Herkunft" wird ausgedrückt, daß das Anwesen als Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden nicht mehr aus dem transzendentalen Horizont, sondern aus dem entrückend-ereignenden Wurf des Seins gedacht werden soll. Der Unterschied der seinsgeschichtlich-ereignishaften Blickbahn zur transzendental-horizontalen Blickbahn liegt also vor allem darin, daß die Erschlossenheit (Wahrheit) des Seins nun nicht mehr aus dem transzendentalen Horizont, sondern aus ihrem Ursprung, und somit der Entwurf selbst als vom Wurf des Seins er-eigneter gedacht wird. Wenn der er-eignende Wurf des Seins die seinsgeschichtliche Erfahrung der sich zeigenden Sache ist, ist der Wandel von der transzendental-horizontalen Blickbahn in die seinsgeschichtlich-ereignishafte Blickbahn nach der Maxime "zu den Sachen selbst" notwendig und hat so eine sachliche Notwendigkeit.

Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 70. "Die Eröffnung durch den Entwurf ist nur solche, wenn sie als Erfahrung der Geworfenheit und damit der Zugehörigkeit zum Seyn geschieht. Das ist der wesentliche Unterschied gegenüber aller nur transzendentalen Erkenntnisart hinsichtlich der Bedingung der Möglichkeit" (BzP, 239). 23

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§ 6 Das Sein als Ereignis im seinsgeschichtlichen Denken

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§ 6 Das Sein als Ereignis im seinsgeschichtlichen Denken a) Im späten Denken Heideggers wird das Sein von dem Ereignis her gedacht, das die Wesung des Seins bezeichnet, die anfänglich in der Weise des Zurufs und somit in der von diesem gewährten Wahrheit (Erschlossenheit) des Seins und als diese selbst geschieht. Die Geschichte des Seins wird dementsprechend aus dem Ereignis erläutert. 25 In Hinsicht auf das Ereignis-Denken können wir vor allem nach der Grundstruktur des Ereignisses und somit des Ereignis-Denkens fragen. Sie fmdet sich in dem Bezug von Sein und Menschen. Von diesem Bezug heißt es: "Das Seyn braucht den Menschen, damit es wese, und der Mensch gehört dem Seyn, auf daß er seine äußerste Bestimmung als Da-sein vollbringe" (BzP, 251). Brauchen und Zugehören bilden das ganzheitliche Gefüge der Wesung des Seins, d.h. des Ereignisses. Dieses wird in seiner Wesensprägung wie folgt gekennzeichnet: "Die Er-eignung des Da-seins durch das Seyn und die Gründung der Wahrheit des Seins im Da-sein - die Kehre im Ereignis [... ]" (BzP, 262). So ist der Grundzug des ganzheitlichen Ereignisses die Kehre im Ereignis und zwar als "sein innerstes Geschehen" (BzP, 407): "Die Kehre west zwischen dem Zuruf (dem zugehörigen) und der Zugehör (des Angerufenen). Kehre ist Wider-kehre" (BzP, 407). Sofern die Kehre das innerste Geschehen im Ereignis ist, bildet sie als Grundzug des Ereignisses die Grundstruktur des ereignishaft-seinsgeschichtlichen Denkens. Dieses Denken als vom Zuruf des Seins ereignetes entwirft das, was ihm zugeworfen ist, um die zugeworfen-entworfene Wahrheit des Seins im Seienden zu verwahren. Das Gefüge des Ereignisses ist der Bezug zwischen dem Zuruf bzw. Zuwurf des Seins und dem Entwurf der zugeworfenen Wahrheit. 26 Der Zuwurf des Seins ist die Herkunft der Geworfenheit und geschieht allein für das Entwerfen der Wahrheit durch das Dasein. Der Zuwurfbraucht den Entwurf des Zugeworfenen durch das Dasein, um sich zu eröffnen. Der Zuwurf ist immer ein das Dasein ereignender Zuwurf. Daher entwirft das Dasein nur als das er-eignete und geworfene. Der Entwurf ist ein vom Zuwurf er-eigneter Entwurf und daher immer durch die Geworfenheit gestimmt. Das Sein west also durch den Gegenschwung des er-eignenden Zuwurfs und er-eigneten Entwurfs, des Brauehens und Zugehörens, des Zurufs und Zugehörs, der Zusage und Zuhörens, des

25 "Das Seyn als Er-eignis ist die Geschichte; von hier aus muß deren Wesen, unabhängig von der Werdens- und Entwicklungsvorstellung, unabhängig von der historischen Betrachtung und Erklärung, bestimmt werden" (BzP, 494). Das Sein wird hinsichtlich der Mannigfaltigkeit des Ereignisses als "Er-eignis" gekennzeichnet. Vgl.: § 15, Fußnote 1. 26 "Das Eigenste des Denkers jedoch ist nicht sein Besitztum, sondern das Eigentum des Seins, dessen Zuwurf das Denken in seine Entwürfe auffangt, welche Entwürfe aber nur die Befangnis im Zugeworfenen eingestehen"(N.II, 484, vgl.BzP, 488, SvG, 136, 148, 161, GASl, 82-3).

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

Wurfs und Gegenwurfs, des Zuspruchs und Entsprechens. 27 Dieser Gegenschwung macht das Ereignis als Wesung des Seins aus. 28 Im seinsgeschichtlichen Denken wird die ontologische Differenz zwischen Sein und Seiendem erneut gedacht. Das Sein wird nun nicht mehr als die transzendentale Ermöglichung des Seienden gefaßt. Die ontologische Differenz wird in der transzendental-horizontalen Blickbahn als das Gefiige zwischen Ermöglichendem und Ermöglichtem gefaßt. Nun aber wird der Bezug des Seins zum Seienden von der Wahrheit des Seins fiir das Seiende her (vgl. BzP, 13) als die ",Gleichzeitigkeit' von Seyn und Seiendem" (BzP, 349) gekennzeichnet. Diese Gleichzeitigkeit besagt nicht das gleiche Jetzt, in dem Sein und Seiendes sind. Vielmehr ist sie in Hinblick auf das Aprioritätsproblem gefaßt. Zur transzendental-horizontalen Blickbahn gehört die Denkweise des Apriori und Aposteriori. In der seinsgeschichtlichen Blickbahn wird das Sein hingegen nicht mehr als Apriori fiir die Entdecktheit des Seienden gedachf 9 • Denn die Wahrheit des Seins geschieht als die Wesung des Seins fiir das Seiende und birgt sich in diesem, so daß das Seiende in seiner Anwesenheitsweise eigens erscheint. Die Gleichzeitigkeit besteht also in der Bergung der Wahrheit des Seins im Seienden. Aus der Wahrheit des Seins gedacht, west das Sein nie ohne das Seiende: ,,[ ... ] zur Wahrheit des Seins gehört, daß das Sein nie west ohne das Seiende, daß niemals ein Seiendes ist ohne das Sein" (Nachwort zu WiM, 306). Der Bezug zwischen Sein und Seiendem wird mit dem Begriff ,Unterschied' gekennzeichnet, der das Bezugsgeschehen von dem entbergenden Überkommen des Seins und dem Sein-verwahrenden Ankommen des Seienden benenntl°. Dieser Unter-schied ist die Entfaltung der Zwiefalt von Sein und Seiendem (vgl. VuA, 232, UzS, 122) und gehört als solcher zum Ereignis. Innerhalb des Ereignisses besitzen Sein und Seiendes eine Gleichrangigkeit, weil sie sich aus- und zueinander tragen und daher zueinander gehören. Diese zusammengehörende Gleichrangigkeit wird mit der ,Gleichzeitigkeit' von Sein und Seiendem gefaßt. Die neu gedachte ontologische Differenz, die aus dem

VgI.: BzP, 407, 488, BüH, 342, ,Was ist das - die Philosophie?', 43. Der "Gegenschwung des Brauchens und Zugehörens macht das Seyn als Ereignis aus [... ]" (BzP, 251). 29 Im Denken der Metaphysik hat Seiendes immer Vorrang vor dem Sein. Daher bleibt das ,Apriori' nur "die Verschleierung der Nachträglichkeit des Seins" (BzP, 183). Im seinsgeschichtlichen Denken aber wird das Sein in der Wahrheit nicht als Apriori gefaßt. Das Sein ist "weder das Frühere noch das Spätere" (BzP, 223). Denn mit der Wesung des Seins in seiner Wahrheit kommt zugleich das Seiende zum Vorschein und zwar in der Weise des Bergens des Seins. 3(1 "Sein im Sinne der entbergenden Überkommnis und Seiendes als solches im Sinne der sich bergenden Ankunft wesen als die so Unterschiedenen aus dem SeI ben, dem Unter-schied" (luD, 56, vgl. BzP, 453, 479). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 79. 27

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§ 6 Das Sein als Ereignis im seinsgeschichtlichen Denken

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Ereignis verstanden wird, ist aus der Erfahrung des Ursprungs der Erschlossenheit bestimmt. 3 1 Im Ereignis-Denken hat auch die Frage nach dem Wesen der Zeit und des Raumes ihren Ort gerade in der Frage nach dem Ereignis. In der fundamentalontologischen Blickbahn von ,Sein und Zeit' zeigt sich ein Vorrang der Zeit in Bezug auf sowohl das Sein überhaupt wie auch auf den Raum. Nach dem immanenten Wandel von Heideggers Denken wird der Bezug zwischen Zeit, Raum und Sein erneut gedacht und zwar in der Weise, daß das Sein nur in seiner Wahrheit geschieht, die sich anfänglich als Zeit-Raum gründet. Dementsprechend wandeln sich die Zeitlichkeitsekstasen zu den Entrückungen des ereignenden Wurfs des Seins, indes sich der Raum zur Berückung des ereignenden Wurfs des Seins wandelt. Auf solche Weise wird der Zeit-Raum nun als Grundgefiige der zugeworfenen Wahrheit des Seins gedacht. Der Wurf des Seins ist es, der das Dasein zeitlich entrückt und räumlich berückt, so daß die zeit-räumliche Leere, d.h. der Zeit-Raum, entsteht. Während im frühen transzendental-horizontalen Denken Heideggers die Zeit und das Sein überhaupt vom Dasein her gefaßt werden, werden in seinem späteren seinsgeschichtlichereignishaften Denken der Zeit-Raum und das Sein überhaupt von dem Ereignis her gedacht (BzP, 82,250-51).32 Das Ereignis-Denken gründet in der Erfahrung der Herkunft der Geworfenheit bzw. des Ursprungs der Wahrheit. Insofern wird auch die Eigentlichkeit des Daseins aus dem Ursprung der Wahrheit gedacht. Sie besagt in ,Sein und Zeit' die vorlaufende Entschlossenheit, worin die Erschlossenheit ursprünglicheigentlich aufgeschlossen und die Selbstwahl des Daseins vollzogen ist. Seinsgeschichtlich gedacht, liegt die Eigentlichkeit des Daseins in seinem wissenden Übernehmen seiner ereigneten Zugehörigkeit zum ereignenden Sein. JJ Diejenigen, die ein solches künftiges Geschick des Menschen übernehmen, stehen "im herrschaftlichen als dem wahrhaften Wissen" (BzP, 396), d.h. im Wissen um die Wahrheit des Seins. Das wissende Übernehmen der Zugehörigkeit zum Sein ist als solches "die Entschlossenheit zur äußersten Besinnung" bzw. "die Verhaltenheit des Suchens, wo und wie die Wahrheit des Seins sich gründen und bergen lasse" (BzP, 398). Der Mensch, der in solcher Verhaltenheit eksistiert, wird als "der Hirt des Seins" (BüH, 342) im Sinne des Hüters der Wahrheit des Seins gekennzeichnet. Dabei gehört zum Hüten sowohl das emp-

Vgl.: §§ 13-15. Vgl.: §§ 16-18. 33 Im seinsgeschichtlichen Denken wird die Eigentlichkeit als Da-sein, dessen Gegenbegriff als Weg-sein gekennzeichnet. Während das Da-sein "die Offenheit des Sichverbergens ausstehen" (BzP, 301) besagt, bezeichnet das Weg-sein das Betreiben der " Verschlossenheit des Geheimnisses und des Seins" (ebd). 31

32

4 Chcong (PHS)

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Vorbereitender Teil: Die Entfaltung des Seinsdenkens Heideggers

fangend-eröffnende Entwerfen der zugeworfenen Wahrheit des Seins wie auch deren Verwahrung im Seienden. 34 Wenngleich im seinsgeschichtlich-ereignishaften Denken der Bezug von Sein und Seiendem, von Sein und Zeit-Raum und von Sein und Dasein anders als im transzendental-horizontalen Denken gedacht wird, bleiben die fundamentalen Seinscharaktere der Existenz, d.h. Geworfenheit und Entwurf/s erhalten und zwar in der Weise, daß sie lediglich ursprünglich aus dem Zuwurf des Seins selbst gedacht werden. Insofern kann der Wandel von der Fundamentalontologie zum Ereignis-Denken als ein immanenter Wandel gefaßt werden. b) Auch im Ereignis-Denken bleibt die phänomenologische Hermeneutik erhalten. Nun aber wird das ,hermeneuein' von Heidegger als ,jenes Darlegen, das Kunde bringt, insofern es auf eine Botschaft zu hören vermag" (U zS, 121) erläutert. Damit wird betont, daß "das Hermeneutische nicht erst das Auslegen, sondern vordem schon das Bringen von Botschaft und Kunde bedeutet" (UzS, 122). Heidegger nennt den Bezug des Menschen zum Sein selbst "den hermeneutischen Bezug" (ebd)36. Das hörende Verstehen der Zusage des Seins hat als hermeneutischer Bezug die Struktur der Kehre. Das der zugeworfenen Zusage Entsprechen ist als Vollzug des ereigneten Zugehörens des Daseins zum Sein zugleich der Vollzug des hermeneutischen Zirkels. Insofern gründet der hermeneutische Bezug in der Kehre im Ereignis. Sofern das seinsgeschichtliche Denken das Ereignis aus der Kehre denkt, vollzieht es sich in der hermeneutischen Struktur. 37

34 Vgl.: §§ 19-20. 3S

Vgl.: F.-W. v. Hernnann, ,Wege', 226.

36 Dieser hermeneutische Bezug wird als durch die Sprache bestimmter erklärt: "Das Vorwaltende und Tragende im Bezug des Menschenwesens zur Zwiefalt ist demnach die Sprache. Sie bestimmt den hermeneutischen Bezug" (UzS, 122). Die Zwiefalt besagt hier das Sein selbst hinsichtlich seines Sichbewahrens im Seienden: "Sein selbst - dies sagt: Anwesen des Anwesenden, d.h. die Zwiefalt bei der aus ihrer Einfalt" (ebd). Schon in ,Sein und Zeit' spielt die Rede in Bezug auf die Auslegung eine große Rolle. Die Auslegung ist "die Ausbildung des Verstehens" (SuZ, 197), d.h. das zueignende ausdrückliche Entwerfen des primär Verstandenen. Das ausdrückliche Entwerfen hat als Entwerfen von etwas immer schon etwas, das es entwirft. Dieses etwas ist als primär Verstandenes in der Geworfenheit des Daseins vorgegeben. Insofern ist der Entwurf immer geworfener Entwurf. Dabei sind aber das Geworfensein als Befindlichkeit und der Entwurf als Verstehen "gleichursprünglich bestimmt durch die Rede" (SuZ, 177). Also hält der geworfene Entwurf sein Entworfenes immer in einer durch die Rede gegliederten Verständlichkeit. Hier wird die Sprache als "Hinausgesprochenheit der Rede" (SuZ, 214) gefaßt. Hingegen wird die Sprache im seinsgeschichtlichen Denken als die Sprache des Seins und diejenige für dieses selbst, das Denken als das Sammelnde dieser Sprache gefaßt: "Das Denken sammelt die Sprache in das einfache Sagen. Die Sprache ist so die Sprache des Seins, wie die Wolken die Wolken des Himmels sind" (BüH, 364). In solchem Sinne wird die Sprache als "Haus des Seins" (BüH, 313) gefaßt. 37 VgI.: F.-W. v. Hernnann, ,Wege', 228, 230.

§ 6 Das Sein als Ereignis im seinsgeschichtlichen Denken

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Innerhalb der transzendentalen Blickbahn ist es das ,henneneuein' , durch das "dem zum Dasein selbst gehörenden Seinsverständnis der eigentliche Sinn von Sein und die Grundstrukturen seines eigenen Seins kundgegeben werden" (SuZ, 50). Dabei ist das Zuentwerfende durch die Geworfenheit schon als Auszulegendes vorgegeben. Innerhalb der seinsgeschichtlichen Blickbahn wird das ,henneneuein " wie schon oben zitiert, als ,jenes Darlegen, das Kunde bringt, insofern es auf eine Botschaft zu hören vennag' gefaßt. Hier ist das Zuentwerfende durch die Zusage des Seins schon als Zuhörendes vorgegeben. Zwischen den beiden Erläuterungen des ,henneneuein' bleibt zwar ein Unterschied, der mit der Differenz zwischen "Kundegeben" und "Kundebringen" angezeigt ist. Die Sache des "Kundegebens" ist in der Geworfenheit des Daseins vorgegeben. Die Sache des "Kundebringens" ist aus der Zusage des Seins vorgegeben. Sofern aber die Zusage des Seins die Herkunft der Geworfenheit des Daseins ist, wird die Geworfenheit des Daseins in der seinsgeschichtlichen Blickbahn ursprünglich gedacht. Das ,hermeneuein ' hat seinen eigenen Charakter darin, daß es das entwirft, was ihm vorgegeben ist. Sofern das ,hermeneuein' die vorgegebene Sache hörend-darlegend sich zeigen läßt, ist es sowohl hermeneutisch als auch phänomenologisch. 38

38

Vgl.: F.-W. v. Hernnann, ,Wege', 62-3, 382.

Erster Teil

Das Dasein, die Zeit und die Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie Erstes Kapitel

Die ursprüngliche Interpretation des Seins des Daseins als Zeitlichkeit § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins a) Die Notwendigkeit der Gewinnung der zureichenden hermeneutischen Situation für die ursprüngliche Interpretation des Daseins

a) Die Bestimmung des Wesens des Menschen hat einen entscheidenden Bezug zu Grundfragen der Philosophie wie der Frage nach Sprache, Wahrheit, Welt, Zeit, Raum und Geschichte. Die Bestimmung des Menschenwesens wird als solche der Ansatz zur Entfaltung einer Philosophie. Dies ist auch bei Heidegger der Fall. Er versteht den Menschen nicht in Hinsicht auf dessen Vernunft, sondern im Hinblick auf dessen Seinsverstehen, d.h. nicht als das animal rationale, sondern als die seinsverstehende Existenz. Als seinsverstehende Existenz bekommt der Mensch bei Heidegger den Namen "Dasein". I Durch das Wort "Dasein" wird aufgezeigt, daß der Mensch von allen anderen Seienden dadurch unterschieden ist, daß es ihm in seinem Sein um sein Sein geht (,,-sein" als Existenz) und daß er schon sowohl sein Sein wie auch das Sein des nichtmenschlichen Seienden versteht ("Da-" als die Erschlossenheit des Seins überhaupt).2 Insofern ist ,Dasein' die Kennzeichnung des Verhältnisses des I Zur Unterscheidung von Heideggers Bestimmung des Menschen und dessen bisherigen Bestimmungen vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 9-13, 21-22. 2 Dies bedeutet zugleich: "Nur auf dem Grunde des Seinsverständnisses ist Existenz möglich" (KPM, 221). In der "Einführung zu ,Was ist Metaphysik?'" erläutert Heidegger den Grund der Wahl des Wortes ,Dasein' wie folgt: "Um sowohl den Bezug des Seins zum Wesen des Menschen als auch das Wesensverhältnis des Menschen zur Offenheit (,Da') des Seins als solchen zugleich und in einem Wort zu treffen, wurde für den Wesensbereich, in dem der Mensch als Mensch steht, der Name ,Dasein' gewählt" (EzWiM, 372). Zum Voraussetzungscharakter der Bestimmung des Menschen als Dasein und deren Rechtfertigungsproblem vgl. § 8 a und ,SUZ', 415-19. Zur Ausführung der Bedeutung von ,Da-' und ,-sein' vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 21.

Kap. I, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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Menschen zum Sein überhaupt. In der traditionellen Philosophie wird das Seiende als ein Gebilde aus essentia und existentia verstanden. Daher wird auch der Mensch als dasjenige Lebewesen ausgelegt, das seine essentia in der Vernunft und seine existentia im Wirklichsein hat. Wird dagegen der Mensch als Dasein begriffen, dann werden, in Bezug auf die Frage nach dem Wer- und Wiesein, "Jemeinigkeit" und "Existenz" (SUZ, 57) als seine Seinscharaktere gefaßt. Die Bedeutung von "Jemeinigkeit" und "Existenz" ist in folgenden Sätzen angezeigt: "Das Sein dieses Seienden ist je meines. Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses selbst zu seinem Sein" (SuZ, 56). Jemeinigkeit besagt das ,Selbst zu sein' des Menschen. Hingegen bezeichnet Existenz den. Vollzug des Seinsbezugs zum Seinkönnen ' des Menschen. 3 Heidegger zufolge ist die Existenz gerade das "Wesen" des Daseins im Sinne der wesensmäßigen Bestimmung seiner Seinsweise. Die Existenz ist als Bezeichnung des Vollzugs des Seins zum Seinkönnen keine ideale Bestimmung des Menschen, sondern die Bestimmung der faktischen Freiheit des Sichverhaltens des Menschen zum Sein (d.h. der Seinsmöglichkeit bzw. dem Seinkönnen). Als Existenz hat das Dasein die Möglichkeit der Erschließung oder der Verschließung seines eigentlichen Seins und somit die der eigentlichen oder der modifizierten, d.h. uneigentlichen, Existenz. 4 Das Dasein, dessen Seinscharaktere Jemeinigkeit und Existenz sind, ist schon immer in der Welt, die wir als einen existenzialen Begriff später (§ 9) ausführen werden. In Hinsicht auf diesen faktisch fundamentalen Befund des Daseins wird es als das "In-der-Welt-sein" bezeichnet. Dieses nennt die Seinsverfassung des Daseins und zwar als ein "Apriori" (SUZ, 55) in dem Sinne, daß Seinsbestimmungen des Daseins "apriori auf dem Grunde der Seinsverfassung gesehen und verstanden werden" (SuZ, 71) müssen. Das In-der-Welt-sein ist eine ursprünglich und ständig ganze Struktur. Aber es hat seine konstitutiven Strukturmomente, die nach verschiedenen Hinsichten abgehoben werden können. Im 1. Abschnitt des 1. Teils von ,Sein und Zeit' hebt Heidegger als solche Strukturmomente das In-der-Welt, das Seiende und das In-sein heraus. In Bezug auf diese drei Strukturmomente werden die ontologische Struktur der Welt, des Wer-charakters des Daseins und die ontologische Konstitution der Inheit des Daseins erfragt und damit die Idee der Weltlichkeit, das Selbst- und Mitsein des Daseins und die Erschlossenheit überhaupt aufgezeigt. Nachdem das In-der-Welt-sein als eine in sich gegliederte ganze Struktur verdeutlicht ist, er-

3 Wir können die Existenz auch als den ,Vollzug des Bezugs des Selbst zum Seinkönnen' verdeutlichen. Eine Weise der Existenz, die Heidegger darstellt, ist das ,Sein zum Tode'. Dies verstehen wir als den, Vollzug des Bezugs des Selbst zum Tode als einem Seinkönnen ' . 4 "Existenziell ist zwar im Verfallen die Eigentlichkeit des Selbstseins verschlossen und abgedrängt, aber diese Verschlossenheit ist nur die Privation einer Erschlossenheit" (SuZ,245).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

gibt sich die Aufgabe der Bestimmung der Ganzheit des Daseins. Woraus und als was ist existenzial-ontologisch die Ganzheit des Strukturganzen des Daseins zu bestimmen? Die Möglichkeit dieser Bestimmung kann nicht irgendwo anders als im Dasein selbst geschöpft werden. Zur ontologischen Struktur des Daseins gehört wesentlich sein Seinsverständnis, weil das Sein ihm selbst in seinem Sein wesenhaft erschlossen ist. Das, was diese Erschlossenheit konstituiert, nennt Heidegger Befindlichkeit und Verstehen. Welches Phänomen ist dann die verstehende Befindlichkeit, in der das Dasein ihm selbst in ausgezeichneter Weise erschlossen ist? Worauf diese Frage abzielt, ist "eine der weitgehendsten und ursprünglichsten Erschließungsmöglichkeiten" (SuZ, 242), welche die Strukturganzheit des Seins des Daseins elementar enthüllen kann. Heidegger faßt diese verstehende Befindlichkeit bzw. Grundbefindlichkeit als Angst: "Die Angst gibt als Seinsmöglichkeit des Daseins in eins mit dem in ihr erschlossenen Dasein selbst den phänomenalen Boden filr die explizite Fassung der ursprünglichen Seinsganzheit des Daseins" (ebd). Diese Angst kann zuerst aus der Aufklärung des Phänomens der ,Flucht' des Daseins verstanden werden. Denn die Flucht ist dasjenige daseinsmäßige Phänomen, das von uns alltäglich allgemein erfahren wird, aber doch in der Angst wurzelt. Alltäglich flieht das Dasein vor sich selbst, d.h. vor seinem eigentlichen Selbstsein (d.h. dem Freisein für das eigenste Seinkönnen (In-der-Welt-sein, Sterben, Schuldigsein» in die durchschnittliche unselbst-ständige Seinsweise. Dieses Phänomen der Flucht kennzeichnet Heidegger als das Verfallen des Daseins an das Man. Im Verfallen ist also die Eigentlichkeit des Selbstseins verschlossen. Diese Verschlossenheit aber ist die Privation einer Erschlossenheit. Denn das Dasein kann vor ihm nur fliehen, "sofern Dasein ontologisch wesenhaft durch die ihm zugehörende Erschlossenheit überhaupt vor es selbst gebracht ist" (SuZ, 245). Die Flucht des Daseins vor sich selbst gründet in der Angst. Die Angst hat ihre eigenen Strukturmomente. Das Wovor der Angst ist gar nicht ein innerweltliches Seiendes, S sondern etwas unbestimmtes und als solches nirgendwo. Das Wovor der Angst ist das innerweltliche Nichts und Nirgend. In der Angst ist das innerweltliche Seiende an sich selbst völlig belanglos. Aber auf dem Grunde der Belanglosigkeit des Innerweltlichen drängt sich die Welt in ihrer Weltlichkeit (Sinngefilge) auf. Angst erschließt also aus der Stimmung des Nichts die Welt. Dies bezeichnet Heidegger wie folgt: "Die Aufsässigkeit des innerweltlichen Nichts und Nirgends besagt phänomenal: das Wovor der Angst ist die Welt als solche" (SuZ, 248). Sofern aber die Welt ontologisch wesenhaft zum Sein des Daseins als In-der-Welt-sein gehört, ist das Wovor der Angst das In-der-Welt-sein selbst. Auch das Worum der Angst ist

S Dagegen ist das Wovor der Furcht "ein innerweltlich Begegnendes von der Seinsart des Zuhandenen, Vorhandenen oder des Mitdaseins" (SuZ, 186) und hat den Charakter der "Bedrohlichkeit" (SuZ, 187).

Kap. I, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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keine bestimmte Seinsart des Daseins, sondern das In-der-Welt-sein selbst als seine eigenste Möglichkeit. In der Angst versinkt das umweltlich Zuhandene, d.h. das innerweltlich Seiende. Damit benimmt die Angst dem Dasein die Möglichkeit, verfallend sich aus der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen. Die Angst wirft und vereinzelt das Dasein auf sein eigenstes In-der-Welt-seinkönnen. So offenbart die Angst im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, d.h. das Freiseinfür das eigenste Seinkönnen. 6 Die Angst als Grund des Verfallens des Daseins ist also zugleich der Grund der Rückkehr des Daseins in sein eigentliches Seinkönnen. Das Wovor der Angst ist "das geworfene In-der-Welt-sein", ihr Worum "das In-der-Welt-sein-können" (SuZ, 254). Das geworfene In-der-Welt-sein bezeichnet Heidegger existenzial als die Faktizität des Daseins, das In-der-Weltsein-können als die Existenzialität des Daseins. In der Angst zeigt sich aber auch das Verfallensein, das wir im Phänomen der Flucht gesehen haben, als alltäglicher Seinsmodus des In-der-Welt-seins. Angst zeigt also alle fundamentalen ontologischen Charaktere des Daseins, d.h. Existenzialität, Faktizität und Verfallen. In solchem Sinne heißt es: "Das volle Phänomen der Angst demnach zeigt das Dasein als faktisch existierendes In-der-Welt-sein" (ebd). Die Existenzialität besagt das Sein zum Seinkönnen. Dies bedeutet ontologisch das Sich-vorweg-sein des Daseins. Hingegen bedeutet die Faktizität ontologisch das Schon-sein-in-einer-Welt, das Verfallensein das Sein bei innerweltlich begegnendem Seienden. Daher wird die formal existenziale Ganzheit des ontologischen Strukturganzen des Daseins wie folgt formuliert: "Sich-vorweg-schonsein-in- (der Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)" (SuZ, 256). Heidegger zufolge erfiillt das Sich-vorweg-schon-sein-in- als sein-bei als Seinsstruktur des Daseins die Bedeutung des rein ontologisch-existenzialen Titels ,Sorge'. Denn diese bedeutet sachlich das Sorge-tragen fiir das Sein und genügt fiir die Kennzeichnung des Seins des Daseins, dem es in seinem Sein um sein Sein geht. Mit ,Sorge' charakterisiert Heidegger die Einheit von Existenzialität, Faktizität und Verfallen. Als solche Einheit liegt die Sorge immer schon in jeder faktischen ,Verhaltung' und ,Lage' des Daseins "existenzialapriorisch" (SuZ, 257) vor. Aus der Angst als der verstehenden Befindlichkeit enthüllt sich das Sein des Daseins in seiner Ganzheit. Das in der Ganzheit gefaßte Sein des Daseins ist die Sorge.

fi "Die in der Angst erschlossene Unbedeutsamkeit der Welt enthüllt [ ... ] die Unmöglichkeit des Sichentwerfens auf ein primär im Besorgten fundiertes Seinkönnen der Existenz. Das Enthüllen dieser Unmöglichkeit bedeutet [... ] ein Aufleuchten-lassen der Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens" (SuZ, 454). Das eigentliche Sein können enthüllt sich dem Dasein nicht nur in der Angst als Grundbefindlichkeit, sondern auch sowohl im Vorlaufen zum Tode wie im Anruf des Gewissens. Während das Vorlaufen zum Tode ein ursprüngliches Sichverstehen des Daseins ist, ist der Anruf des Gewissens ein Modus der Rede des Daseins in der Weise der Verschwiegenheit.

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

b) Die Sorge ist in ihrer Strukturganzheit gegliedert. In bezug auf die Dreigliedrigkeit der Sorgestruktur stellt sich eine weitere Frage. Worin liegt der ursprüngliche Grund für die Einheit der Dreigliedrigkeit der Sorge?7 Um darauf antworten zu können, muß aber vorgängig gezeigt werden, daß die Sorge eine mögliche Ganzheit, Eigentlichkeit und Einheit hat, d.h. daß das Dasein existenziell ganz, eigentlich und einheitlich existieren kann. Das existenziell eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins aber ist seinerseits nur möglich aufgrund der existenzialen Möglichkeit des Ganzseinkönnens des Daseins. 8 Für die ursprüngliche Interpretation der Eigentlichkeit und Ganzheit der Sorge muß daher zuerst die existenziale Möglichkeit des Ganzseinkönnens des Daseins, daran anschließend die existenzielle Bezeugung des eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins aufgewiesen werden. 9 Nur nach der Durchführung dieser Aufgaben kann die Frage nach dem Grund für die Einheit der Sorge (d.h. dem Sinn der Sorge) mit Sicherheit gestellt werden. Heidegger erläutert die Notwendigkeit solcher vorgängigen Aufgaben besonders hinsichtlich der hermeneutischen Situation der im 1. Abschnitt des I. Teils von ,Sein und Zeit' vollzogenen Fundamentalanalyse des Daseins. Jede ontologische Untersuchung als eine mögliche Art von Auslegung hat als ihre ,Voraussetzungen' Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff. 1O Die hermeneuti-

7 Heidegger findet in der Dreigliedrigkeit der Sorge die Notwendigkeit einer noch ursprünglicheren Interpretation der Sorge: "Die Bestimmung der Sorge als Sich-vorwegsein - im-schon-sein-in ... - als Sein bei ... macht deutlich, daß auch dieses Phänomen in sich noch struktural gegliedert ist. Ist das aber nicht das phänomenale Anzeichen dafür, daß die ontologische Frage noch weiter vorgetrieben werden muß zur Herausstellung eines noch ursprünglicheren Phänomens, das die Einheit und Ganzheit der Strukturmannigfaltigkeit der Sorge ontologisch trägt?" (SuZ, 260). Das hier angegebene noch ursprünglichere Phänomen enthüllt sich zuletzt als die Zeitlichkeit (vgl. SuZ, 403). Gerade in dieser Zeitlichkeit gründet "die ursprüngliche Einheit der Sorge" (SuZ, 433). 8 Dasein ist es, das "die Möglichkeit hat, seine Gänze zu sein. Nur auf dem Grunde dieser Seinsmöglichkeit könnte sich die weitere ergeben, dieses Selbstsein des Daseins in seiner Gänze nun auch noch ausdrücklich zu erfahren" (Prol, 429). 9 Zur Unterscheidung von ,existenziell' und ,existenzial': "Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen. Das hierbei führende Verständnis seiner selbst nennen wir das existenzielle . ... Den Zusammenhang [der Struktur der Existenz, d.h. dessen, was Existenz konstituiert] nennen wir die Existenzialität. Deren Analytik hat den Charakter nicht eines existenziellen, sondern existenzialen Verstehens" (SuZ, 17). 10 Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff werden je wie folgt gefaßt: das Behalten eines eingehüllt Verstandenen; das Vor-sehen des Woraufhin der Auslegung eines eingehüllt Verstandenen bzw. das auf eine bestimmte Auslegbarkeit hin Anschneiden des in die Vorhabe Genommen; das Vor-greifen des durch Vorsicht schon anvisiert Verstandenen in die Begrifflichkeit (v gl. SuZ, 197-200). Es ist für eine ontologische Interpretation nötig, "das thematische Seiende durch eine erste phänomenale Charakteristik in die Vorhabe zu bringen, der sich alle nachkommenden Schritte der Analyse anmessen" (SuZ, 308). Dabei bedürfen die Schritte der Analyse "zugleich einer Führung durch die mögliche Vor-sicht auf die Seinsart des betr. Seienden" (ebd). Durch Vorhabe und Vor-

Kap. 1, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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sche Situation nennt gerade "das Ganze dieser ,Voraussetzungen'" (SuZ, 308). Bei der vorbereitenden Fundamentalanalyse des Daseins war das Betreffende der Vorhabe das alltägliche Dasein, das Betreffende der Vorsicht die alltägliche bzw. undifferenzierte Existenz. Aus dieser Existenz wurde das Dasein in seinem Sein als die Sorge gefaßt. Wenn aber die Interpretation eine ursprüngliche werden soll, bedarf sie "der vorgängigen Klärung und Sicherung" der hermeneutischen Situation "aus und in einer Grunderfahrung des zu erschließenden ,Gegenstandes'" (ebd). Dadurch muß "das Ganze des thematisierten Seienden" (ebd) in die Vorhabe, die "Einheit der zugehörigen und möglichen Strukturmomente" (SuZ, 309) in die Vorsicht gebracht werden. Denn die Frage nach dem Grund für die Einheit der Seinsganzheit des ganzen Seienden kann erst dadurch mit phänomenaler Sicherheit gestellt und beantwortet werden. Das Ganze meint dabei ontisch-existenziell "das Sein zwischen Geburt und Tod" (SuZ, 310). Das Problem der Einheit folgt dem Problem der Eigentlichkeit des Seins, weil nur diese die Einheit des Seins des Daseins erst ermöglicht. 11 Die bisherige hermeneutische Situation, in der die vorbereitende Fundamentalanalyse vollzogen ist, ist für die ursprüngliche Interpretation des Daseins noch nicht in phänomenaler Sicherheit erbracht. Sofern in der Vorsicht noch nicht die Einheit der zugehörigen und möglichen Strukturmomente der Sorge und in der Vorhabe nur "das uneigentliche Sein des Daseins und dieses als unganzes" (ebd) steht, kann die bisherige existenziale Analyse des Daseins den Anspruch auf Ursprünglichkeit nicht erheben. Wenn die Interpretation des Seins des Daseins ursprünglich werden soll, muß sie das Sein des Daseins "zuvor in seiner möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit" (ebd) und somit in seiner Einheit aufgeklärt haben.

2. Die existenziale Aufweisung der möglichen Ganzheit der Sorge als Vorlaufen zum Tode

a) Zur Überwindung der unzureichenden hermeneutischen Situation soll zuerst die Ganzheit der Sorge in die Vorhabe gestellt werden. Inwiefern kann das Dasein, das ursprünglich das Seinkönnen ist, überhaupt als ein Ganzseinkönnen existieren? Zunächst scheint eine ontologische Erfassung und Bestimmung des daseinsmäßigen Ganzseins unmöglich zu sein. Denn das ,Sich-vorweg' als primäres Moment der Sorge widerspricht offenbar einem möglichen Ganzsein

sicht wird "die Begrifflichkeit" (Vorgriff), "in die alle Seinsstrukturen zu heben sind" (ebd), vorgezeichnet und vorgegriffen. 11 Die Sicherung der hermeneutischen Situation birgt in sich viele Probleme: das Problem der Ganzheit, dasjenige der Eigentlichkeit, dasjenige des Zusammenbringens von Ganzheit und Eigentlichkeit und dasjenige der Einheit. Wir werden diese Probleme nacheinander ausfUhren.

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

dieses Seienden. Einerseits bedeutet das ,Sichvorweg' "eine ständige Unabgeschlossenheit" (SuZ, 314). Andererseits bedeutet das Erreichen der ,Gänze' (Tod) für das Dasein das "Nicht-mehr-da-sein" (SuZ, 315). Dann liegt die Unmöglichkeit einer ontologischen Erfassung des daseinsmäßigen Ganzseins nicht in einer Unvollkommenheit des Erkenntnisvermögens, sondern im Seinscharakter des Daseins selbst. Für Heidegger aber handelt es sich nicht um einen ontisch-kategorialen, sondern um einen existenzial-ontologischen Sinn des Todes und um die existenziale Möglichkeit der Enthüllung der Ganzheit des Daseins: Für ihn "gilt es, den existenzialen Sinn des Zu-Ende-kommens des Daseins diesem selbst zu entnehmen und zu zeigen, wie solches ,Enden' ein Ganzsein des Seienden konstituieren kann, das existiert' (SUZ, 322). Der Tod ist das "das Ganzsein abschließende und bestimmende Ende" (SuZ, 344) des Daseins. Dieses Ende "begrenzt und bestimmt die je mögliche Ganzheit des Daseins" (SuZ, 310-11). Das Ganzsein des Daseins liegt also im "Zu-Ende-sein des Daseins im Tode" (SuZ, 311). Die ontologische Frage nach der Ganzheit des Daseins aber lautet hinsichtlich des Todes, der das Ganzsein des Daseins begrenzt, nicht: Wie kommt das Dasein biologisch oder physiologisch zum Tode, um sein Ganzsein zu erreichen? Vielmehr lautet sie: Wie kann das Dasein den sein Ganzsein bestimmenden Tod existenziell vorwegnehmen und so sein Ganzseinkönnen erschließen, d.h. als Erschlossenheit des Ganzseins bzw. als Ganzseinkönnen existieren? Oder, in welcher Seinsweise des Daseins liegt die Möglichkeit des Ganzseinkönnens des Daseins?12 Zur Beantwortung dieser Frage müssen der existenziale Sinn des Todes selbst, die alltägliche Vollzugsweise des Seins zum Tode und die existenziale Struktur seines eigentlichen Vollzugs aufgeklärt werden. Der Tod ist eine Seinsmöglichkeit des Daseins. Als solche gehört er zum Sein des Daseins. Die ontologische Analyse des Todes interpretiert das Phänomen "Tod" daher lediglich daraufhin, "wie es als Seinsmöglichkeit des jeweiligen Daseins in dieses hereinsteht" (SuZ, 330). Daher geht es der existenzial-ontologischen Analyse des Todes allein um das Sichverhalten des Daseins zum Tode, d.h. um das Sein zum Tode. 13 Der Tod steht ins Sein des Daseins herein, ist dem Dasein erschlossen und ,existiert' in der Seinsweise des Daseins als Sein zum Tode. 14 Der existenziale Sinn des Todes, d.h. das, was den Tod in der 12 "Die Gänze des Daseins wird in ihrer Struktur phänomenal faßbar werden, wenn die Seinsweise, in der das Dasein diese seine äußerste Möglichkeit eigentlich sein kann, herausgestellt wird" (Prol, 433). 13 "Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist" (SuZ, 326). Heidegger verwendet auch das Wort ,Sterben' terminologisch fur das existierende Sein zum Tode, welches sich in eigentlicher oder uneigentlicher Weise, zumeist aber uneigentlich vollzieht: "Sterben aber gelte als Titel flir die Seinsweise, in der das Dasein zu seinem Tode ist" (SuZ, 328-29). 14 "Daseinsmäßig [... ] ist der Tod nur in einem existenziellen Sein zum Tode" (SuZ, 311 ).

Kap. 1, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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Weise des Erschließens als den Tod ennöglicht, ist also das Sein zum Tode. Sofern das Sein zum Tode ein daseinsmäßiges Phänomen ist, kann die existenzial-ontologische Struktur des Seins zum Tode aus der Grundverfassung des Daseins enthüllt werden. Was die Interpretation dieser Struktur zuletzt verdeutlichen muß, ist, "inwiefern im Dasein selbst, gemäß seiner Seinsstruktur, ein durch das Sein zum Ende konstituiertes Ganzsein möglich" (SuZ, 332) ist. Dafür ist es nötig, zuerst nachzuweisen, daß das Sein zum Tode in der Sorge gründet. In der Existenz des Daseins ist der Tod dem Dasein immer schon erschlossen und zwar als "eine Seinsmöglichkeit, die je das Dasein selbst zu übernehmen hat" (SuZ, 333). Der Tod als eine Seinsmöglichkeit ist dabei "die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit" (ebd). Als solche ist er weder Vorhandenes noch ein Ausstand, sondern "ein ausgezeichneter Bevorstand" (ebd).15 Die existenziale Möglichkeit des Todes als ein Bevorstand liegt nur in der Existenz des Daseins als Sich-vorweg-sein. Daher wird das Sein zum Tode qua einem ausgezeichneten Bevorstand als die "ursprüngliche Konkretion" (ebd) des Sich-vorweg gefaßt. Sofern das Sein zum Tode aufgrund des Sichvorweg als eines Struktunnomentes der Sorge möglich ist, gehört es zur Sorge. Sofern Dasein existiert, ist es in den Tod als seine eigenste Möglichkeit geworfen. Der Tod ist als Seinsmöglichkeit des Daseins ihm selbst "überantwortet" (SuZ, 334). Das dem-Tod-überantwortet-Sein, d.h. "die Geworfenheit in den Tod" (ebd), ist die Faktizität des Daseins. Die Geworfenheit in den Tod enthüllt sich als solche in der Befindlichkeit der Angst. Zunächst und zumeist aber ist das Dasein im verfallenden Sein bei... immer auch schon in der besorgten ,Welt' aufgegangen. In der Weise des Verfallens flüchtet es immer schon "aus der Unheimlichkeit", d.h. "vor dem eigensten Sein zum Tode" (SuZ, 335). Insofern wird das Sein zum Tode durch Existenz, Faktizität und Verfallen charakterisiert. Diese sind konstitutiv für das Sein zum Tode. Dieses gründet also hinsichtlich seiner ontologischen Möglichkeit in der Sorge. b) Das Sein zum Tode gehört ursprünglich zur Sorge. Es ist daher auch in der Alltäglichkeit als "der nächsten Konkretion des Daseins" (SuZ, 335) aufweisbar. Das alltägliche Man legt sich und somit auch seinen Tod in der Öffentlichkeit aus. Heidegger findet die durchschnittliche und öffentliche Ausgelegtheit des Todes in folgendem Satz: "man stirbt auch einmal, aber vorläufig noch nicht" (SuZ, 339). In der Sprachwendung "auch einmal" drückt sich die Gewißheit des Todes aus. Dabei legt das Man den Tod als "eine unleugbare ,Erfahrungstatsache'" (SuZ, 341) aus. Das Man aber vennag den gewissen Tod in seine Existenz insofern nicht zu übernehmen und ihn nicht eigentlich zu er15 "Der Tod ist nicht etwas, was am Dasein noch aussteht, sondern was dem Dasein in seinem Sein bevorsteht, und zwar ständig bevorsteht, solange es Dasein ist" (Prol, 432).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundarnentalontologie

schließen, als es in der empirischen Gewißheit verbleibt. Das daseinsmäßige Gewißsein bedeutet dagegen anders als die empirische Gewißheit das eigentliche Erschlossensein der gewissen Möglichkeit. Als solches ist es nicht meßbar an einer empirischen oder gar apodiktischen Gewißheit, sondern es kommt nur darauf an, ob das Dasein den Tod existenziell vorwegnehmend erschließt und sich in diesem als Erschlossenen hält. 16 Das alltägliche verfallende Dasein "kennt die Gewißheit des Todes und weicht dem Gewißsein doch aus" (SuZ, 342). Durch ein solches Ausweichen vor dem gewissen Tod aber wird phänomenal bezeugt, daß der Tod dem Dasein, wenngleich uneigentlich, als gewisse Möglichkeit schon erschlossen ist. In der anderen Sprachwendung "vorläufig noch nicht" als einer Bestimmung des unbestimmten Wann des Todes manifestiert sich der Versuch des alltäglichen Daseins, den Tod als vorläufig noch nicht eintretendes Ereignis fern zu halten. Das alltägliche Sein zum Tode weicht der Unbestimmtheit des Wann des Todes paradoxerweise dadurch aus, "daß es ihr Bestimmtheit verleiht" (SUZ, 343). Durch die Bestimmung des Wann des Todes weicht das Man derjenigen Unbestimmtheit aus, daß der Tod jeden Augenblick möglich ist. Durch ein solches Ausweichen wird aber phänomenal bezeugt, daß der Tod dem Dasein, wenngleich uneigentlich, als unbestimmte Möglichkeit erschlossen ist. Alltäglich verhält sich das Dasein uneigentlich zum Tode. Durch die Interpretation der alltäglichen Rede des Man über den Tod enthüllt sich die Gewißheit und Unbestimmtheit des Todes. Insofern enthüllt sich der Tod in seinem vollen existenzial-ontologischen Charakter als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare, gewisse und unbestimmte Möglichkeit des Daseins. Das alltägliche verfallende Ausweichen vor dem Tod ist ein uneigentliches Sein zum Tode, das aber eine wesenhafte Möglichkeit der Existenz bildet. c) Alltäglich existiert das Dasein nicht eigentlich als das Sein zum Tode. Wie kann dann das eigentliche Sein zum Tode charakterisiert werden? Dieses kann nur durch das Modifizieren des uneigentlichen Seins zum Tode ergriffen werden. Faktisch hält sich das Dasein alltäglich in einem uneigentlichen Sein zum Tode, weicht so vor seiner eigensten Möglichkeit aus und verdeckt sie. Das eigentliche Sein zum Tode muß hingegen das nicht-flüchtige und nichtverdeckende Sein zum Tode sein: "Eigentliches Sein zum Tode kann vor der eigensten, unbezüglichen Möglichkeit nicht ausweichen und in dieser Flucht sie verdecken und für die Verständigkeit des Man umdeuten" (SuZ, 346). Das Sein zum Tode kennzeichnet das Sichverhalten des Daseins zu seiner eigensten Möglichkeit. Als solche bedeutet das Sein zum Tode eigentlich nicht ein "Aussein auf ein Mögliches als Besorgen seiner Verwirklichung" (ebd). Denn der Tod als Mögliches ist kein mögliches Zuhandenes oder Vorhandenes, sondern

16 "Die ausdrückliche Zueignung des Erschlossenen bzw. Entdeckten ist das Gewißsein" (SuZ, 407). Dieses bedeutet das "SichhaIten" (ebd) im Entdeckten.

Kap. 1, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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eine eigenste Seinsmöglichkeit des Daseins. Ausgeschlossen wird auch die folgende Auffassung des Seins zum Tode: "sich aufhalten bei dem Ende in seiner Möglichkeit" (SuZ, 347) im Sinne von Grübeln über den Tod. Denn ein solches Verhalten bedenkt in Hinblick auf die ,Verwirklichung' nur, wann und wie die Möglichkeit sich wohl verwirklichen möchte. Dabei schwächt das Grübeln den Möglichkeitscharakter des Todes durch ein berechnendes Verfügenwollen über den Tod ab. Hingegen muß das eigentliche Sein zum Tode dasjenige sein, das vor dieser eigensten Möglichkeit nicht ausweicht, sondern diese als Möglichkeit erschließt: "Im Sein zum Tode dagegen, wenn anders es die charakterisierte Möglichkeit als solche verstehend zu erschließen hat, muß die Möglichkeit ungeschwächt als Möglichkeit verstanden, als Möglichkeit ausgebildet und im Verhalten zu ihr als Möglichkeit ausgehalten werden" (ebd). Ein solches Sein zum Tode ist also keine Erwartung, kein Warten auf ein Mögliches, sondern das Sichverhalten zur eigensten Seinsmöglichkeit und zwar in der Weise ihrer Enthüllung als eine solche Möglichkeit: "Das Sein zur Möglichkeit als Sein zum Tode soll aber zu ihm sich so verhalten, daß er sich in diesem Sein und für es als Möglichkeit enthüllt" (SuZ, 348). Das Sichverhalten zu einer Möglichkeit, das diese als solche stehen läßt, nennt Heidegger das Vorlaufen· J7 Heidegger faßt solches Sein zum Tode als der Möglichkeit terminologisch als "Vorlaufen in die Möglichkeit" (ebd) bzw. als "Vorlaufen zum Tode" (SuZ, 354). Dieses Vorlaufen ist die sichzurückholende bzw. sichwählende Gegenbewegung zur Flucht vor dem Tod. 18 Als solche Gegenbewegung ermöglicht das Vorlaufen allererst die eigenste und äußerste Möglichkeit und läßt das Dasein aus dieser Möglichkeit sich verstehen und somit eigentlich existieren. Insofern ist das Vorlaufen die Ermöglichung bzw. "Möglichkeit des Verstehens des eigensten äußersten Seinkönnens", d.h. die "Möglichkeit eigentlicher Existenz" (SuZ, 349).19 Wie ist es dann möglich, die existenziale Struktur dieses Vorlaufens zu fassen? Der existenziale Entwurf des Vorlaufens wird durch die Herausstellung der konstitutiven Momente des Vorlaufens vollzogen. Mit der Herausstellung der konkreten Struktur des Vorlaufens wird aufgewiesen, wie das Vorlaufen die eigentliche Existenz und somit das Ganzseinkönnen ermöglicht.

17 " [ ••• ] das Sein muß zur Möglichkeit, die bleiben soll, was sie ist, vorlaufen, nicht sie als Gegenwart heranziehen, sondern sie als Möglichkeit stehen lassen und so zu ihr sein" (Prol, 439). "Das Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit ermöglicht allererst diese Möglichkeit und macht sie als solche frei" (SuZ, 348). 18 "Das Vorlaufen zum Tode in jedem Augenblick des Daseins bedeutet das Sichzurückholen des Daseins aus dem Man im Sinne des Sich-selbst-wählens" (Prol, 440). 19 Die mögliche Eigentlichkeit der Existenz wird zuerst hier existenzial im Vorlaufen, später wieder, aber existenziell im Gewissen-haben-wollen aufgewiesen. Hier ist ausgearbeitet, daß das Sein zum Tode die eigentliche Existenz ermöglicht, d. h. das Vorlaufen zum Tode die Möglichkeit der eigentlichen Existenz ist.

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Der Tod ist die eigenste, unbezügliche, unüberholbare, gewisse und unbestimmte Möglichkeit des Daseins. Aufgrund dieses fünffachen Möglichkeitscharakters entwirft Heidegger die Charaktere des eigentlichen Seins zum Tode. Das Sein zur eigensten Möglichkeit erschließt dem Dasein "sein eigenstes Seinkönnen, darin es um das Sein des Daseins schlechthin geht" (SuZ, 349). Dieses eigenste Seinkönnen gibt dem Dasein seine "faktische Verlorenheit in die Alltäglichkeit des Man-selbst" (ebd) zu verstehen. Das Vorlaufen in die unbezügliche Möglichkeit erschließt dem Dasein, daß es das eigenste Seinkönnen einzig von ihm selbst her zu übernehmen hat. Dadurch wird das Dasein vereinzelt auf es selbst. Die unbezügliche Möglichkeit des Daseins "beansprucht dieses als einzelnes" und enthüllt, "daß alles Sein bei dem Besorgten und jedes Mitsein mit Anderen versagt, wenn es um das eigenste Seinkönnen geht" (ebd). Das Vorlaufen in die unüberholbare Möglichkeit weicht der Unüberholbarkeit des Todes nicht aus, sondern "gibt sich frei für sie" (SuZ, 350). Dieses Freiwerden für den eigenen Tod "befreit von der Verlorenheit in die zufällig sich andrängenden Möglichkeiten, so zwar, daß es die faktischen Möglichkeiten, die der unüberholbaren vorgelagert sind, allererst eigentlich verstehen und wählen läßt" (SuZ, 350). In diesem Vorlaufen in die unüberholbare Möglichkeit liegt ins besondere also "die Möglichkeit des existenziellen Vorwegnehmens des ganzen Daseins, das heißt die Möglichkeit, als ganzes Seinkönnen zu existieren" (SuZ, 351). Das Vorlaufen in die eigenste, unbezügliche unüberholbare Möglichkeit läßt das Dasein ihrer gewiß sein. Insofern ist die Weise, "ihrer selbst gewiß zu sein" (SuZ, 351), bestimmt aus derjenigen Erschlossenheit der eigensten, unbezüglichen und unüberholbaren Möglichkeit, die von dem Vorlaufen ermöglicht wird. Das Vorlaufen in die unbestimmt gewisse Möglichkeit vollzieht sich nur so, daß das Dasein für die ständig aufsteigende Bedrohung seines Seins sich offenhält. Das, was diese Bedrohung offen zu halten vermag, ist nur die Angst. Insofern gehört zum vorlaufenden Sichverstehen des Daseins die Grundbefindlichkeit der Angst. Das Vorlaufen in die unbestimmt gewisse Möglichkeit erschließt die angstbereite Möglichkeit. Aufgrund des fünffachen Charakters des Vorlaufens zum Tode bestimmt Heidegger dieses wie folgt: "Das Vorlaufen enthüllt dem Dasein die Verlorenheit in das Man selbst und bringt es vor die Möglichkeit, auf die besorgende Fürsorge primär ungestützt, es selbst zu sein, selbst aber in der leidenschaftlichen, von den Illusionen des Man gelösten, faktischen, ihrer selbst gewissen und sich ängstenden Fr e i he i t zum Tod e" (SuZ, 353). Das Vorlaufen zum Tode, der das Ganzsein abschließende und bestimmende Ende ist, erschließt das Dasein in seiner eigensten und äußersten Möglichkeit und so in seinem Ganzsein. Sofern das Vorlaufen als ein existenzialer Entwurf des Seins zum Tode die Möglichkeit eines eigentlichen Ganzseinkönnens enthüllt, ist das eigentliche Ganzseinkönnen ontologisch möglich. Das existenzial entworfene Vorlaufen weist "die ontologische Möglichkeit eines existenziellen eigentlichen Seins zum Tode" (ebd) auf. Diese "Möglichkeit eines eigentlichen Ganz-

Kap. 1, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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seinkönnens des Daseins" (ebd) ist zwar eine existenzial entworfene ontologische Möglichkeit, aber nicht schon eine existenziell bewiesene bzw. bezeugte Möglichkeit. Das existenzial ,mögliche' Sein zum Tode, d.h. die mögliche Ganzheit der Sorge, die aufgrund der existenzial entworfenen Eigentlichkeit des Seins zum Tode enthüllt ist, bedarf daher des existenziellen Beweises, wenn es existenziell nicht nur als eine phantastische Zumutung stehen bleiben soll.20 Insofern stellt sich die weitere Frage, ob das Dasein existenziell eigentlich sein kann, d.h. ob es sich faktisch in einem eigentlichen Sein zum Tode entwirft. 21

c) Die existenzielle Aufweisung der möglichen Eigentlichkeit

der Sorge als Entschlossenheit

a) Ein eigentliches Seinkönnen des Daseins soll als ein solches vom Dasein selbst in seiner existenziellen Seinsmöglichkeit bezeugt werden. 22 Die Bezeugung des eigentlichen Seinkönnens des Daseins ist die Voraussetzung seines Selbstseins. Sofern das Wer des Daseins zumeist und zunächst nicht Ich-selbst, sondern Man-selbst ist, bestimmt sich das eigentliche Selbstsein als "eine existenzielle Modifikation des Man" (SuZ, 355). Die existenzielle Modifikation des Man-selbst zum eigentlichen Selbstsein, d.h. das Sichzurückholen des Daseins aus dem Man, vollzieht sich als "ein Nachholen einer Wahl" (SuZ, 356).23

2U In diesem Zusammenhang kann die Frage gestellt werden, ob die Todesproblematik notwendig ist. (vgl., Günter Figal, Martin Heidegger: Phänomenologie der Freiheit, 221, 232-33). Wäre die Todesproblematik nur die Eigentlichkeitsproblematik, wäre die Einführung der Todesproblematik als existenziale Aufweisung der Eigentlichkeit insofern nicht notwendig, als die Eigentlichkeit zuletzt existenziell bezeugt werden muß. Aber der Verfasser findet den Kernpunkt der Todesproblematik in der Aufweisung der Ganzheit der Sorge. Wenn die Ganzheitsfrage nicht durch die Todesproblematik behandelt wäre, müßte sie der Gewissensanalyse folgen oder in dieser eingeschlossen sein. Das Sein zum Tode als Vorlaufen ist zwar "wesenhaft Angst" (SuZ, 353), "aber nicht nur Angst und erst recht nicht: Angst als bloße Emotion" (SuZ, 353, Anmerkung, a). 21 In diesem Sinne hat Heidegger die sei be Frage in zwei anderen Weisen gestellt: "Die existenziale Struktur dieses Seins (des eigentlichen Seins zum Tode) erweist sich als die ontologische Verfassung des Ganzseinkönnens des Daseins. Das ganze existierende Dasein läßt sich demnach in die existenziale Vorhabe bringen. Aber kann das Dasein auch eigentlich ganz existieren?" (SuZ, 311). "Die ontologische Möglichkeit eines eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins bedeutet solange nichts, als nicht das entsprechende ontische Seinkönnen aus dem Dasein selbst erwiesen ist. Wirft sich das Daseinje faktisch in ein solches Sein zum Tode?" (SuZ, 353-54). 22 Das Bezeugende dieser existenziellen Möglichkeit, das sich als Gewissen enthüllt, wird als dasjenige gefaßt, das die mögliche Eigentlichkeit der Existenz "nicht nur als existenziell mögliche bekundet, sondern von ihm selbst/ordert" (SuZ, 354). 23 Dazu heißt es: "Nachholen der Wahl bedeutet aber Wählen dieser Wahl, Sichentscheiden für ein Seinkönnen aus dem eigenen Selbst. Im Wählen der Wahl ermöglicht

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Denn das Man hat die Wahl des eigentlichen Selbstseins dem Dasein immer schon abgenommen. Für das Sichzurückholen des Daseins aus dem Man aber muß das Selbstseinkönnen ihm selbst zuvor bezeugt werden. Die Bezeugung eines Selbstseinkönnens ist der alltäglichen Selbstauslegung des Daseins als die Stimme des Gewissens bekannt. Das Bezeugende dieser existenziellen Möglichkeit, d.h. das Gewissen, ist es, das die mögliche Eigentlichkeit der Existenz "nicht nur als existenziell mögliche bekundet, sondern von ihm selbst fordert" (SuZ, 354). In welcher Seinsweise des Daseins bezeugt dann ihm gegenüber das Gewissen das Selbstseinkönnen? Um darauf zu antworten, beginnt Heidegger mit der Analyse des Anrufcharakters des Gewissens. Das Gewissen gibt in irgendeiner Weise einem etwas zu verstehen. Insofern erschließt es und konstituiert so das Sein des Da als Erschlossenheit mit. Weil sich das Dasein in die Öffentlichkeit des Man und sein Gerede verliert, hört es auf das Man-selbst und überhört das eigene Selbst. Die Möglichkeit des Hinhörens liegt nur im unvermittelten Angerufenwerden. Dabei ruft der Ruf "lärm los, unzweideutig, ohne Anhalt für die Neugier" (SuZ, 360). Was sich dergestalt rufend zu verstehen gibt, ist das Gewissen. Die Stimme des Gewissens ist alltäglich als "das Zuverstehen-geben" (ebd) ohne Verlautbarung gefaßt. Insofern ist das Rufen des Gewissens "ein Modus der Rede" (ebd), welche die jeweilige Verständlichkeit gliedert. Das Phänomen des Gewissens wird so am Leitfaden der Rede begriffen, welche die Erschlossenheit ausdrücklich gliedert. Wer ist bei dem Rufen des Gewissens der Gerufene? So wie zur Rede das beredete Worüber gehört, so gehört zum Rufen des Gewissens das Beredete als Angerufenes. Beim Rufen wird das Dasein selbst auf das eigene Selbst hin angerufen. Der Angerufene ist also das Dasein selbst. Das Geredete bei diesem Rufen ist aber Nichts, weil der Ruf nichts aussagt und keine Auskunft über die Begebenheit gibt. Beim Rufen redet das Gewissen nicht mit der Verlautbarung, sondern "einzig und ständig im Modus des Schweigens" (ebd). Trotzdem ist der Ruf des Gewissens als Aufruf zum eigensten Selbstseinkönnen ein Rufen des Daseins nach vorne in seine eigensten Möglichkeiten. Der Ruf des Gewissens wird nach seinem reichhaltigen Charakter wie folgt gefaßt: "Anruf des Man-selbst in seinem Selbst; als dieser Anruf der Aufruf des Selbst zu seinem Selbstseinkönnen und damit ein Vorrufen des Daseins in seine Möglichkeiten" (SuZ, 364). Das Selbstseinkönnen wird dem Dasein durch die Stimme des Gewissens gezeigt. Sofern der Ruf des Gewissens als Anrufen, Aufrufen und Vorrufen des Daseins gefaßt wird, stellt sich nun die Frage, wer ruft. Die Unheimlichkeit des Daseins, die sich in der Angst enthüllt, stellt dieses als In-der-Weltsein vor das Nichts der Welt und erschließt ihm das eigenste Seinkönnen. Insofern wird "das im Grunde seiner Unheimlichkeit sich befindende Dasein" (SuZ,

sich das Dasein allererst sein eigentliches Seinkönnen" (SuZ, 356). Dieses Wählen ist also vor allem die Wahl des Selbst.

Kap. I, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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367) als der Rufer gefaßt, der das angerufene Dasein zu seinem Selbstseinkönnen aufruft und so in seinem eigensten Seinkönnen (dem geworfenen In-derWelt-sein) erschließt. Sofern der Ruf das Dasein in seiner Unheimlichkeit ohne jede Verlautbarung ruft, redet der Ruf "im unheimlichen Modus des Schweigens" und ruft das Dasein aus dem öffentlichen Gerede des Man "in die Verschwiegenheit des existenten Seinkönnens" (SuZ, 368) zurück. Das Dasein in der Unheimlichkeit ruft es selbst. Der durch die Angst gestimmte Ruf ist es, der dem Dasein allererst den Entwurf seiner selbst auf sein eigenstes Seinkönnen ermöglicht. Wenn das Dasein in der Unheimlichkeit der Rufer ist, dann ist das Gewissen nichts anderes als das Dasein in der Unheimlichkeit. Wenn das Gewissen in der Unheimlichkeit wurzelt und die Charaktere von Vorruf in das eigene Selbstsein und Rückruf aus dem Man-selbst hat, gründet es in der Struktur der Sorge. In der Unheimlichkeit des in die Welt geworfenenen Seins (Schonsein-in-der Welt) ruft das Dasein das in das Man verfallende Dasein (Sein-bei der besorgten ,Welt') auf zu seinem eigensten Seinkönnen (Sich-vorweg). Das Gewissen ist also ein Phänomen, das innerhalb und aufgrund der Struktur der Sorge möglich ist. So offenbart sich das Gewissen als "Ruf der Sorge" (ebd). Auf die Frage, wer ruft, ist geantwortet: Der, der ruft, ist das Gewissen, das Dasein in der Unheimlichkeit, die Sorge. Dadurch ist auch verständlich gemacht: Das, was das eigenste Seinkönnen des Daseins bezeugt, ist das Gewissen, das Dasein in der Unheimlichkeit, die Sorge. b) Das, was das Gewissen bezeugt, wird nur durch das dem Rufen genuin entsprechende Hören enthüllt. Daher muß der Charakter dieses Hörens und damit der Charakter des Gehörten untersucht werden. Der Charakter des Rufhörens wird durch die Analyse der Gewissenserfahrung aufgezeigt. Das Dasein spricht sich in allen Gewissenserfahrungen als ,schuldig' an. 24 Heidegger glaubt, daß alle ontologischen Untersuchungen von Phänomenon in demjenigen "ansetzen" müssen, "was die alltägliche Daseinsauslegung darüber ,sagt'" (SuZ, 373). Insofern beginnt er bei der Charakterisierung des Rufhörens mit der Analyse der alltäglichen Verständlichkeit vom ,Schuldigsein' und formalisiert daraus die Idee von ,schuldig'. Alltäglich wird das ,Schuldigsein ' als ,Schulden haben', ,schuld sein an', ,sich schuldig machen' oder ,Schuldigwerden an anderen' verstanden. Hier zeigen sich die Charaktere der Idee von ,schuldig' zunächst als Mangel bzw. Fehlen im Sinne von ,Nicht-vorhandensein' und zwar in Bezug auf ein Sollen oder ein Gesetz. Heidegger formalisiert diese Charaktere der Idee von ,schuldig' ontologisch. Demzufolge hat diese Idee nur den Charakter des Nicht und die Bedeutung des Grundseins für ... : "Grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein - das heißt Grundsein einer

24 Gewissenserfahrungen ergeben ich in der Weise, daß "der Ruf das Dasein als ,schuldig' anspricht oder, wie im warnenden Gewissen, auf ein mögliches ,schuldig' verweist oder als ,gutes Gewissen' ein ,keiner Schuld bewußt' bestätigt" (SuZ, 373).

5 Cheong (PHS)

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Nichtigkeit" (SuZ, 376). Hier stellt sich möglicherweise eine Frage, ob diese formale existenziale Idee des ,schuldig' aber eine beliebige Idee ist? Wenn nicht, muß das Schuldigsein auch existenzial im Sein des Daseins aufgezeigt werden. Insofern enthüllt Heidegger in der Struktur der Sorge die Nichtigkeit. Die Geworfenheit hat einen Nichtcharakter. Denn das Dasein ist als geworfenes "nicht von ihm selbst in sein Da gebracht" und hat als Seinkönnen "nicht als es selbst sich zu eigen gegeben" (SuZ, 377). Auch der Entwurf hat einen Nichtcharakter. Der Entwurf gründet im Freisein des Daseins für seine existenziellen Möglichkeiten. Dieses Freisein als Wählenkönnen einer existenziellen Möglichkeit ist aber paradoxerweise "in der Wahl der einen, das heißt im Tragen des Nichtgewählthabens und Nichtauchwählenkönnens der anderen" (SUZ, 378). Die Nichtigkeit der Geworfenheit und des Entwurfs ist als solche der Ermöglichungsgrund der "Nichtigkeit des uneigentlichen Daseins im Verfallen" (ebd). Aus der Nichtigkeit der Strukturmomente der Sorge gesehen, ist die Sorge so "in ihrem Wesen von Nichtigkeit durchsetzt' (ebd). Daß das Dasein schuldig ist, bedeutet existenzial-ontologisch: "das (nichtige) Grund-sein einer Nichtigkeit" (SuZ, 378) bzw. "Grundsein einer Nichtigkeit" (SuZ, 379). Der Charakter des Rufhörens findet sich so in der Erfahrung des Grundseins einer Nichtigkeit. Das Gehörte ist das Grundsein einer Nichtigkeit, d.h. das Schuldigsein.

Wie verhält sich dann das Dasein zum Anruf der Sorge als des Schuldigseins? Aus der Unheimlichkeit ruft das Dasein "sich selbst als faktisch-verfallendes Man zu seinem Seinkönnen auf' (SuZ, 380). Sofern der Ruf das Dasein nach vorne in die Möglichkeit ruft, sich selbst als geworfenes Seiendes existierend zu übernehmen, ist er ein Vorruf Sofern der Ruf das verfallende Dasein zurück in seine Geworfenheit ruft, um sie als den nichtigen Grund zu verstehen, den es in die Existenz aufzunehmen hat, ist er ein Rückruf Der vorrufende Rückruf des Gewissens gibt dem Dasein zu verstehen, daß es schuldig ist, d.h. daß "es - nichtiger Grund seines nichtigen Entwurfs in der Möglichkeit seines Seins stehend - aus der Verlorenheit in das Man sich zu ihm selbst zurückholen soll" (SuZ, 381). Der Ruf als ein vorrufendes Rückrufen ist also das Aufrufen zum Schuldigsein. Dabei heißt das ",rufverstehend hörig seiner eigensten Existenzmöglichkeit" zu sein' ",sich selbst gewählt" zu haben' (SuZ, 382). Mit der Wahl des Selbst in seinem eigensten Seinkönnen ermöglicht sich das Dasein sein bisher verschlossenes eigenstes Schuldigsein. Sofern im Anruf das Manselbst auf das eigenste Schuldigsein des Selbst angerufen wird, ist das Rufverstehen das Sichwählen des Daseins in seinem eigensten Schuldigsein als dem vom Gewissen bekundeten Faktum. Dieses stellt Heidegger wie folgt fest: "Das Rufverstehen ist das Wählen - nicht des Gewissens, das als solches nicht gewählt werden kann. Gewählt wird das Gewissenhaben als Freisein für das eigenste Schuldigsein. Anrufverstehen besagt: Gewissen-haben-wollen" (ebd). Dieses Gewissen-haben-wollen ist das eigentliche Gegenphänomen zur Seinsweise des Verfallens und als solches "die ursprünglichste existenzielle Voraussetzung für die Möglichkeit des faktischen Schuldigwerdens" (ebd). Der Ruf der

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Sorge aus der Unheimlichkeit des In-der-Welt-seins ist der Aufruf des Daseins zum eigensten Schuldigsein. Das Verstehen dieses Anrufs ist das Gewissenhaben-wollen, das Wählen des Freiseins für das eigenste Schuldigsein. c) Gewissen-haben-wollen, d.h. das eigentliche Rufverstehen, ist das "lnsich-handeln-Iassen des eigensten Selbst aus ihm selbst in seinem Schuldigsein", das "phänomal das im Dasein selbst bezeugte eigentliche Seinkönnen" (SuZ, 392) repräsentiert. Somit ist die existenzielle Bezeugung des Seins des Daseins zu seinem eigensten Seinkönnen, d.h. des eigentlichen Seinkönnens des Daseins, erreicht. Hier hebt Heidegger weiter die existenziale Struktur des im Gewissen bezeugten eigentlichen Seinkönnens heraus, um die Grundverfassung der eigentlichen Existenz herauszustellen. Das Gewissen-haben-wollen ist als Rufverstehen ein "Sich-verstehen im eigensten Seinkönnen" (SuZ, 392). Hier findet sich ein Strukturmoment der Sorge, d.h. das Verstehen. Das Rufverstehen erschließt als Verstehen das Dasein in seiner Unheimlichkeit, die sich in der Befindlichkeit der Angst enthüllt. Insofern ist das Rufverstehen "Bereitschaft zur Angst" (ebd). Das so gefaßte Rufverstehen holt zugleich das Dasein aus dem lauten Gerede der Verständlichkeit des Man zurück. Daher gehört zum Gewissen-haben-wollen die Verschwiegenheit als Modus der artikulierenden Rede. Gewissen-haben-wollen ist also als eine Weise der Erschlossenheit des Daseins durch Verstehen, Befindlichkeit und Rede konstituiert. Insofern ist auch die im Gewissen-haben-wollen aufgeschlossene Erschlossenheit durch die Befindlichkeit der Angst, das Sichverstehen aus dem eigensten Schuldigsein und die Rede als Verschwiegenheit konstituiert. Diese im Dasein selbst durch sein Gewissen bezeugte ausgezeichnete Erschlossenheit faßt Heidegger daher als "das verschwiegene angstbereite Sichentwerfen auf das eigenste Schuldigsein" (SuZ, 393).25 Diese Erschlossenheit ist insofern eigentlich, als in ihr das Dasein sich aus seinem eigensten Seinkönnen erschließt. 26 Diese eigentliche Erschlossenheit als "eine Weise der Erschlossenheit" (SuZ, 392) faßt Heidegger terminologisch als "Entschlossenheit" (SuZ, 393). Diese bezeichnet als existenziale Struktur des Gewissen-haben-wollens die Grundverfassung der eigentlichen Existenz. In der Erschlossenheit des Da-seins sind gleichursprünglich die Strukturmomente des In-der-Welt-seins, d.h. die Welt, das In-sein und das Selbst, erschlossen. Insofern "modifiziert" (SuZ, 394) die eigentliche Erschlossenheit die in ihr fundierte Entdecktheit der ,Welt' und die Erschlossenheit des Mitseins der Anderen. In der Entschlossenheit ist das In-sein, d.h. sowohl das besorgen-

25 Zur Charakteristik des Schweigens vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 192-97. 2~ "Das Daein ist eigentlich es selbst, nur sofern es sich als besorgendes Sein bei... und fürsorgendes Sein mit... primär auf sein eigenstes Seinkönnen, nicht aber auf die Möglichkeit des Man-selbst entwirft" (SuZ, 350).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

de Sein zum innerweltlichen Seienden als auch das flirsorgende Mitsein mit den Anderen, "aus dem eigensten Selbstseinkönnen des Daseins heraus bestimmt" (SuZ, 395). Die Entschlossenheit aber ist dasjenige Phänomen, das "nur als verstehend-sieh-entwerfender Entschluß" (ebd) ,existiert'. Heidegger meint mit ,Entschluß' kein aufnehmendes Zugreifen gegenüber vorgelegten und anempfohlenen Möglichkeiten. Vielmehr ist es "gerade erst das erschließende Entwerfen und Bestimmen der jeweiligen faktischen Möglichkeit" (ebd). Insofern gehört zur Entschlossenheit einerseits "die existenzielle, jeweils erst im Entschluß sich bestimmende Unbestimmtheit" (SuZ, 396). Andererseits hat sie jedoch "ihre existenziale Bestimmtheit" (ebd). Die Entschlossenheit ist in ihrem Wozu durch die Existenz als "Seinkönnen in der Weise der besorgenden Fürsorge" (ebd) bestimmt. Sie wird als das Gegenphänomen zu der Unentschlossenheit des Man nur in der Weise des "Sich-aufrufen-Iassen [s] aus der Verlorenheit in das Man" (ebd) vollzogen. Woraufhin das Dasein in der Erschlossenheit sich entschließt, sind "bestimmte faktische Möglichkeiten" (ebd). Was der Entschluß entdeckend ergreift, ist "das faktische Mögliche" (ebd). Der Entschluß und somit die Entschlossenheit sind so durch die Faktizität determiniert. Insofern ist die Entschlossenheit durch die Sorgestruktur, d.h. durch Existenzialität, Faktizität und Verfallen, bestimmt. Die Entschlossenheit im Entschluß "bringt das Sein des Da in die Existenz seiner Situation" (SuZ, 397). Diese Situation hat auch eine räumliche Bedeutung. 27 Sie ist aber kein vorhandener Rahmen flir das Vorkommnis des Daseins. Sie ist auch kein vorhandenes Gemisch der begegnenden Umstände und Zufälle, sondern diejenige, die erst Zufälle als solche dem Dasein begegnen läßt. Sie ist zwar eine Lage, aber keine "allgemeine Lage" (ebd), die aus den nächsten ,Gelegenheiten' besteht. Sie ist "das je in der Entschlossenheit erschlossene Da", worin "der jeweilige faktische Bewandtnischarakter der Umstände" (ebd) enthüllt wird. Mit dem Entschluß kommt das Dasein in seine Situation. Insofern ist die Situation als das Korrelatphänomen zur eigentlichen Erschlossenheit des Daseins die eigentliche Lage. Die Gewißheit des Entschlusses bedeutet "Sichfreihalten für seine mögliche und je faktisch notwendige Zurücknahme" (SuZ, 407-8). Mit diesem Sichfreihalten aber ist nicht die Möglichkeit der Lösung der Entschlossenheit gemeint. Vielmehr bedeutet das Sichfreihalten für die Zurücknahme lediglich "die eigentliche Entschlossenheit zur Wiederholung ihrer selbst" (SuZ, 408). Zur Entschlossenheit als dem Gewissen-haben-wollen gehört die Wahl des Gewissen-habens, des Freiseins für das Schuldigsein. In der Entschlossenheit als Selbstwahl erschließen sich die jeweiligen faktischen

27 "Im Terminus Situation (Lage - ,in der Lage sein') schwingt eine räumliche Bedeutung mit" (SuZ, 397).

Kap. 1, § 7 Die Frage nach dem eigentlichen Ganzsein des Daseins

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Möglichkeiten, unter denen das Dasein eine Möglichkeit wählend findet, ausdrücklich sich überliefert, und wiederholt, was wir in § 11 ausführen wollen. 28 Wenn in der Entschlossenheit als existenzialer Struktur des Gewissenhaben-wo liens dem Dasein die Situation enthüllt wird, dann ist der Gewissensruf selbst das, was das Dasein "in die Situation vorrujt' (SUZ, 398). Wenn der Gewissensruf der Ruf der Sorge ist, dann ist die Entschlossenheit als existenziale Struktur des Gewissen-haben-wollens "die in der Sorge gesorgte und als Sorge mögliche Eigentlichkeit dieser selbst' (ebd). Auf Grund der bisherigen existenzialen Interpretation des Anrufverstehens als Entschlossenheit faßt Heidegger das Gewissen als "die im Grunde des Daseins beschlossene Seinsart, in der es sich selbst - das eigenste Seinkönnen bezeugend - seine faktische Existenz ermöglicht" (SuZ, 398). Als existenziale Struktur des Gewissen-habenwollens ist die Entschlosenheit das verschwiegene, angstbereite Sichentwerfen auf das eigenste Schuldigsein. In diesem ist das eigentliche Seinkönnen des Daseins möglich. Die existenziell mögliche Eigentlichkeit der Sorge liegt in der Entschlossenheit. Als Resume von § 7 läßt sich festhalten: Um das Dasein in seinem Sein zu enthüllen, haben wir das Angstphänomen untersucht, das von Heidegger als diejenige verstehende Befmdlichkeit gefaßt wird, in der das Dasein ihm selbst in ausgezeichneter Weise erschlossen wird. Aus der Analyse des Angstphänomens enthüllt sich das Dasein als faktisch existierendes In-der-Welt-sein. In diesem zeigen sich die fundamentalen ontologischen Charaktere des Daseins, d.h. Existenzialität, Faktizität und Verfallensein. Diese bilden das ontologische Strukturganze des Daseins. Die existenziale Ganzheit dieses Strukturganzen, d.h. die Ganzheit des Seins des Daseins, wird formal als Sich-vorweg - schonsein-in als Sein-bei gefaßt und als Sorge betitelt. Die Dreigliedrigkeit der Sorge struktur, die in dieser Formel gezeigt ist, wird als solche der Ansatz zur Frage nach dem Grund für die Einheit der dreifach gliederten Sorge. Diese Frage ist die Frage nach dem Sinn des Seins des Daseins. Um den Sinn des Seins des Daseins, d.h. den einheitlichen Grund der dreifach gegliederten Sorge, zu enthüllen, muß aber zuerst sowohl die mögliche Eigentlichkeit der Sorge wie auch deren mögliche Ganzheit aufgewiesen werden. Die Ganzheit der Sorge wird 2R Die Entschlossenheit erschließt "die jeweiligen faktischen Möglichkeiten eigentlichen Existierens aus dem Erbe, das sie als geworfene übernimmt. Das entschlossene Zurückkommen auf die Geworfenheit birgt ein Sichüberliefern überkommener Möglichkeiten in sich" (SuZ, 507). Dabei vollzieht sich eindeutig und unzufällig "das wählende Finden der Möglichkeit" (ebd) der Existenz des Daseins, wenn es sich unzweideutig aus seiner eigensten Möglichkeit versteht. Dieses wählende Finden der Möglichkeit seiner Existenz ist das "ursprüngliche Geschehen des Daseins, in dem es sich frei für den Tod ihm selbst in einer ererbten, aber gleichwohl gewählten Möglichkeit überliefert" (ebd). Die auf sich zurückkommende, sich überliefernde Entschlossenheit wird daher zur "Wiederholung einer überkommenen Existenzmöglichkeit" (SuZ, 509). Die Wiederholung besagt das ausdrückliche Sichüberliefern einer Existenzmöglichkeit.

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aus dem existenzialen Entwurf des Seins zum Tode als das Vorlaufen zum Tode aufwiesen, die Eigentlichkeit der Sorge ihrerseits aus der existenziellen Bezeugung des Gewissens als das Gewissen-haben-wollen enthüllt und gemäß dessen existenzialen Struktur als Entschlossenheit betitelt. Die existenziell mögliche Eigentlichkeit der Sorge liegt in der Entschlossenheit. Die existenzial mögliche Ganzheit der Sorge liegt hingegen im Vorlaufen zum Tode. Insofern ergibt sich die Aufgabe des Zusammenbringens von Entschlossenheit, die existenziell bezeugt ist, und Vorlaufen, das existenzial entworfen ist. Durch solches Zusammenbringen soll gezeigt werden, daß das Dasein eigentlich und zugleich ganz existieren kann, und daß ein eigentliches Seinkönnen ursprünglich zugleich ein eigentliches Ganzseinkönnen ist. Diese Aufgabe wird im folgenden Paragraphen als eine vorbereitende Aufgabe für die ursprüngliche Frage nach der Einheit und dem Sinn der Sorge behandelt.

§ 8 Die Zeitlichkeit als der ontologische Seinssinn des Daseins a) Die Sicherung der hermeneutischen Situation und die Aufweisung der Einheit des Seins des Daseins Im existenzialen Entwurf des Seins zum Tode wurde "das eigentliche Sein zum Tode als das Vorlaufen" (SuZ, 400) aufgewiesen. Das Vorlaufen ist das existenzial mögliche eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins bzw. die existenzial mögliche eigentliche Ganzheit der Sorge. In der existenziellen Bezeugung des Gewissens wurde "das eigentliche Seinkönnen des Daseins als Entschlossenheit aufgezeigt und zugleich existenzial interpretiert" (ebd). Wie können aber die beiden Phänomene von Vorlaufen und Entschlossenheit, d.h. die existenzial mögliche Ganzheit der Sorge und die existenziell mögliche Eigentlichkeit der Sorge, ohne beliebige Konstruktion zusammengebracht werden? Heidegger findet die Möglichkeit des Zusammenbringens in der "eigensten existenziellen Seinstendenz" (SuZ, 400) der Entschlossenheit. Dazu heißt es: "Die Entschlossenheit wird eigentlich das, was sie sein kann, als verstehendes Sein zum Ende, d.h. als Vorlaufen in den Tod. [... ] Sie birgt das eigentliche Sein zum Tode in sich als die mögliche existenzielle Modalität ihrer eigenen Eigentlichkeit" (SuZ, 405). Die Entschlossenheit wird nach ihrer Seinstendenz eigentlich zum Vorlaufen. Die Eigentlichkeit tendiert darauf, die Ganzheit zu sein. Insofern ist das Vorlaufen nicht nur die existenzial mögliche Ganzheit, sondern auch die existenziell mögliche Ganzheit. Nun wollen wir aufgrund der Seinstendenz der Entschlossenheit den Zusammenhang zwischen Vorlaufen und Entschlossenheit klar machen. Die Entschlossenheit besagt das Sichverstehen des Daseins auf sein eigenstes Schuldigsein. Dieses Schuldigsein ist immer eine Seinsmöglichkeit des Daseins. Insofern wird es als das Schuldigseinkönnen begriffen. Die Entschlossen-

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heit ist also diejenige, die sich auf dieses Schuldigseinkönnen entwirft, d. h. in diesem sich versteht. Heidegger findet in der Entschlossenheit ihre eigenste Seinstendenz und faßt sie insofern als ,eigentlich das, was sie zu sein tendiert'. Das Worauf der Seinstendenz der Entschlossenheit ist das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins, d.h. das eigentliche Sein zum Tode als einer Seinsmöglichkeit des Daseins, welche erst durch das Vorlaufen als solche Möglichkeit erschlossen wird. 29 Dann wird die Entschlossenheit nur als vorlaufende ein ursprüngliches Sein, d.h. das eigentliche Sein zum Tode: "Das Vorlaufen macht das Schuldigsein erst aus dem Grunde des ganzen Seins des Daseins offenbar. Die Sorge birgt Tod und Schuld gleichursprünglich in sich. Die vorlaufende Entschlossenheit versteht erst das Schuldigseinkönnen eigentlich und ganz, das heißt ursprünglich" (SuZ, 406). Die Frage nach der möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit der Sorge wird also mit der vorlaufenden Entschlossenheit beantwortet. Die Eigentlichkeit und Ganzheit der Sorge vollzieht sich in der vorlaufenden Entschlossenheit des Daseins. In dieser existiert das Dasein als eigentliches Ganzseinkönnen. Daß mit der vorlaufenden Entschlossenheit das Dasein in seiner möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit offenbar wird, bedeutet schon, daß das Dasein existenziell eigentlich und ganz existieren kann. Damit ist die hermeneutische Situation für die ursprüngliche Interpretation des Seinssinnes des Daseins gesichert. 30 Was für eine Bedeutung aber gewinnt die Sicherung der Ursprünglichkeit der hermeneutischen Situation für die Daseinsanalytik? Heidegger faßt diese Bedeutung als einen Gegenzug zur verfallenden Tendenz der Daseinsauslegung. Der Weg der Analytik des Daseins ist nicht einfach. Denn die Alltäglichkeit des Seins des Daseins ist entfernt von seiner Ursprünglichkeit. Die Alltäglichkeit ist das verfallende Sein beim Nächstbesorgten der ,Welt'. Weil das verfallende Sein nur die alltägliche Daseinsauslegung führt, verdeckt es das eigentliche Sein des Daseins. Insofern kann diejenige Ontologie, die auf die Alltäglichkeit orientiert ist und dem Zuge des alltäglichen Seins des Daseins folgt, 29 Von dem inneren notwendigen Zusammenhang des Vorlaufens mit der Entschlossenheit sagt Heidegger folgendes: Die Wahl des Gewissenhabenwollens "muß sich allerdings nicht einzig in diesem Vorlaufen vollziehen. Das Gewissenhabenwollen kann sich auch sonst aktuieren, aber sofern es im Dasein darauf ankommt, sich im Verstehen der vollen Durchsichtigkeit des Daseins als eines Ganzen zu wählen, besteht nur diese einzige Möglichkeit des Vorlaufens zum Tode, um das Dasein nicht für die nächsten zwei Tage, sondern in diesem Sein selbst zu wählen. Das Vorlaufen ist die Wahl des Gewissenhabenwollens" (Prol, 449). 30 Denn "das Dasein ist ursprünglich, das heißt hinsichtlich seines eigentlichen Ganzseinkönnens in die Vorhabe gestellt, die leitende Vor-sicht, die Idee der Existenz, hat durch die Klärung des eigensten Seinkönnens ihre Bestimmtheit gewonnen, mit der konkret ausgearbeiteten Seinsstruktur des Daseins ist seine ontologische Eigenart gegenüber allem Vorhandenen so deutlich geworden, daß der Vorgriff auf die Existenzialität des Daseins eine genügende Artikulation besitzt, um die begriffliche Ausarbeitung der Existenzialien sicher zu leiten" (SuZ, 411-12).

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das ursprüngliche Sein des Daseins nicht freilegen. Insofern heißt es: "Die Freilegung des ursprünglichen Seins des Daseins muß ihm vielmehr im Gegenzug zur verfallenden ontisch-ontologischen Auslegungstendenz abgerungen werden" (SuZ, 412). Dies bedeutet, daß sich die ursprüngliche Interpretation des Daseins zuerst "das Sein dieses Seienden gegen seine eigene Verdeckungstendenz erobert" (SuZ, 412-13). Diese Interpretation hat insofern für die beruhigte Selbstverständlichkeit der alltäglichen Auslegung den Charakter einer "Gewaltsamkeit" (SuZ, 413). Wenn die Interpretation als verstehender Entwurf den Charakter einer ,Gewaltsamkeit' hat, ist sie dann kein freies Belieben? Diesen Einwand vorwegnehmend, betont Heidegger, daß die Interpretation des Daseins trotz ihrer ,Gewaltsamkeit' eine eigene Leitung und Regelung hat, welche ihre phänomenologische Angemessenheit sichert. Diese Regelung liegt in der Selbstauslegung bzw. im Selbstverständnis des Daseins, die Leitung ihrerseits im Seinsverständnis des Daseins. Die ontologische Interpretation ist das Entwerfen des vorgegebenen Seienden auf das ihm eigene Sein, um es hinsichtlich seiner Struktur auf den Begriff zu bringen. Das eigene Sein des Daseins ist schon im Selbstverständnis des Daseins erschlossen und zwar in seinen Möglichkeiten: "Dasein versteht sich faktisch immer schon in bestimmten existenziellen Möglichkeiten, mögen die Entwürfe auch nur der Verständigkeit des Man entstammen. Existenz ist, ob ausdrücklich oder nicht, ob angemessen oder nicht, irgendwie mitverstanden" (ebd). Die bestimmten Seinsmöglichkeiten des Daseins sind diesem immer schon vorontologisch erschlossen. Auf dem Grunde dieser ontischen-existenziellen Seinsmöglichkeiten ist die ontologisch-existenziale Interpretation des Daseins vollzogen. Diese Interpretation hat also beide vom Dasein immer schon verstandenen existenziellen Möglichkeiten, d.h. die Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit des Seins des Daseins,3! zugrundegelegt und sie existenzial, d.h. hinsichtlich der Existenzialität, interpretiert. Das heißt: Die ontologische Interpretation des Seins des Daseins ist in der Weise vollzogen, "ontische Möglichkeiten (Weisen des Seinkönnens) zugrundezulegen und diese auf ihre ontologische Möglichkeit zu entwerfen" (SuZ, 414), um der ontologischen Interpretation den ontischen Boden zu geben. Sofern die ontischen Möglichkeiten immer schon vom Dasein verstanden sind, ist ihre Zugrundelegung nichts Beliebiges. Die vorlaufende Entschlossenheit, die als existenziell eigentliches Seinkönnen zugrundgelegt wurde, ist diejenige, "zu welcher Möglichkeit das Dasein selbst aufruft und gar aus dem Grunde seiner Existenz" (ebd). Insofern ist es kein Beliebiges. 31 Hinsichtlich der Jemeinigkeit des Daseins kann dies wie folgt geklärt werden: Das Dasein ist überhaupt durch Jemeinigkeit bestimmt, aufgrund dieser Jemeinigkeit ergeben sich beide Seinsmöglichkeiten, d.h. die Existenz als Ich-selbst und die Existenz als Man-selbst (vgl. SuZ, 56f, 168 fi). Diese bei den Modi des Selbstseins des Daseins sind zwei Möglichkeiten der Existenz.

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Das Dasein legt sich zumeist aus der Verlorenheit in das Besorgen der ,Welt' aus. Insofern ist die im Gegenzug zu einer solchen Auslegung des"Daseins vollzogene Bestimmung der ontisch-existenziellen Möglichkeiten und die darauf gegründete existenziale Analyse dem verfallend sichauslegendem Dasein gegenüber eine "angemessene Erschließungsweise" (SuZ, 414). Die ,Gewaltsamkeit' des Entwurfs kommt also zu ,einer jeweiligen Freigabe des unverstellten phänomenalen Bestandes des Daseins" (ebd). Für die ursprüngliche Analytik des Daseins handelt es sich daher um "die ,gewaltsame' Vorgabe von Möglichkeiten der Existenz" (ebd). Die bisherige existenziale Analytik hat für die ursprüngliche Analytik zusammen mit der Seinsweise der Alltäglichkeit "die Seinsweise, gemäß der sich das Seinkönnen des Daseins zu seiner ausgezeichneten Möglichkeit, dem Tod, verhält" (ebd), als eigentliches Ganzseinkönnen vorgegeben. 32 Diese Vorgabe kann insofern nicht als etwas Beliebiges gefaßt werden, als das In-der-Welt-sein nie "eine höhere Instanz seines Seinkönnens als seinen Tod" (ebd) hat. Das eigentliche Ganzsein des Daseins ist kein zufällig aufgegriffenes. Jedoch bleibt noch ein Problem in Bezug auf den Begriff der Existenz selbst. Die existenziale Interpretation des eigentlichen Ganzseinkönnens hat eine, vorausgesetzte' Idee der Existenz überhaupt zu ihrem Leitfaden. Daher stellt sich ein Rechtfertigungsproblem der Voraussetzung der Existenzidee. Woher nimmt diese Existenzidee ihr Recht? Heidegger stellt fest, daß sie von dem im Dasein selbst liegenden Seinsverständnis "geleitet" (SuZ, 415) ist. Wenngleich ohne zureichende ontologische Bestimmtheit, versteht das Dasein sowohl sein Sein (In-der-Welt-sein) als auch das Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden (Zuhandensein und Vorhandensein). Die Existenzidee, die am Anfang der vorbereitenden Daseinsanalyse angesetzt wurde und den Entwurf des Daseins auf sein eigentliches Ganzseinkönnen führte, ist lediglich "die existenziell unverbindliche Vorzeichnung der formalen Struktur des Daseinsverständnisses überhaupt" (ebd). Unter dem Leitfaden der Existenzidee wurden die vorbereitende Analyse der Alltäglichkeit und die erste begriffliche Umgrenzung der Sorge vollzogen. Aufgrund dieser Umgrenzung der Sorgestruktur in ,Sein und Zeit' (1. Teil, 6. Kap., § 41) hat Heidegger weiter eine erste ontologische Unterscheidung von Existenz und Realität vollzogen (§ 43).33 Die Existenzidee selbst ,setzt' ebenso wie

32 Die Vorgabe der eigentlichen Existenz wurde in der Weise der Modifizierung der uneigentlichen Existenz vollzogen: ,,[ ... ] die eigentliche Existenz [ist] nichts, was über der verfallenden Alltäglichkeit schwebt, sondern existenzial nur ein modifiziertes Ergreifen dieser" (SuZ, 238). 33 Zur Realität des Realen gehört "der Charakter des An-sich und der Unabhängigkeit" (SuZ, 268). Weil aber das Reale nur als innerweltliches Seiendes zugänglich ist, ist aller Zugang zum Realen "ontologisch fundiert in der Grundverfassung des Daseins, dem In-der-Welt-sein" (ebd). Insofern wird festgestellt, daß "Realität ontologisch im

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die dagegen abgegrenzte Realitätsidee die Idee von Sein überhaupt voraus, die als letzte Aufgabe nicht schon aufgeklärt ist: "die Idee der Existenz und des Seins überhaupt wird ,vorausgesetzt' und ,damach' das Dasein interpretiert, um daraus die Idee des Seins zu gewinnen" (SuZ, 416). Das ,Voraussetzen' der Existenzidee ist aber kein Ansetzen eines Satzes rur eine Deduktion von Sätzen über das Sein des Daseins. Vielmehr ist dieses ,Voraus-setzen' die Ansetzung des Ansatzes als die Ausarbeitung des Zugangs zu den Sachen (Sein überhaupt).34 Sofern sich das Dasein je schon auf bestimmte Möglichkeiten seiner Existenz entworfen und in solchen existenziellen Entwürfen vorontologisch so etwas wie Existenz und Sein mit entworfen hat, kann die Fundamentalontologie als Seinsfrage nur in der Weise durchgefiihrt werden, daß die Forschung von der Existenz her das zu dieser gehörige Seinsverständnis ausbildet und so begreift. Darur muß die Idee der Existenz vorausgesetzt werden. Die Forschung muß, von der Existenzidee ausgehend, die zusammen mit der Idee des Seins überhaupt vorausgesetzt ist, durch die Ausbildung des Seinsverständnisses dieser Existenz zuletzt die Idee des Seins überhaupt gewinnen. In solchem Kreis vollzieht sich die Fundamentalontologie. 35 Es gilt rur die Fundamentalontolo-

Sein des Daseins gründet" (SuZ, 280). Das Verständnis der Existenz und des Seins überhaupt wird erst durch die vorlaufende Entschlossenheit als ursprüngliche und eigentliche Wahrheit gewährleistet, und nicht durch das verfallende Sein des Daseins an das Seiende. Denn dieses begreift das Sein nur im Sinne von Vorhandenheit und verdeckt so die Wahrheit als "Entdecktheit und Entdeckendsein" (SuZ, 291) und zugleich die ursprüngliche Wahrheit als "Erschlossenheit des Daseins" (SuZ, 292) . Daher heißt es: "Wenn es aber Sein nur ,gibt', sofern Wahrheit ,ist', und je nach der Art der Wahrheit das Seinsverständnis sich abwandelt, dann muß die ursprüngliche und eigentliche Wahrheit das Verständnis des Seins des Daseins und des Seins überhaupt gewährleisten" (SuZ, 419). 34 Denn in der Daseinsanalytik geht es "nicht um eine Deduktion von Sätzen und Satzfolgen auseinander, sondern die Ausarbeitung des Zuganges zu den Sachen, aus denen erst Sätze geschöpft werden sollen" (Prol, 198). 35 Heidegger erläutert im § 32 ,Verstehen und Auslegung' einen Zirkel der Auslegung, der in einem inneren Zusammenhang mit dem Zirkel der Entfaltung der Fundamentalontologie steht. Dort heißt es: "Alle Auslegung, die Verständnis beistellen soll, muß schon das Auszulegende verstanden haben" (SuZ, 202). Für die Auslegung steht die Aufgabe der "Erftillung der Grundbedingungen möglichen Auslegens" (SuZ, 203) vor uns. Diese Aufgabe ist es, das Auslegen "nicht zuvor hinsichtlich seiner wesenhaften Vollzugsbedingungen zu verkennen", d.h. dem Auslegen ,jeweils Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff nicht durch Einfälle und Volksbegriffe vorgeben zu lassen" (ebd). Die Auslegung legt aufgrund der Versicherung ihrer Vollzugsbedingungen das schon Verstandene ausdrücklich aus. Als solche ist die Auslegung, bzw. das ausdrückliche Verstehen zirkelhaft. Dieser Zirkel wird als ",Zirkel' im Verstehen" (SuZ, 204) bzw. ",Zirkel' des Verstehens" (SuZ, 418) gekennzeichnet. Weil das Verstehen eine Grundart des Seins des Daseins ist, gehört zum Sein des Daseins "eine ontologische Zirkelstruktur" (ebd). Sofern die verstehende Auslegung die ausdrückliche Aneignung des schon Verstandenen ist, ist sie zugleich eine Wiederholung, wodurch auch die Historie als Wissenschaft möglich ist (vgl. SuZ, 203f, 521 f.), wie wir im 12. Paragraphen untersuchen werden.

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gie, "ursprünglich und ganz in diesen ,Kreis' zu springen, um sich schon im Ansatz der Daseinsanalyse den vollen Blick auf das zirkelhafte Sein des Daseins zu sichern" (SuZ, 418). Sofern das Dasein in sich das verstehende Entwerfen des Seins (vorontologisches Seinsverstehen) ist, kann auch die Seinsfrage (ontologisches Seinsverstehen), die selbst eine Seinsart des Daseins ist, nur in der Weise des verstehenden Entwerfens des schon verstandenen Seins vollzogen werden. Zur Beantwortung der Seinsfrage also muß das Dasein hinsichtlich seines verstehenden Entwurfes, d.h. der Existenz, zuerst ausgearbeitet werden. Aufgrund der Interpretation des Daseins am Leitfaden der Existenzidee ist das zum Dasein gehörende Seinsverständnis zu fassen. Durch die Ausarbeitung dieses Seinsverständnisses wird die ontologisch geklärte Idee des Seins überhaupt gewonnen. Insofern ist die ,Voraussetzung' der Existenzidee für die Entfaltung der hermeneutischen Fundamentalontologie unumgänglich. Die Vor-sicht auf die Existenz, die selbst in der Seinsweise des Daseins gründet und die hermeneutische Situation mit konstituiert, ist in der Fundamentalontologie, die mit der hermeneutischen Interpretation des Seins des Daseins beginnt, eine Notwendigkeit. Insofern ist die hermeneutische Situation der Daseinsanalytik nicht nur hinsichtlich der Ursprünglichkeit des Seins des Daseins, sondern auch hinsichtlich sowohl des Beliebigkeitsproblems der Vorgabe des eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins (aufgrund des Selbstverständnisses des Daseins) wie auch des Rechtjertigungsproblems der Voraussetzung der Existenzidee (aufgrund des Seinsverständnisses des Daseins) gesichert.

b) Die Einheit der Ganzheit der Sorge als deren Selbst-ständigkeit

Wir werden nun enthüllen, daß die Einheit der Ganzheit des Daseins in der Selbstheit der Sorge liegt. Die Ausarbeitung dieses Einheitsproblems ist insofern notwendig, als der Grund für die Einheit des Seins des Menschen traditionell im ,Ich' gesucht wurde, indem die ursprüngliche Frage nach der Ichheit des Ich nicht gestellt wurde. (vgl. GA21, 227). Die erste ontologische Umgrenzung der Ganzheit des Daseins wurde durch die Einheit der konstitutiven Momente der Sorge, d.h. von Existenzialität, Faktizität und Verfallenheit, vollzogen: Dabei hatte die Ganzheit der Sorgestruktur die folgende existenziale Formel: Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden). Obwohl diese Formel aufgrund der Analyse des alltäglichen Seins des Daseins ausgebildet ist, drückt sie das eigentliche Ganzseinkönnen des Daseins formal aus. Denn wenn das Sein zum Tode das Sichverhalten zur ausstehenden Möglichkeit bedeutet, ist dieses ein ausgezeichneter Modus des Sich-vorweg als eines Strukturmomentes der Sorge. Wenn das Gewissenhaben-wollen, d.h. der Entwurf des Daseins auf sein eigenstes Seinkönnen, zur Sorge gehört, gehört ein existenziell mögliches eigentliches Ganzseinkönnen zur Sorge selbst. Daher heißt es: "Die Sorgestruktur spricht nicht gegen ein

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mögliches Ganzsein, sondern ist die Bedingung der Möglichkeit solchen existenziellen Seinkönnens" (SuZ, 420). Sofern aber nun die Eigentlichkeit der Sorge enthüllt ist, soll die Einheit des ganzen Seins des Daseins nicht nur formal, sondern hinsichtlich der Eigentlichkeit der Sorge herausgestellt werden. Wenn das Dasein ein mögliches Ganzsein ist, wie existiert es dann in diesem ganzen Existieren einheitlich? Heideggers Antwort lautet: "Offenbar nur so, daß es dieses Sein in seinen wesenhaften Möglichkeiten selbst ist, daß je ich dieses Seiende bin" (ebd). Diese Antwort besagt, daß die Einheit des Seins des Daseins mit Rücksicht auf die Selbstheit des Selbst gefaßt werden soll. Sofern aber das Sein des Daseins als die Sorge gefaßt ist, muß die Frage nach der Selbstheit des Selbst zur "Frage nach dem existenzialen ,Zusammenhang' zwischen Sorge und Selbstheit' (SuZ, 421) werden. Traditionell wird der Grund für die Einheit des Seins des Menschen im ,Ich' gefunden: "Das ,Ich' und das ,Selbst' wurden von jeher in der ,Ontologie' dieses Seienden als der tragende Grund (Substanz bzw. Subjekt) begriffen" (ebd). Heideggers Frage nach der Einheit des Menschseins ist aber die ontologische Frage, d.h. die Frage nach der Seinsstruktur des Seins des Daseins, die die Weise des Seins des ,Ich' ermöglicht. Geläufig ist die Meinung, daß das ,Ich' die Ganzheit des Strukturganzen des Menschen ,zusammenhält'. Wie ist aber dabei die Ichheit des Ich, die Selbstheit des Selbst gefaßt? Das Ich ist z.B. von Kant als der tragende Grund alles Beziehens gefaßt. Dieses ,Ich' ist für ihn dasjenige, das als ,ich denke' das Subjekt des logischen Verhaltens des Verbindens ist. (vgl. GA2l, 328 ff.). Das ,Ich' von Kant ist zwar kein vorgestelltes, kein empirisches Subjekt, sondern es ist als Form der Vorstellung das Bewußtsein an sich. Jedoch ist seine Auffassung des ,Ich' hinsichtlich der Enthüllung der Selbstheit des Ich begrenzt. 36 Bei ihm ist das ,Ich' nicht ausgewertet. Er weiß zwar schon, daß das ·lch' als ·ich denke' auf seine Vorstellungen bezogen ist und daß es sie ,begleitet' und ihnen ,anhängt'. Aber die Seinsart dieses ,Anhängens' und ,Begleitens' wird von ihm im Grund als "ständiges Mitvorhandensein des Ich mit seinen Vorstellungen" (SuZ, 425) verstanden. Das ,Ich denke' ist auch bei Kant immer ,Ich denke etwas', wenngleich dieses ,etwas' bei ihm "unbestimmt' (ebd) ist. Wenn aber dieses ,etwas' phänomenal nur in und aufgrund einer Welt begegnet, muß für Begegnen von ,etwas' die Welt vorausgesetzt werden. Das Dasein erschließt die Welt und existiert als diese Erschlos3fi Heidegger faßt diese Begrenztheit wie folgt: "Das Positive an der Kantischen Analyse ist ein Doppeltes: einmal sieht er die Unmöglichkeit der ontischen Rückführung des Ich auf eine Substanz, zum anderen hält er das Ich als ,Ich denke' fest. Gleichwohl faßt er dieses Ich wieder als Subjekt und damit in einem ontologisch unangemessenen Sinn. Denn der ontologische Begriff des Subjekts charakterisiert nicht die Selbstheit des Ich qua Selbst, sondern die Selbigkeit und Beständigkeit eines immer schon Vorhandenen" (SuZ, 423). Die Bestimmung des ,Ich' als Subjekt ist aus der Ansetzung des Vorhandenen bzw. Anwesenden vollzogen (vgl. SuZ, 424, BüH, 329).

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senheit. 37 Weil aber von Kant Welt nicht als ein immer schon erschlossenes Phänomen gedacht ist, ist es für ihn unvermeidlich, "die ,Vorstellungen' vom apriorischen Gehalt des ,Ich denke' fernzuhalten" (ebd) und damit das Ich weiter auf "ein isoliertes Subjekt, das in ontologisch völlig unbestimmter Weise Vorstellungen begleitet" (ebd) zurückzudrängen und so, daß das Ich nicht als In-der-Welt-sein gefaßt wird, das die Seinsverfassung des Daseins betitelt. 38 Sofern sich das Dasein schon als das In-der-Welt-sein versteht und ausspricht, ist das ,Ich' im Ich-sagen "das Seiende, das je ich bin als ,Ich-bin-ineiner-Welt'" (ebd). Daher wird festgestellt: "Im Ich-sagen spricht sich das Dasein als In-der-Welt-sein aus" (ebd). Das alltägliche Dasein aber versteht sich zunächst und zumeist von dem besorgten Seienden her. In der alltäglichen IchRede spricht sich das Man-selbst, das ich nicht eigentlich bin, aus. Sofern das Dasein in seiner Alltäglichkeit in der alltäglichen Vielfältigkeit aufgeht, zeigt sich das Selbst alltäglich als "das ständig selbige, aber unbestimmt-leere Einfache" (SuZ, 426). Die Selbstheit des Selbst faßt Heidegger existenziell weder als eine einfache Vorhandenheit eines Vorhandenen noch als eine Substantialität einer Substanz. Sie bedeutet als ein existenzielles Phänomen "die Ständigkeit des Selbst" (SuZ, 427). Die Selbstheit des Selbst liegt in der Selbst-ständigkeit. Als diese ist die Selbstheit nicht am Man-selbst abzulesen. Denn das Dasein ist alltäglich nicht selbst-ständig. Wenngleich sich das Dasein im Ich-sagen als das In-der-Welt-sein ausspricht, spricht es sich mit ,Ich' "zunächst und zumeist in der ,flüchtigen' Ich-Rede des Besorgens" (SuZ, 426) aus. Dabei wird nur das 37 Dazu heißt es: "Die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gründet in der Erschlossenheit der Welt. Erschlossenheit aber ist die Grundart des Daseins, gemäß der es sein Da ist" (SuZ, 292). 38 Heidegger verdeutlicht diese Problematik an anderen Stellen hinsichtlich der Kantischen Interpretation des Zeitcharakters des Ich-denke. Bei Kant bildet die Zeit als reine Selbstaffektion "das Wesen von so etwas wie Sich-selbst-angehen" und somit "die Wesensstruktur der Subjektivität" (KPM, 183). Kant findet die Möglichkeit der Mir-zugehörigkeit des Ich zuerst in der transzendentalen Apperzeption (vgl. GA21, 327, GA25, 374,383), aber noch weiter in der Zeit als Selbstaffektion (vgl. GA21, 342, GA25, 387, 395). Wenn Kant das Ich wie folgt charakterisiert: ,Denn das stehende und bleibende Ich (der reinen Apperzeption) macht das Korrelatum aller unserer Vorstellungen aus' (AI23), ist die Bestimmung des Ich "fast wörtlich die Definition der Zeit, die nach Kant absolut steht und beharrt und das Korrelatum aller Erscheinungen überhaupt ist" (GA21, 406, vgl. GA25, 393). Jedoch reißt Kant Zeit und Ich-denke absolut auseinander. Darin liegt die Grenze der Kantischen Interpretation des Zeitcharakters des Ichdenke. Was diese Grenze bei Kant motiviert, ist "der dogmatische Ansatz der Cartesianisehen Position" (GA21, 406), d.h. die Position, daß die apriorische Einheit im cogito me cogitare gründet (vgl. GA21, 324). Für Heidegger ist das Sein des Daseins hinsichtlich seiner zeitlichen Bestimmtheit "selbst Zeit, die Faktizität der Zeit selbst" (GA21, 409), die Zeit und das ,ich denke' sind in ihrem Wesensverhältnis "dasselbe" (KPM, 185). Das Dasein ist bei Heidegger "im Übergang entrückt und daher wesenhaft ,abwesend'" (GA29130, 531). Die Selbstheit des Daseins gründet nicht in der Vorhandenheit, sondern in seiner ekstatisch sichkonstituierenden Ab-wesenheit. Als solche ist das Sein des Daseins die ekstatische Existenz bzw. Ek-sistenz. Vgl.: § 19 b.

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Man-selbst ausgesprochen. Im unentschlossenen Verfallen existiert das Dasein als Man-selbst, besorgend für die Vielfältigkeit des Besorgten und somit in der Unselbst-ständigkeit. Das Man-selbst ist nicht eigentlich das Dasein selbst. Das Man-selbst ist also der privative Modus des eigentlichen Selbst.l 9 Insofern kann die Selbstheit des Selbst nur an der eigentlichen Existenz des Selbst herausgestellt werden: "Die Selbstheit ist existenzial nur abzulesen am eigentlichen Selbstseinkönnen, das heißt an der Eigentlichkeit des Seins des Daseins als Sorge" (SuZ, 427). Die Ständigkeit des Selbst, mit der Heidegger sowohl die Beständigkeit wie auch die Standfestigkeit meint,40 enthüllt sich existenzial in der vorlaufenden Entschlossenheit. Gerade die ontologische Struktur der vorlaufenden Entschlossenheit enthüllt die ontologische Verfassung der Selbstheit des Selbst. Insofern wurzelt die Selbstheit in der Sorge: ,,Die Sorge bedarf nicht der Fundierung in einem Selbst, sondern die Existenzialität als Konstitutivum der Sorge gibt die ontologische Verfassung der Selbst-ständigkeit des Daseins, zu der, dem vollen Strukturgehalt der Sorge entsprechend, das faktische Verfallensein in die Unselbst-ständigkeit gehört" (SuZ, 428). Die Ganzheit der Sorge wird in ihrer Einheit nur in der Selbstheit der Sorge aufgezeigt, welche sich in der vorlaufenden Entschlossenheit enthüllt. Die Einheit der Ganzheit der Sorge liegt also in der Selbstheit der Sorge als deren Selbstständigkeit. Damit kommen wir in die Lage, die Interpretation des Sinnes der Sorge zu vollziehen.

c) Die Herausstellung des ontologischen Sinnes der Sorge als Zeitlichkeit Die Bestimmung der Selbstheit des Daseins als Selbst-ständigkeit dient "der letzten Vorbereitung der phänomenalen Erfassung der Ganzheit des Strukturganzen des Daseins" (ebd). Die eigentliche Existenz des Daseins konstituiert sich als vorlaufende Entschlossenheit. Diese vorlaufende Entschlossenheit enthüllt als die Eigentlichkeit der Sorge "die ursprüngliche Selbst-ständigkeit und Ganzheit des Daseins" (ebd). Sofern durch die vorlaufende Entschlossenheit die ursprüngliche Selbst-ständigkeit und eigentliche Ganzheit des Daseins gesichert ist, ist es möglich, den ontologischen Sinn der Sorge herauszustellen. Heidegger meint mit "Sinn" "das, worin sich die Verstehbarkeit von etwas hält, ohne daß es selbst ausdrücklich und thematisch in den Blick kommt" (SuZ, 428-29), und im strengen Sinne "das Woraufhin des primären Entwurfs, aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann"

39 "Es zeigt sich, zunächst und zumeist ist das Dasein nicht es selbst, sondern im Man-selbst verloren. Dieses ist eine existenzielle Modifikation des eigentlichen Selbst" (SuZ,420). 40Vgl.: § 11 a).

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(SuZ, 429, vgl. GdP, 22).41 Insofern bedeutet die Enthüllung des Sinnes der Sorge, "den der ursprünglichen existenzialen Interpretation des Daseins zugrundeliegenden und sie leitenden Entwurf so verfolgen, daß in seinem Entworfenen dessen Woraufhin sichtbar wird" (ebd). Das Entworfene des ursprünglichen existenzialen Entwurfs der Existenz ist die vorlaufende Entschlossenheit. Was ist dann der Horizont (Grund) rur das Verständnis der Einheit des dreifach gegliederten Strukturganzen der Sorge? Heidegger enthüllt von der Analyse des Bewegungs- bzw. des Geschehenscharakters der vorlaufenden Entschlossenheit her das Woraufhin bzw. den Grund der Einheit der Sorge als die Zeitlichkeit des Daseins. Die vorlaufende Entschlossenheit ist das Sein zum eigensten ausgezeichneten Seinkönnen. Das Sein des Daseins zur eigensten Möglichkeit ist nur möglich, sofern dieses "überhaupt in seiner eigensten Möglichkeit auf sich zukommen kann und die Möglichkeit in diesem Sich-auf-sich-zukommenlassen als Möglichkeit aushält" (SUZ, 430). Heidegger faßt "das die ausgezeichnete Möglichkeit aushaltende, in ihr sich auf sich Zukommen-lassen" als "das ursprüngliche Phänomen der Zukunft" (ebd). Damit das Auf-sieh-Zukommen vollzugshaft geschehen kann, muß es ursprünglich schon zum Sein des Daseins gehören. Weil das Dasein ursprünglich-wesenhaft zukünftig ist, kann es sich in der vorlaufenden Entschlossenheit auf sich zukommen lassen. Hier stellt Heidegger den Bezug von der ursprünglich-eigentlichen Zukünftigkeit und der ursprünglich-wesenhaften Zukünftigkeit fest: "Das Vorlaufen macht das Dasein eigentlich zukünftig, so zwar, daß das Vorlaufen selbst nur möglich ist, sofern das Dasein als seiendes überhaupt schon immer auf sich zukommt, das heißt in seinem Sein überhaupt zukünftig ist" (SuZ, 431). In der vorlaufenden Entschlossenheit versteht das Dasein sich in seinem wesenhaften Schuldigsein. Dieses Verstehen besagt: "das Schuldigsein bzw. geworfene Sein existierend übernehmen und als geworfener Grund der Nichtigkeit sein." (ebd). Diese Übernahme der Geworfenheit42 ist aber nur insofern möglich, als "das zukünftige Dasein sein eigenstes ,wie es je schon war", das 41 Der Zugang des Daseins zum Seienden ist nur insofern möglich, als das Sein des Seienden zuerst aus dem Sinn von Sein überhaupt erschlossen ist: "Wenn wir sagen: Seiendes ,hat Sinn', dann bedeutet das, es ist in seinem Sein zugänglich geworden, das allererst, auf sein Woraufhin entworfen, ,eigentlich' ,Sinn hat'. Das Seiende ,hat' nur Sinn, weil es, als Sein im vorhinein erschlossen, im Entwurf des Seins, das heißt, aus dessen Woraufhin verständlich wird. Der primäre Entwurf des Verstehens von Sein ,gibt' den Sinn. Die Frage nach dem Sinn des Seins eines Seienden macht das Woraufhin des allem Sein von Seiendem zugrundeliegenden Seinsverstehens zum Thema" (SuZ, 429-30). 42 Diese Übernahme wird terminologisch als die Wiederholung bezeichnet: "Im Zurückkommen auf sich selbst holt es sich mit all dem, was es ist, wieder in sein eigenstes ergriffenes Seinkönnen hinein. Der zeitliche Modus, in dem es, wie und was es gewesen, ist, nennen wir die Wiederholung" (GdP, 407).

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heißt sein ,Gewesen' sein kann" (ebd). Damit das Dasein vollzugshaft sein ,Gewesen' sein kann, muß das Dasein ursprünglich-wesenhaft gewesen sein. Insofern stellt Heidegger den Bezug von der ursprünglich-eigentlichen Gewesenheit und der ursprünglich-wesenhaften Gewesenheit fest: "Nur sofern Dasein überhaupt ist als ich bin-gewesen, kann es zukünftig auf sich selbst so zukommen, daß es zurück-kommt" (ebd). Weil das Dasein wesenhaft gewesend ist, kann es zukünftig, somit eigentlich auf sich zurückkommen. In der vorlaufenden Entschlossenheit erschließt sich die jeweilige Situation des Da. In dieser Situation besorgt die Existenz handelnd das faktisch umweltlich Zuhandene umsichtig. Dabei ist das entschlossene Sein bei dem Zuhandenen, d.h. das handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden, "nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden" (ebd). Nur aufgrund der Gegenwart ist sowohl das unverstellte wie das verstellte Begegnenlassen möglich. 43 Insofern stellt Heidegger den Bezug von der ursprünglich-wesenhaften Gegenwart und der ursprünglich-eigentlichen Gegenwart fest: "Nur als Gegenwart im Sinne des Gegenwärtigens kann die Entschlossenheit sein, was sie ist: das unverstellte Begegnenlassen dessen, was sie handelnd ergreift" (ebd). Sowohl das entschlossene als auch unentschlossene Sein bei dem Seienden bzw. sowohl das unverstellte als auch verstellte Begegnenlassen des Anwesenden gründet zeitlich im Gegenwärtigen. Die Entschlossenheit bringt sich zukünftig-auf-sich-zurückkommend-gegenwärtigend in die Situation. In der vorlaufenden Entschlossenheit enthüllt sich ein bestimmter Bewegungsbezug zwischen Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart: "Die Gewesenheit entspringt der Zukunft, so zwar, daß die gewesene (besser gewesende) Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt" (SuZ, 432). Dieses einheitliche Phänomen der "gewesend-gegenwärtigenden Zukunft"44 nennt Heidegger terminologisch "die Zeitlichkeit" (ebd). Sofern diese Zeitlichkeit das eigentliche Ganzseinkönnen der vorlaufenden Entschlossenheit ermöglicht und dessen Verstehbarkeit ergibt, faßt er diese Zeitlichkeit als den Sinn der eigentli-

43 Das Gegenwärtigen muß hier nicht nur im aktiven Sinne, sondern auch im horizontalen Sinne verstanden werden: ,,[ ... ] Begegnenlassen gründet in einer Gegenwart. Sie gibt überhaupt den ekstatischen Horizont, innerhalb dessen Seiendes [... ] anwesend sein kann" (SuZ, 458). 44 Heidegger verwendet hier das Wort ,Gegenwärtigen' zuerst formal. Dieses wird aber später (v gl. SuZ, 447f) zur Kennzeichnung der uneigentlichen Gegenwart gebraucht. Für den Gegenbegriff zu dieser, d.h. für die eigentliche Gegenwart wird das Wort ,Augenblick" verwendet. Dazu heißt es: "Im Unterschied vom Augenblick als eigentlicher Gegenwart nennen wir die uneigentliche das Gegenwärtigen. Formal verstanden ist jede Gegenwart gegenwärtigend, aber nicht jede ,augenblicklich'" (SuZ, 448). Das Gegenwärtigen als ein Modus der Gegenwart vollzieht sich in verschiedenen Weisen, die durch den Abstand vom Augenblick unterschieden werden. Das Gegenwärtigen, das "um der Gegenwart willen" gegenwärtigt, ist "das äußerste Gegenphänomen zum Augenblick" (SuZ, 459).

Kap. 1, § 8 Die Zeitlichkeit als der ontologische Seinssinn des Daseins

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ehen Sorge. Weil aber die eigentliche Sorge ein Modus der Sorge ist, ist die oben genannte Zeitlichkeit lediglich "eine Modalität der Zeitlichkeit" (SuZ, 433), d.h. die eigentliche Zeitlichkeit. Formal betrachtet, ist es die Zeitlichkeit, die "überhaupt Sorge als solche ermöglicht" (ebd). Sorge ist das Wort, das die existenziale Ganzheit des ontologischen Strukturganzen des Daseins, d.h. das Sein des Daseins, formal charakterisiert. Sachlich wird Sorge als das Sorge-tragen für das Sein verstanden, sofern das Dasein dasjenige Seiende ist, "dem es in seinem Sein um dieses selbst geht" (SuZ, 254). Die Sorge als formale Ganzheit des Daseins bleibt von verschiedenen Vollzugsmodi des Sorge-tragen-für, d.h. von Eigentlichkeit, Uneigentlichkeit und Indifferenz, unberührt. Diese formale Ganzheit des Daseins ist ontologisch als "das Sich-vorweg - schon-sein-in (-der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlieh begegnendem Seienden)" (SuZ, 256) gekennzeichnet, das in sich drei Strukturmomente einbezieht. Insofern betont Heidegger nun ontologisch den Bezug zwischen diesen Strukturmomenten und der Zeitlichkeit. Das Sich-vorweg ist die ontologische Bestimmung der Existenzialität des Daseins. Die Existenzialität im strengen Sinn, d.h. die Existenz, versteht sich auf seine Seinsmöglichkeit, kommt auf sich von der Seinsmöglichkeit her zu. Das Sichverstehen des Daseins gründet daher in der Zukunft. "Das in der Zukunft gründende Sichentwerfen auf das ,Umwillen seiner selbst' ist ein Wesenscharakter der Existenzialität. Ihr primärer Sinn ist die Zukunft" (SuZ, 433). Die Formulierung ,Vorweg' als erstes Strukturmoment der Sorge zeigt also die Zukunft als zeitlichen Sinn der Existenzialität an. Das Schon-sein-in ... ist die ontologische Bestimmung der Faktizität des Daseins. Sofern das Dasein faktisch existiert, ist es nicht vergangen, sondern immer schon gewesen im Sinne von ,Ich-bin-gewesen'. Weil es gewesend ist, kann es von seinem geworfenen Sein her auf sich zurückkommen: "Nur weil Sorge in der Gewesenheit gründet, kann das Dasein als das geworfene Seiende, das es ist, existieren" (SuZ, 434). Die Formulierung ,Schon' als zweites Strukturmoment der Sorge zeigt die Gewesenheit als zeitlichen Sinn der Faktizität an. Das Verfallen als uneigentlieher Modus der Sorge hat seine ontologische Bestimmung in dem Sein-bei als dritten Strukturmoment der Sorge. Gegenüber der zeitlichen Anzeige der anderen Strukturmomente "fehlt eine solche Anzeige für das dritte konstitutive Moment der Sorge" (ebd). Dies bedeutet aber nicht, daß das Verfallen nicht in der Zeitlichkeit gründet, sondern es deutet nur an, daß "das Gegenwärtigen, in dem das Verfallen an das besorgte Zuhandene und Vorhandene primär gründet, im Modus der ursprünglichen Zeitlichkeit eingeschlossen bleibt in Zukunft und Gewesenheit" (ebd).4s Das Gegenwärtigen im Verfallen zeitigt sich in der unei4S Dies bedeutet aber nicht, daß es keine Ekstase des Gegenwärtigens gibt (vgl. Margot Fleischer, ,Die Zeitanalyse in Gedanken Heideggers "Sein und Zeit"', 25). Vielmehr betont dies, daß sich das Gegenwärtigen in der uneigentlichen gewesenen Zukunft zeitigt und in solchem Sinne ursprünglich der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit ,ent-

6 Cheong (PHS)

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gentlichen Zukunft und Gewesenheit als der modifizierten Zeitlichkeit und ,entspringt' in solchem Sinne gerade der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit. Wenn sich aber das Dasein entschlossen aus dem Verfallen zurückgeholt hat, d.h. wenn die Gegenwart in der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit sich zeitigt, ist das Dasein "desto eigentlicher im ,Augenblick' auf die erschlosssene Situation ,da'" (ebd) und zwar als "eigentliches Gegenwärtigen der Situation" (SuZ, 542). Die eigentliche Gegenwart, d.h. der Augenblick, bleibt in der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit "gehalten" (SuZ, 447). Die Gegenwart als Augenblick ist diejenige, die "die Struktur des die Existenz konstituierenden Verstehens" (GdP, 392) mit ausmacht, das "die Bedingung der Möglichkeit für alle besorgenden möglichen Verhaltensweisen des Daseins" (ebd) ist. Der Augenblick ist also derjenige, der auf die eigentliche Erschlossenheit blickt und so die in dieser aufgeschlossene Erschlossenheit von Sein überhaupt offen hält. Als solcher ist er nichts anderes als das Offenhalten der Gegend, worin erst das Seiende sich zeigen kann, d.h. der Erschlossenheit von Sein überhaupt. 46 Indem der Augenblick die Erschlossenheit sowohl des Daseins als auch des Seins überhaupt offenhält, ist er zugleich die in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung, d.h. im aktiven Sinne eine Entrückung an das Seiende. Als Offenhalten der Erschlossenheit von Sein überhaupt ist er die eigentliche Gegen-wart, die das Seiende erst als Zuhandenes oder Vorhandenes begegnen läßt. 47 Die einheitliche Zeitlichkeit als gewesend-gegenwärtigende Zukunft ermöglicht die Einheit von Existenz, Faktizität und Sein-bei und konstituiert in solcher Weise ursprünglich die Ganzheit der Sorgestruktur. Weil die Zeitlichkeit überhaupt kein Seiendes ist, stellt Heidegger fest: "Sie ist nicht, sondern zeitigt sich" (ebd). Weil sich die Zeitlichkeit in ihren möglichen verschiedenen Weisen zeitigt, ermöglicht sie "die Mannigfaltigkeit der Seinsmodi des Daseins, vor allem

springt'. Deshalb ist auch von der Möglichkeit der eigentlichen Existenz wie folgt gesprochen: Als Gegenwärtigen "entspringt" die Gegenwart "ihrer eigentlichen Zukunft und Gewesenheit, um erst auf dem Umweg über sich das Dasein zur eigentlichen Existenz kommen zu lassen" (SuZ, 460-61). Während die eigentliche Gegenwart in der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit gehalten ist, ist die uneigentliche Gegenwart diejenige, weIche nicht mehr in der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit gehalten ist und allein aus der uneigentlichen Zukunft und Gewesenheit sich zeitigt. 46 F.-W. v. Herrmann erläutert die Gegenwart hinsichtlich ihrer existenzialen Bedeutung wie folgt: "Im augenblickhaften Gegenwärtigen, im Vollzug der eigentlichen existenzialen Gegenwart hält das Dasein, auf die geworfen-entworfene Erschlossenheit blickend, die Erschlossenheit von Sein-überhaupt offen for das Sichzeigen des Seienden" (,Subjekt und Dasein', 87). Der Augenblick als Blicken heißt also "das existenziale Blicken auf die Erschlossenheit von Welt (und Sein), die Erschlossenheitfor das Begegnen von innerweltlichem Seienden ist" (ebd. 86). 47 Der Augenblick meint im aktiven Sinne "die entschlossene, aber in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgenden Möglichkeiten, Umständen begegnet" und läßt als eigentliche Gegen-wart "erst begegnen, was als Zuhandenes oder Vorhandenes ,in der Zeit sein kann'" (SuZ, 447).

Kap. I, § 8 Die Zeitlichkeit als der ontologische Seinssinn des Daseins

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die Grundmöglichkeit der eigentlichen und uneigentlichen Existenz" (SuZ, 435). Die ursprünglich-eigentliche Zeitlichkeit hat ihre eigenen Grundzüge. Diese wollen wir nun herausstellen. Die phänomenalen Charaktere von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart sind das ,Auf-sieh-zu', das ,Zurück auf und das ,Begegnenlassen von' bzw. ,das Entdeckendsein bei'. Aus diesen Charakteren wird die Zeitlichkeit als das ,Außer-sich' charakterisiert: "Die Phänomene des zu ... , auf... , bei ... offenbaren die Zeitlichkeit als das ,ekstatikon' schlechthin. Zeitlichkeit ist das ursprüngliche ,Außer-sich' an und für sich selbst" (ebd). Heidegger nennt die durch das ,Außer-sich' charakterisierten Phänomene von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart "die Ekstasen der Zeitlichkeit' (ebd). In einer puren, anfangs- und endlosen Jetzt-folge fmdet sich der ekstatische Charakter der ursprünglichen Zeit nicht. Sie ist als vulgärer Zeitbegriff ein Ergebnis der Nivellierung des ekstatischen Charakters der ursprünglichen Zeitlichkeit. 48 Insofern nennt Heidegger "gemäß dem Satze, a potiori fit denominatio", die zeitigende Zeitlichkeit in der Einheit der Ekstasen "ursprüngliche Zeit" (ebd). Zur ursprünglichen Zeit gehört als ihr Grundzug der ekstatische Charakter. 49 In der ekstatischen Einheit der ursprünglich-eigentlichen Zeitlichkeit hat die Zukunft "einen Vorrang" (ebd), wenngleich die Zeitlichkeit je in der Gleichursprünglichkeit der Ekstasen sich zeitigt. Innerhalb der Gleichursprünglichkeit der Ekstasen sind die Modi der Zeitigung je nach der primären Bestimmung der Zeitigung durch eine bestimmte Ekstase verschieden. Die ursprünglich-eigentliche Zeitlichkeit ist möglich durch die primäre Bestimmung

48 Aus dem Zeitbesorgen, das aufgrund der uneigentlichen (gewärtigend-behaltendgegenwärtigen den) Zeitlichkeit (vgl. SuZ, 539) vollzogen wird, entsteht die Weltzeit (besorgte Zeit), deren Horizonte Früher, Späterhin und Heute sind (vgl. SuZ, 538) und zu deren Charakteren Datierbarkeit, Gespanntheit, Öffentlichkeit und Weltlichkeit gehören (v gl. SuZ, 540-44). Diese Weltzeit ist "die Zeit, ,worinnen' innerweltliches Seiendes begegnet" (SuZ, 553), und nennt sich daher auch Innerzeitigkeit. Wenn die Charaktere der Weltzeit durch "die alltägliche Zeitauslegung" (SuZ, 558) verdeckt werden, wird die Weltzeit zur Jetzt-Zeit. Diese Jetzt-Zeit ist die am Jetzt orientierte, anfangs- und endlose Jetzt-folge. Diese ist die vulgär verstandene Zeit, die durch die zählende Auslegung der Zeit ausgelegt wird. Diese Auslegung vollzieht sich nur in der Modifikation der Gewärtigung und des Behaltens der uneigentlichen Zeitlichkeit des Zeitbesorgens zum "ungewärtigenden Vergessen" (SuZ, 537) und so "im Modus eines ungewärtigend-vergessenden Gegenwärtigens" (SuZ, 542). Die vulgär verstandene Zeit behält den ekstatischen Charakter nicht mehr. Der Modus eines ungewärtigend-vergessenden Gegenwärtigens ist als solcher der allgemeine zeitliche Modus der "Unentschlossenheit der uneigentlichen Existenz" (ebd). Vgl.: § 12 b). 49 Unter der ursprünglichen Zeit im weiteren Sinne wird sowohl die eigentliche wie auch die uneigentliche Zeitlichkeit verstanden, sofern sie vor allem als Gegenbegriff zur vulgär verstandenen Zeit verwendet wird. Die uneigentliche Zeitlichkeit ist eine Modifikation der eigentlichen Zeitlichkeit. Die vulgär verstandene Zeit ist als Jetzt-folge ein spezifisches Derivat der uneigentlichen Zeitlichkeit. (vgl. F.-W. v. Herrmann ,Subjekt und Dasein', 88).

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I. Teil: Dasein, Zeit und GeschichtIichkeit in der Fundamentalontologie

der Zeitigung durch die eigentliche Zukunft, "welche zukünftig gewesen allererst die Gegenwart weckt" (SuZ, 436). Daher heißt es: "Das primäre Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit ist die Zukunft" (ebd). Zur ursprünglich-eigentlichen Zeitlichkeit gehört als ihr Grundzug der Vorrang der Zukunft. Die ursprünglich-eigentliche Zeitlichkeit offenbart sich in der vorlaufenden Entschlossenheit als dem eigentlichen Sein zum Tode. Dabei versteht sich das Dasein aus seiner Endlichkeit (Tod) und existiert in solchem Sinne endlich. Das Auf-sieh-zukommen des Daseins aus seiner eigensten Möglichkeit ist die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt, die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht. Als solche enthüllt sich die eigentliche Zukunft "als endliche" (ebd). Damit ist aber nicht die Begrenztheit des Weiter-gehens der Zeit gemeint, sondern allein ein Charakter der Zeitigung selbst. Die Endlichkeit der ursprünglichen Zeitlichkeit bezeichnet vor allem die Weise, "wie das Auf-sieh-zukommen selbst als solches ursprünglich bestimmt ist" (ebd). Die ursprünglich-eigentliche Zukunft ist das die unüberholbare Möglichkeit der Nichtigkeit aushaltende und in dieser vollzogene Auf-sieh-zukommen. Insofern ist das ursprünglich-eigentliche Auf-sieh-zukommen "der Sinn des Existierens in der eigensten Nichtigkeit" (SuZ, 437). Daher wird die eigentliche Zeitlichkeit, die sich aus der eigentlichen Zukunft zeitigt, als die endliche gefaßt. Zur ursprünglich-eigentlichen Zeitlichkeit gehört also als ihr Grundzug die Endlichkeit. Heidegger faßt die Grundzüge der ursprünglich-eigentlichen Zeitlichkeit wie folgt zusammen: "Zeit ist ursprünglich als Zeitigung der Zeitlichkeit, als welche sie die Konstruktion der Sorgestruktur ermöglicht. Die Zeitlichkeit ist wesenhaft ekstatisch. Zeitlichkeit zeitigt sich ursprünglich aus der Zukunft. Die ursprüngliche Zeit ist endlich" (SuZ, 438). Der ermöglichende Grund des ursprünglichen Ganzseins des Daseins ist also die Zeitlichkeit, die sich aus der Zukunft zeitigt und als solche ekstatisch und endlich ist. Nach der zeitlichen Analyse des eigentlichen Ganzseinkönnens des Daseins und einer allgemeinen Charakterisierung der Zeitlichkeit der Sorge erhebt sich die Aufgabe, "die Uneigentlichkeit des Daseins in ihrer spezifischen Zeitlichkeit sichtbar zu machen" (SuZ, 438). Dies bedeutet die Enthüllung der Alltäglichkeit in ihrem zeitlichen Sinne durch das wiederholende Bewähren der früheren existenzialen Analyse. Insofern ist die bisherige vorausgegangene Daseins analytik zumal eine Vorbereitung für diejenige Wiederholung der Daseinsanalytik, die auf die Zeitlichkeit hin vollzogen wird. Dazu heißt es: "Als der Sinn des Seins des Seienden, das wir Dasein nennen, wird die Zeitlichkeit aufgewiesen. Dieser Nachweis muß sich bewähren in der wiederholten Interpretation der vorläufig aufgezeigten Daseinsstrukturen als Modi der Zeitlichkeit" (SuZ, 24). Mit der wiederholenden Interpretation des Daseins aber ist die Aufgabe der Fundamentalontologie nicht schon abgeschlossen. 50 Denn nun

50

Vgl.: § 5.

Kap. I, § 8 Die Zeitlichkeit als der ontologische Seinssinn des Daseins

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muß der Horizont des Seinsverständnisses, der alle Ontologie ermöglicht, begriffen werden: "Dasein ist in dieser Weise, seiend so etwas wie Sein zu verstehen. Unter Festshaltung dieses Zusammenhangs soll gezeigt werden, daß das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist" (ebd). Als der Horizont allen Seinsverständnisses und jeder Seinsauslegung muß die Zeit genuin begriffen werden. Dafür bedarf es "einer ursprünglichen Explikation der Zeit als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit als Sein des seinverstehenden Daseins" (ebd). Die ursprüngliche Explikation der Zeit als Horizont allen Seinsverständnisses ist nichts anderes als das Begreifen des Seins aus der Zeit. Damit zeigt sich der ,zeitliche' Charakter des Seins: "Wenn Sein aus der Zeit begriffen werden soll und die verschiedenen Modi und Derivate von Sein in ihrer Modifikation und Derivation in der Tat aus dem Hinblick auf Zeit verständlich werden, dann ist damit das Sein selbst - nicht etwa nur Seiendes als ,in der Zeit' Seiendes, in seinem ,zeitlichen' Charakter sichtbar gemacht" (SuZ, 25). Heidegger faßt die Zeitlichkeit qua Bedingung der Möglichkeit des vorontologischen wie des ontologischen Seinsverständnisses als "Temporalität des Seins" (SuZ, 26) bzw. "Temporalität des Daseins" (GdP, 429), was wir anschließend an die zeitliche Wiederholung der Daseinsanalytik untersuchen werden. Als Resume von § 8 läßt sich festhalten: a) Das Vorlaufen als existenzial mögliche Ganzheit der Sorge und die Entschlossenheit als existenziell mögliche Eigentlichkeit der Sorge schließen sich aus der eigensten existenziellen Seinstendenz der Entschlossenheit zusammen. Aus dieser eigenen Seinstendenz enthüllt sich die existenzial mögliche Ganzheit der Sorge zugleich als die existenziell mögliche Ganzheit der Sorge. Anschließend an diese Thematik haben wir die Thematik der Eigentlichkeit des Seins des Daseins behandelt. Demzufolge ist die Einheit des Seins des Daseins nur in der Selbstheit des Selbst abzulesen, die ihrerseits in der bestimmten Weise der Sorge, d.h. in der vorlaufenden Entschlossenheit, gründet. Mit der Herausarbeitung der Einheit des Seins des Daseins wird der Aufweis der Möglichkeit des eigentlichen Ganzseins geliefert, so daß auch die hermeneutische Situation für die ursprüngliche Interpretation des Sinnes des einheitlichen Seins des Daseins gesichert ist. Hier nimmt Heidegger einen möglichen Einwand vorweg und antwortet darauf mit dem Hinweis auf den hermeneutischen Charakter der Fundamentalontologie. Die scheinbare Möglichkeit des Einwandes bedeutet folgendes: Darin, daß die Sicherung der Ursprünglichkeit der hermeneutischen Situation über den Gegenweg zur verfallenden Tendenz der Daseinsauslegung, d.h. durch den Entwurf der eigentlichen Existenz des Daseins, vollzogen ist, liegt sowohl das Beliebigkeitsproblem der Eigentlichkeits-Vorgabe wie auch das Rechtfertigungsproblem der Existenzidee-Voraussetzung. Wenn aber die EigentlichkeitsVorgabe aus dem Selbstverständnis des Daseins geschöpft ist, ist sie keine beliebige. Die Fundamentalontologie vollzieht sich nur als der ontologische Entwurf des vorontologischen Seinsverständnisses des Daseins, das mit dem Be-

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

griff ,Existenz' charakterisiert wird. Die Fundamentalontologie setzt also für die Ausarbeitung des Seins überhaupt die Existenzidee voraus, interpretiert aufgrund dieser Idee das Dasein ontologisch und gewinnt zuletzt die Idee des Seins überhaupt. Zwar liegt hierin ein Zirkel, von der Idee des Seins überhaupt her die Existenzidee zusammen mit der Realitätsidee vorauszusetzen und dann von der Existenzidee her die Idee des Seins überhaupt zu gewinnen. Dieser Zirkel ist aber ein eigener notwendiger Zirkel der Fundamentalontologie, die im Seinsverständnis gründet und vom Dasein her die Bedingung der Möglichkeit der Ontologie überhaupt herauszustellen versucht. Die Voraussetzung der Existenzidee wird aus dem Charakter der Fundamentalontologie gerechtfertigt, die sich als Hermeneutik des Daseins vollzieht. b) Nach der Klärung des Problems des möglichen Einwandes wird aus der Herausstellung der Selbstheit des Daseins als Selbst-ständigkeit die traditionelle Auffassung des ,Ich' als Substanz an ihre Grenze gebracht und der ontologische Grund für die Einheit der Sorge als vorlaufende Entschlossenheit aufgewiesen. Somit ist die hermeneutische Situation für die ursprüngliche Interpretation des Seins des Daseins zuletzt gesichert. c) Diese ursprüngliche Interpretation selbst vollzieht sich aus der Analyse des Bewegungscharakters des eigentlichen Ganzseins des Daseins. Daraus enthüllt sich der Grund für die Einheit des Seins des Daseins als dessen Zeitlichkeit, die sich als das Phänomen der gewesend-gegenwärtigenden Zukunft und zwar aus der Zukunft zeitigt und als solche ekstatisch und endlich ist. Erst nach der Enthüllung der Zeitlichkeit als des ontologischen Sinns der Sorge ergibt sich die Aufgabe, durch die zeitliche Interpretation der Seinsmodi des Daseins die vorausgegangene Daseinsanalytik zu bewähren. Auch mit dieser Bewährung ist jedoch die Aufgabe der Fundamentalontologie noch nicht abgeschlossen. Denn von Zeitlichkeit als dem Seinssinn des seinsverstehenden Daseins her muß nun die in dieser Zeitlichkeit behaltene Zeit als der Horizont des Seinsverständnisses aufgewiesen werden. Die Zeitlichkeit, die das sowohl vorontologische wie auch ontologische Seinsverständnis ermöglicht, nennt Heidegger die Temporalität. Wir werden insofern im nächsten Kapitel zuerst die Modi der Zeitlichkeit (§ 9) und dann die Temporalität des Seins (§ 10) untersuchen. Zweites Kapitel

Die ursprüngliche Zeit als Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit § 9 Die transzendentale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit Die Strukturmomente der Sorge sind Verstehen, Befindlichkeit und Sein bei. Diese sind aufeinander bezogen; jedes Verstehen ist gestimmt, jede Befindlichkeit verstehend, das befindliche Verstehen seiend beim Seienden, das beim

Kap. 2, § 9 Die transzendentale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit

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Seienden seiende und gestimmte Verstehen bezüglich seiner Verständlichkeit artikulierbar in der Rede (vgl. SuZ, 444).51 Diese einheitliche Konstruktion der Strukturmomente der Sorge ist aus der Einheit der ursprünglich-wesenhaften Zeitlichkeit des Daseins ermöglicht. Die Vollzugsweise der wesenhaft-eigentlichen Zeitlichkeit enthüllt sich in dem existenziellen Phänomen des eigentlichen Sichverstehens des Daseins. Hingegen enthüllt sich die Vollzugsweise der wesenhaft-uneigentlichen Zeitlichkeit in den existenziellen Phänomenen öes uneigentlichen Sichverstehens des Daseins, seines Sichfürchtens und Verfallens. 52 Die Zeitlichkeit ermöglicht auch die Phänomene des Besorgens des Daseins und seiner Räumlichkeit, die existenziell indifferent sich vollziehen können. Wir wollen hier zuerst die eigentliche und uneigentliehe Vollzugsweise der Zeitlichkeit, danach die aufgrund des Horizontes der Welt sich vollziehende Zeitlichkeit des Besorgens und zuletzt den Bezug der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit nachvollziehen. a) Die Vollzugsweise der eigentlichen Zeitlichkeit

a) Der Terminus ,Verstehen' meint bei Heidegger weder ein Erkennen im Sinne des thematischen Erfassens noch eine Art von Erkennen, die von ,Erklären' unterschieden ist. Vielmehr besagt ,Verstehen' als ein fundamentales Existenzial, d.h. eine fundamentale Bestimmung der Existenz, "entwerfend-sein zu einem Seinkönnen, worumwillen je das Dasein existiert" (SuZ, 445). Das Entwerfend-sein des Daseins zu einem Seinkönnen ist als "Sichbeziehen" (SuZ, 451) auf sich selbst existenzial "Auf-sieh-zukommen aus der jeweiligen Möglichkeit, als welche je das Dasein existiert" (SuZ, 445). Das Auf-sieh-zukommen des Daseins ist der existenziale Sinn der Zukunft. Das Verstehen gründet primär im Auf-sieh-zukommen als der ursprünglichen Zukunft. Dabei wird das Auf-sieh-zukommen des Daseins aus seinem eigensten Seinkönnen (dem Freisein für die Seinsmöglichkeiten) als eigentliche Zukunft gefaßt, das Auf-sichzukommen aus demjenigen Seinkönnen, das aus dem Besorgten geschöpft ist, hingegen als uneigentliche Zukunft. Die uneigentliehe Zukunft ermöglicht das 51 Jedes Moment der dreigliedrigen Sorgestruktur enthüllt sich jeweils in einem bestimmten Modus. Zum Beispiel ist das Verfallen der Uneigentlichkeitsmodus des Seinbei und der Sorge im ganzen. Das Sein-bei kann aber wie Sorge im Ganzen auch eigentlich sich vollziehen wie die Sorge im ganzen. ,Rede' ist hingegen kein Strukturmoment der dreigliedrigen Sorge, sondern bestimmt die Sorge im ganzen sowohl im uneigentlichen wie im eigentlichen Modus. Zur Stellung der Rede in der Sorgestruktur vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 198-224. 52 Die Zeitlichkeit der Rede wird von Heidegger kurz erläutert. Demzufolge liegt die Zeitigung der Rede, welche "die volle, durch Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen konstituierte Erschlossenheit des Da" artikuliert, "nicht primär in einer bestimmten Ekstase" (SuZ, 461). Jedoch hat das Gegenwärtigen "eine bevorzugte konstitutive Funktion", weil die Rede faktisch sich "zumeist in der Sprache ausspricht und zunächst in der Weise des besorgend-beredenden Ansprechens der ,Umwelt' spricht" (SuZ, 461-62).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

uneigentliche Verstehen, die eigentliche Zukunft hingegen das eigentliche Verstehen. Das Dasein ist als Sorge existenzial sich-vorweg und somit ursprünglich-wesenhaft zukünftig. Das eigentliche Verstehen zeitigt sich aus der eigentlichen Zukunft, die Heidegger mit dem Terminus Vorlaufen kennzeichnet. Dies bezeichnet das Sichverstehen des Daseins aus dem eigensten Seinkönnen (dem Freisein),53 d.h. das eigentliche Auf-sieh-zukommen. Dieses eigentliche Auf-sieh-zukommen ist "zumal ein Zurückkommen auf das eigenste, in seine Vereinzelung geworfene Selbst" (SuZ, 448). Das Zurückkommen auf... , d.h. die ursprüngliche Gewesenheit, ist es, aufgrund dessen das Sichübernehmen des Daseins, d.h. die eigentliche Gewesenheit, möglich ist. Im eigentlichen Verstehen "holt sich das Dasein wieder in das eigenste Seinkönnen vor" (ebd). Das Sichwiederholen in das eigenste Seinkönnen ist die eigentliche Gewesenheit. Die Gegenwart in der vorlaufenden Wiederholung ist "in der Zukunft und Gewesenheit gehalten" (SuZ, 447), d.h. von diesen nicht abgelöst. Die zur vorlaufenden Wiederholung gehörende Gegenwart ist es, "gemäß der ein Entschluß die Situation erschließt" (ebd). Heidegger bezeichnet diese Gegenwart als "Augenblick" (ebd). Der Augenblick meint als das Offenhalten der durch die vorlaufende Wiederholung aufgeschlossenen Erschlossenheit zum al "eigentliches Gegenwärtigen der Situation" (SuZ, 542) für das Seiende, d.h. "die entschlossene, aber in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgbaren Möglichkeiten, Umständen begegnet" (SuZ, 447). Insofern wird die Zeitlichkeit des eigentlichen Sichverstehens als wiederholend-augenblickhaftes Vorlaufen gefaßt. Diese Zeitlichkeit ist diejenige der vorlaufenden Entschlossenheit, in der das Sein überhaupt eigentlich erschlossen wird. So wie das eigentliche Sichverstehen, bezeugt auch die Angst als Grundbefindlichkeit des Daseins diesem die eigentliche Erschlossenheit. Auch diese Angst ist als ein existenzielles Phänomen des Daseins nur aufgrund der Zeitlichkeit möglich, die der Seinssinn des Daseins ist. Die Zeitlichkeit der Angst ist zwar keine uneigentliehe Zeitlichkeit, aber in sich auch nicht schon eine eigentliche Zeitlichkeit. Sie bezeugt lediglich in einer negativen Weise der Zeitigung die eigentliche Zeitlichkeit. Wir wollen nun die Vollzugsweise der Zeitlichkeit der Angst (Grundbefindlichkeit) nachvollziehen. Die Aufklärung der Zeitlichkeit der Befindlichkeit überhaupt ist aber weder eine Deduktion der Be-

53 Das eigenste Sein können (Freisein) unterscheidet sich von dem eigenen Seinkönnen (Seinsmöglichkeit). ",Es geht dem Dasein um das eigene Sein' heißt genauer: um das eigene Seinkönnen. Das Dasein ist als existierendes frei für bestimmte Möglichkeiten seiner selbst. Es ist sein eigenstes Seinkönnen" (GdP, 391). Unter dem eigensten Seinkönnen wird das Freisein für das In-der-Welt-sein, die Todmöglichkeit (Existenzialität, Zukünftigkeit) und das Schuldigsein (Faktizität, Gewesenheit) verstanden.

Kap. 2, § 9 Die transzendentale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit

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findlichkeit aus der Zeitlichkeit noch ihre Auflösung in pure Phänomene der Zeitigung, sondern die Führung des Nachweises, daß auch die Befindlichkeit nur aufgrund der Zeitlichkeit möglich ist. b) Das Da des Daseins wird gleichursprünglich sowohl durch das Verstehen wie auch durch Stimmung bzw. Gestimmtheit erschlossen. Die Gestimmtheit bringt dabei in der entweder enthüllenden oder verhüllenden Weise das Dasein vor seine eigenste Geworfenheit. Dies bedeutet, daß der existenziale Grundcharakter der Stimmung "ein Zurückbringen auf..." (SuZ, 451) als eine spezifische Gewesenheit ist. Dabei ist das Bringen vor das Daß der eigensten Geworfenheit, d.h. die spezifische Gewesenheit, existenzial nur möglich auf Grund der Gewesenheit überhaupt. Die Befindlichkeit gründet "primär" nicht in der Zukunft oder Gegenwart, sondern "in der Gewesenheit" (SuZ, 450), deren existenzialer Sinn das Auf-sieh-zurückkommen ist. S4 Wie die Furcht, so bringt auch die Angst das Dasein vor seine Geworfenheit. Aber anders als die Furcht bringt die Angst das Dasein eigentlich enthüllend vor sein eigenstes Geworfensein und enthüllt "die Unheimlichkeit des alltäglich vertrauten In-der-Welt-seins" (SuZ, 453). Das Wovor der Angst ist zugleich das Worum der Angst, d.h. das In-der-Welt-sein. ss In der Angst, d.h. in der von der Angst enthüllten Unheimlichkeit des In-der-Welt-seins, ist die Welt "zur Unbedeutsamkeit herabsunken", so daß das innerweltlich Seiende nur "im Charakter der Unbewandtnis" (454) freigegeben wird. 56 In der spezifischen Gewe-

54 Die Eigentümlichkeit der Zeitlichkeit der Angst liegt darin, "daß sie ursprünglich in der Gewesenheit gründet und aus ihr erst Zukunft und Gegenwart sich zeitigen" (SuZ, 455). Darin liegt gerade die Möglichkeit der Mächtigkeit der Stimmung, daß diese das Verstehen und das Verfallen be-stimmt. Weil die Unheimlichkeit in der Angst das Dasein nicht nur aus den ,weltlichen' Möglichkeiten zurücknimmt, sondern auch ihm die Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens gibt, be-stimmt die Angst die Zukunft des Daseins und ist daher mächtig. Die Angst ist ebenso mächtig wie das Verstehen: "Beide Stimmungen, Furcht und Angst [... ] be-stimmen je ein Verstehen, bzw. sich aus einem solchen" (ebd). S5 Während die Furcht die uneigentliche Befindlichkeit ist, ist die Angst eine Grundbefindlichkeit. Während die Furcht ihre Veranlassung im umweltlich besorgten Seienden hat, begegnet das Wovor der Angst als das Nichts der Welt, d.h. diejenige Welt, die sich in der negativen Weise enthüllt. Sofern die Welt die existenziale Bestimmtheit des Daseins ist, ist das Wovor der Angst das Dasein selbst und zwar als ein geworfenes Inder-Weit-sein. Anders als in der Furcht sind Wovor und Worum in der Angst dasselbe, d.h. das Sein des Daseins, aber nicht das Gleiche. Das Wovor der Angst ist "das In-derWelt-sein selbst" (SuZ, 334) als geworfenes Sein. Das Worum der Angst ist "das Seinkönnen des Daseins schlechthin" (ebd), d.h. "ein geworfenes In-der-Welt-sein-können" (SuZ,335). 56 Dieses ,Bringen vor' eröffnet nicht nur das vom Dasein Erfahrene (Seiendes), sondern auch die gewesene Erschlossenheit des Da des Daseins. Wenn mit der Gewesenheitsekstase die gewesene Erschlossenheit des Da aufgeschlossen wird, ist sie die Ekstase sowohl des Zugangs zum gewesenen Sein des Daseins als auch des Zugangs zum darin mit erschlossenen Sein des nichtdaseinsmäßigen Seienden. Die Befindlichkeit, die

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senheit der Angst zeitigt sich die Zukunft in der Weise des Mißerfolgs des Aufsich-zukommens aus einem im Besorgbaren geschöpften Seinkönnen her, d.h. mit der negativen Gewärtigung, die Gegenwart ihrerseits in der Weise des Begegnenlassens des Seienden in seiner Unbewandtnis, d.h. in der Weise der negativen Gegenwärtigung. Der negative Charakter der Angst hat aber in sich ein positives Moment. Sofern das in der Angst erschlossene Nichts der Welt die Nichtigkeit des Besorgbaren enthüllt, enthüllt sich auch die Unmöglichkeit des Sichentwerfens auf ein primär im Besorgten fundiertes Seinkönnen. Das Enthüllen dieser Unmöglichkeit ist in sich "ein Aufleuchten-lassen der Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens" (ebd): "Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein rur die Freiheit des Sich-selbst-wählens und - ergreifens" (SuZ, 249-50). Als solche läßt die Zeitlichkeit der Angst das gewesene Da der Welt sich öffnen und das Dasein sich als gewesenes In-der-Welt-sein verstehen. So erschließt die Angst als Grundbefindlichkeit das gewesene Da des Daseins in einer ausgezeichneten Weise. Nun wollen wir die Zeitigungsweise der das Sein zum eigensten Seinkönnen eröffnenden Angst herausstellen. Die Angst ängstigt sich um das in die Unheimlichkeit geworfene Dasein. In diesem Sichängstigen bringt die Angst das Dasein auf das pure Daß der eigensten, vereinzelten Geworfenheit zurück. Wenngleich dieses Zurückbringen nicht den Charakter des ausweichenden Vergessens der Gegenwart hat, ist es doch "nicht schon eine wiederholende Übernahme der Existenz in den Entschluß" (SuZ, 454). Vielmehr bringt die Angst lediglich auf "die Geworfenheit als mögliche wiederholbare" (ebd) zurück. In der Weise des Zurückbringens auf die mögliche wiederholbare Geworfenheit enthüllt die Angst "die Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens, das im Wiederholen als zukünftiges auf das geworfene Da zurückkommen muß" (SuZ, 454-55).57 Das "vor die Wiederholbarkeit Bringen" ist gerade "der spezifische ekstatische Modus der die Befindlichkeit der Angst konstituierenden Gewesenheit" (SuZ, 455). Die Gewesenheit der Angst ist das Zurückbringen auf die Geworfenheit, die sich nun als wiederholbare enthüllt. Dabei hat die Gegenwart, die aus der Gewesenheit sich zeitigt und so sie einbezieht, einen spezifischen Charakter. Anders als das ungehaltene Gegenwärtigen der Furcht ist die Gegenwart der Angst zwar "im Sichzurückbringen auf die eigenste Geworfenwesenhaft in der Ekstase des ,Bringens vor' gründet, hat drei Wesenscharaktere: Sie erschließt das Dasein in seiner Geworfenheit, d.h. als das geworfene In-der-Welt-sein, und somit die Ganzheit von Existenz, Welt und Mitdasein und be-stimmt als gestimmte Erschlossenheit sowohl die Angänglichkeit des Daseins durch innerweltliches Seiende wie die Entdecktheit des innerweltlich begegnenden Seienden (vgl. SuZ, 179 t). 57 Eine faktische eigentliche Seinsmöglichkeit kommt im Wiederholen in das Da des Daseins zurück. Sofern aber diese Wiederholung aus dem Sichverstehen des Daseins auf die äußerste Möglichkeit gezeitigt wird, vollzieht sie sich nur in und mit dem Vorlaufen. Als Sichüberliefern einer gewesenen Seinsmöglichkeit ist die Wiederholung eine zukünftige Möglichkeit.

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heit gehalten" (SuZ, 455). Wenngleich die Gegenwart der Angst keine ungehaltene, sondern eine gehaltene ist, hat sie aber "nicht schon den Charakter des Augenblicks, der im Entschluß sich zeitigt" (ebd). Denn "die Angst bringt nur in die Stimmung eines möglichen Entschlusses" (ebd), in dem sich der Augenblick zeitigt. Insofern bezeichnet Heidegger die Gegenwart der Angst als diejenige, die "den Augenblick, als welcher sie selbst und nur sie möglich ist, auf dem Sprung" (ebd) hält. Die Gegenwart der Angst ist also als möglicher Augenblick zu fassen. Darin, daß die Angst "aus dem In-der-Welt-sein als geworfenem Sein zum Tode" (ebd) aufsteigt, liegt der Vorrang der Gewesenheit für das Phänomen der Angst. Dies bezeichnet Heidegger wie folgt: "Die Zukunft und Gegenwart der Angst zeitigen sich aus einem ursprünglichen Gewesensein im Sinne des Zurückbringens auf die Wiederholbarkeit. Eigentlich aber kann die Angst nur aufsteigen in einem entschlossenen Dasein" (SuZ, 456). Hier ergibt sich die Aufgabe, die Entschlossenheit bezüglich des Vorlaufens zu präzisieren. Die Entschlossenheit heißt das verschwiegene, angstbereite Sichentwerfen auf das Schuldigsein. Nach der eigensten existenziellen Seinstendenz der Entschlossenheit wird diese zum Vorlaufen in den Tod. Die Angst, die hier behandelt wird, ist diejenige, welche von der Entschlossenheit bereitet ist und als solche den Tod als äußerste Möglichkeit des Daseins erschließt. In dieser Angst aber hat die Sorge nicht schon das Vorlaufen in den Tod vollzogen (vgl. SuZ. S. 393,352). Die Angst ist also diejenige, die die Modifizierung der Entschlossenheit zum Vorlaufen in den Tod fordert und so ermöglicht, daß dieses "die mögliche existenzielle Modalität ihrer eigenen Eigentlichkeit" (SuZ, 405) ist. Erst aus und mit der vorlaufenden Entschlossenheit vollzieht sich die Wiederholung der Geworfenheit, was den Wandel der spezifischen Gewesenheitsekstase zur eigentlichen Gewesenheitsekstase bedeutet. In der Angst bleibt die Sorge nur vor der wiederholbaren Geworfenheit. Das entschlossene Dasein kommt auf die eigenste, vereinzelte Geworfenheit als mögliche wiederholbare zurück, aber ohne das Vorlaufen und somit ohne die Wiederholung. Dabei bleibt es allein vor der Wiederholbarkeit. So unterscheidet sich die Angst als Bleiben vor der Wiederholbarkeit von der Wiederholung selbst. Sofern aber die Angst "von ,nichtigen' Möglichkeiten" befreit und "für eigentliche" (SuZ, 456) frei werden läßt, kann das Dasein in der Angst entweder vorlaufend die wiederholende Übernahme der Existenz in den Entschluß vollziehen oder flüchtend die wiederholbare Geworfenheit verschließen. Furcht und Angst haben ihren gemeinsamen zeitlichen Grund in der Gewesenheit. In Hinblick auf ihre eigene Zeitigung haben sie jedoch im Ganzen der Sorge einen je verschiedenen Ursprung. Während die Furcht "aus der verlorenen Gegenwart" entspringt, entspringt die Angst "aus der Zukunft der Entschlossenheit" (ebd). Erst aus dem Entschlossenheit, d.h. aus dem Sichentwerfen auf das Geworfensein, entspringt die Angst. Die Angst läßt das Dasein auf

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sich zukommen, aber in der Weise des Nichtigens seiner auf das innerweltlich Seiende bezogenen Seinsmöglichkeit; ihre Zukunft ist nicht das Gewärtige, aber auch nicht schon das Vorlaufen. Die Angst läßt das Dasein auf sich zurückkommen und zwar in der Weise des eigentlichen Enthüllens seiner Geworfenheit und bringt so das Dasein vor die Wiederholbarkeit; in der Angst ist das Dasein zwar nicht vergessend, aber auch nicht schon wiederholend. Die Angst läßt zwar das innerweltliche Seiende begegnen, aber in der Weise des Nichtigens der Seiendheit dieses Seienden; ihre Gegenwart ist zwar kein verfallendes Gegenwärtigen, aber auch nicht schon der Augenblick. Die Zeitlichkeit der Angst ist diejenige, die zur eigentlichen Zeitlichkeit (und auch zur uneigentlichen Zeitlichkeit) modifiziert werden kann. Insofern ist sie als eine mögliche eigentliche Zeitlichkeit zu fassen.

b) Die Vollzugsweise der uneigentlichen Zeitlichkeit

a) Das Dasein versteht sich zunächst und zumeist aus dem Besorgten. Weil das Besorgte umwillen des besorgenden Seinkönnens ist, läßt es das Dasein im besorgenden Sein beim Besorgten auf sich zukommen. Ein solches Auf-sichzukommen des Daseins wird von Heidegger terminologisch als ein Gewärtigen seiner selbst gefaßt: "Das Dasein kommt nicht primär in seinem eigensten, unbezüglichen Seinkönnen auf sich zu, sondern es ist besorgend seiner gewärtig aus dem, was das Besorgte ergibt oder versagt" (SuZ, 446). Das Verstehen aufgrund der uneigentlichen Zukunft, d.h. des Gewärtigens, ist das uneigentliche Verstehen. Sofern sich das uneigentliche Verstehen auf ein Seinkönnen aus dem Besorgbaren entwirft, zeitigt es sich "aus dem Gegenwärtigen" (SuZ, 448) des Besorgbaren. Das gewärtigende Sichentwerfen auf die aus dem Besorgten, es gegenwärtigend, geschöpften Möglichkeiten bedeutet schon das Vergessen des eigensten Seinkönnens des Daseins. Daher wird der Charakter der Zukunft im uneigentlichen Verstehen als Gewärtigen gefaßt, derjenige der Gegenwart als Gegenwärtigen und derjenige der Gewesenheit als Vergessenheit. Insofern wird die Zeitlichkeit des uneigentlichen Verstehens als "das vergessend-gegenwärtigende Gewärtigen" (SuZ, 449) gekennzeichnet. b) Der Vollzug der uneigentlichen Zeitlichkeit findet sich auch im Phänomen der Furcht als uneigentlicher Befindlichkeit. Das Fürchten erschließt ein Bedrohendes, das sein Wovor ist, in der Weise der alltäglichen Umsicht, während ein nur anschauendes Subjekt ein solches nicht zu entdecken vermöchte. Das Wovor der Furcht ist ein innerweltlich Begegnendes (Zuhandenes, Vorhandenes oder Mitdasein) und hat den Charakter der Bedrohlichkeit. Die Furcht offenbart also das Furchtbare bzw. Bedrohliche. Daher wird das Fürchten selbst als "das sich-angehen-lassende Freigeben des [... ] Bedrohlichen" (SuZ, 187) gekennzeichnet. Sofern das Wovor der Furcht ein innerweltlich Begegnendes ist, ist das Woraus der Zeitigung der Furcht im Ganzen der Sorge

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das Gegenwärtigen. Das Worum der Furcht aber ist das sich fürchtende Seiende selbst, d.h. das Dasein als Seinkönnen, weil das Fürchten dieses Seiende in seiner Gefährdung, in der Überlassenheit an es selbst, erschließt. Die Furcht hat zwar, wie die Erwartung, den Charakter der Zukunft. Aber die Furcht als Stimmung wird von der bloßen Erwartung unterschieden. Das Erschließen des Fürchtens vor... ist, wie in der Erwartung, ein Auf-sich-zukommen-lassen und somit zukünftig. Trotzdem decken sich Erwartung und Furcht nicht, weil diese anders als jene ihren eigenen spezifischen Stimmungscharakter hat. Dieser liegt darin, daß "das Gewärtigen der Furcht das Bedrohliche auf das faktisch besorgende Seinkönnen zurückkommen läßt" (SuZ, 452). Wegen dieses Stirnmungscharakters ist das Fürchten zumal das fürchtende Gewärtigen und das Sichfürchten um das gewesene Seinkönnen. Insofern wird der Stimmungs- und Affektcharakter der Furcht dadurch festgestellt, daß "das fürchtende Gewärtigen ,sich' fürchtet, das heißt, daß das Fürchten vor... je ein Fürchten um ... ist" (ebd). Der zeitliche Charakter dieses Fürchtens um ... ist das Zurückkommen-auf-sich. Zum Zurückkommen-auf-sich der Furcht gehört wegen ihrer Gedrücktheit ein Sichvergessen im Sinne des verwirrten "Ausrükken[ s] vor dem eigenen faktischen Seinkönnen" (ebd). Der Bezug der Gedrücktheit zur Weise der Gewesenheit liegt darin: "Die Gedrücktheit zwingt das Dasein auf seine Geworfenheit zurück, aber so, daß diese gerade verschlossen wird" (ebd). Das Dasein rückt bei dem Auf-sich-zurückkommen vor dem eigenen faktischen Seinkönnen aus und vergißt sich. Dieses vergessende Ausrücken hält sich immer nur an die Möglichkeiten des Sichrettens und Ausweichens, die zuvor umsichtig schon entdeckt sind. Insofern gehört zum Sichvergessen "das verwirrte Gegenwärtigen des Nächsten-Besten" (ebd). Das sichvergessende Gegenwärtigen der schwebenden Möglichkeiten ermöglicht "die Verwirrung" (SuZ, 453). Diese ist es, die den Stimmungs charakter der Furcht mit ausmacht. Daher heißt es: "Die Vergessenheit der Verwirrung modifiziert auch das Gewärtigen und charakterisiert es als das gedrückte bzw. verwirrte Gewärtigen, das sich von einem puren Erwarten unterscheidet" (ebd).58 Insofern wird die Zeitlichkeit der Furcht als "ein gewärtigend-gegenwärtigendes Vergessen" (ebd) gekennzeichnet. c) Die uneigentliehe Zeitlichkeit enthüllt sich auch im Verfallen des Daseins. Das Verfallen hat als ein Modus des Sein-bei, das ein Strukturmoment der Sorge ist, seinen existenzial-zeitlichen Sinn in der Gegenwart. Wenngleich Hei5K Die Zeitigungsekstasen der Flucht bestimmen einander in deren Fortgang. Ihr Bezug ist nicht einseitig (wie in der eigentlichen Zeitlichkeit) faßbar. Die wechselseitige Modifizierung unter den Zeitigungsekstasen enthüllt sich auch in der folgenden Analyse der Zeitlichkeit des Verfallens. Die wechselseitige Modifizierung gilt aber nicht von den Zeitigungsekstasen des eigentlichen Verstehens des Daseins. Denn sie machen die bestimmte Vollzugsweise der Zeitigung aus, die auf-sieh-zukommend und auf das gewesene zurückkommend, d.h. als sichwiederholendes Vorlaufen, erst die Gegenwart weckt.

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degger die vorbereitende Analyse des Verfallens mit der Interpretation von Gerede, Neugier und Zweideutigkeit vollzieht, beschränkt er die zeitliche Analyse des Verfallens auf die Neugier. Denn an ihr ist die spezifische Zeitlichkeit des Verfallens "am leichtesten zu sehen" (SuZ, 458). Die Neugier ist "eine ausgezeichnete Seinstendenz des Daseins, gemäß der es ein Sehenkönnen besorgt" (ebd).59 Während das Vernehmen im weiteren Sinne das Seiende gegenwärtigt, "um es, bei ihm verweilend, zu verstehen", gegenwärtigt die Neugier das Vorhandene, "nur um zu sehen und gesehen zu haben" (ebd). Als solche ist die Neugier "das sich in dem Vorhandenen verfangende Gegenwärtigen" (ebd). Die Neugier dringt vor zu einem Noch-nicht-Gesehenen und zwar in der Weise, daß "das Gegenwärtigen sich dem Gewärtigen zu entziehen sucht" (SuZ, 459). Weil das Gegenwärtigen der Neugier ständig dem Gewärtigen sich zu entziehen sucht, ist es "ein ungehaltenes Gegenwärtigen" (ebd). Der Bezug der Gegenwart zum Gewärtigen wird daher wie folgt gefaßt: "Die Gegenwart ,entspringt' dem zugehörigen Gewärtigen in dem betonten Sinne des Entlaufens" (ebd). Dieses Gegenwärtigen, das dem Gewärtigen einer bestimmten ergriffenen Möglichkeit ständig entspringt, ermöglicht ontologisch "das Unverweilen" (ebd) der Neugier. 60 Dem Gewärtigen entspringend modifiziert das Gegenwärtigen seinerseits das Gewärtigen selbst, um dieses dem Gegenwärtigen nachspringen zu lassen. Die durch das entspringende Gegenwärtigen vollzogene ekstatische Modifikation des Gewärtigens zu einem nachspringenden ermöglicht ontologisch die "Zerstreuung" (ebd). Weil durch das nachspringende Gewärtigen das Gegenwärtigen mehr und mehr ihm selbst überlassen wird, gegenwärtigt es um der Gegenwart willen und verfangt sich in sich. Das zerstreute Unverweilen wird durch das so sich in sich selbst verfangende Gegenwärtigen zur "Aufenthaltslosigkeit" (ebd). Das sich in sich selbst verfangende Gegenwärtigen ist "das äußerste Gegenphänomen zum Augenblick" (ebd). Während der Augenblick das eigentliche ,Da' erschließt, ist das Da-sein in der Aufenthaltslosigkeit "überall und nirgends" (ebd). Je mehr sich das Gegenwärtigen um sei-

59 "Die Grundverfassung der Sicht zeigt sich an einer eigentümlichen Seinstendenz der Alltäglichkeit zum ,Sehen'" (SuZ, 226). Diese Tendenz nennt Heidegger Neugier. Diese aber ist nicht vor allem auf das Sehen eingeschränkt, sondern sie drückt "die Tendenz zu einem eigentümlichen vernehmenden Begegnenlassen der Welt" (ebd) aus. Die Neugier aber, die hier in der zeitlichen Analyse behandelt wird, ist die Tendenz der von der Werkwelt freigewordenen Umsicht, d.h. "die freigewordene Neugier", die das Neue nur sucht, "um von ihm erneut zu Neuem abzuspringen" (SuZ, 229). 60 Weil das, worum es der Sorge der Neugier geht, "Möglichkeiten des Sichüberlassens an die Welt" (SuZ, 229) sind, d.h. weil es darum geht, von Neuem erneut zu Neuem abzuspringen, gehört zur Neugier als ihr Charakter "ein spezifisches Unverweilen beim Nächsten" (ebd). Sofern die Neugier "Unruhe und Aufregung durch das immer Neue und den Wechsel des Begegnenden" (ebd) sucht, besorgt sie in ihrem Unverweilen beim Nächsten "die ständige Möglichkeit der Zerstörung" (ebd). Das Unverweilen in der besorgten Umwelt und die Zerstörung in neue Möglichkeiten fundieren "die Aufenthaltslosigkeit" (ebd), die der dritte Charakter der Neugier ist.

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ner selbst willen zeitigt, um so mehr flieht es verschließend vor dem eigensten Seinkönnen des Daseins, um so weniger kann die Zukunft auf das eigenste Geworfensein zurückkommen. Deshalb liegt im ,Entspringen' der Gegenwart zugleich "ein wachsendes Vergessen" (SuZ, 460). Das Dasein versteht sich zwar auch in der Neugier, aber nur in seinem Verfallensein, d.h. uneigentlich. Sofern sich die Neugier als sichverfangendes Gegenwärtigen zumal gewärtigend und vergessend zeitigt, gründet sie in einer einheitlichen ekstatischen Zeitlichkeit. Aufgrund der zeitlichen Analyse der Neugier ist die uneigentliche Zeitlichkeit allgemein zu charakterisieren. Die uneigentliche Gegenwart ist als eine Ekstase der uneigentlichen Zeitlichkeit nur ein ,Entspringen' aus der eigentlichen Zeitlichkeit. Das heißt: Die Gegenwart der uneigentlichen Zeitlichkeit kann nicht von sich aus zum Augenblick werden, sondern nur durch die eigentliche Zukunft und Gewesenheit: "Die Gegenwart entspringt ihrer eigentlichen Zukunft und Gewesenheit, um erst auf dem Umweg über sich das Dasein zur eigentlichen Existenz kommen zu lassen" (SuZ, 460-61). Das Verfallen in die Verlorenheit gründet im Fliehen vor der Geworfenheit in das Sein zum Tode. Mit dem Fliehen vor der Geworfenheit, wovor das Dasein eigentlich gebracht werden kann, um sich in ihr eigentlich zu verstehen, verfällt das Dasein sichverlierend an das Besorgte. Das Verfallen in die Verlorenheit gründet in der "Bewegtheit" (SUZ, 461) des Wurfs des Geworfenseins in die Welt. Diese Bewegtheit ist es, die sich nicht schon dadurch löst, daß das Dasein nun in die Welt geworfen ist. Vielmehr verliert sich das Dasein als in die Welt Geworfenes weiter "an die ,Welt' in der faktischen Angewiesenheit auf das zu Besorgende" (ebd). Mit dem Verfallen in die Verlorenheit ist die eigentliche Zukunft und Gewesenheit schon versperrt. Aus der uneigentlichen Gegenwart des Verfallens zeitigen sich weiter die uneigentliche Zukunft und Gewesenheit. Die uneigentliche Zeitlichkeit, die in der Neugier exemplarisch gezeigt wird, ist die (zerstreut) gewärtigende, sichvergessende und (ungehalten) gegenwärtigende Zeitlichkeit. 61

61 Ein derivatives Phänomen der uneigentlichen Existenz findet sich in der "Unentschlossenheit der uneigentlichen Existenz", die sich "im Modus eines ungewärtigendvergessenden Gegenwärtigens" (SuZ, 542) zeitigt. Das Ungewärtigen ist ein derivativer Modus des Gewärtigen (vgl. SuZ, 470). Die in einem solchen Modus sichvollziehende Zeitigung ist die Zeitlichkeit des unentschlossenen Besorgens, aufgrund deren die Zeit als Jetzt-folge begriffen wird. Die Zeitigung der Neugier, zu der als ihre Zeitigungsekstasen ein ungehaltenes Gegenwärtigen, ein nachspringenes Gewärtigen und ein wachsendes Vergessen gehören, bildet nach dem Wesen der Zeitigung jeweils eine einheitliche ZeitJichkeit. Die Grundordnung der Zeitigung der Neugier kann insofern gekennzeichnet werden, als die Gegenwart dem zugehörigen Gewärtigen ,entspringt' und ein wachsendes Vergessen im ,Entspringen' der Gegenwart liegt. Der Grund dafür, daß "Heidegger nirgends für die Uneigentlichkeit eine [... ] Grundordnung der Zeitigung hergestellt hat wie für die eigentliche Existenz" (M. Heinz, ,Zeitlichkeit und Temporalität', 116) findet der Verfasser nicht zuerst in der ",Zerstückelung' der Zeitigung" als "Bedingung der Möglichkeit der Zerstreuung und Unganzheit des uneigentJichen Daseins"

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c) Das Weltphänomen und die Zeitlichkeit des Besorgens

a) Welt besagt als existenzial-ontologischer Begriff die Weltlichkeit, die in der Bedeutsamkeit liegt. 62 Die Bedeutsamkeit besagt ontologisch den Zusammenhang der be-deutenden Bezüge des Worum-willen, Um-zu, Dazu, Wobei, Womit: "Das Worumwillen bedeutet ein Um-zu, dieses ein Dazu, dieses ein Wobei des Bewendenlassens, dieses ein Womit der Bewandtnis. [... ] Das Bezugs ganze dieses Bedeutens nennen wir die Bedeutsamkeit. Sie ist das, was die Struktur der Welt, dessen, worin Dasein als solches je schon ist, ausmacht" (SuZ, 116). Wir verwenden hier das Wort "Welt" im Sinne der Bedeutsamkeit. Wie ist Welt dann in der Einheit mit dem existierenden Dasein ontologisch möglich? Das Dasein existiert und ist dabei als Geworfenes an Seiendes überantwortet, dessen es, umwillen seines Seinkönnens, bedarf. Sofern Dasein faktisch als Geworfenes existiert, versteht es sich im Zusammenhang des Um-willen seiner selbst mit einern jeweiligen Um-zu. Die Einheit der Bedeutsamkeit, worinnen das existierende Dasein sich versteht, ist mit der Existenz des Daseins schon als ,Da' erschlossen. In diesem Zusammenhang heißt es: "Das Worinnen des primären Selbstverständnisses ist die Seinsart des Daseins. Dieses ist existierend seine Welt" (SuZ, 482). Diese Welt ,existiert' als die in der Erschlossenheit des Da miterschlossene. Weil das Sichverstehen des Daseins das Verstehen seiner selbst als In-der-Welt-seins ist, ist Welt in der Erschlossenheit des Da miterschlossen. Daher heißt es: "Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt ,da'" (ebd). Weil das Dasein das In-der-Welt-sein ist, gehören das Selbst des Daseins und die Welt zusammen. Deshalb bedeutet die Frage der Transzendenz der Welt zugleich diejenige der Transzendenz des Daseins. Welt ist die Bedingung der Möglichkeit für das Begegnen des Seienden und ermöglicht das Begegnen des innerweltlichen Seienden. In diesem Sinne ist Welt "transzendent" (ebd). Sofern diese transzendente Welt zum Dasein gehört, ist das Dasein "das eigentliche Transzendente" (GdP , 425). Die Welt ist "kein Netz-

(ebd. 117), sondern darin: Das uneigentliche Verstehen, die Furcht und die Neugier sind die existenziellen Phänomene, die je primär im Gewärtigen, in der Gewesenheit oder im Gegenwärtigen gründen, wenngleich sie sich hinsichtlich der Struktur der Sorge im Ganzen aus dem Gegenwärtigen zeitigen. Wenn ein exemplarisches Phänomen der uneigentlichen Existenz das Verfallen ist, das seinerseits am leichtesten in der Neugier abzulesen ist, ist die Zeitlichkeit der Neugier, wenngleich in einem begrenzten Sinne, als uneigentliche Zeitlichkeit zu begreifen. 62 Das Wort ,Welt' ist, seinem verschiedenen Gebrauch entsprechend, vieldeutig: Als ontischer Begriff bedeutet ,Welt' das All des Seienden, als ontologischer Begriff die Region des Seienden, das seine eigene Seinsart hat, als ontisch-existenzieller Begriff die öffentliche Wir-Welt oder Umwelt. Heidegger unterscheidet von diesen Begriffen den ontologisch-existenzialen Weltbegriff als Weltlichkeit. Diese ist zwar "modifikabel zu dem jeweiligen Strukturganzen besonderer ,Welten', beschließt aber in sich das Apriori von Weltlichkeit überhaupt" (SuZ, 87). Das, was die Weltlichkeit ausmacht, ist die Bedeutsamkeit.

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werk von Fonnen, das von einem weltlosen Subjekt einem Material übergestülpt wird" (SuZ, 484), sondern besteht aus voraus verstandener Bedeutsamkeit bzw. Sinnbezügen. Insofern kann das ,Transzendenzproblem' sachgemäß nicht durch die folgende Frage gestellt werden: Wie kommt ein Subjekt hinaus zu einem Objekt oder zu ,Welt' als Objekt?63 Vielmehr wird es sachgemäß durch folgende Frage gestellt: Was ennöglicht das Begegnen des innerweltlichen Seienden? Das heißt: Wodurch und wie wird das Begegnen des innerweltlichen Seienden möglich? Sofern die Erschlossenheit des Da in der Zeitlichkeit gründet, muß die ontologische Verfassung der im Da miterschlossenen Welt (Bedeutsamkeit) gleichfalls in der Zeitlichkeit gründen. Sofern Welt selbst immer als eine Erschlossenheit bleibt, muß sie einen transzendentalen Horizont haben. Dieser Horizont ist nur deshalb möglich, weil die Zeitlichkeit einen Horizont bildet: "Die existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit der Welt liegt darin, daß die Zeitlichkeit als ekstatische Einheit so etwas wie einen Horizont hat" (SuZ, 482). Welt ist aufgrund des Horizontes der ekstatischen Zeitlichkeit schon aufgeschlossen und ennöglicht die Transzendenz des Daseins und das Begegnen des innerweltlichen Seienden. Die Welt als eine existenziale Bestimmtheit des Daseins ist hinsichtlich des Begegnenlassens des Seienden apriori und transzendent. 64 Zur Ekstase der Zeitlichkeit gehört immer ein ,Wohin' der Entrückung, das Horizont, bzw. horizontales Schema heißt. 65 Dieses horizontale Schema besteht als Wohin der Ekstase aus der und fur die Ekstase. Das horizontale Schema des Auf-sich-zukommens des Daseins faßt Heidegger als "Umwillen seiner", das Schema des Zurück-kommens als "Wovor der Geworfenheit" bzw. "Woran der Überlassenheit", das Schema der Gegenwart als "das Um-zu" (Vgl., SuZ, 48283). Die Einheit dieser horizontalen Schemata, d.h. die Einheit von Umwillen seiner, Wovor und Um-zu, gründet in der ekstatischen Einheit der transzendentalen Zeitlichkeit, die die Zukunft des Umwillens fuhrt, und bildet als sol-

~3 Denn die Transzendenz ist als In-der-Welt-sein "nicht erst die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, sondern das, was eine solche Beziehung zuvor schon ermöglicht, sofern die Transzendenz den Entwurf des Seins von Seiendem vollzieht" (KPM, 228). M Daß die Möglichkeit der Welt in der "Einheit des ekstatischen Schwingens" (GA26, 270) liegt, bedeutet in sich, daß sich die Zeitlichkeit "schwingend als ein WeIten" (ebd) zeitigt, das als solches das Geschehen des Welteingangs des Seienden ist, in dem die Möglichkeit der Enthüllbarkeit von Seiendem liegt. Daher heißt es: "Welteingang ist gegründet auf die Zeitigung der Zeitlichkeit. [... ] Der WeIte in gang von Seiendem ist die Urgeschichte schlechthin" (ebd). Mit der Zeitigung also geschehen Transzendenz und Welteingang (vgl. GA26, 272) zugleich. 05 Mit Horizont ist nicht der auf Blicken und Anschauen bezogene Umkreis des Blickfeldes gemeint, sondern er besagt "einfach an sich das Eingrenzende, Umschließende, den Umschluß" (GA26, 269). Weil sich jede Ekstase selbst umschließt, zeigt sich der Horizont in und mit der Ekstase und zwar als "ihr Ekstema" (ebd). Dieses bezeichnet, daß der Horizont der in und mit der Ekstase gebildete ist. 7 Cheong (PHS)

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che den Horizont der Welt. 66 In diesem Horizont wird dem Dasein es selbst erschlossen: "Der Horizont der ganzen Zeitlichkeit bestimmt das, woraufhin das faktisch existierende Seiende wesenhaft erschlossen ist" (SuZ, 483). Das faktisch existierende Seiende ist das faktische Da-sein, das das Da schon erschlossen offenhält. Das heißt: "Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das ,Schon-sein' erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt" (ebd). Der ursprüngliche Zusammenhang der Um-zu-Bezüge mit dem Um-willen ist aufgrund der horizontalen Einheit der Schemata der Ekstasen erschlossen. Die Welt als Zusammenhang der Um-zu-Bezüge mit dem Um-willen gründet in der horizontalen Einheit der Schemata und daher ursprünglich in der Zeitlichkeit, welche als ekstatische die horizontale Einheit der Schemata bildet. Der Horizont der Schemata der Ekstasen der Zeitlichkeit ermöglicht Welt. So ist der Bezug der Zeitlichkeit zur Welt in der fundamentalontologischen Blickbahn ein ermöglichender Bezug. Sofern Welt im schon erschlossenen Horizont der Ekstasen der Zeitlichkeit des Daseins gründet, gehört sie zum Dasein und ist in ihm schon erschlossen. Das Schon-erschlossen-sein (Erschlossenheit) der Welt bedeutet: Das Dasein ist über sich und das Seiende hinaus immer schon in die Welt geschritten, versteht sich aus dieser Welt und entdeckt so sichverstehend das begegnende Seiende. Hinsichtlich der Bewegung der Zeitlichkeit bedeutet dies: "Ekstatisch hält sich die Zeitlichkeit schon in den Horizonten ihrer Ekstasen und kommt, sichzeitigend, auf das in das Da begegnende Seiende zurück" (SuZ, 484). Die Zeitlichkeit des Daseins zeitigt sich immer in den Horizonten der Ekstasen der Zeitlichkeit, worin Welt gründet, und kommt von dort her sich verstehend auf das Begegnende zurück: "Das faktische Dasein kommt [... ], ekstatisch sich und seine Welt in der Einheit des Da verstehend, aus diesen Horizonten zurück auf das in ihnen begegnende Seiende" (ebd). Das verstehende Zurückkommen auf... ist "der existenziale Sinn des gegenwärtigenden Begegnenlassens von Seiendem" (ebd). Das Begegnen des innerweltlichen Seienden ist nur aufgrund des gegenwärtigenden Zurückkommens auf das Seiende aus dem Horizont der Welt möglich. Dies besagt zugleich: Das Besorgen des innerweltlichen Seienden ist nur möglich aufgrund des Zurückkommens des Daseins aus dem Horizont der Welt. 67

~~ "Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit hat als Entrückungseinheit einen, und zwar primär aus der Zukunft, dem Umwillen, gezeitigten Horizont: die Welt" (GA26, 275). Der aus der temporalen Zeitigung , d.h. aus der Gegenwart, gezeitigte Horizont ist hingegen der Zeithorizont des Seins. VgL: § 10. ~7 Während das besorgende Entdecken des Seienden aufgrund des Zurückkommens des Daseins aus dem Horizont der Schemata der Ekstasen der Zeitlichkeit möglich ist, ist das Sein des Seienden in seiner Anwesenheit schon vor dem Entdecken des Seienden in seiner Seinsweise (Zu- oder Vorhandenheit) erschlossen. Das erschlossene Sein ist es,

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b) Wir wollen nun die zeitliche Vollzugsweise des Besorgens nachvollziehen, um die Ausarbeitung des Bezugs der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit vorzubereiten. Das besorgende Sein bei der ,Welt' besagt den Umgang in und mit der Umwelt. Als exemplarische Phänomene des besorgenden Seins bei... wählt Heidegger "das Gebrauchen, Hantieren, Herstellen von Zuhandenem und deren defiziente und indifferente Modi, das heißt das Sein bei dem, was zum alltäglichen Bedarf gehört" (SuZ, 466). Auch die eigentliche Existenz des Daseins hält sich "in solchem Besorgen - selbst dann, wenn es für sie ,gleichgültig' bleibt" (ebd).68 Was ist dann die existenziale Verfassung des Umgangs? Der besorgende Umgang hält sich nicht bei einem einzelnen Zeug auf, sondern bleibt als solcher auf einen Zeugzusammenhang orientiert: "Alles ,zu Werke Gehen' und Zugreifen stößt nicht aus dem Nichts auf ein isoliert vorgegebenes Zeug, sondern kommt aus der je schon erschlossenen Werkwelt im Zugriff auf ein Zeug zurück" (ebd). Das existierende Sein beim besorgten Seienden ist nicht auf ein isoliert zuhandenes Zeug orientiert, sondern auf das Zeugganze. Diese existenziale Verfassung des Umgangs zeigt den auszeichnenden Seinscharakter des zuhandenen Zeugs, d.h. die Bewandtnis. Jedes Zeug weist auf ein anderes Zeug hin. Ein Zeug des Umgangs, d.h. das Womit, mit dem wir umgehen, ist schon auf das Wobei, bei dem wir das Zeug gebrauchen, angewiesen. Dieser Bezugscharakter des Zeugs, d.h. die Bewandtnis, ist "die Seinsart des Zuhandenen" (SuZ, 467). Das Begegnenlassen des Zuhandenen wird durch das Verstehen der Bewandtnis vollzogen: "Das umsichtig entdeckende Sein bei ... des Besorgens ist ein Bewendenlassen, das heißt verstehendes Entwerfen von Bewandtnis" (ebd). Dieses Bewendenlassen ist "die existenziale Struktur des Besorgens" (ebd). Worin liegt dann die existenziale Bedingung der Möglichkeit des Bewendenlassens? Das Besorgen gehört als Sein bei... zur wesenhaften Verfassung der Sorge, die ihrerseits in der Zeitlichkeit gründet. Die Bedingung der Möglichkeit des Bewendenlassens liegt also ursprünglich in der Zeitlichkeit. Aber in welchem Modus der Zeitigung der Zeitlichkeit? Ein Zeug ist das Womit, mit dem wir umgehen. Das Wobei des Zeugs hat den Charakter des Wozu. Im Hinblick auf das Wozu ist das Womit verwendbar. Das besorgende Verstehen des Wozu, das heißt des Wobei der Bewandtnis, hat die zeitliche Struktur des Gewärtigens. Nur sofern das Dasein das Wozu gewärtigt, kann es zugleich auf so etwas zurückkommen, womit es die Bewandtnis hat. Für dieses Zurückkom-

das durch die horizontale Zeit temporal bestimmt ist. Diese horizontale Zeit (Zeit-Horizont) wird in § 10 und § 18 untersucht. 6K In Hinsicht auf die Entschlossenheit differenziert sich das Sein-bei in das entschlossene und das unentschlossene (vgl. SuZ, 514f, vgl. SuZ, 350, 431). Hier ist aber das Besorgen selbst ohne Bezug auf die Entschlossenheit, d.h. als indifferentes, gesagt. Zum entschlossenen Sein-bei vgl. § 12 a). Zum Bezug von Verfallen und Sein-bei vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 199,207-8.

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men muß das Womit der Bewandtnis behalten bleiben. Insofern gründet das besorgende Gegenwärtigen eines Zeugs im Gewärtigen des Wobei und Behalten des Womit. Dies faßt Heidegger wie folgt: "Das Gewärtigen des Wobei in eins mit dem Behalten des Womit der Bewandtnis ermöglicht in seiner ekstatischen Einheit das spezifisch hantierende Gegenwärtigen des Zeugs" (SuZ, 46768). Da sich das Bewendenlassen weder nur zum Wobei noch nur zum Womit verhält, konstituiert es sich "in der Einheit des gewärtigenden Behaltens, so zwar, daß das hieraus entspringende Gegenwärtigen das charakteristische Aufgehen des Besorgens in seiner Zeugwelt ermöglicht" (SUZ, 468). Der Modus der Zeitigung des Bewendenlassens ist also "das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen" (ebd). Bei dem Besorgen ist "ein spezifisches Vergessen" für die Zeitlichkeit des Bewendenlassens "wesentlich" (ebd). Das Selbst muß sich vergessen, "um an die Zeugwelt ,verloren' ,wirklich' zu Werke gehen und hantieren zu können" (ebd).69 Jedoch wird das Selbst dabei nicht ganz vergessen: "Sofern aber in der Einheit der Zeitigung des Besorgens je ein Gewärtigen führt, ist [... ] das eigene Seinkönnen des besorgenden Daseins in die Sorge gestellt" (ebd).70 Die Zeitlichkeit des Besorgens wird also als das gewärtigendbehaltende Gegenwärtigen gefaßt. Diese Zeitlichkeit wird durch die zeitliche Analyse der Modi des umsichtigen Begegnenlassens wie Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit verdeutlicht (vgl. SuZ, 469-471).71 Demzufolge haben die Modi des besorgenden Umgangs die modifizierte Einheit des gewärtigend-behaltend-Gegenwärtigens: Im Umgang mit dem Ungeeigneten ist das Gegenwärtigen ein aufgehaltenes Gegenwärtigen; im Umgang mit dem Feh6~ Dies kann eine Charakteristik einer echten Uneigentlichkeit sein. Die Modi der Eigentlichkeit und der Uneigentlichkeit kreuzen sich mit dem Modus der Echtheit oder Unechtheit. Dazu heißt es: "Es gibt eine unechte Eigentlichkeit, d.h. ein unechtes Beisichselbstsein des Daseins, und es gibt eine echte Uneigentlichkeit, d.h. ein echtes, aus dem betreffenden konkreten Dasein erwachsenes Verlieren seiner selbst" (GA21, 22627). 70 In der Zeitlichkeit sowohl des Bewendenlassens wie der Neugier ist das Selbst zwar nicht ganz vergessen. Dabei aber ist das Selbst "seinem eigensten Seinkönnen, das primär in der eigentlichen Zukunft und Gewesenheit gründet, entfremdet" (SuZ, 460). Von den extremsten Fällen des Besorgens heißt es, daß "auch bei aller Selbstvergessenheit, noch eine Tendenz der Sorge lebendig ist, in der es um das Dasein selbst geht, nur daß dann dieses Dasein, um das es selbst geht, fast verstandenen ist wie ein Ding, das nun einmal vorhanden ist, und mit dem man sich, auf dem Umwege über die handwerkmäßig betriebene Sache abfindet" (GA21, 231). 71 Unter dem Unzuhandenen im weiteren Sinne werden das unverwendbare, das fehlende und das unerledigte Zeug verstanden. Der Modus des Begegnenlassens des Unverwendbaren ist die Auffälligkeit, derjenige des Fehlenden die Aufdringlichkeit, derjenige des Unerledigten die Aufsässigkeit. Im Modus des Begegnenlassens entdeckt sich das Unverwendbare in "einer gewissen Unzuhandenheit", das Fehlende in "einem gewissen Nurvorhandensein" (SuZ, 99), das Unerledigte in einer spezifischen Weise der "Vorhandenheit" (SuZ, 100).

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lenden ist das Gegenwärtigen ein Un-gegenwärtigen des erwarteten Verfiigbaren; im Umgang mit dem Überraschenden ist das Gewärtigen ein Un-gewärtigen eines anderen Zuhandenen; im Umgang mit dem Widerständigen ist das Behalten ein Un-behalten des ungeeigneten Verfiigbaren. Durch die zeitliche Analyse der Modi des besorgenden Umgangs wird die Zeitlichkeit des Besorgens als dasjenige gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen enthüllt, das in sich verschiedene mögliche Modifikationen hat. Wir können nun auf dem Grunde des besorgenden Sein-bei den Bezug der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit untersuchen.

d) Der Bezug der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit

a) Eine e~istenzial-ontologische Thematisierung der Räumlichkeit findet sich in den §§ 22-24 von ,Sein und Zeit'. Hier werden die Räumlichkeit des innerweltlich Zuhandenen, die Räumlichkeit des Daseins und der zur Welt gehörige Raum aufgewiesen. Sachlich bedeutet diese Gliederung die Differenzierung von primär ontisch-kategorialen Raumphänomenen, existenziellen Raumphänomenen und räumlicher Erschlossenheit der Welt. Was zuerst untersucht wird, sind kategoriale Raumphänomene, die am Zuhandenen abzulesen sind. Um kategoriale Raumphänomene festzustellen, beginnt Heidegger mit dem Ausdruck ,zunächst Zuhandenes'. Dieses bedeutet nicht nur das Seiende, das je zuerst vor anderem begegnet, sondern auch "das Seiende, das ,in der Nähe' ist" (SuZ, 137). "Nähe" ist also ein Charakter des Zuhandenen des alltäglichen Umgangs. Allerdings hat das Zuhandene je eine verschiedene Nähe, die sich aus seinem umsichtig besorgenden Umgang und der diesen Umgang leitenden Bewandtnisverweisung (Zeughaftigkeit) regelt. Die Umsicht des Besorgens aber fixiert das Zuhandene nicht nur in der Weise der "Nähe", sondern auch "hinsichtlich der Richtung, in der das Zeug jederzeit zugänglich ist" (ebd). Die Nähe des Zuhandenen ist also immer "ausgerichtete Nähe" (ebd). Diese ausgerichtete Nähe des Zuhandenen bestimmt Heidegger als dessen Platz im Zusammenhang mit anderen Zeugen. 72 Der Platz ist "durch Richtung und Entferntheit" (ebd) konstituiert. Nähe ist dabei ein Modus der Entferntheit. Dieser Platz, den ein Zuhandenes nur im Zeugganzen hat, muß allerdings von einer physikalischen Stelle unterschieden werden. Jeder Platz ist ein bestimmtes ,Dort' und ,Da' des Hingehörens eines Zuhandenen. Sofern der

72 "Alles Weltliche, womit das Besorgen umgeht, hat jeweils in einem doppelten Sinne seinen Platz, einmal je nach der Weise seines weltlichen Seins als Vorhandensein seinen mit ihm schon vorhandenen Platz. [... ] Zum anderen aber haben die zunächst zuhandenen Umweltdinge jeweils ihren zugewiesenen Platz" (Prol, 310-11). Die Plätze des Zuhandenen sind "ausweisbar", diejenige des Vorhandenen hingegen "Iediglich vorfindlich" (Pro I, 311).

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jeweilige Platz "ein Platz dieses Zeugs zu ... " und so aufgrund des Zeugzusammenhangs möglich ist, ist er immer schon bestimmt "aus einem Ganzen der aufeinander ausgerichteten Plätze des umweltlieh zuhandenen Zeugzusammenhangs" (ebd). Zum Zeugganzen gehört als sein konstitutiver Charakter eine plazierbare Hingehörigkeit. Das, was der plazierbaren Hingehörigkeit eines Zeugganzen als Bedingung ihrer Möglichkeit zugrunde liegt, ist "das Wohin überhaupt, in das hinein einem Zeugzusammenhang die Platzganzheit angewiesen wird" (ebd). Dieses Wohin überhaupt nennt Heidegger "die Gegend" (ebd). Die Gegend als Wohin des möglichen zeughaften Hingehörens ist immer schon im besorgenden Umgang umsichtig vorweg im Blick gehalten. Das Wo eines Zeugs, d.h. dessen Platz, ist nur deshalb möglich, weil das Wohin der plazierbaren Hingehörigkeit des Zeugzusammenhangs vorgängig entdeckt ist. Der Platz ist schon "auf eine Gegend und innerhalb ihrer orientiert" (SuZ, 138).73 Was uns zunächst gegeben ist, das ist keine dreidimensionale Mannigfaltigkeit der möglichen Stellen, sondern die gegendhaft orientierte Platzmannigfaltigkeit des Zuhandenen. Die gegendhafte Räumlichkeit des Zuhandenen ist ursprünglicher als die reine dreidimensionale Stelle. Gegenden sind je schon in den einzelnen Plätzen zuhanden. 74 Diese Plätze werden ihrerseits dem Zuhandenen angewiesen. Dem besorgenden Dasein enthüllt sich Raum als Räumlichkeit des Zeugganzen, d.h. dessen Platzganzheit: "Der Raum, der im umsichtigen In-derWelt-sein als Räumlichkeit des Zeugganzen entdeckt ist, gehört je als dessen Platz zum Seienden selbst" (SuZ, 139). Im Raum als Räumlichkeit des Zeugganzen ist der bloße physikalische Raum noch verhüllt. Raum ist zwar immer "in die Plätze aufgesplittert" (ebd), aber er ist "eine eigentümliche und ungesplitterte Einheit der Plätze" (ebd, Randbemerkung a). Wodurch bekommt dann die Räumlichkeit des Zeugganzen (Platzganzheit) ihre eigene Einheit? Sofern die Räumlichkeit des Zeugganzen aufgrund des Zeugzusammenhangs möglich ist, der seinerseits in der Bewandtnisganzheit gründet, hat sie "durch die weltmäßige Bewandtnisganzheit des räumlichen Zuhandenen" (ebd) ihre eigene Einheit. Die Einheit der Räumlichkeit ist also durch die weltmäßige Bewandtnisganzheit fundiert. Die Räumlichkeit des Zuhandenen als dessen ,Sein im Raum' bedeutet phänomenal, daß das Zuhandene innerhalb der Platzganzheit an einem Platz zu-

73 "Diese gegenhafte Orientierung macht das Umhafte, das Um-uns-herum des umweltlich nächstbegegnenden Seienden aus" (SuZ, 138). 74 In diesem Sinne heißt es: "Gegend ist nichts anderes als das ,Wo eines Wohin'" (Prol, 310); "die Gegend ist das Wo des Wohin eines Hingehörens, Hingehens, Hinbringens, Hinsehens und dergleichen" (Pro I, 314). "Gegend muß zuvor entdeckt sein, soll das Anwesen und Vorfinden von Plätzen einer umsichtig verftigbaren Zeugganzheit möglich werden. [... ] Gegenden werden nicht erst durch zusammen vorhandene Dinge gebildet, sondern sind je schon in den einzelnen Plätzen zuhanden" (SuZ, 138). Die Gegend findet also ihre "Konkretion im Platz" (Prol, 316).

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handen ist. Die Räumlichkeit des Daseins hingegen darf nicht in Hinsicht auf die Zuhandenheit verstanden werden, sondern sie muß in Hinsicht auf das InSein bzw. das Sein-bei verstanden werden. Wenn aber die Räumlichkeit des Zuhandenen ein daseinsmäßiges primäres kategoriales Phänomen ist, muß die Räumlichkeit des Daseins korrelativ zu jenem verstanden werden. Dem entsprechend, daß der Platz des Zuhandenen durch Ent-ferntheit und Richtung ausgemacht ist, zeigt die Räumlichkeit des Daseins "die Charaktere der Entfernung und Ausrichtung" (SuZ, 140). Heidegger verwendt den Ausdruck ,Entfernung' in "einem transitiven, aktivischen Sinne", d.h. im Sinne von "Verschwindenmachen der Feme" (Prol, 313). Als solches bedeutet sie eine Näherung aus der Unentdecktheit in die Entdecktheit. Das entdeckende Sein-bei ist immer Ent-fernung. Insofern ist die Näherung und Ent-fernung immer je besorgendes Sein zu Genähertem und Ent-ferntem. So wie die Nähe bzw. Entferntheit immer ausgerichtet ist, so hat die Ent-fernung immer den Charakter der Ausrichtung: "Jede Näherung hat vorweg schon eine Richtung in eine Gegend aufgenommen, aus der her das Ent-fernte sich nähert, um so hinsichtlich seines Platzes vorfindlieh zu werden" (SuZ, 144-45). Ent-fernung und Ausrichtung sind es, die "als konstitutive Charaktere des In-Seins die Räumlichkeit des Daseins, besorgend-umsichtig im entdeckten, innerweltlichen Raum zu sein" (SuZ, 147) bestimmen. Die Räumlichkeit des Daseins liegt mit der Räumlichkeit des Zuhandenen in einem korrelativen Verhältnis. Nur deshalb, "weil Dasein in der Weise von Ent-fernung und Ausrichtung räumlich ist, kann das umwelt1ich Zuhandene in seiner Räumlichkeit begegnen" (ebd). Damit aber das Dasein ent-fernendes und ausrichtendes Sein-bei sein kann, muß es je schon eine entdeckte Gegend offen halten und auch schon als In-der-Gegendsein existieren. b) Das Entdecken des Zuhandenen als ein solches ist nur möglich in der erschlossenen Welt. Dies bedeutet, daß das Entdecken als die Freigabe des Seienden auf eine Bewandtnisganzheit immer schon in der Weltlichkeit der Welt fundiert ist: "Das freigebende Bewendenlassen vollzieht sich in der Weise des umsichtigen Sichverweisens, das in einem vorgängigen Verstehen der Bedeutsamkeit gründet" (SuZ, 147). Das Entdecken eines Seienden aus einer Bewandtnisganzheit, d.h. die Freigabe des Zuhandenen auf eine Bewandtnisganzheit, ist gleichursprünglich auch "die Freigabe der räumlichen Hingehörigkeit des Zuhandenen", d.h. "ein ent-fernend - ausrichtendes Bewendenlassen bei einer Gegend" (ebd). Das ent-fernend - ausrichtende Bewendenlassen gründet also in einem vorgängigen Verstehen der Gegend. Gegend besagt bei Heidegger das Wohin der möglichen Zugehörigkeit des zuhandenen Zeugzusammenhangs. Vorgezeichnet wird das Wohin überhaupt "durch das in einem Worumwillen des Besorgens festgemachte Verweisungsganze, innerhalb dessen das freigebende Bewendenlassen sich verweist" (SuZ, 148). Nur innerhalb eines Verweisungsganzen ist das Bewendenlassen eines Seienden möglich. In einem Verweisungsganzen wird ein Wohin vorgezeichnet. In einem Wohin wird ein

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Zuhandenes in seinem Charakter der Bewandtnis entdeckt. Insofern ist die Bewandtnis immer schon auf ein Wohin bzw. eine Gegend bezogen und so räumlich und gegendhaft. Dies faßt Heidegger wie folgt: "Mit dem, was als Zuhanden es begegnet, hat es je eine Bewandtnis bei einer Gegend. Zur Bewandtnisganzheit, die das Sein des umweltlich Zuhandenen ausmacht, gehört gegendhafte Raumbewandtnis" (ebd). Das, was für das Bewendenlassen eines Seienden vorausgesetzt wird, ist ein Verweisungsganzes, somit ein Wohin, eine Gegend, ein Raum. Heidegger bezeichnet das Begegnenlassen bzw. "das Freigeben des Zuhandenen auf seine Räumlichkeit" als ",Raum-geben'" bzw. "Einräumen" (ebd). Dieses Einräumen ist die "entdeckende Vorgabe einer möglichen bewandtnisbestimmten Platzganzheit" und ermöglicht also solche so etwas wie "um-, weg, und ,einräumen'" d.h. "die jeweilige faktische Orientierung" (ebd). Nur aus dem Einräumen, d.h. aus dem ent-fernend - einrichtenden Entdecken des Zuhandenen in seine Gegend, ist erst der faktische Umgang mit dem Zuhandenen möglich. Das einräumende Entdecken ist seinerseits nur möglich, weil das Inder-Weit-sein immer schon "Raum erschlossen hat" (SuZ, 149). Dieser vorgängig erschlossene Raum hat eine Apriorität im Sinne von "Vorgängigkeit des Begegnens von Raum (als Gegend) im jeweiligen umweltlichen Begegnen des Zuhandenen" (ebd). Daraus, daß aus der Bedeutsamkeit die Gehörigkeit des zuhandenen Zeugzusammenhangs in ein Wohin bestimmt wird, enthüllt sich: Die je vorgängig entdeckte Gegend bzw. der vorgängig erschlossende Raum liegt in der Welt (Bedeutsamkeit) und konstituiert so die Weit mit. Welt enthäIt in sich den Raum als ihr konstitutives Moment: "In der Bedeutsamkeit [... ] liegt die wesenhafte Miterschlossenheit des Raumes" (SuZ, 147). Der Raum ist immer schon mit der Weit (Bedeutsamkeit) miterschlossen. Raum als Gegend ist immer in der Weit erschlossen und als solche "ein Konstituens der Weit" (SuZ, 136). Der in der Weit mit erschlossene Raum ist der ursprüngliche Raum. Sofern Weit zum In-der-Welt-sein gehört, muß auch der Raum, der ein Konstituens der Weit ist, zum In-der-Welt-sein gehören. c) Die Verfassung des Daseins und somit seine Seinsweise ist ontologisch nur auf dem Grund der Zeitlichkeit möglich. Insofern muß auch die spezifische Räumlichkeit des Daseins als seine eigene Grundbestimmtheit des In-seins in der Zeitlichkeit gründen. Aber der Nachweis der Zeitlichkeit als Bedingung der Möglichkeit der Räumlichkeit bedeutet bei Heidegger weder die Deduktion des Raumes aus der Zeit oder seine Auflösung in pure Zeit, noch eine Erklärung von "dem Vorrang der Zeit gegenüber dem Raum im Sinne Kants" (SuZ, 486).75 Nach Heidegger ist Kants Erklärung "keine existenzial-ontologische

75 Bei Kant steht der reine Raum als vorstellendes Bilden und Offenbarmachen insofern mit der Zeit als reines Nacheinander der Jetztfolge "in gewissen Sinne gleich", als er eine "transzendentale Funktion" (KPM, 193) hat und "nicht minder in der transzen-

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Interpretation des Raums als einer Anschauungsform, sondern eine ontische Feststellung des Ablaufs von psychisch Vorhandenem ,in der Zeit'" (ebd). Wie schon gesagt, hat das Dasein Raum erschlossen und existiert in diesem in der Weise des Einräumens. Dies bedeutet: "Existierend hat es sich je schon einen Spielraum eingeräumt. Es bestimmt je seinen eigenen Ort so, daß es aus dem eingeräumten Raum auf den ,Platz' zurückkommt, den es belegt hat" (ebd). Raum ist weder früher da als das Dasein noch selbst vorhanden. Vielmehr ist er vom Dasein jeweils als ein Spielraum erschlossen und ,existiert' in dem Sicheinräumen des Daseins. Die Räumlichkeit des Daseins bezeichnet dessen Sicheinräumen, das durch Ausrichtung und Ent-fernung konstituiert wird. Sofern die Räumlichkeit des Daseins das Sicheinräumen des Daseins ist, dessen Seinssinn die Zeitlichkeit ist, lautet die Frage nach dem Bezug der Räumlichkeit zur Zeitlichkeit: Wie ist das Sicheinräumen existenzial auf dem Grund der Zeitlichkeit des Daseins möglich? Das erste Moment des Sicheinräumens des Daseins ist das sich ausrichtende Entdecken von Gegend als Wohin der Hingehörigkeit des Zeugs. Sofern diese Hingehörigkeit einen wesenshaften Bezug zur Bewandtnis hat, determiniert sie sich immer aus dem Bewandtniszusammenhang des besorgten Zeugs. Das, was die Bewandtnisbezüge verständlich macht, ist der Horizont einer erschlossenen Welt. Der Horizontcharakter der Welt ist es, der "auch erst den spezifischen Horizont des Wohin der gegendhaften Hingehörigkeit" (SuZ, 487) ermöglicht. Für das Sicheinräumen des Daseins müssen zuvor die Bewandtnisbezüge behalten bleiben, die auf dem Horizont der Welt beruhen und in denen die Raumbewandtnis und somit das Wohin überhaupt enthalten bleiben. Innerhalb der behaltenen Bewandtnisbezüge vollzieht sich die Ausrichtung. Diese gründet zeitlich im Gewärtigen eines Wohin: "Das sichausrichtende Entdecken von Gegend gründet in einem ekstatisch behaltenden Gewärtigen des möglichen Dorthin und Hierher" (ebd). Das zweite Moment des Sicheinräumens ist ein Nähern (Ent-fernen) von Zuhandenem und Vorhandenem. Das Besorgen kommt aus der vorentdeckten Gegend ent-fernend auf das Nächste zurück. Dieses Zurück-kommen bedeutet zeitlich nichts anderes als das Gegenwärtigen des Nächsten: "Näherung und imgleichen Schätzung und Messung der Abstände innerhalb des ent-fernten innerweltlich Vorhandenen gründen in einem Gegenwärtigen, das zur Einheit der Zeitlichkeit gehört, in der auch Ausrichtung möglich ist" (SuZ, 487-88). Das Sicheinräumen, das durch Ausrichtung und Ent-fernung konstituiert wird, gründet also in der behaltend-gewärtigend-gegenwärtigenden Zeitlichkeit des Daseins. Wenn wir auf das ekstatische Sicheinräumen und den ekstatisch eingenommenen Raum Rücksicht nehmen, bedentalen Einbildungskraft transzendental verwurzelt ist als ,die Zeit'" (KPM, 194). Nicht als gebildete Zeit, sondern als reine Selbstaffektion aber ist die Zeit "ursprünglicher Grund der Transzendenz" (ebd) und als solche die Bedingung der Möglichkeit des reinen Raums und hat den Vorrang vor diesem. (vgl. GA25, § 11, GA21, 305).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

deutet das Hier der jeweiligen faktischen Lage bzw. Situation ursprünglich keine RaumsteIle. Vielmehr bedeutet es "den in Ausrichtung und Ent-fernung geöffneten Spielraum des Umkreises des nächstbesorgten Zeugganzen" (SuZ, 488). Wenn aber die Näherung nur als pure Näherung ohne Rücksicht auf die Ausrichtung aufgefaßt wird, dann bekundet sich in der Näherung das Verfallen. Die existenzial-zeitliche Konstitution dieses Verfallens kennzeichnet Heidegger wie folgt: "In der nähernden Gegenwärtigung von etwas aus seinem Dorther verliert sich das Gegenwärtigen, das Dort vergessend, in sich selbst" (ebd). Damit entsteht der Schein, "es sei ,zunächst' nur ein Ding vorhanden, hier zwar, aber unbestimmt in einem Raum überhaupt" (ebd).76 Der am vorhandenen Ding orientierte Raumbegriff entspricht allein dem Verfallensein des Daseins. Als Resurne von § 9 läßt sich festhalten: a) Die Vollzugsweise der eigentlichen Zeitlichkeit findet sich im eigentlichen Sichverstehen des Daseins, d.h. im Sichverstehen des Daseins aus sich selbst (d.h. dem eigensten Seinkönnen), und zwar als wiederholend-augenblickhaftes Vorlaufen. Die Angst zeitigt sich aus der Zukunft der Entschlossenheit, aber nicht schon aus der Zukunft des Vorlaufens, und als solche hält sie den Augenblick auf dem Sprung. In der Angst des Daseins vollzieht sich eine mögliche eigentliche Zeitlichkeit b) Die Vollzugsweise der uneigentlichen Zeitlichkeit findet sich im uneigentlichen Sichverstehen des Daseins, d.h. im Sichverstehen aus dem Ding oder dem Mitdasein, und zwar als das vergessend-gegenwärtigende Gewärtigen, in der Furcht des Daseins als ein gewärtigend-gegenwärtigendes Vergessen, im Verfallen (in der Neugier) des Daseins als das (zerstreut) gewärtigend-sichvergessende (ungehalten) Gewärtigen. c) Das Weltphänomen gründet im zeitlichen Horizont, der aus der Einheit der horizontalen Schemata, d.h. aus der Einheit von Umwillen seiner, Wovor und Um-zu besteht. Auf Grund des Horizontes der Welt vollzieht sich sowohl das Sicherschließen des Daseins wie auch das Begegnenlassen des innerweltlich Seienden. Dieses Begegnenlassen gehört existenzial zum Seinbei. Dieses Sein-bei gründet existenzial-ontologisch in der Zeitigung des ge-

76 Nach Oskar Beckers Raum-Untersuchung, die phänomenologisch und bezüglich der Geometrie vollzogen ist und von Heidegger angeführt wird, schließt die Genesis des spezifisch mathematischen Raumes innerhalb der Geometrie folgende drei Stufen in sich: "eine Gestaltbeschreibung", "die Analyse (Geometrie) der Lage" und "die eigentlich metrische" Stufe (vgl. Prol, 324). Der Ursprung des geometrischen dreidimensionalen Raumes ist "der homogene Naturraum" (SuZ, 150, vgl. Prol, 324), der von "einem Zusammenhang von nur noch vorhandenen ausgedehnten Dingen" ausgemacht wird, der in der Naturwelt vorgestellt wird. Die Naturwelt ist eine Modifikation der Umwelt. Wenn die Umwelt durch "das umsichtsfreie, nur noch hinsehende Entdecken des Raumes" neutralisiert und somit die Räumlichkeit des Zuhandenen verloren wird, wird die Platzganzheit des Zuhandenen zu einer Stellenmannigfaltigkeit für vorhandene beliebige Dinge. Die Naturwelt besagt dann nur die Ganzheit dieser vorhandenen beliebigen Dinge (vgl. SuZ, 150).

Kap. 2, § 10 Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit

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wärtigend-behaltenden Gegenwärtigens, dessen existenzieller Ursprung jeweils in der Entschlossenheit oder in der Unentschlossenheit liegt. d) Die Räumlichkeit des Zuhandenen bedeutet, daß dieses innerhalb der Platzganzheit an einem Platz zuhanden ist. Sie ist nur möglich auf Grund der Räumlichkeit des Daseins, d.h. des ent-fernenden Näherns bzw. des Einräumens. Das Einräumen, d.h. das Entdecken der Räumlichkeit des Seienden auf die Gegend, vollzieht sich zusammen mit demjenigen Bewendenlassen des Seienden auf die Bewandtnisganzheit, das in der behaltend-gewärtigend-gegenwärtigenden Zeitigung gründet. Das Einräumen als Räumlichkeit des Daseins gründet also in der behaltend-gewärtigend-gegenwärtigenden Zeitigung der Zeitlichkeit, die in sich zur Zeitlichkeit des Besorgens gehört. Die Gegend, die als das Woraufhin des Entdeckens der Räumlichkeit des Zuhandenen vorgängig erschlossen ist, d.h. der ursprüngliche Raum, findet sich je schon in der Welt, die auf dem transzendentalen Horizont beruht, der durch die ekstatische Zeitlichkeit des Daseins gebildet ist. Insofern ermöglicht die Zeitlichkeit des Daseins nicht nur die Räumlichkeit des Daseins (Einräumen), sondern auch die Räumlichkeit sowohl des Zuhandenen (Zuhandensein an einem Platz innerhalb der Platzganzheit) wie auch der Welt (deren räumliche Erschlossenheit). Die Zeitlichkeit hat also einen existenzial-ontologischen Vorrang vor der Räumlichkeit überhaupt. Durch die zeitliche Analyse der Modi des Seins des Daseins wurde die vorausgegangene Analytik des Daseins ausdrücklich bewährt und somit auch der Seinssinn des Daseins als Zeitlichkeit. Mit der Untersuchung der Modi der Zeitigung ist schon die Untersuchung der Geschichtlichkeit des Daseins vorbereitet. Jedoch werden wir zunächst im Anschluß an die hier erfolgte Untersuchung der transzendentalen Zeitigung im folgenden Paragraphen die temporale Zeitigung betrachten, die dem Dasein das Seinsverständnis ermöglicht und so ursprünglich die Geschichte der Ontologie gewährt hat. Erst hierdurch gelangen wir zu der Problematik von der Geschichtlichkeit des Daseins und der Geschichte der Ontologie.

§ 10 Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit a) Die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses

Die Zeitlichkeit des Daseins ist dessen Seinssinn. Das Dasein hat je schon in seinem Seinsvollzug, d.h. in seiner Existenz, vorontologisch das Sein überhaupt verstanden. Insofern muß die Zeitlichkeit irgendwie das Seinsverständnis ermöglichen. Hier ergibt sich die Aufgabe, in und aus der Zeitlichkeit "dasjenige herauszuholen [... ], von wo aus wir dergleichen wie Sein verstehen" (GdP, 323). Bei der Ausarbeitung der Erläuterung der Bedingung der Möglichkeit des Seins verständnisses beginnen wir mit der Aufklärung des Begriffes des Verstehens.

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Das Erkennen, das Dilthey in die zwei Arten (Erklären und Verstehen) unterscheidet, ist im Bereich der Wissenschaften vor allem "ein Verhalten zu Seiendem" (GdP, 390). Die ,Erklärung' ist Dilthey zufolge die naturwissenschaftliche Art des Erkennens des Seienden, das ,Verstehen' hingegen die geisteswissenschaftliche Art des Erkennens des geschichtlichen Seienden, d.h. des Menschen. Heidegger betont, daß das philosophische Wissen nicht das Verhältnis zum Seienden, sondern das Verhältnis zum Sein ist. Wozu sich das philosophische Wissen verhält, d.h. das Sein, ist in allem (praktisch-technischen und theoretischen) Verhalten zu Seiendem (Natur und Geschichte) vorgängig verstanden. Insofern faßt Heidegger das Verstehen ursprünglich als dasjenige, wodurch dem Dasein das Sein überhaupt erschlossen ist. Erst aus dem ursprünglichen Begriff des Verstehens können sowohl das erkennende Verhalten zum Seienden (die verschiedenen Weisen des Erkennens wie bei Dilthey) wie auch das praktische Verhalten zum Seienden begriffen werden, und zwar als der Vollzug des Seins bei zu dem je in eigener Seinsweise verstandenen Seienden. Da das Verstehen ursprünglich dasjenige Seinsverständnis ist, das für die Seinsverfassung des Daseins konstitutiv ist, wird das Verstehen als "eine ursprüngliche Bestimmtheit der Existenz des Daseins" (ebd), d.h. als ein Existenzial, gefaßt. Dem Dasein geht es um sein Sein selbst. Dies bedeutet, daß sich das Dasein so oder so zu seinem Sein als der Möglichkeit, d.h. zu seinem Seinkönnen, verhält und in gewisser Weise sein eigenes Sein in der Hand hat. Das Dasein, dem es um das eigene Seinkönnen geht, versteht schon bestimmte Möglichkeiten seines Selbst und ist eigentlich frei für diese. 77 Dieses "Freisein-für" des Daseins ist von diesem schon als "sein eigenstes Seinkönnen" (GdP, 391) verstanden. Dieses Sichverstehen im Sein des eigensten Seinkönnens (d.h. des Freiseins) ist "der ursprüngliche existenziale Begriff des Verstehens" (ebd). 78 Dieses Verstehen bedingt als eine Grundbestimmung des Daseins alle möglichen (erkennenden und praktischen) Verhaltensweisen des Daseins:

77 Das Dasein, zu dem bestimmte Möglichkeiten seines Selbst gehören, wird als "die Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen" (SuZ, 191) gefaßt. Die Möglichkeit des Daseins besagt ihrerseits sein Sein als "Möglichsein" und bedeutet: "Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist" (ebd). Diese Möglichkeit als Existenzial ist "die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit des Daseins", während die Möglichkeit als modale Kategorie "das noch nicht Wirkliche und das nicht jemals Notwendige" (ebd) besagt. Die kategoriale Möglichkeit ist "ontologisch niedriger als Wirklichkeit und Notwendigkeit" (ebd). Aufgrund der Möglichkeit des Daseins schätzt Heidegger auch die Möglichkeit der Phänomenologie höher als ihre Wirklichkeit, weil sie als eine Wissenschaft zur Seinsart des Daseins gehört: "Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit" (SuZ, 51-2). 7M Das Verstehen ist als "fundamentales Existenzial" der "Grundmodus des Seins des Daseins" (SuZ, 190) "Das im Verstehen als Existenzial Gekonnte ist kein Was, sondern das Sein als Existieren. Im Verstehen liegt existenzial die Seinsart des Daseins als Seinkönnen" (SuZ, 190-91).

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Das Verstehen ist "die Bedingung der Möglichkeit rur alle Arten nicht nur des praktischen Verhaltens; sondern auch des Erkennens" (GdP, 392).79 Heidegger bezeichnet das Verstehen qua einen existenzialen Begriff "auch als das existenzielle Verstehen, sofern sich in ihm die Existenz als Geschehen des Daseins in seiner Geschichte zeitigt" und erläutert: "In und durch dieses Verstehen wird das Dasein, was es ist, und es ist jeweilig nur das, als was es sich gewählt hat, d.h. als was es sich selbst im Entwurf seines eigensten Seinkönnen versteht" (GdP, 393). Im existenzialen Sichverstehen, d.h. im Sichverstehen in dem eigensten Seinkönnen (dem Freisein), vollzieht sich das existenzielle Sichverstehen, d.h. das Sichverstehen in einem eigenen Seinkönnen (d.h. einer Existenzmöglichkeit). Dies bedeutet: In der vorlaufenden Entschlossenheit vollzieht sich die Wiederholung einer gewesenen Existenzmöglichkeit, was wir im § 11 sehen werden. Dasein ist jeweilig das, als was (ein Seinkönnen) es sich selbst im Entwurf seines eigensten Seinkönnens (d.h. seines Freiseins ) versteht. Das Dasein wird in und durch ein jeweiliges Sichverstehen es selbst. Dieses Verstehen ist als Selbstwerden des Daseins ein existenzielles Geschehen des Daseins. Das existenzielle Sichverstehen des Daseins aus seiner Geschichte ist in sich das existenzielle Geschehen. Das Sichverstehen im Sein des eigensten Seinkönnens ist in seiner Vollzugsstruktur das Sichentwerfen auf ein Seinkönnen. Die Struktur des sowohl existenzialen wie auch existenziellen Verstehens wird also wie folgt gekennzeichnet: ,,sich entwerfen auf eine Möglichkeit, im Entwurf sich je in einer Möglichkeit halten" (GdP, 392). In diesem Phänomen des Entwurfs liegen zwei Strukturmomente: das Woraufhin des Sichentwerfens und das Was des Entwerfens. Jenes ist ein Seinkönnen des Daseins, während dieses das Dasein selbst ist. Das Sichentwerfen des Daseins auf ein Seinkönnen, sei es das eigenste Seinkönnen oder ein eigenes Seinkönnen, ist aber keine Selbstbetrachtung, sondern die Vollzugsart der Möglichkeit und Freiheit des Daseins. Das Sichverstehen vollzieht sich existenziell in unterschiedlichen Weisen. Weil das Verstehen das freie Sichverstehen aus einer ergriffenen Möglichkeit des eigenen faktischen In-der-Welt-seins ist, bestimmt das Dasein zunächst und zumeist seine Existenz nicht aus sich selbst, sondern aus den Dingen und den Umständen und von den Anderen her. Dies ist zwar ein Sichverstehen des Daseins, aber ein Sichentwerfen auf dasjenige Seinkönnen, das primär nicht aus sich selbst, sondern aus Dingen oder Anderen geschöpft ist. Das Sichverstehen des Daseins in einer Existenzmöglichkeit wird also aus sich selbst als dem Freisein oder aus Dingen und anderem Dasein vollzogen. Es vollzieht sich so eigentlich oder uneigentlich (vgl. GdP, 395, SuZ, 194). 79 Insofern ist ,Verstehen' als eine mögliche Erkenntnisart im Unterschied zum ,Erklären' ein "existenziales Derivat" (SuZ, 190), so wie ",Anschauung' und ,Denken'" (SuZ, 196).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Das Dasein als Seiendes ist im existenziellen Verstehen auf sein Seinkönnen entworfen. In dem existenziellen Sichverstehen in einem Seinkönnen ist schon das Sein, das nur in der Weise des Vollzugs des Seinskönnens ist, d.h. die Existenz, verstanden: "In jedem existenziellen Verstehen ist ein Seinsverständnis von Existenz überhaupt beschlossen" (GdP, 395). Das existierende Dasein ist als das In-der-Welt-sein wesenhaft Mitsein mit Anderen und Sein bei innerweltlichem Seienden. Insofern ist mit dem Existenzverständnis "gleichursprünglich Existenz von anderem Dasein und Sein des innerweltlichen Seienden" (ebd) verstanden. so Weil das Sichverstehen zum Dasein gehört, das als Inder-Welt-sein gleichursprünglich Existenz, Mitsein und Sein-bei ist, ist das Sichverstehen gleichursprünglich das Verstehen von Existenz des Selbst, Existenz von anderem Dasein und Sein des innerweltlichen Seienden. Das Existenzverständnis wird begrifflich gegen das Seinsverständnis überhaupt im engeren Sinne abgegrenzt. Dieses besagt das Verständnis des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden, während jenes das Verständnis des Seins des Daseins selbst meint. Jedoch bleibt beides nicht nebeneinander. Vielmehr birgt das Verständnis des Seins des Daseins das Verständnis des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden in sich. Das Verständnis des Seins des Daseienden und des Vorhandenen im weiten Sinne des nichtdaseinsmäßigen Seienden ist zunächst nicht in bestimmte Seinsweisen geschieden und begriffen, sondern im existenziellen Sichverstehen des Daseins einheitlich. Im existenziellen Sichverstehen liegt je schon das Seinsverständnis des Daseins als Existenz wie auch das Seinsverständnis des nichtdaseinsmäßigen Seienden als Vor- oder Zuhandenheit. Die Verschiedenheit der Seinsverständnisse bezeugt schon eine Gemeinsamkeit in diesen. Das heißt: Das Verstehen ist es, das "als Entwurf nicht nur das Seiende aus dem Sein her versteht, sondern, sofern Sein selbst verstanden wird, auch das Sein als solches irgendwie entworfen hat" (GdP, 396). Insofern sagt Heidegger: "Wir stoßen in der Analyse der Struktur des ontischen Verstehens auf eine in ihm liegende und es ermöglichende Schichtung von Entwürfen, die gleichsam einander vorgeschaltet sind" (ebd). Wir verstehen (erfahren) das Seiende, sofern wir Seiendes auf Sein ent-

KO Insofern ist das Sichverstehen in seiner Enthüllungsfunktion weder auf ein isoliertes Ich-Subjekt noch auf das Ich-Du-Verhältnis angewiesen. "Fremdverstehen und Selbstverstehen vollzieht sich nicht getrennt von einander, sondern das Fremdverstehen ist stets vom Selbstverstehen durchzogen" (F.-W. v. Herrrnann, ,Die Selbstinterpretation Martin Heideggers', 2). Ein ganz anderes Problem, d.h. "wie jeweils für die einzelnen, faktisch ontisch-existenziellen Möglichkeiten des einzelnen Daseins das Mitdasein des Du relevant ist", gehört zu den Fragen der "konkreten Anthropologie" (GdP, 394). Für die existenziale Bedeutung der existenziellen Begegnung von ,Du' vgl.: Rudolf Bultmann, "Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube. Antwort an Gerhardt Kuhlmann", in ,Heidegger und die Theologie', 85-94). Zum Bezug des Sichverstehens des Daseins zu dessen Verständnis der anderen Seinsarten vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 67-8.

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werfen; fiir dieses Entwerfen des Seienden aber muß das Sein selbst schon "in gewisser Weise" (ebd) verstanden, d.h. auf etwas hin entworfen sein. Hier zeigen sich zwei verschiedene Stufen des Entwurfs: der Entwurf des Seienden und der Entwurf des Seins. Sein ist auf etwas hin entworfen, aber ungegenständlich und vorbegrifflich. Das unbegriffliche Seinsverständnis ist "das vorontologische Seinsverständnis" (ebd). Dadurch, daß dieses vorontologische Seinsverständnis vergegenständlicht, thematisiert und ausdrücklich auf dasjenige entworfen wird, woraufhin es im vorphilosophischen Verstehen entworfen ist, entsteht die Ontologie als Wissenschaft vom Sein. Eine solche Thematisierung, der ausdrückliche Entwurf des Seins ist der Grundakt, in dem sich die Ontologie als Wissenschaft konstituiert. Nun vergegenwärtigen wir uns nochmals die Zeitlichkeit des besorgenden Seins bei dem Seienden und die Transzendenz des Daseins als Ermöglichung des Sichverhaltens des Daseins zum Sein, um von dort her die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses zu enthüllen. Das Verstehen selbst gehört zur Grundverfassung des Daseins und zwar als seine Seinsbestimmung. Der Seinssinn des Daseins ist die Zeitlichkeit. Insofern muß die Zeitlichkeit das Verstehen selbst ermöglichen. Dann stellt sich die Frage, inwiefern die Zeitlichkeit das Verstehen des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden ermöglicht. Obwohl das Verständnis des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden je schon im existenziellen Sichverstehen des Daseins liegt, kann jenes ohne Rücksicht auf dieses nachvollzogen werden, um die betreffende Sache herauszuheben. Diese Sache ist "das Verständnis des Seins des nächstbegegnenden Seienden, womit wir unentschlossen uns beschäftigen, des Seienden, das auch da ist, wenn wir uns mit ihm nicht beschäftigen" (GdP, 413). Was nun gesucht werden muß, ist "die Bedingung der Möglichkeit dieses Seinsverständnisses, das Seiendes versteht im Sinne des Zuhandenen und Vorhandenen" (ebd) Im Verstehen des Seienden als Zuhandenes und Vorhandenes liegt ein Verständnis von Sein im Sinne der Zuhandenheit und Vorhandenheit. Der Charakter des Zuhandenen, nämlich der Zeugcharakter, konstituiert sich durch die Bewandtnis. Mit einem Zeug hat es ein bestimmtes Bewenden. Ein bestimmtes Bewenden des Hammers liegt im ,um zu hämmern'. In einem Zeug wird sein Wasund Wie-sein "durch dieses Um-zu als solches, d.h. die Bewandtnis" (GdP, 415) konstituiert. SI Damit Zeug in unserem Umgang mit ihm gebraucht werden kann, müssen wir dieses Seiende zuvor schon auf seinen Bewandtnisbezug entworfen haben. Heidegger bezeichnet "dieses vorgängige Verstehen von Be-

KI "Der Seinscharakter des Zuhandenen ist die Bewandtnis. [... ] Bewandtnis ist das Sein des innerweltlichen Seienden, darauf es je schon zunächst freigegeben ist" (SuZ, 112).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

wandtnis" tenninologisch als "das Bewendenlassen" (ebd). 82 In Bezug auf den Hammer bedeutet das Bewendenlassen: Wir lassen ihn beim Hämmern mit etwas bewenden. Das Hämmern ist als Wobei des Bewendenlassens das Wozu des Zeugs. Im Gebrauch des Zeugs sind wir also des Wozu gewärtig. Aus diesem Wozu bestimmt sich das Womit des Bewendenlassens, d.h. Hammer. Insofern behalten wir während des Gewärtigens des Wozu das Womit im Auge. Wenn es mit diesem ,Wozu' bei ,etwas' seine Bewandtnis hat, bleibt dieses ,Wozu' gegen ,etwas' als ein Dazu. Das Wozu als Dazu unterscheidet sich von dem primären Wozu, das nie ein Dazu als mögliches Wobei einer Bewandtnis, sondern "ein Worum-willen" ist, das immer "das Sein des Daseins" (SuZ, 113) betrifft. Das Bewendenlassen ist das Verstehen von Bewandtnis, das einen Zeuggebrauch überhaupt ennöglicht. Zeitlich ist das Bewendenlassen "ein behaltendes Gewärtigen, in welchem das Zeug als dieses bestimmte gegenwärtigt wird" (GdP, 416). Die Voraussetzung für einen Zeuggebrauch ist das Verstehen von Bewandtnis. Sofern aber jedes Zeug nur innerhalb eines Zeugzusammenhangs als Zeug ist, setzt jeder einzelne Zeuggebrauch das Verständnis des Zeugzusammenhangs voraus, der seinerseits in der Bewandtnisganzheit gründet. Das Verstehen von Bewandtnis vollzieht sich in der Weise des Verstehens der Bewandtnisganzheit. 83 Bewandtnisganzheit wird ihrerseits von den Bezügen des Um-zu ausgemacht. Diese Bezüge des Um-zu sind nur verstanden, wenn das Dasein so etwas wie Umwillen seines Seinkönnens versteht. Die Bezüge des Um-zu, die Bewandtnisbezüge, gründen ontologisch im ,Umwillen seiner selbst'. 84 Sofern Dasein wesenhaft Existenz ist, d.h. als dasjenige Seiende existiert, dem es in seinem Sein um sein Seinkönnen geht, ist es umwillen seiner selbst. Das Umwillen be-deutet ein Um-zu, dieses ein Dazu, dieses ein Womit der Bewandtnis. Aus dem Worum willen sind das Bezugsganze des Be-deutens, d.h. die Bedeutsamkeit und so auch die Bezüge des Um-zu, d.h. Bewandtnisbezüge dem Dasein erschlossen. 85 In der Existenz des Daseins umwillen seiner selbst liegt also H2 Als solches bedeutet das Bewendenlassen ontologisch: ,je schon ,Seiendes' in seiner Zuhandenheit entdecken und so als das Seiende dieses Seins begegnen lassen" (SuZ, 113). H3 Zur Selbigkeit von Welt und Sein im Ganzen: "Wahrheit des Seins und Welt sind dasselbe, insofern die vom Menschen enthüllte Erschlossenheit des Seins die Wahrheit des Seins flir die entdeckte Bewandtnisganzheit bzw. flir die Offenbarkeit des Seienden im Ganzen ist. Die Wahrheit des Seins hat weltliche Struktur und ist daher zugleich die Welt, und die WeIt hat die Struktur der Wahrheit, so daß sie zugleich Wahrheit ist (F.W. v. Herrmann, ,Die Selbstinterpretation Martin Heideggers', 203). H4 VgI. dazu: SuZ, 190ff, GA26, 238ff. "Der Grundcharakter von WeIt, wodurch die Ganzheit ihre spezifische transzendentale Organisationsform erhält, ist das Umwillen" (GA26, 238). "Im Verstehen des Worumwillen ist die darin gründende Bedeutsamkeit miterschlossen" (SuZ, 190). H5 Dies darf nicht als eine ontische Behauptung über die Zweckmäßigkeit der wirklichen Welt interpretiert werden: "Daß alle Bewandtnisbezüge ontologisch in einem Um-

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"ein vorgängiges Verständnis von Welt, Bedeutsamkeit" (GdP, 420). Die Bezüge des Um-zu, der Bewandtnis und des Umwillen sind also im Weltverständnis mit verstanden. Die Welt als existenzialer Begriff besagt die vom Dasein und durch das Umwillen seiner selbst erschlossene Bedeutsamkeit. Welt ,existiert' also nur in und mit der Existenz des Daseins: "Nur solange Dasein ist, d.h. existent ist, gibt es Welt" (GdP, 420). Welt gehört zum Sein des Daseins. Das Weltverständnis, d.h. die Vertrautheit des Daseins mit Welt, bedeutet nichts anderes als die Transzendenz des Daseins. Sofern das Tanszendieren vor allem das Überschreiten besagt, ist das Überschreitende das Dasein selbst. Denn es ist dasjenige, das im Erfahren von Seiendem je schon Bewandtnis versteht und aus dem vorgängigen Verstehen von Bewandtniszusammenhang, Bedeutsamkeit, Welt, auf das Seiende zurückkommt und so dieses entdeckt. Die Welt als eine existenzielle Bestimmtheit des Daseins ist das eigentlich Transzendente, das noch jenseitiger als die Objekte ist und diese ontologisch erst ermöglicht: " [... ] das Transzendente ist das Überschreitende als solches und nicht das, wohin ich überschreite. Die Welt ist das Transzendente, weil sie zur Struktur des In-der-Welt-seins gehörig das Hinüberschreiten zu ... als solches ausmacht" (GdP, 425). Das Entdecken des Seienden vollzieht sich immer nur so, daß sich Dasein versteht. Die Transzendenz im Sinne des Transzendierens bedeutet also vor allem "sich aus einer Welt verstehen" (ebd). Sofern die Welt zum Dasein gehört, ist Dasein von sich ausgehend und auf-sieh-zu kommend. ,Auf-sieh-zu' und ,Von-sieh-aus' liegen im Begriff der "Selbstheit" (ebd). Insofern gründet dieser Begriff selbst in der Transzendenz. Wenn das Dasein als Transzendentes sich als In-der-Welt-sein und somit das innerweltlich Seiende als Zuhandenes immer schon versteht, ist es sinnlos, das Subjekt als die Immanenz im Sinne der Gegensphäre zum Transzendenten zu bestimmen. Vielmehr ist es sachgemäß, die Transzendenz als Ermöglichung der Intentionalität zu verstehen. 86 Die Transzendenz als apriorische Vertrautheit des Daseins mit

willen gründen, entscheidet keineswegs darüber, ob alles Seiende ontisch als Seiendes umwillen des menschlichen Daseins ist" (GdP, 418). "Daß die ontologische Struktur der Um-zu-Bezüge in einem Worumwillen gründet, sagt nichts darüber, ob die ontischen Beziehungen zwischen dem Seienden, der Natur und dem Dasein, einem Zweckzusammenhang darstellen" (GdP, 419). 86 Die Intentionalität (als bloßes Sichaufrichten-auf) wird im Vergleich zur Struktur der Transzendenz, d.h. zum Phänomen der Sorge (einheitliche Grundstruktur des Sichvorweg - schon-se in-in als sein-bei), als "ein nur von außen gesehenes Phänomen" (Pro!. 420) gefaßt. Die Sorge ist "das eigentliche Phänomen, das dem entspricht, was uneigentlich und lediglich in einer isolierten Richtung als Intentionalität gemeint ist" (ebd). Die Intentionalität muß nicht von außen her, sondern ursprünglich aus der Sorge als ihr spezifisches Phänomen begriffen werden. Heidegger stellt den Bezug der Transzendenz zur Intentionalität in zwei Hinsichten wie folgt fest: "Die Intentionalität ist die ratio cognoscendi der Transzendenz. Diese ist die ratio essend i der Intentionalität in ihre verschiedenen Weisen" (GdP, 91). Zum Bezug von Intentionalität und Welt vg!.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 64-5. 8 Cheong (PHS)

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Welt ermöglicht erst die Intentionalität als Sichverhalten des Daseins zum Seienden. Die Transzendenz des Daseins ist ihrerseits nur aufgrund des ekstatischen Charakters der Zeitlichkeit möglich. Dieser ermöglicht den spezifischen Überschritts charakter des Daseins, die Transzendenz und damit auch die Welt. Die Ekstasen der Zeitlichkeit (Zukunft, Gewesenheit, Gegenwart) aber sind nicht bloß Entrückungen zu ... , sondern sie haben aufgrund ihres jeweiligen ekstatischen Charakters je ein zu ihnen selbst gehöriges eigenes Schema. Die Ekstasen wären ohne ihre horizontalen Schemata blind rur sich selbst, rur die besondere Weise ihres Offenbarens, so daß es keine Unterscheidung der Ekstasen von einander gäbe. Die Ekstasen bilden jedoch immer eine ekstatische Einheit. Dieser Einheit der Ekstasen der Zeitlichkeit entspricht eine Einheit ihrer horizontalen Schemata. Aufgrund dieser horizontalen Schemata ist die Welt und somit die Transzendenz des Daseins möglich. Insofern heißt es: "Die Transzendenz des In-der-Welt-seins gründet in ihrer spezifischen Ganzheit in der ursprünglichen ekstatisch-horizontalen Einheit der Zeitlichkeit" (GdP, 429). Der Zusammenhang von Transzendenz, Zeitlichkeit und Seinsverständnis wird also wie folgt gefaßt: "Wenn Transzendenz das Seinsverständnis ermöglicht, Transzendenz aber in der ekstatisch-horizontalen Verfassung der Zeitlichkeit gründet, dann ist diese die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses" (ebd). Die ekstatisch-horizontale Verfassung der Zeitlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses. Damit erhebt sich die weitere Frage, in welcher Weise der Horizont der Zeitlichkeit das Seinsverständnis ermöglicht bzw. in welcher Zeitigungsweise das Sein auf den Horizont entworfen wird.

b) Die temporale Zeitigung und der Horizontfür das Verstehen des Seins Die vorliegende Problematik formuliert Heidegger als die Frage, "wie aufgrund der die Transzendenz des Daseins begründenden Zeitlichkeit die Temporalität des Daseins Seinsverständnis ermöglicht' (GdP, 429). Mit dem Terminus "Temporalität" meint Heidegger "die Zeitlichkeit mit Rücksicht auf die Einheit der ihr zugehörigen horizontalen Schemata, in unserem Falle Gegenwart mit Rücksicht auf Praesenz" (GdP, 436). Diese Temporalität wird von Heidegger als "die ursprünglichste Zeitigung der Zeitlichkeit als solcher" (GdP, 429) gekennzeichnet. Die zeitliche Aufklärung der Transzendenz zeigte, daß das Verstehen von Zuhandenheit des zuhandenen Zeugs als solches zu einem Weltverstehen gehört, und daß dieses Weltverstehen als Transzendenz des Daseins in der ekstatisch-horizontalen Verfassung seiner Zeitlichkeit verwurzelt ist. Der angemessene Umgang mit dem in der ursprünglichen Vertrautheit bleibenden Seienden, d.h. der umsichtig besorgende Umgang mit dem Zuhandenen, vollzieht sich existenzial-zeitlich in "einem behaltend-gewärtigenden Gegenwärtigen des Zeugzusammenhanges als solchen" (GdP, 432). Das Be-

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wenden lassen als das vorgängige Verstehen läßt ein Seiendes gegenwärtigend als Zuhanden es im Blick auf seine Zuhandenheit verstehen. Dieser Blick auf die Zuhandenheit ist aber seinerseits nur in und mit dem Entwurf des Seins selbst auf etwas, d.h. auf die Zeit hin, möglich: "Verstehen von Zuhandenheit des Zuhandenen hat dieses Sein schon auf die Zeit entworfen" (GdP, 430). Die Zeitigung dieses Entwurfs des Seins auf die Horizont-Zeit heißt die ursprünglichste Zeitigung. Nun aber stellt sich die Frage, wodurch diese ursprünglichste Zeitigung aufweisbar ist. Heidegger weist sie durch die temporale Analyse der Begriffe von Zuhandenheit und Abhandenheit aus. Nach dem alltäglichen Sprachgebrauch unterscheidet sich das Zuhandensein vom Abhandensein, das nicht ohne weiteres das Vemichtetsein bedeutet. 87 Hier zeigt sich "eine Mannigfaltigkeit von in sich fundierten Stufen des Seins" (GdP, 433). Aufgrund der möglichen Modifikation des Seins wird festgestellt, daß "Zuhandenheit und Abhandenheit bestimmte Abwandlungen eines Grundphänomens sind" (ebd). Heidegger kennzeichnet dieses sichabwandelnde Phänomen "formal mit Anwesenheit und Abwesenheit und allgemein als Praesenz" (ebd). Die Zuhandenheit also hat als eine Seinsweise einen praesentialen Sinn. Dies bedeutet: Die Zuhandenheit als eine Seinsart ist "temporal verstanden, d.h. aus der Zeitigung der Zeitlichkeit im Sinne der charakterisierten ekstatisch-horizontalen Einheit" (GdP, 433). Heidegger bezeichnet mit dem lateinischen Ausdruck "Praesenz" das horizontale Schema der Ekstase der Gegenwart. Das Schema Praesenz ist der durch die Ekstase der Gegenwart bestimmte und ihre eigene Struktur allererst vollendende Horizont, an dem die zwei anderen Horizonte teilhaben. Diese Praesenz ist "die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens von Zuhandenheit als solcher" (GdP, 434). In welcher Weise vollzieht sich dann die Zeitigung, die das Seinsverständnis ermöglicht, d.h. die temporale Zeitigung als ursprünglichste Zeitigung?88 Diese wird von Heidegger wie folgt erläutert: "Das Gegenwärtigen, sei es eigentlich im Sinne des Augenblicks oder uneigentliches, entwirft das, was es gegenwärtigt, dasjenige, was möglicherweise in und für eine Gegenwart begegnen kann, aufso etwas wie Praesenz" (GdP, 435). Während der existenzielle Entwurf das

X7 Unter ,Abhandensein' wird nicht primär Zukünftig- oder Vergangenensein, sondern das Un-gegenwärtigsein als ein Modus der Gegenwart verstanden. xx Sofern Temporalität die Seinsverständnis ermöglichende "ursprünglichste Zeitigungsweise der Zeitlichkeit als solcher" (GdP, 429) bezeichnet, ist sie als "Temporalität des Daseins" (ebd) ein Phänomen, das für das Sein des Daseins konstitutiv ist. Wenn "das Dasein als In-der-Welt-sein, die Sorge, die Zeitigung der Zeitlichkeit, der WeIteingang" als "verschiedene Aspekte oder Momente desselben Phänomens" (Tze-Wan Kwan, ,Die hermeneutische Phänomenologie und das tautologische Denken Heideggers', 79) anerkannt werden, ist die folgende Aussage über Temporalität als einem daseinsmäßigen Phänomen nicht angemessen: ,,[ ... ] die Temporalität [ist] kaum als Phänomen ansprechbar" (ebd. 78).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Sichverstehen des Daseins meint, dessen existenzial-ontologischer Sinn im Aufsieh-zukommen liegt, bezeichnet der Entwurf hier das Verstehen des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden, dessen existenzial-ontologischer Sinn im Gegenwärtigen liegt. Damit zeigt sich, daß das Sichverstehen des Daseins und das Verstehen des Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden je in der verschiedenen Zeitigungsweise gründen, die durch den Vorrang einer bestimmten Ekstase (d.h. der Zukunft oder der Gegenwart) von einander unterschieden werden und somit je einen anderen Zusammenhang der horizontalen Schemata haben: "Je nach der Zeitigungsart der Zeitlichkeit, die sich immer in der Einheit ihrer Ekstasen zeitigt, so daß der Vorrang einer Ekstase jeweils die anderen mitmodifiziert, variieren auch die inneren temporalen Zusammenhänge der horizontalen Schemata der Zeit" (GdP, 436) Sofern sich die Zeitigung immer in ihren drei Ekstasen einheitlich zeitigt, muß das im Zitat stehende Wort "Gegenwärtigen" als eine Verkürzung für das auf-sieh-zukommend - auf-sieh-zurückkommende Gegenwärtigen verstanden werden. Ist es eine Verkürzung, dann muß das temporal-horizontale Schema "Praesenz" als derjenige Horizont verstanden werden, der in dem unter der Teilhabe der beiden anderen Ekstasen stehenden Gegenwärtigen aufgeschlossen ist.

Als Entwurf auf Praesenz ist die temporale Zeitigung in sich die anwesenlassende Zeitigung. Dazu heißt es: "Als Entrückung zu ... ist die Gegenwart ein Offensein für Begegnendes, das somit im vorhinein auf Praesenz hin verstanden ist. Alles, was im Gegenwärtigen begegnet, ist aufgrund des in der Ekstase schon entrückten Horizontes, Praesenz, als Anwesendes, d.h. auf Anwesenheit hin verstanden" (GdP, 436). Das Gegenwärtigen als Ekstase ist ein Offensein. Zu diesem gehört ein Horizont. Dieser ist hier als Praesenz gekennzeiehnet. Nach diesem Zitat wird das Begegnende aufgrund des Horizontes der Praesenz im vorhinein als Anwesendes verstanden. Wenn das Zuhandene an-wesendes Anwesendes, das Abhandene hingegen ab-wesendes Anwesendes bedeutet, wird das Anwesen (Praesenz) im Verstehen der Zu- oder Abhandenheit ursprünglich immer schon mit verstanden. Dies bedeutet: Dem Begegnen eines Seienden in seiner Zu- und Abhandenheit liegt das Verstehen des Anwesens (Praesenz) zugrunde. Das gegenwärtigende Begegnenlassen des Seienden in seinem Sein (Zu- oder Abhandenheit) birgt in sich das Verstehen seines Seins aus der Praesenz. In ,Sein und Zeit' können wir einen entsprechenden Satz finden: ,,[ ... ] das handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden ist nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden" (SuZ, 431). Die Hervorhebung des Wortes "Anwesendes" kann hier ein Hinweis darauf sein, daß mit diesem nicht vor allem Zu- oder Vorhandenes gemeint ist. Das Gegenwärtigen als Begegnenlassen ist die Zeitigungsekstase des Entdeckens des Seienden. Das Entdecken kann in verschiedenen Weisen vollzogen werden. In allem verschiedenen Entdecken bzw. Begegnenlassen aber wird das Seiende auf Praesenz hin, also im vorhinein als Anwesendes verstanden. Insofern kann das Verstehen des Seienden in seiner Zu- oder Vorhandenheit begrifflich vom Verstehen in sei-

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nem Anwesen (Praesenz) unterschieden werden. Dementsprechend kann das anwesenlassende Gegenwärtigen begrifflich vom begegnenlassenden, d.h. entdeckenden, Gegenwärtigen unterschieden werden. 89 Dabei muß das anwesenlassende Gegenwärtigen des Seienden als das noch ursprünglichere, aber in und mit dem begegnenlassenden Gegenwärtigen des Anwesenden sich vollziehende verstanden werden. Jede Ekstase hat in sich selbst eine schematische Vorzeichnung ihres Wohin. Was das Wohin der Ekstase der Gegenwart bestimmt, ist die Praesenz als Horizont. Dieser Horizont ist es, der in seiner Ekstase im Vorhinein erschlossen ist. Den Bezug der Gegenwart als Ekstase zur Praesenz als ihrem Horizont kennzeichnet Heidegger wie folgt: "Gegenwart entwirft sich in sich selbst ekstatisch auf Praesenz" (GdP, 435). Insofern ist die Temporalität das Entwerfen von sich (Ekstase) auf sich selbst (Horizont), d.h. der" Selbstentwurf' (GdP, 437). Praesenz macht zusammen mit ihrer Ekstase die volle Zeitstruktur der Gegenwart aus. Heidegger führt zwar aus didaktischen Gründen die Ekstasen von Zukunft und Gewesenheit nicht aus, die für das Seinsverständnis des Seienden zusammen mit dem Gegenwärtigen fungieren. Die zwei anderen Ekstasen aber müssen an der Bildung des Praesenzhorizontes teilhaben, weil sich die Zeitlichkeit immer dreifach-einheitlich zeitigt. Die inneren temporalen Zusammenhänge der horizontalen Schemata der Zeit variieren, je nach der Zeitigungsart der Zeitlichkeit, d.h. je nach dem Vorrang einer Ekstase, die jeweils die anderen mit modifiziert. Anders als in der Zeitlichkeit des Sichverstehens des Daseins hat in der Zeitlichkeit des Umgangs mit dem Zuhandenen das Gegenwärtigen einen Vorrang: "Die Ekstase der Gegenwart ist führend in der Zeitlichkeit des Umgangs mit dem Zuhandenen. Deshalb wird das Sein des Zuhandenen, Zuhandenheit, primär aus der Praesenz verstanden" (GdP, 438). Insofern besagt Zuhandenheit "formal Praesenz, Anwesenheit, aber eine Praesenz eigener Art" (GdP, 439). Die Abhandenheit ist ein Modus der Zuhandenheit. Damit enthüllt sich, "wie im Gehalt der zur Zuhandenheit gehörigen Praesenz ein Reichtum verwickelter Strukturen liegt" (ebd). Dennoch ist das Sein immer temporal verstanden. Denn das Seiende ist immer aus der Praesenz, d.h. auf An- oder Abwesenheit hin, als An- oder Abwesendes verstanden: "Sofern Zuhandenheit und Abhandenheit so etwas wie Anwesenheit und Abwesenheit, d.h. so und so modifizierte und modifikable Praesenz bedeuten, ist das Sein des innerweltlich begegnenden Seienden praesential, und das heißt grundsätzlich temporal entworfen" (GdP, 436). Als ein Modus des Zuhandenseins heißt "Fehlen" Abhandensein eines sonst Zuhandenen. Das fehlende Zuhandene wird nur dann als solches gefunden, 89 Die ontologische Differenz liegt also in der Differenz zwischen anwesen lassendem Gegenwärtigen und entdeckendem Gegenwärtigen: "Der Unterschied von Sein und Seiendem ist in der Zeitigung der Zeitlichkeit gezeitigt" (GdP, 454).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

wenn wir eines Wozu gewärtig sind und das dazu Dienliche gegenwärtigen. Die eigentliche Weise des Entdeckens des Fehlenden ist dabei das Vennissen. Dieses Vennissen ist "ein Ungegenwärtigen als ein bestimmter Modus der Gegenwart in der Einheit mit einem Gewärtigen und Behalten des Verfügbaren" (GdP, 441-42). Daher entspricht dem Vennissen ein bestimmt modifizierter Horizont der Praesenz. Heidegger nennt diesen Horizont Absenz. Diese ist eine Un-Praesenz, ein Negativum der Praesenz. 90 Sofern die absentiale Modifikation der Praesenz das Zuhandene erst als abwesendes auffallen läßt, konstituiert sich ein negatives Moment nicht in der Struktur der Zuhandenheit selbst, sondern in der Temporalität und somit in der Zeitlichkeit. Denn "das Ab-sentiale" ist überhaupt "eine Negation des Praesentialen" (GdP, 442-43). Sofern "die zur Zeitlichkeit (sowohl zur Ekstase der Gegenwart als zu den anderen Ekstasen) gehörende Modifikation der Praesenz zur Absenz, der Anwesenheit zur Abwesenheit, einen Charakter der Negativität hat" (GdP, 443), muß die Wurzel des Nicht überhaupt in der Zeitlichkeit liegen. Das Nicht bzw. das Wesen des Nicht, die Nichtigkeit, kann nur "aus dem Wesen der Zeit" (ebd) interpretiert werden. Aus dem Wesen der Zeit kann erst die Möglichkeit der Modifikation, z.B. der Anwesenheit zur Abwesenheit, aufgeklärt werden. Am Horizont der Schemata, woraufhin das Verstehen von Sein vollzogen wird, hat die Zeitlichkeit ihr Ende. Daher kann nicht mehr gefragt werden, "woraufhin die Schemata ihrerseits entworfen seien, und so in infinitum" (GdP, 437). Die ekstatische und zumal horizontale Einheit der Zeitlichkeit ist in sich das ekstatische Sich entwerfen auf Praesenz, d.h. der Selbstentwurf schlechthin. Sie ennöglicht als ekstatische das Entwerfen auf... überhaupt, als horizontbildende das Woraufhin überhaupt. Insofern kann sie als Selbstentwurf nicht weiter entworfen werden. Die Frage nach der Zeitlichkeit hat ihr Ende am Horizont der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit. Denn die ekstatische Zeitlichkeit selbst hat insofern ihr Ende an ihrem Horizont, als der Horizont der Umschluß der Ekstase, d.h. die Ekstase-umschließende offene Weite iSt. 91 Die ekstatisch90 Dieses Negativum der Praesenz entspricht nicht einem "Ausbleiben und Unterbleiben einer Gegenwärtigung", sondern einem "Ungegenwärtigen als ein bestimmter Modus der Gegenwart" (GdP, 441, vgl. SuZ, 469-71). 91 Der Ende-Charakter des Horizontes der Zeitlichkeit gehört zur "Endlichkeit der Zeit" (GdP, 437). Dieser Begriff kann in verschiedenen Hinsichten verstanden werden. In ,SuZ' wird er vor allem wie folgt erläutert: Das Dasein, das, ,geworfen in den Tod', existiert, "existiert endlich. Die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt, die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht, enthüllt sich damit selbst als endliche" (SuZ, 436). So bezeichnet die Endlichkeit der Zeitlichkeit hier einen Charakter ihrer Zeitigung selbst. Im Kantbuch wird sie als der Charakter des Horizontes der Zeitlichkeit erläutert. Der Horizont ist als eine offene Weite eine begrenzte Offenheit und daher endlich. Daß der Horizont die Bedingung der Möglichkeit der Gegenständlichkeit überhaupt ist, bedeutet, daß das endliche (menschliche) Erkennen anders als die ,göttliche' Intuition "angewiesen auf die Hinnahme" (KPM, 183) ist. Diese Angewiesenheit ist im Grund die Angewiesenheit auf den Horizont der Transzendenz, zu dem

Kap. 2, § 10 Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit

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horizontale Einheit der Zeitlichkeit ist "der Anfang und Ausgang für die Möglichkeit alles Entwerfens" (ebd), d.h. sowohl des Entwurfs auf Sein (Verstehen von Seiendem) wie des Entwurfs auf die Zeit (Verstehen von Sein). Wenn aber die Zeit in Hinsicht darauf weiter gedacht wird, inwiefern es Zeit gibt, bleibt dieses Denken nicht mehr in der horizontal-transzendentalen Blickbahn, sondern fragt in der seinsgeschichtlich-ereignishaften Blickbahn. Das Verstehen des Zuhandenen in seiner Zuhandenheit gründet im behaltend-gewärtigenden Gegenwärtigen. Diesem Verstehen liegt schon der Entwurf des Seins auf die Praesenz zugrunde, das in seiner Zeitigungsweise als temporale Zeitigung gefaßt wird. 92 Diese Zeitigung ist die Temporalität des Daseins. Diese Temporalität vollzieht sich als ursprünglichste Zeitigung im vorhinein in der sowohl eigentlichen wie auch uneigentlichen Zeitigung. In der Temporalität ist Sein aus dem Anwesen, d.h. aus der Praesenz verstanden. Die Temporalität ist als solche der ermöglichende Grund der Ontologie, die aus temporalen Sätzen besteht, welche die temporal bestimmten Seinsweisen darstellen. Alle Aussagen über das Sein sind nur aufgrund des Gegenwärtigens möglich. Denn "das Gegenwärtigen von etwas hat als solches Bezug auf Seiendes, d.h. aber als Ekstase läßt sie das, wofür sie offen ist, im Lichte ihres Horizontes begegnen, das somit im Gegenwärtigen von etwas selbst aussagbar ist" (GdP, 451). Insofern gründet eine Aussage über das Sein und somit die Ontologie in der temporalen Zeitigung. Der Grundakt der Konstitution der Ontologie ist "der Entwurf des Seins auf den Horizont seiner Verstehbarkeit" (GdP, 459), d.h. die temporale Zeitigung. Der temporale Entwurf ermöglicht eine Vergegenständlichung des Seins und sichert seine Begreitbarkeit. Insofern nennt Heidegger die Ontologie, die vor allem im temporalen Entwurf gründet, "die temporale Wissenschaft" und alle Sätze der Ontologie "temporale Sätze"(GdP, 460). Wie wir später (§ 12) sehen werden, ist die Destruktion der ontologischen Geschichte nichts anderes als das Bilden der temporalen Wissenschaft, die der Verkörperung der Seinsfrage gleichkommt. Aus der bisherigen Enthüllung von den Ekstasen und Schemata der Zeitlichkeit ergibt sich die Möglichkeit des Begreifens der ursprünglichen Zeit.

"eine vorgängige Umschlossenheit" (KPM, \04) gehört. Insofern wird die Endlichkeit hier als die Umschlossenheit des Horizontes gefaßt. 92 In diesem Kontext ist verständlich: "Zur Existenz des Daseins gehört aufgrund der Zeitlichkeit die unmittelbare Einheit von Seinsverständnis und Verhalten zu Seiendem" (GdP,454).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

c) Die ursprüngliche Zeit als Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit

Wie in der bisherigen Untersuchung der Zeitlichkeit teilweise gezeigt wurde, ist die Zeitlichkeit ekstatisch, horizontal und selbsthaft. Wir wollen nun die Zeitlichkeit vollends in ihrem ekstatischen, horizontalen und selbsthaften Charakter aufklären und die Ursprünglichkeit der Zeitlichkeit begreifen, um den Boden fur die Bestimmung der ursprünglichen Zeit zu gewinnen. Die Zeitlichkeit zeitigt sich jeweils dreifach-einigend, d.h. als das auf-sichzukommende - auf-sich-zurückkommende Gegenwärtigen. Diese dreifach-einigende Zeitlichkeit ist die ursprüngliche und ständig ganze Struktur. Jedoch sind ihre konstitutiven Strukturmomente herauszuheben. So sind Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart die herausgehobenen Ekstasen der Zeitlichkeit. Mit dem Ausdruck "Ekstase" ist zuerst das "Hinausgehen zu ... " (KPM, 114) oder das "Aus-sich-heraustreten" (GdP, 377) gemeint. Dies bedeutet: Die Zeitlichkeit zeitigt sich in der Weise von Hinausgehen zu ... , bzw. Aus-sich-heraustreten. Als solches wird die Zeitigung der Zeitlichkeit auch als "Entrückung" (SuZ, 448) bezeichnet. Die Entrückung ist aber nicht nur ein Hinausgehen zu ... , sondern auch ein ständiges Hinausstehen zu ... Dieses ständige Hinausstehen der Zeitlichkeit bildet einen Horizont: "Das im endlichen Erkennen vorgängig und jederzeit notwendige Hinausgehen zu ... ist d~mnach ein ständiges Hinausstehen zu ... (Ekstasis). Aber dieser wesenhafte Hinausstand zu ... bildet gerade im Stehen und hält sich darin vor: einen Horizont. Die Transzendenz ist in sich ekstatischhorizontal" (KPM, 114-15). Zu jeder Ekstase gehört ein Horizont, den sie als ein ständiges Hinausstehen zu ... offen hält. Was bedeutet dann dabei ein Horizont? Er bedeutet eine Offenheit, worin das Seiendes in seinem Sein sich enthüllen kann 93 . Dazu heißt es: "Jede Entrückung ist in sich selbst offen. Zur Ekstase gehört eine eigentümliche Offenheit, die mit dem Außer-sich gegeben ist" (GdP, 378). Der Horizont besagt also "die offene Weite" (ebd), die in der öffnenden Entrückung gebildet, eröffnet, offen gehalten ist: "Die Entrückung öffnet und hält diesen Horizont offen" (GdP, 378). Wenn die Zeitlichkeit diejenige öffnende Offenheit ist, worin nicht nur das Sichangehen des Daseins, sondern auch sowohl das Begegnenlassen des Seienden wie das Verstehen dessen Seins vollzogen wird, darf sie nicht als eine solche verstanden werden, die nachträglich von einem substantiven Seienden gegründet wird. Die Zeitlichkeit ist das ursprüngliche Phänomen. Erst aus und in diesem kann so etwas wie Subjekt oder Substanz erfahren und verstanden wer93 Zur wahren Erkenntnis "muß im vorhinein der Horizont des Gegenstandes offen und als solcher vernehmlich sein. Dieser Horizont ist die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes hinsichtlich seines Gegenstehenkönnens" (KPM, 114).

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den. Insofern ist die Zeitigung der Zeitlichkeit weder ein ,Sich-äußern' noch ein, von innen her kommen'. Phänomenal betrachtet, gründet sie nicht auf dem Sich-äußern eines Subjektes oder einer Substanz. Vielmehr ist sie es, die so etwas wie ein Subjekt erst als solches ermöglicht. In diesem Sinne wird die Zeit im Kontext der Erläuterung der ,Kritik der reinen Vernunft' als "Wesensstruktur der Subjektivität" (KPM, 183) gefaßt. Andererseits ist die Zeitigung der Zeitlichkeit kein ,Sich-verlassen'. Denn die Zeitigung ist immer auf sich bezogen, d.h. selbsthaft. In diesem Sinne begreift Heidegger die Zeitigung auch als "Zurück-auf-sich" (KPM, 185). Nur deshalb, weil das Hinausgehen zu ... zugleich das Zurück-auf-sich ist, ist auch die Rede von "Selbstbewußtsein" (KPM, 184) bzw. "Mirgehörigkeit" (GA25, 390) möglich. Im Kantbuch erläutert Heidegger die Zeitigung (hier die reine Affektion der Zeit selbst) als "das, was überhaupt so etwas wie das ,Von-sich-aus-hin-zu-auf.. .' bildet, dergestalt, daß das so sich bildende Worauf-zu zurückblickt und herein in das vorgenannte Hin-zu ... " (KPM, 183).94 Indem die Zeit von ihr selbst aus kommt, blickt sie auf sich selbst zurück und geht so sich selbst an. Insofern macht sie als reine Selbstaffektion "das Wesen von so etwas wie Sich-selbst-angehen" (ebd) aus. Das Selbst ist "in seinem innersten Wesen ursprünglich die Zeit selbst" (KPM, 189). Die ekstatische und horizontale Zeitlichkeit ist also gleichursprünglich selbsthaft. 95 Die drei Ekstasen der Zeitlichkeit sind gemäß dem ihnen zugehörigen Wohin des Hinausgehens, d.h. des Wozu der Richtung der Entrückung unterschieden. In ihnen liegen die drei unterschiedenen Horizonte. 96 Dementsprechend aber, daß die existenzial-horizontale Zeitigung im Unterschied zur temporalen Zeitigung steht, wird der Horizont der Welt vom Zeit-Horizont des Seins unterschieden. Die Schemata der Ekstasen der transzendentalen Zeitigung sind je als Umwillen seiner, als Wovor und als Um-zu gefaßt (vgl. SuZ, 482-83). Sie bilden den Horizont der Welt, während der Horizont des Seins aus den Schemata der temporalen Zeitigung, d.h. aus der Praesenz, besteht. Die Schemata der 94" [... ] dieses ,Von-sich-aus-hin-zu ... und Zurück-auf-sich' konstituiert gerade erst den Gemütscharakter des Gemütes als eines endlichen Selbst" (KPM, 185). Mit dem Begriff der ,reinen Selbstaffektion' ist die Zeitigung gemeint, welche die transzendentale Urstruktur des endlichen Selbst ermöglicht. 95 Das Dasein "ist selbst je sein ,Da'" (SuZ, 176) Durch die Erschlossenheit (,Da') ist das Dasein "in eins mit dem Da-sein von Welt fur es selbst ,da'" (SuZ, 177). Das ,Da' ist also selbsthaft. Sofern das ,Da' zeitlich erschlossen ist, gründet die Selbsthaftigkeit des ,Da' in de~jenigen der Zeitlichkeit. Zum selbsthaften Charakter der existenzialen Erschlossenheit vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 21-23, 31, 80-1, 92, 96, 108 96 Die drei Ekstasen der Zeitlichkeit sind "nicht Entrückungen gleichsam in das Nichts, sondern sie haben als Entrückungen zu ... aufgrund ihres jeweiligen ekstatischen Charakters einen aus dem Modus der Entrückung, d.h. aus dem Modus der Zukunft, der Gewesenheit und der Gegenwart vorgezeichneten und zur Ekstase selbst gehörigen Horizont" (GdP, 428).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

transzendentalen Zeitigung sind es, woraufhin zum einen das Dasein in seinem Seinkönnen und Schon-sein aufgeschlossen, zum anderen das besorgte Seiende entdeckt wird: "Mit dem faktischen Da-sein ist je im Horizont der Zukunft je ein Seinkönnen entworfen, im Horizont der Gewesenheit das ,Schon-sein' erschlossen und im Horizont der Gegenwart Besorgtes entdeckt" (SuZ, 483).97 Die Schemata der transzendentalen Zeitigung begrenzen als die offene Weite die Erschließbarkeit von Dasein und Besorgtem. In der offenen Weite des Umwillen seiner wird je das Dasein in seinem Seinkönnen entworfen, in derjenigen des Wovor der Geworfenheit wird es in seinem Schon-sein erschlossen und in derjenigen des Um-zu wird das Seiende in seinem Sein (Zu- oder Vorhandenheit) entdeckt. Insofern ermöglichen die Schemata der transzendentalen Zeitigung das Aufschließen des Daseins und des nichtdaseinsmäßigen Seienden, indem sie als offene Weiten die Erschließbarkeit des Erschließbaren begründen. Bei Kant sind ,Schemata' als "Zeitbestimmungen apriori nach Regeln" (KdrV, A.145, B. 184) begriffen. Bei Heidegger aber sind Schemata je nach der Zeitigungsweise anders begriffen und haben je andere Funktion. In der transzendentalen Zeitigung gründen ihre Schemata die Welt und ermöglichen die Transzendenz des Daseins. In der temporalen Zeitigung gründen ihre Schemata die horizontale Zeit und ermöglichen das Verstehen des Anwesenden aus seinem Anwesen. Die Zeitlichkeit ist nicht etwas Vorhandenes, sondern zeitigt sich. Als solche ,existiert' die Zeitlichkeit immer nur in der Weise des Vollzugs der uneigentlichen, eigentlichen oder indifferenten Zeitlichkeit: "Die Zeitlichkeit ,ist' überhaupt kein Seiendes. Sie ist nicht, sondern zeitigt sich" (SuZ, 434). Insofern gibt es nie diejenige ,ursprüngliche' Zeitlichkeit, die außerhalb der eigentlichen oder uneigentlichen Zeitlichkeit bleibt. Die eigentlich oder uneigentlich sich zeitigende Zeitlichkeit ist im Vergleich zu der am Jetzt orientierten, d.h. als Jetzt-Folge verstandenen, Zeit ursprünglich. Über die Ursprünglichkeit der Zeitlichkeit sagt Heidegger folgendes: ,,[Es] rechtfertigt [ ... ] sich mit Rücksicht auf die Abkunft der Jetzt-Zeit aus der Zeitlichkeit, diese als die ursprüngliche Zeit anzusprechen" (SuZ, 563).98 Dieser Satz ist der genügende Beleg dafür, daß die Ursprünglichkeit nicht als der Begriff des äußeren Grundes für die eigentliche und uneigentliehe Zeitlichkeit, sondern als der Gegenbegriff zur vul-

97 Dies bedeutet in Hinsicht auf die Entrückung folgendes: "Als zukünftiges ist das Dasein zu seinem gewesenen Seinkönnen, als gewesenes zu seiner Gewesenheit, als gegenwärtigendes zu anderem Seienden entrückt" (GdP, 377). 9H "Wenn daher die der Verständigkeit des Daseins zugängliche ,Zeit' als nicht ursprünglich und vielmehr entspringend aus der eigentlichen Zeitlichkeit nachgewiesen wird, dann rechtfertigt sich gemäß dem Satze, a potiori fit denominatio, die Benennung der jetzt freigelegten Zeitlichkeit als ursprüngliche Zeit" (SuZ, 435). Zum Bezug von der eigentlichen, der uneigentlichen Zeitlichkeit und der vulgär verstandenen Zeit vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 88.

Kap. 2, § 10 Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit

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gär verstandenen Zeit qua einem Derivat der uneigentlichen Zeitlichkeit gefaßt werden muß. 99 Die ursprüngliche Zeitlichkeit ist ein allgemeiner Begriff von der eigentlichen und der uneigentlichen Zeitlichkeit. In Hinsicht auf die Zeitigungsweise der ursprünglichen Zeitlichkeit aber kann noch einmal von der Ursprünglichkeit gesprochen werden. Mit dem Begriff der Zeitigungsweise sind hier vor allem die transzendentale Zeitigung und die temporale Zeitigung gemeint. Gegenüber der transzendentalen Zeitigung wird die temporale Zeitigung als "eine ursprüngliche Zeitigungsweise der ekstatischen Zeitlichkeit selbst" (SuZ, 577), als "eine noch ursprünglichere Zeitigung der Zeitlichkeit" (SuZ, 312) oder als "die ursprünglichste Zeitigung" (GdP, 429) gekennzeichnet. 100 Die temporale Zeitigung ist die aufgrund des Zeit-Horizontes vollzogene ursprünglichste Zeitigungsweise der ursprünglichen Zeitlichkeit. In diesem Zusammenhang ist die folgende Aussage über die Temporalität verständlich: "Temporalität ist Zeitlichkeit mit Rücksicht auf die Einheit der ihr zugehörigen horizontalen Schemata, in unserem Falle Gegenwart mit Rücksicht aufPraesenz" (GdP, 436). Wie muß dann die ursprüngliche Zeit bestimmt werden? In ,SuZ' ist festgestellt: "Zum Dasein gehört als ontische Verfassung ein vorontologisches Sein. Dasein ist in der Weise, seiend so etwas wie Sein zu verstehen. Unter Festhaltung dieses Zusammenhangs soll gezeigt werden, daß das, von wo aus Dasein 99 Insofern ist folgende Aussage sinnlos: " [... ] Eine von der eigentlichen Gegenwart verschiedene [... ] ursprüngliche Gegenwart ist nicht auszumachen. [... ] Es gibt die ursprüngliche Zeitlichkeit nicht" (Margot Fleischer, 24). Wil In ,SuZ' heißt es: "Die Aufhellung des Ursprungs der ,Zeit', ,in der' innerweltliches Seiendes begegnet, der Zeit als Innerzeitigkeit, offenbart eine wesenhafte Zeit igungsmöglichkeit der Zeitlichkeit. Damit bereitet sich das Verständnis für eine noch ursprünglichere Zeitigung der Zeitlichkeit vor. In ihr gründet das für das Sein des Daseins konstitutive Seinsverständnis. Der Entwurf eines Sinnes von Sein überhaupt kann sich im Horizont der Zeit vollziehen" (SuZ, 312). Hier sind zwei Zeitigungsweisen unterschieden. Die erste ist diejenige "wesenhafte Zeitigungsmöglichkeit der Zeitlichkeit", die als eine zwar ursprüngliche, aber uneigentliche Zeitlichkeit der Ursprung der Weltzeit bzw. der Innerzeitigkeit ist. Die zweite ist diejenige "noch ursprünglichere Zeitigung der Zeitlichkeit", worin das Seinsverständnis gründet. Diese letztere ist zwar ursprüngliche Zeitigung, aber sie darf nicht als transzendentale Zeitigung, sondern muß als die temporale Zeitigung verstanden werden, da sie das Seinsverständnis ermöglicht. Alberto Rosales unterscheidet diese beiden nicht, indem er nach dem Zitieren der oben genannten Sätze sagt: "Diese ,ursprüngliche Zeitigungsweise', von der auch am Schluß von SuZ (s. 438) gesprochen wird, kann nichts anderes sein als die eigentliche Zeitlichkeit" (Transzendenz und Differenz, 225). An der von ihm gezeigten Stelle steht zwar der folgende Satz: "Demnach muß eine ursprüngliche Zeitigungsweise der ekstatischen Zeitlichkeit selbst den ekstatischen Entwurf von Sein überhaupt ermöglichen". Sofern auch hier von dem Entwurf von Sein überhaupt gesprochen ist, muß auch die hier genannte ursprüngliche Zeitigungsweise als die temporale Zeitigung verstanden werden. Insofern setzt Rosales nicht nur die ursprüngliche Zeitlichkeit allein mit der eigentlichen Zeitlichkeit, sondern auch die temporale Zeitigung einfach mit der transzendentalen Zeitigung fälschlicherweise gleich.

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist" (SuZ, 24). Sofern der Seinssinn des Daseins Zeitlichkeit, die Zeit hingegen der primäre Horizont des Seinsverständnisses ist, hat Heidegger den ersten Teil der Untersuchung von ,Sein und Zeit' wie folgt betitelt: ,Die Interpretation des Daseins auf die Zeitlichkeit und die Explikation der Zeit als des transzendentalen Horizontes der Frage nach dem Sein' (vgl. SuZ, 53). Das Woher des Seinsverstehens ist die horizontale Zeit. Diese gehört als Zeit-Horizont zur ekstatischen Zeitlichkeit. Insofern muß die Zeitlichkeit qua ursprüngliche Zeit als das ganze Gefüge von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Zeit verstanden werden. 101 Sofern das Gegenwärtigen immer dasjenige ist, an dem zwei andere Ekstasen teilhaben, kann auch der praesentiale Horizont dementsprechend als derjenige gefaßt werden, an dem die zwei anderen horizontalen Schemata teilhaben. Insofern können wir sagen: Die dreifach zu verstehende horizontale Praesenz und das die anderen beiden Ekstasen einbeziehende Gegenwärtigen machen die ursprüngliche Zeit aus. 102 Als Resurne von § 10 läßt sich festhalten: a) Im existenziellen Sichverstehen liegt je schon das Seinsverständnis des Daseins als Existenz wie auch das Seinsverständnis des Seienden als Zu- oder Vorhandenheit. Die Verschiedenheit der Seinsverständnisse bezeugt schon eine Gemeinsamkeit in diesen; im Seinsverstehen des Seienden ist das Sein des Seienden schon in gewisser Weise irgendwohin entworfen, so daß das Sein je anders, d.h. als Existenz, Zu- oder Vorhandenheit verstanden wird. Der Horizont des Entwurfs des Seins muß vom Seinssinn des Daseins, d.h. der Zeitlichkeit her enthüllt werden. Insofern haben wir die Zeitlichkeit des besorgenden Seins beim Seienden, die in dieser enthüllte Transzendenz und die sie ermöglichende ekstatisch-horizontale Verfassung der Zeitlichkeit untersucht. Somit wurde der Horizont der Zeitlichkeit als die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses enthüllt, was die weitergehende Frage fordert, in welcher Zeitigungsweise das Sein auf den Horizont der Zeitlichkeit entworfen wird. b) Daraus, daß das Seiende je in seiner Zu- oder Vorhandenheit verstanden wird, enthüllt sich, daß das Seinsverstehen des Seienden zugleich mit dem Entwurf des Seins auf einen Horizont geschieht. Dieser Horizont wird aus der Analyse der alltäglichen Verständlichkeit des Seins als das An- und Abwesen enthüllt, das Heidegger nun als Praesenz kennzeichnet. Im Seins verstehen des Seienden liegt schon der Entwurf des Seins auf die Praesenz zugrunde, der in seiner Zeitigungsweise als temporale Zeitigung gefaßt wird. Diese Zeitigung ist als die ursprünglichste Zeitigung die Temporalität des Daseins. Diese Temporalität vollzieht sich also als diejenige ursprünglichste Zeitigung, die mit und in der sowohl eigentlichen wie auch uneigentlichen Zeitigung der Zeitlichkeit geschieht. In der Temporalität ist Sein

101 102

Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 16, Derselbe, ,Dasein und Subjekt', 40, 43. Vgl.: § 18.

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der GeschichtIichkeit des Daseins

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aus dem Anwesen (Praesenz) verstanden. Die Temporalität als gegenwärtigendes Entwerfen des Seins auf Praesenz ist der ennöglichende Grund der Ontologie, die aus temporalen Sätzen besteht und so die temporale Wissenschaft ist. c) Die Zeitlichkeit ist ekstatisch, horizontal und selbsthaft. Denn zu den Ekstasen der Zeitlichkeit gehören die horizontalen Schemata. Sofern die Zeitlichkeit das Sichentwerfen von sich (Ekstase) auf sich selbst (Schemata) ist, ist sie zudem als Selbstentwurf selbsthaft, so daß sie das Selbstbewußtsein bzw. die Mirgehörigkeit ennöglicht. In der Problematik der Zeitlichkeit werden die transzendentale Zeitigung und die temporale Zeitigung voneinander unterschieden. Die temporale Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit wird der transzendentalen Zeitigung der ursprünglichen Zeitlichkeit gegenüber als die ursprünglichste Zeitigung gefaßt. Sofern zur ekstatischen Zeitlichkeit der Zeit-Horizont gehört, wird die ursprüngliche Zeit qua ursprüngliche Zeitlichkeit als die Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit und der horizontalen Zeit begriffen. Wir können nun im folgenden Kapitel aufgrund der Zeitlichkeit des Daseins die Geschichtlichkeit des Daseins untersuchen, die von Heidegger ursprünglich als das zeitliche Geschehen des Daseins gefaßt werden. In diesem Kapitel werden wir zuerst die Geschichtlichkeit des Daseins (§ 11) enthüllen und dann aufgrund des so enthüllten Begriffs der Geschichtlichkeit und der schon aufgewiesenen Temporalität die Bedeutung der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie (§ 12) aufklären. Drittes Kapitel

Die Geschichtlichkeit des Daseins als eine zeitliche Seinsart § 11 Die existenzial-ontologische Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins a) Die Geschichte im betonten Sinne und das primär Geschichtliche Die Selbst-ständigkeit ist ein deexistenzielles Phänomen, das in der Entschlossenheitl03 und somit in der eigentlichen Geschichtlichkeit liegt (vgl. SuZ, 516). Die Unselbst-ständigkeit hingegen liegt in der Unentschlossenheit und somit in der uneigentlichen Geschichtlichkeit (vgl. SuZ, 517). Die "Alltäglichkeit" verdeutlicht sich damit hinsichtlich ihrer Geschehensstruktur als "uneigentliche Geschichtlichkeit des Daseins" (SuZ, 497). Die Frage nach der Selbst- und Unselbst-ständigkeit stellt sich besonders hinsichtlich des Problems des ,Zusammenhangs' des Daseins. Dieses Problem bezieht sich auf die Selbstständigkeit des Daseins und somit auch auf seine Geschichtlichkeit. Die Notwendigkeit der Untersuchung des ,Zusammenhangs' des Daseins ergibt sich 103

Vgl.: § 8 b).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

auch hinsichtlich der vorherigen Untersuchung des ganzen Seins des Daseins. Wir haben vorher das eigentliche Ganzsein des Daseins mit Rücksicht auf das Sein zum Tode behandelt. Der Tod ist zwar "das eine Ende, das die Daseinsganzheit umschließt" (SuZ, 493). Die Geburt als das andere Ende und somit das ,Zwischen' von Geburt und Tod aber sind noch nicht behandelt. Insofern bleibt die Explikation des eigentlichen und uneigentlichen Seins zum Tode trotz der Tendenz auf das existierende Ganzsein bisher "einseitig" (ebd). Dies bedeutet aber allein, daß das Ganzsein des Daseins vor allem in Hinsicht auf das Vorweg ausgearbeitet ist: "Das Dasein stand nur so im Thema, wie es gleichsam ,nach vorne' existiert und alles Gewesene ,hinter sich' läßt" (ebd). Dann ergibt sich aber die Notwendigkeit der Ausarbeitung des Ganzseins des Daseins auch in der anderen Richtung, d.h. in Hinblick auf das Schon-sein. Insofern muß nun "die Erstreckung des Daseins zwischen Geburt und Tod" (ebd) thematisiert werden, um das gesuchte Ganze darzustellen. Vulgär wird diese Erstreckung als ,Zusammenhang' des Lebens verstanden. Die Untersuchung der Geschichtlichkeit des Daseins beginnt also mit der Problematik des ,Zusammenhangs' des Daseins, und zwar hinsichtlich der Selbst-ständigkeit und Ganzheit der Existenz. Die Thematisierung des ,Zusammenhangs' zielt auf eine Aufklärung der existenzial-ontologischen Bedingung der Möglichkeit jenes Zusammenhangs ab. 104 Nach dem vulgären Verständnis besteht der ,Zusammenhang' als Lebenszusammenhang aus einer "Abfolge von Erlebnissen ,in der Zeit'" (ebd). Sofern in der Abfolge von Erlebnissen nur das jetzige Erlebnis als ,wirkliches' ausgelegt wird, werden die vergangenen Erlebnisse als die nicht-mehr-,wirklichen' und

104 Heideggers Erläuterung der existenzial-ontologischen Bedingung der Möglichkeit des ,Zusammenhangs' und somit der Geschichtlichkeit hat als solche die Bedeutung einer Förderung der Aneignung der Arbeit Diltheys: "Im Grunde geht es der folgenden Analyse einzig darum, die der heutigen Generation erst noch bevorstehende Aneignung der Forschungen Diltheys an ihrem Teil wegbereitend zu fördern" (SuZ, 499, vgl. SuZ, 532-33). Durch die Bemühung, "den ontologischen Ort des Problems der GeschichtIichkeit anzuzeigen" (SuZ, 499), d.h. durch die fundamentalontologische Klärung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt einen Leitfaden für die Ausarbeitung des Problems der Differenz zwischen dem Ontologischen und Historischen zu ergeben (vgl. SuZ, 533), pflegt die existenzial-ontologische Analytik des Daseins den Geist des Grafen Yorck und dient so dem Werke Diltheys. Indem Heribert Boeder das Problem des Dienstes für Diltheys Arbeit kritisch behandelt, klärt er nicht auf, "in welchem Sinne die vorbereitende existenzial-zeitliche Analytik des Daseins entschlossen ist, den Geist des Grafen Yorck zu pflegen, um dem Werke DiItheys zu dienen" (SuZ, 533). Dazu vgl. "Dilthey ,und' Heidegger. Zur Geschichtlichkeit des Menschen" in ,Phänomenologische Forschung', Bd. 16 (1984),161-63. Wenn K. Löwith sagt: ",Sein und Zeit' sollte dem Werke Dilthey dienen. In Wirklichkeit hat Heidegger gegen Diltheys historischen Sinn gedacht und das von ihm gestellte Problem einer philosophischen Überwindung des Historischen dadurch scheinbar gelöst, daß er es radikalisierte und eben dadurch eliminierte" (,Heidegger. Denker in dürftiger Zeit', 46), spricht er nur als Historiker, indem er Heideggers Intention als eine ontologische nicht akzeptiert.

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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die ankommenden Erlebnisse als die noch-nicht-,wirklichen' verstanden. Trotzdem wird dabei gedacht, daß die Erlebnisse mit Hilfe des beharrlichen Selbst irgendeinen Zusammenhang miteinander haben. Dabei gehen die Meinungen vom ,Lebenszusammenhang' "in der Bestimmung dieses Beharrlichen und seiner möglichen Beziehung zum Wechsel der Erlebnisse" (SuZ, 494) auseinander. In der Charakteristik des ,Zusammenhangs' aber bleibt sowohl das beharrliche Selbst wie das Sein des verharrend-wechselnden Zusammenhangs von Erlebnissen existenzial unbestimmt. In dieser Charakteristik ist nur "ein ,in der Zeit' Vorhandenes, aber selbstverständlich ,Undingliches'" (ebd) angesetzt. Der bisherigen Daseinsanalytik zufolge aber ist das Dasein keine bloße Summe der Momentanwirklichkeiten und keine vorhandene Strecke des Lebens, die erst durch seine jeweiligen Wirklichkeiten erfüllt wird. In der vulgären Auffassung des ,Zusammenhangs' wird zwar das ,Zwischen' von Geburt und Tod nicht außerhalb des Menschen, sondern mit Recht im Menschen selbst gesucht. Aber die Ansetzung des innerweltlich Vorhandenen läßt ,jeden Versuch einer ontologischen Charakteristik des Seins ,zwischen' Geburt und Tod scheitern" (SuZ, 495). Das Dasein ist in seinem Sein dasjenige, das sich selbst dergestalt erstreckt, daß "im vorhinein sein eigenes Sein als Erstreckung konstituiert ist" (ebd). Geburt und Tod sind, existenzial verstanden, nie Vergangenes und erst Ankommendes im Sinne des Nichtmehrvorhandenen und des Nochnichtvorhandenen, sondern sie sind im Dasein schon irgendwie verstanden und in das Sein des Daseins als das entworfene Sein zum Tode einbezogen: "Beide ,Enden' und ihr ,Zwischen' sind, solange das Dasein faktisch existiert, und sie sind, wie es auf dem Grunde des Seins des Daseins als Sorge einzig möglich ist" (ebd). In der Einheit von Geworfenheit (sei es sich vergessend oder sich wiederholend) und Existenzialität (mag es sich als das flüchtige Sein zum Tode oder das vorlaufende vollziehen) existiert das Dasein als Sorgetragen für sein eigenes Sein schon als das ,Zwischen' von Geburt und Tod: "In der Einheit von Geworfenheit und flüchtigem bzw. vorlaufendem Sein zum Tode ,hängen' Geburt und Tod daseinsmäßig ,zusammen'. Als Sorge ist das Dasein das ,Zwischen '" (ebd). Wir wollen nun den ermöglichenden Grund dieses existenziellen Phänomens des ,Zwischen' aufweisen. Sofern der Seinssinn des Daseins die Zeitlichkeit ist, wird die Aufweisung dieses existenziellen Phänomens existenzial, d.h. aus der Zeitigungsstruktur der Zeitlichkeit, vollzogen. Der ,Zusammenhang' des Daseins wird ursprünglich aus der Bewegtheit des Daseins aufgeklärt, das beharrliche Selbst seinerseits aus der Selbstheit des Daseins. Die Erschlossenheit des ,Zwischen' von Geburt und Tod ist nur möglich aufgrund der spezifischen Bewegtheit der Existenz. Diese Bewegtheit bedeutet keine Bewegung eines Vorhandenen, sondern ist eine solche, die sich aus der ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins bestimmt. Die Bewegtheit ist auf die Erstreckung angewiesen, die ursprünglich ein ekstatischer Charakter der Zeitlichkeit ist. Heidegger bezeichnet die Erstrecktheit der Zeitlichkeit wie folgt: "Sofern jedes Gewärtigen den Charakter des Auf-sieh-zu hat und jedes Behalten

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

den Charakter des Zurück-zu, [... ] und alles Auf-sich-zu in sich selbst ein Zurück-zu ist, ist die Zeitlichkeit als ekstatische in sich selbst erstreckt. Die Zeitlichkeit ist als das primäre Außer-sich die Erstreckung selbst" (GdP, 382). Die Ekstasen erstrecken sich und bilden als Erstteckungen eine einheitliche Erstrecktheit. Das Dasein ist aufgrund der ekstatischen Zeitlichkeit ekstatisch bei der Geburt (Wovon des Zurück-zu) und dem Tod (Wovon des Auf-sich-zu) und hält aufgrund des Erstreckungscharakters der ekstatischen Zeitlichkeit in sich das Zwischen von beiden offen. Die Bewegtheit der Existenz besagt diese "spezifische Bewegtheit des erstreckten Sicherstreckens" (SuZ, 495), welche die Erschlossenheit des ,Zwischen' von Geburt und Tod ermöglicht. Heidegger nennt diese spezifische Bewegtheit "das Geschehen des Daseins" (ebd). Zu diesem gehört ,eigentlich' die Ständigkeit des Selbst. Das ständige Selbst, das vulgär als zusammenbringender Träger der wechselnden Erlebnisse verstanden ist, kann nur aus der Selbstheit des Daseins ursprünglich verstanden werden. Jedes Ding ist identisch mit sich selbst und hat die Selbigkeit. Das Dasein, dem das Selbst erschlossen ist, hat "eine eigentümliche Selbigkeit", die Heidegger als "Selbstheit" (GdP, 242) bezeichnet. 105 Die Selbstheit ist zugleich das Freisein des Daseins für sein eigenes Sein. Dieses Freisein des Daseins kommt als solches dem existenzialen Begriff des Verstehens (vgl. GdP, 390 f.) gleich. Das Selbstwerden setzt das Freisein für sein eigenes Sein voraus. Weil das Sein des Daseins ursprünglich das Freisein für sich selbst ist, sind verschiedene existenzielle Weisen des Sichverstehens möglich. Aufgrund der Selbstheit des Daseins ist es möglich, "daß es in irgendeiner Weise sich zu eigen ist" (GdP, 242). Die verschiedenen existenziellen Weisen werden je nach dem Woher des Sichverstehens als eigentliches oder uneigentliches Existieren gefaßt. Dem entsprechend, aus welcher Möglichkeit sich das Dasein versteht, existiert das Dasein als eigentliches Selbst oder als Man-selbst. Wenn sich das Dasein aus seiner eigensten Möglichkeit versteht, existiert es als eigentliches Selbst. Versteht es sich hingegen aus einer Möglichkeit, die aus Dingen oder anderem Mitdasein geschöpft ist, existiert es als Man-selbst (vgl. SuZ, 172, 194, GdP, 395). Die Selbst-ständigkeit ist der Seinsmodus des eigentlichen Selbst und als solche die existenzielle Bestimmung dessen, was vulgär nur als Beharrlichkeit des Selbst gefaßt ist. Zum eigentlichen Selbst, d.h. zur einheitlichen Ganzheit des je faktisch existierenden Daseins, gehört die Selbstständigkeit. Diese Ständigkeit des Selbst kann nur aus der vorlaufenden Entschlossenheit existenzial vollkommen begriffen werden: "In der Entschlossenheit liegt die existenzielle Ständigkeit" (SuZ, 516). Die so begriffene Ständigkeit bedeutet doppelseitig: Beständigkeit und Standfestigkeit (vgl. SuZ, 427). 105 Die Selbstheit ist ein Phänomen, das zur eigentlichen Ganzheit der Sorge gehört: "Die voll begriffene Sorgestruktur schließt das Phänomen der Selbstheit ein" (SuZ, 428). Wegen dieser Selbstheit ist so etwas wie ",Selbstbewußtsein'" (KPM, 184) bzw. "Mirgehörigkeit" (GA25, 370) möglich.

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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Zum Selbst in der vorlaufenden Entschlossenheit gehört "die Gewißheit des Entschlusses" (SuZ, 407).106 Weil die Entschlossenheit "die Treue der Existenz zum eigenen Selbst" (SuZ, 516) ist,107 ist das Selbst in der Entschlossenheit standfest. Zum Selbst in der vorlaufenden Entschlossenheit gehört auch die Seinstendenz, "sich ständig, das heißt fur das ganze Seinkönnen des Daseins freizuhalten" (SuZ, 408). Weil die Entschlossenheit gegen die Unentschlossenheit der zerstreuten Unständigkeit "in sich selbst die erstreckte Ständigkeit" (SuZ, 516) ist, ist das Selbst in der vorlaufenden Entschlossenheit beständig. In der vorlaufenden Entschlossenheit also liegen Standfestigkeit und Beständigkeit des Selbst. Das heißt: Zum Selbst des Daseins gehört insofern die existenzielle Ständigkeit, als es als vorlaufende Entschlossenheit existiert, die in der Zeitigung der zukünftig gewesenen Wiederholung gründet. So etwas wie ,Zusammenhang' des Daseins ist nur aufgrund seiner Selbstständigkeit und Bewegtheit möglich. In diesen also liegt die Bedingung der Möglichkeit des ,Zusammenhangs' des Daseins. Die beiden eignen dem Geschehen des Daseins und gründen als solche in der Zeitlichkeit des Daseins. Die Frage nach dem ,Lebenszusammenhang' wandelt sich also ursprünglich zur existenzial-ontologischen Frage nach dem Geschehen des Daseins. Die Analyse des Geschehens fuhrt zur Untersuchung der Zeitlichkeit. Denn diese ermöglicht die Bewegtheit und Selbstständigkeit des Daseins und so sein Geschehen. Die Freilegung der Struktur dieses Geschehens aus der Zeitlichkeit hat die Bedeutung der "Gewinnung eines ontologischen Verständnisses der Geschichtlichkeit" (SuZ, 496). Diese existenziale Freilegung der Geschichtlichkeit hat ihre bestimmten Anhalte am vulgären Verständnis von Geschichte und eine Führung durch die existenziale Interpretation des Daseins. Dies bedeutet: Durch die Analyse der vulgären Begriffe von Geschichte muß zuerst die Einsatzstelle fur die Exposition des Problems der Geschichte herausgefunden werden. Danach wird die Geschichtlichkeit des Daseins auf sein Ganzseinkönnen und seine Zeitlichkeit hin entworfen. Das, was der existenziale Entwurf der Geschichtlichkeit enthüllt, faßt Heidegger als das, "was eingehüllt in der Zeitigung der Zeitlichkeit schon liegt" (SuZ, 497). Das Dasein ist nicht deshalb ,zeitlich', weil es ,in der Geschichte steht'. Vielmehr existiert das Dasein geschichtlich und kann so existieren, weil es im Grunde seines Seins zeitlich ist. Die Aufklärung von Geschichtlichkeit hat methodisch den Charakter der phänomenologischen Konstruktion. Das heißt: Das Verstehen der Geschichtlichkeit ist eine phänomenologische Kon-

J()6 Diese bedeutet "Sichfreihalten für seine mögliche und je faktisch notwendige Zurücknahme" (SuZ, 407-8) des Entschlusses. 107 Diese Treue ist zugleich "mögliche Ehrfurcht [... ] vor den wiederholbaren Möglichkeiten der Existenz" (SuZ, 516).

9 Cheong (PHS)

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

struktion der Geschichtlichkeit aus der Zeitlichkeit. 108 Diese vollzieht sich in der Weise, daß die Geschichtlichkeit "rein aus der ursprünglichen Zeitlichkeit des Daseins ,deduziert'" (SuZ, 498) wird. Diese ,Deduktion' aber bedeutet nie eine logische oder transzendentale Deduktion, sondern "eine konkretere Ausarbeitung der Zeitlichkeit" (SuZ, 505), d.h. die Ausarbeitung der Zeitlichkeit als diejenige, aufgrund derer das Geschehen des Daseins möglich ist. Die ,deduzierte' Geschichtlichkeit also ist eine aus der Zeitlichkeit ermöglichte und noch konkreter gefaßte Seinsart des Daseins. Die Zeitlichkeit ist "die Bedingung der Möglichkeit von Geschichtlichkeit als einer zeitlichen Seinsart des Daseins selbst" (SuZ, 27). Um die Geschichtlichkeit zu entwerfen, muß zuvor der betonte Sinn der Geschichte durch die phänomenologische Analyse ihrer vulgären Begriffe gefaßt werden. b) Die Geschichte im betonten Sinne. Heidegger analysiert die vulgäre Auslegung der Ausdrücke von ,Geschichte' und ,geschichtlich' .109 Demzufolge sind unter dem Ausdruck ,Geschichte' zunächst 1) die Geschichtswissenschaft und die geschichtliche Wirklichkeit verstanden. Für die Nennung der Wissenschaft aber, die sich mit der Geschichte beschäftigt, ist ,Historie' angemessen. Insofern wird die Bedeutung von ,Geschichte' im Sinne der Historie hier vorläufig ausgeschaltet. Die ,geschichtliche Wirklichkeit', die nicht notwendig objektiviertes Seiendes ist, wird vorzüglich im Sinne von "Vergangenes" (SuZ, 500) verwendet, das zu den damaligen Ereignissen gehört und vorhanden oder nicht vorhanden ist (z.B.: die Reste eines griechischen Tempels oder eine abgegangene Stadt). Es ist dasjenige, das, sei es vorhanden oder nicht vorhanden, einen positiven oder privativen Wirkungsbezug auf die ,Gegenwart' im Sinne des jetzt' und ,heute' Wirklichen hat. llo ,Geschichtliche Wirklichkeit' als Vergangenes wird bald als Nicht-mehr-Wirkendes bald als Nachwirkendes verstanden. 2) Sodann meint Geschichte nicht so sehr das Vergangene, sondern die "Herkunft" (ebd) aus der ,Vergangenheit'. Diese Herkunft aus der ,Vergangenheit' kann ,gegenwärtig' weiter eine ,Zukunft' bestimmen. Diese Herkunft steht im Zusammenhang eines Werdens und hat eine ,Entwicklung', die bald Aufstieg bald Verfall ist. Hier bedeutet Geschichte als Herkunft "einen Ereignis- und ,Wirkungszusammenhang', der sich durch ,Vergangenheit', ,GeIOK Diese Konstruktion besagt allein den "Entwurf' (SuZ, 497, Randbemerkung a), der ursprünglich aufgrund der Zeitlichkeit des Daseins als seines Seinssinnes vollzogen wird. Dieser Entwurf vollzieht sich in der Weise einer konkreten Ausarbeitung der Geschehensstruktur des Daseins aus seiner Zeitlichkeit. Für die methodologische Bedeutung der Konstruktion vgl: F.-W. v. Herrmann, ,Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl', 41-4. F.-K. Blust, ,Selbstheit und Zeitlichkeit', 159. 109 Zu Heideggers noch früheren phänomenologischen Analyse der ,Geschichte' vgl. GA59, 43-59. 110 Ein privativer Wirkungsbezug spricht sich in folgender Wendung aus: "Dies und jenes gehört bereits der Geschichte an", ein positiver Wirkungsbezug hingegen in folgender Aussage: "Man kann sich der Geschichte nicht entziehen" (SuZ, 500).

Kap. 3, § ll Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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genwart' und ,Zukunft' hindurchzieht" (SuZ, 501). 3) Weiter bedeutet Geschichte "das Ganze des Seienden, das sich ,in der Zeit' wandelt" (ebd), aber den Bereich der Natur nicht einschließt (z.B. die Wandlungen und Geschicke von Menschen, menschlichen Verbänden und ihrer ,Kultur'). Dieses steht im Unterschied zur Natur, die sich gleichfalls ,in der Zeit' bewegt. Eine so gefaßte Geschichte ist die durch ,Geist' und ,Kultur' begrenzte Region des Seienden. 4) Schließlich wird "das Überlieferte als solches" (ebd) filr ,geschichtlich' gehalten. Das Überlieferte selbst kann dabei historisch erkannt oder in seiner Herkunft verborgen vom Dasein übernommen sein. Heidegger faßt die genannten vier Bedeutungen in einer zusammen und findet so die Geschichte im betonten Sinne, von der her die vier Bedeutungen erst verständlich werden: "Geschichte ist das in der Zeit sich begebende spezifische Geschehen des exü;tierenden Daseins, so zwar, daß das im Miteinandersein ,vergangene' und zugleich ,überlieferte' und fortwirkende Geschehen im betonten Sinne als Geschichte gilt" (ebd). 111 Die Geschichte im betonten Sinne besagt ein spezifisches fortwirkendes Geschehen des existierenden Daseins, d.h. eine existenzielle Seinsweise des Daseins, die aber existenzial-ontologisch in der Geschichtlichkeit des Daseins gründet. Das spezifische zeitliche Geschehen des Daseins muß von der existenzial-ontologischen Geschehensstruktur des Daseins her aufgeklärt werden. Für diese Aufklärung schickt Heidegger die zeitliche Charakterisierung des Geschichtlichen voraus und zeigt die in der zeitlichen Charakteristik des spezifischen zeitlichen Geschehens liegende betonte Funktion der Vergangenheit, um so zu der Analyse der existenzialzeitlichen Struktur des Daseins zu gelangen. c) Das primär Geschichtliche und das sekundär Geschichtliche. ,Altertümer' in Museum werden alltäglich filr geschichtlich gehalten, obwohl sie noch in der ,Gegenwart' vorhanden sind. Mit welchem Recht halten wir diese für geschichtlich, obwohl sie noch nicht vergangen sind? Was vergangen ist, sind dabei nicht die Altertümer selbst, sondern etwas, wohin jene gehörten. Vergange-

111 Im zitierten Satz ist auch gemeint, daß die Anerkennung eines Geschehnisses als eine geschichtliche in einem spezifischen Charakter der Zeit liegt. Zum Verstehen dieses spezifischen Zeitcharakters ist die folgende Ausführung hilfreich: "Daß ein Ereignis zu einer bestimmten Z(jit eintritt, macht es nicht geschichtlich. Ebensowenig bewirkt dies sein SachgehaIt irr,: Sinne seines puren Was. Notwendig für seine geschichtliche Qualifizierung ist sein Inhalt an einer bestimmten Zeitstelle. Erst jedoch, wenn diese Zeitstelle als geschichtliche - durch ein qualitatives Vorher und Nachher mitbestimmte Dauer erfaßt wird, kann es als geschichtliches Ereignis auch hinreichend begriffen werden" (Elisabeth Ströker, "Geschichte und ihre Zeit. Erörterung einer offenen philosophischen Frage" in ,Perspektiven der Philosophie', Bd. ll (1985),289). Heidegger hebt in dem spezifischen Zeitcharakter, der sich im Geschichtsbegriff zeigt, besonders "eine betonte Funktion" der "Vergangenheit" (SuZ, 502) hervor. Die phänomenologische Analyse dieser Funktion wird das Dasein selbst als primär Geschichtliches enthüllen.

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

nes ist gerade die Welt, wohin die Altertümer gehörten und welche nicht mehr ist. Wegen der ,Vergangenheit' der Welt gehören die Altertümer als weltgehörige Zeugen zur ,Vergangenheit'. Sofern aber Welt als eine ontologische Bestimmtheit des Daseins nur mit dem existierenden Dasein ist, gründet die ,Vergangenheit' der Altertümer, die nur aufgrund der ,vergangenen' Welt als solche sein können, in der ,Vergangenheit' des Daseins. Das Woher des ,Vergangenheitscharakters' der Altertümer (als der Weltzugehörigen) ist die ,vergangene' Welt. Diese ist eine solche, die als eine existenziale Bestimmtheit des Daseins zum, vergangenen ' Dasein selbst gehört. Das ,Vergangensein ' des Daseins aber bedeutet nicht das schlechthin Verschwundensein, sondern nur das nicht-mehr-Existieren. Dafiir aber, daß wir vom nicht-mehr-existierenden Dasein sprechen können, soll dieses schon fiir uns erschlossen (da) gewesen sein. Das ,vergangene' Dasein ist für das existierende Dasein nicht Vergangenes, sondern Da-gewesenes. Das nicht-mehr-existierende Dasein ist also "im ontologischen Sinne nicht vergangen, sondern dagewesen" (SuZ, 503). Insofern haben auch die noch vorhandenen Altertümer "einen ,Vergangenheits'- und Geschichtscharakter auf Grund ihrer zeughaften Zugehörigkeit zu und Herkunft aus einer gewesenen Welt eines da-gewesenen Daseins" (ebd). Das Woher des geschichtlichen Charakters der vorhandenen Altertümer ist die gewesene Welt. Diese erhält ihrerseits aufgrund des da-gewesenen Daseins ihren geschichtlichen Charakter, weil Welt als eine existenziale bzw. ontologische Bestimmtheit des Daseins zu diesem gehört. Insofern ist das da-gewesene Dasein "das primär Geschichtliche" (ebd). Das Dasein aber wird nicht erst geschichtlich nur als Da-gewesenes, d.h. nur dadurch, daß es nicht mehr existiert, sondern es ist gerade geschichtlich als faktisch Existierendes. Weil das Dasein aufgrund der einheitlichen Zeitlichkeit gegenwärtigendes-zukünftigendes und zumal gewesenes ist, ist es in sich geschichtlich. Hier bedeutet ,geschichtlich' nicht schon die Eigentlichkeit der Existenz oder deren Uneigentlichkeit. Das "geschichtliche" Sein des Daseins differenziert sich erst nach dem Zeitigungsmodus eigentlich oder uneigentlich. Die Gewesenheit überhaupt ist es, die "das Geschichtliche vorwiegend bestimmt" (SuZ, 504). Nur deshalb, weil das Dasein überhaupt gewesend und in diesem Sinne geschichtlich ist, kann sowohl Welt wie auch Innerweltliches geschichtlich sein. Daher heißt es: "Primär geschichtlich [... ] ist das Dasein. Sekundär geschichtlich aber das innnerweitlich Begegnende, nicht nur das zuhandene Zeug im weitesten Sinne, sondern auch die Umweltnatur als ,geschichtlicher Boden'" (SuZ, 504). Heidegger bezeichnet das innerweltlich Seiende, das aufgrund seiner Weltzugehörigkeit geschichtlich ist, als "das Weltgeschichtliche" (ebd). Der vulgäre Begriff der ,Weltgeschichte' entspringt aus der Orientierung an dem Weltgeschichtlichen als sekundär Geschichtlichem. Das Weltgeschichtliche ist als innerweltlich Begegnendes an ihm selbst, d.h. vor seiner historischen Objektivierung, geschichtlich und zwar aufgrund der Welt und so-

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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mit des Daseins. Das menschliche Dasein wird im vulgären Begriff der Geschichte als "das primäre ,Subjekt' der Geschichte" (SuZ, 505) verstanden. Sofern aber das Dasein nicht bloß das primäre ,Subjekt' der Geschichte, sondern als Gewesenes das primär Geschichtliche enthüllt ist, ergibt sich die Aufgabe, die existenzial-ontologische Bedingung des primär Geschichtlichen herauszustellen.

b) Die eigentliche Geschichtlichkeit als sichüberliefernde Wiederholung

Die Aufgabe der existenzial-ontologischen Analyse des primär Geschichtlichen, d.h. des existierenden Daseins, ist es, "ein Geschehen" aufzuzeigen, "das die Existenz als geschichtliche bestimmt" (SuZ, 505). Die Struktur dieses Geschehens des Daseins ist die Geschichtlichkeit des Daseins. Mit der "Geschichtlichkeit" meint Heidegger "die Seinsverfassung des ,Geschehens' des Daseins als solchen" (SuZ, 27). Sofern das Geschehen des Daseins als erstrecktes Sicherstrecken zum ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit gehört, ist die Interpretation der Geschichtlichkeit nichts anderes als "eine konkretere Ausarbeitung der Zeitlichkeit" (SuZ, 505). Wir haben die vorlaufende Entschlossenheit als diejenige enthüllt, die in der eigentlichen Zeitlichkeit gründet. Insofern muß das die eigentliche Geschichtlichkeit kennzeichnende Geschehen, d.h. das eigentliche Geschehen, in der vorlaufenden Entschlossenheit aufgesucht werden. In der vorlaufenden Entschlossenheit entwirft sich das Dasein auf sein eigenstes Seinkönnen dergestalt, daß es sich selbst in seiner Geworfenheit übernimmt und sich eine Möglichkeit der Existenz überliefert. Hier stellt sich die Frage, "woher überhaupt die Möglichkeiten geschöpft werden können, auf die sich das Dasein faktisch entwirft" (SuZ, 506). Das vorlaufende Sichentwerfen auf den Tod ist dasjenige, das "nur die Ganzheit und Eigentlichkeit der Entschlossenheit" (ebd) verbürgt. Dabei sind die faktisch erschlossenen Möglichkeiten der Existenz nicht dem Tod zu entnehmen, sondern in der Entschlossenheit. Die Entschlossenheit ist in sich die Übernahme der Geworfenheit, die das Eröffnen der Situation bringt: "Die entschlossene Übernahme des eigenen faktischen ,Da' bedeutet zugleich den Entschluß in die Situation" (SuZ, 506). Die "Übernahme der Geworfenheit des Selbst in seine Welt" erschließt "einen Horizont", "dem die Existenz ihre faktischen Möglichkeiten entreißt" (ebd). Dieser Horizont ist das Erbe, worin der Entschlossenheit ihre faktischen Möglichkeiten erschlossen sind: "Die Entschlossenheit, in der das Dasein auf sich selbst zurückkommt, erschließt die jeweiligen faktischen Möglichkeiten eigentlichen Existierens aus dem Erbe, das sie als geworfene übernimmt. Das entschlossene Zurückkommen auf die Geworfenheit birgt ein Sichüberliefern überkommener Möglichkeiten in sich, obzwar nicht notwendig als überkommener" (SuZ, 507). In dem Sichüberliefern

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

überkommener Möglichkeiten vollzieht sich das wählende Finden einer Möglichkeit der Existenz, das nun das Dasein in die Situation entrückt. Die Entschlossenheit wird nach ihrer Seinstendenz ursprünglich zum Vorlaufen in den Tod. Je eigentlicher sich das Dasein im Vorlaufen in den Tod versteht, "um so eindeutiger und unzufälliger ist das wählende Finden der Möglichkeit seiner Existenz" (ebd).lI2 Das Vorlaufen in den Tod ist es, das ,jede zufällige und ,vorläufige' Möglichkeit" austreibt, dem Dasein "das Ziel schlechthin" (ebd) gibt und als Freisein für den Tod "die Existenz in ihre Endlichkeit" stößt. In der Endlichkeit der Existenz wird eine Möglichkeit der Existenz vom Dasein gewählt und so überliefert sich das Dasein. Dies faßt Heidegger wie folgt: "Die ergriffene Endlichkeit der Existenz [... ] bringt das Dasein in die Einfachheit seines Schicksals" (ebd). Mit ,Schicksal' meint Heidegger "das in der eigentlichen Entschlossenheit liegende ursprüngliche Geschehen des Daseins, indem es sich frei für den Tod ihm selbst in einer ererbten, aber gleichwohl gewählten Möglichkeit überliefert" (ebd). Die existenziale Bedingung der Möglichkeit des vulgär verstandenen Schicksals liegt im Schicksalscharakter des Daseins. Nur weil in der Entschlossenheit das Dasein in einer faktischen Möglichkeit sich überliefert, d.h. es in seinem ursprünglichen Sein schicksalhaftes Geschehen ist, kann es von Schicksalsschlägen getroffen werden: "Schicksalhaft in der sich überliefernden Entschlossenheit existierend, ist das Dasein als In-der-Welt-sein für das ,Entgegenkommen' der ,glücklichen' Umstände und die Grausamkeit der Zufälle erschlossen" (SuZ, 508). Das Sichüberliefern überkommener Möglichkeiten wird also durch das wählende Finden einer Existenzmöglichkeit zum Sichüber liefern einer Existenzmöglichkeit. Dieses ist zugleich das Sichüberliefern an sich selbst in einer Existenzmöglichkeit. Das Geschehen des Sichüberlieferns vollzieht sich nur in der Entschlossenheit. Insofern kann nicht der Unentschlossene, sondern nur der Entschlossene ein Schicksal ,haben'. Das Geschehen des Sichüberlieferns einer faktischen Möglichkeit in der Entschlossenheit ist in seinem eigenen Charakter Schicksal. Das schicksalhafte Dasein existiert als In-der-Welt-sein wesenhaft im Mitsein mit anderen. Insofern ist das Geschehen des Daseins ein Mitgeschehen, d.h. "Geschick" (ebd). Mit ,Geschick' meint Heidegger "das Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes" (ebd). 1I3 Das volle, eigentliche Geschehen des Daseins wird als "das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner ,Generation'" (ebd) gefaßt. Das Geschehen des Sichüberlieferns einer faktischen

112 Im Phänomen der Angst vollziehen sich das Vorlaufen in den Tod und das wählende Finden der Möglichkeit der Existenz noch nicht, weil die Angst als Zurückkommenlassen des Daseins dieses nur vor Wiederholbares bringt. 113 Das Geschick besagt nicht eine zusammengesetzte Summe der einzelnen Schicksale, sondern das Geschehen des Daseins im Mitsein mit Anderen. Dieses Mitsein ist es, worin "die Schicksale im vorhinein schon geleitet" (SuZ, 508) sind.

Kap. 3, § ll Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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Möglichkeit in der Entschlossenheit vollzieht sich also in seiner vollen Struktur als schicksalhaftes Geschick des Daseins. Dieses schicksalhafte Geschick ist der existenzial-ontologische Ursprung der Geschichte im betonten Sinne. Schicksal ist das in der Entschlossenheit und aus der ergriffenen Endlichkeit der Existenz sichvollziehende Geschehen des Sichüberlieferns. Als solches ist es das Übernehmen der "Ohnmacht der Überlassenheit an es selbst" (ebd) und in diesem Sinne ohnmächtig. Schicksal aber entspringt aus der "eigenen Übermacht seiner endlichen Freiheit" (ebd) und ist in diesem Sinne übermächtig. Schicksal also ,existiert' als eine ohnmächtige Übermacht, d.h. "die ohnmächtige, den Widrigkeiten sich bereitstellende Übermacht des verschwiegenen, angstbereiten Sichentwerfens auf das eigene Schuldigsein" (SuZ, 508-9). Nun muß aufgrund der Aufklärung des Schicksals, d.h. des eigentlichen Geschehens, dessen ontologische Bedingung der Möglichkeit herausgestellt werden. Sofern der Seinssinn des Daseins in der Zeitlichkeit liegt, findet sich auch der Grund der Möglichkeit des eigentlichen Geschehens des Daseins in dieser. Sofern Schicksal das in der Entschlossenheit und aus dem Vorlaufen in den Tod sichvollziehende Geschehen des Sichüberlieferns des Daseins ist, ist die das Schicksal ermöglichende Zeitigung die Zeitlichkeit der vorlaufenden Entschlossenheit, d.h. die zukünftig-gewesende augenblickliche Zeitigung. Dies faßt Heidegger wie folgt: "Nur Seiendes, das wesenhaft in seinem Sein z u k ü n f t i g ist, so daß es frei rur seinen Tod an ihm zerschellend auf sein faktisches Da sich zurückwerfen lassen kann, das heißt nur Seiendes, das als zukünftiges gleichursprünglich g ewe sen d ist, kann, sich selbst die ererbte Möglichkeit überliefernd, die eigene Geworfenheit übernehmen und a u gen b I i c k I ich sein rur ,seine Zeit'. Nur eigentliche Zeitlichkeit, die zugleich endlich ist, macht so etwas wie Schicksal, d.h. eigentliche Geschichtlichkeit möglich" (SuZ, 509). Das Existieren im Modus des Schicksals im Sinne des in einer ererbten, aber gleichwohl gewählten Möglichkeit sich überliefernden Geschehens ist das eigentliche Geschehen, das eigentliche Sichverstehen des Daseins. "4 Was Schicksal, Selbstwerden, eigentliches Geschehen, eigentliches Sichverstehen, eigentliche Geschichtlichkeit ermöglicht, ist die eigentliche Zeitlichkeit, die sich in der vorlaufenden Entschlossenheit zeitigt. Die Entschlossenheit weiß nicht notwendig ausdrücklich um die Herkunft der Möglichkeiten, worauf sie sich entwirft. Diese Herkunft ist das überlieferte Daseinsverständnis. Aus dem überlieferten Verständnis des Daseins in dessen Möglichkeiten ist es nun möglich, "das existenzielle Seinkönnen, darauf es sich entwirft, ausdrücklich aus dem überlieferten Daseinsverständnis zu holen"

114 "Durch das Verstehen ist das Geschehen des Daseins charakterisiert: seine Geschichtlichkeit" (GdP, 393). Vgl.: § 10 a).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

(ebd)."5 Das ausdrücklich aus dem überlieferten Daseinsverständnis Sichüberliefern einer faktischen Möglichkeit ist "die ausdrückliche Überlieferung", d.h. die" Wiederholung einer überkommenen Existenzmöglichkeit" (ebd). Die ausdrückliche Überlieferung bezeichnet diejenige Überlieferung, die um die Herkunft der Möglichkeiten weiß. Insofern ist sie in sich auch "der Rückgang in Möglichkeiten des dagewesenen Daseins" (ebd) und die in diesem Rückgang sichvollziehende Wiederholung einer gewesenen Möglichkeit. Diese Wiederholung ist als solche aber keine Bezugnahme der ,Gegenwart' auf das ,Vergangene' , sondern die Erwiderung, die besagt, daß "die ,Kraft' des Möglichen in die faktische Existenz hereinschlägt" (SuZ, 522) und zwar in der Weise des "Sichlösen[s] von der verfallenden Öffentlichkeit des Heute" (SuZ, 524). Die Erwiderung vollzieht sich in der Weise des Hineinschlagens der Kraft der gewesenen Möglichkeit in die Existenz und zum al in der Weise des Sichlösens von der bisher herrschenden verfallenden Öffentlichkeit. Heidegger erläutert den Zeitcharakter der Wiederholung wie folgt: "Die Wiederholung des Möglichen ist weder ein Wiederbringen des ,Vergangenen " noch ein Zurückbinden der ,Gegenwart' an das ,Überholte'. Die Wiederholung läßt sich, einem entschlossenen Sichentwerfen entspringend, nicht vom ,Vergangenen' überreden, um es als das vormals Wirkliche nur wieder kehren zu lassen. Die Wiederholung erwidert vielmehr die Möglichkeit der dagewesenen Existenz. Die Erwiderung der Möglichkeit im Entschluß ist aber zugleich als augenblickliche der Widerruf dessen, was im Heute sich als ,Vergangenheit' auswirkt" (SuZ, 50910). Den so betonten Bezug der Wiederholung zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (einem entschlossenen Sichentwerfen) faßt Heidegger zusammen wie folgt: "Die Wiederholung überläßt sich weder dem Vergangenen, noch zielt sie auf einen Fortschritt. Beides ist der eigentlichen Existenz im Augenblick gleichgültig" (SuZ, 510). Bedeuten diese Sätze Heideggers etwa, daß "es ihm auf den Zusammenhang in der Zukunft ebensowenig wie auf den der Vergangenheit ankommt","6 oder daß es ihm hier um den eine diskontinuierliche Kontinuität ermöglichenden Charakter der Wiederholung geht? Einem entschlossenen Sichentwerfen, d.h. der Zukunft, entspringend unterbricht das Dasein einerseits die Auswirkung des ,Vergangenen' im Heute, d.h. den Zusammenhang der ,Vergangenheit' mit der Gegenwart, und bildet andererseits das Hereinschlagen der gewesenen Möglichkeit in die faktische Existenz, d.h. den Zusammenhang des Möglichen mit der Gegenwart. Die Wiederholung ist so115 In diesem Satz enthüllt sich die Zweideutigkeit der Wiederholung, d.h. die Wiederholung sowohl als ursprüngliche und eigentliche Ekstase wie als ausdrückliche Überlieferung. Die Ekstase der eigentlichen Gewesenheit wird in der ausdrücklichen Überlieferung noch konkretisiert und so zur Ekstase der eigentlichen Geschichtlichkeit. Zur Ausflihrung des inneren Zusammenhangs zwischen den so differenzierten Bedeutungen der Wiederholung vgl.: F.-K. Blust, ,Selbstheit und Zeitlichkeit', 317 f. und M. Heinz, ,Zeitlichkeit und Temporalität', 150 f. II~ Vgl.: G. Bauer, ,Geschichtlichkeit: Wege und Irrwege eines Begriffes', 121.

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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wohl das Unterbrechen der Kontinuität des ,Vergangenen' wie auch das Bilden der Kontinuität der gewesenen Möglichkeit. Die Wiederholung ist sowohl die Erwiderung der Möglichkeit der dagewesenen Existenz wie auch der Widerruf des ,Vergangenen'. Als widerrufende Erwiderung ist die Wiederholung das Bilden der diskontinuierlichen Kontinuität. lI7 In der Wiederholung bleibt die Rede von dem Vergangenen und dem Fortschritt verschwiegen, weil diese etwas nachträgliches sind, was erst aus dem Bilden der diskontinuierlichen Kontinuität sich entscheidet und so bestimmt wird. Die Wiederholung als widerrufende Erwiderung kennzeichnet "den Modus der sich überliefernden Entschlossenheit, durch den das Dasein ausdrücklich als Schicksal existiert" (SuZ, 510). Schicksal ist das eigentliche Geschehen, das in der vorlaufenden Entschlossenheit geschieht. Insofern hat die Geschichte als Seinsweise des Daseins "ihr wesentliches Gewicht ... weder im Vergangenen noch im Heute ... , sondern im eigentlichen Geschehen der Existenz, das aus der Zukunft des Daseins entspringt," und "ihre Wurzel so wesenhaft in der Zukunft" (ebd). Sofern aber das eigentliche Geschehen die Überlieferung und Wiederholung einer gewesenen Möglichkeit aus dem in der Gewesenheit aufgeschlossenen und überkommenen Erbe ist, hat "das Geschehen der eigentlichen Geschichte ... sein Gewicht in der Gewesenheit" (SuZ, 511). Damit wird aufgeklärt, wieso in der Historie die Vergangenheit die betonte Funktion hat. 118 Zugleich aber wird auch dieses aufgewiesen: "Das eigentliche Sein zum Tode, das heißt die Endlichkeit der Zeitlichkeit, ist der verborgene Grund der Geschichtlichkeit des Daseins" (ebd). In der Wiederholung, dem Geschehen des Daseins, dem schicksalhaften Geschick, dem ausdrücklichen Sichüberliefern, enthüllt sich die eigene Geschichte

117 Zu einem scheinbar möglichen Gegenargument vgl.: H. M. Baumgartner, ,Kontinuität und Geschichte', Frankfurt 1972. Hier setzt sich der Autor mit Gadamers ,Kontinuitätstheorem' auseinander, aber auf Grund einer mehrfachen Verkennung, die zuletzt auf das Übersehen des hermeneutischen Verhältnisses zwischen dem natürlichen Vorverständnis und der ausdrücklich verstehenden Auslegung zurückgeht, d.h. auf Grund der Verkennung des Verhältnisses der vorgängig zu gebenden Kontinuität und der eigentlich sichvollziehenden Kontinuität (ebd. 171), des Unterschiedes von der eigentlichen Kontinuität und ihrer Vollzugsweise (ebd. 176), des Verhältnisses von vergangenen Ereignissen und ihrem sprachlich verstanden gegenwärtigen Bewußt-sein (ebd. 179) und des Unterschiedes von der apriorischen Faktizität und der aposteriorischen Tatsächlichkeit (ebd. 190-93). Offenbar geht das durch die mehrfache Verkennung vollzogene Gegenargument davon aus, daß der Autor "Kontinuität als Implikat der narrativen Struktur des historischen Wissens" (ebd. 249) vorweggenommen und gegenüber dem hermeneutischen Weg des Rückgangs von der historischen Kontinuität in die geschichtliche Kontinuität einen ,metakritischen' Weg der "Reduktion des Kontinuitätsbegriffs auf die Struktur der Erzählung" (ebd. 339) genommen hat. IIK D.h. es wird die Frage beantwortet: "Warum hat in der ,zeitlichen' Charakteristik des ,in der Zeit' geschehenden Daseins gerade die Vergangenheit eine betonte Funktion?" (SuZ, 502).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

des Daseins, weil die Wiederholung als die Verhaftung an das überkommene Erbe die eigene Geschichte des Daseins erschließt: "Die Wiederholung macht dem Dasein seine eigene Geschichte erst offenbar" (SUZ, 511). Das Geschehen des Daseins und die ihm zugehörige Erschlossenheit gründen existenzial in der ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins ist das in der vorlaufenden Entschlossenheit liegende Geschehen des Daseins, d.h. "das vorlaufend sich überliefernde Wiederholen des Erbes von Möglichkeiten" (SuZ, 516, vgl. SuZ, 511).119 Insofern wird die zeitliche Verfassung der eigentlichen Geschichtlichkeit als der vorlaufend-wiederholende Augenblick gefaßt.

c) Die uneigentliche Geschichtlichkeit als Horizont der Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins

Dasein ist zeitlich gewesend und so ursprünglich geschichtlich. Es ist also das primär Geschichtliche. Dieses Dasein existiert in der Welt und hält sich alltäglich beim innerweltlich Seienden auf. Weil Dasein das In-der-Welt-sein ist, impliziert die Geschichtlichkeit des Daseins wesenhaft zugleich die Geschichtlichkeit der Welt, welche eine existenziale Bestimmtheit des Daseins ist. Aufgrund der Geschichtlichkeit der Welt ist aber auch das innerweltlich Seiende (Vorhandenes und Zuhandenes) ,je schon in die Geschichte der Welt einbezogen" (SuZ, 513) und "als solches geschichtlich" (ebd).J2O Weil die geschichtliche Welt faktisch als Welt des innerweltlich Seienden ,existiert', ,geschieht' das innerweltlich Seiende immer zusammen mit dem Geschehen der Welt. 12I Nach seinem weltbezogenen Charakter ist das innerweltlich Seiende "das Welt-Geschichtliche" (SUZ, 513). Insofern bezeichnet Heidegger mit dem ontologischen Begriff ,Welt-geschichte' sowohl "das Geschehen der Welt in ihrer wesenhaften, existenten Einheit mit dem Dasein" wie auch "das innerweltliche ,Geschehen' des Zuhandenen und Vorhandenen" (SuZ, 514). Im Geschehen des existierenden Daseins als des In-der-Welt-seins ist je schon Welt-Geschichtliches ",objektiv' da, ohne historisch erfaßt zu werden" (SuZ, 514). Da-

119 Sofern diese Wiederholung schicksalhaftes Geschick ist, sollte die Rede: "Dasein ist geschichtlich, weil es, im Geschick der Gemeinschaft verwurzelt, ein ,schicksalhaftes Geschick' ist" (W. Marx, ,Heidegger und die Tradition', 112) in dem folgenden Sinne verstanden werden: Dasein ist eigentlich geschichtlich, sofern es schicksalhaftes Geschick ist. 120 Insofern wird die Geschichtlichkeit von Welt und innerweltlichem Seienden "in der Rede von der Geschichtlichkeit des Daseins ontologisch notwendig mitgemeint" (SuZ, 514). 121 Daher wird festgestellt: "Dieses innerweltliche Seiende ist als solches geschichtlich, und seine Geschichte bedeutet nicht ein ,Äußeres', das die ,innere' Geschichte der ,Seele' lediglich begleitet" (SuZ, 513).

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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bei ist das Dasein alltäglich an das Besorgte verfallen und versteht ,Sein' indifferent als Vorhandenheit. Im Verfallen an das Besorgte versteht es seine Geschichte zuerst welt-geschichtlich, legt das ,Welt-Geschichtliche' überhaupt als ankommendes, anwesendes und verschwindendes Vorhandenes aus. Weil dabei der Sinn von Sein überhaupt als etwas Selbstverständliches gilt, wird die Frage nach der Seinsart des Welt-Geschichtlichen und nach der Bewegtheit des Geschehens gar nicht erst gestellt. Im Verfallen des Daseins an das Besorgte liegt dasjenige uneigentliche Verständnis der Geschichte des Daseins, aufgrund dessen die Fragestellung eines ,Zusammenhangs' des Daseins möglich wird. Sofern der ,Zusammenhang' des Daseins nur die Einheit der vorhandenen Erlebnisse des Subjektes bedeutet, ist der Begriff nur aufgrund dessen möglich, daß die Geschichte des Daseins aus dem Besorgten verstanden wird, das als das ankommende, anwesende und verschwindende Vorhandene ausgelegt ist. Die Möglichkeit der geläufigen Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins findet sich also im verfallenden Sein des Daseins. Das uneigentlich existierende Dasein versteht zwar seine Geschichte, aber nur aus dem Besorgten. Weil das alltägliche Dasein in das faktisch passierende Vielerlei zerstreut ist, muß es "aus der Zerstreuung und dem Unzusammenhang des gerade ,Passierten' sich erst zusammenholen [... ], so es zu ihm selbst kommen will" (SuZ, 515). Zerstreuung und Unzusammenhang sind es, welche die uneigentliche Existenz charakterisieren. In Hinblick auf die uneigentliche Existenz wird ,Zusammenhang' des Daseins immer nur als derjenige der vorhandenen Erlebnisse des Subjektes verstanden. Insofern erwächst die Frage nach einem zu stiftenden ,Zusammenhang' des Daseins "überhaupt nur erst aus dem Verständnishorizont der uneigentlichen Geschichtlichkeit" (ebd). Der Horizont für die Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins ist "Unentschlossenheit, die das Wesen der Un-ständigkeit des Selbst ausmacht" (ebd). Aus diesem Horizont, der nur die Frage nach der Einheit der Verkettung der Erlebnisse zwischen Geburt und Tod gewährt, kann aber keine ursprüngliche existenziale Interpretation der Geschehensstruktur des Daseins, d.h. seiner Geschichtlichkeit, vollzogen werden. Die existenzial-ontologisch gegründete Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins fragt nicht nach dem Zusammenhang als der Einheit einer nachträglichen Verkettung der nacheinander kommenden Erlebnisse, sondern nach dem Zusammenhang als dem offenen Ganzen der Möglichkeiten zwischen Geburt und Tod und nach der Seinsart des Unzusammenhangs und der Zerstreuung. Die Verlorenheit in das Man und an das Welt-Geschichtliche wird durch die ,Flucht vor dem Tod' gekennzeichnet. Die vorlaufende Entschlossenheit ist es hingegen, die das Sein zum Tode in die Existenz so bringt, daß Dasein sein vorlaufend sichüberlieferndes Wiederholen des Erbes von Möglichkeiten vollzieht. Eigentliche Geschichtlichkeit bedeutet dieses vorlaufend-sichüberliefernde Wiederholen des Erbes von Möglichkeiten. Auf das Gewesene zurück-

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

kommend, überliefert sich Dasein in der Wiederholung gewesene Möglichkeiten seines Erbe. Mit dem Sichüberliefern des Erbes und im Zurückkommen aus der unüberholbaren Möglichkeit des Todes sind ,Geburt' und ,Tod' "in die Existenz eingeholt"(SuZ, 515), die eigentliche Existenz, d.h. die eigentliche Geschichtlichkeit, hat in sich Geburt und Tod schon eingeholt. Insofern heißt es: "Die Entschlossenheit des Selbst gegen die Unständigkeit der Zerstreuung ist in sich selbst die erstreckte Ständigkeit, in der das Dasein als Schicksal Geburt und Tod und ihr ,Zwischen' in seine Existenz ,einbezogen' hält, so zwar, daß es in solcher Ständigkeit augenblicklich ist für das Welt-geschichtliche seiner jeweiligen Situation" (SUZ, 516).122 Diese Ständigkeit ist nicht diejenige, die erst aus der Aneinanderfügung von ,Augenblicken' besteht, sondern diese selbst "entspringen" aus der Ständigkeit, d.h. "der schon erstreckten Zeitlichkeit der zukünftig gewesenden Wiederholung" (SuZ, 517). In der Entschlossenheit liegt die existenzielle Ständigkeit. Das heißt: Die Ständigkeit liegt in der eigentlichen Erschlossenheit des ganzen Seins des Daseins, die durch den existenzialen Augenblick offen gehalten ist. Insofern ist die Ständigkeit diejenige, die "ihrem Wesen nach jeden möglichen, ihr entspringenden Augenblick schon vorweggenommen hat" (SuZ, 516). Die Entschlossenheit ist kein Beharren auf einmal gefaßten Entschlüssen, sondern die Freiheit für das Aufgeben eines bestimmten Entschlusses. Insofern wird die Ständigkeit der Existenz durch ein solches Aufgeben "nicht unterbrochen, sondern gerade augenblicklich bewährt" (SuZ, 517). Die Ständigkeit der Existenz, die Erstrecktheit des Schicksals ist in dem verfallenden Sein des Daseins verborgen, weil das Dasein dabei als Man-selbst unständig sein ,Heute' gegenwärtigt. Weil das Man nur des nächsten Neuen gewärtig das Alte vergißt, kann es Gewesenes nicht sich überliefern und wiederholen, sondern es erhält und behält nur das übrig gebliebene ,Wirkliche' des gewesenen Welt-Geschichtlichen und die vorhandene Kunde darüber. Das Man ist unständig, weicht der Selbst-wahl aus und vollzieht nicht die vorlaufendsichüberliefernde Wiederholung, d.h. die eigentliche Geschichtlichkeit. Das Man ist unständig und nicht eigentlich geschichtlich. Es hat aus seiner Unständigkeit die Seinsart der uneigentlichen Existenz, der uneigentlichen Geschichtlichkeit. Die Zeitlichkeit der uneigentlichen Geschichtlichkeit hat als gewärtigend-sichvergessendes Gegenwärtigen den Charakter der Gegenwärtigung des Heute. Die uneigentliche Geschichtlichkeit versteht die Geschichte des Daseins

122 Die ontologisch begriffene Entschlossenheit muß von der vulgär verstandenen Entschlossenheit unterschieden werden: "Die Entschlossenheit wäre ontologisch mißverstanden, wollte man meinen, sie sei nur so lange als ,Erlebnis' wirklich, als der ,Akt' der Entschließung ,dauert'" (SuZ, 516).

Kap. 3, § 11 Die existenziale Frage nach der Geschichtlichkeit des Daseins

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als ,Zusammenhang' der Verkettung der vorhandenen Erlebnisse. Die Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins stellt sich aus dem Verständnishorizont dieser uneigentlichen Geschichtlichkeit des Daseins. Die Zeitlichkeit der eigentlichen Geschichtlichkeit aber hat als "vorlaufend-wiederholender Augenblick" den Charakter der "Entgegenwärtigung des Heute" (ebd). Die eigentliche Geschichtlichkeit versteht die Geschichte als "die ,Wiederkehr' des Möglichen" (ebd). Die gewesene Möglichkeit kehrt in ihrer ,Kraft' nur insofern wieder, als "die Existenz schicksalhaft-augenblicklich rur sie in der entschlossenen Wiederholung offen ist" (ebd). Der Ort des Problems der Geschichte liegt in der Geschichtlichkeit als Seinsart des Daseins und daher in der Zeitlichkeit als ihrer Wurzel. Dies bedeutet zugleich: "Wie Geschichte möglicher Gegenstand der Historie werden kann, das läßt sich nur aus der Seinsart des Geschichtlichen, aus der Geschichtlichkeit und ihrer Verwurzelung in der Zeitlichkeit entnehmen" (SuZ, 496). Insofern erhebt sich nun die Aufgabe, die existenzialontologische Verwurzelung der Historie in der Geschichtlichkeit des Daseins nachzuvollziehen. Als Resume von § 11 läßt sich festhalten: a) Die Auffassung des Lebens als ,Zusammenhang' gründet sich auf der Ansetzung des ,Zwischen' von Geburt und Tod mit der Hilfe des Begriffes ,beharrliches Selbst'. Die Thematisierung des ,Zusammenhangs', d.h. die Aufklärung der existenzial-ontologischen Bedingung der Möglichkeit des Zusammenhangs bedeutet also die Aufweisung des ,Zwischen' und der ,Selbst-ständigkeit' des Daseins von der Zeitigungsstruktur der Zeitlichkeit her. Das Dasein ist aufgrund der ekstatischen Zeitlichkeit ekstatisch bei der Geburt (Wovon des Zurück-zu der Ekstase) und dem Tod (Wovon des Auf-sich-zu der Ekstase) und hält so das ,Zwischen' von beiden offen. Der ontologische Grund rur das Phänomen ,Zwischen' ist der ekstatische Charakter der Zeitlichkeit, die spezifische Bewegtheit des erstreckten Sicherstreckens der Zeitlichkeit. Die Selbst-Ständigkeit findet sich in der vorlaufenden Entschlossenheit. Zur Entschlossenheit gehört die Treue der Existenz zum eigenen Selbst, so daß das Selbst in der Entschlossenheit standfest ist. Zur vorlaufenden Entschlossenheit gehört also nicht die zerstreute Unständigkeit, sondern erstreckte Ständigkeit, so daß das Selbst in der vorlaufenden Entschlossenheit beständig ist. Die Selbst-Ständigkeit im doppelseitigen Sinne von Beständigkeit und Standfestigkeit findet sich so in der vorlaufenden Entschlossenheit. Diese gründet ontologisch in der Zeitigung der zukünftig gewesenen Wiederholung. Der Zusammenhang des Lebens, der auf Grund der Selbstständigkeit (rur das beharrliche Selbst) und Bewegtheit (rur das Zwischen) möglich ist, gründet sich existenzial-ontologisch in der eigentlichen Zeitlichkeit des Daseins. Die Selbst-Ständigkeit und die Bewegtheit des Daseins machen seinen Geschehenscharakter aus. Die Freilegung der Struktur des Daseins von der Zeitlichkeit her kommt der ontologischen Aufklärung der Geschichtlichkeit des Daseins gleich. Der Leitfaden rur die Aufklärung der Geschichtlichkeit findet sich in der Analyse der vulgären Bedeutungen der Geschichte. Alltäglich

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

werden unter ,Geschichte bzw. geschichtlich' die geschichtliche Wirklichkeit als Vergangenes, die Herkunft, die durch ,Geist' und ,Kultur' begrenzte Region des Seienden und das Überlieferte als Übernommenes verstanden. Das aber, was die vier Bedeutungen der Geschichte verständlich macht, d.h. die Geschichte im betonten Sinne, ist das spezifische zeitliche fortwirkende Geschehen des existierenden Daseins. Von diesem Geschehen her wird bestimmt, was und wie das Geschichtliche ist. Von dem Vorrang des Geschehens aus gesehen, ist das primär Geschichtliche das da-gewesene Dasein, das sekundär Geschichtliche das innerweltlich Begegnende. Das innerweltlich Seiende als das sekundär Geschichtliche ist das Weltgeschichtliche, an dem sich die Historie orientiert, um den Begriff ,Weltgeschichte' zu bilden. Das Dasein ist aber nicht nur als Da-gewesenes geschichtlich, sondern schon als faktisches Existierendes, weil es aufgrund der ekstatischen Zeitlichkeit immer schon überhaupt gewesend ist. Aus dem Begreifen des Daseins als primär Geschichtliches erhebt sich die Aufgabe der existenzial-ontologischen Aufklärung der Geschehensstruktur (Geschichtlichkeit) des Daseins. b) Aus der Zeitigungsstruktur der Zeitlichkeit her gliedert sich die Geschichtlichkeit des Daseins in die eigentliche und uneigentliche. In der Zeitigung der vorlaufenden Entschlossenheit kommt das Dasein auf das faktische Da zurück und zwar in der Weise der Übernahme des in die Welt Geworfensein des Selbst. Diese Übernahme erschließt einen Horizont der faktischen Möglichkeiten der Existenz, den Heidegger das Erbe nennt. Das entschlossene Zurückkommen auf die Geworfenheit birgt also in sich ein Sichüberliefern der überkommenen Möglichkeiten, sei sie als überkommene enthüllt oder verhüllt. Im Sichüberliefern überkommener Möglichkeiten vollzieht sich dasjenige wählende Finden einer Möglichkeit der Existenz, das in der Angst nicht schon vollzogen wird. Das Sichüberliefern einer gewählten Möglichkeit der Existenz ist das existenzielle Geschehen des Daseins, das Heidegger ,Schicksal' nennt. Zum Geschehen des Sichüberlieferns in der Entschlossenheit gehört als sein eigener Charakter Schicksal. Das Schicksal des Daseins als des Mitseins ist das Geschick, d.h. das Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes. Weil das eigentliche Geschehen das Sichüberliefern einer gewesenen Möglichkeit aus dem Erbe ist, gründet die Geschichte im betonten Sinne im eigentlichen Geschehen und hat ihr Gewicht in der Gewesenheit. Das Geschick ist also der existenzial-ontologische Ursprung der Geschichte im betonten Sinne. Das Wesen der Geschichte fmdet sich so in der Geschichtlichkeit des Daseins. In der eigentlichen Geschichtlichkeit findet sich sowohl die Erwiderung der gewesenen Möglichkeit der Existenz wie auch der Widerruf des, Vergangenen'. Als widerrufende Erwiderung ist die eigentliche Geschichtlichkeit die Wiederholung, die die diskontinuierliche Kontinuität bildet. c) Die Frage nach dem ,Zusammenhang' stellt sich in Hinblick auf das verfallende Sein des Daseins. Im Verfallen an das Besorgte versteht das Dasein seine Geschichte nicht aus der Bewegtheit des Geschehens des Daseins, sondern aus dem Seinscharakter des innerweltlich Seienden und so nur als welt-geschichtlich. Das alltäg-

Kap. 3, § 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften

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liche Dasein verliert sich in das faktische passierende Vielerlei. Insofern muß es aus der Zerstreuung des ,Passierten' sich erst zusammenholen, um zu ihm selbst zu kommen. Die Frage nach einem ,Zusammenhang' des Daseins stellt sich aus dem Verständnis des Unzusammenhangs und der Zerstreuung des Seins des Daseins, d.h. in Hinblick auf die uneigentliche Geschichtlichkeit. Die uneigentliche Geschichtlichkeit ist also der Horizont der Frage nach dem ,Zusammenhang' des Daseins. Die eigentliche Geschichtlichkeit und die an dieser orientierte Geschichtsfrage versteht die Geschichte als Wiederkehr des Möglichen aus der Wiederholung der gewesenen Möglichkeit. Die uneigentliche Geschichtlichkeit und die an dieser orientierte Geschichtsfrage versteht die Geschichte als Verketlung der vorhandenen Erlebnisse aus dem Zusammenschluß derer. Der ontologische Ort der Geschichtsfrage enthüllt sich also als die Geschichtlichkeit des Daseins. In dieser Seinsart des Daseins wurzelt die Historie, was wir im folgenden Paragraphen untersuchen wollen. Wir beginnen dort mit der Analyse der existenzial-ontologischen Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaften, d.h. sowohl der theoretischen Wissenschaft wie auch der Historie. Erst danach werden wir die Bedeutung der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie verdeutlichen.

§ 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften und die Aufgabe der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie Wir beginnen mit der Analyse der ontologischen Genesis der theoretischen Wissenschaft. Im Anschluß daran werden wir die ontologischen Verwurzelung der Historie in der Geschichtlichkeit des Daseins aufweisen. Damit enthüllt sich der Unterschied zwischen dem Zeitigungsmodus des theoretischen Entdeckens und demjenigen der historischen Erschließung. Die wissenschaftliche Forschung ist als eine Weise der Existenz existenzial-ontologisch nur aufgrund der ekstatisch-horizontal einheitlichen Zeitlichkeit des Daseins möglich. Die historische Forschung wurzelt insbesondere in der Geschichtlichkeit des Daseins. Nach der Untersuchung der Verwurzelung der Historie in der Geschichtlichkeit des Daseins werden wir die Aufgabe der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie nachvollziehen. Wenn das Sein ursprünglich (aus der Temporaltität) interpretiert, die Geschichte der Ontologie ihrerseits eigentlich geschichtlich (aus der Geschichtlichkeit des Menschen) erschlossen werden soll, steht vor uns die Aufgabe der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie in dem Sinn, daß wir bis zu den die Ontologie ermöglichenden ,Quellen' zurückgehen, um uns diese anzueignen, was der eigentlichen Geschichtlichkeit gleichkommt.

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

a) Die ontologische Genesis der Wissenschaft in der Gegenwärtigung des Vorhandenen

Hinsichtlich der Genesis der Wissenschaft stellt sich die Frage: Welches sind die existenzial notwendigen Bedingungen der Möglichkeit dafür, daß das Dasein wissenschaftlich forschen kann? Um darauf antworten zu können, muß aber zunächst ein existenzialer Begriff der Wissenschaft gewonnen werden. 123 Unter der ,Wissenschaft' als existenzialem Begriff versteht Heidegger "die Weise der Existenz" und damit den "Modus des In-der-Welt-seins, der Seiendes bzw. Sein entdeckt, bzw. erschließt" (SuZ, 472). Sofern das Sein des Daseins die Sorge ist, deren ontologischer Sinn. die Zeitlichkeit ist, besagt die vollkommene existenziale Interpretation der Wissenschaft ihre Aufklärung aus der Zeitlichkeit und dem darin gründenden Wahrheitsphänomen. Daher heißt es: "Die vollzureichende existenziale Interpretation der Wissenschaft läßt sich jedoch dann durchfuhren, wenn der Sinn von Sein und der ,Zusammenhang' zwischen Sein und Wahrheit aus der Zeitlichkeit der Existenz aufgeklärt sind" (ebd). Der Zusammenhang zwischen Sein und Wahrheit ist in § 44 von ,Sein und Zeit' unter der Überschrift "Dasein, Erschlossenheit und Wahrheit" aufgeklärt. Demzufolge ist das Entdeckt-sein ,wahr' in einem zweiten Sinne, das Entdeckend-sein hingegen ,wahr' im ersten Sinne: "Primär ,wahr', das heißt entdeckend ist das Dasein. Wahrheit im zweiten Sinne besagt nicht Entdekkend-sein (Entdeckung), sondern Entdeckt-sein (Entdecktheit)" (SuZ, 292). Die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gründet in der Erschlossenheit der Welt, die in die Erschlossenheit des Daseins als des In-der-Welt-seins eingeschlossen ist. Insofern ist die Erschlossenheit des Daseins "das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit" (ebd). Die Wissenschaft als eine Weise der Existenz besagt das Entdecken des Seienden bzw. Erschließen des Seins,124 das sich erst

123 Der existenziale Begriff der Wissenschaft wird vor allem von ihrem ,logischen' Begriff unterschieden, "der die Wissenschaft mit Rücksicht auf ihr Resultat versteht und sie als einen ,Begründungszusammenhang wahrer, das ist gültiger Sätze' bestimmt" (SuZ, 472). Dieser Begriff gilt bei Husserl, wenn er sagt: "Was Wissenschaft zur Wissenschaft macht" ist ,jedenfalls nicht der psychologische und überhaupt reale Zusammenhang, dem sich die Denkakte einordnen, sondern ein gewisser objektiver oder idealer Zusammenhang, der ihnen einheitliche gegenständliche Beziehung und in dieser Einheitlichkeit auch ideale Geltung verschafft" (LU I, 228). Für Husserl ist die Erkenntnis aus dem Grunde, d.h. die Erklärung bzw. Begründung das, was Wissenschaft zur Wissenschaft macht und der Wissenschaft als solcher ,Einheit' gibt. C. F. Gethmann sagt mit Recht, daß der logische Begriff der Wissenschaft "nicht falsch, sondern lediglich fundiert, methodisch sekundär" ist und daß "die Konzeption der ontologischen Genesis wissenschaftlichen Wissens in einer Fundierung der logischen Konzeption der Wissenschaften zu bewähren ist" (,Dasein: Erkennen und Handeln', 194). Aus diesem Gesichtspunkt vergleicht er die Konzeption der ontologischen Genesis der Wissenschaft mit der ,konstruktiven Wissenschaftstheorie' (vgl. ebd. 201-206). 124 "Wissenschaft ist die begründende Enthüllung eines je in sich geschlossenen Gebietes des Seienden, bzw. des Seins, um der Enthülltheit selbst willen" (Wegmarken,

Kap. 3, § 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften

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aufgrund der Erschlossenheit des Daseins als ursprünglichstes Wahrheitsphänomen vollzieht. Der nächstalltägliche Modus des In-der-Welt-seins ist das besorgende Sein beim innerweltlich Zuhandenen. Anders als dieses Sein, d.h. das umsichtige Besorgen von Zuhandenem, ist die wissenschaftliche Forschung die Erforschung des innerweltlich vorjindlichen Vorhandenen. Anders als ,praktisch' umsichtiges Besorgen ist die ,theoretische' Erforschung "das pure Hinsehen auf das Seiende", das dadurch entsteht, daß "sich das Besorgen jeglicher Hantierung enthält" (SuZ, 473). Insofern könnte man denken, daß die ontologische Möglichkeit der ,Theorie' im Fehlen der Praxis liege. Obwohl dadurch ein Nursich-umsehen ohne eine spezifische Hantierung erreicht wird, ist aber die ,theoretische' Haltung der Wissenschaft dadurch noch gar nicht erreicht. 125 Das Nur-sieh-umsehen ist nur "die verweilende, ,betrachtende' Umsicht" (ebd). Diese bleibt dem besorgten zuhandenen Zeug verhaftet und ist damit nur eine Weise des verweilenden ,praktischen' Umgangs. Ob die Praxis da ist, ist kein Kriterium fur den Unterschied zwischen besorgendem Umgang und theoretischer Forschung: "Und wie der Praxis ihre spezifische Sicht (,Theorie') eignet, so ist die theoretische Forschung nicht ohne ihre eigene Praxis" (ebd). Der Sinn des theoretischen Verhaltens enthüllt sich erst inder Modifikation des Zuhandenen zum Vorhandenen, die ihrerseits in der Modifikation der Vollzugsweise der Zeitlichkeit gründet. Die Umsicht, die sich in den Bewandtnisbezügen des zuhandenen Zusammenhangs bewegt, wird ihrerseits durch eine Übersicht über das Zeugganze geleitet. Diese Übersicht ist wesentlich "das primäre Verstehen der Bewandtnisganzheit, innerhalb derer das faktische Besorgen jeweils ansetzt" (SuZ, 475), und wird als solche durch das "Seinkönnen des Daseins, worumwillen das Besorgen als Sorge existiert" (ebd), ermöglicht. Diese ,übersichtliche' Umsicht des Besorgens im jeweiligen Gebrauchen und Hantieren ermöglicht das Näherbringen des Zuhandenen in der Weise der Auslegung des Gesichteten, d.h. "die spezifische, umsichtig-auslegendende Näherung des Besorgten" bzw. "Überlegung" (ebd). Das eigentümliche Schema der Überlegung bezeichnet Heidegger als das ,wenn-so '. Mit diesem meint er folgendes existenzielle Phänomen: "Wenn dies oder jenes zum Beispiel hergestellt, in Gebrauch genommen, verhütet werden soll, so bedarf es dieser oder jener Mittel, Wege, Umstände, Gelegenheiten" (ebd). In dem Phänomen ,wenn-so' findet sich eine Vollzugsweise 48). Sofern Wissenschaft "eine Möglichkeit des Daseins" ist, das Sein versteht und Seiendes entdeckt, gibt es notwendig "zwei Grundrnöglichkeiten von Wissenschaften: Wissenschaften vom Seienden, ontische Wissenschaft - und die Wissenschaft vom Sein, die ontologische Wissenschaft, die Philosophie" (ebd). 125 Denn "das mit der Hantierung aussetzende Verweilen kann den Charakter einer verschärften Umsicht annehmen als ,Nachsehen', Überprüfen des Erreichten, als Überschau über den gerade ,stillliegenden Betrieb'" (SuZ, 473). \0 Cheong (PHS)

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l. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

der Zeitlichkeit. Durch die umsichtige Überlegung wird die jeweilige faktische Lage des Daseins in seiner besorgten Umwelt erhellt. Diese Überlegung ist auch vollziehbar, "ohne daß das in ihr umsichtig Genäherte selbst handgreiflich zuhanden und in der nächsten Sichtweise anwesend ist" (ebd), d.h. allein durch bloße Vergegenwärtigung. Sofern diese Vergegenwärtigung ein Modus der Gegenwärtigung ist, hat das Näherbringen der Umwelt in der umsichtigen Überlegung "den existenzialen Sinn einer Gegenwärtigung" (ebd). Diese umsichtige Gegenwärtigung aber ist in sich ein mehrfach fundiertes Phänomen. Dieses erläutert Heidegger wie folgt: "Zunächst gehört sie je einer vollen ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit zu. Sie gründet in einem Behalten des Zeugzusammenhangs, den besorgend das Dasein einer Möglichkeit gewärtig ist. Das im gewärtigenden Behalten schon Aufgeschlossene bringt die überlegende Gegenwärtigung bzw. Vergegenwärtigung näher" (ebd). Daß die Überlegung im Schema des ,wenn-so' sich bewegen kann, bedeutet, daß das Besorgen schon einen Bewandtniszusammenhang ,übersichtlich' versteht. Das mit dem ,wenn' Angesprochene, d.h. das Wozu, ist schon in seinem Bewandtnisbezug, d.h. hinsichtlich des mit ,so' Angesprochenen, d.h. das Dazu, verstanden. Die Überlegung, die mit dem Schema ,wenn-so' vollzogen wird, beruht also auf demjenigen vorprädikativen Verstehen eines Bewandtniszusammenhangs, das im gegenwärtigenden ausdrücklichen Verstehen, d.h. in der Auslegung, mit dem hermeneutischen Schema ,etwas als etwas' gekennzeichnet wird. 126 Das ausdrückliche Verstehen bzw. die Überlegung gründet ontologisch im Gegenwärtigen. Sofern die umsichtige Gegenwärtigung der Überlegung als eine Ekstase der Zeitlichkeit in einer einheitlichen Zeitlichkeit gründen muß, gehört sie ihrerseits zum gewärtigenden Behalten. Die Gegenwärtigung gegenwärtigt also nur das, was schon im gewärtigenden Behalten aufgegeschlossen ist: "Nur sofern das Dasein, einer Möglichkeit gewärtig, das heißt hier eines Wozu, auf ein Dazu zurückgekommen ist, das heißt ein Zuhandenes behält, kann umgekehrt das zu diesem gewärtigenden Behalten gehörige Gegenwärtigen, bei diesem Behaltenen ansetzend, es in seiner Verwiesenheit auf das Wozu ausdrücklich näher bringen" (SuZ, 476). Die gegenwärtigende Überlegung ist nicht diejenige, die erst den Bewandtnischarakter des Zuhandenen entdeckt, sondern nur diejenige, die ihn dergestalt näherbringt, daß "sie das, wobei es mit etwas ein Bewenden hat, als dieses umsichtig sehen läßt" (ebd). Aufgrund des

12~ Eine Rede mit der Wendung ,wenn-so' ist nur aufgrund des Verständnisses des Um-zu-Zusammenhangs möglich. Dieses Verständnis besagt das Verstehen von Etwas als Etwas: "Das umsichtig auf sein Um-zu Auseinandergelegte als solches, das ausdrücklich Verstandene, hat die Struktur des Etwas als Etwas" (SuZ, 198). Das Schema ,Als' bezeichnet also "die Struktur der Ausdrücklichkeit eines Verstandenen" (ebd). Heidegger kennzeichnet "das ursprüngliche ,Als' der umsichtig verstehenden Auslegung" im Unterschied zum "apophantischen ,Als' der Aussage" als "das existenzialhermeneutische ,Als'" (SuZ, 210).

Kap. 3, § 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften

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Gewärtigens eines Wobei (Wozu) und des aus diesem gezeitigten Behaltens eines Zuhandenen (Womit, Dazu) vollzieht sich das Gegenwärtigen der Überlegung. Die Bedingung der Möglichkeit der umsichtig-auslegenden Näherung gründet also in der Gegenwärtigung, die ihrerseits zum gewärtigenden Behalten gehört und sich dem in diesem zeitlichen Horizont Begegnenden anmißt. Der Bewandtniszusammenhang bzw. der Um-zu-Bezug, der im gewärtigenden Behalten gründet, wird in einem Gegenwärtigen, das mit dem gewärtigenden Behalten in der Einheit steht, näher gebracht und so ausdrücklich mit dem Schema ,Als' ausgelegt. Das hermeneutische ,Als' und das ausdrückliche Verstehen bzw. die Auslegung gründen also in der ekstatisch-horizontalen Einheit der Zeitlichkeit. Nun muß im Zusammenhang der zeitlichen Charakteristik der umsichtigen Überlegung die existenzial-ontologische Genesis des theoretischen Verhaltens und dessen existenzieller Ursprung herausgestellt werden. Das theoretische Verhalten schließt in sich schon die Modifikation des Vorhandenen zum Zuhandenen. Zur Aufklärung dieser Modifikation gibt Heidegger ein Beispiel. Beim umsichtigen Gebrauch eines Hammers kann gesagt werden, daß ein Hammer zu schwer ist. Diese Aussage über einen Hammer bedeutet bei einer besorgenden Überlegung zunächst: "Dieser wird die Hantierung erschweren"(1), aber nicht: "Dieser hat die Eigenschaft der Schwere"(2). Der zweite Satz ist "im Blick auf das, was einem ,massigen' Seienden als solchem eignet", geschöpft, während der erste Satz "im Horizont des gewärtigenden Behaltens eines Zeugganzen und seiner Bewandtnisbezüge"(SuZ, 477) gesprochen ist. Was im ersten Satz als ein begegnendes Zuhandenes begegnet, wird im zweiten Satz als Vorhandenes ,neu' angesehen. Dies bedeutet: "Das Seinsverständnis, das den besorgenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden leitet, hat umgeschlagen"(SuZ, 477-78). Durch die Modifikation des Seinsverständnisses wird aber nicht nur der Werkzeugcharakter des begegnenden Seienden übersehen, sondern auch sein Platz, der zu jedem zuhandenen Zeug gehört: "Der Platz wird zu einer Raum-Zeit-Stelle, zu einem ,Weltpunkt', der sich vor keinem anderen auszeichnet"(SuZ, 478). Zur Modifikation des Seinsverständnisses des innerweltlichen Seienden gehört also sowohl "eine Entschränkung der Umwelt" als auch eine "Umgrenzung der ,Region' des Vorhandenen"(SuZ, 479). Die anscheinend bloße Modifikation des Seinsverständnisses enthält einerseits das Verschwindenlassen des Zuhandenen, seines Platzes und einer Umwelt, worin es bisher besorgend begegnet, und andererseits das Entstehenlassen eines Vorhandenen, seiner Raum-Zeit-Stelle und einer Region, worin es von nun an einfach vorkommt. '27

127 Während die unterste Fundierungsebene der Prädikation für Husserl im Akt der Wahrnehmung liegt, ist die Wahrnehmung für Heidegger nur ein bestimmter Modus des

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

Was in der Genesis des theoretischen Verhaltens entscheidend ist, ist das vorgängige Verstehen einer bestimmten Seinsart des zu erforschenden Seienden. Aus dieser Seinsart wird das Seiende in seinen Grundbestimmungen begriffen. Die Genesis der Wissenschaft ist in der mathematischen Physik leicht abzusehen. Diese entwirft die Natur selbst und erschließt dadurch ihre apriorische Seinsverfassung. Im Entwurf wird ein ständig Vorhandenes (Materie) vorgängig entdeckt und der Horizont für den leitenden Hinblick auf seine quantativ bestimmbaren konstitutiven Momente (Bewegung, Kraft, Ort und Zeit) geöffnet. Das Vorbildliche der mathematischen Naturwissenschft besteht also darin, daß in dieser "das thematische Seiende so entdeckt ist, wie Seiendes einzig entdeckt werden kann: im vorgängigen Entwurf seiner Seinsverfassung" (ebd). Das wissenschaftliche Entwerfen ist eine spezifische Thematisierung des Seienden. Zu dieser Thematisierung gehört "die Artikulation des Seinsverständnisses, die von ihm geleitete Umgrenzung des Sachgebietes und die Vorzeichnung der dem Seienden angemessenen Begrifflichkeit" (SuZ, 480). Dieser thematisierende Entwurf zielt in der Weise der Objektivierung bzw. des Entgegenwerfens auf eine Freigabe des thematisierten Seienden. Die objektivierende Freilegung hat als objektivierendes Sein bei innerweltlich Vorhandenem den Charakter "einer ausgezeichneten Gegenwärtigung" (ebd). 128 Diese Gegenwärtigung wird von der Gegenwart der Überlegung unterschieden und zwar durch das, was in der jeweiligen Gegenwart gewärtigt wird. Während die umsichtige Überlegung das Wozu eines Zuhandenen als dessen Bewandtnischarakter gewärtigt, ist das Entdecken der Wissenschaft "einzig der Entdecktheit des Vorhandenen gewärtig" (ebd). Der Grund hierfür liegt darin, daß diese Gewärtigung der Entdecktheit (Wahrheit), d.h. die Wissenschaft, "existenziell in einer Entschlossenheit des Daseins, durch die es sich auf das Seinkönnen in der ,Wahrheit' entwirft" (ebd), gründet!29 Der Ursprung der Wissenschaft, welche nach der, Wahrheit' forscht, liegt existenziell also in der eigentlichen Existenz,

besorgenden Seins-bei, das in verschiedenen Weisen modifiziert und so abstrahiert werden kann. Vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 61-65. 128 Die weitere Frage, "ob jede Wissenschaft, und ob gar philosophische Erkenntnis auf ein Gegenwärtigen zielt," ist hier "noch unentschieden" (SuZ, 480, Anmerkung 10). Aufgrund der vorherigen Untersuchung können wir sagen, daß die Ontologie in der temporalen Zeitigung, also in der Gegenwärtigung gründet. Insofern bezieht sich diese offene Frage vor allem auf die wiederholende Erkenntnis (historische Erschließung der Geschichte und philosophisch-historische Aneignung der Geschichte der Ontologie). 129 Das In-der-Wahrheit-sein besagt als Existenzbestimmung des Daseins nicht schon, daß "das Dasein ontisch immer oder auch nur je ,in alle Wahrheit' eingeführt sei, sondern daß zu seiner existenzialen Verfassung Erschlossenheit seines eigensten Seins gehört" (SuZ, 292). Die Wahrheit in der Wendung des In-der-Wahrheit-seins besagt "die Wahrheit der Existenz" als "die ursprünglichste und zwar eigentlichste Erschlossenheit, in der das Dasein als Seinkönnen sein kann" (SuZ, 293). In der entdeckenden Gegenwärtigung wird einerseits diese Existenz-Wahrheit verborgen, andererseits die Entdecktheits-Wahrheit enthüllt.

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die sich für die ontische Wahrheit entscheidet. 130 Die existenzial-ontologische Genesis der Wissenschaft liegt zwar in derjenigen Gegenwärtigung des Vorhandenen, die als eine ModifIkation des umsichtig Besorgens in der dreifach einheitlichen Zeitlichkeit gründet. Jedoch ist der existenzielle Ursprung der Wissenschaft die eigentliche Existenz. Jede Wissenschaft als Lebensweise ist eine mögliche Weise der Existenz und hat daher ihren ontologischen Ursprung in der Seinsverfassung des Daseins. 131 Auch die Historie gründet ontologisch in der Seinsverfassung des Daseins. Durch den Entwurf der Historie auf die Seinsverfassung des Daseins können wir den existenzial-ontologischen Ursprung der Historie enthüllen. Sofern das Sein des Daseins wesenhaft gewesend, geschichtlich, zeitlich-geschehend, ist, bleibt jede Wissenschaft "diesem Geschehen verhaftet" (SuZ, 518). Die Historie aber gründet "in einer eigenen und vorzüglichen Weise" (ebd.) in der Geschichtlichkeit. 132

b) Die ontologische Verwurzelung der Historie in der Geschichtlichkeit des Daseins Die Idee der Historie als der Wissenschaft von der Geschichte des Daseins faßt Heidegger als "die historische Erschließung von Geschichte" (SuZ, 518). Diese Idee hat einen eigenen Zusammenhang mit der Geschichtlichkeit des Daseins. Die Aufhellung dieses Zusammenhangs bedeutet die Ausarbeitung der Frage nach dem existenzial-ontologischen Ursprung der Historie. Der methodische Charakter dieser Ausarbeitung liegt darin: "die Idee der Historie aus der Geschichtlichkeit des Daseins ontologisch entwerfen" (SuZ, 519). Insofern geht es hier nicht darum, "den Begriff der Historie aus einem heute faktischen Wissenschaftsbetrieb zu ,abstrahieren' bzw. ihn diesem anzugleichen" (ebd). Was Historie in ihren ursprünglichen und eigentlichen Möglichkeiten enthüllen kann, ist nicht das faktische Verfahren der historischen Forschung, sondern die Geschichtlichkeit des Daseins, das in der historischen Erschließung von Geschichte sowohl das mögliche historische ,Objekt' wie das historisch forschende ,Subjekt' ist. Der Zusammenhang der Idee der Historie mit der Geschichtlichkeit des Daseins wird zuerst hinsichtlich der ontologischen Möglichkeit des Zugangs zur ,Vergangenheit' aufgezeigt.

130 "Wissenschaft als ein bestimmt geartetes Erkennen umwillen der Enthülltheit ist eine Möglichkeit des Existierens im Sinne einer frei ergreifbaren und frei ausbildbaren Aufgabe" (GdP, 455). 131 "AlIe Forschung [... ] ist eine ontische Möglichkeit des Daseins" (SuZ, 27). 132 Historie als Historizität ist eine "Seinsart des fragenden Daseins", das "durch die Geschichtlichkeit bestimmt ist" (SuZ, 28).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

In der Idee der Historie wird die Erschließung des geschichtlich Seienden in seiner ,Vergangenheit' als eigene Aufgabe der Historie enthüllt. Wenn die Idee der Historie die Aufgabe der Erschließung der ,Vergangenheit' des geschichtlich Seienden enthält, ist die Historie nur dann möglich, wenn überhaupt je schon ,Vergangenheit' erschlossen ist. Die Erschlossenheit der ,Vergangenheit' ist als das Offensein des Wegs zur ,Vergangenheit' die Ermöglichung des historischen Rückgangs in die ,Vergangenheit'. Das Sein des Daseins ist überhaupt geschichtlich, d.h. aufgrund der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit immer schon in seiner Gewesenheit offen. Nur deshalb hat die in der Existenz vollziehbare Thematisierung der ,Vergangenheit' freie Bahn. 133 Zur ,Vergangenheit' gehören das ,vergangene' Dasein, die ,vergangene' Welt und das ,damals' zuhandene und jetzt nur noch vorhandene Seiende.

Nur weil "das Dasein und nur es ursprünglich geschichtlich ist", gehört dem möglichen Gegenstand der Historie, d.h. dem ,vergangenen' Dasein, "die Seinsart von dagewesenem Dasein" (SuZ, 520) an. Das Dasein ist geschichtlich immer als In-der-Welt-sein. Mit dem geschichtlichen Dasein, dessen existenziale Bestimmtheit Welt ist, ist je auch Welt-Geschichte. 134 Auch die ,vergangene' Welt ist dem ekstatisch existierenden Dasein als dagewesene Welt offen. Das vormals Zuhandene und unvergangene Innerweltliche wird nur deshalb ,historisch' vorfmdlich, weil es zur dagewesenen Welt gehört. Das dagewesene Dasein, die dagewesene Welt und das ,historisch' Innerweltliche sind es, die nur aufgrund der Geschichtlichkeit des Daseins und seiner ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit erschlossen gehalten bleiben. Das damals zuhandene und jetzt nur noch vorhandene Seiende (Überreste, Denkmäler, Berichte) ist seinerseits "mögliches ,Material' fiir die konkrete Erschließung des dagewesenen Daseins" (ebd). Nur weil es als der dagewesenen Welt gehörendes einen welt-geschichtlichen Charakter hat, der im Geschehen des Daseins gründet, kann es zu historischem Material werden. Die schon entworfene Welt wird "auf dem Wege der Interpretation des weltgeschichtlichen, ,erhaltenen' Materials" (ebd) bestimmt. Durch die Interpretation des historischen Materials wird die dagewesene Welt bestimmter, das dagewesene Dasein

133 Die Vergangenheit des Daseins ist als Weise seines faktischen Seins diejenige, die nicht dem Dasein nachfolgt, sondern ihm schon vorweggeht, weil sie den Horizont der Seinsmöglichkeiten des Daseins dergestalt ergibt, daß sie sich aus der Zukunft zeitigt. Daher heißt es: "Das Dasein ,ist' seine Vergangenheit in der Weise seines Seins, das, roh gesagt, jeweils aus seiner Zukunft her ,geschieht'" (SuZ, 27). Die Vergangenheit des Daseins ist diejenige "seiner ,Generation'" (SuZ, 27), weil es immer schon als Mitsein mit anderen existiert. 134 ,Geschichte' im Sinne des weltgeschichtlichen Geschehens kann erst aus der Geschichtlichkeit des Daseins verstanden werden. Die "Seinsverfassung des ,Geschehens' des Daseins als solchen" ist es, "auf dessen Grund allererst so etwas möglich ist wie ,Weltgeschichte' und geschichtlich zur Weltgeschichte Gehören" (SuZ, 27).

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konkreter erschlossen. Diese Interpretation des Materials setzt in sich das zeitlich-geschichtlich erschlossene Sein für das dagewesene Dasein voraus, d.h. "das geschichtliche Sein zum dagewesenen Dasein" bzw. "die Geschichtlichkeit der Existenz des Historikers" (ebd). Insofern ist es die Geschichtlichkeit der Existenz der Historiker, die "existenzial die Historie als Wissenschaft bis in die unscheinbarsten, ,handwerklichen' Veranstaltungen" (ebd) fundiert. Nur aufgrund der Geschichtlichkeit überhaupt ist die Historie als Erschließung der Geschichte des Dagewesenen möglich. Was ist dann das ursprüngliche Thema der Historie, die in der Geschichtlichkeit des Daseins wurzelt? Sofern die Historie in der Geschichtlichkeit wurzelt, muß das ursprüngliche Thema der Historie gemäß der eigentlichen Geschichtlichkeit, der Wiederholung, gefaßt werden. 135 Die Erschließung des Dagewesenen, die sich in Hinblick auf die existenziale Struktur der Wiederholung vollzieht, ist es, die dagewesenes Dasein in seiner eigensten Möglichkeit versteht. Sie ist als solche die auf der existenzialen Struktur der Wiederholung gegründete Historie: "Die ,Geburt' der Historie aus der eigentlichen Geschichtlichkeit bedeutet dann: die primäre Thematisierung des historischen Gegenstandes entwirft dagewesenes Dasein auf seine eigenste Existenzmöglichkeit" (SuZ, 521). Das Thema der existenzial, d.h. aus der Struktur der eigentlichen Geschichtlichkeit, geborenen Historie ist die eigenste Existenzmöglichkeit des Dagewesenen. Man kann sich aber fragen, ob das Thema der Historie nicht vor allem die ,Tatsachen' des Dagewesenen sein sollen. Ontologisch-existenzial verstanden, konstituiert sich die ,Tatsächlichkeit' der ,Tatsachen' nur in der eigentlichen Existenz, d.h. in der gewählten Existenzmöglichkeit: "Wenn das Dasein ,eigentlich' nur wirklich ist in der Existenz, dann konstituiert sich doch seine ,Tatsächlichkeit' gerade im entschlossenen Sichentwerfen auf ein gewähltes Seinkönnen" (ebd). Die dagewesene eigenste Existenzmöglichkeit, bzw. "das ,tatsächlich' eigentlich Dagewesene", ist "die existenzielle Möglichkeit, in der sich Schicksal, Geschick und Welt-Geschichte faktisch bestimmten" (ebd). Wenn die ,Tatsächlichkeit' des Dagewesenen existenzial-ontologisch in der entschlossenen Existenz konstituiert ist, dann können wir die, Tatsachen' nur mittels der Entschlossenheit des Dagewesenen, d.h. nur durch den Entwurf des Dagewese-

135 Der Begriff der Wiederholung ist, wenngleich existenziell-ontisch, d.h. im Sinne der Verlebendigung, auch im Diltheyschen Verständnis der Historieforschung verstanden. Die "Selbstbesinnung", die der gesellschaftlichen Wirklichkeit als der Sache des Diltheyschen Denkens entspringt, "bringt die historische Erkenntnis der Individuen mit dem Bewußtsein des Forschers von den Wertverhältnissen zusammen, die sein Wille und sein Gefühl im Leben finden (I, 34), bringt sein Erkennen im Verstehen mit seinem Erleben zur Wechselwirkung (V, 341) und verlebendigt eben dadurch die erkannte Geschichte (VII, 119)" (Heribert Boeder, "Dilthey ,und' Heidegger. Zur Geschichtlichkeit des Menschen" in ,Phänomenologische Forschung', Bd. 16 (1984), 166-67).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

nen auf seine eigenste Möglichkeit, erschließen. Denn diese Möglichkeit ist es, welche die schicksalhafte, geschichtliche Existenz des Dagewesenen und somit seine ,Tatsachen' ermöglichte. Diese Existenzmöglichkeit ist als solche sowohl die Existenzmöglichkeit des Dagewesenen wie die dagewesene Existenzmöglichkeit des Daseins. 136 Insofern macht die Historie "im Einmaligen das ,Allgemeine' offenbar" (ebd), indem sie wiederholend das Dagewesene in seiner eigensten Existenzmöglichkeit enthüllt. Daher wird festgestellt: "Die Frage, ob die Historie nur die Reihung der einmaligen, ,individuellen' Begebenheiten oder auch ,Gesetze' zum Gegenstand habe, ist in der Wurzel schon verfehlt" (ebd). Der Gegenstand der Historie ist weder Einmaliges noch Allgemeines, sondern dasjenige, das als ,Allgemeines' im Einmaligen verborgen bleibt und erst durch die Wiederholung als solches enthüllt wird. Die dagewesene Existenzmöglichkeit ist gerade "die faktisch existent gewesene Möglichkeit" (ebd). Das ursprüngliche Thema der Historie ist also die faktisch existent gewesene Möglichkeit der Existenz, die die ,Tatsächlichkeit' der Tatsachen des Dagewesenen ermöglicht hat und für das existierende Dasein als wiederholbare dagewesen ist. In welcher Weise aber wird die gewesene Möglichkeit eigentlich historisch verstanden? Wenn die Historie das Dagewesene auf seine Existenzmöglichkeit entwirft, wird dadurch die ,Kraft' der Existenzmöglichkeit erschlossen: "Weil die Existenz je nur als faktisch geworfene ist, wird die Historie die stille Kraft des Möglichen um so eindringlicher erschließen, je einfacher und konkreter sie das In-der-Welt-gewesensein aus seiner Möglichkeit her versteht und ,nur' darstellt" (SuZ, 521). Die faktisch existent gewesene Möglichkeit wird nicht in der Weise wiederholt, daß sie in die Blässe eines überzeitlichen Musters verkehrt wird. Vielmehr kann nur faktische eigentliche Geschichtlichkeit als entschlossenes Schicksal die dagewesene Geschichte in der Weise erschließen, daß "in der Wiederholung die ,Kraft' des Möglichen in die faktische Existenz hereinschlägt, das heißt in deren Zukünftigkeit auf sie zukommt" (SuZ, 521-22). Insofern kann nur die an der eigentlichen Geschichtlichkeit orientierte Historie die Geschichte des Dagewesenen in der Weise der Wiederholung der gewese-

136 Hinsichtlich dieser Aussage bin ich anderer Meinung als Marion Heinz. Nach der Feststellung dessen, daß das Dasein mit seinem Tod als der Unmöglichkeit alles Existierens nicht mehr als gewesenes ist, notiert sie: "Damit stellt sich allerdings die Frage, ob nicht mehr existierendes Dasein zu Recht als da-gewesenes Dasein angesprochen werden kann (vgl. SuZ, S. 380). In diesem Falle ist das Gewesensein keine Möglichkeit des Daseins mehr" (,Zeitlichkeit und Temporalität', 89 Anmerkung 30). Das Da-gewesensein hat die Verfasserin als das durch nicht mehr existierendes Dasein vollzogene und für existierendes Dasein erschlossene Sein verstanden, das Gewesensein hingegen als das durch existierendes Dasein vollzogene und für dieses selbst erschlossene Sein. Insofern kann das Da-gewesensein eine Existenzmöglichkeit des existierenden Daseins sein.

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nen Möglichkeit, d.h. eigentlich historisch, erschließen. 137 Dabei hat die Historie schon das ursprüngliche Thema ausgewählt. Diese Auswahl ist seinerseits ,,schon getroffen in der faktischen, existenziellen Wahl der Geschichtlichkeit des Daseins, in dem allererst die Historie entspringt und einzig ist" (SuZ, 522). Insofern zeitigt sich die eigentlich historische Erschließung "aus der Zukunft" (SuZ, 522). Die eigentlich historische Erschließung der Geschichte des Dagewesenen vollzieht sich mit der Auswahl des Themas, die schon in der Wahl des Historikers, d.h. dessen Wahl der eigentlichen Geschichtlichkeit, getroffen ist. Die Auswahl des eigentlichen Themas der Historie und somit die eigentliche Historie gründen in der Wahl der eigentlichen Geschichtlichkeit. Die gewesene Möglichkeit wird also in ihrer möglichen ,Kraft' nur in der aus der Zukunft sich zeitigenden Zeitlichkeit, d.h. in der eigentlichen Geschichtlichkeit, in der Weise der Wiederholung eigentlich historisch erschlossen. 138 Insofern erhebt sich nun die Aufgabe, die Möglichkeit und die Struktur der historischen Wahrheit aus der Entschlossenheit, d.h. der eigentlichen Geschichtlichkeit, zu begreifen. Die hermeneutische Situation für die historische Thematisierung eröffnet sich mit dem "Entschluß des geschichtlich existierenden Daseins zur wiederholenden Erschließung des Dagewesenen" (SuZ, 524). Erst in der so geöffneten hermeneutischen Situation entwirft die historische Thematisierung das Dagewesene auf seine eigenste Möglichkeit. Insofern kann die Möglichkeit und die Struktur der historischen Wahrheit nur aus der Ent137 Aufgrund der existenzial erläuterten historischen Erschließungsweise wird die folgende existenzielle Darstellung verständlich: "Erst mit ihrer eigenen Temporalisierung löst die Geschichte die Vergangenheit aus der Statik eines bloß kumulativ wachsenden Tatsachenbestandes flir die Gegenwart, indem sie ihn jeweils in Beziehung zum eigenen Jetzt reflektiert" (E. Ströker, "Geschichte und ihre Zeit. Erörterung einer offenen philosophischen Frage", 297). 13X Sofern Heidegger die Möglichkeit der eigentlichen Historie und somit der Wiederholung der Geschichte existenzial-ontologisch aus der eigentlichen Geschichtlichkeit aufklärt, sind die folgenden Fragen nur polemisch: "Läßt sich die Weltgeschichte [... ] in diesem eigenwilligen Entwurf der Geschichte aus dem je eigenen ,Sein zum Ende' wiedererkennen? Macht diese existenziale Interpretation der Geschichte aus der Geschichtlichkeit des endlichen Daseins verständlich, was wir gemeinhin Geschichte nennen?" (K. Löwith, ,Heidegger. Denker in dürftiger Zeit', 49). Auch folgender Satz ist gegenstandlos: "Die Geschichtlichkeit Heideggers hat mit der Geschichte nicht mehr viel zu tun" (G. Bauer, ,Geschichtlichkeit: Wege und Irrwege eines Begriffes', 125). Man darf auch nicht behaupten, daß die eigentlich historische Erschließung nicht objektiv sei. Sofern sich die Objektivität einer Wissenschaft primär daraus regelt, "ob sie das ihr zugehörige thematische Seiende in der Ursprünglichkeit seines Seins dem Verstehen unverdeckt entgegenbringen kann" (SuZ, 522), ist die eigentlich historische Erschließung des Dagewesenen in seiner eigensten Möglichkeit der Existenz nicht ,subjektiv', sondern in einem eigenen Sinne objektiv: "Die in der schicksalhaften Wiederholung gründende historische Erschließung der, Vergangenheit' ist so wenig ,subjektiv', daß sie allein die ,Objektivität' der Historie gewährleistet" (ebd).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

schlossenheit des Daseins, d.h. aus der eigentlichen Erschlossenheit (,Wahrheit') der geschichtlichen Existenz, aufgeklärt werden. Als zukünftiges existiert das Dasein eigentlich im entschlossenen Erschließen einer gewählten Möglichkeit. Das entschlossene Erschließen einer gewählten Möglichkeit vollzieht sich in der Weise, daß das Dasein "wiederholend offen für die ,monumentalen' Möglichkeiten menschlicher Existenz" (ebd) ist. Die solcher eigentlichen Geschichtlichkeit entspringende Historie entwirft das Dagewesene auf seine ,monumentale' Möglichkeit und ist so ,monumentalisch'. Weil die ,monumentalen' Möglichkeiten die gewesenen sind, liegt im entschlossenen Erschließen als wiederholender Aneignung einer gewesenen Möglichkeit "die Möglichkeit der verehrenden Bewahrung der dagewesenen Existenz, an der die ergriffene Möglichkeit offenbar geworden" (ebd) ist, schon vorgezeichnet. Deshalb ist die monumental ische Historie zugleich ,antiquarisch'. Im entschlossenen Erschließen ist das Heute aus dem zukünftig-wiederholenden Verstehen einer ergriffenen Existenzmöglichkeit ausgelegt. Insofern wird die eigentliche Historie "zum leidenden Sichlösen von der verfallenden Öffentlichkeit des Heute" (ebd). Deshalb ist die monumentalisch-antiquarische Historie zugleich für das Heute kritisch. Der monumentalische, antiquarische und kritische Charakter, d.h. die dreifach-einheitliche Struktur der Historie, liegt ursprünglich im entschlossenen Erschließen einer gewählten Möglichkeit, das in der eigentlichen Geschichtlichkeit wurzelt. Die eigentliche Geschichtlichkeit ist also "das Fundament der möglichen Einheit der drei Weisen der Historie" (ebd). Der existenziale Ursprung der Historie liegt in der Geschichtlichkeit des Daseins und so in seiner vorlaufend-wiederholenden augenblickhaften Zeitlichkeit. Während im theoretischen Entdecken des Vorhandenen die Gegenwärtigung in ihrer einheitlichen Zeitlichkeit die führende ist, liegt in der historischen Erschließung der Geschichte das Gewicht auf der Wiederholung, die sich aus der Zukunft zeitigt. Zuletzt stehen wir vor einer entscheidenden Frage: Bedeutet der Entwurf der eigentlichen Historie eine Absprechung des eigenen Rechtes der vulgären Historie, welche Geschichte nur als innerzeitiges Geschehen versteht? Diese Frage kann nur in Hinsicht auf den Zeitbegriff in der Historie beantwortet werden. Der ,Zeitfaktor' tritt sowohl in der Naturwissenschaft wie in der Historie ein. Der existenzielle Grund dafür findet sich in einer Weise des faktischen Existierens des Daseins, d.h. in dem Faktum, daß "das Dasein schon vor aller thematischen Forschung ,mit der Zeit rechnet' und sich nach ihr richtet" (SuZ, 534). Die Aufklärung vom ,Rechnen des Daseins mit seiner Zeit' ist die Ausarbeitung der Frage, "wie das Dasein als Zeitlichkeit ein Verhalten zeitigt, das sich in der Weise zur Zeit verhält, daß es ihr Rechnung trägt" (SuZ, 535). Die Zeit, die dem Rechnen des Daseins mit seiner Zeit, d.h. dem Zeitbesorgen des Daseins, entspringt, enthüllt sich als Weltzeit, ,worinnen' das innerweltlich Zu-

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handene und Vorhandene besorgend begegnet. 139 Als eine Folge der NivelIierung dieser Weltzeit entsteht die vulgär begriffene Zeit, ,worinnen' sowohl Geschichte wie Naturgänge einfach als vorkommendes Vorhandenes ausgelegt werden. Mit diesem vulgären Zeitbegriff erforscht sowohl die Historie wie die Naturwissenschaft ihr betreffendes Objekt. Insofern müssen wir den Begriff der ,Weltzeit' und das Entspringen des vulgären Zeitbegriffes kurz skizieren, um aufzuzeigen, worin das natürliche Recht der vulgären Historie liegt. Das alltägliche Dasein ist an die mit seinem faktischen Da entdeckte ,Welt' überlassen und besorgend auf sie angewiesen. Als solches bedarf das Dasein "der Sichtmöglichkeit, das heißt der Helle, um mit dem Zuhandenen innerhalb des Vorhandenen besorgend umgehen zu können" (SuZ, 545). Daher wird "aus dem Licht und Wärme spendenden Gestirn und seinen ausgezeichneten ,Plätzen' am Himmel her" die Datierung vollzogen, die "eine im Miteinandersein ,unter demselben Himmel' für ,Jedermann' jederzeit und in gleicher Weise, in gewissen Grenzen zunächst einstimmig vollziehbare Zeitangabe" (SuZ, 546) ist. Dabei gründet die Datierung allerdings in der Zeitlichkeit des Daseins. Denn "nur das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen des mit der Entdecktheit des innerweltlich Seienden begegnenden Sonnenlaufes ermöglicht und fordert zugleich als sich auslegendes die Datierung aus dem öffentlich umweltlich Zuhandenen" (ebd). Die Datierung, d.h. die Zeitangabe, vollzieht sich vor allem mit ,dann', ,jetzt' und ,damals'. Diese sind diejenigen, als welche sich die Zeitlichkeit ausspricht und so auslegt. Sie werden immer aus ihren Horizonten und in diesen ausgesprochen: "Der Horizont des im ,damals' sich aussprechenden Behaltens ist das ,Früher', der für die ,dann' das ,Späterhin' (,künftig'), der für die ,jetzt' das ,Heute'" (SuZ, 538). Die den jetzt', ,dann' und ,damals' zugehörigen Horizonte machen die Zeit aus, ",worinnen' innerweltliches Seiendes begegnet" (SuZ, 553). Diese Zeit nennt Heidegger "Weltzeit" (ebd). Diese Weltzeit ist nur aufgrund der ekstatisch-horizontalen Verfassung der Zeitlichkeit möglich und hat als solche "dieselbe Transzendenz wie die Welt" (ebd). Weil das Dasein das In-der-Welt-sein ist und mit der Erschlossenheit von Welt Weltzeit veröffentlicht ist, versteht jedes zeitlich besorgende Sein bei Seiendem dieses umsichtig als innerweltliches Seiendes und als ,in der Zeit' begegnendes, d.h. innerzeitig Begegnendes. Die Weltzeit konstituiert also eine Innerzeitigkeit des Zuhandenen und Vorhandenen. Die Innerzeitigkeit besagt "die Zeitbestimmtheit des innerzeitlichen Seienden" (SuZ, 440). Das alltägliche, sich Zeit gebende Besorgen "findet ,die Zeit' am innerweltlichen Seienden, das ,in der Zeit' begegnet" (SuZ, 555), d.h. an der Innerzeitigkeit des Seienden. Die an der Innerzeitigkeit des Seienden zu139 Sofern "Weltzeit im strengen Sinne des existenzial-zeitlichen Begriffs von Welt" zur Zeitlichkeit gehört, ist die Charakteristik der Zeitlichkeit, die die Analyse der Weltzeit nicht einschließt, "unvollständig" und "grundsätzlich lückenhaft" (SuZ, 535).

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

nächst ontisch gefundene ,Zeit' ist "die Basis der Ausformung des vulgären und traditionellen Zeitbegriffes" (SuZ, 440). Die Innerzeitigkeit ist es, woraus ,die Zeit' theoretisch vorgestellt und begriffen wird. Dieser theoretisch begriffenen Zeit aber fehlen die Datierbarkeit und die Bedeutsamkeit der Weltzeit. Der Zeitbegriff als Jetztfolge ist also derjenige, der Bedeutsamkeit und Datierbarkeit des Jetzt verdeckt und somit die ekstatisch-horizontale Verfassung der Zeitlichkeit nivelliert hat, in der sie gründen und in deren Sichauslegen sich die Weltzeit zeitigt (vgl. SuZ, 557-58). Wenn das Dasein über die zunächst und zumeist bekannte Zeit (Weltzeit) nachdenkt, sei es wissenschaftlich, vorwissenschaftlich oder nach Tradition philosophisch, nimmt es eine Nivellierung des Verstandenen vor und bildet ein vulgäres Verständnis der Zeit als Jetzt-Fluß. Die vulgär gefaßte Zeit ist nun nicht mehr diejenige, ,worinnen' das innerweltlich Seiende besorgend begegnet, sondern diejenige, ,worinnen' das Seiende als bloß Vorhandenes einfach vorkommt. 14o Die vulgäre Auslegung der Zeit als einer endlosen, vergehenden, nicht umkehrbaren Jetztfolge entspringt der Zeitlichkeit des alltäglichen Daseins. Sofern die vulgäre Vorstellung der Zeit zur alltäglichen Seinsart des Daseins gehört, hat die vulgäre Zeitvorstellung "ihr natürliches Recht" (SuZ, 562). Zwar hat sie kein Recht darauf, "den ,wahren' Begriff der Zeit zu vermitteln und der Zeitinterpretation den einzig möglichen Horizont vorzeichnen zu können" (ebd), aber als einer Seinsart des Daseins zugehörige l41 verliert sie ihr natürliches Recht nicht. Das Dasein versteht zunächst und zumeist aufgrund der vulgären Zeitvorstellung auch die Geschichte öffentlich als "innerzeitiges Geschehen" (ebd). Die faktische ,ontisch-zeitliche' Auslegung der Geschichte als innerzeitiges Geschehen aber hat als einer Seinsweise des Daseins zugehörige ihr natürliches Recht, wie die vulgäre Zeitvorstellung. Das alltägliche Dasein kennt faktisch nicht nur die Naturvorgänge, sondern auch die Geschichte nur als

140 Den zeitlichen Sinn der Seinsweise des Daseins, die nur das innerweltlich Vorhandene und also nicht mehr das innerweltlich Zuhandene entdeckt, fUhrt Otto Pöggeler wie folgt aus: "Die Zuwendung zur Geschichtlichkeit ermöglicht das eigentliche Existieren, die Zuwendung zur Innerzeitigkeit den ,selbstvergessenen' Umgang mit Zuhandenem und das Vorstellen von Vorhandenem. Die Innerzeitigkeit selbst ist wiederum modifikabel; wird das Ausgerichtetsein auf Zukünftiges weitgehend aus ihr ausgeschaltet zugunsten der Ausrichtung auf Gegenwärtiges oder gar ständig zu Vergegenwärtigendes, so verdrängt das bloße Vorstellen von Vorhandenem den Umgang mit Zuhandenern" (,Philosophie und Politik bei Heidegger, 84). 141 Diese Seinsart gründet in der uneigentlichen (SuZ, 563), aber wesenhaften (SuZ, 312) Zeitlichkeit, d.h. in der Modifikation der ursprünglichen Zeitlichkeit. Dementsprechend ist die vulgär begriffene Zeit das der ursprünglichen Zeitlichkeit entsprungene Zeitphänomen: "Zwar ist die als Jetzt, Noch-nicht-jetzt und Nicht-mehr-jetzt ausgelegte Zeit ein echtes Zeitphänomen. Aber sie kann nicht den Anspruch stellen, das Zeitphänomen im ganzen zu erschöpfen. Vielmehr ist die Jetzt-Zeit ein entsprungenes Zeitphänomen, entsprungen der ursprünglichen Zeit" (F.-W. v. Herrmann, ,Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit', 171).

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,innerzeitig' . Daher wird aufgrund einer Weise des faktischen Existierens des Daseins, d.h. des ,Rechnens des Daseins mit der Zeit', der "faktischen ,ontischzeitlichen' Auslegung der Geschichte" "ausdrücklich ihr Recht" (SuZ, 534, vgl. 498) zurückgegeben. 142 Die Historie als die ontisch-zeitliche Auslegung der Geschichte (als des weltgeschichtlichen Geschehens) hat ihr eigenes natürliches Recht und zwar aufgrund der alltäglichen Seinsweise des Daseins. Nun wollen wir aufgrund der bisherigen Untersuchung der existenzialen Bedeutung der historischen Erschließung die Bedeutung der Aufgabe der historischen Destruktion der Geschichte der Ontologie nachvollziehen. 143

c) Die historische Destruktion der Geschichte der Ontologie als zweifache Wiederholung Das Dasein ist wesenhaft geschichtlich. Deshalb kann es Traditionen entdecken, bewahren und ihnen ausdrücklich nachgehen und so Historie ,haben'. Historie ist die Wissenschaft, deren eigenständige Aufgabe "die Entdeckung von Tradition und die Erschließung dessen, was sie ,übergibt' und wie sie übergibt" (SuZ, 28), ist. Wie kann die Geschichte der Ontologie als Tradition eigentlich erschlossen werden? Die zur Herrschaft kommende Tradition ergibt die Zugangsmöglichkeit zu dem nicht, was sie ,übergibt', d.h. die ursprünglichen ,Quellen' der Tradition. Sofern die Tradition das Überkommene allein der Selbstverständlichkeit überantwortet, "verlegt" sie "den Zugang zu den ursprünglichen ,Quellen', daraus die überlieferten Kategorien und Begriffe z. T. in echter Weise geschöpft wurden" (SuZ, 29).144 Indem die Tradition mit diesem Verlegen die ursprünglichen ,Quellen' vergessen macht, "entwurzelt" sie damit auch "die Geschichtlichkeit des Daseins" (ebd). Die Geschichte der Ontologie ist zwar die Geschichte der Überlieferung der Ontologie, aber ohne An-

142 Insofern ist die folgende Aussage mißverständlich: "Ein Dasein, das nicht nur ,in' der Zeit ist und nebenbei eine Geschichte ,hat', sondern im Wesen zeitlich und geschichtlich existiert, ist nicht mehr relativ auf Zeit und Geschichte" (K. Löwith, ,Heidegger. Denker in dürftiger Zeit', 47). Das Dasein, das hinsichtlich seiner eigentlichen Existenz als zeitlich und geschichtlich gefaßt wird, existiert in seinem alltäglichen, sich Zeit gebenden Besorgen relativ auf Zeit und Geschichte. Daher verliert die mit dem Zeitfaktor forschende Historie nicht ihr natürliches Recht. 143 Die Enthüllung des existenzial-ontologischen Ursprung der Historie hat die Bedeutung der "Vorbereitung für die [... ] Klärung der Aufgabe einer historischen Destruktion der Geschichte der Philosophie" (SuZ, 518). Diese historische Destruktion ist die aufgrund der Geschichtlichkeit des Daseins zu vollziehende Wiederholung der Geschichte der Ontologie. 144 Der Grund dafür, daß es viele ursprüngliche ,Quellen' gibt, liegt in der Geschichtlichkeit des Daseins: "Weil das Dasein seiner eigenen Existenz nach geschichtlich ist, sind die Zugangsmöglichkeiten und die Auslegungsweisen des Seienden selbst in verschiedenen geschichtlichen Lagen verschieden, variabel" (GdP, 30).

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1. Teil: Dasein, Zeit und GeschichtIichkeit in der Fundamentalontologie

eignung ihrer ursprünglichen, Quellen '. Weil die Geschichtlichkeit des Daseins entwurzelt ist, vollzieht das Dasein nicht "den positiven Rückgang zur Vergangenheit im Sinne einer produktiven Aneignung ihrer" (ebd), sondern es bewegt sich "nur noch im Interesse an der Vielgestaltigkeit möglicher Typen, Richtungen, Standpunkte des Philosophierens in den entlegensten und fremdesten Kulturen" (ebd). Nur wenn sich das Dasein die Geschichte der Ontologie wiederholt, d.h. sich diese aus ihren ursprünglichen ,Quellen' aneignet, können diese ihre stille ,Kraft' fortwirken. Die eigentliche Erschließung der Geschichte der Ontologie also ist ontologisch nur in der eigentlichen Geschichtlichkeit möglich. Was bedeutet dann die Aufgabe der Destruktion der Geschichte der Ontologie? Heidegger versteht "die griechische Ontologie und ihre Geschichte" als den Beweis dafür, "daß das Dasein sich selbst und das Sein überhaupt aus der ,Welt' her versteht und daß die so erwachsene Ontologie der Tradition verfällt" (ebd). Für die Seinsfrage ist es nötig, "die Durchsichtigkeit ihrer eigenen Geschichte" (SuZ, 30) zu gewinnen. 145 Für diese Durchsichtigkeit ergibt sich die Aufgabe der "Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen", sofern die traditionelle Ontologie von den ursprünglichen Erfahrungen, die sie selbst ermöglicht haben, entwurzelt und so verhärtet ist. Diese Aufgabe faßt Heidegger als "die am Leitfaden der Seins/rage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie, auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden" (ebd).146 Diese ,Destruktion' ist "der Nachweis der Herkunft der ontologischen Begriffe" (ebd) und hat als solche nicht "den negativen Sinn einer Abschüttelung der ontologischen Tradition" (SuZ, 31), sondern eine "positive Absicht", diese "in ihren po-

145 "Die Ausarbeitung der Seinsfrage muß so aus dem eigensten Seinssinn des Fragens selbst als eines geschichtlichen die Anweisung vernehmen, seiner eigenen Geschichte nachzufragen, d.h. historisch zu werden, um sich in der positiven Aneignung der Vergangenheit in den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeiten zu bringen" (SuZ,28). 146 Der Begriff ,Destruktion' muß als ein Grundstück der Methode der phänomenologischen Ontologie verstanden werden. Die "Rückführung des untersuchenden Blicks vom naiverfaßten Seienden zum Sein" (GdP, 29) ist die phänomenologische Reduktion. Das "Entwerfen des vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen" (GdP, 29-30) ist die phänomenologische Konstruktion. Weil aber die philosophischen Grundbegriffe von ihren ursprünglichen ,Quellen' entwurzelt sind, deshalb "gehört notwendig zur begrifflichen Interpretation des Seins und seiner Strukturen, d.h. zur reduktiven Konstruktion des Seins und seiner Strukturen, eine Destruktion, d.h. ein kritischer Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind" (GdP, 31). Die so gefaßte Reduktion, Konstruktion und Destruktion machen die Methode der phänomenologischen Ontologie aus. Durch das methodische Verfahren der Destruktion bekommt die Ontologie die phänomenologische Versicherung hinsichtlich der "Echtheit ihrer Begriffe" (ebd).

Kap. 3, § 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften

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sitiven Möglichkeiten" (ebd.) abzustecken. Diese Möglichkeiten besagen die verschiedenen ursprünglichen Seinserfahrungen, welche die vielfach vollzogene Seinsauslegung ermöglichten. Die Destruktion bedeutet also "keine Negation und Verurteilung der Tradition zur Nichtigkeit, sondern umgekehrt gerade positive Aneignung ihrer" (ebd.) aus ihrem Ursprung. Wenn philosophische Erkenntnis durch die Destruktion im Sinne des bis zu den Quellen der ontologischen Begriffe Zurückgehens vollzogen wird, ist sie "ihrem Wesen nach zugleich in einem bestimmten Sinne historische Erkenntnis" (GdP, 31). Die spezifische Art des historischen Erkennens in der Philosophie wird "gemäß ihrem Gegenstande" (GdP, 32) von jeder anderen historischen Erkenntnis unterschieden. Zu diesem Gegenstand gehören die überlieferten Seinsbegriffe. Die Destruktion der Tradition der Ontologie ist es also, welche die überlieferten Seinsbegriffe auf ihre ursprünglichen ,Quellen' destruiert, sich diese aneignet, sie aus dem Zeit-Horizont temporal entwirft und so das Sein und dessen Strukturen konstituiert. 147 Die Aufgabe der Destruktion der Geschichte der Ontologie ist die aufgrund der Geschichtlichkeit des Daseins sich vollziehende Entfaltung der Ausarbeitung der Seinsfrage. 148 Im Vollzug der Destruktion der Geschichte der Ontologie ist daher eine leitende Frage diejenige nach dem Bezug der Seinsauslegung zur ,Zeit'. Diese fragt danach, "ob und inwieweit im Verlauf der Geschichte der Ontologie überhaupt die Interpretation des Seins mit dem Phänomen der Zeit thematisch zusammengebracht und ob die hierzu notwendige Problematik der Temporalität grundsätzlich herausgearbeitet wurde und werden konnte" (SuZ, 31). Die antike Auslegung des Seins des Seienden ist einerseits "an der ,Welt' bzw. ,Natur' im weiteren Sinne orientiert" und als solche gewinnt sie das Verständnis des Seins "aus der ,Zeit' (SuZ, 34). Ein Beleg dafür findet sich in der "Bestimmung des Sinnes von Sein als parousia, bzw. ousia, was ontologisch-temporal ,Anwesenheit' bedeutet" (ebd). Daß Seiendes in seinem Sein als ,Anwesenheit' 147 Diese Aufgabe ist im folgenden Satz abzulesen: "Der Blick auf die Geschichte der Philosophie zeigt, daß sehr bald mannigfache Gebiete des Seienden entdeckt wurden: Natur, Raum, Seele, daß sie aber gleichwohl nicht in ihrem spezifischen Sein begriffen werden konnten" (GdP, 30). Zu den unterschiedlichen Seinsweisen bzw. Seinsarten vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Dasein und Subjekt', 66-7. 14K Insofern geht die folgende Aussage zu weit und sagt zu wenig aus: "Da die Frage nach dem Sinn von Sein nach der Synthesis apriori fragt, kann in der Konzeption der Seinsvergessenheit nur die spezifisch fundamentalontologische Modifikation der transzendentalphilosophischen Geschichtskonzeption von der Subjekts-vergessenheit des Subjekts gesehen werden. In diesem Sinne ist die ,Destruktion' der überlieferten Ontologie in Sein und Zeit als Kritik der Subjektvergessenheit zu verstehen [.. .]" (C.F. Gethmann, Verstehen und Auslegung, 319-20). Emil Kettering hat den Ort der Problematik der Destruktion mit Recht wie folgt festgestellt: "Allerdings bleibt die Destruktion in ,Sein und Zeit' noch ganz in der Geschichtlichkeit des Daseins motiviert und nicht in der Seinsgeschichte, wie in den späteren Schriften (N 11 415)" (,Nähe. Das Denken Martin Heideggers', 136).

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1. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

gefaßt ist, bedeutet, daß es "mit Rücksicht auf einen bestimmten Zeitmodus, die ,Gegenwart', verstanden" (ebd) ist. Andererseits nimmt die antike Ontologie "ihren Leitfaden aus dem Dasein selbst" (ebd). Dieser Leitfaden ist "das legein selbst, bzw. das noein" (SuZ, 34). Das lege in als noein, d.h. "das schlichte Vernehmen von etwas Vorhandenem in seiner puren Vorhandenheit [... ] hat die temporale Struktur des reinen ,Gegenwärtigens' von etwas" (SuZ, 35). Das Seiende, das sich im Gegenwärtigen und für dieses zeigt und als das eigentliche Seiende verstanden wird, erhält demnach in der antiken Ontologie "seine Auslegung in Rücksicht auf - Gegen-wart, d.h. es ist als Anwesenheit (ousia) begriffen" (ebd). Jedoch vollzieht sich die griechische Seinsauslegung ohne "Verständnis der fundamentalen ontologischen Funktion der Zeit, ohne Einblick in den Grund der Möglichkeit dieser Funktion" (ebd). Im Gegenteil wird die Zeit selbst als "ein Seiendes unter anderen Seienden" genommen und als solche "aus dem Horizont des an ihr unausdrücklich-naiv orientierten Seinsverständnisses in ihrer Seinsstruktur" (ebd) gefaßt. Das Seiende wird vulgär als "Zeitliches, Zeitloses, Überzeitliches" (GdP, 434) charakterisiert. Auch in dieser ontischen Interpretation enthüllt sich, daß die Zeit, wenngleich als Vorhandenes, die Rolle des Leitfadens des Seinsverstehens des Seienden spielt. Die Geschichte der Ontologie jedoch belegt, "wie alle ontologische Interpretation mit Rücksicht auf den für sie wesenhaft notwendigen Horizont und dessen Versicherung eher einem Herumtappen gleicht als einem eindeutig methodischen Fragen" (GdP, 459). Durch die Erläuterung der Temporalität ist die Antwort auf eine methodische Frage gegeben. Sie heißt: "Entwurf des Seins auf den Horizont seiner Verstehbarkeit" (ebd). Aufgrund dieses Grundaktes der Konstitution der Ontologie können die ursprünglichen Seins erfahrungen der traditionellen Ontologie temporal entworfen werden, so daß das Sein und dessen Strukturen konstituiert werden. Was für eine Bedeutung bekommt dann die Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontologie? Diese Aufgabe gibt der Seinsfrage "ihre wahrhafte Konkretion" und beweist die "Unumgänglichkeit der Frage nach dem Sinn von Sein" (SuZ, 36). Diese Unumgänglichkeit ist die Notwendigkeit einer ,Wiederholung' der bisher dunkel bleibenden Seinsfrage. '49 Die Seinsfrage vollzieht sich in der Weise eines ständigen Sichzwingens vor "die Möglichkeit der Erschließung eines noch ursprünglicheren universaleren Horizontes, daraus die Antwort auf die Frage: was heißt ,Sein'? geschöpft werden könnte" (ebd). Die Aufgabe der Destruktion der Geschichte der Ontologie also besagt die Aufgabe

14" Michael Düe hat in der Aufklärung der Aufgabe der ,Destruktion der Geschichte der Ontologie' ihre positiven Aneignungscharakter zuwenig betont und "die destruierende Negativität" hingegen zu sehr, d. h. als "Entwertung" der Geschichte der Ontologie. Jedoch hat er "die Bewegung der Destruktion" mit Recht als "die Bewegung der Seinsfrage" (,Ontologie und Psychoanalyse', 220) gefaßt.

Kap. 3, § 12 Der existenzial-ontologische Ursprung der Wissenschaften

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der zweideutigen Wiederholung, d.h. sowohl der sich aneignenden Wiederholung der ursprünglichen Erfahrung des Seins wie auch die sich wählende Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des Daseins, die sich als eigentliche Geschichtlichkeit vollzieht. ISO Als Resume von § 12 läßt sich festhalten: a) Wissenschaft versteht Heidegger existenzial als eine Weise der Existenz bzw. als einen Modus des In-derWelt-seins, der das Seiende bzw. das Sein entdeckt bzw. erschließt. Die Wahrheit in der theoretischen Wissenschaft besagt die Entdecktheit des Seienden. Die Entdecktheit des Seienden gründet, sofern dieses innerweltlich ist, in der Erschlossenheit der Welt, die in der Erschlossenheit des Daseins als des In-derWelt-seins eingeschlossen ist. Insofern ist die Erschlossenheit des Daseins das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit. Die Wissenschaft als Entdecken des Seienden (ontische Wissenschaft) bzw. als Erschließen des Seins (ontologische Wissenschaft, Philosophie) gründet in der Erschlossenheit des In-der-Weltseins. Während der nächstalltägliche Modus des In-der-Welt-seins das umsichtige Besorgen des Zuhandenen ist, ist der spezifische Modus des In-der-Weltseins, d.h. die theoretische Wissenschaft, die Erforschung des innerweltlich vorfind lichen Vorhandenen. Während das umsichtige Besorgen als umsichtig auslegende Näherung zeitlich die Gegenwärtigung ist, die zum gewärtigenden Behalten gehört, ist die wissenschaftliche Forschung als eine spezifische Thematisierung bzw. Vergegenständlichung zeitlich die Gegenwärtigung, die zum un-gewärtigenden Un-behalten bzw. zur spezifischen Gewärtigung der Entdecktheit gehört. Als eine Modifikation des umsichtigen Besorgens gründet die theoretische Wissenschaft in der dreifach einheitlichen Zeitlichkeit und entspringt existenziell aus der eigentlichen Existenz, die sich für die ontische Wahrheit entscheidet. b) Die Idee der Historie ist die historische Erschließung von Geschichte. Diese Erschließung ist nur möglich, weil der Weg zur ,Vergangenheit' offen ist. Das Offensein dieses Weges besagt die Erschlossenheit

ISO F. Kaufmann glaubt, daß bei Heidegger die bisherigen historischen Motive der anderen Geschichtsdenker in ihrer Tiefe verwandelt und zu neuen Lösungen gebracht werden. Diese vertiefende Verwandlung sieht er innerhalb von ,SuZ' vor allem in Heideggers Begriff ,Wiederholung': "am auffallendsten ist diese motivische Variation vielleicht im Begriff der Wiederholung" (,Geschichtsphilosophie der Gegenwart', 125). O. Pugliese hat die Zweifachheit der ,Wiederholung' gesehen, wenngleich er die ,Kehre' zu eng versteht und sich in erster Linie nicht an dem inneren Geftige der Wiederholung, sondern an der methodischen Entfaltung dieser Thematik orientiert. Er findet den Wandel von Heideggers Geschichtsdenkens im Wandel der "Vorrangsstellung (des) ,Bezug(es)' zwischen Wiederholung der Seinsfrage und existenzialer Wiederholung" (,VermitteJung und Kehre', Freiburg/Müchen 1965,214) und faßt "die Wiederholung im weitesten Sinne" als den Grund der Möglichkeit der "ontologischen Vermittelung durch Konstruktion zwischen Zeitigung vom daseinsmäßigen Sein und Wahrheit von Sein überhaupt, d.h. vor allem den Grund der Möglichkeit der Modalisierung der Faktizität durch die Eigentlichkeit" (ebd. 215). Zum Begriff der Vermittlung vgl. auch: R. Schaeffler, ,Einführung in die Geschichtsphilosophie', Darmstadt 1980,208-13.

11 Cheong (PHS)

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I. Teil: Dasein, Zeit und Geschichtlichkeit in der Fundamentalontologie

des Daseins in seiner Gewesenheit. Aufgrund der Erschlossenheit der Gewesenheit, d.h. der Geschichtlichkeit überhaupt des Daseins, ist die Historie als Erschließung der Geschichte möglich. Das Thema der Historie bestimmt sich je nach der Art der Geschichtlichkeit. In Hinblick auf die uneigentliche Geschichtlichkeit, in der sich das Dasein aus dem Besorgten versteht, erschließt die Historie das dagewesene Dasein aus den ,historischen' Tatsachen, so daß das Thema der Historie die Tatsache des Dagewesenen wird. In Hinblick auf die eigentliche Geschichtlichkeit, in der sich das Dasein aus seinem eigensten Seinkönnen versteht, erschließt die Historie das Dagewesene aus seiner eigensten Möglichkeit der Existenz, so daß das Thema der Historie die Existenzmöglichkeit des Dagewesenen wird. Von der an der eigentlichen Geschichtlichkeit orientierten Historie wird die Existenzmöglichkeit des Dagewesenen in der Weise der Wiederholung der gewesenen Möglichkeit, d.h. eigentlich historisch, erschlossen. Als eine wiederholende Erschließung der gewesenen Möglichkeit hat die eigentliche Historie den monumentalischen, antiquarischen und kritischen Charakter. Während im theoretischen Entdecken des Vorhandenen das Gewicht in der Gegenwärtigung liegt, liegt in der eigentlichen historischen Erschließung das Gewicht in der Wiederholung, die sich aus der Zukunft zeitigt. Die ,wirkliche' Historie faßt die Geschichte qua weltgeschichtliches Geschehen aufgrund der vulgären Zeitvorstellung als innerzeitiges Geschehen. Sofern aber die vulgäre Zeitvorstellung zur alltäglichen Seinsart des Daseins gehört, hat sowohl die Auffassung der Zeit als Jetzt-Zeit wie auch die Auffassung der Geschichte als innerzeitiges Geschehen ihr eigenes natürliches Recht. c) Die historische Destruktion der Geschichte der Ontologie bedeutet nicht irgendeine Vernichtung der Geschichte der Ontologie, sondern allein den Rückgang zu ihren ursprünglichen Quellen, um sich diese anzueignen. Als solche ist die Destruktion der Geschichte der Ontologie die Konkretisierung der Seinsfrage. Diese Konkretisierung vollzieht sich in der Weise, daß das ontologische Denken die überlieferte Ontologie auf ihre ursprünglichen Quellen destruiert, sich diese aneignet, sie aus dem Zeit-Horizont temporal entwirft und so das Sein und dessen Strukturen temporal konstituiert. In solcher Konkretisierung der Seinsfrage vollzieht sich sowohl die Wiederholung der gewesenen Möglichkeit des ontologischen Denkens wie auch die Wiederholung der Seinserfahrung als der gewesenen Möglichkeit des Seins selbst.

Zweiter Teil

Das Ereignis, der Zeit-Raum und die Geschichtlichkeit im seins geschichtlichen Denken Das spätere Denken Heideggers zeigt sich vor allem in den ,Beiträgen zur Philosophie' ausdrücklich. Dort charakterisiert sich sein Denken im Unterschied zum metaphysischen Denken. ,Metaphysik' ist für Heidegger die Kennzeichnung derjenigen bisherigen Denkweise, bei der das Denken das Seiende auf dessen Sein hin übersteigt und von diesem her wieder zum Seienden zurückkommt. Die bisherige Geschichte des Seinsdenkens ist also "die Geschichte der Metaphysik, des Denkens, das das Sein als Sein des Seienden von diesem her und auf dieses zu denkt" (BzP, 426, vgl. 170). Sofern die Struktur dieser Denkweise mit, Transzendenz' gekennzeichnet wird, ist die Metaphysik die transzendentale Denkweise. Von dieser Denkweise heißt es: "Der Name (,Metaphysik') soll sagen, daß das Denken des Seins das Seiende im Sinne des Anwesend-Vorhandenen zum Ausgang und Ziel nimmt für den Überstieg zum Sein, der zugleich und sogleich wieder zum Rückstieg in das Seiende wird" (BzP, 423). Im Unterschied zu dieser metaphysischen Denkweise denkt Heidegger in seiner späteren Zeit das Sein von seiner Wesung, d.h. seinem Wesensgeschehen her. Das Sein, das nicht metaphysisch, d.h. nicht aus dem Seienden, sondern aus seiner Wesung gedacht wird, bezeichnet Heidegger als ,Seyn': ",Seyn'" "soll anzeigen, daß das Sein hier nicht mehr metaphysisch gedacht wird" (BzP, 436), und meint "überhaupt nicht nur das Sein vom jeglichen Seienden her, sondern das Seyn aus seiner ursprünglichen Wesung in der vollen Zerklüftung" (BzP, 75). Als solche ist ,Seyn' die Anzeige des Seins selbst, d.h. des Seins in der Wahrheit. l Das Sein ist nicht, sondern west und zwar dergestalt, daß es in seiner Wahrheit geschieht. Sofern das Sein in seiner Wahrheit geschieht, diese eigens zu ihm gehört, ist die Wesung der Wahrheit des Seins in sich die Wesung des Seins. Die Wesung des Seins in seiner Wahrheit geschieht aber nur in der Weise des Entwurfs der Wahrheit des Seins. Sofern "der Entwurf des Wesens des

I Dazu heißt es, daß "das Sein selbst in seiner Wahrheit ruht und die Wahrheit des Seins als das Sein der Wahrheit west" (NzWiM, 304); "Das Sein wird (innerhalb der Metaphysik) in seinem entbergenden Wesen, d.h. in seiner Wahrheit nicht gedacht" (EzWiM, 366); "Das Sein selbst ist das Sein in seiner Wahrheit, welche Wahrheit zum Sein gehört" (Holz, 266) vgl. EzWiM, 366, Anmerkung a, 370, Anmerkung a.

164 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Seyns [... ] nur Antwort auf den Zuruf [ist]" (BzP, 56), machen Zuruf bzw. Zuwurf und Entwurf das Gefüge der Wesung des Seins aus. Die in diesem Gefüge geschehende Wesung des Seins nennt sich "Ereignis", weil die Grundprägung dieses Wesungsgefüges in der "Er-eignung in ihrer Kehre" (BzP, 342) liegt. Das Sein geschieht in seiner Wahrheit dergestalt, daß das Sein sich in der Weise des Zurufens des Daseins er-eignet und das so er-eignete Dasein kehrig in der Weise des Entwurfs die Wahrheit des Seins eröffnet (vgl. BzP, 239, 245, 247,259).2 Das spätere Denken Heideggers ist als Denken der Wesung des Seins in seiner Wahrheit die Entfaltung der geschichtlichen Philosophie. Diese kennzeichnet Heidegger wie folgt: "Die jetzt und künftig wesenhafte Fassung des Begriffes der Philosophie (und damit die Vorbestimmung der Begrifflichkeit ihres Begriffes) ist die geschichtliche (nicht eine historische). ,Geschichtlich' meint hier: zugehörig der Wesung des Seyns selbst, eingefügt in die Not der Wahrheit des Seyns und so gebunden in die Notwendigkeit jener Entscheidung, die überhaupt über das Wesen der Geschichte und ihre Wesung verfügt" (BzP, 421). Das Denken der Wesung des Seins in seiner Wahrheit vollzieht sich dem Wesungsgefüge des Seins gemäß in der Weise des er-eigneten Entwerfens der Wahrheit des Seins. Dieses Entwerfen ist als an der Wesung des Seins teilhabendes "zugehörig der Wesung des Seyns". Das Ereignis als Wesung des Seins in seiner Wahrheit bzw. als Wesung der Wahrheit des Seins ist insofern die Geschichte im ursprünglichsten Sinne, als es erst die jeweilige Wahrheit des Seins und somit die Welt, das Wesen des Menschen und die Offenbarkeitsweise des Seienden entscheidet und so entschieden wesen läßt: "Das Seyn als Ereignis ist die Geschichte [... ]" (BzP, 494). Das Denken des Seins ist also als an der Wesung des Seins in seiner Wahrheit teilhabendes "geschichtlich".) Die Überschrift "Vom Ereignis" in den ,Beiträgen zur Philosophie' zeigt an, daß für die künftige geschichtliche Philosophie Sein hier aus der Blickbahn des Ereignisses entworfen wird. Das Gefüge der Entfaltung des Ereignis-Denkens zeigt sich in der Gestalt des Gefüges der ,Beiträge zur Philosophie'. Dieses Gefüge wird aus sechs Fügungen, d.h. dem Anklang, dem Zuspiel, dem Sprung, der Gründung, den Zu-künftigen und dem letzten Gott gebildet. 4 Heidegger zufolge sind diese Fügungen nicht isoliert, sondern sie werden ineinander frei gefügt. 5 Wir wer2 VgI.: " Verwerfung zugleich und Zuwurf, nach keiner Richtung ein Ausweg" (GA51 (1941), 82-3). "Gleich wesentlich sind der Zuwurf des Seins und die Verwerfung des Seins" (GA51, 89). ) Sofern Dichtung ein Vollzug des Ereignisses ist, wird auch das "Angebundensein" in die Dichtung bzw. das daran "Teilnehmen" als ein "Grundgefuge des geschichtlichen Daseins" (vgI. GA39 (1934/35), 57-9) gefaßt. 4 Zur ausführlichen Aufklärung dieser sechs Fügungen vgI. : F.-W. v. Herrmann, ,Wege ins Ereignis', 32-9, 360-67.

Kap. I, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters

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den in diesem 2. Teil gemäß diesen Fügungen unsere Themen entfalten, um vom Ereignis her die Geschichte des Seins und die Geschichtlichkeit des Menschen herauszustellen.

Erstes Kapitel

Von der Geschichte des Seins zum Ereignis als der ursprünglichen Geschichte selbst § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters a) Die Seinsverlassenheit als Grundgeschehnis für den Übergang der Geschichte

Das Sein ist nicht, sondern west in seiner Wahrheit. Heidegger findet die Wesungsweise des Seins in unserem Zeitalter besonders darin, daß es sich dem Dasein ins Gedächtnis zurückruft, dem Dasein zuruft, rur dieses anklingt. Dieser Anklang gehört also zur Wesung des Seins selbst und zwar als dessen anfängliche Geschehensweise. Der Anklang des Seins ist als solcher dessen geschichtliche Geschehensweise. Dieses Geschehen ist es, das sich "aus der Seinsverlassenheit" und "durch die nötigende Not der Seinsvergessenheit" (BzP, 107) vollzieht. 6 Wenn die Seinsverlassenheit als eine solche erinnert wird, klingt das Sein in der Weise der Verweigerung und zwar als Sichverweigerndes an. Die Erinnerung der Seinsverlassenheit ist "die Anerkenntnis der Not" (BzP, 107). Denn die Seinsverlassenheit ist "die höchste Not: die Not der Notlosigkeit" (BzP, 107), die uns im gegenwärtigen Zeitalter nötigt. Die Anerkenntnis der nötigenden Not stimmt das Dasein in das Erschrecken vor der Seinsverlassenheit, das mit der Scheu zur Grundstimmung der Verhaltenheit gehört. Die Verhaltenheit ist "die stimmende Mitte des Erschreckens und der Scheu" (BzP, 17). Als solche ist sie "die Grundstimmung des Bezugs zum Seyn, in welchem Bezug die Verborgenheit des Wesens des Seyns das Fragwürdigste wird", d.h. die Grundbestimmung der "künftigen Philosophie" (GA 45, 2). Als solche durchstimmt die Grundstimmung die "Wächterschaft im

5 "Jede Fügung steht jeweils in sich, und dennoch besteht ein verborgenes ineinander Schwingen und eröffnendes Gründen der Entscheidungsstätte für den wesentlichen Übergang in die noch mögliche Wandlung der abendländischen Philosophie" (BzP, 82, vgl. 4, 65). 6 Zur Seinsverlassenheit heißt es: "Der geschichtliche Mensch betreibt und nützt und verändert das Seiende und erfährt dabei sich selbst als Seienden - und das Seyn des Seienden kümmert ihn nicht, gleich als sei es das Gleichgültigste" (GA45 (1937/38), 206). "Seinsverlassenheit des Seienden: daß das Seyn das Seiende verläßt, dieses ihm selbst sich überläßt und so zum Gegenstand der Machenschaft werden läßt" (BzP, 111).

166 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Zeit-Raum für den Vorbeigang des letzten Gottes" (BzP, 248). Indem das Seiende vom Sein verlassen bleibt, wird dieses vom Menschen vergessen. Sofern die Seinsverlassenheit und somit auch die Seinsvergessenheit nicht bloß in dem Versäumnis des Menschen, sondern im Ent-zug des Seins (vgl. BzP, 241, 246) gründen, klingt das Sein in der Erinnerung und Erfahrung der Seinsvergessenheit und Seinsverlassenheit insbesondere in der Weise der Verweigerung an. Der Anklang des Seins als Verweigerung (vgl. BzP, 241, 249)7 ist also eine eigene Geschehensweise des Seins in unserem Zeitalter. Die Seinsverlassenheit ist als Verweigerung des Seins zugleich die Entdecktheitsweise des seins verlassenen Seienden. Die gegenwärtige Geschehensweise der Offenbarkeit des Seienden, d.h. die Seinsvergessenheit faßt Heidegger gar nicht als eine geschichtlich ganz neue Weise, sondern als die geschichtlich gewesene Weise der Machenschaft qua einer "Art der Wesung des Seins" (BzP, 126). Die Machenschaft besagt diejenige Seiendheit, die Heidegger mittels des Begriffes ,techne' und ,poieses' denkt. Als solche ist sie der Auslegungshorizont, woraufhin das Seiende in seinem Sein als Machbares, Herstellbares und Vor-stellbares ausgelegt wird. Die Machenschaft ist ein Grundzug des Seinsdenkens in der erstanfänglichen, d.h. bisherigen, Geschichte. Im gegenwärtigen Zeitalter entfaltet die Machenschaft ihre Kraft in der Form der Vorherrschaft des Nihilismus, der Technik, des Erlebnisses und der machenschaftlichen Wissenschaftlichkeit. Diese sind es, die Heidegger als die Weisen des Waltens der Machenschaft enthüllt und die wir in diesem Paragraphen nacheinander herausstellen wollen. Mit der Sprachwendung "Machen schaft" meint Heidegger nicht eine ,üble' Art menschlichen Verhaltens, sondern allein eine Art der Wesung des Seins, d.h. die Wesung des Seins als Seiendheit. Sie meint aber nicht Abschätziges, sondern sie ist ein Hinweis auf "das Machen (poiesis, techne)" (BzP, 126). Die Grundstimmung des Er-staunens im ersten Anfang8 hat zur Grundhaltung der 7 Sofern in der Verweigerung als einer Geschehensweise des Seins einerseits das Seiende "des Seyns enteignet" (BzP, 120), andererseits der Mensch "des Seins enteignet" (BzP, 231) ist, entspricht dem in der Weise der Verweigerung geschehenden Zuwurf der enteignete Entwurf als Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit. Insofern stellt F.-W. v. Herrmann von hier aus die Struktur des Enteignisses heraus: "Die Schwingungsganzheit aber von enteignendem Zuwurf und enteignetem Entwurf können wir als das Enteignis terminologisch fassen" (,Wege ins Ereignis', 34); das Enteignis also ist es, in dem die Seinsvergessenheit gründet, die im neuzeitlichen transzendentalen Denken von dem Denkenden gilt, der "nicht seinen eigenen Grund, die existenziale Seinsweise des Verfallens, der verfallenen Verschließung des Daseins und der zu ihm gehörenden Erschlossenheit (Wahrheit) des Seins erfährt" (ebd). Vgl. weiter: "Entzug ist Ereignis" (WhD, 5): "Zum Ereignis als solchen gehört die Enteignis. Durch sie gibt das Ereignis sich nicht auf, sondern bewahrt sein Eigentum" (zSdD, 23). R Die Grundstimmung, welche die Leitfrage nach dem Seienden als solchem ernötigt, ist das ,thaumazein', d.h. "das Er-staunen" (GA45, 172, vgl. BzP, 15, 46) davor, daß Seiendes ist.

Kap. I, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters

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,techne' geführt. Diese ,techne' meint in ihrem ursprünglichen Sinne weder die ,Technik' als maschinenhafte Einrichtung, noch die ,Kunst' als Geschicklichkeit des Verfahrens und Handeins. Vielmehr ist sie als "ein Erkennen - das Sichauskennen im Vorgehen gegen das Seiende" (GA45, 179) "die Weise des Vorgehens gegen die physis, [... ] um das Walten der physis in der Unverborgenheit zu halten" (GA45, 179-80). ,techne' ist "eine Weise des Wissens" (UdK, 46) und "insofern ein Hervorbringen des Seienden, als es das Anwesende als ein solches aus der Verborgenheit her eigens in die Unverborgenheit seines Aussehens vorbringt" (UdK, 47, vgl. BWD, 154). Als solche war ,techne' der "Vollzug der Notwendigkeit der Not des Er-staunens" als "Grundhaltung zur physis" (GA45, 180). Aus dieser Grundhaltung wird das erstanfangliehe Denken bestimmt. Dieses hat zwar die Wahrheit des Seienden als solche erfahren, aber von dieser her nicht nach der Wahrheit des Seins als solchem und im Ganzen, sondern allein nach dem Seienden gefragt und so an der Wesung des Seins als Seiendheit qua Machenschaft teilgenommen. Die Machenschaft besagt, daß das Sein als physis aus dem Hinblickkreis der ,techne' als "Sich-von-selbst-machen" ausgelegt ist und dementsprechend "die Machenschaft des Seienden" (BzP, 126) zur Geltung gekommen ist. Die Seinsverlassenheit ist "dem Unwesen des Seyns aus der Machenschaft" (BzP, 107) entsprungen 9 und findet seine "endgültige Verfestigung" (BzP, 107) in der Seinsvergessenheit. Insofern ist diese Seinsvergessenheit "das Zeichen der Seinsverlassenheit" (BüH, 339). Wenn das Seiende das Gewöhnlichste und das Gewohnteste wird, west die Seinsverlassenheit am stärksten. Denn dabei entzieht sich das Sein als "das Ungewöhnlichste" (BzP, 110) der gewöhnlichen Denkweise des Menschen. Die Seinsverlassenheit besagt, daß das Sein das Seiende verlassen und von diesem zurückgezogen hat, so daß das Seiende nur zu "dem von anderem Seienden Gemachten" (BzP, 110) und zum "Gegenstand der Machenschaft" (BzP, 111) geworden ist. Die Seinsverlassenheit ist "nicht einfach ,Zerfall', sondern die erste Geschichte des Seyns selbst, die Geschichte des ersten Anfangs des von ihm Abkünftigen und so notwendig Zurückbleibenden" (BzP, 111, vgl. N. 11, 481, 485). Die Seinsverlassenheit wird aus dem zukünftigen, d.h. andersanfänglichen, Denken, d.h. aus der Frage nach der Wahrheit des Seins, als die Verweigerung des Seins erfahren. Das Sein als Verlas-

9 Zu Un-wesen und ,Unwesen' heißt es: "Das eigentliche Un-wesen der Wahrheit ist das Geheimnis. Un-wesen bedeutet hier noch nicht abgefallen zum Wesen im Sinne des Allgemeinen (koinon, genos), seiner possibilitas (Ermöglichung) und ihres Grundes. Un-wesen ist hier das in solchem Sinne vor-wesende Wesen. ,Unwesen' besagt aber zunächst und zumeist die Verunstaltung jenes bereits abgefallenen Wesens" (W dW, 194). Das eigentliche Un-wesen bzw. "die eigentliche Un-wahrheit" besagt anders als Unwesen "die Verborgenheit des Seienden im Ganzen" bzw. die "Verbergung des Verborgenen", die Heidegger daher "das Geheimnis"(WdW, 193) nennt. vgl. BzP, 348, 352.

168 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

senheit wird aus dem andersanfänglichen Denken als sichentziehendes und sichverweigerndes Sein bestimmt. Wann aber hat die Seinsverlassenheit begonnen? Heidegger stellt fest, daß sie schon dann begann, als ,aletheia' zum "sich entziehenden Grundcharakter des Seienden" wurde und so "die Bestimmung der Seiendheit als idea" (BzP, 111) vorbereitete. Sofern ,aletheia' und ,idea' aus dem Seienden her als sein Grundcharakter und seine Vorgestelltheit gedacht werden, sind sie die Kennzeichnungen der Seiendheit des Seienden. Diese Seiendheit ist gleichermaßen ein "Nachtrag" (BzP, 111, vgl. 231, 258, 458) zum Seienden, wenngleich sie gewöhnlich tUr apriori gehalten wird. In der Geschichte des erstanfänglichen Seinsdenkens wird das Sein so aus dem Seienden her als dessen Seiendheit verstanden, die so einem Nachtrag des Seienden gleichkommt. Insofern ist die erstanfängliche Geschichte diejenige der Verweigerung des Seins. Diese Verweigerung geschieht mit dem Einsturz der Wahrheit des Seins in die Wahrheit als Richtigkeit des Vor-stellens, indem das ,eigentlich' bzw. ,wahrhaft' Seiende als "das beständige Anwesende und so alles Bedingende, das Un-bedingte, das Ab-solute, ens entiam, Deus u.s.w." (BzP, 115) gefaßt wird. Zur Seinsverlassenheit gehören die Seinsvergessenheit und der Zerfall der Wahrheit. Inwiefern ist dann die Seinsverlassenheit verborgen geblieben? Heidegger hält das herrschende Seinsverständnis tUr die verborgene Weise der Seinsverlassenheit. Das herrschende Seinsverständnis ist die sich vollendende und sich verdeckende Weise der Seinsverlassenheit. Im herrschenden Seinsverständnis wird Sein einerseits als ,idea', ,koinon', ,gene' d.h. als Generellstes, andererseits als Leerstes und daher als Fragloses verstanden. Hier gelten als unantastbare Wahrheiten über das Sein "seine Allgemeinheit" und "seine Geläufigkeit" (BzP, 116). So ist Sein nicht von der Wahrheit als solchen her, d.h. nicht vom Wesen der Wahrheit des Seins her, gedacht, sondern immer vom Seienden her und als das Seiende als solches, d.h. bloß als die Seiendheit des Seienden, gefaßt. Hier liegt der Verfall der Wahrheit des Seins. Dieser Verfall vollzieht sich vor allem im Erkennen und Wissen, das die "greiflichste[n] Gestalt der Wahrheitsvermittlung" (BzP, 117) ist. Insofern vollzieht sich auch das Zurückholen der Wahrheit des Seins vor allem durch "das echte Wissen und zwar das Wissen vom Seyn selbst" (BzP, 117). Die Aufgabe tUr die Herrschaft des echten Wissens liegt darin, die Seinsverlassenheit von Grund aus, d.h. als die eigene Wesungsweise des Seins, zu erkennen. Die Seinsverlassenheit ist tUr Heidegger "die ursprünglichere Wesensbestimmung dessen, was Nietzsche erstmals als Nihilismus erkannt hat" (BzP, 119, vgl, GA45, 185). Als solche bestimmt die Seins verlassenheit "ein einzigartiges Zeitalter in der Geschichte der Wahrheit des Seyns" (BzP, 120). Die Seinsverlassenheit ist der Grundzug des gegenwärtigen Zeitalters. Dieses Zeitalter ist die lange Zeit, in der die Wahrheit langehin zögert. Sofern aber das Wesen des gegenwärtigen Zeitalters als Nihilismus erkannt und so erschlossen bleibt, ist dieses Zeitalter schon das übergängliche

Kap. 1, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters 169 Zeitalter fiir die andersanfängliche Geschichte. Die Seinsverlassenheit im gegenwärtigen Zeitalter ist insofern das Grundgeschehnis für den Übergang der Geschichte. Wo aber waltet dann die Seinsverlassenheit in diesem Zeitalter? Heidegger findet ihr Walten "in der wachsenden Geltung der Berechnung, der Schnelligkeit und des Anspruchs des Massenhaften" (BzP, 120). Die Geltung der Berechnung besagt, daß sich alles Seiende nach dem jeweiligen Stand der Berechnung zu richten hat, daß das Unberechenbare nur das in der Berechnung noch nicht Bewältigte ist und daß das Außerhalb jeder Rechnung nicht gilt. Als solche ist die Berechnung bezüglich des menschlichen Verhaltens zum Seienden ein "Grundgesetz des Verhaltens" (BzP, 121). Die Geltung der Schnelligkeit besagt, daß "das Nicht-aushalten in der Stille des verborgenen Wachsens und der Erwartung" und somit "das rasche Vergessen und Sichverlieren im Nächsten" (BzP, 121) ,gültig' herrschen. Die Schnelligkeit bringt als ihre Folge die mechanische Steigerung der technischen ,Geschwindigkeiten'. Die Geltung des Anspruchs des Massenhaften besagt, daß "die Zahl" gilt, so daß das Berechenbare, das jedem in gleicher Weise Zugängliche, das "Vielen und Allen Gemeine" (BzP, 122) ,gültig' angesprochen wird. In der Geltung dieses Anspruchs liegen die unauffälligste und daher schärfste Gegnerschaft gegen die Wesung des Seins als des Seltenen und somit die Verhüllung der Seinsverlassenheit. Heidegger hält die Ausbreitung der so gefaßten Geltungen und somit der Verhüllungen der Seinsverlassenheit fiir das zunächst gar nicht merkliche und daher stärkste Hindernis fiir die rechte Einschätzung und Gründung der Grundstimmung der Verhaltenheit. Die Verhüllungen der Seinsverlassenheit sind die Weisen des Aufenthalts des Menschen beim Seienden. Diese Weisen beherrschen nicht nur das Außen des Menschen, sondern auch sein Inneres. Den Weisen des Aufenthalts im Seienden, d.h. den Verhüllungen der Seinsverlassenheit, entspricht der Beginn des Zeitalters der Information (vgl. SvG, 203). Heidegger stellt fest, daß zu den Verhüllungen der Seinsverlassenheit, die als solche das stärkste Hindernis fiir die Gründung der Grundstimmung der Verhaltenheit bilden, ein Weiteres sich gesellt, nämlich "die Entblössung, Veröffentlichung und Vergemeinerung jeder Stimmung" (BzP, 123). Als Folge der Stimmungsentblössung zeigt sich vollends die Unfähigkeit, die Seinsverlassenheit als stimmende Not zu erfahren. Die Berechnung, die Schnelligkeit und der Anspruch des Massenhaften, zu denen die Entblössung, Veröffentlichung und Vergemeinerung jeder Stimmung gehören, kennzeichnen das gegenwärtige Zeitalter der Fraglosigkeit aller Dinge und aller Machenschaften. Im Zeitalter der Fraglosigkeit ist die Antwort als Auflösung nur die "Sache der Zahl an Zeit und Raum und Kraft" (BzP, 123). Sofern aber eine so zu vollziehende Beantwortung nichts Verbindliches haben darf, wird sie sogleich wieder zum Problem. So gibt es im Zeitalter der Seinsverlassenheit wesentlich keine Frage. Aus der Seins-

170 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

verlassenheit und somit der Seinsvergessenheit ergibt sich keine denkerische Frage, sondern überall nur "die Gelegenheit rur die platteste ,Sentimentalität'" (BzP, 123).

b) Die Herrschaft der Machenschaft und des Erlebnisses

Die Machenschaft ruhrt im gegenwärtigen Zeitalter "zum Erlebnis" (BzP, 107). Sie bleibt langehin in der beständigen Anwesenheit verhüllt, welche ihre Bestimmung jeweils anders findet, d.h. innerhalb des anfanglichen griechischen Denkens in der "entelecheia", innerhalb des mittelalterlichen Denkens im "actus" (BzP, 126) und in der folgenden Zeit im "Ursache-WirkungsZusammenhang" (BzP, 127). Die Machenschaft ist die Wesung der Seiendheit, welche die bisherige Seinsgeschichte von Plato bis Nietzsche durchherrscht. Je maßgebender sie sich im Mittelalter und in der Neuzeit entfaltet, umso hartnäkkiger verbirgt sie sich und zwar "im Mittelalter hinter dem ordo und der analogia entis, in der Neuzeit hinter der Gegenständlichkeit und Objektivität" (BzP, 127). Die Machenschaft ist "das frühe, aber noch langehin verborgene Unwesen der Seiendheit des Seienden" (BzP, 128), d.h. ein abgefallenes Wesen der Seiendheit. Dieses Unwesen vollzieht seine Ausbreitung und Verfestigung in der Neuzeit und zwar in der Weise des Sichzurückziehens hinter das Erlebnis, das nicht ihr äußerstes Gegenstück, sondern ihr Gemächte ist. Heidegger charakterisiert das Erleben als: "das Seiende als Vor-gestelltes auf sich zu als die Bezugsmitte beziehen und so in ,das Leben' einbeziehen" (BzP, 129). In der Vorherrschaft des Erlebnisses gilt nur dasjenige als ,seiend', was der Mensch vor sich bringen kann. Daher wird nur das Er-lebte und Er-lebbare das Seiende. Je entscheidender die Machenschaft sich verbirgt, um so mehr drängt sie auf die Vorherrschaft des Erlebnisses als einer geschichtlichen Weise ihres Waltens. Je unbedingter das Erleben als Maßgabe der Richtigkeit waltet, umso aussichtloser wird die Erkenntnis der Machenschaft als solcher. Zwischen Machenschaft und Erlebnis liegt eine "Ungleichzeitigkeit" (BzP, 128). Aus dem Wissen um diese Ungleichzeitigkeit wird erst ihre scheinbar äußerste Gegensätzlichkeit aufgelöst und ihre Gemeinsamkeit als Grundzüge des erstanfänglichen Seinsdenkens enthüllt. Heidegger hält "Machenschaft und Erlebnis" rur "die ursprünglichere Fassung der Formel rur die Leitfrage des abendländischen Denkens: Seiendheit (Sein) und Denken (als vor-stellendes Begreifen) ,,(BzP, 128).10 Die Bestimmung der Seiendheit als Machenschaft, d.h. als "Herrschaft des Machens und des Gemächtes" (BzP, l31), faßt die Seiendheit noch "tiefer, anfanglicher", weil sie "auf die techne bezogen" (BzP, 132) ist. Das Erlebnis ist die lange zurückgehaltene und erst zuletzt hervor-

10

Vgl.: § 14 b).

Kap. I, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters

I 71

kommende Folge der Machenschaft. Die Herrschaft des Erlebnisses vollzieht sich in der "anthropologischen Denkweise" (BzP, 134) und entfaltet sich in der Gestalt der Anthropologie. 11

c) Die seinsgeschichtliche Besinnung auf die Wissenschaft

Heidegger stellt das Ziel der Besinnung auf ,die Wissenschaft' als die Aufzeigung der Seins verlassenheit fest, die der Vorbereitung des Anklangs des Seins gleichkommt. Die Wurzel der Seinsverlassenheit findet Heidegger in der "Auslegung der Seiendheit des Seienden am Leitfaden des Denkens und des hierdurch bedingten frühen Einsturzes der selbst nicht eigens gegründeten aletheia" (BzP, 141). In der Neuzeit wandelt sich die in die Richtigkeit eingestürzte Wahrheit weiter in die Gewißheit, und das gewisse Seiende dementsprechend in den vor-gestellten Gegen-stand. Dieser Wandel ist das, was die Neuzeit als Neuzeit prägt, d.h. die Grundprägung der Neuzeit. Die Gewißheit des Denkens entfaltet sich in der Entfaltung und Betreibung der neuzeitlichen ,Wissenschaft'. In der machenschaftlichen Wissenschaftlichkeit der neuzeitlichen Wissenschaft klingt das Sein in der Weise der Seinsverlassenheit an. Insofern gehört die Besinnung auf die neuzeitliche Wissenschaft in ihrem machenschaftlichen Wesen zu "einer Hinweisung auf die Seinsverlassenheit als Anklang des Seyns" (BzP, 141). Die so gefaßte Besinnung hält Heidegger für die "einzig mögliche" (BzP, 142) für die im Übergang zum anderen Anfang sich bewegende künftige Philosophie. Denn die wissenschaftstheoretischen ,Grundlegungen' sind unmöglich geworden, weil sie selbst "notwendig ,die Wissenschaft' voraussetzen und dann nur mit einem Grund (der keiner ist) und einem Sinn (dem die Besinnung fehlt) versehen" (BzP, 142).12 ,Wissenschaft' ist als Vorausgesetztes ein Endgültiges, das aus der Frage nach dem Sein ausscheidet und dieser nicht bedarf. Heidegger findet die Aufgabe des der ,Wissenschaft' entgegenstehenden, aber doch nicht seinsgeschichtlich sich besinnenden Denkens des Seins (d.h. der bisherigen Philosophie) darin: "ein ,weltanschauliches' Gebräu anzurühren und die vergangene Philosophie zu verbessern und in all dem sich ,umstürzlerisch' zu gebärden" (BzP, 142). Insofern findet sich für die künftige Philosophie die einzig mögliche ursprüngliche Besinnung auf die ,Wissenschaft' als die seinsgeschichtliche Besinnung.

11 "Die Philosophie im Zeitalter der vollendeten Metaphysik ist die Anthropologie" (VuA, 82). Sofern Anthropologie nichts anderes als "Physik im weiteren Sinne", d.h. "die Physik des Lebens und des Menschen, die Biologie und Psychologie einschließt" (ebd), ist, geht die Philosophie nun als Anthropologie in die Metaphysik zurück. "Die ,Anthropologie' als Metaphysik ist der Übergang der Metaphysik in ihre letzte Gestalt: die ,Weltanschaung'" (GA48 (1940), 268, vgl. GA51, 91-2). 12 Vgl GA56/7 (1919), § 18 (Die Zirkelhaftigkeit der Erkenntnistheorie).

172 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Die übergängliche Philosophie versucht nicht den Namen ,Wissenschaft' mit episteme, scientia, science oder etwas anderem gleichzusetzen, sondern legt ihn auf das neuzeitliche Wesen der Wissenschaft fest 13 und verfolgt ,die Wissenschaft' bis in "die zu ihrem machenschaftlichen Wesen notwendig gehörigen Einrichtungen und Betriebsanstalten (die heutige ,Universität')" (BzP, 143). Dabei wird die heutzutage geläufige Unterscheidung in historische und experimentell-exakte Wissenschaften für die Kennzeichnung der Wissenschaft hinsichtlich des Seienden fiir "leitend" gehalten, wenngleich in der Neuzeit beides eigentlich "das einheitliche Wesen" (BzP, 143) hat. Zur Besinnung auf ,die Wissenschaft' zeigt Heidegger zwei mögliche Wege auf. Das heißt: Heidegger zufolge kann sich das seins geschichtliche Begreifen der Wissenschaft entweder hinsichtlich der Möglichkeit des wesentlichen Wissens oder hinsichtlich der Wirklichkeit der neuzeitlichen Wissenschaft vollziehen. Der erste Weg begreift die Wissenschaft als "eine bestimmte Möglichkeit der Entfaltung und des Aufbaues eines Wissens, dessen Wesen selbst erst in einer ursprünglicheren Begründung der Wahrheit des Seins verwurzelt ist" (BzP, 144). Diese Begründung vollzieht sich als "Auseinandersetzung mit dem Anfang des abendländischen Denkens", die in "ein Gewesenes" zurückgeht und in "ein Künftiges" (BzP, 144) ausgreift (vgl. N. 11,481, 490). Als solche ist die geschichtliche Besinnung diejenige fiir die Möglichkeit aller Wissenschaft (vgl. GA45, 54). Der andere Weg begreift die Wissenschaft "in ihrer jetzigen wirklichen Verfassung" (BzP, 144). Diese Besinnung ist als die Fassung der Strebungen der neuzeitlichen Wissenschaft zugleich das Herausstellen ihres Vorgangs. Die Besinnung auf die ,Wissenschaft' in ihrer Wirklichkeit ist "die Kehrseite" (BzP, 144) der Besinnung auf das wesentliche Wissen in seiner Möglichkeit. Wir vollziehen hier den zweiten Weg der Besinnung nach. Der erste Weg wird im § 14 behandelt werden. ,Wissenschaft' im neuzeitlichen Sinne ist "kein Wissen" im Sinne der "Gründung und Bewahrung einer wesentlichen Wahrheit", sondern "eine abgeleitete Einrichtung eines Wissens" (BzP, 144). Das ,wissenschaftlich' Erkennbare ist ,der Wissenschaft' jeweils irgendwie vorgegeben und zwar innerhalb des jeweiligen Gebietes fiir die Wissenschaft. Insofern ist jede Wissenschaft, die innerhalb eines Gebietes das Vorgegebene zu erkennen versucht, in sich ",positive' Wissenschaft" und auch ",Einzel'-Wissenschaft" (BzP, 144) im Sinne der Fachwissenschaft. Denn jede Wissenschaft muß gemäß der "Art ihres Betrachtens" bzw. der "Art des nachstellend-sicherstellenden Vorgehens", d.h. der "Methode" (VuA, 54), die Gegenstandsgebiete "gegeneinander abgrenzen und das Abgegrenzte in Fächer eingrenzen, d.h. einfachem" (VuA, 55). Eine 13 Denn der Begriff der Wissenschaft als "Theorie des Wirklichen" gilt weder flir die Wissenschaft des Mittelalters noch flir diejenige des Altertums, sondern nur flir diejenige des neuzeitlich-modemen Zeitalters. Dazu vgl. VuA , 42-3, 49-50.

Kap. 1, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters 173

notwendige innere Folge der Einzelwissenschaft ist die ",Spezialistik'" (BzP, 145). Denn sie vollzieht sich mit der spezifischen Methode. Jede Wissenschaft als positive und einzelne Spezialistik ist hinsichtlich des Verfahrens "erklärend" (BzP, 146). ,Untersuchung' meint also allein die Bereitstellung der Erklärungsbedingungen. Die Einrichtung eines Wissens vollzieht sich als Auf- und Ausbau eines Erklärungszusammenhangs. Dieser Erklärungszusammenhang fordert zu seiner Ermöglichung "die durchgängige Bindung des Untersuchens an das jeweilige Sachgebiet" (BzP, 146). Diese Bindung nennt sich die Strenge der Wissenschaften als der Einrichtungen von Richtigkeitszusammenhängen. Jede Wissenschaft ist also positiv, einzeln und streng. 14 Die wissenschaftliche Strenge vollzieht sich "in den Weisen des Vorgehens (der Hinsichtnahme auf das Sachgebiet) und des Verfahrens (der Ausfiihrung des Untersuchens und der Darstellung), in der ,Methode'" (BzP, 146, vgl. ZdW, 77). Durch das Vorgehen wird der Gegenstandsbezirk jeweils in "eine bestimmte Richtung der Erklärbarkeit" (BzP, 146) gebracht. Die Grundart des Vorgehens in allem Erklären faßt Heidegger als "vorgreifende Anlage von einzelnen Reihen und Ketten fortlaufender Ursache-Wirkungs-Beziehungen" (BzP, 147). Diese Beziehungen, d.h. Kausalitäten, sind streng genommen nur ,wenn-so'-Beziehungen in der Gestalt des Wenn-dann. ls Insofern ist das Denken, das sich mit den ,Wenn-dann'-Kausalitäten vollzieht, das "ergebnissichere Denken" (BzP, 147). Dieses Denken wird durch das machenschaftliche Wesen des Seienden gerechtfertigt und gefordert. Das ergebnissichere Denken waltet nicht nur im Gebiet der Natur, sondern auch im Gebiet der Geschichte: "Daß man in der Geschichte den ,Zufall' und das ,Schicksal' als mitbestimmend zugibt, belegt erst recht die Alleinherrschaft des kausalen Denkens, sofern ja ,Zufall' und ,Schicksal' nur die nicht genau und eindeutig errechenbaren Ursache-Wirkungs-Beziehungen darstellen" (BzP, 147, vgl. ZdW, 83).

14 In der seinsgeschichtlichen Besinnung gehört ihre Strenge zu dem ,ersten Gesetz des Denkens', das "die Schicklichkeit des Sagens vom Sein als dem Geschick der Wahrheit" (BüH, 363, vgl. WdW, 199-200) besagt. Daraus bestimmt sich das dreifache Maß des Denkens: "die Strenge der Besinnung, die Sorgfalt des Seins, die Sparsamkeit des Wortes" (BüH, 364). Die Strenge des "Denkens" als des Vollbringens des Bezugs des Seins zum Wesen des Menschen liegt darin, daß "das Sagen rein im Element der Wahrheit des Seins bleibt und das Einfache seiner mannigfaltigen Dimensionen walten läßt" (BüH, 315, vgl. 65, 81). Das "Element, worin sich das Denken bewegt" (VuA , 133), ist die Wahrheit des Seins, welche als "die Wesensherkunft des Seins des Seienden" "das eigentlich zu-Denkende" (VuA , 137) ist. Sofern sich die Wissenschaft durch das Nichtdenken des eigentlich zu-Denkenden "die Möglichkeit" gibt, "sich nach der Art der Forschung auf ein jeweiliges Gegenstandsgebiet einzulassen und sich darin anzusiedeln", gibt es "von den Wissenschaften zum Denken keine Brücke, sondern nur den Sprung" (VuA, 128). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 39-41, 362. 15 Vgl.: § 12 a).

174 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Das Verfahren, das einen Gegenstandsbezirk zur Vor-stellung bringt, hat den Charakter der doppelseitigen Erklärung, d.h, "sie begründet ein Unbekanntes durch ein Bekanntes und bewährt zugleich dieses Bekannte durch jenes Unbekannte" (ZdW, 80). Diese doppelseitige Erklärung charakterisiert das Verfahren. Aus dem Verfahren der doppelseitigen Erklärung vollzieht sich die Untersuchung. Die Weise der Untersuchung ist exakt-experimentell oder unexakt-vergleichend. Jede Wissenschaft als positiv-einzelne Spezialistik zielt auf ihre Strenge ab, die aber nicht unbedingt die Exaktheit bedeutet. Eine Wissenschaft muß aber exakt sein, um strenge Wissenschaft zu bleiben. Wenn ,exakt' nicht bloß ,genau, abgemessen, sorgfältig', sondern "zahlenmäßig bestimmt, gemessen und errechnet" bedeutet, ist die Exaktheit nicht bloß eine Art der Handhabung der Methode, sondern sie bedeutet "das messende und rechnende Verfahren selbst" (BzP, 150). Wenn das Sachgebiet einer Wissenschaft als ein in quantitativer Messung und Rechnung zugänglicher und nur so Ergebnisse gewährender Bereich angesetzt ist, muß die Wissenschaft, um streng zu bleiben, exakt sein. Hingegen ist das Sachgebiet der ,Geistwissenschaften' nicht bloß ein quantitativ meßbarer und berechenbarer Bereich, so daß sie, um streng zu sein, notwendig unexakt bleiben müssen. Jede Wissenschaft aber ist, sei es exakte oder unexakte ist, streng. Die Strenge der Wissenschaft ist auf die Kenntnisnahme ihres Sachgebietes angewiesen. Diese Kenntnisnahme vollzieht sich in den exakten Wissenschaften in der Weise des Experimentes. Jedoch unterscheidet sich das neuzeitliche Experiment von empeiria und experimentum. 16 ,Experimentell' ist die messende (exakte) Wissenschaft. Die Exaktheit der Wissenschaft fordert notwendig das ,Experiment'. Die unexakt-vergleichende Wissenschaft ist die Gegenform zu der exakt-experimentellen Wissenschaft. Diese beiden hält Heidegger für die zwei Grundformen der neuzeitlichen Wissenschaft. Die unexakt-vergleichende Wissenschaft ist "die aus Quellen schöpfende ,Historie' und deren Ab-

16 Die Ansetzung eines Experimentes bedeutet: "eine Bedingung vorstellen, der gemäß ein bestimmter Bewegungszusammenhang in der Notwendigkeit seiner Ablaufs verfolgbar [... ] werden kann" (ZdW, 81). Das Vorstellen einer solchen Bedingung vollzieht sich schon aufgrund des Gesetzes, das seinerseits aus der Hinsicht auf den Grundriß des Gegenstandsbezirkes vollzogen ist. Das Experiment wird vom zugrundegelegten Gesetz her getragen und geleitet, "um die Tatsachen beizubringen, die das Gesetz bewähren oder ihm die Bewährung versagen" (ebd). Ein solches Experiment aber unterscheidet sich von dem Experiment von Aristoteles und von dem mittelalterlichen Scholastiker Roger Bacon. Die ,empeiria' von Aristoteles besagt "das Beobachten der Dinge selbst, ihrer Eigenschaften und Veränderungen unter wechselnden Bedingungen und somit die Kenntnis der Weise, wie sich die Dinge in der Regel verhalten" (ZdW, 80-81). Hierbei fehlt "der Zugrundelegung eines Gesetzes" (ZdW, 81), die allein im neuzeitlichen Experiment ein Entscheidendes ist. Auch bei Roger Bacon meint ,Experimentum' nicht das Experiment der Wissenschaft als Forschung, sondern nur "das argurnenturn ex re" (ZdW, 82), das statt des argurnenturn ex verbo verlangt wird.

Kap. I, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters

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art, die ,Prähistorie'" (BzP, 151 ).17 ,Historie' meint "das feststellende Erklären des Vergangenen aus dem Gesichtskreis der berechnenden Betreibungen der Gegenwart" (BzP, 493, vgl. GA45, 34). Die Untersuchung der ,Historie' vollzieht sich in der Weise des "Vergleichen[s]" und der "Ausweitung der Möglichkeiten des Vergleichens" (BzP, 151). Das Ziel des Vergleichens ist "ein Gleichmachen, die Rückbeziehung auf ein Gleiches" (BzP, 151) bzw. "Rückführung auf das Verständliche" (ZdW, 83). Ein solches Vergleichen macht das Selbstverständliche aus, aus dem alles Erklären und Beziehen ermöglicht wird. Die Strenge der Historie also wird desto sicherer, je mehr die Taten, Werke, Erzeugnisse und Meinungen und je weniger die Geschichte selbst behandelt werden. Der ,Fortschritt' der historischen Wissenschaften besteht in der Ausweitung der Möglichkeiten des Vergleichens, bzw. in der "Auswechselung der leitenden Hinsichten des Vergleichens" (BzP, 151). Die gröbste Zuordnung und Einordnung einer Quelle, d.h. eines fIndbaren ,Fundes' in das Schongefundene, ist eine Erklärung und beansprucht eine leitende Hinsicht des Vergleichens. Im Verlauf der Entwicklung der Historie wechselt die Deutungshinsicht, während das Material in sich immer noch gleichbleibender und beständiger wird, indem es trotz seines Wachsens immer noch übersichtlicher und zugänglicher wird. Sofern sich historische Forschung nur noch in der Weise der Anwendung einer neuen Deutungshinsicht im festliegenden Material vollzieht, wird sie durch das noch beständiger werdende Material immer bequemer. Die Auswechselung der Deutungshinsicht verbürgt eine Fülle von neuen Entdeckungen. Die so gefaßte Historie ist aber "ein ständiges Ausweichen vor der Geschichte" (BzP, 153), weil sie sich nur auf die als ,selbstverständlich' erklärbare gefaßte Geschichte bezieht. Geschichte aber ist je etwas einziges. Sie hat ihre Einzigkeit in "ihrer Unerklärbarkeit" (BzP, 154).18 Insofern erreicht die erklärende Historie die jeweils einzige Geschichte nicht. Das Geschichtsdenken bedarf des Verzichts der historischen Erklärung und aller ,Geschichts'-anschauungen. Der Geschichtsdenker, der wesentlich ebenso "vom Historiker wie vom Philosophen" unterschieden ist, hat kein Verhältnis zur ,Geschichtsphilosophie' als "ScheingebiJ-

17 Die historische Erklärung gründet auf der Quellenkritik. Diese entspricht dem Experiment der Naturforschung. Unter der "Quellenkritik" wird "das Ganze der Quellenfindung, Sichtung, Sicherung, Auswertung, Aufbewahrung und Auslegung" (ZdW, 82) verstanden. Die historische Erklärung zielt mit der Quellenkritik ebenso wie in den Naturwissenschaften darauf ab, "das Beständige vorzustellen und die Geschichte zum Gegenstand zu machen" (ebd). Sie braucht die Quellenkritik als "Instrument der Vergegenständlichung" (ebd). IK SO ist z.B auch das Welten, das zur ursprünglichen Geschichte gehört, ist unerklärbar: "Welt west, indem sie weitet. Dies sagt: Das Welten von Welt ist weder durch anderes erklärbar, noch aus anderem ergründbar. [... ] Das menschliche Erklärenwollen langt überhaupt nicht in das Einfache der Einfalt des Weltens hin" (VuA, 172, GA 79 (1949 u.57), 19).

176 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

de" (BzP, 154). Die Mitte der Besinnung und Darstellung des Geschichtsdenkers liegt in "einem bestimmten Bereich des Schaffens, der Entscheidungen, der Gipfel und Abstürze innerhalb der Geschichte (sei es die Dichtung, sei es die bildende Kunst, sei es die Staatsgründung und Führung)" (BzP, 154). Der Geschichtsdenker rettet so das geschichtliche Wissen aus dem allgemeinen Mischmasch historischen Meinens und bringt jenes in "die Entscheidungsbereitschaft eines künftigen Geschlechts" (BzP, 155). Als solcher ist er der Geschichtsdenker, der in der Weise des Andenkens der gewesenen Geschichte in die künftige Geschichte vor-denkt. Entsprechend der zunehmenden Verfestigung des machenschaftlich-technischen Wesens aller Wissenschaften verwischt sich der gegenständliche und verfahrungsmäßige Unterschied der Natur- und Geisteswissenschaften immer mehr. Dies geschieht aufgrund der Herrschaft des Selbstbewußtseins: "Natur und Geist sind Gegenstände des Selbstbewußtseins; dessen unbedingte Herrschaft zwingt beide zum voraus in eine Gleichförmigkeit, aus der es metaphysisch kein Entrinnen gibt" (VuA, 94). Der Vorrang des Selbstbewußtseins ist eine Erscheinung der Herrschaft des Erlebnisses und somit der Machenschaft. Die Naturwissenschaften als "Maschinenwissenschaft" (BzP, 158) bestehen ebenso wie die Geisteswissenschaften als "Zeitungswissenschaft" (BzP, 155) in der Erklärung des als Bestand verstandenen betreffenden Gegenstandes. Zu der erklärenden Forschung gehört Betriebscharakter. Das Wesen des Betriebscharakters der Forschung liegt im "Sicheinrichtenmüssen auf die eigenen Ergebnisse als die Wege und Mittel des fortschreitenden Verfahrens" (ZdW, 84). Im Betriebscharakter der Forschung gründet die Notwendigkeit ihres Institutcharakters. In der Ausbreitung und Verfestigung des Institutcharakters der Wissenschaften wandelt sich der Status von Seiendem, Gelehrtem und Universität. Zuerst entsteht der Vorrang des Verfahrens vor dem Seienden (Natur und Geschichte). Die Forschungsunternehmungen werden dann noch höher als die Gelehrsamkeit des Gelehrten geschätzt. Die Universität als eine Einrichtung ermöglicht ihrerseits "die besondere Einheit der Betriebe" (ZdW, 85) und hat demzufolge den wirkenden Einheitscharakter als ihre Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit der Universität liegt aber nicht in einer in ihr gewesenen geistigen Macht der ursprünglichen Einigung der Wissenschaften, sondern allein im Betriebscharakter der Wissenschaften. Die Universitäten, in denen wissenschaftlich geforscht und Wissenschaften gelehrt werden, werden gemäß der neuzeitlichen Wesensprägung der Wissenschaften zu "reinen und immer ,wirklichkeitsnäheren' Betriebsanstalten" (BzP, 155).19 Die Aufgabe der neuzeitlichen Wissenschaft enthüllt sich als die Einrichtung von Richtigkeiten innerhalb der Beherrschung alles Gegenständlichen. Darin findet sich die "Vorrangstellung des Vorgehens und Verfahrens gegenüber dem 19

Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 10, 79-84.

Kap. 1, § 13 Die seinsgeschichtliche Erfahrung des gegenwärtigen Zeitalters

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Sachgebiet selbst" bzw. die "Vorrangstellung des Verfahrens vor der Sache und der Urteilsrichtigkeit vor der Wahrheit des Seins" (BzP, 148). Die ,Entwicklung' der neuzeitlichen Wissenschaft in ihre Wesensprägung ist insofern der Fortgang der Machenschaft und der in die Richtigkeit eingestürzten Wahrheit. Die Machenschaft hat zur Folge die Seinsverlassenheit, die durch die neuzeitliche Wissenschaft mitentschieden ist. Die so mitentschiedene Seinsverlassenheit vollendet sich in der Gestalt des Nihilismus (Wille zum Willen),2° der Technik (Bestandsicherung),21 und der unbedingten Besinnungslosigkeit (,Erlebnis') (vgl. VuA , 76, 82, 83).22 Als Resurne von § 13 läßt sich festhalten: a) Die erstanfangliche Wesung des Seins ist die Machenschaft, d.h. die Wesung des Seins als Seiendheit. Diese hat mit der Bestimmung der Seiendheit als idea und somit mit dem Verfall der ursprünglichen Wahrheit begonnen, ist im herrschenden Seinsverständnis als Allgemeines verborgen und waltet in der Weise der Geltung von Berechnung, Schnelligkeit und Anspruch des Massenhaften. b) Die Machenschaft beseitigt die Grundstimmung der Verhaltenheit und fUhrt zur Vorherrschaft des Erlebnisses bzw. des Bewußtseins. c) Die so zu fassende Machenschaft beherrscht insofern die neuzeitliche Wissenschaft, als diese das Wissen als einen richtigen Erklärungszusammenhang faßt und so einrichtet und nur die ergebnissichere Denkweise vollzieht. Die neuzeitliche Wissenschaft beseitigt, sei es exakt-experimentelle oder unexakt-vergleichende, im Prinzip die Unerklärbarkeit überhaupt und somit auch die ursprüngliche Geschichte, die als Geschehen selbst die Erklärbarkeit übergeht und allein im Bereich der Freiheit geschieht. Diese Beseitigung gründet in der Vorrangstellung der Methode gegenüber dem Sachgebiet, die ihrerseits in der Machenschaft und in dem Einsturz der ursprüngli-

20 Dieser bedeutet im Sinne Nietzsches, daß "alle Ziele weg sind" (BzP, 138, vgl. Holz, 222). Dieser muß "in der Absicht auf den anderen Anfang" nicht bloß "vorläufig" (durch eine ",idealistische' und moralische Auslegung"), sondern noch gründlicher als "Wesensfolge der Seinsverlassenheit" (BzP, 138) bzw. des "Ausbleiben[s]" des "Seins selbst" (Holz, 263) begriffen werden. Denn im Nihilismus, d.h. in der Rede vom Willen zum Willen ereignet sich, daß "das Sein sich in die Machenschaft losläßt" (VuA , 87). 21 Die Grundstellung der Technik ist als die aus der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit ermöglichte "der Entwurf des Vor-stellens im Sinne der vorgreifend - planend - einrichtenden Erfassung" (BzP, 135-36). Die uneingeschränkte Gewalt des so zu fassenden Vor-stellens ist das Riesenhafte in diesem Zeitalter. Das Riesenhafte ist es, "wodurch das ,Quantitative' zu einer eigenen ,Qualität', einer Art von Größe verwandelt wird" (BzP, 441, vgl. ZdW, 95). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 99. 22 Zu Heideggers reinem Sinnbesinnung des Er-Iebnisses als Ereignis, die der geläufigen Auffassung des Erlebnisses als Vorgang gegenübersteht, vgl. GA56/7, § 15 (Vergleich der Erlebnisstrukturen. Vorgang und Ereignis) und: F.-W. v. Herrmann, ,Wege ins Ereignis', 7-9. In der Vorlesung ,Grundprobleme der Phänomenologie' (WS 1919/20) faßt Heidegger erlebendes Leben als "die Urgeschichte", die aber "nicht in einer linearen Abfolge von Stadien, sondern in einer ständig neu vom Ursprung vorbrechenden Produktion" (GA58, 148) lebendig ist. 12 Choong (PHS)

178 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

chen Wahrheit in der Richtigkeit wurzelt. Insofern klingt aus der Besinnung der neuzeitlichen Wissenschaft das Sein in der Weise des Sichverweigerns bzw. der Seinsverlassenheit des Seienden an. Dieser Anklang des Seins ernötigt uns zur Besinnung der erstanfanglichen Geschichte des Seins, was Heidegger als andenkendes Vordenken charakterisiert. Das Denken an die erstanfangliche Geschichte des Seins spielt uns die andersanfangliche Geschichte zu. Da das Andenken als Besinnung auf den Sinn der erstanfanglichen Geschichte des Seins das wesend-während-Gewährende der Seinsgeschichte enthüllt, dieses in die Künftigkeit wiederholt und somit die künftige andersanfangliche Geschichte des Seins vordenkt, kommt das Andenken dem Vordenken der andersanfanglichen Geschichte des Seins gleich, was wir im folgenden Paragraphen untersuchen wollen.

§ 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte a) Das Denken im Übergang als geschichtliche Besinnung auf die Metaphysik

a) Die geschichtliche Besinnung als Wieder-holung des ersten Anfangs in den anderen Anfang. Das Denken im Übergang nennt sich die geschichtliche Besinnung auf den ersten Anfang rur den anderen Anfang. Unter dem ,ersten Anfang' wird diejenige erste Wesung der Wahrheit des Seins verstanden, weIche zum Anfang der bisherigen Seinsgeschichte geworden ist. Die Geschichte des ersten Anfangs wird hinsichtlich des Einsturzes der Wahrheit als die Geschichte der Metaphysik "von Platon bis Nietzsche" (BzP, 127) gefaßt, hinsichtlich des Unbefragtseins des Seins selbst hingegen als diejenige "von Anaximander bis Nietzsche" (BzP, 232). Unter dem ,anderen Anfang' wird die gegenwärtig übergängig und zukünftig voll zu vollziehende Wesung der Wahrheit des Seins verstanden, welche zum Anfang der zukünftigen Seinsgeschichte wird. Die Seinsgeschichte ist bisher nur hinsichtlich ihrer historischen Tatsachen, nicht aber hinsichtlich der in ihr verborgenen geschichtlichen Ereignisse gedacht. Das seinsgeschichtliche Denken denkt aber an diese geschichtlichen Ereignisse. Hinsichtlich der seinsgeschichtlichen Ereignisse kennzeichnet Heidegger die Seinsgeschichte wie folgt: "Die Seynsgeschichte kennt in langen Zeiträumen, die ihr nur Augenblicke sind, seltene Ereignisse. Die Ereignisse als solche: die Zuweisung der Wahrheit an das Seyn, der Einsturz der Wahrheit, die Verfestigung ihres Unwesens (der Richtigkeit), die Seinsverlassenheit des Seienden, die Einkehr des Seyns in seine Wahrheit, die Entfachung des Herdfeuers (der Wahrheit des Seyns) als der einsamen Stätte des Vorbeigangs des letzten Gottes, das Aufblitzen der einmaligen Einzigkeit des Seyns" (BzP, 22728). Dieses Zitat ist es, das die Seinsgeschichte in ihrem ersten und anderen

Kap. 1, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

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Anfang hinsichtlich der in ihr verborgenen Ereignisse enthüllt. Die geschichtliche Besinnung, die sich auf die Seinsgeschichte hinsichtlich der in dieser verborgenen Ereignisse besinnt, unterscheidet Heidegger von der historischen Betrachtung. Das Wort ,Historie' (als historein, auskundschaften) meint "Erkundung des Vergangenen aus dem Gesichtskreis des Gegenwärtigen" (GA45, 34). Insofern vollzieht sich historische Betrachtung als das, wodurch "das Vergangene aus seiner Erstarrung gelöst, auf die Gegenwart bezogen und zeitgemäß gemacht" (GA45, 34) wird. In der historischen Betrachtung werden ihre Maßstäbe und Richtlinien aus der jeweiligen Gegenwart geschöpft. Diese Gegenwart aber ist nicht unbedingt eine solche, die es gewährleistet, daß "die gegenwärtigen Maßstäbe dem jeweils Großen einer Vergangenheit entsprechen und gewachsen sind" (GA45, 34). Denn eine Gegenwart könnte wie das Vergangene erstarrt sein, so daß ihre Maßstäbe "nur schlechte Ableger einer nicht mehr begriffenen Vergangenheit" (GA45, 35) bleiben. Insofern ist die historische Betrachtung, die nur mit den aus der jeweiligen Gegenwart entnommenen Maßstäben vollzogen wird, nicht ausreichend, um den möglichen Bezug zur Geschichte zu erschöpfen. Von der so gefaßten historischen Betrachtung unterscheidet Heidegger die geschichtliche Besinnung. Während ,historisch' "eine Art des Erkennens" meint, heißt ,geschichtlich' "das Geschehen, die Geschichte selbst" (GA45, 35). ,Besinnung' heißt ihrerseits nicht Betrachtung, sondern "Be-sinnung" (GA45, 35), d.h. das Eingehen auf den Sinn, d.h. auf die Wahrheit des Seins (vgl. BzP, 43). Als solche ist die geschichtliche Besinnung das "Eingehen auf den Sinn des Geschehenden, der Geschichte" (GA45, 36).23 Denn die Wahrheit des Seins ist der Wesensraum der Geschichte. Das "Geschehen und Geschehende der Geschichte" (GA45, 36) ist kein Vergangenes oder schon Gegenwärtiges, sondern insofern Zukünftiges im Sinne des "auf uns Zukommende[ s]", als es "in dem Willen, in die Erwartung, in die Sorge gestellt" (GA45, 40) ist. 24 Sofern das Zukünftige jenes ist, "von woher zuerst alles menschliche Geschehen anhebt", ist es "der Ursprung der Geschichte" (GA45, 40). Das Zukünftigste ist 23 Dabei meint ,Sinn' "den offenen Bereich der Ziele, Maßstäbe, Abtriebe, Anschlagmöglichkeiten und Mächte" (GA45, 36). Die Ziele und Kräfte des Geschichtlichen "können solches sein, was bereits seit langem - nur verborgen - geschieht und deshalb gerade nicht das Vergangene, sondern das noch Wesende und auf Befreiung seiner Wirkungskraft Harrende ist" (GA45, 40). Die Besinnung ist das Eingehen auf "einen Ort", "von dem aus sich erst der Raum öffnet, den unser jeweiliges Tun und Lassen durchmißt" (VuA, 64). 24 Dazu: "In den Anfang als das Gewesene und noch Wesende zurückzudenken, in jenes also, was allein die Zu-kunft hat, weil zu seinem Wesen der Zuwurf gehört, in den Anfang erinnern, das heißt, alle Besinnung auf den ,Grund' versammeln, den ,Grund' begreifen. [... ] . Grund' meint das Sein selbst und dieses ist der Anfang" (GA 51, 88, vgl. EidM, 48, GA 54, 10).

180 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

"der große Anfang", der als Ungewöhnliches "das verborgene Geschick aller Anfange" (GA45, 40) ist. Daher ist die geschichtliche Besinnung als Eingehen auf den Sinn des Geschichtlichen im Grunde "der ursprüngliche und echte Bezug zum Anfang" und als solche "das Revolutionäre, das durch die Umwälzung des Gewöhnlichen das verborgene Gesetz des Anfangs wieder ins Freie bringt" (GA45, 37).25 Die Besinnung auf die Geschichte des ersten Anfangs ist also die ursprünglich und eigentlich geschichtliche Besinnung. Als solche ist sie weder die Darstellung einer nachträglichen Gelehrsamkeit zu einer abgeschlossenen Geschichte der Philosophie, noch deren verbessernde historische Betrachtung. Sie ist "keine historische Bei- und Vorgabe zu einem ,neuen' ,System', sondern in sich die wesentliche, Verwandlung anstoßende Vorbereitung des anderen Anfangs" (BzP, 169, vgl. 451 und GA45, 144f). Insofern geht es in der geschichtlichen Besinnung darum, "ein Fragen" anzupflanzen, "das sich einstmals als in einem anderen Anfang gewurzelt eigens fmdet" (BzP, 169). Das so gefaßte Fragen ist die Wahrheitsfrage, welche als Vorfrage die Seinsfrage vorbereitet und so zu dieser selbst wird. 26 Heidegger faßt die betreffenden Sachen der Historie als "die je so und so geschehenen vergangenen Tatsachen", die betreffende Sache der geschichtlichen Besinnung als ,jenes Geschehen, auf dessen Grund erst Tatsachen werden und sein können" (GA45, 50), d.h. die Wesung des Seins in der Weise der Wesung der Wahrheit des Seins. Während in der historischen Betrachtung der Anfang als Geschichtliches nur zu einem schon Gewordenen und nicht mehr Anfangenden herabgesetzt wird, bringt die geschichtliche Besinnung den Anfang "wieder zu Gestalt" (GA45, 41). Der wieder gestaltete Anfang ist aber gegenüber dem ersten Anfang "das ganz Andere und dennoch Selbe", weil "zum Anfang das Ursprüngliche gehört" (GA45, 41). Der Ursprung wird jeweils in der geschichtlichen Besinnung zum Anfang. Was Heidegger mit der Nachordnung der historischen Betrachtung gegenüber der geschichtlichen Besinnung betont, ist aber nicht die Überjlüssigkeit der historischen Betrachtung, sondern lediglich folgendes: "Die historische Betrachtung ist nur insoweit wesentlich, als sie von einer geschichtlichen Besinnung getragen, von ihr in den Fragestellungen gelenkt und in der Umgrenzung der Aufgaben bestimmt wird" (GA45, 50). Die historische Betrachtung und Kenntnis bleibt um so mehr "unentbehrlich" für "ein Zeitalter, das sich erst aus den Fesseln der Historie und deren Verwechslung mit der Geschichte befreien muß" (GA45, 50). Die geschichtliche Besin25 Unter dem ,Gesetz' des Anfangs wird "das Gesetz der Wahrheit" (NzWiM, 304) verstanden, wobei unter ,Gesetz' das "Ge-setz; Ereignis" (NzWiM, 304, Anmerkung a) gemeint ist. "Das Ereignis ist das Gesetz, insofern es die Sterblichen in das Ereignen zu ihrem Wesen versammelt und darin hält" (UzS, 248), wobei Setzen nicht als "Thesis", sondern als "Gelangenlassen, Bringen" (UzS, 248, Fußnote a) verstanden wird. 26 "Die Vor-frage nach der Wahrheit ist zugleich die Grund-frage nach dem Seyn, dieses als Ereignis west als Wahrheit" (BzP, 348).

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nung, von der die historische Betrachtung getragen werden soll, ist das Denken für den Übergang zum anderen Anfang. Der Übergang zum anderen Anfang vollzieht sich in der Weise des "Rückgang[s] in den ersten Anfang (die ,Wieder-holung')" (BzP, 185). Dieser Rückgang ist aber keine Versetzung in Vergangenes, sondern ein fern-stellendes Beziehen auf den ersten Anfang, um zu erfahren, was in jenem Anfang und als jener Anfang anfing, warum die Frage nach der Wahrheit (,aletheia') nicht geschah und wie dieses Nicht-Geschehen im voraus das abendländische Denken zur Metaphysik bestimmte. Als Fern-stellung ist der Rückgang in den ersten Anfang weder eine Ablehnung des ersten Anfangs noch eine Aufhebung des ersten im anderen Anfang, sondern die Wieder-holung des ersten Anfangs in den anderen Anfang und somit der Einsprung in den anderen Anfang. Die Wiederholung, d.h. der Einsprung durch den Rückgang, wird von Heidegger als andenkendes Vordenken gekennzeichnet?7 Die Geschichte des ersten Anfangs ist die Geschichte der Metaphysik. Daher wird die geschichtliche Besinnung in sich zur Frage nach dem Wesen der Metaphysik. Da diese Frage nicht mehr zur Metaphysik gehört, sondern ihre Überwindung ist, gehört sie zum übergänglichen Denken. Das Ziel des übergänglichen Denkens liegt nicht in der aufklärenden Feststellung der verwirrten Vorstellung von der Metaphysik, sondern in dem "Stoß in den Übergang und damit in das Wissen, daß jede Art von Metaphysik zu Ende ist und sein muß, wenn die Philosophie ihren anderen Anfang gewinnen soll" (BzP, 172). Die Geschichte der Metaphysik gründet im Geschehen des erstanfanglichen Denkens. Wenn dieses Denken in seiner Geschichtlichkeit hinsichtlich der Entfaltung der Leitfrage gesucht wird, kann die innere Bewegung dieses Denkens in ihren einzelnen Schritten festgehalten werden. Durch die geschichtliche Besinnung auf die Metaphysik wird die innere Bewegung des Denkens als "zum Da-sein als solchem gehöriges Geschehen" (BzP, 172) sichtbar gemacht. Dadurch enthüllt sich, daß es nur durch die Gründung des Da-seins möglich ist, jenen Grund zu gewinnen, in dem die Wahrheit des Seins gründet. Mit der Gründung des Daseins kommt das Sein selbst ursprünglich zur Herrschaft, so daß eine Stellung des Übersteigens (Transzendenz) des Seienden unmöglich wird. Die Besinnung auf das Wesen der Metaphysik also vollzieht sich zum einen als "eine Gründung des Da-seins", zum anderen als das Begreifen der "Unmöglichkeit" (BzP, 27 Dazu: ",Wiederholung'" ist es, "das selbe, die Einzigkeit des Seyns, wieder und somit aus einer ursprünglicheren Wahrheit zur Not werden zu lassen. ,Wieder' besagt hier gerade: ganz anders" (BzP, 73). Die so gefaßte Wiederholung ist zumal Andenken und Vordenken: "An-denken das Gewesene ist Vor-denken in das zu-denkende Ungedachte. Denken ist andenkendes Vordenken" (SvG, 159). "Aus einem einfachen Ruck des wesentlichen Denkens muß das Geschehen der Wahrheit des Seyns versetzt werden vom ersten Anfang in den anderen, damit im Zuspiel das ganz andere Lied des Seyns erklinge" (BzP, 8-9, vgl. EidM, 42, GA45, 41, GA 54, 10,223).

182 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

172) der Metaphysik. Als solche ist sie das über die Metaphysik hinausgehende andersanfangliche Denken. Die Überwindung der Metaphysik darf nicht als eine ,antimetaphysische' Tendenz des ,Positivismus' gedacht werden. Das übergängliche Denken zielt nicht auf "eine ,Gegnerschaft' gegen die ,Metaphysik"', sondern "eine Überwindung der Metaphysik aus ihrem Grunde" (BzP, 173). Diese Überwindung bedeutet nicht die Umkehrung der bisherigen Metaphysik, sondern den "das Seyn verwandelnde Einsprung in seine ursprünglichere Wahrheit" (BzP, 183), woraus der Bezug des Seins zum Seienden nicht mehr der Bezug der Bedingung der Möglichkeit wird. 28 Insofern bedeutet die Überwindung der Metaphysik "die Freigabe des Vorrangs der Frage nach der Wahrheit des Seins vor jeder ,idealen', ,kausalen', und ,transzendentalen' und ,dialektischen' Erklärung des Seienden" (BzP, 504). Wenn nicht das Seiende vom Menschen, sondern das Menschsein erst aus dem Sein gegründet wird, ist dies "die große Umkehrung, die jenseits ist aller ,Umkehrung aller Werte'" (BzP, 184). Diese Umkehrung muß nicht als eine Gegenbewegung verstanden werden. Denn alle Gegenbewegungen sind notwendig durch ihr ,Wo-gegen' mitbestimmt. Als eine große Umkehrung ist der andere Anfang "nicht die Gegenrichtung zum ersten, sondern steht als anderes außerhalb des Gegen und der unmittelbaren Vergleichbarkeit" (BzP, 187). Die Not-wendigkeit der Überwindung der Metaphysik liegt im Ende-Charakter der Metaphysik. Mit dem ,zu-Ende-sein' der Metaphysik aber ist nicht gemeint, daß sie nie mehr vorhanden sei oder nie mehr kritisch nach der Seiendheit des Seienden frage, sondern daß sie "das im Grunde gesuchte Seyn niemals erfragen konnte und schließlich in der Verlegenheit dieser Ohnmacht auf die ,Erinnerung' der ,Ontologie' verfiel" (BzP, 173). Der Ende-Charakter der Metaphysik ist die notwendige Folge des Abfalls des ersten Anfangs. Hier zeigt sich in einer Hinsicht ein eschatologisches Denken Heideggers. Was unter diesem Begriff verstanden wird, ist gar nicht ein durch die Vergeschichtlichung der Eschatologie sich vollziehender Entwurf einer Geschichtsphilosophie wie eine eschatologische Setzung des absoluten Ziels der Weltgeschichte/9 sondern

2R Als solche ist die Überwindung der Metaphysik die "Verwindung der Seinsvergessenheit" (zS, 416) und das "Andenken an das Sein selbst" (EzWiM, 368) ,Das Sein selbst' besagt hier "das Sein in seiner Wahrheit, welche Wahrheit zum Sein gehört, d.h. in welcher Wahrheit ,Sein' entschwindet" (EzWiM, 366, Anmerkung a). Aus dem Andenken des Seins selbst ereignet sich die Überwindung der Metaphysik als "Verwindung des Seins" (VuA , 68). 29 Zur kritischen Betrachtung der Verknüpfung der Eschatologie mit der Geschichtsphilosophie vgl.: W. Jaeschke, ,Die Suche nach den eschatologischen Wurzeln der Geschichtsphilosophie', München 1976. Zur kurzen Darstellung des Streites um das eschatologische Weltverstehen und um die eschatologische Geschichtsdeutung vgl.: O. Pöggeler, "Einleitung: Heidegger heute" In: ,Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werkes', 27-31.

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allein das vom Endbewußtsein bzw. End-denken her sich vollziehende Andenken an die Geschichte des Daseins und des Seins. 30 Weil die Metaphysik nicht nach der Wahrheit des Seins, sondern nur nach der Seiendheit des Seienden fragte, konnte sie gar nicht den Grund der Wahrheit des Seins erreichen. Insofern mußte sie "in der Verwirrung und der Ungesichertheit ihres Leitfadens (des Denkens)" (BzP, 173) bleiben. Die Wahrheit des Seins ist die unbefragte Sache des Denkens. Diese Sache ist als solche diejenige, worin die Wesensmöglichkeit der künftigen Philosophie liegt und die andersanfangliche Geschichte anfangt. Insofern meint die Rede vom Ende der Metaphysik nicht, daß die Philosophie selbst fertig sei, sondern daß sie nicht in der Lage ist, das andersanfängliche Denken ftir die andersanfangliche Geschichte zu vollziehen. Die Überwindung der Metaphysik bedeutet also den Einsprung in die Wahrheit des Seins als Wesenraum der Geschichte, um den ersten Anfang der erstanfänglichen Geschichte in den anderen Anfang für die andersanfängliche Geschichte wiederzuholen. b) Die Transzendenz als der Grundzug der Metaphysik. Der Grundzug der Metaphysik findet sich im Begriff ,Transzendenz'. Heidegger kennzeichnet die Meinung der Metaphysik über das Sein wie folgt: "Die Metaphysik meint, das Sein lasse sich am Seienden finden, und dies so, daß das Denken über das Seiende hinaus geht" (BzP, 170, vgl. 426). Zum einen sucht die Metaphysik das Sein aus dem Seienden und begreift somit nur die Seiendheit des Seienden. 30 "Denken wir aus der Eschatologie des Seins, dann müssen wir eines Tages das Einstige der Frühe im Einstigen des Kommenden erwarten und heute lernen, das Einstige von da her zu bedenken" (Holz, 327, vgl. BzP, 416). Auf dem Grund von Heideggers früheren Vorlesungen klärt Gadamer auf, daß "es dem jungen Heidegger um denkerische Rechtfertigung seines christlichen Glaubens ging" (Gadamer, ,Hermeneutik im Rückblick', Bd. 10, 248-49). In der Vorlesung über ,Einleitung in die Phänomenologie der Religion' im WS 1920/21 hat Heidegger die Rede von der Religion mit dem Thessalonicher-Brief begonnen. Bekanntlich steht in diesem Brief folgender Satz: ,Er wird kommen wie der Dieb in der Nacht' (vgl.: 4; 13-18. 5; 1-4). Aufgrund dessen, daß Heidegger in der Vorlesung diesen Satz gewählt hat, sagt Gadamer, daß ,,[... ] Heideggers Konfrontation mit dem Problem der Zeit [... ] unter dem Gesichtspunkt der christlichen Erwartung und Verheißung [stand)" (ebd. 249). Gadamer faßt Heideggers Manuskript, das im Spätherbst 1922 abgefaßt wurde und dessen Überschrift ,Phänomenologische Interpretation zu Aristoteles (Anzeige der hermeneutischen Situation)' heißt, als "Heideggers ,theologische' Jugendschrift", weil er die Bedeutung dieses Manuskript des jungen Heideggers darin findet, daß es zeigt: "Wonach er sich auf der Suche befand, war eine angemessene Interpretation und ein anthropologisches Verständnis des christlichen Bewußtseins" (Dilthey-Jahrbuch, Bd. 6 (1989), 228). Diese Suche entfaltet sich dergestalt, daß er in der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Neuscholastik und durch die Aristoteles-Aneignung die Grundzüge des Lebens erhellt. Was aber hinter Heideggers Aristoteles-Aneignung als LebenserheIlung steht, ist nach Gadamer "der eschatologische Aspekt der christlichen Botschaft und der ausgezeichnete Zeitcharakter des Augenblicks" (ebd. 234). Vgl. weiter: Karl Lehmann, "Christliche Geschichtserfahrung und ontologische Frage beim jungen Heidegger" In: ,Philosophisches Jahrbuch', Bd. 74 (1966/67), 129, 143.

184 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Zum anderen begründet sie die Transzendenz des Menschen und gründet sich somit auf der Übersteigung vom Seienden zu dessen Seiendheit. 31 Demzufolge entfernt sich die Philosophie als Metaphysik von der Wahrheit des Seins und von der Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Seingeschichtlich gedacht, ist die Wesung der Wahrheit des Seins die ursprüngliche Geschichte, die "die des Seyns selbst ist und die Entscheidungen aller Entscheidungen in sich trägt" (BzP, 170). Sofern aber das Sein nicht aus der Wesung seiner Wahrheit, sondern nur aus dem Seienden befragt wird, wird das Sein nicht als solches, sondern immer als Seiendheit gedacht. Die Leitfrage im erstanfanglichen Denken lautet: Was ist das Seiende? Diese Frage zielt zwar auf das Sein, aber aus dem Seienden und begreift somit dessen Seiendheit. Das Seiende in seiner Wahrheit wurde dabei seinsgeschichtlich jedesmal anders erfahren und ausgelegt, d.h. "in seinem Aufgang zu ihm selbst (Griechentum); verursacht durch ein Höchstes seines Wesens (Mittelalter); das Vorhandene als Gegenstand (Neuzeit)" (BzP, 171). In der Fortsetzung des ersten Anfangs wurde aber die Wahrheit des Seins als solchen und im Ganzen immer verhüllter und somit nie erfahren. Im ersten Anfang waltet nur der "Vorgriff des Denkens als Leitfaden der Auslegung des Seienden" (BzP, 185). Dieser Vorgriff ist maßstäblich für die Auslegung des Seienden. Im andersanfanglichen Denken aber stellt sich die Grundfrage: Was ist die Wahrheit des Seins? Die Wahrheit wird hier als die Wahrheit des Seins erkannt und gedacht, die Wesung der Wahrheit des Seins ihrerseits als die Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Die Frage nach der Wahrheit des Seins ist in sich die Vorfrage nach dem Sein. c) Das vierfach Ungehobene in der Geschichte der Metaphysik. Das, was die Geschichte der Metaphysik uns als noch Ungehobenes zuspielt, wird von Heidegger wie folgt gefaßt: ,,1. die Seiendheit ist Anwesenheit 2. das Seyn ist Sichverbergen 3. das Seiende steht im Vorrang 4. die Seiendheit ist der Nachtrag und deshalb das ,Apriori'" (BzP, 174). Wir wollen nun das so vierfach gefaßte Ungehobene in Hinblick auf den anderen Anfang präzisieren. aa) Heidegger faßt die Grundbestimmung des Seienden bzw. den dieses bestimmenden Hintergrund im ersten Anfang als "Seiendheit als beständige Anwesenheit" (BzP, 223).32 Diese ist es, von der her alle erstanfanglichen wesentlichen Bestimmungen des Seienden zu gewinnen sind. Das, was seiend ist, ist gerade das, was in Beständigkeit und Anwesenheit sich zeigt. Die Seiendheit ist auf die beständige Anwesenheit entworfen. In dieser beständigen Anwesenheit

Zur Mehrdeutigkeit der ,Transzendenz' vgl. BzP, 24-5, 216, zS, 397. Davon heißt es auch, daß "die Griechen unter Wesen das Wassein von etwas verstehen" und zwar in der Weise, daß sie "überhaupt das Sein des Seienden (die ousia) begreifen als das Beständige und in seiner Beständigkeit ständig Anwesende und als Anwesendes sich Zeigendes und als Sichzeigendes den Anblick Bietendes - kurz: als Anblick, idea" (GA45, 68). 31

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zeigt sich die verhüllte Erfahrung der Zeit als der Entrückung. Denn Beständigkeit meint ,,Ausdauer der Entrückung in Gewesenheit und Zukunft", Anwesenheit ihrerseits "Gegenwart im Sinne der Gesammeltheit der Ausdauer" (BzP, 192, vgl. 297). Insofern ist die Zeit als Entrückung schon im ersten Anfang im Entwurf der Seiendheit auf die beständige Anwesenheit, wenngleich verhüllt, erfahren. Die so verhüllt erfahrene Zeit, d.h. "die ,Zeit' als Anwesung sowohl wie als Beständigkeit (in einem gedoppelten und verschlungenen Sinne von ,Gegenwart')", bildet das Offene, "aus dem her das Seiende als Seiendes (das Sein) die Wahrheit hat" (BzP, 188, vgl. 316, 373). So kommt eine eindimensionale Zeit, d.h. die Zeit als Gegenwart, im ersten Anfang für die Wahrheit des Seienden als solchen ins Spiel. Wenngleich die ousia als ,Substanz' zeit-frei angesetzt wird, bestimmt sie sich je nachdem als unendliche (Platon) oder endliche (Aristoteles), d.h. hinsichtlich der Zeit. Die Zeit selbst als dreifache Entrückung wird aber im ersten Anfang nicht befragt. Indem die zeitliche Kennzeichnung im ersten Anfang zur jeweiligen Unterscheidung des Seienden gebraucht wird, wird die Zeit nur als "die Zahl des Veränderlichen, das Zählbare, d.h. die Ordnungsform desselben, also die Zeit als Rahmen" (BzP, 223) gefaßt. Der Bezug von ,Sein und Zeit' bleibt im ersten Anfang ein selbstverständlicher, aber nur äußerlicher Bezug. Dieser äußerliche Bezug ist der Rahmen der Metaphysik, über den diese nicht hinaus kommt. Im anderen Anfang aber leuchtet die dreifach gefügte Zeit als Wahrheitsgefüge des Seins aue) Die ursprüngliche volle Wahrheit des Seins aber gründet sich nicht nur auf die Zeit, sondern auch auf den Raum. Die Zeit ist zwar die "mögliche Wahrheit für das Seyn als solches" (BzP, 189). Aber die Zeit steht insofern im wesentlichen Bezug zu dem Raum, als sie auf das Da des Da-seins bezogen ist. In der Bezogenheit auf das Da des Da-seins geschehen Zeit und Raum ursprünglich als Zeit-Raum. Dieser ist als solcher keine Verkoppelung, sondern der Ursprung, woraus Zeit und Raum entspringen und wohin sie zusammengehören. Insofern weist der Zeit-Raum in das Wesen der Wahrheit als lichtende Verbergung. Im ersten Anfang wurde "nur die Anwesung faßbar und maßstäblich für alle Auslegung des Seienden festgehalten" (BzP, 261), aber nicht der Zeit-Raum selbst, welcher zum Wesen der Wahrheit gehört. Zeit (als Gegenwart) und Raum (als Hier und Dort) sind im ersten Anfang "innerhalb der Anwesenheit und ihr zugehörig" (BzP, 261). Im andersanfanglichen Denken aber werden Zeit und Raum ursprünglich aus der Zeitigung-Räumung gedacht, welche "nächster Fügungsbezirk für die Wahrheit des Seyns" (BzP, 261) ist. Die Seiendheit, die im ersten Anfang aus der Gegenwart allein als beständige Anwesenheit gedacht ist, wird im anderen Anfang aus der dreifachen Zeitigung-Räumung als die Wesensentfaltung des Seins begriffen. )) "Zeit" in ,Sein und Zeit' ist "der erst zu bedenkende Vorname für die allererst zu erfahrende Wahrheit des Seins" (EzWiM, 377). ",Sinn von Sein' und ,Wahrheit des Seins' sagen das Selbe" (ebd).

186 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

bb) Das, was in der Geschichte der Metaphysik sich ereignet hat, faßt Heidegger als "das Vorspiel des Ereignisses selbst als der Wesung des Seyns" (BzP, 174). Die Frage nach dem Seienden als solchem ist schon ein Grundgeschehen. Denn der Mensch hat mit dieser Frage als einem bestimmten Eröffnen des Seienden als solchen seine entsprechende Wesensbestimmung erfahren: der Mensch als homo animal rationale. Das erstanfangliche Denken erflihrt zwar die Wahrheit des Seienden als solchen, fragt aber nicht nach der Wahrheit als solcher. Der Grund des Nichtfragens fmdet sich aber nicht im Unvermögen der griechischen Denker, sondern in der Übermäßigkeit des Seienden als Seienden, welche das erstanfangliche Denken durchstimmt. In solcher Weise hat sich das Sein verweigert. Aus dem Wissen um die Verweigerung des Seins enthüllt sich der Nihilismus als ihre Folge. Dies bedeutet, daß erst aus dem Wissen um die Verweigerung des Seins die erstanfiingliche Geschichte als solche zum Vorschein gebracht und "aus dem Anschein der Vergeblichkeit und bloßen Irre herausgenommen" (BzP, 175) wird. Das andersanfangliche Denken geschieht aus der Nötigung der Zueignung der Geschichte des Sichverbergens des Seins. Das andersanfangliche Denken erfahrt die Wahrheit des Seins und fragt nach dem Sein in der Wahrheit, "um so erst die Wesung des Seyns zu gründen und das Seiende als das Wahre jener ursprünglichen Wahrheit entspringen zu lassen" (BzP, 179). cc) In der Leitfrage34 des erstanfanglichen Denkens hat Seiendes immer Vorrang vor dem Sein. Das Seiende selbst bleibt maßstäblich rur die Seiendheit. Daher ist das ,Apriori' nur "die Verschleierung der Nachträglichkeit des Seins" (BzP, 183). Unter dem Vorrang des Seienden wird auch die Wahrheit nur als "ein Charakter des Seienden als solchen" (BzP, 185) gefaßt. In der erstanfanglichen Geschichte wird das Sein nicht aus der Wesung der Wahrheit des Seins, sondern vom Seienden her als die Seiendheit des Seienden er-dacht. Im Erdenken, d.h. im er-eigneten Denken des Seins als Seiendheit, waltet das Sein "um des Seienden willen" und "im Dienste des Seienden" (BzP, 229). Im andersanfanglichen Denken ist das Seiende selbst "umwillen des Seyns" (BzP, 230). Anders gesagt, alles Seiende wird "dem Seyn geopfert, und von da aus erhält erst das Seiende als solches seine Wahrheit" (BzP, 230). Im übergänglichen Denken, das zu der andersanfanglichen Geschichte gehört, bereitet sich "die ursprünglichste und deshalb geschichtlichste Entscheidung" (BzP, 229), d.h. die Wesung der Wahrheit des Seins, vor. Mit dieser Wesung geschieht die andersanfiingliche Geschichte, in der das Seiende um des Seins willen, d.h. als Bergung der Wahrheit des Seins, ist.

34 Die Frage nach dem Seienden als solchem nennt sich die Leitfrage, weil von dieser "der Anfang der abendländischen Philosophie und deren Geschichte bis zum Ende in Nietzsche geleitet war" (BzP, 75).

Kap. 1, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

187

dd) Im erstanfanglichen Denken wird die Wesung der Wahrheit des Seins nicht als solche gefragt. Vielmehr wurde von der Wahrheit des Seienden als solchen her allein die Seiendheit als Vor-gängiges gefaßt. Was die Metaphysik mit dem Apriori meint, ist diese Vorgängigkeit der Seiendheit vor dem Seienden. Seinsgeschichtlich wird das Apriori dem ego percipio und damit dem ,Subjekt' zugewiesen, wobei jenes die "Vorgängigkeit des Vor-stellens" (BzP, 223) bedeutet. Im andersanfanglichen Denken aber ist "die Wahrheit des Seyns und die Wesung des Seyns [... ] weder das Frühere noch das Spätere" (BzP, 223). Denn aus und in der Wahrheit des Seins geschehen die Wesung des Seins und das Zum-Vorschein-Kommen des Seienden zugleich. 35 Das Erscheinen des Seienden und die Wesung des Seins sind ,gleichzeitig' (vgl. BzP, 349).

b) Die Geschichte der Leitfragebehandlung unter der Herrschaft des Platonismus

a) Die Geschichte der Metaphysik als ,Sein und Denken'. Was die Metaphysik wesentlich kennzeichnet, ist das vor-stellende Denken. Dieses ist der wesentliche Leitfaden der Leitfrage der Metaphysik. Im ersten Anfang hat also das Denken den Vorrang. Dieser Vorrang wird in der Auffassung des Menschen als animal rationale verfestigt. Insofern faßt Heidegger das Denken-ratioVernunft als "Leitfaden und Vorgriff der Auslegung der Seiendheit" (BzP, 183). Im ersten Anfang ist die leitende Grundstellung der Metaphysik der bestimmte Bezug zwischen Seiendheit und vor-stellendem Denken. Insofern kennzeichnet Heidegger mit dem Titel ,Sein und Denken' die Geschichte der Metaphysik. ,Sein' in diesem Titel meint "Seiendheit als das ,Generelle' für das Seiende" (BzP, 196). ,Denken' besagt hier "das Vor-stellen von etwas im Allgemeinen" (BzP, 196).36 Insofern wird mit dem Titel ,Sein und Denken' gemeint, daß die Seiendheit aus dem vor-stellenden Denken, aber nicht aus der Wahrheit selbst ausgelegt wird (vgl. EidM, 127). Das Vor-stellen gibt als Gegenwärtigung den Bezirk vor, "in dem das Seiende auf beständige Anwesenheit begriffen wird" (BzP, 196). Dafür aber muß derjenige Bereich schon eröffnet sein, worin erst aus dem vorstellenden Denken die gegenwärtigende Auslegung der Seiendheit vollzogen werden kann (vgl. GA45, 139, zSdD, 71). Dieser Bereich wird im frühen Denken Heideggers als ,Zeit' qua dreifach gefügter Ent-

35 Es gehört zur Wahrheit des Seins, daß "das Sein nie west ohne das Seiende, daß niemals ein Seiendes ist olme das Sein" (NzWiM, 306). 3~ Für die Zweideutigkeit des Denkens, d.h. das Denken sowohl als "Name für die Art des Fragens" wie als "Name für den Leitfaden" der "Auslegung der Seiendheit" vgl. BzP, 457, BüH, 314. Das Denken als eine Art des Fragens ist es, daß "den Bezug des Seins zum Wesen des Menschen" "vollbringt" (BüH, 313). Als solches ist das Denken "Gelassenheit in die Verweigerung des Brauchs" (NzWiM, 309).

188 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

wurfsbereich, in seinem späten Denken als Wahrheit gedacht, dessen Grundgeruge der Zeit-Raum ist. Der Titel ,Sein und Zeit' meint: Die Aufgabe ist es, nicht mehr Sein aus dem Denken als die Seiendheit, sondern Sein aus der ,Zeit' als Anwesen zu fassen. J7 Heidegger faßt diese ,Zeit' als die "Nennung der ,Wahrheit' des Seins" (BzP, 183). Die Wahrheit des Seins ist der Bereich, in dem alles Vor-stellen sich aufhalten muß. Der Zeit-Raum als Grundgeruge der Wahrheit ist in der Metaphysik als vor-stellendem Denken nicht erkannt. Das vor-stellende Denken ist der Leitfaden der abendländischen Philosophie. Erstanfänglich war Denken aber die Ver-nehmung und Sammlung der Unverborgenheit des Aufgehenden und beständig Anwesenden als solchen. Weil aber ,aletheia' als Wahrheit des Seienden als solchen nicht von der Wahrheit als solcher (dem Zeit-Raum) her gegründet wurde, sondern in die Richtigkeit absank, ist das Denken seins geschichtlich nur das Vermögen der Auslegung des Seins als Seiendheit des Seienden des Seienden von dem eindimensionalen Offenen her geworden. Das Absinken der ,aletheia' in die Richtigkeit bedeutet zugleich das Ausbleiben der Gründung des Spielraums der Richtigkeit. Die Wahrheit des Seins als Spielraum der Richtigkeit bleibt in ihrem Wesen nicht erkannt, was rur uns die seinsgeschichtliche Aufgabe des Rückgangs von der Richtigkeit in die Wahrheit des Seins ergibt. 38 Der bestimmte Bezug des Denkens zum Sein zeigt sich schon bei Platon. Sofern ,idea' bei ihm als ,eidos', ,koinon-koinonia', ,agathon-kalon' ausgelegt wird, wird die ,psyche' dementsprechend als ,idein-noein-nous', ,dialegesthailogos', ,eros' verstanden (vgl. BzP, 210). Dabei war das ,noein' (logos) aber nicht schon im ,Ich' festgemacht, sondern es blieb als ,psyche' und ,zoe' (vgl. WhD, 96, 124). Trotzdem ist ,idea' "immer das Gegenüber, Gegen-stand' (BzP, 210). Die ,idea' ist das wahrhaft Seiende als beständig Anwesendes. Als solches ist sie die im Angesicht stehende Aussicht, d.h. das Gegenüber vom Menschen. Damit bekommt der Mensch eine eindeutige Stellung, die fortan gültig ist: Der Mensch ist ,jenes Vorkommende, was auf dieses Gegenüber bezogen und selbst dahin einbezogen" (BzP, 220) ist. Als solcher kann er sich selbst in der Reflexion ein Gegenüber werden (vgl. WhD, 18). So ist die spätere Entfaltung von Bewußtsein schon mit ,idea' als dem Gegenüber vorbereitet. Der bestimmte Bezug zwischen Denken und Sein wird seit Descartes zur Subjekt-Objekt-Beziehung. Das Denken wird zu ,Ich-denke etwas', dies wieder zu ,ich denke Einheit von etwas vorweg'. Das Denken setzt also vorgreifend-

37 Dazu: "Die Leitfrage [... ] muß sich zur Grundfrage wandeln, die nach dem ,Und' von Sein und Zeit und so nach dem Grunde beider fragt. Die Grundfrage lautet: Was ist das Wesen der Zeit, daß Sein in ihr gründet und in diesem Horizont die Seins/rage als Leitproblem der Metaphysik entfaltet werden kann und muß?" (GA 31 (1930), 116). 3K Die Wahrheit des Seins als Spielraum der Richtigkeit ist insofern "die Freiheit", als sie "aus der in-sistenten Ek-sistenz des Daseins begriffen" (WdW, 198, vgl, 186, GA 54, 221-22) wird.

Kap. 1, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

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einigend die Einheit des Begegnenden und läßt so dieses als das Seiende sich begegnen. Das Denken ist "Vorweggabe der Anwesenheit als solcher" (BzP, 198). Es wird zum Grund der Seiendheit des Seienden und zwar als Vorweggabe der Einheit. Das denkende Ich als cogito me cogitare wird dabei als "die eigens sich zugehörige Identität" (BzP, 199) begriffen. Diese ist das sich wissende Wissen, d.h. das Wissen selbst. Das Wissen als Sichwissendes ist die höchste Identität, d.h. das eigentlich Seiende. Als dieses bedingt das Wissen in seiner Weise, d.h. durch Wissen, alle andere Gegenständlichkeit. Das absolute Wissen als unbedingtes Denken ist nun "das maßgebende und zugleich alles begründende Seiende schlechthin" (BzP, 200). Dies bedeutet: Der Leitfaden der Leitfrage der Metaphysik ist nicht nur ein Hilfsmittel des Verfahrens im Denkvollzug, sondern die "Horizontgebung für die Auslegung der Seiendheit (BzP, 200). Die Geschichte des ,Leitfadens' erreicht die "Horizontverfestigung im absoluten Wissen" (BzP, 201). Die Geschichte des vor-stellenden Denkens ist die erstanfangliche Geschichte des Seins, das vom vor-stellenden Denken vorweggenommen wird, was der Titel ,Sein und Denken' kennzeichnet. b) Die Geschichte der Metaphysik als Platonismus. Die spätere Bestimmung der Seiendheit als Gegenständlichkeit fmdet ihre Wurzel in der Auslegung des ,on' als ,idea'. Dies bedeutet, daß die Geschichte der Metaphysik unter der Herrschaft des Platonismus steht. Der Begriff ,idea' besagt das Aussehen von etwas, d.h. das, als was etwas sich gibt. Zwar bezieht sich ,idea' auf ,idein' (,noein' ). Aber ,idea' meint zuerst nicht so etwas wie das Vor-gestellte des Vorstellens, sondern "das Auftcheinen des Aussehens selbst, was die Aussicht bietet für ein Hinsehen" (BzP, 208). Was das Wort ,idea' anzeigt, ist nicht ihr Bezug zum ,Subjekt', sondern ihre Anwesung für das Hinsehen und zwar "als das, was anwesend zugleich Bestand gibt' (BzP, 209). Dieser Wesenszug der ,idea' aber wird später mißverstanden: ",idea' als Anwesung des Was und ihre Beständigkeit (dies aber gerät unbegriffen in Vergessenheit und wird mißdeutet zum ens entium als aeternum!)" (BzP, 214). Im Charakter des Aufscheinens liegt das Moment der essentia, im Charakter des Bestehens liegt das Moment der existentia. In der ,idea' liegt also "der Ursprung der Unterscheidung in das ,ti estin' (essentia, quidditas) und ,hoti' (existentia) in der Zeitlichkeit der ,idea'" (BzP, 209).39 Bei Platon ist das Seiende als solches seiend im Aussehen

39 Die Seiendheit des Seienden wird in ti estin und hoti estin unterschieden, d.h. in "Verfassung (Washeit, essentia)" und "die ,Weise' (Daß- und Wie-sein, existentia)" (BzP, 270). Diese Unterscheidung entspringt aus der "Seiendheit des Seienden" und gehört somit zu einer "Wesung des Seyns" (ebd). Sofern jede Verfassung ihre Weise hat, jede Weise ihrerseits diejenige einer Verfassung ist, gehört bei des zusammen. Die Unterscheidung von Verfassung und Weise ist "der Hinweis auf ein verborgenes einigesreicheres Wesen der Seiendheit" (BzP, 271). Insofern wird die Verfestigung des Seins als essentia und existentia als "eine bestimmte Verarmung eines in sich reicheren Wesens des Seyns und seiner Wahrheit (ihre Zeit-Räumlichkeit als der Abgrund)" (ebd) gefaßt. Sofern die Seiendheit als eine Wesung des Seins die Seiendheit des Seienden ist,

190 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

und in der beständigen Anwesenheit. Sofern jede Weltanschauung auf "das Bilden einer ,idea'" (BzP, 211) angewiesen ist, geht der Platonismus in der Gestalt der Weltanschauung weiter. Dort, wo ,Weltanschauung' herrscht und das Seiende bestimmt, kommt Platonismus unerkannt ins Spie1. 40 Der Platonismus als Lehre von den Ideen qua der Seiendheit des Seienden ist nicht ,Idealismus', sondern er ist ,Realismus' aber nicht deshalb, weil "er die Außenwelt an sich nicht leugnet", sondern deshalb, weil er "die idea als das Wesen des on, als realitas der res lehrte" (BzP, 215). Das ,Ich'-stelle-vor als Sichvorstellen liegt bei Descartes noch "in der Jedesmaligkeit des gerade jeweiligen Ich" (BzP, 202). Das so vorgestellte Ich entspricht nicht selbst der ,idea', wenngleich es der Grund des VorsteIlens der ,idea' ist. Es ist noch nicht das ,koinon' und ,aei'. Das Sichvorstellen wird bei Leibniz zur Monade, bei Kant zur transzendentalen Apperzeption und bei Hegel zum Sichwissen im absoluten Sinne (vgl. WhD, 36). Dieses Sichwissen ist zugleich das Wissen um die Notwendigkeit des Bezugs zwischen Ich und Gegenstand. Das Sichwissen ist als Wissen jener Notwendigkeit "ab-gelöst von der Einseitigkeit und so absolut" (BzP, 202, vgl. Holz, 136). In diesem absoluten Wissen bleibt das Vorgestellte, wie im göttlichen Vorstellen, als ,Idee'. Die Lehre des absoluten Wissens gehört daher zum Idea-lismus, der noch nicht bei Augustinus, sondern erst seit Descartes entwickelt wurde. Bei Hegel wird "das absolute Sichselbsterscheinen des Absoluten als ab-solutes Wissen" (BzP, 212) zum Begriff der ,Idee' .41 In Hegels Begriff der Idee sind alle ihre wissenschaftlichen Bestimmungen in ihrer Geschichte "vollendet enthalten" (vgl. BzP, 213, Wegmarken, 433, 439) und "geeinigt im Wesen des sich vermittelnden absoluten Wissens" (BzP, 213). Hegel hat mit der Begründung der ,Idee' als Wirklichkeit des Wirklichen die ganze Geschichte der Philosophie als die notwendige Geschichte des absoluten Sichselbstwissens in seinem notwendigen Sichentwickeln begriffen. Heidegger faßt diese Geschichte der Philosophie als "die erste philosophische Geschichte der Philosophie", aber auch als "die letzte und letztmögliche zugleich dieser Art" (BzP, 214). Die nach Hegel kommende Philosophie ist, seinsgeschichtlich gesehen, der Abfall der Platonischen Metaphysik in Positivismus, Lebensphilosophie, Schul-

gründet diese "schon auf der verborgenen und nicht zu bewältigenden ,Unterscheidung' von Seyn und Seiendem" (BzP, 272). Vgl. N. 11,407, WhD, 162. 40 Dazu: "Wohl [... ] ist dies, daß sich für Platon die Seiendheit des Seienden als eidos (Aussehen, Anblick) bestimmt, die weit vorausgeschickte, lang im Verborgenen mittelbar waltende Voraussetzung dafür, daß die Welt zum Bild werden muß" (ZdW, 91). 41 Dazu: Nicht nur die Anwesenheit des Anwesenden, sondern auch das Sein des gewußten ,Ich', d.h. "das Sein dessen, was in der Gewißheit das Gewußte ist, hat den Grundzug des Anwesens. Es west als Erscheinen. Aber im Anwesen des Wissens, d.h. des subjectum im Sinne der res cogitans, ist das Erscheinen nicht mehr das Sichzeigen der idea als eidos, sondern der idea als perceptio" (Holz, 196).

Kap. 1, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

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ontologie usw. Wissenschaftlich gesehen, ist dieser Abfall die Verbreitung vieler Kenntnisse über die Idee und ihre Geschichte. Im deutschen Idea-lismus wird die Wahrheit zur Gewißheit. Weil der deutsche Idea-lismus "zu lebensnah" (BzP, 203) war, zeitigte er selbst in gewisser Weise die ihn ablösende Unphilosophie des Positivismus. Der Positivismus enthält als maßgebende Begriffe ,Sinnlichkeit' und ,Kausalität'. Dies bedeutet: Der Positivismus enthält schon eine ganz bestimmte Entscheidung über die Seiendheit und ist als solcher metaphysisch. 42 Heidegger faßt den das ,Leben' als Grundwirklichkeit ansetzenden Biologismus als "den äußersten und zugleich verfänglichsten Ausläufer des ,Idea-lismus'" (BzP, 221). Im Gesichtskreis des Biologismus ist das Leben zum einen Handeln bzw. Tun, das als ein Weiter- und Fort-gehen über sich hinaus auf ,Sinn' und ,Wert' gerichtet ist. Zum anderen ist das Leben ,Er-leben' und ,Wirken'. Diese Auslegung ist scheinbar ,realistisch', aber höchst ,idealistisch', weil sie schon die metaphysische Entscheidung über die Seiendheit in sich enthält. Nietzsches Auffassung der Seiendheit als Werden ist als Umkehrung des Platonismus "der letzte Ausweg am Ende der Metaphysik" (BzP, 182). Trotz einer solchen Umkehrung bleibt er mit seiner Auslegung als Gegner innerhalb des überlieferten Rahmens der Metaphysik. Er hat die Seins frage nie ursprünglich gestellt. Nietzsches Wendung von ,vorplatonisch' (vgl. SdA, 322) zeigt schon die Herrschaft des Platonismus in den verschiedenen Richtungen und Gestalten. Er versteht das Werden (Sein) aus dem Wirklichen (Seiendem). Insofern bleibt er in der Metaphysik hängen (vgl. ÜdM, 75). Wenngleich sich Nietzsches Philosophie als Umkehrung des Platonismus begreift, fällt sie in diesen zurück. Wenngleich Nietzsche ein "übergehender Denker" (BzP, 219) ist, zu dem "ein vorläufiger Übergang" (WhD, 21) gehört, hat er die Leitfrage als solche nicht erkannt und den Übergang zur Grundfrage nicht vollzogen. Zu Nietzsches metaphysischer Grundstellung gehört die Frage der ,Rangordnung' des Menschseins: Herr und Knecht (vgl. WhD, 24f). Diese Frage bleibt aber nur eine "übergängliche Frage" (BzP, 224). Um den Menschen als den Gründer der Wahrheit zu gründen und die Eröffnung der Wahrheit zu vollziehen, muß eine ursprünglichere Frage gestellt werden. Diese Frage ist "diejenige nach dem Zeit-Raum, d.h. die Wahrheitsfrage als anfängliche Frage nach dem Wesen des Wahren" (BzP, 224). Die Geschichte der Metaphysik von Platon bis Nietzsche hält Heidegger für die Folge der entscheidenden Auslegung des ,on' als ,idea'. Diese Auslegung ist der Anfang der Geschichte des Platonismus. Diese Geschichte meint nicht Abwandlungen der Platonischen Lehre, sondern die Geschichte der Leitfragebehandlung unter der wesentlichen Herrschaft des Platonismus. Platonismus ist

42 Dazu: "Die Metaphysik begründet ein Zeitalter, indem sie ihm durch eine bestimmte Auslegung des Seienden und durch eine bestimmte Auffassung der Wahrheit den Grund seiner Wesensgestalt gibt" (ZdW, 75).

192 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

der seinsgeschichtliche Begriff von "derjenigen Frage nach dem Sein, die nach der Seiendheit des Seienden fragt und das so gefaßte Sein in den Bezug stellt zum Vor-stellen (Denken)" (BzP, 216). Als solcher ist Platonismus die Kennzeichnung der Geschichte der Metaphysik, die ihren Anfang in der Auslegung des ,on' als ,idea' findet.

c) Die Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes und das Wesen der Wahrheit als lichtende Entbergung

a) Der kritische Rückgang von der Richtigkeit in die Wahrheit. Im anders anfänglichen Denken wird die Wahrheit nicht als Richtigkeit, sondern als die Offenheit selbst begriffen. Die Wahrheit als Offenheit ist in ihrem Geschehen nur möglich auf Grund des Menschen als des Da-seins. Insofern schließt die Wahrheitsfrage die Frage, "wer der Mensch ist" (BzP, 329) ein. Die Wahrheitsfrage zielt zuletzt auf "die Gründung des Menschseins im Da-sein als dem vom Seyn selbst ernötigten Grunde seiner Wahrheit" (BzP, 338). Dies bedeutet: "aus der Wahrheit des Seyns (und d. h. aus der Wesung der Wahrheit) das Da-sein entspringen lassen, um darin das Seiende im Ganzen und als solches, inmitten seiner aber den Menschen zu gründen" (BzP, 8). In der Entfaltung der Wahrheitsfrage faßt Heidegger ihren Ansatzpunkt als den "kritische[n] Rückgang von der Richtigkeit zur Offenheit" (BzP, 338). Dieser Rückgang vollzieht sich in der Weise der kritischen Besinnung und der geschichtlichen Erinnerung. 43 Sofern ,Wahrheit' die Richtigkeit des Vorstellens, d.h. die Übereinstimmung der Aussage (des Satzes) mit der Sache, besagt, setzt sie eine ausgezeichnete Offenheit voraus, d.h. ,jene vierfach einige Offenheit des Dinges, des Bereiches zwischen Ding und Mensch, des Menschen selbst und des Menschen zum Menschen" (GA45, 24). Wenn es eine solche Offenheit nicht gäbe, wäre ein Sichrichten des VorsteIlens des Menschen als des Mitseienden nach dem Ding unmöglich. Die vierfach einige Offenheit, welche die Wahrheit als Richtigkeit voraussetzt, ist "der Grund der Möglichkeit der Richtigkeit und als dieser Grund etwas der Frage und Nachfrage Würdiges" (GA45, 24). Aus der so zu fassenden kritischen Besinnung entspringt die Notwendigkeit der Wahrheitsfrage. Die geläufige Bestimmung der Wahrheit als Richtigkeit, die zugleich der Ansatz der ursprünglicheren Wahrheitsfrage ist, wurde "bei Platon und vor allem bei Aristoteles" (GA45, 204) erreicht. Die Griechen benannten mit dem Wort ,aletheia' (Unverborgenheit) das, was bei uns ,Wahrheit' heißt. Zwar haben die griechischen Denker des ersten Anfangs "die Unverborgenheit des Sei43

36.

Vgl.: Shin Sang-hie, ,Wahrheitsfrage und Kehre bei Martin Heidegger', § 11, 129-

Kap. I, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

193

enden" (GA45, 204) erfahren, sie haben aber die Unverborgenheit selbst nicht befragt, so daß diese weder "in ihrem Wesen entfaltet" noch "auf den Grund gebracht" (GA45, 205, vgl. 218) wurde. Vielmehr ist die Erfahrung der ,aletheia' selbst verloren gegangen, was ein einzigartiges Geschehnis innerhalb der erstanfänglichen Geschichte ist. Heidegger spricht so davon, daß, "als es galt, das Wesen der Wahrheit selbst ins Wissen zu heben, die aletheia zur homoiosis (Richtigkeit) wurde" (GA45, 205). Sofern sowohl die kritische Besinnung auf den ermöglichenden Grund der Richtigkeit als auch die geschichtliche Erinnerung an die Herkunft der Bestimmung der Wahrheit als ,homoiosis' uns auf die Offenheit (Unverborgenheit) führt (vgl. BzP, 338), verliert der Ansatz des ursprünglicheren Wesens der Wahrheit als Offenheit den Anschein einer Willkür. Die griechischen Denker haben nicht wegen des "Unvermögen[s] ihres Denkens", sondern wegen der "Übermacht der allerersten Aufgabe: Vom Seienden selbst als solchem erstmalig zu sagen" (GA45, 206) "die Frage nach dem Wesen und Grund der aletheia selbst" (GA45, 205) nicht gestellt. Sofern die Seinsverlassenheit als Folge des Unbefragtseins der Wahrheit selbst verstanden wird, entspringt aus der geschichtlichen Erinnerung die Notwendigkeit der Wahrheitsfrage. b) Die Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes. Wir wollen nun die Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes enthüllen, um das Wesen der Wahrheit zu begreifen. Die Enthüllung der Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes vollzieht sich nur als geschichtliche Besinnung. Sie meint nicht das historische Berichten über die Meinungen über den Wahrheitsbegriff, sondern den Vollzug der Frage danach, "welche Grundbewegungen des Wesens der Wahrheit und ihrer Auslegungsbedingungen die abendländische Geschichte trugen und tragen werden" (BzP, 359). In der Geschichte des ersten Anfangs findet Heidegger die beiden ausgezeichneten Grundstellungen bei Platon und Nietzsche. Bei Platon wird noch "ein letztes Aufscheinen der ,aletheia'" (BzP, 359) deutlich, obwohl es im Übergang zur Richtigkeit und so zur Wahrheit der Aussage liegt. 44 Bei Nietzsche wird die ,Wahrheit' "in den wesentlichen Gegensatz und damit in die Zusammengehörigkeit mit der Kunst gebracht" (BzP, 359). Dabei sind diese beiden die Grundweisen des Willens zur Macht als des

44 Die geschichtliche Besinnung auf das erste Aufscheinen vollzieht sich in der Weise der "Auseinanderseztung mit den wesentlichen Schritten in den Grundbewegungen der großen griechischen Philosophie zwischen Anaximander und Aristoteles" (GA45, 221). Die Schritte nennt Heidegger wie folgt: "I. Das unausgesprochene Aufleuchten der aletheia im Satz des Anaximander 2. Die ersten, wenngleich nicht eigens auf eine Begründung gerichteten Entfaltungen der aletheia bei Heraklit und Parmenides, bei den Tragikern und Pindar 3. Das letzte Aufleuchten der a1etheia innerhalb der philosophischen Leitfrage nach dem Seienden (ti to on;) bei Platon und Aristoteles 4. Das Verlöschen der aletheia und ihre Verwandlung zur homoiosis (Richtigkeit) 5. Der mittelbare vermittelte Übergang von der aletheia zur homoiosis auf dem Umweg über die Unrichtigkeit (Falschheit - pseudos)" (GA45, 222, vgl. EidM, § 36-59, GA 54, 117-23).

13 Cheong (PHS)

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Wesens des Seienden (essentia). Die existentia dieses Seienden nennt sich die ewige Wiederkehr des Gleichen. Anfänglich wurde ,aletheia' als die Offenheit des Seienden als solchen erfahren. 45 Diese Erfahrung wurde von Platon in einer bestimmten Hinsicht ausgelegt. Von ihm wurde ,aletheia' als ,zygon' (Joch: das Verknüpfende selbst) (vgl. BzP, 198) qua Beziehung zwischen ,psyche' und ,on' bestimmt. Der Wandel des Wahrheitsbegriffes von ,aletheia' zum ,zygon' bei Platon (a) geht weiter, so daß dieses über ,homoiosis' zur rectitudo (b), diese wieder zur certitudo (c) gewandelt wird. In der Geschichte des Wandels des Wahrheitsbegriffes ist Nietzsehe derjenige, der am Ende dieser Geschichte erstmal die Frage nach der Wahrheit, aber doch unter der Herrschaft des Platonismus, gestellt hat (d). aa) Die ,aletheia' wird bei Platon zur Helle (,phos'). Diese ist einerseits die Unverborgenheit des Seienden als solchen, andererseits der Durchgang für das Vernehmen. Sie betrifft als solche "den Bereich der jeweiligen Zukehrseiten von Seiendem und Seele" (BzP, 332). Sie ergibt als solche die Notwendigkeit der Verknüpfung von Seiendem und Seele. Was anfänglich als die Offenheit des Seienden als solchen erfahren wurde, d.h. ,aletheia', wird bei Platon so zum ,zygon' und so "ins ,Joch' gezwängt" (BzP, 332) und "ins ,Joch' der Richtigkeit gespannt" (BzP, 333).46 Indem die ,aletheia' zur Helle wird, geht der Charakter des a-privativum der a-letheia verloren. Dies bedeutet: Der Charakter der Verborgenheit und Verbergung, den die ,aletheia' als a-letheia in sich hält, wird nie mehr befragt. Da nur das ,Positive' der ,aletheia' in Ansatz gebracht wird, ist sie nun das frei Zugängliche und Zugang Gewährende. Die Zugänglichkeit ist hinsichtlich des offenbarmachenden Vernehmens die Offenbarkeit des Seienden. Die ,aletheia' wird die zugängliche Unverborgenheit des Seienden, so daß sie nur als diejenige gedacht wird, die "die Seiendheit (,physis', Auf-gang), ,idea', Gesichtetheit ausmacht" (BzP, 332). Die Platonische Bestimmung der ,aletheia' als ,zygon' ist seinsgeschichtlich als ihre erste Bestimmung schon "die wesentliche Einschränkung" (BzP, 332), die die Bahn der Auslegung der ,aletheia' als Richtigkeit eröffnet hat. Was hier unbefragt bleibt, ist die Offen-

45 Die ältesten Belege für ,aletheie' und ,alethes' findet Heidegger bei Homer (vgl. Wegmarken, 443, GA 54, 6-7) und einen weiteren Beleg für ,aletheia' bei Parmenides (vgl. Wegmarken, 439, GA 54, 48, 193, GA 55, 363 Anmerkung 3). Die ,aletheia' als Unverborgenheit und Entbergung spielt im Hen des Parmenides, im Logos des Heraklitus, in der Idea des Platon und in der Energeia des Aristoteles (vgl. Wegmarken, 441, SdA, 352, 371). Sofern ,physis' im anfänglichen Sinne das sich verbergende Entbergen besagt, legt Heidegger das Fragment 123 des Heraklit (physis kryptesthai philei) wie folgt aus: "physis ist aletheia, Entbergung und deshalb kryptesthai philei" (Wegmarken, 301). 4h Sofern die idea des Guten selbst "Herrin" ist, "indem sie Unverborgenheit (dem Sichzeigenden) gewährt und zugleich Vernehmen (des Unverborgenen)" (vgl. Politeia VII, 517 c. 4), kommt die aletheia "unter das Joch der idea" (PLvdW, 230).

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heit als solche. Damit ist auch die Frage nach der Verborgenheit und Verbergung (dem ,a'-Charakter der ,a-letheia') als solcher nicht gestellt. bb) In der Ansetzung des ,zygon' (Joch als Verknüpfung von Seiendem und Seele) wird die Wahrheit zweiseitig in Anspruch genommen, d.h. als Unverborgenheit des Seienden als solchen und als Sichtbereich des Ersehens und Erfassens. Damit wird die Setzung der Wahrheit als Richtigkeit schon vorbereitet. 47 Die ,aletheia' ist der Grund der Richtigkeit dergestalt, daß sie in der Richtigkeit als deren Grund west. Als solche ist ,aletheia' ,homoiosis'. Diese ist noch ,aletheia' und ruht auf diesem Grunde. 48 Wenn aber das Joch nur als das Verknüpfende selbst und nicht als der Grund des Übereinkommens gefaßt wird, wird ,aletheia' nur zur bloßen Richtigkeit, die sich nicht mehr auf jene gründet. Damit geht die ,aletheia' als solche verloren. Über die ,homoiosis' wird ,aletheia' zur rectitudo (Sichrichten nach). Gemäß der Richtigkeit als rectitudo findet sich der Mensch "nur in einem Gegenüber (,psyche' - ,antikeimenon', cogito - cogitatum, Bewußtsein - Bewußtes)" (BzP, 355). Aus diesem Gegenüber und für dieses wird die ,Transzendenz' angesprochen, in deren Herrschaft die Verhülltheit und Verstelltheit des Da-seins gründet. Der Vorrang der Richtigkeit macht den Anspruch auf "Erklärung im Sinne der Herleitung des Seienden als Herstellbaren aus anderem Seienden" (BzP, 357-58) selbstverständlich. Das Unerklärbare (,Transzendente') bleibt dabei nur der Abkömmling der Erklärungssucht. cc) Wenn das Vor-stellen sich auf sich selbst bezieht und in solcher Weise seiner selbst habhaft wird, ist es seiner selbst gewiß. Daher ist das Vor-stellen des Ich-stelle-vor nämlich die Gewißheit, d.h. das von sich gewußte Wissen. Mit dem Vor-stellen des Ich-stelle-vor verliert die Vernunft ihre Würde als das Vermögen, "die Seiendheit im Ganzen unmittelbar zu vernehmen", und wird 47 Bei Platon ist es die ,Wahrheit', die einerseits den "Charakter des Seienden" hat und andererseits "die Richtigkeit" (PLvdW, 231) gewährt. "Die Zweideutigkeit" des Wahrheits begriffes von Platon "offenbart sich in aller Schärfe dadurch, daß von der aletheia gehandelt und gesagt und gleichwohl die orthotes gemeint und als maßgebend gesetzt wird [.. .]" (ebd). Heidegger liest auch bei Aristoteles (vgl. Met. VIII, 10, 1051 a, 34 sqq. und V, 4, 1027 b, 25 sq. ) die Zweideutigkeit in der Wesensbestimmung der Wahrheit ab. Demzufolge ist auch für ihn die Wahrheit einerseits "der alles beherrschende Grundzug des Seienden", andererseits "das Wahre", das nicht in dem Seienden, sondern "im Verstand" (PLvdW, 232) ist. Sofern sich das Wahre nur zum Gegenfall des Falschen wandelt und die Wahrheit der Aussage auf ihre Übereinstimmung mit dem Sachverhalt gründet, wird die Wesensprägung der Wahrheit als der Richtigkeit des aussagenden VorsteIlens "maßgebend für das gesamte abendländische Denken" (PLvdW, ebd). 4M Bei Platon ist die idea, welche das anfängliche Wesen der aletheia (Unverborgenheit) in sich hält, noch der Grund des abgefallenen Wesens der aletheia (Richtigkeit): "Die idea ist nicht ein darstellender Vordergrund der aletheia, sondern der sie ermöglichende Grund. Aber auch so nimmt die idea noch etwas vom anfänglichen, aber unbekannten Wesen der aletheia in Anspruch" (PLvdW, 234).

196 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

somit "unter sich selbst" (BzP, 336) herabgesetzt. Aufgrund dieser Selbsterniedrigung bekommt die Vernunft den Schein einer Herrschaft über das Seiende im Ganzen. Sie bleibt als der Maßstab der Verständlichkeit und Einsichtigkeit (vgl. WhD, 27-8). Diese Einsichtigkeit wird ihrerseits zum "Maßstab dessen, was gilt und geiten kann und d. h. jetzt, was seiend sein und heißen darf' (BzP, 336). Nun bleibt das Sein des Seienden nur das, was "einheimisch, ohne jede Befremdung" (BzP, 336) gefaßt werden kann. In der Herrschaft der Einsichtigkeit als Maßstab der Geltung des Seienden liegt "der Vorrang des Machenschaftlichen, der Maßregeln und des Verfahrens vor dem, was darein eingeht und davon betroffen wird" (BzP, 336). Demzufolge übernimmt die ,Technik' die Herrschaft. Das Sein, das erst in seiner Wahrheit west, ist nun nur als Machenschaft etwas Selbstverständliches. Die Wahrheit bleibt nur als die grenzenlose Gewißheit. Die Seinsvergessenheit breitet sich mit der Seinsverlassenheit aus und legt sich über alles Verhalten des Menschen. Mit der "Umschaltung alles Geschehens in das Machbare und Einrichtbare" (BzP, 337) wird alle Geschichte verleugnet. Denn das Machbare läßt nur eine ,Vorsehung' und ein ,Schicksal' gelten. Da die Entwurzelung der Wahrheit mit der Verhüllung des Wesens des Seins einhergeht, entspricht der Wandel des Wahrheitsbegriffes dem Wandel des Seinsbegriffes. dd) Nietzsche stellt zwar die Frage nach der ,Wahrheit'. Mit dieser aber meint er zumeist ,das Wahre'. Daher ist seine Wahrheitsfrage die Frage nach dem Wesen des Wahren. Nietzsches Wahrheitsbegriff ist zum einen auf ,das Leben' ausgerichtet, das für ihn als Grundwirklichkeit den allgemeinen Charakter des Werdens hat. Zum anderen ist sein Wahrheitsbegriff vom überlieferten Seinsbegriff her bestimmt, gemäß dem das Sein das ,Beständige' und, vom Leben her gesehen, das Festgemachte und so jeweils ,Wahre' ist. Sofern Wahrheit für Nietzsche als ,Wahres' "eine Bestimmung und ein Ergebnis des Denkens und des Vor-stellens" (BzP, 362) ist, wird ein ursprüngliches Fragen nach dem Wesen der Wahrheit nicht vollzogen. Seine Wahrheitsfrage ist also von dem unbefragt von der Überlieferung übernommenen Wahrheits- und Seinsbegriff verhindert und erreicht daher nicht die ursprüngliche Besinnung auf die Wahrheit des Seins. Die Wahrheit Nietzsches ist einerseits auf das ,Lebens' und damit den Willen zur Macht und die ewige Wiederkunft des Gleichen bezogen. Andererseits ist sie in Hinblick auf die Überwindung des Platonismus und somit unter der Herrschaft des Platonismus begriffen. Wenngleich das ,Leben', worin die, Wahrheit' einbezogen ist, ein Willenszentrum ist, das seine Erhöhung und Überhöhung will, genügt Nietzsches Auffassung des ,Lebens' als Willens zentrum nicht Heideggers Einsicht, "daß Wesung der Wahrheit besagt: Da-sein, d.h. inmitten der Lichtung des Sichverbergenden zu stehen und daraus Grund und Kraft des Menschseins zu schöpfen" (BzP, 363). Das Innestehen in der Lichtung der Verbergung als "entrückte[s] Hinausstehen in das Unbekannte" war nicht die "gegründete[s] Mitte" (BzP, 363) der Frage von Nietzsche. Vielmehr liegt er noch in der Verstrickung durch das Über-

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kommene fest, indem er "in der Abhebung gegen" die geläufigen Gesichtskreise des herrrschenden Denkens und der Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts und gerade deshalb "mit ihrer Hilfe" (BzP, 364) seine eigene und neue Antwort auf die Wahrheits frage versucht. Seine Auffassung der ,Wahrheit' steht in engem Zusammenhang mit seiner Auffassung des Lebens als Wille zur Macht. Wahrheit ist für Nietzsehe der Schein als "eine Bedingung des Lebens, die selbst gegen das Leben ist" (BzP, 365).49 Weil ,das Leben' als die Grundwirklichkeit gesetzt ist, wird Wahrheit nur als eine bloße Bedingung des Lebens angesetzt. Daher kann Nietzsches Frage nach der Wahrheit nur besagen: In weichem Sinne ist sie eine Bedingung des ,Lebens'? Dies ist die Frage nach dem ,Wert' der Wahrheit für das Leben. 50 Wenn aber der Wille zur Macht eigentlich das Über-sich-hinaus-wollen besagt (vgl. BzP, 36, WhD, 33, 67), das als solches das Zu-sich-selbst-kommen ist, und wenn das Über-sieh-hinaus "nicht nur eine zahlenmäßige Steigerung, sondern Eröffnung und Gründung" meint, verlangt das Über-sieh-hinaus zuerst "die Offenheit des Zeit-Raums" (BzP, 365). Insofern muß Wahrheit ursprünglich, d.h. hinsichtlich ihrer Wesung, als die Offenheit des Zeit-Raumes gedacht werden. Wenn vor allem anderen diese Wahrheit selbst zuvor vom Willen zur Macht verlangt wird, muß sie nicht nur als eine Bedingung des Lebens, sondern als die Bedingung des Lebens gefaßt werden. Aus der Besinnung auf den Wandel des Wahrheitsbegriffes stoßen wir auf das Wesen der Wahrheit. Dieses faßt Heidegger wie folgt: "Ihm eignet zuinnerst, daß es geschichtlich ist. Die Geschichte der Wahrheit, des Aufleuchtens und der Wandlung und der Gründung ihres Wesens, hat nur seltene und weit auseinander liegende Augenblicke" (BzP, 342). Unter dem ,geschichtlichen Wesen der Wahrheit' darf nicht ein äußerlicher ,Historismus' verstanden werden, der behauptet, daß die Wahrheit nicht ewig, sondern nur ,auf Zeit' gilt. Diese Meinung enthält als eine ,quantitative' Einschränkung der Allgemeingültigkeit in sich die Auffassung der Wahrheit als Richtigkeit und Gültigkeit. Unter dem ,geschichtlichen Wesen der Wahrheit' wird allein die jeweils augenblickliche Wesung der Wahrheit gemeint, die sich jeweils eigens ereignet und so jede Geschichte bestimmt. Die Notwendigkeit der Frage nach der Wahrheit entspringt der Not der Seinsverlassenheit. Die rechte Weise der Stellung der 49 Heidegger legt dies wie folgt aus: "Wille zur Wahrheit ist Wille zum Schein und dieses notwendig als ein Wille zur Macht, Bestandsicherung des Lebens, und dieser Wille am höchsten in der Kunst, weshalb diese mehr wert als die Wahrheit. Aber der Wille zur ,Wahrheit' ist sonach zweideutig: er ist als Festmachen Widerwille gegen das Leben und als Wille zum Schein als Verklärung Erhöhung des Lebens" (BzP, 364). 50 ",Wahrheit ist die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte. Der Wert für das Leben entscheidet zuletzt' (Aufzeichnung aus dem Jahr 1885, Der Wille zur Macht, n. 493)" (PLvdW, 233). Der Wille zur Macht ist "der Grund des überreichsten Lebens", wobei Leben "den Willen zum Willen" (Holz, 237) als den "Grundzug alles Seienden" (Holz, 253) besagt.

198 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Wahrheitsfrage ist "der Übergang zum ursprünglichen Wesen unter KlarsteIlung des Ausgangs, des herrschenden Begriffs der Richtigkeit" (BzP, 354). Für die KlarsteIlung des Ausgangs haben wir den seinsgeschichtlichen Wandel des Wahrheitsbegriffes nachvollzogen. Damit ist der Übergang zum ursprünglichen Wesen, d.h. zum Wesen des Seins, aber zuerst zum Wesen der Wahrheit des Seins vorbereitet. c) Die lichtende Verbergung als das Wesen der Wahrheit. Die Wahrheit als Offenheit ist der Entwurfsbereich, der schon vom Wurf des Seins geworfen ist. Insofern faßt Heidegger die Frage nach dem Wesen der Wahrheit nicht als "ein leeres Fortschreiten ins Leere", sondern als die Wesensgründung des geworfenen Entwurfsbereichs qua "ursprüngliche Übernahme der Geworfenheit" (BzP, 327). Sofern hier Wahrheit "die Lichtung des Seyns als Offenheit des Inmitten des Seienden" (BzP, 327) heißt, kann nicht nach der Richtigkeit der Wesensgründung dieser Wahrheit gefragt werden. Denn die Richtigkeitsfrage kann nur aufgrund der Voraussetzung derjenigen Lichtung gestellt werden, die nur in ihrer Wesensgründung erst gelichtet wird. sl Zwar wird ,Richtigkeit' geläufig als Wahrheit genannt. Seinsgeschichtlich gedacht, ist ,Richtigkeit' aber nur "eine ,Art' der Wahrheit" (BzP, 327). Diese bleibt als Abfall des ursprünglichen Wesens der Wahrheit hinter diesem zurück und genügt daher nicht, um die ursprüngliche Wahrheit zu fassen. Das Wesen der Wahrheit findet sich im Offenen, "das seine Offenheit wesen läßt" (BzP, 339). Als solches ist das Offene der Offenheit dasjenige, "in das, zugleich sich verbergend, je das Seiende hereinsteht" (BzP, 338, vgl. UdK, 48). Insofern muß die Wesung des Offenen, somit die Offenheit des Offenen als ,,Lichtung für das Sichverbergen" (BzP, 338) begriffen werden, was dem ursprünglichen Begreifen der erstanfanglieh erfahrenen ,aletheia' als ,a-letheia' gleichkommt. Da die Griechen die Unverborgenheit nicht als die Offenheit des Offenen verfolgt hatten, wurde "die Wesung der Verborgenheit - Verbergung" (BzP, 340) nicht eigens gegründet, die zur Wesung der Unverborgenheit gehört. Heidegger holt hier die verlorene geschichtliche "Notwendigkeit" heraus, das Geschehnis der Verbergung "eigens zu gründen und vollends in seinem inneren Zusammenhang mit der Wesung der Offenheit zu begreifen und schließlich und zuerst dieses Einheitliche auch als ureigenes Wesen zu gründen" (BzP, 340). Es ist die seinsgeschichtlich-enthüllte geschichtliche Aufgabe, die Offen-

51 Die ,Lichtung' und das ,Gelichtete' werden im seinsgeschichtlichen Denken nicht mittels der Vorstellung des Lichtes verstanden. Die Leitvorstellung des Lichtes ist für das Offene und seine Offenheit nicht angemessen, weil sie "sich entfaltete in der Richtung des Leuchtens und des Feuers und des Funkens, womit dann bald nur noch ein ursächliches Verhältnis der Erleuchtung maßgebend blieb, bis schließlich alles in die Unbestimmtheit des ,Bewußtseins' und der perceptio hinabglitt" (BzP, 340, vgl. zSdD, 71-

2).

Kap. I, § 14 Das andenkende Vordenken der Seinsgeschichte

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heit aus der Verbergung, aus der Lichtung der Verbergung, aus der Wesung des Seins als dem Er-eignis zu gründen. Aus den Wesenszügen des Offenen gesehen, west die Wahrheit qua Offenheit als die lichtende Verbergung. Dabei ist das Sichverbergende das Sein selbst, weil in der Lichtung das Sein sich zugleich verbirgt. Insofern faßt Heidegger die lichtende Verbergung als "das Sichverbergen des Seyns in der Lichtung des Da" (BzP, 342). Das sichverbergende Wesen des Seins in der Lichtung des Da ist als solches das Ereignis, das "die Er-eignung in ihrer Kehre" (BzP, 342) bezeichnet. Die Er-eignung ist es, die den Zuruf des Seins und die Zugehörigkeit des Daseins zum Sein kehrig er-schwingt: "Das Erzittern dieser Er-schwingung in der Kehre des Ereignisses ist das verborgenste Wesen des Seyns" (BzP, 342). Da die Wesung der Wahrheit des Seins in sich die Wesung des Seins in seiner Wahrheit ist, das nur in der Weise der Er-eignung west, ,ist' die Wahrheit ,nie', sondern west. Daher west auch das der Wahrheit Zugehörige, d.h. der Zeit-Raum und somit sowohl ,Raum' wie auch ,Zeit'. Mit dem Wesen der Wahrheit des Seins kommt das Seiende zu sich selbst als Bergung der Wahrheit. Dafür aber muß das ,Da' als Wesen des im Da-sein übernommen werden, das die Wesung der Wahrheit des Seins aussteht. Insofern bleibt das Da-sein als "das Zwischen zwischen dem Seyn und dem Seienden" (BzP, 343). Das Da-sein gründet die Wesung der Wahrheit für sowohl die Verbergung des Seins wie auch das Offenbarwerden des Seienden aus der Wahrheit des Seins. Die Fassung der Wahrheit als die Lichtung des Da für die Verbergung des Seins ist die ursprüngliche Auslegung der Wesung der Wahrheit in der Erinnerung an die ,aletheia'. Sofern aber Wahrheit nun nicht als diejenige des Seienden als solchen, sondern als die Lichtung des Da für die Verbergung des Seins entworfen ist, ist dieser Entwurf "ein wesentlich anderer Entwurf als die ,aletheia'" (BzP, 350). Da die Wahrheit des Seins in ihrer Wesung als Sichverbergen des Seins west, faßt Heidegger sie auch als die Un-wahrheit, aber nur "im Sinne der Verbergung (und nicht etwa der Falschheit)" (BzP, 352). Durch diese Fassung wird betont, "daß zur Wahrheit das Nichthafte gehört" (BzP, 356). Weil Wahrheit als Lichtung des Sichverbergenden52 west, gehört zum Wesen der Wahrheit die Nichthaftigkeit und somit das Un-wesen. Das eigentliche Unwesen der Wahrheit, das im Wahrheitsvortrag als die Irre bezeichnet ist, gründet also noch ursprünglicher in der "Nichtung des Da" (BzP, 348, vgl. 351, GA79, 39, 54), unter der "die Verbergung und die Ver-stellung" (BzP, 52 Die Lichtung des Sichverbergenden bzw. die der Verbergung meint nicht die Aufhebung des Verborgenen, sondern "die Gründung des abgründigen Grundes für die Verbergung (die zögernde Versagung)" (BzP, 352, vgl. UdK, 41-42). Die Wendung ,die Lichtung der Verbergung' ist bei Heidegger die Anzeige der Bemühung, "die Weisen der Lichtung und die Abwandlungen der Verbergung und ihre wesentliche Zusammengehörigkeit deutlich zu machen" (BzP, 352).

200 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

351) als Ursprung der Irre verstanden werden. Die Wesung der Wahrheit als die Lichtung fur die Verbergung grundet sich aus dem Zeit-Raum und birgt sich durch den Streit von Welt und Erde im Seienden. Insofern muß sie "sowohl hinsichtlich des Zeit-Raumes (Abgrund) als hinsichtlich des Streites und der Bergung" (BzP, 344) entfaltet werden. 53 Insofern ist die Frage nach der Wahrheit die "Vor-frage in der Ausrichtung auf den Zeit-Raum" (BzP, 345). Die Wesung der Wahrheit gehört in sich zur Wesung des Seins, so daß die Wahrheit wesentlich die Wahrheit für das Sein als solche und im Ganzen ist. Dieses Sein west nur in seiner Wahrheit. In diesem Zusammenhang faßt Heidegger die mittelalterliche Auslegung des verum qua Bestimmung des ens als "ein[en] Anschein" der "Innigkeit von Wahrheit und Seyn" (BzP, 349). Die Wesung der Wahrheit des Seins ist in sich die Wesung des Seins in seiner Wahrheit, die mit ,Ereignis' gekennzeichnet wird. Dieses Ereignis ist "die sich selbst ermittelnde und vermittelnde Mitte, in die alle Wesung der Wahrheit des Seyns im voraus zuruckgedacht werden muß" (BzP, 73). Im ereignishaften Denken wird alle Wesung der Wahrheit in das Ereignis zuruckgedacht. Dieses Zurückdenken ist als das Zurückwollen in den Arifang der Geschichte das andenkende Vordenken in das Ereignis, das die Wahrheit als den anderen Anfang der Geschichte gewährt. 54 Als Resume von § 14 läßt sich festhalten: a) Die geschichtliche Besinnung, die auf den Sinn der geschehenden Geschichte (die Wahrheit des Seins) eingeht, ist es, die anders als die historische Betrachtung, die von der Gegenwart her die vergangenen Tatsachen errechnet und verrechnet, den ersten Anfang (die erste Wesung der Wahrheit) in der Weise des Wieder-gestaltens in den anderen Anfang (die andersanfängliche Wesung der Wahrheit) wieder-holt. Als solche ist die geschichtliche Besinnung das Denken des Übergangs zum anderen Anfang, das in der Weise der Frage nach dem Wesen der Metaphysik (d.h. nach der Auslegung des Seins als Seiendheit aus dem vor-stellenden Denken) diese verwindend überwindet und die ursprungliche Wahrheit des Seins im Dasein grundet. b) Die erstanfangliche Geschichte ist die Geschichte der Auslegung des Seins als Seiendheit des Seienden von dem eindimensionalen Offenen her, das aber eigentlich in dem dreifach geöffueten Entwurfsbereich gründet. Die erstanfangliche Geschichte wurzelt in der Bestimmung des ,on' als ,idea' von dem vor-stellenden Denken her und ist insofern die Geschichte der Metaphysik als Platonismus. Das andersanfängliche Denken vollzieht den kritischen Rückgang von der Richtigkeit-Wahrheit in die Offenheit-Wahrheit, in der sich erst jene gründet. Die erstanfanglich erfahrene Wahrheit als die Offenheit des

Vgl.: § 15-16. "Philosophie ist das Zurückwollen in den Anfang der Geschichte und so das Übersichhinauswollen" (BzP, 36). "An-denken das Gewesene ist Vor-denken in das zudenkende Ungedachte. Denken ist andenkendes Vordenken" (SvG, 159). 53

54

Kap. I, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

201

Seienden als solchen wurde von Platon als das Verknüpfende von ,psyche' und ,on' bestimmt, das später jeweils als homoiosis, rectitudo, certitudo begriffen wird. Hierin enthüllt sich die Geschichtlichkeit bzw. der Wesungscharakter der Wahrheit. c) Die Wahrheit wird aufgrund der Wesungszüge des Offenen (des Zeit-Raumes) der Offenheit ursprünglich als die lichtende Verbergung bzw. als die Lichtung für die Verbergung begriffen. Dies ist ein ursprüngliches Wiedergestalten der erstanfanglich erfahrenen ,aletheia' in die ,a-Iethiea'. Die ,aletheia' als lichtende Verbergung gehört zur Wesung des Seins, die als Ereignis geschieht. Das Ereignis ist als die sich zerklüftende Wesung des Seins in seiner Wahrheit die Sache des andersanfanglichen Denkens, das in der Weise des Teilhabens am Ereignis die Wahrheit als den anderen Anfang der Geschichte entwirft. Wir werden im folgenden Paragraphen untersuchen, wie Heidegger das Ereignis, das die Wahrheit gewährt, in dessen Geschehnisweise enthüllt und in welchem Sinne er es als die ursprüngliche Geschichte faßt. § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte Das Sein kennzeichnet Heidegger mit Rücksicht auf das eigene Gefüge seiner vollen Wesung als "Er-eignis".55 Dazu heißt es: "Das Seyn ist das Er-eignis. Dieses Wort nennt das Seyn denkerisch, gründet seine Wesung in ihr eigenes Gefüge, das sich in der Mannigfaltigkeit der Ereignisse anzeigen läßt" (BzP, 470). Im Abschnitt 267 der ,Beiträge zur Philosophie' entfaltet Heidegger das Geschehnisgefüge des Seins in den acht Hinblicken. Das Sein in der Wahrheit wird von Heidegger in seinen inneren Geschehnisbezügen als Er-eignung (1), als Ent-scheidung (2), als Ent-gegnung (3) und als Ent-setzung (4) gekennzeichnet. Hinsichtlich ihrer eigenen Geschehnischaraktere wird sie als Ent-zug (5), als Einfachheit (6), als Einzigkeit (7) und als Einsamkeit (8) charakterisiert. Wir wollen hier die achtfältige Geschehnisweise hinsichtlich der vielfältigen Zerklüftung der Wesung des Seins56 ausfuhren (a und b), um das Ereignis als ursprüngliche Geschichte selbst zu enthüllen (c).

55 Vgl.: BzP, 4, 27, 32, 242, 447, 470, 484, 494. 56 Die Zerklüjiung ist "di"e in sich bleibende Entfaltung der Innigkeit des Seyns selbst" (BzP, 244). Aus dem Sprung in das Sein als Ereignis eröffnet sich die Zerklüftung der Wesung des Seins. Die Zerklüftung ist "die innere, unerrechenbare Ausfälligkeit der Er-eignung" (BzP, 279-80), die als Wesung des Seins "den Vorbeigang des Gottes und die Geschichte des Menschen zumal" (BzP, 280) gewährt. Insofern ist jedes Sagen von der Zerklüftung "ein denkerisches Wort zum Gott und an den Menschen und damit in das Da-sein und so in den Streit von Welt und Erde" (BzP, 280). Die ,Modalitäten' beziehen sich nur auf die Seiendheit. Als solche sagen sie "gar nichts über die Zerklüftung des Seyns selbst" (BzP, 279). Was unter der ,Klüftung' verstanden wird, sind die Vielfalt der Seinsweisen, der Unterschied zwischen den Seinsweisen und dem von diesen vorgezeichneten Wassein, der Unterschied von Sein und Seiendem, die

202 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

a) Die inneren Bezugsgeschehnisse innerhalb des Ereignisses

aa) Das Sein wird hinsichtlich seines er-eignenden Geschehnisbezuges als Er-eignung gefaßt, die also der Wesenszug des Er-eignisses ist: Ereignis ist "die Er-eignung, daß in der Notschaft, aus der die Götter des Seyns bedürfen, dieses zur Gründung seiner ihm eigenen Wahrheit das Da-sein er-nötigt und so das Zwischen, die Er-eignung des Daseins durch die Götter und die Zueignung der Götter zu ihnen selbst zum Er-eignis wesen läßt" (BzP, 470). Hier· ist von dem er-nötigenden Geschehnisbezug zwischen Göttern, Sein, Da-sein und Menschen gesagt: Das Sein, dessen die Götter bedürfen, ernötigt das Da-sein, um das Zwischen (Da des Da-seins) zu gründen, in dem erst die Er-eignung des Menschen durch die Götter und die Zueignung der Götter zu ihnen selbst geschehen können. Die Götter sind für ihr unverstelltes Erscheinen in der Notschaft des Seins, das aber seinerseits nur in der Wahrheit geschieht, die als dem Sein eigens zugehörige die Stätte für das jeweilige Erscheinen der Götter wird. 57 Die Götter bedürfen zu ihrer Götterung der Wesung der Wahrheit des Seins (vgl. BzP, 263), die ihrerseits erstgeschichtlich als Zwischen qua Da des Da-seins west. 58 Das Sein er-nötigt zur Wesung in seiner Wahrheit das Da-sein dergestalt, daß es dieses in den Abgrund winkt. Die Sprachwendung ,Götter' hat für Heidegger nicht die Bedeutung einer Behauptung des Polytheismus, sondern sie ist nur ein Hinweis auf die Unentschiedenheit des ,Wie' des Seins von ,Gott': ,,[ ... ] die Rede von den ,Göttern' meint hier nicht die entschiedene Behauptung eines Vorhandenseins einer Vielzahl gegenüber einem Einzigen, sondern bedeutet den Hinweis auf die Unentschiedenheit des Seins der Götter, ob eines Einen oder Vieler" (BzP, 437). Diese Unentschiedenheit ist ein Begriff für die Fragwürdigkeit dessen, "ob überhaupt dergleichen wie Sein den Göttern zugesprochen werden darf, ohne alles Gotthafte zu zerstören" und "welcher Gott und ob ein Gott welchem Wesen des Menschen in welcher Weise noch einmal zur äußersten Not erstehen werde" (BzP, 437). Diese Fraglichkeit besteht außerhalb des metaphysischen Denkens, das Gott mit dem Begriff "causa sui" (luD, 64) versteht. Die Fraglichkeit besteht nur innerhalb des Ereignis-Denkens, das als das gott-lose Denken im Sin-

Zugehörigkeit des Nichts zum Sein. Dazu vgl. F.-W. v. Herrmann, ,Wege ins Ereignis', 36-7. 57 Zum Bezug des Seins zum Gott heißt es: "Das Seyn gelangt erst in seine Größe, wenn es als Jenes erkannt ist, was der Gott der Götter und alle Götterung brauchen" (BzP, 243). Das Denken dieses Bezugs gehört zu den "ersten Schritte[n] in die Geschichte des Seyns" (BzP, 438). SM Zum Bezug des Seins zum Dasein heißt es: "Das Seyn west als das Ereignis der Dagründung, in der Abkürzung: als Ereignis" (BzP, 247).

Kap. 1, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

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ne des den metaphysischen Gottesbegriff ,causa sui' preisgebenden Denkens sich dem göttlichen Gott "näher" (luD, 65) bringen will. 59 Als causa sui ist der metaphysisch begriffene Gott der "verfertigende Gott" (BzP, 243). Im ereignishaften Denken hingegen wird der göttliche Gott als "der letzte Gott" (vgl. BzP, § 253-56) gedacht. Die Rede vom letzten Gott hat aber keine Intention der "Herabsetzung des Gottes" oder der "Lästerung" (BzP, 406), sondern sie ist für Heidegger lediglich ein Hinweis auf die Notwendigkeit, daß "zuletzt die Entscheidung über die Götter unter und zwischen diese bringt und so das Wesen der Einzigkeit des Gottwesens ins Höchste hebt" (BzP, 406). Der letzte Gott besagt also denjenigen Gott, dessen einzige Göttlichkeit zuletzt mit dem Ereignis entschieden wird. 60 Sofern zu der zuletzt zu entscheidenen Göttlichkeit die Einzigkeit gehört, ist die Göttlichkeit des letzten Gottes mit jeglicher metaphysischen Gottesbestimmung unvergleichbar, sei sie die des Polytheismus oder die des Monotheismus. Wenn die Göttlichkeit des einzigen Gottes mit dem Ereignis entschieden wird, ist der Entwurf der Wahrheit des Seins als die Teilhabe am Ereignis die Vorbereitung des Vorbeigangs des göttlichen Gottes und als solcher das äußerste Wagnis für die andersanfängliche Geschichte des Seins und somit des Seienden: "Die Vorbereitung des Erscheinens des letzten Gottes ist das äußerste Wagnis der Wahrheit des Seyns, kraft deren allein die Wiederbringung des Seienden dem Menschen glückt" (BzP, 411). Wenn die Gottesverlassenheit des Menschen und die Seinsverlassenheit des Seienden von uns als Not erfahren werden, ist für den Vorbeigang des Gottes und die Wiederbringung des Seienden der Entwurf der Wahrheit des Seins not-wendig. Der Gott bedarf des Seins, aber nicht um sich mit diesem zu erfüllen oder selbst zu diesem zu werden, sondern um in der Wahrheit des Seins in seiner einzigen Göttlichkeit zu erscheinen. 61 Insofern ist das Sein bezüglich des göttlichen Gottes "die Notschaft" (BzP, 471) und "das Gebrauchte" (BzP, 438), weil jenes der göttliche Gott für sein Erscheinen in seiner Göttlichkeit, d.h. für "die 59 Das Ereignisdenken "steht außerhalb jeder Theologie und kennt aber auch keinen Atheismus im Sinne einer ,Weltanschauung' oder einer sonstwie gearteten Lehre" (BzP, 439). 60 Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 366. 61 In demselben Zusammenhang heißt es: "Die Schickung fügt die Bezüge des Heiligen zu den Menschen und zu den Göttern, die Bezüge der Götter und der Menschen zum Heiligen, die Bezüge der Menschen und Götter zueinander und die Bezüge dieses Zueinander selbst zum Heiligen. Die Einheit und Einfachheit dieser ursprünglichen Bezüge ist die Fuge, die alles fügt und Jegliches bestimmt, was der Fug ist. Die Fuge nennen wir das Seyn, worin alles Seiende west" (GA52 (1941/42), 100). Unter der ,Schikkung' kann hier die Er-eignung bzw. das Ereignis verstanden werden, unter dem ,Heiligen' eine Dimension, die erst in der Wahrheit des Seins erscheint. Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 357-60, 367-70. Für die Ausführung von ,Fuge' und ,Fug' vgl. Holz, 354-62.

204 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Götterung des Gottes" (BzP, 240), ernötigt und braucht. Das Sein, das von dem Gott ernötigt wird, winkt das Dasein zuerst in den Abgrund der Gottesverlassenheit und läßt so die ,Ent-scheidung' geschehen. bb) Von der Ent-scheidung heißt es: "Das Ereignis der Er-eignung schließt in sich die Ent-scheidung: daß die Freiheit als der abgründige Grund eine Not erstehen läßt, aus der als dem Überschwung des Grundes die Götter und der Mensch in die Geschiedenheit hervorkommen" (BzP, 470). Aus der Er-eignung bzw. aus der Erfahrung des Abgrundes der Gottesverlassenheit wird das Dasein in den Ab-grund gerückt, der sich als das Offene entscheidet, in dem Götter und Menschen in die Geschiedenheit hervorkommen, was Heidegger die Ent-scheidung nennt. Der Ab-grund ist die erstwesentliche Wesung des Grundes (vgl. BzP, 26). Der abgründige Grund als die erstwesentliche Wesung des Grundes ist das Offene (vgl. BzP, 88), d.h. der Zeit-Raum (vgl. BzP, 464), in dem die Götter und der Mensch in die Geschiedenheit hervorkommen und so zu ihrer Ent-gegnung ereignet werden (vgl. BzP, 423). Das erstwesentlich gelichtete Offene (der Ab-grund) ist also der freie Bereich, worin das Erscheinen des göttlichen Gottes möglicherweise gewährt wird. Was nötig ist, ist dabei nicht der Beweis des Vorhandenseins des Gottes, sondern zuerst das Ausstehen des erstwesentlich Offenen. Denn "daß ,die Götter' das Seyn brauchen, rückt sie selbst in den Abgrund (die Freiheit) und spricht die Versagung jeglichen Begründens und Beweisens aus" (BzP, 438). Aus dem Ausstehen des Ab-grundes wird die Möglichkeit seiner Wendung in den Grund gegeben. Die Notwendigkeit der Wendung des Ab-grundes in den Grund emdet sich in ihrem inneren Bezug. 62 Heidegger faßt das Wesen der Wahrheit als Grund, die ursprüngliche (erstwesentliche, erstbeginnliehe) Wesung (Wesensgeschehen) des Grundes als Ab-grund: "Der Ab-grund ist die ursprüngliche Wesung des Grundes. Der Grund ist das Wesen der Wahrheit" (BzP, 379). Weil sich der Grund im ab-gründigen Gründen erstbeginnlieh ankündigt, ist das ab-gründige Gründen die erstwesentliche Weise des Gründens des Grundes. Der Ab-grund als ab-gründiges Gründen des Grundes wird als "Weg-bleiben" bzw. "Ausbleiben" des Grundes oder als "Grund im Sichverbergen" (BzP, 379) gekennzeichnet. Sofern aber der Ab-grund die erstwesentliche Weise des Gründens erfahren wird, ist "Grund im Sichverbergen" "kein bloßes Sichversagen als einfacher Rückzug und Weggang" (BzP, 379), sondern "die erstwesentliche lichtende Verbergung" (BzP, 380). Das Wesen der Wahrheit ist der Grund als "lichtende Verbergung" (BzP, 383). Sofern sich der Grund zuerst in der Weise des Sichversagens (Ab, Weg, Aus) lichtet, ist das Ab (das Sichversagen des Grundes) das Ab rur den Grund und gehört zu diesem. Daher heißt es: "Der Ab-

('2

Vgl.: § 16.

Kap. 1, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

205

grund ist Ab-grund' (BzP, 379). Der Ab-grund gründet sich als "die zeiträumliche Leere" (BzP, 380). Als solche ist er ein leerlassendes Gründen. Die Gründung des Grundes in der Weise des Ab-grundes bedeutet, daß der Grund "im Abgrund noch", aber "doch nicht eigentlich" (BzP, 380) gründet. Der Abgrund ist das erstwesentliche leerlassende Gründenfiir das eigentlich erfüllende Gründen und bereitet so dieses vor. Das erstwesentliche leerlassende Gründen und das eigentliche erfüllende Gründen machen das Gefüge des Grundes aus. In der erstwesentlichen Wesung der Wahrheit des Seins also ersteht eine Not, welche die Wendung des abgründigen Gründens in das eigentlich erfüllende Gründen ernötigt. Im Ab-grund liegt so die Not-wendigkeit des Wendens des abgründigen Gründens in das eigentlich erfüllende Gründen. Das eigentlich erfüllende Gründen geschieht als das, was Heidegger die Ent-gegnung und den Streit nennt. cc) Von der Ent-gegnung heißt es: "Die Er-eignung als Ent-scheidung bringt den Geschiedenen die Ent-gegnung: daß dieses Zu-einander der weitesten nothaften Entscheidung im äußersten ,Gegen' stehen muß, weil es den Ab-grund des gebrauchten Seyns überbrückt" (BzP, 470). Die Ent-gegnung besagt die Geschehnisweise, bei der die Menschen und die Götter in ihrer Geschiedenheit in dem Offenen der Ent-scheidung sich einander entgegnet werden. Die Ent-gegnung geschieht also aus der Ent-scheidung, die als Auseinandertreten selbst das Offene für die Ent-gegnung von Menschen und Göttern lichtet. Die zueinander kommende Ent-gegnung von beiden ist "der Grund der Begegnung" (BzP, 454, vgl. 471) von beiden innerhalb des äußersten Gegenstehens. Das Ausstehen des Zeit-Raumes aus der Ent-scheidung bringt also die Ent-gegnung hervor, die den Ab-grund überbrückt. Die Entgegnung als das äußerste Gegenstehen ist ein Überbrücken des Ab-grundes, weil sie innerhalb dieses Götter und Menschen sich ent-gegnen und sich ereignen (BzP, 26, 88, 422-23, 454) und so die erfüllende Wesung der Wahrheit geschehen läßt. Die so entstehende Einfachheit des Zwischen ist "nicht Leere, sondern Grund der Fülle", "die aus der Ent-gegnung als Streit entspringt" (BzP, 471). Unter der "Ent-gegnung als Streit" wird hier die Ent-gegnung von Göttern und Menschen zusammen mit dem Streit von Welt und Erde gemeint. Aus der Ent-gegnung beginnt der Streit von Welt und Erde, der zusammen mit jener die Fülle, d.h. die erfüllte Wahrheit bringt. Der Streit von Welt und Erde entfaltet sich als die Ent-setzung des Seienden von seiner Seinsverlassenheit. Insofern wird das Zwischen der Ent-gegnung als der "Grund des Streites von Welt und Erde" (BzP, 479) gefaßt. 63 Dieser Streit ersteht also in der lichtenden Verbergung des Zwischen der Ent-gegnung: "In der Lichtung der Verbergung

fi3 "Wahrheit west als der Streit zwischen Lichtung und Verbergung in der Gegenwendigkeit von Welt und Erde" (UdK, 50).

206 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

des Zwischen, das aus der entgegnenden Ereignung und mit ihr entspringt, ersteht der Streit von Welt und Erde"(BzP, 477).64 Das im Streit Erstrittene, d.h. der erfüllte Grund, verwahrt sich im Seienden. Die Verwahrung des Grundes ist also "die Bestreitung des Streites von Welt und Erde" (BzP, 275). Während der Geschehnisbezug zwischen Sein und Göttern, Da-sein und Menschen als Ereignung, derjenige zwischen dem Offenen und Göttern und Menschen als Entscheidung und Ent-gegnung gefaßt wird, wird der Geschehnisbezug zwischen Sein und Seiendem als Ent-setzung gedacht. Jedoch muß diese Ent-setzung als die innere Entfaltung der entscheidend-entgegnenlassenden Er-reignung gedacht werden. 65 Die Er-eignung entfaltet sich also als Ent-scheidung und Entgegnung und vollbringt sich als Ent-setzung. cc) Von der Ent-setzung heißt es: "Die Ent-gegnung ist der Ursprung des Streites, der west, indem er das Seiende seiner Verlorenheit in die bloße Seiendheit entsetzt. Die Ent-setzung kennzeichnet das Er-eignis in seinem Bezug zum Seienden als solchem. Die Er-eignung des Da-seins läßt dieses inständig werden im Ungewöhnlichen gegenüber jeglichem Seienden"(BzP, 471). Der Streit von Welt und Erde ent-setzt das Seiende seiner Seinsverlassenheit. Dieses Ent-setzen geschieht aber zumal mit dem Versetzen des Menschen in den Schrecken. Das in der Weise der Er-eignung geschehende Versetzen des Menschen in den Schrecken ist das "Stimmen" (BzP, 483). Die r JS dem Entsetzen herkommende Stimmung ist die Grundstimmung, die ihrerseits das Entsetzen aussteht, d.h. der Angst. Das in der Angst auszustehende Ent-setzen ist das Nichten der gewohnten Aufenthaltsweise des Menschen und der gewöhnlichen Offenbarkeitsweise des Seienden: "In der Angst [... ] ist es einem unheimlich. [... ] Alle Dinge und wir selbst versinken in einer Gleichgültigkeit" (WiM, 111). Im Ent-setzen, das die Grundstimmung der Angst aussteht, wird das Seiende aus der gewöhnlichen Offenbarkeitsweise in die befremdliche Offenbarkeitsweise herausgesetzt und somit "in seiner vollen, bislang verborgenen Befremdlichkeit als das schlechthin Andere" (WiM, 114) erfahren. Wieso aber wird das Dasein aus seiner gewohnten Aufenthaltsweise herausgesetzt? Das Sein in der Wahrheit ist ein Ungewöhnliches und erinnert als solches uns an ,nichts'. Das Sein ist gegenüber dem gewöhnlichen Seienden "das Ungewöhnlichste" (BzP, 230), zu dem ,nichts' gehört: "Das Seyn erinnert an ,nichts', und deshalb gehört das Nichts zum Seyn" (BzP, 480). Im Ent-setzen, welches den gewohnten Aufenthalt des Menschen beim Seienden nichtet und so den Men64 "Die Offenheit des Offenen fUgt sich zu dem, was wir ,eine Welt' nennen" (EzHD, 64). "Die Welt ist die Wahrheit des Wesens von Sein" (GA79, 48). Vgl. § 19 c. 65 "Das Sein ent-scheidet als Er-eignis in der Er-eignung des Menschen und der Götter in die Not zum Wesen des Menschentums und der Gottschaft. - Welche Er-eignung den Streit von Welt und Erde zur Erstreitung entspringen läßt, - in welchem Streit sich erst das Offene lichtet, in dem das Seiende zu ihm selbst zurückfällt und ein Gewicht empfängt" (GA68 (1938/39), 43).

Kap. I, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

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schen in das ungewöhnliche Sein in der Wahrheit heraus setzt, steht der Mensch inne in der Wahrheit des Seins. Die Ent-setzung, worin die völlige Ungewöhnlichkeit des Seins erfahren und aus dieser Erfahrung die Offenbarkeitsweise des Seienden gewandelt wird, begründet die Aus-einander-setzung des Daseins mit dem Seienden, welche zu ihrer eigenen Möglichkeit das Verwahren der Wahrheit des Seins im Seienden und deren Verlieren hat. In der Ent-setzung des Seienden stellt sich dieses zur "Ent-scheidung darüber", ob es "die Wahrheit des Seyns verwahre und verliere und darin zu seinem eigenen Wesen komme" (BzP, 482). Die Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden ist die Bestreitung des Streites von der sich aufschließenden Welt und der sich verschließenden Erde: "Die Grundformen dieser Verwahrung aber sind der Aufschluß einer Gänze des Weltens (Welt) und das Sichverschließen vor jedem Entwurf (Erde)" (BzP, 482). In der Entsetzung wandelt sich die bloße Seiendheit in die aus der Wahrheit des Seins bestimmte fremdhafte Offenbarkeit. Die Ent-setzung kennzeichnet also das Ereignis mit Rücksicht auf den Wandel des Seienden als solchen, d.h. der Offenbarkeitsweise des Seienden.

b) Die eigenen Geschehnischaraktere des Ereignisses

dd) Vom Ent-zug heißt es: "Die Ent-setzung aber ist aus der Lichtung des Da begriffen zugleich der Ent-zug des Ereignisses; daß es sich jeder vorstellenden Verrechnung entzieht und als Verweigerung west" (BzP, 470). Die Ent-setzung ist eine Geschehnisweise des Seins, das in der Weise der Wesung der Wahrheit geschieht. Die Wahrheit des Seins geschieht gegenüber jeder vor-stellenden Verrechnung immer in der Weise des Sichentziehens, d.h. als Ent-zug. 66 Mit der "vorstellenden Verrechnung" werden die metaphysische Denkweise (das Begreifen des Seins aus dem Seienden), die neuzeitliche Denkweise (das mathematische Entwerfen des Seienden in seine Gegenständlichkeit) und die modeme Verhaltungsweise (die planend-rechnende Verhaltung der Technik zum Seienden) verstanden. Diese haben ihre Gemeinsamkeit hinsichtlich des Verhaltens zum Sein in dessen "Einrechnung unter das Seiende" (BzP, 486). Den so gefaßten Denkweisen entzieht sich die Wahrheit des

66 Das Sein als Ereignis kann "nicht wie eine ,Begebenheit' und ,Neuigkeit' vorgestellt werden", sondern es "west" in seiner Wahrheit "nur in der Bergung als Kunst, Denken, Dichten, Tat und fordert deshalb die Inständigkeit des Da-seins, das alle Scheinunmittelbarkeit des bloßen Vor-stellens verwirft" (BzP, 256).

208 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, GeschichtIichkeit Seins. bzw. das Sein in der Wahrheit. Dieser Entzug ist ein Geschehnischarakter des Seins. 67 Der dem metaphysischen Denken sich entziehende Entzug des Seins wird im anderen Anfang als waltende Verweigerung erfahren und als anfängliche Geschehensweise des Seins erkannt. Die Verweigerung des Seins muß aber auch in anderen Hinsichten verstanden werden. Die Verweigerung im ersten Anfang ist das Ent-eignis, das unerfahren waltet. In der Erfahrung der Seinsverlassenheit enthüllt sich das Ent-eignis als ein solches. Wenngleich das Sein selbst nun als ent-eignendes erfahren ist, west es doch auch im anderen Anfang als die Verweigerung des vollständigen Sichenthüllens. Diese in der Erfahrung der Seinsverlassenheit enthüllte Verweigerung des Seins waltet zwar noch im anderen Anfang, aber in der Weise der sichlichtenden Verbergung (Versagung) der Wahrheit des Seins, so daß die Verbergung allen Lichtungsweisen gegenüber die ständige Herkunft bleibt. Aus der Verbergung der Lichtung wird die jeweilige Wahrheit gewährt. Diese wird aber ihrerseits wieder von der verdeckenden Verbergung (Verstellung) durchzogen. Die so zu fassende zweifache Verbergung (als Versagung und Verstellungt8 steht im Unterschied zum völlig unerfahrenen Ent-zug im ersten Anfang. Unter dem Ent-zug des Seins wird hier die zweifache Verbergung der Wahrheit des Seins im anderen Anfang verstanden. ee) Von der Einfachheit des Seins in der Wahrheit heißt es: "So reich gefügt und bildlos das Seyn west, es ruht doch in ihm selbst und seiner Einfachheit" (BzP, 470). Das Sein in der Wahrheit hat in sich ein vielfältiges Bezugsgefüge. Dieses Bezugsgefüge ist in die vier Geschehnisbezüge gegliedert, die zwischen Sein und Göttern, Da-sein und Menschen, zwischen dem Offenen und Göttern und Menschen, zwischen Sein und Seiendem geschehen. Das Sein in der Wahrheit, das in sich vielfältige Geschehnisbezüge trägt, ist also "reich gefügt". Das reich gefügte Sein ist aber kein Seiendes und bietet daher anders als das Seiende keinen Anblick. In solchem Sinne ist es "bildlos". Als bildloses entzieht es sich dem vor-stellenden Denken. In der Verweigerung ruht das Sein in seiner vielfach gefügten, aber bildlosen Einfachheit. Das Sein in der Wahrheit ist nicht bloß "Folge oder Ergebnis der Beziehung der Bezogenen" (BzP, 470), sondern als Wesung selbst (das wesend-während-Gewährende) das "Beziehen, das die

67 Dazu: "Was sich entzieht, versagt die Ankunft. Allein - das Sichentziehen ist nicht nichts. Entzug ist Ereignis" (WhD, 5). 68 Zum zweifachen Verbergen heißt es: "Die Wahrheit west als sie selbst, sofern das verbergende Verweigern als Versagen erst aller Lichtung die ständige Herkunft, als Verstellen jedoch aller Lichtung die unnachlässliche Schärfe der Beirrung zumißt" (UdK, 41-2). Sofern zum Wesen der Wahrheit als der Unverborgenheit das Verweigern in der Weise des zweifachen Verbergens gehört, ist die Wahrheit "in ihrem Wesen UnWahrheit" (UdK, 41).

Kap. 1, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

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Bezogenen erst zu ihnen selbst bringt" (BzP, 471).69 Die Wesung des Seins in seiner Wahrheit gewährt und trägt in der Er-eignung den Bezug des Seins zu Göttern, Da-sein und Menschen, in der Ent-scheidung und Ent-gegnung den Bezug des Offenen zu Göttern und Menschen und in der Ent-setzung den Bezug des Seins zum Seienden. Als solches ist das Sein in der Wahrheit das Beziehen selbst und als solches einfach. ff) Von der Einzigkeit des Seins heißt es: "Das Einfache des Seyns hat in sich das Gepräge der Einzigkeit. Sie bedarf gar nicht der Abhebung und der Unterschiede, nicht einmal des Unterschiedes zum Seienden. Denn dieser ist nur gefordert, wenn das Seyn selbst zu einer Art des Seienden gestempelt und damit nicht und nie als das Einzige bewahrt, sondern zum Allgemeinsten vergemeinert wird" (BzP, 471). Hier wird die vorausgegangene Geschehnisweise der Einfachheit mit der folgenden Geschehnisweise der Einzigkeit zusammengebracht. Die wiederaufgenommene unmittelbar vorangegangene Geschehnisweise der Einfachheit schließt in sich alle vorangegangenen fünf Geschehnisweisen. Die bisher durchgesprochenen sechs Geschehnisweisen haben in sich die Prägung der Einzigkeit. Das Sein in der Wahrheit ist einzig, d.h. es ist gegen nichts abhebbar. Die Einzigkeit des Seins bedarf überhaupt nicht der Abhebung und Unterschiede gegen Anderes, nicht einmal des metaphysischen Unterschiedes zum Seienden. Die wesenhaften Unterschiede wie der Unterschied zwischen Sein und Gott, derjenige zwischen Sein und Menschen und derjenige zwischen Sein und Seiendem, sind nicht die metaphysischen Unterschiede zwischen dem Sein und einem außerhalb dieses stehenden Anderen, sondern die Unterschiede innerhalb der Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Sofern alle Unterschiede nur in und aus der Wesung des Seins in seiner Wahrheit gedacht werden, zeigt sich die Einzigartigkeit des Seins, weil dieses in seiner Wesung alle wesenhaften Unterschiede gewährt und trägt. Die Mannigfaltigkeit der Geschehnisweisen widerspricht nicht der Einzigkeit des Seins. Diese Einzigkeit ist es, die sich in jeder der sicheröffnenden Geschehnisweisen jeweils anders zeigt. Weil das Sein das Einzige ist, kann es seine Einzigkeit jeweils anders fügen, d.h. jeweils anders einzig, aber stets als das Selbe in den mannigfaltigen Weisen seines Geschehnisses sein. 70 gg) Von der Einsamkeit des Seins heißt es: "Die Einzigkeit des Seyns begründet seine Einsamkeit, gemäß der es einzig nur das Nichts um sich wirft, dessen Nachbarschaft die echteste bleibt und die Einsamkeit am treuesten be69 Zu Heideggers früherer Ausführung des Begriffes ,Bezug' bzw. ,Beziehen' vgl.: GAI9, 544-45, GA29/30, 416, 457, 480-82. 70 Im Sinne der Einzigkeit wird das Ereignis auch als "Singulare tantum" gesagt: "Das Wort [Ereignis] ist jetzt als Singulare tantum gebraucht. Was es nennt, ereignet sich nur in der Einzahl, nein, nicht einmal mehr in einer Zahl, sondern einzig"(IuD, 25).

14 Cheong (PH5)

210 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

hütet. Ihr zufolge west das Seyn stets nur mittelbar durch den Streit von Welt und Erde zum ,Seienden'" (BzP. 471). Die Einzigkeit begründet insofern die Einsamkeit, als sie als diese entfaltet wird. Die Einsamkeit meint, daß das Sein in der Weise des Um-sich-Werfens des Nichts west. Die Zugehörigkeit des Nichts zum Sein ist dessen eigene Geschehnisweise. 71 Diese Zusammengehörigkeit wird hier als die Nachbarschaft gekennzeichnet. Die Nachbarschaft des Nichts zum Sein ist die Nähe des Nichts zu diesem. Diese Nähe ist es, wonach Sein und Nichts eine Wesenszugehörigkeit bilden. Die Nachbarschaft ist die echteste genannt, weil sie die Einsamkeit des Seins weder antastet, noch in eine Zweisamkeit auseinanderfallen läßt, sondern sie behütet. Das Sein verweilt in seiner Einsamkeit, weil zu ihm das Nichts gehört. Das Sein in der Wahrheit behütet seine Einsamkeit durch das Nichts, verwahrt sich im Seienden und west so gleichzeitig mit dem Offenbarwerden des Seienden aus der Wahrheit des Seins. Das Sein, das um sich das Nichts, d.h. das Nicht-Seiende, wirft, unterscheidet sich vom Seienden: "Das Seyn ist, obzwar das Seiende als ein solches einzig in der Ereignung schwingt, allem Seienden abgründig fern" (BzP, 477). Das Sein unterscheidet sich als Sichverbergendes von der jeweiligen Wahrheit, als um-sich-Werfen des NichtSeienden vom Seienden. Insofern weist die Rede vom abgründig-fern-Bleiben des Seins gegenüber dem Seienden einerseits auf den Unterschied des Seins zum Seienden hin, andererseits auf den Unterschied des Seins zu der jeweiligen Wahrheit des Seins, die sich im Seienden verwahrt.

c) Das Ereignis als ursprüngliche Geschichte selbst

N ach der denkerischen Nennung der acht Geschehnisweisen des Seins schreibt Heidegger wie folgt: "In keiner dieser Nennungen wird das Wesen des Seyns voll gedacht und doch wird es in jeder ,ganz' gedacht; ,ganz' besagt hier: jedesmal wird das Denken ,des' Seyns durch dieses selbst in seine Ungewöhnlichkeit gerissen und jeder Beihilfen aus Erklärungen von Seienden beraubt" (BzP, 471). Der in Anführungszeichen gesetzte Genitiv in der Sprachwendung "Denken ,des' Seins" ist zugleich ein gen. subjektivus und objectivus 72 und als 71 "Das Nichts ist nicht bloße Negation. Im Gegenteil, das Nichts verweist uns in seinem Nichten an das Seiende in seiner Offenbarkeit. Das Nichten des Nichts ,ist' das Sein" (v. Sem, 99). 72 Zu der Bedeutung des Genitivs in der Wendung ,Denken des Seins' vgI.: "Das Denken, schlicht gesagt, ist das Denken des Seins. Der Genitiv sagt ein Zweifaches. Das Denken ist des Seins [.. .]. Das Denken ist zugleich Denken des Seins [... ]" (BüH, 316, vgI. 314). ",Sein' denken heißt: dem Anspruch seines Wesens entsprechen. Das Entsprechen entstammt dem Anspruch und entläßt sich zu ihm" (VuA, 176).

Kap. I, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

211

solcher ein Hinweis darauf, daß sich das Denken als er-eigneter Entwurf im Gegenschwung zum ereignenden Zuruf vollzieht. Jede Nennung der acht Geschehnisweisen ist ein er-eigneter Entwurf des ereignenden Zurufs. Das achtfaltig gefiigte Ereignis wird nur dann voll gedacht, wenn alle acht Geschehnisweisen in ihrer Einheit gedacht werden. 73 Die "Einheit" der achtfaltigen Geschehnisweisen des Ereignisses ist aber nicht "gegenständlich" (BzP, 471) und daher "nur zu wissen in jenem Denken, das das Ungewöhnliche nicht als Besonderheit des Auffalligen, sondern als Notwendigkeit des Unscheinbarsten wagen muß" (BzP, 471-72). Als Nicht-gegenständliches (Nicht-Seiendes) ist das Sein das Unscheinbarste. Die Wesung des Seins in seiner Wahrheit ersteht aus der Not der Wendung von Gottesverlassenheit, Seinsverlassenheit und Wesensenttremdung des Menschen und hat in sich die Not-wendigkeit. Die notwendige Wesung des Seins in seiner Wahrheit läßt uns erkennen, daß das Seiende "dem Seyn zugehörig als die Verwahrung seiner Wahrheit" (BzP, 474) bleibt. Mit dieser Verwahrung wird das Seiende noch seiender. Das nochseiender-Werden des Seienden aus der Verwahrung der Wahrheit des Seins ist insofern "Geschichte", denn diese besagt ,jenes Geschehen", "in dem durch den Menschen das Seiende seiender wird" (GA45, 201, vgl. UdK, 43, BzP, 317).74 Das Ereignis, welches mit dem Entwurf der Wahrheit des Seins durch den Menschen geschieht und das Seiende noch seiender werden läßt, ist also der Ursprung der Geschichte (vgl. BzP, 479, GA34, 60, 64). Das in sich vielfach gefiigte einheitliche Ereignis ist als Ursprung der Geschichte die ursprüngliche Geschichte selbst, was im folgenden nun ausgefiihrt werden soll. Das seinsgeschichtliche Denken ist die Eröffnung einer Bahn zum anderen Anfang. Diese Bahn wird als diejenige gefaßt, die "den Übergang ins Offene der Geschichte" (BzP, 4) bringt und begründet. Geschichte wird hier nicht als der Gegenstand und Bezirk einer Betrachtung, sondern als ,jenes, was das denkerische Fragen erst erweckt und erwirkt als die Stätte seiner Entscheidungen" (BzP, 5) verstanden. Das Offene der Geschichte ist der Zeit-Spiel-Raum der Geschichte, der in dem Ereignis, d.h. in der Wesung des Seins in seiner Wahrheit, geschieht. Insofern ist das Ereignis "der Grund und damit das Wesen und der Wesensraum der Geschichte" (BzP, 479). Das seinsgeschichtliche Denken ist als das Denken im Übergang "die Auseinandersetzung mit dem ersten Anfang der Geschichte des Denkens" und so eine Vorbereitung des "Anfang[s] einer anderen Geschichte" (BzP, 10) bzw. 73 Unter der vollen Wesung der Wahrheit aber muß immer die Verbergung (Un-wesen, Entzug) mit verstanden werden: "Weil aber das volle Wesen der Wahrheit das Unwesen einschließt und allem zuvor als Verbergung waltet, ist die Philosophie als das Erfragen dieser Wahrheit in sich zwiespältig" (WdW, 199, vgl. S. 191). 74 "Erst wo das Seiende selbst eigens in seiner Unverborgenheit gehoben und verwahrt wird, erst wo diese Verwahrung aus dem Fragen nach dem Seienden als solchem begriffen ist, beginnt Geschichte" (WdW, 190).

212 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

des "Beginns einer anderen Bahn der Geschichte" (BzP, 12). Die Wahrheit, die aus dem Ereignis west, ist der Anfang der künftigen Geschichte. 75 Das Ereignis ist es, "dem jede künftige Geschichte entspringt" (BzP, 23). Sofern "das Ereignis" die übereignende Zueignung, d.h. die Übereignung des Gottes an den Menschen und zumal die Zueignung des Menschen zum Gott gewährt, ist es "das Zwischen bezüglich des Vorbeigangs des Gottes und der Geschichte des Menschen" (BzP, 27). Insofern müssen der Vorbeigang des letzten Gottes und die Geschichte des Menschen in die Wesung der Wahrheit, diese ihrerseits in die Wesung des Seins zurückgedacht werden. Das Ereignis geschieht aber nur dergestalt, daß das Dasein daran teilhat. 76 Das "Ereignis" als ereignender Zuruf des Seins und das "Dasein" als ereignetentwerfender Mensch werden daher in ihrer Zugehörigkeit als "Grund der Geschichte" (BzP, 32) gefaßt, was bisher verborgen blieb. Die Wesung des Menschen als Da-sein ist selbst ein Geschehnis aus der Er-eignung des Seins und als solches "das Grundgeschehnis der künftigen Geschichte", weil das Da-sein "mögliche Augenblicksstätte für die Entscheidung über den Menschen - seine Geschichte oder Ungeschichte als deren Übergang zum Untergang" (BzP, 32) wird. Zum vollen Ereignis also ist es nötig, vor allem das Da-sein als Augenblicksstätte der/Entscheidung über die Geschichte zu gründen. 77 Die Wahrheit des Seins geschieht in dieser Augenblicksstätte und wird der andere Anfang der Geschichte. Die auf dem fundamental-ontologischen Weg vollzogene Gründung der Geschichtlichkeit auf die Zeitlichkeit deutet darauf hin: "Die Zeit als der ZeitRaum nimmt in sich das Wesen der Geschichte zurück" (BzP, 33). Da die Wahrheit des Seins, die sich zuerst als Zeit-Raum gründet, als der andere Anfang der Geschichte geschieht, muß das Wesen der Geschichte "aus der Wesung des Seyns selbst" (BzP, 33) begriffen werden, wobei das "Wesen des Seyns" nicht mehr nur die Anwesenheit, sondern "die volle Wesung des zeiträumlichen Ab-grundes und somit der Wahrheit" (BzP, 32) besagt. Sofern Geschichte nicht als ein Bereich des Seienden unter anderen, sondern "einzig im Blick auf die Wesung des Seyns selbst" gedacht wird, wird "das Er-eignis" qua Wesung des Seins als "die ursprüngliche Geschichte selbst" (BzP, 32) begriffen.

75 Denn "Geschichte ist nur dann, wenn je das Wesen der Wahrheit anfänglich entschieden wird" (EzHD, 76). 7fi Die Geschichtlichkeit eines Denkers entscheidet sich darin, "wie er vom Sein für die Geschichte in Anspruch genommen ist und dem Anspruch entspricht" (N.II, 484). Insofern liegt das Maß der Geschichtlichkeit des Denkers "in der ursprünglichen Treue des Denkers zu seiner inneren Grenze" (ebd), die seinsgeschichtlich bestimmt ist. 77 Vgl.: § 17.

Kap. I, § 15 Das Er-eignis als der Ursprung der Geschichte

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Die Wahrheit, die aus dem Ereignis als der ursprünglichen Geschichte selbst west und so der Anfang der Geschichte wird, verwahrt sich im Da-sein, das in der Verhaltenheit ek-sistiert: "Verhaltenheit stimmt den jeweiligen gründenden Augenblick einer Bergung der Wahrheit im künftigen Dasein des Menschen. Diese im Da-sein gegründete Geschichte ist die verborgene Geschichte der großen Stille" (BzP, 34). Sofern die Verhaltenheit das schweigende Verhältnis des Menschen zur Wahrheit des Seins ist, kann die mögliche künftige Geschichte als "ein Stil des Da-seins" allein "die verborgene Geschichte der großen Stille" (BzP, 34) sein. Die künftige Geschichte des Menschen fängt an mit dem in der Verhaltenheit die Wahrheit gründenden Da-sein und daher in der Gestalt der großen Stille. Die Notwendigkeit der künftigen Philosophie wurzelt in der Not der Seinsverlassenheit bzw. in der Notwendigkeit, diese Not "zum Grund der Geschichte des Menschen" (BzP, 45) zu machen. Die künftige Philosophie vollzieht sich daher als die Gründung der Geschichte, aber nicht als unmittelbare Geschichtsgründung, sondern als am Ereignis teilhabende Geschichtsgründung. Sofern die künftige Philosophie an dem Ereignis teilhat und so die Wahrheit gründet, ist sie die "geschichtebildende[n] Gründung" (BzP, 56). Das anfängliche Denken, das in der Weise des Entwerfens der Wahrheit des Seins zu deren Wesung gehört, ist als "geschichtliches, d.h. in der sich fugenden Verfugung Geschichte mit gründendes" (BzP, 61).78 Demgemäß, daß der Mensch als der Geschichtemitgründende die Wahrheit austragen oder verlieren kann, kann der Mensch Geschichte in der Weise des Da-seins gewinnen oder in der Weise des Wegseins79 verlieren: "Die Bergung selbst vollzieht sich im und als Da-sein. Und dieses geschieht, gewinnt und verliert Geschichte, in der inständlichen, im voraus dem Ereignis zugehörigen, aber es kaum wissenden Be-sorgung" (BzP, 71). Die Weise, wie sich die Be-sorgung, d.h. das Sorgetragen fur das Sein in seiner Wahrheit, vollzieht, entscheidet Geschichte oder Ungeschichte bzw. Übergang zum anderen Anfang oder zum Untergang. Die Wesung des Sein in seiner Wahrheit ist zwar der "Ursprung", der "erst Götter und Menschen ent-scheidet und er-eignet" (BzP, 87), aber nur dergestalt, daß das anfängliche Denken des Seins "die Eröffnung des Zeit-Spiel-

7X Die Seinsgeschichte ist nicht "die Geschichte des menschlichen Bezugs zum Seienden und zum Sein", sondern "das Sein selbst" (N.II, 489). "Weil jedoch das Sein zur Gründung seiner Wahrheit im Seienden das Menschenwesen in den Anspruch nimmt, bleibt der Mensch in die Geschichte des Seins einbezogen, aber jeweils nur hinsichtlich der Art, wie er aus dem Bezug des Seins zu ihm und gemäß diesem Bezug sein Wesen übernimmt, verliert, übergeht, freigibt, ergründet oder verschwendet" (ebd). Wenn der Mensch "nur im Umkreis seines durch den Seinsanspruch bestimmten Wesens" zur Seinsgeschichte gehört, bedeutet dies schon "eine Einschränkung eigener Art", die aber zugleich die "Auszeichnung" (ebd) des Menschen ist. 79 V gl.: § 19 a).

214 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Raumes seiner Wesung: die Gründung des Da-seins" (BzP, 87) vollzieht. Alle Entscheidungen beziehen sich auf "die eine und einzige" Entscheidung: "ob das Seyn sich endgültig entzieht oder ob dieser Entzug als die Verweigerung zur ersten Wahrheit und zum anderen Anfang der Geschichte wird" (BzP, 91). Die Wahrheit des Seins, die der andere Anfang der Geschichte wird, ist "gar nichts vom Seyn Verschiedenes, sondern sein eigenstes Wesen" (BzP, 93). Das Seyn selbst als Er-eignis ist es, das ,jede Geschichte erst trägt und nie errechnet werden kann" (BzP, 242). Sofern das Ereignis die ursprüngliche Geschichte selbst ist, ist das Ereignis-Denken als denkerischer Vollzug des ganzen Ereignisses "geschichtlich" (BzP, 242) im Sinne von "geschichtebildend" (vgl. BzP, 56) bzw. "geschichtegründend" (vgl. BzP, 311, 324, 421, 430). Da die Geschichte in der Weise des Schickens der Wahrheit, d.h. des Da des Da-seins, geschieht, verlangt das Geschehen der Geschichte als "Er-eignung der Dagründung" "eine Entgegenkunft von seiten des Menschen" (BzP, 248). Das Ereignis-Denken ist der Vollzug dieser Entgegenkunft. Als solcher ist die "Wächterschaft" des Menschen für das Geschehnis der Wahrheit des Seins "der Grund einer anderen Geschichte" (BzP, 240). Mit dem, daß die Wesung des Seins in seiner Wahrheit die ursprünglichste Ent-scheidung ist, enthüllt sich "die jeweilige Einzigkeit und ursprünglichste Geschichtlichkeit des Seyns selbst" (BzP, 460). Aus der Geschichtlichkeit des Seins gewinnt auch das Menschsein seine Geschichtlichkeit. 80 Sofern das Ereignis die ursprüngliche Geschichte selbst ist, ist der Mensch weder ,Subjekt', noch ,Objekt' der ,Geschichte'. Vielmehr muß er nun als "der von der Geschichte (Ereignis) Angewehte und in das Seyn Mitgerissene, dem Seyn Zugehörige" (BzP, 492) gedacht werden. 81 Nur als solcher kann der Mensch "geschichte-gründender" (BzP, 324) werden. Wenn der Entwurf als das Sich loswerfen des Menschen vom Seienden in das Sein glückt, geschieht dieser Loswurf anfänglich, d.h. als Gründung des anderen Anfangs der Geschichte. Der Mensch, der den anfänglichen Loswurf vollzieht, ist der geschichtliche Mensch. Das Ereignis-Denken bzw. das er-eignete Denken der Wesung des Seins ist "die entscheidende Weise", "durch die der künftige abendländische Mensch die Wesung der Wahrheit des Seyns übernimmt und so erst geschichtlich wird" (BzP, 456). Dabei heißt ,geschichtlich werden' vor allem: "aus dem

Vgl.: § 20. Wenn es so ist, ist folgende Aussage gegenstandslos: "Während es in SuZ im Grunde kein Subjekt der Geschichte (sondern nur eines der eigentlichen bzw. uneigentlichen Einzelexistenz) gegeben hatte, wurde nun das Sein selbst zum absoluten Subjekt der Geschichte erhoben und der Mensch zur totalen Angewiesenheit aufs Sein und dessen Schickungen verurteilt" (W. Franzen, ,Von der Existenzalontologie zur Seinsgeschichte', Maisenheim/Glan 1975, 125). Eine solche äußerliche Anschauung gründet vielleicht entweder in einem irgendwie bedingten Vorurteil oder einer voreiligen Vormeinung. KO

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Wesen des Seyns entspringen und deshalb ihm zugehörig bleiben" (BzP, 456). Aus dem Ereignis und als diesem Entspringender und diesem Zugehörender eksistiert der Mensch geschichtlich. Sofern das Ereignis als ursprüngliche Geschichte selbst gedacht wird, geht das seinsgeschichtliche Denken (als geschichtliche Besinnung auf das Sein) aller historischen bzw. geschichtsphilosophischen Betrachtung voraus. Insofern heißt es: "Das Seyn als Er-eignis ist die Geschichte; von hier aus muß deren Wesen, unabhängig von der Werdens- und Entwicklungsvorstellung, unabhängig von der historischen Betrachtung und Erklärung, bestimmt werden" (BzP, 494).82 Als Ereignis qua ursprüngliche Geschichte selbst hat das Sein seine eigene Geschichte, die bisher nur historisch betrachtet worden ist. Die historische Betrachtung aber erreicht die Geschichte des Seins als jeweiliges einziges Geschehen des Seins in seiner Wahrheit nicht. Denn die Historie als verrechnendvergleichende Betrachtung des Geschichte-Gegenstandes ist nur eine Folge der Metaphysik als der Frage nach dem Seienden. Nur die seinsgeschichtliche Besinnung erreicht die "Geschichte des Seyns, des Seyns als Geschichte" (BzP, 494, vgl. SvG, 109).83 Nur vom seinsgeschichtlichen Denken als der geschichtlichen Besinnung auf das Sein als Ereignis wird dieses als ursprüngliche Geschichte selbst erreicht und übernommen, die jede Epoche der Geschichte gewährt hat und auch gewähren wird. 84 Das Ereignis-Denken, das die ursprüngliche Geschichte in der Weise der entwerfenden Teilhabe am Ereignis, bildet die den anderen Anfang der Geschichte, d.h. eine neue Epoche der Geschichte. Als solches bildet das Ereignis-Denken die diskontinuierliche Kontinuität der Geschichte. Als Resume von § 15 läßt sich festhalten: a) Das Sein west je in seiner Wahrheit. Das Sein, das von seiner Wesung her gedacht wird, ist das achtfaltige Ereignis. Die Achtfaltigkeit des Geschehnisgeruges des Seins in der WahrH2 Die Rede: "Nur der ek-sistente Mensch ist geschichtlich" (WdW, 190) ist insofern "unzureichend", als ursprünglich vor allem das "Wesen der Geschichte als Ereignis" (WdW, 190, Anmerkung a) begriffen werden muß. K3 Die Geschichte des Seins ist das Sein selbst, das sich als einziges Geschehnis von Anfang an sich-schickend entzieht. Insofern besagt die Geschichte des Seins: "Das Sein allein ist"; d.h. "das Ereignis er-eignet" (N.n, 485, vgl. BüH, 331). K4 In der seinsgeschichtlichen Besinnung auf das Sein ist die Unterscheidung der historischen Zeitalter nicht vorausgesetzt. Denn erst durch das Ereignis wird "die Frist, aus der die Geschichte die Gewähr einer Zeit nimmt" (N.n, 490), jeweils gegeben. Insofern kann die Frist, zu der sich das Sein ins Offene ergibt, "nie aus der historisch gerechneten Zeit und mit deren Maßen gefunden werden" (ebd). Erst durch die Wesensprägung des Seins wird ein Zeitalter festgestellt. Die Metaphysik als der Fortgang des Seins in die Seiendheit ist "eine notwendige Epoche der Geschichte des Seins" (N.n, 481). Wenn aber die Seinsvergessenheit und Seinsverlassenheit als die wesentliche Not erfahren werden, "die alles Wahre und Wirkliche laut- und folgenlos erschüttert", zeigt sich in dieser Erfahrung ein anderer Anfang der Seinsgeschichte als "die gewährte Frist" (N.n, 490).

216 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

heit umfaßt folgende: Er-eignung, Ent-scheidung, Ent-gegnung, Ent-setzung, Ent-zug, Einfachheit, Einzigkeit und Einsamkeit. Die ersten vier (Er-eignung, Ent-scheidung, Ent-gegnung und Ent-setzung) kennzeichnen die Geschehnisweisen, die hinsichtlich der inneren Geschehnisbezüge des Seins (zwischen Göttern, Sein, Da-sein, Menschen und Seiendem) gefaßt werden. Die letzteren vier (Ent-zug, Einfachheit, Einzigkeit und Einsamkeit) kennzeichnen die Geschehnisweisen, die hinsichtlich der eigenen Geschehnischaraktere des Seins gefaßt werden. Die Er-eignung kennzeichnet die Geschehnisweise, bei der das Sein aus der Notschaft der Götter, somit zur Gründung seiner Wahrheit fiir Götter das Da-sein er-nötigt und es in den Abgrund winkt. Die Ent-scheidung kennzeichnet die Geschehnisweise, bei der die Er-eignung als Auseinandertreten selbst, somit als Lichtung des Offenen geschieht, so daß Götter und Menschen in ihrer Geschiedenheit in das Offene (Ab-grund) herkommen. Die Entgegnung kennzeichnet die Geschehnisweise, bei der die ent-scheidende Ereignung Götter und Menschen in ihrer Geschiedenheit zu ihrem Zueinander kommen läßt und so den Ab-grund in den Grund wenden läßt. Die Ent-setzung kennzeichnet die Geschehnisweise, bei der die entscheidend-entgegnenlassende Er-eignung das Seiende aus seiner bloßen Seiendheit in das Sein in der Wahrheit heraussetzt und so jenes in der Weise der Verwahrung des Grundes offenbarwerden läßt, indem sie den Menschen aus dem Aufenthalt beim Seienden in das Sein freisetzt und so ihm die eigentliche Seinsmöglichkeit gewährt. b) Der Ent-zug besagt die Geschehnisweise, bei der sich das Sein in der Wahrheit allem vor-stellenden Denken entzieht. Mit dem Entzug wird der eigene Geschehnischarakter des Seins in der Wahrheit gekennzeichnet, der alle vorausbesprochenen Geschehnisweisen betrifft. Die Einfachheit besagt die Geschehnisweise, bei der das Sein in seiner Bild-losigkeit west. Es west anblicklos und so einfach, weil es das Beziehen selbst ist. Nur weil das Sein in der Wahrheit als Beziehen selbst einfach ist, kann es die inneren vielfaltigen Geschehnisbezüge in sich halten und tragen. Die Einzigkeit besagt die Geschehnisweise, bei der das Sein in der Weise der Unableitbarkeit und der Unvergleichbarkeit west, so daß das Sein nicht aus dem Seienden, sondern aus seinem eigenen Geschehnischarakter gedacht werden muß. Die Einsamkeit besagt die Geschehnisweise, bei der das Sein in der Weise des Um-sich-Werfens des Nichts west. c) Das Ereignis ist es, das den Vorbeigang des letzten Gottes, die Geschichte des Menschen und das noch-seiender-Werden des Seienden gewährt. Insofern ist das Ereignis die ursprüngliche Geschichte im Sinne des Ursprungs der Geschichte. Da die ursprüngliche Geschichte die Wesung des Seins selbst ist, das in seiner Wahrheit west, wird die Wahrheit des Seins als Anfang der Geschichte gefaßt. Das Schicken der Geschichte geschieht in der Weise des Schickens der Wahrheit aus dem Ereignis. Das Ereignis als ursprüngliche Geschichte wird von der errechnend-verrechnenden Erklärung der historischen Betrachtung nicht erreicht, sondern allein von dem entwerfenden Denken des Ereignisses übernommen. Das entwerfende Teilhaben am Ereignis ist eine Geschichtegründung, aber kei-

Kap. 2, § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgeftige der Wahrheit

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ne unmittelbare, sondern nur teilhabende Gründung der Geschichte. Das Dasein gründet die Geschichte mit in der Weise der sich fügenden Verfügung über die Wesung des Seins. Als solches wird das Dasein mit dem Begriff ,Subjekt' oder ,Objekt' der Geschichte nicht zutreffend gefaßt. Die Teilhabe am Ereignis vollzieht sich in der Weise des er-eigneten Entwurfs der zugeworfenen Wahrheit des Seins. Sofern es das Ereignis ist, das jeweils die Epoche der Geschichte gewährt, ist die Teilhabe am Ereignis das Bilden der epochemachende Diskontinuität bzw. der diskontinuierlichen Kontinuität der Geschichte. Das Ereignis geschieht in der Weise des Entwerfens der Wahrheit des Seins, die vom Zuruf des Seins zugeworfen und deren Grundgefüge der Zeit-Raum ist. Insofern werden wir im folgenden Kapitel von dem Ereignis her den Zeit-Raum charakterisieren. Dabei wird zuerst der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit (§ 16) enthüllt. Als solches wird der Zeit-Raum weiter in seiner Zeitigung-Räumung begriffen, so daß sich die ab-gründige Zeitigung-Räumung des Zeit-Raumes als das erste Geschehen für das Ereignis enthüllt (§ 17). Hiernach werden wir die früher aufgewiesene Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückdenken (§ 18).

Zweites Kapitel

Die Gründung des Zeit-Raumes als die Augenblicks-Stätte des Ereignisses § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit a) Der Zeit-Raum als Ab-grund qua erstwesentliche Wesung des Grundes

Im seinsgeschichtlichen Denken wird der Bezug von Raum, Zeit und Wahrheit des Seins neu erfahren. Heidegger entfaltet diese Erfahrung in den Abschnitten 238-242 der ,BzP'. Der Leitsatz dieser Erfahrung lautet: "Der ZeitRaum als entspringend aus dem und gehörig zu dem Wesen der Wahrheit, als das so gegründete Entrückungs-Berückungsgefüge (Fügung) des Da" (BzP, 371). Hier sind Zeit und Raum mit einem Bindestrich geschrieben und damit als einheitlich und gleichrangig, d.h. gleichursprünglich, verstanden (vgl. GA41, 16). Der Zeit-Raum bzw. Zeit-Spiel-Raum (vgl. BzP, 5, 22)85 wird aus dem Wesen der Wahrheit, d.h. aus dem Grund als lichtender Verbergung, denkerisch erfahren. Der Vorrang der Zeit in der Fundamentalontologie kehrt sich nun in den Vorrang des Wesens der Wahrheit. Der Ursprung des Zeit-Raumes ist das Wesen der Wahrheit. Das Wesen der Wahrheit, d.h. die Wahrheit selbst, H5 "Das Selbe, was Raum und Zeit in ihrem Wesen versammelt hält, kann der ZeitSpiel-Raum heißen" (UzS, 202).

218 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

aber ist nicht unabhängig von dem Zeit-Raum zu denken: "Was Wahrheit selbst ist, läßt sich nicht zuvor zureichend sagen, sondern gerade im Begreifen des Zeit-Raumes" (BzP, 372). Als dem Wesen der Wahrheit zugehöriger und entspringender wird der Zeit-Raum als das so gegründete Entrückungs-Berükkungsgefiige (Fügung) des Da begriffen. Der Zeit-Raum ist als dem lichtendverbergenden Grund entspringender und zugehöriger in jenem gegründet. Als so gegründeter bildet er das Grundgefiige des Da als der im Dasein zu gründenden Wahrheit. Als zeitlicher ist der Zeit-Raum die Entrückung des Da, als raumhafter die Berückung des Da. Der Zeit-Raum, welcher dem Wesen der Wahrheit entspringt und zugehört, ist das Entrückungs-Berückungsgefiige der Wahrheit bzw. deren Grundgefiige. 86 Hinsichtlich des Ereignisses wird der Zeit-Raum als die Erklüftung der Bahnen des Ereignisses gefaßt, die erst vom anfänglichen Denken erfahren werden: "Der Zeit-Raum ist die ereignete Erklüftung der Kehrungsbahnen des Ereignisses, der Kehre zwischen Zugehörigkeit und Zuruf, zwischen Seinsverlassenheit und Erwinkung (das Erzittern der Schwingung des Seins selbst!)" (BzP, 372). Die Erklüftung der Kehrungsbahnen der Wesung des Seins geht nicht vom Denken aus, weil sie selbst eine ereignete ist. Sie hat ihre Herkunft aus der Wesung des Seins, das in seiner Wahrheit geschieht. Das Sichöffnen des ZeitRaumes ist in sich die Erwinkung des Seins. Die Erwinkung als Anklang des Seins winkt das Denken in die Erfahrung der Seinsverlassenheit als eine solche. In der neuzeitlichen Tradition ist das Da-sein verhüllt als Subjekt und dementsprechend ist das Seiende von dem Sein verlassen. Aus der Erwinkung wider-fährt dem Denken die Erfahrung der Seinsverlassenheit und der Verhüllung des Da-seins. Im Gegenschwung von Erwinkung und Seinsveriasssenheit west erstmals das Sein als Sichentziehendes. Aus der in der Erwinkung erfahrenen Seinsverlassenheit wird nun der Zuruf des Seins möglich, dem zufolge der Denkende zur vom Zuruf zugeworfenen Wahrheit des Seins gehört, und zwar in der Weise, daß er die Wahrheit des Seins entwerfend gründet. Im Gegen schwung von zuwerfendem Zuruf und zugehörendem Entwurf geschieht die Wesung des Seins. "Zugehörigkeit und Zuruf' und "Seinsverlassenheit und Erwinkung" zeigen also verschiedene Geschehensweisen des Schwingungs der Kehre innerhalb der Wesung des Seins, d.h. innerhalb des Ereignisses. Diese Kehrungsbahnen des Ereignisses eröffnen sich mit dem Zeit-Raum. Mit dem Zeit-Raum beginnt die Wesung des Seins. 87

M6 "Die Wahrheit geschieht als die lichtende Verbergung. Das Grundgefüge dieses Geschehens ist der ihm entspringende Zeit-Raum" (BzP, 30, vgl. S. 237). M7 In diesem Sinne können wir den folgenden Satz verstehen: "Sein ist in ,Sein und Zeit' nicht etwas anderes als ,Zeit', insofern die ,Zeit' als der Vorname für die Wahrheit des Seins genannt wird, welche Wahrheit das Wesende des Seins und so das Sein selbst ist" (EzWiM, 376).

Kap. 2, § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit

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Der Zeit-Raum wird hinsichtlich des Wesens der Wahrheit als die "erste" (BzP, 383) bzw. "erstwesentliche" (BzP, 380) Wesung (Wesensgeschehen) der Wahrheit gefaßt. Wenn wir die Denkweise des Verhältnisses von ErmöglichenErmöglichtem überwinden und aus dem Wesen der Wahrheit den Zeit-Raum denken, erfahren wir den Zeit-Raum als die Dimension für die Wesung der Wahrheit. Insofern wird der Zeit-Raum als der Wesung der Wahrheit des Seins zugehörig gedacht. Heidegger nennt die erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins den Ab-grund. Der Zeit-Raum als Ab-grund besagt die ab-gründige bzw. erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins. Der Zeit-Raum als Abgrund (erstes Wesensgeschehen des Grundes) gehört zum Wesen der Wahrheit (dem Grund) und zwar als diesem Wesen entspringender und zugehöriger. Insofern liegt zwischen Zeit-Raum und Wesen der Wahrheit ein kehriger Bezug: "Wird daher der Zeit-Raum als Ab-grund begriffen und kehrig vom Zeit-Raum her der Ab-grund bestimmter gefaßt, so eröffnet sich damit der kehrige Bezug und die Zugehörigkeit des Zeit-Raums zum Wesen der Wahrheit" (BzP, 379). Hinsichtlich des Grundes als des Wesens der Wahrheit wird "Ab-grund" als "die ursprüngliche Wesung des Grundes" (BzP, 379), d.h. die erstwesentliche Wesung der Wahrheit, gefaßt. Der Zeit-Raum als Ab-grund bzw. "der Abgrund als der Zeit-Raum" (BzP, 29) ist die erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins, welche in ihrem vollen Geschehen als gründender Grund west. Zwar findet sich der Geschehenscharakter der Wahrheit auch in der Fundamentalontologie. Aber der seinsgeschichtlich-ereignishafte Geschehenscharakter der Wahrheit muß von dem transzendental-horizontalen Geschehenscharakter der Wahrheit des Seins abgehoben werden. Der seinsgeschichtlich-ereignishafte Geschehenscharakter der Wahrheit zeigt sich besonders darin, daß die Wahrheit nicht nur als geworfene und zu entwerfende geschieht, sondern daß sie aus der erstwesentlichen abgründenden Wesung der Wahrheit des Seins geschieht. In dieser Wesung liegt nicht nur der Zeitigung-Räumungscharakter, sondern auch der seinsgeschichtlich-ereignishafte Charakter.

b) Der Ab-grundfür den Grund und den Ur-grund

Der Zeit-Raum als Ab-grund ist der Ursprung, woraus Zeit und Raum in ihrer Geschiedenheit entspringen: "Der Ab-grund ist die ursprüngliche Einheit von Raum und Zeit, jene einigende Einheit, die sie erst in ihre Geschiednis auseinandergehen läßt" ( BzP, 379). Die einigende Einheit von Raum und Zeit ist derjenige entspringen-lassende Ursprung, der Raum und Zeit in ihrer Geschiednis auseinandergehen läßt, die als ursprüngliche Phänomene gedacht werden müssen, die sich von den abkünftigen Phänomenen des Neben- und Nacheinander unterscheiden. Das Auseinander von ursprünglichem Raum und ursprünglicher Zeit ist ein erst aus ihrer Einheit entsprungenes. In ihm bleibt also die einigende Einheit von Raum und Zeit als das ursprünglich Entspringen-

220 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

lassende verwahrt. Als Ab-grund ist der Zeit-Raum der Zeit-Spiel-Raum für das Seiende. 88 Dieser Zeit-Spiel-Raum ist es, "den die Geschichte des Übergangs als ihr Reich erst schafft" (BzP, 6, vgl. 237). Insofern ist der Zeit-Raum der Zeit-Spiel-Raum für die Geschichte des Übergangs, wobei unter dem Übergang zuerst die Überwindung der Seinsverlassenheit des Seienden verstanden wird. 89 Der Zeit-Raum als Ab-grund wird als Weg- und Ausbleiben des gründenden Grundes gedacht. Von dem Grund heißt es: "Er ist das Sichverhüllende-Aufnehmen, weil ein Tragen, und dieses als Durchragen des Zugründenden. Grund: das Sichverbergen im tragenden Durchragen" (BzP, 379). Das Sichverbergen des Grundes ist dessen Sichverhüllen. Erst als sich-verhüllender kann der Grund aufnehmend-tragend sein. Sich verhüllend holt der Grund das in ihm offenbarwerdende Seiende aus seiner grund-losen Seins verlassenheit zurück und hinein in seine Bergung des Seins, aus der "die Wiederbringung des Seienden" (BzP, I I) möglich wird. Der Grund aber, der als Sichverhüllendes erfahren ist, west auch im anderen Anfang in der Weise der Versagung der vollständigen Selbstenthüllung. Dieses Sichversagen des Grundes besagt sein Ausbleiben: "Ab-grund das Ausbleiben; als Grund im Sichversagen, ein Sichverbergen in der Weise der Versagung des Grundes" (BzP, 379). Das Sichversagen des Grundes hat jedoch einen positiven Charakter: "Versagung ist aber nicht nichts, sondern eine ausgezeichnete ursprüngliche Art des Unerfüllt-, des Leerlassens; somit eine ausgezeichnete Art der Eröffnung" (BzP, 379). Der Grund im Sichversagen, d.h. der Ab-grund, läßt uns den sich-erfüllend gründenden Grund vor-denken, und zwar dergestalt, daß die aus dem Sichversagen des Grundes bestehende Leere in den sich erfüllenden Grund hineinwinkt. Der Ab-grund als Sichversagen des Grundes ist also ein positives Leerlassen, wodurch erst die mögliche Erfüllung des Grundes zugelassen wird. Insofern wird der Ab-grund qua leerlassende Versagung des Grundes als eine ausgezeichnete Weise der Eröffnung des Grundes gefaßt. Sofern der Ab-grund als Versagung des Grundes die erstwesentliche Wesung des Grundes im anderen Anfang ist, ist er "kein bloßes Sichversagen als einfacher Rückzug und Weggang", sondern "Ab-grund' (BzP, 379). Abgründen ist eine ausgezeichnete Weise des Gründens des Grundes, weil sie in den sich-erfüllenden Grund hineinzeigt und so dieses Grundes trächtig ist: "Im Sichversagen bringt der Grund in einer ausgezeichneten Weise in das Offene, nämlich in das erst Offene jener Leere, die somit eine bestimmte ist" (BzP, 379-80). Das Offene, das sich aus dem Sichversagen des Grundes eröffnet, ist das erst Offene, d.h. die in die Fülle hineinwinkende Leere. Diese Leere ist inKK "Sein schickt sich dem Menschen zu, indem es lichtend dem Seienden als solchem einen Zeit-Spiel-Raum einräumt" (SvG, 129, vgl. 130, BzP, 236, 243). K9 Vgl. § 15 c) und § 20 a).

Kap. 2, § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgeflige der Wahrheit

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sofern eine seinsgeschichtlich bestimmte, als sie die sich erfüllende Wesung der Wahrheit vorbereitet. Sofern der Grund schon in der Erfahrung des Abgrundes erahnt wird, ist der Ab-grund als Ausbleiben des Grundes dessen zögernde Versagung. Als zögernde Versagung des Grundes ist der Ab-grund eine bestimmte geschichtliche Wesung der Wahrheit. Diese seinsgeschichtlich bestimmte, leerlassende Wesung der Wahrheit ernötigt ihren Entwurf, um sich in die sich erfüllende Wesung zu wandeln. Der Ab-grund als Ausbleiben des Grundes ist die zögernde Versagung des Grundes, welche die Ergründung des Grundes ernötigt. 90 Sofern der Ab-grund als erstwesentliche Wesung des Grundes dessen zögernd-versagende Wesung ist, wird er auch als "die erstwesentliche lichtende Verbergung" (BzP, 380) gekennzeichnet. Der Ab-grund als erstwesentliche lichtende Verbergung ist es, der die Bahnen des Ereignisses eröffnet und somit dieses trägt und durchragen läßt. Dazu heißt es: "Da aber die Wahrheit die lichtende Verbergung des Seyns ist, ist sie als Ab-grund zuvor Grund, der nur gründet als das tragende Durchragenlassen des Ereignisses" (BzP, 380). Bevor die Wahrheit sich-erfüllend gründet, gründet sie sich zuerst als Ab-grund, damit dieser das Ereignis trägt und dieses durch das Offene des Ab-grundes durchragen läßt. Weshalb aber soll der Ab-grund als jene Weise des Gründens verstanden werden, die das Ereignis tragend durchragen läßt? Dazu heißt es: "Denn die zögernde Versagung ist der Wink, in dem das Da-sein, eben das Beständnis der lichtenden Verbergung, erwunken wird, und das ist die Schwingung der Kehre zwischen Zuruf und Zugehörigkeit, die Er-eignung, das Seyn selbst" (BzP, 380). Die zögernde Versagung bringt das Da-sein in das Da-sein, so daß es sie aussteht. Sofern die zögernde Versagung der das Dasein ereignende Wink ist, der so die Bahnen des Ereignisses eröffnet, trägt die zögernde Versagung das Ereignis und läßt dieses durchragen. Der Ab-grund als zögernde Versagung geschieht also für die Schwingung der Kehre, d.h. für das Gründen des Grundes und fur das Ereignis als Wesung des Seins, und gehört als solches ursprünglich zum Ereignis. Als ereignete Erklüftung der Kehrungsbahnen des Ereignisses und dessen Träger ist der Ab-grund der Beginn des Ereignisses. 9 \ Nun ergibt sich die Frage nach dem Bezug des Ereignisses (d.h. der Wesung des Seins) zur Wahrheit. Heidegger faßt hinsichtlich der Wahrheit (d.h. des Grundes) das Ereignis als Ur-grund: "Die Wahrheit gründet als Wahrheit des Ereignisses. Dieses ist daher von der Wahrheit als Grund her begriffen: der Urgrund. Der Ur-grund öffnet sich als Sichverbergendes nur im Ab-grund. Der Abgrund jedoch wird völlig verstellt durch den Un-grund" (BzP, 380). Hier ~o Insofern ist der Ab-grund "die Einräumung der Reinheit der Not der Gründung (Ver-sagung des Grundes)" (GA68, 46). ~\ Insofern wird der Ab-grund als "der tragend-stiftend Entscheidende, Er-eignende das Er-eignis" (GA68, 46) gefaßt.

222 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

wird die Wahrheit aus dem Ereignis als diejenige des Ereignisses, d.h. als diejenige für das Ereignis, begriffen und dementsprechend wird das Ereignis als Ur-grund, d.h. als Ursprung der Wahrheit, bestimmt. Der Ur-grund bezeichnet den ur-sprünglichen Grund, das Ereignis, das Sein selbst. Der Ab-grund bereitet als die erstwesentliche Wesung des Grundes dessen sich erfUllende Wesung vor. So geschieht die Wesung der Wahrheit nur im Ab-grund. In der Epoche der Seinsverlassenheit und der Seinsvergessenheit aber ist der Ab-grund durch das Sichverbergen des Grundes, d.h. durch den Un-grund, verstellt. Der Ungrund herrscht dort, wo die Seinsverlassenheit des Seienden unerfahren herrscht. Der Un-grund ist in der erstanfanglichen Geschichte unerfahren, und in dieser Geschichte ist auch der Abgrund des Zeitalters (Seinsverlassenheit, Gottesverlassenheit und Wesensentfremdung des Menschen) als Ab-grund nicht erkannt. Wenn nun im andersanfanglichen Denken der Abgrund als erstwesentliche Wesung des Grundes, d.h. als Ab-grund, erfahren ist, liegt in ihm die Möglichkeit der sich erfüllenden Wesung des Grundes. Die sich erfUllende Wesung des Grundes gehört insofern in sich zum Sein als dem Ur-grund, als das Sein je in seiner Wahrheit west: "Der Ur-grund, der gründende, ist das Seyn, aber je wesend in seiner Wahrheit" (BzP, 380). Der Ur-grund geschieht jeweils in der vollen Wesung der Wahrheit, die sich aber zuerst als Ab-grund gründet. Der Ur-grund west je in seiner Wahrheit. Als solcher west der Ur-grund schon im Ab-grund, weil dieser die erstwesentliche Wesung der Wahrheit ist. Insofern geht es nun darum, wie das Dasein den Ab-grund (Zeit-Raum) denkerisch entwirft und so den Grund (das Wesen der Wahrheit) erfUllend ergründet, um die Wesung des Ur-grundes (d.h. des Seins) zu vollbringen. Dazu heißt es: "Je gründlicher der Grund (das Wesen der Wahrheit) ergründet wird, umso wesentlicher west das Seyn. Die Ergründung des Grundes muß aber den Sprung in den Ab-grund wagen und den Ab-grund selbst ermessen und bestehen" (BzP, 380). Sofern der Grund dadurch ergründet wird, daß zuerst der Ab-grund mit dem Sprung ermessen und bestanden wird, ist der Grund derjenige, der fUr seine Ergründung den Ab-grund braucht: ",Wegbleiben' als Sichversagen (zögerndes) des Grundes ist Wesung des Grundes als Ab-grund. Der Grund braucht den Ab-grund" (BzP, 381). Nur durch den Ab-grund und den ereigneten Entwurf des Ab-grundes kann der Grund eigens fUr die Wesung des Seins gegründet werden. Der Ab-grund geschieht fUr die Wahrheit, die wiederum fUr die Wesung des Seins geschieht. Insofern geschieht aus der Erfahrung des Ungrundes (der Seinsverlassenheit, d.h. der Versagung des Grundes) der Abgrund (Zeit-Raum) und zwar als derjenige für den Grund (das Wesen der Wahrheit) und den Ur-grund (Sein selbst, d.h. Sein als Ereignis). Für den Urgrund und den Grund benötigt der Ab-grund dessen Ausstehen und dessen Entwurf durch das Da-sein.

Kap. 2, § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgeflige der Wahrheit

223

c) Der Zeit-Raum als den Entwurfin der Verhaltenheit benötigender

Der Ab-grund ist die ursprüngliche Einheit von Raum und Zeit. Als solche lichtet er sich als die zeit-räumlich gefügte Leere: "Der Ab-grund als Wegbleiben des Grundes [... ] ist die erste Lichtung des Offenen als der ,Leere'" (BzP, 380). Der Ab-grund lichtet sich als jenes erste Offene, das den Charakter der ,Leere' hat. Aber diese Leere weist auf die Erfüllung hin und ist insofern nicht nichts. Die "Leere" ist hier "nicht jenes Unbesetzte der Ordnungsformen und Rahmen für das berechenbare Vorhandene von Raum und Zeit, nicht die Abwesenheit von Vorhandenem innerhalb dieser, sondern die zeit-räumliche Leere, die ursprüngliche Aufklaffung im zögernden Sichversagen" (BzP, 38081). Die Leere als Zeit-Raum wird hier noch einmal abgehoben von dem leeren Raum und der leeren Zeit. Die Leere als Ab-grund ist der ursprüngliche ZeitRaum, der den ursprünglichen Raum und die ursprüngliche Zeit entspringen läßt, denen wieder der abkünftige Raum und die abkünftige Zeit entspringen. Das Sich lichten des Ab-grundes als Leere ist das stimmende Lichten, weiches in der Weise der zeitlichen Entrückung und der räumlichen Berückung geschieht: ,,[ ... ] das Lichten, das im Sichversagen geschieht, ist kein bloßes Aufklaffen und Aufgähnen (chaos - gegen physis), sondern das stimmende Erfügen der wesentlichen Ver-rückungen eben dieses Gelichteten, das jenes Sichverbergen in es hereinstehen läßt" (BzP, 381). Die Leere als gelichtete ist er-fügt in der Weise der wesentlichen Ver-rückungen, d.h. Entrückung und Berückung. Wenn das Er-fügen des zeit-räumlichen Lichtens ein Fügen durch den ereignenden Zuruf ist, dann ist es er-eignend und somit stimmend. Das ereignende Entrücken des zeitlichen Lichtens und das Entrücktsein des Daseins (in die drei Ekstasen der ursprünglichen Zeit) ebenso wie das ereignende Berücken des räumlichen Lichtens und das Berücktsein des Daseins (in den ursprünglichen Raum) stehen für den stimmenden Zuruf und den gestimmten Entwurf. Die Gestimmtheit des Daseins entspricht dem er-eignenden Fügen, d.h. dem ereignenden Zuruf. Insofern ist das aus dem Lichten der Verbergung erst Offene "die gestimmt stimmende Leere des Ab-grundes, der gemäß dem stimmenden Wink des Ereignisses ein gestimmter und d.h. hier gefügter ist" (BzP, 381). Die Leere des Ab-grundes ist der aus dem stimmenden Er-eignen des Zurufs gestimmte Zeit-Raum. 92 Das Dasein existiert als Ent- und Berücktsein durch das zeit-räumliche Lichten. Die Erfahrung, daß das Dasein in die zeit-räumliche Aufklaffung des Lichtens ver-rückt ist, ist zugleich die Einsicht, daß der Mensch zuerst nicht als vernünftiges Lebewesen, sondern als Da-sein gedacht werden muß, wobei das Da sowohl die zeit-räumliche Leere wie auch die zeit-räumlich gefügte Wahr92 In demselben Zusammenhang heißt es: " [... ] die ursprüngliche Zeit. Die Zeitigung dieser Zeit ist das Grundgeschehnis der Stimmung" (GA39, 109).

224 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

heit des Seins bedeutet. Insofern muß auch das Erfügen des Lichtens in Bezug auf die Wahrheit des Seins verstanden werden. Weil der Ab-grund die erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins ist, gehört der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit des Seins zu dieser selbst. Im stimmenden Erfügen des Lichtens erfährt sich das Dasein als offenstehend in den offenen Zeit-Raum und gestimmt. Die gestimmt stimmende Leere ,existiert' als Da des Daseins nur in der bestimmten Seinsweise des Daseins, d.h. nur im Da-sein. Sie wird nur in der Grundstimmung des Daseins erschlossen, die seinsgeschichtlich als Verhaltenheit gekennzeichnet wird: "Die Leere ist auch nicht bloße Unbefriedigung einer Erwartung und eines Wünschens. Sie ist nur als Da-sein, d.h. als die Verhaltenheit [... ], das Ansichhalten vor der zögernden Versagung, wodurch der Zeit-Raum als die Augenblicksstätte der Entscheidung sich gründet" (BzP, 382). Die Verhaltenheit besagt das Ansichhalten vor dem zögernden Sichversagen und für dessen denkendes Entwerfen. Die Verhaltenheit ist eine Grundstimmung bzw. Grundbefindlichkeit des Daseins im seinsgeschichtlichen Denken. Heidegger gliedert die Grundstimmung dreifach: a) Das Erschrecken b) die Verhaltenheit c) die Scheu (vgl. GA45, 2, BzP, 14). Das Erschrecken ist dasjenige vor dem, daß Seiendes ist, das aber von dem Sein verlassen ist. Das Erschrecken ist also in sich das Zurückweichen vor dem geläufigen Verhalten im Vertrauten, "zurück in die Offenheit des Andrangs des Sichverbergenden" (BzP, 15). Als solches wird das Erschrecken zu einem ",Willen'" (BzP, 15), der das seins verlassene Seiende in dem Bezug zum Sein halten will. Diesen Willen bezeichnet Heidegger als "Verhaltenheit" (BzP, 15). In dieser Verhaltenheit waltet die Zukehr zum zögernden Sichverbergen des Grundes. In der Erfahrung des zögernden Sichversagens des Grundes, welcher dem Seienden gegenüber das Fernste ist, schweigt das Dasein. Die Scheu ist "Verschweigung" (BzP, 15), die als "die Weise des Nahebleibens dem Fernsten als solchem" in sich das "Wesenlassen des Seyns als Ereignis" (BzP, 16) ist. Die Verhaltenheit ist "die Mitte [... ] für das Erschrecken und die Scheu" (BzP, 16).93 Die gestimmt stimmende Leere ,existiert' nur in der Verhaltenheit, die das Ansichhalten vor der zögernden Versagung und für den denkerischen Entwurf besagt. 94 Die Verhaltenheit gründet den Zeit-Raum als "die Augenblicksstätte der Entscheidung" (BzP, 382). Der Augenblick ist für Heidegger die versammelnde Einheit der drei zeitlichen Entrückungen. Erst diese Einheit ermöglicht die 93 "Die Leitstimmung des Anklangs: Schrecken und Scheu, aber entspringend je der Grund-Stimmung der Verhaltenheit" (BzP, 107). 94 Unter dieser Verhaltenheit wird das verstanden, was K. Held als ein Stimmungsphänomen für die geschichtliche Existenz gefaßt hat, d.h. "eine Aufgeschlossenheit fur den geschichtlichen Augenblick, den Kairos, d.h. die Bereitschaft, eine reif gewordene Situation als Aufruf zu einern wesentlichen Tun zu erfahren" (,Grundstimmung und Zeitkritik bei Heidegger', 35-6).

Kap. 2, § 16 Der Zeit-Raum als das Grundgefüge der Wahrheit

225

Augenblicksstätte für die noch offenstehende Entscheidung. Im Zeit-Raum kündigt sich der sich-erfüllend gründende Grund als ausbleibender an. Denn der Zeit-Raum ist dasjenige, als welches der Grund erstwesentlich, d.h. in der Weise des Sichversagens, sich lichtet. Ob der Grund gründet, entscheidet sich darin, ob das Dasein den leeren Zeit-Raum entwirft und so den erfüllten Grund geschehen läßt. Die Leere wird, sofern sie auf den Grund hinweist, als "die Fülle des Nochunentschiedenen" (BzP, 382) gekennzeichnet. Die Entscheidung des Grundes in der Leere vollzieht sich zuletzt als folgende Entscheidung: "ob das Seyn sich endgültig entzieht oder ob dieser Entzug als die Verweigerung zur ersten Wahrheit und zum anderen Anfang der Geschichte wird" (BzP, 91). Das Zuentscheidende also ist es, ob sich der Ab-grund in den sich-erfüllend gründenden Grund wandelt, um die Wesung des Seins zu vollbringen. In der geschichtlichen Gegenwart ist das Seiende vom Sein verlassen, so daß es nur in seiner bloßen Seiendheit offenbar wird. Die Seinsverlassenheit des Seienden ist eine seinsgeschichtlich bestimmte Offenbarkeitsweise des Seienden. Sofern das Seiende erst in der Wahrheit des Seins in seinem Was- und Wiesein eigens offenbar wird, steht das seinsverlassene Seiende in der Not der Wahrheit des Seins. Diese Not unterscheidet sich von einer anderen Not, welche "die höchste Not" oder "die Not der Notlosigkeit" (BzP, 107) genannt wird. In der höchsten Not erscheint das Seiende dem Menschen in keiner Weise mehr fragwürdig. Der Mensch erfahrt dabei das Seiende gar nicht als dasjenige, welches das Dasein zum Denken nötigt, sondern nur als Gleich- und Allgemeingültiges. Die Not aber, die aus der Erfahrung der Seinsverlassenheit entspringt, nötigt das Da-sein zum Fragen, Denken und Dichten und stimmt jenes SO.95 Die enthüllte und offengehaltene Not ist, sofern darin die Seinsverlassenheit als solche schon erfahren ist, "die erfüllte Not der Seinsverlassenheit" (BzP, 382). Damit das Seiende in der Wahrheit des Seins offenbar wird, muß zuerst diese Wahrheit selbst geschehen. Diese Wahrheit geschieht ihrerseits nur in der Leere, die als zeit-räumlich gefügte erst durch deren Entwurf erfüllt wird. Insofern braucht sowohl das seinsverlassene Seiende wie auch die Leere den Entwurf, der erst in der Verhaltenheit und mit dieser aufbricht. Die "Leere" ist also "die Not der Verhaltenheit, die in sich aufbrechender Entwurf ist, die Grundstimmung der ursprünglichsten Zugehörigkeit" (BzP, 382). Obwohl das Da-sein in seiner Scheu vor der lichtenden Verbergung den Sprung in den Ab-grund noch nicht vollzogen hat, weiß es sich schon durch seine Grundstimmung der Verhaltenheit als der Wahrheit des Seins zugehöriges. In der Verhaltenheit ist das Dasein für das Entwerfen der Leere vorbereitet. Die Leere bleibt in der Not des ursprünglichen Entwurfs zur Bergung des Seienden in der Wahrheit des Seins 95 In diesem Zusammenhang ist die folgende Aussage verständlich: "Die eigentliche Entscheidung für oder gegen das Einrücken in die Grundstimmung der Dichtung setzt voraus, daß wir eine Not zu erfahren stark genug sind, aus welcher Not erst Bedrängnis und Bereitschaft heraufsteigen" (GA39, 113).

IS Cheong (PHS)

226 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

bzw. zur Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden, was ein anderer Anfang der Geschichte der Völker wird. 96 Der Zeit-Raum als Grundgeruge des Da entspringt aus dem stimmenden zweifachen Errugen des Ab-grundes. Der Zeit-Raum als zeit-räumliche Leere benötigt das denkende Entwerfen in der Verhaltenheit. Als Resume von § 16 läßt sich festhalten: a) Das Ereignis beginnt mit dem Anklang des Seins. Mit dem Anklang enthüllt sich der Abgrund des Zeitalters, der vor allem mit der Seinsverlassenheit des Seienden gekennzeichnet wird. Die Seinsverlassenheit des Seienden wird nur überwunden dergestalt, daß dieses in sich das Sein birgt, d.h. daß es in der Wahrheit des Seins offenbar wird. Die Wahrheit des Seins eröffnet sich ihrerseits nur im Zeit-Raum, der als solcher das Grundgeflige der Wahrheit wird. b) Im Zeitalter des Abgrundes braucht sowohl das seinsverlassene Seiende wie auch der Zeit-Raum den Entwurf des Zeit-Raumes durch das verhaltene Da-sein. Aus dem Entwurf des Zeit-Raumes geschieht die Wesung der Wahrheit des Seins und somit die Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Das Sein geschieht in seiner Wahrheit, die erstwesentlich den Zeit-Raum gründet, der aus der Erfahrung der Seinsverlassenheit geschieht. Aus der Erfahrung der Seinsverlassenheit eröffnet sich der Zeit-Raum, der rur die Wahrheit geschieht, die sich wieder rur das Sein gründet. Das heißt: Aus der Erfahrung des Abgrundes des Zeitalters eröffnet sich der Ab-grund (Zeit-Raum), der rur den Grund (Wahrheit) geschieht, der sich wieder rur den Ur-grund (das Sein) gründet. c) Nur durch den Entwurf des Zeit-Raumes durch das verhaltene Da-sein geschieht die Wahrheit des Seins und somit das Sein in seiner Wahrheit, was den Beginn der andersanfänglichen Geschichte bedeutet. Insofern ist die zeit-räumliche Leere schon die geschichtliche Leere, die aus der ab-gründenden Zeitigung-Räumung geschieht. Wir müssen insofern die ab-gründende Zeitigung-Räumung als die geschichtliche Zeitigung-Räumung begreifen, was wir im folgenden Paragraphen untersuchen wollen.

§ 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung als das erste Geschehen für das Ereignis Wir bedenken nun den Zeit-Raum hinsichtlich der abgründigen ZeitigungRäumung, die als die geschichtliche Zeitigung-Räumung rur das Ereignis geschieht. Die Zeitigung-Räumung ist die erstwesentliche Wesungsweise der 96 Insofern ist der Zeit-Raum die Leere für diejenigen, die das geschichtliche Dasein eines Volkes gründen: Die "ursprüngliche, geschichtliche Zeit der Völker ist die Zeit der Dichter, Denker und Staatsschöpfer, d.h. derer, die eigentlich das geschichtliche Dasein eines Volkes gründen und begründen. Sie sind die eigentlich Schaffenden" (GA39,

51 ).

Kap. 2, § 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung

227

Wahrheit des Seins, die als zweifache Gründungsweise in sich Zeitigung und Räumung einschließt. Dazu heißt es: "Der Ab-grund als erste Wesung des Grundes gründet [... ] in der Weise der Zeitigung und Räumung" (BzP, 383). Da Zeitigen und Räumen "nicht von der geläufigen Raum- und Zeit-Vorstellung her gefaßt werden" (BzP, 383) darf, stellt Heidegger selbst folgende Fragen: "Woher hat das Zeitigen und Räumen seinen einigen Ursprung und seine Geschiednis? Welcher Art ist die ursprüngliche Einheit, daß sie sich in diese Scheidung auseinanderwirft, und in welchem Sinn sind die Geschiedenen hier als Wesung der Ab-gründigkeit gerade einig?" (BzP, 383). Der einigende Ursprung rur das Zeitigen und Räumen ist derjenige, welcher beides in die Geschiednis entläßt und zwar in der Weise des Zusammengehören-lassens. Der so zu fassende einigende Ursprung ist der sich zögernd versagende Ab-grund. 97 Die ursprüngliche Einheit als einigender Ursprung ist in sich entrückend und berückend, so daß sie sich in die Scheidung auseinanderwirft. Die Geschiedenen als dem einigenden Ursprung entspringende sind zueinandergewiesen und in diesem Sinne einig. Die Einigkeit von Zeitigen und Räumen im Sinne der Zueinandergewiesenheit unterscheidet sich aber von der einigenden Einheit, welche den zweifach errugenden Ab-grund selbst kennzeichnet. Der Ab-grund, dessen Gründungsweisen Zeitigen und Räumen sind, ist die erstwesentliche Wesung der Wahrheit. Sofern die Wesung der Wahrheit aus dem Ereignis gedacht werden muß, müssen auch die Gründungsweisen des Abgrundes aus dem Ereignis begriffen werden. Den Bezug zwischen dem Ereignis und der Wesung der Wahrheit bezeichnet Heidegger wie folgt: "Das Wesen der Wahrheit ist lichtende Verbergung. Diese nimmt das Ereignis auf und läßt, es tragend, seine Schwingung durchragen durch das Offene. Tragend-ragenlassend ist die Wahrheit der Grund des Seyns. Dieser ,Grund' ist aber nicht ursprünglicher als das Seyn, sondern der Ursprung als das, was dieses, das Ereignis, erspringen läßt" (BzP, 383). Hier ist von einem inneren Unterschied zwischen Wahrheit und Ereignis gesprochen. Die Wahrheit geschieht rur das Ereignis. Die Wahrheit ist also derjenige Ursprung, der das Ereignis erspringen läßt. Das Verhältnis zwischen der lichtenden Verbergung und dem Ereignis ist nicht ein Abstammungs- oder Entspringungsgeruge, sondern ein Erspringungsgefüge. Sofern die Wahrheit als der Grund für das Ereignis als Wesung des Seins west, nennt sich dieses seinerseits "Ur-grund" (BzP, 383). Sofern die Wesung der Wahrheit aus dem Ereignis gedacht wird, haben die Gründungsweisen des Ab-grundes ihre Wesensherkunft im Ereignis: "Die Wahrheit als Grund gründet, aber ursprünglich als Ab-grund. Und dieser selbst gründet als die Einheit der Zeitigung und Räumung. Sie haben somit ihr Wesen aus dem, woher der Grund der Grund ist, aus dem Ereignis" (BzP, 380). Heidegger denkt

97 Dieser einigende Ursprung ist der Ursprung der Geschichte der Völker: "Immer kommen die großen Wendezeiten der Völker aus dem Abgrund [... ]" (GA39, 106).

228 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

so das Erfiigen des Ab-grundes, d.h. die Zeitigung-Räumung, ursprünglich aus dem Ereignis als der Wesung des Seins. Das Sein west je in seiner Wahrheit, die aber erstwesentlich ab-gründig, d.h. zeit-räumlich, geschieht. Die zwei Gründungsweisen des Ab-grundes, d.h. Zeitigung und Räumung, denkt Heidegger als Entrückung und Berückung des Daseins durch die Wahrheit des Seins. Die Zeitigung ist die Entrückung des Daseins, in der das Sichversagen der Wahrheit liegt; die Räumung ist die Berückung des Daseins, in der das Zögern der Wahrheit liegt.

a) Die ab-gründende Zeitigung als Entrückung der sichversagenden Wahrheit

Die Zeitigung ist das zeitigende Entrücken, das in seinem kehrigen Charakter als der Gegenschwung zum sichzeitigenden Entrücktsein des Daseins geschieht. Die Entrückungsstruktur dieser Zeitigung faßt Heidegger wie folgt: "Der Wink ist das zögernde Sichversagen. Das Sichversagen schafft nicht nur die Leere der Entbehrung und Erharrung, sondern mit diesen die Leere als eine in sich entrückende, entrückend in Künftigkeit und damit zugleich aufbrechend ein Gewesendes, das mit dem Künftigenden auftreffend die Gegenwart als Einrückung in die Verlassenheit, aber als die erinnernd-erharrende, ausmacht" (BzP, 383). Hier ist gesagt, daß das Sichversagen in sich dreifach entrückend ist. Aus dem dreifachen Entrücken des Sichversagens wird das Dasein dreifach entrückt. 98 Die Begriffe von Entrücken, Aufbrechen und Auftreffen zeigen hier die Bewegung des Sichversagens auf. Zwischen den drei Entrückungsweisen waltet ein eigentümlicher innerer Zusammenhang, d.h. eine Bewegung, die zu ihrer Einheit gehört. Die Zeitigung entrückt in Künftigkeit, bricht ein Gewesendes auf und läßt so die Gegenwart sich eröffnen. Die zeitigende Entrückung beginnt mit dem Entrücken in die Künftigkeit und geht von der Künftigkeit zum Gewesenden über und von dort zur Gegenwart als dem Gegen-uns-herkommenden. In diesem Übergang von der Zukunft über die Gewesenheit zur Gegenwart liegen derselbe Beginn und dieselbe Bewegung wie in der Analyse der ekstatisch-horizontalen Zeit in ,Sein und Zeit'. Das Sichversagen geschieht in sich dreifach entrückend-zeitigend. Diese dreifach zeitigende Entrückung ist die Weise, wie der Ab-grund gründet. Die drei Entrückungsrichtungen der Zeitigung sind Künftigkeit, ein Gewesendes und die Gegenwart. Diese sind in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung je als Zuruf des Seins, als Zugehörigkeit zum Sein und als Seinsverlassenheit begriffen. In der Entrückung der Zeitigung ist das Dasein dreifach entrückt, und 9K In diesem Sinne heißt es: "Wir sind als die in der Lichtung des Seins Stehenden die Beschickten, die in den Zeit-Spiel-Raum Eingeräumten" (SvG, 146, vgl. 143).

Kap. 2, § 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung

229

zwar in der Weise, daß es den Zuruf des Seins erwartet, sich an die Zugehörigkeit zum Sein erinnert und die Seinsverlassenheit erfährt. Die sich zeitigende Zeitlichkeit der erwartend-erinnernden Erfahrung ist die Weise des dreifach sich zeitigenden Entrücktseins. Erst vom Erwarten eines Zurufs des Seins gelangt das Dasein in das Erinnern der verhüllten Zugehörigkeit zum Sein. Aus dem erwartenden Erinnern gelangt das Dasein in das Erfahren der Gegenwart der Seinsverlassenheit. Das Dasein muß also schon in den auf-uns-zu-kommenden Zuruf des Seins und die auf-uns-zurückkommende Zugehörigkeit zum Sein entrückt sein, um die gegen-uns-kommende Seinsverlassenheit des Seienden zu erfahren. Die so zu fassende abgründende Zeitigung ist die geschichtliche Zeitigung, die einem Volk die geschichtliche Zeit gewährt (vgl. BzP, 5-6. 58, GA45, 40).99 Die Einrückung in die Gegenwart der Seinsverlassenheit ist in sich "ursprünglich erinnernd-erwartend (die Zugehörigkeit zum Sein und den Zuruf des Seyns)" (BzP, 384). Daher ist die Seinsverlassenheit "kein bloßes Versinken und Ersterben in einem Nichthaben, sondern umgekehrt die aufgerichtete und allein in die Entscheidung hinausgerichtete Gegenwart" (BzP, 384). Diese in die Entscheidung hinausgerichtete Gegenwart nennt Heidegger "Augenblick", in welchen "die Entrückungen eingerückt" sind und welcher selbst "nur als die Sammlung der Entrückungen " (BzP, 384) west. IOO Die Situation, in die der denkerische Blick einrückt, ist aber hier, d.h. in der geschichtlichen Zeitigung, gerade die Gegen-wart der gegen-uns-herkommenden, im gegenwärtigenden Widerfahren zu erfahrenden Seinsverlassenheit. 101

99 Die "ursprüngliche Zeit entrückt unser Dasein in die Zukunft und Gewesenheit, besser: macht, daß unser Dasein als solches ein entrücktes ist, gesetzt, daß es eigentlich ist [... ]" (GA39, 109). Diese Zeit ist als "der in sich schwingende Fortriß in die Zukunft und Rückwurf in die Gewesenheit" (ebd) die geschichtliche Zeit der Völker: "Im Stundengang dieses Hin- und Herrisses der stets neuen Bewahrung des Gewesenen und der stets neuen Erhahrrung des Künftigen zeitigt sich jene Zeit eines Volkes [... ]" (ebd). 100 Heidegger nennt schon in ,Sein und Zeit' die eigentliche Gegenwart "Augenblick". Dort ist vom Augenblick wie folgt gesprochen: "Er meint die entschlossene, aber in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation [... ] begegnet. [... ] als eigentliche Gegen-wart läßt er erst begegnen, was als Zuhandenes oder Vorhandenes ,in einer Zeit' sein kann" (SuZ, 447). 101 Die Gegen-wart ist die geschichtliche Situation flir den Übergang zur andersanfänglichen Geschichte. Hölderin dichtet das Zeitalter der Gottesverlassenheit wie folgt: ,Zur Märzenzeit, wenn gleich ist Nacht und Tag'. In Heideggers Erläuterung dazu heißt es: "Die Nacht aber ist flir Hölderin nicht einfach nur ein ,Bild' flir die Abwesenheit der Götter, sondern die Nacht ist der Zeit-Raum des ganz eigenen Bezugs zu den Göttern [: ..]" (GA52, 87). "In der Frühjahrs-Nacht-und-Taggleiche ist die Nacht der reinste Ubergang zum Tag und der Tag steht vor dem Beginn seines übersteigenden Aufgangs. [... ] Dieser höchste Ausgleich ist das Kennzeichen des Wesens des Festes, des Ereignisses der Entgegnung der Götter und der Menschen" (GA52, 88, vgl. EzHD, 47).

230 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Die Ganzheit von dem in die Widerfahrnis der Seinsverlassenheit Entrücken und dem in die Erfahrung der Seinsverlassenheit Entrücktsein ist die geschichtlich gedachte Gegen-wart. Die Gegenwart der Seinsverlassenheit als widerfahrend-erfahrende Gegen-wart geschieht nur in ihrer zusammengehörenden Einheit mit dem Erwarten des Zurufs des Seins und dem Erinnern der Zugehörigkeit zum Sein. Die drei Entrückungen sind zusammengehörig-einig derart, daß die Gegenwart beide anderen Entrückungsweisen in sich hineinsammelt. Erst in die Gegen-wart hineingehalten und in sie hineingesammelt, können Zukünftiges und Gewesendes als solche enthüllt sein. 102 In dem in die Gegen-wart einrückenden und gleichursprünglich zurück- und vorblickenden Blick, d.h. im Augen-blick, vollzieht sich die Erfahrung der Seinsverlassenheit. Die geschichtliche Gegen-wart ist nur in dem in sich das Zukünftige und das Gewesende sammelnden Augen-blick. Die sichzeitigende Zeitlichkeit der erinnernd-erharrenden Erfahrung der Gegenwart der Seinsverlassenheit ist das ereignishaft-abgründende Entrücktsein. Dieses bringt in den Bereich der geschichtlichen Entscheidung darüber, ob sich der Anfall des Seins ereignet oder nicht: "Das erinnernde Erharren (erinnernd eine verhüllte Zugehörigkeit zum Seyn, erharrend einen Zuruf des Seyns) stellt zur Entscheidung das Ob oder Ob-nicht des Anfalls des Seyns" (BzP, 384). Ereignete sich der Anfall des Seins, verwandelte sich die erinnernd-vorgedachte Zugehörigkeit zum Sein in die voll sich fügende Zugehörigkeit zum seinsgeschichtlich bestimmt anfallenden Sein. Dabei würde sich die erfahrene Seinsverlassenheit des Seienden in die Bergung des anfallenden Seins im Seienden wandeln. Im seinsgeschichtlichen Denken, das sich in die erfahrene Seinsverlassenheit hineinhält und in die mögliche Kehre im Seinsgeschick vor-denkt, enthüllt sich der Ab-grund als Entscheidungsbereich für die mögliche Kehre. Sofern die seinsgeschichtlich mögliche Kehre aus der Entscheidung geschieht und erst aus der abgründenden Zeitigung vorbereitet wird, heißt es: ,,[ ... ] die Zeitigung als diese Fügung des Sichversagens (des zögernden) gründet abgründigerweise den Entscheidungsbereich" (BzP, 384). Die Fügung des Sichversagens als ab gründende Zeitigung gründet den Entscheidungsbereich für den Anfall des Seins, d.h. für die Wesung des Seins. 103 Sofern die Zeitigung der ursprünglichen Zeit den Entscheidungsbereich für den Anfall des Seins gründet, der der andere Anfang der Geschichte wird, ist sie diejenige für den ande-

102 Es ist "die Gegenwart", "die dem Einanderrufen von Herkunft und Zukunft entquillt" (UzS, 95). 103 "Die Entscheidung muß jenen Zeit-Raum, die Stätte für die wesentlichen Augenblicke schaffen, in der der höchste Ernst der Besinnung in eins mit der größten Freudigkeit der Sendung zu einem Willen des Gründens und Bauens aufwächst [.. .]" (BzP, 98). Daher gilt es, "Das Zeit-raum-haJte der Entscheidung als aufbrechende Klüftung des Seyns selbst, seinsgeschichtlich zu fassen, nicht moralisch-anthropologisch" (BzP, 103, vgl. 6,237).

Kap. 2, § 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung

231

ren Anfang der Geschichte. Die abgründende Zeitigung, die im Gegenschwung von dreifach zeitigendem Entrücken und dreifach sichzeitigendem Entrücktsein geschieht, ist die geschichtliche Zeitigung, die den Entscheidungsbereich für die zukünftige Geschichte bereitet.

b) Die ab-gründende Räumung als Berückung der zögernden Wahrheit

In ,Sein und Zeit' ist die zeitliche Erschlossenheit der Welt auch als raumhafte Erschlossenheit aufgewiesen. Diese raumhafte Erschlossenheit ist aber dort nicht ausgeführt, sondern nur terminologisch gefaßt. Was dort thematisch behandelt ist, ist die Räumlichkeit des Daseins. Dies bedeutet, daß das Dasein räumlich im Sinne des Raumgebens bzw. Einräumens ist. 104 Dieses Raumgeben bzw. Einräumen ist das dem entdeckenden Begegnenlassen des innerweltlichen Seienden Zugehörige und besagt also nicht schon das Raumerschließen als eine Gründungsweise des Ab-grundes. Im Rahmen der seinsgeschichtlichen Thematisierung des Raumes wird der Raum selbst als Raumerschließen des Abgrundes für die Möglichkeit des Anfalls des Seins behandelt. Während der Ab-grund als Sichversagen die entrückende Zeitigung erfügt, erfügt der Ab-grund als Zögern die berückende Räumung. Das Entrücken des Ab-grundes rückt uns von-uns-weg in das Sichversagen als Zukünftiges und Gewesendes. Was zu dem ,Entrücken' gegenwendig waltet, ist das ,Be-rücken'. Während das Entrücken das Uns-von-uns-weg-Rücken meint, bedeutet das Berücken das Auf-uns-zu-Rücken. Das berückende Zögern ist das Auf-uns-zuRücken der Möglichkeit der Ereignung des Seins und zwar in der Weise, daß sie das Entrückt-sein be-rückt. Das Berücken geschieht im Gegenschwung zum Berücktsein des Daseins. Das Dasein ist entrückt in ... , aber berückt von der auf-es-zu-rückenden Möglichkeit des Anfalls des Seins. Dieses ,von' korrespondiert hier dem ,in' des Entrücktseins-in. Das Berücktsein-von bezieht sich dabei auf die Möglichkeit des Anfalls des Seins. Bei dem Anfall des Seins würde sich die erinnerte Zugehörigkeit zum zurufenden Sein in die voll sich fügende Zugehörigkeit zum anfallenden Sein, die Gegenwart der Seinsverlassenheit in die Gegenwart der Verwahrung des Seins im Seienden wandeln. Sofern die Berückung als Aufuns-zu-Rücken der Möglichkeit des Anfalls des Seins einen Bezug zur Entrükkung als Uns-von-uns-weg-Rücken hat, kennzeichnet Heidegger das räumende Berücken als den Umhalt für die Zeitigung: "Diese Berückung ist der Um halt, in dem der Augenblick und damit die Zeitigung gehalten wird [.. .]" (BzP, 384). In der Berückung als Umhalt wird das dreifach gesammelte sich-zeitigende Entrücktsein gehalten. Wenn die Berückung zur Entrückung gegenwendig ist j04

Vgl.: § 9 d).

232 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

und in dieser der ziehende Zug des Ent-zuges liegt, dann kann die Berückung als gegenwendige Bewegung zur Entrückung als ein Innehalten bzw. als ein Aufhalten des Ent-zuges der Entrückung verstanden werden. Der Ab-grund als zögerndes Sichversagen des Grundes ist zeitigend-räumend. Weil der Ab-grund zögernd sich versagt, wird von dem Zögern des Abgrundes die Möglichkeit der Ereignung des Seins geschenkt: "Das Sichversagende aber versagt sich zögernd, es schenkt so die Möglichkeit der Schenkung und Ereignung" (BzP, 384). Die vom Zögern geschenkte Möglichkeit ist nur die Möglichkeit für den Anfall (Ereignung, Schenkung) des Seins. Erst innerhalb dieser geschenkten Möglichkeit fällt die Entscheidung über den Anfall des Seins. Die Berückung ist es, welche die Möglichkeit des Anfalls des Seins als "wesende Möglichkeit" (BzP, 384) zugibt und einräumt. lOs Das Zugeben der Möglichkeit des Anfalls des Seins, d.h. die Berückung, ist "die Einräumung des Ereignisses" (BzP, 384), d.h. die Einräumung für den Anfall des Seins. Weswegen aber kann die Berückung die Möglichkeit des Anfalls des Seins zugeben und so das Ereignis einräumen? Die Berückung ist es, welche die Seinsverlassenheit feststellt: "Die Verlassenheit ist durch die Berückung eine fest-gestellte, auszustehende (BzP, 384). Durch die Berückung wird die Bewegung der Seinsverlassenheit des Seienden, das nicht mehr auf das andere Seiende bezogen ist und somit nicht in die Bedeutsamkeitsgefiige hereinsteht, fest-gestellt und zwar in der Weise des Ausstehens durch das Da-sein. Die Entscheidung des Ob oder Ob-nicht des Anfalls des Seins kann aber ihrerseits nur fallen, wenn die Seinsverlassenheit nicht nur erfahren wird, sondern wenn sie auch als innerhalb des räumenden Berückens fest-gestellte ausgestanden wird. Insofern wird die Möglichkeit des Anfalls des Seins nur durch die Berückung zugegeben, welche die Seinsverlassenheit fest-stellt. So beruht das Zugeben der Möglichkeit des Ereignisses gerade im Fest-stellen der Seinsverlassenheit durch die Berückung. Die Berückung also ist es, welche die Möglichkeit der Ereignung des Seins einräumt. Das Ausstehen der Seinsverlassenheit im Berücktsein des Daseins ist insofern eine Weise der daseinsmäßigen Vorbereitung des Ereignisses, d.h. der Ereignung des Seins. Die abgründende Räumung, die im Gegenschwung von ereignend-räumendem Berücken und ereignet-raumnehmendem Berücktsein des Daseins geschieht, ist die geschichtliche Räumung, welche die Möglichkeit des Ereignisses bereitet.

105 "Der Umhalt der Berückung hat die ungeschlossene Weite der verhüllten Möglichkeiten des Winkes" (BzP, 387).

Kap. 2, § 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung

233

c) Der Zeit-Raum als Augenblicks-Stätte des Ereignisses

Die Geschiednis in Zeitigung und Räumung hat ihren Ursprung im einigenden Ab-grund, der in der Weise der Entrückung und der Berückung waltet. Sofern Entrückung und Berückung diejenigen sind, die "grundverschieden sich fordern" (BzP, 384), geschehen sie aus der Einheit der zögernden Versagung. Der Ab-grund ist diejenige Einheit der zögernden Versagung, aus welcher Entrückung und Berückung, Zeitigung und Räumung, Zeit und Raum grundverschieden, aber zueinandergewiesen, entspringen. Der Ab-grund aber, der sich als zögernde Versagung gründet, geschieht für die Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Insofern müssen Zeit und Raum ursprünglich aus der Wesung des Seins gedacht werden. Zeit und Raum sind in ihrem Wesen Zeitigung und Räumung aus der zögernden Versagung und haben ihre ursprüngliche Wesensherkunft in der Wesung des Seins in seiner Wahrheit, d.h. im Ereignis. Wenn das Wesen von Zeit und Raum, d.h. die Zeitigung und Räumung, ursprünglich zur Wesung des Seins gehört, das nicht ,ist', sondern west, müssen wir sagen, daß auch Zeit und Raum ,wesen' (vgl. BzPh, 385). Zeitigung und Räumung als dem Ab-grund Zugehörige wesen für das Ereignis, d.h. für die Ereignung des Seins. Innerhalb des Ereignisses liegt also ein Ursprungsgefalle. Das Ereignis als Ur-grund ist kein einfacher, sondern ein in sich reichhaltig gegliederter. Das Ereignis als Wesung des Seins geschieht je in der Wahrheit, die erstwesentlich als Ab-gründen, d.h. als Entrücken-Berücken geschieht, aus dem sich der Zeit-Raum gründet, der die Augenblicks-Stätte des Ereignisses wird. 106 Die zögernde Versagung ist, seins geschichtlich gedacht, "das Erwinken als das anfangliche Wesen des Ereignisses, anfanglich im anderen Anfang"(BzP, 385). Denn im Erwinken des Seins erfahrt das Da-sein erstmalig die zögernde Versagung, welche das Da-sein für die Wesung des Seins in seiner Wahrheit sichzeitigend-raumnehmend auszustehen hat. Der Ab-grund als zögernde Versagung bzw. als Erwinken ist das anfangliche Wesen des Ereignisses. Dieses anfangliche Wesen des Ereignisses ist "einzig und einmalig und damit dem innersten Wesen des Seyns genügend; auch physis einzig und einmalig" (BzP, 385). ,Einzig' meint Unvergleichbarkeit in dem Sinne, daß die Wesung des Seins der Ursprung für alle anderen ist. ,Einmalig' meint nicht, daß die Wesung des Seins nur einmal ereignet, sondern allein, daß das Sein jeweils eigens geschieht. Insofern gehört es zur Wesung des Seins, in einzigen und einmaligen

106 Das "Seyn" "geschieht in dem aus der Entrückung und Berückung der Wahrheit selbst entsprungenen Zeit-Raum" (BzP, 260). "Zeitigendes Räumen - räumende Zeitigung [... ] als nächster Fügungsbezirk für die Wahrheit des Seyns, aber kein Abfall in die gemeinen formalen Raum- und Zeit-Begriffe (!), sondern Rücknahme in den Streit. Welt und Erde - Ereignis" (BzP, 261).

234 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Weisen jeweils epochal zu geschehen. Sofern ,einzig' und ,einmalig' die epochale Einzig- und Einmaligkeit meinen, ist auch die erstanfängliche Wesung des Seins als ,physis' einzig und einmalig. Die zögernde Versagung ist als anfangliches Wesen des Ereignisses einzig und einmalig. Die so zu fassende zögernde Versagung ist die ursprüngliche Einheit von zeitigender Entrückung und räumender Berückung, so daß der ursprüngliche Raum und die ursprüngliche Zeit einig sind. Wo liegt dann das Eigene von ursprünglichem Raum und ursprünglicher Zeit? Die zeitigende Entrückung entrückt das Dasein in den künftigenden Zuruf, in die gewesende Zugehörigkeit und in die gegen uns herkommende Seinsverlassenheit. Die dreifache Entrückung des zögernden Sichversagens rückt in die eine Entrückungsrichtung des Augenblicks ein. Dieser Augenblick west seinerseits als die Sammlung der Entrückungen. Was diese gesammelten Entrückungen, d.h. den Augenblick, anhält, ist die räumende Berückung. Insofern nennt sich diese den Umhalt der Entrückung. Die räumende Berückung als Umhalt der Entrückung ist das Anhalten des dreifach entrückenden Sichversagens. Insofern wird der ursprüngliche Raum in seinem Wesen als "die berückende Ab-gründung des Umhalts", die ursprüngliche Zeit in ihrem Wesen als "die entrückende Abgründung der Sammlung" (BzP, 385) gefaßt. Zeitigung und Räumung bzw. Entrückung und Berückung sind diejenigen, die sich fordern. Insofern geschieht eine von beiden immer in Bezug auf die andere. Diesen Bezug kennzeichnet Heidegger wie folgt: "Die Berückung ist abgründiger Umhalt der Sammlung. Die Entrückung ist abgründige Sammlung auf den Umhalt" (BzP, 385). Sofern die grundverschiedenen beiden, d.h. Berückung und Entrückung, in einem bestimmten Bezug stehen, zeigt sich in diesem Bezug "ein Gegenwendiges", das aber auf "das Wesentliche" (BzP, 385) hinweist. 107 Das Wesentliche der Entrückung und der Berückung liegt in ihrer Gegenwendigkeit, d.h. in der Gegenwendigkeit des Sichversagens zum Zögern, des Zögerns zum Sichversagen. Die Entrückung ist die Zeitigung der im Augenblick gesammelten Entrückungsrichtungen in der Gegenwendigkeit zur Berückung, die als Anhalten der Entrückung die Möglichkeit der Ereignung des Seins einräumt. Das Eigene von Entrückung und Berückung findet sich in ihrer Gegenwendigkeit. Die Gegenwendigkeit als das Eigene von Entrückung und Berückung weist zugleich auf ihre Zueinandergewiesenheit hin: "Dieses Gegenwendige ist gera-

107 Das Gegenwendige, bzw. die Gegenwendigkeit gilt für den Bezug von Lichtung und Verbergung (Zögerung und Versagung, Berückung und Entrückung, Räumung und Zeitigung) und somit auch für den Bezug von Welt und Erde. Dazu: Die Wahrheit ist "das Gegenwendige von Lichtung und Verbergung" (UdK, 49) und "west nur als Streit zwischen Lichtung und Verbergung in der Gegenwendigkeit von Welt und Erde" (UdK, 50, vgl. 57).

Kap. 2, § 17 Die ab-gründende Zeitigung-Räumung

235

de das Wesentliche und der Hinweis auf die ursprüngliche Gewiesenheit beider zueinander auf Grund ihrer Geschiednis" (BzPh, 385). Diese Zueinandergewiesenheit ist ein Gegenbezug zu der Gegenwendigkeit von Entrückung und Berückung. Wenn die Gegenwendigkeit den Streit von Zögern und Sichversagen besagt, besagt die Zueinandergewiesenheit das einander sich Zukehren von beiden. Dieses gegenwendig sich Zukehren innerhalb der Gegenwendigkeit faßt Heidegger wie folgt: "Die Zeit räumt ein, niemals berückend. Der Raum zeitigt ein, niemals entrückend" (BzPh, 386). Die berückende Räumung, welche die Möglichkeit der Ereignung des Seins einräumt, ist von der entrückenden Zeitigung grundverschieden. Trotz dieser Verschiedenheit neigen sich Zeit und Raum einander zu und fördern einander und zwar in der Weise des Einräumens der Zeit und des Einzeitigens des Raumes. 108 Das Einräumen der Zeit besagt, daß sie sich auf den Umhalt sammelt und so die Berückung zuläßt. Das Einzeitigen des Raumes besagt, daß er die Sammlung in sich anhält und so die Stätte für die Möglichkeit des Ereignisses zuläßt. Der berückende Raum übergibt auf solche Weise der entrückenden Zeit die Möglichkeit des Ereignisses. Im Sinne dieses Übergebens der Möglichkeit des Ereignisses kehrt sich der Raum zur Zeit. Das Eigenwesen von Zeit und Raum findet sich so in ihrer gegenwendigen Zueinandergewiesenheit für das Ereignis. Die berückende Räumung gründet die Stätte für den Augenblick. Die entrückende Zeitigung hingegen gründet den Augenblick für die Stätte. Die Stätte ist die Stätte für diejenige Ereignung des Seins in der Wahrheit, die im Augenblick geschieht. So ist die Stätte diejenige für den Augenblick. Insofern heißt es: "Der Zeit-Raum als die Einheit der ursprünglichen Zeitigung und Räumung ist ursprünglich selbst die Augenblicks-Stätte, diese die ab-gründige wesenhafte Zeit-Räumlichkeit der Offenheit der Verbergung, d.h. des Da" (BzPh, 384).109 Die Augenblicks-Stätte ist die Zeit-Räumlichkeit der Offenheit. Diese Offenheit besagt die im Da-sein zu gründende Wahrheit, d.h. das Da des Daseins. Das Da des Da-seins ist als Offenheit zeit-räumlich gefügt. Diese ZeitRäumlichkeit des Da wird nun im Ereignis-Denken als die geschichtliche ZeitRäumlichkeit gefaßt, in der sich das Ereignis entscheidet, das den anderen Anfang der Geschichte gewährt. Der Zeit-Raum als Zeit-Räumlichkeit des Da ist die Augenblicks-Stätte für die ursprünglichste Entscheidung, d.h. für das Geschichte-gewährende Ereignis. Heidegger hat im 2. Kapitel von ,Sein und Zeit' die Doppelaufgabe der Seinsfrage beschrieben: 1) Die ontologische Analytik des Daseins als Freile-

108 "Die Zeit als entrückende-eröffnende ist in sich damit zugleich einräumend, sie schafft ,Raum'. Dieser ist nicht gleichen Wesens mit ihr, aber ihr zugehörig, wie sie ihm" (BzP, 192). 109 "Der Zeit-Raum ist als Fügung der Wahrheit ursprünglich die Augenblicks-Stätte des Ereignisses" (BzP, 30).

236 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

gung des Horizontes tUr eine Interpretation des Sinnes von Sein überhaupt; 2) Die Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontologie. Nach der konkreten Erklärung der Doppelaufgabe hütet er sich vor "einer Überschätzung" (SuZ, 36) des Ergebnisses der Seinsfrage in ,Sein und Zeit'. Der Grund datUr lautet: "Denn solches Fragen zwingt sich ständig selbst vor die Möglichkeit der Erschließung eines noch ursprünglicheren universaleren Horizontes, daraus die Antwort auf die Frage: was heißt ,Sein'? geschöpft werden könnte" (SuZ, 36). Wenn dieser zu erwartende Horizont noch ursprünglicher und universaler als die Zeitlichkeit und die Temporalität ist, die schon (SuZ, 21-6) von Heidegger erläutert wurden, könnten wir den Zeit-Raum als denjenigen fassen, der von ihm, wenngleich es nicht schon erfahren wurde, ein noch ursprünglicherer universalerer Horizont genannt wurde. Im seinsgeschichtlichen Denken, worin die transzendental-horizontale Denkweise und somit der Horizont-Begriff aufgegeben ist, wird der früher genannte ursprünglichere universalere Horizont als Zeit-Raum erfahren und als das GrundgetUge der Wahrheit des Seins begriffen. 110 Als Resume von § 17 läßt sich festhalten: a) Die Wahrheit geschieht tUr das Sein, das sich-schickend sich entzieht. Das sich-schickende Sichentziehen des Seins geschieht in der Wahrheit des Seins. Das Wesen der Wahrheit ist also in sich das sich-lichtende Sichverbergen. Dieses geschieht erstwesentlich, d.h. am Anfang der Geschichte, als zögerndes Sichversagen. b) Die Zögerung der Wahrheit ist die Berückung des Daseins, die Versagung der Wahrheit die Entrückung des Daseins. Diese Entrückung-Berückungs-GetUge ist das GetUge der Zeitigung-Räumung. c) Die Zeit aus der ereignishaften Zeitigung wird der Entscheidungsaugenblick des Ereignisses, der Raum aus der ereignishaften Räumung seinerseits die Entscheidungsstätte des Ereignisses als der ursprünglichen Geschichte. Als solche sind Zeit und Raum einander zugewiesen und bilden die Augenblicks-Stätte tUr die Entscheidung der andersanfanglichen Geschichte. Das Eigene von Raum und Zeit findet sich in ihrer gegenwendigen Zueinandergewiesenheit. Aus dem Entwurf des Zeit-Raumes der ereignishaften Zeitigung-Räumung entscheidet sich das Ob des Ereignisses und somit das Anfangen der andersanfanglichen Geschichte. Diese Geschichte ist es, die in der seinsgeschichtlichen Not-Erfahrung der Gegenwart der Seinsverlassenheit gründet und die Not der seinsgeschichtlichen Gegenwart wenden läßt. Sofern tUr die ursprüngliche Geschichte die Wahrheit des Seins erstwesentlich den Zeit-Raum gründet, ist es die Wesung des Zeit-Raumes, in die sowohl die existenziale Zeitigung und Räumung wie auch die temporale Zeitigung hineingedacht werden muß, was wir im folgenden Paragraphen behandeln wollen.

110 Vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung von "Sein und Zeit''', Bd. 1, Frankfurt 1987, 277.

Kap. 2, § 18 Zurückdenken der Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit

237

§ 18 Das Zurückdenken der Temporalität, der Zeitlichkeit und der Räumlichkeit in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung 111 Wir vollziehen nun den Bezug der Temporalität, der Zeitlichkeit und der Räumlichkeit zur ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung nach. Wenn wir die hermeneutisch-phänomenologischen Einsichten in die Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit des Daseins in ,SUZ' auch im seinsgeschichtlichen Denken weiter beibehalten wollen, müssen sie in die ereignishafte Zeitigung und Räumung und weiter in die ereignishaft-abgründende ZeitigungRäumung zurückgedacht werden.

a) Die ereignishaJt-temporale Zeitigung

1. In den ,BzP' heißt es von der ereignishaft-abgründenden Zeitigung: "Das Sichversagen schafft nicht nur die Leere der Entbehrung und Erharrung, sondern mit diesen die Leere als eine in sich entrückende, entrückend in Künftigkeit und damit zugleich aufbrechend ein Gewesendes, das mit dem Künftigend auftreffend, die Gegenwart als Einrückung in die Verlassenheit, aber als die erinnernd-erharrende, ausmacht" (BzP, 383). Die ereignishaft-abgründende Zeitigung ist eine Gründungsweise des Ab-grundes als der ursprünglichen (erstwesentlichen) Wesung der Wahrheit des Seins. Diese ereignishaft-abgründende Zeitigung entrückt das Dasein in den künftigen den Zuruf des Seins, in die gewesende Zugehörigkeit zum Sein und in die gegen-uns-herkommende, d.h. gegenwärtigende, Seinsverlassenheit des Seienden. Im Gegenschwung zu diesem Entrücken verhält sich das Dasein als ein Entrücktsein in das Erwarten des künftigenden Zurufs, in das Erinnern der gewesenden Zugehörigkeit und in das Erfahren der gegenwärtigenden Seinsverlassenheit. Das dreifach zeitigende Entrücken entrückt das Dasein in die erwartend-erinnernde Erfahrung der Gegenwart der Seinsverlassenheit, so daß das Dasein in die drei Dimensionen der ursprünglichen Zeit entrückt bleibt. Aus dieser vollen Struktur der ereignishaftabgründenden Zeitigung ist ihre formale Struktur abzulesen. Diese ist der Gegenschwung von zeitigendem Entrücken und sichzeitigendem Entrücktsein in die drei Entrückungsrichtungen, d.h. KünJtigkeit, Gewesendes, Gegenwart. Die so zu fassende rein formale Struktur ist die Struktur der ereignishaften Zeitigung überhaupt.

111 Diese Thematik wurde durch F.-W. v. Herrmann in der 15. Sitzung des Hauptseminars im WS 1994/95 (Titel: Beiträge zur Philosophie; Der Zeit-Raum) ausgeführt. Auf Grund der Erkenntnisse, die der Verfasser an diesem Seminar teilnehmend gewonnen hat, ist dieser Paragraph geschrieben.

238 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Im Vortrag ,Zeit und Sein' (1962) erörtert Heidegger unter dem Namen ,eigentliche Zeit' die ereignishafte Zeitigung. Sofern die eigentliche Zeit im Vortrag ebenso wie die ursprungliehe Zeit in den ,BzP' die Zeit des "den ZeitRaum lichtenden Reichens" (zSdD, 17) ist, bezeichnen die beiden denselben Sachverhalt. Die eigentliche Zeit wird dort als dreifaches Reichen von Zeit bestimmt. Dieses Reichen geschieht als das Lichten von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart. Im lichtenden Reichen von Zeit wird die Zukunft offengehalten, wobei ihre Ankunft als Gegenwart vorenthalten wird. Die Zukunft ist also die vorenthaltende Zukunft. Im lichtenden Reichen wird zusammen mit der Zukunft das Gewesen offengehalten, wobei die Gegenwart verweigert wird. Die Gewesenheit ist also das verweigernde Gewesen. Im lichtenden Reichen wird zusammen mit Zukunft und Gewesenheit die Gegenwart offengehalten, die sich uns gewährt. Die Gegenwart ist also die sich-gewährende Gegenwart. Das dreifach lichtende Reichen von Zeit ist das Reichen von vorenthaltender Zukunft, verweigernder Gewesenheit und gewährender Gegenwart bzw. die Entrilckung in Vorenthalt, Verweigerung und Gewährung. Sofern uns die eigentliche Zeit einerseits in der Weise des Vorenthaltens und der Verweigerung, andererseits in der Weise der Gewährung gegeben wird, wird das Geben bzw. Entrilcken der eigentlichen Zeit als lichtend-verbergendes Reichen begriffen: "Wir nennen das Geben, das die eigentliche Zeit gibt, das lichtend-verbergende Reichen" (zSdD, 16). Das Reichen von Zeit ist ein Lichten, weil dadurch die drei zeitlichen Dimensionen gelichtet werden. Das Reichen ist zumal ein Verbergen, weil es als vorenthaltende Zukunft und verweigernde Gewesenheit in sich die Weisen des Verbergens bzw. Entzugs einschließt. Das lichtend-verbergende Reichen geht nicht ins Leere, sondern erreicht uns. Dieses Uns-Erreichen verpflichtet den Menschen zum Zeit- und Seinaustragen: "Die eigentliche Zeit [... ] hat den Menschen als solchen schon so erreicht, daß er nur Mensch sein kann, indem er innesteht im dreifachen Reichen und aussteht die es bestimmende verweigernd-vorenthaltende Nähe" (zSdD, 17). Als Dasein ist der Mensch innestehend im dreifachen lichtend-verbergenden Reichen von Zeit. Als innestehend im dreifachen Reichen von Zeit steht das Dasein das Reichen von Zeit aus. Dieses Ausstehen ist die Weise, wie der Mensch als Dasein im lichtend-verbergenden Reichen der drei Zeitdimensionen steht, d.h. wie er seine Inständigkeit in der Lichtung vollzieht. Das dreifache Ausstehen als Sichzeitigen des Daseins ist es, das als Gegenschwung zum lichtenden Reichen geschieht. Das lichtend-verbergende Reichen von Zeit ist dreifach, d.h. vorenthaltendverweigernd-gewährend verfaßt. Der Vorenthalt ist künftigend, die Verweigerung ist gewesend und die Gewährung ist gegen-uns-herkommend. Dieses dreifache Reichen von Zeit vollzieht sich im Gegenschwung zum dreifach sich zei-

Kap. 2, § 18 Zurückdenken der Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit

239

tigenden Entrücktsein des Daseins in die vorenthaltende Zukunft, in das verweigernde Gewesende und in die sich-gewährende Gegenwart. 2. In der temporalen Zeitigung handelt es sich um den Sachverhalt, wie die Weisen des Seins (z.B: Zu- und Vorhandenheit) ihre temporale Bestimmung aus der im Reichen sich lichtenden dreifachen Zeitigung empfangen. Die Seinsweisen bestimmen sich aus den drei zeitigenden Entrückungsrichtungen. In der Entrückungsrichtung der vorenthaltenden Zukunft bestimmen sich die Seinsweisen temporal als vorenthaltenes Anwesen. In der Entrückungsrichtung der verweigernden Gewesenheit bestimmen sich die Seinsweisen als verweigertes Anwesen. In der Entrückungsrichtung der sich-gewährenden Gegenwart bestimmen sich die Seinsweisen als gewährtes Anwesen. Zu- und Vorhandenheit als Weisen des Seins erhalten aus dem lichtenden Reichen der Zeit ihre temporale Bestimmtheit. Die Dimensionen von Gewesenheit und Zukunft betreffen nicht gegenwärtiges Anwesendes, sondern Abwesendes als Gewesendes und Zukünftiges. Sofern aber Gewesendes und Zukünftiges gerade Nicht-mehr-Anwesendes und Noch-nicht-Anwesendes sind, werden sie als abwesendes Anwesendes gedacht. Das dreifache Anwesen als temporale Bestimmtheit der Seinsweisen gliedert sich also in Anwesenheit und zweifache Abwesenheit. Die Abwesenheit des Noch-nicht-Anwesenden ist die vorenthaltene Anwesenheit des zukünftig Anwesenden; die Abwesenheit des Nicht-mehr-Anwesenden ist die verweigerte Anwesenheit des gewesend Anwesenden. Die Seinsweisen haben also die drei folgenden temporalen Bestimmungen, d. h. die gewährte Anwesenheit aus der gewährenden Gegenwart, die vorenthaltene Anwesenheit aus der vorenthaltenden Zukunft und die verweigerte Anwesenheit aus der verweigernden Gewesenheit. Diese sind die drei temporalen Bestimmungen, in denen die Seinsweisen aus den drei Zeitdimensionen bestimmt werden. I 12 Die Zu- und Abhandenheit sind in der Vorlesung ,GdP' als diejenigen aufgeklärt, die aus dem horizontalen Schema der Praesenz temporal als An- und Abwesenheit verstanden werden. 113 Dieses Schema ,Praesenz' muß nun in die ereignishafte Zeitigung als Reichen bzw. Entrücken zurückgenommen werden. Denn es ist die ereignishafte Zeitigung, welche das Dasein in die drei Zeitdimensionen entrückt. Die horizontalen Schemata werden in das dreifache lichtend-verbergende Entrücken zurückgenommen und zwar als seine drei Entrükkungsrichtungen (vorenthaltende Zukunft, verweigernde Gewesenheit, sich-gewährende Gegenwart). Damit wird die transzendental-temporale Zeitigung ursprünglich in die ereignishaft-temporale Zeitigung gewandelt. Diese ereignishaft-temporale Zeitigung geschieht in der ereignishaft-abgründenden Zeiti-

112

113

Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 299-301. Vgl.: § 10 b).

240 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

gung-Räumung. Insofern muß die Temporalität in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht werden.

b) Die ereignishaji-existenziale Zeitigung

In dem Zeit-Raum, der in der ereignishaft-abgründenden ZeitigungRäumung gründet, ist die Seinsmöglichkeit des Da-seins (d.h. das Sein des Daseins als dessen Seinkönnen) zeithaft schon eröffnet. Insofern müssen wir zusehen, wie in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung die ereignishaft-existenziale Zeitigung geschieht, welche die Seinsmöglichkeit des Daseins zeithaft-dreifach eröffnet. Wenn wir die ereignishafte Zeitigung für die ursprüngliche Zeitigung halten, müssen die Vollzugsweisen der existenzialen Zeitigung, die in ,SuZ' als die Weisen der transzendental-horizontalen Zeitigung erläutert wurden, in die ereignishaft-existenziale Zeitigung hineingedacht werden. Die existenziale Zeitigung vollzieht sich im eigentlichen und uneigentlichen Verstehen und im besorgenden Sein-beL l14 Im uneigentlichen Verstehen vollzieht sich die existenziale Zeitigung als das gewärtigend-vergessende Gegenwärtigen. Im eigentlichen Verstehen hingegen vollzieht sie sich als der vorlaufend-wiederholende Augenblick. Sie vollzieht sich im besorgenden Umgang mit dem Seienden als das gewärtigend-behaltende Gegenwärtigen. Die verschiedenen Vollzugsweisen der existenzialen Zeitigung entfalten sich innerhalb der ereignishaft-existenzialen Zeitigung, in der die Seinsmöglichkeit des Daseins zeithaft eröffnet wird. Die ereignishaft-existenziale Zeitigung ist es, durch die das Dasein in die zeithafte Offenheit seiner Seinsmöglichkeit, d.h. in die künftigende Möglichkeit, in die gewesende Möglichkeit und in die gegen-unsherkommende Möglichkeit des In-der-Welt-seins, entrückt bleibt. Innerhalb der ereignishaft-existenzialen Zeitigung als des Gegenschwungs von zeitigendem Entrücken und sichzeitigendem Entrücktsein entfalten sich alle Vollzugsweisen der existenzialen Zeitigung. Die Horizontphänomene der Welt (Umwillen-seiner, Wovor und Um-zu) als Worauf der Ekstasen der transzendentalen Zeitigung müssen ursprünglich in die ereignishaft-existenziale Zeitigung zurückgenommen werden und zwar als ihre drei Entrückungsrichtungen (künftigende Seinsmöglichkeit, gewesende Seinsmöglichkeit und gegen-uns-herkommende Seinsmöglichkeit des Daseins). Die ereignishaft-existenziale Zeitigung geschieht in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung. Insofern müssen die verschiedenen Vollzugsweisen der existenzialen Zeitigung in die ereignishaft-existenziale Zeitigung und weiter in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung hinein114

Vgl.: § 9 a), b), c).

Kap. 2, § 18 Zurückdenken der Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit

241

gedacht werden. Dergestalt wird die Zeitlichkeit des Daseins ebenso wie die Temporalität in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht.

c) Die ereignishaft-existenziale Räumung Im Zeit-Raum ist die Seinsmöglichkeit des Da-seins nicht nur zeithaft, sondern auch raumhaft eröffnet. Insofern müssen wir zusehen, wie in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung die ereignishaft-existenziale Räumung geschieht. Die ereignishaft-existenziale Räumung ist der Gegenschwung von räumendem Berücken und raumnehmendem Berücktsein des Daseins in seine Seinsmöglichkeit. Die raumhafte Offenheit der Seinsmöglichkeit des Da-seins ist insofern zum al die zeithafte Offenheit, als sie gleichursprünglich in der ereignishaft-existenzialen Zeitigung eröffnet wird. Die Offenheit der Seinsmöglichkeit des Da-seins ist aus der ereignishaft-existenzialen Zeitigung und Räumung gleichursprünglich zeithaft und raumhaft gefugt. Wenn wir die ereignishafte Räumung fUr die ursprüngliche Räumung halten, muß die entdeckende Einräumung in ,SuZ', die im entdeckenden Bezug des Da-seins zum Seienden liegt, in die ereignishaft-existenziale Räumung hineingedacht werden. Die entdeckende Einräumung besagt Ausrichten und Ent-fernen. 115 Die so zu fassende entdeckende Einräumung entfaltet sich aber innerhalb der ereignishaft-existenzialen Räumung, in der die Seinsmöglichkeit des Da-seins raumhaft eröffnet wird. Nur deshalb, weil der Mensch immer schon sich zeitigt und sich einräumt, kann ihm das Seiende in der zeithaften und raumhaften Offenheit begegnen und kann es jeweils in seiner ZeitRäumlichkeit entdeckt werden. Ebenso wie die ereignishaft-existenziale Zeitigung geschieht die ereignishaft-existenziale Räumung in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumungo Insofern muß die entdeckende Einräumung in die ereignishaft-existenziale Räumung und weiter in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung hineingedacht werden. Dergestalt wird die Räumlichkeit des Da-seins in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht. Die temporale Zeitigung und die existenziale Zeitigung und Räumung entfalten sich je innerhalb der ereignishaften Zeitigung und Räumung, die in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung geschieht. In eins mit der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung, welche den Zeit-Raum gründet,

115

V gl.: § 9 d).

16 Cheong (PHS)

242 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

geschehen die ereignis haft-temporale Zeitigung und die ereignishaft-existenziale Zeitigung und Räumung. Was in ,Sein und Zeit' henneneutisch-phänomenologisch gesehen wurde, das bleibt in ,Beiträge zur Philosophie' unverzichtbar für die Wesensfrage nach dem Zeit-Raum. Die dort gezeigte Räumlichkeit und Zeitlichkeit des Daseins entsprechen hier dem Begriff Zeit-Raum. Der Zeit-Raum wird nun aber im Zusammenhang des Vorrangs des Ereignisses verstanden. In der transzendentalhorizontalen Blickbahn hat die ursprüngliche Zeit vor der Wahrheit (Offenheit) des Seins als ihre Ennöglichung Vorrang. Im seinsgeschichtlichen Denken hat die Wesung des Seins in seiner Wahrheit Vorrang vor der Zeit. In diesem Kontext heißt es: "Zeit' ist in ,Sein und Zeit' die Anweisung und der Anklang auf jenes, was als Wahrheit der Wesung des Seyns geschieht in der Einzigkeit der Er-eignung"(BzP, 74). Die in ,Sein und Zeit' erläuterte Zeit wird nun als anklingendes Sichvorbereiten für das Denken des Ereignisses verstanden. Innerhalb des Ereignisses werden Zeit und Raum ursprünglich gedacht. Im Ereignis, "hier erst, in dieser ursprünglichen Auslegung der Zeit ist der Bereich getroffen, wo Zeit mit Raum zur äußersten Verschiedenheit und so gerade Wesungsinnigkeit gelangt"(BzP, 74). Zeit und Raum gehören gemeinsam in das Ereignis und bleiben darin als diejenigen, die einander sowohl verschieden sind wie auch sich vereinigen. Insofern werden sie mit einem Wort ,Zeit-Raum' bezeichnet. Der Zeit-Raum zeitigt sich in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung. Als Resurne von § 18 läßt sich festhalten: a) Die ereignishaft-abgründende Zeitigung geschieht in der Weise der erwartend-erinnernden Erfahrung der Gegenwart der Seinsverlassenheit. Von dieser aus enthüllt sich die fonnale Struktur der ereignishaften Zeitigung überhaupt (d.h. Zeitlichkeit und Temporalität) als der Gegenschwung von zeitigendem Entrücken und sichzeitigendem Entrücktsein (in Künftigkeit, Gewesenes und Gegenwart). Was Heidegger im Vortrag ,Zeit und Sein' (1962) als ,eigentliche Zeit' erläutert, wird als die ereignishaft-abgründende Zeitigung gefaßt. Die eigentliche Zeit im Vortrag, d.h. die ereignishaft-temporale Zeitigung, und die ereignishaft-abgründende Zeitigung in den ,Beiträgen zur Philosophie' beziehen sich auf denselben Sachverhalt und haben dieselbe Zeitigungsstruktur. Die Temporalität, die Heidegger in den ,Grundproblemen der Phänomenologie' als diejenige erläutert hat, aus der die Seinsweisen die temporale Bestimmung erhalten, wandelt sich im EreignisDenken in die ereignishaft-temporale Zeitigung, die in der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung geschieht. b) Die Vollzugsweisen der transzendental-horizontalen Zeitigung werden im Ereignis-Denken als die Modi der ereignishaft-existenzialen Zeitigung gefaßt. Diese ereignishaft-existenziale Zeitigung wird insofern in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht, als im Zeit-Raum der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung die Seinsmöglichkeit des Daseins zeithaft schon eröffnet ist. c) Die ent-

Kap. 3, § 19 Das seinsgeschichtlich erfahrene Menschsein

243

deckende Einräumung wird im Ereignis-Denken in die ereignishaft-existenziale Räumung hineingedacht. Diese Räumung wird insofern in die ereignishaftabgründende Zeitigung-Räumung zurückgedacht, als im Zeit-Raum der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung die Seinsmöglichkeit des Daseins schon raumhaft eröffnet ist. In der ereignishaft-abgründenden Zeitigung-Räumung geschieht also sowohl die ereignishaft-temporale Zeitigung wie auch die ereignishaft-existenziale Zeitigung und Räumung, die jeweils anders, d.h. eigentlich oder uneigentlich, sich vollziehen können. Insofern müssen die Temporalität, Zeitlichkeit und Räumlichkeit, die in der fundamentalontologischen Blickbahn erläutert wurden, in die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung, die den ursprünglichen Zeit-Raum gründet, zurückgedacht werden. Die ereignishaft-abgründende Zeitigung-Räumung ist die Erfiigung des Ab-grundes, welcher die erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins ist. Die Ergründung der Wahrheit vollzieht sich als der eröffnende Entwurf des ZeitRaumes, der dem eigentlichen Vollzug der seinsgeschichtlich bestimmten Seinsmöglichkeit des Da-seins gleichkommt. In diesem Vollzug liegt die seinsgeschichtlich gedachte Geschichtlichkeit des Menschen. Im folgenden Kapitel werden wir zuerst das seinsgeschichtlich gedachte Sein des Menschen aufweisen (§ 19), um von diesem aus die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen herauszustellen (§ 20).

Drittes Kapitel

Das andersanfänglich gedachte Menschsein und seine Geschichtlichkeit § 19 Das seinsgeschichtlich erfahrene Menschsein a) Das Da-sein als den Menschen in seiner Möglichkeit auszeichnende Sein Hier untersuchen wir, wie die schon in der Fundamentalontologie verwendeten Bestimmungen des Daseins (Sorge, Seinsverständnis, Tod, Selbstheit und Eigentlichkeit) im seinsgeschichtlichen Denken von der Wesung der Wahrheit des Seins her ursprünglich gedacht werden. 1. In der seinsgeschichtlichen Blickbahn denkt Heidegger die Geworfenheit des Daseins selbst ursprünglich von dem Zuruf des Seins her. Das entwerfende Dasein selbst wird als vom Sein in dessen Wahrheit geworfenes und so er-eignetes gedacht. Das Entwerfen ist also schon das geworfen-ereignete Entwerfen. Dieses leistet lediglich, "den Gegenschwung im Seyn aufzufangen, d.h. in diesen und somit in das Ereignis einzurücken und so erst er selbst, nämlich der Wahrer des geworfenen Entwurfs, zu werden" (BzP, 304). Als so in die Wahr-

244 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit heit geworfen-ereigneter Werfer nennt sich der Mensch das Da-sein. Mit ,Dasein' meint Heidegger das Menschsein als "eine Weise zu sein, die, indem sie das Da ,ist' (activ-transitiv gleichsam), gemäß diesem ausgezeichneten Sein und als dieses Sein selbst ein einzigartiges Seiendes ist (das Wesende der Wesung des Seyns)" (BzP, 296). ,Da-sein' wird also nie dafür verwendet, die Wirklichkeitsweise von einem Seienden zu bezeichnen, sondern für das Sein des Da bzw. Da zu sein. 1l6 Mit ,Da' wird hier "die Offenheit des Seienden als solchen im Ganzen, der Grund der ursprünglicher gedachten aletheia" (BzP, 296) gemeint. Insofern ist das Da des ,Da-seins' nie ein jeweils bestimmbares Hier und Dort, sondern "die Lichtung des Seyns selbst, deren Offenheit erst den Raum einräumt für jedes mögliche Hier und Dort" (BzP, 298). Das Sein in dem Wort ,Da-sein' meint seinerseits nicht bloß das Vorhandensein, sondern "die inständige Ertragsamkeit der Lichtung", d. h. "die Gründung des Da" (BzP, 298). Das Da-sein ist kein Vorfindliches am vorhandenen Menschen, sondern das vom Sein Ernötigte und so Er-eignete und zwar für die Wesung des Seins in seiner Wahrheit. Sofern nur auf dem Grunde des Menschen als des Da-seins die Wahrheit des Seins geschieht, wird der Mensch als "der aus der Grunderfahrung des Seyns als Ereignis ernötigte Grund der Wahrheit des Seyns" (BzP, 294) gefaßt. Von der Erfahrung des Menschen als ernötigter Grund der Wahrheit des Seins her gesehen, findet der Mensch seine Künftigkeit im ,Da zu sein' (Da-sein): der Mensch ist künftig, "indem er das Da zu sein übernimmt, gesetzt, daß er sich als den Wächter der Wahrheit des Seyns begreift, welche Wächterschaft angezeigt ist als die ,Sorge'" (BzP, 297). Das Dasein als ,Da zu sein' ist der "Grund der Möglichkeit des künftigen Menschens" (BzP, 297). Wenn Da-sein als Grund des künftigen Menschseins "das den Menschen in seiner Möglichkeit auszeichnende Sein" (BzP, 301) ist, ist die Rede vom ,menschlichen Dasein' insofern irreführend, als sie die Meinung nahe legt, es gäbe auch tierisches, pflanzliches ,Dasein'. Die Rede darf aber nur als ein Hinweis auf "die Einzigkeit des Seienden, den Menschen, dem allein das Da-sein eignet" (BzP, 301), verstanden werden. Der Mensch ist einzig, weil es nur ihm eignet, der Gründer und Wahrer der Wahrheit zu sein. Die Sorge ist schon in ,Sein und Zeit' als die ,Sorge' im Sinne von Sorgetragen für das Sein angezeigt. Da-sein ist das Sorgetragen für das Sein. Die Wesungsweise der Sorge wird im seins geschichtlichen Denken hinsichtlich der vollen Wesung des Seins in seiner Wahrheit dreifach gedacht: ,,1. der Sucher des Seyns (Ereignis) 2. der Wahrer der Wahrheit des Seins 3. der Wächter der Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes" (BzP, 294). Als Sucher des Seins empfangt das Da-sein den Zuruf des Seins und entwirft die Wahrheit des Seins. Als Wahrer der Wahrheit des Seins birgt das Da-sein das Da in verschiedener Weise, d.h. "denkerisch, dichterisch, bauend, führend, opfernd, leidend, ju-

116

Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 226, 354.

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belnd" (BzP, 302). Als Wächter der Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes hält das Da-sein in der schweigenden Verhaltenheit die Wahrheit des Seins als diejenige Stätte offen, worin der Vorbeigang des letzten Gottes geschieht. Die Sorge wird von der Wesung des Seins in seiner Wahrheit her als dreifache Bestimmtheit des künftigen Menschen gedacht. 2. Die Aufgabe der Fundamentalontologie liegt im Vollzug der Seinsfrage als der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt. Heidegger faßt diese Fundamentalontologie als "das Übergängliche" (BzP, 305). Einerseits überwindet sie alle Ontologie, indem sie diese aufgrund der Daseinsanalytik begründet und überwindet. Andererseits bleibt sie aber noch metaphysisch, weil sie sich auf dem Begriff ,Transzendenz' gründet. Sofern sie notwendig vom bekannten und geläufigen Begriff ausgehen muß, steht sie "immer im Zwielicht" (BzP, 305). Auf dem transzendentalen Weg ist das Da-sein "bereits im Vorgriff' (BzP, 317). Als solches ist es aus dem Seinsverständnis begriffen und so auf die Wahrheit des Seins bezogen: "Zunächst [... ] [ist] die Gründung des Da-seins ihrerseits übergänglich-suchend, Sorge, Zeitlichkeit; Zeitlichkeit auf Temporalität: als Wahrheit des Seins. Auf Wahrheit als Offenheit des Sichverbergens ist das Da-sein bezogen, angesetzt durch Seinsverständnis" (BzP, 294-95). Das Seinsverständnis geht der ,Subjektivität' und der ,Objektivität' voraus,1I7 indem es den Menschen in "die Offenheit des Seins" rückt und ihn als "den dem Seienden (und zuvor der Wahrheit des Seyns) Ausgesetzten" (BzP, 303) setzt. Das Da-sein als Entrücktsein in die Wahrheit ist der Ansatz für die Wahrheits- und Seinsfrage. Insofern müssen das Seinsverstehen und somit auch das ,umwillen seiner' in der Wendung ,das Dasein existiert umwillen seiner' "rein als Wahrung und Wächterschaft des Seins" (BzP, 302) gedacht werden. Das Seinsverständnis wird so nicht mehr aus der Horizont-Zeit, sondern noch ursprünglicher von der Wesung des Seins her als jener Wesung zugehöriges gedacht. 3. Der Tod ist in ,Sein und Zeit' vor allem als ausgezeichnete Möglichkeit des Da-seins begriffen. Er wird nun im seinsgeschichtlichen Denken als "die äußerste Möglichkeit des Da" (BzP, 324) und als "das höchste und äußerste Zeugnis des Seyns" (BzP, 284) gefaßt. Denn im "Vor-laufen zum Tode"118 eröffnet sich "die Offenheit für das Seyn ganz und aus dem Äußersten" (BzP, 283). Als solches ist das "Vorlaufen in den Tod" "höchstes Da-sein, das die Verborgenheit des Da mit in die Inständlichkeit des Bestehens der Wahrheit einbezieht" (BzP, 325). Sofern die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen

117 "Seinsverständnis" meint "niemals, der Mensch besitze als Subjekt eine subjektive Vorstellung vom Sein", sondern es besagt nur, daß "der Mensch seinem Wesen nach im Offenen des Entwurfs des Seins steht und dieses so gemeinte Verstehen aussteht" (SvG, 146). 11K Das Vorlaufen in den Tod ist "Sterben" im Sinne von "den Tod in sein Wesen austragen" (GA 79, 56).

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in der Übernahme der Offenheit des Seins liegt, die sich erst im Vorlaufen zum Tode ganz und äußerst eröffnet, ist das ek-sistierende Sein zum Tode "der Stachel höchster Geschichtlichkeit" (BzP, 282). Das Dasein wird aus dem Vorlaufen zum Tod das Da-sein. Als Geschehenlassendes des Da-seins hat das Vorlaufen zum Tod einen "Hinweis in das tiefste Wesen des Nichts" (BzP, 325), d.h. "die wesenhafte Zugehörigkeit des Nicht zum Sein als solchem" (BzP, 282). Von der Wesung des Da-seins und somit des Da-seins in dem Vorlaufen zum Tode her gesehen, ist die Alltagsvorstellung des Todes als ,Ende' und ,Nichts' nicht zutreffend. Vielmehr ist der "Einbezug des Todes in das Da" (BzP, 325) phänomenologisch sachgemäß. "9 Das Dasein eröffnet die Wahrheit des Seins ganz und äußerst, indem es in den Tod vorläuft. Der Tod als äußerste Möglichkeit des Daseins wird so dem in ihn Vorlaufenden gegenüber als derjenige gedacht, der die ganze und äußerste Wahrheit des Seins eröffnet. 4. Der Mensch wird vom Sein zum Ausstehen der Wesung der Wahrheit des Seins gebraucht. Nur als so Gebrauchter und so in das Da Hineinstehender ist der Mensch als Da-sein. Insofern vollzieht sich das Selbstsein des Menschen "erst aus der Inständigkeit im Da-sein" (BzP, 319), d.h. im "Zeit-Raum" (BzP, 323). Das Wesen des Selbst wird üblicherweise in Hinsicht auf den Bezug eines Ich auf ,sich' als "die Selbigkeit des Vorstellenden mit dem Vorgestellten" bzw. als "Ichbewußtsein" (BzP, 319) gefaßt. Das Vor-stellen aber kommt nur zur Subjekt-Objekt-Beziehung und zum Ich-stelle-vor-,Bewußtsein'. In diesem Kontext wird seinsgeschichtlich das ,Leben' gegen das Vor-stellen betont. Nietzsches Frage nach dem Leben entsteht als eine "Re-aktion" (BzP, 326). Als solche hat Nietzsches Frage aber keine Ursprünglichkeit, sondern gründet nur in einer Gegnerschaft. Die Auflösung des ,Ich' in das ,Leben als Volk' ist zwar eine Überwindung des Vorrangs des ,Ichbewußtseins', aber keine ursprüngliche Überwindung, weil sie nicht aus der Besinnung auf den Ursprung der Selbstheit, sondern aus der Gegnerschaft gegen den abgefallenen Selbst-Begriff vollzogen ist. Der Ansatz des Ichbewußtseins ist selbst nicht ursprünglich, denn dieses selbst wird erst aus der Wesung des Da-seins geklärt. Die Selbstheit des Menschen entspringt aus dem Ursprung des Da-seins, d.h. aus dem "Eigenturn" im Sinne der "Herrschaft der Eignung im Ereignis" (BzP, 320, vgl. 489). Mit ,Eignung' ist hier zumal Zueignung und Übereignung gemeint. Das Dasein kommt zu sich selbst, sofern es "sich zu-geeignet wird als zugehörig zum Ereignis" (BzP, 320). Dabei vollzieht sich die Zu-eignung in die Zugehörigkeit zugleich als die Über-eignung in das Ereignis. Das Eigentum als Herrschaft der Eignung ist "Geschehnis der in sich gefügten Zu- und Übereignung" und als solches der "Grund der Selbstheit" (BzP, 320). Die Selbstheit des Selbst besteht 110 Der Tod ist "als äußerste Möglichkeit des sterblichen Daseins nicht Ende des Möglichen, sondern das höchste Ge-birg (das versammelnde Bergen) des Geheimnisses der rufenden Entbergung" (VuA, 248). "Der Tod ist als der Schrein des Nichts das Gebirg des Seins" (VuA, 171, GA79, 18).

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darin, daß es im Eigentum inständig bleibt: "Die Inständigkeit in diesem Geschehnis des Eigentums ermöglicht erst dem Menschen, geschichtlich zu ,sich' zu kommen und bei-sich zu sein" (BzP, 320). Die Selbstheit wird so von der zweifachen Eignung im Ereignis her als Inständlichkeit in der Wesung der Wahrheit gedacht. In der Seinsverlassenheit steht der Mensch im Offenen des Unwesens des Seienden. Sofern auch dieses ein (wenngleich nicht ursprünglich eröffnetes) Offenes (vgl. BzP, 3 16) ist, wird darin dem Menschen eine Möglichkeit gegeben, für ,sich' zu sein, auf ,sich' zurückzukommen. Dabei bleibt allerdings das Selbst nicht zugehörig zur Wahrheit des Seins und ist in solchem Sinne leer. Dieses leere Selbst erfüllt sich immer wieder aus dem Vorhandenen und Vorfmdlichen, aber nicht aus der Wahrheit des Seins. Das uneigentliehe Zu-sichkommen des Menschen hat "keinen Entscheidungscharakter und ist ohne Wissen um die Verhaftung in das Geschehnis des Da-seins" (BzP, 320). Hingegen ist das eigentliche Zu-sieh-kommen des Menschen, d.h. die Wesung des Selbst, für die Wesung der Wahrheit des Seins entscheidend und so geschichtlich. Als solche ist die Wesung des Selbst noch ursprünglicher als jedes Ich und Du und Wir, denn diese werden erst im Selbst sich sammeln und nur aus diesem je ,selbst'. Das Selbst gründet im Da. Dieses ist "das offene, lichtend verbergende Zwischen zu Erde und Welt, die Mitte ihres Streites und damit die Stätte der innigsten Zu-gehörigkeit" (BzP, 322). Ohne dieses Zwischen erreicht kein ,Wir' und ,Ihr' und kein ,Ich' und ,Du' jemals das Selbst. Das Da ist also "der Grund des Zu-sich, des Selbst und der Selbstheit" (BzP, 322).120 Insofern muß die Selbstheit des Da-seins ursprünglich, d. h. aus dem Da, gedacht werden. Im Da west das Bei-sieh-sein des Selbst als "Inständigkeit der Über-nahme der Ereignung" (BzP, 322). Die Selbstheit des Menschen besagt das Bei-sieh-Sein des Selbst, das nur als ereignete Inständigkeit in der Wesung der Wahrheit, d.h. des Zeit-Raumes (d.h. des Offenen) und der Offenheit des Offenen, geschieht. 5. Das Da-sein als ,Da zu sein' ist es, das den Menschen als einen solchen sein läßt. Insofern ist es "der schaffende Grund des Menschseins" (BzP, 323). Der Mensch ist in der Weise der Gründung des Da als Gründender des Da. Das Da-sein vollzieht sich augenblicklich, Geschichte-gründend und so geschichtlich. Insofern heißt es, daß "das Da-sein nur Augenblick und Geschichte ist" (BzP, 323). Von hier aus wird das gewöhnliche Menschsein als Weg-sein bestimmt. Es ist ,weg' von der Wesung des Da und bleibt nur beim Seienden als dem Gewöhnlichen: "Weg-sein ist der ursprünglichere Titel für die Uneigent-

120 "Wäre im Menschen nicht das Verstehen von Sein, er könnte sich nicht zu sich selbst als Seiendem verhalten, er könnte nicht ,ich' und nicht ,du' sagen, er könnte nicht er selbst, nicht Person sein. Er wäre in seinem Wesen unmöglich. Das Seinsverständnis ist demnach der Grund der Möglichkeit des Wesens des Menschen" (GA31, 125, vgl. EiM, 88, GA34, 79).

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lichkeit des Da-seins" (BzP, 324). Während das Da-sein besagt: "die Offenheit des Sichverbergens ausstehen", meint das Weg-sein: "die Verschlossenheit des Geheimnisses und des Seins betreiben, Seinsvergessenheit" (BzP, 301). Dem Menschen ist das Weg-sein aber nur möglich, weil er eigentlich das Da-sein ist. Bei dem Weg-sein ist der Mensch "vernarrt und verschossen in etwas, verloren an dieses" (BzP, 301). Aber auch das Weg-sein ist eine wesentliche Weise des Sichverhaltens des Menschen zum Da, welche die "Verleugnung der Ausgesetztheit in die Wahrheit des Seins" (BzP, 304) bedeutet. Das Da west nur im Da-sein. Zum Da gehört aber als seine ständige Möglichkeit das Weg im Sinne der Verborgenheit des Da. Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit werden ursprünglich aus der Wesung der Wahrheit als Da-sein und Weg-sein betitelt. Sofern das Da-sein denjenigen Menschen besagt, der in der Weise des Da-seins oder des Weg-seins die Wahrheit des Seins als Anfang der Geschichte gründend übernimmt oder verleugnend verliert, kennzeichnet das Da-sein den Menschen in seiner ausgezeichneten Seinsmöglichkeit.

b) Die Ek-sistenz als ursprüngliches Wesen des Menschen

1. Die Auffassung der Menschlichkeit des Menschen wandelt sich jeweils. In der Zeit der römischen Republik steht der homo humanus als gebildeter Römer dem homini barbaro gegenüber. Im Christentum steht die Menschlichkeit des Menschen in der Abgrenzung gegen die Göttlichkeit (deitas). Für Marx ist der menschliche Mensch als ,natürlicher' Mensch der gesellschaftliche. Heidegger sieht in den verschiedenen Auffassungen der Menschlichkeit, daß sie gemeinsam aus dem "Hinblick auf eine schon feststehende Auslegung der Natur, der Geschichte, der Welt, des Weltgrundes, das heißt des Seienden im Ganzen" (BüH, 321), bestimmt sind. Jede Art des Humanismus, die entweder in einer Metaphysik gründet oder sich selbst zum Grund einer solchen macht, setzt schon "die Auslegung des Seienden ohne die Frage der Wahrheit des Seins" (BüH, 321) voraus. Jede Bestimmung der Menschlichkeit, die in der bestimmten Auslegung des Seienden gründet, setzt daher das ,allgemeinste' Wesen des Menschen als etwas Selbstverständliches voraus. Dieses ist nämlich "das animal rationale", das "nicht nur die lateinische Übersetzung des griechischen ,zoon logon echon', sondern eine metaphysische Auslegung" (BüH, 322) ist. Denn hier ist Logos zur Definition des Menschen metaphysisch als ratio ausgelegt. 121 Bei der Auffassung des Menschenwesens fragt der Humanismus nicht nach dem "Bezug des Seins zum Menschenwesen" (BüH, 321). Dem seinsgeschichtlichen Denken aber enthüllt sich der Bezug des Seins zum Menschenwesen als Frag-würdiges. 121 Zu der seinsgeschichtlichen Bedeutung der Übersetzung vgI. UdK, 8, WhD, 107, 110,138, SdA, 332, SvG, 164, 171. Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 307-23, 334-35.

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Das "Setzen" der anima als animus sive mens, als Subjekt, als Person, als Geist ist "die Art der Metaphysik" (BüH, 323). Metaphysisch bzw. mit dem genus proximum und der differentia specifica definierend, denkt man "im Prinzip immer den homo animalis" (BüH, 323, vgl. BzP, 491), aber nicht die Herkunft des Wesens des Menschen. Seinsgeschichtlich gedacht, west der Mensch nur in seinem Wesen, indem er vom Sein in Anspruch genommen ist: "Nur aus diesem Anspruch ,hat' er das gefunden, worin sein Wesen wohnt" (BüH, 323). Vom Sein angesprochen, steht der Mensch in der Lichtung des Seins. Dieses Stehen in der Lichtung des Seins ist die dem Menschen eigene ,Art zu sein' und nennt sich ,Ek-sistenz'. Schon in ,SUZ' meint ,Existenz' nicht die existentia als Vorhandensein, sondern das Verhalten des Daseins zum Sein und ist zuletzt als "die volle Zeitlichkeit und zwar als ekstatische" (BzP, 302) gefaßt. Das Da-sein als ex-sistere bedeutet also "Eingerücktsein in und Hinausstehen in die Offenheit des Seyns", d. h. "inständliche Einrückung in das Da" (BzP, 303). Das Dasein ist nur als Da-sein "durch eine verrückende Einrückung" (BzP, 309), d.h. durch die Ek-sistenz. Zur Vermeidung der existenzphilosophischen Mißdeutung einerseits (vgl. BzP, 302) und zur Betonung des ekstatischen Charakters des Da-seins andererseits (vgl. GA49, 54) verwendet Heidegger in seinem späten Denken anstatt ,Existenz' die Schreibweise ,Ek-sistenz' .122 Die Eksistenz ist die menschliche Seinsweise (das Wie-zu-sein), in der das Wesen des Menschen beruht: "Das, was der Mensch ist, das heißt in der überlieferten Sprache der Metaphysik das ,Wesen' des Menschen, beruht in seiner Eksistenz" (BüH, 325, vgl. 330). Die Ek-sistenz als ekstatisches Innestehen in der Wahrheit ist "der Grund der Möglichkeit der Vernunft, ratio" (BüH, 324). Als der Ursprung des erstanfanglieh bestimmten Wesens des Menschen ist die Eksistenz das ursprüngliche Wesen des Menschen. Diese Ek-sistenz ist zugleich "das, worin das Wesen des Menschen die Herkunft seiner Bestimmung wahrt" (BüH, 324). Das Wort "Bestimmung" meint hier die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Menschen als Wahrer der Wahrheit des Seins. Sofern Ek-sistenz bedeutet, daß der Mensch vom Sein angesprochen und in seine Wahrheit geworfen ist, enthüllt sich schon die seins geschichtliche Bestimmtheit des Menschen aus dem Sein. Die Ek-sistenz als Innestehen in der Wahrheit des Seins bedeutet, daß der Mensch seinsgeschichtlich als Wahrer der Wahrheit des Seins

122 Existenz wird in der Freiburger Vorlesung von 194 I als ,Inständigkeit' gefaßt: " ... ,Inständigkeit'. Darin liegt das zweifache. Innestehen in der ekstatischen Offenheit der ,Zeit'; dieses Innestehen ist aber zugleich ,inständig' im Sinne von ,ohne Unterlaß verbleibend' im Wesensbezug zum Sein des Seienden; die Inständigkeit im Sein wird ,Sorge' genannt" (GA49, 54, vgI. UdK, 54). Unter ,Inständigkeit in der Lichtung' wird mehr als Ek-stase verstanden: ,,[ ... ] Inständigkeit in der Lichtung; dieser Ausdruck [... ] müßte in der Einheit von zwei Bedeutungen verstanden werden: I) den drei Ek-stasen innestehen; 2) das Sein durch das ganze Dasein wahren und ausdauern" (V. Sem, 122)"Inständlich in der Lichtung - ist der Mensch im Grunde des Da-seins. Inständigkeit aber ist ursprünglich: Stimmung" (GA68, 45).

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bestimmt ist. Die Ek-sistenz als Ursprung des Menschenwesens bzw. "Wesensherkunft" des Menschen wird also im anderen Anfang als die "Wesenszukunft" des Menschen,123 die "rur das geschichtliche Menschentum" (BüH, 323) gewesen ist. Die Ek-sistenz ist das seinsgeschichtlich gedachte ursprüngliche Wesen des Menschen, das im anderen Anfang das künftige Wesen des Menschen wird. 124 Die Ek-sistenz ist der Grund des menschlichen Austragens der Wahrheit des Seins in der Weise des Sorgetragens. Insofern heißt es: "Als der Ek-sistierende steht der Mensch das Da-sein aus, indem er das Da als Lichtung des Seins in ,die Sorge' nimmt" (BüH, 327). ,Sorge' ist in der Daseinsanalytik des I. und 2. Abschnittes von ,SuZ' (1927) in ihrer vollen Struktur aufgewiesen und zwar als das Sich-vorweg - schon-sein - in (einer Welt) - als Sein-bei (innerweltlichem Seienden). Dieses meint das geworfen-entwerfende Entdecken. In ,GdP' (SS. 1927) wird die Sorge als das Sorgetragen sowohl filr die Selbsterschlossenheit des Daseins als des In-der-Welt-seins als auch rur die Erschlossenheit des Seins im Ganzen aufgeklärt. Das seinsgeschichtlich gedachte Sorgetragen rur das Sein in der Wahrheit ist aber nicht einfach mit dem Sorgetragen rur das Ganze solcher zweifachen Erschlossenheit gleichzusetzen, weil jenes nun ein gewandeltes ist. In der transzendental-horizontalen Blickbahn ist das Sorgetragen das Verhältnis der ermöglichenden Bedingung zum Ermöglichten. Hingegen ist es in der seinsgeschichtlichen Blickbahn das Verhältnis des ereigneten Entwurfs zu der zugeworfenen Wahrheit des Seins, das das Sichbergen des Seienden in die Wahrheit des Seins bringt. 125 Das In-die-Sorge-Nehmen der Wahrheit des Seins wird so als ereignet-entwerfende Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden verstanden. 2. In der Sorge struktur fmdet sich der Bezug des Seins zum Da-sein. Denn das, was den Menschen als Da-sein wesen läßt, ist nicht der Mensch, sondern das Sein selbst: "Das Da-sein selbst aber west als das ,geworfene'. Es west im Wurf des Seins als des schickend Geschicklichen" (BüH, 327). Das Da-sein ist es, das den Grundzug der Ek-sistenz hat. Insofern ist es das Sein selbst, das "den Menschen in die Ek-sistenz des Da-seins als sein Wesen schickt" (BüH, 337). So enthüllt sich der Bezug des Seins zum Da-sein als das Schicken des Menschen in die Ek-sistenz. Dieser Bezug, den das Sein zum Da-sein hat, ist das Zusichversammeln der Ek-sistenz als "Ortschaft der Wahrheit des Seins in-

123 "Herkunft aber bleibt stets Zukunft" (UzS, 91). 124 Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 336-40 125 "Sein geht über (das) hin, kommt entbergend über (das), was durch solche Überkommnis erst als von sich her Unverborgenes ankommt. Ankunft heißt: sich bergen in Unverborgenheit: also geborgen anwähren: Seiendes sein" (luD, 56).

Kap. 3, § 19 Das seinsgeschichtlich erfahrene Menschsein

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mitten des Seienden" (BüH, 332).126 Dem seinsgeschichtlichen Denken enthüllt sich das ,es gibt' in der Sprachwendung ,es gibt Sein' als "das gebende, seine Wahrheit gewährende Wesen des Seins" (BüH, 334). Dieses bedeutet: "Dieses ,es gibt' waltet als das Geschick des Seins" (BüH, 335). Sofern das Sein jeweils anders seine Wahrheit gewährt, ist die Wahrheit des Seins bzw. das Sein in der Wahrheit geschickhaft: "Zum Geschick der Wahrheit kommt das Sein, indem es, das Sein, sich gibt. Das aber sagt, geschickhaft gedacht: Es gibt sich und versagt sich zumal" (BüH, 335). Die jeweilige Wahrheit ist "die Schickung des Seins selbst" (BüH, 336), das sich versagt. Das Sein, das sich-versagend sich gibt, ist "das Geschick der Lichtung" (BüH, 336). Das Sein versammelt zu sich den Menschen als Ortschaft der Wahrheit des Seins, so daß dieser zu sich zugeeignet und als Da-sein west. Aus der zu sich sammelnden Schickung des Seins ersteht die Seinsgeschichte als die Geschichte der Wahrheit des Seins. 3. In der Sorgestruktur liegt nicht nur der Bezug des Seins zum Da-sein, sondern ebenso das Verhältnis des Menschen zum Sein. Dieser Bezug vollzieht sich als das ekstatische Innestehen in der Wahrheit des Seins als deren Übernehmen (vgl. BzP, 467). Das in ,SuZ' genannte ,Verfallen' ist "ein wesenhaftes Verhältnis des Menschen zum Sein innerhalb des Bezugs des Seins zum Menschenwesen" (BüH, 332). Auch die Titel ,Eigentlichkeit' und ,Uneigentlichkeit', die "präludierend gebrauchteen)" wurden, kennzeichnen den ",ekstatischen' Bezug des Menschenwesens zur Wahrheit des Seins" (BüH, 333).127 In der Weise des er-eigneten Entwurfs der Wahrheit des Seins verhält sich der Mensch zum Sein. Als solcher ist er "der Hirt des Seins" (BüH, 331). Die Wendung ,Hirt des Seins' meint nie eine auf das Da-sein bezogene Kehre vom "Platzhalter des Nichts" (WiM, 118) zum "Hirten des Seins".128 Sofern zum Wesen des Seins das nichtende Nichts als eine Wesungsweise des Seins gehört, ist der Hirt des Seins zugleich der Platzhalter des Nichts. Mit dem seinsgeschichtlichen Denken des Menschenwesens als Ek-sistenz versucht Heidegger,

12fi Vgl. auch: ,,[ ... ] um jede Sinnfalschung von Wahrheit zu vermeiden, um auszuschließen, daß sie als Richtigkeit verstanden würden, wurde ,Wahrheit des Seins' erläutert durch ,Ortschaft des Seins', - Wahrheit als Örtlichkeit des Seins" (V. Sem, 73, GAI5, 335). Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 24. 127 Insofern ist das Da des Da-seins der zu entwerfende Aufenthaltsbereich des Menschen: "Wir halten uns in einem Bereich auf, der zumal vom Zuwurf der Wahrheit des Seins und von der Verwerfung des Seins ständig durchzogen ist" (GA51, 89). 12K "Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst macht den Menschen zum Platzhalter des Nichts" (WiM, 118). "Sein und Nichts gehören zusammen [... ]" (WiM, 120). "Das Nichts ist das Nicht des Seienden und so das vom Seienden her erfahrene Sein" (WdG, 123). Insofern wird der Satz: ,Der Mensch ist der Platzhalter des Nichts' wie folgt verstanden: "Der Mensch hält dem ganz Anderen zum Seienden den Ort frei, so daß es in dessen Offenheit dergleichen wie Anwesen (Sein) geben kann" (Wegmarken, 419). Da der Mensch der "Platzhalter des Nichts" ist, kann er der Hirt des Seins sein (vgl. V. Sem, \08).

252 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

von dem methodisch geregelten neuzeitlichen Zugang zur Natur abzulassen. Im seinsgeschichtlichen Denken wird der Mensch weder als "der Herr des Seins" (GA 79, 69) noch als "der Herr des Seienden", sondern "der Hirt des Seins" (BüH, 342, GA 79, 71) gefaßt. '29 Das Hirten des Seins vollzieht sich in der Weise des Hütens der Wahrheit des Seins. Dabei ist das Hüten nicht nur das empfangende Eröffnen der Wahrheit des Seins, sondern auch deren Verwahrung im Seienden. Insofern ist das Hüten der Wahrheit des Seins zugleich das Hüten des Seienden. Sofern der Mensch nicht mehr der Herr des Seienden ist, verliert er den Herrencharakter, den ihm das neuzeitliche Denken zugeschrieben hat. Damit geht er in die Armut ein. l3o Dieses Eingehen in die Armut ist, seinsgeschichtlich gedacht, ein Gewinn der Zugehörigkeit zur Wahrheit des Sein als eines großen Reichtums des Menschen: Der die Herrschaft über das Seiende aufgebende Mensch gewinnt "die wesenhafte Armut des Hirten, dessen Würde darin beruht, vom Sein selbst in die Wahrnis seiner Wahrheit gerufen zu sein" (BüH, 342, vgl. N.II, 489). Die einzige Würde des Menschen liegt darin, daß er der Wahrer der Wahrheit, d.h. "das Wahrende der Wahrheit des Seyns" (GA55, 387), ist. Als vom Sein in seine Wahrheit geworfener wohnt der Mensch in der Nähe (d.h. in der Wahrheit) des Seins. \31 In solchem Sinne ist er "der Nachbar des Seins" (BüH, 342). Das Verhältnis des Menschen zum Sein besagt, daß der Mensch ekstatisch in der Wahrheit des Seins steht bzw. in der Nähe zum Sein als dessen Nachbar wohnt, indem er die Wahrheit des Seins hütet. \32 Das so zu fassende Verhältnis des Menschen zum Sein wird als Eksistenz gekennzeichnet. Dem seinsgeschichtlichen Denken zeigt sich "das künftige Geschick des Menschen darin, daß er in die Wahrheit des Seins findet und sich zu diesem Finden auf den Weg macht" (BüH, 341). Dies bedeutet: "Das Sein ist als das Geschick des Denkens" (BüH, 363). Wenn wir die Seinsvergessenheit aus dem Wesen der Geschichte des Seins her als Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen denken, enthüllt sich die Nähe zum Sein als die

129 Mit der Wendung ,Hirt des Seins' spielt Heidegger auf Descartes' Auffassung des Menschen an. Im 2. Abschnitt des 6. Teils vom ,Discours de la methode' (übersetzt und hergegeben von Lüder Gäbe, Hamburg 1990) spricht Descartes davon, daß die Menschen "maHres et possesseurs de la nature" werden könnten. 130 Kah Kyung Choi erläutert, indem er west-östliche Wege im Denken Heideggers nachvollzieht, den Armut-Charakter des Seins, dem die Armut des Menschseins entspricht, wie folgt: "Wäre der Brauch, wäre der Weg das schlechthin Andere zum ,Nutzen für den Menschen' oder zum ,humanen' Weg, so würde Chreon und Tao um den Anteil des menschlichen Seins ärmer sein" (,Europa und die Philosophie', 168). 131 Für den Bezug von Nähe und Feme vgl. Gel, 66, GA 79, 17, 24, 46. 132 Das Wohnen in der Nähe zum Sein ist schon eine Rückkehr von dem Weg-sein zum Da-sein, das sich in jeder Weise der dichterischen (stiftenden, d.h. schenkendgründend-anfangen lassenden) Verwahrung der Wahrheit des Seins vollzieht (vgl. UdK, 63). In diesem Zusammenhang ist folgende Aussage verständlich: "Das Wohnen selbst, das Heimischsein, ist das Heimischwerden eines Unheimischseins. Dieses gründet im Dichterischen" (GA53, 171).

Kap. 3, § 19 Das seinsgeschichtlich erfahrene Menschsein

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Heimat des geschichtlichen Wohnens. Von hier aus entformiert Heidegger die formale Bestimmung des Humanismus als "Sinnen und Sorgen, daß der Mensch menschlich sei und nicht un-menschlich, ,inhuman', das heißt außerhalb seines Wesens" (BüH, 319), wie folgt: "Es ist der Humanismus, der die Menschheit des Menschen aus der Nähe zum Sein denkt" (BüH, 342-43).133 Das hütende Wohnen in der Wahrheit als künftiges Geschick des Menschen wird von Heidegger auch in dem Begriff der Gelassenheit gedacht. Die Gelassenheit aber bedeutet für ihn nicht eine Verschmelzung des Menschen in die einigende Begegnung mit dem Sein selbst. Der Gedanke der verschmelzenden Versenkung der endlichen Menschenseele ins Göttliche findet sich im Denken Meister Eckharts und zwar in seinem Begriff der Gelassenheit. Zwar knüpft Heideggers Denken der Gelassenheit an Meister Eckhart an. Heideggger hat aber das Eckhartsche Gelassenheitsdenken und die formale Struktur der Gelassenheit für sein Ereignisdenken aufgenommen. 134 Die volle Struktur der Gelassenheit Heideggers ist als Sich-loslassen aus dem metaphysischen vor-stellenden Denken und Sich-einlassen in die Wahrheit des Seins (vgl. Gel, 42, 48, 49, 57, 70, BzP, 454) zu bezeichnen. Die Gelassenheit in ihrer vollen Struktur ist in sich das Wohnen in der Nähe zum Sein. Dieses Wohnen aber kann weder als eine mystische Versenkung der Seele in ihren göttlichen Grund, noch als eine einigende Verschmelzung des Daseins mit dem Sein selbst aufgefaßt werden. Für Heidegger ist "das ,Sein'" "nicht Gott und nicht ein Weltgrund" (BüH, 331). Vielmehr ist es das Sein, das jeweils in seiner Wahrheit west. In diesem Sinne und nicht bloß etwa tautologisch heißt es: "Doch das Sein - was ist das Sein? Es ,ist' Es selbst" (BüH, 331).135 In der gelichteten Wahrheit wohnt der Mensch in der Nähe des Seins. Dabei aber bleibt die Verborgenheit des Seins selbst als Geheimnis (vgl. WdW, 193, GA79, 77) bestehen. Insofern ist das Wohnen in der Nähe zum Sein der Vollzug der endlichen Ek-sistenz. Als endliche Ek-sistenz hütet der Mensch die Wahrheit des Seins. Die Ek-sistenz, d. h. das Innestehen in der Wahrheit des Seins bzw. "das ekstatische Wohnen in der Nähe des Seins", ist also "die Wächterschaft, das heißt die Sorge für das Sein"

133 Das Begreifen des Humanismus als das Denken des Menschenwesens aus dem Sein wird mit der Wendung ,Iocus a non lucendo' bezeichnet. Denn "das Denken der Ek-sistenz, das diese nicht von ihr selber her erfährt", würde, "gäbe es sich die Bezeichnung Humanismus, diese seinem Gegenteil entnehmen, jener Bemühung um das Wesen des Menschen, die um seiner selbst willen geschieht" (F.-W. von Hermann, ,Wege', 348-49). 134 Vgl.: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 386. 135 Diese Wendung bezieht sich einerseits auf die phänomenologische Maxime ,Zu den Sachen selbst', andererseits auf die ontologische Differenz. Der Maxime zufolge muß die jeweils zu denkende Sache von ihr selbst her bestimmt werden. Der ontologischen Differenz zufolge ist das Sein nicht aus irgendeinem Charakter irgendeines Seienden, sondern nur aus seiner eigenen Wesung, d.h. in der Wahrheit des Seins, zu fassen (vgl. BzP, 473).

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(BüH, 343). Als solche ist die Ek-sistenz insofern "das Wesen des ,In-derWelt-seins'" (BüH, 358), als ",Welt'" "die Lichtung des Seins, in die der Mensch aus seinem geworfenen Wesen her heraussteht" (BüH, 350), besagt. 136 Der Mensch als In-der-Welt-Sein bzw. Innestehen in der Wahrheit des Seins wohnt in der Nähe zum Sein, um dessen Wahrheit und somit das Sein in dieser zu hüten. Der Bezug des Menschen zum Sein schließt als hütendes Wohnen in der Wahrheit eine Verwandlung der Grundhaltung des Menschen ein (vgl. BzP, 294).

c) Das Entbergen des Seienden in seiner Offenbarkeit als konkreter Vollzug der Ek-sistenz

In der Sorgestruktur findet sich auch der Bezug des Menschen zum Seienden als die entdeckende Verwahrung des Seins im Seienden (vgl. BzP, 467). Der Mensch hütet existierend die Wahrheit des Seins, um das Seiende in seinem Sein erscheinen zu lassen (vgl. BüH, 330). Die Ek-sistenz vollzieht sich konkret in der Weise, daß sie von der Offenheit des Seins her das Seiende als Anwesendes in seiner Seinsweise (Anwesenheitsweise) offenbarwerden läßt. Heidegger hat in der Daseinsanalytik die Grundartikulation von Was- (und Wer-)sein und Seinsweise (Wie-sein) und das Problem der möglichen Modifikation der Seinsweise und deren Einheit nicht thematisch behandelt. Denn sie sollten in dritten Teil von ,SuZ', der nicht veröffentlicht wurde, zusammen mit dem Grundproblem der ontologischen Differenz und dem Problem des dem Sein eigenen Wahrheitscharakters behandelt werden. 137 Die Herkunft der Unterscheidung von Was-sein und Seinsweise liegt nicht im menschlichen Tun, sondern in der Wesung des Seins in seiner Wahrheit. In dieser Wesung des Seins wird dieses in sich artikuliert. Die Offenbarkeitsweise, in der das nichtdaseinsmäßige Seiende in dessen Seinsweise und Was-sein offenbar (entdeckt) wird, ist die Seiendheit des Seienden. Die Seiendheit als die Offenbarkeitsweise des Seienden ist zugleich die Bergungsweise, d.h. die Weise, wie das Seiende in der Wahrheit des Seins geborgen ist. Insofern muß die Seiendheit als Offenbar136 "Welt meint eher ein Wie des Seins des Seienden als dieses selbst" (WdG, 143). "Sein hat sein Wesen aus dem Welten von Welt zu eigen. [... ] Wenn Welt erst sich eigens ereignet, entschwindet Sein, mit ihm aber auch das Nichts in das Welten" (GA79, 49). "Welt aus Wesen der Wahrheit und des Da!" (BzP, 295). Vgl. § 15. m Das Problem der Grundartikulation des Seins klärt Heidegger als diejenige Frage auf, die "nach der notwendigen Zusammengehörigkeit von Was-sein und Weise-zu-sein und der Zusammengehörigkeit bei der in ihrer Einheit zur Idee des Seins überhaupt" (GdP, 24) fragt. Das Sein lichtet sich in seiner Wahrheit vielfaltig. Diese Vielfältigkeit der Lichtung des Seins ist "die in sich bleibende Entfaltung der Innigkeit des Seyns selbst" (BzP, 244). Insofern wird auch die Herkunft der Unterscheidung zwischen Wasund Daß-sein von Heidegger als das Sein selbst gedacht: "Die Unterscheidung zwischen Was-sein und Daß-sein kommt aus dem Sein (Anwesenheit) selbst" (N. 11, 407).

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keitsweise des Seienden von der bloßen Seiendheit als dem metaphysischen Seinsbegriff unterschieden werden; die Seiendheit als Offenbarkeitsweise des Seienden wird nicht aus dem metaphysichen Begreifen des Seienden, sondern aus der Wahrheit des Seins bestimmt. Konkret vollzieht sich die Ek-sistenz in der Weise, daß sie das Seiende als Anwesendes in seiner eigenen Offenbarkeitsweise offenbarwerden läßt, d.h. es von der jeweiligen Wahrheit des Seins her in seiner Anwesenheitsweise und seinem Was-sein entdeckt. Die Ek-sistenz als übernehmend-entfaltende Bewahrung l38 bzw. empfangend-eröffnende Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden entdeckt dieses so in seiner eigenen Offenbarkeitsweise. Die Offenbarkeitsweise des Seienden wird aus der jeweiligen Wahrheit bestimmt, die ihrerseits als Geschick des Seins geschieht. 139 Zu der Bestimmtheit der Offenbarkeitsweise des Seienden aus dem Geschick des Seins heißt es: "Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins" (,BüH', 330-31). Hier wird mit der Sprachwendung "die Ankunft des Seienden" die geschichtlich sich wandelnde Offenbarkeitsweise des Seienden verstanden, die aus der jeweiligen Wahrheit des Seins als dem Geschick des Seins bestimmt wird. Zwar hat der Mensch sowohl an der Geschehensweise der Wahrheit (als empfangend-Eröffnender) als auch an der Offenbarkeitsweise (als Verwahrender) teil. Aber diese Teilhabe ist nicht vom Menschen selbst her, sondern aus dem Sein selbst bestimmt, das den Menschen in die Wahrheit des Seins ruft und wirft. Insofern bestimmt sich die Ek-sistenz als empfangend-eröffnende Verwahrung der Wahrheit geschickhaft aus dem Geschick des Seins und nicht vom Menschen selbst: "Ob es [das Seiende] und wie es erscheint, [... ] entscheidet nicht der Mensch"(,BüH', 330). Obwohl der Mensch in der Weise der bewahrenden Verwahrung der Wahrheit im Seienden, d.h. durch den konkreten Vollzug der Ek-sistenz, am Erscheinen des Seienden teilhat, werden "Daß" und auch "Wie" ursprünglich nicht vom Menschen, sondern vom Geschick des Seins entschieden und bestimmt. Mit der Wesung der jeweiligen Wahrheit geschehen gleichzeitig die Wesung des Seins und die Offenbarkeitsweise des Seienden. 140 Der Mensch bestimmt die Wesung der Wahrheit nicht, sondern emp13M Heidegger betont im Brief an Munier den Bezug von Mensch und Wahrheit wie folgt: "Es gilt, das Da-sein in dem Sinne zu erfahren, daß der Mensch das ,Da', d.h. die Offenheit des Seins für ihn, selbst ist, indem er es übernimmt, sie zu bewahren und bewahrend zu entfalten" (V. Sem, 145). 139 Z.B.: "Seiendes als unverborgen in seinem Anwesen, Seiendes als vorgestellter Gegenstand, Seiendes als bestell barer Bestand" (F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 71). 140 "Das Sagen von der Wahrheit; denn sie ist das Zwischen für die Wesung des Seyns und die Seiendheit des Seienden. Dieses Zwischen gründet die Seiendheit des Seienden in das Seyn" (BzP, 13). "Das Offene vermittelt die Bezüge zwischen allem Wirklichen. Dieses besteht nur aus solcher Vermittelung und ist daher ein Vermitteltes. [... ] Das Offene selbst ist das Unmittelbare" (EzHD, 61). Sofern das Offene aus dem Ereignis west, ist dieses "die sich selbst ermittelnde und vermittelnde Mitte" (BzP, 73).

256 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

fängt sie in der Weise der Geworfenheit und eröffnet sie in der Weise des Entwurfs, um von der jeweiligen Wahrheit her das Seiende in seiner eigenen Offenbarkeitsweise zu entdecken. Die Ankunft des Seienden entscheidet sich zumal mit der Entscheidung, "ob und wie der Gott und die Götter, die Geschichte und die Natur in die Lichtung des Seins hereinkommen, an- und abwesen" (BüH, 330). Mit der Wendung "an- und abwesen" sind der Vorbeigang der Göttlichen, ein anderer Anfang der Geschichte und eine andere Erfahrung der Natur gemeint. Die griechische Welt ist ein Beispiel für die Entscheidungsweise der Ankunft des Seienden. Für die Griechen lichtete sich aus dem Geschick des Seins eine umgrenzte geschichtliche Götter-Welt, welche die erstanfangliche Ankunft des Seienden gewährt hat. Diese Götter-Welt ist die Welt für die Göttlichen, Geschichte und Natur. 141 In der Götter-Welt, worin die Göttlichen aufgingen, fmg die griechische Geschichte an und wurde die Natur erstanfanglich erfahren. Eine geschichtliche Welt bzw. Wahrheit gewährte so für die Griechen den Aufgang der Göttlichen, die Erfahrung der Natur, den Anfang der Geschichte. Diese Gewährung geschah zusammen mit der erstanfanglichen Ankunft des Seienden. Die Ek-sistenz vollbringt sich, indem sie die Wahrheit des Seins im Seienden verwahrt und zwar in der Weise, daß sie das Seiende in seiner eigenen Offenbarkeitsweise entbirgt und so die Ankunft des Seienden zusammen mit dem Vorbeigang der Göttlichen, der neuen Erfahrung der Natur und dem anderen Anfang der Geschichte geschehen läßt (vgl. BzP, 27, WdW, 190, GA45, 201). Als Resurne von § 19 läßt sich festhalten: a) Im Ereignis-Denken werden die Bestimmungen des Daseins noch ursprünglicher, d.h. von der Wesung des Seins her, erfahren. Die Sorge im Sinne des Sorgetragens für das Sein wird als die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des künftigen Menschen gedacht, der an der Wesung des Seins teilhat. Das Seinsverständnis wird als Zugehören zur Wesung des Seins gedacht. Der Tod wird als derjenige begriffen, der die ganze und äußerste Wahrheit des Seins eröffnet. Die Selbstheit des Menschen wird aus dem Da, das der Grund des Zu-sich-kommens, des Selbst und der Selbstheit ist, als das Bei-sich-sein des Selbst gefaßt, das nur als ereignete Inständigkeit in der Wesung des Da geschieht. Die Eigentlichkeit der Existenz wird aus dem Ereignis als das Da-sein im Sirme der Gründung des Da gefaßt. Sofern die Eigentlichkeit der Existenz von der Wesung des Seins in seiner Wahrheit (Da) her gedacht wird, findet sich hier der Wandel der Vorrangstellung zwischen der eigentlichen Existenz und der Wesung des Seins. Sofern der Mensch in der Weise des Da-seins die Wahrheit des Seins als Anfang der Geschichte gründend übernimmt, ist das ,Da-sein' die Kennzeichnung des Menschen in seiner ausgezeichneten Seinsmöglichkeit. b) Die Ek-sistenz ist das Wesen des Menschen im Sinne der wesensmäßigen Bestimmung des Seins des Menschen. Der 141

Vgl.: ,Aufenthalt', 1-3.

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 257 Mensch ist nur als Da-sein durch die Ek-sistenz, d.h. durch die inständliche Einrückung in das Da. Die Ek-sistenz als Innestehen in der Wahrheit des Seins ist als Wesensherkunft des Menschen zugleich dessen Wesenszukunft. Auf Grund der Ek-sistenz vollzieht sich das Sorgetragen des Menschen fur das Sein. In der Sorgestruktur (Sich-vorweg - schon-sein-in - als Sein-bei) findet sich sowohl der Bezug des Seins zum Da-sein, d.h. der Zuruf des Seins, wie auch das Verhältnis des Menschen zum Sein, d.h. der Entwurf des Menschen. Das Sorgetragen fur das Sein denkt Heidegger später mit dem Begriff ,Hirt des Seins' und ,Gelassenheit'. c) Die Ek-sistenz bzw. das Sorgetragen vollzieht sich konkret als Bezug des Menschen zum Seienden, d.h. als Entbergen des Seienden in seiner Offenbarkeit, d.h. in der Weise, daß die Ek-sistenz von der Offenheit des Seins her das Seiende als Anwesendes in seiner Anwesenheitsweise offenbarwerden läßt. Das Entbergen des Seienden in seiner Offenbarkeit kommt der Ankunft des Seienden gleich, die zumal mit dem Vorbeigang der Göttlichen und dem anderen Anfang der Geschichte geschieht. Im seinsgeschichtlichen Denken wird das Sein des Menschen in Hinsicht auf die volle Wesung des Seins, d.h. im Bezug von Gott und Sein, von Sein und Mensch, von Mensch und Seiendem und von Sein und Seiendem, erfahren und so begriffen. Dabei wird der Bezug von Sein und Seiendem nicht mehr aufgrund der Begriffe der ,Transzendenz und Apriorität', sondern mit dem Begriff der ,Gleichzeitigkeit' gedacht. Der in diesem Paragraphen vollzogene Aufweis des seinsgeschichtlich erfahrenen Menschseins dient als Vorbereitung fur die Aufklärung der seinsgeschichtlich gedachten Geschichtlichkeit des Menschen, die im Übernehmen der seinsgeschichtlich bestimmten Seinsmöglichkeit des Menschen, d.h. in der Teilhabe am Ereignis, liegt.

§ 20 Die seinsgeschichtIich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen a) Ereignis und Geschichtsgründung

In ,Sein und Zeit' ist aufgewiesen, daß das Dasein auf Grund seiner Zeitlichkeitsstruktur geschichtlich ist. Dort wird besonders danach gefragt, "woher überhaupt die Möglichkeiten geschöpft werden können, auf die sich das Dasein faktisch entwirft" (SUZ, 506). Wenn das Dasein in der Weise des entschlossenen Existierens auf sich selbst, d.h. auf seine Geworfenheit, zu kommt, wird ihm derjenige Horizont erschlossen, von dem her es sich eine Seinsmöglichkeit überliefern kann. Die Sammlung der dem entschlossenen Dasein jeweils faktisch erschlossenen Möglichkeiten ist das, was Heidegger das Erbe nennt. Das

17 Cheong (PHS)

258 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

faktische Sichüberliefern des Daseins aus einer gewesenen Möglichkeit ist das eigentliche Geschehen des Daseins. 142 Dieses Geschehen ist als das Sichentwerfen des Daseins auf seine eigene Möglichkeit nur innerhalb des Horizontes möglich, worin alle faktischen Möglichkeiten als offene enthalten sind. Im seinsgeschichtlichen Denken wird dieser Horizont, der im fundamentalontologischen Denken lediglich als das Erbe gefaßt wurde, als derjenige gedacht, wohinein das Dasein vom Zuruf des Seins in die Geworfenheit gerufen ist. Der Zuruf des Seins und der Entwurf der Wahrheit des Seins machen das GefUge der Wesung des Seins in seiner Wahrheit aus. Im seinsgeschichtlichen Denken denkt Heidegger ursprünglich aus dieser Wesung des Seins die Geschichtlichkeit des Menschen und zwar als die Geschichtlichkeit der Völker (vgl. BzP, 28, 51). Im seinsgeschichtlichen Denken faßt Heidegger die Grundstimmung, welche die gewesene Seinsmöglichkeit des Menschen enthüllt, als erschreckend-scheue Verhaltenheit. Von der Erfahrung der Seinsverlassenheit des Seienden wird der Mensch in die "Grundstimmung der erschreckend-scheuen Verhaltenheit" (BzP, 16) versetzt. In dieser Grundstimmung der erschreckend-scheuen Verhaltenheit enthüllt sich vor allem "die ursprünglich genötigte Notwendigkeit, im Seienden die Wahrheit des Seyns zu bergen" (BzP, 16). Von hier aus wird "ein Ziel" dem geschichtlichen Menschen gegeben: ,,Der Gründer und Wahrer der Wahrheit des Seyns zu werden" (BzP, 16). Die erschreckend-scheue Verhaltenheit stimmt den Mensch zumal auf die Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes. So wird der Mensch zum "Wächter fUr diese Stille" (BzP, 17). Wenn der Mensch so auf den Wahrer der Wahrheit und auf den Wächter fUr die Stille hin "entschieden ist", wird in der Verhaltenheit des anfanglich-echten Denkens "das Suchen des Seyns" als "das einzige und so einzelne Ziel unserer Geschichte" (BzP, 17) gesetzt. Der Mensch, der wesentlich die Sorge fUr das Sein in der Wahrheit trägt, enthüllt sich in der Grundstimmung als Sucher, Wahrer und Wächter. Diese zu sein, ist die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Menschen, der seinsgeschichtlich als Da-sein erfahren ist: ,,sucher, Wahrer, Wächter sein das meint die Sorge als Grundzug des Daseins. In ihrem Namen sammelt sich die Bestimmung des Menschen, sofern er aus seinem Grunde, d.h. aus dem Dasein, begriffen wird [... ]" (BzP, 17-18). Die so gefaßte seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Menschen ist eine gewesene Seinsmöglichkeit des Menschen. Insofern ist das Sichübernehmen des Menschen in seiner seinsgeschichtlichen Bestimmtheit als Sucher, Wahrer und Wächter die Wiederholung der gewese142 Vgl. § 12. Heidegger meint mit der Geschichtlichkeit des Daseins "die Seinsverfassung des ,Geschehens' des Daseins als solchen, auf dessen Grunde allererst so etwas möglich ist wie ,Weltgeschichte' und geschichtlich zur Weltgeschichte gehören" (SuZ, 27). Mit der "eigentlichen Geschichtlichkeit" des Daseins wird "das in der vorlaufenden Entschlossenheit liegende Geschehen" (SuZ, 511) gemeint, das die Möglichkeit des ,Inder-Welt-Seins' aus dem Erbe wiederholt.

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 259

nen Seinsmöglichkeit. Diese Wiederholung ist das "echte Sichverstehen" (vgl. adEdD, 15, 21) des Menschen. Die eigentliche Geschichtlichkeit, die dem eigentlichen Vollzug der Ek-sistenz bzw. des Sorgetragens rur das Sein gleichkommt, liegt im Sichübernehmen des Menschen in seiner seins geschichtlichen Bestimmtheit als Sucher, Wahrer und Wächter: "Die inständige Ertragsamkeit der Lichtung des Sichverbergens wird übernommen in der Sucherschaft, Wahrer- und Wächterschaft des Menschen, der sich dem Sein ereignet, dem Ereignis als der Wesung des Seyns zugehörig weiß" (BzP, 298). Die dreifach zu gliedernde Seinsmöglichkeit des Daseins faßt Heidegger kurz mit der Sprachwendung ,Wächterschaft rur die Wahrheit des Seins'. Das Auf-sich-zu-Kommen des Menschen aus seiner gewesenen Seinsmöglichkeit wird als das Sichübernehmen des Menschen in seinem ,Da zu sein', d.h. in seiner Wächterschaft rur die Wahrheit des Seins, gefaßt: ,,[ ... ] der Mensch [ist] künftig [... ], indem er das Da zu sein übernimmt, gesetzt, daß er sich als den Wächter der Wahrheit des Seyns begreift, welche Wächterschaft angezeigt ist als die ,Sorge'" (BzP, 297). Der Mensch ist in seiner Geworfenheit "der Wächterschaft rur die Wahrheit des Seyns überantwortet" (BzP, 490, vgl. 488). Er ist also in seiner Seinsmöglichkeit seinsgeschichtlich als "der Wächter der Wahrheit des Seyns (Gründung des Da-seins)" (BzP, 491) bestimmt. Das Sichübernehmen des Menschen aus seiner gewesenen Seinsmöglichkeit ist der eigentliche Vollzug der Wächterschaft rur die Wahrheit des Seins. In diesem Vollzug liegt die seinsgeschichtlich bestimmte Geschichtlichkeit des Menschen in diesem Zeitalter. Die eigentliche Geschichtlichkeit der Völker ist "nie in jedem Zeitalter dasselbe" (BzP, 28). Die geschichtliche "Aufgabe" im Zeitalter des Übergangs ist es, ,jenen Entscheidungsbereich zu gründen, jenen Ereigniszusammenhang, kraft dessen menschliches geschichtliches Seiendes erst sich zu sich selbst bringt" (BzP, 28). Der Entscheidungsbereich besagt den Zeit-Raum als die Augenblicksstätte rur "die Entscheidung über Geschichtlichkeit und Geschichtslosigkeit" (BzP, 13) des künftigen Menschen bzw. rur "die Entscheidung über den Menschen - seine Geschichte oder Ungeschichte als deren Übergang zum Untergang" (BzP, 32). Der Entscheidungsbereich der künftigen Geschichte ist der Zeit-Raum als Grundgeruge der Wahrheit des Seins. '43 Insofern bedeutet die Bereitschaft des Zeit-Raumes der Entscheidung schon "den Beginn einer anderen Bahn der Geschichte" (BzP, 12). In der übergänglichen Geschichte vollzieht sich der eigentliche Vollzug der Wächterschaft vor allem als "gründende Eröffnung des Zeit-Spiel-Raumes der Wahrheit des Seyns" (BzP, 5). Als solche ist die Wächterschaft "der Grund einer anderen Geschichte", weil dieses "Wachen" (BzP, 240) "ein gründendes" (BzP, 241) rur die Wahrheit des Seins ist, die der andere Anfang der Geschichte wird. Sofern im übergänglichen Zeit143

Vgl. § 17.

260 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

alter die Gründung des Entscheidungsbereiches die geschichtliche Aufgabe des Menschen fiir die künftige Geschichte ist, vollzieht sich im übergänglichen Zeitalter die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen in der Weise der Gründung des Zeit-Raumes als des Entscheidungsbereiches. In der Weise der gründenden (erfiillenden) Eröffnung des Zeit-Raumes, welcher die erstwesentliche Wesung der Wahrheit des Seins ist, vollzieht sich die Gründung der Wahrheit des Seins. Sofern die Wesung des Seins in seiner Wahrheit als Ursprung der Geschichte die ursprüngliche Geschichte ist,144 ist die Gründung der Wahrheit des Seins diejenige im undfür den anderen Anfang der Geschichte. Das Denken im anderen Anfang, d.h. das anfängliche Denken, ist "in einer einzigen Weise ursprünglich geschichtlich: die sich fiigende Verfiigung über die Wesung des Seyns" (BzP, 11). Die sich fiigende Verfiigung bzw. der ereignete Entwurf der Wahrheit des Seins ist die Teilhabe am Ereignis. Sofern das Ereignis die ursprüngliche Geschichte selbst ist, ist der ereignete Entwurf als Teilhabe am Ereignis die "geschichtebildende[n] Gründung (BzP, 56) bzw. ein "in der sich fiigenden Verfiigung Geschichte mit gründendes" (BzP, 61). Heidegger verwendet das Wort ,Gründung' doppeldeutig, d.h. im Sinne von (1) "Wesung der Wahrheit des Seyns" und (2) daseinsmäßiger "Er-gründung" (BzP, 307). Diese ,Ergründung' ist ihrerseits wieder doppeldeutig: "a) den Grund als gründenden wesen lassen; b) auf ihn als Grund bauen, etwas auf den Grund bringen" (BzP, 307). Der Grund im ursprünglichen Sinne besagt die Wahrheit des Seins. Denn diese west ursprünglich als sich gründender Grund. Diese Wesung der Wahrheit ist die Gründung im ersten Sinne (1). Der Mensch läßt seinerseits die Wahrheit wesen und zwar dergestalt, daß er diese erreicht und übernimmt. Dies ist die Er-gründung im zweiten Sinne der Gründung (2). Diese Er-gründung bedeutet zuerst das Wesen lassen des Grundes als solchen durch das Beständnis des Da-seins (2a). Somit wird auch das Da-sein selbst gegründet. Das Wesenlassen des Grundes als solchen vollzieht sich auch als die Wiederbringung des Seienden auf den Grund (2b). In der Er-gründung des Grundes glückt die Inständlichkeit des Da-seins in den verschiedenen Weisen der Bergung der Wahrheit im Seienden. Insofern entfaltet sich "das Wesen des Da-seins und damit der auf es gegründeten Geschichte" als "die Bergung der Wahrheit des Seins, des letzten Gottes, in das Seiende" (BzP, 308). Von dieser Bergung aus wird "Gestalt und Art der Zukünftigen" (BzP, 308) bestimmt. Insofern meint das Ereignis als Wesung des Seins in seiner Wahrheit, daß die Wahrheit des Seins im Da-sein als Da-sein gegründet wird, was zugleich das Anfangenlassen der künftigen Geschichte des Menschen, den Vorbeigang des letzten Gottes und die Wiederbringung des Seienden einschließt (vgl. BzP, 8, 27, 280, 294, 298).

144 VgI. § 16.

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene GeschichtIichkeit des Menschen 261

Die Wahrheit des Seins gründet sich als Da-sein im Da-sein. Die Gründung der Wahrheit des Seins bedeutet also zumal die Gründung des Da-seins. Insofern ist das Sichenthüllen des Menschen als Dasein im übergänglichen Zeitalter ein geschichtliches Geschehnis für das kommende Zeitalter: "Das Dasein ist das Grundgeschehnis der künftigen Geschichte" (BzP, 32). Was nun ernötigt wird, ist die "erfüllte" Erfahrung des Da-seins, d.h. die Erfahrung des Daseins als "die erste Vorbereitung des Übergangs in eine andere Geschichte des Menschen" (BzP, 309). Die Erfahrung und das Ausstehen des Da-seins vollziehen sich aber nicht in der Weise der Vor-stellung, sondern in der Weise des "Dasein[s]" durch "eine verrückende Einrückung" (BzP, 309) in die Wahrheit des Seins. Zu dieser ausstehenden Erfahrung gehört das "Ausstehen der Not der Seinsverlassenheit in eins mit dem SichsteIlen der Entscheidung über den Ausbleib und die Ankunft der Götter" (BzP, 309). Sofern das Sein als Ereignis die verborgenste Fügung unserer Geschichte ist, bedeutet das Ausstehen der Not in eins mit dem Sichstellen der Entscheidung schon die Bereitschaft für das volle Ereignis. Diese Bereitschaft bedeutet, daß der wesentliche Augenblick für die ursprüngliche Geschichte selbst angebrochen ist. Das Ereignis ist die ursprüngliche, d.h. "eigentliche Geschichte" (BzP, 309). Diese zu erfahren und die Bahnen ihrer Verfügung zu eröffnen, sind die Weisen, "aus dem Grunde der Geschichte geschichtlich zu werden" (BzP, 309). Die Gründung (Ergründung) der Wahrheit als Da-sein im Da-sein, die in der Weise der gründenden Eröffnung des Zeit-Raumes vollzogen wird, ist das Wesenlassen des Anfanges der künftigen Geschichte. Insofern bedeutet ,gründend' zugleich: "geschichtlich in unserer und für unsere künftige Geschichte" (BzP, 310). Die Gründung (Ergründung) der Wahrheit des Seins durch das Da-sein ist geschichtegründend und in diesem Sinne geschichtlich. Das Er-denken des Seins ist der vom Sein ereignete Entwurf (vgl. BzP, 26) und vollzieht sich in der Weise des ereignet-entwerfenden Denkens der Wahrheit des Seins. Sofern die Wahrheit des Seins der Anfang der Geschichte wird, ist das ereignete Entwerfen der Wahrheit das Wesenlassen des Anfangs der Geschichte. 145 Als solches ist es geschichtegründend und geschichtlich. Insofern wird "das Er-denken des Seyns" als "die entscheidende Weise" gefaßt, "durch die der künftige abendländische Mensch die Wesung der Wahrheit des Seyns übernimmt und so erst geschichtlich wird" (BzP, 456). Die Geschichtsgrün-

145 Was der Verfasser unter ,Wahrheit des Seins und ihrer Wesenlassen' versteht, denkt W. Marx in den Begriffen ,Maß' und ,Maß-nahme': "Aus einer Erläuterung der Worte Hälderlins: ,Was bleibet aber, stiften die Dichter' [... ] ergab sich flir Heidegger, daß der Dichter die ,Maße' flir die geschichtliche Welt des Daseins begründet. ,Dichtung ist worthafte Stiftung des Seins'. [... ] Das Maß kann vom Dichter nur genommen werden, und man versteht die ,Maß-nahme' nur dann zureichend, wenn man sie als ein Entbergen auffaßt" (,Gibt es auf Erden ein Maß?', 150). Dabei wird der Tod in Bezug auf die Offenheit als "der Maß-gebende" (ebd. 84) gedacht.

262 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

dung ist der eigentliche Vollzug der Wächterschaft des Menschen für die Wahrheit des Seins. Diese Wächterschaft ist es, zu welcher der Mensch seinsgeschichtlich im übergänglichen Zeitalter durch die Grundstimmung gestimmt und bestimmt ist. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen im übergänglichen Zeitalter liegt im eigentlichen Vollzug dieser Wächterschaft, der in der Weise des ereigneten Entwurfs der Wahrheit des Seins geschieht, der der Geschichtsgründung gleichkommt. Die so zu fassende eigentlich-künftige Geschichtlichkeit des Menschen ist aber die seinsgeschichtlich bestimmte, d.h. geschickhaft-gewesene, Geschichtlichkeit.

b) Geschick und Geschickhaftigkeit

In der fundamentalontologischen bzw. transzendental-horizontalen Ausarbeitungsweise sind die Geschichtlichkeit des Daseins und auch die Geschichtlichkeit der philosophischen Auslegung des Seins des Seienden gedacht. In ,Sein und Zeit' denkt Heidegger "die spezifische Seinsart der bisherigen Ontologie, die Geschicke ihres Fragens, Findens und Versagens" als etwas "daseinsmäßig Notwendiges" (SuZ, 26). Im Verlauf der Geschichte der Ontologie versteht das Dasein "sich selbst und das Sein überhaupt aus der ,Welt' her" (SuZ, 29). Die so erwachsene traditionelle Ontologie bleibt in einem eigenen Geschick. Sie hat die Geschichtlichkeit des Daseins, welche die unterschiedlichen Seinsverständnisse ermöglicht, die Zeitlichkeit, welche die Geschichtlichkeit des Daseins ermöglicht, und die Temporalität, welche die Sinnbestimmtheit des Seins aus der Zeit ermöglicht, denkerisch nicht erfahren und somit versehen. Dies faßt Heidegger als notwendige Folge dessen, daß die traditionelle Ontologie ihre Herkunft, d.h. das Sein des seinsverstehenden Daseins, vergessen hat. Hier denkt Heidegger aber die Geschichtlichkeit der Ontologie aus der Seinsweise des Daseins, bzw. aus der eigentlichen und uneigentlichen Geschichtlichkeit des Daseins und nicht schon von der Geschichtlichkeit des Seins selbst her. Der Geschickscharakter und die Geschichtlichkeit des Seins selbst kommen zu ihrer Gestalt erst im seinsgeschichtlichen Denken. Das Sein geschieht jeweils in seiner Wahrheit und ist so geschichtlich im Sinne des jeweiligen Sichzuschickens. Die Geschichte des Seins besagt also diejenige des Sichzuschickens des Seins in seiner Wahrheit, d.h. des Geschicks des Seins. Der Begriff ,Geschick' erscheint bereits im § 74 (Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit) von ,Sein und Zeit'. Dort ist die eigentliche Geschichtlichkeit als Schicksal aufgewiesen, das geschichtliche Geschehen der Gemeinschaft und des Volkes aber als Geschick. Dieses Geschick wurde dort aber nicht schon in das Sichzuschicken des Seins in der Wahrheit hinausgedacht. Erst im seinsgeschichtlichen Denken ersieht Heidegger im jeweiligen

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 263

Sichzuschicken des Seins das Geschick des Seins und in diesem das Wesen des Geschichtlichen: "Das Geschick [00'] ist in sich geschichtlich" (BüH, 363).146 Das Geschick des Seins ist in sich die Schickung der Wahrheit des Seins aus dem Sein selbst: "Das Geschehen der Geschichte west als das Geschick der Wahrheit des Seins aus diesem [00']" (BüH, 335). Die jeweilige Lichtung des Seins ist die aus dem Sein geschickte Wahrheit des Seins. Die Wahrheit des Seins wird im seinsgeschichtlichen Denken nicht nur als diejenige Erschlossenheit gedacht, die eigentlich, uneigentlich oder indifferent aufgeschlossen wird, sondern sie wird in der jeweils sich-wandelnd sich zuschickenden Erschlossenheitsweise erfahren und so als geschichtliche gedacht. Die jeweilige Wesung der Wahrheit des Seins ist zumal das Geschick des Seins. Wenn das Sein als "Geschick, das Wahrheit schickt" (BüH, 339), enthüllt wird, zeigt sich damit "die Wesentlichkeit des Geschichtlichen im Sein" (BüH, 340). Sofern die jeweilige Wahrheit des Seins die jeweils aus diesem geschickte ist, gehört zu jener die Geschichtlichkeit im Sinne der geschickhaft epochalen Einzigkeit. Heidegger denkt von dem Geschick des Seins her in das Sein als Ge-schick hinein. 147 Er erläutert das Geschick des Seins in einer Marginalie wie folgt: "Ge-schick: Versammlung der Epochen des brauchenden Anwesenlassens" (BüH, 331). Das Präfix ,Ge' im Ge-schick hat die Bedeutung des Kollektiven. Mit dem ,Ge-schick' ist die Versammlung der jeweiligen Schickungen gemeint. Das Wort ,Epoche' besagt hier nicht einen innerzeitlichen oder historischen Abschnitt. Das Wort ist seinsgeschichtlich und im Rückgang auf den griechischen Sinn des An-sich-haltens gedacht. 148 Für Husserl hat ,Epoche' die Bedeutung der Enthaltung gegenüber der zur natürlichen Einstellung gehörenden Generalthese. 149 Im Unterschied zu Husserl meint Heidegger mit ,Epoche' das An-

146 "Wir nennen jenes versammelnde Schicken, das den Menschen erst auf einen Weg des Entbergens bringt, das Geschick. Von hier aus bestimmt sich das Wesen aller Geschichte" (VuA, 28). ",Geschichte'" in der Sprachwendung der ,Geschichte des Seins' ist "das Geschick der Zwiefalt", d.h. das Geschick des "Anwesen[s] des Anwesenden" (VuA, 244). "Als die Mitte des ganzen Verhältnisses ist das Geschick der alles versammelnde An-fang" (EzHD, 171). 141 "Vielmehr bestimmt sich das Wesen von Geschichte aus dem Geschick des Seins, aus dem Sein als Geschick, aus solchem, was sich uns zuschickt, indem es sich entzieht" (SvG, 109, vgl. S. 119-21). 148 "Epoche meint hier nicht einen Zeitabschnitt im Geschehen, sondern den Grundzug des Schickens, das jeweilige An-sieh-halten seiner selbst zugunsten der Vernehmbarkeit der Gabe, d.h. des Seins in Hinblick auf die Ergrundung des Seins" (zSdD, 9). Der Zeitabschnitt der Geschichte wird ursprünglich von dem Ereignis als dem ansichhaltenden Geschick bestimmt: "Das Ereignis gewährt je die Frist, aus der die Geschichte die Gewähr einer Zeit nimmt" (N. 11, 490, vgl. SvG, 112). 149 Vgl.: Husserl, ,Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. I. Buch', Hrg. Elisabeth Ströker, Hamburg 1992,65.

264 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

sich-halten des Seins. Das Sein als Geschick ist in seinem Zuruf zurückhaltend und ansichhaltend. Dieses ,An-sieh-Halten' verweist in die Verbergung als ständige Herkunft aller Wahrheit. 150 Mit dem Wort ,Anwesenlassen' in der Randbemerkung wird die jeweilige gelichtete Wahrheit bezeichnet. Denn diese ist diejenige, die das Seiende in seiner Offenbarkeit aufgehen und anwesen läßt. Die gelichtete Wahrheit als Anwesenlassen bedarf aber des Daseins und braucht es. 151 Die jeweilige Wahrheit des Seins braucht das Dasein in seiner Ek-sistenz, das in der jeweiligen Wahrheit in der Weise des empfangend-eröffnenden Verwahrens ihrer ek-sistiert. Das Anwesenlassen als jeweilige Wahrheit braucht den Menschen in seiner Ek-sistenz, weil das Anwesenlassen des Seienden, obzwar nicht durch die Ek-sistenz, aber mit der Ek-sistenz als dem empfangend-eröffnenden Verwahren der jeweiligen Wahrheit geschieht. Das Geschick ist also die versammelnde Herkunft derjenigen geschichtlich unterschiedlichen Gelichtetheitsweisen der Wahrheit, die in der Weise des Brauchens des Menschen das Seiende anwesen läßt. Unter dem ,Geschick' wird also sowohl die Schickung des Seins wie auch die Versammlung der Schickungen verstanden. Das Geschick als ansichhaltende Versammlung ist der Ursprung der Epoche (Frist) der Geschichte. Aus dem Geschick des Seins ist der Mensch seinsgeschichtlich in die Eksistenz als sein ursprüngliches Wesen eingelassen: ,,[ ... ] der Mensch allein ist, soweit wir erfahren, in das Geschick der Ek-sistenz eingelassen" (BüH, 324). Das heißt: Der Mensch ist in die dem Geschick des Seins entsprechende geschickhafte Ek-sistenz versetzt. 152 Das Sein ist es, das "den Menschen in die Ek-sistenz des Da-seins als sein Wesen schickt" (BüH, 337). Die Ek-sistenz, die im übergänglichen Zeitalter als ursprüngliches Wesen des Menschen enthüllt wird,153 zeigt sich als das aus dem Geschick des Seins geschickte Wesen. Insofern ist die Ek-sistenz die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Menschseins. In dieser Bestimmtheit zeigen sich die Endlichkeit und die Geschickhaftigkeit des Menschseins. Der Mensch ist aus dem Geschick des Seins in die Wahrheit des Seins geworfen, um diese zu hüten: "Der Mensch ist [... ] vom Sein selbst in die Wahr-

ISO Zur Wesung der Wahrheit als der Unverborgenheit gehört das "Verweigern in der Weise des zwiefachen Verbergens", bzw. "ein ständiges Verbergen in der Doppelgestalt des Versagens und des Verstellens" (UdK, 41). Das verbergende Verweigern mißt dabei "als Versagen erst aller Lichtung die ständige Herkunft, als Verstellen jedoch aller Lichtung die unnachlässliche Schärfe der Beirrung" (UdK, 41-42) zu. 151 ,,[ ... ] der Brauch nennt [... ] die Weise, wie das Sein selbst west als die Beziehung zum Anwesenden, die das Anwesende als Anwesendes an-geht und be-handelt: to chreon" (Holz, 368). 152 "Der Anspruch des Seins räumt den Menschen erst in sein Wesen ein" (SvG, 119). 153 vgl. § 19, b).

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 265

heit des Seins ,geworfen', daß er, dergestalt ek-sistierend, die Wahrheit des Seins hüte, damit im Lichte des Seins das Seiende als das Seiende, das es ist, erscheine" (,BüH', 330). Dieses Geworfensein des Menschen in die Wahrheit des Seins ist die Wesensfolge des Zurufs des Seins. Dieser Zuruf des Seins ist das schickend Geschickliehe, gemäß dem der Mensch geschicklich ist. 154 Die Wahrheit des Seins, wohinein der Mensch geworfen ist, besagt das jeweils geschickte Da des Seins als jeweils anders geschickte Wahrheit des Seins. Die Wahrheit des Seins erschöpft sich aber nicht im Da, weil sie jeweils sich-lichtend sich verbirgt. Wohinein der Mensch jeweils geworfen steht, das ist das jeweils geschickte Da. Die Sprachwendung "vom Sein selbst in die Wahrheit des Seins ,geworfen'" drückt diese Endlichkeit des Da, d.h. die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Aufenthaltsbereiches des Menschen durch das Sein selbst, mit aus. Der Mensch als Geworfener steht im jeweiligen gelichteten Da des Seins, um dieses zu hüten. Das Innestehen in der Wahrheit des Seins ist es, was die Ek-sistenz meint. Der Vollzug der Ek-sistenz als des seinsgeschichtlich geschickten Menschenwesens ist geschickhaft und ge schicklich und in diesem Sinne geschichlich. 155 Die Wesung der Wahrheit des Seins ist der Anfang der Geschichte. Sie vollbringt sich in der Weise, daß der Mensch den Zuruf des Seins empfangt, die zugeworfene Wahrheit eröffnet und verwahrt. Als an der Wesung der Wahrheit teilhabender ist der Mensch der Mitgründende der Geschichte und als solcher geschichtlich. Der Vollzug des Geschichte-Mitgründens ist in sich die Wiederholung der Ek-sistenz, die die seinsgeschichtlich bestimmte, aber doch immer gewesene Seinsmöglichkeit des Daseins ist, und somit geschickhaft und geschichtlich. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen als Zukünjtigsein in der Weise der Geschichtsgründung ist zugleich die Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit. Die zu-künftige Geschichtlichkeit des Menschen ist diejenige der seinsgeschichtlich bestimmten gewesenen Ek-sistenz. So wird die Geschichtlichkeit des Menschen im Hinblick auf sowohl die Zukünjtigkeit wie auch die Gewesenheit des Menschseins aufgewiesen. Sofern aber das Menschsein nicht nur auf der Zukünftigkeit und Gewesenheit, sondern auch auf der Gegenwart sich gründet, erhebt sich nun die Frage, in welcher Weise in der Gegenwartsdimension, d.h. im entbergenden Sein bei dem Seienden, die zukünftige Geschichtlichkeit der gewesenen Ek-sistenz sich konkretisiert.

154 Das Sein als Geschick ist das Geschickliehe, während das hörende Entsprechen Geschickliches ist: "So ist denn zwar Geschickliches, wenn die Sterblichen das eigentliche Hören vollbringen. Aber sophon, ,geschicklieh' ist nicht to Sophon, das so heißt, weil es alle Schickung [... ] in sich versammelt" (VuA, 210, vgl. SvG, 119, GA52, 89). 155 "Das Wesen des Menschen bestimmt sich aus der Wesung der Wahrheit des Seins durch das Sein selbst" (GA48, 260).

266 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

c) Das Dingen des Dinges und der Wandel der Grundstellung des Menschen Die Ek-sistenz vollzieht sich konkret als die Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden. Diese Verwahrung geschieht in der Weise des Schonens des Seienden bzw. des Dinges in seinem Wesen. Insofern erheben sich folgende Fragen. 1) Wie vollzieht sich das Schonen des Wesens des Dinges? 2) Welches Gefüge hat das Schonen des Wesens des Dinges? Wir untersuchen hier diese Fragen, um die Geschichtlichkeit der konkreten Ek-sistenz herauszustellen. Seinsgeschichtlich gesehen, steht das Wesen des Dinges immer in einem bestimmten Zusammenhang mit dem Wesen des Satzes und der Wahrheit. Beispielsweise enthüllt sich das Ding zu den Zeiten von Plato und Aristoteles als Träger von Eigenschaften, wobei gleichzeitig das Wesen des Satzes als Subjekt-Prädikat gefaßt und die Wahrheit als Anmessung des Vernehmens an die Dinge gedacht wird. (vgl. GA41, 43). Woraus aber bestimmt sich das Wesen des Dinges, das in einem Zusammenhang mit dem Wesen des Satzes und der Wahrheit steht? Formal gesprochen liegt der Grund rur das Wesen des Dinges im ,Unbedingten': "Das, was das Wesen des Dinges in seiner Dingheit bedingt, kann selbst nicht mehr Ding und bedingt, es muß ein Un-bedingtes sein. [... ] Ob das Unbedingte über oder hinter den Dingen gesucht wird oder in ihnen, das hängt davon ab, was man als Bedingung und Bedingtsein versteht" (GA41, 46, vgl. BzP, 480). Insofern wird die Ding-Frage zur Frage nach dem Unbedingten. Kant hat die Ding-Frage als die Frage nach dem Unbedingten angesetzt und diese durch das transzendentale Denken beantwortet, das mit dem Schema ,transzendentales Ermöglichen - Ermöglichtes' denkt. Im andersanfanglichen Denken hingegen ist die Ding-Frage als die Frage nach dem Wesen des Dinges aus der Wahrheit angesetzt. 156 1. Das Schonen des Wesens (d.h. des ontologischen Geschehens) des Dinges in seinem eigenen Sein meint, daß wir das Ding als ein solches sein lassen. 157 Aus diesem Seinlassen wird das Ding in seinem Sein "etwas Selbständiges" bzw. "Selbststand" (Ding, 5). Dieser Dingbegriff als Selbststand unterscheidet sich von den anderen Dingauffassungen wie Herstand (Plato), Gegenstand (Kant) und Bestand (im Weltalter der Technik). Heidegger faßt Plato als denjenigen, der das Anwesende als "Gegenstand des Herstellens", bzw. "Herstand" 156 Vgl.: Das folgende Gespräch von einem Forscher (F) und einem Lehrer (L): "L Wie sollen wir also den Bezug der Gegnet zum Ding benennen, wenn die Gegnet das Ding in ihm selbst als Ding weilen läßt? F Sie bedingt das Ding zum Ding. [... ] Aber das Bedingen ist kein Machen und Bewerken; auch kein Ermöglichen im Sinne der Transzendentalen ... " (Gel, 54, vgl. 53). Unter dem Begriff ,die Gegnet' wird vor allem die wesende Wahrheit verstanden (vgl. Gel, 59). 157 Die Weise des von uns her nach dem Ding Fragens ist die Denkweise, bei der wir das Ding nicht ein solches sein lassen (vgl. UdK, 45, 56, Gel, 53, 54, 59).

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 267

erfahren hat, wobei das Her-stellen des Her-standes zweifach verstanden wird: "einmal das Her-Stehen im Sinne des Herstammens aus ... , sei dies ein Sichhervorbringen oder ein Hergestelltwerden; zum anderen das Her-Stehen im Sinne des Hereinstehens des Hervorgebrachten in die Unverborgenheit des schon Anwesenden" (Ding, 7, vgl. UdK, 47). Bei Kant ist das Ding dasjenige, das vom denkenden Subjekt begriffen ist und so diesem gegenüber steht. Bezüglich der Platonischen und Kantischen Dingauffassung aber stellt Heidegger fest: "Alles Vorstellen des Anwesenden im Sinne des Herständigen und des Gegenständigen gelangt jedoch nie zum Ding als Ding" (Ding, 7). Heidegger enthüllt das Wesen des Dinges in seiner Dingheit durch eine Erörterung des Wesens eines Krugs (vgl, Ding, 7-13) als das Geschehen der Versammlung der weItenden Welt qua des einfältigen Gevierts: "Das Ding dingt. Das Dingen versammelt. Es sammelt, das Geviert ereignend, dessen Weile in einje Weiliges: in dieses, in jenes Ding" (Ding, 13). Indem das Ding dingt (d.h. in der Weise der Versammlung als ein Ding geschieht), verweilt es Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen, bringt die Vier in ihren Femen einander nahe und verstattet so dem Geviert eine Stätte. Das Geviert west als das ereignende Spiegel-Spiel der einfaltig einander Zugetrauten, das als solches das Welten von Welt iSt. 158 Sofern das Ding dasjenige ist, welches das Geviert verweilt und somit Welt versammelt, ereignet sich das Dingen des Dinges als das Welten der Welt. Insofern kommt das Wesen lassen des Dinges aus der weItenden Welt dem Schonen des Dinges in seinem Wesensbereich gleich. Im Weltalter der Technik aber wird das Ding nur als bestellbarer Be-stand vor-gestellt. Das Wesen der Technik ist das seinsgeschichtlich bestimmte Wesen des Seins. Dieses Wesen kennzeichnet Heidegger als "die von sich her gesammelte Versammlung des Stellens, worin alles Bestellbare in seinem Bestand west" (Ge-stell, 32). Die so gefaßte Versammlung nennt er das Ge-stell. Sofern das Ge-stell waltet, worin alles nur Bestellbares wird, bleibt das Ding ohne Wahr seines Wesens und nur als Bestand. In und aus dem Wesen des Ge-stells geschieht also "die Verwahrlosung des Dinges" (Gefahr, 47). Wenn das Ding wahrlos wird, das eigentlich dingend Welt verweilt, wird Welt als Welt verweigert. In und aus der Verwahrlosung des Dinges geschieht also die "Verweigerung von Welt" (Gefahr, 47). Im Wesen des Ge-stells geschehen zumal die Verweigerung von Welt und Verwahrlosung des Dinges. Die Verweigerung

15M Dieses Spiegeln geschieht ursprünglich im Zeit-Spiel-Raum. "Das Selbe, was Raum und Zeit in ihrem Wesen versammelt hält, kann der Zeit-Spiel-Raum heißen. Zeitigend-einräumend be-wegt das Selbige des Zeit-Spiel-Raumes das Gegen-einanderüber der vier Welt-Gegenden: Erde und Himmel, Gott und Mensch - das Weltspiel" (UzS, 202). In der Ereignung liegt auch das Enteignis: "Jedes der Vier ist innerhalb ihrer Vereignung vielmehr zu einem Eigenen enteignet. Dieses enteignende Vereignen ist das Spiegel-Spiel des Gevierts" (VuA, 172).

268 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

von Welt und die Verwahrlosung des Dinges sind das, was Heidegger als "die Konstellation des Seyns" (Kehre, 77) im Weltalter der Technik bezeichnet. Sofern die Verweigerung von Welt als die Verwahrlosung des Dinges geschieht, ist beides "das Selbe, obzwar nicht das Gleiche" (Gefahr, 51). Welt ist "die Wahrheit des Wesens des Seins" (Gefahr, 48), bzw. "die Wahrnis des Wesens des Seins" (Gefahr, 50-1). Daher ist es das Sein, welches sein Wesen "aus dem Welten von Welt zu eigen" (Gefahr, 49) hat. Insofern wird mit der Verweigerung von Welt das Wesen des Seins vergessen. Weil das Ge-stell so der Wahrheit des Wesens des Seins mit der Seinsvergessenheit nachstellt und so nur als "Versammlung des Stellens" im Sinne des "Nachstellens und BestelIens" (Gefahr, 63) west, wird das Ge-stell, welches das seinsgeschichtlich bestimmte, d.h. geschickhafte, Wesen des Seins ist, als Gefahr gefaßt: "Das Seyn ist, aus dem Wesen des Ge-stells und in der Hinsicht auf Verweigerung von Welt und Verwahrlosung des Dinges gedacht, die Gefahr" (Gefahr, 53-4). Wenn aber das Wesen des Ge-stells als die Gefahr erfahren wird und als solche offengehalten bleibt, wird "die Möglichkeit einer Kehre" geschenkt, "in der die Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet, daß mit dieser Kehre die Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt" (Kehre, 71, vgl. EiM, 53). Insofern stellt Heidegger fest: "Die Gefahr selber ist, wenn sie als die Gefahr ist, das Rettende" (Kehre, 72). Wenn die Gefahr als die Gefahr erfahren wird und als solche offengehalten bleibt, geschieht mit der Kehre der Vergessenheit die Wahrheit des Seins, was dem Welten von Welt gleichkommt. Aus dem Welten der Welt geschieht das Dingen des Dinges in seinem Sein. Dies kennzeichnet Heidegger als "ferne Ankunft des Wesens des Seyns selbst" (Kehre, 73). Das Ding dingt nur in seinem Sein, indem es "aus dem Gering des Spiegel-Spiels der Welt" (Ding, 21) west. 159 Insofern ist rur das Dingen des Dinges die Wachsamkeit der Sterblichen rur das Welten der Welt notwendig. Erst aus dieser Wachsamkeit lassen wir das Ding als Ding kommen und schonen es so in seinem Wesen, was dem Andenken des Dinges als Ding gleichkommt: "Wenn wir das Ding in seinem Dingen aus der weitenden Welt wesen lassen, denken wir an das Ding als das Ding" (Ding, 20). Die Wachsamkeit rur das Welten der Welt ist zugleich das Andenken des Dinges als Ding. Dieses Andenken ist das Schonen des Wesens des Dinges in seinem Wesungsbereich: "Denken wir das Ding als Ding, dann schonen wir das Wesen des Din159 In diesem Zusammenhang faßt Heidegger den Dingbegriff Schellings als einen ursprünglichen: "Die Dingheit der Dinge besteht darin, das Wesen Gottes zu offenbaren. Dingsein heißt, Gottes Seyn, das ewiges Werden ist, selbst als ein Werden darstellen. Die Dinge deuten durch sich hindurch auf das ursprüngliche Seyn" (GA42, 213). "Das Geschaffensein bedeutet daher nicht das Angefertigtsein, sondern das Stehen in der Schöpfung als einem Werden" (GA42, 228, vgl. 235). Die Schöpfung als Werden besagt "das Aussichheraustreten des zu-sich-se1bst-kommenden Absoluten" (GA42, 228), das mit dem Begriff ,legein' (sammeln) in einem Zusammenhang steht (vgl. GA42,219).

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 269

ges in den Bereich, aus dem es west" (Ding, 20). Wenn wir aus der Wachsamkeit für das Welten der Welt an das Ding als Ding denken, schonen wir das Wesen des Dinges in seinem Wesungsbereich, was der "Wiederbringung des Seienden aus der Wahrheit des Seyns" (BzP, 11) gleichkommt. 2. Das Wesenlassen des Dinges in seinem Wesungsbereich hat das Gefüge des Dingenlassens des Dinges aus dem Geviert für dieses. Eine Weise des Dingenlassens ist die Hervorbringung, die Heidegger eine Weise des Wohnens des Menschen nennt. Im Vortrag ,Bauen Wohnen Denken' denkt er den schon in diesem Titel angedeuteten Bezug des Wohnens zum Bauen und Denken. Nach der ursprünglichen Erfahrung, die Heidegger in einer etymologisch-hermeneutischen Analyse aufweist, meint Bauen eigentlich Wohnen als die Weise, wie Sterbliche auf der Erde sind. Dieses Bauen als Wohnen entfaltet sich zum Bauen, das einerseits das Wachstum pflegt, andererseits Bauten errichtet. 160 Auch das Denken gehört auf eine andere Weise in das Wohnen (vgl. BWD, 156). Darin, daß der Sterbliche auf der Erde ist, zeigen sich "die Vier: Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen" (BWD, 143). Denn ",auf der Erde' heißt schon ,unter dem Himmel'. Beides meint mit ,Bleiben vor den Göttlichen' und schließt ein ,gehörend in das Miteinander der Menschen'" (BWD, 143). Daher sind die Sterblichen insofern schon im Geviert, als sie auf der Erde wohnen. Dies bedeutet, daß die Sterblichen nur eigentlich, d.h. in ihrer gewesenen Seinsmöglichkeit sich übernehmend, wohnen, indem sie das Geviert in seinem Wesen schonen. Das wohnende Schonen des Gevierts vollzieht sich als vierfaltiges: Die Sterblichen retten die Erde, indem sie diese in ihr eigenes Wesen freilassen, empfangen den Himmel als Himmel, erwarten die Göttlichen als die Göttlichen und geleiten ihr eigenes Wesen in den Brauch des Vermögens des Todes: "Im Retten der Erde, im Empfangen des Himmels, im Erwarten der Göttlichen, im Geleiten der Sterblichen ereignet sich das Wohnen als das vierfaltige Schonen des Geviertes" (BWD, 145). Das Schonen des Gevierts bedeutet das Hüten des Geviertes in seinem Wesen, das in der Weise des Bergens des Geviertes im Ding als einer Aufenthaltsweise des Menschen bei den Dingen vollzogen wird. Der Aufenthalt bei den Dingen aber besagt nicht etwa die fünfte Weise des Schonens. Denn der Aufenthalt bei den Dingen ist "die einzige Weise, wie sich der vierfaltige Aufenthalt im Geviert jeweils einheitlich vollbringt" (BWD, 145). Die Dinge bergen das Geviert, indem sie selber als Dinge in ihrem Wesen gelassen werden. Das Ding birgt das Geviert insofern in der Weise der Versammlung, als es als 160 Heidegger faßt auch das Dichten als Bauen qua Wohnenlassen: "Das Dichten läßt das Wohnen allererst ein Wohnen sein. [... ] Dichten ist, als Wohnen lassen, ein Bauen" (VuA, 183). "Dichten und Wohnen gehören vielmehr, wechselweise einander fordernd, zusammen" (VuA, 196).

270 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

dasjenige gebaut wird, worin das Geviert verwahrt wird. Das Schonen des Dinges ist sowohl die Bergung des Gevierts im Ding wie auch das Entbergen des Seienden aus dem Geviert. Das so zu fassende Schonen des Dinges ist eine konkrete Vollzugsweise der Ek-sistenz. 161 Heidegger enthüllt durch eine Erläuterung der Seinsweise einer Brücke das Eigentümliche des Dinges 162 als seine Versammlung des Geviertes, die in sich eine Einräumung ist. Eine Brücke an einem Strom versammelt auf ihre Weise Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen bei sich. Sie versammelt die Erde als Landschaft um den Strom, indem sie Strom und Ufer und Land in die wechselseitige Nachbarschaft bringt. Sie versammelt den Himmel, indem sie rur das Wetter des Himmels und dessen wendisches Wesen bereit ist. Sie versammelt die Sterblichen, indem sie ihnen ihren Weg gewährt. Sie versammelt die Göttlichen, sofern die Sterblichen "immer schon unterwegs zur letzten Brücke, im Grunde danach trachten, ihr Gewöhnliches und Unheiles zu übersteigen, um sich vor das Heile des Göttlichen zu bringen" (BWD, 147). Die Brücke ist nur als ein Ding, indem sie das Geviert versammelt. Die Rede von der Versammlung ist aber keine Rede von der Brücke als Symbol, das nachträglich und gelegentlich zu dieser hinzurugt wird. Denn "die Brücke ist, wenn sie eine echte Brücke ist, niemals zuerst bloße Brücke und hinterher ein Symbol" (BWD, 148). Die Brücke ist nur dann ein solches Ding, wenn sie selbst eine Versammlung des Geviertes ist, ebenso wie ein Zeug, so wie es in ,Sein und Zeit' aufgewiesen ist, nur in der Verweisungsganzheit als ein solches sein kann. Die Brücke ist als ein Ding, indem sie das Geviert versammelt. Sie versammelt dieses in der Weise, daß sie ihm eine Stätte verstattet. Dabei kann sie eine Stätte nur einräumen, weil sie selber ein Ort ist. Ein anderer Ort ist nicht schon vor der Brücke vorhanden. Vielmehr ergibt sich eine andere Stelle als ein anderer Ort nur durch die Brücke, die als ein Ort zugleich die Stätte des Geviertes ist. Aus der Brücke, die dem Geviert eine Stätte verstattet, bestimmen sich Plätze und Wege, durch die ein Raum eingeräumt wird. Insofern sind es Dinge, die jeweils erst Räume verstatten. Ein Raum ist wesenhaft das Eingeräumte. Was das Eingeräumte versammelnd einräumt, ist ein Ding, das selbst ein Ort ist. InVgl. § 19, c). "Insofern Zeit sowohl wie Sein als Gaben des Ereignens nur aus diesem her zu denken sind, muß entsprechend auch das Verhältnis des Raumes zum Ereignis bedacht werden. Dies kann freilich erst glücken, wenn wir zuvor die Herkunft des Raumes aus dem zureichend gedachten Eigentümlichen des Ortes eingesehen haben. (Vgl. Bauen Wohnen Denken, 1951 in ,Vorträge und Aufsätze' 1954, 145ft)" (zSdD, 24). Heidegger verwendet den Begriff ,Ort' als die räumliche Bestimmung des Dinges: "Der von einem Körper besetzte Raum, ,topos', ist sein Ort. Im Unterschied zum Ort meint ,chora' den Raum, insofern er solche Orte aufnehmen (,dechesthai') und umfangen, behalten (,periechein') kann" (,Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum', 10). Ein Ding besetzt einen begrenzten Raum, hat seinen Ort und ist selbst hinsichtlich des Raumes ein Ort. Insofern ist das Eigentümliche des Ortes nichts anderes als das Eigentümliche des Dinges. lfil

Ifi2

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sofern empfangen die Räume ihr Wesen erst "aus Orten und nicht aus ,dem' Raum" (BWD, 149).163 Das Ding räumt jeweils einen Raum ein, indem es dem Geviert eine Stätte verstattet. Da ein Ding als ein Ort eine Stätte des Gevierts ist, kann ein Ding als eine Stätte einen Raum einräumen. Die "Dinge sind Orte, die dem Geviert eine Stätte verstatten, welche Stätte jeweils einen Raum einräumt" (BWD, 149). Der Wesensbezug von Ort und Raum ist also der Bezug zwischen dem Verstatten einer Stätte des Gevierts und dem durch diese Stätte freigegebenen Eingeräumten. Das, was der von einer Brücke verstattete Raum enthält, sind mancherlei Plätze in verschiedener Nähe und Feme zur Brücke, aber nicht die aus einem durchmeßbaren Abstand bestehenden bloßen Stellen. Zwar ist das von den bloßen Stellen Eingeräumte ein Raum eigener Art, d.h. "ein Zwischenraum", aus welchem durch die bloßen Ausspannungen nach Höhe, Breite und Tiefe ein dreidimensionaler "Raum als extensio" abstrahiert werden kann, der sich wiederum auf "analytisch-algebraische Relationen" (BWD, 150) abziehen läßt. I64 Aber ein Zwischenraum enthält, ebenso wie die dreidimensionale Ausdehnung und der mathrnatisch eingeräumte Raum, keine Plätze und Räume. Umgekehrt liegt der Raum als reine Ausdehnung nur im Zwischenraum, der seinerseits in den Räumen liegt, die durch Orte eingeräumt sind. Die Räume, die wir alltäglich durchgehen, sind die von Dingen als Orten eingeräumten. Insofern gründet das Wesen solcher Räume in den "Dingen von der Art der Bauten" (BWD, 151). Das Eigentümliche des Dinges als des Ortes ist die Versammlung des Geviertes, das in sich die Einräumung ist, womit Raum eingeräumt wird. Die Herkunft des Raumes ist insofern die Versammlung des Geviertes durch das Ding, d.h. die Einräumung durch das Ding. Im ereignishaften Denken findet sich die Räumlichkeit des Dinges nicht nur in seinem Zuhandensein an einem Platz innerhalb der Platzganzheit, 165 sondern diesem zuvor in seiner Einräumung in der Weise der Versammlung des Geviertes. Die Räumlichkeit des Dinges wird im seinsgeschichtlichen Denken von dem Ereignis her als die ereignishafte Räumung gedacht. Daß sich die zeiträumlich erfiigende Wahrheit im Seienden verwahrt, kommt der Räumung des Raumes in der Weise der Einräumung durch das Ding gleich. Das Räumen des Raumes durch eine Stätte ist das ursprüngliche Wesen des Raumes. Das Wesen 103 "Der Ort öffnet jeweils eine Gegend, indem er die Dinge auf das Zusammengehören in ihr versammelt" (,Die Kunst und der Raum', 10). 164 Der Ursprung der Mathematisierung des Raumes und der Zeit ist die Verstellung des Ab-grundes und somit des Grundes: "Wie kommt es zu dem, was in Raum und Zeit die Mathematisierung zuläßt? Die Antwort liegt in der Besinnung auf jenes Geschehnis, daß der Ab-grund, kaum ergründet, schon durch den Un-grund verschüttet wird" (BzP, 387). ,Un-grund' meint das Sichverbergen des sich lichtenden Grundes bzw. die sichlichtend sich verbergende Wahrheit (vgl. § 16, b). 105 Vgl. § 9, d).

272 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

des Raumes ist der Raum in seinem Wesen, d.h. der Raum selbst. Dieser ist es, der "Ortschaft und Orte einräumt, freigibt und zugleich in sie entläßt und das Gleich-Zeitige aufnimmt als Raum-Zeit" (UzS, 202).166 Die Räumung des Raumes geschieht aber nicht ohne den Menschen, der sich im Geviert bei den Dingen aufhält. Das Wohnen des Sterblichen auf der Erde ist der Aufenthalt im Geviert bei den Dingen. Sofern die Dinge als Orte jeweils die Räume einräumen, und der Mensch sich im Geviert bei den Dingen aufhält, werden die Räume stets im Aufenthalt des Menschen bei den Dingen eingeräumt. Insofern heißt es: "Räume öffnen sich dadurch, daß sie in das Wohnen des Menschen eingelassen sind" (BWD, 151-52). Aufgrund des Aufenthaltes bei den Dingen als Orten durchstehen die Menschen Räume. Sofern durch das Wohnen des Sterblichen, d.h. durch den Aufenthalt bei den Dingen, Räume als solche eröffnet werden, beruht der Bezug des Menschen zu Orten und somit zu Räumen im "Wohnen" (BWD, 152) als Aufenthalt im Geviert bei Dingen, der in ,SuZ' in seiner existenzialen Struktur als "Sich-vorweg - schon-se in-in (-der Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)" (SuZ, 256) formuliert ist. 167 Der Mensch räumt sich in der Weise des Aufenthaltes bei den Dingen ein, die als Orte dem Geviert je eine Stätte verstatten. Der Wesensbezug von Menschen und Räumen ist derjenige zwischen dem wohnenden Sicheinräumen und dem durch das Wohnen Eingeräumten. Diesen Bezug kennzeichnet Heidegger wie folgt: "Der Raum ist Raum, insofern er räumt (rodet), freigibt das Freie rur Gegenden und Orte und Wege. Aber der Raum räumt auch nur als Raum, insofern der Mensch den Raum einräumt [... ]".168 Der Bezug des räumenden Berückens zum raumnehmenden Berücktsein 169 ist der Bezug des Sicherschließens des Raumes zum Sicheinräumen des Menschen. Ein Ding als Ort räumt das Geviert in eine Stätte in der Weise des Einlassens ein, indem es diese Stätte, wohinein das Geviert eingeräumt wird, in Räume einrichtet. Insofern wird das Einräumen des Gevierts durch ein Ding zweifach verstanden, d.h. "Einräumen als Zulassen und Einräumen als Einrichten" (BWD, 153). Ein Ding ist als zweifach einräumender Ort eine Hut des Gevierts. Das Bauen als Errichten ist das Hervorbringen eines Dinges als Hut des Gevierts. Die gebauten Dinge als Orte verstatten Räume. Sofern das Bauen eiIM Der Weg von ,Raum' und ,Zeit' her in den Zeit-Raum ist ein Gegenweg zu dem Weg vom Zeit-Raum her. Der "Gegenweg vom ,Raum' und von der ,Zeit' her", der "vom Wissen um den Zeit-Raum als Abgrund bestimmt" ist, beginnt "im Ausgang vom Ding" und erweckt "neue Erfahrungen" (BzP, 388). Sofern das Wesen des Raumes gleichursprünglich mit dem Wesen der Zeit aus dem Ereignis gedacht werden muß, sagt Heidegger: "Der Versuch in ,Sein und Zeit' § 70, die Räumlichkeit des Daseins auf die Zeitlichkeit zurückzuführen, läßt sich nicht halten" (zSdD, 24). Ifi7 Vgl. ,Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum', 14. IfiM ,Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum', 14-5. 169Vgl. § 17.

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 273

nen Ort errichtet, der als Stätte des Gevierts jeden Raum einräumt, ist es ein Stiften und Fügen von Räumen. Das Stiften und Fügen gründet ursprünglich im Geviert. Das Bauen ist dasjenige Stiften und Fügen von Räumen, das aus dem Geviert seine Weisung und Maße erhält. Aus dem von der Einfalt des Gevierts her die Weisung und Maße empfangend-übernehmenden Bauen kommen die Bauten als die Bauten, die das Geviert verwahren. Die so gefaßten Bauten schonen auf ihre Weise das Geviert. Sofern die echten Bauten das Geviert auf ihre Weise schonen, und das einfache Wesen des Wohnens im Schonen des Gevierts liegt, faßt Heidegger das Bauen als "ein ausgezeichnetes Wohnen lassen" (BWD, 153-54). Das errichtende Bauen vollzieht sich als Hervorbringen. Mit diesem ist nicht bloß eine produzierende Tätigkeit gemeint, sondern ein Herbringen, das vorbringt: "Das Bauen bringt nämlich das Geviert her in ein Ding, die Brücke, und bringt das Ding als einen Ort vor in das schon Anwesende, das jetzt erst durch diesen Ort eingeräumt ist" (BWD, 154, vgl. UdK, 47). Das Bauen ist ein Hervorbringen,170 das das Geviert in ein Ding herbringt und dieses Ding in jenes vorbringt. Zum Schonen des Dinges gehört als dessen ausgezeichnete Weise das errichtende Bauen des Dinges bzw. das Schaffen des Werkes, das sich als das Hervorbringen vollzieht, d.h. als das Herbringen des gewesenen Gevierts in ein Ding in der Weise des Vorbringens des Dinges in das von diesem zeit-räumlich eröffnete Geviert. Im zweifach gefügten Hervorbringen wird das Ding erst das Ding, das das Geviert zeit-räumlich eröffnet und in diesem zeit-räumlich hereinsteht. Das Gefüge des Hervorbringens ist das Gefüge des Wesenlassens des Dinges in seiner Zeit-Räumlichkeit in seinem Wesungsbereich. Aus dem Hervorbringen beruht das Ding auf sich in der zeiträumlichen Offenheit. Das Wesen des Dinges in seiner Dingheit ist das Kommen des Dinges in sein Aufsichberuhen in der zeit-räumlichen Offenheit. Das aber, wann und wie die Sterblichen die Dinge hervorbringen und diese als solche wesen lassen, kommt darauf an, wann und wie die Sterblichen dem einzigen Zuruf des Geviertes entsprechen. Indem die Sterblichen aus dem Wohnen bauen und für das Wohnen denken, vollbringen sie das Wohnen als Hüten des Gevierts, bringen das Ding aus dem Geviert in dieses hervor und lassen dem Ding das Aufsichberuhen im Geviert zu. Das Hervorbringen des Dinges ist eine ausgezeichnete Weise der Bergung der Welt im Ding. Diese Bergung vollzieht sich aber auch in der Übernahme der Begegnung des Naturdinges, die sich begrifflich von der Hervorbringung unterscheidet, aber ebenso eine ursprüngliche Weise des Wesenlassens des Dinges iSt. 111

Auch "das Schaffen" in der Kunst ist "ein Hervorbringen" (UdK, 45). "Die Bergung aber hält sich nicht nur in den Weisen der Hervorbringung, sondern ebenso ursprünglich in der Weise der Übernahme der Begegnung des Leblosen und des Lebendigen [.. .]" (BzP, 71). Siehe: F.-W. v. Herrrnann, ,Wege', 111, 130, 190,217, 269. 110 111

18 Cheong (PHS)

274 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

Das Wesen lassen des Dinges in seinem Wesungsbereich, sei es die Hervorbringung oder die Übernahme der Begegnung, gilt nicht nur im schöpferischen Bereich des Bauens, Schaffens und Dichtens, sondern auch in allen Bereichen des Sich verhaltens des Menschen zu den Dingen (Pflegen, Hegen, Gebrauchen, Kunst-Bewahren usw.).172 Die konkrete Vollzugsweise der Ek-sistenz als Aufenthalt bei den Dingen vollzieht sich eigentlich als das Schonen des Dinges in der Weise des Wesenlassens des Dinges aus der zeit-räumlichen Offenheit in das in dieser als zeit-räumliches Offenbares Aufsichberuhen. 173 Dieses Wesenlassen bzw. Dingenlassen des Dinges ist eine konkrete Vollzugsweise des ursprünglichen Menschenwesens (d.h. der Ek-sistenz). Wenn das Wesen des Dinges (das Dingen) zum konkreten Vollzug des Menschenwesens einen bestimmten Bezug hat, kann die Frage nach dem Wesen des Dinges nichts anderes als diejenige sein, welche die Grundstellung des Menschen verwandelt. Der Wandel der Grundstellung des Menschen ist "ein Wandel des Fragens und Schätzens, des Sehens und Entscheidens, kurz: des Da-seins inmitten des Seienden" (GA41, 49, vgl. BzP, 14, 84). Die Ding-Frage ist also zugleich eine Frage nach der konkreten Vollzugsweise des Menschenwesens, die die Geschichtlichkeit des Menschen mit ausmacht. Die Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden vollzieht sich in der Weise des Wesenlassens des Dinges in der Wahrheit des Seins. Das Wesenlassen des Dinges schließt einen Wandel der Grundstellung des Da-seins inmitten des Seienden ein und macht so die Geschichtlichkeit des Menschen im Sinne des epochalen Wandels der Grundstellung des Menschen und somit des epochalen Wesenlassen des Dinges aus. 174 Erst in der sich wandelnden Grundstellung des Menschen ist die gegenwärti-

172 Die folgende Aussage von W. Marx muß präzisiert werden: "Wenn sich aber die Herrschaft des andersanfanglichen Seinssinnes, des Weltwesens in seinem Bezug zum Ding nur auf ,schöpferisch' hervorgekommene Dinge beschränkt, dann fragt es sich, wie denn das Wesen all der anderen ,Dinge' aufzufassen ist, mit denen sich der Mensch heute und zukünftig ,unter dem Himmel und auf der Erde' aufhält" (,Heidegger und die Tradition, 202, vgl. 252). Das Welten der Welt geschieht zwar im schöpferisch hervorgekommenen Ding, weil das, was uns in die ungewöhnliche Offenheit einrückt, nicht das Gewöhnliche, sondern das Ungeheure ist (vgl. UdK, 54). Aber dies bedeutet nicht, daß zum Welten der Welt die Naturdinge keinen Bezug haben. So wie Heidegger in der Erörterung des Wahrheitsgeschehens in einem griechischen Tempel aufgewiesen hat, werden auch die Tiere, die Pflanzen und die Naturdinge aus dem Wahrheitsgeschehen offenbar und gewinnen so aus diesem ihre eigene Wesensgestalt: "Der Tempel gibt in seinem Dastehen den Dingen erst ihr Gesicht und den Menschen erst die Aussicht auf sich selbst" (UdK, 29). Damit die Lichtung sich in ihr Offenes gründet, bedarf sie dessen, was sie in der Offenheit des Offenen erhält. Dieses ist ,je verschieden ein Seiendes (Ding - Zeug - Werk)" (BzP, 389, vgl. 70-71). Gerade deshalb, weil alle Dinge aus dem WeIten der Welt ihr Wesen erhalten, können wir andenkend jedes Ding in seinem Wesungsbereich wesen lassen, was die Herrschaft des Weltwesens über jedes Ding erreichenläßt. 173 Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 381. 174 Siehe: F.-W. v. Herrmann, ,Wege', 372.

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 275

gende Entdeckung des seinsverwahrenden Seienden möglich. So enthüllt sich die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen sowohl in Hinsicht auf seine Zukünftigkeits- und Gewesenheitsdimension wie auch in seiner Gegenwartsdimension.

d) Die Zu-kürifiigen als geschichtliche Menschen

Das ek-sistierende Dasein, das von der Wahrheit des Seins er-eignet ist, hat in dieser Wahrheit zu sein. Das entschlossene Dasein wird dergestalt geschichtlich, daß es sich ausdrücklich in der gewesenen Seinsmöglichkeit (Eksistenz) geschickhaft (geschicklieh) übernimmt. Dieses ausdrückliche Sichübernehmen des Menschen in seiner gewesenen Seinsmöglichkeit vollzieht sich einerseits in der Weise der empfangenden Eröffnung der Wahrheit des Seins und andererseits in der Weise der Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden bzw. in der Weise des Wesenlassens des Seienden in seinem Wesungsbereich. Diese geschickhafte Vollzugsweise der Ek-sistenz ist insofern die Geschichtsgründung, als die so zu eröffnende Wahrheit des Seins der Anfang der Geschichte wird. Die geschickhafte-geschichtegründende Vollzugsweise der gewesenen Ek-sistenz konkretisiert sich im Dingenlassen des Dinges in der Wahrheit des Seins. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen, d.h. das ausdrückliche Sichübernehmen des Menschen in seiner gewesenen Seinsmöglichkeit, vollzieht sich als der geschickhaft-geschichtegründend-dingenlassende Vollzug der gewesenen Ek-sistenz, welcher der empfangend-eröffnenden Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden gleichkommt. Aus der empfangend-eröffnenden Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden ek-sistiert der Mensch als von dieser er-eigneter sich-übernehmend, d.h. eigentlich-geschichtlich. Die seins geschichtlich gedachte Geschichtlichkeit des Menschen ist also dasjenige Wohnen in der Nähe zum Sein, das als Wiederholung der gewesen den Seinsmöglichkeit gemäß dem Geschick des Seins geschickhaft die ursprüngliche Geschichte mit gründet und die Dinge in der Wahrheit des Seins wesen läßt. Die Menschen, die in einer solchen Weise geschichtlich in der Nähe zum Sein wohnen, sind diejenigen, die Heidegger die Zu-künftigen nennt. Die Zu-künftigen sind diejenigen, die das künftige Geschick des Menschen übernehmen. Sie stehen "im herrschaftlichen als dem wahrhaften Wissen" (BzP, 396). Ein solches Wissen beginnt mit dem Wissen um die Wahrheit des Seins, das das Innestehen in dem Bereich der Entscheidung der künftigen Geschichte bedeutet. 175 Heidegger faßt "unsere Stunde" als

175 Das eigentliche Wissen ist bei Heidegger das wollende Wissen, d.h. das "Innestehen in dem Streit" bzw. das Ek-sistieren in der Wahrheit des Seins als "Gesehenhaben" und "Entschiedensein" (UdK, 56, vgl. EiM, 23).

276 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

"Zeitalter des Untergangs" (BzP, 397). Mit dem ,Untergang' meint er das zuEnde-Kommen des ersten Anfangs, welches den Beginn des anderen Anfangs bereitet. 176

Heidegger spricht den Zu-künftigen sowohl "die trübe ,Resignation', die nicht mehr will", wie auch "den lärmenden ,Optimismus', der trotz aller Versicherung noch nicht wahrhaft will" (BzP, 397) ab. Pessimismus und Optimismus erwachsen aus einer "Auffassung des Wirklichen und damit der Geschichte im Sinne eines Geschäftes, dessen Aussichten man bald als hoffnungsvoll, bald als gegenteilig berechnet" (GA45, 55). Insofern gründet beides in der historischen Betrachtung der Geschichte, welche das Vergangene und das Heutige vergleicht und verrechnet. Die Unter-gehenden hingegen suchen in der Weise des Fragens die Wahrheit, die der Anfang der Geschichte wird. Insofern faßt Heidegger das Fragen der Unter-gehenden als "die Entschlossenheit zur äußersten Besinnung" (BzP, 397-98), bzw. als "die Verhaltenheit des Suchens, wo und wie die Wahrheit des Seins sich gründen und bergen lasse" (BzP, 398). Die auf die Besinnung auf die Wesung der Wahrheit entschlossenen und vor dieser verhaltenen Menschen sind die Zu-künftigen als die Geschichtlichen. Die Zu-künftigen sind die verhaltenen Ek-sistierenden, d.h. "die im gegründeten Da-sein Inständlichen des Gemütes der Verhaltenheit, auf die allein das Sein (Sprung) als Ereignis zu-kommt, sie ereignet und zur Bergung seiner Wahrheit ermächtigt" (BzP, 401). Nur die vor der sich-lichtend sichverbergenden Wesung der Wahrheit verhaltenen Zu-künftigen können diejenigen sein, welche die Dinge aus dem Geviert in das in diesem Aufsichberuhen wesen lassen. 177 Sofern die Wesung des Seins in seiner Wahrheit als Ereignis die ursprüngliche Geschichte ist, sind die Zu-künftigen die verhaltenen Wartenden auf die ursprüngliche Geschichte. Dieses verhaltene Warten aber besteht nicht in der Weise des Vor-stellens, sondern nur in der Weise des Teilhabens an dem Ereignis. Sofern die Ek-sistenz geschickhaft an dem Ereignis teilhat, vollzieht sich die geschichtliche Ek-sistenz der Zu-künftigen als die geschickhaft-dingenlassende Geschichtsgründung.

m Insofern ist der Untergang zugleich der Übergang zur andersanfanglichen Geschichte. Dieser Übergang gründet im andenkenden Vor-denken der Geschichte des Seins (vgl. § 13, a). Was unter dem Begriff ,andenkendes Vor-denken' verstanden wird, denkt H.-G. Gadamer in dem Begriff ,Erinnerung': "Nicht, daß der Übergang zugleich Vergehen und Werden ist, ist die Auszeichnung des Übergangs, sondern daß das Neue eben dadurch wird, daß das Alte in seiner Auflösung erinnert wird" (,Die Frage Martin Heideggers',33). 177 In diesem Zusammenhang wird die folgende Rede von K. Held sinnvoll verstanden: Es "muß für die eigentlich, in der Scheu vor dem Entzug erfahrenen Dinge gelten, daß sie ihren Sinn und ihr Sein aus dem Geviert erhalten würden" (,Die Welt und die Dinge', 331).

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 277

Als Resume von § 20 läßt sich festhalten: a) Im seinsgeschichtlichen Denken wird die Grundstimmung, die die gewesene Seinsmöglichkeit des Menschen enthüllt, als erschreckend-scheue Verhaltenheit gefaßt. In dieser Grundstimmung wird es als die seinsgeschichtliche Bestimmtheit des Menschen erfahren, der Sucher des Seins, der Wahrer der Wahrheit des Seins, der Wächter für die Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes zu sein. Das Zukünftigsein des Daseins liegt also in der dreifach zu verstehenden Wächterschaft für die Wahrheit des Seins. Im Vollzug dieser Wächterschaft liegt die seinsgeschichtlich bestimmte Geschichtlichkeit des Menschen im Zeitalter der Seinsverlassenheit des Seienden, der Gottesverlassenheit und der Wesensentfremdung des Menschen. Die Wächterschaft für die Wahrheit des Seins, d.h. die seinsgeschichtlich bestimmte Geschichtlichkeit des Menschen, vollzieht sich in diesem Zeitalter eigentlich als Gründung des Entscheidungsbereiches des Ereignisses, aus dem her die Ankunft des Seienden, der Vorbeigang des letzten Gottes und der andere Anfang der Geschichte gewährt werden. Der Entscheidungsbereich ist der Zeit-Raum als die Augenblicks-Stätte für die Entscheidung über die Geschichte oder Ungeschichte des Menschen. Die gründende Eröffnung des ZeitRaumes als der erstwesentlichen Wesung der Wahrheit ist die Gründung der Wahrheit für das Sein, das nur in seiner Wahrheit west. Der ereignete Entwurf des Zeit-Raumes ist also die Teilhabe am Ereignis (d.h. an der Wesung des Seins in seiner Wahrheit), das die ursprüngliche Geschichte im Sinne des Ursprungs der Geschichte ist. Die Teilhabe am Ereignis ist als diejenige an der ursprünglichen Geschichte geschichtegründend und in diesem ersten Sinne (hinsichtlich der Geschichte des Seins) geschichtlich. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen in diesem übergänglichen Zeitalter liegt also im eigentlichen Vollzug der Wächterschaft für die Wahrheit des Seins, im ereigneten Entwurf der Wahrheit des Seins, in der Teilhabe am Ereignis, in der Geschichtsgründung. b) Das Sein als Ereignis geschieht jeweils in seiner Wahrheit, d.h. in der Weise des jeweiligen Sichzuschickens in der Wahrheit. Das Sichzuschicken des Seins ist in sich das Geschick der Wahrheit, weil diese aus dem Sein als dem Ge-schick selbst geschickt wird und so geschieht. Sofern die jeweilige Wahrheit des Seins die jeweils aus diesem geschickte ist, ist die Wahrheit des Seins bzw. das Sein in seiner Wahrheit geschickhaft und jeweils einzig. Die zu entwerfende Wahrheit ist als geschichtliche die geschickte. In diese Wahrheit ist auch der Mensch schon geschickt und zwar als Ek-sistenz. Der Entwurf der geschickt-gewesenen Wahrheit des Seins ist also der Vollzug der geschickt-gewesenen Ek-sistenz des Menschen. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen, die im Entwurf der Wahrheit des Seins liegt, vollzieht sich also nur als die Wiederholung der geschickten Ek-sistenz, d.h. der gewesenen Seinsmöglichkeit des Menschen. Diese Wiederholung ist als das ausdrückliche Sichüberliefern der geschickten Existenz geschickhaft und geschicklich und in diesem zweiten Sinne (hinsichtlich der Geschichte des Menschen) geschichtlich. Die eigentliche Geschichtlichkeit, die in der Geschichts-

278 2. Teil: Seinsgeschichtliches Denken: Ereignis, Zeit-Raum, Geschichtlichkeit

gründung und Geschickhaftigkeit liegt, ist die zu-künftige wiederholende Geschichtlichkeit der seinsgeschichtlich bestimmten und geschickten Ek-sistenz. Aus dem Charakter der Zukünftigkeit und Gewesenheit der Geschichtlichkeit des Menschen erhebt sich nun die Frage nach dem Gegenwartscharakter der Geschichtlichkeit des Menschen. c) Konkret vollzieht sich die Ek-sistenz als der entdeckende Bezug zum Seienden. Hierin kann der Gegenwartscharakter der Geschichtlichkeit herausgestellt werden. Das Entdecken des Seienden wird eigentlich als Wesenlassen des Dinges vollzogen. Sofern das Dingen des Dinges erst mit und aus dem Welten der Welt geschieht, kann das Dingenlassen des Dinges nur in der Weise vollzogen werden, daß die Ek-sistenz die weitende Welt her in das Ding und zumal dieses vor jene bringt, um durch das Ding die Welt ursprünglich welten und durch die Welt das Ding ursprünglich dingen zu lassen. Das Gefuge des Hervorbringens ist zugleich das Gefuge des Wesen lassens des Dinges, das sich in der Weise vollzieht, daß die Ek-sistenz das Ding aus und in der zeit-räumlichen Offenheit der Welt wesen läßt, so daß das Ding in dieser als zeit-räumlich Offenbares auf sich beruht. Das Wesenlassen des Dinges als konkreter Vollzug der Ek-sistenz birgt in sich den Wandel der Grundstellung des Menschen. Als solches macht das Dingenlassen des Dinges die Geschichtlichkeit des Menschen im Sinne des epochalen Wandels der Grundstellung des Menschen gegenüber dem Seienden mit aus. Konkret vollzieht sich die Geschichtlichkeit des Menschen in der gegenwärtigenden Entdeckung des seinsverwahrenden Seienden. Dieser konkrete Vollzug der Existenz verwandelt die Grundstellung des Menschen gegenüber dem Seienden und läßt das Ding auf sich beruhen. Die konkrete Ek-sistenz ist epochal sich wandelnd-dingenlassend und in diesem dritten Sinne (hinsichtlich der Geschichte des Seienden) geschichtlich. d) Die ursprüngliche Geschichte als Ursprung jeder Geschichte ist die Wesung des Seins als Ereignis. Die Wesung des Seins geschieht je in seiner Wahrheit, d.h. als die Wesung der Wahrheit des Seins. Der Mensch hat Teil an der Wesung des Seins dergestalt, daß er die Wahrheit des Seins empfängt, eröffnet und sie im Seienden verwahrt. Hier findet sich sowohl die Diskontinuität der Geschichte, in der die bisherige Auswirkung der Seins verlassenheit und der Seinsvergessenheit unterbrochen wird, wie auch die Kontinuität der Geschichte, in der das Sein, d.h. das gewesene Gewährende, ursprünglich in der Weise des Wiedergestaltens nun in den neuen Anfang wiederholt wird. Die Geschichtlichkeit des Menschen, der als Geschichtemit-gründender gefaßt wird, vollzieht sich als die empfangend-eröffnende Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden. Von der Zeitlichkeitsstruktur des Menschen aus gesehen, bedeutet dieser Vollzug, daß er seine gewesene Seinsmöglichkeit der Ek-sistenz in die Künftigkeit seines Seins wiederholt und sich in der gegenwärtigenden Entdeckung des seinsverwahrenden Seienden verkörpert. Die Zu-künftigen, die ihre seinsgeschichtlich bestimmte Aufgabe, d.h die Wiederbringung des seinsverlassenen Seienden in das Sein, übernehmen, gründen die ursprüngliche Geschichte mit in der Weise der sich fugenden Verfu-

Kap. 3, § 20 Die seinsgeschichtlich erfahrene Geschichtlichkeit des Menschen 279 gung über die Wesung des Seins. Insofern sind sie keine absoluten bzw. unmittelbaren Geschichtsgründer, sondern allein die teilhabenden Gründenden der Geschichte. Als solche sind sie weder Optimisten noch Pessimisten, sondern die entschlossenen Wartenden, wobei das Warten nicht in der Weise einer Vorstellung der möglichen anderen Geschichte, sondern allein in der Weise des ausstehenden Innestehens im Bereich der Entscheidung der Geschichte sich vollzieht, das sich stetig (niemals nur einmal) in der empfangend-eröffenenden Verwahrung der Wahrheit des Seins im Seienden verkörpert.

Schluß bemerkung In dieser Arbeit haben wir von Heideggers Seinsdenken her sein Geschichtsdenken nachvollzogen. Es sollte gezeigt werden, daß Heideggers Geschichtsdenken in der frühen Zeit dergestalt vollzogen wird, daß es die Geschichte der Ontologie als diejenige der Seinsvergessenheit von der uneigentlichen Geschichtlichkeit des Daseins her erhellt und so die Not-wendigkeit der traditionellen Ontologie aufweist. Sofern die Geschichte der Ontologie als diejenige des Vergessens der ursprünglichen Quellen der Ontologie gefaßt wird, verkörpert sich innerhalb des Seinsdenkens die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des seinsverstehenden Daseins gerade in der aneignenden Wiederholung der ursprünglichen Quellen der Ontologie. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins als Vollzug der eigentlichen Existenz ist so eine zweifache Wiederholung, d.h. die Wiederholung der Seinsmöglichkeit des seinsverstehenden Daseins und zugleich die Wiederholung des Ursprungs der Ontologie. Ferner sollte gezeigt werden, daß Heideggers Geschichtsdenken in der späteren Zeit (seit Beginn der dreißiger Jahre) dergestalt vollzogen wird, daß es die Seinsgeschichte als Geschick des Seins von dem Sein als Ereignis bzw. Geschick her erhellt und so die Not-wendigkeit der Seinsgeschichte aufweist. Das Geschick des Seins gründet im ansichhaltenden Wesensgeschehen des Seins, d.h. in dem Ereignis bzw. dem Ge-schick. Sofern die Seinsgeschichte als dasjenige Geschick des Seins gefaßt wird, das durch den Gegenschwung von Zuruf und Entwurf geschieht, verkörpert sich innerhalb des Seinsdenkens die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des in die Wahrheit des Seins hereinstehenden Daseins gerade in der andenkendvordenkenden Wiederholung des währenden Ursprungs der Seinsgeschichte. Auch hier zeigt sich die eigentliche Geschichtlichkeit zweifach, d.h. als die Wiederholung der Seinsmöglichkeit des in die Wahrheit des Seins hereinstehenden Daseins und zugleich als die Wiederholung des Wesensursprungs der Seinsgeschichte. Das Sein geschieht zwar nicht durch den Menschen, aber mit dem Menschen, der als ereigneter die zugeworfene Wahrheit des Seins entwirft. Aus dem ereignenden Zuruf des Seins ist der Mensch in die Existenz, d.h. in das Innestehen in der Wahrheit des Seins, geschickt. Das Sein selbst verfugt über das ursprüngliche Wesen des Menschen, d.h. die Existenz. Aus dem Sein selbst gewinnt der Mensch zwei Seinsmöglichkeiten: das Entwerfen der zugeworfenen Wahrheit des Seins oder dessen Vergessen. Das Sein selbst ist also der Ursprung der Seinsmöglichkeiten des Menschen. Das Entwerfen der

Schlußbemerkung

281

Wahrheit des Seins ist der eigentliche Vollzug der Existenz, der die Wiederholung der gewesenen Seinsmöglichkeit des Menschen bedeutet. Diese Wiederholung geschieht zugleich als die Wiederholung der währenden Möglichkeit des Seins in die Zukünftigkeit des Seins, die als Wiederholung des Ursprungs der Geschichte dem Anfangenlassen der andersanfanglichen Geschichte gleichkommt und somit die Not der Seinsgeschichte wendet. Die eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen wird nicht nur im frühen Denken Heideggers, sondern auch in seinem späteren Denken als Wiederholung gedacht. Die Antwort auf die Fragen, wie das Sein ursprünglich geschieht und wie das Seiende (sowohl das daseinsmäßige wie auch das nicht daseinsmäßige Seiende) noch seiender wird, fmdet sich im Begriff ,Wiederholung'. Die eigentliche Geschichtlichkeit als Wiederholung gründet in der dreifachen Zeitlichkeitsstruktur der Zeit. Sofern der Mensch zeitlich ist, hat die Wiederholung in Hinblick auf die dreifache ZeitlichkeitsstruktUr eine dreifache geschichtliche Bedeutung. Hinsichtlich der Zukunftsdimension ist die Wiederholung etwas Monumentalisches bzw. Geschichtsgründendes, hinsichtlich der Gewesenheitsdimension etwas Antiquarisches bzw. Geschickhaftes, hinsichtlich der Gegenwartsdimension etwas Kritisches bzw. das die Grundstellung des Menschen verwandelnde. Die so zu fassende Wiederholung ist in sich diejenige Wiederholung der währenden Möglichkeit des Seins in die Zukunft (d.h. in das Aufuns-zukommen), so daß die andersanfangliehe Geschichte anfangt. Was den Begriff der Wiederholung sinnvoll macht, ist die Endlichkeit des Menschen. Der in die Wahrheit des Seins geworfene Mensch ist hinsichtlich der Geworfenheit endlich. Er entwirft nur das ihm faktisch Zugeworfene und ist von der Bestimmtheit des Entwurfs aus gesehen endlich. Der Mensch kann aber die ihm zugeworfene Wahrheit des Seins (d.h. den Zeit-Raum für das Sein überhaupt) ursprünglich entwerfen und somit seine gewesene Seinsmöglichkeit ausdrücklich übernehmen, was als epochemachende Wiederholung dem Anfangenlassen der andersanfanglichen Geschichte gleichkommt. In einem solchen Seinkännen des Menschen liegt seine Würde und Größe. Was das so zu fassende Geschichtsdenken Heideggers in einer Hinsicht charakterisiert, scheint ein eschatologisches Denken zu sein. Was mit diesem Begriff gemeint ist, ist gar nicht ein durch die Vergeschichtlichung der Eschatologie sich vollziehender Entwurf einer Geschichtsphilosophie wie eine eschatologische Setzung des absoluten Ziels der Weltgeschichte, sondern allein das aus dem Endbewußtsein bzw. aus dem an das Ende Denken her sich vollziehende Andenken an die Geschichte des Daseins und des Seins. Das eschatologische Denken Heideggers aus dem an das Ende Denken her zeigt sich besonders darin: Wie das Vorlaufen des Daseins zum Tode das Sein des Daseins in seiner Gewesenheit enthüllt und so die Wiederholung ihrer in die Zukunft ermöglicht, enthüllt die Erfahrung des Zeitalters als das Ende der Seinsgeschichte das Sein in seiner Gewesenheit und ermöglicht so die ursprüngliche Wiederholung ihrer in die Zukunft.

282

Schluß bemerkung

Im eschatologischen Denken sammelt sich die Zeit auf den Menschen als sichzeitigendes nunc, der Raum auf den Menschen als sichräumendes hic, der ZeitRaum auf den Menschen als haecceitas, was der Vereinigung von Teil und Ganzem gleichkommt. Sofern der Mensch aus dem eschatologischen Denken her das zeit-räumliche Ganze aufnimmt und als die Vereinigung von Teil und Ganzem es auf seine gewesen-künftige Möglichkeit hin entwerfend offen hält, steht jedes Ding in die Ganzheit des Ganzen herein und eröffnet dieses in jene, was wieder als eine Vereinigung von Teil und Ganzem das Dingen des Dinges und zumal das Welten der Welt bedeutet. Zum Sein des Menschen, sei dieser ein Individuum oder die Menschheit, gehört die geschichtliche Kontinuität. Seine Vergangenheit steht in einer Kontinuität mit seiner Gegenwart, diese wieder mit seiner Zukunft. Diese Kontinuität wird gewöhnlich als Überlieferung oder Tradition der Seinsweise des Menschen verstanden. Die Kontinuität des Menschseins ist aber insofern eigentlich eine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität, als die Kontinuität nur in epochemachenden Zusammenhängen gründet. Wenn es so ist, erhebt sich folgende Frage: Was ermöglicht eine solche eigentliche Kontinuität des Menschseins? Worauf gründet seine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität? Diese Frage ist die Frage nach dem Wesensgrund der ursprünglichen Geschichtlichkeit des Menschen. Aber nicht nur zum Menschsein, sondern auch zum Sein selbst gehört die geschichtliche Kontinuität. Die ehemalige Wesungsweise des Seins steht in der Kontinuität mit der jetzigen Wesungsweise des Seins, diese wieder mit der zukünftigen Wesungsweise. Diese Kontinuität wird gewöhnlich als Rückschritt oder Fortschritt der Seinsauslegung verstanden. Die Kontinuität der Seinsgeschichte ist aber eigentlich, wie die Kontinuität des Menschseins, eine in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität. Insofern erhebt sich folgende Frage: Worin gründet eine solche eigentliche Kontinuität der Seinsgeschichte? Worauf gründet ihre in sich epochal diskontinuierliche Kontinuität? Diese Frage ist die Frage nach dem Wesensgrund der ursprünglichen Geschichtlichkeit des Seins. Wenngleich wir so zwei Fragen nacheinander gestellt haben, stehen die epochal diskontinuierliche Kontinuität des Menschseins und die epochal diskontinuierliche Kontinuität der Seinsgeschichte nicht in der Dualität, sondern in einer bestimmten Einheit. Denn das, woher Mensch und Sein je zu ihrem ursprünglichen Wesensgeschehen kommen, ist das Ereignis, das im er-eigneten Entwurf der zugeworfenen Wahrheit des Seins geschieht. Dieser Entwurf ist es, worin die ursprünglich-eigentliche Geschichtlichkeit des Menschen liegt. Diese eigentliche Geschichtlichkeit ist es, worin sowohl das eigentliche Wesensgeschehen des Menschen, das jeweils die epochal diskontinuierliche Kontinuität des Menschseins bildet, wie auch das eigentliche Wesensgeschehen des Seins, das jeweils die epochal diskontinuierliche Kontinuität der Seinsgeschichte bil-

Schlußbemerkung

283

det, liegt. In der ursprünglich-eigentlichen Geschichtlichkeit des Menschen gründet die zweifach zu denkende geschichtliche Kontinuität. Heideggers Geschichtsdenken ist als ursprüngliche Frage nach der Geschichte weder die Behauptung des Fortschrittes oder des Rückschrittes der Geschichte noch die Herausstellung eines gleichfönnigen Gesetzes der Geschichte, sondern die Frage nach dem Wesensgrund der Geschichte, der zuletzt in der eigentlichen Geschichtlichkeit des Menschen verankert wird, die sich in der Weise des er-eigneten Entwurfs des er-eignenden Zurufs des Seins vollzieht. Der historische Optimismus gehört zur Auffassung der geschichtlichen Kontinuität als Fortschritt, der historische Pessimismus zur Auffassung der geschichtlichen Kontinuität als Rückschritt, der historische Relativismus zur Auffassung der geschichtlichen Diskontinuität als Immensurabilität. Wenn sich der Sinn einer Epoche aber darin fmdet, inwiefern sie die gewesene Möglichkeit in ihrer Ursprünglichkeit wiederholt, läßt sich der Sinn einer Epoche weder einfach relativieren, noch einfach mit dem Begriff Fortschritt oder Rückschritt verrechnen. Die Frage, worin der Wesensgrund der Geschichte liegt, d.h. wie der Mensch ursprünglich seine Seinsmöglichkeit wiederholt und somit das Sein ursprünglich wesen läßt, um die Möglichkeit in der Geschichte zur Geschichte aus der Möglichkeit werden zu lassen, ist es, die die Eigentümlichkeit Heideggers Geschichtsdenkens bildet, was in dieser Arbeit gezeigt werden sollte.

Literaturverzeichnis I. Die Schriften Heideggers 1. Martin Heidegger Gesamtausgabe (GA)

(Mit dem Zeichen # sind die Schriften bezeichnet, die in dieser Abhandlung nicht zitiert sind)

1. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1920-1976 GA I Frühe Schriften (1910-1916), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1978 GA 2 Sein und Zeit (1927), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1977 # GA 3 Kant und das Problem der Metaphysik, Hg. F.-W. v. Herrmann, 1991

GA 4 Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (1936-1968), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1981 GA 5 Holzwege (1935-1946), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1977 # GA 6.1 Nietzsche, Hg. Brigitte Schillbach, 1996 GA 9 Wegmarken (1919-1961), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1976 # GA 10 Der Satz vom Grund (1955-1956), Hg. P. Jaeger, 1997 GA 12 Unterwegs zur Sprache (1950-1959), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1985 GA 13 Aus der Erfahrung des Denkens (1910-1976), Hg. Herrmann Heidegger, 1983 GA 15 Seminare (1951-1973), Hg. C. Ochwadt, 1986

2. Abteilung: Vorlesungen GA 17 Einführung in die phänomenologische Forschung (WS 1923/24), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1994 GA 19 Platon: Sophistes (WS 1924/25), Hg. I. Schüßler, 1992 GA 20 Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs (SS 1925), Hg. P. Jaeger, 1979 GA 21 Logik. Die Frage nach der Wahrheit (WS 1925/26), Hg. W. Biemel, 1976 # GA 22 Grundbegriffe der antiken Philosophie (SS 1926), Hg. F.-K. Blust, 1993

GA 24 Die Grundprobleme der Phänomenologie (SS 1927), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1975

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GA 34 Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theatät (WS 1931/32), Hg. H. Mörchen, 1988 GA 39 Hölderlins Hymnen "Germanien" und "Der Rhein" (WS 1934/35), Hg. S. Ziegler, 1980 GA 40 Einführung in die Metaphysik (SS 1935), Hg. P. Jaeger, 1983 GA 41 Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (WS 1935/36), Hg. von P. Jaeger, 1984 GA 42 Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809) (SS 1936), Hg. I. Schüßler, 1988 # GA 43 Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst (WS 1936/37), Hg. B. Heimbüchel, 1985 # GA 44 Nietzsches metaphysiche Grundstellung im abendländischen Denken. Die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen (SS 1937), Hg. M. Heinz, 1986

GA 45 Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte "Probleme" der "Logik" (WS 1937/38), Hg. F.-W. v. Herrmann, 1984 GA 47 Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis (SS 1939), Hg. E. Hanser, 1989 GA 48 Nietzsche: Der europäische Nihilismus (11. Trimester 1940), Hg. P. Jaeger, 1986 GA 49 Die Metaphysik des Deutschen Idealismus (I. Trimester 1941), Hg. G. Seubold, 1991 # GA 50 1. Nietzsches Metaphysik. 2. Einleitung in die Philosophie, Dichten und Denken (WS 1941742, WS 1944/45), Hg. P. Jaeger, 1990

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3. Abteilung: Unveröffentlichte Abhandlungen - Vorträge - Gedachtes GA 65 Beiträge zur Philosophie, Hg. F.-W. v. Herrmann, 1989 GA 68 HegelI. Die Negativität. Eine Auseinandersetzung mit Hegel aus dem Ansatz in der Negativität (1838/39, 1941) 2. Erläuterung der ,Einleitung' zu Hegels ,Phänomenologie des Geistes' (1942), Hg. I. Schüßler, 1993 GA 77 Feldweg-Gespräche (1944/45), Hg. Ingrid Schüßler, 1995 GA 79 Bremer und Freiburger Vorträge (1949 u. 1957), Hg. P. Jaeger, 1994

2. Die zitierten Einzelveröffentlichungen Heideggers Was ist das - die Philosophie?, 2. Aufl., Pfulligen 1960 Nietzsche, 2. Bd., 2. Aufl., Pfulligen 1961 Die Kunst und der Raum, St. Gallen 1969 Was heißt Denken? (1951-1952),3. Aufl., Tübingen 1971 Der Satz vom Grund (1955-1956), 4. Aufl., Pfullingen 1971 Zur Sache des Denkens (1962-1964), 2. Aufl., Tübingen 1976 Vier Seminare (1966/68/69/73), Frankfurt 1977 Identität und Differenz (1955-1957), 6. Aufl., Pfullingen 1978

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11. Die zitierten anderen Schriften (inklusive der in der Weise der Titelangabe vorgestellten Bücher) Aristoteles: Met. VIII, 10, 1051 a, 34 sqq. und V, 4, 1027 b, 25 sq. Descartes: Discours de la methode, übersetzt u. herausgegeben v. Lüder Gäbe, Hamburg 1990 Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften (GA I), Hg. Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 1959

- Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (GA VI), Hg. Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 1962 Hegel: Die Phänomenologie des Geistes (GA 9), Hg. W. Bonsiepen und R. Heede, Hamburg 1980 HerakIit: B. 123 In: H. Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, Hg. W. Kranz, Berlin 1954 Husserl: Logische Untersuchungen 1. Bd: Prolegomena zur reinen Logik, Bd. XVIII, Hg. E. Holenstein, Den Haag 1975

- Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. 1. Buch, Tübingen 1993 Kant: Kritik der reinen Vernunft Platon: Politeia VII, 517 c. Rickert: Probleme der Geschichtsphilosophie, Heidelberg 1924

- Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffbildung, Tübingen 1929

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- Heidegger und die hermeneutische Philosophie, Freiburg/München 1974 - Philosophie und Politik bei Heidegger, FreiburglMünchen 1974 Der Denkweg Martin Heideggers, Pfullingen 1983 Pugliese, Orlando: Vermittlung und Kehre, Freiburg/München 1965 Richardson, William 1.: Through Phenomenology to Thought, Den Haag 1974 Riedei, Manfred: "Einleitung", in: Wilhelm Dilthey. Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt 1970, SS. 9-80 Rosales, Alberto: Transzendenz und Differenz, Den Haag 1970 19 Cheong (PHS)

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Personen- und Sachwortverzeichnis (erstellt von Thomas H. T Wieners) Ab 204 Abgrenzung, Abgegrenzte 26, 172, 248 Abgrund, Ab-grund 200, 202, 204f, 212, 216, 219-228, 230233,237,243 Ab-gründigkeit, Ab-gründung 227, 234 Abhandene, Abhandenheit, Abhandensein 115-117,239 Abkunft, Abkünftige 122, 167 Absenz, Ab-sentiale 118 Absinken 188 Absolute, Ab-solute 168, 190 Abstand, Abstände 105,271 Abstürze 176 Abwandlungen 115 Abwesenheit, Abwesen, Abwesendes 117f, 124,223,239 Achtfaltigkeit 215 Affektcharakter 93 Affektion 121 aletheia 168, 171, 181, 188, 192195, 198f., 200, 244 Alle 169 Alleinherrschaft 173

Allgemeingültigkeit, -gültiges 197, 225 Allgemeinheit, Allgemeine, -s, meinste 152,168,177,178,209 Alltäglichkeit 59, 62, 71, 73, 77, 84, 125 Alltagsvorstellung 246 Als 147 Alte 140 Altertümer 131, 132 Anaximander 178

Andenken 176, 178, 183, 268, 281 Andere, -sn Andersheit 28f, 62, 67, 109, 180,206,209 Aneignung 154, 158f. Anerkenntnis 165 Anfall 230-232 Anfang, Anfangende 118, 166f., 17lf., 178-181, 183-185, 191193, 200f., 208, 211-216, 220, 225f., 230f., 233, 235f., 248, 250, 256f, 259-261,265,275278 Anfangenlassen 281 Angewehte 214 Angewiesenheit 95

292

Personen- und Sachwortverzeichnis

Angst 54f., 59, 62, 64f., 67, 88-92, 106,142,206 -phänomen 69 Anhalt, Anhalten 64, 234 Anhängen 76 anima, animus 249 Anklang 164-166,171,178,218, 226,242

Apriori, Apriorität, Aprioritätsproblem 48,53, 104, 184, 186f., 257 Aristoteles 185, 192, 266 Armut 252 Aufblitzen 178 Aufbrechen 228 Aufdringlichkeit 100

Ankommen, Ankommendes 48, 127

Aufenthalt 169,206,216,269,272, 274

Ankunft 238,255-257,261,268, 277

Aufenthaltsbereich 265

Anruf, -charakter, -verstehen, Angerufe, Angerufenwerden 64, 66,69 Anschein 186, 193, 200 An-sich 20 Ansichhalten, An-sieh-halten 224, 263f.

-Iosigkeit 94 -weise 206, 269 Auffälligkeit, Auffällige 100, 211 Aufgang, Auf-gang, Aufgehen, Aufgehende 100, 188, 194,256 Aufgeben 140 Aufhalten 232

An-sieh-sein 20f.

Aufklaffung, Aufklaffen 223

Anthropologie 171

Aufruf, Aufrufen 64, 66

Antiquarisches 281

Aufsässigkeit 54, 100

Antwort 164, 169

Aufscheinen 189, 193

Anwesen, Anwesende, Os, Anwesenheit, Anwesung 45f., 80, 115-119,122,124,159f.167f., 170, 184f., 187-190,212,239, 254,257, 266f., 273

Aufschluß, Aufgeschlossene 146, 207

Anwesend-Vorhandene 163

Auf-sieh-zukommen 79, 84, 87 f., 90,92 f., 97, 115,259

Aufsichberuhen 273f., 276 Auf-sieh-zu 82, 113, 127f., 141

Anwesenheitsweise 48, 254f., 257 Auf-sich-zukommen-Iassen 93 Anwesenlassen 263f. Auf-sieh-zurückkommen 89 Aposteriori 48

Aufstieg 130

Apperzeption 190 Auftreffen 228

Personen- und Sachwortverzeichnis

293

Auf-uns-zukommen 281

Austragen 250

Auf-uns-zu-Rücken 231

Ausweg 191

Augenblick, -e, Augen-blick 60, 82, 88,90-92, 94f., 106, 115, 136, 138, 14Of., 178, 197,213,224, 229-231, 234f., 240, 247,261

Ausweichen 60, 93, 175

Augenblicksstätte, AugenblicksStätte 33, 212, 224f., 233, 235f., 259,277

Bauten, Bauen 269,271-274 Bedeutsamkeit 96f., 103f., I 12f., 156

A ugustinus 190

Bedeutsamkeitsgeflige 232

Aus 204

Bedeutung, Bedeuten, Be-deuten 24,96,112,202,263,281

Ausbleib, Ausbleiben 188, 204, 220f.,261 Ausdauer 185 Ausdehnung 271 Auseinander 219 Aus-einander-setzung 207 Auseinandertreten 205, 216 Ausgang 118, 163, 197f. Ausgesetzte, Ausgesetzheit 245, 248 Ausrichtung, Ausrichten 103, 105, 200,241 Ausrücken 93 Außen 169 Außenwelt 20f., 190 Außer-sich 83, 120, 128 Äußerste 245 Aus-sieh-heraustreten 120

Auswirkung 136, 278

Bedeutungsgehalt, -komplex, -lehre 22,24 Bedingung, Bedingtsein, Bedingende 82, 85, 96 f., 99, 102, 107f., 111, 114f., 124, 126, 129f., 133-135, 141, 143f., 147, 168, 182, 197,250,266 Bedrohung, Bedrohlichkeit, Bedrohendes, Bedrohliche 62, 92,f. Befindlichkeit 54f., 59, 67, 69, 86, 88-90,92 Befremdung, Befremdlichkeit 196, 206 Begegnenlassen 80, 82, 90, 97-100, 104, 106, 116, 120,231 Begegnung, Begegnen Begegnende, -s 76, 92, 96-98, 104, 116, 132,142,147,155,189,205, 253, 273f.

Aussicht, Aussehen 167, 188f

Beginn 212, 221, 226, 228, 259, 276,280

Ausspannungen 271

Begleiten 76

Ausstehen 204f., 232, 238, 246, 261

294

Personen- und Sachwortverzeichnis

Begreifbarkeit, Begreifen 85, 119, 142,170,172,181,198,207, 218,255 Behalten, Behaltene 99f., 117, 127, 146f., 155, 161 Beharrlichkeit, Beharrliche 127f. Beherrschung 176 Bei-sieh-sein 247,256 Bekannte, -s 174 Belanglosigkeit 54 Beliebigkeitsproblem 75, 85 Berechnung 169, 177

Beständigkeit, Beständige 78, 128f., 141, 184f., 189, 196 Beständnis 221, 260 Bestandsicherung 177 Bestellen, Bestellbare 267f. Bestimmtheit 60, 68, 108, 113, 132, 138, 150,239,245,249, 255f., 258f.,264f.,277 Bestimmung, Bestimmen, Bestimmen 46,53,60,67,81,83, 87, 119, 127f., 158, 168, 170, 177,184, 189f., 192-194, 196, 200, 239, 242f., 248f., 253, 256, 281

Beredete 64 Bestimmungsbezug 23 Bereitschaft 67, 259, 261 Bestreitung 206f. Bergung, Bergen 48, 186, I 99f., 213, 220, 225, 230, 260, 269f., 273,276

Bevorstand 59

Bergungsweise 254

Bewähren 84

Berichte 150

Bewandtnis 96,99, 103, 105, 111113

Berückung, Berücken, Be-rücken, Berücktsein 218, 223, 228, 231236,241,272

Bewahrung 154, 172, 255

-bezug, -bezüge, -zusammenhang 105, 111-113, 145-147

Beseitigung 177

-charakter 68, 146, 148

Besinnung, Be-sinnung 49, 171f., 176,178-181, 192f., 197,200, 215,246,276

-ganzheit 102f., 106, 112, 145

Besinnungslosigkeit 177 Besorgen, Besorgbare, -s, Besorgende, Besorgte, -s, Be-sorgung 60,62,72,77,87,90,92,95, 98-101, 103, 105, 107, 122, 139, 142, 145f., 149, 155, 161f., 213 Bestand, Be-stand, Bestehen 73, 158, 176, 189, 245, 266f.

-verweisung 101 Bewegtheit 95, 127-129, 139, 141f. Bewegung 28f., 98, 127, 148, 181, 228,232 Bewegungsbezug 80 -charakter 79,86 -gesetze 28 Bewenden, -lassen 96, 99f., 103f., 106, 111f., 114,146

Personen- und Sachwortverzeichnis Bewußtsein, Bewußt-sein, Bewußtes 25f., 28, 76,177,188,195, 246 Bezeugung, Bezeugende 56, 63f., 67, 69f. Beziehung, Beziehen, Bezogene 76, 175, 181, 208f., 216 Bezug, Bezüge 96, 112, 119, 179f., 182, 185, 187-191,204,206, 209,217,219,221,224,227, 231,234,237,241,246,248, 250f., 254, 257, 269, 271f., 274, 278 Bezugscharakter 99 -ganze 96, 112 -gefüge 208 -mitte 170 Bilden 119,137,190,217

295

Da 64f., 68, 80, 89f., 94, 96-98, 101, 133, 135, 142, 155, 185, 199,202,214, 217f., 223f., 226, 235, 244-250, 256f., 259, 265, 271 Dagewesene Da-gewesene, -s 132, 142, 151-154, 162 Da-gründung 214 Dasein, Da-sein 20-22,25,27,3032,35-37,39-43,45-47,49-115, 117,119-146,148-162, 164f., 181f., 185, 192, 195f., 199f., 202,204,206-209,211-214, 216-218,221-226, 228f., 231251,253,256-262, 264f., 274277, 28Of. Daseinsanalyse, -analytik 20, 24, 32, 36f., 39, 42f., 71, 73-75, 8486,127,244,250,254

Bild-Iosigkeit 216 -auslegung 65, 71, 85 Biologismus 191 -frage 19 Bleiben 91, 269 -ganzheit 126 Botschaft 50f. -strukturen 84 Brauch, Brauchen 47, 264, 269 -verständnis 135f. Breite 271 dem-Tod-überantwortet-Sein 59 Brentano, Fr. 22

Daß 89f., 255 Bringen 50, 89f. Datierung, Datierbarkeit 155f. Brücke 270f., 273 Dazu 96, 112, 146f. Deduktion 74, 88, 104, 130 certitudo 194, 200 deitas 248 chaos 223 Christentum 14,248 cogitatum 195 Comte 14

Denken, Denker, Denkende 20, 22, 31-34,38-41, 44f., 47-50,119, 162-164, 167f., 170-173, 178, 181-189, 191-193,196f.,200203, 207f., 2IOf., 213-218, 222,

296

Personen- und Sachwortverzeichnis 224f., 230, 236f., 242-245, 248f., 251-253, 257f., 260-263, 266, 269,271, 276, 281f.

eidos 188 Eigenschaft, -en 147, 266

Denkvollzug 189

Eigentlichkeit 49, 54, 56f., 63f., 697~7~7~81,85,91, 132f., 243,248,251,256

-weise 163,171,177,207,219,236

Eigentlichkeits-Vorgabe 85

Derivat, oe, Derivation 38, 85, 122

Eigentum 46, 246f.

Descartes 188, 190

Eigentümlichkeit, Eigentümliche 270f.,283

Denkmäler 150

Destruktion 31, 33, 40, 119, 125, 143, 157-159, 162,236

Eigenwesen 235

Deus 168

Eignung 246f.

Dichtung, Dichten 176, 225, 274

Einfachheit, Einfache 77, 134,201, 205, 208f., 216

Differenz 45,48,51,254 Dilthey 13, 15f., 18,24,28,30, 108

Dimension, -en 44, 219, 237-239 Ding, -e 106, 109, 128, 169, 192, 206,266,268-276,278,282

Einheit, Einheitliche 56f., 70, 75f., 78f., 82f., 85-87, 96-98, 100, 102, 105f., 114-118, 123, 125, 127, 138f., 146f., 154, 176, 188f., 198,211,219, 223f., 227f., 230, 233-235, 254, 282

Dingauffassung, -begriff 266f. Einheitscharakter 176 Dingen, -lassen 267-269, 274f., 278,282

Einheitsproblem 75

Ding-Frage 266,274

Einigkeit 227

Dinghaftigkeit, -haftes 21

Einkehr 178

-heit 266f., 273

Einlassen 272

Diskontinuität 18, 217, 278, 283

Einmaligkeit, Einmalige 28, 152, 233

Dort, -her, -hin 101, 105, 185,244 Einordnung 175 Du 247 Duns Scotus 23f.

Durchgang 194 Durchragen, Durchragenlassen 220f.

Eckhart, Meister 253

Einräumung, Eingeräumte, Einräumen 104-107, 231f., 235, 241, 243, 270-272 Einrechnung 207 Einrichtung, -en, Einrichten 167, 172f., 176, 272 Einrückung, Eingerücktsein 228, 237,249,257,261

Personen- und Sachwortverzeichnis Einsamkeit 201, 209f., 216

297

Einsichtigkeit, Einsicht 196, 223

Entdeckung, -en, Entdecken, Entdeckt-sein 103-107, 113, 116f., 143f., 148, 154, 157, 161f. 175, 250,275,278

Einsprung 181-183

Ent-eignis 208

Einsturz 168, 171, 177f.

entelecheia 170

Einzeitigen 235

Entfaltung 48, 75,159,164, 171f., 181, 188, 192, 206

Einseitigkeit 190

Einzigkeit, Einzige, Einzigartigkeit 28,175,178,201-203,209f., 214,216,233,242,244,263 Ek-sistenz, Ek-sistierende 249-257, 259,264-266,270,274-278 Ekstase, on, Ekstasis 83, 95, 97f., 113-121, 124f., 128, 141, 146, 240 empeiria 174 Empfangen 269

Entfernung, Ent-fernung, Entferntheit, Ent-ferntheit, Ent-fernte, Ent-fernen 101-103, 105,241 Entgegenkunft, Entgegenkommen 134,214 Entgegenwärtigung 141 Ent-gegnung 201,204-206,209, 216

Empirismus, Empiristen 20, 22

Enthüllung, Enthüllen 60 f., 76, 78, 84, 86, 90f., 119, 193

Endbewußtsein, -denken 182f., 281

Entlaufen 94

Ende, Enden 58f., 61, 70, 118, 126f., 183, 191, 194,246,281

Entrücken-Berücken 233

Ende-Charakter 182 Endlichkeit 14, 83f., 134f., 137, 264f., 281 Endgültiges 171 Entbehrung 228, 237 Entbergen 257,270 Entblössung 169 Entdeckendsein, Entdeckend-sein 82, 144 Entdecktheit 48,67, 103, 144, 148, 155, 160 Entdecktheitsweise 166

Entrückung, -en, Entrücken, Entrücktsein, Entrückt-sein 49, 82, 88,97,113,116, 120f., 185, 218,223f.,228-240, 242,245 Entrückungs-Berückungsgefüge 217f. Entriickungs-Berückungs-Gefüge 236 Entriickungsrichtung, -en, -struktur 228,234,237-240 -weisen 230 Entscheidung,-en, Ent-scheidung, Entscheiden 164, 176, 184, 186, 19I,20I,203-207,209,211f., 214, 216, 224f., 229f., 232,

298

Personen- und Sachwortverzeichnis 235f., 256, 259, 261, 274f., 277, 279

243, 250f., 256-258, 260-262, 277, 280-283

Entscheidungsaugenblick 236

Entwurfsbereich 187f., 198, 200

-bereich 23Of., 259f., 277

Entzug, Ent-zug 164,201, 207f., 214,216,225,232,238

-bereitschaft 176 -charakter 247 -stätte 236 -weise 256 Entschlossenheit, Entschlossene 49, 67-71,78-80,82-86,88,91, 106, 109, 125, 128, 133-135, 137-142,148,151,153,276 Entschluß, Entschlüsse 67f., 88, 90f., 129, 133, 136, 14~ 153 Entschränkung 147 Ent-setzung, Entsetzen, Ent-setzen 201,205-207,209,216 Entsprechen 48, 50 Entspringen, Entspringender 94f., 155,215

episteme 172 Epoche, Epoche 215, 217, 222, 263f.,283 Erbe 133, 137-140, 142, 164, 257f. Erde 200,205-207,210,247,267, 269f.,272 Er-denken 261 Ereignis, -se, Er-eignis, Er-eignen, Ereignete, Er-eignete, Ereignetsein 15, 28, 31-33, 39f., 46-50, 60, 130, 164f., 178f., 186,198-204, 206f., 211-218, 221-224,226-228,230,232234, 236, 242-244, 246f., 256f., 259-261,271,276-278,280, 282

Entstehenlassen 147

Ereignisdenken, Ereignis-Denken 47, 49f., 164,202, 214f., 235, 242f., 253, 256

Entstehungszeit 29

Ereigniszusammenhang 130, 259

Entwicklung 130, 177

Ereignung, Er-eignung 46f., 164, 199, 201f., 204-206, 209-211, 214,216,221,231-235,242, 247

Entspringungsgeftige 227

Entwicklungsvorstellung 215 -zusammenhang 28 Entwurf, Entwürfe, Entwerfen, Entworfene Entwerfend-sein, Entgegenwerfen 32, 45-47, 50, 61f., 64-67, 69f., 72-75, 78f., 85,87,99, 108-110, 114-119, 124f., 129, 148f., 154, 160, 163f., 182, 185, 199,203,207, 211, 213f., 217f., 221-226, 236,

Erfahrung, Erfahren 20, 36, 44, 46, 49,66, 113, 158, 161, 166, 185, 193f., 204, 207f., 217f., 221226, 229f., 237, 242, 244, 256, 258,261,269,281 Erfahrungstatsache 59 Erfassen 20,87, 195

Personen- und Sachwortverzeichnis Erftigung, Erftigen, Er-fügen 223f., 226,228,243 Erfüllung 220, 223 Ergründung, Er-gründung 221f., 243, 260f. Erharrung, Erharren 228, 230, 237 Erhöhung 196 Erinnerung, Erinnern 166, 182, 192f.,199,229f.,237 Erkenntnis, Erkennen Erkennbare 25,87, 107f., 120, 159, 166, 168,170,172,179 Erkenntnislehre, -theorie 20, 27f. -vermögen 58 Erklärung, -en, Erklärbarkeit, Erklären 87,107,173-177,182, 195,210, 215f.

eros 188 Erreichen 58 Errichten, Errichtbare 196, 272 Erscheinen 187,202-204,255 Erschließbarkeit, Erschließbare 122 Erschließung, Erschließen 53, 59, 93 143f., 149-151, 153f., 157f., 160-162,236 Erschließungsmöglichkeiten 54 -weise 72 Erschlossenheit, Erschlossene, Erschlossensein 22, 25, 31, 43, 4547,49,52-54,58,60,62,64, 67f., 76, 82, 88, 96-98, 101, 107, 127f., 134, 138, 140, 144f., 150,153,155, 161f., 231, 250, 263 Erschlossenheitscharakter 21

Erklärungsbedingen, zusammenhang 173, 177

-frage 25

-sucht 195

-weise 263

Erklüftung 218, 221

Erschrecken 165,224

Erlebnis, -se, Erleben, Er-leben, Erlebbares, Er-lebbare, Er-lebte 26, 126-128, 139, 143, 166, 17Of., 176f., 191

Er-schwingung 199

Ermöglichung, Ermöglichen, Ermöglichtes, Ermöglichendes 48, 61, 111, 113, 150, 173,242, 250,266

299

Ersehen 195 Erstarrung 179 Er-staunen 166f. Erstreckung, Erstrecktheit 126-128, 140 Erstreckungscharakter 128

Ermöglichungsbedingung, -grund 25,66

Erstrittene 206

Ernötigte 244

Ertragsamkeit 244, 259

Eröffnung, Eröffnen 133, 186, 191, 197,211,213,220,252,259261,275,277

Erwartung, Erwarten 61, 92f., 169, 179, 224, 229f, 237, 269 Erwiderung 136f., 142

300

Personen- und Sachwortverzeichnis

Erwinkung 218

Formen 21,96

Erzeugnisse 175

Forschung, Forschungsunternehmungen 143, 145, 149, 154, 161,175,176

Erzittern 199, 218 Eschatologie 182,281 essentia 189, 194 Ethik 42 Ewigkeit 14 existentia 189, 194, 249 Existenz, Existieren, Existierendes 22,25,43,50, 52f., 57, 59-61, 64, 66-69, 72-75, 78-82, 84f., 87, 90f., 95f., 99, 107-110, 112, 124, 126, 128f., 132-137, 139144, 148-152, 154, 157, 161f., 249, 256f., 278, 280f.

Fortgang, Fort-gehen 177, 191 Fortsetzung 184 Fragen 180, 225, 262 Fraglichkeit 202 Fraglosigkeit, Fragloses 168f. Fragwürdigkeit, Frag-würdiges, Fragwürdigste 165,202,248 Freie 272 Freigabe, Freigeben 73, 92, 103f., 148, 182

-begriff 43

Freiheit 53,62,90,135,140,177, 204

Existenzialität, Existenzial 55, 68f., 72,75,78,81,87, 108, 127

Freilegung 71, 129, 141, 148, 235f.

Existenzidee 73-75, 85f.

Freisein, Freisein-flir 54f., 65f., 68, 87f.,90, 108f., 128, 134

Existenzidee-Voraussetzung 85

Freiwerden 62

Existenzmöglichkeit 66, 109, 134, 136, 151f., 154, 162

Früher 155

-verständnis 109f.

Fügung, -en, Fügen 164f., 217f., 223,230,261,272

Experiment, experimentum 174 Explikation 36, 41, 84f., 126 extensio 271

Fügungsbezirk 185 Fülle 205, 220, 225 Fund, Finden 134, 142, 175,252, 262

Faktizität 55, 59, 68f., 75, 81 f.

Fundamentalanalyse 56f.

Fehlen, Fehlende 65, 100 117, 145

Fundamentalontologie 20, 25, 36f., 39,41-43,45,50, 74f., 84-86, 217,219,243,245

Ferne, Fernste 103,224267,271 Fern-stellung 181 Festgemachte 196 Flucht, Fliehen 54f., 60f., 95, 139

Funktion 160 Furcht, Fürchten, Furchtbare 89, 91-93, 106

Personen- und Sachwortverzeichnis Fürsorge 62, 68

Ganzheit, Ganze, -s, Gänze 54-58, 63,69-71, 75f., 78, 80-82, 84f., 92,101,114,126,128,131, 133,139,167,184,192,195f., 200,207,230,248,250,282 Ganzsein, -können 32,56-59, 61f., 70f., 73, 75,80,84-86,126,129 Geben 238 Gebietskategorie 24 Gebrauch, Gebrauchen, Gebrauchte, -r 99, 111, 145, 147,203, 246,274 Geburt 57, 126-128, 139-141, 151 Geburtsschein 31 Gedächtnis 165 Gedrücktheit 93 Gefahr, Gefährdung 92, 268 Geflige 124, 164,201,205,236, 258,266,269,273,278 Gegen 182, 205 Gegenbegriff 122 Gegenbewegung, -en 61, 182 Gegenbezug 235 Gegend 82, 102-107,272 Gegenphänomen 66, 68, 94 Gegensatz, Gegensätzlichkeit 170, 193 Gegenschwung 47f., 211, 218, 228, 231f., 237f., 240-243, 280

301

Gegenständliche 26, 170f., 176, 184, 188f., 190,207,211, 266f. Gegenstandbestimmtheit 26 Gegenstandsabgrenzung,-bereich 26 -bezirk, -gebiete 172-174 Gegenstehen 205 Gegenüber 188, 195 Gegenwart, Gegen-wart, Gegenwärtige, -s, Gegenwärtigen, Gegenwärtigung 19,23, 28f., 8083,88-95,97-101, 105f. 113118, 120, 122-124, 130f., 136, 140, 146-149, 154f., 160-162, 175,179,185,187, 200,225, 228-231,236-240,242,282 Gegenwartscharakter 278 -dimension 265, 275, 281 Gegenweg 85 Gegenwendigkeit, Gegenwendiges 234f. Gegenwurf 48 Gegenzug 71 Geheimnis 248, 253 Gehörigkeit 104 Gehörte 65f. Geist 26f., 131, 141, 176,249 Geisteswissenschaften 174, 176 Gelangen 44 Gelassenheit 253, 257 Gelassenheitsdenken 253

Gegensphäre 113

Geläufigkeit 168

Gegenstand, Gegen-stand, Gegenständige Gegenständlichkeit,

Gelegenheit 68, 145, 170

302

Personen- und Sachwortverzeichnis

Gelehrsamkeit, Gelehrte 176, 180

-weise 165f., 208, 218, 255

Geleiten 269

Geschehnis 193, 198,209,212, 214, 246f., 261

Gelichtete 223 Gelichtetheitsweise 264 Gelten-Kategorie 21 Geltung, Gelten, Geltende 21 f., 24f., 169, 177, 196 Gemachte 167 Gemächte 170 Gemeine 169 Gemeinsamkeit 28, 110, 124, 170, 207 Gemeinschaft 134, 142,262 Gemüt 276 Genäherte 103, 146 gene 168 Generelle, Generellstes 168, 187 Generation 134

-bezug, -züge, -charakter, -e, gefiige, -weise, -n, -wert 201 f., 205-211, 215f. Geschichte, Geschichtlichkeit, Geschichtliche 13-19,23,26-34, 40,42,44,47,52,107-109,119, 125f., 129-133, 135, 137-143, 149-166, 168f., 173, 175-181, 183f., 186f., 189-194, 196f., 200f., 203, 211-217, 220, 222, 225f.,230f., 235f.,243, 245248, 251f., 256-266, 274-283 Geschichte-Gegenstand 215 Geschichtegründung, Geschichtsgründung, -gründer, gründendes, Geschichtegründend 213, 216, 247, 261f., 265,275-279,281

Genesis 143f., 147-149

Geschichte-Mitgründen, Geschichte-mit-gründender 265, 278

Gerede, Geredete 64, 67, 93

Geschichtscharakter 132, 262

Gering 268

-denken, -denker 13-15, 18f., 30, 32-34, 175f., 28Of., 283

Gesammeltheit 185

-frage 19,30,143 Geschäft 276 Geschehen, Geschehende 18,20, 31-33, 46f., 108f., 125, 128-131, 133-135, 137-139, 142, 149f., 154, 156f., 162, 165, 177, 179181, 192, 196,211, 214f., 217, 219, 258, 262f., 266f. Geschehenscharakter 79, 141,219 Geschehenlassendes 246 Geschehensstruktur 18, 125, 131, 139,142

-Iosigkeit 259 -philosophie, -problem, schreibung, -theorie, verständnis, -wissenschaft 1416, 27-30, 130, 175, 182, 281 Geschick, -e, Ge-schick, Geschickliche Geschickhaftigkeit, -haftes 49,131, 134f., 142, 151, 180, 250-253, 255f., 262-264, 275, 277f., 28Of.

Personen- und Sachwortverzeichnis Geschiedenheit, Geschiedene, Geschiednis 204f., 216, 219, 227, 233,235 Geschwindigkeiten 169

303

Gewöhnliche, -s, Gewöhnlichste, Gewohnteste 167, 180,270 Gewordene, -r 180, 265

Ge-stell 267f.

Geworfenheit, Geworfensein, Geworfenes 46f., 49-51,59, 65f., 79,89-91,93-97, 122, 127, 133, 135, 142, 198,243,256-259, 265281

Gestimmtheit 89,223

Gipfe1176

Gestirn 155

Gleiche, -s, Gleichförmigkeit 175f., 194,196,268

Gesetz, -e 65, 152, 180, 283 Gesichtetheit, Gesichtete 145, 194

Geviert 267,269-273,276

Gleichgültigkeit 206

Gewährung, Gewährende 194,238, 256,278

Gleichmachen 175

Gewaltsamkeit 72f.

G1eichrangigkeit 48

Gewärtigen 90-94, 99f., 105f., IIIf., 117, 127, 147

Gleichursprünglichkeit 83

Gewesenheit, Gewesen, Gewesene, -s, Gewesende, -s 79-83, 88-94, 98, 113, 117, 120f., 126, 132f., 137, 139f., 142, 150, 162, 172, 185,228, 23Of., 237-239, 242, 265,278,281 Gewesenheitsdimension 275, 281 -ekstase 91 Gewiesenheit 235 Gewinn, Gewinnung 129,252 Gewissen 64-67, 69f. Gewissenhaben, Gewissen-haben, Gewissen-haben-wollen 66-69, 75 Gewissenserfahrung, -ruf 65, 69 Gewißheit 59f., 68,129,171,191, 195f. Gewißsein 60

Gleichzeitigkeit, Gleich-Zeitige 48, 257,272 Gott, Götter, Göttlichkeit, Göttliche, -n, Gotthafte 164, 166, 178, 202-206, 208f., 212f., 216, 244f., 253, 256-258, 260f., 267, 269f.,277 Götterung 202-204 Götter-Welt 256 Gottesbegriff, -bestimmung 203 Gotteserfahrung 14 Gottesverlassenheit 203f., 211, 222, 277 Gottwesen 203 Grausamkeit 134 Grenze 86 Griechen, Griechentum 13, 184, 192,198,256 Große, Größe 179,281

304

Personen- und Sachwortverzeichnis

Grübeln 61 Grund 76, 79, 84, 86, 91, 105f., 119, 122, 125, 127, 129, 135, 137,141,154,160,171,181, 188, 190, 192f., 195f., 204-206, 211-214,216-227,232,244, 246-250, 253, 256,258, 260f., 266 -akt 119, 160 -art 173 -artikulation 254 -befindlichkeit 54, 62, 88, 90, 224 -bestimmtheit 104 -bestimmung 108, 148, 165, 184 -bewegungen 193

-stimmung 165f., 169, 177,206, 224f.,258,262,277 -strukturen 51 Gründung, Gründen, Gründende, -r, Gründer 44,47, 164, 169, 172, 181, 188, 191f., 197,202, 204f., 212-214, 216f., 220f., 244f., 247,256,258-261,277,279 Gründungsbezug 16 -weise, -n 227f., 231, 237 Grundverfassung 59, 67, 111,262 -weisen 193 -wirklichkeit 191, 196f. -zug, -züge 170, 183, 250, 258 Gültigkeit 197

-charakter 89, 168 -erfahrung 44, 57, 244 -form 174,207 -frage 184,191 -gefüge 188, 217f., 224, 226, 236, 259 -geschehen, -geschehnis 168, 186, 212,261

haeceitas 282 Handeln 191 Hantierung, Hantieren 99, 145, 147

HegeI14f., 190 Hegen 274 Heile 270

-gesetz 169

Heilsgeschichte 14

-haltung 166f., 254

Heimat 253

-Iegungen 171

-Iosigkeit 252

-möglichkeit 82

Helle 155, 194

-phänomen 115

Herausstellung, -stellen 61, 86, 172, 283

-prägung 164 -problem 242, 254 -sein, Grund-sein 65f. Grundstellung 187, 191, 193,274, 278,281

Herdfeuer 178 Hereinschlagen 136 Hereinstehen 267

Personen- und Sachwortverzeichnis Herkunft 45f., 49, 51,130-132, 135f., 141, 158, 193,208,218, 249,254,262,264,271 Hermeneutik 39, 50, 86 Herr, Herrencharakter, Herrschaft 157,168, 17Of., 176, 181, 189, 191,194-196,246,252 Herstammen 267 Herstand, Her-stand, Her-stehen, Herständige 266f. Herstellen, Her-stellen, Hergestelltwerden, Herstellbare, -s 99, 166, 195, 266f.

305

Hirt 49, 251f., 257 Historie, Historiker 13, 16,28,31, 130,137,141-143,149-155, 157, 161f., 174f., 179f., 215 Historismus 197 Höchste, -s 184,203 Höhe 271 homo barbarus / homo humanus 248 homoiosis 193-195,200 Hören 65

Hervorbringung, Hervorbringen, Hervorgebrachte 167,267,269, 272-274, 278

Horizont 40, 45f., 79, 84-87, 97f., 105-107, 114-122, 124, 133, 139, 142f., 147f., 155f., 160, 236,257,258

Heute, Heutige 136f., 14Of., 154f., 276

Horizontbegriff, Horizont-Begriff 45,236

Hier 185, 244

-charakter 105

Hierher 105

-gebung 189

Himmel 155,267, 269f.

-phänomene 240

Hinausgehen 120f.

-verfestigung 189

Hinausstand, -stehen 120, 196,249

Horizont-Zeit 46, 245

Hinaustreten 120

Humanismus 41, 248, 253

Hindernis 169

Hut, Hüten Hüter 49, 252, 269, 272f.

Hineinschlagen 136 Hineinstehender 246 Hingehörigkeit, Hingehören 101103, 105 Hinhören 64 Hinsehen 145, 189 Hinüberschreiten 113 Hinweisung 171 Hin-zu 121 20 Chcong (PHS)

Ich, Ichheit 75-77,86,188-190, 246f. Ichbewußtsein 246 Ich-bin-gewesen 81 Ich-bin-in-einer-Welt 77 Ich-Rede, Ich-sagen 77 Ich-selbst 63

306

Personen- und Sachwortverzeichnis

Ich-stelle-vor 195, 246 idea 168, 177, 188-190, 192, 194, 200 Idealismus, Idea-lismus 190f. Idee, -n 190f. Identität 189

Ihr 247 Illusionen 62 Immanentismus, Immanenz 20, 26, 113 In-der-Gegend-sein 103 In-der-Welt, -sein, -sein-können, gewesensein 25, 43, 53-55, 64, 66 f., 69, 73, 77, 89-91, 96, 102, 104, 109f., 113f., 134, 138, 144f., 150, 15~ 155, 161,240, 250,254

Irre 186, 199

Jedermann 155 Jedesmaligkeit 190 Jemeinigkeit 53 Jetzt 48, 122, 156 Jetzt-Folge 83, 122, 156 Jetzt-Zeit 31, 122, 162 Joch 194f. Judentum 14

Kant 21,40,76, 104, 122, 190, 266f.

Kategorie, -n 26f., 157 Kategorienabgrenzung, -lehre, problem 21, 23f., 26f.

In-die-Sorge-Nehmen 250 Kausalität, -en 173, 191 Individuum 282 Inmitten 198

Kehre 41f., 44, 47, 50, 164, 199, 218,221,230,251,268

Innehalten 232

Kehrseite 172

Inneres 169

Kehrungsbahnen 218, 221

InnerweltIiche, -s 54, 132, 150

Kennzeichnung, -en 163, 168, 172, 185, 192, 256

Innerzeitigkeit 155f. Innestehen 196,249,251, 253f., 257, 265, 275, 279f.

Kluft 29f.

Innigkeit 200

koinon 168

In-sein 53, 67, 103f.

Kommen 273

In-sich-handeln-Iassen 66

Kommunikabilität 20

Inständigkeit, Inständlichkeit, Inständliche 238,245-247,256, 260,276

Konkretion, Konkretisierung 59, 160, 162

Intentionalität 24, 113

Knecht 191

Konstellation 268

Personen- und Sachwortverzeichnis Konstitution, Konstituens, Konstitutivum 78, 104f., 119, 160 Konstruktion 84, 129f. Konszientialismus 20 Kontinuität 18, 136f., 142,215, 217, 278, 282f. Korrelatphänomen 68 Kraft 136, 141, 148, 152f., 158, 166, 169, 196

307

Leere, Leerstes, Leerlassen 49, 168, 198,205,220,223-226,228, 237f. legein 160 Leibniz41,190 Leitfaden, -frage, Leitfragebehandlung 181, 183f., 186-189, 191 Licht 155,265

Külpe 20

Lichtung, -sweisen, Lichten 196, 198f., 201, 205, 207f., 216, 223f., 238, 244, 249-251, 254, 256,259,263

Kultur,-en29, 131, 141, 158

Lipp, Th. 22

-philosophie, -verhältnis, -werte, wissenschaft 16, 27-30

Logik, Logisches 20-22, 25, 30, 41

Kunde 50f., 140

Loswurf214

Kristallisation 29 Kritisches 281

logos, Logos 38, 188,248

-bringen, -geben 51 Künftige, Künftigkeit 172, 178, 228,237,242,244,278

Machbare, Machen 166,170, 196

Kunst 42, 167, 176, 193

Machenschaft, -en, -liehe 166f., 169-171, 176f., 196

Kunst-Bewahren 274

Macht 176, 193, 196f. Maier, H. 22

Lage 55, 68, 105, 146 Land, -schaft 270 Leben 42, 126f., 141, 170, 191, 196f.,246

Man, Man-selbst 54, 59, 62-68, 72, 77, 128, 139, 140 Mangel 65

Lebensobjektivation 29

Mannigfaltigkeit 82, 102, 155, 201, 209

-philosophie 19, 30, 190

Marx248

-weise 149

Maschinenwissenschaft 176

-zusammenhang 16, 126f., 129

Maße, Maßregel, -stab, -stäbe 179, 196273

Lebewesen 223 Masse, Massenhafte 28,169, 177 Material 21, 96, 15Of., 175

308

Personen- und Sachwortverzeichnis

Meinungen, Meinen 175f.

Modifikationen, Modifizieren, rung 38,41,60,63,85,91,94, 100, 115, 118, 145, 147, 149, 161,254

Menschenseele 253

Modus, -i 81, 85, 242

Menschenwesen, -turn, Menschheit 52,248, 250f., 253, 264f., 274, 282

Mögliche, -s, Möglichkeit, -en 18, 20, 28f., 36-38, 53-56, 58-64, 66-68, 70-76, 78f., 82, 84f., 87f., 90-94, 96f., 99, 102, 104, 107-109, 111, 114f., 118f., 124, 126, 128-130, 133-147, 149, 151-154, 159f., 162, 172, 175, 182, 192,204,207, 222, 231f., 234-236, 240, 244-249, 257f., 268, 281-283

Materie 148 Mathematik, -geschichte 23

Menschheitsgeschichte 14 Menschlichkeit 248 Menschsein 26,76, 182, 19lf., 196, 214, 244, 247,257, 264f.,282 Messung 28f., 105, 174 Metaphysik 40-42, 163, 178, 181192, 200, 215, 248f. Methode, -n, -begriff, -streit 15, 37f., 172-174, 177

Möglichkeitscharakter 61 f. Monade 190 Monotheismus 203

Metontologie 42f.

Monumentalisches 281

Mirgehörigkeit 121, 125

Museum 131

Mißerfolg 90 Mitdasein 92, 106, 128

Nachbar, -schaft 209f., 252, 270

Miteinander, -sein 131, 155, 269

Nachholen 63

Miterschlossenheit 104

Nächstbesorgte 71

Mitgerissene 214

Nächste 105, 169

Mitgeschehen 134

Nächste-Beste 93

Mitgründende 265

Nachstellen 268

Mitsein, Mitseiende 53, 62, 67, 109,110,134,192

Nachtrag, Nachträglichkeit 168, 184, 186

Mitte 196,200,224,247

Nachwirkendes 130

Mittel 145

Nähe 101, 103,210,238,252-254, 271,275

Mittelalter 170, 184 Mitvorhandensein 76 Modalität 70, 80, 91

Nahebleiben 224 Näherung, Nähern, Näherbringen 103, 105f., 145-147, 161

Personen- und Sachwortverzeichnis Natur 13-15,27,42,107,131,148, 159,173,176,248,251,256

309

Nicht-vorhanden-sein 65

-ding 273

Nietzsehe 168, 170, 178, 191, 193f., 196f.,246

-erfahrung 13

Nihilismus 166, 168, 177, 186

-forschung, -wissenschaft 27f., 148, 154f.,176

Nirgend 54

-gänge, -vorgänge 155f. Negation, Negativität, Negativum 118, 159 Neue 140 Neugier 64, 93-95, 106 Neukantianismus 19 Neuzeit 170-172,184 Nicht 65, 118,246 Nichtgewählthaben, Nichtauchwählenkönnen 66 Nicht-aushalten 169 Nichtcharakter 65f. Nichtfragen 186 Nicht-gegenständliches 211 Nicht-Geschehen 181

Nivellierung 83, 156 Noch-nicht-Anwesendes 239 Noch-nicht-Geschehene 94 Nochunentschiedene 225 noein 160, 188 Not 164f., 167, 169, 197,202-205, 211,213,225,236,261,281 Not-Erfahrung 236 Nötigung 186 Notlosigkeit 165,225 Notschaft 202f., 216 Notwendigkeit, Not-wendigkeit, Notwendiges 126, 160, 164, 167,176,182,190,192-194, 197f.,20~204f.,211,213,258,

262,280 Nur-sieh-umsehen 145

Nichthaftigkeit, Nichthafte, Nichtung 199 Nichtigen 91f. Nichtigkeit 65f., 79, 84,90, 118, 159 Nicht-mehr-Anwesendes 239 Nicht-mehr-da-sein 58 Nicht-mehr-Wirkendes 130 Nichts 54, 64, 90, 99, 206, 209f., 216,246,251 Nicht-Seiendes 210f.

Ob, Ob-nicht 230, 232 Objekt 96f., 149, 155,214,217 Objektivationen, Objektivierung 28f., 132, 148 Objektivität 170, 245 Objektivitätsproblem 15 Offenbaren, Offenbares 114,274, 278

310

Personen- und Sachwortverzeichnis

Offenbarkeit, Offenbarkeitsweise 164, 166, 206f., 225, 254- 257, 264 Offenbarwerden 199,210

Pflegen 274 Phänomen, -e 22, 25, 38, 46, 54f., 58f., 64f., 67, 70, 76f., 79f., 83, 86-88, 9lf., 99, 102, 109, 115, 120, 125, 127, 141, 144-146, 159, 161,219

Offene 32, 185, 188, 198-201,204206, 208f., 211, 216, 220f., 223, 227,247

Phänomenalismus 20,30

Offenhalten 82, 88

Phänomenologie 22,37-39,43,242

Offenheit 31,120,150,191,193195, 197-201,224,235,240242, 244-249, 254,257, 273f., 278

Philosophie, -geschichte, Philosophieren, Philosoph 15,20,2224, 26, 30, 39f., 52f., 158f., 161, 164f., 171f., 17~ 180f., 183f., 188, 190f., 213

Offenheit-Wahrheit 200 Offen sein 116, 161 Öffentlichkeit 59,64, 136, 154 Ohnmacht 135, 182 Ontik 42 Ontologie, -n 22,31, 36f., 39f., 42, 71,76,84,86, 107, 111, 119, 125,143,157-160,162,182, 236,244,262,280

phos 194 Physik 15,28-30, 148 physis 167, 194,223,233 Planck28 Platon 170, 178, 185, 188f., 191194,200,266 Platonismus 189-192, 194, 196, 200

Optimismus, Optimisten 276, 279, 283

Platz, Plätze, Platzganzheit 101103, 104-107, 147, 155, 27Of.

Ordnungsform, -en 185,223

Platzhalter 251

Orientierung 104, 132

Platzmannigfaltigkeit 102

Ort, -e, -schaft 44, 105, 141, 143, 148, 250f. 270-273

poieses 166

ousia 159, 185

Politik 42 Polytheismus 202f. Positive 194

parousia 159 Passierte 139, 142 Person 249 Pessimismus, Pessimisten 276, 279, 283

Positivismus 14, 19,22,30, 182, 190f. Praesenz, -horizont, Praesentiale 114-119,121, 123-125,239 Prägung 209

Personen- und Sachwortverzeichnis Prähistorie 175 Praxis 145 Privation 54 psyche 188, 194f., 200 Psychologie, Psychisches, Psychologismus 2If., 30

311

Rechnung, Rechnen 154, 157, 169, 174 Recht 31, 73,154-157,162 Rechtvertigungsproblem 73, 75, 85 rectitudo 194f., 200 Rede 64, 67, 86 Reflexion 188

Quelle, -n 29, 143, 157-159, 162, 174f., 280

Region 131, 141, 147 Reichen 238f. Reichtum 117, 252

Rahmen 68, 185, 191,223 Rangordnung 191 ratio 249 Raum, Räume, Räumlichkeit, Räumung, Räumen 33, 49, 52, 87, 98,100-107,169,185,199,217, 219,223, 227f., 231-237, 241244, 270-273, 282 Raumbegriff 106

Relativismus 19,30,283 Relativitätstheorie 28 Republik, römische 248 res 190 Resignation 276 Retten, Rettende 268f. Revoluzionäre 180

-bewandnis 104f.

Richtigkeit, -en 168, 171, 176-178, 188, 191, 193-19~ 197f.

-erschließen, -geben, Raum-geben 104,231

Richtigkeitsfrage 198

Raumphänomene 101 Raum-Vorstellung 227 Raum-Zeit, Raum-Zeit-Stelle 147, 272 Re-aktion 246 Realismus 20, 30, 190 reali tas 190 Realität, Realitätsidee 21, 25, 73f., 85 Real-sein 25

-zusammenhänge 173 Richtigkeit-Wahrheit 200 Richtlinie 179 Richtung, -en 101-103, 121, 126, 158, 170, 173 Rickert 13, 15f., 24, 28, 30

Römer 248 Rückgang 150, 158, 162, 181, 188, 192,200,263 Rückruf 65f. Rückschritt 282f.

312

Personen- und Sachwortverzeichnis

Rücksicht 105, 114, 122f., 126, 160,201,207 Rückstieg 163 Ruf, -hören, -verstehen, Rufen, Rufer 64-67,69

Schrecken 206 Schuld, Schuldigsein, -können, Schuldigwerden 54, 65-71, 79, 91, 135 Schulontologie 190f. Schweigen 64

Sache, -n 37, 46, 74, 169, 177, 180, 183,192,201 Sachgebiet 148, 173f., 177 Sammlung 188,229, 234f., 257 Schaffen 176, 273f. Schätzung, Schätzen 105,274 Scheidung 227 Schein, -gebilde 175f., 196f. Schema, -ta 97f., 106, 113-119, 121-125, 145-147,239 Schenkung 232 Scheu 165, 224f. Schicksal 134f., 137, 140, 142, 151f., 173, 196 Schicksalscharakter, -schläge 134 Schickung, Schicken 214,216, 25Of., 263f. Schnelligkeit 169, 177

Schwingung 218, 221, 227 Seele 194f., 253 Sehen, -können 93, 274 Seiende,- s 20f., 25, 31, 36-38, 40, 42, 45-48, 50, 52-55, 58, 66f., 71-73,75-77,80-82,84-86,8893,96-99,101-104,106-117, 120-122, 124, 130-132, 135, 138, 141f., 144f., 147f., 150, 155f., 159-161, 163f., 166-173, 176, 178, 181-196, 198-200, 203,205-212,214-216,218220,222,224-226,229-232, 237,240f.,244f.,247f.,250252, 254-260, 262, 264-266, 268-272, 274f., 277-279, 281 Seiendesverständnis 25 Seiendheit 92,166,168, 170f., 177, 182-192, 194f., 200, 206f., 216, 225,254f.

Schon-erschlossen-sein 98

Sein 13, 18,20-23,25,27,30-42, 44-55, 57-65, 67-76, 78-86, 88, 90-92,95, 98f., 102f., 107-129, 132, 134f., 137, 139f., 142-145, 148-151,155,158-172,177189, 192, 196, 198-218,220, 222, 224-240, 242-268, 274-283

Schongefundene 175

Seinaustragen 238

Schon-sein 98, 12lf., 126

Sein-bei 55, 65, 69, 75, 8lf., 86, 93, 100, 102f., 106, 110, 240, 250,272

Scholastik 20, 23f., 30 Schon 81 Schonen 266-270, 273f.

Schon-sein-in-der-Welt, Schonsein-in-einer-Welt 55, 65

Personen- und Sachwortverzeichnis Seinkönnen 53-55, 57, 61-70, 72f., 75,79, 87f., 90,92-94,96, 98, 100,106, 108f., 112, 121f., 129, 133, 135, 145, 148, 151, 162, 240,257,281 Sein lassen 266 Seinsart 31, 55, 69, 74, 76, 96, 99, 115, 130, 139-141, 143, 148, 150, 156, 162, 262 -auslegung 84, 159f., 282 -begriff, -e 37, 159, 196,255 -bestimmung, -en 53, 111

313

-struktur 55,59, 76, 160 -tendenz 36f., 70, 85, 91, 93, 129, 134 -verfassung 53, 77, 108, 133, 148 -vergessenheit 41, 44,165-168, 170,196,222,248,252,268, 278,280 -verlassenheit 165-171, 177f., 193, 196f.,203, 205f., 208, 211, 213, 218,220,222, 225f., 229-232, 234, 236f., 242, 247, 258, 261, 277f.

-denken 13, 19,32,41,163,166, 168, 170, 280

-verständnis, -verstehen 13, 20f., 25, 36f., 45f., 51-53, 72-75, 8486,107-111, 114f., 117, 124, 147,160,168,177,243,245, 256,262

-erfahrung, -en 44, 159f., 162

-vollzug 107

-frage 19, 22f., 30-32, 35-38, 41, 43f., 74f., 119, 158f., 162, 180, 191, 235f., 245

-weise, -n 18,21,24,31,40-43,45, 53f., 58,64, 66, 73, 75,104, 108,110,115,119,131,137, 156f., 224, 238, 242, 249, 254, 262,270,282

-bezug 53 -charakter, -e 50, 53, 58, 99, 142

-ganzheit 57 -geschichte 32f., 40, 170, 178f., 251, 281f. -geschick 230 -geschehen 15 -kategorien 21 -modus, -i 36, 55, 82, 86, 128 -möglichkeit, -en 31, 36, 53f., 58f., 61,63,70,72,81,87,91, 161, 216,240,241,243,248,256259, 265, 269, 275-278, 280f., 283

Selbe 180,209,268 Selbst, Selbigkeit, Selbstheit 53,64, 66f., 75-78, 85f., 88, 96, 100, 108, 110, 113, 121, 127-129, 133, 139-142,243, 246f., 256 -affektion 121 -auslegung 64,72 -bewußtsein 14, 121, 125, 176 -entwurf 117f., 125 -ernidrigung 196

-philosophie 33

-erschlossenheit 250

-sinn 31f., 39,41,71,86,88,105, 107, 111, 124, 127, 135

-sein, -seinkönnen 53f., 63-65, 67, 78,246

21 Cheong (PHS)

314

Personen- und Sachwortverzeichnis

-ständigkeit, Selbst-ständigkeit, ständiges 27, 77f., 86, 125f., 128,141,266 -verständlichkeit, -verständliche, -s 157,175,196,248

-erschließen 272 Sicherstrecken 128, 141 -freihalten 68 -hervorbringen 267

-verständnis 25, 31, 43, 72, 75, 85, 96

-lichten 223

-wahl 49, 68, 140

Sich-loslassen 253

-werden 109, 128, 135

Sichloswerfen 214

Setzung, Setzen 182, 195, 249, 281

-öffnen 218

Seyn 45-48, 163f., 167f., 171, 178, 182, 184-187, 192, 198-212, 214f., 221f., 224f., 227, 229f., 233,242-245,249,252,258261, 268f.

-retten 93

Seynsgeschichte 178

-lösen 136, 154

-richten 192 Sich-selbst-angehen 121 Sich-selbst-ergreifen, -wählen 90

Sichangehen 120

Sichselbsterscheinen, Sichselbstwissen 190

-ängstigen, -fUrchten 87, 90, 93

Siehstellen 261

Sich-aufrufen-lassen 68

Sicht, -bereich, -möglichkeit 145, 155, 195

Sich-auf-sich-zukommenlassen 79 Sichauskennen 167

Sichüberliefern 133-136, 140, 142, 258,277

-auslegen 156 -übernehmen 88, 258f., 275 -bergen 250

Sich-einlassen 253

-verbergen, -verbergende 184, 186, 196, 198f., 204, 210 220f., 222224,236,245,248,259

Sicheinräumen 105, 272

-vergessen 93

-einrichtenmüssen 176

-verhalten 53, 58, 60f., 75, 111, 113, 248, 274

-beziehen 87

-enthüllen 208, 260 -entwerfen 67, 69, 81, 90-92,109, 118, 125, 133, 135f., 151, 258 -entwickeln 190 -entziehen, -entziehendes 207,218, 236

-verhüllen, -verhüllendeAufnehmen 220 Sichverlieren 169 -versagen, -versagende 204, 220, 222-225,228,230-232,234-237 -verschließen 207

Personen- und Sachwortverzeichnis -verstehen, Sich-verstehen 62, 67, 70, 81,87f,96, 106, 108-110, 115,117,124,128,135,259 Sichverweigern, -verweigerndes 165,178 Sich-von-selbst-machen 167 Sichvorbereiten 242

315

-lichkeit 191 -lieh-Seiendes 21 -struktur 22 Situation 68f, 75, 80, 82, 85f, 88, 133f, 140, 153 Sonnenlauf 155

Sichvorweg, Sich-vorweg, Sichvorweg-sein, Sich-vorwegschon-sein-in- 55, 57-59, 65, 69,75,81,250,257,272

Sorge, -struktur, Sorgen, Sorgetragen, Sorge-tragen 41,55-57,59, 63,65-71, 73, 75f, 78-82, 8488,91-93,100,127, 144f, 179, 213,243-245, 250f, 253f, 256259

Sichwählen 66

Spätere, Späterhin 155 187

-wiederholen 88

Sprache 24, 42f, 52, 249

-wissen, -wissendes 189f

Spiegel-Spiel 267f

-zeitigen 238

Spielraum 105, 188

-zurückbringen 90

Sprung 91, 106, 164,222,225,276

-zurückholen 63f

Staatsgründung 176

-zurückziehen 170

Stachel 246

-zuschicken 262f, 277

Standfestigkeit, Ständigkeit 77f, 128f.,140f

-vorstellen 190

-zwingen 160 Simmel15

Sinn 22-26, 28, 31, 36-38, 41,51, 56,58, 69f, 78, 81, 84-87, 89, 93,115,130,139, 144, 15~ 160, 171, 178-180, 191, 200, 227,236,244,252,263 -bestimmheit 41, 262 -bezüge 96 Sinneseindrücke 20 Sinndeutung 26 -frage 22f., 44 -gefüge 54

Stätte 178,202,211,235,244,247, 267,270-273 Stehen 120,249 Steigerung 169, 197 Stelle, on, Stellen IOlf, 267f, 270f Sterben, Sterbliche 54, 105,267270,272f Stiften 273 Stille 169,213, 244f, 258, 277 Stimme 64 Stimmen 206

316

Personen- und Sachwortverzeichnis

Stimmung, Stimmungscharakter, entblössung 54, 88, 90, 92f., 169 Stoß 181 Streit 200,205-207,210,235,247 Strenge 173-175 Strom 270 Struktur 36,50, 53f., 58f., 61, 64, 67,69, 72f., 78,96,99, 109f., 113,115, 117f., 120, 129, 131, 133,135,141,151, 153f., 159f., 162f., 237, 242, 250, 253, 272 -analyse 35 -ganze, -s, -ganzheit 54-56, 69, 76, 78-80 -gehalt 78 -moment, -e 66f., 75, 81, 86, 87, 93, 120 Stunde 275 Subjekt 26, 76, 92, 96, 120, 132f., 139, 149, 187, 189, 214, 217f., 249,267 Subjektivität 41, 120, 245

techne 166f. Technik 42, 166f., 177, 196,207, 266-268 Teilhabe, -haben 116,201,203, 215, 217, 255, 257, 276f. Temporalität 33, 40-42, 85f., 114, 117-119,123-125,143, 159f., 217, 236f., 240-243, 245, 260, 262 Tiefe 271 Theorie 145 Tod 57-63, 69-71, 73, 75, 83, 91, 9~ 126-128, 133-135, 137, 139141, 243, 245f., 269, 281 Tradition 156-159,218,282 Träger 128,221,266 Transzendenz, -begriff, -problem, dente, Transzendieren 32, 40, 45f.,96f., 111, 113f, 120, 122, 124,155,163,181, 183f., 195, 244,257 Treue 129, 141 Troeltsch 15

Subjekt-Objekt-Beziehung 188, 246 Subjekt-Prädikat 266 Subjektproblem 26, 30 Substanz, Substanzialität 76f., 86, 120, 185 Sucher, -schaft, Suchen 49, 244, 258f., 276f.

Taten 175 Tatsache, -n, Tatsächlichkeit 29, 151 f., 162, 178, 180, 200

Überbrücken 205 Übereignung, Über-eignung 246 Übereinkommen 195 Übereinstimmung 192 Übergang 169,171,181,191,193, 197f., 200, 211-213, 220, 228, 259,261 Übergeben 235 Überhöhung 196 Überkommen, -kommene 48, 157, 196

Personen- und Sachwortverzeichnis Überlassenheit 92,97, 135

Umsicht 92, 101, 145

Überlegung 145-148

Um-sieh-werfen 210, 216

Überlieferung, -lieferte 131, 136f., 141 157, 196,282

Umstände 68, 88, 109, 134, 145

Übermacht 135, 193 Übermäßigkeit 186 Übernahme, Über-nahme, -nehme, nommene 49, 90f., 133, 135, 141f., 198,245,247,251,257, 273f. Überraschende 100 Überreste 150 Überschreiten, -schreitende, schrittscharakter 113

317

Umwälzung 180 Umweg 95 Umwelt 99, 146f. Umweltnatur 132 Umwillen, Um-willen 81, 96f., 106, 112, 121, 122 Umzu, Um-zu, -Bezug, -Bezüge 96f., 10~ IIIf., 121f., 14~240 Unabgeschlossenheit 58 Unabhängigkeit 21

Überschwung 204

Unableitbarkeit 216

Über-sich-hinaus( -wollen) 197

Unbedeutsamkeit 89

Übersicht 145

Unbedingte, Un-bedingtes 168,266

Übersinnlich-Metaphysiches 21

Unbefragtsein 178, 193

Überspringen 45

Un-behalten 100, 161

-Überteigung, -stieg, -steigen 163, 181, 184

Unbekannte, -s 174, 196

Überwindung 45,181-183,196, 220,246

Unberechenbare 169 Unbestimmtheit 60, 68 Unbewandnis 89f.

Überzeitliches 160 Ufer 270 Umgang 98-102, 111, 114, 117, 145,147,240 Umgrenzung 73, 75, 147, 148, 180 Umhalt 231, 234, 235 Umkehr, -kehrung 45f., 182, 191 Umkreis 105

Undingliches 127 Uneigentlichkeit 72, 84, 132, 247f., 251 Unentdecktheit 103 Unentschiedenheit 202 Unentschlossenheit, Unentschlossene 68, 106, 125, 129, 134, 139

Umschaltung 196

Unerklärbarkeit, -bare 175, 177, 195

Um schluß 118

Unfähigkeit 169

318

Personen- und Sachwortverzeichnis

Ungeeignete 100 Ungegenwärtigen, Ungegenwärtigen 100, 117

Unverborgenheit 167, 188, 192195,198,267 Unvergleichbarkeit 216, 233

Ungehobene 184

Unverweilen 94

Ungeschichte 212f., 259, 277

Un-wahrheit 199

Ungesichertheit 183

Unwesen, Un-wesen, Ungewesene 167,170,178,199,247

Ungewöhnlichkeit, liehe, -s, Ungewöhnlichste 167, 179, 206f., 21Of. Ungleichzeitigkeit 170 Un-grund 22lf. Unheiles 270 Unheimlichkeit 59, 64-67, 89f. Unmöglichkeit 90, 181 Unphilosophie 191 Un-praesenz 118 Unscheinbarste 211 Unselbst-ständigkeit 77f., 125 Uns-Erreichen 238 Unständigkeit, Un-ständigkeit 129, 139-141 Uns-von-uns-weg-Rücken 231

Unzusammenhang 139, 143 Ur-grund 221f., 226f., 233 Ursache-Wirkungs-Beziehungen 173 Ursache-Wirkungs-Zusammenhang 170 Ursprung, Ursprünglichkeit, -liehe, UrsprungsgefaUe 31-33, 40, 4446,49,57, 71, 75, 85, 91, 106, 120, 122f., 135, 142, 147-149, 154,159, 179f., 185, 189, 199, 201,206,211,213,216f.,219, 222,227,233, 246, 249f., 260, 264, 277f., 28Of., 283 Urteil, Urteilen, Urteilsbestehen, entstehung, -entstehung, -lehre, problem, -richtigkeit, -sinn, vorgang 22, 24-26, 177

Unterbrechen 136f. Untergang, Unter-gehenden 212f., 259,276

Veränderliche 185

Unterscheidung, Unterschied, -e, Unter-schied 48,114,172,176, 185,189,208-210,227,254, 263

Verbergung, Verbergen, Verborgen, -heit 165,167,185,194196, 198f., 201, 204f., 208, 217, 221,223,225,227,235,238, 245,248,253,264

Untersuchung, -suchen 173-175

Verbinden 76

Unüberholbarkeit 62

Verdeckungen, Verdeckungstendenz 71, 158

Unumgänglichkeit 160

Verdichtung 29

Personen- und Sachwortverzeichnis Vereinigung 282 Vereinzelung 88 Verfall, Verfallen, -heit, -sein 54f., 59,66, 68f., 75, 77f., 81f., 87, 93-95, 105f., 130139, 142, 168, 177251

319

Verhältnis 107,213,219,227,240, 251f.,257 Verhaltung, Verhaltungsweise 55, 147,207 Verhüllung, Verhülltheit 169, 195f.,218

Verfallsgeschichte 14

Verkettung 139f., 143

Verfassung 78, 97, 99, 104, 114, 123f., 138, 155f., 172

Verknüpfung, Verknüpfende 194f.

Verfestigung 167,170,176,178 Verftlgenwollen 61 Verfügung, Verftlgbare 100,117, 213,217, 260f., 278f. Vergangenheit, Vergangene, -s, Vergangensein, Vergangenheitscharakter 19,23,28-30, 127, 130-132, 136f., 141f., 149f., 158,161,175,179,181,276, 282

Verkörperung 119 Verkürzung 116 Verlassenheit 167f., 228, 232, 237 Verlauf 159,262 Verlegen 157 Verlegenheit 182 Verleugnung 248 Verlorenheit, Verlieren 62, 66, 68, 72, 95, 139, 206f.

Vergeblichkeit 186

Vermissen 117f.

Vergegenständlichung 119, 161

Vermögen 195,269

Vergegenwärtigung 146

Ver- nehmung, Vernehmen 93,160, 188,194,266

Vergemeinerung 169 Vergessenheit, Vergessen 90, 92, 94,106,169,189,268,280

Vernichtetsein 115 Vernunft 52f., 195f., 249

Vergleichbarkeit, Vergleichen 175, 182

Veröffentlichung 169

Verhaftung 138,247

Ver-rückungen 223

Verhalten 61,76, 107f., 145, 148, 154,166,169,177,196,207, 224,249

Versagung, Versagen 204, 208, 220-222, 224, 233f., 236, 262

Verhaltenheit 49, 165, 169,213, 224-226, 244, 258, 276f. Verhaltensweise -n 82, 108

Verrechnung 207

Versammlung 263f., 267-271 Verschiedenheit, Verschiedenes 110,124,214,235,242 Verschleierung 186

320

Personen- und Sachwortverzeichnis

Verschließung, Verschlossenheit 53f.,248 Verschweigung, -schwiegenheit 64, 67,224 Verschwinden lassen, -machen 103, 147 Versenkung 253 Versetzen 206 Versicherung 160,276 Verständigkeit 60,72 Verständlichkeit, Verständliche 25, 64f.,67, 86,124,175,196 Verständnis, Verstehbarkeit, Verstehen, Verstandene 20f., 25, 28f., 50, 54, 61, 66f., 78-80, 82, 86-89,92,96,99, 103, 107-116, 118-120,122,126, 128f., 135, 139, 143, 145-148, 154, 156, 159f.,240

Verweisen, Verweisungsganze, ganzheit, Verwiesenheit 103f., 146,270 Verwirklichung 60f. Verwirrung 93, 183 Verwurzelung 141, 143 Verzicht 175 Viele, Vielzahl 169, 202 Vielerlei 139, 142 Vielfältigkeit 77 Vielgestaltigkeit 158 Vier 267, 269 Volk, Völker 226,229,246, 258f., 262 Vollendung 22

Verständnisgrundlage 24

Vollzug 50, 53, 58, 92, 108, 109, 122, 159, 167, 193,214,243, 245,253,255,259,262,265, 274f.,277f.,280, 281

-horizont 139f.

Vollzugsart, -struktur 109

Verstatten 271

-modi 81

Verstellung, Ver-stellung, Verstelltheit 195, 199, 208

-weise, -n 58, 87f., 145, 240, 242, 270, 274f.

Verstrickung 196

Von-sich-aus(-hin-zu-auf) 113, 121

Vertrautheit, Vertraute 24, 113f.

Voraussetzung, -en, Voraussetzen, Voraus-setzen, Vorausgesetztes 56f., 74f., 86, 112, 171

Verwahrlosung 267f. Verwahrung, -wahren, -wahrender 50, 206f., 211, 216, 226, 231, 250, 252,254f., 264,266,274f., 278f.

Vorbeigang 165,178,203,212, 216, 244f.,256-258,260, 277

Verwandlung 180, 254

Vorbereitung 171,180,203,232, 261

Verwechslung 180

Vorbringen 273

Verweigerung 165-168, 185, 207f., 214,225, 238, 267f.

Vordenken 178, 181, 200 Vorenthalten 238

Personen- und Sachwortverzeichnis Vorfindliehe, -s 244, 247 Vorfrage, Vor-frage 180, 184,200 Vorgabe 75, 104, 180 Vorgängigkeit, Vor-gängiges, Vorgänglichkeit 104, 187 Vorgehen 167, 172f., 176 Vorgestelltheit, Vorgestellte, -r, Vor-gestellte, -s 168, 170, 189f., 246 Vorgriff 56, 184, 187,245 Vorhabe 56f. Vorhandenheit, -sein, Vorhandene, -s 21, 59f., 73, 77, 81 f., 92, 94, 104f., 11Of., 116, 122, 124, 127, 138f., 145, 147-149, 154-156, 160-162, 184,202,204, 223, 238,244,247,249 Vorherrschaft 166, 170, 177 Vorhinein 117 Vorkommnis, Vorkommende 68, 188 Vorlaufen, Vor-laufen, Vorlaufende 61f., 69-71, 79, 85, 87f., 90f., 106, 134f., 245f., 281

321

156,166,168,174,181,187192, 195f., 246,261, 267,276 Vorweg 81, 126 -gabe 189 -nehmen 62 Vorzeichnung 117, 148

Wachen, Wachsamkeit 259, 268f. Wachstum, Wachsen 169, 175,269 Wächter, -schaft 165,214, 244f., 253, 258f., 262, 277 Wagnis 203 Wahl, Wählen, -können 63, 66, 68, 153 Wahr 267 Wahrerschaft, Wahre, -r, Wahrende 186, 191, 196, 243f., 249, 252, 258f.,277 Wahrheit, Wahrnis 13,24-26,31, 33,40,44-50,52, 144, 148f., 153f., 160f., 163-165, 167f., 171f., 177-188, 191-219,221228,233,235-237,242-266, 268f., 271, 274-282

Vorrang, -stellung 104, 107, 115117, 142, 176f., 182, 184, 186f., 195f., 217, 242,246, 256

-charakter 254

Vorruf, -rufen 65f.

-frage 180, 191-193, 196f., 245

Vorsehung 196

-gefüge 185

Vorsicht 56f.

-phänomen 144f.

Vorspiel 186

-vermittlung 168

Vorstellung, -en, Vor-stellung, Vorstellen, Vor-stellen, Vorstellbares, Vorstellender 76,77,

-vortrag 199

Wahrheitsbegriff 193f., 196-198

Wahrnehmung 20 Wahrung 245

322

Personen- und Sachwortverzeichnis

Walten 166f., 169f.

Weltgrund 248, 253

Wandel, Wandlung, -en 44f., 50, 91,131,171, 193f., 196-198, 207,256,274,278

Weltlichkeit 53f., 96, 103

Wann 60 Wänne 155 Was 109, 189 Wassein, Was-sein 111,225,254, 255 Wartende 276 Wechsel 127 Weg 150, 161,204,245,248,252, 270,272

Weltphänomen 106 -punkt 147 -verständnis, -verstehen 25, 112114 -zeit 154-156 -zugehörigkeit, zugehörige 132 Wendung, Wenden 204f., 211 Wenn-dann-(Kausalitäten) 173 Wer, Wer-charakter, Wersein, Wersein 53 63, 254 Werden 130, 191, 196

Wegbleiben, Weg-bleiben 204, 220, 222f.

Werdensvorstellung 215

Weggang 204, 220

Werk, oe, -welt 99 175,273

Wegsein, Weg-sein 213, 247f.

Werkzeugcharakter 147

Weile, Weiliges 267

Wert 191, 197

Weisung 273

-beziehung 29

Weite 118, 120, 122

-gesichtspunkt 16

Weiter-gehen 84, 191

Wesen, Wesende, Wesenlassen 163-165, 170-173, 176, 184f., 190, 193f., 196-200, 202-204, 207,210-212, 214f., 217-219, 222,224,227, 233f., 236, 244, 246, 248-254, 260f., 263f., 266275,278

Welt 24,52-54,59, 64f., 67, 7If., 76, 87, 89f., 95-98, 101, 103107,112-114, 12If., 131-133, 138,142,144, 150,155, 158f., 161, 164,200,205-207,210, 231, 240, 247f., 254,256, 262, 267-269,273,278,282

Wesensbereich 267

-alter 266-268

-bestimmung 186

-anschauung, -en 190, 196

-bezug 271 f.

Welten 207, 268f., 278, 282

-charakter 39,81

Weltgeschichte, Welt-geschichte, Weltgeschichtliche, WeltGeschichtliche 132, 138-140, 142, 150f., 182, 281

-entfaltung 185 -entfremdung 277 -folge 265

Personen- und Sachwortverzeichnis -entfremdung 211, 222

Widerruf 136f., 142

-frage 242

Widerständige 100

-geschehen 31-33, 163,204,219, 280,282

Widrigkeiten 135

-grund 282f. -gründung 198 -herkunft 227,233,250,257 -möglichkeit 183 -prägung 47, 176f. -raum 179, 183,211 -struktur 120

323

Wie 202, 255 Wiederbringung, -bringen 136, 203,220,260,269,278 Wiedergestalten, Wieder-gestalten 20Of., 278 Wiederholung, Wieder-holung, Wiederholen, -holbarkeit 31,68, 84f., 88, 90f., 109, 129, 136143,151-154,160-162,178, 181, 258f., 265, 275, 277, 28Of.

-ursprung 280 Wiederkehr 13,141,143,194 -zug, -züge 189, 199,202 Wiederkunft 196 -zugehörigkeit 210 -zukkunft 250, 257

Wiesein, Wie-sein, Wie-zu-sein 53, 111,225,249,254

Wesentlichkeit, Wesentliche 234f. 263

Wille, Willenszentrum 177, 179, 193, 196f., 224

Wesung 39f., 47f., 163-167, 169f., 177f., 180, 184, 186f., 192, 196202, 204f., 207-209, 211-215, 217-222, 224-228, 230, 233f., 236f., 242-248, 254-261, 263, 265, 276-279

Winde/band 15

Wesungsbereich 268f., 273-275 -charakter 201 -innigkeit 242

Wink 221,223,228 Wir 247 Wirken 191 Wirklichkeit, -en, Wirkliche 21,2426,127,130,136, 14Of., 172, 176, 190f., 276

-gefüge 164

Wirklichkeitsbereich, -form, -weise 22 24f., 244

-weise 165, 168,226,244,251,282

Wirklichsein 53

-züge 201

Wirkungsbezug, -zusammenhang 16,28,130

Wetter 270 Widerfahmis, fahren 229f. Wider-kehre 47

Wissen 49, 107, 167f., 170, 172f., 176f., 181, 186, 189f., 193, 195, 247,275

324

Personen- und Sachwortverzeichnis

Wissenschaft, wen, Wissenschaftlichkeit 15,24,27,30,33,36, 38,42, 107, 111, 119, 125, 143145, 148f., 151, 157, 161, 166, 171-178

Wurf, Werfer 46, 48f., 95, 198, 244,250 Wurzel 118, 137, 141,152,171, 189

Wissenschaftstheorie 27 Wissensermöglichungsbezug 25 Wo 102 Wobei 96, 99f., 111f., 147 Wo-gegen 182 Woher 124, 128, 132 Wohin 45 f., 97,102-105, 117, 121 Wohinsein 265 Wohnen, -lassen 252, 254, 269, 272f.,275

Zahl, Zäh1barkeit 42, 169, 185 Zeit, Zeitliches 13, 16, 25f., 28-33, 40f., 44f., 49, 52f., 73, 83-86, 104, 114, 116-125, 127, 130, 135, 14~ 154-157, 159f., 162f., 168-170,185, 187f., 197, 199, 212,217,219,228-230,233239,242,248,262, 266, 280f. -alter 22, 33, 165f., 168-170, 180, 222, 2.26, 259-262, 264, 276f., 281f. -angabe 155

Womit 96, 99f., Illf., 147 -auffassung 28 Woran 97 -austragen 238 Worauf, -hin 78f., 107, 109, 118, 240

-begriff27-30, 83, 154-156

Worauf-zu 121

-besorgen 154

Woraus 92

-bestimmtheit, -bestimmung 122, 155

Worinnen 96 -dimensionen 238f. Worum, Worumwillen, Worumwillen 54f., 92, 96, 103, 112

-faktor 154

Worüber 64

-frage 19, 31

Wovon 128, 141

Zeithorizont, Zeit-Horizont 32,39, 40,42, 45f., 121, 123-125, 159, 162

Wovor 54f., 89, 92, 97, 106, 121f., 240

Wundt22

Zeitigung, Zeitigen 32, 83 f., 88, 91,92, 99f., 106f., 114-116, 119-123, 125, 129, 135, 141f., 146,227-229,231,233-243

Würde, Würdiges 192,195,252, 281

Zeitigung-Räumung 33,185,217, 226, 228, 236f., 239-243

Wozu 68, 99, 111f., 117, 121, 146148

Personen- und Sachwortverzeichnis

325

Zeitigung-räumungscharakter 219

Zerklüftung 163,201

Zeitigungsart 116f.

Zerstreuung 94, 139f., 142f.

-ekstase 116

Zeug, -charakter, -ganze, Os, gebrauch, -haftigkeit, -welt, zusammenhang 42,99-105, IIIf., 114, 132, 145- 147,270

-modus 132, 143 -struktur 127, 14lf., 242 -weise, -n 30, 90, 114f., 119, 122124 Zeitinterpretation 156 Zeitlichkeit 31-33, 39-41, 79-88, 90, 92f., 95, 97f., 100f., 104107, 111, 113-125, 127-130, 132f., 135, 137f., 140-142, 144147, 149f., 153-156, 161, 189, 212,217, 229f., 236f., 241-243, 245,249,262 -ekstasen 49 -struktur 31, 257, 278, 281 Zeitloses 160 Zeitmessung 28 Zeitmodus 160 Zeit-Raum, Zeiträume, Zeiträumlichkeit, Zeit-Räumlichkeit 13, 32f., 49f., 166, 178, 185, 188, 191,197,199-201, 204f., 212, 217-220, 222-226, 233, 235f., 238,240-243, 246f., 259-261, 273, 277, 281f. Zeit-Spiel-Raum 211, 213f., 217, 220,259 Zeitstruktur 28, 117 -überwindung 29f. Zeitungswissenschaft 176 Zeitvorstellung, Zeit-Vorstellung 156, 162, 227 Zerfall 167f.

Zeugen 132 Zeugnis 245 Ziel 134, 163, 171, 182, 258, 281 Zirkel 50, 85 zoe 188 Zögerung, Zögern 228, 231 f., 234236 Zueignung, Zu-eignung 186, 202, 212,246 Zueinander, Zu-einander 205, 216 Zueinandergewiesenheit 227, 234236 Zu-Ende-kommen, Zu-Ende-sein 58 Zuentscheidende 225 Zuentwerfende 51 Zufall, Zufälle 64, ·134, 173 Zug 232 Zugang, Zugangsmöglichkeit, Zugängliche 74, 149, 157, 169, 194,251 Zugeben 232 Zugehörigkeit, Zu-gehörigkeit, Zugehör, Zugehören, Zugehörender, Zugehörige 47, 49f., 103, 132, 199, 210, 212, 214f., 218f., 221,225,228-231, 233f., 237, 246f., 252, 256 Zugetraute 267

326

Personen- und Sachwortverzeichnis

Zugriff, Zugreifen 99

Zurücknahme 68

Zugründende 220

Zurückweichen 224

Zuhandenheit, -sein, Zuhandene, -s 55,60,73,80-82,92,99-107, 11Of., 113-119, 122, 124, 138, 145-148,150, 154f., 161, 238f., 217

Zurückwollen 200

Zuhören 47 Zuhörendes 51 Zukehr, Zukehren 224, 235 -seiten 194 Zukommende 179 Zukunft 79-84, 86-92, 94f., 97f., 106, 113, 117, 120f., 130f., 136f., 153f., 162, 185,228, 238f., 281 f.

Zurück-zu 128, 141 Zuruf, Zurufen 45-47, 164, 199, 211f., 217f., 221, 223, 228-230, 234, 237, 243f., 257f., 264f., 273,280,283 Zusage 47, 50f. Zusammenbringen 69f. Zusammengehören-lassen 227 Zusammengehörigkeit 193, 210 Zusammenhang, -hänge 97, 125127, 129, 136, 139-145, 147, 149,196,198,228,242,266, 282

Zukünftigkeit, Zukünftiges, Zukünftige, -n, Zukünftigste 79, 152,164,179, 230f., 239, 275f., 278,281

Zusichversammeln 250

Zukünftigkeitsdimension 275

Zuspiel 164

Zukünftigsein 265, 277

Zuspruch 48

Zukunftsdimension 281

Zu-verstehen-geben 64

Zulassen 272 Zuordnung 175

Zuwurf, Zugeworfene 47,50, 164, 281

Zurückbleibende 167

Zwiefalt48

Zurückbringen 89, 91

Zwielicht 245

Zurückdenken 200

Zwischen 126-128, 140f., 199,202, 205f., 212, 247

Zurückgehen 159 Zurückholen 168 Zurückkommen, Zurück-kommen, Zurückkommen-auf-sich 88, 93, 97,99, 105, 133, 140, 142

Zusammenschluß 143 Zu-sich-(kommen) 247, 256

-raum 271 zygon 194f.