»Die Geschichte ist weiter als wir«: Zur Entwicklung des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers in der Wilhelminischen Ära [1 ed.] 9783428528493, 9783428128495

"Wie sehr das Völkerrecht im Herzen der Menschen begründet ist, zeigt sich auch darin, daß selbst das Unrecht sich

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»Die Geschichte ist weiter als wir«: Zur Entwicklung des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers in der Wilhelminischen Ära [1 ed.]
 9783428528493, 9783428128495

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Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 155

„Die Geschichte ist weiter als wir“ Zur Entwicklung des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers in der Wilhelminischen Ära

Von

Kirsten Nies

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KIRSTEN NIES

„Die Geschichte ist weiter als wir“

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 155

„Die Geschichte ist weiter als wir“ Zur Entwicklung des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers in der Wilhelminischen Ära

Von

Kirsten Nies

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 188 Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-12849-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Josef Kohler

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 vom Fachbereich Politikwissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen und mit magna cum laude bewertet. Die Idee zu einer Arbeit über Josef Kohler entstand bereits während meiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft bei Herrn Prof. Dr. Klaus Luig im Institut für neuere Privatrechtsgeschichte in Köln. Eine Auseinandersetzung mit Person und Wirken Josef Kohlers erschien als längst überfälliges Forschungsdesiderat. All denen, die mir bei der Fertigstellung der Arbeit geholfen haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Zunächst und vor allem danke ich meinem hoch geschätzten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Johannes Tuchel, für den mir vorbildlich gewährten Freiraum in der Forschung, aber auch für seine unermüdliche Bereitschaft, mir mit Rat und Tat zum Gelingen dieser Arbeit zur Seite zu stehen. In stets hilfreichen Gesprächen und offenen Worten hat er die Arbeit begleitet. Ohne seine Unterstützung wäre die Dissertation nicht entstanden. Ihm gilt Dank auch für die freundliche Aufnahme als Mitarbeiterin in der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte der Gedenkstätte deutscher Widerstand in Berlin, eine Zeit, an die ich immer sehr gerne zurückdenken werde. Des Weiteren gilt mein besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Peter Steinbach, der das Zweitgutachten verfasste, für die wertvollen Gespräche. Zudem danke ich Herrn Prof. Dr. Christoph Becker, durch den ich erstmals mit der Person Josef Kohlers in Berührung gekommen bin, und Herrn Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch, der Teile des Manuskripts vor der Drucklegung gelesen hat. Für Hinweise und Anregungen gilt mein Dank Jens Thiel, Peter Burger, Stefan Friedrich, Frank Heinzmann und Wolther von Kieseritzky. Zum Dank verpflichtet bin ich überdies Herrn Prof. Dr. h. c. Norbert Simon und Herrn Dr. Florian Simon für die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm von Duncker & Humblot. Das Zusammentragen der Quellen war mit manchen, aus der teilweise lückenhaften Überlieferung resultierenden Schwierigkeiten verbunden. Daher ist es mir ein Bedürfnis, den Mitarbeitern der besuchten Archive für ihre Hilfsbereitschaft zu danken. Danken möchte ich Herrn Dr. Wolfgang M. Gall, Herrn Reginald Silberer und Frau Amalia Dreher aus dem Stadtarchiv Offenburg, den Mitarbeitern des Archivs der Vereinten Nationen in Genf sowie den Mitarbeitern des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz, des Landesarchivs Berlin, der Handschriftenabteilung der Deutschen Staats-

6

Vorwort

bibliothek Berlin, der Universitätsbibliotheken Berlin, Köln und Würzburg, der Universitätsarchive der Humboldt-Universität, Berlin, und der Universität Würzburg, des Generallandesarchivs Karlsruhe sowie des Staatsarchivs Freiburg für die kenntnisreiche und geduldige Bereitstellung ihrer Archivalien. Ein ganz besonders herzlicher Dank gilt schließlich meinen Eltern. Ihnen widme ich diese Arbeit. Berlin, im März 2009

Kirsten Nies

Inhaltsverzeichnis Einleitung – Zur Fragestellung und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Erstes Kapitel Herkunft und Werdegang (1847–1888)

35

A. Jugendjahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Vater Josef Kohlers in den Jahren der revolutionären Bewegung (1847–1849). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prägungen humanistischer Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Studienzeit in Freiburg und Heidelberg (1867–1873) . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bürgerliche Etablierung: Familiengründung und Referendariat in Mannheim (1873–1878) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 39 49

B. Wissenschaftlicher Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Würzburg – Die Berufung eines Nichthabilitierten (1878) . . . . . . . . . . . II. Weltkultur und Weltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Berufung an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität . . . . . . . . 1. Die Diskussion über die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle Friedrich Althoffs bei der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58 58 61 71 71 76

Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

54

Zweites Kapitel Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1888–1913) A. Ordinariat in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verknüpfung von Politik und Wissenschaft in der Kolonialära . . .

84 84 84 89

B. Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Die Suche nach einem Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft (1892/93) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. „Wissenschaftliche Fundierung“ des Pazifismus nach der Ersten Haager Konferenz 1899 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 III. Begriff des Friedens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Kohlers Wirken im Umfeld der Berliner Universität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

8

Inhaltsverzeichnis I. II.

Kohler als Wissenschaftsorganisator. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswärtige Wissenschaftspolitik als Alternative staatlicher Weltfriedenspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Etablierung in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Streiter gegen Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kohler, die Lex Heinze und der Goethebund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einsatz für die Emanzipation der Frau, den Mutterschutz, nichteheliche Kinder und Homosexuelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Kohlers Kulturrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Haltung zur Deportation von Sträflingen und zur Todesstrafe. . . . . . . . . D. Kohlers völkerrechtliches Wirken vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges . . . . I. Gründung der Zeitschrift für Völkerrecht (1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kohlers Auffassung von den Aufgaben eines Völkerrechtsgelehrten . . . III. Der Stand der Völkerrechtswissenschaft: Traditionslinien und angetroffener Diskussionsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kohlers Völkerrechtslehre im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Rechtsqualität des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundprinzipien einer neuen Völkerrechtstheorie: Frieden, Kultur und Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haltung zur Frage der clausula rebus sic stantibus. . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Institut des Krieges. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Plädoyer für die Bejahung des Gedankens der Völkerrechtssubjektivität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Möglichkeiten internationaler Streitschlichtung. . . . . . . . . . . . . . a) Haltung zur Frage der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Institut der Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Friedenspädagogik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kohlers Forderung der Garantie einer Freiheit der Meere . . . . . . . . 9. Universales Recht und Primat des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Kohlers Vorstellungen von einer internationalen Organisation . . . . a) Die Form einer internationalen Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Aufgaben einer Staatenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kohlers Denken in staatsrechtlichen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . d) Das Verhältnis von Vaterland und Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . 11. Der regionale Umfang der Völkerrechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . E. Kohlers Staatsauffassung und seine Betrachtung außenpolitischer Fragen . . . I. Staatsauffassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutschlands außenpolitische Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Haltung zur elsass-lothringischen Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stellungnahme zum Abrüstungsvorschlag der Pazifisten. . . . . . . . . . . . . .

117 118 120 123 124 126 130 133 139 139 146 147 153 153 159 160 163 168 169 169 173 174 175 176 178 178 188 189 189 190 194 194 195 200 201

Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

9

Drittes Kapitel Das elementare Erlebnis des Ersten Weltkrieges

211

A. Kohler und die „Ideen von 1914“: Weltanschauliche Umstellung auf den Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 B. Kohlers völkerrechtliche Ansichten nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges . . I. Kohlers „neues“ Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kohlers Behandlung einzelner Kriegsrechtsfragen des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haltung zum Problem der Franktireure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansicht zum Problem der Geiselnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einstellung zur Frage der Behandlung von Zivilisten im feindlichen Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme zum Gebrauch von Waffen und Geschossen, die unnötige Leiden verursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haltung zum Problem der Strafbarkeit von Soldaten . . . . . . . . . . . . 6. Kohlers Auffassung zu einzelnen Fragen des Seekriegsrechts 1914/15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansicht Kohlers über die Ausweitung der Konterbandeliste durch Großbritannien (August 1914). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme Kohlers zur Verwendung von Minen im Seekrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kohlers Beurteilung des englischen Nordsee-Erlasses vom 2. November 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 249 255 257 262 265 268 271 275 275 276 277

C. Vorstellungen Kohlers über mögliche Kriegsziele des Deutschen Reiches . . 279 D. Kohler und der Streit um den U-Boot-Krieg im Jahre 1915 . . . . . . . . . . . . . . . 302 E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918) . . . . . . . . 315 F. Kohler im ersten Friedensjahr (November 1918 bis August 1919) . . . . . . . . . 344 Zusammenfassung des Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Zusammenfassung der Studie und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Quellen-und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Abkürzungsverzeichnis AA Abs. AcP ADB AfSS AöR AR ArchBürgR ARS ARSP Art. ARWP AVR BA Bd. BGBl. BGN BJ Bl. BT CW DAZ DDP DFG DJ DJZ DLitZ DMontZ DP DRZ DStrafrZ DV DW DWN ebd.

Akten des Auswärtiges Amtes Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Archiv des öffentlichen Rechts Akademische Rundschau Archiv für Bürgerliches Recht Archiv des Rektorats und Senats der Universität Würzburg Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Archiv des Völkerrechts Bundesarchiv Band Bundesgesetzblatt Beiträge zur Geschichte der nachbismarckischen Zeit, hrsg. von Fritz Kern Das Bismarckjahr, hrsg. von Erich Marcks und Max Lenz, Hamburg 1915 Blatt Berliner Tageblatt Christliche Welt Deutsche Allgemeine Zeitung Deutsche Demokratische Partei Deutsche Friedensgesellschaft Deutsche Justiz Deutsche Juristenzeitung Deutsche Literaturzeitung Deutsche Montags-Zeitung Der Pazifist Deutsche Richterzeitung Deutsche Strafrechtszeitung Deutsche Verwaltung Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Hermann Schumacher, 2. Auflage, Berlin/Leipzig 1916 Die Waffen nieder ebenda

Abkürzungsverzeichnis f. FB FW FZ GerS GewRSch GLA GoldschmidtsZ Goltd. Arch. GP GrünhutsZ GRUR GStA GWU HRG hrsg. Hrsg. HZ IDI IGH IMW Jg. Jh. JheringsJ JLP JöR JVR Jur. Fak. JurLitBl JurLitZtg JurW JuS JZ KrVJSchr LT LThK MdR MFK MNN NAZ NDB NJW

11

folgende Seite Friedens-Blätter (auch Friedensblätter) Friedens-Warte (auch Friedenswarte) Frankfurter Zeitung Der Gerichtssaal Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz Generallandesarchiv Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht, begr. von Goldschmidt Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozeß Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914 Grünhuts Zeitschrift für das private und öffentliche Recht der Gegenwart Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte herausgegeben Herausgeber Historische Zeitschrift Institut de droit international Internationaler Gerichtshof Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik Jahrgang Jahrhundert Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law Jahrbuch des öffentlichen Rechts Jahrbuch des Völkerrechts Juristische Fakultät Juristisches Literaturblatt Juristische Literaturzeitung Juristische Wochenschrift Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Leipziger Tageblatt Lexikon für Theologie und Kirche Mitglied des Reichstags Die Monatliche Friedens-Korrespondenz Münchner Neueste Nachrichten Norddeutsche Allgemeine Zeitung Neue deutsche Biographie Neue Juristische Wochenschrift

12 NL NZZ ÖstOBl. ÖsterrZStr OG OHL PJM Pr. Jbb. PVS RabelsZ RBDI RdC RheinZZP RJM RKA RT Sp. StA StAF Sten. Ber. UA UB UFITA VFR VfZG VZ Wbl. OG WZ ZaöRV ZfE ZfP ZfStrW ZfStW ZIP ZRG (Germ.) ZVerglRW ZVölkR ZZP

Abkürzungsverzeichnis Nachlass Neue Zürcher Zeitung Österreichisches Zentralblatt für die Civilistische Praxis Österreichische Zeitung für Strafrecht Ortsgruppe Oberste Heeresleitung Preußisches Justizministerium Preußische Jahrbücher Politische Vierteljahresschrift Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue belge de droit international Recueil des Cours de l’Académie de droit international de la Haye Rheinische Zeitschrift für Zivilprozeß Reichsjustizministerium Reichskolonialamt Reichstag Spalte Staatsarchiv Staatsarchiv Freiburg Stenographische Berichte (über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags) Universitätsarchiv Universitätsbibliothek Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Völker-Friede (auch Völkerfriede) Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vossische Zeitung (Berlin) Wochenblatt für Offenburg Weser-Zeitung (Bremen) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ethnologie Zeitschrift für Politik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für internationales Recht Zeitschrift für Rechtsgeschichte (der Savigny-Stiftung), Germanistische Abteilung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht, ab Band 7 (1913): Zeitschrift für Völkerrecht Zeitschrift für den deutschen Zivilprozeß

„Wie sehr das Völkerrecht im Herzen der Menschen begründet ist, zeigt sich auch darin, daß selbst das Unrecht sich in den Schein des Rechtes hüllt und der frechste Rechtsbruch sich mit dem Mantel des Rechts zu umkleiden sucht. Ist die Heuchelei auch an sich verwerflich, so ist sie eben doch eine Huldigung gegenüber der Tugend: sie ist ein Zeichen, daß das Laster hassenswert und die Verletzung des Völkerrechts ein Makel ist, den kein Volk an sich tragen will.“ (Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 11)

Einleitung – Zur Fragestellung und Methode Neben der Untersuchung des politischen und völkerrechtlichen Denkens des Schriftstellers und Rechtsgelehrten Josef Kohler (1849–1919) will die vorliegende Studie einen Beitrag zur Geschichte des organisierten Pazifismus und nicht zuletzt auch zur lange Zeit vernachlässigten Wissenschaftsgeschichte des Völkerrechts leisten. Das Werk Kohlers wird in seiner zweifachen Einbindung, zum einen hinsichtlich der pazifistischen Strömungen, zum anderen hinsichtlich der völkerrechtsmethodischen und -theoretischen Entwicklung analysiert. Zugleich will die Arbeit einen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs1 leisten. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der wissenschaftlichen Leistung Josef Kohlers und seinem Erleben der Zeit im kaiserlichen Deutschland, ausgehend von der anregenden akademischen Situation Berlins, über die Jahre des Ersten Weltkriegs hinweg sowie schließlich während des Übergangs zur Weimarer Republik hin. Es waren die grundsätzlichen Probleme und Spannungen des Kaiserreiches, die Kohlers völkerrechtliche Fragestellungen prägten, insbesondere das Problem der politischen Rolle Deutschlands in Europa und der Welt. Im Rahmen der Untersuchung soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit Kohler dem Ideal wissenschaftlicher Redlichkeit gerecht wurde. „Wo es gilt, tiefreichendes Wissen und einen weitreichenden Gesichtskreis in den juristischen Kampf mitzubringen, da finden wir Kohler an der Spitze: 1

Gerd Krumeich machte auf das Postulat der Geschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg aufmerksam, die Mentalitätsgeschichte miteinzubeziehen, um die Strukturgeschichte „gleichsam mit dem konkreten vergangenen Leben wieder aufzufüllen, ohne das Geschichtsschreibung auf Dauer keine Existenzberechtigung hat.“, Gerd Krumeich, Kriegsgeschichte im Wandel, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/ Irina Renz (Hrsg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 13.

14

Einleitung

Kohler, der dreiundsechzigjährige Jüngling, der mit weißem Haar und feurigem Blick, mit der Weisheit eines schaffensreichen Lebens gewappnet und von jugendlicher Kampflust für die Wahrheit beseelt gegen Vorurteil und verknöchertes Dogma heute ebenso wie vor dreißig Jahren die Lanze einlegt.“,2 so äußerte sich der Ungar Artur Meszlény im Jahre 1913 über seinen ehemaligen Lehrer. Damit berührt die Arbeit ein immer noch aktuelles Problem: das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Professionalität und politischem Engagement. „Von jugendlicher Kampflust für die Wahrheit beseelt“, dies entsprach auch Kohlers Selbstverständnis als Gelehrtem. Von besonderer Bedeutung für das persönliche Erleben ebenso wie für das politische und völkerrechtliche Wirken Kohlers ist das elementare Erlebnis des Ersten Weltkrieges. Die Studie geht daher eingiebig der Frage nach, welche Zäsur der Krieg im Denken Kohlers darstellte. Die bisher erschienenen Arbeiten zum organisierten Pazifismus haben Person und Wirken Josef Kohlers nahezu unberücksichtigt gelassen. So wird er in den meisten Studien zur Friedensbewegung überhaupt nicht, bei Marianne Liedtke, Karl Holl, Friedrich-Karl Scheer und Wilfried Eisenbeiß nur lapidar erwähnt.3 Insgesamt gibt es zu den Völkerrechtsgelehrten des 19. und 20. Jahrhunderts und den geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Strömungen des Völkerrechts dieser Epoche, nicht zuletzt auch dem völkerrechtlichen Pazifismus, bisher kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Bereits die Lebensdaten Kohlers – er wurde am 9. März 1849 in Offenburg (Baden) an einem der Hauptorte der Revolution geboren und starb am 3. August 1919 in Berlin – lassen das politische Spannungsfeld erahnen, in dem er sich bewegte. Kohler, der von 1888 bis 1919 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin lehrte, war zu Lebzeiten nicht nur eine der renommiertesten Persönlichkeiten in ihrem Umfeld,4 sondern genoss zudem einen 2 Artur Meszlény, Josef Kohler. Privatdozent und Gerichtsrat, in: Pester Lloyd (Morgenblatt), Budapest, vom 3. Januar 1913. 3 Marianne Liedtke, Die Entwicklung des Pazifismus in Deutschland und Frankreich vor der Ersten Haager Friedenskonferenz (1899) bis zur Zweiten Haager Friedenskonferenz (1907), Masch. Diss. Phil. Köln 1953; Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988; Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis – 1913/14–1919, Frankfurt a. M., Bern, Cirenster/ U.K. 1980; Friedrich-Karl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983. 4 Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Auflage, Heidelberg 1989, S. 348: „Kohler [. . .] galt als der größte deutsche Jurist der wilhelminischen Zeit“; beachte auch die Erwähnung bei Richard Wrede/Hans von Reinfels, Das geistige Leben Berlins, Band 1, Berlin 1897, S. 254 f. sowie in: Gesellschaft von Berlin, Berlin 1891/92, S. 256.

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nahezu legendären Ruf.5 Er war der erste Vorsitzende der im November 1892 in Berlin gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft (DFG),6 der ältesten und während langer Zeit auch einzigen pazifistischen Organisation in Deutschland. Wilhelm II. persönlich schickte ihm zur Verleihung des doctor legum ehrenhalber durch die Universität Chicago im Jahre 1904 ein Glückwunschtelegramm.7 Theodore Roosevelt lud ihn ins Weiße Haus ein.8 Mancher Fachkollege sprach von ihm als dem „Meister“.9 Wenn man im Aus5 Siehe etwa Berliner Tageblatt vom 4. August 1919: „Er gehörte zweifellos zu den bekanntesten Persönlichkeiten Berlins. Bei Premieren, bei künstlerischen und wissenschaftlichen Veranstaltungen sah man ihn, und sein Gelehrtenkopf [. . .] hob sich aus der Menge der Wochentagserscheinungen hervor.“; Artur Meszlény, Josef Kohler als Mensch und Gelehrter. Vortrag, gehalten am 13. November 1924 im Verein der Freunde der königlich ungarischen Franz-Josefs-Universität in Szeged, Budapest 1925, S. 103: „[. . .], seit ich als frischgebackener Dr. Jur. im Flur der Universität Berlin vor dem Auditorium Maximum Aufstellung nahm, um ein abgerissenes Wort von den Lippen des grossen Einsamen der Deutschen Rechtswissenschaft zu erhaschen. Es waren feierliche, unvergessliche Augenblicke, die erste grosse Sensation meiner Studienreise [. . .].“ „Seine Belesenheit war ungeheuer, sein Wissensdurst unstillbar, seine Produktivität atemberaubend.“; Michael Kunze, Künstlerjuristen, in: Wanderer zwischen Musik, Politik und Recht. Festschrift für Reinhold Kreile, hrsg. von Jürgen Becker, Baden-Baden 1994, S. 374; Hermann Kantorowicz, Erinnerungen an Josef Kohler, in Bensheimers Studentenführer für Rechts- und Staatswissenschaften, Heft 1, Herbst 1925, S. 7: „Über keinen Juristen sind so viele Anekdoten im Umlauf wie über Kohler.“ Seine Studenten nannten ihn den „Großen Kurfürsten“, da es, wenn er in schleppendem Gang, mit wuchtiger Gestalt und wallendem Haar die Treppe der Berliner Universität herabgeschritten sei, den Anschein erweckt habe, als wäre Schlüters Barockfürst von seinem Sockel auf der Schlossbrücke herabgestiegen, siehe dazu Franz Schnabel, Josef Kohler. Der Rechtsgelehrte 1849–1919, in: Mein Heimatland 23 (1936), S. 106; ähnlich auch die Beschreibung Theodor Kappsteins: Josef Kohler, in: Nord und Süd 112 (1905), S. 69 f. sowie die Beschreibung Paul Fechters, Menschen und Zeiten. Begegnungen aus fünf Jahrzehnten, 2. Auflage, Berlin/Darmstadt 1951, S. 43 f.: „Ein Stück vom Weltruhm der Berliner Universität streifte für Augenblicke das Leben des Studenten, [. . .] Der Student sah das Große Kurfürstenhaupt des großen Juristen, Dichters und Danteforschers Kohler“. Siehe auch Paul Krückmann, Josef Kohler, in: ZZP 48 (1920), S. 309: „[. . .] wieder fesselte mich das Ungewöhnliche seiner Erscheinung. Es war Kohler, der den Stempel seines Wesens so unverkennbar trug, dass er auch dem starken Eindruck machte, der ihn noch gar nicht kannte.“; Carl Friedrich Wilhelm Behl, In Memoriam Josef Kohler. Zu seinem 100. Geburtstag am 9. März, in: NJW 2 (1949), S. 161: „Schon die Erscheinung Kohlers war von der Aura des Ungewöhnlichen umgeben. Sie bleibt jedem unvergesslich, der ihm begegnet ist [. . .].“ 6 Die Waffen nieder 2 (1893), S. 34, 136. 7 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reichs. Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, S. 28. 8 Josef Kohler, Aus vier Weltteilen. Reisebilder, Berlin o. J. [1908], S. 130. 9 Siehe etwa Max Schmidt, Die Bedeutung der vergleichenden Rechtswissenschaft für die Ethnologie, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 37 (1920), S. 372; Karl Klee, Josef Kohler zum Gedächtnis, in: Recht und Leben

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land um die Wende zum 20. Jahrhundert von deutscher Rechtswissenschaft sprach, sprach man von Josef Kohler und Franz von Liszt.10 Zu der Faszination, die von seiner Person ausgeht, trägt unter anderem seine Vielseitigkeit bei. So erwähnt die – keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende –11 2482 Titel umfassende Josef-Kohler-Bibliographie neben Publikationen auf beinahe sämtlichen Rechtsgebieten auch historische, philosophische und ästhetische Schriften, Gedichte12 und Liedkompositionen. Hinzu kommt eine äußerst umfangreiche Korrespondenz, die Kohler mit bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens führte, u. a. mit Maximilian Harden, Elisabeth Förster-Nietzsche, Karl Liebknecht, Rudolf Virchow, Gustav Stresemann, Bertha von Suttner, August Thyssen und Helene Stöcker.13 Bekannt ist Kohler unter Rechtswissenschaftlern auch heute noch vor allem aufgrund seiner Leistungen auf den Gebieten des geistigen und gewerblichen Rechtsschutzes14 und der Rechtsvergleichung.15 Sämtliche seiner ArNr. 31, Wochenbeilage der Vossischen Zeitung vom 1. August 1929; Arthur Kohler, Josef-Kohler-Bibliographie, Basel 1931, Vorwort, S. V f. 10 Vgl. Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932; Otto Liebmann zufolge galt Kohler im Ausland als Deutschlands größter Jurist, siehe Liebmann, Josef Kohler, in: Deutsche Juristenzeitung 24 (1919), Sp. 734. 11 Vgl. die Vorbemerkungen Arthur Kohlers zur Josef-Kohler-Bibliographie, Basel 1931, S. 3. 12 Siehe hierzu auch Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, hrsg. von H. G. Seifert, Band 1, Tübingen 1953; Band 2, Tübingen 1955; Band 3, Tübingen 1957. 13 Vgl. den Katalog des Josef-Kohler-Archivs in der Sammlung Darmstaedter in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. 14 Siehe dazu auch Johann Adrian/Wilhelm Nordemann/Artur-Axel Wandtke (Hrsg.), Josef Kohler und der Schutz des geistigen Eigentums in Europa, Berlin 1996; Elmar Wadle (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht, Berlin 1993; Heinz Püschel, 100 Jahre Berner Union, Leipzig 1986, insbesondere Teil 2, S. 23–43; Artur-Axel Wandtke, Die Kommerzialisierung der Kunst und die Entwicklung des Urheberrechts im Lichte der Immaterialgüterrechtslehre von Josef Kohler, in: GRUR 97 (1995), S. 385–392; Barbara Dölemeyer, „Das Urheberrecht ist ein Weltrecht“. Rechtsvergleichung und Immaterialgüterrecht bei Josef Kohler, in: Historische Studien zum Urheberrecht, hrsg. von Elmar Wadle, Berlin 1993, S. 139; Hans Forkel, Zur Frage der Akzeptanz rechtswissenschaftlicher Neuerungen am Beispiel pragmatischer Lehren Josef Kohlers über die Schöpfung von Immaterialgüterrechten und über das allgemeine Persönlichkeitsrecht, in: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Winfried Trusen zum 70. Geburtstag, hrsg. von Norbert Brieskorn, Paderborn 1994, S. 529–542; Klaus Luig, Josef Kohler, in: NDB 12, S. 425 f. 15 Bernhard Großfeld/Margitta Wilde, Josef Kohler und das Recht der deutschen Schutzgebiete, in: RabelsZ 58 (1994), S. 59–74; Bernhard Großfeld/Ingo Theusinger, Josef Kohler. Brückenbauer zwischen Jurisprudenz und Ethnologie, in: RabelsZ 64 (2000), S. 697–714; Bernhard Großfeld, (Hrsg.), Rechtsvergleicher – Verkannt, vergessen, verdrängt, Münster 2000.

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beiten auf anderen als streng juristischen Gebieten sind heute völlig dem Vergessen anheimgefallen.16 Das Völkerrecht war das letzte Rechtsgebiet, auf das sich Josef Kohler begeben hat, zugleich aber auch eines der interessantesten, da es wie sonst kein anderes unmittelbar die Geschichte und Politik eines Staates berührt. Die Betrachtung seines völkerrechtlichen Wirkens verschafft zudem Einblick in sein grundsätzliches Rechtsverständnis, sein sogenanntes Kulturrecht, das kennzeichnend für nahezu sein gesamtes Schaffen im Bereich der Rechtswissenschaft ist sowie in sein grundsätzliches Verständnis von Rechtswissenschaft. Zu Kohlers politischer Haltung, seinem Wirken im Bereich der Friedensbewegung und auf dem Gebiet des Völkerrechts gibt es nahezu keine Forschung. Die wenigen Äußerungen zu seinem politischen Wirken machen jedoch umso neugieriger. So zählte ihn der Korrespondent der Daily-Mail, Frederick William Wile, im Jahre 1913 zu dem Kreis von Gelehrten, von dem das deutsche Volk hauptsächlich seine geistige Nahrung beziehe.17 Der Publizist Adolf Grabowsky bezeichnete ihn nach seinem Tod als „Propheten einer Epoche“.18 Der „einstige Kosmopolit“ Kohler, schrieb der Strafrechtler Karl Klee19 im Jahre 1920 in einem Nachruf auf seinen ehemaligen Lehrer, habe „unter den die Seele aufrührenden Eindrücken des großen Krieges“ zu „stolzem aufrechtem Deutschtum“ zurückgefunden.20 Der Völkerrechtler Arthur Nussbaum nannte ihn ein „Genie“,21 das während des 16 Zu Kohlers Lebzeiten war insbesondere seine Arbeit „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“, 1. Auflage, Würzburg 1883, 2. Auflage, Berlin 1919, sehr umstritten. Vgl. nur etwa Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht, 7. Auflage, Wien 1883, S. XIV; Ernst Zitelmann, Die Neuauflage des „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“, in: DLitZ 42 (1920), Sp. 313–317; Leopold Wenger, Josef Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, in: ZVglRW 40 (1922), S. 447–460. 17 Frederick William Wile, Men around the Kaiser (1913), deutsch: Rings um den Kaiser, Berlin 1913, S. 135. 18 Adolf Grabowsky, Epoche des Scheins, in: Das neue Deutschland 22 (1919), S. 430. 19 Karl Klee habilitierte 1906 bei Josef Kohler; 1917 erhielt er eine Titularprofessur, 1921 eine außerordentliche Professur, 1939 eine Honorarprofessur, jeweils an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Im Juni 1919 wurde er Kammergerichtsrat und im August 1933 Senatspräsident am Kammergericht in Berlin. Nach dem Tod Josef Kohlers übernahm Klee 1920 die Herausgabe des Archivs für Strafrecht und Strafprozessrecht (Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess, Band 68). Zu Karl Klee siehe auch Jan Telp, Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1999, S. 133 ff. sowie Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches. Begegnung mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, S. 20, 120. 20 Karl Klee, Josef Kohlers Wirken auf dem Gebiete des Strafrechts und des Völkerrechts, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 68 (1920), S. 206. 21 Auch zahlreiche andere Autoren sprechen Kohler geniale Züge zu. Beispielhaft seien genannt: Rudolf Smend, Zur Geschichte der Berliner Juristenfakultät im

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Ersten Weltkrieges „im vollen Bewußtsein seiner einzigartigen Begabung“ in wachsendem Maße die Selbstkontrolle verloren habe.22 Er habe gelebt im Zeichen internationaler Ideale und sei „gestorben am Schmerze über sein zertretenes Vaterland“, schrieb 1919 der damalige Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Reinhold Seeberg in seiner Gedächtnisrede.23 Klaus Schwabe bezeichnete ihn als „Renegaten des Pazifismus.“24 Die vorliegende Arbeit stellt eine Werkanalyse mit integrierten Informationen zur Lebensgeschichte dar. Nur die Verbindung von Werk- und Lebensgeschichte vermag ein umfassendes Bild zu zeichnen. Nachdem die Biographik in der Wissenschaft lange als verpönt25 galt, ja geradezu als „akademischer Selbstmord,“26 hat sie in den letzten Jahren wieder Ansehen erlangt.27 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war die traditionelle Ausgangsprämisse einer lebensgeschichtlichen Kontinuität zunehmend in Frage gestellt worden. Die Biographie galt als Fossil einer längst überholten Historiographie der großen Ereignisse und Persönlichkeiten, als Ausdruck eines „oft geradezu dogmatisierten Individualitätsprinzips des Historismus.“28 Man kritisierte die narrative und chronologische Biographie als „Illusion“ eines kohaerenten Lebenslaufes.29 Auf der anderen Seite führte die zuneh20. Jahrhundert, in: Hans Leussink/Eduard Neumann/Georg Kotowski (Hrsg.), Studium Berolinense. Aufsätze und Beiträge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1960, S. 117; Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920, S. 23; Hermann Kantorowicz, Erinnerungen an Josef Kohler, in Bensheimers Studentenführer für Rechtsund Staatswissenschaften, Heft 1, Herbst 1925, S. 10; Ernst Heymann, Josef Kohler zum Gedächtnis. Rede des Geheimen Justizrats Professor Dr. Ernst Heymann, Prodekans der Juristischen Fakultät der Universität, Berlin 1920, S. 12; Paul Krückmann, Josef Kohler, in: ZZP 48 (1920), S. 311; Adolf Grabowsky, Epoche des Scheins, in: Das neue Deutschland 22 (1919), S. 429. 22 Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung, übersetzt von Herbert Thiele-Fredersdorf, München/Berlin 1960, S. 338. 23 Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 15, auch S. 22. 24 Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs. Göttingen 1969, S. 243 Anm. 131. 25 Christian Klein, Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ders. (Hrsg.), Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart, Weimar 2002, S. 2. 26 Deirdre Bair, Die Biografie ist akademischer Selbstmord, in: Literaturen Heft 7/8 (2001), S. 38 f. 27 Hans Erich Bödeker, Biographie. Annäherungen an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand, in: ders. (Hrsg.), Biographie schreiben [Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Band 18], Göttingen 2003, S. 12. 28 Jürgen Oelkers, Biographik – Überlegungen zu einer unschuldigen Gattung, in: Neue Politische Literatur 19 (1974), S. 304.

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mende Kritik an einer „menschenleeren Strukturgeschichte“ zur Wiederbelebung des Interesses der Geschichtswissenschaft am historischen Subjekt, das in der Abstraktheit der „Struktur“ und der Anonymität der „Masse“ bereits unterzugehen drohte.30 So drückte Lawrence Stone bereits 1979 ein verbreitetes Unbehagen an einer Geschichtsschreibung aus, der es beispielsweise gelungen schien, „den Wilhelmismus ohne Wilhelm, das Kaiserreich ohne Kaiser“ darzustellen.31 Vor allem das Interesse am „wirklichen Menschen“, an der Art und Weise, wie Menschen historische Realitäten erfahren und verarbeitet haben, führte zur Aufwertung des biographischen Ansatzes, da dieser die Möglichkeit eröffnet, die für die Zeitgenossen noch offene Geschichte zu rekonstruieren, deren Konsequenzen diese – im Gegensatz zur Nachwelt – eben nicht kannten. Die Wiederentdeckung der Biographie erfolgte jedoch nicht auf dem Boden der traditionellen Biographie, sondern auf einer veränderten theoretischen und methodischen Grundlage.32 Die neue reflektierte Biographie erfasst das untersuchte historische Subjekt nicht mehr als ein individuelles, in sich geschlossenes Selbst. Sie löst das Individuum nicht mehr aus den sie prägenden gesellschaftlichen Strukturen,33 sondern sieht ihre Aufgabe vielmehr darin, die Bezüge der biographierten Person zu ihren historischen Lebenswelten, ihrer Prägung und Wirkung auf Familie, Verwandtschaft, peer group, Klasse usw. zu analysieren. Das Subjekt ist dabei zwar als eigenständiges historisches Individuum anzusehen, zugleich aber auch als Teil seiner historischen Lebenswelten.34 Denn schließlich bündelt auch der einzelne Lebenslauf Erfahrungen, Erwartungen und Handlungsmotive einer Generation, spiegelt fremdbestimmte Zwänge von Familie, Stand, Klasse und Gesellschaft wi29 Pierre Bourdieu, L’illusion biographique, in: Actes de la recherche en sciences sociales 62/63 (1986), S. 69–72, ähnlich Jean-Claude Passeron, Biographies, flux, itinéraires, trajectoires, in: Revue française de sociologie 31 (1990), S. 4–24. 30 Hedwig Röckelein, Der Beitrag der psychohistorischen Methode zur „neuen historischen Biographie“, in: dies. (Hrsg.): Biographie als Geschichte, Tübingen 1993, S. 17–37. 31 Lawrence Stone: The Revival of the Narrative: Reflections on a New Old History. In: Past and Present 85 (1979), S. 3–24. 32 Siehe auch Jo Burr Margadant, Introduction: Constructing Selves in Historical Perspective, in: dies. (Hrsg.), The New Biography. Performing Feminity in Nineteenth Century France, Berkely 2000, S. 1–32. 33 Hans Erich Bödeker, Biographie. Annäherungen an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand, in: ders. (Hrsg.), Biographie schreiben [Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Band 18], Göttingen 2003, S. 19 f. 34 Jean-Paul Sartre präzisiert diese Einbindung in seiner Biographie Gustave Flauberts, den er als „ein einzelnes Allgemeines“ bezeichnet, vgl. Jean-Paul Sartre, L’idiot de la famille: Gustave Flaubert de 1821 à 1857, 3 Bde., nouv. Ed. rev. et completée, Paris 1988; zur Methode der Flaubert-Biographie vgl. ders., Marxismus und Existenzialismus, Reinbek 1964, S. 70–131.

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der, bildet in den biographischen Entscheidungen (Karriere, Ehe) zeittypische, kommunikative Zusammenhänge ab.35 Die Analyse dieser Einbindung des Individuums in soziale, kulturelle und politische Zusammenhänge macht die innovative Dimension der heutigen Biographik aus. Sich einer Person biographisch zu nähern, stellt eine besondere Herausforderung dar, die unter anderem auch darin liegt, die Faszination, die diese ausstrahlt, sichtbar werden zu lassen, ohne ihr selbst zu erliegen. Leitlinien sind dabei sowohl konsequente Historisierung als auch kritische Distanz. Es gilt nicht nur, einen „Lebensweg“ nachzuzeichnen, sondern auch den dazugehörigen bewussten und unbewussten Inszenierungs- und Konstruktionscharakter zu analysieren. Der Biograph muss dem Phänomen der narrativen Selbstkonstitution der untersuchten Person Rechnung tragen,36 d.h. er darf weder den Selbstbeschreibungen, noch den Zuschreibungen, noch den Verarbeitungen des biographischen Sujets durch spätere Generationen ohne Weiteres trauen, sondern muss sie als zeitbedingte Interpretationen im politischen und gesellschaftlichen Kontext analysieren. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass für das politische Wirken Kohlers, insbesondere auch für die Haltung, die Klee abfällig als „Kosmopolitentum“ bezeichnete, Kohlers Herkunft und seine Grenzlanderfahrung von Bedeutung sind. Schließlich runden Informationen zu seiner Lebenswelt auch die Darstellung seiner Haltung vor und während des Ersten Weltkriegs ab, Informationen wie die, dass er selber am deutsch-französischen Krieg 1870/71 aus gesundheitlichen Gründen nicht teilgenommen hat, im Ersten Weltkrieg beide Söhne an der Front waren und die Familie hungerte, weil man zu patriotisch war, um Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. In dieser Studie werden Leistung und Grenzen des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers beleuchtet. Die Beiträge Kohlers zum Völkerrecht und zu Methodenfragen werden hier ausführlich dargestellt und analysiert. Dabei ist das Anliegen der Arbeit, eine schwerpunktorientierte Querschnittsanalyse zu leisten, um so einen Zugang zu den wesentlichen Leitlinien seines politischen und völkerrechtlichen Denkens zu schaffen. Dabei lassen sich insbesondere vier Themenkreise feststellen: das Recht zum und im Krieg, das Problem friedlicher Streiterledigung sowie die internationale Organisation. Das Werk Kohlers lässt gewisse Entwicklungen erkennen. Akzentuierungen wurden verändert. Neue Gesichtspunkte traten etwa unter dem Einfluss der Debatten in der Friedensbewegung hinzu. Der 35 Hans Jörg von Berlepsch: Die Wiederentdeckung des „wirklichen Menschen“ in der Geschichte. Neue biographische Literatur, in: Archiv für Sozialgeschichte 29 (1989), S. 492. 36 Vgl. Christian Klein, Einleitung: Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ders. (Hrsg.), Grundlagen der Biographik. Theorie des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 14.

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Komplex friedlicher Streiterledigung trat bei Kohler nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges stark zurück. Anhand der Schriften Kohlers lässt sich die Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft besonders gut überblicken. Allerdings lässt sich nur im Vergleich mit seinen Mitkämpfern und Gegnern der rechte Maßstab zur Beurteilung seines Wirkens finden. Methodische Leitlinie ist zwar die werkimmanente Interpretation, doch soll die Verortung der Auffassungen Kohlers in den zeitgenössischen Diskurszusammenhängen nicht unberücksichtigt bleiben. Gerade die zweifache Einbindung dieses Werks in den Kontext, einmal hinsichtlich der pazifistischen Strömungen, zum anderen hinsichtlich der völkerrechtsmethodischen und -theoretischen Entwicklung zu zeigen, ist Ziel dieser Studie. So finden neben anderen insbesondere die Diskussionsstände von Autoren wie dem „Führer des organisatorischen Pazifismus“ Alfred Hermann Fried und den führenden pazifistischen Völkerrechtlern Walther Schücking und Hans Wehberg Berücksichtigung. Die Untersuchung orientiert sich in erster Linie an den Publikationen der durch die Lebensdaten Kohlers abgesteckten Zeitspanne. Die Arbeit kann darüber hinaus keine Rezeptionsanalyse erbringen; das völkerrechtliche Werk Kohlers hat keine Schulenbildung hervorgerufen. Die Dissertation gliedert sich in drei Kapitel, die einer chronologischen Ordnung folgen. Innerhalb der Kapitel werden thematische Untergliederungen vorgenommen. Das erste Kapitel, das den Zeitraum von 1847 bis 1888 behandelt, untersucht typische Prägungen im Bildungsprozess Kohlers und erste Ausgestaltungen seiner politischen und allgemein weltanschaulichen Überzeugungen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Kohlers wissenschaftlichem und politischem Wirken vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Kohler wurde im Jahre 1888 an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen. Er selbst bezeichnete den Ruf nach Berlin als nachhaltigsten Einschnitt seines Lebens.37 In Berlin, wo sich das persönliche Prestige renommierter Wissenschaftler mit der Nähe zum politischen Zentrum verband und ein dichtes Beziehungs- und Kommunikationsnetz entstand, begann auch Kohlers politisches Engagement. Kohler kam in Berlin nicht nur mit der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts in Berührung, sondern auch mit den Gründern der Deutschen Friedensgesellschaft Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried sowie dem Initiator des Goethe-Bundes Hermann Sudermann. In diesem Kapitel sollen insbesondere die Hintergründe der Forschungen Kohlers in den deutschen Kolonien, sein Engagement in der organisierten Friedensbewegung sowie in engem Zusammenhang damit sein völkerrechtliches Wirken vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs unter37 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911.

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sucht werden. Welche Friedensstrategien entwarf Kohler? Wie beurteilte Kohler die Kardinalfrage der positivistischen Völkerrechtslehre nach der Bindungswirkung völkerrechtlicher Normen? Wo sah er die Hauptaufgaben der Völkerrechtswissenschaft? Inwieweit war er noch dem klassischen Völkerrecht verhaftet? Inwiefern wies er bereits auf das moderne Völkerrecht hin? Wie beurteilte Kohler die deutsche „Weltpolitik“? Wie sah er Deutschlands Rolle in Europa und der Welt? Das dritte Kapitel behandelt den Zeitraum von 1914 bis 1919. Hier werden Kohlers weltanschauliche Umstellung auf den Krieg und seine völkerrechtlichen Ansichten nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges untersucht, seine Vorstellungen über mögliche Kriegsziele des Deutschen Reiches sowie seine Haltung angesichts der militärisch-politischen Krise (1916–1918). Wie beurteilte Kohler nach Kriegsausbruch die in der Vorkriegszeit entworfenen Friedensstrategien? Wie beurteilte er einzelne durch den Weltkrieg aufgeworfene Fragen des Kriegsrechts? Welche Position nahm er zu innenpolitischen Forderungen nach Demokratisierung und Parlamentarisierung ein? Das Kapitel befasst sich zudem mit der Frage, wie Kohler den Übergang zur Weimarer Republik erlebt hat. Die Schlussbetrachtung fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und geht der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen im Denken Kohlers nach. Biographischen Aufschluss geben vor allem Kohlers Aufsatzsammlungen, die neben kleinen Feuilletons auch Lebenserinnerungen enthalten,38 einzelne in Zeitschriften und Tageszeitungen abgedruckte Erinnerungen,39 die Kurzbiographien seines Kollegen Albert Osterrieth40 und des Würzburger Strafrechtlers Günter Spendel,41 die Erinnerungen seiner Enkelin Ingeborg Malek-Kohler42 sowie verschiedene Aufsätze aus Zeitschriften oder Reden, 38 Josef Kohler, Aus vier Weltteilen. Reisebilder, Berlin o. J. [1908]; Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902; Aus Kultur und Leben. Essays, Berlin 1904. 39 „Ein Tag aus dem Leben eines akademischen Lehrers“, in: Akademische Rundschau 1 (1896), S. 117–121; „Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe“, in: Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung Nr. 302, vom 31. Dezember 1906; „Wie ich zum Patentrecht kam“, in: Berliner Tageblatt vom 10. Oktober 1910; „Meine Beziehungen zu Jhering“, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911; Höhepunkte des Lebens und Schaffens – Erkenntnisse des Lebens und Schaffens hervorragender Persönlichkeiten der Gegenwart, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 40 Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920. 41 Günter Spendel, Josef Kohler. Bild eines Universaljuristen, Heidelberg 1983; Josef Kohler (1849–1919), in: ZRG (Germ.) 113 (1996), S. 434–459. 42 Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren, o. O., o. J., Stadtarchiv Offenburg sowie dieselbe, Im Windschatten des Dritten Reiches. Begegnung mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, wo sie Kohler ein Kapitel widmet: S. 25–29; siehe auch den Beitrag Ingeborg Ma-

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welche fast alle von Fachkollegen in der Zeit unmittelbar nach dem Tode Josef Kohlers verfasst wurden.43 Teile des Nachlasses Josef Kohlers fanden sich im Stadtarchiv Offenburg sowie in der Staatsbibliothek Berlin. So konnten im Nachlass unveröffentliche Manuskripte gefunden werden, insbesondere auch solche, die das Gebiet des Völkerrechts betreffen, sowie Berichte aus den deutschen Schutzgebieten betreffend Kohlers Fragebogenaktion von 1897. Der größte Teil des Nachlasses44 gilt jedoch als Kriegsverlust und konnte auch in Osteuropa, wo während des Zweiten Weltkrieges Archivalien der Deutschen Staatsbibliothek hin ausgelagert worden waren, nicht mehr aufgefunden werden. Von der ursprünglich nach Tausenden zählenden Anzahl von Briefen45 sind nur noch zwei Ordner (Nr. 20: Roch-Rus und Nr. 21: Sa-Sch) vorhanden. Die Arbeit stützt sich daher hauptsächlich auf Kohlers Veröffentlichungen. Dabei richtete sich die Auswahl nach folgenden Kriterien: Kohlers politische Haltung, sein Beitrag zur Völkerrechtswissenschaft und zur Friedensbewegung, seine Überlegungen zur Funktion seiner Wissenschaft und ihr Verhältnis zu anderen Disziplinen, ihre Verbindung mit den geistigen Strömungen seiner Zeit, Kohlers berufliche und wissenschaftspolitische Erfahrungen, seine Beziehungen zu Schülern und Kollegen und schließlich seine persönlichen Eindrücke als Zeuge einer umbruchreichen Epoche. Für den Hauptteil der Arbeit, der den Zeitraum von 1892 bis 1919 betrifft, wurden insbesondere die unveröffentlichten Manuskripte aus dem Nachlass Kohlers, die dem Völkerrecht gewidmeten Abschnitte aus seinem Lehrbuch Einführung in die Rechtswissenschaft, das in erster Auflage 1902, in zweiter Auflage 1904, in dritter Auflage 1908, in vierter Auflage 1912 und in der letzten von ihm selbst bearbeiteten, der fünften Auflage, 1919 erschien, ausgewertet, des Weiteren sein in erster Auflage 1908 und in zweiter Auflage 1917 erschienenes Lehrbuch für Rechtsphilosophie,46 die 1907 in erster und 1913 in zweiter Auflage erschienene Monographie Moderne Rechtsprobleme, Aufsätze aus seinen Essaysammlungen Aus Kultur lek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 5–22. 43 Als wichtigste sind zu nennen: die Reden Reinhold Seebergs, Ernst Heymanns, und Karl Klees, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Reden der Universitätsprofessoren Ernst Heymann, Reinhold Seeberg, Karl Klee und Max Schmidt, Berlin 1920, Georg Müller, Josef Kohler (1849–1919), in: DRZ 21 (1929), S. 110 f.; Theodor Kappstein, Josef Kohler, Striche zum Bilde einer Persönlichkeit, in: Deutsche Revue 45 (1920), Bd. 3, S. 182–187; ders., Josef Kohler, in: Nord und Süd 112 (1903), S. 69–82. 44 In der Sammlung Darmstaedter in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. 45 Vgl. den Katalog des Josef-Kohler-Archivs in der Handschriftenabteilung der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. 46 1. Auflage, Berlin 1908; 2. Auflage, Berlin 1917.

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und Leben47 und Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart,48 die Monographien Not kennt kein Gebot. Die Theorie des Notrechts und die Ereignisse unserer Zeit49 und Der heilige Krieg,50 Äußerungen zum Weltkrieg, aus: Das eiserne Buch,51 Kohlers 1918 erschienenes Lehrbuch Grundlagen des Völkerrechts,52 Aufsätze und Buchbesprechungen aus der Zeitschrift für Völkerrecht, der Deutschen Juristenzeitung, der Juristischen Wochenschrift, dem Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie und Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess sowie Artikel aus dem Roten und Schwarzen Tag, dem Berliner Lokalanzeiger, dem Berliner Tageblatt, der Neuen Freien Presse (Morgenpost), der Deutschen Revue, der Umschau, der Zeitschrift Das U-Boot und der Deutschen Kriegswochenschau. In vielen seiner Beiträge wandte sich Kohler ganz bewusst nicht allein an wissenschaftliche Fachkollegen, sondern wollte die Öffentlichkeit an aktuellen Diskussionen beteiligen. Er bemühte sich daher um eine allgemein verständliche Darstellungsweise,53 wobei er oftmals auch eine systematische Darstellung vermissen ließ. Da er im Zeitraum von 1907 bis zu seinem Tod im Jahr 1919 regelmäßig in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für Völkerrecht publiziert hat und nach Kriegsausbruch auch zunehmend in anderen, lässt sich die Entwicklung seiner Ansichten gut verfolgen. Als besonders erfolgreich erwies sich die Recherche nach Briefen Josef Kohlers im Nachlass Hans Wehbergs im Bundesarchiv in Koblenz, da sich aus den Briefen die Kontroverse Kohlers und Wehbergs nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges über die Fortführung der Zeitschrift für Völkerrecht, die Behandlung ausländischer Mitarbeiter der Zeitschrift sowie die Handhabung völkerrechtlicher Ansichten, die mit der Kriegführung des Deutschen Reiches nicht im Einklang standen, ergibt. Zudem wurden Briefe Kohlers, die sich in den Nachlässen Bertha von Suttners, Walther Schückings, Gustav Radbruchs und Wilhelm Diltheys fanden, ausgewertet. Als weitere ungedruckte Quellen konnten die Verzeichnisse der Vorlesungen, Wintersemester 1888 bis Sommersemester 1919 der Friedrich-Wilhelms47

Berlin, 1904. Stuttgart/Berlin, Anfang 1914. 49 Berlin/Leipzig 1915. 50 Berlin 1915. 51 Das eiserne Buch, hrsg. von Georg Gellert, Hamburg o. J. [1915], S. 154. 52 Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918. 53 Vorrede zu: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904: „Daß es nicht ein Leichtes ist, tiefere geistige Fragen in allgemein verständlicher Weise darzustellen, weiß jeder, der in diesen Dingen wirklich erfahren ist; und wer darum solche Darstellungen geringschätzt oder nicht nach Gebühr würdigt, verkennt die Grundbedingungen der Wissenschaft, die erst dadurch groß und bedeutsam wird, daß sie im allgemeinen Gedankenleben des Volkes ihren Rückhalt findet.“ 48

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Universität zu Berlin, Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, die Personalakten Kohlers der vormaligen FriedrichWilhelms-Universität aus dem Universitätsarchiv der Humboldt-Universität, Berlin, die Personalakten Kohlers aus dem Archiv der Universität Würzburg, Akten aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe, dem Staatsarchiv Freiburg, dem Stadtarchiv Offenburg sowie die Akten des ehemaligen Reichskolonialamts aus dem Bundesarchiv herangezogen werden. Die Akten aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, und der Friedrich-Wilhelms-Universität zeigen insbesondere, welche Diskussionen unter den Fakultätsmitgliedern der Juristischen Fakultät der Berufung Kohlers an die Friedrich-Wilhelms-Universität zum Sommersemester 1888 vorangegangen waren. Als Arbeiten zur Friedensbewegung sind vor allem die Untersuchungen von Karl Holl, Marianne Liedtke, Dorothee Stiewe, Reinhold LütgemeierDavin, Friedrich-Karl Scheer, Dieter Riesenberger und Wilfried Eisenbeiß zu nennen.54 Von den in der vorliegenden Studie verwendeten völkerrechtlichen Publikationen55 sticht als einzige grundlegende Darstellung der Ge54 Karl Holl, Artikel „Pazifismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Band 4, S. 767–787; Karl Holl, Die deutsche Friedensbewegung im Wilhelminischen Reich. Wirkung und Wirkungslosigkeit, in: Kirche zwischen Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte des deutschen Protestantismus, hrsg. von Wolfgang Huber u. Johannes Schwerdtfeger, Stuttgart 1976, S. 321–372; Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis – 1913/14–1919, Frankfurt a. M., Bern, Cirenster/U.K. 1980; Christian Lous Lange, Histoire de l’Internationalisme. Jusqu’à la paix de Westphalie (1648), Kristiana 1919; Reinhold Lütgemeier-Davin, Pazifismus zwischen Kooperation und Konfrontation, Köln 1982; Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985; Christiane Rajewsky/ Dieter Riesenberger, Wider den Krieg, München 1987; Marianne Liedtke, Die Entwicklung des Pazifismus in Deutschland und Frankreich vor der Ersten Haager Friedenskonferenz (1899) bis zur Zweiten Haager Friedenskonferenz (1907), Masch. Diss. Phil. Köln 1953; Dorothee Stiewe, Die bürgerliche Friedensbewegung als soziale Bewegung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Freiburg i. Br. 1972; FriedrichKarl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983. 55 Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, BadenBaden 1988; Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, 2 Bände, Freiburg i. Br., 1957/1963; Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994; Thomas Alfred Walker, History of the Law of Nations, Band 1, Cambridge 1899; Geoffrey Butler/Simon Maccoby, The Development of International Law, London 1928; Arthur Wegner, Geschichte des Völkerrechts, Stuttgart 1936; Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, 2. Auflage, Berlin 1962, S. 680 ff. (Preiser), S. 703 ff. (Reibstein),

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schichte des Völkerrechts das Werk von Wilhelm G. Grewe heraus. Noch spärlicher als zur Völkerrechtsgeschichte im Allgemeinen ist die Literatur zum U-Boot-Krieg des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg. Dabei liegt als jüngerer Versuch einer völkerrechtlichen Beurteilung des deutschen U-Boot-Kriegs die Arbeit von Wolff Heintschel von Heinegg vor.56 Die Verfasserin konnte sich zudem auf einige Untersuchungen stützen, die die Auseinandersetzung der Intellektuellen mit dem Ersten Weltkrieg zum Inhalt haben. Besonders hilfreich waren die Studien Klaus Schwabes, Hans Peter Bleuels und Fritz Fischers über die Rolle der Professoren im Ersten Weltkrieg sowie die Untersuchungen von Karl Flasch, Bernd Hüppauf, Eckart Koester, Hermann Korte, Hans-Harald Müller, Klaus Schroeter und Klaus Vondung über die Sichtweise deutscher Schriftsteller und Gelehrter im Ersten Weltkrieg. Während Helmut Fries insbesondere die Kriegsphilosophien der deutschen Expressionisten erörterte, untersuchte Hermann Lübbe die Ansichten deutscher Philosophen zum Krieg und verwies dabei schon 1963 auf die Ideen von 1914.57 S. 721 ff. (Scupin), S. 744 ff. (Scheuner); Alfred Verdross, Die Entwicklung des Völkerrechts, in: Golo Mann (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte. Eine Weltgeschichte, Bd. 8, Frankfurt a. M., Berlin 1960, S. 671 ff.; Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Auflage, Wien 1964; Alfred Verdross, Alfred/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Auflage, Berlin 1984; Antonio Truyol y Serra, Histoire du droit international public, Paris 1995; Henri Legohérel, Histoire du Droit International Public, Paris 1996; Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004; Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Berlin 2002. 56 Wolff Heintschel von Heinegg, Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg (Schriften zum Völkerrecht, 115), Berlin 1995; zum U-Boot-Krieg in jüngerer Zeit auch Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003; ders., Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Bruno Thoß/Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland, Paderborn/ München/Wien u. a. 2002, S. 676. Als ältere Arbeiten sind zu nennen: Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden. Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg, hrsg. von Johannes Bell, Band IV, Berlin 1927, S. 166–182; Jürgen Schmitt, Die Zulässigkeit von Sperrgebieten im Seekrieg (Das geltende Seekriegsrecht in Einzeldarstellungen, 2), Hamburg 1966, S. 122. 57 Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969; Hans Peter Bleuel, Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bern/München/Wien 1968; Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000; Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter. Band 1: Die Kriegsbegeisterung von 1914. Ursprünge – Denkweisen – Auflösung, Konstanz 1994; Band 2: Euphorie – Entsetzen – Widerspruch: Die Schriftsteller 1914–1918, Konstanz 1995; ders., Deutsche Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang

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In dieser Studie werden die Begriffe Friedensbewegung und Pazifismus dem Selbstverständnis der kontinentaleuropäischen Pazifisten vor dem Ersten Weltkrieg entsprechend synonym verwendet. Je nach der Stellung zur Gewalt wird dabei zwischen einem gemäßigten und einem radikalen Pazifismus zu unterscheiden sein. In der Epoche seiner Entstehung bezeichnete der Begriff Pazifismus die Gesamtheit individueller und kollektiver Bestrebungen, die eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagierten und den Endzustand einer friedlich organisierten, auf Recht gegründeten Staaten- und Völkergemeinschaft zum Ziel hatten.58 In der Folgezeit wurde der vielfältige Begriffsinhalt reduziert: Es bildete sich, vom angloamerikanischen Verständnis beeinflusst und bis heute fortwirkend, ein Sprachgebrauch heraus, welcher den Begriff Pazifismus der Bezeichnung entschiedener Formen pazifistischer Praxis und ihren Begründungen, besonders der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, vorbehält.59 Demnach sei als Pazifismus lediglich das Prinzip absoluter Gewaltlosigkeit mit der Verurteilung jedweden Krieges, also auch des Verteidigungskrieges, zu bezeichnen, der Begriff Friedensbewegung hingegen fasse unabhängig von der Stellung zu Gewalt begrifflich alle auf die Vermeidung des Krieges gerichteten Tendenzen zusammen. Von einem ähnlichen Verständnis gehen diejenigen aus, die entsprechend dem jeweiligen Maß an Radikalität zwischen Pazifismus und Internationalismus abgrenzen wollen.60 Der Begriff pacifisme war in Frankreich seit den 1840er Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München/Zürich 1994, S. 825–848; Klaus Vondung (Hrsg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980; Bernd Hüppauf (Hrsg), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein/Taunus 1984; Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel/Stuttgart 1963; Julien Benda, Der Verrat der Intellektuellen (franz. Erstdruck 1927), München/Wien 1978. 58 Karl Holl, Artikel „Pazifismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 4, Stuttgart 1978, S. 768, 771; Meyers neues Lexikon, Band 7: N–Pra, Mannheim/ Leipzig/Wien/Zürich 1993, S. 355; Meyers enzyklopädisches Lexikon, Band 18: OtPold, Mannheim/Wien/Zürich 1976, S. 329. 59 Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts II, Berlin 1961, S. 751 f.; Brockhaus Enzyklopädie, Band 27. Deutsches Wörterbuch Band 2. Gluc-Reg. 19., völlig neu bearbeitete Auflage, Mannheim 1995, S. 2506: „weltanschauliche Strömung, die jeden Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt“; Meyers grosses Universallexikon, Band 18. Deutsches Wörterbuch O–Z, Mannheim/Wien/Zürich 1986, S. 1963; Meyers neues Lexikon, Band 10: Nb-Plovd, Leipzig 1974, S. 515: „Der Pazifismus lehnt auch den gerechten Krieg (den revolutionären Krieg der fortschrittlichen Klassen, den nationalen Befreiungskrieg, die bewaffnete Verteidigung gegen eine imperialistische Aggression) ab.“; Wilfried von Bredow, „Pazifismus“, in: Frieden. Ein Handwörterbuch, hrsg. von Ekkehart Lippert/Günter Wachtler, Opladen 1988, S. 306.

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Jahren verbreitet und wurde in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert hin gebräuchlich. Er scheint auf die lateinische Fassung von Matthäus 5,9 (beati pacifici = selig die Friedensstifter) zurückzugehen.61 Bis zur Jahrhundertwende nannte sich die deutsche Friedensbewegung schlicht Friedensbewegung, ihre Anhänger Friedensfreunde. Im Jahre 1901 regte der französische Notar Emile Arnaud, damals Präsident der Ligue Internationale de la Paix et de la Liberté in der liberalen Tageszeitung Indépendance Belge an, den Begriff pacifisme zu verwenden.62 Der Mitbegründer der Deutschen Friedensgesellschaft Alfred Hermann Fried griff den Vorschlag auf, da „das alte Wort Friedensfreund“ seiner Ansicht nach seinen Kredit verloren habe. Das Platonische und Schwankende, das dem Begriff anhafte, habe der Bewegung in mancher Hinsicht geschadet.63 Für den umfassenden Begriff Pazifismus sprachen verschiedene Argumente. So schien er zum einen geeignet, die verschiedenen Ziele der bürgerlichen Friedensbewegung, die sich unter dem Eindruck der innerhalb des imperialistischen Weltsystems ständig wachsenden Kriegsgefahr zu einer neuen Bezeichnung für die von ihr zur Kriegsverhinderung empfohlenen Mittel gedrängt sah, zusammenzufassen und blieb zugleich offen für gegebenenfalls noch aufzunehmende neue Teilziele. Zudem wollte die bürgerliche Friedensbewegung den vom Sozialismus entwickelten Erklärungen, aber auch den sozialdarwinistischen Begründungen für imperialistische Kriege mit einer wissenschaftlichen Theorie begegnen. Der Begriff Pazifismus versprach entsprechend seinem szientifischen Charakter Gleichrangigkeit mit bedeutenden politischen Strömungen der Zeit und gegenüber dem bis dahin weitgehend bestehenden Theoriedefizit der Friedensbewegung ein gewisses theoretisches Anspruchsniveau. Insbesondere für die Agitationsund Rekrutierungsstrategie der deutschen und österreichischen Friedensbewegung erhoffte man den Abbau solcher Vorbehalte, die gegenüber den Friedensbestrebungen Bertha von Suttners wegen deren sentimental-moralisierender Note bestanden. Auch was sprachliche Verwendbarkeit und die Möglichkeit der Rezeption in andere Sprachen anbelangte, übertraf die Bezeichnung Pazifismus alle bisher für gleiche oder ähnliche Sachverhalte verwendeten Begriffe.64 Während man in der Folgezeit die Begriffe Frie60 Christian Lous Lange, Histoire de l’Internationalisme, I: Jusqu’à la Paix de Westphalie (1648), Kristiana 1919, S. 9–16. 61 Meyers großes Universallexikon, Band 18. Deutsches Wörterbuch O–Z, Mannheim/Wien/Zürich 1986, S. 1963; Meyers neues Lexikon, Band 10: Nb–Plovd, Leipzig 1974, S. 515. 62 Emile Arnaud, Le Pacifisme, in: Indépendance Belge vom 15. August 1901. 63 Siehe hierzu Alfred Hermann Fried, Friedensfreund, Föderalist oder Pacifist?, in: Die Friedens-Warte 3 (1901), S. 118 f.; ders., Die Geschichte eines Wortes, in: Die Friedens-Warte 22 (1920), S. 60 f.

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densbewegung und Pazifismus synonym verwendete, unterschied man zunächst noch die Begriffe Friedensfreund und Pazifist. Der Friedensfreund sei ohne tiefere Überzeugung, sein Verhalten opportunistisch und von der politischen Situation abhängig. Demgegenüber zeichne den Pazifisten ernsthafte Überzeugung von der Sinnhaftigkeit des Kampfes für den Frieden aus. Bald ersetzte die Bezeichnung Friedensfreund den des Pazifisten, wohingegen die Begriffe Friedensbewegung und Pazifismus synonym weiter verwendet wurden. Der Begriff Pazifismus diente als Bezeichnung für die Gesamtheit der Bestrebungen, die eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagieren sollten. Der Begriff schloss den unbedingten Pazifismus der christlichen Friedenssekten und der Friedenskirchen ebenso ein wie einen an der aufgeklärten Friedensphilosophie Immanuel Kants (1724–1804) orientierten Pazifismus, desgleichen den den nationalen Verteidigungskrieg legitimierenden Pazifismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, den den Krieg zur Herstellung oder Wiederherstellung der Handelsfreiheit bejahenden liberalen Freihandelspazifismus britischer Herkunft, den von Alfred Hermann Fried auch revolutionärer Pazifismus genannten organisatorischen Pazifismus und den auf die Ausgestaltung des Völkerrechts gerichteten Pazifismus. Christian Lous Lange hat sich unter Verwendung eines anderen Interpretationsmusters bemüht, Pazifismus und Internationalismus voneinander abzugrenzen.65 Dabei stimmt seine Charakterisierung des Pazifismus im Wesentlichen mit dem überein, was im Folgenden als radikaler Pazifismus bezeichnet wird, seine Definition des Begriffs Internationalismus wiederum mit dem des gemäßigten Pazifismus.66 Die von Lange auf die kontinentaleuropäischen Verhältnisse angewandten Abgrenzungskriterien entstammen dem angelsächsischen Sprachgebrauch, wo pazifistische Positionen geringerer Radikalität häufig unter den Begriff Internationalismus gefasst werden, während sich dafür der Begriff Pazifismus kaum durchsetzen konnte.67 Für die kontinentaleuropäische Friedensbewegung sind die von Lange geforderten Abgrenzungskriterien als unbrauchbar zu erachten. Sie würden zu dem Ergebnis führen, dass es auf dem europäischen Kontinent und insbesondere in Deutschland (vor 1914) entgegen dem Selbstverständnis der Bewegung kei64 Vgl. Karl Holl, Artikel „Pazifismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 4, Stuttgart 1978, S. 772. 65 Christian Lous Lange, Histoire de l’Internationalisme, Band I: Jusqu’à la Paix de Westphalie (1648), Kristiana 1919, S. 9–16. 66 Vgl. auch die Rezension des ersten Bandes „Histoire de l’Internationalisme“ durch Alfred Hermann Fried in: Die Friedens-Warte 22 (1920), S. 206 f. 67 Folgerichtig haben gerade angelsächsische Autoren Langes Definitionen übernommen. Vgl. u. a. A. C. F. Beales, The History of Peace, London 1931, S. 5–8 und F. S. L. Lyons, Internationalism in europe 1815–1914, Leyden 1963, S. 316.

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nen Pazifismus, sondern lediglich Internationalismus gegeben hätte, da die Anhänger der deutschen Friedensbewegung Langes Definition von Internationalismus entsprechend vielfach Aufgeschlossenheit gegenüber dem Nationalstaat zeigten, den nationalen Verteidigungskrieg als legitimes Selbstbehauptungsmittel des Staates erachteten, und „nur“ die föderative zwischenstaatliche Ordnung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu dem von ihnen vorgeschlagenen friedenssichernden Instrumentarium gehörten.68 Das Verhältnis von Pazifismus und Internationalismus muss daher von einem anderen Ansatzpunkt aus definiert werden. Aufschlussreich sind dabei die Ideen der Kelsen-Schule über Politik, Staat und Völkerrecht. Leo Gross, ein Schüler Hans Kelsens, hat in seiner Studie über Pazifismus und Imperialismus Begriff und Methode der Politik erörtert und dabei rein formal die Politik als normative Wissenschaft von der Politik als sozialer Technik unterschieden.69 Während die Politik als normative Wissenschaft das Ziel der politischen Entwicklung festlegt, sucht die Politik als soziale Technik die geeigneten Mittel zur Realisierung dieser Ziele. Die politische Theorie des Pazifismus hat die Anforderungen der Poltik als Ethik und der Politik als Technik zu erfüllen. Die moralpolitische Grundlage des Pazifismus definiert das angestrebte Ziel, die technopolitische sucht die zur Erreichung dieses Ziels erforderlichen Mittel. Im Zentrum des Moralpazifismus stand bis ins 19. Jahrhundert hinein die Idee eines wie auch immer gearteten Ewigen Friedens, später durch den Gedanken eines möglichst dauerhaften Friedenszustandes abgeändert. Der Technopazifismus hingegen konzentrierte sich zur Erreichung und Erhaltung dieses Zustandes auf die Mittel der Errichtung internationaler Organisationen und Institutionen, den Ausbau zwischenstaatlicher Beziehungen, d.h. auf nichts anderes als auf den Gedanken des Internationalismus. Internationalismus und Pazifismus stehen demnach in einer Mittel-Zweck-Relation. Der Begriff des Internationalismus kennzeichnet somit einen Weg zur Realisierung der normativen Zielsetzung des Pazifismus. Die kontinentalen Pazifisten und zwar vor allem die deutschen, bemühten sich in erster Linie um die Stärkung des Internationalismus. Wird der Internationalismus, wie sich noch zeigen wird, innerhalb der verschiedenen Richtungen des Pazifismus auch unterschiedlich gewichtet, so ist er doch in allen Strömungen letztlich nur ein Mittel zur Erreichung des übergeordneten Ziels, eines friedlichen Zusammenlebens der Völker. 68 Karl Holl, Artikel „Pazifismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 4, Stuttgart 1978, S. 771; Friedrich-Karl Scheer, Die Deutsche Friedens-Gesellschaft (1892–1933). Organisation – Ideologie – Politische Ziele. Ein Beitrag zur Entwicklung des Pazifismus in Deutschland, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1983, S. 8. 69 Leo Gross, Pazifismus und Imperialismus. Eine kritische Untersuchung ihrer theoretischen Begründungen, Leipzig/Wien 1931, S. 5–10.

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Die Friedensbewegung im Deutschland der Jahrhundertwende bezeichnet somit nur sehr allgemein eine politische Bewegung, die auf bestimmte Ausprägungen der zwischenstaatlichen Politik im Zeitalter des Imperialismus reagiert, wobei Imperialismus hier als Epochenbezeichnung für den Zeitraum von etwa 1885 bis einschließlich des Ersten Weltkrieges zu verstehen ist. Der Pazifismus zum beginnenden 19. Jahrhundert ist untrennbar verknüpft mit bestimmten Phänomenen jener Epoche wie zum einen dem Wettkampf der europäischen Großmächte auf wirtschaftlichem, und militärischem Gebiet einschließlich deren innenpolitischer Begleiterscheinungen wie Militarismus und forcierter Rüstungspolitik, zum zweiten einer Zeit des übersteigerten Nationalismus und der Überbetonung nationaler Interessen, zugleich aber zum dritten, mit zunehmender Interpendenz der europäischen Staaten in ökonomischer, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht. In der vorliegenden Studie bezeichnet der Begriff Friedensbewegung die bürgerliche Friedensbewegung, die von den innerhalb der Sozialdemokratie unternommenen Friedensbestrebungen abzugrenzen ist. Die im Rahmen dieser Studie behandelte Friedensbewegung betrifft also Friedensbestrebungen außerhalb der Sozialdemokratie. Der Terminus Pazifismus wird dabei in zweifacher Bedeutung des Wortes verwendet, zum einen als Oberbegriff sämtlicher Friedensbemühungen und historisch konkretisiert als die spezifische Ausprägung der Friedensbewegung in der Epoche des Imperialismus. Der Begriff deutsche Friedensbewegung dient der Abgrenzung von pazifistischen Organisationen in Österreich und der deutschsprachigen Schweiz, bezieht sich aber nicht auf einzelne Personen wie die Österreicher Bertha von Suttner, Alfred Hermann Fried, Rudolf Goldscheid oder Heinrich Lammasch oder aber den Schweizer Völkerrechtler Otfried Nippold, die den Pazifismus in Deutschland maßgeblich mitgeprägt haben. Zur Völkerrechtswissenschaft werden alle juristischen Schriftsteller gezählt, die sich mit dem Ausbau der zwischenstaatlichen Ordnung unter Heranziehung juristisch-normativer Methoden befasst und sich in diesem Sinne an den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligt haben, unabhängig davon, ob sie eigene Forschungstätigkeit auf dem Gebiet des Völkerrechts entfaltet haben oder nicht. Im Gegensatz dazu werden solche Publizisten nicht zum Gebiet der Völkerrechtswissenschaft gerechnet, die ohne juristischen Ansatz zu Fragestellungen der zwischenstaatlichen Ordnung und der Weltpolitik Arbeiten weltanschaulicher oder praktisch-politischer Art verfasst haben, auch wenn sie sich dabei zu Fragen geäußert haben, die wie die Schiedsgerichtsbarkeit auch für das Völkerrecht im eigentlichen Sinne Relevanz hatten.70 70

In diesem Sinne unterteilte bereits die Friedens-Warte eingegangene Schriften in ihren monatlichen Literaturübersichten u. a. in die Kategorien „Internationale Politik“ einerseits und „Völkerrecht“ andererseits.

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Nicht einbezogen werden schließlich auch andere interessierte Personen aus dem Bereich der praktischen Politik, die wie beispielsweise die deutschsprachigen Mitglieder der Interparlamentarischen Union oder konservative Politiker und Militärs zwar ebenfalls konkrete Vorschläge zu völkerrechtlichen Problemen erarbeitet haben, dies aber ohne dogmatischen Ansatz taten und aus diesem Grund nicht im eigentlichen Sinne an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über diese Fragestellungen beteiligt waren. Die Bezeichnung deutsche Völkerrechtswissenschaft erfasst im Folgenden auch deutschsprachige Autoren österreichischer und schweizerischer Herkunft wie Heinrich Lammasch, Gustav Roszkowski oder Max Huber, die regelmäßig in deutschen Zeitschriften publiziert haben sowie Völkerrechtslehrer schweizerischer oder österreichischer Abstammung wie Johann Caspar Bluntschli, Otfried Nippold, Felix Stoerk, Emanuel von Ullmann, Georg Jellinek oder Franz von Liszt, die an deutschen Universitäten gelehrt haben. Des Weiteren wird in der vorliegenden Studie nicht die in neuerer Zeit von Steffen Bruendel vorgeschlagene Abgrenzung zwischen Volksbund- und Vaterlandsgruppe übernommen,71 sondern die gängige und überzeugendere Terminologie Gemäßigte und Annexionisten72 beibehalten. Bruendel unterscheidet zwischen zwei, 1916/17 entstehenden Gruppen, der Volksbund- und der Vaterlandsgruppe. Die nach dem Volksbund für Freiheit und Vaterland bezeichnete Volksbundgruppe setzte sich Bruendel zufolge für einen „Volksstaat“ ein, d.h. unter Hervorhebung deutscher Besonderheiten für eine demokratischere innere Ordnung Deutschlands. Ihre Kriegsziele waren vergleichsweise gemäßigt. Die größere Vaterlandsgruppe, die ihren Rückhalt in der Deutschen Vaterlandspartei fand, verlangte demgegenüber weitgehende Annexionen auch im Westen. Während sich die Volksbundgelehrten nachdrücklich für den Plan eines Mitteleuropa einsetzten, lehnten die Vaterlandsgelehrten diesen überwiegend ab. Die Vaterlandsgruppe, politisch, konfessionell und landsmannschaftlich relativ homogen, politisch rechtsstehend, 71 Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, S. 20 f.; 151 ff.; 292. 72 Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 36 ff., 125 f., 165, 179; Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 17 f., 21, 28 f.; Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, Stuttgart 1983, S. 120 ff., 177, 179; Reinhard Rürup, Der „Geist von 1914“ in Deutschland. Kriegsbegeisterung und Ideologisierung des Krieges im Ersten Weltkrieg, in: Bernd Hüppauf (Hrsg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein/Taunus 1984, S. 24–28.

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protestantisch und preußisch, sprach sich zudem für eine exklusive, verschiedene Gruppen ausschließende Volksgemeinschaft, aus. Die Terminologie Bruendels erscheint zumindest für die vorliegende Untersuchung als nicht handhabbar. So befürwortete der aus Süddeutschland stammende Katholik Kohler einerseits weitreichende Angliederungen, sprach sich andererseits aber für den Plan eines Mitteleuropa aus. Er plädierte wie viele seiner Gesinnungsgenossen für eine Verschiebung der Wahlrechtsreform auf die Zeit nach dem Krieg, distanzierte sich aber gleichzeitig ausdrücklich von der Deutschen Vaterlandspartei. Weder passte er konfessionell noch landsmannschaftlich zu der von Bruendel definierten Vaterlandsgruppe, noch sprach er sich für eine exklusive Volksgemeinschaft aus. Doch wird in der vorliegenden Untersuchung die bisher gängige, nicht ausreichend differenziert erscheinende Terminologie Reformer und Reformgegner73 nicht übernommen. Es ist insofern Bruendel zuzustimmen, dass während des Ersten Weltkrieges nahezu alle deutschen Gelehrten Änderungen im Staatsleben für unausweichlich hielten. Wie aus der u. a. von Josef Kohler, Dietrich Schäfer, Eduard Meyer, Reinhold Seeberg und Otto von Gierke unterzeichneten Erklärung konservativer Hochschullehrer vom 7. Juli 1917 hervorgeht, traten auch diese Gelehrten nicht als orthodoxe Vertreter eines innenpolitischen status quo auf, sondern wollten institutionelle Änderungen insoweit zulassen, als diese dem „deutschen Staatsverständnis“ entsprachen. Der Begriff Reformer differenziert zudem nicht genügend zwischen denjenigen, die lediglich eine Wahlrechtsreform anstrebten und den wenigen Gelehrten, die sich darüber hinaus auch für eine Parlamentarisierung des Reiches aussprachen. Der Erste Weltkrieg rief eine Ordnungsdebatte hervor, die ideengeschichtlich das Ende des Kaiserreiches und den Übergang zu einer anderen politischen Ordnung einleitete. Die Ideen von 1914 wurden durch die irreversible Delegitimierung der alten Ordnung zum „Weichensteller“ (Max Weber) der Geschichte. Die im August 1914 aufsteigende Möglichkeit, einen Institutionenwandel zu vollziehen, bedeutete bereits bei Kriegsbeginn eine Ablösung der bisherigen politischen Ordnung. Das Jahr 1914 stellt somit unter ideenpolitischen Gesichtspunkten gegenüber dem Jahr 1918 die deutlichere Zäsur dar.74 73 Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 35–38; 42, 44 f., 174–177, 180, 184 f.; Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, Stuttgart 1983, S. 177 ff., Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 6–11. 74 Siehe auch Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, S. 20 f.; 293, 313.

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Erzählerische Aspekte, mit denen gewisse ästhetische Ansprüche an die Lesbarkeit eines Textes verbunden sind, werden in einer Biographie stets von Bedeutung sein. Des ungeachtet müssen jedoch „auch systematisierende, analytische Elemente“ in die Schilderung eingehen, welche die jeweiligen chronologischen Lebensphasen strukturieren und zur Erreichung einer multiperspektivischen Darstellung der zeitlichen eine analytische Dimension hinzufügen. Die Vorstellung eines einheitlichen Biographiekonzepts wird damit hinfällig. Vielmehr obliegt es dem Verfasser einer Biographie, eine Form der Darstellung zu wählen, die der Problematik seines Objekts gerecht wird.75 Insgesamt soll somit der Versuch unternommen werden, das Werk Kohlers in seiner zweifachen Einbindung, zum einen hinsichtlich der pazifistischen Strömungen, zum andern hinsichtlich der völkerrechtsmethodischen und -theoretischen Entwicklung zu untersuchen und dabei biographischen Aspekten, soweit sie das Erkenntnisinteresse betreffen, Rechnung zu tragen.

75 Vgl. Margit Szöllösi-Janze, Fritz Haber (1868–1934). Eine Biographie, München 1997, S. 13.

Erstes Kapitel

Herkunft und Werdegang (1847–1888) A. Jugendjahre Hier soll es um typische Prägungen im Bildungsprozess sowie um erste Ausgestaltungen politischer und allgemein weltanschaulicher Überzeugungen gehen. Kohlers Wertvorstellungen sind von der Umgebung, in der er aufwuchs, stark mitbestimmt worden. Diese soll deshalb zunächst etwas näher betrachtet werden.

I. Der Vater Josef Kohlers in den Jahren der revolutionären Bewegung (1847–1849) „Endlich geht es an das Arrestiren [. . .] Bei dem hiesigen Schulmeister Kohler, ein guter Freund zu Stay, der mit ihm correspondirte, dürften alle seine Schriften zu untersuchen sein, da er Briefe von Stay hat“,1 so nach der misslungenen Revolution von 1848/49 die anonyme Denunziation beim Justizministerium. Als „Freund und Korrespondent von Stay“2 wurde der Oberlehrer Joseph Kohler (1809–1874)3 von der Knabenvolksschule Offenburg, katholischer Bürger aus Friesenheim, auf die sogenannte „Rebellenund Gaunerliste“ gesetzt.4 Der Offenburger „Lehrer-Stand“, so heißt es weiter, gehöre „aufgelöst und Neue gemacht. Die Schulmeister Kohler und Meßner von hier auch fort“ [sic].5 Das Offenburger Wochenblatt schrieb, 1

Anonymes Schreiben vom 29. Juli 1849, StAF (Staatsarchiv Freiburg) A 27/3 Nr. 397, S. 19. 2 Philipp Stay, Lehrer aus Heidelberg, 1848–1849 Herausgeber des „Volksführer“, Lehrersprecher und Radikalrevolutionär, Mitglied des Landesausschusses und der verfassungsgebenden Versammlung 1849, siehe dazu auch Norbert Deuchert, Vom Hambacher Fest zur badischen Revolution. Politische Presse und Anfänge deutscher Demokratie 1832–1848/49, Stuttgart 1983, S. 221; Heinrich Raab, Revolutionäre in Baden 1848/49. Biographisches Inventar für die Quellen im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Staatsarchiv Freiburg, Stuttgart 1998, S. 908. 3 Auszug aus dem Ehebuch der Pfarrei Offenburg Nr. 4/1820–1852, S. 317. 4 StAF A 27/3 Nr. 397, S. 17. 5 Schreiben vom 29. Juli 1849, StAF (Staatsarchiv Freiburg) A 27/3 Nr. 397, S. 19 R.

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

„eine wirklich große Zahl von Schullehrern“ habe sich an der Revolution beteiligt.6 „80 Schullehrer“ in Baden seien „in Folge ihrer Theilnahme an der Revolution ihrer Stellen entsetzt“ worden oder würden dies noch, und viele andere müssten [. . .] „auf geringere Dienste versetzt“ werden.7 Kohler hatte am 12. September 1847 an der sog. Salmen-Versammlung im Offenburger Gasthaus Im Salmen teilgenommen.8 Auf Initiative der Mannheimer Demokraten (darunter Friedrich Hecker und Gustav von Struve) hatten sich dort die „entschiedenen Freunde der Verfassung“ aus ganz Baden versammelt und ihre später als „Offenburger Programm“ bezeichneten 13 „Forderungen des Volkes“ verkündet.9 Sie forderten persönliche Freiheit, Presse-, Gewissens-10 und Lehrfreiheit, zudem eine Weiterentwicklung der Verfassung durch Einrichtung einer Vertretung des Volkes beim Deutschen Bund, eine volkstümliche Wehrverfassung, gerechte Besteuerung durch Einführung einer progressiven Einkommenssteuer, Ausgleich des Missverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit, Geschworenengerichte, eine volkstümliche Staatsverwaltung und die Abschaffung aller Vorrechte.11 Diese von Hecker verlesene „Magna Charta der Volksfreiheit“ wurde durch einhelligen Zuruf der etwa 800 Zuhörer12 gebilligt.13 Zu der Versammlung, die erstmals alle leitenden radikal-demokratischen Persönlichkeiten zusammenführte – neben Hecker und Struve insbesondere auch Elias Eller, Valentin Streuber, Gustav Rée, Eduard Rehmann, Franz Stiegler und Johann Armbruster –,14 war „ein Strom von Menschen aller Klassen“ erschienen.“15 Die Veranstaltung bekundete schon durch die äußere Ausstat6

Wbl. OG 1849, S. 503. Wbl. OG 1849, S. 610. 8 GLA (Generallandesarchiv Karlsruhe) 213/3784. 9 Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848–1849, Berlin 1930, Neudruck 1970, Bd. 1, S. 161 f., 177; Michael Friedmann, Offenburg und die Badische Revolution von 1848/49, Offenburg 1980, S. 13. 10 Siehe die Zeugenaussage von Joseph Kohler vom 17. September 1847, in: GLA 213/3784, S. 21. 11 Siehe den Abdruck der Forderungen bei Dieter Langewiesche (Hrsg.), Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen, Karlsruhe 1998, S. 6; Die Revolution von 1848. Eine Dokumentation, hrsg. von Walter Grab, München 1980, S. 28 f. sowie bei: Karl Obermann (Hrsg.), Flugblätter der Revolution. Eine Flugblattsammlung zur Geschichte der Revolution von 1848/49 in Deutschland, München 1972, S. 35 f. 12 Siehe das Schreiben des Oberamts Offenburg an das Ministerium des Innern vom 13. September 1847, in: GLA 236/8195. 13 Siehe den Bericht von Georg August Berberich vom 13. September 1847, in: GLA 236/8195. 14 Otto Kähni, Offenburg und die demokratische Volksbewegung, Offenburg 1947, S. 21, 23. 7

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tung ihren „loyalen Sinn.“16 Der Salmensaal war geschmückt in den Landesfarben17 und erinnerte, wie Kohler bei der amtlichen Vernehmung am 17. September 1847 aussagte, unzweideutig an die Szenerie der Feier zum 25-jährigen Bestehen der badischen Verfassung vom 22. August 1843. Hinter der in der Mitte des Saales aufgebauten Rednertribüne standen die Büsten des Staatsgründers Karl Friedrich und des Verfassungsgebers Karl, wozu auch wieder eine Verfassungsurkunde in demselben roten Festeinband wie vier Jahre zuvor aufgestellt worden war.18 Nicht alle Zuhörer dürften die Forderungen vom 12. September 1847 in vollem Umfang gebilligt haben. Bezüglich der weitergehenden Forderungen zur „Entwicklung unserer Verfassung“ dürften für einige die Grenzen des für sie Wünschenswerten überschritten worden sein.19 Die liberale Mehrheit des deutschen Bürgertums wollte keine radikalen Veränderungen. Dynastien, Beamtenapparat und Offizierskorps sollten nach überwiegender Ansicht vielmehr erhalten bleiben. Anliegen der Volksschullehrer, die im gesellschaftlichen Rang dem Proletariat oftmals näher standen als dem Kleinbürgertum,20 war in erster Linie die Errichtung einer allen zugänglichen und kostenlosen Volksschule; diese sollte Staatsanstalt, die Lehrerschaft „Diener des Staates“ werden.21 Die seit 1835 regelmäßig beim Landtag eingereichten Petitionen um soziale, materielle und bildungsmäßige Besserstellung der Volksschullehrer wurden 1847 nicht mehr in bittendem, sondern in forderndem Ton wiederholt. Nahezu die gesamte Lehrerschaft stellte sich hinter die Denkschrift, die sich offen gegen die Verpflichtung strikten Gehorsams gegenüber Schulbehörde und Kirche wandte.22 Jedenfalls gab es in 15 Siehe die Zeugenaussage von Friedrich Braun vom 19. September 1847, in: GLA 213/3784. 16 Otto Kähni, Offenburg und die demokratische Volksbewegung, Offenburg 1947, S. 21 f. 17 Michael Friedmann, Offenburg und die Badische Revolution von 1848/49, Offenburg 1980, S. 15. 18 Siehe die Zeugenaussage von Joseph Kohler vom 17. September 1847, in: GLA 213/3784, S. 20. 19 Vgl. hierzu auch Franz X. Vollmer, Offenburg 1848/49, Karlsruhe 1997, S. 18 f. 20 Vgl. Norbert Deuchert, Vom Hambacher Fest zur badischen Revolution. Politische Presse und Anfänge deutscher Demokratie 1832–1848/49, Stuttgart 1983, S. 219. 21 Adresse einer „großen Anzahl“ badischer und einiger württembergischer Volksschullehrer an die Nationalversammlung, mit der Forderung der Aufnahme dieser Ideen in das Reichsgrundgesetz, siehe Karlsruher Zeitung Nr. 37 vom 19. Mai 1848. 22 Karlsruher Zeitung Nr. 29 vom 30. Januar 1848; vgl. auch das Offenburger Wochenblatt 1848, S. 142: „Die Befreiung der Herren Volksschullehrer von der Aufsicht der Geistlichen“.

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Offenburg, wie die Versammlung im „Salmen“ zeigt, ein aufnahmebereites, politisch interessiertes „Volk“,23 das sich mit den Fragen der Zeit auseinandersetzte. Entsprechend dem Auftrag des Innenministers Bekk an das Offenburger Oberamt, „eine gerichtliche Untersuchung gegen die Urheber der gehaltenen Reden einzuleiten,24 wurden vom 17. bis 24. September 1847 acht Zeugen vernommen, darunter auch Joseph Kohler. Kohler erklärte, aus Neugierde zu der Versammlung gegangen zu sein, „um als Zuhörer an derselben Antheil zu nehmen, und die Persönlichkeiten derjenigen Freunde, welche die Versammlung veranstaltet haben, kennen zu lernen.“25 Er nahm Hecker und Struve in Schutz und behauptete unter Eid, „in keiner Rede etwas Aufrührerisches oder Aufforderndes zu einem gewaltsamen Umsturz des Bestehenden“ vernommen zu haben, sondern nur den Versuch „darzuthun, welche Mittel und Wege man einschlagen solle, um dem Volke seine durch die Verfassung garantierten Rechte zu verschaffen.“26 Das Jahr 1847 hatte, hervorgerufen durch landwirtschaftliche Katastrophen wie die Kartoffelkrankheit, Getreidefäulnis und extrem ungünstige Witterungsverhältnisse27 auch in Offenburg zu Teuerung und Not geführt. 23 Vgl. hierzu die Einschätzung Johann Philipp Becker, in: Johann Philipp Becker/Chr. Essellen, Geschichte der süddeutschen Mairevolution des Jahres 1849, Genf 1849, S. 62 f.: „Offenburg [. . .] hat seiner Lage, in der Mitte des Landes, diese Bedeutung zuzuschreiben. Die kleine, jedoch wohlhabende Stadt, am Eingang des schönen Kinzigthales gelegen, durch den Verkehr mit dem nahe liegenden Straßburg belebt, repräsentirt die Behaglichkeit mit dem mäßigen Reichthum, wie die Regsamkeit und Rührigkeit des ganzen badischen Volkes. Die Demokratie, welche vorzüglich im kleinen Bürgerstand, in den Handwerkern, wie unter den Bauern des Gebirges wurzelte, fand nur geringen Widerstand an der eigentlichen Bourgeoisie, deren halbe schwankende Stimmung in der ängstlichen und zweideutigen Politik ihres damaligen Bügermeisters Reh [sic] ihren Ausdruck fand. Durch die großen Volks- und Landesversammlungen, welche man schon früher hier abgehalten hatte, weil hier die ersten demokratischen Vereine existirten, war die Bevölkerung politisch gebildeter als anderswo. Hier war schon am 12. September 1847 eine große Volksversammlung gewesen, in welcher die bekannten Offenburger Beschlüsse, die im nächsten Jahre das Programm der Märzbewegung in Baden, Frankfurt, Hanau, Köln und anderswo bildeten, festgestellt wurden.“ 24 Siehe das Schreiben des Ministeriums des Innern an das Oberamt Offenburg vom 14. September 1847, in: GLA 236/8195. 25 Zeugenaussage Joseph Kohlers vom 17. September 1847, in: GLA 213/3784, S. 19. 26 Siehe die Zeugenaussagen Joseph Kohlers vom 17. September 1847 und vom 17. Dezember 1847, in: GLA 213/3784, S. 23, 367. 27 Siehe hierzu auch Sigmund Fleischmann, Die Agrarkrise von 1845–55 mit besonderer Berücksichtigung von Baden, Heidelberg 1902; Hubert Locher, Die wirtschaftliche und soziale Lage in Baden am Vorabend der Revolution von 1848, Freiburg i. Br. 1950.

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Den Bäckern wurde die Beimischung von zerriebenen Rüben und Eichelmehl empfohlen. Der Gemeinderat richtete eine Suppenanstalt und Gemeindebacköfen ein, um die drohende Hungersnot abzuwenden.28 Die zunehmende Verbitterung über die anhaltende Preiserhöhung potenzierte sich durch die Aufrechterhaltung der Feudallasten29 und deren rigorose, nicht selten rücksichtslose Eintreibung durch die standesherrlichen Rentamtmänner zu einem noch unterschwelligen Unwillen gegenüber einer starren Sozialordnung und den sie tragenden politisch Verantwortlichen.

II. Prägungen humanistischer Bildung Franz Josef Kohler wurde am 9. März 1849 im zweiten Stock des ehemaligen Bierbrauer Schuemacher’schen Hauses, des Krokodil-Wirtshauses, in der Lange Straße in Offenburg als das jüngste von sechs Kindern des Volksschullehrers Joseph Kohler und dessen Frau Maria Amalia (1805–1882), geborene Schmider, geboren und am 19. März 1849 vom katholischen Stadtpfarrer Dr. Johann Nepomuk Müller getauft.30 Er wuchs mit zwei älteren Schwestern, Amalie Christine Luise, geboren 1839, und Josephine, geboren 1841, auf. Zwei Schwestern und ein Bruder31 starben schon sehr früh.32 Sein Vater, geboren am 13. März 1809 als Sohn des Bäckermeisters Lorenz Kohler und dessen Ehefrau Scholastika, geborene Kern,33 war am Lehrerseminar in Rastatt ausgebildet worden und nach seiner Eheschließung mit Amalia Schmider am 10. März 1836 nach Offenburg gezogen.34 Die Kohlers waren im 17. Jahrhundert aus Ludwigsburg in Schwaben nach Friesenheim35 im Schwarzwald gekommen. Der erste in 28 Michael Friedmann, Offenburg und die Badische Revolution von 1848/49, Offenburg 1980, S. 13. 29 Vgl. den statistischen Überblick bei: Wolfram Fischer, Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden 1800–1850, Bd. 1: Die Staatliche Gewerbepolitik, Berlin 1962. 30 Eintrag Dr. Müllers im Geburts-Register der Stadt Offenburg vom 19. März 1849, No 38. An dem Geburtshaus Josef Kohlers in der Langestraße 33, keine 200 Meter entfernt vom Wirtshaus zum Salmen, Langestr. 51, ist heute eine Gedenktafel angebracht. 31 Auszug aus dem Geburts-Register der Stadt Offenburg, Stadtarchiv Offenburg. 32 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches. Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, S. 25. 33 Auszug aus dem Ehebuch der Pfarrei Offenburg Nr. 4/1820–1852, S. 317. 34 Ingeborg Malek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 9. 35 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S 3. Zum Namen Kohler siehe den Artikel Vom Stammbaum eines Offenburger Gelehrten, in: D’r alt Offeburger Nr. 615 vom 26. Januar 1911.

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den Friesenheimer Kirchenbüchern erwähnte Kohler war Hans-Jörg Kohler, der später Maria Göppert heiratete. Sie hatten mehrere Kinder. Ahnherr des Familienstammes Josef Kohlers ist der Sohn Anton Kohler, dessen Geburtsdatum unbekannt ist. Er war Bürgermeister und Schultheiß und starb am 12. November 1734.36 Aus der Ehe seines Sohnes Johann Georg, einem Bäcker, mit Catharina Bühlharz37 gingen fünf Söhne hervor.38 Amalia Schmider war die Tochter des Bäckermeisters Johannes Schmider, Sohn eines Gastwirts in Hambach, und dessen Ehefrau Maria Anna, geborener Sohler.39 Amalia Schmider hatte zwei Brüder. Der ältere, Franz Joseph, ebenfalls Bäckermeister, wurde später der erste Postexpediteur in Zell, schließlich Postverwalter. Der jüngere Bruder Johannes Nepomuk, siedelte sich als Kaufmann in Pruntut (Porrentruy) im Berner Jura an.40 Der erste urkundlich nachgewiesene Schmider war Michael Schmider, gestorben 1685. Sein drittes Kind, Andreas, führte den Familienstamm weiter. Sein Sohn Johannes wurde später Wirt in Hambach. Ihm folgte Franciscus Hieronymus, der 1747 Ratsherr in Harmersbach wurde. Dessen Sohn, Josephus Benedictus Schmider, verdiente seinen Lebensunterhalt als Wirt.41 Sein Großneffe, Franz Anton Schmider, war 1849 als Freischärler an der Besetzung des Schlosses Stauffenberg bei Offenburg beteiligt.42 36 Vgl. den Stammbaum Josef Kohlers, der auf die Forschungen des Offenburger Historikers Ernst Batzer zurückgeht, abgedruckt in: Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920, S. 27. Er weicht in einzelnen Punkten von dem bei Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren o. O. o. J., S. 1 f. dargestellten, auf den Aufzeichnungen Oskar Kohlers beruhenden, Stammbaum ab. Zum Stammbaum Kohlers siehe auch das Schreiben Stephan Kölbles vom 11. April 1949 an den Oberbürgermeister der Stadt Offenburg, Stadtarchiv Offenburg, sowie die Sonderschrift Kölbles „Die Ahnen des Rechtsforschers und Polyhistors Geh. Rat. Prof. Dr. Josef Kohler“, 1947, die Kölble der Universität Würzburg überreicht hat. 37 Vgl. Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920, S. 27. 38 Ingeborg Malek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 8. 39 Auszug aus dem Ehebuch der Pfarrei Offenburg Nr. 4/1820–1852, S. 317, Stadtarchiv Offenburg. 40 Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren o. O. o. J., S. 2 ff. 41 Ingeborg Malek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 11. 42 Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren, o. O. o. J., S. 6, 10 f. Zu Franz Anton Schmider siehe auch Heinrich Hansjakob, der ihm in dem Buch „Bauernblut“ ein eigenes Kapitel widmet. Josef Kohler selbst hat einmal die charakteristischen Züge seines Wesens zusammengestellt und dabei hervorgehoben, von wem er sie ererbt zu haben glaubte: „Wenn ich diesen meinen Ursprung näher betrachte, so kommt es mir wahrscheinlich vor, daß hier etwa folgende Mischung vorliegt: ein gewisser mystischer Zug meines Wesens, allerdings verbun-

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Offenburg war damals eine Stadt kleinbürgerlichen Charakters mit etwa 4000 Einwohnern. Handwerker, Gastwirte, Bierbrauer und kleinere Kaufleute stellten auch den Hauptanteil der Mitglieder in den drei städtischen Führungsgremien, dem Gemeinderat, dem kleinen und dem großen Bürgerausschuss.43 Josef Kohler wuchs in engen, als provinziell zu bezeichnenden Verhältnissen heran. Sein Vater war infolge der Teilnahme an der Versammlung im „Salmen“ beruflich zurückgesetzt worden44 und hatte auch sonst „manches unter den Zeitverhältnissen zu leiden.“45 Im Juli 1850 erwarb die Familie das Eckhaus Klosterstraße/Rosengasse 4, in der Folgezeit genannt das „Owerlehrer Kohler’s Huus“, für lediglich 2960 Gulden.46 Das stattliche Bürgerhaus war so preiswert, da es dort angeblich geistern sollte.47 Kohlers späterer Kollege in Berlin, der Theologe Reinhold Seeberg, beobachtete bei Kohler eine gewisse Abneigung gegen Armut, „die sich zeitweilig [. . .] wohl zur krankhaften Furcht vor Not und Elend“ habe steigern können und als Gegenstück dazu eine gewisse Betonung der inneren und äußeren Teilnahme an dem modernen Leben mit seinen Fortschritten und Genüssen, ein Zug in die Ferne, in das Internationale, die Hervorhebung weltumfassender Beziehungen. Dies in dem Wesen des so fest in sich selbst ruhenden Mannes habe etwas Auffallendes gehabt.48 Der Vater, Chorregent und Organist in der Offenburger Kreuzkirche,49 bemühte sich, den Kindern frühzeitig musische Grundfertigkeiten zu vermitteln. Er erteilte dem Sohn Unterricht in Klavier und Violine, wobei insbesondere Mozart und Beethoven gespielt wurden.50 Die dadurch geweckte Musikleidenschaft führte später zu eigenen Kompositionen. Schillers Werke auf dem Bücherbrett im Elternhaus, eine Gipsbüste von Beethoven und ein Bild von Mozart den mit starker Sensualität, so wie dasjenige, das man mir an philosophischer Begabung zugestehen mag, rührt von der schwäbischen Seite her; dazu eine gewisse Gründlichkeit und Ausdauer, eine gewisse nervöse Hast in der Ergreifung der Lebensziele; vielleicht auch das, was mir an Erwerbssinn anklebt. Von Mutterseite habe ich sicher den Frohsinn und die Heiterkeit, den Sinn für die Schönheit des Lebens.“, siehe Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 4. 43 Vgl. Franz X. Vollmer, Offenburg 1848/49, Karlsruhe 1997, S. 31. 44 Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren o. O. o. J., S. 11. 45 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6. 46 D’r alt Offeburger Nr. 1705 vom 26. März 1932. 47 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 48 Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis, Berlin 1920, S. 16. 49 Franz Huber, Josef Kohler und seine Vaterstadt. Zum hundertsten Geburtstag des großen Juristen, in: Offenburger Tageblatt, März 1949, Stadtarchiv Offenburg. 50 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6, 12 f.

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verdeutlichen den Interessenkreis der Familie. Für Goethe habe der Bürgerstand Offenburgs nichts übrig gehabt. Man habe ihn, so Kohler in seinen Erinnerungen, als „zu hoch“ empfunden.51 Der früh leidende Vater war Arthur Kohler zufolge gutmütig, während die „ernste“ Mutter, die sich für den kranken Vater geopfert habe, sehr streng gewesen sei.52 Mit der Schulzeit verband Kohler, wie er später in einer Umfrage berichtete, wenig gute Erinnerungen. Zunächst besuchte er die Volksschule in Offenburg. Am schlimmsten sei dort die Disziplin gewesen, welche vor allem eine Disziplin durch Prügel gewesen sei. Von Zeit zu Zeit seien die Schüler zusammengerufen worden, um eine exemplarische Strafe mitanzusehen. Dies, so Kohler, sei allerdings in den üblen Reaktionsjahren 1854–1859 gewesen, in denen in Baden „auch die Erwachsenen geprügelt wurden, um ihnen die revolutionären Gesinnungen auszutreiben.“53 Den Schulpädagogen seiner Jugend hielt er vor, die Schüler als Persönlichkeiten nicht ernst genommen zu haben und ihnen nicht genügend Raum zur Selbstentfaltung gegeben zu haben.54 Ihm persönlich habe man in der Kindheit widersprechende Elemente seines Wesens stets zum Vorwurf gemacht und sie „gar gewaltsam austreiben“ wollen. Seinen Erziehern, so Kohler, habe die Einsicht gefehlt, dass erst das Alter, das auf der einen Seite alles vertiefe und damit neue Verbindungen einleite und auf der anderen Seite die Schärfen abrunde, hier Ebenmaß und Harmonie schaffen könne.55 Schon auf der Volksschule zeigte Kohler ein besonderes Interesse für Geschichte und Geographie. Frühreif, aber auch eigenwillig, machte er Eltern und Lehrern zu schaffen.56 Mit acht Jahren kam er auf das Gymnasium, in den „etwas dürftigen“ Räumen des ehemaligen Kapuzinerklosters, das schon der 1819 infolge der Karlsbader Beschlüsse gemaßregelte Naturphilosoph Lorenz Oken besucht hatte.57 Das Offenburger Gymnasium hatte 1822 dem weiblichen Lehrinstitut „Unserer Lieben Frau“ Platz machen und in das säkularisierte Kapuzinerkloster umziehen müssen. Die Schule hatte in den darauffolgenden Jahrzehnten immer stärker ihren konfessionellen Charakter verloren. Als wissenschaftliche Lehrer waren neben die Geistlichen stetig mehr welt51

Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 13 ff. Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 53 Josef Kohler, Äußerung über die Schülerjahre in: Alfred Graf, Schülerjahre. Erlebnisse und Urteile namhafter Zeitgenossen, Berlin 1912, S. 39. 54 Josef Kohler, Äußerung über die Schülerjahre in: Alfred Graf, Schülerjahre. Erlebnisse und Urteile namhafter Zeitgenossen, Berlin 1912, S. 38. 55 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 4. 56 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 57 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6. 52

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liche Erzieher getreten, von denen einer sogar im Karlsruher Abgeordnetenhaus saß.58 Der Präfekt wurde 1832 durch den Direktor ersetzt. Im Rahmen der Angleichung an die staatlichen Schulen hatte der Lehrplan eine Erweiterung erfahren. Bereits im Schuljahr 1803/04 waren Griechisch und Französisch aufgenommen worden. Die obere sogenannte philosophische Klasse wurde abgebaut.59 Als Zehnjähriger erhielt Kohler 1859 nach Ablauf des ersten Schuljahres am Gymnasium ein Buch (Grube’s geographische Charakterbilder) mit der vom Klassenlehrer J. Trunk und Direktor Intlekofer unterschriebenen Widmung, dass Kohler sich „durch beharrlichen Fleiß, glühenden Eifer und rühmliches Betragen diesen ersten und einzigen Preis seiner Klasse“ erworben habe.60 Auf dem Gymnasium, so berichtete Kohler in seinen Erinnerungen, sei „ein neuer Geist“ über ihn gekommen. Die Schule vermittelte ihm eine intensive Schulung in den alten Sprachen, wobei ihn „die bestechende Logik der lateinischen Sprache“ besonders faszinierte.61 Da das Gymnasium in Offenburg keine Oberklasse (Sexta) besaß, wechselte Kohler im Jahre 1865 auf das Gymnasium in Rastatt in die Obersexta.62 Er war darüber ganz froh, hatte er das Gymnasium in Offenburg doch als zu eng empfunden. Er setzte sich in den Kopf, auch die Zeit in Rastatt abzukürzen. Tatsächlich gelang es ihm, sich hochzuarbeiten und sofort in die Oberprima zu gelangen, wo er mit älteren Schülern zusammentraf, unter anderem mit dem späteren Oberbürgermeister von Karlsruhe, Schnetzler. Direktor des Gymnasiums war zunächst Schraut, ein nach Rastatt versetzter „Preuße“, der „mißmutig und fast lahm, wenig [. . .] für den Posten“ getaugt habe. Sein Nachfolger Scherm sei ein „etwas übereifriger, stark in das Einzelleben der Schüler hineinleuchtender Mann“ gewesen. Kohler, der von ihm mit dem größten Wohlwollen behandelt wurde, erinnerte sich später anerkennend, dass nur wenige Lehrer seine Eigenart so verstanden hätten wie Scherm. Lehrer Nicolai sei daneben eine „etwas sonderliche“ Erscheinung gewesen. Ehemals Lehrer Napoleons III., pflegte er an Festtagen eine auffällige goldene Kette zu tragen, zur Erinnerung an den „gekrönten Staatsstreichler [. . .]“, der damals, so Kohler, „noch allmächtig war, bis Bismarcks Schatten ihn berührte.“63 In Rastatt gehörten nun auch 58

Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 11. Vgl. Otto Kähni, Offenburg. Aus der Geschichte einer Reichsstadt. Offenburger Köpfe – Offenburger Gestalten, Offenburg 1951, S. 100. 60 Vgl. D’r alt Offeburger Nr. 1705 vom 26. März 1932. 61 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6. 62 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 63 Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906; siehe auch die Stellungnahme des Direktors des Großh. Badischen Bertholds-Gymnasiums in Freiburg i. Br., Johann Hermann Schmalz, eines ehemaligen Klassenkameraden Kohlers, der 59

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Goethe und Shakespeare zur Lektüre, die für Kohler lebenslange Orientierungspunkte blieben. Die Leidenschaft für und Prägung durch Goethe64 verband ihn wohl mit zahlreichen seiner späteren Kollegen. Außer Latein, Griechisch und Französisch lernte er auf dem Gymnasium in Rastatt auch Hebräisch.65 Neben der typischen und vielfältig belegten Prägung durch Antike und die deutsche Klassik bildeten die zeitgenössische Literatur und Musik einen festen Bestandteil der Sozialisation des klassischen Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert. Alterstypisch war auch die Verfassung eigener Gedichte, über die Kohler später sagte, sie hätten „an Schwulst und Geschmacklosigkeit recht vieles“ geleistet.66 Privat las er gemeinsam mit seinem Freund Schnetzler alles, was ihnen „in die Hände fiel. Unser damaliger Herr und Meister war natürlich Heinrich Heine [. . .] die gesuchte, aber oft recht glücklich erfasste Volkstümlichkeit war uns sympathisch, vor allem aber das wirkliche Dichtertalent, das in Heine unzweifelhaft lebte, wenn er es auch mitunter zur Karikatur verzerrte.“ All dieses, erinnerte sich Kohler später, habe eine umso größere Anziehungskraft ausgeübt, als es damals an großen politischen und sozialen Zielen gefehlt habe. Bereits damals habe er den Wunsch gehabt, sich der Wissenschaft zu widmen.67 Nach eigenen Angaben dehnte er seine Studien weit über das Schulpensum aus und beschäftigte sich selbständig mit natur- und sprachwissenschaftlichen Fragen.68 Sein Lehrer Holder erteilte ihm Privatunterricht in vergleichender Sprachwissenschaft. Für die Rastatter, so Kohler, sei eine Gelehrtengestalt wie Holder, die in mancher Beziehung an Mommsen erinnert habe, etwas Ungewöhnliches gewesen.69 Im Rückblick urteilte er, dass er ohne diese Zusatzstudien in der Rechtswissenschaft weitaus weniger hätte leisten können: „Ohne die technischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse hätte ich niemals meine patentrechtlichen Schriften geschrieben, ohne meine sprachwissenschaftlichen und theologischen Studien hätte ich niemals den am 1. Februar 1907 an Kohler schrieb: „Lieber alter Freund, besten Dank für die freundliche Übersendung des Artikels über Schnetzler! Die Lektüre desselben hat mich wieder lebhaft zurückversetzt in die doch schöne Zeit – nicht bei Schraut, an den auch ich nicht gerne denke – aber bei Scherm und dem guten Nicolai, [. . .]“, Nachlass Kohler, Staatsbibliothek Berlin, Briefwechsel, Ordner 21. 64 Josef Kohler, Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 229. 65 Zeugnis des Grossherzoglich Badischen Lyceums in Rastatt für das Schuljahr 1865/66 – Auszug aus dem Protokoll der Lehrerkonferenz vom 9. Juli 1866, GLA 234/2643. 66 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 7. 67 Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906. 68 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6 f. 69 Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906.

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Gedanken fassen können, die Rechte aller Natur- und Kulturvölker zu durchforschen und unsere Kolonialvölker in den Bereich meiner Studien zu ziehen.“70 Die Schulausbildung Kohlers scheint nicht durch Patriotismus oder Religiosität, Militarismus oder Autoritätshörigkeit geprägt gewesen zu sein als vielmehr durch Literatur und Wissenschaft. 1866 legte er als Klassenbester von 24 Schülern das Abitur ab.71 Sein Horizont sollte sich durch einen längeren Aufenthalt in der französischen Schweiz sehr erweitern, wo er im Alter von siebzehn Jahren mehrere Wochen in Pruntrut bei Johannes Nepomuk Schmider, dem jüngeren Bruder seiner Mutter, einem vermögenden Kaufmann, verbrachte. Kohler war sehr beeindruckt vom eleganten Lebensstil seines Onkels und der „französischen“ Lebensart. Er kam dort mit den Werken Dantes und Chopins in Berührung, las außer Goethe viel Schopenhauer72 und Hegel,73 die ebenso wie Richard Wagner,74 den er im Jahre 1877 in Heidelberg persönlich traf,75 eine lebenslange Faszination auf ihn ausüben sollten.76 Die um 1800 noch fast rein katholische Reichsstadt Offenburg war auch Mitte des 19. Jahrhunderts noch überwiegend katholisch. Die Offenburger Katholiken waren gespalten in eine große Gruppe von Sympathisanten des Stadtpredigers Franz Josef Kuhn, der einen nicht streng konfessionellen „christlichen Humanismus“ und „Reformkatholizismus“ vertrat und eine zahlenmäßig geringere Anhängerschaft desjenigen Pfarrers, bei dem Kohler getauft worden war, des Stadtpfarrers Dr. Johann Nepomuk Müller, Dekan des Dekanats Offenburg und Verfechter einer antiaufklärerischen, fundamentalistischen Richtung.77 Offenburg war stark von wessenbergianischen Reformgedanken beeinflusst. Der Vorgänger Müllers, Franz Ludwig Mersy, war Anhänger des Konstanzer Aufklärers Wessenberg78 gewesen. 70

Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 8. Zeugniss des Grossherzoglich Badischen Lyceums in Rastatt für das Schuljahr 1865/66 – Auszug aus dem Protokoll der Lehrerkonferenz vom 9. Juli 1866, GLA 234/2643. 72 Meine Begegnung mit Richard Wagner, in: Der Tag vom 20. Juli 1902. 73 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 18 f. 74 Josef Kohler, Meine Beziehungen zu Jhering, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911. 75 Meine Begegnung mit Richard Wagner, in: Der Tag vom 20. Juli 1902. 76 Josef Kohler, Deutschlands Denker, in: Der Tag vom 15. April 1915. 77 Vgl. Otto Kähni, Offenburg. Aus der Geschichte einer Reichsstadt. Offenburger Köpfe – Offenburger Gestalten, Offenburg 1951, S. 98 f. 78 Der Konstanzer Generalvikar Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg (1774–1860) hatte die katholische Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Geist der Aufklärung umgestalten wollen. Insbesondere wandte er sich gegen das Zölibat und das Ablass- und Wallfahrtswesen. Im Merseburger Priesterseminar ließ er einen neuen weltgewandteren Typ des katholischen Geistlichen heranbilden, vgl. Otto 71

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Müller war in seinem Bemühen, in Offenburg eine wieder romtreuere, „ultramontane“ Richtung durchzusetzen, in den Jahren 1845/46 mit Kuhn aneinander geraten und hatte dessen Suspendierung erwirkt, woraufhin sich fast 300 Offenburger mit einer Protestadresse für den Verbleib Kuhns eingesetzt hatten.79 Kohler, Firmling des sozialpolitisch engagierten Mainzer Bischofs Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811–1877),80 distanzierte sich schon früh von der katholischen Orthodoxie81 seines Elternhauses. In der Schulzeit stand er nach eigenen Angaben im Verdacht des Atheismus. Tatsächlich aber vertrat er, das Göttliche als schaffende Kraft erblickend, deren Walten der Mensch nur ahne, einen idealistischen Pantheismus,82 wie er mit der Zeit der Klassik einhergegangen war83 und seiner liberal-aufgeklärten Gesinnung entsprach. Dennoch brachte er dem Katholizismus großen Respekt entgegen, erblickte er darin doch „eine Kulturkraft ersten Ranges, welche im Menschen das religiöse Gefühl, das schönste Gut des menschlichen Herzens, zu erwecken und die Lebensanschauungen des gemeinen auf die Höhe eines verklärten Weltbildes“ zu erheben vermochte.84 Kohlers Lebens- und Weltanschauung war ganz durch das humanistische Ideal der Klassik geprägt. Die Selbstentfaltung des Individuums in Freiheit und sittlicher Verantwortung bildete danach den höchsten Wert menschlichen Seins. Der Mensch, das war der Inhalt dieser Auffassung zwischen Aufklärung und Liberalismus, gewinnt sein eigentliches Wesen, indem er sich „bildet“, d.h. indem er seine individuelle Persönlichkeit durch die AusKähni, Offenburg. Aus der Geschichte einer Reichsstadt. Offenburger Köpfe – Offenburger Gestalten, Offenburg 1951, S. 98 f. 79 Vgl. Franz X. Vollmer, Offenburg 1848/49, Karlsruhe 1997, S. 36. 80 Vgl. Josef Kohler, Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916; Günter Spendel, Josef Kohler (1848–1919), in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte. Germ. Abt. 113 (1996), S. 435. 81 Siehe Josef Kohler, Die Juden, in: Deutsche Montags-Zeitung vom 12 Dezember 1910, 1 (1910), Heft 12; Vom Stammbaum eines Offenburger Gelehrten, in: D’r alt Offeburger vom 26. Januar 1911; Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 15; Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren, o. O., o. J., S. 43. 82 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 11. Siehe auch Otto Ernst Sütter, Josef Kohler, ein freimütiger, weitgespannter Geist, in: Ortenauer Heimatblatt vom 21. Oktober 1962. So heißt es auch im Vorwort zu Der Geist des Christentums, Berlin 1905: „In der Verehrung des Allwesens liegt die wahre Größe unserer Zeit.“ 83 Vgl. dazu allgemein: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, Bürgerwelt und starker Staat, Broschierte Sonderausgabe München 1998, S. 440 ff. 84 Zitiert nach Otto Hipp, Josef Kohler, in: Hochland 17 (1919/20), S. 233 f.; siehe zu Kohlers Auffassung zu Religion im Allgemeinen auch Josef Kohler, Zur Entstehung des religiösen Bewusstseins, in: Deutsches Wochenblatt 12 (1899), S. 1015–1028.

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einandersetzung mit Kunst, Literatur und Geschichte entwickelt. Kultur war in dieser „Bildungsreligion“, der Religion der Klassik, keineswegs etwas Selbstverständliches, ihre Aneignung und Fortentwicklung vielmehr ein kategorischer Imperativ, das oberste Ziel menschlichen Strebens:85 „[. . .] das Ziel [. . .], dass wir vor allem auf die Fortbildung des Menschen dringen müssen, vom Menschen zum Übermenschen [. . .] es ist aber nicht ausgeschlossen, vielmehr höchst wahrscheinlich, dass der Fortschritt noch jahrhundertelang weiter geht, dass die Ideenmasse, die der bedeutende Mann beherrscht, sich vermehren und damit die Stufe, auf der der Mensch steht, sich erhöhen wird. Dem aber müssen wir mit aller Kraft zustreben; es ist ein Ziel, das nicht nur der größten Opfer wert ist, es ist ein Ziel, dem gegenüber alle anderen Interessen in den Staub fallen. Die höchste Erkenntnis und zugleich die höchste Beherrschung der Welt, das ist, was wir erreichen wollen.“86 Mit dieser Anschauung verbunden war die seit dem Sturm und Drang in der deutschen Bildung übliche „Verehrung, ja der Kult des Genies, in dem die Größe der Menschheit gefeiert wurde, ja ihre Göttlichkeit.“87 So heißt es etwa in dem Essay Eine Weltbetrachtung: „Wie wird es im Weltall nach Jahrtausenden aussehen? Wird hier der Mensch als Uebermensch sein Szepter schwingen? Da raunte mir die Schlange ins Ohr: Ihr werdet sein wie Gott! Das ist das Wort, das mich traf. Dies Wort war das Wort des Sündenfalls, d.h. das Wort der menschlichen Kultur. Ja wir werden, nicht als Einzelne, aber als Menschheit eine Macht haben, die sich der Allmacht nähert. So spricht in mir der Verführer, und ich denke an Nietzsche: Greift ein ins Rad der Welt, ringt mit allen Kräften, arbeitet bis zur Erschöpfung daran, daß wir als Uebermenschen die Welt beherrschen!“88 Kohlers Auffassung von Geschichte als Kampf von Ideen, als dialektische Entfaltung 85 Vgl. dazu allgemein: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, Bürgerwelt und starker Staat, Broschierte Sonderausgabe München 1998, S. 440 ff. 86 Josef Kohler, Auf den Spuren Nietzsches, in: Zeitgeist, 1902, Nr. 45, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 5. 87 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, Bürgerwelt und starker Staat, Broschierte Sonderausgabe München 1998, S. 440 ff. 88 Josef Kohler, Eine Weltbetrachtung, in: Der Tag vom 2. Oktober 1902, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 12. Dementsprechend definierte Kohler Recht als „dasjenige Vernunfterzeugnis“, welches einer jeden Individualität die ihr gebührende Sphäre anweise und es dadurch ermögliche, dass „die Individualitäten in gedeihlichem Einzel- und Wechselverkehr die Zwecke des vernünftigen Daseins erfüllen.“ Das Recht war dabei Kohler zufolge so zu gestalten, dass es den Kulturaufgaben der Zeit und des Ortes am besten entsprach und deren Erfüllung am stärksten begünstigte, dass es „die bestimmungsgemässe Entwicklung des sozialen Organismus“ förderte und unterstützte. Siehe Josef Kohler, Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 4; Das Recht als Kulturerscheinung. Einleitung in die vergleichende Rechtswissenschaft, Würzburg 1885, S. 5.

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von Gegensätzen, endend mit deren Versöhnung in der Gegenwart des Betrachters, zeigt die Beeinflussung Kohlers durch Hegel. Ziel der Geschichte war Kohler zufolge „die vollkommene Menschheit“, der Geschichtsprozess der Weg dahin. Geschichte fand seiner Auffassung nach statt, „bis einst die Menschheit in unendlicher Anhäufung der Kulturwerte zur Gottähnlichkeit gelangt sei und der Weltprozess im Ewigen aufgehe.89 Baden unterlag durch die Ähnlichkeit in Lebensbedingungen und -gewohnheiten, Dialekt, durch den Austausch von Personen, Waren und Ideen starkem Einfluss durch das Elsass und die Eidgenossenschaft. „Daher komme es“, so erklärte 1849 der Republikaner Johann Philipp Becker, „daß Baden ebenso sehr von französischen Ideen überfluthe und von den Pariser Revolutionen umstimme, wie durch die schweizerischen Nachbarrepubliken, deren Freiheit die Bürgschaft ihres Wohlstandes sei, zum Verständniß demokratischer Staatsformen herangebildet und zur Nachahmung derselben angespornt werde.“90 Neue Impulse erlebte Offenburg auch durch den Bau der „Großherzoglich Badischen Staatseisenbahn.“ So war am 1. Juni 1844 die Eisenbahnstrecke Baden-Oos-Offenburg eröffnet worden, am 1. August 1845 war die Weiterführung nach Freiburg beendet. 1848 fuhr die Bahn bereits von Mannheim bis Schiengen, wodurch sich der Austausch von Waren, Personen und Nachrichten in bis dahin unvorstellbarem Maße verstärkte.91 In den Kaffee- und Wirtshäusern Offenburgs sowie in der von dem Liberalen Gustav Rée dominierten Lesegesellschaft war die Lektüre der neuesten Zeitungen möglich, was von der Bevölkerung auch reichlich genutzt wurde. In publizistischer Hinsicht lag Offenburg zwischen den beiden Presseschwerpunkten Mannheim, Heidelberg und Konstanz. Karlsruhe und Freiburg traten als Nebenzentren dazu.92 „Hier herrschte ein ständiger politischer Wirbel, so erinnerte sich Kohler später, ein immerwährendes Streben nach Neuheit, nach politischer Umgestaltung [. . .], der politische Geist drang durch alle Interessen hindurch.“93 Es sei nicht zu leugnen, betonte er, „dass auch ein so starker politischer Zug wie dieser süddeutsche, zu unserer politischen Reifung beitragen musste, ebenso wie die scharfe, politische Geschlossenheit des brandenburgischen Geistes; und es hat mir immer sehr leid getan, dass mein hochsinniger und edeldenkender Kollege Treitschke in seiner überschießenden Rhetorik diesem süddeutschen Wesen so wenig Gerechtigkeit widerfahren ließ.“94 89

Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/8), S. 9. Johann Philipp Becker/Chr. Essellen, Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution des Jahres 1849, Genf 1849, S. 51. 91 Franz X. Vollmer, Offenburg 1848/49, Karlsruhe 1997, S. 37. 92 Franz X. Vollmer, Offenburg 1848/49, Karlsruhe 1997, S. 40 f. 93 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 4. 94 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 5. 90

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Kohlers politisches Bewusstsein sollte in den Jahren 1865/66 erwachen. Dabei zeigte er im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute zunächst starke Begeisterung für die Person Bismarcks, den er – machte er ihm auch die Sozialistenverfolgung und den Kulturkampf zum Vorwurf – doch als einen der größten Staatsmänner bezeichnete, die Deutschland je besessen habe.95 Seine Geburt, erinnerte sich Kohler im Rückblick, sei in eine bewegte Zeit gefallen, gefolgt von zehn Jahren der Reaktion. Er selbst, führte er aus, habe davon wenig verspürt; er erinnere sich aber, „wie die Preußen abzogen, wie die ersten Eisenbahnen fuhren, [ . . .], wie man später, anstatt einem nationalen Helden, dem Francis Drake ein Denkmal setzte, [. . .] und wie ferner, nachdem der Bann der Reaktion gebrochen war, die Epoche der Schützenfeste, der Fahnenweihen und des Pompiers anbrach, bis endlich die schleswig-holsteinsche Frage die Geister wieder auf die Erde zurückführte und die gewaltige Gestalt Bismarcks sichtbar wurde, über den man allerdings nirgends mehr schimpfte als damals in meiner Vaterstadt.“96 „Mitten in unser idyllisches Dasein [. . .] wetterleuchtete es plötzlich. Schon im Winter machten Reibereien zwischen der österreichischen und preußischen Garnison viel zu schaffen. Noch erinnere ich mich an die Wachtfeuer, die dort auf der Hauptstraße aufgestellt waren, die Österreicher auf der einen, die Preußen auf der anderen Seite, die Badener in der Mitte. Doch es sollte bald anders kommen. Die riesige unheimliche Gestalt Bismarcks warf ihre Schatten bis in unsere Verhältnisse; [. . .] Nun [. . .] folgte Schlag auf Schlag das Blindsche Attentat und dann der Krieg zwischen Preußen und Österreich. Wir sahen zuerst das preußische Militär abziehen, ohne Zuneigung in der Bevölkerung, ja von stillem oder lautem Haß begleitet; und sodann die Österreicher [. . .] Die Schlacht von Königgrätz war geschlagen, der Deutsche Bund aufgelöst; die Neuordnung der Dinge begann. [. . .] In jenen Tagen stieg die politische Reifung in uns auf [. . .] war uns bereits die Erleuchtung zuteil geworden, und wir kannten die Ziele Deutschlands, nach denen wir fürder streben und denen wir unser Leben weihen sollten.“97

III. Studienzeit in Freiburg und Heidelberg (1867–1873) „Nach dem Abitur trug ich eine unklare Welt voller Hoffnungen in der Brust; über die Wahl des Berufes war ich noch sehr unsicher: Naturwissenschaften oder Sprachen, auch Geschichte lockten mich in gleicher Weise. Da verschmähte ich alles, was damals mein Herz bewegte, und wandte 95 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Deutschlands Jugendkraft, S. 9. 96 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 6. 97 Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906.

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mich der Jurisprudenz zu.“98 1867 immatrikulierte sich Kohler für Jura in Freiburg, wo er vier Semester verbrachte.99 Nach eigenen Angaben bereute er diese Entscheidung nicht: „[. . .] ich glaube nicht, daß ich mich in irgendeinem Fach so heimisch gefühlt hätte wie in diesem, und alle meine bisherigen Studien kamen mir bei dieser Wissenschaft zu statten; denn ich hätte ohne sie als Jurist bei weitem weniger zu leisten vermocht. [. . .] Die scharfe Logik der Jurisprudenz, ihre fast dichterische Konstruktion, die Tiefe und Gestaltungskraft der menschlichen Vernunft, ihre Begründung auf der festen Basis menschlicher Verhältnisse, alles das sind Dinge, welche einen unendlichen Zauber in sich tragen, und ich kann nicht begreifen, wie man diese Wissenschaft, in der eine fast dichterische Intuition waltet, jemals als trocken bezeichnen konnte.“100 Da sein Vater inzwischen wegen „Kränklichkeit und Altersschwäche“ in den Ruhestand versetzt worden war und kein weiteres Vermögen besaß, war Kohler von der Entrichtung der Kollegiengelder befreit worden.101 Während seiner Studiensemester in Freiburg verlobte er sich mit einem jungen Mädchen aus Zell, der Geburtsstadt seiner Mutter, das später einen anderen Bewerber vorzog, der vermögender gewesen sein soll.102 In der Folgezeit setzte er alles daran, noch zwei oder drei Semester in Heidelberg zuzubringen, von wo er Wunderdinge gehört habe über die zündende Kraft Vangerows und das physische und seelische Feuer Renauds. Im Frühjahr 1869 wechselte er nach Heidelberg.103 Heidelberg wurde jedoch, was das Studium anbelangt, eine ziemliche Enttäuschung. Er hörte Vorlesungen bei Renauld, Bluntschli, Vangerow, Hillebrandt, Engaggel, von Worringen, Rosshirt, Fritz und Schmidt.104 Keiner der Professoren – insbesondere nicht die beiden in Heidelberg für ihn wichtigsten Professoren Vangerow und Renaud – vermochte ihn in seinen Bann zu ziehen oder auch nur wesentlich anzuregen. Bei dem Romanisten Karl Adolf von Van98

Josef Kohler, Vom Lebenspfad, Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 7. GLA 234/2643, S. 1. 100 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 7. 101 GLA 234/2643, S. 1. 102 Ingeborg Malek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 17. 103 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 27; Siehe auch das von dem Rechtsgelehrten Johann Caspar Bluntschli unterzeichnete „Studien- und Sittenzeugnis“ der Großherzoglich Badischen Universität Heidelberg, das attestiert, dass sich Kohler vom 24. April 1869 bis zum 21. April 1870 in Heidelberg „aufgehalten“ habe, GLA 234/2643. Im Bereich Rechtswissenschaften gehörte die Heidelberger Universität im 19. Jahrhundert neben Göttingen nach Berlin zu den meistbesuchten deutschen Universitäten, vgl. Gerhard Köbler, Zur Herkunft der deutschen Rechtslehrer im 19. Jahrhundert, in: Festschrift für Walter Mallmann, hrsg. von Otto Triffterer/Friedrich von Zeschwitz, Baden-Baden 1978, S. 128. 104 „Studien- und Sittenzeugnis“ der Großherzoglich Badischen Universität Heidelberg, GLA 234/2643. 99

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gerow (1808–1870) hörte er römisches Recht. In Deutschland dominierte damals noch die auf dem römischen Recht beruhende Pandektenwissenschaft, und vor allem Vangerow stützte seine Vorlesungen noch ausschließlich auf das corpus iuris. Vangerows jeweils im Wintersemester Mitte Oktober bis Mitte März gehaltenen Pandektenvorlesungen waren in ganz Deutschland berühmt und wurden von Hunderten von Studenten täglich drei bis vier Stunden gehört.105 Sein Lehrbuch106 behandelte, ungeachtet der praktischen Anwendbarkeit, den ganzen Stoff des corpus iuris. „Den Lehrstuhl, welchen er (Vangerow) im Herbste 1840 zum ersten Male betrat“, so erinnerte sich sein ehemaliger Schüler Stintzing an den seinerseits so berühmten Heidelberger Rechtslehrer, „und dreißig Jahre lang bekleidete, hat er zu einem Glanze erhoben, wie er keinen anderen gleichzeitig umgab. Die Räume des großen Pandekten-Saales reichten bald nicht mehr aus, um die aus allen Teilen Deutschlands herbeiströmenden Zuhörer zu fassen und mussten durch bauliche Veränderungen vergrößert werden [. . .]“107 Kohler, der nach eigenen Angaben zunächst selbst der „verführerischen Macht der formalen Dialektik des römischen Rechts“ erlegen sei und nächtelang Papinianstellen studiert habe, hielt die Methoden der Historischen Rechtsschule, d.h. jener Richtung juristischen Denkens und juristischer Methodik, die das geschichtlich gewordene Recht, vor allem jenes der klassischen römischen Jurisprudenz, als Lehrmeisterin und Muster für die Gestaltung des Rechts in Gegenwart und Zukunft betrachtete,108 für überkommen. Er warf ihr vor, über den Gedanken an das gewordene Recht den Gedanken an die Gerechtigkeit vergessen zu haben und daher den Anforderungen der Gegenwart nicht gerecht geworden zu sein. Über Vangerow urteilte er rückblickend, dieser sei „eine edle und lautere Natur ohne Falsch und Arg“ gewesen,109 doch einer derjenigen, „die im Leben nichts lernen und nichts vergessen. Wohl hatte er in den Pandekten schrecklich viel hinzugelernt, aber von dem auftauchenden modernen Leben und seinen Anforderungen hatte er keine Ahnung, und eine Frage des veralteten römischen Rechts interessierte ihn mehr als eine schuldrechtliche Lehre, mit welcher die ganze deutsche Industrie und die ganze deutsche Arbeiterwelt in Zusammenhang standen. Es war, als wäre die Welt seit Justinians Zeiten 105 Siehe Ernst Landsberg, Vangerow, in: ADB Band 39, Neudruck der 1. Auflage von 1895, Berlin 1971, S. 481. 106 Karl Adolph von Vangerow, Lehrbuch der Pandekten, Marburg 1863. 107 Roderich von Stintzing, Vangerow, in: Badische Biographien, Theil II, hrsg. von Friedrich Otto Aristides von Weech, Heidelberg 1875, S. 382 ff. 108 Siehe etwa Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, Berlin 1840, S. XIV f.; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 348–458. 109 Manuskript „Der Heroenkult im Recht“, Nachlass Kohler, Kasten 2.

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stehengeblieben.“110 Dazu, so Kohler, sei bei Vangerow der Kanzelton der Überzeugung gekommen. Oft habe man den Eindruck gehabt, „einen heiligen Franziskus zu hören, der die frohe Botschaft verkündet, und schmerzlich und elegisch war seine Stimme, wenn er die Ketzer erwähnte, die nicht seines Glaubens waren –.“111 In Heidelberg wurde Kohler bald von dem Gedanken erfasst, dass in der Gegenwart ganz andere Grundsätze gälten und etwa das bis zur Einführung des BGB in Baden in Form des badischen Landrechts geltende französische Zivilrecht112 etwas ganz anderes lehre. Die Idee, nicht bloß zu einer Generation „rechtlicher Epigonen“ gehören zu wollen, sondern „Schöpfer und Bildner eines neuen Rechts“ zu sein, ließ ihn fortan nicht mehr los.113 „Das, was ich wollte“, so sagte er im Rückblick, „konnte ich damals nicht finden: ich fand es erst, als das deutsche Reich uns eine eigene Gesetzgebung bot.“114 Als freier empfand Kohler das Denken seines Lehrers Achilles Renaud, der französisches Zivilrecht lehrte und, so Kohler im Jahre 1901, auch als wissenschaftlicher Forscher wesentlich Franzose gewesen sei. So habe Renauld Kohler zufolge einerseits nicht nur Sinn für praktische Fragen gehabt, sondern auch die Rechtsprechung verfolgt, andererseits „aber nicht die Fähigkeit gehabt zu konstruieren und die wissenschaftlichen Probleme zu lösen.“115 Einige Zeit hörte Kohler in Heidelberg auch Johann Caspar Bluntschli,116 dessen Verdienste bei der Verfassung des Züricher Gesetzbuches und der Förderung der Wissenschaft des Völkerrechts ihn schon damals sehr beeindruckten. Er zog die Lektüre der Schriften 110 Josef Kohler, Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 226 f. 111 Manuskript „Der Heroenkult im Recht“, Nachlass Kohler, Kasten 2. 112 Zur Fortgeltung französischen Rechts im linksrheinischen Deutschland siehe auch Werner Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln/Wien 1977; Elmar Wadle, Französisches Recht und deutsche Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Reiner Schulze (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfasssungsgeschichte, Berlin 1991, S. 201–220. 113 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 29. 114 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 7. 115 Josef Kohler, Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 227. 116 Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) war seit 1860 Professor für Staatsrecht und Staatswissenschaft in Heidelberg, wo er viele Jahre als Mitglied der Ersten Kammer auch politisch tätig war. Das bedeutendste Werk seiner Heidelberger Zeit „Das moderne Völkerrecht der zivilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt“, gedacht als Entwurf für eine zukünftige Kodifikation des Völkerrechts, erlangte internationale Geltung. Als Mitbegründer der 1873 in Gent gegründeten völkerrechtlichen Akademie „institut du droit international“ wirkte Bluntschli auch praktisch für die Fortschritte des Völkerrechts, vgl. Heinrich Mitteis, Bluntschli, in: NDB, Band 2, Berlin 1955, S. 337 f.

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Bluntschlis jedoch dem Besuch dessen Vorlesungen vor, da der Vortragsstil Bluntschlis, so Kohler, „nicht sehr anziehend“ gewesen sei.117 So habe man Kohlers Ansicht nach in Bluntschlis Vorlesungen „kaum einen Begriff von den Verdiensten des Mannes“ bekommen, der „die Wissenschaft des Völkerrechts wie wenige gefördert“ habe.118 Kohlers Einstellung gegenüber seinem späteren Kollegen Heinrich von Treitschke der einen großen Teil der deutschen Akademikerschaft seiner Zeit für eine „Weltpolitik“ Deutschlands begeisterte,119 war von Anfang an gespalten. Einerseits fühlte er sich „entzündet“ durch die Sprachgewalt und das „hinreißende Temperament“ Treitschkes; andererseits stießen ihn „die Einseitigkeit seiner Auffassung, die Herbheit, mit der er uns Süddeutsche“ behandelte, und der Mangel eines richtigen Verständnisses für das „süddeutsche Wesen“ schon damals ab.120 Kohler vermisste in Heidelberg moderne Impulse. Seinem Urteil zufolge habe man in Heidelberg alles andere kennengelernt, „nur nicht die Welt“. Die Vorlesungen hätten sich damals nahezu auf dem Stande wie zwanzig Jahre zuvor bewegt. Auch vom praktischen Leben der Deutschen, so Kohler, sei wenig zu verspüren gewesen. Sein „inniges Streben nach Vereinigung von Praxis und Theorie, nach einer Durchgeistigung des wirklichen Lebens“, führte er aus, habe dort nicht erfüllt werden können. „Eine Politik in großen Zügen, eine weltbeherrschende Industrie, ein Welthandel,“ alles das sei in Heidelberg nicht zu finden gewesen.121 Nach eigenen Angaben stellte er sich nach Ausbruch des deutsch-französischen Krieges vergebens der Militärbehörde in Rastatt, wurde aber wegen schwacher körperlicher Konstitution zurückgewiesen.122 Der Krieg sollte Kohler zufolge „unsere kühnsten Erwartungen übertreffen“ und „uns das deutsche Reich bieten [. . .], unter dessen Gesetzgebung mir erst das Leben recht lebenswerth zu sein dünkte.“123 Anfang 1871 legte Kohler das Erste juristische Staatsexamen mit dem Prädikat „Vorzüglich“ ab.124 Im darauf117

Josef Kohler, Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916. Josef Kohler, Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 227. 119 Siehe Georg Iggers, Heinrich von Treitschke, in: Deutsche Historiker, Band II, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1971, S. 66, 78. 120 Josef Kohler, Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 228; Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916. 121 Josef Kohler, Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 228. 122 Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906. 123 Josef Kohler, Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902, S. 7. 124 Zeugnis, ausgestellt am 2. März 1871 durch das Großherzoglich Badische Justizministerium, GLA 234/2643. 118

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folgenden Jahr lernte er Ida Pflüger aus Pforzheim kennen. Deren Mutter, die Witwe eines Schulrats, war zunächst etwas besorgt und bat eine Bekannte, sich nach Kohler zu erkundigen. Im August 1872 erhielt sie einen Brief, in dem es hieß: „Herr Kohler ist nicht nur ein äußerst solider, sondern auch ein außergewöhnlich talentvoller und strebsamer junger Mann, der ohne Zweifel eine bedeutende Carriere machen wird. Seit vielen Jahren soll kein so vorzügliches Examen gemacht worden sein, wie sein erstes ausfiel.“125 Am 28. Januar 1873 promovierte Kohler in Freiburg „insigni cum laude“ mit einer Arbeit über französisches Privatrecht „De portione legitime juris Franco Galli“.126 Im selben Jahr bestand er das zweite Staatsexamen, ebenfalls mit der Auszeichnung „Vorzüglich“,127 was in den Juristenkreisen des badischen Großherzogtums „geradezu Aufsehen“ erregte.128 Das Erlebnis der Reichsgründung verstärkte Kohlers Begeisterung für Bismarck, insbesondere für dessen Außenpolitik. Die Bewahrung und Sicherung der 1871 erlangten Großmachtstellung des Deutschen Reiches wurde zu einer der Leitlinien seines politischen Denkens.

IV. Bürgerliche Etablierung: Familiengründung und Referendariat in Mannheim (1873–1878) 1873 heiratete Josef Kohler Ida Pflüger. 1874 wurde der erste Sohn geboren, der nach Schopenhauer „Arthur“ getauft wurde. 1882 kam der zweite Sohn, Rudolf, zur Welt.129 Die fünf Jahre dauernde praktische Amtszeit in der Industrie- und Handelsstadt Mannheim begann Kohler 1873 als Anwaltsassessor. 1874 wurde er Amtsrichter, 1876 Kreisgerichtsrat.130 In Mann125 Zit. nach Ingeborg Malek-Kohler/Heinz Püschel, Auf den Spuren Josef Kohlers, in: UFITA 139 (1999), S. 18. 126 Vgl. Universitätsarchiv der Humboldt-Universität, Personalakte Josef Kohlers, Universitätskuratorium, K 244, Blatt 2; Arthur Kohler am 16. Februar 1949 an Hermann Kantorowicz, Nachlass Kantorowicz C 36/22 II/2e; D’r alt Offeburger Nr. 1705 vom 26. März 1932. 127 Examenszeugnis, ausgestellt am 21. Mai 1873 durch das Großherzoglich Badische Ministerium des Großherzoglichen Hauses, der Justiz und des Auswärtigen, GLA 234/2643. 128 Vgl. Albert Osterrieth, Josef Kohler. Ein Lebensbild, Berlin 1920, S. 8, demzufolge der „Ruhm der Kohlerschen Prüfung“ „fast sagenhaft“ noch Jahre überdauert habe. Ebenso Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 129 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reichs. Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, S. 26. 130 Seit dem 1. Februar 1876 bezog Kohler ein Gehalt von 2000 Mark, siehe Schreiben des Badischen Ministeriums vom 1. April 1876, siehe GLA 234/2643.

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heim entwickelten sich sowohl sein schriftstellerischer Schaffensdrang als auch sein Interesse am Patentrecht, nachdem sich ein Erfinder aus der bayerischen Pfalz mit der Frage an ihn gewandt hatte, ob eine Erfindung schon vor der Patenterteilung in eine Gesellschaft eingebracht werden könne und ob im Falle der Auflösung der Gesellschaft das inzwischen genommene Patent dem Erfinder gehöre oder in das Gesellschaftsvermögen falle.131 Zu dieser Frage veröffentlichte Kohler 1875 in den Badischen Annalen eine kurze Abhandlung.132 Der Kampf um den Patentschutz ging damals gerade zu Ende;133 der Reichstag beriet über ein deutsches Patentgesetz, das schließlich 1877 erging.134 Die deutschen Juristen waren durch ihre am römischen Recht orientierte wissenschaftliche Ausbildung nur unzureichend auf technische und ökonomische Fragen vorbereitet. Dies kam jungen Rechtswissenschaftlern wie Josef Kohler oder Carl Gareis zugute, für die die juristische Bearbeitung technischer und ökonomischer Themen zum Sprungbrett für eine akademische Karriere wurde.135 1877 und 1878 erschien Kohlers zweibändiges (739 Seiten umfassendes) Werk Deutsches Patentrecht,136 mit dem er nicht nur die Wissenschaft des Patentrechts begründete, sondern das auch Grundlage der Judikatur des Reichsgerichts und des Patentamts wurde.137 Kohlers Lehre vom Immaterialgüterrecht zufolge stand hinter jeder Idee ein imaginäres Bild mit schützenswertem Gehalt, der auch bei Veränderungen des Werkes immer wieder zu erkennen sei. Das „geistige Eigentum“ stellte danach kein Eigentum dar, sondern lediglich ein eigentumsartiges Recht an dem sich in dem imaginären Bild widerspiegeln131 Josef Kohler, Wie ich zum Patentrecht kam, in: Berliner Tageblatt vom 10. Oktober 1910. 132 Abgedruckt in: Patentrechtliche Forschungen, Mannheim 1888, S. 116. 133 Die Anhänger der Antipatentbewegung vertraten unter Berufung auf die Freihandelslehre die Auffassung, die Erteilung eines Patents stelle die Errichtung eines Monopols durch Gesetzeszwang dar und hemme die Gewerbefreiheit, vgl. Marcel Silberstein, Erfindungsschutz und merkantilistische Gewerbeprivilegien, Zürich 1961, S. 276. 134 Patent-Gesetz vom 25. Juli 1877, Reichs-Gesetzblatt 1877, Nr. 1193, S. 501–510. In Amerika war die Verwertung von Erfindungen bereits 1790, in Frankreich infolge der Revolution 1791, in England 1852 geregelt worden. Siehe auch Katrin Feldmann, Die Geschichte des französischen Patentrechts und sein Einfluß auf Deutschland, Münster 1998, S. 172. 135 Siehe dazu auch Margrit Seckelmann, Industrialisierung, Internationalisierung und Patentrecht im Deutschen Reich, 1871–1914, Frankfurt a. M. 2006. 136 Deutsches Patentrecht, systematisch bearbeitet unter vergleichender Berücksichtigung des französischen Patentrechts, Mannheim/Straßburg, 1878, Vorwort (November 1877), S. V. 137 Josef Kohler zum Gedächtnis. Rede des Geheimen Justizrats Professor Dr. Ernst Heymann, Prodekans der Juristischen Fakultät der Universität, Berlin 1920, S. 8.

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

den Erfindungsgut.138 Diese Lehre setzte sich nicht nur in der deutschen, sondern auch in der österreichischen und schweizerischen Wissenschaft durch.139 Da das in Deutschland über Jahrhunderte gelehrte und bearbeitete römische Recht kein Patentrecht kannte, hatte sich Kohler an der französisch-rechtlich bestimmten Rechtspraxis und dem französischen Patentrecht von 1791 orientiert.140 Hierin ist eine der Besonderheiten Kohlers zu sehen. In einer Zeit, in der man sich in Deutschland noch unter Einfluss der Hegelianischen Staatsauffassung dem westlichen Rechtsdenken gegenüber verschloss141 und jede Form von Internationalismus abfällig als „deutschen Kosmopolitismus“, als „charakterlose Ausländerei“ bezeichnete,142 beschäftigte er sich mit ausländischem Recht und nahm am internationalen Diskurs teil.143 Kohlers erste Arbeiten waren durch drei Umstände geprägt, die für seine juristische Tätigkeit bestimmend sein sollten, zum einen sein Interesse für neue juristische Probleme in Verbindung mit seiner Aufgeschlossenheit gegenüber wirtschaftlichen und technischen Neuerungen,144 zum zweiten die profunde Kenntnis des französischen Rechts und zum dritten seine moderne Anschauung von der Aufgabe des Richters bei der Rechtsfortbildung. 138

Josef Kohler, Die Idee des geistigen Eigentums, in: AcP 82 (1894), S. 154,

157. 139

Vgl. Wolfgang Fikentscher/Simone Theiss, Josef Kohler und das Monopol: Ein Schlüssel zu TRIPs vs. WIPO, in: Johann Adrian/Wilhelm Nordemann/ArturAxel Wandtke (Hrsg.), Josef Kohler und der Schutz des geistigen Eigentums in Europa, Berlin 1996, S. 55 f. 140 Es gab bis dahin nur eine ausführliche Darstellung dieses Rechtsgebiets in deutscher Sprache, das Werk Rudolf Klostermanns, Die Patentgesetzgebung aller Länder, Berlin 1869. 141 Vgl. Hermann Isay, Die Isolierung des deutschen Rechtsdenkens, Berlin 1924; Ernst Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, in: Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht 13 (1924), S. 279. 142 Leopold von Wiese, Krieg und Internationalismus, in: Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre 10 (1914), S. 204. 143 Vgl. auch Josef Kohler, Besprechung von Anders in: Deutsche Literatur-Zeitung 1882, Sp. 179: „Die Nichtberücksichtigung von Literatur bei unserem Stoffe [muß] nicht nur als „Unvollständigkeit“ sondern auch als Mangel bezeichnet werden.“ Bezeichnend für die Teilnahme Kohlers am internationalen Diskurs ist folgende Begebenheit, die Hermann Kantorowicz später berichtete. Er, Kantorowicz, habe als junger Doktor der Rechte bei Simmel Philosophie studiert und dort ein Referat über einen in der „Rivista di Sociologia“ erschienenen Aufsatz halten sollen. Keine deutsche Biblothek besaß die Zeitschrift. Als er die Redaktion in Rom um Rat fragte, schrieb sie, der einzige deutsche Abonnent sei der professore Giuseppe Kohler, der ihm die Zeitschrift dann großzügig ausgeliehen habe. Hermann Kantorowicz, Erinnerungen an Josef Kohler, in Bensheimers Studentenführer für Rechtsund Staatswissenschaften, Heft 1, Herbst 1925, S. 7. 144 Siehe hierzu auch Barbara Dölemeyer, „Das Urheberrecht ist ein Weltrecht“. Rechtsvergleichung und Immaterialgüterrecht bei Josef Kohler, in: Historische Studien zum Urheberrecht, hrsg. von Elmar Wadle, Berlin 1993, S. 142.

A. Jugendjahre

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Diese Auffassung lässt sich aus dem Umstand erklären, dass Kohler während seiner Tätigkeit in Mannheim mit Fällen aus neuen Rechtsgebieten in Berührung kam, bei denen die gestaltende Funktion der Rechtsprechung weitaus stärker gefordert wurde, als es dem damals noch weithin herrschenden Bild des Richters als reinen Rechtsanwenders entsprach. „Wir sind Gestalter des Rechts“, rief er auf, „nicht Sklaven des Gesetzes; wer Sklave des Gesetzes sein will, ist kein Jurist der Gegenwart.“145 Auch in seiner Schrift Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz aus dem Jahre 1884 trat er für das „richterliche Recht“ gegenüber dem gesetzlichen Recht ein, für die Freiheit des Richters, Recht und Gesetz so auszulegen, dass das Gericht niemandem verhilft, Unrecht zu tun. Er verlangte unter Hinweis auf das Vorbild Englands und Roms die gestaltende, rechtsbildende Tätigkeit des Richters für die deutschen. Man habe ihm seiner Zeit, erinnerte er sich später, wegen dieser Aufstellung Willkür, Hinüberschreiten über den wirklichen Inhalt der lex lata und damit eben das vorgeworfen, was ihm, so Kohler, überhaupt die alte Juristenschule vorzuwerfen pflege, welche noch nicht glaube, dass die deutschen Juristen ebenso zu freier Gestaltung des Gesetzesmaterials berechtigt seien wie die römischen und englischen. Glücklicherweise aber, schloss er seine Ausführungen, bewirke der Fortschritt eines Jahrzehnts oft, was keiner Argumentation gelinge.146 Kohler wurde damit zum Vorläufer der sogenannten Freirechtsschule, die um die Jahrhundertwende um den österreichischen Rechtssoziologen Eugen Ehrlich (1862–1922) entstand und der u. a. auch Hermann Kantorowicz (1877–1940), Ernst Fuchs (1859–1929) und Hermann Isay (1873–1938) angehörten. Sie alle kritisierten das Dogma des Rechtspositivismus von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung und der daraus abgeleiteten Behauptung, die Rechtsordnung sehe für jeden Fall eine Lösung vor, weshalb der Richter bloß richtig subsumieren müsse. Kohler und in seiner Nachfolge die Freirechtsschule betonten die Funktion des Richters als eigenverantwortlichem Organ der Rechtsanwendung und -fortbildung. Ehrlich zufolge war der Richter eben kein „Subsumtionsautomat“, nicht lediglich „la bouche, che prononce la parole de la loi“ (Montesquieu). Man forderte dabei keine arbiträre Rechtsprechung ohne Bindung an das Gesetz, sondern im 145 Josef Kohler, Neue autorrechtliche Studien, in: GRUR 24 (1919), S. 1; siehe auch ders.: Die Idee des geistigen Eigentums, in: AcP 82 (1894), S. 147 f.: „Als ich seiner Zeit die Idee aufstellte, dass die Richter sich schon tausendfach über die gegebenen Konstruktionen erhoben und damit ihrem Rechtsbewusstsein einen Ausbruchspunkt verschafft haben [. . .], so hörte ich von vielen Seiten einen Schmerzensschrei, und dieser ist noch nicht völlig verstummt. Man hat den Schatten Windscheids gegen mich aufgerufen, doch ich fürchte mich weder vor Todten noch vor Lebenden, mein einziges Ziel ist die Idee des Wahren und die Idee des wissenschaftlichen Fortschritts.“ 146 Josef Kohler, Autorrechtliche Studien, in: AcP 85 (1896), S. 374, Anm. 35.

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

Gegenteil vom Richter Gesetzestreue, wenn sich ein Fall anhand des Gesetzes entscheiden ließ. Lediglich bei Vorliegen einer Lücke sollte der Richter ohne explizite gesetzliche Grundlage, aber „im Geiste des bestehenden Rechtes“ entscheiden dürfen.147 Es bestanden geistige Verbindungslinien Kohlers zu den Rechtsvergleichern des beginnenden 19. Jahrhunderts wie Johann Anselm Feuerbach, Anton Friedrich Justus Thibaut, Eduard Gans, Carl Salomo Zachariä und Carl Josef Anton Mittermaier, die sich wie Kohler von der Historischen Schule Savignys und deren Konzentration auf das in Deutschland „geltende römische Recht“ oder gar auf einen nationalistisch verengten germanisch-deutschen „Volksgeist“ abwandten. Der moderne, französisch orientierte Verfassungsstaat Baden, in dem man sich ein Nationalgesetzbuch wünschte, sich mit französischem Zivilrecht befasste und die ausländische Verfassungsbewegung im Auge behielt, bot der Rechtsvergleichung ein besonderes Umfeld.148

B. Wissenschaftlicher Aufstieg Der folgende Abschnitt behandelt den wissenschaftlichen Aufstieg Kohlers, der sich selbständig, ohne Einführung durch Lehrer oder Schulrichtungen, aufgrund seiner weit überdurchschnittlichen Begabung und umfassenden Gelehrsamkeit seinen Weg in die Wissenschaft gebahnt hat.

I. Würzburg – Die Berufung eines Nichthabilitierten (1878) In der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg suchte man im Sommersemester 1878 einen Nachfolger für den verstorbenen Hofrath Dr. von Albrecht auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts. Der Giessener Professor Lothar Seuffert hatte den Ruf nach Würzburg abgelehnt, und auch andere Berufungsverhandlungen waren ohne Erfolg verlaufen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, den Lehrstuhl mit einem habilitierten Wissenschaftler zu besetzen, und angeregt durch den Würzburger Romanisten Ferdinand Regelsberger,149 versuchte man Josef Kohler, dessen Aufsatz über „Stam147 Andreas Gängel, Der Richter und seine Rechtsfindung im Licht der Freirechtslehre, in: Deutsche Rechts- und Sozialphilosophie um 1900, hrsg. von Gerhard Sprenger, ARSP Beiheft N. F. 43 (1991), S. 126 f. 148 Vgl. Michael Stolleis, Nationalität und Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998, S. 10; Elmar Wadle, Einhundert Jahre rechtsvergleichende Gesellschaften in Deutschland, Baden-Baden 1994, S. 13–16; Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. Band 1: Grundlagen, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 61.

B. Wissenschaftlicher Aufstieg

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meseinheit und Nachberufung“150 die Aufmerksamkeit der romanistischen Fakultätsmitglieder auf sich gezogen hatte, und der „als ein Mann von ungewöhnlichem Talent, umfassendem Wissen und seltener Schärfe des Urteils“ galt,151 für den Lehrstuhl zu gewinnen. Die Mitglieder der Fakultät hielten sich angesichts des Umstandes, dass es zwar „nicht eine häufige, wenngleich auch nicht eine beispiellose Erscheinung“ sei, „dass ein Mann unmittelbar aus der Praxis in die Stellung eines ordentlichen Professors berufen“ werde, dazu „verpflichtet“, so der Dekan der Fakultät, der Rechtshistoriker Richard Schroeder (1838–1917), die Berufung des nicht habilitierten 29jährigen Richters „eingehender als sonst üblich“ zu begründen. Ein Mitglied der Fakultät, so wurde weiter ausgeführt, habe über Kohler in Mannheim Erkundigungen angestellt und sich durch ein mehrstündiges persönliches Gespräch mit diesem selbst einen eigenen Eindruck verschafft. Das Ergebnis dieser Schritte sei so günstig ausgefallen, dass die Fakultät nunmehr nicht anstehe, Herrn Kohler für die zu besetzende ordentliche Professur in Vorschlag zu bringen. Kohler erscheine, so habe man in Mannheim erfahren, in den badischen Juristenkreisen zum Richter am künftigen badischen Oberlandesgericht „prädestiniert“. Obwohl er erst vor wenigen Jahren seine juristische Ausbildung beendet habe, habe er sich „als Schriftsteller bereits einen ehrenvollen Namen erworben. [. . .] Fachkollegen erwarten nach seinen bisherigen Leistungen von ihm noch ganz Hervorragendes im Gebiete der Jurisprudenz.“ Weitere Arbeiten würden diesen Eindruck mehr als bestätigen. Kohler erweise sich darin „zugleich als ein philosophisch und philologisch geschulter Kopf.“ Sein soeben erschienenes Werk Deutsches Patentrecht habe „ihm jetzt schon den Ruhm erworben, dass dasselbe die bisherigen Behandlungen desselben Gegenstandes weit hinter sich“ lasse. Was wissenschaftliche Tüchtigkeit anbelange, könne sich nicht eine einzige der für den Lehrstuhl in Betracht kommenden Persönlichkeiten „mit Kohler auch nur im entferntesten messen.“ Des Weiteren habe er aus Liebe zur Sache und ohne amtlichen Auftrag Rechtskandidaten in praktischen Übungen für das zweite juristische Staatexamen mit glänzendem Erfolg vorbereitet. Die aus dieser Tätigkeit erwachsenen Veröffentlichungen zeigen, so heißt es weiter, „keine trockene Gelehrsamkeit, da spricht überall Leben, da tritt uns eine solche Verbindung von Theorie und Praxis entgegen, wie sie die heutige Zeit vielleicht mehr als irgendeine erheischt“. Der Würzburger Fakultät 149 Josef Kohler, Meine Beziehungen zu Jhering, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911. 150 Josef Kohler, in: AcP 59 (1876), S. 87–148. 151 Bericht der Juristischen Fakultät zum Königl. academischen Senat der Universität Würzburg vom 28. Mai 1878 die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Civilproceß betreffend, Personalakten Josef Kohlers, Archiv des Rektorats und Senats der Universität Würzburg, Nr. 594.

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

erscheine es daher fast undenkbar, dass ein Mann [. . .], der so gewandt in der analytischen Methode und so reich an schlagenden Beispielen aus allen Gebieten des menschlichen Lebens und Wissens ist, [. . .] ein schlechter Dozent sein sollte.“ Auch der zu Rate gezogene Leipziger Pandektist Bernhard Windscheid152 hatte sich der Würzburger Fakultät gegenüber günstig geäußert: „Ich habe [. . .] ihn [. . .] immer für ein außergewöhnliches Talent gehalten, eines von jenen seltenen Talenten, in welchen sich Denkkraft und Phantasie verbindet.“153 Am 18. Juni 1878 richtete der Senat der Universität Würzburg nach Ermächtigung durch das Königl. Bayerische Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten das Berufungsangebot an den großherzoglich badischen Kreisgerichtsrat Dr. Kohler. Dieser nahm den Ruf mit Schreiben vom 20. Juni 1878 zum 1. Oktober 1878 an; am 2. Juli unterzeichnete der bayerische König Ludwig II. die Ernennungsurkunde. Kohler zog mit seiner Familie im Oktober nach Würzburg. Am 12. Oktober leistete er den Verfassungs- und Diensteid.154 Parallel zu seinen Vorlesungen, die das ihm übertragene Pensum weit überstiegen, wandte sich Kohler in Würzburg verstärkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu. Ausgehend vom Patentrecht arbeitete er noch auf verwandten Gebieten wie dem Wettbewerbs-, Markenzeichen- und Urheberrecht, wobei er auch hier einer der ersten war, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzten.155 1883 erschien Kohlers Werk Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, das noch bis zu seiner Neuauflage im Jahre 1919 für Aufsehen sorgte,1561888 die Schrift Das Wesen der Strafe. Kohler befasste sich aber nicht nur mit nahezu allen Rechtsgebieten, Geschichte, Philosophie und Sprachwissenschaften, sondern auch mit Kunst und Musik. Ein Professor sollte seinem Verständnis nach ein allgemein gebildeter Mann 152 Bernhard Windscheid (1817–1892), Pandektist, vgl. Roderich von Stintzing/ Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abteilung III, Bd. 2, München 1910, S. 854–865. 153 Bericht der Juristischen Fakultät zum Königl academischen Senat der Universität Würzburg vom 28. Mai 1878, die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Civilproceß betreffend, Personalakten Josef Kohlers, Archiv des Rektorats und Senats der Universität Würzburg, Nr. 594. 154 Protokoll über die Verpflichtung des ordentlichen Professors an der Juristenfakultät Dr. Josef Kohler vom 12. Oktober 1878, Personalakten Josef Kohlers, Archiv des Rektorats und Senats der Universität Würzburg, Nr. 594. 155 Siehe insbesondere Das Recht des Markenschutzes, Würzburg 1884; Das Autorrecht, Jena 1880 (Sonderabdruck aus Jherings Jahrbuch 18, N. F. 6 (1880)); Der unlautere Wettbewerb, Berlin 1914. 156 Vgl. nur etwa Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht, 7. Auflage, Wien 1883, S. XIV; Ernst Zitelmann, Die Neuauflage des „Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz“, in: DLitZ 42 (1920), Sp. 313–317; Leopold Wenger, Josef Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, in: ZVglRW 40 (1922), S. 447–460.

B. Wissenschaftlicher Aufstieg

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sein, dem „nichts Großes in Kunst und Wissenschaft“ fernblieb. Nur von dieser Warte aus gewann er Kohler zufolge den Standpunkt und die Perspektive, um die Einzelwissenschaft zu erfassen, „ihre Stellung in der Bewegung des menschlichen Geistes zu erkennen und ihre Ergebnisse im Lichte menschlicher Forschung zu würdigen.“157

II. Weltkultur und Weltrecht Seit 1876 schrieb Kohler in der durch den großherzoglich-badischen Kreis- und Hofgerichtsdirektor und späteren Reichsgerichtsrat Dr. Sigismund Puchelt herausgegebenen Zeitschrift für französisches Civilrecht,158 die der Pflege des französisch-rheinischen Rechts diente, das im westlichen Deutschland Geltung besaß. In Würzburg setzte er sich weiterhin mit modernen ausländischen Rechtsordnungen auseinander (horizontale Rechtsvergleichung), betrieb aber, seine Studien nicht nur in regionaler, sondern auch in zeitlicher Hinsicht zunehmend erweiternd, fortwährend mehr vergleichende Rechtsgeschichte und Rechtsethnologie.159 Durch den Indologen Julius Jolly160 kam Kohler zunächst mit dem indischen Recht in Berührung. Jolly, seit 1877 Professor für vergleichende Sprachwissenschaft und Sanskrit in Würzburg, hatte sich insbesondere um die Erforschung der altindischen Rechtsliteratur verdient gemacht. Unter dem Einfluss der Philologie und dabei der vergleichenden Sprachwissenschaft dehnte die Rechtsgeschichte in dieser Periode ihr Forschungsgebiet in der Weise aus, dass sie zunächst die Rechte der indo-germanischen Völker einschloss. Sie stand damit im Gegensatz zur Historischen Rechtsschule, die – hatte sie auch zur Entdeckung der Rechtsgeschichte geführt161– lediglich das römische Recht und die germanischen Rechte berücksichtigte. Die vergleichenden Historiker versuchten durch die Vergleichung von Rechten, die zur Familie der arischen Rechte gehörten, ein ur157

Josef Kohler, Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 116. Zeitschrift für französisches Civilrecht. Sammlung von civilistischen Entwicklungen der französischen und belgischen Gerichte mit Erläuterungen und Literaturberichten, Erster Band, Mannheim 1870. Später dehnte man die Berichterstattung auch auf die Rechtsprechung deutscher und italienischer Gerichte aus. 159 Zur Abgrenzung der Rechtsvergleichung zur Rechtsgeschichte und -ethnologie siehe auch Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. Band 1: Grundlagen, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 10. 160 Julius Jolly (1849–1932) editierte u. a. die Sanskrit-Rechtsbücher des Visnu, Narada und Manu, vgl. Friedrich Wilhelm, Artikel „Julius Jolly“, in: NDB 10 (1974), S. 591. 161 Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 416 f. 158

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

sprüngliches indo-germanisches Recht zu rekonstruieren. Bereits 1883 erschien Kohlers Abhandlung über Indisches Obligationen- und Pfandrecht.162 In der Folgezeit bezog man das hebräische, ägyptische, sumerische und babylonisch-assyrische Recht mit in die Forschungen ein. Der Beitrag Kohlers dazu ist erheblich.163 Er konnte nicht nur sämtliche germanischen und romanischen Sprachen, Hebräisch und Sanskrit lesen, sondern verstand auch Babylonisch und einige Sprachen der Eingeborenen.164 Im Übrigen ließ er sich sprachlich von Philologen wie Jolly, Pleiser oder Ungnad sowie von seinem ehemaligen Gymnasiallehrer Holder165 unterstützen. Als einer der ersten machte Kohler die Rechtsvergleichung zum Gegenstand von Universitätsvorlesungen. Bereits im Wintersemester 1880/81 las er in Würzburg Einleitung in die vergleichende Rechtswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung des indischen Rechts.166 1881 veröffentlichte er unter dem Titel: Zur vergleichenden Rechtswissenschaft und ihrer Literatur in der Münchener Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft eine längere Rezensionsabhandlung, worin er insbesondere drei Bücher Albert Hermann Posts167 besprach. Die Lektüre der Werke Posts, des Schöpfers der Rechtsethnologie ebenso wie ihrer Bezeichnung als solcher, sollte zu einer lebenslangen Beschäftigung Kohlers mit ethnologischen Forschungen führen, mit denen er bis zu jenen Zeiten vorstoßen wollte, in denen „die Idee des Rechts ihre Geburtsstunde feierte.“ Zur Vervollständigung der Rechtsgeschichte, so meinte er, müsse man sich mit anderen Völkern und ihren Kulturen beschäftigen, denn römische und deutsche Rechtsquellen seien erschöpft.168 Kohler sah in der ethnologischen Forschung eine große Chance für die Wissenschaft; doch begnügte er sich dabei nicht mit 162 Josef Kohler, Indisches Obligationen- und Pfandrecht, in: ZVerglRW 3 (1882), S. 161–218. 163 Kohler beschäftigte sich mit assyrischem, babylonischem, talmudischem, arabischem, islamischem, irmanesischem, hindustanischem, khmerischem, kambodschanischem und weiterem Recht, vgl. Leonhard Adam, Josef Kohler und die vergleichende Rechtswissenschaft, in: ZVerglRW 37 (1919/20), S. 13 f. sowie Arthur Kohler, Josef-Kohler-Bibliographie, Basel 1931. 164 Vgl. Leonhard Adam, Josef Kohler und die vergleichende Rechtswissenschaft, in: ZVerglRW 37 (1919/20), S. 13; Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 165 Josef Kohler, Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchner Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906. 166 Vgl. Josef Kohler, Vergleichende Rechtswissenschaft, in: Wilhelm Lexis (Hrsg.), Die deutschen Universitäten. Für die Universitätsausstellung in Chicago 1893. Unter Mitwirkung zahlreicher Universitätslehrer, Band 1, Berlin 1893, S. 404. 167 Albert Hermann Post (1839–1895), Landrichter in Bremen und Rechtsethnologe. 168 Josef Kohler, Zur vergleichenden Rechtswissenschaft und ihrer Literatur, in: Kritische Vierteljahresschrift 23 (1881), S. 175 f.

B. Wissenschaftlicher Aufstieg

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dem historischen Aspekt dieser Forschungen. Vielmehr sah er auch für die gegenwärtige und zukünftige Rechtswissenschaft neue Möglichkeiten: „[. . .] wir könnten darauf hinweisen, daß die Universalrechtsgeschichte uns eine Reihe wichtiger und praktisch bedeutsamer Institute an die Hand gibt, deren Einführung sich in unserem Rechtsleben empfehlen würde. Wir könnten hervorheben, daß der universelle Blick uns vor Pedanterie und Kleinwesen schützt. Wir könnten uns schließlich darauf beziehen, daß der gute Richter doch auch ein gebildeter, über das Recht und seine Weltbedeutung nachdenkender Mann sein müsse [. . .].“169 Kohler suchte nach den Gemeinsamkeiten der Rechte aller Völker. Er wollte die Gesamtentwicklung des Rechts und möglichst auch deren Gesetzmäßigkeit erkennen, um so zu einem neuen überstaatlichen Naturrecht gelangen zu können, das als Ausfluss der jeweiligen Kulturstufe immer so zu gestalten sein sollte, dass es die Kulturentwicklung möglichst fördere. Dies entsprach seiner Auffassung vom Recht als Kulturerscheinung und -bedingung.170 Eine vernünftige Rechtsphilosophie konnte seiner Ansicht nach nur auf der Grundlage einer universalen Rechtsgeschichte entstehen.171 In dieser Periode der Rechtsvergleichung entdeckte man wieder die universelle Dimension der Geschichte und schaffte damit der Rechtsphilosophie einen neuen Rahmen. Hier lagen die Anfänge der vergleichenden ethnologischen Rechtsforschung oder Rechtsethnologie, die im Schnittpunkt mehrerer großer Ideen lag und zum Sammelbecken mehrerer Strömungen geworden war. Lamarck hatte bereits 1800 die Grundlagen für seine Theorie über den Transformismus im Allgemeinen und in der Zoologie im Besonderen aufgestellt.172 Auch Herder und Schelling173 hatten die Menschheitsgeschichte als eine Folge verschiedener Stufen eines organischen Entwicklungsprozesses aufgefasst. Die Evolutionstheorie hatte aber erst durch Hegel Eingang in die Rechtswissenschaft finden können. Theodor Waitz (1821–1864) begründete die Ethnologie als unabhängige Wissenschaft im Jahre 1858 mit der Veröffentlichung des ersten Bandes seines Werkes über die Anthrophologie der Naturvöl169

Josef Kohler, Rechtsgeschichte und Culturgeschichte, in: Grünhuts Zeitschrift 12 (1885), S. 587. 170 Josef Kohler, Das Recht als Kulturerscheinung. Einleitung in die Vergleichende Rechtswissenschaft, Würzburg 1885, S. 5; Holtzendorffs Encyklopädie der Rechtswissenschaft, Leipzig/Berlin 1914, S. 14; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 38 f. 171 Josef Kohler, Holtzendorffs Encyklopädie der Rechtswissenschaft, Leipzig/ Berlin 1914, S. 14: „Ohne Universalrechtsgeschichte gibt es ebenso wenig eine zutreffende Rechtsphilosophie wie ohne Universalgeschichte eine Philosophie oder ohne Linguistik eine Philosophie der Sprache.“ 172 Jean-Baptiste de Lamarck, Philosophie zoologique, Paris 1830. 173 Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 356.

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1. Kap.: Herkunft und Werdegang (1847–1888)

ker174 in Deutschland.175 Ein Jahr später verkündete Darwin176 seine Theorie von der Evolution und der Selektion.177 1861 erschien die Schrift Johann Jakob Bachofens (1815–1887),178 1867 Posts Werk Das Naturgesetz des Rechts. Mit seinen rechtsethnologischen Forschungen intendierte Kohler anderes als die eigentliche (horizontale) Rechtsvergleichung. Er strebte im Rahmen einer Universalkulturgeschichte speziell die Darstellung einer weltumspannenden Universalrechtsgeschichte an. Die ethnologische Rechtsforschung ging in ihren Anfängen von einer heute in ihrer Gültigkeit insbesondere durch die Kulturkreislehre erschütterten, auf den Lehren von Auguste Comte, auf den entwicklungsgeschichtlichen Ideen Hegels179 und auf dem sogenannten Elementar- und Völkergedanken des Begründers der deutschen Ethnologie Adolf Bastian180 beruhenden Grundthese aus, dass die Menschheit überall auf der Welt und auf allen Gebieten letztlich in all ihren Stämmen dieselbe Entwicklung durchmache.181 Die Vorstellung von der ursprünglichen Einheit, die die Entwicklung der Menschheit zwangsläufig in die gleiche Richtung lenkte, verband sich organisch mit der Evolutionstheo174

Theodor Waitz, Über die Einheit des Menschengeschlechts und den Naturzustand des Menschen, Leipzig 1859. 175 Max Schmidt, Die Bedeutung der vergleichenden Rechtswissenschaft für die Ethnologie, in: ZVerglRW 37 (1919/1920), S. 359. 176 Charles-Robert Darwin (1809–882). 177 Charles-Robert Darwin, On the origin of the species by means of natural selection, London 1859. 178 Johann Jakob Bachofen, Das Mutterrecht, eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur, Stuttgart 1861; siehe auch die Briefe Johann Jakob Bachofens aus den Jahren 1881 bis 1885 sowie die Briefe des Ethnologen und Reisenden Edward B. Taylor aus den Jahren 1895–1897 im Nachlass Josef Kohlers, Deutsche Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kasten 1. 179 Vgl. Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. Band 1: Grundlagen, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 64; Fritz Sturm, Geschichte, Methode und Ziel der Rechtsvergleichung, in: Juristische Rundschau 1975, S. 232. 180 Bastian (1826–1905) war auch Gründer des Berliner Völkerkundemuseums, siehe Cornelia Essner, Berlins Völkerkunde-Museum in der Kolonialära. Anmerkungen zum Verhältnis von Ethnologie und Kolonialismus in Deutschland, in: Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, 1986, S. 65. 181 Der Grundthese der ethnologischen Rechtsforschung von der natürlichen Parallelentwicklung aller Stämme in einem Urzustand stellte sich vor allem die sogenannte Kulturkreislehre entgegen, derzufolge jede zivilisatorische Entwicklung in der Welt bei jedem Volk und jedem Stamm ein historisches Ereignis und deshalb einmalig ist. Vgl. Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. Band 1: Grundlagen, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 64.

B. Wissenschaftlicher Aufstieg

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rie. Die Ethnologie vertrat die Auffassung, dass die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften zwangsläufig die gleichen Stufen durchlaufe: „Eines natürlich ist die Voraussetzung [. . .]: die fundamentale Einheit des Menschengeschlechts in seinen verschiedenen Racen und Stämmen trotz ihrer äußerlichen Differenzirung [. . .]. Diese Voraussetzung ist aber glücklicherweise [. . .] erwiesen [. . .].“182 Stärker als Post und Bastian betonte Kohler die kulturelle und soziale Bedingtheit der von Volk zu Volk verschiedenen Rechtsanschauungen und -bräuche. „Gehen wir aber von diesem Grundsatz aus, so finden wir sofort, dass die Menschenkultur in ihrer Einheit nicht nur eine große Mannigfaltigkeit beweist, sondern auch Stufen und Grade darstellt. Die Kultur ist Entwicklung, die Entwicklung ist ein Aufstreben vom Niederen zum Höheren; daher sind die Kulturen der einzelnen Völker nicht nur als Variationen derselben Grundgedanken, sondern auch als verschiedene Stufen des Entwicklungsganges, als verschiedene Stufen der Weltbewegung aufzufassen.“183 Kohler betrachtete ebenso wie Post diesen Grundsatz als ein Naturgesetz. Die auf der gleichen Entwicklungsstufe stehenden Völker mussten zwangsläufig dieselben gesellschaftlichen Einrichtungen und Rechtsinstitute kennen: „Je mehr wir in dem Studium der Menschheit hinaufreichen, umso klarer wird es uns, dass die ganze Menschheit trotz nationaler Eigenheiten nicht nur von gleichartigen Trieben geleitet, sondern speziell im Recht und in der Entwicklung der Volkseinrichtungen und Volksgebräuche von gleichartigen Bildungskräften beherrscht wird. [. . .] Es verhält sich hiermit wie mit der Religion der Völker, wie mit der Sprache und Schrift. Die religiösen Vorstellungen aller Menschenstämme gehen von gleichen Ausgangspunkten aus, und Sprache und Schrift folgen gewissen Typen, die wieder auf einheitliche Urtypen zurückzuführen sind.“ [. . .] Und wenn wir nun noch sehen, wie im Rechte sich von selbst eine Gleichartigkeit der Entwicklung zeigt, wenn wir bemerken, wie Völker, die nichts miteinander zu tun hatten und ihre Kulturen ganz selbständig gestaltet haben, zu gleichartigen Resultaten gelangt sind, dann werden wir staunen über das Gesetz, das uns alle beherrscht.“184 Diese Auffassung entsprach der Ansicht Posts, der Recht als das Spiegelbild der ethnologischen Entwicklung über verschiedene Stadien hinweg verstand. Kohler teilte mit Post die Überzeugung, aufgrund ihrer Forschungen ein vergleichendes Bild der den Völkern der Erde gemeinsamen Rechtsnormen zeichnen und feststellen zu können, welche 182

Josef Kohler, Zur vergleichenden Rechtswissenschaft und ihrer Literatur, in: Kritische Vierteljahresschrift 23 (1881), S. 176. 183 Josef Kohler, Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 28 (1901) S. 276. 184 Josef Kohler, Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 28 (1901) S. 274 f.

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dieser Normen universelle Bedeutung besaßen. Post hatte unter diesen methodischen Voraussetzungen eine Naturwissenschaft des Rechts (1872) zu begründen gesucht. In dem so genannten Werk hatte er eine Entwicklungsgeschichte des Rechts gezeichnet; in seinem Grundriß der ethnologischen Jurisprudenz (1894) stellte Post die einander ähnlichen Rechtsbräuche aller Völker und Zeiten zusammen. Diese Ähnlichkeit führten Post und Kohler auf die gemeinsame Natur der Menschen zurück, ähnlich wie Adolf Bastian, der ethnographische Parallelen als „Elementargedanken“ interpretierte. Der Rechtsvergleicher Leonhard Adam hob zurecht hervor, dass Kohler nicht erst der „Nachfolger“ Posts gewesen sei, sondern schon nach dem Erscheinen der ersten, mehr programmatischen Schriften Posts, lange Jahre vor der Entstehung von dessen Hauptwerken Posts Bedeutung erfasst habe, in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit für ihn eingetreten sei und neben ihm für dieselben Ideen gekämpft habe.185 Im Gegensatz zu Post erkannte Kohler früh, dass man die Rechte der primitiven Völker nicht auf der Grundlage unzureichender und unwissenschaftlicher Dokumentation untersuchen konnte. Er forderte daher, in Detailarbeit das Rechtsleben aller Ur- und Kulturvölker zu durchforschen. Aus den Resultaten dieser Darstellungen hoffte er, „dann mit ganz anderen Sicherheiten“ die evolutionistischen Rechtsprinzipien ableiten zu können.186 Seit dem dritten Heft des dritten Bandes der 1878 durch Franz Bernhöft187 und Georg Cohn188 gegründeten Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft war Kohler auf Veranlassung seines Freundes und Mitherausgebers Cohn in die Redaktion eingetreten.189 Seitdem bekamen die ethnologischen Untersuchungen zur Vervollständigung der alten Geschichte und im Rahmen einer universalen Betrachtungsweise das Übergewicht in der Zeitschrift, die Bernhöft ursprünglich unter Zurückdrängung der Rechtsethnologie der vergleichenden Rechtswissenschaft hatte vorbehalten wollen.190 Kohler nahm eine detaillierte in Aufsätzen und Abhandlungen 185 Leonhard Adam, Josef Kohler als vergleichender Rechtsforscher, in: Der Tag vom 12. November 1919. 186 Josef Kohler, Rezension zu Post, Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte, Oldenburg 1884, in: ZVerglRW 7 (1887), S. 460 f. 187 Franz Bernhöft (1852–1933), 1865 Habilitation in Heidelberg, seit 1877 Ordinariat in Rostock, vgl. Leonhard Adam, Franz Bernhöft zum 75. Geburtstage (25. Juni 1927), in: ZVerglRW 43 (1928), S. 1–12. 188 Georg Cohn (1845–1918), 1876 Habilitation in Heidelberg, ab 1892 Ordinariat in Zürich, vgl. Peter Landau, Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Dem Andenken Ernst Landsbergs, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 167. 189 Arthur Kohler, Von der Wiege des Archivs, in: ARWP 24 (1930/31), S. 3–6.

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verstreute Arbeit über zahlreiche Völker der Erde auf sich, dokumentiert in fast 30 Bänden der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft.191 Dennoch reichte das Material, auf dem die Rechtsethnologie aufbaute, nicht aus. Sowohl Post als auch Kohler neigten dazu, das ungenügende und nicht nachgeprüfte Material bereits vorher aufgestellten Hypothesen unterzuordnen. Mit zunehmendem Umfang seiner Forschungen musste Kohler auch mehr und mehr von dem von ihm, Post und Bachofen verwendeten Stufenmodell abrücken. Er erkannte, dass zahlreiche Faktoren die Rechtsbildung beeinflussten, dass etwa die Lebensregeln eines Nomadenvolkes anders waren als die eines Jägervolkes oder eines sesshaften Ackerbauvolkes192 und dass neben den klimatisch und geographisch bestimmten äußeren Lebensumständen auch die Religion eine große Bedeutung für die Rechtsbildung besaß.193 Im Jahre 1897 räumte er mit großer wissenschaftlicher Aufrichtigkeit ein: „Morgan, Bachofen, Post und zuletzt ich haben nach falschen Methoden gearbeitet und unwissenschaftlich und aus unverarbeiteten Beobachtungen wilde Spekulationsgebilde in die Welt gesetzt.“194 Eine jede neue Wissenschaft aber, so erklärte er 1901, müsse aus Dilettantismus hervorgehen, weil sie erst allmählich ihre Methode erkenne und erst allmählich eine solche Fülle von Material gewinne, wie zu einer methodischen Behandlung nötig sei.195 Bemerkenswert war sein Respekt vor fremden Kulturen. Der niedere ökonomische und intellektuelle Stand mancher Völker war seiner Ansicht nach noch kein Beweis dafür, dass auch ihr Recht auf einer niederen Entwicklungsstufe stehe. Ein Recht zu haben, empfand Kohler als essentiellen Bestandteil des „Menschseins“. In jedem Volk, so Kohler, gebe es ein Rechtsgefühl. Daher gab es Kohler zufolge kein Volk ohne Recht; es gebe Völker ohne Gerichte, führte er aus, es gebe Völker, bei welchen die staatliche Organisation fehle oder nur rudimentär entwickelt sei, aber ein Volk ohne Recht, so betonte er mit Nachdruck, gebe es nicht; der Mensch könne „nie190 Franz Bernhöft, Geleitwort in: ZVerglRW 1 (1878), S. 37: „Nur eins erfordert das Interesse der Wissenschaft: in der Erweiterung ihrer Grenzen nicht über das Recht im strengsten Sine des Wortes hinauszugehen. [. . .] Sie darf jene Sitten nur insoweit berücksichtigen, als sie zur Rechtsbildung beigetragen haben, und muß solche Völker, welche noch überhaupt nicht hierzu gelangt sind, völlig ausschließen.“ 191 Vgl. auch Arthur Kohler, Josef-Kohler-Bibliographie, Basel 1931. 192 Josef Kohler, Rechtsgeschichte und Weltentwicklung, in: ZVglRW 5 (1884), S. 322. 193 Josef Kohler, Rechtsgeschichte und Weltentwicklung, in: ZVglRW 5 (1884), S. 324 f. 194 Josef Kohler, Zur Urgeschichte der Ehe, in: ZVerglRW 12 (1895/1897), S. 203. 195 Josef Kohler, Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 28 (1901) S. 276.

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mals Nichtmensch“ sein.196 Kohlers Denken war erheblich weniger ethnozentrisch als das zahlreicher zeitgenössischer Rechtsethnologen. Er gestand auch solchen Völkern Recht zu, welche sich in kolonialer Abhängigkeit befanden, die sie an sich in jedem Sinne „rechtlos“ erscheinen ließ. Sein neuhegelianischer Fortschrittsoptimismus entsprach dem Geist der Zeit. Glanz, Reichtum und Fortschrittsgläubigkeit hatten der Welt und damit auch der Wissenschaft einen unbeirrten Optimismus vermittelt. Der Mensch war sich seiner Existenz, ihres Sinns und ihres Erfolges gewiss. Er strebte aus der Enge seines heimischen Kreises hinaus, und es galt ihm, die Welt in ihrem äußeren und inneren Gefüge friedlich zu erobern.197 Kohlers Selbstverständnis als Rechtsvergleicher war ein idealistisches allgemeines. Er glaubte an eine einheitliche Weltkultur des Rechts: „Die vergleichende Rechtswissenschaft ist die Blüte der heutigen Jurisprudenz; sie greift über das Gebiet des Einzelrechts hinaus und stellt sich an die Spitze des Weltrechts, des Rechts aller Völker. Der einzelne Jurist, der sich als Mitglied seiner Nation fühlt, fühlt sich zugleich als Mitglied der Menschheit; er fühlt den Pulsschlag, der alle Völker durchzittert.“ Kohler war der Auffassung, dass erst die moderne Zeit diese Wissenschaft habe reifen lassen können, denn erst ihr sei das Bewusstsein aufgegangen, dass Nationalrecht und Weltrecht keine unvereinbaren Gegensätze seien. Es obliege nun den Nationen, so Kohler, „in brüderlicher Eintracht miteinander“ ihren Beitrag zu leisten, um die Gesamtkultur der Menschheit zu erhöhen. Jede Nation, meinte er, habe ihren Fonds an Kräften und ihre besonderen Aufgaben, sie 196 Josef Kohler, Über das Recht der Australneger, in: ZVerglRW 7 (1887), S. 321, 323 f. 197 „Die höchste Erkenntnis und zugleich die höchste Beherrschung der Welt, das ist, was wir erreichen wollen,“ siehe Josef Kohler, Auf den Spuren Nietzsches, in: Zeitgeist, 1902, Nr. 45, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 5. Vgl. hierzu auch Friedrich Nietzsche und den Titel des 23. Aphorismus aus Menschliches, Allzumenschliches. Erster Band. Kritische Gesamtausgabe, Vierte Abteilung, Bd. 2, hrsg. von Giorgio Mazzino Montinari, Berlin 1967, S. 40 ff.: Zeitalter der Vergleichung sowie den darauffolgenden Aphorismus Möglichkeit des Fortschritts. Tatsächlich kannte auch Nietzsche das Werk Posts. So hatte er Bausteine für die allgemeine Rechtswissenschaft, 2 Bände 1880/81, bei seinem Verleger bestellt, vgl. Brief aus Recoaro vom 21. Juni 1881, in: Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe Bd. 6, hrsg. von Giorgio Colli, Berlin 1986, S. 94. Siehe auch Hans-Jürgen Hildebrandt, Nietzsche als Ethnologe – Ein Beitrag zur Klärung der Quellenfrage, in: Anthropos 83 (1988), S. 565 ff. Kohler beschäftigte sich um die Jahrhundertwende stark mit Nietzsche, siehe auch seinen Artikel Eine Weltbetrachtung, in: Der Tag vom 2. Oktober 1902, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 12. Die wachsende Resonanz der Schriften Nietzsches führte in Deutschland um 1900 allgemein zu einem regelrechten „Nietzsche-Kult“. Vgl. Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter. Band 1: Die Kriegsbegeisterung von 1914. Ursprünge – Denkweisen – Auflösung, Konstanz 1994, S. 70.

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habe ihre Eigenart in der Erfassung der Lebensverhältnisse ebenso wie in der Erfassung des Rechts und müsse daher etwas „Eigenartiges“ leisten. Aber da jede Nation zugleich Mitglied im Kreise der weltentwickelten Mächte sei, so die Überzeugung Kohlers, werde sie durch Ausbildung ihrer Eigenart zugleich die ganze Menschheit um einen Schritt vorwärtsbringen. Kohler zufolge stellte sich der vergleichende Jurist an die Spitze dieser ganzen Entwicklung, wobei, so räumte er ein, seine Betrachtung natürlich ebenfalls eigenartig gefärbt sein werde, da er ein Mann seines Volkes sei und bleibe. Nur im Rahmen der seinem Volk mehr oder weniger gegebenen Möglichkeiten, das Recht zu „durchdringen“, merkte Kohler selbstkritisch an, werde es dem Rechtsvergleicher mehr oder minder möglich sein, von der Besonderheit seines eigenen Volkes abzusehen und die Rechtsentwicklungen anderer Nationen in ihrer Sonderheit zu würdigen. Diese Würdigung bestand Kohler zufolge darin, zu zeigen, wie der allgemeine Geist der Menschheit in dem Sondergeist des einzelnen Volkes neu und eigenartig zutage trete.198 Kohler war überzeugt von seiner Idee von der Gesamtweltkultur als Grundlage des Rechts und ihrer Universalgeschichte als Grundlage der Rechtswissenschaft. Neben diesen im Vordergrund stehenden idealistischen Motiven war er sich aber auch der hohen politischen Bedeutung der Rechtsethnologie bewusst. Eine „Beherrschung“ der Kolonialvölker war seiner Ansicht nach „nur dann in ergiebiger Weise möglich, wenn man in ihren Glauben und in ihre Denkungsweise einzudringen“ vermochte.199 Die Kenntnis der Rechtsanschauungen und -bräuche der „Eingeborenen“ in den Kolonien sollte den fremden Machthabern die Verwaltung und Rechtsprechung erleichtern: „Schon die gewaltige colonisatorische Aufgabe“, welche der deutschen Nation harre, erklärte er, bringe es mit sich, dass der Jugend das Recht der fremden Völker, in deren Gebiet das deutsche Banner wehe, nicht fremd bleiben dürfe.“200 Schließlich könne sich, führte er aus, eine Weltmacht, welche ihr Banner in fremde Erdteile trage, ebenso wenig mit der Kenntnis des einheimischen Rechts begnügen wie mit der Kenntnis der Geographie des Inlandes.201 In den letzten Jahren seiner Lehr- und Forschungsarbeit sehnte sich Kohler immer stärker danach, Würzburg zu verlassen: „Zwar in meiner Erst198 Josef Kohler, Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 28 (1901) S. 273. 199 Aus der Gedankenwelt unserer Kolonialvölker, in: „Zeitgeist“, Nr. 8, 1901 sowie in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 43. 200 Josef Kohler, Zur ethnologischen Jurisprudenz, in: ZVerglRW 6 (1886), S. 429. 201 Josef Kohler, Rechtsgeschichte und Kulturgeschichte, in: Grünhuts Zeitschrift 12 (1885), S. 593.

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lingszeit als Professor in Würzburg war mir manche Belehrung geboten, aber immer drückte die Kleinstadt auf mich, und wo ich für meine weitgehenden Studien einen Anhalt zu finden suchte, trat mir die Dürftigkeit der dortigen Verhältnisse entgegen.“202 Kohlers Pläne, nach Heidelberg zu gehen, zerschlugen sich, als man die von ihm ersehnte ordentliche Professur mit einem schon ansässigen Wissenschaftler besetzte.203 Einer Aufforderung, im Winter 1882/83 nach Calcutta zu gehen, folgte er nicht.204 Im Juli 1886 ergab sich erneut die Möglichkeit, im Ausland zu lehren, als er auf Empfehlung der beiden Leipziger Rechtsgelehrten Bernhard Windscheid und Adolf Wach205 eine Anfrage des Ministerialdirektors aus dem japanischen Unterrichtsministerium, A. Hamao, erhielt, ob er bereit sei, an der Universität zu lehren, wo man die Gründung eines Lehrstuhls für römisches und deutsches Recht beabsichtigte. Der Vertrag sollte vorerst für drei Jahre geschlossen werden. Außer einer freien Wohnung bzw. einer Wohnungsentschädigung bot man ihm ein monatliches Gehalt von 420 Jen, umgerechnet etwa 1500 Mark, an.206 Während Windscheid Kohler unter anderem wegen seiner „seltenen Kenntnis auch des ausländischen Rechts“ empfohlen hatte, hielt Wach Kohler für „einen der wenigen Männer, welche vermöge der großen Vielseitigkeit ihres Wissens dieser Aufgabe im höheren Sinn gewachsen wären.“207 Ohne lange zu überlegen, lehnte Kohler das Angebot ab,208 was Windscheid schon vermutet hatte, wie aus seiner Anfrage vom 8. Juli hervorgeht: „[. . .] Sie werden lächeln, wenn Sie die nachfolgenden Zeilen lesen. [. . .] zürnen Sie mir nicht, dass auch nur der Gedanke in mir aufgetaucht ist, daß ein Mann Ihres Namens seine Stellung mit einer solchen im Auslande vertauschen möchte.“209 202 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911; ähnlich auch in: Aus Kultur und Leben, S. 230. 203 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 204 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Deutschlands Jugendkraft, S. 8. 205 Adolf Wach (1843–1926), Prozessrechtler, vgl. Erich Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, Berlin 1953, S. 455. 206 A. Hamao an Bernhard Windscheid; Bernhard Windscheid am 8. und 9. Juli 1886 an Josef Kohler; Adolf Wach am 9. Juli 1888 an Josef Kohler; ARS 594. In Würzburg bezog Kohler seit dem 1. Oktober 1883 ein Jahresgehalt von 6360 Mark, Schreiben des Bayerischen Ministeriums vom 4. Juni 1883, ARS 594. 207 Adolf Wach am 9. Juli 1888 an Josef Kohler, ARS 594. 208 Siehe das Schreiben Kohlers vom 10. Juli 1886 an den Königlichen Senat der Universität und das Schreiben des königlich bayerischen Staatsministeriums für Kirchen- und Staatsangelegenheiten vom 18. August 1886, in dem dieses seine Erleichterung über Kohlers Entschluss zum Ausdruck bringt, ARS 594. 209 Bernhard Windscheid am 8. Juli 1886 an Josef Kohler, ARS 594.

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III. Die Berufung an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, welche Widerstände der Berufung Kohlers an die Berliner Universität seitens eines Teils der juristischen Fakultät entgegengesetzt wurden. Der Dissens hinsichtlich der Berufung Kohlers spiegelt die Disposition der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Ende des 19. Jahrhunderts wider. Deutlich wird die Spaltung der Fakultätsmitglieder hinsichtlich der Aufnahme eines weltoffenen Gelehrten an der Universität der Reichshauptstadt. 1. Die Diskussion über die Berufung Im Winter 1887 kam Ernst Eck,210 Mitglied der Juristischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität auf Josef Kohler zu und teilte ihm mit, dass man von einer Berufung Kohlers nach Berlin spreche.211 Das preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten hatte die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Laufe des Jahres 1887 gebeten, Vorschläge für die Besetzung eines einzurichtenden prozessualistisch-kriminalistischen Ordinariats zu unterbreiten.212 Die Universität der Reichshauptstadt, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der älteren Reformuniversität Göttingen noch nicht völlig gewachsen gefühlt hatte,213 war im Anschluss an die Reichsgründung intensiv gefördert214 und zum Wissenschaftszentrum ausgebaut worden. Durch die Gründungswelle von Lehrstühlen in den siebziger und achtziger Jahren rückte Berlin dann weiter vor und setzte sich schließlich seit der Wende zum 20. Jahrhundert an die Spitze des Einrichtungsprozesses.215 Die Fried210 Ernst Eck (1838–1901), Romanist, arbeitete schriftstellerisch mit am Entwurf des BGB, vgl. Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1161 f. 211 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 212 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 29. 213 Vgl. Rudolf Smend, Die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (Göttinger Universitätsreden 31), Göttingen 1961, S. 19; Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1, Halle 1910–1918, S. 274, 565. 214 Adolph Wagner, Die Entwicklung der Universität Berlin. Rede zur Gedächtnisfeier der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität am 3. August 1896, Berlin 1896, bes. S. 20 ff. 215 Marita Baumgarten; Die Geistes- und Naturwissenschaften an der Universität Göttingen 1866–1914: Die Universität unter preußischer Führung, in: Karl Strobel (Hrsg.) Deutsche Universität,Vierow 1994, S. 38 f., 46.

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rich-Wilhelms-Universität achtete darauf, bei der Besetzung ihrer Lehrstühle vornehmlich Ordinarien zu berufen, wobei zunächst die Etablierung eines Fachs abgewartet und anschließend unter den Ordinarien ausgewählt wurde. Die Universität war vor allem in wissenschaftlich-qualitativer Hinsicht und nicht primär in institutioneller Hinsicht der Protagonist des deutschen Universitätssystems im 19. Jahrhundert.216 Das Prinzip Friedrich Wilhelms III., nur die besten Männer jedes Faches zu berufen, bemühte man sich auch bei der Berliner Juristenfakultät beizubehalten.217 Mit Schreiben vom 15. Dezember 1887 setzte der Minister die Juristische Fakultät davon „in Kenntniß“, daß er den ihm „unterm 16. Mai d. J. –No. 97– für die Besetzung des prozessualistisch-kriminalistischen Ordinariats gemachten Vorschlägen, soweit es sich dabei um den Professor Planck in München und den Kammergerichtsrath Dr. Olshausen hierselbst handelt, keine Folge zu geben“ vermöge. Ihm habe sich zudem die Erwägung nahe gelegt, ob es „im Interesse der Gewinnung einer tüchtigen Kraft“ nicht ratsam sei, bei der in Rede stehenden Professur „wesentlich nur die Vertretung des Civilprozesses in Aussicht zu nehmen.“ Demnach ersuche er die juristische Fakultät, ihm „bald gefälligst [. . .] weitere Vorschläge für die Besetzung der Stelle einzureichen und dabei gleichmäßig die beiden Eventualitäten zu berücksichtigen, dass I. die Professur, wie dies ursprünglich beabsichtigt gewesen ist, für die Vertretung des Civilprozesses, des Strafprozesses und des Strafrechtes dienen, II. dass dieselbe wesentlich für den Civilprozeß bestimmt werden soll.“ Für jede der beiden Eventualitäten wolle die juristische Fakultät „gefälligst im Auge behalten, dass mit der Professur eine halbe Rathsstelle am Königlichen Kammergericht verbunden sein“ werde. Auch habe er der juristischen Fakultät „ergebenst anheim gegeben, sowohl für den einen wie für den anderen Fall auf den Profesor Dr. H. Seuffert in Breslau zurückzukommen.“218 In der Sitzung der juristischen Fakultät vom 10. Januar 1888 wurde unter Leitung des Dekans, Prof. Dr. Pernice, der Antrag, für die neu einzurichtende Professur „neben dem Prof. Bülow aus Leipzig auch den Prof. Dr. J. Kohler in Würzburg in Vorschlag zu bringen, durch Majoritätsbeschluß“ abgelehnt,219 ebenso wie eine Berufung Professor Heuslers aus Basel, wobei von weiteren Vorschlägen abge216 Marita Baumgarten; Die Geistes- und Naturwissenschaften an der Universität Göttingen 1866–1914: Die Universität unter preußischer Führung, in: Karl Strobel (Hrsg.), Deutsche Universität, Vierow 1994, S. 38 f. 217 Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1191. 218 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 29. 219 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 31 und Nr. 16, Bl. 73 R.

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sehen wurde.220 Die fünf Befürworter Kohlers, Heinrich Dernburg,221 Rudolf von Gneist,222 Levin Goldschmidt,223 Bernhard Hübler224 und Ernst Eck, die durch eine knappe Mehrheit überstimmt worden waren, verfassten umgehend ein ausführliches, unter dem 11. Januar 1888 datiertes, Separatvotum: „[. . .] Prof. Dr. J. Kohler [. . .] Ihm gegenüber fühlten wir unterzeichneten Mitglieder der Fakultät uns zur Abgabe eines Separatvotums für verpflichtet [. . .].“ Kohler habe durch eine „Fülle litterarischer Arbeiten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.“ So habe er auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts als auch auf anderen Gebieten „zum Theil umfassende Schriften“ veröffentlicht. Das Separatgutachten hob Kohlers Schriften auf dem Gebiet des römischen Rechts, seine Pfandrechtlichen Forschungen, Jena 1882, und verschiedene in Jherings Jahrbüchern für die Dogmatik des römischen und deutschen Privatrechts und anderen Zeitschriften erschienene Aufsätze hervor, wies auf dem Gebiet des deutschen Privatrechts insbesondere auf Das Patentrecht, Das Autorrecht und Das Recht des Markenschutzes hin, sodann auf seine in der Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft in den Jahrgängen III-VI erschienenen Aufsätze sowie seine auch auf „anderen juristischen und nichtjuristischen“ Gebieten „mannigfachen selbständigen Abhandlungen.“225 Es schließt mit der Feststellung: 220

Universitätsarchiv der Humboldt-Universität, Jur. Fak., Nr. 16, Bl. 73 R. Heinrich Dernburg (1829–1907), Professor in Zürich, Halle und Berlin, war als Pandektist nach Berlin berufen worden und leistete danach bedeutende Vorarbeiten für die Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts in Deutschland, vgl. Gerhard Wesenberg, Artikel „Heinrich Dernburg“, in: NDB, Band 3, 1975, Berlin 1957, S. 608 f.; Klaus Luig, Heinrich Dernburg (1829–1907). Ein „Fürst“ der Spätpandektistik und des preußischen Privatrechts, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 231–247. Josef Kohler, Dernburg, in: Der Tag vom 1. Dezember 1907 sowie Erinnerung an Heinrich Dernburg, in: Der Tag vom 22. November 1908. 222 Rudolf von Gneist (1816–1895), Verfassungs- und Staatsrechtler, vgl. Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1153 f. 223 Levin Goldschmidt (1829–1897), Professor in Heidelberg und Berlin, erster Ordinarius für Handelsrecht, vgl. Rolf Dietz, Artikel „Levin Goldschmidt“, in: NDB, Bd. 6, Berlin 1964, S. 617 f.; Karsten Schmidt, Levin Goldschmidt (1829–1897). Der Begründer der modernen Handelsrechtswissenschaft, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 215–230. 224 Bernhard Hübler (1835–1912), Kirchen- und Völkerrechtler, vgl. Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1172 f.; Rudolf Smend, Zur Geschichte der Berliner Juristenfakultät im 20. Jahrhundert, in: Leussink, Hans/Neumann, Eduard/Kotowski, Georg (Hrsg.), Studium Berolinense. Aufsätze und Beiträge zu Problemen der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1960, S. 122. 225 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 31 f. 221

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„Die von Mitgliedern der Majorität geäußerte Befürchtung, daß Josef Kohler seine Kraft auch nach einer [. . .] Berufung an die hiesige Universität zersplittern würde, theilen wir nicht.“ Vielmehr hege man die Hoffnung, dass er sich auf die Fächer konzentrieren würde, zu deren Vertretung er verpflichtet würde.226 Goldschmidt verfasste zudem am 12. Januar 1888 ein persönliches Separatvotum, in dem es u. a. heißt: „Seine sehr zahlreichen civilprozessualistischen Arbeiten [. . .] sind klar durchdacht, zeichnen sich durch Originalität der Gesichtspunkte und durch gründliche Kenntnis insbesondere des ja vielfach vorbildlichen französischen Rechts aus.“ Wenn sich Kohler in seiner Lehrtätigkeit und seiner schriftstellerischen Arbeit auf das Civilprozeßrecht und etwa das französische Civilrecht im Wesentlichen beschränke, wobei es ihm natürlich unbenommen bleibe, insbesondere auch die von ihm mit Erfolg gepflegte vergleichende Rechtswissenschaft und etwaige andere beschränktere Materialien zu lehren, so könne seine Berufung für die Berliner Universität sehr vorteilhaft sein. Gleichwohl, erklärte Goldschmidt, habe er, um zu diesem Votum zu gelangen, „sehr erhebliche Bedenken“ zurückdrängen müssen. „Professor Kohler entwickelt seit etwa 10 Jahren eine nahezu fieberhafte Tätigkeit auf den verschiedensten und entlegensten rechtswissenschaftlichen wie verwandten, ja völlig heterogenen Gebieten.“ Fast überall frappiere die Beherrschung eines „dem Umfang nach staunenswerten Materials wie die Fülle der Gesichtspunkte, unter welchen er dasselbe zu gruppieren, die dialektische Gewandtheit, mit welcher er seine häufig durchaus selbständigen Gedanken zu entwickeln“ verstehe. Dagegen vermisse man nur allzu häufig die erforderliche klare Geschlossenheit der Disziplin, die juristische Präzision der Darstellung, auf dem schwierigen Gebiet der vergleichenden Rechtswissenschaft auch nicht selten die Kenntnis aus erster Hand. Die gefährliche Gabe einer äußerst leichten Produktion und einer fast unbegrenzten Assimilationsfähigkeit präge sich nur zu häufig in seinen Schriften aus; es werde sich das in seinen Lehrvorträgen kaum anders verhalten. Einem so gestalteten Talent könne der vielseitige Interessenkreis, welcher gerade Berlin darbiete, besonders gefährlich und damit zugleich für seine Universitätsstellung verhängnisvoll werden. Die Zucht strenger Methode, welche vor allem für den juristischen Unterricht unerlässlich erscheine, dürfe selbstverständlich nicht der bloßen, noch so anziehenden Anregung geopfert werden. „Diese Bedenken bestehen in voller Kraft. Wenn ich über dieselben hinwegsehe, so geschieht es in dem Wunsche, einem unzweifelhaft sehr bedeutenden Talent eine größere Wirksamkeit zu eröffnen, und in der Hoffnung, dass die richtige Selbsterkenntnis zu der unumgänglichen Bescheidung und Begrenzung führen wird.“227 226 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 33.

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Die Gegner der Berufung Kohlers nach Berlin, Albert Friedrich Berner,228 Georg Beseler,229 Heinrich Brunner,230 Otto von Gierke,231 Paul Hinschius232 sowie der Dekan Alfred Pernice233 verfassten daraufhin eine erneute Stellungnahme, in der es u. a. heißt: „Von einer Anzahl Mitglieder der Fakultät wurde Prof. Dr. Josef Kohler in Würzburg lebhaft empfohlen. Wir haben uns nicht überzeugen können, dass die Berufung des Professors Kohler ein Gewinn für die Fakultät sein würde. Sein Talent und sein Reichtum an Gedanken, die man freilich vielfach bloß als Einfälle bezeichnen kann, sollen nicht angezweifelt werden. Aber dieses Talent ist ohne Zucht und Selbstkritik. Prof. Kohler ist litterarisch auf nahezu allen Gebieten der Rechtswissenschaft“ und darüber hinaus tätig. Es sei im Grunde selbstverständlich, dass er nirgends festen Fuß zu fassen und in ruhiger metho227 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 35. 228 Albert Friedrich Berner (1818–1907), Strafrechtler, gilt aufgrund seines 1857 erschienenen und bis 1898 in achtzehn Auflagen herausgegebenen Lehrbuchs als der einflussreichste hegelianische Strafrechtler, vgl. Roderich von Stintzing/Ernst Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abteilung III, Bd. 2, München 1910, S. 680–687; Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Auflage, Heidelberg 1989, S. 334. 229 Georg Beseler (1809–1888), Zivil- und Strafrechtler, trat 1838 für die sieben amtsenthobenen Göttinger Professoren ein, was ihn beinahe seine Stellung gekostet hätte. 1848 war er als Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung Mitglied der Deputation, die nach Berlin gesandt wurde, um dem König von Preußen die auf ihn gefallene Wahl als Kaiser anzuzeigen. Von 1874 bis 1881 war er Mitglied des Reichstags als nationalliberaler Abgeordneter, ab 1875 auch des Preußischen Herrenhauses, vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 408–410; Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche Juristen aus fünf Jahrhunderten, 3. Auflage, Heidelberg 1989, S. 32–35. 230 Heinrich Brunner (1840–1915), Rechtshistoriker, Professor in Lemberg, Prag, Straßburg und Berlin, lieferte in seinem Hauptwerk, der Deutschen Rechtsgeschichte, 1887/92 eine Darstellung der deutschen und fränkischen Rechtsgeschichte, die lange Zeit als vorbildlich galt, in der Gegenwart aber wegen der Vernachlässigung der kultur- und sozialgeschichtlichen Bezüge des Rechts zunehmend auf Kritik stößt, vgl. G. Schubart-Fikentscher, Artikel „Heinrich Brunner“ in HRG I, 1971, S. 523–525. 231 Otto von Gierke (1841–1921) war als Schüler von Georg Beseler der letzte große Germanist in der Tradition der historischen Schule Savignys und Eichhorns, vgl. Gerhard Dilcher, Artikel „Otto von Gierke“ in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 232–234. 232 Paul Hinschius (1835–1898), Kirchenrechtler, vgl. Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1171 f. 233 Alfred Pernice (1841–1901), Vertreter des römischen Rechts, vgl. Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1162 f.

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discher Forschung vorwärts zu gehen vermöge. Mit der Lehrtätigkeit Kohlers stehe es ganz ähnlich: Er halte Vorlesungen aus den verschiedensten Fächern der Rechtswissenschaft. Es erscheine bedenklich, eine Persönlichkeit wie diese an eine große Universität zu ziehen. „Die Zerfahrenheit der Schriftstellerei Kohlers hat ihren Grund in seiner Individualität, nicht in äußeren Bedingungen. Daß die Individualität eines 38-jährigen Mannes sich ändere, ist sehr unwahrscheinlich. In den Verhältnissen unserer immer mehr sich vergrößernden und darum immer mehr auseinanderfallenden Fakultät ist nichts zu sehen, was einen Druck auf ihn ausüben könnte. (Nicht einmal) eine Beschränkung seiner Dozententätigkeit ist zu erwarten. Des Zulaufs und des Beifalls einer großen Menge unserer Studenten sind die voraussichtlich geistreichen Vorträge sicher [. . .]“234 Die Gemüter erhitzten sich im Laufe der Diskussion immer mehr, was insbesondere auch aus der schriftlichen Erklärung Brunners vom 18. Januar 1888 hervorgeht: „[. . .] 2. Daß das Stimmenverhältnis in dem Bericht an das vorgesetzte Ministerium angegeben wird, ist meines Wissens nicht üblich, insbesondere nicht, daß das in einem Separatvotum geschieht.“ Im Übrigen werde die Zahl der dissertierenden Stimmen schließlich auch an den Unterschriften des Separatvotums ersichtlich. Die Minorität erscheine ihm jedenfalls auch nicht berufen, sich zum Wortführer einzelner nicht namentlich genannter Mitglieder der Majorität zu machen, indem sie die Motive ihrer Abstimmung darlege. Man könne dies „billig“ den betreffenden Mitgliedern der Majorität überlassen.235 Der abschließende Fakultätsbericht vom 3. Februar 1888 an den Minister führte alle Ansichten auf.236 2. Die Rolle Friedrich Althoffs bei der Berufung Im preußischen Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten gelangte der Bericht in die Hände des als „allgewaltig“ geltenden Hochschulreferenten Dr. Friedrich Althoff.237 Althoff erachtete 234 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 39 ff. 235 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 43. 236 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 24 ff. 237 Friedrich Althoff war von 1882 bis 1907 für die Belange der preußischen Universitäten zuständig. Zu den Verdiensten Althoffs um den Ausbau der Berliner Universität „zu einer wirklichen Weltuniversität“, siehe Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Halle/Saale 1910, 2. Band, 2. Hälfte, S. 371; Ralph Jürgen Lischke, Zur wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Leistung Friedrich Althoffs unter besonderer Berücksichtigung seines Beitrags

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Gutachten der Fakultät über die in Betracht kommenden Kandidaten zwar als grundsätzlich außerordentlich nützlich, machte in seiner Amtszeit aber immer wieder unmissverständlich deutlich, dass das Recht des Berufungsvorschlage dem Staat nicht nur zukomme, sondern von ihm auch viel besser wahrgenommen werden könne.238 Das Aufgabenverzeichnis für Althoffs Ressort vom 6. September 1888 enthält in dem Kapitel, das sich mit allgemeinen Universitätsangelegenheiten befasst, die als Grundsatz zu verstehende Formulierung „in dubiis libertas.“ In der Kommentierung wendet er sich gegen eine „schablonenhafte“ Behandlung und für die Bewahrung der „Individualität der einzelnen Universitäten, wie sie sich historisch entwickelt haben.“239 Umgehend verschaffte sich Althoff ein Gutachten des renommierten in Göttingen lehrenden Rechtsgelehrten Rudolf von Jhering über Josef Kohler.240 In dem Gutachten von Jherings vom 19. Februar 1888 heißt es: „Er ist ein Mann ersten Ranges, in meinen Augen eine phänomenale Erscheinung. Er ist von einer wahrhaft staunenswerten, ich möchte fast sagen: unheimlichen Produktivität, der schafft für zehn. Und seine Arbeiten sind nicht oberflächlich, wenn auch nicht überall völlig ausgetragen, und sie hazur Herausbildung Berlins als bedeutendes Wissenschaftszentrum, Diss. phil. Berlin 1984; Bernhard vom Brocke, Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882–1907: das System „Althoff“, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Bildungspolitik zur Zeit des Kaiserreiches (Preußen in der Geschichte, Band 1), Stuttgart 1980, S. 9–118; Bernhard vom Brocke, Friedrich Althoff (1839–1908), Forschungsstand und Quellenlage, Bemühungen um eine Biographie, in: ders. (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 15–44; Marita Baumgarten, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997, S. 187–189. 238 So legte er großen Wert darauf, „dass die Begutachtung und Befragung der Fakultäten nicht so dargestellt werden, als ob es sich dabei um Rechtsansprüche handelt, wodurch die Kronenrechte irgendwie beeinträchtigt werden könnten“, vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der beiden Häuser des Landtages im Haus der Abgeordneten, Berlin 1896, 35. Sitzung am 5. März 1896, S. 1107. 239 Siehe Verzeichnis der größeren Aufgaben für U I, ZStA Merseburg, Nachlaß Althoff, Rep. 92 A I Nr. 13, Bl. 1–4. Vgl. auch Bernhard vom Brocke, Hochschulund Wissenschaftspolitik in Preußen und im Deutschen Kaiserreich 1882–1907: das System „Althoff“, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Bildungspolitik zur Zeit des Kaiserreiches (Preußen in der Geschichte, Band 1), Stuttgart 1980, S. 118. 240 Rudolf von Jhering, (1818–1892), 1842 Promotion in Berlin, 1843/45 Privatdozent in Berlin, danach Professor für römisches Recht in Berlin, Rostock, Kiel, Gießen, Wien und Göttingen, vgl. Alexander Hollerbach, Artikel „Rudolf von Jhering“, in NDB, Bd. 10, Berlin 1974, S. 123 f.; Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 450–453; Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät, in: Die Juristische Fakultät der Universität Berlin von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, hrsg. von Otto Liebmann, Berlin 1910, S. 33.

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ben einen Vorzug, in Bezug auf den kein anderer von allen Juristen sich mit ihm messen kann, sie verwenden einen literarischen Apparat, der wahrhaft staunenswert ist. Der Mann liest alles, kennt alles, benutzt alles, ich begreife gar nicht, woher er nur die Zeit nimmt, alle die Bücher der in- und ausländischen Literatur zu lesen, geschweige denn, alles zu verarbeiten. Und dabei ist er ein geistvoller Mann, von Ideen, und versteht vortrefflich zu schreiben – mitunter für mich etwas maniriert – und, worin er den meisten Theoretikern weit überlegen ist, ein Mann von gesundem praktischem Blick. Kurzum in ihm vereinigt sich alles, was man nur wünschen kann, ich kenne keinen Einzigen – mich selbst nicht ausgenommen –, den ich ihm an die Seite stellen möchte, er ist eben ein Meteor. Ein solcher Mann gehört nach Berlin. Er wird eine Zierde der Fakultät werden und mit der Zeit alle anderen dortigen Kräfte weit in den Schatten stellen. Die Berliner werden über seine Gewinnung zwar nicht sehr glücklich sein,241 wie auch ich es nicht sein würde, wenn er nach Göttingen käme, aber trotzdem würde ich alles aufbieten, ihn für G. zu gewinnen.“242 Diese Stellungnahme von Jherings war umso höher einzuschätzen, als dass das persönliche Verhältnis zwischen Kohler und von Jhering etwas getrübt war,243 worauf von Jhering auch in seinem Gutachten hinweist: „Persönlich hat er es nicht um mich verdient, er hat, nachdem er mir vorher in äußerster Weise den Hof 241 Vgl. zu dieser Einschätzung Rudolf von Jherings auch William M. Calder III, dessen Erfahrung nach nur in Ausnahmefällen Korporationen oder Fakultäten willens seien, den besten Kandidaten zu berufen. Das „Mittelmaß“ bekämpfe „den Außergewöhnlichen“, William M. Calder III, Die Rolle Friedrich Althoffs bei den Berufungen von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, in: Bernhard vom Brocke (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 251. 242 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 24 ff., Bl. 15. 243 Vgl. nur etwa Josef Kohler, Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, Würzburg 1883, 2. Auflage, Berlin 1919. Siehe hierzu auch das Schreiben der Verlagsbuchhandlung Dr. Walther Rothschild vom 16. Juni 1919 an Kohler mit der Bitte, die Vorrede zur 2. Auflage von Shakespeare einer Revision unterziehen, da diese sonst den Charakter einer Kampfschrift erhalte, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 20. Kohler kannte jedoch, wenn es um die Formulierung der „Wahrheit“ ging, keine Rücksicht. Seine Haltung hatte er bereits 1894 formuliert: „[. . .] ich fürchte mich weder vor Todten noch vor Lebenden, mein einziges Ziel ist die Idee des Wahren und die Idee des wissenschaftlichen Fortschritts.“, Die Idee des geistigen Eigentums, in: AcP 82 (1894), S. 147; Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht, 7. Auflage, Wien 1883, S. XIV.; Josef Kohler, Nachwort zu Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, Würzburg 1884; Josef Kohler, „Meine Beziehungen zu Jhering“, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911; Jhering, in: Vom Lebenspfad, Mannheim 1902, S. 42–49; Ernst Fuchs, Jhering und die Freirechtsbewegung (Glossen zu Jherings 100. Geburtstag). Mit einem Nachwort von Josef Kohler, in: ARWP 12 (1918/19), S. 10–23 (23–25).

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gemacht, später, nachdem seine Hoffnung, daß ich ihm einen Ruf nach Wien oder anderswohin verschaffen würde, nicht in Erfüllung gegangen, die Lanze gegen mich gewandt und mich in unwürdiger Weise angegriffen, er will eben Niemanden neben sich dulden, aber mein wissenschaftliches Urteil über ihn habe ich dadurch nicht beeinflussen lassen, ich erkenne ihn nach wie vor als einen Mann ersten Ranges an [. . .]“244 Friedrich Althoff fügte dem Bericht an Minister von Goßler eine schriftliche Randnotiz vom 21. Februar 1888 an, in der er auf das Verhältnis von Jherings und Kohlers eingeht: „Die Bemerkungen über K’s Benehmen gegen v. J. sind wohl etwas auf persönliche Verbitterung aus Anlaß des Streites über den juristischen Gehalt von Shakespeares Dramen zurückzuführen. Sonst liegen über K’s Charakter nur günstige Äußerungen vor, z. B. von Schroeder, der lange mit ihm in Würzburg zusammen war.“245 Anfang 1888 kam Althoff nach Würzburg, um mit Kohler persönlich zu verhandeln.246 Für den 24. Februar 1888 lud er ihn zu einem Gespräch über die Bedingungen bei der Besetzung des neuen Ordinariats ins Ministerium nach Berlin ein. Es wurde protokollarisch festgehalten, dass Kohler in Berlin im Sommersemester Zivilprozessrecht und vergleichende Rechtswissenschaft lesen soll, im Wintersemester Strafprozessrecht sowie Konkurs- und Konkursprozessrecht; in diesem Semester sollte er außerdem ein allmählich auf vier Stunden zu erweiterndes und die Bedürfnisse junger Praktiker besonders berücksichtigendes Zivilprozesspraktikum abhalten. Des Weiteren erklärte sich Kohler bereit, auf etwaigen Wunsch des Ministers im Wintersemester französisches Zivilrecht und nach Bedarf auch Handelsrecht zu lesen sowie ein Handelsrechtspraktikum abzuhalten.247 Althoff, von den Fähigkeiten Kohlers überzeugt, hatte sich wieder einmal durchgesetzt.248 In seinem an das preußische Staatsoberhaupt gerichteten 244 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45 Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 15. Siehe hierzu auch Josef Kohler, „Meine Beziehungen zu Jhering“, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911, der sich dahingehend verteidigt, „die explosive Natur“ Jherings und das „Unberechenbare“ Jherings Wesens hätten ihn dazu gebracht, sich von Jhering zurückzuziehen. 245 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 15. 246 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 247 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 28. 248 Althoff genoss den Ruf, seine Überzeugung unter Umständen auch gegen starke Widerstände aus den Fakultäten durchzusetzen. Siehe hierzu auch William

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Berufungsantrag schrieb Minister v. Goßler am 3. März 1888, dass es ihm nun endlich gelungen sei, für das schon seit über einem Jahr neu gegründete Ordinariat für Prozesswissenschaft an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin „eine hervorragende Kraft zu gewinnen. [. . .] Gegenwärtig glaube ich [. . .], den rechten Mann für diese Stelle in dem ordentlichen Professor Dr. Kohler zu Würzburg gefunden zu haben. [. . .] Seine Vorlesungen zeichnen sich ebenso sehr durch Formvollendung wie durch Gediegenheit des Inhalts aus; durch eine seltene Vielseitigkeit des Wissens wirkt er ungemein anregend auf die Zuhörer, ohne dass die Klarheit und Übersichtlichkeit des Vortrages darunter leidet.“249 Die Ernennung Kohlers zum ordentlichen Professor an der Berliner Universität durch Minister von Goßler erfolgte zum Sommersemester 1888. In dem Schreiben des Ministeriums vom 31. März 1888 heißt es: „Seine Majestät der Kaiser und König haben unterm 19. März d. J. allergnädigst geruht, den bisherigen Ordentlichen Professor in Würzburg zum ordentlichen Professor in der juristischen Fakultät der hiesigen Friedrich-Wilhelms-Universität zu ernennen. Die juristische Fakultät setze ich hiervon im Verfolge des gefälligen Berichts vom 3. Februar d. Js. mit dem Bemerken in Kenntniß, dass ich dem g. Dr. Kohler die durch den Staatshaushalts-Etat für April 1886/87 neu begründete ordentliche Professur mit der Verpflichtung verliehen habe, die Fächer des Zivilprozesses, des Konkursrechtes, des Strafprozesses, der Vergleichenden Rechtswissenschaft und, sofern sich ein Bedürfniß dazu ergeben sollte, des französischen Zivilrechts und zwar das erst erwähnte Fach sowohl in Vorlesungen wie in umfassenden Übungen zu vertreten. [. . .].“250 Am 27. April 1888 leistete Kohler den sog. Preußischen Staatsdienereid,251 seit dem 1. April 1888 bezog er ein Gehalt von 8400 M. Calder III, Die Rolle Friedrich Althoffs bei den Berufungen von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, in: Bernhard vom Brocke (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 251: „Wilamowitz betrat die Weltbühne seiner Erfolge nicht mit Hilfe seiner preußischen Kollegen, [. . .], sondern trotz seiner preußischen Kollegen, gefördert durch Althoffs kompromisslose Überzeugung von seiner überragenden Bedeutung.“ Um der Qualität von Forschung und Lehre willen verhalf Althoff an preußischen Universitäten auch sonst wenig gelittenen“ Minderheiten wie Katholiken, Juden und sog. „Kathedersozialisten“ zum Zuge zu kommen, vgl. Klaus Schwabe, Einführende Bemerkungen: Rahmenbedingungen und Selbstdeutung des beruflichen Wirkens deutscher Gelehrter, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von dems., Boppard am Rhein 1988, S. 10. 249 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 30 R ff. 250 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 494, Bl. 51.

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Mark nebst einem Wohnungsgeldzuschuss von 900 Mark jährlich;252 für die besonderen Kosten seines beschleunigten Umzugs von Würzburg nach Berlin wurde ihm eine Entschädigung von 3600 Mark bewilligt.253 Damit zählte Kohler zu den bestbezahlten Professoren der Berliner Universität.254 Zusammenfassung des Kapitels Kohler war frankophil, liberal und weltoffen. Seine Schulausbildung, in der bereits die für ihn als Gelehrten signifikante Wissensaufspeicherung begann, scheint nicht durch Patriotismus oder Religiosität, Militarismus oder Autoritätshörigkeit bestimmt gewesen zu sein als vielmehr durch Literatur und Wissenschaft. Seine Lebens- und Weltanschauung war ganz durch das humanistische Ideal der Klassik geprägt. In einem Umfang, in dem sonst niemand mehr vermochte, den Anspruch der Einheit der Rechtswissenschaft umzusetzen, gelang es ihm, die Rechtsgeschichte mit dem geltenden Recht und der Rechtsphilosophie zu verbinden. Mit seiner Betonung der schöpferischen Richterpersönlichkeit wurde er zum Vorläufer der um die Jahrhundertwende um den österreichischen Rechtssoziologen Eugen Ehrlich entstandenen Freirechtsschule, welche auf die Funktion des Richters als eigenverantwortlichem Organ der Rechtsanwendung und -fortbildung hinwies 251 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Jur. Fak., Nr. 16, Bl. 88 R. 252 Schreiben Althoffs vom 14. Juni 1888 an den Vorsitzenden der Einschätzungskommission für klassifizierte Einkommenssteuer, Königlichen Oberregierungsrath Herrn Tuebben, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45 Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 46. Ökonomisch gehörten Hochschullehrer in der Regel dem gehobenen Mittelstand an, vgl. Gerd Hohorst/Jürgen Kocka/Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreiches 1870–1914, München 1975, Tabellen S. 106, 109. 253 Mitteilung Althoffs vom 24. April 1888 an die Kasse des Ministeriums, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896, Bl. 41. 254 Während Berliner Ordinarien um 1890 durchschnittlich 7400 Mark, in den letzten Vorkriegsjahren durchschnittlich 7650 Mark verdienten, betrug das Gehalt von Ordinarien der juristischen Fakultät um 1890 durchschnittlich 6296 Mark, um 1908/09 8430 Mark. Vgl. Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 109, zusammengestellt nach den Zahlenangaben bei Johannes Conrad, Allgemeine Statistik der deutschen Universitäten, in: Wilhelm Lexis (Hrsg.), Die Deutschen Universitäten, Bd. 1, Berlin 1893, S. 160 f. sowie nach Friedrich Lenz, Beiträge zur Universitätsstatistik, Halle 1912, S. 35. Hinzu kamen Nebeneinnahmen aus Lehr-, Prüfungs-, und Gutachtertätigkeit sowie aus seinen publizistischen Arbeiten.

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und damit das Dogma des Rechtspositivismus von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung verwarf. Wie sich aus dem vorangegangenen Kapitel ergibt, hat Kohler, der ohne Familienüberlieferung, ohne fördernde Beziehungen, ohne Einführung durch Lehrer oder Schulrichtungen seinen Weg in die Rechtswissenschaft nahm, diesen Weg immer wieder gegen Widerstände auf sich genommen. Zugleich werden die Bedenken deutlich, die Kohler, der über die Grenzen des eigenen Faches und der deutschen Rechtswissenschaft hinausstrebte, bei manchem Kollegen auslöste. In einer Zeit, in der man im Deutschen Reich dem westlichen Rechtsdenken gegenüber noch sehr verschlossen war, beschäftigte er sich mit ausländischem Recht und nahm am internationalen Diskurs teil. Dabei bestanden geistige Verbindungslinien zu den süddeutschen Rechtsvergleichern des beginnenden 19. Jahrhunderts, deren verbindendes Element war, dass sie mehr oder weniger Liberale waren, dass sie sich nicht auf die wissenschaftliche Rekonstruktion des klassischen römischen Rechts beschränkten, sondern der modernen Parlamentsgesetzgebung zuneigten.255 Außergewöhnlich war seine Wertschätzung fremder Kulturen. So sah er keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Recht „primitiver“ und „zivilisierter“ Völker. Dies verband er mit der Mahnung, nicht die eigene Vorstellung vom Recht als die einzig wahre und ewige anzusehen, andere Meinungen zu achten, andere Völker und Zeiten zu verstehen. Er wies – als Gegengewicht zu Positivismus, Dogmatismus und engem Nationalismus – die übergreifenden Werte des Rechts und die Universalität der Rechtswissenschaft auf; er überwand ein technisiertes Spezialistentum durch ein in größeren Kategorien wirkendes ganzheitliches Rechtsdenken, dessen kritischem Sinn ein „weltweiter Vorrat von Lösungen“ zur Verfügung stand. Er glaubte an eine einheitliche Weltkultur des Rechts, an eine universelle Entwicklung zu höherer Geistigkeit und Sittlichkeit. Er war überzeugt von seiner Idee von der Gesamtweltkultur als Grundlage des Rechts und ihrer Universalgeschichte als Grundlage der Rechtswissenschaft. Neben diesen im Vordergrund stehenden idealistischen Motiven war er sich aber auch der politischen Bedeutung der Rechtsethnologie bewusst. Seine Forschungen sollten auch den Zwecken der Administration zur Ausübung einer effektiven Kolonialherrschaft dienlich sein. In Deutschland ging die Rechtsethnologie zunächst von unpolitischen Fragestellungen aus. Sie setzte allerdings ebenso wie Kohler die Überlegenheit der weißen Rasse bei der Konstruktion von 255 Vgl. Michael Stolleis, Nationalität und Internationalität: Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998, S. 10; Elmar Wadle, Einhundert Jahre rechtsvergleichende Gesellschaften in Deutschland, Baden-Baden 1994, S. 13–16; Konrad Zweigert/Hein Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts. Band 1: Grundlagen, 2. Auflage, Tübingen 1984, S. 61.

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Entwicklungsreihen als völlig selbstverständlich voraus; insofern trug sie zur ideologischen Rechtfertigung der Herrschaft der Europäer über Eingeborene bei. Die Reichsgründung 1871 erschien ihm wie vielen seiner Zeitgenossen als Höhepunkt der deutschen Geschichte und verstärkte seine Achtung vor der Politik Bismarcks, insbesondere vor dessen Außenpolitik. Die Bewahrung und Sicherung der mit dem Sieg über Frankreich gewonnenen Großmachtstellung des Deutschen Reiches wurde zu einer der Leitlinien seines politischen Denkens.

Zweites Kapitel

Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1888–1913) Im folgenden Kapitel sollen Kohlers wissenschaftliches und politisches Wirken im Umfeld der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges untersucht werden. Da Kohler selbst den Ruf nach Berlin als nachhaltigsten Einschnitt seines Lebens bezeichnete,1 soll zunächst ein Blick auf die Berliner Universität, und zwar insbesondere auf die juristische Fakultät geworfen werden.

A. Ordinariat in Berlin I. Die Fakultät Kohler kam in Berlin an eine Universität, die von ihrem Rektor Emil du Bois-Reymond 1870 als das „geistige Leibregiment des Hauses Hohenzollern“ bezeichnet worden war2 und an eine Fakultät, die für den Zivilrechtler Ernst Heymann „wie die ganze Universität eine Schöpfung des preußischen Staates, eine seiner edelsten Schöpfungen“ und „in ihrer ganzen bisherigen Geschichte ein eigentümliches Spiegelbild der Geschehnisse und Stimmungen des preußischen Staatswesens und seiner führenden Kreise“ darstellte. Wie jede wissenschaftliche Organisation ihre besten Kräfte aus dem Stück Erde sauge, auf dem sie stehe, so Heymann, so seien auch in die Berliner Juristenfakultät „Ströme geistigen Lebens, Ströme politischer Kraft und Ströme echt nationaler Empfindung“ aus dem preußischen Staatswesen und später dann aus dem in Berlin seinen Mittelpunkt findenden deutschen Reich hinübergeflutet.3 Waren in Berlin im Wintersemester 1810/11 erst 53 Jurastudenten eingeschrieben gewesen, so erhöhte sich die Zahl zum Win1 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 2 Emil du Bois-Reymond, Reden von Emil du Bois-Reymond in zwei Bänden, hrsg. von Estelle du Bois-Reymond, Band I, 2. Auflage, Leipzig 1912, S. 418 (Rektoratsrede vom 3. August 1870). 3 Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1192.

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tersemester 1890/91 auf 1566, auf 2279 im Wintersemester 1900/1901. Im Winter 1909/10 betrug die Zahl der Juristen 2392.4 Die Studentenschaft der Berliner Universität war Heymann zufolge nicht bloß ein Produkt der Berliner Universität, sondern brachte „oft schon ein Stück Charakterbildung und nationaler Erziehung von draußen mit.“5 Den Ruf nach Berlin bezeichnete Kohler später als nachhaltigsten Einschnitt seines Lebens: „Hier fand ich Gelehrte aller Fakultäten, die eine herrschende Stellung einnahmen und auf diese Weise für die Richtung meines Handelns bestimmend waren, und hier lernte ich so viele andere Geister kennen, die auf mich bildend einwirkten und mich unaufhörlich mahnten, in allen meinen Arbeiten eine möglichste Reife zu erzielen.“6 Ein Ruf nach Berlin bedeutete auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen den Höhepunkt einer akademischen Karriere. Ende des Jahrhunderts besaß die Friedrich-Wilhelms-Universität als „Weltuniversität“ höchsten Rang.7 Das persönliche Prestige renommierter Wissenschaftler verband sich mit der Nähe zum politischen Zentrum. Gesellschaftliche und persönliche Verbindungen zum Hof, und – insbesondere in der Ära Bülow zum Reichskanzler – ließen ein dichtes Beziehungs- und Kommunikationsnetz entstehen.8 Der deutschfreundliche Korrespondent zahlreicher Zeitungen in den USA und in Eng4 Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1189. 5 Ernst Heymann, Hundert Jahre Berliner Juristenfakultät. Ein Gedenkblatt, in: DJZ 20 (1910), Sp. 1192. 6 Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 7 Vgl. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 2, 2, Halle 1918, S. 371; Marita Baumgarten; Die Geistes- und Naturwissenschaften an der Universität Göttingen 1866–1914: Die Universität unter preußischer Führung, in: Karl Strobel (Hrsg.), Deutsche Universität, Vierow 1994, S. 43. 8 Siehe auch Kohlers Beschreibung einer Begegnung mit Bülow: „Es war auf einem jener Pressebälle, welche in Berlin jeden Winter in der Philharmonie veranstaltet werden und die für mich immer eine besondere Anziehungskraft hatten durch die Fülle schöngeistiger Elemente, die sich hier zusammenfinden, den vornehmen und dabei doch etwas mit Bohème untersetzten Ton [. . .] Ich traf den Fürsten in der Ehrenloge in eifrigem Gespräch mit Sudermann. [. . .] Die Liebenswürdigkeit seines Wesens hat einen eigenen Charme. [. . .] Er hat die Formen des Umgangs so in der Gewalt, ihm ist die faszinierende Kraft der Suggestion und Seelenbeherrschung in so hohem Maße eigen, daß er damit die allergrößten Erfolge erzielt. [. . .] Nicht durch das Bismarcksche Mittel einer alles hinreißenden Herrschernatur konnte er seine Zwecke erreichen, sondern dadurch, dass er in der Bevölkerung und in den leitenden Persönlichkeiten diejenigen seelischen Stimmungen auszulösen verstand, welche es bewirkten, daß sie, auch ohne es zu wollen, seinen Bestrebungen folgten.“, Fürst Bülow, in: Neue Freie Presse vom 15. Juli 1909; Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, Boppard am Rhein 1988, S. 147.

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land, Sidney Whitman, zählte die deutschen Professoren „zu einer Klasse, die in England selten einen Einfluß ausgeübt hat: zu den in der Tagespolitik stehenden Gelehrten. Wer da meint, es verleihe seiner Stellung ein besonderes Prestige, wenn man ihn [. . .] als Vertrauten seines Monarchen bezeichnet, der verkennt ganz die Stellung eines deutschen Professors, die ja tatsächlich durchaus auf seinem eigenen Wert, auf der Hochachtung seiner Kollegen und der Verehrung seiner Schüler beruht.“9 Deutsche Hochschullehrer galten im 19. Jahrhundert in der Sicht der Zeitgenossen und im eigenen Selbstverständnis nicht nur als Mitglieder einer Leistungselite, sondern verkörperten zugleich eine Wertelite,10 indem sie als Wissenschaftler moralische und politische Normen verkündeten und vorzuleben versuchten, die der übrigen Bevölkerung als Orientierung dienen sollten: „Nicht Sonderlinge, nicht Büchergelehrte, nicht wilde Fremdlinge wollen wir sein: hier im Leben, wo der Quell der Nation erquillt, wollen wir handeln und wirken als Mitglieder unseres Volkes, in der Stellung und Wirkungssphäre, die uns die Macht unserer Bildung und unseres Wissens gewährt.“11 Welche Ablehnung man ihm entgegengebracht hatte, wusste Kohler sehr gut: „Daß ich in Berlin nicht nur Zustimmung, sondern manche Gegensätze finden werde, war mir wohl bekannt; aber aus der Verbindung von Zustimmung und Ablehnung entwickelt sich die feste Linie, die ein jeder charakterfeste Gelehrte einzuhalten hat.“12 Auch in Berlin stand für ihn die Lehrtätigkeit im Vordergrund. Mit bis zu 26, 27 Wochenstunden hielt er die meisten Kollegstunden an der gesamten Berliner Universität und erwarb sich so den Ruf des „fleißigsten Hochschullehrers“ in Berlin.13 Kein Zauber, so meinte er, könne das Wonnegefühl ersetzen, das den akademischen Lehrer erfasse, wenn er in der Vorlesung mit seinen Schülern spreche und, in ihren Blicken ihre Beteiligung lesend, versuche, sich ihnen verständlich zu machen, „vollkommen verständlich, weil er sie liebt.“ Täglich denke er sich wieder neu in die Sphäre der Lernenden hinein. Was er schon jahrelang in sich aufgebaut habe, das erstehe von Neuem in seinem Geiste, gewinne immer neue Formen und trete in immer neue Beleuchtung.14 In den Pausen zwi9 Sidney Whitman, German memories (1912), deutsch: Deutsche Erinnerungen, Stuttgart 1912, S. 134 f. 10 Vgl. Klaus Schwabe, Einführende Bemerkungen: Rahmenbedingungen und Selbstdeutung des beruflichen Wirkens deutscher Gelehrter, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von dems., Boppard am Rhein 1988, S. 16. 11 Josef Kohler, Aus dem Tag eines akademischen Lehrers, in: Akademische Rundschau 1 (1896/97), S. 121. 12 Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 13 BZ am Mittag vom 4. August 1919. Im Jahre 1913 war er so überanstrengt, dass er im Hörsaal in Ohnmacht fiel, vgl. D’r alt Offeburger vom 13. April 1913 sowie vom 10. und 17. August 1919.

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Abbildung 1: Die Juristische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Ende 1897

schen den Vorlesungen sah man ihn eifrig schreibend und scheinbar in sich versunken im Cafe Bauer Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße oder in der Königlichen Bibliothek neben der Universität.15 Seine Vorlesungen waren überfüllt, obwohl er kein glänzender Redner gewesen sein soll. Er habe leise gesprochen, durchaus nicht faszinierend. Und doch, so schrieb sein ehemaliger Schüler Behl, „sei ein Etwas um ihn gewesen, das gebannt und nicht losgelassen habe, das sei die Persönlichkeit gewesen, die sich auch ohne rhetorische Bezauberung überzeugend mitgeteilt habe.“16 14

Josef Kohler, Aus dem Tag eines akademischen Lehrers, in: Akademische Rundschau 1 (1896/97), S. 118. Siehe auch W. Harrer, Dem Andenken Kohlers, in: Badische Notarszeitschrift 1919, S. 139: „Wer diesen merkwürdigen Mann [. . .] vorn auf dem Katheder sitzend mit funkelnden Augen und lebhafter Gestikulation lehren sah, [. . .], der hat einen unauslöschlichen Eindruck von der Eigenart und Tiefe seiner Persönlichkeit empfangen.“ 15 Vgl. hierzu auch Josef Kohler, Aus dem Tag eines akademischen Lehrers, in: Akademische Rundschau 1 (1896/97), S. 119; Carl Friedrich Wilhelm Behl, In Memoriam Josef Kohler. Zu seinem 100. Geburtstag am 9. März, in: NJW 2 (1949), S. 161. 16 Carl Friedrich Wilhelm Behl, In Memoriam Josef Kohler. Zu seinem 100. Geburtstag am 9. März, in: NJW 2 (1949), S. 161; ähnlich Artur Meszlény, Josef Koh-

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Galt Kohler im persönlichen Umgang mit Freunden, Kollegen und Studenten im Allgemeinen als äußerst liebenswürdig,17 so genoss er zugleich den Ruf, im beruflichen Umgang teils stur und eigensinnig zu sein. Gegenauffassungen, heißt es, habe er oftmals ignoriert;18 im Umgang mit den Mitarbeitern der von ihm herausgegebenen Zeitschriften sei er teils „etwas souverän“ gewesen.19 Fachkollegen wie Windscheid oder Jhering schonte er nicht mit beißender Kritik; gespalten war auch sein Verhältnis zu Gustav Radbruch, was sich insbesondere bei dessen Doktorprüfung niederschlug.20 Max Webers Habilitationsverfahren betreute Kohler als Dekan der Juristischen Fakultät hingegen sehr wohlwollend.21

ler als Mensch und Gelehrter. Vortrag gehalten am 13. November 1924 im Verein der Freunde der kön. ung. Franz-Josefs-Universität in Szeged, Budapest 1925, S. 103. 17 Vgl. die Artikel in: Der Montag vom 4. August 1919 und in: Tägliche Rundschau vom 4. August 1919. 18 Siehe Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 24. 19 Siehe Max Fleischmann, „Josef Kohler“, in: Zeitschrift für Völkerrecht 11 (1919), S. XIV. 20 Vgl. Gustav-Radbruch-Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, 16. Band: Biographische Schriften, eingeleitet und bearbeitet von Günter Spendel, Heidelberg 1988, S. 210 f.; 17. Band: Briefe I (1898–1918), eingeleitet und bearbeitet von Günter Spendel, Heidelberg 1991, S. 133 (dazu S. 369), 141, 160, 295. Nachdem Kohler als Referent die Dissertation Radbruchs, der in Berlin bei Franz von Liszt im Strafrecht über die „Lehre von der adäquaten Verursachung“ promovierte, als „ungenügend“ bezeichnet hatte, einigte man sich, dass in Zukunft jeder Dozent das Referat über seine eigenen Doktoranden halten sollte. Von Liszt zufolge ging es nicht an, „sich gegenseitig seine Doktoranden abzuschlachten.“ Vgl. Gustav Radbruch, Der innere Weg. Aufriss meines Lebens, Göttingen 1951, S. 76; 2. Auflage, Göttingen 1961, S. 56. 21 Kohler war am 1. August 1891 als Nachfolger Otto von Gierkes zum Dekan der Fakultät gewählt worden, wie es im Protokoll heißt, „mit allen gegen eine Stimme“, vgl. UA der HUB, Jur. Fak., Bd. 16, Bl. 88 R. In Kohlers Privatwohnung fand dann auch im Januar 1892 die Fakultätssitzung statt, in der Max Weber seinen Habilitationsprobevortrag über „Die Gewerbe-Gesellschaft ohne Firma im jetzigen Recht“ hielt und an der abgesehen von Albert Friedrich Berner alle Ordinarprofessoren teilnahmen. Am Kolloquium beteiligte sich außer Kohler noch Levin Goldschmidt. Man beschloss einstimmig, den Habilitanden als Privatdozenten anzunehmen. Vgl. Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Nr. 144, Bl. 187–215 sowie Nr. 16, Bl. 92; siehe auch Andreas Gängel/Michael Schaumburg, „Sollten noch weitere Vorschläge erforderlich sein . . .“ – Max Webers Habilitation zu der Juristischen Fakultät der Berliner Universität, in: Staat und Recht 4/1989, S. 32 ff.

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II. Die Verknüpfung von Politik und Wissenschaft in der Kolonialära Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, wie Kohler die Möglichkeiten, die sich ihm in der Reichshauptstadt boten, für seine Forschungen nutzte. Zugleich wird deutlich, wie eng die Kooperation von Politik und Wissenschaft in der Kolonialära war. Im Oktober 1891 wandte sich Kohler an die Kolonialabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes mit der Bitte, die im Auswärtigen Amt befindlichen schriftlichen Berichte über die Rechtsverhältnisse der Naturvölker für seine rechtsvergleichenden Forschungen verwerten zu dürfen.22 Der Direktor der Kolonialabteilung von König ergriff die Gelegenheit, Kohler anzuregen, „durch Aufstellung einer kurzen, für Laien leicht verständlichen Anleitung, etwa in Form eines Fragebogens“ die zukünftige Berichterstattung in den Kolonien zu verbessern.23 Kohler erklärte seine Bereitschaft.24 Nach Vorarbeiten von Post und anderen verfasste er seinen „Fragebogen zur Erforschung der Rechtsverhältnisse der sog. Naturvölker, namentlich in den deutschen Kolonialländern“,25 der in einer Auflage von 200 Stück in der Hofdruckerei E. S. Mittler und Sohn gedruckt wurde und im Juni 1896 vom Auswärtigen Amt an die Gouvernements in den deutschen Kolonien zur Verteilung an Beamte, Soldaten sowie Missionare verschickt wurde.26 Der Fragebogen umfasste insgesamt 100 Fragenkomplexe, in denen nach alltäglichen Lebenssituationen und den auf sie anzuwendenden Sitten und Ordnungsregeln gefragt wurde. Es kamen zahlreiche Antworten.27 22 Kohler am 10. Oktober 1891 an das Auswärtige Amt, Akten des Reichskolonialamtes 4989/2. 23 Von König am 1. Juli 1895 an Kohler, RKA 5000, S. 72. 24 Kohler am 2. Juli 1895 an von König, RKA 5003, S. 115 f. 25 Abgedruckt in: ZVerglRW 12 (1897), S. 427. Die Fragebögen von Post und Kohler dienten auch anderen Forschern als Grundlage. So basiert etwa die „ethnographische Fragensammlung“ von Rudolph Steinmetz und Richard Thurnwald auf den Fragebögen Kohlers. 26 Schreiben des AA vom 6. Juni 1896, RKA 5000, S. 166; Mitteilung und Rechnung der Königlichen Hofbuchhandlung und Hofbuchdruckerei E. S. Mittler und Sohn an das Auswärtige Amt, Kolonial-Abtheilung vom 17. Mai 1896; RKA 5000, S. 161 ff.; Runderlass des stellvertretenden Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika von Bennigsen vom 21. Juli 1896, RKA 5001, S. 23. 27 Missionarsberichte, Materialsammlung über Afrika, Bericht des Gouverneurs Dr. Hahl über Rechtsanschauungen eines Teils der Blanchebucht vom 27. April 1898, Bericht des Missionars Vetter über papuanische Rechtsgewohnheiten vom 14. Juni 1897, Bericht des Missionars Bamler vom 3. März 1900 über Rechtsanschauungen der Eingeborenen der Tami-Inseln, Nachlass Kohler, Staatsbibliothek Berlin, Kasten 4; Berichte der Schutztruppenoffiziere Merker (Volk der Dschagga) und Pu-

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Wie schon in Würzburg stand für Kohler bei seiner Tätigkeit die Universalrechtsgeschichte im Vordergrund. Wie bereits in Würzburg spielten aber auch politische Gründe eine Rolle. Ohne Kenntnis ihrer Rechts- und Sittenanschauungen konnte man Kohler zufolge die eingeborenen Völker nicht „regieren.“ Deutlicher noch als in seiner Würzburger Zeit trat bei Kohler in Berlin das nationale Geltungsbewusstsein hervor, das er mit der deutschen Kolonisation verband. Kohler teilte die weit verbreitete Ansicht, dass Kolonisation für Deutschland als Industriestaat unentbehrlich sei. Die Zurückhaltung Bismarcks in der Kolonialpolitik28 kritisierte er ebenso wie die dürftige und „unfruchtbare“ Afrikapolitik Caprivis.29 Er befürwortete die Pläne deutscher Kolonialisten „da und dort ein junges Deutschland“ zu gründen.30 „Meisterhaft“ hatten seiner Ansicht nach Männer wie der alldeutsche Kolonialkonquistador Carl Peters aus den Gebilden afrikanischer Häuptlingschaft „deutsche Reiche“ zu gestalten gewusst.31 Die Kolonialbewegung entsprach dem Prestigebedürfnis breiter Bevölkerungskreise.32 Kohlers Kolonialismus zeigte ebenso stark patriarchaliche Züge, Züge eines Weltbürgertums wie eines ausgeprägten nationalen Geltungsbewusstseins auf der anderen Seite. Gerade der um Aufholen und um Sicherung eines „Platzes an der Sonne“33 bemühte deutsche Kolonialexpansionismus wies jene Antinomien von Rationalismus und starken irrationalen Elementen auf,34 wie sie bei Kohler zu finden waren. der (Volk der Nyamwezi) sowie des Missionars Heinrich Lang (Volk der Schambala) aus Deutsch-Ostafrika, RKA Band 4990, S. 6–78. 28 Fürst Bülow, in: Neue Freie Presse Nr. 16127 vom 15. Juli 1909. 29 ZVölkR 6 (1913), S. 276. 30 Zu solchen Plänen siehe Horst Gründer (Hrsg.), „. . . da und dort ein junges Deutschland gründen“. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999. 31 Unveröffentlichtes, undatiertes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Deutschlands Jugendkraft, S. 5. Zu Carl Peters siehe auch Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 3. Auflage, Paderborn u. a. 1995, S. 30 f. 32 Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 3. Auflage, Paderborn u. a. 1995, S. 27; Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004): Universitäten und Kolonialismus. 33 Vgl. Gerd Fesser, Der Traum vom Platz an der Sonne. Deutsche „Weltpolitik“ 1897–1914, Bremen 1996, S. 25, 29; siehe auch Paul Heilborn, Grundbegriffe und Geschichte des Völkerrechts, Berlin 1912, S. 24; Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, München 1986, S. 38; Wolfgang J. Mommsen, Triebkräfte und Zielsetzungen des deutschen Imperialismus vor 1914, in: derselbe, Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur des deutschen Kaiserreiches, Frankfurt a. M. 1990, S. 182 ff. 34 Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 3. Auflage, Paderborn u. a. 1995, S. 25 f.

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Im Herbst 1906 wandte sich ein ehemaliger Schüler an Kohler, Bernhard Jakob Ludwig Dernburg (1865–1937), Neffe des Berliner Zivilrechtlers Heinrich Dernburg. Er hatte während seines Studiums in Berlin bei Kohler Vorlesungen über vergleichende Rechtswissenschaft gehört.35 Dernburg hatte im September 1906 die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes übernommen und sah sich nun vor der Aufgabe, das ungeordnete Amt aufzuräumen.36 Der dem Linksliberalismus nahe stehende vormalige Bankier versuchte, in der Eingeborenenpolitik fiskalisch-kolonialstaatliche Interessen mit einer die einheimischen Arbeitskräfte erhaltenden und qualifizierenden Politik in Einklang zu bringen.37 Kohler wies Dernburg, der ihn um Rat fragte, auf die Versäumnisse in der Eingeborenenpolitik hin. Er war der Ansicht, dass viele Notstände in den Kolonien darauf beruhten, dass den deutschen Kolonialbeamten die Rechtsanschauungen und Denkweisen der Eingeborenen unbekannt waren und sie diese, ohne es zu wissen, verletzten. Kohler zufolge waren daher die Rechte der Kolonialvölker genau zu ermitteln und aufzuzeichnen und die Kolonialbeamten in einem Kursus über das Recht der Völker, die sie „zu beherrschen“ hätten, zu belehren.38 Unter Hinweis auf seine Fragebogenaktion von 1896 regte er Dernburg an, eine weitere Aufforderung an die Kolonialbeamten in diesem Sinne ergehen zu lassen, so dass auf der einen Seite diese Beamten selbst dazu angehalten würden, sich mit den Rechten der Völker zu befassen; andererseits kämen die Ergebnisse auch der Wissenschaft zugute.39 In der Folgezeit gelang es Dernburg, Kohler für die Leitung einer zur Erforschung der Rechtsverhältnisse in den Schutzgebieten zu berufenden Kommission zu gewinnen.40 Da aus den „Schutzgebieten“ regelmäßig Beschwerden über das Verhalten der Kolonialbeamten und Truppenangehörigen gekommen waren, hatten einige Abgeordnete im Mai 1907 eine Resolution in den Reichstag eingebracht, in der sie eine Sammlung des über das Eingeborenenrecht in den deutschen 35 Dernburg am 4. Juni 1907 an Kohler, RKA 4992/29; Koloniale Rundschau 2 (1910), S. 440. 36 Werner Schiefel, Bernhard Dernburg 1865–1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland, Zürich 1972, S. 64. 37 Sein auch als „Ära Dernburg“ bezeichneter, im Vergleich zu den vorangegangenen Phasen rigiden Vorgehens gegenüber den Eingeborenen weitaus humanerer, Reformkurs leitete den Systemwechsel in der Kolonialpolitik ein. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Band II: Machtstaat vor der Demokratie. Broschierte Sonderausgabe München 1998, S. 288; Horst Gründer (Hrsg.), „. . . da und dort ein junges Deutschland gründen“. Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1999, S. 226 f. 38 Kohler am 29. Oktober 1906 an Dernburg, RKA 4990/121. 39 Kohler am 29. Oktober 1906 an Dernburg, RKA 4990/121. 40 Dernburg am 4. Juni 1907 an Kohler, RKA 4992/29; Kohler am 7. Juni 1907 an Dernburg, RKA 4992/31.

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Schutzgebieten vorhandenen Materials und die Anlegung einer authentischen Sammlung der Rechtsgebräuche der Eingeborenen forderten.41 Argumentiert wurde mit kulturmissionarischen Aufgaben in den Kolonien. Es bestehe die Verpflichtung, so die Resolution, das Christentum innerhalb der Schutzgebiete zu verbreiten. Da den Schwarzen zudem die Fähigkeit zum rationellen Wirtschaften fehle, hieß es weiter, müssten sie durch Erziehung zur Arbeit und zum religiösen Leben kulturell gehoben werden. Im Plenum herrschte Einigkeit darüber, dass die Kenntnis der einheimischen Rechtsanschauungen der deutschen Verwaltung in den Kolonien das Regieren und die Zusammenarbeit mit den Einheimischen erleichtern würde. Der Reichstag und die Kolonialverwaltung hatten ihre Gründe für das gesteigerte Interesse an der kolonialen Rechtspolitik. Angesichts der kostenaufwendigen Kolonialkriege hatte sich zunehmend der Eindruck verbreitet, dass eine dauerhafte, friedliche Beherrschung der Kolonien weitaus schwieriger zu bewerkstelligen war als deren Okkupation. Mit der Annahme der Resolution durch den Reichstag42 hatten die Beamten der Kolonialabteilung den offiziellen Auftrag, die einheimischen Rechte in den Kolonien zu erkunden. Der Kommission, die am 9. Juli 1907 erstmals zusammentrat,43 gehörten neben Kohler, der auf Vorschlag Dernburgs zum Vorsitzenden gewählt wurde,44 verschiedene sachverständige Wissenschaftler und Praktiker an wie Felix Meyer, Ernst Müller-Meiningen, Dr. von Jakobs, Dr. Heinrich Schnee,45 Dr. Meyer-Gerhard, Pater W. Schmidt sowie die Reichstagsabgeordneten Dr. Karl Friedrich von Richthofen-Damsdorf, Dr. Karl Dove,46 Paul Hagemann und Dr. Otto Südekum. Während Jakobs sich in London, Den Haag und Paris über das Vorgehen der anderen Kolonialmächte informieren sollte,47 sollten Kohler, Felix Meyer und Dove gemeinsam einen Fragebogen aufstellen,48 wobei die Untersuchung älterer schriftlicher Quellen auf Rechtsinstitute der Eingeborenen Kohler übertragen wurde.49 Kohler konnte hierfür einige seiner Studenten und Schüler gewinnen, unter ihnen 41

Anlagen zu Sten. Ber. RT. Bd. 242, 2235. Vgl. Reichstag, Drucksache Nr. 386, 12. Legislatur-Periode, I. Session 1907. 43 Protokoll der ersten Sitzung, RKA 4992/52. 44 Protokoll der ersten Sitzung 4, RKA 4992/52; siehe dazu auch D’r alt Offeburger vom 21. Juli 1907; Heinrich Wick, Das Privatrecht der Farbigen in den deutschen Schutzgebieten, Münster 1913, S. 1 f. 45 Werner Schiefel, Bernhard Dernburg 1865–1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland, Zürich 1972, S. 45. 46 H. A. L. Degener, Wer ist’s? Zeitgenossenlexikon, 4. Ausgabe Leipzig 1909, S. 291. 47 Protokoll der ersten Sitzung 8, RKA 4992/52. 48 Protokoll der ersten Sitzung 6, RKA 4992/52. 49 Protokoll der ersten Sitzung 7, RKA 4992/52. 42

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auch seinen ehemaligen Schüler Dr. Max Schmidt,50 der zu dieser Zeit bereits am Berliner Museum für Völkerkunde angestellt war und eine zweijährige Forschungsreise nach Südamerika unternommen hatte.51 Kohler sah die Aufgaben der Kommission in der Ergründung der Familienverhältnisse der dem Schutz des Deutschen Reiches „anvertrauten Naturvölker“. Des Weiteren, erklärte er, wolle man über ihr sich auf der Blutrache aufbauendes Strafrecht belehrt sein und Einblick in das Prozessrecht erhalten, das teils Häuptlings-, teils Priesterrecht sei und bei dem Kohler zufolge der Fetisch und das Gifturteil eine große Rolle spielten. Die Aufgabe der Kommission stellte sich Kohlers Ansicht nach zunächst als eine wissenschaftliche dar, verfolge aber auch einen „eminent praktischen Zweck.“ Der deutschen Verwaltung, wiederholte Kohler seine bereits gegenüber Dernburg geäußerte Auffassung, werde dadurch die Möglichkeit gegeben, sich mit den Rechtsanschauungen der Eingeborenen vertraut zu machen, und diese Vertrautheit solle dann verhindern, dass man die Völker in ihrem Rechtsempfinden verletze.52 Kritisch äußerte sich Kohler insbesondere über das brutale Vorgehen der Deutschen im Hererokrieg.53 Man habe über ihn gelacht, berichtete er, als er über das „Recht der Herero“ gelesen habe. Hätte man dieses Recht besser gekannt und geachtet, so die Ansicht Kohlers, wäre „vielleicht das Unglück über Südwestafrika nicht hereingebrochen.“ Die Kommission hatte Kohler zufolge daher auch eine politisch wertvolle Mission zu erfüllen. Er beabsichtigte anzuregen, einen Kodex über das Rechtsleben der Eingeborenen anlegen und die hinausgehenden Beamten darin unterweisen zu lassen. Während Meyer eine Kodifikation des gesamten Eingeborenenrechts anstrebte,54 war Kohler der Auffassung, dass eine Kodifikation des Eingeborenenrechts, also insbesondere des ganzen Personen-Eherechts den Eingeborenen Schaden brächte. Man durfte seiner Ansicht nach keinesfalls durch eine Kodifikation die natürliche Entwicklung der Stammesrechte verhindern, da dies, so 50

Brief Kohlers vom 3. August 1907, RKA 4992/73. Herbert Baldus, Max Schmidt (1874–1950), in: ZfE 76 (1951), S. 301. 52 Brief Kohlers vom 20. Februar 1908, RKA 4992/121. 53 Der Krieg der Schutztruppen gegen die Herero und Nama 1904 bis 1907 hatte durch die brutale Kriegführung des Generals von Trotha und durch die Deportation der Nama auf die Haifischinsel, der viele Schwarze infolge des ungewohnten Klimas zum Opfer fielen, verheerende Folgen für die Eingeborenenstämme. Bis 1911 waren 80% der Herero und 50% der Nama umgekommen. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages nebst Anlagen, XII/2, Bd. 273, Anlage Nr. 196 B, S. 1513 f.; Werner Schiefel, Bernhard Dernburg 1865–1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland, Zürich 1972, S. 77; Gerd Fesser, Der Traum vom Platz an der Sonne. Deutsche „Weltpolitik“ 1897–1914, Bremen 1996, S. 84 ff. 54 Felix Meyer, Das Eingeborenenrecht und seine Kodifikation, RKA 4998/33. 51

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meinte er, als Zwangsjacke empfunden werden könnte, die Eingeborenen gegen die deutschen Kolonialherren aufbringen und das gegenseitige Verhältnis belasten könnte. Lediglich beim Straf- und Bezirksleiterrecht etc. durfte und sollte man Kohler zufolge schöpferisch vorgehen.55 Kohler wollte statt eines Gesetzbuches ein systematisches Rechtsbuch als Anleitung für die in den Kolonien tätigen Richter und Verwaltungsbeamten schaffen, das im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung schrittweise vervollkommnet werden sollte. Dieser Kodex sollte Kohler zufolge den Rechtsanschauungen der Naturvölker möglichst Rechnung tragen, barbarische Rechtsgebräuche wie etwa das Gifturteil aber ausmerzen. Hätten die Naturvölker auch keine geschriebenen Gesetze, betonte er, so besäßen sie doch ein scharf umgrenztes Gewohnheitsrecht. Für die Deutschen war es seiner Ansicht nach abgesehen von der praktischen auch „eine Ehrenpflicht“, die Gesetze der ihrer Herrschaft „unterworfenen“ Stämme zu sammeln, um sie „einer Nachwelt einst zu übermitteln, in der die jetzigen Wilden vielleicht völlig“ nach deutschen Kulturbegriffen leben würden.56 Kohlers Vorschlag, auf eine verbindliche Feststellung der Rechtsgewohnheiten zu verzichten, setzte sich durch. Er entsprach auch der Auffassung der Reichstagsabgeordneten Spahn (Zentrum) und von Richthofen-Damsdorf (Deutsch-Konservative), die betonten, die Kenntnis des einheimischen Rechts dürfe nicht zu seiner Festsetzung führen, sondern solle lediglich helfen, deutsches Rechtsdenken in den „Schutzgebieten“ zu etablieren. Auch Dernburg lehnte eine Kodifizierung der Gewohnheitsrechte ab. Dies entsprach auch den machtpolitischen Interessen der Kolonialverwaltung, für die eine etwaige gesetzliche Festschreibung der Rechtsgewohnheiten die Gefahr mit sich gebracht hätte, dass sich die autochthone Bevölkerung in den Überseegebieten möglicherweise auf sich aus diesem Gesetzbuch ergebende Rechte berufen hätte.57 Der Kohler’sche Fragebogen von 1898 wurde sprachlich überarbeitet und inhaltlich ergänzt, teils stammten die Ergänzungen aus dem Post-Fragebogen.58 Die Fragebögen wurden Mitte Oktober 1908 in die Kolonien verschickt,59 davon jeweils 120 nach Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwest55

Brief Kohlers vom 20. Februar 1908, RKA 4992/121. Brief Kohlers vom 20. Februar 1908, RKA 4992/121; Prof. Kohler über das Recht der Eingeborenen, in: Berliner Lokalanzeiger vom 11. Juli 1907; Josef Kohler, Eingeborenenrecht, in: Der Tag vom 21. Juli 1907. 57 Siehe auch Harald Sippel, Der Deutsche Reichstag und das „Eingeborenenrecht“: Die Erforschung der Rechtsverhältnisse der autochthonen Völker in den deutschen Kolonien, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 61 (1997), S. 724. 58 Zu den Fragebögen siehe auch Margitta Boin, Die Erforschung der Rechtsverhältnisse in den „Schutzgebieten“ des Deutschen Reiches, Münster 1996, S. 120, 129 ff. 59 Schreiben an die Gouvernements, RKA 4996/9. 56

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afrika, 80 nach Kamerun und 60 nach Neu-Guinea und Samoa.60 Bis 1914 kamen aus den Kolonien insgesamt 77 Manuskripte an, und zwar 30 aus Deutsch-Ostafrika, 27 aus Deutsch-Südwestafrika, sechs aus Kamerun und 14 aus Neu-Guinea und Samoa. Das Kolonialamt wartete bis Mai 1913 auf eingehende Antworten. Dann ging man davon aus, dass alle Antworten in Berlin eingetroffen seien.61 In der dritten Sitzung der Kommission am 14. November 1913 konnte man sich nicht darauf einigen, was mit den Fragebogenantworten geschehen sollte.62 Während Kohler sich dafür einsetzte, das Material zu veröffentlichen und Interessenten zugänglich zu machen, lehnte Meyer eine Veröffentlichung ab. Das Material sei noch zu unvollständig und missverständlich; es müsse ergänzt und überarbeitet werden. Zwar beteiligte Kohler an der Sammlung und Exzerpierung der Berichte aus den Kolonien zum Teil auch Studenten seiner Seminare,63 dennoch konnte das durch die Fragebögen gewonnene Material vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr ausgewertet werden. Der Erste Weltkrieg brachte das Projekt vorerst zum Erliegen.64 Fazit Den Ruf nach Berlin empfand Kohler nicht nur als Höhepunkt seiner akademischen Karriere, sondern auch als einschneidendes persönliches Erlebnis. Gesellschaftliche und persönliche Verbindungen ließen ein dichtes Beziehungsnetz entstehen, das er für seine Forschungen zu nutzen wusste. In seiner Zusammenarbeit mit der Kolonialverwaltung zeigt sich, wie eng die Kooperation von Politik und Wissenschaft in der Kolonialära war. Für Kohler stand bei seiner Tätigkeit die Universalrechtsgeschichte im Vordergrund, wobei er die zukünftige Gestaltung des Rechts im Blick hatte. 60

RKA 4996/9. Schreiben an die Kommissionsmitglieder vom 15. Mai 1913, RKA 4992/155. Über das Ergebnis der vom Reichskolonialamt veranstalteten Umfrage zur Feststellung des Eingeborenen-Rechts in den deutschen Kolonien, in: Verhandlungen der ersten Hauptversammlung der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Berlin (1912), S. 72–77. 62 Protokoll der 3. Sitzung, RKA 4992/188; Sten. Ber. RT Bd. 288, 4328 (A). 63 Vgl. den Bericht Kohlers: „Noch sei hingewiesen auf das von dem Kolonialamt geförderte Unternehmen der Sammlung und Exzerpierung der Berichte über afrikanische Rechte, welches zwar selbständig läuft, aber insofern mit dem Seminar in Zusammenhang steht, als dabei auch solche jüngeren Kräfte beteiligt sind, die in meinen Seminarübungen gearbeitet haben.“ Chronik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1907, S. 63. 1907 wurde ein überarbeiteter Fragebogen erneut in die Kolonien verschickt. Kohler veröffentlichte dieses Material ab 1900 fortlaufend in seiner Zeitschrift. 64 Siehe Heinrich Wick, Das Privatrecht der Farbigen in den deutschen Schutzgebieten, Münster 1913, S. 2. 61

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2. Kap.: Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des I. Weltkrieges

Rechtsethnologie bot in seinem Verständnis zugleich die Möglichkeit der Reflexion nationaler Traditionen, um Wertmaßstäbe für die Gegenwart zu finden. Wie bereits in Würzburg spielten aber auch politische Gründe eine Rolle. Seine Forschungen sollten den Zwecken der Administration zur Ausübung einer effektiven Kolonialherrschaft dienlich sein. Deutlicher noch als in seiner Würzburger Zeit trat bei Kohler in Berlin das nationale Geltungsbewusstsein hervor, das er mit der deutschen Kolonisation verband. Kohlers Kolonialismus zeigte ebenso stark patriarchaliche Züge, Züge eines Weltbürgertums sowie eines ausgeprägten nationalen Geltungsbewusstseins auf der anderen Seite.

B. Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung Im folgenden Abschnitt soll Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung im Zeitraum von 1892 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges untersucht werden.

I. Die Suche nach einem Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft (1892/93) Nachdem es bereits in zahlreichen westlichen Ländern pazifistische Vereinigungen gab, die sich auf internationalen Friedenskongressen trafen und in Bern ein internationales Friedensbüro unterhielten, forderten auf dem 4. Weltfriedenskongress in Bern Ende August 1892 die drei teilnehmenden deutschen Vertreter Friedrich Lette, Franz Wirth65 und Adolf Richter eine regere Beteiligung der Deutschen an der Friedensbewegung, eine Zusammenfassung der deutschen pazifistischen Kräfte und die Gründung einer pazifistischen Organisation in Deutschland.66 Das Deutsche Reich war neben Russland praktisch der einzige Staat, in dem, vom stagnierenden Frankfurter Friedensverein abgesehen, keine Friedensorganisation existierte. Die Initiative zur Gründung einer deutschen Friedensgesellschaft ging von den beiden österreichischen Pazifisten Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried aus. Bertha von Suttner hatte bereits durch ihren Roman Die Waffen nieder! Aufmerksamkeit auf die Friedensbewegung gelenkt.67 In der Friedensbewegung zuvor nicht in Erscheinung getreten, war sie 1887 auf die 65

Franz Wirth (1826–1897), Sohn des Demokraten J. G. A. Wirth, der maßgeblich am Hambacher Fest mitgewirkt hatte. 66 Siehe Alfred Hermann Fried, Jugenderinnerungen, Berlin 1925, S. 29. 67 Wien 1889.

B. Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung

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Londoner Friedens- und Schiedsgerichtsgesellschaft aufmerksam geworden, der sie „einen Dienst“ hatte erweisen wollen. Der überwältigende Erfolg ihres Buches, das binnen kurzer Zeit zahlreiche Auflagen erlebte und in zwölf Sprachen übersetzt wurde, ließ die Autorin zur führenden Pazifistin werden.68 1891 gründete sie in Wien die Österreichische Friedensgesellschaft. Für ihre Propagandatätigkeit konnte sie den in Berlin lebenden österreichischen Buchhändler und Journalisten Alfred Hermann Fried gewinnen, der durch den Besuch einer Ausstellung von Kriegsbildern des russischen Malers Wereschtschagin zum Kriegsgegner geworden war und, nachdem er durch eine Zeitungsnotiz von der österreichischen Friedensgesellschaft erfahren hatte, Kontakt zu Bertha von Suttner aufgenommen hatte.69 Frieds Idee war nicht nur die Gründung der Zeitschrift Die Waffen nieder!, sondern auch die der Konstituierung einer deutschen Friedensgesellschaft.70 Der Zeitpunkt für die Gründung einer Friedensgesellschaft war nicht günstig, da zur selben Zeit im Reichstag Caprivis Kampagne zur Heeresverstärkung anlief, welche die liberal-freisinnigen Reichstagsabgeordneten vor einem öffentlichen Eintreten für die Friedensbewegung zurückscheuen ließ.71 Bertha von Suttner und Fried standen vor dem weiteren Problem, ob sie aktuelle politische Stellungnahmen in die pazifistische Diskussion einbeziehen sollten oder nicht. Indem sie heikle politische Fragen umgingen, sollten nationale Konflikte vermieden werden.72 Die Einbeziehung politischer Stellungnahmen hätte die Gefahr mit sich gebracht, das Verhältnis zu den Organisationen anderer Nationen zu belasten. Insbesondere hätte die Politisierung des Pazifismus eine Stellungnahme zur elsass-lothringischen Frage erfordert, deren Folge entweder Spannungen mit der französischen Friedensbewegung gewesen wäre oder aber eine Diffamierung der deutschen Friedensgesellschaft. Zudem schränkte das restriktive preußische Vereinsgesetz, welches die organisatorische Zusammenfassung dieser Vereine ebenso verbot wie den Beitritt von Frauen und Jugendlichen, die Bewegungsfreiheit politischer Vereine stark ein.73 68

Bertha von Suttner, Memoiren, Stuttgart/Leipzig 1909, S. 184. Alfred Hermann Fried, Jugenderinnerungen, Berlin 1925, S. 29. 70 Bertha von Suttner, Memoiren, Stuttgart/Leipzig 1909, S. 231, 240. 71 Bertha von Suttner am 24. Oktober 1892 an Fried, siehe Bertha von Suttner, Memoiren, Stuttgart/Leipzig 1909, S. 275; Alfred Hermann Fried, Jugenderinnerungen, Berlin 1925, S. 33; ders., Die moderne Friedensbewegung in Deutschland und Frankreich, Leipzig 1908, S. 4. 72 Bertha von Suttner am 1. November 1892 und 7. November 1892 an Fried, siehe Bertha von Suttner, Memoiren, Stuttgart/Leipzig 1909, S. 275 f., 277; Alfred Hermann Fried, Jugenderinnerungen, Berlin 1925, S. 36. 73 Vgl. Thomas Nipperdey, Die Organisation der bürgerlichen Parteien in Deutschland vor 1918, in: HZ 185 (1958), S. 569. 69

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Im Oktober 1892 gelang es endlich, ein Gründungskomitee zusammenzubringen, dem Vertreter der Politik, der Wissenschaft und des Geisteslebens angehörten wie der Direktor der Berliner Sternwarte Wilhelm Julius Foerster,74 die Schriftsteller Friedrich Spielhagen und Richard Schmidt-Cabanis, der Popularphilosoph Moritz Brasch, die freisinnigen Reichstagsabgeordneten Hermann Pachnicke und Karl Schrader, die Rechtsanwälte Richard Grelling und Heinrich Nelson, Pfarrer Hermann Hetzel, A. von Bothmer, der Pforzheimer Chemiker und Industrielle Adolf Richter, Vetter des freisinnigen Politikers Eugen Richter und Alfred Hermann Fried. Die Konstituierung der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) erfolgte am 9. November 1892 als unpolitischer und überparteilicher Verein, als Teil einer Kulturund Reformbewegung.75 Der provisorische Vorstand setzte sich aus den Mitgliedern des Gründungskomitees zusammen – mit Ausnahme der beiden freisinnigen Politiker, deren Ausscheiden die ambivalente Haltung linksliberaler Parteipolitiker zum Pazifismus und der DFG bestätigt. Symptomatisch für die Schwierigkeiten der DFG war der Umstand, dass es zunächst nicht gelang, einen geeigneten Vorsitzenden zu finden und am Gründungstag einen beabsichtigten Aufruf zu veröffentlichen. Bertha von Suttner wandte sich wegen des Vorsitzes unter anderem an Wilhelm Julius Foerster, A. von Bothmer, Hermann Hetzel, „Oldenburg, Gisitzky, Hoyos, Roggenbach“, Friedrich Spielhagen und an Josef Kohler. Sie erhielt zahlreiche Absagen.76 Josef Kohler erklärte sich im Dezember 1892 bereit, den Vorsitz zu übernehmen. Seine Präsidentschaft wurde auf der Vorstandssitzung am 21. Dezember 1892 verkündet.77 Aufgabe der DFG sei, erklärte er, in immer weiteren Kreisen das Gefühl der „tiefsten Abscheu gegen die Barbarei des Krieges“ zu erwecken. Auf Grund einer erhöhten Sittlichkeit des Denkens und Fühlens müsse eine friedliche Verständigung zwischen den Völkern herbeigeführt werden, um so der elenden gegenseitigen Verhetzung, die doch die erste Ursache aller Feindseligkeiten sei, ein Ende zu ma74 Wilhelm Julius Foerster (1832–1921), Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur“, vertrat einen ethisch begründeten Pazifismus, der ihm schon in der Kindheit vermittelt worden war. Die Beschäftigung mit der Geschichte der Astronomie führte ihn zu intensivem Nachdenken über die „Fragen der Weltharmonik und des Menschenglücks“. Als einer der wenigen deutschen Gelehrten wandte sich Foerster 1871 gegen die Propaganda zugunsten einer Annexion Elsass-Lothringens, die er als „andauerndes Unheil für Europa“ ansah, vgl. W. Jahn, W. Foerster, in: NDB, Band V, Berlin 1961, S. 275 f. 75 Friedens-Blätter 3 (1902), S. 142; Dieter Riesenberger, Zur Geschichte des Pazifismus von 1800 bis 1933, in: Wider den Krieg, hrsg. von Christiane Rajewsky und Dieter Riesenberger, München 1987, S. 219. 76 Bertha von Suttner, Memoiren, Stuttgart/Leipzig 1909, S. 275–279. 77 Die Waffen nieder 2 (1893), S. 34, 136. Siehe auch den Brief Josef Kohlers an Bertha von Suttner vom 23. Dezember 1892, Nachlass Bertha von Suttner 262.1.

B. Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung

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chen.78 Dieser ethisch-moralische Aufruf spiegelte den Glauben an die Überzeugungskraft der eigenen Ideale wider und steht damit in der Tradition des aufgeklärten Bürgertums. Er fügte sich ganz in das humanitär-aufklärerische Programm der frühen DFG, das auf die Erziehung der Bürger durch Schriften und Vorträge abzielte und mag das spätere Urteil Carl von Ossietzkys rechtfertigen: „Der deutsche Pazifismus war immer illusionär, verschwärmt, gesinnungsbesessen, argwöhnisch gegenüber den Mitteln der Politik, argwöhnisch gegen die Führer, die sich dieser Mittel bedienten. Er war Weltanschauung, Religion, Dogmatik, ohne dass sich etwas davon jemals in Energie umgesetzt hätte. Deshalb mochte es ihm zwar gelegentlich gelingen, ein paar Parolen populär zu machen, Versammlungserfolge zu erzielen; organisatorisch hat er niemals die Massen erfasst. Das Volk blieb immer beiseite. Der organisierte Pazifismus blieb immer eine sehr rechtgläubige Sekte ohne federnde Kraft, eine etwas esoterische Angelegenheit, an der die Politik vorüberging, wie sie die Politik ignorierte.“79 Programmatische Aussagen beschränkten sich in dieser Phase der Friedensbewegung auf die Forderung nach Abschaffung und Überwindung des Krieges durch die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit. Es waren Proteste gegen die Unmoral des Krieges. Die anarchische Gewaltentscheidung des Krieges, so Kohler, müsse einer Entscheidung durch die rechtliche Vernunft Platz machen.80 Die Gegensätze in den Idealen und Gesinnungen müssten sich auf dem Boden der Erörterung durch Abwägung der Gründe versöhnen. Über die genauen Mittel war Kohler sich noch nicht im klaren: „Die Mittel dazu wird uns die Geschichte lehren, wir haben sie erst in den äußersten Anfängen erfasst; aber die Geschichte ist weiter als wir.“81 Zwar, räumte er ein, sei jede Bestrebung nach großen Zielen hoch und gewaltig, auch wenn diese noch in weiter Zukunft lägen, doch, so betonte er in bewusster Verantwortung für nachkommende Generationen, „wir leben nicht nur für uns, sondern auch für kommende Geschlechter.“ Die ganze Menschheit bildete Kohler zufolge eine Kultureinheit. Man musste, rief er auf, „mit allen Mitteln“ streben, nicht nur für die Kultur der eigenen Tage und die eigene Umgebung, sondern „auch für die ferne und künftige Zeit zu sorgen.“82 Waren in der Argumentation der angelsächsischen Friedensbewegung religiös78

Die Waffen nieder 2 (1893), S. 34. Carl von Ossietzky, Die Pazifisten, in: Rechenschaft, Publizistik aus den Jahren 1913–1933, Frankfurt a. M. 1972, S. 38 ff. 80 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 257. 81 Josef Kohler, Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 219. 82 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 131. 79

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christliche und freihändlerische Motive von nicht unmaßgeblicher Bedeutung, so fand keines der beide Motive in dem Gründungsaufruf der DFG von 1893 auch nur mit einem Wort Erwähnung.83 Kohler begriff die Idee des allgemeinen Weltfriedens als im Gang der Welt- und Kulturgeschichte begründet. Die Weltgeschichte zeige, so meinte er, ihre ungeahnten Fortschritte und man stehe „am Vorabend der Tage, wo das Triebrad der Kulturentwicklung eine neue Drehung vollzogen“ habe.84 Jede Anarchie, so hieß es an anderer Stelle, sei verderblich, und so habe das Kulturbedürfnis von selber notwendigerweise dazu geführt, gewisse Normen im Verhältnis der Staaten zueinander festzusetzen.85 Ähnlich wurde im Programm der DFG von 1897 ausgeführt, der Krieg stehe im Widerspruch mit der „heutigen“ Kulturstufe zivilisierter Nationen.86 Kohlers Hervorhebung der Menschheit als Kultureinheit einerseits und der fortschreitenden Kulturentwicklung andererseits verdeutlichen ebenso wie der Hinweis des Programms der DFG auf die Kulturwidrigkeit des Krieges das Selbstverständnis der frühen deutschen Friedensbewegung als Kulturbewegung im weitesten Sinne, als ideelle Bewegung auf ethisch-humanitärer Basis. Verbindungen bestanden zu anderen fortschrittlichen bürgerlichen Bewegungen ihrer Zeit, die das Ziel einer soziokulturellen Erneuerung und Vervollkommnung anstrebten. Auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Methoden verfolgten die ethischen, freireligiösen und verschiedenen sozialreformerischen Bewegungen ebenso wie die Frauenbewegung und jenseits des bürgerlichen Bereiches die Arbeiterbewegung dieses umfassende Ziel. Sie alle glaubten an den Fortschritt, an die zivilisatorische und kulturelle Entwicklung, an das Gesetz fortschreitender Evolution. Sie alle waren davon überzeugt, als Teil und Träger der Fortschrittsbewegung „am naturgesetzlichen Werden“ teilzuhaben.87 Ebensowenig wie Alfred Hermann Fried oder Bertha von Suttner erkannte Kohler, dass die Friedensbewegung auch offensichtlich politisch sein musste, dass sie unmittelbar auf der politischen Ebene agieren und Träger des politischen Willens werden musste. Die Überzeugung von einer dem historischen Prozess innewohnenden Entwicklung zum Frieden hatte eine re83 Vgl. auch Heinrich Lammasch, der die Friedensbewegung auf dem Kontinent mit der in den Vereinigten Staaten vergleichend, ausführt: „Das praktische und moderne Amerika betont die ideale, religiöse, das historisch-philosophische Europa hingegen die reale, utilitaristische Seite des Problems“, Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfang, 2 Bände, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1914, S. 41. 84 Josef Kohler, Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 216. 85 Josef Kohler, Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 271. 86 Die Monatliche Friedens-Konferenz 4 (1897), Nr. 5/6, S. 5. 87 Vgl. Walter Rohlfing, Fortschrittsglaube und Zukunftshoffnung im Wilhelminischen Deutschland, Göttingen 1955, S. 50 ff.

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servierte Haltung gegenüber aktuellen politischen Fragen zur Folge und verleitete zu der Annahme, dass es sich bei den Bestrebungen der Friedensbewegung „nicht um Politik, sondern um allgemein menschliche Interessen, um eine Sache der Menschlichkeit“ handele.88 Der deutsche Pazifismus vor 1914 war kein akzeptables Element der politischen Kultur.89 Er stieß auch in der wissenschaftlichen Welt auf Ablehnung. Während die einfachen Mitglieder hauptsächlich kleinbürgerlichen Kreisen (kleinere Unternehmer und Kaufleute) entstammten, setzten sich die Vorstandsmitglieder vornehmlich aus Angehörigen des mittleren Bürgertums zusammen (Volksschullehrer, Schriftsteller, Geistliche, Journalisten, Beamte, kleinere Selbständige, Handwerker); das klassische Bildungsbürgertum wie Professoren oder Gymnasiallehrer war ebenso wie die Arbeiterschaft kaum vertreten.90 Eine bürgerliche Karriere war mit einem ausgeprägt pazifistischen Engagement nicht zu vereinbaren. Dieses konnte sogar gesellschaftliche Isolierung zur Folge haben. Aus diesem Grunde warnte der Bonner Staatsrechtler Philipp Zorn, Delegierter des Deutschen Reiches auf beiden Haager Friedenskonferenzen, seinen Schüler Hans Wehberg, sich nicht allzu sehr mit der Sache des Pazifismus einzulassen: damit mache man in Preußen keine Karriere.91 Da ein Bündnis mit der Sozialdemokratie nicht zustande kam und die linksliberalen Parteien bis auf wenig einflussreiche Reste zunehmend Distanz zum organisierten Pazifismus hielten, war die DFG im Kaiserreich isoliert. Die Zahl der Ortsgruppen stieg von sechs im Jahr 1893 auf 69 im Jahr 1898 an, die Mitgliederzahl von 200 auf ungefähr 6 000. Die Anzahl der Ortsgruppen wuchs bis 1914 auf 98 und die der Mitglieder auf knapp 10 000 an. Die DFG konnte sich nicht mit den militaristischen Vereinen messen, die gezielt massenwirksame Propagandamittel einsetzten; 1913 zählte allein der Kyffhäuserbund als Zusammenschluss der Kriegervereine 2,8 Millionen Mitglieder. Die Frühphase des deutschen Pazifismus fiel in eine Zeit, in der das Deutsche Reich begann, 88 Alfred Hermann Fried, Friedens-Katechismus. Ein Kompendium der Friedenslehre zur Einführung in die Friedensbewegung, Dresden 1895, S. 82. 89 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 1107 f. 90 Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985, S. 68, 73; Mario Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 71. 91 Vgl. Die Friedens-Warte 45 (1945), S. 203; Hans Wehberg, Walther Schücking und das Problem der Internationalen Organisation, in: International- und staatsrechtliche Abhandlungen. Festschrift für Walter Schätzel zu seinem 70. Geburtstag, Düsseldorf 1960, S. 536.

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seine weltpolitischen Ambitionen zu verfolgen.92 Die Friedensbewegung war der beißenden Kritik alldeutscher Kreise ausgesetzt. Als im Februar 1892 das erste Exemplar der Zeitschrift Die Waffen nieder! erschien, veröffentlichte der preußische Generalleutnant Albert von Bogulawski seine gegen Sozialdemokratie und Friedensbewegung gleichermaßen gerichtete Schrift über den „Krieg in seiner wahren Bedeutung für Staat und Volk.“93 Alfred Lasson äußerte lobend in der Berliner National-Zeitung, dass von Bogulawski die Gelegenheit genutzt habe, sich „mit allerlei Geflügel unter dem Himmel“ in einen Disput einzulassen und „auch die am seltsamsten gefiederten Friedensfreunde mit kräftigen Worten zu bedenken, die Sozialdemokraten und die Friedensmänner, und das zartbesaitete Friedensweib, Frau Baronin von Suttner, obendrein.“94 Die Akzeptanzprobleme der Friedensbewegung auch innerhalb der deutschen Wissenschaft, veranlassten Kohler zu einer Verteidigung der Friedensbewegung,95 die sich insbesondere auch gegen Angriffe des Münchner Völkerrechtlers Carl von Stengel richteten. Dieser hatte bereits im Jahre 1899 im Zusammenhang mit der ersten Haager Friedenskonferenz in den Reihen der Friedensbewegung für Empörung gesorgt, da er kurz vor seiner Entsendung als Vertreter der deutschen Regierung eine Broschüre herausgegeben hatte, in welcher er die Konferenz verhöhnte, die Friedensbewegung als „kosmopolitische Träumerei und Duselei“ verspottete und den hohen Stand der Rüstung als beste Friedensgarantie hinstellte.96 Die Einführung einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit lehnte von Stengel „vom Standpunkte des heutigen Völkerrechts“ zumindest für „Großstaaten“ wie 92 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Bürgerstolz und Weltmachtstreben. Deutschland unter Wilhelm II. 1890 bis 1918, Berlin 1995, S. 90 ff., 153 ff., 276 f.; Rudolf Stadelmann, Der neue Kurs in Deutschland, in: GWU 4 (1953), S. 541. 93 Albert von Bogulawski, Der Krieg in seiner wahren Bedeutung für Staat und Volk, Berlin 1892. 94 Zitiert nach DWN 1 (1892), S. 59–62. Aus der Fülle antipazifistischer Publizistik seien des Weiteren genannt: Graf Ernst Reventlow, Holder Friede, süße Eintracht. Eine politische Satire, Leipzig 1906; Friedrich von Bernhardi, Deutschland und der nächste Krieg, 4. Auflage, Stuttgart/Berlin 1912; Schmidt-Gibichenfels (Pseudonym für Otto Schmidt), Der Krieg als Kulturfaktor, als Schöpfer und Erhalter der Staaten, Hildburghausen 1912. 95 Alfred H. Fried hob die geschickte Argumentation Kohlers später lobend in seinem Handbuch der Friedensbewegung hervor. Zweiter Teil: Geschichte, Umfang und Organisation der Friedensbewegung, 2. gänzlich umgearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Leipzig 1913, S. 250 f. 96 Carl von Stengel, Der ewige Friede, 3. Auflage, München 1899, S. 10, 21, 23, 25. Die Ansicht, dass in einer starken Rüstung zu Lande und zur See die beste Friedensgarantie zu erblicken sei, vertrat auch der Historiker und Herausgeber der Preußischen Jahrbücher Hans Delbrück. Vgl. Hans Delbrück, Zukunftskrieg und Zukunftsfriede, in: Pr. Jbb. 96 (1899), S. 203–229.

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das Deutsche Reich ab, weil sich die Verpflichtung, sich einem Schiedsgericht zu unterwerfen, nicht selten als „ein Hindernis der wirksamen Geltendmachung ihres Rechts und der Verfolgung ihrer Interessen“ erweise.97 1909 gab er unter dem Titel Weltstaat und Friedensproblem eine neue Streitschrift gegen den Pazifismus heraus.98 Ein gewisses Ruhebedürfnis, so schrieb von Stengel dort, habe sich mit gewissen im 18. Jahrhundert zur Geltung gelangten sentimentalen und kosmopolitischen Anschauungen vereinigt und der namentlich im Anfange der französischen Revolution in etwas eigentümlicher Weise verwirklichten Idee der Brüderlichkeit aller Menschen, die auf schwärmerisch angelegte, an realpolitisches Denken nicht gewöhnte Gemüter großen Eindruck gemacht habe und in denselben tiefe Abscheu vor kriegerischen Konflikten hervorgerufen habe.99 Ferner habe die verfeinerte Kultur die Menschen verweichlicht und dem Kriegshandwerk entfremdet. Entschieden müsse betont werden, dass die Friedensbewegung in ihren letzten Zielen nicht bloß utopistisch, sondern auch gefährlich sei.100 Namentlich müsse verhütet werden, dass in der heranwachsenden Jugend die pazifistischen Ideen Platz griffen und der „heldenmütige und kriegerische Sinn in unseren jungen Männern“ unterdrückt werde, Abscheu vor dem Militärdienst sich geltend mache, und die Aufopferung für das Vaterland als eine Torheit und Ungeheuerlichkeit erscheine.101 Von Stengels damals nicht selten vorgebrachtes Argument, Kriege seien nicht auszurotten, sondern vielmehr selbstverständlicher Bestandteil der Weltordnung und Moment nationaler Kraftentfaltung, in dem die höchsten Tugenden der Bürger zum Tragen kämen, erinnert an den berühmten Ausspruch Moltkes: „Der ewige Friede ist ein Traum und nicht einmal ein schöner Traum!“ Der Krieg, so von Moltke, sei ein Element der von Gott eingesetzten Weltordnung, in dem sich die edelsten Tugenden des Menschen entwickeln, Mut und Entsagung, Pflichttreue und Opferwilligkeit.102 Kohler hielt dem entgegen, es bedürfe nicht des Krieges, um die Kräfte der Nationen zu steigern. Große Ideale könnten auch von anderer Seite in die Bevölkerung hineingetragen werden. Insbesondere hätten die Kriege nicht immer, sondern nur dann zu großen Kraftanstrengungen geführt, wenn sie die Befreiung von irgendeinem lastenden Joche zur Folge hatten. Der 97 Carl von Stengel, Die Haager Friedenskonferenz und das Völkerrecht, in: AöR 15 (1900), S. 190 ff., 196. 98 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin [1909], S. 125 ff. 99 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin [1909], S. 125 f. 100 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin [1909], S. 132. 101 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin [1909], S. 144. 102 Zitat aus Kehrbachs Vorrede zu seiner Ausgabe von Kants Schrift, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, hrsg. von Karl Kehrbach, Leipzig 1881, S. XVII f.

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Dreißigjährige Krieg dagegen, erklärte er, habe keinen Aufschwung gebracht, sondern den furchtbarsten Verfall der Nation, der sich denken lasse, fast die Vernichtung.103 Würden durch Einigungen, durch Befreiung des Geistes, durch wirtschaftlichen Wettbewerb, durch nachhaltige ethische Einwirkungen die Völker zu großen Taten angestachelt, führte Kohler aus, bedürfe es fürwahr der Kriege nicht, um die großen geistigen Kräfte zu entfalten; das könne geschehen ohne die furchtbare Güterzerstörung und ohne den entsetzlichen Rückgang vieler Kulturerrungenschaften, die der Krieg unvermeidlich im Gefolge habe. Oft sei es auch weniger der Krieg gewesen als die historische Mythe, die die Völker zu großen Taten elektrisiert habe, denke man, so Kohler, nur an Marathon und Salamis. Er wies darauf hin, dass es auf der anderen Seite durchaus friedliche Gedanken gewesen seien wie etwa der Gedanke des Christentums oder des Buddhismus, welche Tausende veranlasst hätten, „Hab und Gut, ja sich selbst aufzuopfern und auf alle irdischen Güter zu verzichten, um einem grossen Ideal nachzuleben.“104 Man musste sich Kohler zufolge „von dem engherzigen Standpunkt der eigenen Nation zur allgemein menschlichen Kulturbetrachtung erheben.“105 Kohlers Vorstellung, dass eine Beachtung der „allgemeinen Menschheitsinteressen“ letztlich auch dem eigenen Staat zugute kommen werde, implizierte eine höhere Art patriotischer Gesinnung. „Wir sind so gute und noch bessere Patrioten als diejenigen, welche nach dem Kriege rufen; wir wissen, dass nur im geordneten Völkerleben die Menschheit ihr Ziel erreichen kann, und wir versuchen daher das Völkerleben im höchsten Grade zu steigern.“106 Voller Fortschrittsoptimismus fügte er hinzu, dass die Erfindungen der letzten 100 Jahre doch schließlich jedem zu Gemüte führen sollten, dass Dinge erreichbar seien, die ehemals unfassbar erschienen.107 Die starken Vorbehalte gegenüber der Friedensbewegung lassen erkennen, wie sehr man den Pazifismus im Deutschland der Jahrhundertwende als Fremdkörper empfand und auf welche Akzeptanzprobleme die DFG gerade in der Reichshauptstadt stieß. Im Gegensatz zur Friedensbewegung in Frankreich, den angelsächsischen oder den skandinavischen Ländern blieb die deutsche Friedensbewegung bis zum Ersten Weltkrieg eine quantité néglige103 Josef Kohler, Die (1910), S. 133 f., 137 f. 104 Josef Kohler, Die (1910), S. 133 f. 105 Josef Kohler, Die (1910), S. 134. 106 Josef Kohler, Die (1910), S. 135. 107 Josef Kohler, Die (1910), S. 133.

Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4

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able. Des ungeachtet konnte allein der Umstand, dass in Deutschland eine Friedensgesellschaft entstehen konnte, im Ausland Aufsehen hervorrufen, was der deutschen Friedensbewegung wiederum gewaltigen Auftrieb gab.108 Wegen Arbeitsüberlastung gab Kohler den Vorsitz der Deutschen Friedensgesellschaft im März 1893 an den Pfarrer Hermann Hetzel ab,109 blieb der Organisation aber weiterhin verbunden. In der Folgezeit bat Friedrich Althoff Kohler, ein Gutachten gegen Ludwig Quidde wegen dessen berühmt-berüchtigter Schrift Caligula, das erfolgreichste Pamphlet im kaiserlichen Deutschland,110 zu verfassen. Quidde war als Demokrat, Republikaner und Pazifist im Deutschen Kaiserreich ein „geradezu klassischer Außenseiter.“111 Im Frühjahr 1894 hatte er unter seinem Namen in der Zeitschrift Gesellschaft eine beißende Satire auf Kaiser Wilhelm II. veröffentlicht, in der die moralische Degeneration monarchistisch gesinnter Völker gegeißelt wurde, die einen solchen Kaiser ertrügen. Das Pamphlet war in die Form einer wissenschaftlichen Abhandlung über den römischen Kaiser Caligula gekleidet. Wenn der Text auch keine einzige direkte Bemerkung über Wilhelm II. enthielt, so waren Gegenstand und Absicht der Studie doch eindeutig ersichtlich. Kohler weigerte sich, das erbetene Gutachten zu verfassen, was Althoff ihm sehr verübelte.112 Die Reaktion Kohlers ist umso höher einzuschätzen, als dass das Erscheinen der Satire die gesellschaftliche Ächtung Quiddes zur Folge hatte und seine berufliche Existenz vernichtete. Man nahm Quidde auch in Kollegenkreisen übel, dass er die Grenze zwischen Politik und Wissenschaft anders zog, als es der herrschenden Ansicht entsprach. Selbst ihm sehr nahestehende Kollegen wiesen darauf hin, dass er vergessen möge, dass man sich gekannt habe. In der historischen Zeitschrift wurde, wie Friedrich Meinecke später schrieb, „mit unser aller Beifall“ das „Machwerk auch wissenschaftlich vernichtet.“113 108 Roger Chickering, Imperial Germany and a World without War. The Peace Movement and German Society 1892–1914, Princeton 1975, S. 53. 109 DWN 2 (1893), S. 34, 136. Kohler am 23. Dezember 1892 an Bertha von Suttner, Nachlass Bertha von Suttner 262.1. 110 Hans Ulrich Wehler in seiner Einleitung zu Ludwig Quidde, Caligula: Schriften über Militarismus und Pazifismus, Frankfurt a. M. 1977, S. 13. Vgl. auch Karl Holl, Caligula – Wilhelm II. und der Caesarenwahnsinn: Antikenrezeption und wilhelminische Politik am Beispiel des „Caligula“ von Ludwig Quidde, Bremen 2001. 111 Vgl. Reinhard Rürup, „Ludwig Quidde“, in: Deutsche Historiker, Band III, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1972, S. 124, 143. 112 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger Nr. 1737 vom 5. November 1932 sowie in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. Josef Kohler berichtete später, es sei ihm oft sehr schwer gefallen, „unter dem Regime“ Althoffs Fassung zu wahren, siehe Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 113 Friedrich Meinecke, Autobiographische Schriften (Werke, Band 8), Stuttgart 1969, S. 132.

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Die Mitgliedschaft in der DFG war mit einer gewissen Stigmatisierung verbunden und mag dazu beigetragen haben, Kohlers Außenseiterposition an der Berliner Universität zu verstärken. Seinem Sohn Arthur zufolge soll Kohler in jenen Jahren oft davon gesprochen haben, später in die Schweiz auszuwandern. Seine langen Haare, sein Schlapphut,114 seine betont süddeutsche freimütige Art, seine offen zur Schau getragene Abneigung gegen altpreußisches Wesen und das Luthertum erregten in Berlin Missfallen.115 Als Herabsetzung empfand er den Ausführungen seines Sohnes Arthur zufolge, mehrere Jahre der einzige Ordinariatsinhaber der Juristischen Fakultät zu sein, der nicht den Titel des Geheimen Justizrats besaß.116 Die Geheimräte „in langen Gehröcken, im Zylinder und mit gelben Handschuhen“ hätten sich über ihn belustigt, woraufhin er sich immer mehr vom gesellschaftlichen Leben zurückgezogen habe.117 Hochschullehrer genossen im späten Kaiserreich ein überdurchschnittlich hohes Sozialprestige, das auch von der Fakultät bzw. Disziplinzugehörigkeit und insbesondere vom Ort abhing. Berlin war dabei weit oben, die juristische Fakultät die höchstbewertete.118 Es gab die Tendenz zu Ersatznobilitierungen über den Titel, wobei Titel und Nobilitierung ein Sozialprestigegefälle innerhalb der Hochschullehrerschaft erkennen ließen. In Preußen wurde der Geheimrats-Titel nach Anciennität verliehen.119 Dabei erschien die Berliner Universität geradezu als ein „Kollektiv von Geheimräten.“120

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Vgl. auch Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis, Berlin 1920, S. 22: „Noch steht die hohe Gestalt Kohlers mit dem großen Schlapphut auf den wallenden Locken und dem schleppenden Gang lebhaft vor unser aller Augen.“ 115 Vgl. auch Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 17: „Die preußische Art aber ist Kohler zeitlebens fremd geblieben. Seine Denkweise war nach wie vor süddeutsch.“ 116 Wenn man ihn mit Geheimrat angeredet habe, habe er geantwortet: „Nein, ich bin Unrat.“, siehe Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger Nr. 1737 vom 5. November 1932 sowie in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 117 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger Nr. 1737 vom 5. November 1932 sowie in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. Vgl. auch Josef Kohler, Das wichtigste Ereignis in meinem Leben, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911: „Ich lebe hier eingezogen für mich, und man möchte glauben, dass ich als Einsiedler mit der [. . .] Welt, die mich umgibt, nicht in Beziehung stünde [. . .].“ 118 Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 109. 119 Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 112.

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II. „Wissenschaftliche Fundierung“ des Pazifismus nach der Ersten Haager Konferenz 1899 Nach dem enttäuschenden Ausgang der Ersten Haager Friedenskonferenz von 1899, welche ihre Hauptziele, Abrüstung und die Errichtung einer obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit nicht ereicht hatte, beteiligte sich Kohler an der theoretischen Fundierung der Friedensbewegung, mit der man dieser das Stigma des Utopischen nehmen und den Pazifismus für breitere Schichten verständlich und akzeptabel machen wollte. Während die literarischen Vertreter des Jungpazifismus weiterhin die ethische Grundlage der Friedensbewegung hervorhoben und der moralische Protest dabei, wie es bei Kohler in der Frühphase der deutschen Friedensbewegung der Fall gewesen war, im Vordergrund blieb, bemühte sich Kohler nun, den Pazifismus von der Utopie zur „Wissenschaft“ zu erheben, indem er von der ethisch-rationalistischen Begründung Suttner’scher Prägung zu einer naturwissenschaftlichentwicklungsgesetzlichen Begründung zu gelangen versuchte. Die Behauptung, die Idee des allgemeinen Weltfriedens sei nicht utopisch, sondern im Gang der Welt- und Kulturgeschichte begründet, wie die Zeit der Familienkriege dahin sei, so würden auch die Völkerkriege vom Schauplatze verschwinden, stellte Kohler erstmals in der ersten Auflage seiner Einführung in die Rechtswissenschaft aus dem Jahr 1902 auf, dann in seinem Aufsatz Weltfrieden aus dem Jahre 1904, erschienen in seinem Essayband Aus Kultur und Leben.121 Er begründete diese Sicht mit parallelen Entwicklungen in der Geschichte, nämlich einer fortschreitenden Entwicklung sozialer Verhaltensweisen und rechtlicher Institutionen.122 Diese Argumentation entsprach der geschichtsphilosophischen Begründung der Friedensbewegung, der sich Quidde bereits 1896 in einem Vortrag vor der Berliner Ortsgruppe 120 Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 112. 121 Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 195; Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 216. 122 Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 195; 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 294; Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 218; ebenfalls: Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 104 f.; Staaten und Kriege, in: Berliner Tageblatt vom 14. Mai 1911 sowie Vorwort zu Recht und Persönlichkeit, Silvester 1913/14, S. IX. Auf das Entwicklungsgesetz beruft sich auch Bertha von Suttner zur Begründung der Zuversicht der Pazifisten: „Diese Zuversicht ist unerschütterlich, denn was wir kommen sehen, das ist der Ausbruch einer durch das Entwicklungsgesetz verbürgten neuen Zivilisationsepoche – es ist wie ein langsamer majestätischer Sonnenaufgang, der durch die aus den Niederungen noch immer aufsteigenden Nebeldünste verfinstert, aber nicht ausgelöscht werden kann“, Bertha von Suttner, Aus der Werkstatt des Pazifismus, Stuttgart/Berlin 1912, S. 5.

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der DFG bedient hatte.123 Derselbe Analogieschluss, der die Grundlage des „wissenschaftlichen“ Pazifismus darstellt, fand sich auch bei dem „Führer“ des organisatorischen Pazifismus Fried einerseits und den Völkerrechtlern Walther Schücking und Hans Wehberg andererseits.124 Sie alle legten dasselbe Verfahren zugrunde: Aus der Verlängerung diagnostizierter, historisch belegter Entwicklungstendenzen in die Zukunft prognostizierte man eine Entwicklung zu zunehmender internationaler Organisation. Dabei entsprach der Beschränkung und endgültigen Ausschaltung der Fehde die Beschränkung, Reglementierung und schließliche Beseitigung des Krieges als eine Selbsthilfe der Völker. Kohlers Überlegungen waren nichts grundsätzlich Neues. Vielmehr entsprangen sie demokratischen und pazifistischen Traditionen. Der Gedanke, Streitigkeiten zwischen den Völkern auf dieselbe Weise zu schlichten wie zwischen Individuen, findet sich bereits bei den Pazifisten des beginnenden 19. Jahrhunderts.125 Seit 1892 machten sowohl die Weltfriedenskongresse als auch einzelne deutsche Pazifisten auf die Einheitlichkeit der „Grundsätze des Rechts und der Moral“ aufmerksam.126 Kohler hob sich insoweit nicht durch Originalität seiner Gedanken hervor. Seine Erwägungen hatten vielmehr stark kompilatorischen Charakter. Seine Leistung ist aber darin zu sehen, die Ideen der Friedensbewegung zusammengefasst, vertieft und verbreitet zu haben. Die Jungpazifisten beschränkten sich demgegenüber auf ethische Apelle. Den Kampf für den Frieden betonten sie als Erfüllung der höchsten ethischen Norm, die alles menschliche Handeln bestimme, der Norm, die die Erhaltung des menschlichen Lebens gebiete. Bezeichnend dafür war die Erklärung Hillers: „Das Recht auf Leben muß der Pol werden, um den das Himmelsgewölbe des öffentlichen Rechts kreist; die Unantastbarkeit des Lebens: das Fundament der Republiken. [. . .] Du sollst nicht töten, weil Du nicht sterben willst und weil Du fair handeln sollst. Dieser Satz, mit der Menschheit als Geltungsbereich, ist die ethische Grundlage des Pazifismus.“127 123 „Quiddes Vortrag in Berlin“, in: Vossische Zeitung vom 21. März 1896; Ludwig Quidde, Der Fortschritt der Rechtsidee in der Kulturentwicklung, in: Vorträge auf dem 4. Deutschen Friedenskongreß in Frankfurt a. M. 1911 o. O. o J. [Esslingen 1911], S. 41. 124 Alfred Hermann Fried, Handbuch I, S. 42–46; Walther Schücking, Der Weltfriedensbund und die Wiedergeburt des Völkerrechts, Leipzig 1917, S. 34. 125 So bei Worcester, Cobden und Jaub, der den Frankfurter Friedenskongress von 1850 leitete. Vgl. dazu im Einzelnen: Elsbeth Krafft, Die ersten internationalen Friedenskongresse und ihre Entstehung, Masch. Diss. Phil. Frankfurt a. M. 1925, S. 17 ff.; F. S. L. Lyons, Internationalism in Europe 1815–1914, Leyden 1963, S. 319; Verhandlungen des dritten allgemeinen Friedenscongresses, gehalten in der Paulskirche zu Frankfurt a. M., am 22., 23. und 24. August 1950, Frankfurt a. M. 1851, S. 2 und 14. 126 Die Waffen nieder 1 (1892), S. 24–25.

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Auch Kohler beließ es nicht dabei, lediglich Entwicklungstendenzen sichtbar zu machen. Vielmehr hielt er aktives Handeln für erforderlich. Im Gegensatz zu Fried war ihm bewusst, dass die prognostizierte Entwicklung nur mühsam und allenfalls etappenweise vor sich gehen konnte, da sie einen allgemeinen Gesinnungswandel der Völker zur Voraussetzung hatte.128 Kohler war der Auffassung, dass ethische Appelle alleine nicht ausreichen würden. Vielmehr war seiner Ansicht nach nicht nur eine langjährige Erziehung der Völker erforderlich, sondern auch eine neue Stellung der Nationen zueinander, welche mit sich bringen sollte, dass sich die einzelnen Staaten einer durch die Staatengemeinschaft gegebenen Gesamtentscheidung unterwarfen. Und das wiederum setzte seiner Auffassung nach eine gesteigerte völkerrechtliche Annäherung der Staaten voraus, wie sie, so Kohler, nur im Laufe der Zeiten zu erreichen sei.129 Die Überzeugung, durch Erziehung auf die Gesinnung der Völker einwirken zu müssen, teilte Kohler mit Ludwig Quidde. Beide waren der Ansicht, dass Pazifismus „nicht nur eine Wissenschaft, auch nicht nur eine Interessenbewegung, sondern auch eine Willensrichtung in der Menschheit“ sei.130 Kohler intendierte, das Prestigebedürfnis der Staaten durch ein kulturelles Weltbürgertum zu verdrängen, in dem nationale Lebensformen als Varianten eines gleichrangigen Kosmopolitismus bestehen bleiben sollten. Ein Hilfsmittel zur Errichtung und zum Erhalt des Friedens sah er daher im Zusammenschluss der Völker und ihrer Verbindung zur Pflege gemeinsamer Kulturinteressen. Je inniger diese Verbindung sei, meinte er, eine umso größere Störung würde der Krieg herbeiführen, und umso weniger würden sich die Staaten zu kriegerischen Angriffen hinreißen lassen.131 Ein weiteres Hilfsmittel sah Kohler wie Fried in der Schaffung von Zweckverbänden unterhalb der politischen Ebene, wie sie das 19. Jahrhundert ohnehin schon viele hervorgebracht hatte, so etwa den Weltpostverein oder die Internationale Fernmeldeorganisation.132 Kohler und Fried ho127 Kurt Hiller, Verwirklichung des Geistes im Staat. Beiträge zu einem System des logokratischen Aktivismus, Leipzig 1925, S. 280, 282. 128 Undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die moderne Friedensbewegung, S. 2; Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 104 f., Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 207 f.; Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 230. 129 Undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die moderne Friedensbewegung, S. 2; Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 230. 130 Zusammenfassung des Referats über „Der verachtete Idealismus der Friedensbewegung“ von Ludwig Quidde, in: Die Friedens-Warte 16 (1914), S. 210 f. 131 Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 103 f.; ZVölkR 1 (1907), S. 497. 132 Alfred Hermann Fried, Kurze Aufklärungen über Wesen und Ziel des Pazifismus, Berlin/Leipzig 1914, S. 8.

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ben beide hervor, dass sich durch die technischen Umwälzungen des 18. und 19. Jahrhunderts das internationale Leben insofern erheblich verändert habe, als sich Wirtschaft, Handel und Verkehr in einem bisher nicht gekannten Maße ausgeweitet hätten. Worauf später noch ausführlich einzugehen ist, schwebten Kohler nicht nur Zweckverbände unterhalb der politischen Ebene vor, sondern auch staats- und völkerrechtliche Formen zwischenstaatlicher Organisation. Politisches Handeln erachtete Kohler nicht lediglich als Katalysator in einem bereits vorbestimmten historischen Ablauf. Während sich Fried in erster Linie als einen „Friedenstechniker“ sah, der eine sowieso schon sichtbare Entwicklung intensivierte,133 kam es Kohler darauf an, den Widerspruch zwischen dem „Gesetz der Geschichte“ und dem menschlichen Handeln aufzuheben. Die Zukunft konnte seiner Ansicht nach nicht entstehen, wenn sie nicht durch die Kraft der Gegenwart vorbereitet würde.134 Wer ernten wollte, der musste Kohler zufolge auch „säen“.135 Ein allgemeiner Weltfriede, erklärte er, könne nur durch ständige Entwicklung des überstaatlichen Rechts entstehen; aber – dessen war er sich sicher – er würde entstehen.136 Kohler war überzeugt von einer moralischen und humanitären Weiterentwicklung und von einem Fortschreiten zu immer höheren Stufen zwischenstaatlicher Rechtsordnung. Seiner Ansicht nach war das im Laufe der Geschichte Entstandene durch die Ideen der Vernunft und des Naturrechts zu erneuern und zu verbessern. Kohler zufolge war es das Wechselspiel von natürlicher Entwicklung und bewusster Beschleunigung dieser Entwicklung, welches das Wesen der Friedensbewegung ausmachte. Auch Kurt Hiller distanzierte sich davon, bloß abzuwarten: „Der Pazifismus ist keine Prognose, sondern ein Postulat“ Und an anderer Stelle: „Es ist nicht unsere Aufgabe, Prognosen zu spenglern. Unsere Aufgabe ist vielmehr, zu verkünden: So soll es sein, so soll es nicht sein.“137 Nach Ansicht des russischen Soziologen Jakob Novicow hingegen war noch stärker auf die Vorteile hinzuweisen, die sich aus den Friedensbestrebungen nebenbei ergäben. „Dies allein“ – nämlich die Erkenntnis, dass die Achtung der Rechte anderer Vorteile biete – würde Novicow zufolge „die vollständige Sicherheit über den Erdball ausdehnen.“138 133 Alfred Hermann Fried, Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus, Tübingen 1908, S. 43. 134 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 212. 135 Undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die moderne Friedensbewegung, S. 2. 136 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3., verbesserte und stark vermehrte Auflage, Leipzig 1908, S. 293 f. 137 Kurt Hiller, Pazifismus und Kommunismus, in: Die Friedens-Warte 23 (1923), S. 297, ders., Sicherung durch militärische Gewalt?, in: Die Friedens-Warte 24 (1924), S. 316.

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Kohler erkannte nicht wie Quidde oder der Völkerrechtler Walther Schücking die Zusammenhänge zwischen der inneren autoritär-demokratiefeindlichen Ordnung des Kaiserreiches und seiner sozialimperialistisch motivierten äußeren Expansionspolitik. So gelangte er nicht zu der Erkenntnis, dass eine Reform der internationalen Beziehungen nicht ausreichen würde, sondern durch demokratische Einrichtungen im Inneren hätte ergänzt und abgesichert werden müssen. Innenpolitisch war Kohler am status quo orientiert. Er sah nicht die Friedensrelevanz sozialer Veränderung. Die bestehende Gesellschaftsordnung stellte er nicht in Frage. Theoretisch schätzte er verschiedene Verfassungsformen,139 hielt aber nicht alle Verfassungsformen für alle Staaten gleichermaßen geeignet.140 Die Monarchie, die er als besonders kulturförderlich erachtete,141 war ihm für das Deutsche Reich selbstverständlich. Er würdigte das englische Verfassungssystem,142 ohne das parlamentarische System aber auch für das deutsche Reich zu fordern.143 Besonders befürwortete er das Zweikammersystem. Seiner Ansicht nach konnte sich ein Parlamentarismus ohne erste Kammer nicht bewähren, da politisches Handeln, wie er meinte, erschwert würde, wenn die Minderheit, bestehend aus der „Aristokratie des Geistes“, der Vermögensmacht und Vertreter von Selbstverwaltungen unterdrückt würde.144 Eine Parlamentarisierung der Reichspolitik würde seiner Ansicht nach die Exekutive schwächen, wenn nicht bei der vorherrschenden Parteienzersplitterung sogar völlig lähmen. Auch das preußische Dreiklassenwahlrecht kritisierte Kohler nicht,145 entsprach es doch der alten liberalen Vorstellung, dass der, der mehr für den Staat leiste, auch mehr Einfluss auf die Gestaltung der Politik fordern könne. Schücking hingegen lehnte das Dreiklassenwahlrecht ab. Ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht war für ihn nicht nur eine Forderung der Gerechtigkeit, sondern auch die Grundlage einer vernünftigen Politik, deren

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Jakob Novicow, Die Föderation Europas, Berlin/Bern 1901, S. 37. Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 159; Staat und Verwaltung, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/ Berlin 1914, S. 191. 140 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 159. 141 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 160. 142 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 164 ff.; Staat und Verwaltung, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 195. 143 Josef Kohler, Die Stellung des Kaisers, in: Das Kultur-Parlament Heft 1 (1909), S. 6. 144 Josef Kohler, Staatsrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 140. 145 Josef Kohler, Staatsrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 141 f. 139

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Aufgabe darin bestand, die bisher abseits stehenden Kräfte der Arbeiterschaft an den Staat zu ziehen.146 Ebenso wie Fried, der sich bereits in den Vorkriegsjahren explizit zu einer Demokratisierung des Reiches im Interesse des europäischen Friedens bekannte,147 stellte auch Schücking die monarchische Staatsform nicht zur Diskussion. Schücking, der den „deutschen Konstitutionalismus“ für überholt hielt, verfolgte bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges das innenpolitische Ziel einer parlamentarischen Monarchie.148 Er forderte eine Parlamentarisierung des Reiches, die die Regierung der Volksvertretung verantwortlich machte. Für ihn gab es keine andere Möglichkeit, gesunde politische Verhältnisse in Deutschland zu schaffen, als der Volksvertretung einen größeren Einfluss auf die Gestaltung der Politik zu gewähren.149 Es war jedoch in erster Linie das Verdienst Ludwig Quiddes, einen Zusammenhang zwischen Pazifismus und Demokratie herzustellen. Quidde verband einen ethisch fundierten Pazifismus mit dem demokratisch-republikanischen Gedanken. Pazifismus und Demokratie waren für Ludwig Quidde Wertvorstellungen, die einander ergänzten. Quidde zufolge verkörperten Demokratie und Pazifismus eine gleiche Grundhaltung. Pazifismus war seiner Ansicht nach nichts anderes als die Anwendung der demokratischen Grundsätze – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – auf die internationalen Beziehungen.150 Der Pazifismus Kohlers war hingegen ein Pazifismus liberaler Provenienz. Die liberale Weltanschauung akzeptierte den Faktor Macht und eine bedingte Bereitschaft zum Krieg. Je stärker funktionale Züge in den Vordergrund gerieten, bestand jedoch die Gefahr, dass der Pazifismus bei veränderter politischer Lage „an die Peripherie liberalen Denkens“ gedrängt wurde. In der liberalen Demokratie hingegen, wie sie etwa Ludwig Quidde oder Walther Schücking vertraten, besaß die Idee des Friedens eigenständigen Wert.151 146 Walther Schücking, Neue Ziele der staatlichen Entwicklung – eine politische Studie, Marburg 1913, S. 53 f. 147 Alfred Hermann Fried, Betrachtungen zur Marokkokrise, in: Die FriedensWarte 13 (1911), S. 222. 148 Walther Schücking, Neue Ziele der staatlichen Entwicklung – eine politische Studie, Marburg 1913, S. 35. 149 Walther Schücking, Neue Ziele der staatlichen Entwicklung – eine politische Studie, Marburg 1913, S. 63 ff.; Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem, in: März 4 (1910), S. 181. 150 Ludwig Quidde, Wie ich zur Demokratie und zum Pazifismus kam, in: Frankfurter Zeitung Nr. 9 vom 4. Januar 1928, 2. Morgenblatt. 151 Vgl. Friedrich-Karl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983, S. 136 f.

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III. Begriff des Friedens Kohler zufolge sollten die Völker „geistig“ wetteifern. Der Kampf, führte er aus, sei insofern immer noch ein Ferment des Fortschrittes. Aber jeder Kampf, betonte er nachdrücklich, sei mit den Waffen des Geistes zu schlichten, und die Gegensätze in den Idealen und Gesinnungen müssten sich auf dem Boden der Erörterung durch Abwägung der Gründe versöhnen.152 Den Begriff „Frieden“ verstand Kohler nicht im militärischen Wortsinn. Er meinte damit also nicht lediglich einen Zustand der Waffenruhe bzw. Abwesenheit von Krieg, wobei die Möglichkeit eines neuen militärischen Konflikts immer latent vorhanden blieb, der Ausbruch eines akuten Krieges also eine stets gegenwärtige Potentialität darstellte, sondern einen Zustand der Ordnung, einer Ordnung des Rechts, in dem das Recht als alleinige Norm das zwischenstaatliche Leben regeln sollte, so wie das bereits innerhalb von Staaten funktionierte. Friede war auch nicht etwa als statischer Begriff zu verstehen, sondern als eine dynamische Form menschlicher Beziehungen. Friede war folglich nicht gleichzusetzen mit der Utopie einer konfliktfreien Gesellschaft.153 Vielmehr erkannte Kohler ebenso wie Fried und Friedrich Wilhelm Foerster Auseinandersetzungen zwischen Individuen und Gruppen als notwendiges Element des Kulturfortschritts an, nicht aber in der unproduktiven Form physischer Gewalt, sondern in der dem Kulturniveau der Epoche angemessenen Form friedlichen Wettbewerbs. Er bemühte sich, den Pazifismus als ein „realpolitisches“ Programm zu präsentieren. In diesem Sinne schrieb er an Schücking: „In der Angelegenheit des Pazifismus sind wir völlig einverstanden und natürlich habe ich immer ausgeschieden, was wir in Zukunft erstreben und was gegenwärtig zu verwirklichen ist. Das wird leider vielfach zum Schaden verwechselt.“154 152

Josef Kohler, Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 219; ähnlich auch Rezension Kohlers zu Ferdinand Kattenbusch, Das sittliche Recht des Krieges, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 497; in dem Sinne auch Alfred Hermann Fried, Irrige Ansichten über die Friedensbewegung, in: Ethische Rundschau 1 (1912), S. 6: „An der Spitze der zahlreichen Begriffsverwechslungen, die zu irrigen Ansichten über die Friedensbewegung führen, steht die Verwechslung von Krieg und Kampf. [. . .] Die Pacifisten wissen aber sehr wohl, daß Kampf und Leben identisch sind, daß erst der Kampf den Fortschritt der Kultur zeitigt, daß seit uralten Tagen der Kampf mit Recht als der Vater aller Dinge bezeichnet wird.“; ders., Handbuch der Friedensbewegung. Erster Teil: Grundlagen, Inhalt und Ziele der Friedensbewegung, 2. Auflage, Leipzig 1911, S. 7; ders., Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus, Tübingen 1908, S. 34 ff.; Friedrich Wilhem Foerster, Weltpolitik und Weltgewissen, München 1919, S. 36. 153 Vgl. auch das moderne Begriffsverständnis. Krippendorff bezeichnet Frieden als „eine der möglichen [. . .] Formen sozialen Konflikts“ und Krieg als spezifische „Erscheinungsform gesellschaftlicher Konflikte“, Ekkehart Krippendorff (Hrsg.), Friedensforschung, Köln/Berlin 1968, Einleitung, S. 15.

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Kohler wollte ebenso wie andere Anhänger der Friedensbewegung den Pazifismus von dem ihm angehefteten Makel der Utopie befreien, der hauptsächlich in dem „gänzlich missverstandenen“ Begriff vom „ewigen Frieden“ seine Begründung fand, ihn „kongreßfähig“ machen.155 „Selbst wenn es wahr wäre, daß Kriege unvermeidlich seien“, erklärte er, so sei es doch wenigstens möglich, sie einzuschränken und dies schon eine ungeheure Wohltat für die Menschheit.156 „Müssen wir also noch den Krieg gelten lassen“, hieß es an anderer Stelle, „so müssen wir umso mehr den Frieden heilig halten.“157 Fried wies darauf hin, dass „das Märchen vom ewigen Frieden“ nicht im Programm des Pazifismus begründet sei.158 Der Völkerrechtler Heinrich Lammasch erklärte: „Seit der Antike träumt die Menschheit vom ewigen Frieden. Wie kann aber etwas ewig sein auf einer Welt, in der alles den Keim des Todes in sich trägt? Das Beste, was wir erwarten können, ist ein dauernder, eine Reihe von Generationen beglückender Friede zwischen den Kulturstaaten.“159 Schücking nannte im zweiten Artikel seines Staatengrundvertrages als Zweck der zu begründenden Union die „möglichste“ Friedenserhaltung, wobei er zur Begründung ausführte, der Zweck des Verbandes könne nur darum eine „möglichste“ Friedensbewahrung sein, weil die Vereinsmitglieder nicht gewillt seien, auf das Recht der Kriegführung zu verzichten.160 154

Brief Kohlers vom 2. Dezember 1912 an Walther Schücking, Nachlass Walther Schücking. 155 In diesem Sinne auch Novicow: „Wir sind vollständig der Ansicht der Kriegsanhänger, dass der ewige Friede nur auf den Kirchhöfen möglich ist, diesen Träumen jagen wir nicht nach, es wäre dies wirklich verlorene Zeit. [. . .] Unsere Gegner trachten danach, die Tätigkeit der Friedensfreunde zu diskreditieren, indem sie ihnen den Charakter träumerischer Utopisten beilegen. Damit setzen sie der Aufrichtung einer internationalen Rechtsordnung ein großes Hindernis entgegen, und wir legen deshalb so viel Gewicht darauf, diese bedauerliche Verwechslung verschwinden zu lassen“, vgl. Jakob Novicow, Die Föderation Europas, Berlin/Bern 1901, S. 281. Ganz offen erklärte auch Franziskus Maria Stratmann, Weltkirche und Weltfriede. Katholische Gedanken zum Kriegs- und Friedensproblem, Augsburg 1924, S. 156: „Das Wort ‚ewig‘ ist zum mindesten für die Tagesarbeit überflüssig. Für die Zugkraft der Friedensparole ist es sogar schwer belastend und auch sachlich führt es irre.“ 156 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 130. 157 Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 1913, S. 603. 158 Alfred Hermann Fried, Kurze Aufklärungen über Wesen und Ziel des Pazifismus, Berlin/Leipzig 1914, S. 17. 159 Heinrich Lammasch, Europas elfte Stunde, München 1919, S. 62.; vgl. auch Eugen Schlief, Der Friede in Europa. Eine völkerrechtlich-politische Studie, Leipzig 1892, S. 21: „Also man sieht: der Traum vom ewigen Frieden soll hier nicht geträumt werden, [. . .].“

B. Kohlers Engagement in der organisierten Friedensbewegung

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„Aber“, so die provozierende Frage Kohlers, „[. . .] sollen wir darum, weil wir ein Ideal nie völlig erringen können, aufhören, für das Ideal zu kämpfen?“ Das Schicksal aller großen Ideen zeigte Kohler zufolge, dass man Jahrhunderte und Jahrtausende dafür gekämpft habe.161 Hier klang der Idealismus Bluntschlis an, der an die Verwirklichung des Völkerfriedens in einem Weltreich bzw. an die in einem Staat organisierte Menschheit dachte und dazu folgende Bemerkung machte: „Ich weiß, daß die meisten der Mitlebenden diese Idee für einen Traum halten; aber das darf mich nicht abhalten, meine Überzeugung auszusprechen und zu begründen.“162 „Die Behauptung, daß es Kriege gebe, solange Menschen und Staaten existieren“, führte Kohler an anderer Stelle aus, beruhe „auf einem Fehlschluß.“ Man habe ihm entgegengehalten, dass sich ein solcher Prozess, wie er sich im Verhältnis der Familien zum Staate gestaltet habe, nicht auch im Verhältnis der Staaten zueinander vollziehen könne. Gerade in dieser Ansicht aber erblickte Kohler den Irrtum. Er sah im Leben der Staaten „eine neue Epoche erwacht“. Man sehe, erklärte er, „Jahrhunderten geschichtlicher Entwicklung“ entgegen, in denen die Verhältnisse der Staaten zueinander nicht mehr so geregelt seien, wie es bis ins neunzehnte Jahrhundert der Fall gewesen sei.163 Dereinst, prophezeite Kohler, würden sich die Völker als gleichstrebende Verbündete begrüßen, deren Aufgabe es sei, mit allen Kräften nach den höchsten Zielen der Menschheit zu streben.164 Fazit Wie sich aus dem vorangegangenen Abschnitt ergibt, hat sich Kohler bemerkenswerterweise der DFG bereits in ihrer schwierigen Anfangsphase zur Verfügung gestellt, als viele andere sich scheuten. Er hat dabei ebenso wie bei der Weigerung, ein Gutachten gegen Ludwig Quidde zu verfassen, die Gefahr persönlicher Nachteile und Isolierung auf sich genommen. In seiner pazifistischen Argumentation lässt sich eine Entwicklung erkennen, die gerade in den ersten Jahren parallel zu der der deutschen Friedensbewegung verlief. Sein erster Aufruf als Vorsitzender der DFG entsprach ganz dem 160 Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen (Das Werk vom Haag. Band 1), München/Leipzig 1912, S. 241. 161 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 130; ähnlich undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit: Die moderne Friedensbewegung, S. 2, Nachlass, Kasten 4. 162 Johann Caspar Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 5. Auflage, Stuttgart 1875, S. 34, 36. 163 Josef Kohler, Staaten und Kriege, in: Berliner Tageblatt vom 14. Mai 1911. 164 Josef Kohler, Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 218.

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humanitär-aufklärerischen Konzept der frühen DFG, bei dem Aufklärung und Erziehung der Bürger durch publizistische Einwirkung und öffentliche Vorträge im Mittelpunkt standen, und spiegelte den Glauben an die Überzeugungskraft der eigenen Ideale wider. Nach dem enttäuschenden Ausgang der ersten Haager Friedenskonferenz von 1899 beteiligte er sich an der theoretischen Fundierung der Friedensbewegung, mit der man diese vom Stigma des Utopischen befreien und den Pazifismus für breitere Schichten verständlich und akzeptabel machen wollte. Die ethische Begründung des Pazifismus trat dabei aus taktischen Gründen in den Hintergrund. Man bemühte sich, den Pazifismus wissenschaftlich zu begründen. Zudem wurde die Vorstellung von einem „Ewigen Frieden“ durch den Gedanken eines möglichst dauerhaften Friedenszustandes abgeändert. Der Pazifismus Kohlers entsprach nicht dem unbedingten Pazifismus der christlichen Friedenssekten. Kohler zeigte wie die Mehrheit der Anhänger der deutschen Friedensbewegung Christian Lous Langes165 Definition von Internationalismus entsprechend Aufgeschlossenheit gegenüber dem Nationalstaat und erachtete den nationalen Verteidigungskrieg als legitimes Selbstbehauptungsmittel des Staates. Sein Friedensbegriff war dabei ausschließlich außenpolitisch orientiert, beschränkt auf die Gestaltung des Verhältnisses zum Ausland. Die gesellschaftlichen Ursachen bestehender Friedlosigkeit lagen jenseits seiner Betrachtung, ebenso wie sie sich außerhalb des Vorstellungshorizonts der Mehrheit bürgerlicher Pazifisten befanden. Die in den Reihen der Sozialisten vertretene Ansicht, Voraussetzung einer allgemeinen Pazifizierung sei die Revolutionierung des gesellschaftlichen Systems, fand innerhalb der bürgerlichen Friedensbewegung keinerlei Rückhalt. Man strebte eine humanere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems an, keinesfalls aber dessen Umsturz. Der Pazifismus Kohlers war zudem ein Pazifismus liberaler Provenienz, der den Faktor Macht und eine bedingte Bereitschaft zum Krieg einschloss. Je stärker funktionale Züge in den Vordergrund gerieten, bestand jedoch die Gefahr, dass der Pazifismus bei veränderter politischer Lage „an die Peripherie liberalen Denkens“ gedrängt wurde. Wie sich in der Vorkriegszeit noch hinsichtlich der Frage Elsass-Lothringens zeigen wird, brachte Kohler sein Gemeinschaftsbewusstsein in erster Linie als Angehöriger seiner Nation, als Staatsbürger und Patriot zum Ausdruck.

165

Vgl. Christian Lous Lange, Histoire de l’Internationalisme, Band I: Jusqu’à la Paix de Westphalie (1648), Kristiana 1919, S. 9–16 sowie die Einleitung der vorliegenden Studie, S. 16 f.

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C. Kohlers Wirken im Umfeld der Berliner Universität Im folgenden Abschnitt sollen das soziale Netz, das Kohler in der Reichshauptstadt nutzen konnte und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für sein vielfältiges Wirken verdeutlicht werden. Zudem soll seine Haltung zu verschiedenen Problemen seiner Zeit beleuchtet werden, um zu zeigen, wie liberal-progressive und elitär-reaktionär anmutende Prinzipien bei Kohler zusammentrafen. In diesem Zusammenhang soll auch ein kurzer Blick auf Kohlers finanzielle Situation in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geworfen werden, um die Entwicklung des in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Offenburgers in der Reichshauptstadt nicht nur in gesellschaftlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu veranschaulichen.

I. Kohler als Wissenschaftsorganisator Seit etwa 1890 entwickelten sich großbetriebliche Forschungsformen und entstand ein neuer Typus arbeitsteiliger Großforschung, der die neue Produktivkraft Wissenschaft in einer hochindustrialisierten Gesellschaft deutlich zum Ausdruck brachte. Kohler betätigte sich dabei in verschiedener Hinsicht als Wissenschaftsorganisator. So gab er neben den Sammelwerken Handelsgesetze des Erdballs, Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Berliner Juristische Beiträge und Die Patentgesetze aller Völker im Laufe der folgenden Jahre auch sechs juristische Archivzeitschriften heraus.166 Dazu gehörte die im Jahre 1909 gegründete Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht, die an eines der wichtigsten Organe für das Rheinische Recht vor 1900 anknüpfte, die von Puchelt herausgegebene Zeitschrift für französisches Civilrecht, an der Kohler bereits seit 1876 mitgewirkt hatte. Kohler, der die neugegründete Rheinische Zeitschrift u. a. mit Ernst Rabel herausgab, betonte im Vorwort die rechtsvergleichende Bedeutung einer deutsch-französischen Zeitschrift. Seiner Ansicht nach gab es für die deutsche Rechtswissenschaft kein „größeres Bildungsmittel“, als „die Weiterentwicklung des französischen Rechts zu verfolgen.“167 Im selben Jahr gründete Kohler die Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) und das dazugehörige Archiv.168 166 Die Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft, das Archiv für bürgerliches Recht, die Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht, Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, das Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie sowie die Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht. 167 Josef Kohler, Einführung, in: Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht, 1 (1909), S. 3.

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Zudem verstand Kohler es, sowohl Studenten in seine rechtsvergleichenden Studien einzubeziehen, als auch verschiedene Mäzene für seine Forschungen zu gewinnen, so etwa im Dezember 1911 den Kommerzienrat Ludwig Darmstaedter.169 Dabei ging es darum, dass Kohler dem Orientalisten Ungnad, mit dem er bereits verschiedene Schriften über das babylonische Altertum, insbesondere über die Hammurapi-Urkunden herausgegeben hatte, die Möglichkeit geben wollte, einige Wochen nach London zu gehen, um in dem dortigen britischen Museum assyrische Urkunden zu kollationieren. Darmstaedter spendete die erbetene Summe von 500 Mark.170 Bei der Einbeziehung von Studenten aus seinen Seminaren in seine Forschungen versuchte Kohler, auch ausländische Studenten anzusprechen. Dazu bemerkte er: „Es hat sich insbesondere die erfreuliche Erscheinung herausgebildet, dass sich meist auch einige Ausländer melden, welche Themata aus dem Rechte ihres Landes nach der deutschen Methode durchforschen und unter Zuhilfenahme ihrer einheimischen Literatur zur wissenschaftlichen Darstellung zu bringen suchen.“171

II. Auswärtige Wissenschaftspolitik als Alternative staatlicher Weltfriedenspolitik Am 4. März 1904 begann Kohler eine siebenwöchige Amerika-Reise, um den juristischen Ehrendoktor der Universität Chicago entgegenzunehmen. Bei diesem Aufenthalt empfing ihn Theodore Roosevelt im Weißen Haus.172 In Washington traf Kohler zudem mit Amerikas großem Juristen und hohem Richter Oliver Wendell Holmes zusammen.173 Weitere Besuche galten Boston und Philadelphia, wo er unter anderem das Eastern Peniten168 Siehe dazu Gerhard Sprenger, Recht als Kulturerscheinung, in: Deutsche Rechts- und Sozialphilosophie um 1900. Zugleich ein Beitrag zur Gründungsgeschichte der internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 43 (1991), S. 134–153 sowie ders., in: Deutsche Rechts- und Sozialphilosophie um 1900, hrsg. von Gerhard Sprenger, ARSP Beiheft N. F. 43 (1991), Vorwort, S. 8. 169 Kohler am 12. Dezember 1911 an Darmstaedter, Autographensammlung Sammlung Darmstaedter, Deutsche Staatsbibliothek Berlin. 170 Dankschreiben Kohlers an Darmstaedter vom 16. Dezember 1911, Autographensammlung Sammlung Darmstädter, Deutsche Staatsbibliothek Berlin. 171 Chronik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1908, S. 68. 172 Josef Kohler, Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 130. 173 Josef Kohler, Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 131. Zu Oliver Wendell Holmes siehe Bowen, Der Yankee vom Olymp, Richter Holmes und seine Familie, 1943, deutsche Übersetzung 1945/46; dazu Gustav Radbruch, Oliver Wendell Holmes. Zur Biographie eines amerikanischen Juristen, in: SJZ 1946, S. 25.

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tiary, die damals als vorbildlich geltende, 1822/25 erbaute Strafanstalt besichtigte. Am 22. März erfolgte die Verleihung des Ehrendoktortitels in der Mandel-Hall der Universität Chicago. Im Anschluss an den Promotionsakt wurden die Glückwunschtelegramme Roosevelts und des Deutschen Kaisers verlesen.174 In seiner Rede beim Schlussbankett im Auditorium zu Chicago wies Kohler darauf hin, dass Wissenschaft und Kunst in besonderer Weise dazu geeignet seien, zu einer Verbindung der Völker zu führen. Kohlers Motivation entsprach der Motivation und politischen Zwecksetzung internationaler Zusammenarbeit vor dem Ersten Weltkrieg: Stolz auf die „Weltstellung des deutschen Geistes“ und die international ausstrahlende Entwicklung zum arbeitsteilig-effektiven „wissenschaftlichen Großbetrieb.“175 Voller Stolz wies er darauf hin, dass eine Nation, die einen Kant, einen Hegel, einen Schopenhauer, einen Nietzsche, einen Sebastian Bach, einen Beethoven einen Richard Wagner, einen Wolfram von Eschenbach, einen Goethe erzeugt habe, „im Reiche der Geister weiter leben“ würde, „sie würde leuchten gleich dem Volke Homers, auch wenn sie sofort vom Erdboden verschwände.“ Der Deutsche besitze eine Erfindungskraft, ein technisches Können, das anderen Nationen „mindestens gleich“ stehe. Voller Anerkennung äußerte er jedoch: „Wenn es mir möglich war, in der Begründung des deutschen Erfinderrechts ein maßgebendes Wort zu sprechen, so war es mir nur möglich, weil mir die unendliche Fülle der amerikanischen Entscheidungen zu Gebote stand. [. . .] So müssen wir zusammen wirken. Glauben Sie nicht, dass ich hierher gekommen bin, um zu glänzen oder meine Verdienste zu zeigen; ich bin vor allem gekommen, um bei Ihnen zu lernen, um zu helfen, daß die Brücke geschlagen wird zwischen Ihnen und uns, daß die Jurisprudenz Deutschlands und Amerikas in fruchtbaren Wettbewerb trete. Kommen Sie zu uns, Sie haben uns durch Ihren freundlichen Empfang das lebhafte Verlangen ans Herz gelegt, auch Sie bei uns begrüßen zu können.“176 Kohler war auch hier ein Vorreiter. Er hielt diese Rede ein Jahr, bevor Althoff den Professorenaustausch zwischen den Universitäten Berlin und Harvard initiierte, die „erste große kulturpolitische Unternehmung Deutschlands im Ausland“,177 und zwei Jahre bevor auf höchster politischer Ebene 174

Josef Kohler, Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 117 f. Siehe hierzu im Allgemeinen: Rüdiger vom Bruch, Weltpolitik als Kulturmission. Auswärtige Kulturpolitik und Bildungsbürgertum in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Paderborn/München/Wien/Zürich 1982, S. 24. 176 Rede über Deutschland, gehalten am Schlussbankett im Auditorium zu Chicago Deutschland. Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 118 f., 123; auch abgedruckt unter dem Titel „Deutschland“, in: Der Tag vom 10. Mai 1904. 177 Siehe Franz Schmidt, Anfänge deutscher Kulturpolitik im Auslande, in: Zeitschrift für Politik, N. F. 3 (1956), S. 252–258. 175

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zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Deutschen Kaiser ein jährlicher Austausch mit der Columbia-Universität New-York und den übrigen amerikanischen Universitäten vereinbart wurde.178 An der Rede Kohlers werden die Motive und Ziele deutscher auswärtiger Wissenschafts- und Kulturpolitik vor 1914 deutlich: Kulturausstrahlung, kulturelle Selbstinterpretation, kulturelle Expansion, am wenigsten Kulturpropaganda und Kulturimperialismus.179 Auffallend sind die Parallelen zu dem Leipziger Kulturhistoriker Karl Lamprecht.180 Beiden warf man das „Freskomalen von Perioden oder Stufen“ vor. Beide galten als „Verächter der Zunftregel.“181 Während beide im Ausland immenses Ansehen genossen, betrachtete man ihre Propagierung „westlicher“ liberaler Tendenzen im Inland mit gewisser Skepsis.

III. Etablierung in Berlin An dieser Stelle soll ein kurzer Blick auf Kohlers finanzielle Situation in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geworfen werden, um die Entwicklung des in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsenen Offenburgers in Berlin auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu veranschaulichen. Wie bereits eingangs erwähnt, wies Kohlers Berliner Kollege, der Theologe Reinhold Seeberg, darauf hin, bei Kohler eine gewisse Abneigung gegen Armut beobachtet zu haben, „die sich zeitweilig [. . .] wohl zur krankhaften Furcht vor Not und Elend“ habe steigern können und als Gegenstück 178 Bernhard vom Brocke, Internationale Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik: Der Professorenaustausch mit Nordamerika, in: Bernhard vom Brocke (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991, S. 185. 179 Vgl. Kurt Düwell, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918–1932. Grundlinien und Dokumente, Köln/Wien 1976, S. 35 ff. 180 Zu Karl Lamprecht siehe Roger Chickering, Karl Lamprecht: a German academic life (1856–1915), Atlantic Highlands 1993; ders., Karl Lamprechts Konzeption einer Weltgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 73 (1991), S. 437–452; Hans-Josef Steinberg, Karl Lamprecht, in: Deutsche Historiker I, hrsg. von Hans Ulrich Wehler, Göttingen 1971, S. 58–68; Louise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht, Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik, Göttingen 1984. Beziehungen zwischen Kohler und Lamprecht scheinen lediglich in eingeschränktem Unfang bestanden zu haben. Die Korrespondenzkartei Josef Kohlers weist einen verschollenen Brief Karl Lamprechts an Josef Kohler vom 2. Januar 1905 aus. Vgl. den Katalog des Josef-Kohler-Archivs in der Sammlung Darmstaedter in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin. Im Nachlass Karl Lamprechts hingegen konnten keine Schreiben Kohlers gefunden werden. 181 Ernst Rabel, Josef Kohler, in: Rheinische Zeitschrift für Zivilrecht und Prozess 10 (1919), S. 133.

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dazu eine gewisse Betonung der inneren und äußeren Teilnahme an dem modernen Leben mit seinen Fortschritten und Genüssen, ein Zug in die Ferne, in das Internationale, die Hervorhebung weltumfassender Beziehungen. Dies in dem Wesen des so fest in sich selbst ruhenden Mannes habe etwas Auffallendes gehabt.182 Kohlers Lebensstil wurde in Berlin immer weltläufiger und aufwendiger. Er bewohnte eine herrschaftliche Wohnung am Kurfürstendamm 216, in der allein vier große Zimmer der Aufstellung seiner Bücher dienten.183 Sein tägliches Leben war spartanisch. Er arbeitete bis tief in die Nacht, schlief nachts in der Regel nur vier Stunden. Er legte keinen Wert auf gutes Essen, rauchte nicht und trank seit seinem 36. Lebensjahr kaum noch Alkohol.184 In den Semesterferien unternahm er oft weite Reisen, die ihn unter anderem bis Nordafrika führten, wo er in Algier als Zuschauer an der Gerichtssitzung eines Kadi und in Kairo als Hörer an Rechtsvorlesungen in der dortigen Universität teilnahm.185 Erst nachdem ihm im März 1904 der Ehrendoktor der Universität Chicago verliehen worden war, erhielt Kohler auch den Titel des Geheimen Justizrats. Nun wurde auch die deutsche Regierung auf ihn aufmerksam. Aufgrund ministeriellen Erlasses vom 14. April 1905 U I Nr. 6075 geruhten „Seine Majestät der Kaiser und König dem ordentlichen Professor in der hiesigen Juristischen Fakultät Dr. Josef Kohler durch Patent vom 31. März 1905 den Charakter des Geheimen Justizrats in Gnaden“ zu verleihen.186 182 Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis, Berlin 1920, S. 16. 183 Siehe auch Hermann Kantorowicz, Erinnerungen an Josef Kohler, in Bensheimers Studentenführer für Rechts- und Staatswissenschaften, Heft 1, Herbst 1925, S. 7: „Schüchtern stieg ich die prunkvolle Treppe seiner Wohnung am Kurfürstendamm empor, ein bildschönes Kammerzöfchen öffnete die Tür, führte mich in einen nicht weniger schönen Salon, und bald konnte ich dem großen Mann mein Anliegen vortragen.“ 184 Vgl. Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren, o. O., o. J., S. 23 f. 185 Josef Kohler, Aus vier Weltteilen. Reisebilder, Berlin o. J. [1908]. Kohlers umfangreiche Privatbibliothek wurde nach seinem Tode von japanischen Schülern erworben und in Tokio gesondert aufgestellt, wo sie dann durch das Erdbeben vom 1. Sept. 1923 vernichtet wurde, vgl. Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger vom 5. November 1932. 186 Universitätsarchiv der Humboldt-Universität, Personalakte Josef Kohler UK 244 Bl. 4; Zum Vergleich Geburtsjahr und Jahr der Verleihung des Geheimrat-Titels an andere Professoren der Rechtswissenschaft: Philipp Zorn (geb. 1859) 1893, war zu der Zeit Professor in Königsberg; Ernst Zitelmann (geb. 1852) 1899, war zu der Zeit in Bonn; Franz von Liszt (geb. 1851) 1896, war zu der Zeit in Halle; Wilhelm Kahl (geb. 1849) 1895, war zu der Zeit in Berlin; Lothar Anton Alfred Pernice (geb. 1841) 1881, war zu der Zeit in Berlin; Carl Gareis (geb. 1844) 1894, war zu der Zeit in Königsberg; Albert Friedrich Hänel (geb. 1833) 1894, war zu der Zeit in Kiel; Richard Schröder (geb. 1838) 1900, war zu der Zeit in Heidelberg, vgl. Hand-

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Die badische Regierung zog ein Jahr später nach. Am 11. Juni 1906 befand sich „Seine Königliche Hoheit der Großherzog gnädigst bewogen“, Josef Kohler „das Kommandeurkreuz zweiter Klasse höchst ihres Ordens vom Zähringer Löwen“ zu verleihen.187 Jene Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren nach Ansicht seines Sohnes die glücklichsten seines Lebens.188 Er habe sich des Ansehens gefreut, das er überall, nunmehr auch in Berlin, genoss. Die Berliner Juristen hätten ihn als wissenschaftlichen Führer betrachtet. Wenn er Vorträge hielt, wie im Anwaltsverein, kamen Hunderte von Zuhörern. Er war Mitglied in zahlreichen in- und ausländischen Vereinen,189 las vor zahlreichen Studenten aller Länder über alle Teile der Rechtswissenschaft, fertigte Rechtsgutachten in großer Zahl für die deutsche Industrie und ausländische Regierungen wie Österreich, Ungarn und Russland. In Rom, in Madrid, in Athen, in Amerika und Japan las man seine Bücher.190 Kohler führte diese Erfolge auf seinen Aufenthalt in Berlin zurück: „Und nicht zum mindesten habe ich auch dem hiesigen Aufenthalt zu verdanken, daß ich mit unzähligen bedeutenden Personen des Auslandes bekannt wurde und auf solche Weise eine Resonanz finden konnte, welche sich über die ganze Erde erstreckt.“191 Resümierend urteilte er: „Erst in Berlin konnte ich das werden, was ich bin. Mag man buch über den Königlich Preußischen Hof und Staat, hrsg. vom Königlichen Staatsministerium für das Jahr 1887/88, Berlin 1887, für das Jahr 1895, Berlin 1894, für das Jahr 1896, Berlin 1895, für das Jahr 1897, Berlin 1896, für das Jahr 1898, Berlin 1897, für das Jahr 1904, Berlin 1903, für das Jahr 1905, Berlin 1904, für das Jahr 1906, Berlin 1905; Überblick über die Laufbahn der Professoren an den rechtswissenschaftlichen Fakultäten des Deutschen Reiches., in: Juristisches Literaturblatt 13 (1901), S. 83–87, 106–110, 130–135. 187 Siehe Mitteilung des Ministeriums der Kirche, des Kultus und Unterrichts Karlsruhe vom 19. Juni 1906, GLA 234/2643. 188 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger Nr. 1737 vom 5. November 1932. 189 Er war Auswärtiges Mitglied des Königlichen Instituts voor de Taal-Land-en Volkenkunde van Nederlandsch Indie, Korrespondierender Delegierter der Société Académique Indo-Chinoise zu Paris, Korrespondierendes Mitglied der Société de Législation comparée in Paris und der Genootschap van kunsten en wetenschappen in Batavia, Ehrenmitglied des Istituto di Storia del Diritto Romano an der Universität Catania, Mitglied der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde in Köln, Ehrendoktor der Universität Chicago, Auswärtiges Mitglied der Utrechter Genossenschaften für Künste und Wissenschaft, Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften des Institutes zu Bologna und Ehrenmitglied der Griechischen Philologischen Gesellschaft in Konstantinopel. 190 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932. 191 Höhepunkte des Lebens und Schaffens – Erkenntnisse des Lebens und Schaffens hervorragender Persönlichkeiten der Gegenwart, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911.

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dem anerkennend oder ablehnend gegenüberstehen, den eigentlichen Typus meines Wesens habe ich erst hier gefunden.“192

IV. Streiter gegen Antisemitismus Der moderne Antisemitismus, der Ende der siebziger Jahre im Gefolge der Wirtschaftskrise als eine politische Bewegung mit eindeutig antiliberaler Stoßrichtung auf den Plan getreten war, hatte auch an den deutschen Universitäten ein lebhaftes Echo gefunden.193 Kohler bezog 1910 in der Deutschen Montags-Zeitung ausdrücklich gegen Treitschkes Antisemitismus Stellung: „Ich selbst bin kein Jude und von vollkommen indogermanischer Abstammung“, erklärte er dort. Er müsse dies hervorheben, führte er aus, weil man schon das Gegenteil behauptet habe, und weil dieser Umstand seiner Ansicht nach bei einem Schriftsteller, der hierüber handle, nicht ohne Bedeutung bleiben könne. Es habe sogar Zeiten gegeben, räumte er ein, „wo die temperamentvollen Aeußerungen Richard Wagners und Treitschkes mich auf Irrwege geführt, ja, in mir antisemitische Regungen entfacht haben, von denen ich aber längst befreit bin, da meine Studien und meine Lebenserfahrungen mir so viel Vorurteilslosigkeit gewährt haben, dass ich zur völlig gerechten Würdigung fortgeschritten zu sein glaube.“ Es gebe Nationen, erklärte er, welche vom Schicksal nicht dazu bestimmt seien, als selbständige Volkskreise in der Geschichte zu leben, welche vielmehr aufgerieben würden, um, „als Volkstrümmer in der Welt zerstreut, die Kultur zu beeinflussen, so daß sie mehr oder minder assimiliert wurden und in den seelischen Empfindungen und Betätigungen, in den Bestrebungen und in dem Können der Völker als lebensvolle Faktoren fortwirken.“194 Seinen Einfluss nutzte Kohler dazu, sich für seinen jüdischen Kollegen James Goldschmidt einzusetzen. An Ludwig Darmstaedter schrieb er: „Hochverehrtester Herr Kollege! Wie ich höre, hat mein Freund Mendelsohn Frankfurt abgelehnt. Vielleicht gestatten Sie mir, Ihnen die Mitteilung 192

Höhepunkte des Lebens und Schaffens – Erkenntnisse des Lebens und Schaffens hervorragender Persönlichkeiten der Gegenwart, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. 193 Vgl. Karsten Krieger, Der „Berliner Antisemitismusstreit“ 1879–1881: eine Kontroverse um die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation; kommentierte Quellenedition, München 2003; Walter Boehlich (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt a. M. 1965; Thomas Nipperdey/Reinhard Rürup, Antisemitismus, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Band 1, Stuttgart 1972, S. 137 ff.; Notker Hammerstein, Antisemitismus und deutsche Universitäten 1871–1933, Frankfurt a. M./New York 1995. 194 Josef Kohler, Die Juden, in: Deutsche Montags-Zeitung vom 12. Dezember 1910.

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zu machen, dass ein guter Dozent und ganz bedeutender Schriftsteller auf dem Gebiete des Strafrechts und des Zivilprozesses ganz in ihrer Nähe wohnt, nämlich James Goldschmidt, Landgrafenstr. 9, der hier Extraordinarius ist. Ich bin sicher, dass dieser die Stelle gerne annehmen wird und da er sehr wohlhabend ist, so werden auch die Geldverhältnisse, und, was ja sehr häufig gefürchtet wird, das teure Leben in Frankfurt für ihn kein Hindernis sein. Dabei möchte ich noch bemerken, dass er jedenfalls an einer anderen Universität schon längst angekommen wäre, wenn nicht das Judentum und die an anderen Universitäten herrschenden Vorurteile ihm im Wege gestanden wären.“195

V. Kohler, die Lex Heinze und der Goethebund Das dichte Beziehungsnetz Kohlers führte diesen im Mai 1900 zur Teilnahme an einer der umfassendsten außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen196 innerhalb der liberalen intellektuell-künstlerischen Öffentlichkeit, dem Goethebund. Die Goethebünde entstanden 1900 aus einer von der breitesten Öffentlichkeit getragenen Protestbewegung gegen die Zensurverschärfungen im wilhelminischen Deutschland, speziell gegen die Novellierung des Paragraphen 184 des Strafgesetzbuches, die sog. Lex Heinze, einen Gesetzentwurf, der 1892 kam und acht Jahre später endgültig scheiterte.197 Vor allem auf Betreiben der Konservativen und des Zentrums kam es 1898 zu einem neuen Gesetzesentwurf, der in erheblich erweiterter Form 195 Brief Kohlers an Ludwig Darmstaedter vom 25. April 1914, Autographensammlung Sammlung Darmstaedter, Staatsbibliothek Berlin. Zu James Goldschmidt siehe auch Wolfgang Sellert, James Goldschmidt (1874–1940), Ein bedeutender Straf- und Zivilprozessrechtler, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 595–613. Zur Öffnung juristischer Berufe für Juden im Allgemeinen siehe Reinhard Rürup, Die Emanzipation der Juden und die verzögerte Öffnung der juristischen Berufe, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 1–25. Klaus Luig, Heinrich Dernburg (1829–1907), Ein „Fürst“ der Spätpandektistik und des preußischen Privatrechts, in: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. von Helmut Heinrichs, Harald Franzki, Klaus Schmalz und Michael Stolleis, München 1993, S. 231–247. 196 Wolfgang Hütt, Hintergrund. Mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungsparagraphen des Strafgesetzbuches gegen Kunst und Künstler 1900–1933, Berlin 1990, S. 22; R. J. V. Lenman, Art, Society and the Law in Wilhelmine Germany: the Lex Heinze, in: Oxford German Studies 8 (1973/74), S. 100. 197 Michael Stürmer, Das ruhelose Reich. Deutschland 1866–1918, Berlin 1983, S. 257–259; Gangolf Hübinger, Die Intellektuellen im wilhelminischen Deutschland. Zum Forschungsstand, in: Gangolf Hübinger/Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.), Intellektuelle im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M. 1992, S. 206.

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die Freiheit von Literatur und Theater bedrohte und als Anschlag auf die moderne Kunst überhaupt empfunden wurde.198 Insbesondere die Formulierung in § 184 a „Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen“ erregte Ärger. Stimmungen der Kulturkampfzeit lebten wieder auf.199 Anlass der Gesetzesinitiative war der Mordprozess gegen das der „Berliner Unterwelt“ angehörende Ehepaar Heinze. Im März 1900 gründeten etwa 150 Künstler, Politiker und Gelehrte auf die Initiative des prominenten Schriftstellers Hermann Sudermann hin den Goethe-Bund als Speerspitze dieser außerparlamentarischen Opposition, der Versammlungen, Resolutionen und Petitionen organisieren sollte.200 Die Notwendigkeit des auf der Basis des unter der Führung Sudermanns gegründeten Comité gegen die literatur- und kunstfeindlichen Bestrebungen der sog. lex Heinze gegründeten Vereins, dessen Vorstand Kohler als Beisitzender angehörte,201 wurde mit dem Hinweis begründet, dass der Schutz der „Lehr- und Schaffensfreiheit“ nicht nur den politischen Parteien überlassen werden könne, sondern vor allem Aufgabe der Betroffenen selbst, der Wissenschaftler, Künstler und der „wahrhaft Gebildeten“ sein müsse.202 Auf der am 25. März 1900 im Festsaal des Berliner Rathauses stattfindenden Protestversammlung sprachen außer Josef Kohler Friedrich Dernburg, der Maler Gustav Eberlein, Hans Delbrück, als Vertreter des Buchhandels Karl Engelhorn, Otto Brahm vom Deutschen Theater, Bernhard Suphan und Hermann Sudermann.203 Anwesend waren 1000 Besucher, nach einem Bericht von Alfred Klaar „die Besten, die in Berlin die geistige Freiheit“ vertraten.204 Kohler, der die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass die Büh198 Walter T. Rix, Hermann Sudermann – Werk und Wirkung, Würzburg 1980, S. 18; R. J. V. Lenman, Art, Society and the Law in Wilhelmine Germany: the Lex Heinze, in: Oxford German Studies 8 (1973/74), S. 86–113; Wolfgang Hütt, Hintergrund. Mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungsparagraphen des Strafgesetzbuches gegen Kunst und Künstler 1900–1933, Berlin 1990, S. 9–29, 81–103. 199 Zum Kulturkampf siehe auch Josef Kohler, Volksseele, in: Der Tag vom 3. Januar 1919. 200 Thomas Nipperdey, Band 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 719 f. 201 Brief Hermann Sudermanns vom 24. März 1900 an Clara Sudermann, in: I. Leux (Hrsg.), Briefe Hermann Sudermanns an seine Frau (1891–1924), Stuttgart/ Berlin 1932, S. 140. 202 Rede Hermann Sudermanns, gehalten am 25. März 1900 im Festsaale des Berliner Rathauses, in: Hermann Sudermann, Drei Reden, 2. Auflage, Stuttgart 1900, S. 30 f. 203 Tagebucheintrag Sudermanns vom 25. März 1900, zit. nach Jürgen von Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt“, S. 40, Anm. 121. 204 Maria Bischof, Die Goethebünde und der Volksschillerpreis, München 1976, S. 27; Wolfgang Hütt, Hintergrund. Mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungs-

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nenzensur auch in Preußen ein Ende fände,205 verstand das Problem der Lex Heinze ebenso wie weite Teile der Protestbewegung nicht nur als eine spezielle Frage der Kunstfreiheit und Kunstzensur, sondern als ein Problem der Geistesfreiheit überhaupt.

VI. Einsatz für die Emanzipation der Frau, den Mutterschutz, nichteheliche Kinder und Homosexuelle Im folgenden Abschnitt soll Kohlers Einsatz für die Emanzipation der Frau, den Mutterschutz, nichteheliche Kinder und Homosexuelle behandelt werden, um seine progressive Haltung in diesem Bereich zu veranschaulichen. Seit 1894 setzte sich Kohler in verschiedenen Aufsätzen und Artikeln für die Emanzipation der Frau ein,206 wobei er sich auch für das Wahlrecht von Frauen aussprach.207 Er sei gerne bereit, so beantwortete er die Anfrage des liberalen Reichstagsabgeordneten Max Hirsch,208 an der Zeitschrift für Frauenkunde mitzuwirken, umso mehr, als ihm der Zugang von Frauen zum Jurastudium stets sehr am Herzen gelegen habe.209 Kohler war eines der ersten Mitglieder des 1904 gegründeten Bundes für Mutterschutz und Sexualreform, der über etwa 1/3 männliche Mitglieder verfügte. Der Bund stand mit der Deutschen Friedensgesellschaft in Kontakt und setzte sich unter Leitung von Helene Stöcker210 außer für Frauenemanzipation für die juristische Anerkennung „freier Verbindungen“ und eine Reform des paragraphen des Strafgesetzbuches gegen Kunst und Künstler 1900–1933, Berlin 1990, S. 24. 205 Vgl. D’r alt Offeburger vom 22. März 1903. 206 Die geistige Mitarbeit des Weibes, in: Die Frau 1(1894), S. 147–149; Äußerung über Frauenstimmrecht, in: Leipziger Tageblatt Nr. 332 vom 2. Juli 1912; Die Frau und das Recht, in: Zeitschrift für populäre Rechtskunde 1 (1900), S. 2–4; Das Recht der Frau und der ärztliche Beruf, in: Archiv für Frauenkunde und Eugenik 1 (1914), S. 19–20. 207 „Suffragettenwahn“, in: Berliner Lokalanzeiger vom 15. März 1914; Josef Kohler, Arbeiter, Arbeiterorganisation, Arbeiterfürsorge, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 108. 208 Max Hirsch (1877–1948), Gynäkologe, Sozialhygieniker, liberaler Reichstagsabgeordneter, von 1896–1898 Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft. 209 Brief Kohlers vom 22. November 1913, Nachlass Hirsch; siehe auch Josef Kohler, Arbeiter, Arbeiterorganisation, Arbeiterfürsorge, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 107 f. 210 Zu Helene Stöcker (1869–1943) siehe Christl Wickert, Helene Stöcker: 1869–1943. Frauenrechtlerin, Sexualreformerin und Pazifistin; eine Biographie, Bonn 1991; Rolf von Bockel, Philosophin einer „neuen Ethik“: Helene Stöcker (1869–1943), Hamburg 1991.

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Strafrechts auch für antimilitaristische Postulate wie Friedenserziehung, Völkerversöhnung, Kriegsächtung und Wettabrüstung ein.211 Zu seinen Mitgliedern gehörten auch Friedrich Naumann, die Professoren Eulenburg, Auguste Forel, Sigmund Freud, Franz von Liszt, Werner Sombart, Max Weber, Ernst Haeckel und Kurt Hiller. Aufgrund der im Vergleich zu anderen kulturpolitischen und Frauenorganisationen großen Repräsentanz einflussreicher und begüterter Kreise verfügte der Bund über hohe finanzielle Zuwendungen. Kohler forderte die Gleichstellung unehelicher Kinder gegenüber den ehelich geborenen. Die Behandlung unehelicher Kinder bezeichnete er als „jahrhundertelanges Unrecht“, als Geschichte des „Martyriums und der menschlichen Unbildung.“212 Er verurteilte die „Brandmarkung“ unehelicher Kinder durch die Gesetzgebung, welche nichtehelichen Nachkommen die Kindschaft gegenüber dem Vater absprach. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch stand seiner Auffassung nach in dieser Hinsicht auf einem „völlig vorsintflutlichen“ Standpunkt. Besonderen Anstoß nahm er daran, dass das Gesetz dem Kind selbst im Falle der Anerkennung durch den Vater noch keine Vaterschaftsbeziehungen, sondern „höchstens eine unwürdige Alimentation“ gewähre. Das Kind die uneheliche Abstammung fühlen zu lassen, empfand er als unmenschlich. Auch hier zeigte sich wieder die Auseinandersetzung Kohlers mit fremden Rechtsordnungen, insbesondere der französischen. So wies er darauf hin, dass andere Gesetze, wie das Schweizer und das französische, dem Kind Vaterschaftsbeziehungen gewährten, sobald der Vater es anerkenne, und das „neue französische Gesetz“ über uneheliche Kinder im Falle offenkundigen Zusammenlebens die Anerkennung zutreffenderweise zu einer notwendigen gemacht habe.213 Im Umfeld von Schriftstellern und Künstlern wurden um die Jahrhundertwende die herkömmlichen Begriffe von Ehe, Liebe und Sexualität zunehmend in Frage gestellt.214 Auch Kohler hinterfragte die gängigen Auffassungen davon, was im Geschlechtsleben normal und was anormal sei. Dabei sprach er dem Staat das Recht ab, in das privateste Privatleben, das Liebesleben zwischen Erwachsenen einzugreifen, und plädierte für das freie Ver211 Vgl. Reinhold Lütgemeier-Davin, Pazifismus zwischen Kooperation und Konfrontation. Das Deutsche Friedenskartell in der Weimarer Republik, Köln 1982, S. 66 ff.; Hermes Hand Lexikon. Die Friedensbewegung, hrsg. von Karl Holl, Düsseldorf 1983, S. 63. In Kohlers Korrespondenzkartei finden sich Einträge über fünf Briefe Helene Stöckers aus den Jahren 1905, 1907 und 1913. 212 Uneheliche Kinder und ihr Recht, in: Über Land und Meer 112 (1914), S. 890. 213 Josef Kohler, Familie, Ehe, Geschlechtsleben, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 47. 214 Vgl. Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 326.

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hältnis zweier reifer Menschen unabhängig vom Geschlecht. Für die Zukunft erhoffte er eine juristische Anerkennung freier Verbindungen. Wenn die Eltern ein nichteheliches Zusammenleben ihrer Tochter förderten, führte er aus, also beispielsweise in ihrer Behausung duldeten, so liefen sie Gefahr, wegen qualifizierter Kuppelei ins Zuchthaus zu kommen. Die Gesetzgebung führte seiner Ansicht auf dem Gebiet „in eine eigentümliche Sackgasse“. Er sprach sich für eine neue Grundlage des Verhältnisses zwischen Mann und Frau aus und verlieh dabei der Hoffnung Ausdruck, der „horrende“ Ausspruch des Reichsgerichts, dass jeder außereheliche Geschlechtsverkehr unzüchtig sei, möge „bald dem Untergang verfallen!“215 In der öffentlichen Diskussion stand auch die Homosexualität, welche gemäß § 175 des Strafgesetzbuchs als Straftat geahndet wurde. Der Berliner Arzt Magnus Hirschfeld forderte in mehreren Petitionen an den Reichstag die Abschaffung des § 175 RStGB. In der militarisierten wilhelminischen Männergesellschaft, in der Homosexualität als unmännliches Verhalten stigmatisiert war, hatte dieses Begehren allerdings keinerlei Aussicht auf Erfolg. Der Skandal um den kaiserlichen Freund Philipp Eulenburg 1906/07 trug dazu bei, öffentlich Stimmung gegen die Homosexuellen zu machen.216 Kohler sprach sich vehement gegen ein Einschreiten des Staates gegenüber Homosexuellen aus.217 Jeder sollte Kohler zufolge, sofern nicht wichtige sonstige Interessen Not litten, „frei sein in der Art und Weise, wie er seinen geschlechtlichen Verkehr einrichten“ wolle. Längst, führte Kohler aus, sei es an der Zeit, die sog. „widernatürliche Unzucht“ nur dann zu bestrafen, wenn es sich um Verführung, um Einwirkung auf die Jugend oder um Missbrauch der Autoritätsstellung handle. Im Übrigen aber sollten seiner Ansicht nach „derartige Geschlechtsbefriedigungen“ ebenso der sittlichen Würdigung allein überlassen werden, wie man es mit anderen Fällen der Unzucht längst getan habe. Man solle, erklärte er, die Menschen „als erwachsene Persönlichkeiten und nicht als unmündige Erziehungsobjekte“ behandeln und es jedem überlassen, in der Geschlechtsbefriedigung seine eigenen Wege zu gehen.218 Dass dabei „merkwürdige Dinge“ vorkämen, „dass die Homosexuellen sich in den seltsamsten Vermummungen versammeln, die 215 Josef Kohler, Familie, Ehe, Geschlechtsleben, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 47 f. 216 Siehe dazu H.-G. Stümke, Homosexualität in Deutschland. Eine politische Geschichte, München 1989. 217 Josef Kohler, Ueber den Begriff der Unzucht mit öffentlichem Aergerniß. Mit Rücksicht auf einen Schweizer Kriminalfall, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 45 (1897), S. 204. 218 Josef Kohler, Der deutsche und der österreichische Vorentwurf eines Strafgesetzbuches, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 56 (1909), S. 297.

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Männer als Weiber, die Weiber als Männer verkleidet“, widersprach Kohler zufolge zwar „dem normalen Sinn“; „aber warum“, warf er ein, solle man „alle [. . .] Abnormität unter Strafe stellen?“219 Kohlers Plädoyer für das freie Verhältnis Erwachsener zeigt, wie frei seine Moralauffassung war. Im Jahre 1909 geriet die Frage der Strafbarkeit der Abtreibung ins Blickfeld der öffentlichen Debatte. Kohler sprach sich dabei für eine mildere Bestrafung des Schwangerschaftabbruchs aus, als es bislang im Reichsstrafgesetzbuch vorgesehen war. Anlass war eine Petition zur Reform des Strafgesetzbuches, welche die deutschen Frauenverbände 1909 einreichten. Darin wurde die Straflosigkeit gefordert für die Abtreibung bei medizinischer, eugenischer oder kriminologischer Indikation sowie die Einführung einer die einzelnen Anträge beurteilenden Ärztekommission, in der auch Frauen vertreten sein sollten. Der Deutsche Bund für Mutterschutz forderte demgegenüber sowohl die Einführung einer Verbesserung der sozialen Stellung der Mütter (allgemeine Mutterschutzversicherung und andere Maßnahmen) als auch eine neue Sexualmoral durch Verbesserung der Aufklärung, wodurch die Abtreibung letztlich überhaupt von der Strafdrohung befreit werden könne. Helene Stöcker propagierte das Recht auf „eine selbstbestimmte und freiwillige Mutterschaft“. Der Vorentwurf von 1909 hielt an der Strafbarkeit fest (§ 217), doch sollte der oberste Strafrahmen für Selbstabtreibung von fünf auf drei Jahre Zuchthaus gesenkt werden, wofür sich neben Josef Kohler auch Karl von Lilienthal und Franz von Liszt einsetzten. Der Vorentwurf von 1909 orientierte sich an der in der Rechtsprechung zutage getretenen milderen Bestrafung der Abtreibung sowie an den Ausführungen Gustav Radbruchs und senkte den Strafrahmen gegenüber dem geltenden Recht erheblich. Neben der grundsätzlich angeordneten Gefängnisstrafe behielt der Entwurf wahlweise jedoch auch die Zuchthausstrafe bei, da es Fälle gebe, „in denen wegen besonderer Verwerflichkeit der Gesinnung oder wiederholter Begehung der Straftat eine schwere Strafe geboten“ erscheine.220 Aufgrund des weiten Strafrahmens sahen die Verfasser des Entwurfs keine Notwendigkeit, mildernde Umstände zu normieren.221 In besonders leichten Fällen aber konnte das Gericht die Strafe nach § 83 des Vorentwurfs mildern. Kohler kritisierte den vom Vorentwurf 1909 gewählten Strafrahmen und hielt eine darüber hinausgehende Milderung der Strafe für erforderlich. Ein paar Wochen oder Monate Gefängnis sah er dabei als ausreichend an.222 Zudem regte er in Anlehnung an die österreichische Rege219

Josef Kohler, Familie, Ehe, Geschlechtsleben, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 53; vgl. auch Josef Kohler, Dante und die Homosexualität, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 48 (1901), S. 63–67. 220 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909, S. 645. 221 Vgl. Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909, S. 645 ff.

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lung an, Abtreibungen privilegiert zu behandeln, wenn die Tat begangen wurde, um einer Notlage oder der Entehrung zu entgehen.223 Er kritisierte auch die systematische Stellung der Vorschrift, die sich in Anlehnung an das Reichsstrafgesetzbuch von 1870/71 im Abschnitt „Verbrechen und Vergehen wider das Leben“ fand. Das, was der Staat bei der Abtreibung heutzutage im Auge habe, führte Kohler aus, sei nicht der Schutz menschlichen Lebens, sondern ausschließlich das populationistische Moment. Bezweckt sei, so Kohler, einen jähen Rückgang der Bevölkerung zu verhindern. Unter diesem Gesichtspunkt war Kohler zufolge zwar eine Ahndung der Abtreibung zu bejahen, die Abtreibung aber nicht in den Schatten des Tötungsdelikts zu rücken. Vielmehr war sie seiner Ansicht nach ausschließlich als Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und daher vergleichsweise milde zu bestrafen.224 Wie Kohlers freie Moralauffassung zeigt, vertrat er vielfach liberalprogressive Prinzipien. Modern war auch seine Auffassung eines Kulturrechts, das im folgenden Abschnitt behandelt werden soll, da darin Kohlers nahezu sein gesamtes Wirken kennzeichnende Grundanschauung von der Kulturbildung als höchstem Menschheitsziel zum Ausdruck kommt.

VII. Kohlers Kulturrecht225 Ebenso wie der Neukantianer Rudolf Stammler (1856–1938) trug Kohler entscheidend zur Wiederbelebung der Rechtsphilosophie und der Förderung des Kontaktes von Rechtswissenschaft und Philosophie bei. Stammler zeigte u. a. mit seiner Schrift „Vom richtigen Recht“ (1896) einen möglichen Weg vom reinen Rechtspositivismus zurück zu einer mehr wertenden Betrachtung des Rechts auf.226 Kohler und Stammler waren Teil einer 222

Josef Kohler, Der deutsche und der österreichische Vorentwurf eines Strafgesetzbuches, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 56 (1909), S. 297. 223 Josef Kohler, Der deutsche und der österreichische Vorentwurf eines Strafgesetzbuches, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 56 (1909), S. 310. 224 Josef Kohler, Der deutsche und der österreichische Vorentwurf eines Strafgesetzbuches, in: Goltdammers Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 56 (1909), S. 296. 225 Zum Begriff „Kulturrecht“ um 1900 siehe Gerhard Sprenger, Rechtsbesserung um 1900 im Spannungsfeld von Positivismus und Idealismus, in: Kultur und Kulturwissenschaften um 1900, Band 2: Idealismus und Positivismus, hrsg. von Gangolf Hübinger, Rüdiger vom Bruch und Friedrich Wilhelm Graf, Stuttgart 1997, S. 135–163. 226 Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Auflage, Stuttgart 1963, S. 97; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Auflage, New York u. a. 1969, S. 86; Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1969,

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neuen rechtspolitisch orientierten Strömung in der Zeit um die Jahrhundertwende. Als deren Charakteristika lassen sich bei aller Mannigfaltigkeit im einzelnen das klare Bekenntnis zur Geschichtlichkeit des Rechts und der Versuch der Synthese des historisch Gewordenen mit naturrechtlichem Gedankengut hervorheben.227 Bekämpfte Kohler auch den Utilitarismus, so erschienen neben seinem höchsten Menschheitsziel, der Kulturbildung, die Moral und das Recht doch nur als sekundäre Werte.228 Das Recht war Kohler zufolge Kulturerscheinung und Kulturbedingung.229 Das Recht war seiner Ansicht nach so zu gestalten, dass es den Kulturaufgaben der Zeit und des Ortes am besten entsprach und ihre Erfüllung am meisten begünstigte, dass es also die bestimmungsgemäße Entwicklung des sozialen Organismus förderte und unterstützte.230 Recht definierte er dabei als dasjenige Vernunfterzeugnis, welches einer jeden Individualität die ihr gebührende Sphäre anweise und es dadurch ermögliche, dass die Individualitäten in gedeihlichem Einzel- und Wechselverkehr die Zwecke des vernünftigen Daseins erfüllten. Das Recht sei, so Kohler, daher wesentlich bedingt durch die Zwecke des Daseins, welchen eine bestimmte Kulturperiode zustrebe. Jedes Kulturleben, führte er aus, habe sein besonderes Recht, und jedes Recht wieder sein besonderes Kulturleben – ganz ebenso, wie jede Kulturwelt ihre Kunst und ihre Ökonomik habe.231 Zum Teil kommt bei Kohler eine grundsätzlich konservative, betont überindividualistische Ordnungsvorstellung zum Ausdruck. So gibt es Textstellen über die Bedeutungslosigkeit des Individuums, die einseitiger nicht formuliert werden könnten. Kohler zufolge durfte man aus der sozialen und zugleich individuellethischen Natur des Menschen nicht schließen, dass das Recht nicht so gestaltet sein dürfe, dass der einzelne vollständig unterbuttert werde. Es sei völlig verkehrt, führte er aus, anzunehmen, dass die Sklaverei in Rom dem richtigen Recht widersprochen habe. Das habe sie vielleicht in gewissen Perioden des römischen Reichs, aber nicht durchgängig. Die Sklaverei, so Kohler, sei zu gewissen Zeiten der Kultur eine notwendige Einrichtung gewesen, ohne welche eine intensive Wirtschaft und eine kräftige Machtentfaltung nicht möglich gewesen seien. Sei aber die Sklaverei im einzelnen Falle ein ErforS. 71; Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. 3, Tübingen 1976, S. 289 ff. 227 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Auflage, New York u. a. 1969, S. 87. 228 Siehe dazu auch Ernst Heymann, Josef Kohler zum Gedächtnis. Rede des Geheimen Justizrats Professor Dr. Ernst Heymann, Prodekans der Juristischen Fakultät der Universität, Berlin 1920, S. 11. 229 Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 3. 230 Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 4, dort Verweis auf: Moderne Rechtsprobleme, S. 12 f. 231 Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 4.

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dernis der sozialen Machtbildung und Werterzeugung, der Werterzeugung nicht nur im materiellen, sondern auch im idealen Sinne, erklärte Kohler, dann sei sie dasjenige Recht, welches sein solle. Und wenn die Nation nicht anders bestehen könne, als dass der Mann in der Eigenschaft als Soldat oder der Ordensmann in der Eigenschaft als unterwürfiger Mönch völlig einem fremden Willen untertan sei, so sei dies eben Recht, wie es sein solle. Hätten die Babylonier und Römer keine Sklaven gehabt, fügte er hinzu, so wären sie nicht die Herren der Erde geworden, und tausende der Segnungen der Kultur wären unterblieben.232 Zugleich wird der Klassenstandpunkt des Bildungsbürgers Kohler deutlich, wenn er davor warnte, sich über die Dienstmagd zu erhitzen, der einmal Unrecht geschehe, oder „die Leiden des Schulmeisterleins, dem der Schulrat“ zusetze, zu einer „Weltaffäre“ zu machen. „Eure weltgeschichtliche Tragik ist die Tragik der Kanzleiratsfamilie, der das Brot knapp ist, und die Pfarrerfamilie der Ottilie Wildermuth ist der Ausgangspunkt Eures philosophischen Denkens! Menschenrechte, Kultus der Einzelperson, weltgeschichtliche Verherrlichung des Stallknechts und das Lied vom braven Mann mit Orgelton und Glockenklang!“233 Wo es für die Kulturzwecke nötig war, musste die Rechtsordnung Kohler zufolge auch ein Opfer der Einzelnen „erheischen“. Kein Opfer, führte er aus, sei erhebender als wenn sich ein Curtius in den klaffenden Schlund stürze, um die Hindernisse menschlicher Werterzeugung zu beseitigen, oder wenn sich Decius Mus den Todesgöttern weihe. Wenn in einer Kulturwelt auch Tausende geknechtet seien, so sei dieses richtig und zutreffend, sobald es die einzige Möglichkeit sei, damit große wissenschaftliche oder künstlerische Schöpfungen entstehen. Das habe, so Kohler, schon Plato gewusst; wo aber ein freier Staat freier Menschen eine unerhörte Reihe von Ideenschöpfungen hervorbringe und Erfindung auf Erfindung häufe, da sei wiederum der freie Staat das Ideal des Rechts; und wo eine Verbindung von Staaten zum Bundesstaate die Festigung des Ganzen nach außen mit einer inneren Fülle und Mannigfaltigkeit verbinde, da solle diese Form gehegt und gepflegt werden.234 Die Kultur eines jeden Volkes, so Kohler, solle eben dahin trachten, möglichst viele unvergängliche Werte zu erzeugen, die im Volke wirken, aber auch nach Untergang des Volkes noch in der Menschheit fortleben könnten. Das Recht selbst erzeugte Kohler zufolge solche Wertgüter mittelbar und unmittelbar. Es helfe, führte er aus, indem es die menschliche Gesellschaft in einer Weise ordne, welche die Schöpfung solcher Werte fördere; es sei aber, betonte er, auch selber ein solcher Wert, denn, einmal errungen, pflanze es sich auf andere Völker fort 232

Unveröffentlichtes Manuskript „Zur Kultur der Gegenwart“, Nachlass Kohler, Kasten 2. 233 Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 5. 234 Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 6.

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und gebe ihnen die leichtere Möglichkeit zur Erschaffung von Kulturgebilden.235 „So lösen sich die letzten Aufgaben des Rechts“, schloss Kohler seine Ausführungen, „nicht Glücklichkeitszwecke, nicht Zwecke des äusseren Erfolges, nicht Zwecke des Individuallebens sind die letzten Aufgaben des Rechts, sondern eine grossartige Schöpfung von Bildungswerten und ein gesunder kräftiger Völkerkreis, der stets fähig ist, neue und immer neue Werte zu erzeugen.“236 Kohlers Definition eines Kulturrechts bringt zum Ausdruck, dass Recht für ihn gegenüber der Kulturbildung lediglich sekundären Wert besaß. Zugleich zeigen sich sein Klassenstandpunkt und seine grundsätzlich konservative Ordnungsvorstellung.

VIII. Haltung zur Deportation von Sträflingen und zur Todesstrafe Auf eine grundsätzlich konservative Ordnungsvorstellung weist auch Kohlers Haltung zur Deportation von Sträflingen und zur Todesstrafe hin, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Kohler war Mitglied des Deportationsausschusses des Deutschen Kolonialbundes, der am 21. Januar 1906 in einer Petition an den Reichstag ein Reichsgesetz forderte, das die Strafverschickung deutscher Strafgefangener gestatten sollte. Die Sträflinge sollten Kohler zufolge nach eigenem Willen auf eine Insel der Südsee verbracht werden und dort ihre Strafe abbüßen. Bereits vor der Reichsgründung hatten einzelne deutsche Staaten Interesse an der Einführung der Deportation gezeigt. Da man über keinen Kolonialbesitz verfügte, behalf man sich mit der Ausweisung missliebiger Personen ins Ausland. Nach der Reichsgründung im Rahmen der Kolonialpropaganda zu Ende der siebziger Jahre und des Kolonialerwerbs seit 1884 erlangte das Thema der Deportation von Sträflingen erneute Aktualität.237 Während der Deportation von ihren Befürwortern angesichts des Anstiegs der Kriminalität, der strukturell ungünstigen Verhältnisse im Strafvollzug und der wirtschaftlichen Stagnation in den Kolonien Funktionen strafrechtlicher, gesellschafts- und kolonialpolitischer Natur zugewiesen wurden,238 überwog 235

Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 6. Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/1908), S. 6 f. Zu Kohlers Auffassung siehe auch Leonard Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht, Leipzig 1917, 2. Auflage, Göttingen 1949, S. 105–108. 237 Vgl. Cathrin Meyer zu Hoberge, Strafkolonien – „eine Sache der Volkswohlfahrt“?: Die Diskussion um die Einführung der Deportation im Deutschen Kaiserreich, Münster 1999, S. 19. 238 Vgl. Cathrin Meyer zu Hoberge, Strafkolonien – „eine Sache der Volkswohlfahrt“?: Die Diskussion um die Einführung der Deportation im Deutschen Kaiserreich, Münster 1999, S. 100. 236

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bei Kohler deutlich der strafrechtliche Aspekt. Er betrachtete die Strafverschickung als Notwendigkeit.239 Dabei erhoffte er sich von der Deportation als Instrument des Strafrechts – vor allem, was Abschreckung und Besserung anbelangte – eine bessere Erfüllung der Strafzwecke, als dies der heimische Strafvollzug zu leisten vermochte. Das Erfordernis der Deportation begründete Kohler aber auch mit dem Bedürfnis nach Fürsorge für die Sträflinge, nämlich für die Gesundheit und Lebenserhaltung der Gefangenen zu sorgen und ihnen nach der Strafverbüßung ein angemessenes Dasein zu ermöglichen.240 Er sah darin das einzige Mittel, um aus der furchtbaren Lage gesteigerter Kriminalität herauszukommen241 und einen Zustand herzustellen, in welchem sich der Sträfling abseits von seinem bisherigen Milieu bewegen und sich, obgleich unter Aufsicht stehend, in einer gewissen Freiheit heraufarbeiten könne.242 Durch Ansiedlung in der Kolonie nach der Strafverbüßung sollte Kohler zufolge letztlich auch der Sträfling von der Deportation profitieren. Da der Verbrecher aus dem Milieu hervorwachse, erklärte Kohler, sei in richtig geregelten Deportations-Ansiedlungen eine Besserung der Delinquenten zu erwarten.243 Den Gegnern der Deportation244 hielt er entgegen, die Befürchtung, dass aus Verbrecherverbindungen „ein minderwertiges Geschlecht“ hervorgehe, werde namentlich durch die Geschichte Australiens widerlegt.245 Es blieb bei der theoretischen Auseinandersetzung mit der Frage der Deportation. Von der Einführung der Deportation sah man schließlich ab. Grund dafür war nicht zuletzt auch, dass die Deportationspraxis anderer Kolonialmächte deutlich gemacht hatte, dass die in sie gesetzten strafrechtlichen oder kolonialpolitischen Erwartungen nicht erfüllt worden waren.246

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Josef Kohler, Rezension zu Deutsche Kolonial-Reform von einem Auslandsdeutschen (Zürich 1906), in: ZVerglRW 20 (1907), S. 160. 240 Josef Kohler, Zur Strafverschickung, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 53 (1906), S. 198. 241 Josef Kohler, Zur Strafverschickung, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 53 (1906), S. 198; Diskussionsbeitrag zur Deportation, in: ARWP 3 (1910), S. 657; Deportation, in: Berliner Tageblatt vom 27. November 1910. 242 Josef Kohler, Diskussionsbeitrag zur Deportation, in: ARWP 3 (1910), S. 657. 243 Josef Kohler, Zur Strafverschickung, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 53 (1906), S. 198; Josef Kohler, Diskussionsbeitrag zur Deportation, in: ARWP 3 (1910), S. 657. Deportation, in: Straßburger Post vom 5. Juni 1910 sowie in Magdeburgische Zeitung vom 4. Juni 1910; Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 221 f. 244 Siehe etwa Alfred Korn, Ist die Deportation unter den heutigen Verhältnissen als Strafmittel praktisch verwendbar?, Berlin 1898, S. 189. 245 Josef Kohler, Zur Strafverschickung, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 53 (1906), S. 198; Diskussionsbeitrag zur Deportation, in: ARWP 3 (1910), S. 657.

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In denselben Jahren setzte sich Kohler auch intensiv mit dem Problem der Todesstrafe auseinander. Die Todesstrafe war im Reichsstrafgesetzbuch für Mord und einige Vergehen (Landesverrat, Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Sklavenhandel und 18 Fälle, die im Militärgesetzbuch normiert waren) vorgesehen. Nachdem sich bereits einer der ersten Deutschen Juristentage 1863 im Zusammenhang mit den damaligen Strafrechtsreformarbeiten in einer überwiegenden Mehrheit für die Abschaffung der Todesstrafe ausgesprochen hatte, erhielt das Thema durch den Strafgesetzentwurf von 1909, der die Todesstrafe in zwei Fällen beibehielt, neue Aktualität. Insbesondere Gustav Radbruch, der 1921 Reichsjustizminister wurde, setzte sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein.247 Viele Gegner der Todesstrafe wiesen auf die erwiesenermaßen nicht vorhandene Abschreckungswirkung und die Gefahr von Fehlurteilen hin.248 Kohler brachte den Bestrebungen nach Abschaffung der Todesstrafe wenig Verständnis entgegen. Er habe nicht erwartet, erklärte er, dass die Frage noch „heutzutage im Zeitalter Nietzsches“ aufgeworfen werde, wo man doch gelernt haben sollte, den „gewöhnlichen Menschen nicht als eine ungeheure Unendlichkeit von Gottes Gnaden, sondern nur als einen kleinen Baustein der Kultur zu betrachten.“ Das Einzelwesen als ein absolutes, für sich bestehendes, den Rechtsschutz genießendes Wesen zu behandeln, hatte seiner Ansicht nach nur innerhalb gewisser Schranken Sinn, insofern nämlich, als die Bewertung der Einzelpersönlichkeiten dazu beitrage, die menschliche Kulturkraft zu erhöhen. Die Rechtsordnung biete, räumte er ein, „allen Wesen, auch den unnützen und schädlichen“ ihren Schutz, weil dadurch das Ganze in hohem Maße gefördert werde. Dieser Schutz durfte seiner Auffassung nach allerdings nicht übertrieben werden. Dem Einwand, die Todesstrafe sei nicht gerecht, hielt er entgegen, sie sei im höchsten Grade gerecht, da sie ein Verbrechen sühne, das nur dadurch gebüßt werden könne, dass der Täter selbst vom Schauplatz der Menschheit abgehe. Kohler stimmte der Besserungstheorie zu, dass Gelegenheitsverbrecher, „manche Verirrte, welche durch Lebensschicksale ins Unglück geführt sind und denen eine leitende Hand freundlicher Menschen fehlte“, eine mühevolle Arbeit zum geregelten sittlichen Leben zurückführen werde. Aber das galt Kohler zufolge nicht für „verstockte Unholde und Lebensparasiten, die jahrelang ihren Beruf darin gefunden“ hätten, „die Güter der Menschheit zu brandschatzen und ihre 246 Vgl. Cathrin Meyer zu Hoberge, Strafkolonien – „eine Sache der Volkswohlfahrt“?: Die Diskussion um die Einführung der Deportation im Deutschen Kaiserreich, Münster 1999, S. 103 f. 247 Gustav Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Leipzig 1914, S. 110–113; Einführung in die Rechtswissenschaft (Leipzig 1910), 7./8. Auflage, Leipzig 1929, S. 108 f. 248 Vgl. GStA Berlin Rep. 84 a/7784, Bl. 257.

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edelsten Schätze mit frivoler Hand zu zerstören, Massagegesindel, das jahrelang der redlichen Arbeit fremd“ gewesen sei. Man würde sich viel weniger vor der Todesstrafe scheuen, meinte er, wenn man die grausame Art der Vollstreckung aufgäbe.249 Auch Wilhelm Kahl250 und der Führer der soziologischen Strafrechtsschule und Mitbegründer der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung Franz von Liszt hielten die Todesstrafe für nicht entbehrlich.251 Derselben Ansicht waren Paul Heyse,252 Ernst Haeckel,253 Erich Schmidt,254 Bernhard Dernburg,255 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff,256 Gustav von Schmoller,257 Wilhelm Wundt,258 Ludwig Fulda,259 der Präsident der Berliner Prüfungskommission Eccius,260 der Präsident des Oberlandesgerichts Breslau Vierhaus,261 der Präsident des Reichsgerichts von Seckendorff,262 der Berliner Medizinalrat Wilhelm Waldeyer,263 der Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts der Universität Berlin Walther Nernst,264 der Chemiker Emil Fischer,265 der Philosoph Theobald Ziegler266 sowie die Juristen Karl Binding,267 Ernst Immanuel Bekker,268 Paul Felix Aschrott,269 Ernst Zitelmann,270 Adolf Wach271, Heinrich Brunner272 249

Josef Kohler, Über die Todesstrafe, in: Der Tag vom 17. Oktober 1912. Vgl. Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Teil 1. 251 Franz von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 4. Auflage, Berlin, S. 257; ders., Kriminalpolitische Aufgaben. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge.Erster Band:1875 bis 1891, Berlin 1905, S. 390. 252 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 9–11. 253 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 14 f. 254 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 15. 255 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 15. 256 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 16 f. 257 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 17. 258 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 17 f. 259 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 19. 260 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 19. 261 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 20. 262 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 232. 263 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 235. 264 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 235 f. 265 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 237. 266 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 237. 267 Karl Binding, Grundriß des Deutschen Strafrechts, 7. Auflage, Leipzig 1907, Vorwort, S. XVII f.; Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 20. 268 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 11–13. 269 Paul Felix Aschrott/Franz von Liszt, Reform des Reichsstrafgesetzbuches. Band 1: Allgemeiner Teil, Berlin 1910, S. 71 f. 270 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 237. 271 Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 15 f. 250

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und Otto von Gierke.273 Der Straf- und Völkerrechtler Ludwig von Bar274 verlangte die Beseitigung der Todesstrafe lediglich für den einfachen Fall des Mordes, wollte sie aber für solche Mörder beibehalten, die bereits wegen einer anderen Tat zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt waren. Sehr eigen war demgegenüber Kohlers Argument, man solle möglichst verhüten, bedeutende Persönlichkeiten, welche der Menschheit noch nützen könnten, zum Tode zu verurteilen. Insbesondere im Fall von Hochverrat war die Todesstrafe Kohler zufolge möglichst zu vermeiden. Niemals, führte er aus, dürfe die Gerechtigkeit dahin abzielen, „die tüchtigsten Köpfe einer Nation aufzuopfern.“ Hätten diese sich mal „verirrt“, meinte er, so könnten sie doch „späterhin dem Vaterlande noch große Dienste“ leisten.275 Trotz der zunehmend größeren Anzahl von Gegnern der Todesstrafe entschied man sich auch auf dem Danziger Juristentag von 1910276 und auf dem Wiener Juristentag von 1912277 in Kohlers Sinne für die Beibehaltung der Todesstrafe. Kohlers Haltung zur Deportation und zur Todesstrafe zeigt seine überindividualistische Werteauffassung. Mit seiner Auffassung wich er stark von der klassischen pazifistischen Doktrin ab, derzufolge Krieg und Gewalt Feinde des menschlichen Fortschritts und in einer auf wissenschaftlicher Erkenntnis und der Einsicht in die menschliche Natur und die menschlichen Interessen aufbauenden ethischen Kultur nur unter ganz strengen Voraussetzungen zu rechtfertigen waren. Die Mehrheit der Mitglieder der deutschen Friedensbewegung lehnte die Todesstrafe daher ab, so etwa Bertha von Suttner, Alfred Hermann Fried, Ludwig Quidde, Wilhelm Foerster, Moritz von Egidy, Kurt Hiller, Helene Stöcker und Carl von Ossietzky.278 Ebenso wie Kohler hielt der in der Friedensbewegung tätige protestantische Pfarrer Otto Umfried die Zeit für die Abschaffung der Todesstrafe noch nicht für gekommen. Dies entsprach auch der Ansicht der katholischen wie der evangelischen Kirche.279

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Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 236. Umfrage „Abschaffung der Todesstrafe?“ in: DJZ 16 (1911), Sp. 232–235. 274 Ludwig von Bar, Die Reform des Strafrechts, Berlin 1903, S. 29. 275 Josef Kohler, Über die Todesstrafe, in: Der Tag vom 17. Oktober 1912. 276 Verhandlungen des 30. Deutschen Juristentages, S. 356, 389 f., 422 f., 424, 431, 529. 277 Verhandlungen des 31. Deutschen Juristentages, Band III, S. 1014 f. 278 Alfred Hermann Fried, Hinrichtungen in Preußen, in: Ethische Kultur 3/45 (9. November 1895), S. 355 (Exemplar in GstA Berlin Rep. 84 a/7784, Bl. 165); BA Berlin R 8034 II/1770, S. 118; Richard J. Evans, Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987, Berlin/Hamburg 2001, S. 554, 610, 630. 279 Richard J. Evans, Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987, Berlin/Hamburg 2001, S. 554, 631. 273

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Fazit Kohler nutzte die Möglichkeiten und das soziale Netz der Reichshauptstadt für seine umfassenden Forschungen. Dabei entsprach seine Motivation der Motivation und politischen Zwecksetzung internationaler Zusammenarbeit vor dem Ersten Weltkrieg: Stolz auf die „Weltstellung des deutschen Geistes“ und die international ausstrahlende Entwicklung zum arbeitsteiligeffektiven „wissenschaftlichen Großbetrieb.“ Die von ihm propagierte auswärtige Wissenschafts- und Kulturpolitik war zugleich aber auch von der Idee der Völkerverständigung bestimmt und stellte damit eine Alternative staatlicher Weltfriedenspolitik am Vorabend des Ersten Weltkrieges dar. Moral und Recht erschienen gegenüber Kohlers höchstem Menschheitsziel, der Kulturbildung, nur als sekundäre Werte. Das Recht war Kohler zufolge Kulturerscheinung und Kulturbedingung. Teils kommt bei Kohler eine grundsätzlich konservative, betont überindividualistische Ordnungsvorstellung zum Vorschein, so insbesondere in seiner Haltung zur Deportation und zur Todesstrafe. Ebenso zeigt sich in Kohler aber auch ein bis auf den Grund liberaler Individualist, ein Streiter für die Freiheit und Würde des Einzelnen. So kämpfte er gegen Antisemitismus, für Kunst- und Geistesfreiheit, für die Emanzipation und das Wahlrecht der Frau, für die juristische Anerkennung „freier Verbindungen“, für eine verbesserte Rechtsstellung „unehelicher“ Kinder, für Homosexuelle und nicht zuletzt auch für eine mildere Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Anschauung der Realität untersagte ihm eine theoretische Herauslösung des einzelnen aus seinen historischen und gesellschaftlichen Bezügen und seine Überbewertung. Individualistische und überindividualistische Wertvorstellungen stellten für ihn keine unvereinbaren Gegensätze dar, sondern sollten sich ergänzen zu einem gerechten Ausgleich, zu einer glücklichen Synthese, die größtmögliche Kulturförderung ermöglichte. Bei Kohler trafen liberal-progressive und elitär-reaktionär anmutende Auffassungen, die Politik und Gesellschaft im Kaiserreich gleichermaßen charakterisierten, zusammen. Er plädierte für das Ziel einer erträglicheren Gestaltung der überkommenen Wirtschaftstheorie und -praxis durch sozialstaatliche Abkommen wie Sozial- und Krankenversicherungen.280 Dabei akzeptierte er den Status der gesellschaftlichen Verhältnisse und das System der Güterverteilung als vorgegeben und prinzipiell gerecht. Seine freie Moralauffassung mag ihn auf den ersten Blick als unbürgerliche Persönlichkeit erscheinen lassen. Doch wurzelten seine Kulturideale, seine politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Anschauungen tief im bürgerlichen 280 Josef Kohler, Arbeiter, Arbeiterorganisation, Arbeiterfürsorge, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 101 ff.

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Liberalismus. Sein Leben, sein beruflicher Weg und seine wirtschaftlichen Verhältnisse zeigen einen liberalen bürgerlichen Intellektuellen, der in erster Linie die Interessen seiner eigenen Klasse verfolgte, die Interessen des Proletariats dabei aber nicht völlig vernachlässigte.

D. Kohlers völkerrechtliches Wirken vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges Der folgende Abschnitt soll Leistung und Grenzen des völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges beleuchten und dabei die wichtigsten Interpretationslinien herausarbeiten. Nur im Vergleich mit Kohlers Mit- und Gegenstreitern lässt sich der rechte Maßstab zur Beurteilung seines Wirkens finden. Um der Gefahr einseitiger Betrachtung entgegenzuwirken, der eine um eine Zentralfigur gruppierte Darstellung der Völkerrechtswissenschaft vor und während des Ersten Weltkrieges ausgesetzt ist, werden jeweils auch andere Ansichten, vornehmlich anderer maßgeblicher Völkerrechtler sowie, soweit sie sich zu den im Folgenden behandelten Themen geäußert haben, auch anderer pazifistischer Autoren, erwähnt.

I. Gründung der Zeitschrift für Völkerrecht (1907) Kohler erwartete Strategien zur Befriedung des menschlichen Zusammenlebens nicht nur von der Arbeit der deutschen Friedensbewegung, sondern vor allem auch von Seiten der Rechtswissenschaft. Louis Le Fur, Professor in Caen, hatte ihm sein 1896 in Paris veröffentliches Werk Bundesstaat und Staatenbund in geschichtlicher Entwicklung zugeeignet. Das Buch erschien 1902 als zweite umgearbeitete Auflage in Breslau.281 Kohler hatte daraufhin begonnen, sich intensiv mit dem Recht der zwischenstaatlichen Beziehungen, dem Völkerrecht, zu befassen.282 Seine erste völkerrechtliche Abhandlung erschien bereits 1902.283 1906 gründete Kohler auf Veranlassung des Juristen und Herausgebers der Zeitschrift Neuzeit, Paul Posener, die Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht, wobei er zur Begründung anführte, dass durch die Großmachtstellung Deutschlands völkerrechtliche Fragen „in den Vordergrund“ gedrängt worden seien.284 Posener hielt Koh281 Louis Le Fur/Paul Posener, Bundesstaat und Staatenbund in geschichtlicher Entwicklung, 2. Auflage, Breslau 1902. 282 Max Fleischmann, „Josef Kohler“, in: ZVölkR 11 (1920), S. XII f. 283 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 191–203. 284 ZVölkR 1 (1907), S. 1.

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ler „bei dem unübertrefflichen Umfange“ seiner internationalen Beziehungen wie keinen anderen für geeignet, eine solche Zeitschrift herauszugeben.285 Zu dieser Zeit liefen bereits die Vorbereitungen der Zweiten Haager Friedenskonferenz, von der man sich vor allem Abrüstung und die Einrichtung einer zumindest für einzelne Sachfragen obligatorischen Schiedssprechung erhoffte. Die Zeitschrift wurde, wie Kohler als selbstverständlich hervorhob, in pazifistischer Richtung geleitet.286 Zum einen zog er viele ausländische Mitarbeiter heran wie etwa Francis Lawrence Oppenheim,287 Professor für internationales Recht in Cambridge, O. T. E. Holland (England), S. Baldwin und Ch. Gregory (USA), oder die Schweizer Otfried Nippold288 und Max Huber, die Österreicher Alexander Hold von Ferneck und Heinrich Lammasch und zum andern unter den deutschen Völkerrechtlern hauptsächlich diejenigen, die den Ideen des Pazifismus offener gegenüberstanden wie den Düsseldorfer Gerichtsassessor Hans Wehberg, den Marburger Völkerrechtslehrer Walther Schücking289 oder der Göttinger Straf- und Völkerrechtler Ludwig von Bar.290 Oppenheim war zunächst Professor in Freiburg und Basel, wo er jeweils Strafrecht und Völkerrecht lehrte. Er ging dann nach England. 1895 wurde er Lecturer for Public International Law an der London School for Economics. 1905 erschien erstmals sein Hauptwerk International Law. A treatise. 1908 erhielt er in Cambridge den 1867 neugeschaffenen, renommierten Whewell-Lehrstuhl für Völkerrecht.291 Walther Schü285

Paul Posener, „Josef Kohler“, in: Neuzeit vom 9. August 1919. Siehe dazu auch den Artikel „Pacifismus und Wissenschaft“, in: Die FriedensWarte 8 (1906), S. 88 f. 287 Francis Lawrence Oppenheim (1858–1919). 288 Otfried Nippold (1864–1938) lehrte als Privatdozent Völkerrecht an der Universität Bern, vgl. Hans Wehberg, Otfried Nippold (1864–1938), in: Die FriedensWarte 38 (1938), S. 235–248. 289 Siehe dazu auch die Briefe Josef Kohlers vom 2. Dezember 1912 und vom 20. Juni 1913 an Walther Schücking, Nachlass Walther Schücking. Schücking (1875–1935) vertrat seine pazifistischen Überzeugungen auch als demokratischlinksliberaler Politiker. Er war an den Gründungen des Vereins für internationale Verständigung, der Zentralstelle Völkerrecht und der Deutschen Liga für Völkerbund beteiligt, Mitarbeiter des Bundes Neues Vaterland und gehörte von 1919–1922 dem Präsidium der Deutschen Friedensgesellschaft, später dem Rat des Internationalen Friedensbureaus an. Als Mitglied der deutschen Demokratischen Partei wurde er 1919 in die Nationalversammlung gewählt und war bis 1928 Mitglied des Reichstags. 1921 als Richter des Ständigen Schiedshofes in Den Haag benannt, wurde er 1930 als der erste deutsche Richter an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag berufen, vgl. Hans Wehberg, Walther Schücking. Ein deutscher Völkerrechtslehrer, in: Friedens-Warte 29 (1929), S. 65–76. 290 Siehe auch Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung II, 2. Auflage, Berlin/Leipzig 1911/13, S. 246–259. 286

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cking hatte sich, nach seiner Habilitation in Göttingen (1890) an die Universität Breslau und 1902 an die Universität Marburg berufen, immer stärker dem Völkerrecht zugewandt und dieses, beeinflusst vom deutschen Idealismus, pazifistisch aufzufassen begonnen. Hans Wehberg,292 der als Student in Göttingen eine dreistündige Vorlesung Philipp Zorns über Völkerrecht gehört und später in Bonn an Zorns völkerrechtlichen Übungen teilgenommen hatte, hatte durch seine Beschäftigung mit Zorns Verhalten 1899 in Haag zur Friedensbewegung gefunden: „Welche starke Idee musste es sein, so sagte ich mir damals, die einen Mann von so starker Gesinnung, wie es Zorn letzten Endes war, so ergreifen konnte, dass er sich im Gegensatz zu seinen früheren Anschauungen dem neuen Gedanken anschloss und für ihn gegen die Bürokratie des Auswärtigen Amtes mit Einsatz aller Kraft kämpfte!“293 „Sie haben sich durch ihre völkerrechtlichen Arbeiten solche Verdienste erworben“, wandte sich Kohler Anfang 1912 an Wehberg, „und haben auch den allein richtigen pazifistischen Weg mit solcher Offenheit betreten, dass es mir sehr grosse Freude machte, wenn Sie sich auch an der Zeitschrift für Völkerrecht durch Beiträge beteiligten und es wäre mir angenehm, wenn Sie möglichst bald schon eine Arbeit einliefern könnten, da ich die besten Kräfte des Völkerrechts in der Zeitschrift vereinigen möchte.“294 Heinrich Lammasch, seit 1889 Ordinarius für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Wien, nahm an beiden Haager Friedenskonferenzen als wissenschaftlicher Berater der österreichisch-ungarischen Delegation teil.295 Oppenheim wurde 1909, Hans Wehberg 1913 Mitherausgeber der Zeitschrift, welche damit zwei in der deutschen Völkerrechtswissenschaft kaum vertretene Richtungen verband. Oppenheim repräsentierte die anglo-ame291 Vgl. Ingo Hueck, Die Gründung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland im internationalen Vergleich, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1999, S. 408. 292 Hans Wehberg (1885–1962) übernahm 1919 die Leitung der Abteilung für Völkerrecht bei der Deutschen Liga für Völkerbund (DLV) in Berlin. Schon vorher an der Herausgabe der Friedens-Warte beteiligt, übernahm Wehberg 1924 (bis zu seinem Tod) Herausgabe und Redaktion der Zeitschrift. 1928 wurde Wehberg an das Institut de Hautes Études in Genf berufen, wo er auch am Institut de droit international wirkte. Sein wissenschaftlicher Beitrag zur Völkerrechtslehre war vor allem den Problemen der friedlichen Konfliktlösung, der internationalen Organisation und der Kriegsächtung gewidmet. Vgl. Sondernummer der Friedens-Warte zum Tod Hans Wehbergs, Nr. 56, 1962. 293 Hans Wehberg, Philipp Zorn und seine Bedeutung für die Völkerverständigung, in: Die Friedens-Warte 28 (1928), S. 42 f. 294 Kohler am 23. Januar 1912 an Hans Wehberg, Nachlass Hans Wehberg. 295 Zu Heinrich Lammasch (1853–1920) siehe Marga Lammasch/Hans Sperl, Heinrich Lammasch. Seine Aufzeichnungen, seine Wirkungen und seine Politik, Wien, Leipzig 1922.

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rikanische Völkerrechtstradition; Wehberg und Schücking gehörten der deutschen Friedensbewegung an. Seit der Jahrhundertwende hatten sich einige Völkerrechtler wie Schücking, Wehberg, Nippold oder Lammasch pazifistischem Gedankengut geöffnet, was ebenso auf die Haager Konferenz zurückzuführen sein mag wie auf die Einsicht, die Völkerrechtswissenschaft stärker neuen Rechtsdisziplinen zu öffnen, wie sie der Internationalisierungsprozess mit dem Weltverkehrsrecht oder dem internationalen Verwaltungsrecht hervorgebracht hatte. Unter den Mitarbeitern der Zeitschrift befanden sich so viele jüdische Autoren, dass der NS-Völkerrechtler Gürke 1937 urteilte, Kohler sei zwar Nichtjude gewesen, aber „ein so entschiedener Judenfreund, dass man zahlreiche seiner völkerrechtlichen Arbeiten dem jüdischen Geist zurechnen müsse.“296 Die Gründung der Zeitschrift war Ausdruck einer neuen wissenschaftlichen Richtung. Denn die Völkerrechtswissenschaft heutiger Prägung hatte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts als eigenständige Wissenschaftsdisziplin herausgebildet, ebenso wie sich erst damals das Völkerrecht zum zwischenstaatlichen Recht heutiger Prägung entwickelt hatte.297 Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen wurde intensiviert und dehnte sich immer mehr über die Grenzen Europas aus. Die Bedeutung des Völkerrechts und der Völkerrechtswissenschaft nahm parallel zu diesen Veränderungen in der Staatenpraxis zu. Die Disziplin spaltete sich in Völkerrecht und in internationales Privatrecht. An den juristischen Fakultäten wurden erste Lehrstühle für Völkerrecht eingerichtet.298 In Deutschland geschah dies im europäischen Vergleich vergleichsweise spät.299 Nicht einmal 296 Norbert Gürke, Das Judentum in der Rechtswissenschaft. Der Einfluß jüdischer Theoretiker auf die deutsche Völkerrechtslehre. Kohler, Liszt und ihre Schule, Berlin, o. J. [1937], S. 10: „Auf den von Laband, Rosin und Jellinek errichteten Konstruktionen bauten zwei Nichtjuden das Völkerrecht aus. Josef Kohler (1849–1919) war Nichtjude, aber ein so entschiedener Judenfreund, daß man zahlreiche seiner völkerrechtlichen Arbeiten dem jüdischen Geist zurechnen muß. Von jüdischer Seite wird Kohler besonders gelobt, da er ‚die Einbeziehung des talmudischen Rechts in die rechtsvergleichende Forschung als ein Gebot der Wissenschaft und der Gerechtigkeit erklärte‘ und das jüdische Kriegsrecht im menschenfreundlichen Sinne darstellte. Seine Wertschätzung des Judentums veranlasste ihn, diesem zur Taufe und zum Aufgehen in Deutschland zu raten, da er hierdurch eine Neubelebung der germanischen Rasse erhoffte (JL.). Daher ist es nicht verwunderlich, dass Kohler gerne mit Juden wie Hatschek, Katz, L. Oppenheim, Posener und verschiedenen anderen zusammenarbeitete.“ 297 Vgl. Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, München 1994, § 41; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, Baden-Baden 1988, S. 501 ff.; 541; Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/ Berlin 1960, S. 206 ff. 298 Vgl. Walther Schücking, Der Stand des völkerrechtlichen Unterrichts in Deutschland, in: ZVölkR 7 (1913), S. 375–382; Moritz Liepmann, Die Pflege des Völkerrechts an den deutschen Universitäten, Berlin 1919.

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nach dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland an allen großen Universitäten völkerrechtliche Vorlesungen. Während erste völkerrechtliche Zeitschriften in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunächst in Belgien und Frankreich gegründet wurden, dann Aktivitäten der europäischen und deutschen Friedensbewegung folgten, erfolgte die Gründung deutscher Völkerrechtszeitschriften erst mit der Zweiten Haager Konferenz 1907.300 Gegenüber der Friedensbewegung übte die deutsche Völkerrechtswissenschaft um die Jahrhundertwende starke Zurückhaltung. Juristen wie Erich Kaufmann, Conrad Bornhak,301 Friedrich Giese,302 Heinrich Pohl303 Karl Mehrmann304 und Carl von Stengel305 sprachen sich ausdrücklich gegen die Ideen der Friedensbewegung aus. Teilweise wurde diese Distanz in diffamierender Weise zum Ausdruck gebracht.306 Überwiegend aber wurde sachlich gegen die als utopisch aufgefassten Ziele der Friedensbewegung argumentiert.307 Bereits vor 1907 öffneten sich zwar einige Völkerrechtler pazi299 Vgl. August von Bulmerinq, Die Lehre und das Studium des Völkerrechts an den Hochschulen Deutschlands, in: (Schmollers) Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, N. F. 1 (1877), S. 457–464; Walther Schücking, Der Stand des völkerrechtlichen Unterrichts in Deutschland, in: ZVölkR 7 (1913), S. 375–382. 300 Siehe hierzu auch Ingo Hueck, Die Gründung völkerrechtlicher Zeitschriften in Deutschland im internationalen Vergleich, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1999, S. 379 f. 301 Bornhak zufolge missachteten die Anhänger der Friedensbewegung das „hohe Kulturniveau“ des Krieges und wies ihre Publizistik einen zutiefst undeutschen Inhalt auf, siehe Leserbrief Bornhaks in: Die Friedens-Warte 10 (1908), S. 55. Die Friedensbewegung selbst bezeichnete er als „psychopathische Erscheinung“, Die Friedens-Warte 14 (1912), S. 109. 302 Giese gab an, „entschiedener Gegner der Friedensbewegung“ zu sein, siehe Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 453 f. 303 Hans Wehberg bezeichnete Pohl als einen „Reaktionär von der Art von Stengels“, siehe Die Friedens-Warte 14 (1912), S. 77. Josef Godehard Ebers hielt Pohl für einen der entschiedensten Gegner des Pazifismus, siehe Ebers, Neuere Literatur zu den Haager Friedenskonferenzen und der Londoner Seekriegsrechtskonferenz, in: ZfP 8 (1915), S. 275. 304 Siehe Karl Mehrmann, Nationalismus und Imperialismus beim Bau der Staatengesellschaft, in: ZIR 23 (1913), S. 161. 305 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin [1909]. 306 So etwa G. Lueder, Krieg und Kriegsrecht im Allgemeinen, in: Franz von Holtzendorff (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, Bd. 4, Hamburg 1889, S. 176, 195 ff., 200; Carl von Stengel, Die Haager Friedenskonferenz und das Völkerrecht, in: Archiv des öffentlichen Rechts 15 (1900), S. 197. 307 Vgl. Franz von Holtzendorff, Die Idee des ewigen Völkerfriedens, Berlin 1882, S. 48; Georg Jellinek, Die Zukunft des Krieges (1890), S. 517 ff.; Hugo Preuß, Rezension zu Eugen Schlief, Der Friede in Europa, in: AöR 9 (1894), S. 312;

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fistischem Gedankengut,308 doch geschah auch dies noch mit großer Zurückhaltung.309 Die skeptische Haltung der Mehrheit der deutschen Völkerrechtler kam in einer Umfrage der Friedens-Warte aus dem Jahre 1907 zum Ausdruck.310 Die Gelehrten äußerten sich darin lobend über die allgemeine Tendenz zur internationalen Verständigung311 und wiesen auf die hervorragenden Verdienste der Friedensbewegung hin,312 warnten aber zugleich unter Hervorhebung der Unterschiede zwischen der Friedensbewegung und der Völkerrechtswissenschaft vor einer zu starken Identifizierung mit der Friedensbewegung.313 Christian Meurer würdigte bereits 1905 die Verdienste der Friedensbewegung auf der Ersten Haager Friedenskonferenz.314 Auch Theodor Niemeyer äußerte sich in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht schon 1905 positiv über das von Fried zusammengestellte Handbuch der Friedensbewegung (1904). Kennzeichnend für ihn wie auch für die anderen Völkerrechtler, die zu einer positiven Haltung gegenüber dem Pazifismus gelangten, war, dass eine Verschmelzung beider Richtungen strikt abgelehnt wurde, und zwar Erich Meissner, Was muß man vom Völkerrecht wissen?, Berlin 1900, S. 84. Deutlich ablehnend gegenüber den Pazifisten zur damaligen Zeit auch noch Heinrich Lammasch, Fortbildung des Völkerrechts durch die Haager Konferenzen, in: ZIR 11 (1901), S. 23. 308 Siehe dazu Alfred Hermann Fried, Pacifismus und Wissenschaft, in: Die Friedens-Warte 8 (1906), S. 88; Max Fleischmann, Weltfriede und Gesandtschaftsrecht, München 1909, S. 17; Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988, S. 78; Hans Wehberg, Die Führer der deutschen Friedensbewegung (1890 bis 1923), Leipzig, o. J. [1923], S. 34 ff. 309 Zurecht hat Rüdiger vom Bruch darauf hingewiesen, dass tatsächlich nur wenige Völkerrechtler des Kaiserreichs als Pazifisten anzusehen seien, siehe Rüdiger vom Bruch, Krieg und Frieden – Zur Frage der Militarisierung deutscher Hochschullehrer und Universitäten im späten Kaiserreich, in: Jost Dülffer/Karl Holl (Hrsg.), Bereit zum Krieg – Kriegsmentalität im wilhelminischen Deutschland 1890–1914, Göttingen 1986, S. 82, 84; in diesem Sinne auch Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985, S. 55; siehe auch Friedrich-Karl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983, S. 144. 310 Die Friedens-Warte 9 (1907), S. 221–226. 311 Siehe die Stellungnahmen Georg Jellineks, Paul Labands und Ludwig von Bars. 312 Siehe die Stellungnahmen Heinrich Lammaschs, Otfried Nippolds, Franz von Liszts und Ludwig von Bars. 313 Siehe die Stellungnahmen Georg Jellineks, Philipp Zorns und Ludwig von Bars sowie weitere Umfragen, in: Die Friedens-Warte 10 (1908), S. 5 ff., 66 ff. und in: Die Friedens-Warte 13 (1911), S. 1 ff. 314 Christian Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, Bd. 1: Das Friedensrecht der Haager Konferenz, München 1905, § 1.

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mit der Begründung, dass beide „durch den Kompromiss an Kraft und Bedeutung verlieren“ würden. Niemeyer forderte dabei, dass beide Bewegungen „harmonieren“ mögen, da die praktische sowie die wissenschaftliche Völkerrechtspflege nicht mehr in der Lage seien, die Friedensbewegung als Utopie beiseitezuschieben. Vielmehr müsse diese „als Faktor der Entwicklung“ respektiert werden.315 Kohler hob sich neben Wehberg und Schücking unter seinen Fachkollegen dadurch hervor, dass er dem Pazifismus nicht nur Verständnis und Anerkennung entgegenbrachte, sondern ihn, wie noch gezeigt werden soll, darüber hinaus auch als Katalysator für die Völkerrechtswissenschaft betrachtete. Lediglich er, Schücking, Wehberg und Roszkowski gehörten in der Vorkriegszeit zu den Völkerrechtlern, die mit der Friedensbewegung im engeren Sinne zu identifizieren waren. Die anderen sieben in Frieds Handbuch der Friedensbewegung genannten deutschsprachigen Völkerrechtler gehörten zu dem Personenkreis, der sich lediglich „in irgendeiner Weise für die Ausbreitung der Friedensidee bzw. der völkerrechtlichen Richtung, die nach einer kultivierten Wandlung der Völkerbeziehungen“ strebte, eintrat.316 Die überwiegende Mehrheit der Völkerrechtsgelehrten organisierte sich im neu gegründeten Verband für internationale Verständigung und bekannte sich anders als Kohler, Schücking oder Wehberg eben nicht offen zur Friedensbewegung und deren ohnehin schon bestehenden Organisationen. Der Verband grenzte sich stark gegenüber der eigentlichen Friedensbewegung ab und bemühte sich stets, eine Verwechslung mit ihr zu vermeiden.317 315 Theodor Niemeyer, Rezension zu Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung, in: ZIR 5 (1905), S. 509. 316 Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil, 2. Auflage, Berlin/Leipzig 1911/1913, S. 313 ff. Es sind dies Otfried Nippold, Heinrich Lammasch, Christian Meurer, Ludwig von Bar, Max Huber, Max Fleischmann und Philipp Zorn. Fried beklagte, die deutschen Völkerrechtler übernähmen weite Teile des pazifistischen Gedankenguts, seien aber stets darauf bedacht, nur ja nicht als Pazifisten zu gelten, siehe Alfred Hermann Fried, „Ich bin kein Pazifist“, in: Die Friedens-Warte 14 (1912), S. 347 f. 317 Vgl. Hans Wehberg, Ein Handbuch des Völkerrechts, in: Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 5; Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988, S. 97 f.; Roger Chickering, Imperial Germany and a World without War. The Peace Movement and German Society 1892–1914, Princeton 1975, S. 158 ff.; Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis – 1913/14–1919, Frankfurt a. M., Bern, Cirenster/U.K. 1980, S. 53 ff.; Reinhold Lütgemeier-Davin, Pazifismus zwischen Kooperation und Konfrontation, Köln 1982, S. 33 f.; FriedrichKarl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983, S. 148 f.; Dieter Riesenberger, Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985, S. 76 ff. Vgl. auch die programmatische Rede Nippolds auf dem zweiten

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II. Kohlers Auffassung von den Aufgaben eines Völkerrechtsgelehrten Etwas widersprüchlich erscheint Kohlers Selbstverständnis des deutschen Völkerrechtsgelehrten in Bezug auf politisches Engagement, wodurch das Problem politischen Engagements und politischer Betätigung von Wissenschaftlern aus professoraler Sicht angerissen wird. Ganz dem traditionellen Selbstverständnis des deutschen Gelehrten entsprechend proklamierte Kohler gleich im ersten Band der Zeitschrift für Völkerrecht die Abschirmung gegen Praxis und Ideologie. Dabei forderte er als unbedingtes Gebot der Wissenschaft das völlige Zurückdrängen politischer Zu- und Abneigungen, ähnlich auch im sechsten Band 1913.318 Solange im Völkerrecht noch ein jeder Verfasser zugleich Politik betreiben wolle und davon durchdrungen sei, dass sein Land im Recht und die anderen Länder im Unrecht seien, fehlte es Kohler zufolge an der wissenschaftlichen Vorurteilslosigkeit. Den wissenschaftlichen Forscher, betonte er, müsse Politik kühl lassen bis ans Herz.319 Dies entsprach dem Wissenschaftsverständnis der Epoche, wie es insbesondere auch Max Weber vertrat.320 Während Walther Schücking und der Berliner Straf- und Völkerrechtslehrer Franz von Liszt auch parteipolitisch tätig waren, beschränkte sich Kohler auf Publizistik und die Mitgliedschaft in der Deutschen Friedensgesellschaft und Helene Stöckers Verein für Mutterschutz. Ein parteipolitisches Engagement passte nicht in das interessenübergreifende Selbstverständnis deutscher Gelehrter im Kaiserreich, die sich daher eher in vermeintlich „überparteilichen Bewegungen“ fanden als in den Parteien selbst. In diesem Sinne teilte Kohler auch Wehberg mit, sich von jeder praktischen Propaganda möglichst fernhalten zu wollen.321 Auf der anderen Seite war es gerade Kohlers Auffassung von den Aufgaben eines Völkerrechtslehrers, die ihm in seiner Tätigkeit Antrieb verschaffte. Schließlich hatte seiner Ansicht nach gerade der VölkerrechtslehVerbandstag, abgedruckt, in: Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 364, und das Schreiben Nippolds vom 8. Juli 1910 an Hans Wehberg, NL Wehberg „Wir müssen im Augenblick alles vermeiden, was wie Parteinahme für die ‚Friedensfreunde‘ aussehen könnte“. 318 ZVölkR 1 (1907), S. 108; Völkerrechtliche Studien, in: ZVölkR 6 (1912), S. 89. 319 ZVölkR 1 (1907), S. 496. 320 Vgl. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 3. Auflage, Tübingen 1968, S. 146 ff.; siehe dazu u. a. Wolfgang J. Mommsen, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte, Frankfurt a. M. 1974, S. 208 ff. 321 Josef Kohler am 7. Juli 1910 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg.

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rer hinsichtlich internationaler Fragen eine Art Mentorenrolle inne. Dabei nutzte Kohler insbesondere die Zeitschrift für Völkerrecht als Forum, seine Gedankengänge der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei hoffte er, eine Diskussion anzuregen, die sich zu einer starken öffentlichen Meinung entwickeln würde, die wiederum politisch bedeutsam genug werden könnte, auf eine allmähliche Orientierung nationaler und internationaler Politik an den Werten Frieden und Recht hinzuarbeiten. Programmatische Abhandlungen und Berichte zur Entwicklung in der internationalen Friedensbewegung sollten die Zeitschrift zu einem Verbindungsglied zwischen der Friedensbewegung und der Völkerrechtswissenschaft werden lassen und auf die Idee der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen aufmerksam machen. Kohler verfasste neben eigenen Abhandlungen zahlreiche Rezensionen, in denen völkerrechtliche und pazifistische Publikationen rezensiert wurden. Infolge der beiden Haager Konferenzen und des Weiteren angeregt durch den Umstand, dass bereits während der Zweiten Konferenz von 1907 das Zusammentreten einer dritten für das Jahr 1915 ins Auge gefasst wurde, waren zahlreiche teils sachliche, teils polemische Publikationen erschienen, die die erreichten Ergebnisse auswerteten und auf zukunftsweisende Tendenzen hinwiesen. Kohlers Beiträge sind als politische Stellungnahme zu verstehen, mochten sie auch bewusst als wissenschaftliche Urteile verfasst worden sein. Völkerrechtswissenschaft wird hier politisch in Anspruch genommen. Sie sieht sich der Verantwortung gegenüber, Friedensstrategien zu entwerfen, die politische Bedeutung zu erlangen vermögen und kann sich daher nicht unter dem Deckmantel bloßer Forschung verstecken. Politische Theorie wird erkenntnisleitend und völkerrechtsrelevant, indem Strategien zur Friedenssicherung und -gewinnung, entstanden außerhalb des juristischen Denkrahmens, zur Kenntnis genommen werden.

III. Der Stand der Völkerrechtswissenschaft: Traditionslinien und angetroffener Diskussionsstand Während die Abschnitte, die Einzelfragen behandeln, in erster Linie Hinweise auf die von Kohler angetroffenen aktuellen Diskussionen enthalten, soll an dieser Stelle versucht werden, einen Überblick über die sie bedingenden Grundhaltungen zum Völkerrecht überhaupt zu verschaffen. Diese werden in der Literatur gemeinhin auf die gegensätzlichen rechtsphilosophischen Positionen von Naturrecht und Rechtspositivismus zurückgeführt. Im 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges galt das klassische Völkerrecht, wonach nur Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt wurden und das Völkerrecht hauptsächlich auf Ver-

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trägen beruhte.322 Jener Abschnitt der europäischen Staatengeschichte, der mit der Epoche des klassischen Völkerrechts zusammenfiel, war durch den Begriff der Souveränität, d.h. der Unabhängigkeit des Staates nach außen und innen, gekennzeichnet.323 Ihre rückhaltlose Anerkennung bildete den Ausgangspunkt der Dogmatik. Die Souveränität als tragende Säule des gesamten Systems des klassischen Völkerrechts begründete für jeden Staat das Recht zum Kriege (ius ad bellum). Der Krieg galt also auch rechtlich als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie Clausewitz schrieb.324 Das Völkerrecht des 19. Jahrhunderts war ein wertneutrales Gefüge von Rechtsnormen für den Verkehr von Souveränen und Staaten in Krieg und Frieden. Die Grundlinie der Entwicklung der Völkerrechtslehre, die zwischen den Antagonismen der Annahme eines objektiv, vom Willen der Staaten unabhängig gültigen, Völkerrechts einerseits und seiner Leugnung oder Rückführung auf den Willen der souveränen Staaten andererseits verlief, korreliert weitestgehend mit dem Gegensatz von Naturrecht und Positivismus.325 Die Positionen des klassischen Völkerrechts beruhen hauptsächlich auf den positivistischen und hegelianischen Staatswillenslehren,326 wohingegen sich die Entwicklungen des modernen Völkerrechts327 vornehmlich an den Forderungen der naturrechtlichen Völkerrechtslehre orientieren.328 Die naturrechtliche Völkerrechtslehre knüpft historisch an die Idee eines natürlichen, dem positiven vom Staate gesetzten Rechte überlegenen Rechts (ius naturae) an, das in Vernunft und Herz der Menschen eingeschrieben sei und zugleich Maß der Gerechtigkeit und Gültigkeit der positiven Staatsgesetze sei, Ideal der Fortbildung des positiven Rechts und Grundlage eines zwischenstaatlichen Völkerrechts (ius gentium), das zu schaffen der Geschichte obliege. Naturrechtliche Vorstellungen waren in Deutschland seit Anfang des 19. Jahrhunderts in den Hintergrund geraten.329 Mit der Entwicklung der 322

Vgl. Antoine Favre, Principes du droit des gens, Fribourg 1974, S. 9. Vgl. Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/Berlin 1960, S. 257 ff.; Alfred Verdross, Die Entwicklung des Völkerrechts, in: Golo Mann (Hrsg.), Propyläen der Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, Band 8, Frankfurt a. M./Berlin 1960, S. 671 ff.; Antoine Favre, Principes du droit des gens, Fribourg 1974, S. 9. 324 Carl v. Clausewitz, Vom Kriege, 16. Auflage, Bonn 1952, S. 108. 325 Vgl. grundsätzlich Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, Baden-Baden 1988, S. 113. 326 Siehe Antoine Favre, Principes du droit des gens, Fribourg 1974, S. 9. 327 Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, S. 11 f., 26 f. 328 Vgl. Ulrich Scheuner, Naturrechtliche Strömungen im heutigen Völkerrecht, in: Ulrich Scheuner, Schriften zum Völkerrecht, hrsg. von Christian Tomuschat, Berlin 1984, S. 154 f. 329 Vgl. undatiertes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Deutschlands Jugendkraft, S. 3; Ernst Troeltsch, Naturrecht und Humanität, in: 323

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souveränen Staaten hatte sich das Völkerrecht von der Naturrechtslehre entfernt.330 Die in dieser Zeit herrschenden rechtsphilosophischen Konzeptionen einerseits Hegels, andererseits des im Anschluss an den allgemein in der Philosophie von Comte begründeten Positivismus Platz greifenden Rechtspositivismus331 hatten sich dem Völkerrecht angenommen und entsprechende Völkerrechtslehren hervorgebracht.332 Nach der damals herrschenden Rechtsschule des Positivismus galt Recht, weil es (durch den autonomen Willen des Rechtsetzenden) „gesetzt“ worden war.333 Der Rechtspositivismus hatte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts aus der Historischen Rechtsschule entwickelt, die ihrerseits als Gegenbewegung gegen die Naturrechtssysteme der Aufklärung entstanden war.334 Der eigentliche juristische Positivismus leitete die Geltungskraft des positiven Rechts nicht mehr aus höherem Rechte ab. Der Staatswille allein wurde als empirisch fassbar bezeichnet, nur er konnte daher auch als Rechtsquelle anerkannt werden. Hinsichtlich der Völkerrechtsbegründung sind zunächst die wichtigsten Marksteine zu nennen. Die bedeutendsten Strömungen dieser Zeit sind in der Völkerrechtsleugnung, der Selbstbindungstheorie und der Gemeinwillen- bzw. Vereinbarungslehre zu sehen.335 Unter den Völkerrechtsleugnern positivistischer Observanz stach vor allem Austin hervor, der in der Tradition Hobbes’ das Völkerrecht als Moral betrachtete, die nur durch EinbezieDeutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hrsg. von Hans Baron, Tübingen 1925, S. 16 f. 330 Vgl. Alfred Verdross, Statisches und dynamisches Naturrecht, Freiburg i. Br. 1971, S. 15; Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Auflage, Göttingen 1962, S. 7, 242 f.; Rudolf Laun, Naturrecht und Völkerrecht, in: Jahrbuch für internationales Recht 4 (1954), S. 7; Heinhard Steiger, Völkerrecht und Naturrecht zwischen Christian Wolff und Adolf Lasson, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 45–74; Rolf Knubben, Völkerrechtspositivismus und Völkernaturrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von Karl Strupp, Band 3, Berlin 1929, S. 227–292. 331 Vgl. Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/Berlin 1960, S. 257 f.; Antonio Truyol, Doctrines contemporaines du droit des gens, in: Revue générale de droit international public 54 (1950), S. 403. 332 Vgl. auch Heinrich Bernhard Oppenheim, der 1866 in seinem „System des Völkerrechts“ konstatierte, jeder Zweig der Rechtswissenschaft, folglich auch das Völkerrecht, sei „nunmehr der Philosophie des positiven Rechts“ untergeordnet, mit der Folge, dass er damit das Naturrecht auch für den Bereich des Völkerrechts als eine „müßige Erfindung metaphysischer Talente“ abtun könne, System des Völkerrechts, 1866, S. 1 ff.; vgl. Reinhard Holubek, Allgemeine Staatslehre als empirische Wissenschaft. Eine Untersuchung am Beispiel von Georg Jellinek, Bonn 1961. 333 Heinhard Steiger, Völkerrecht und Naturrecht zwischen Christian Wolff und Adolf Lasson, in: Naturrecht im 19. Jahrhundert, hrsg. von Diethelm Klippel, Goldbach 1997, S. 45–74. 334 Vgl. Rudolf Laun, Naturrecht und Völkerrecht, in: Jahrbuch für internationales Recht 4 (1954), S. 5 ff.

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hung ins staatliche Recht durch den staatlichen Gesetzgeber partiell Rechtsqualität erlangen könne.336 Diese Konzeption wurde von Puchta, einem Vertreter der Historischen Rechtsschule,337 übernommen.338 Hegel gelangte nicht direkt zur Leugnung des Völkerrechts, sondern führte die Staatsverträge als äußeres Staatsrecht auf den für die Rechtsentstehung unabdingbaren Staatswillen zurück. Der Kern der Hegelschen Staatsauffassung lag in der Auffassung des Staates als „absoluter Macht auf Erden“.339 Diese Eigenschaft machte Hegel zufolge die Souveränität des Staates aus. Die Erhaltung seines Wohls war sein höchstes Gesetz. Ihm galten alle Verträge, alles Völkerrecht überhaupt, unterworfen. Der souveräne Staatswille galt als Urgrund alles Rechts, aber auch alles Seins. Nach Auffassung Hegels konnte sich der Staat zwar rechtlich wirksam verpflichten, unterstand als oberster Souverän aber keiner übergeordneten Rechtsgewalt. Diese Auffassung, bestimmt von der Faszination der theoretisch unbegrenzten Entfaltungsmöglichkeiten des Machtstaates, spiegelt die Hochblüte des Imperialismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und insbesondere die seinerzeit staatstheoretisch nachwirkenden absolutistischen Relikte wider. Damit wurde die Existenz des Völkerrechts zwar nicht direkt geleugnet, wohl aber im Sinne eines „äußeren Staatsrechts“ relativiert. Adolf Lasson stützte sich den Grundlagen nach auf Hegel, doch fiel seine Lehre noch akzentuierter aus im Sinn der Völkerrechtsleugnung. Lasson griff 1871 den staatsindividualistischen Ansatz Hegels wieder auf und folgerte aus dem Souveränitätsbegriff, dass sich der Staat „niemals einer Rechtsordnung, wie überhaupt keinem Willen außer ihm unterwerfen“ könne. Der Zustand, der zwischen den Staaten obwalte, so Lasson, sei mithin „ein vollkommen rechtloser“.340 Alle völkerrechtlichen Rechtsverhält335 Wilhelm E. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, BadenBaden 1988, S. 591 ff.; Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/ Berlin 1960, S. 257 ff. 336 Vgl. John Austin, Lectures on Jurisprudence or the Philosophy of positive law, 5. Auflage, London 1885, Bd. 1., S. 182 ff., insb. 184, Bd. 2, S. 635. Zu Austin siehe auch Ernst Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, Band I und II, Freiburg i. Br./München 1958/1963, S. 259; Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/Berlin 1960, S. 259 ff.; Antonio Truyol, Doctrines contemporaines du droit des gens, in: Revue générale de droit international public 54 (1954), S. 382 ff. 337 Vgl. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Auflage, Göttingen 1967, S. 399 ff. 338 Antonio Truyol, Doctrines contemporaines du droit des gens, in: Revue générale de droit international public 54 (1954), S. 386. 339 Siehe Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 3. Auflage, hrsg. von Hermann Glockner, Stuttgart 1952, Bd. 7 der Jubiläumsausgabe, S. 441, Zusatz zu § 330. 340 Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 1871, S. 22.

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nisse einschließlich der Staatsverträge seien nichts anderes als „Ausdruck des gegenseitigen Machtverhältnisses“. Lasson stellte zwar Regeln auf, nach denen sich die Staaten freiwillig verhalten sollten, in Ermangelung einer mit Zwang ausgestatteten überstaatlichen Autorität könne, so Lasson, in diesem Zusammenhang allerdings nicht von Recht gesprochen werden.341 Der Charakter „eigentlichen Rechts“ blieb dem Völkerrecht Lasson zufolge „nicht bloß vorübergehend oder für niedere Zustände der Cultur, sondern für immer entzogen.“ Der Staat behalte sich vor, es zu beobachten oder nicht, je nachdem er es in seinem Interesse finde.342 Bezeichnete Lasson es als offenbares Bedürfnis aller gesitteten Völker, die im Frieden zu leben wünschen, dass es einen möglichst für alle Fälle zureichenden Kodex des Völkerrechts in allgemeiner Anerkennung gebe, so fügte er doch den Nachsatz an: „Ferner darf ein solcher Kodex nicht außer Augen lassen, wie prekär alles Völkerrecht ist, und nicht unternehmen wollen, die Staaten absolut und für jeden Fall zu binden. Denn vor der Notwendigkeit der Selbsterhaltung schwindet alles Völkerrecht.“343 Auf der Hegelschen Konzeption vom „äußeren Staatsrecht“ beruhten auch die Völkerrechtslehren der Bonner Schule Philipp und Albert Zorns. Philipp Zorn, völkerrechtlicher Berater Wilhelms II. und Delegierter der deutschen Regierung auf den Haager Friedenskonferenzen, und sein Sohn Albert verstanden das Völkerrecht in Nachfolge Hegels als „Außenstaatsrecht“; die völkerrechtlichen Normen wurden danach nur insoweit als Recht anerkannt, als sie von der einzelstaatlichen Gesetzgebung in das staatliche Recht rezipiert wurden.344 Durch die ausdrückliche Vereinbarung neuer Rechtsnormen wurde Philipp und Albert Zorn zufolge nur die Erzielung einer Verständigung der beteiligten Staaten über gleichförmiges Vorgehen, über gleichmäßiges Verhalten hinsichtlich der betreffenden Materien festgestellt, aber keine Verpflichtung begründet.345 Die Unsicherheit, die durch die Rückführung der Geltung auf den Staatswillen entstand,346 versuchten im Ansatz schon Carl Bergbohm und nach 341

Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 1871, S. 45. Adolf Lasson, System der Rechtsphilosophie, Berlin 1882, S. 402. 343 Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 1871, S. 93. 344 Albert Zorn, Grundzüge des Völkerrechts, 2. Auflage, Leipzig 1903, S. 3, 6 ff., 300 f., 303; Philipp Zorn, Die deutschen Staatsverträge, ZgStW 36 (1880), S. 1 ff.; ders.: Staatsrecht, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1895, S. 99, 106, wo er die juristische Möglichkeit des Völkerrechts überhaupt in Zweifel zieht; S. 495 f., wo von „äußerem Staatsrecht“ die Rede ist. 345 Philipp Zorn, Staatsrecht, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1895, S. 495–500; Albert Zorn, Grundzüge des Völkerrechts, S. 3. 346 Vgl. dazu Antonio Truyol, Doctrines contemporaines du droit des gens, in: Revue générale de droit international public 54 (1950), S. 404. 342

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ihm Georg Jellinek durch die Selbstverpflichtungslehre zu überwinden, wonach der Staat sich zwar nicht einem fremden Willen unterwerfen, aber seinen eigenen Willen einschränken könne. Nach Jellinek347 unterwarf sich der Staat dadurch, dass er mit anderen Staaten Rechtsbeziehungen aufnahm und pflegte, selbst durch einen Akt der Selbstbeschränkung dem Völkerrecht. Da aber der Staat Jellinek zufolge ausschließlich seinem eigenen Willen unterworfen blieb, bildete dieser eigene Wille auch die Grenze der Selbstbindung, denn jeder Akt des Staatswillens, so Jellinek, musste sich als Erfüllung der Staatszwecke darstellen, konnte also nur so lange bestehen, als er diesem Zweck genügte.348 Das Problem einer möglichen Selbstlösung aus der Verpflichtung blieb somit bestehen. Letztlich ging es auch hier mehr darum, die innerstaatliche Verbindlichkeit der Staatsverträge für die Staatsorgane für die Zeit bis zur möglich bleibenden Auflösung durch das oberste Staatsorgan zu begründen. Einen Schritt weiter ging im Anschluss an Karl Binding Heinrich Triepel mit seiner auf der Gemeinwillentheorie beruhenden Vereinbarungslehre. Auch Triepel trat nicht in offenen Konflikt mit dem Souveränitätsbegriff. Auch er legte den Staatswillen als Quelle des Völkerrechts zugrunde.349 Triepel zufolge beruhte das Völkerrecht auf der Grundlage des Gemeinwillens mehrerer Staaten. Der Gemeinwille der Staaten ergab sich seiner Ansicht nach aus verbindlichen Vereinbarungen der Staaten, mit denen die Schaffung objektiven, dauerhaften Rechts beabsichtigt sei.350 Die verbindliche Kraft der Vereinbarung erklärte Triepel teleologisch. Was durch Bildung des Gemeinwillens entstanden sei, konnte seiner Auffassung nach nur durch Änderung des Gemeinwillens selbst, nicht durch Willensänderung eines in diesem Gemeinwillen beschlossenen Einzelwillens wieder vernichtet werden. Denn wenn jeder Rechtssatz des Völkerrechts seine Geltung für denjenigen Staat verlöre, der sich einseitig von ihm lossage, führte Triepel aus, bliebe von einem Völkerrecht überhaupt nichts mehr übrig.351 Der souveräne Staat trat dabei als scharfe Scheidungslinie zwischen das innerstaatliche Recht und das Völkerrecht, die beide als nach Inhalt, Normadressaten (hier Staaten, dort Individuen) und Quelle (hier Vereinbarung, dort Staatsgesetz) streng getrennt angesehen wurden. Nach dieser von Triepel begrün347

Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882, S. 32 ff., auch: Allgemeine Staatslehre, S. 375 ff. 348 Siehe Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882, S. 38 ff. sowie ders., Die rechtliche Natur der Staatenverträge, ein Beitrag zur juristischen Konstruktion des Völkerrechts, Wien 1880, S. 9 ff., 15 ff., 27. 349 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899, S. 71. 350 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899, S. 63 ff., 70. 351 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899, S. 30 f., 45, 49 ff., 63 f., 86 ff.

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deten dualistischen Theorie galt Völkerrecht für die Individuen nur kraft staatlicher Transformation. Die Versuche der Theorie, durch die Vorstellung der Selbstverpflichtung (Jellinek) bzw. des in der rechtsetzenden Vereinbarung erklärten Gemeinwillens der Staaten (Triepel) die Verbindlichkeit des Völkerrechts zu begründen, mussten vergeblich sein. Rechtliche Konstruktionen konnten den Mangel einer außerhalb des Staatswillens stehenden Grundlage nicht ersetzen. Alle diese Völkerrechtskonzeptionen machten sich durch den Rekurs auf den subjektiven Staatswillen als formaler Grundlage des Völkerrechts angreifbar. Sie führten das Völkerrecht letztlich ad absurdum. Sie alle führten zu demselben Ergebnis, dass es ein die Staaten wirklich bindendes Völkerrecht nicht geben könne. So zeigte die in der Epoche des Imperialismus ausgeprägte Gestalt des klassischen Völkerrechts ambivalente Züge: Auf der einen Seite nötigte die Zunahme des internationalen Verkehrs zu einer Intensivierung der zwischenstaatlichen Rechtseinrichtungen. Auf der anderen Seite verhinderten das strikte Souveränitätsdenken und die Sorge vor der Einbuße politischer Handlungsfreiheit das Entstehen übernationaler Formen.

IV. Kohlers Völkerrechtslehre im Einzelnen 1. Begriff und Rechtsqualität des Völkerrechts Kohler hatte erkannt, dass das Bemühen, auf der Grundlage des souveränen Staatswillens bei gleichzeitiger Ablehnung eines überstaatlichen Völkerrechts zu einem zwischenstaatlichen „objektiven Völkerrecht“ in Form allgemeiner Verträge zu gelangen, unfruchtbar war. Er war in Anlehnung an Fricker352 zu der Auffassung gelangt, dass aufgrund der Möglichkeit des Staates, seinen geäußerten „Willen“ jederzeit zu ändern, auf der Grundlage des staatlichen Willens kein verbindliches Völkerrecht konstruiert werden könne. Der Umstand, dass die Staaten das Völkerrecht willentlich entstehen ließen, zwang seiner Ansicht nach aber nicht zugleich auch zur Annahme eines voluntativen Geltungsgrundes des Völkerrechts. Der tatsächliche Entstehungsvorgang konnte Kohler zufolge nicht zur Klärung der Frage des normativen Geltungsgrundes des Völkerrechts führen. Er unterschied insoweit zwischen Entstehungs und Geltungsgrund. Nur wenige erkannten wie er das Naturrecht als Völkerrechtsquelle an.353 Völkerrecht entstand Koh352 Karl Viktor Fricker, Noch einmal das Problem des Völkerrechts, in: ZStW 34 (1878), S. 368. 353 Auch James Lorimer, Institutes of the Law of Nations, The Institutes of the Law of Nations I, Edinburgh 1883, S. 19 ff. erkennt das Naturrecht als Rechtsquelle an; anderer Auffassung Dionisio Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Band 1,

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lers Auffassung nach durch „das Rechtsbewusstsein der Völker“ und dessen „Äußerung im völkerrechtlichen Verkehr“ sowie der herrschenden Auffassung entsprechend durch Gewohnheitsrecht und Rechtsakte wie insbesondere Staatsverträge.354 Der Grund für die Geltung des Völkerrechts hingegen lag Kohler zufolge jenseits des Willens der Staaten: Völkerrecht war für ihn überstaatliches Recht, das auf dem Naturrecht beruhte.355 Kohler nahm für Völkerrecht und nationales Recht denselben Geltungsgrund an. Er ging von einer über den Staaten und unabhängig von ihnen stehenden Rechtsordnung aus. Dabei verstand er Naturrecht als ein historisch relatives Naturrecht, das zugleich Ausdruck des führenden inneren Wertvorzugssystems eines Zeitalters war.356 Damit wandte er sich von der klassischen Naturrechtslehre ab, der zufolge die Normen des Naturrechts als starr, von Ort und Zeit unabhängig und unwandelbar galten.357 Die Vertreter der modernen Naturrechtslehre, allen voran Kohler, waren der Ansicht, dass sich das Naturrecht entsprechend den Kulturbedürfnissen verändere.358 Das Bewusstsein, dass nicht nur im staatlichen, sondern auch im zwischenstaatlichen Gebiete ein Recht walte, das die Rechtsordnung „nicht 3. Auflage, Berlin/Leipzig 1929, S. 48 f.; Giulio Diena, Principi di Diritto Internazionale I, Neapel 1914, S. 12; Antonio S. de Bustamente y Sirven, Droit international public, Tome I, Paris 1934, S. 65; T. J. Lawrence, The Principles of International Law, 7. Auflage, London 1929, S. 110 ff. 354 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. verbesserte und stark vermehrte Auflage, Leipzig 1908, S. 223. 355 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 204; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5., neu durchgearbeitete Auflage, Leipzig 1919, S. 201; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 4 ff. 356 Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), S. 9, Einführung. 357 So etwa Thomas von Aquin, Summa theologica, 1. Teil des 2. Buches, Quaestio 95, Art. 2 und 4; Franciscus Suàrez, Tractatus de legibus ac Deo legislatore, Coimbra 1612, zitiert nach Francisco Suarez, Ausgewählte Texte zum Völkerrecht [Lateinischer Text nebst deutscher Übersetzung, hrsg. von Josef de Vries S. J.], Tübingen 1965, Kapitel 19, § 9; Kapitel 20, § 2; Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres: in quibus ius naturae et gentium, item iuris publici praecipua explicantur, Buch II, (Paris 1625), Neudruck Aalen 1993, L. I, Cap. 1 § 10. Vgl. zur Naturrechtslehre allgemein Rudolf Laun, Naturrecht und Völkerrecht, in: Jahrbuch für internationales Recht 4 (1954), S. 7 ff.; Rolf Knubben, Völkerrechtspositivismus und Völkernaturrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von Karl Strupp, Band 3, Berlin 1929, S. 268 ff.; Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Auflage, Wien 1964, S. 102 f. 358 Außer Kohler auch Louis Le Fur, La Théorie du Droit Naturel depuis le XVIIème Siècle et la Doctrine Moderne, in: Académie de Droit International, Recueil des Cours 18 (1927 III), S. 349; Agostino Soldati, La responsabilité des états dans le droit international, Paris 1934, S. 34 ff.; Tihomil Drezga, Les Problèmes Fondamentaux du Droit des Gens et la Cour Permanente de Justice Internationale, Paris 1931, S. 65 ff.

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bloß in den einzelnen Staatsgeländen zu herrschen, sondern die ganze Erde zu umspannen“ habe, musste Kohler zufolge immer mehr dazu anleiten, die zwischenstaatlichen Beziehungen durch Rechtssätze zu regeln und das Tun und Lassen der Staaten auf Rechtsnormen zurückzuführen. Kohler sprach die Forderung aus, dass sich jede Staatsregierung das Gefühl der Verantwortung vor Recht und Rechtsordnung stets vor Augen halten müsse.359 Damit spielte er auf die bereits erwähnte Kardinalfrage der positivistischen Völkerrechtswissenschaft an, nämlich die, ob es überhaupt ein verbindliches Völkerrecht gebe. Er wandte sich damit gegen diejenigen, die den Charakter des Völkerrechts als eines zwingenden Rechts verneinten, da sie von der unbeschränkten Souveränität des Staates ausgingen und daraus folgerten, dass der souveräne Staat keiner übergeordneten Rechtsordnung unterworfen sei, vielmehr kraft seiner Suprematie jegliches Recht autonom setze, ändere und gegebenenfalls auch wieder beseitige. Der Argumentation, dass ein Völkerrecht ohne Zwang und ohne Legislative, Exekutive und Judikative im staatsrechtlichen Sinne nicht möglich sei, trat er mit dem Verweis auf Beispiele aus der Rechtsgeschichte entgegen. Den Skeptikern, die wie etwa Lasson anmerkten, dass dem Völkerrecht die drei Essentialia jeden Rechts, ein Gesetzgeber, ein Richter und ein Vollstreckungsorgan, fehlten,360 hielt Kohler entgegen, dass schließlich auch das innerstaatliche Recht in seinen Anfängen Gewohnheitsrecht gewesen sei. Das Recht, führte er aus, sei das Primäre, der Richter das Sekundäre. Das Fehlen eines den Staaten übergeordneten Gerichts erschwere eine dem Recht entsprechende Erledigung der internationalen Streitigkeiten, habe aber mit dem Vorhandensein und der Geltungskraft eines wahren Völkerrechts nichts zu tun.361 Dabei räumte er ein, dass das Völkerrecht, dem die Möglichkeiten der Zwangsdurchsetzung noch weitgehend fehlen, in noch höherem Maße darauf angewiesen sei, dass seine Normen freiwillig befolgt würden. Aber, so fügte er hinzu, es gebe schließlich doch eine Art von Nötigung, nach diesen Normen zu leben.362 Kohlers legalistische Konzeption, die Realität des Rechts durch politisches Handeln aufrecht zu erhalten, war selbstverständlich letztlich ein ethisches Postulat, hinter dem sich die Überzeugung verbarg, dass ohne Recht ein Zusammenleben der Menschen nicht möglich sei. Alle völkerrechtlichen Diskussionen, sei es, dass sie den Umfang der Schiedsgerichtskompetenz oder die Periodizität der Haager Konferenzen, sei es, dass sie das Obligatorium zur Inanspruchnahme der Haager Institu359

ZVölkR 1 (1907), S. 1. Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 1871, S. 93. 361 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 10. 362 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 191. 360

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tion (das heißt den Weltschiedsvertrag) oder die Rolle des Völkerrechts in den internationalen Beziehungen betrafen, berührten stets das Problem staatlicher Souveränität. Kohlers Kritik am Positivismus ging aus von der Bekämpfung der These der unbeschränkten Staatshoheit und von der Ablehnung der Herrschaft, die damit dem Staat über das Recht eingeräumt wurde. Im strikten Souveränitätsbegriff und damit der Idee unbegrenzter staatlicher Macht sah er die größte Gefahr für das Völkerrecht.363 Seiner Auffassung nach litt man noch „viel zu sehr unter dem Banne der eigenen volklichen Übertreibungen, wie sie durch Bismarck und Treitschke in so starkem Maße gepflegt worden“ seien.364 Während der Münchner Staatsrechtler Carl von Stengel die Auffassung der absoluten, durch keine höhere Macht eingeschränkten Souveränität vertrat und daraus den Schluss zog, dass die Mitbestimmung anderer Mächte über das Schicksal der Nation mit deren Souveränität nicht in Einklang zu bringen sei,365 erhob Kohler die Forderung, den alten Souveränitätsbegriff abzuändern, wenn er den Erfordernissen des sich abzeichnenden Ausbaus der internationalen Beziehungen nicht mehr entspreche.366 Die Ausführungen von Stengels über das Problem der Souveränität erachtete Kohler als völlig verfehlt. Unter Bezugnahme auf Kants Schrift Zum ewigen Frieden wies er entschieden darauf hin, dass man sich im Völkerleben nicht vom Individualismus beherrschen lassen dürfe. Dass die Freiheit sich mit Gesetzmäßigkeit vertrage, führte er aus, gelte im Völkerleben ebenso wie im Leben des Einzelnen. Ebenso wie der Einzelne sich durch eine Menge von Verträgen binde und jede Verpflichtung eine Bezähmung seiner Willkür sei, ebenso beruhte das Völkerrecht Kohler zufolge darauf, dass die Staaten durch Verpflichtungen von regellosem Belieben abgingen und sich eine gewisse Norm des Daseins vorzeichneten.367 Kohler verstand Souveränität als Handlungsmündigkeit des Staates, die auch die Vollmacht beinhaltete, auf die Ausübung von Hoheitsrechten zu verzichten.368 Kein Staat, so Kohler, solle den Gedanken haben, dass er vollständig isoliert sei, sondern jeder solle sich mit dem Bewusstsein tragen, dass er einen Teil der großen Staatengemeinschaft bilde und nur in und mit dieser zu wirken habe.369 363 Josef Kohler, ZVölkR 1 (1907), S. 497; Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 254. 364 Josef Kohler, ZVölkR 3 (1909), S. 92. 365 Carl von Stengel, Weltstaat und Friedensproblem, Berlin o. J. [1909], S. 93. 366 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 211. 367 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 135. 368 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 211; ähnlich auch Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München/ Leipzig 1912, S. 117. 369 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 209.

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In diesem Zusammenhang betonte er die Notwendigkeit, das Völkerrecht als abgeschlossenes System von Normen zu betrachten, deren Anwendung nicht durch politische Interessen der Staaten ausgeschlossen werden dürfe. So war es seiner Ansicht nach kein Zufall, dass sich gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als Bodin die Idee der Souveränität verkündete, zugleich auch das Völkerrecht entwickelt habe und damit der Gedanke, dass so sehr sich die Staaten in ihrer Selbständigkeit voneinander abschlössen, unter ihnen doch gewisse Normen des Verkehrs bestehen müssten und dass ein gewisser Pflichtenkreis die Länder miteinander vereinige. So seien die Zeiten, in welchen der Staatsgedanke am festesten zum Durchbruch gelangt sei, zu gleicher Zeit auch die Geburtsstunden des Völkerrechts unter Hugo Grotius gewesen. Kohler beklagte, dass noch im 19. Jahrhundert das Völkerrecht ein Recht der Vereinzelung gewesen sei. Der eine Staat habe mit dem anderen Verträge abgeschlossen und dabei lediglich versucht, durch vertragliche Normierung seine Interessen zu wahren. So sei das System des Marktens und Feilschens auf dem Gebiete des Rechts gang und gäbe gewesen, wodurch das Völkerrecht in die Bande der Politik geraten und zu einem Konglomerat individualistischer Normen geworden sei, so dass das, was in der Sphäre zweier Staaten Geltung beansprucht hätte, nicht zwangsläufig auch in der Sphäre des dritten gegolten habe.370 Für Kohler war das Völkerrecht letztlich nichts anderes als die juristische Deutung und Formulierung eines politischen Sachverhalts: Kein Staat, betonte er, sei allein auf der Welt; vielmehr existiere jeder Staat inmitten einer Vielzahl anderer Staaten, zwar aus eigenem Recht und insofern unabhängig von ihnen, aber doch nicht so, dass er sie einfach ignorieren könnte. In der universellen Gemeinschaft der Menschen sah er ein vorgegebenes sozialethisches Phänomen, aus dem sich die Existenz einer universellen Rechtsordnung ableitete.371 Ebenso wie der Einzelne neben seiner individuellen Natur den sozialen Trieb habe, der ihn an die Gemeinschaft hefte, so Kohler, ebenso hätten die Staaten neben ihrer Individualität das soziale Streben, zusammenzutreten, Verbände zu bilden und die großen Probleme des Lebens mit verbundenen Kräften zu lösen.372 Die wichtigste Aufgabe der Völkerrechtswissenschaft sah Kohler daher darin, das lückenhafte Völkergewohnheitsrecht durch eine geschriebene internationale Rechtsordnung zu ergänzen. Um größere Rechtssicherheit zu schaffen und damit auch zur Siche370 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin Anfang 1914, S. 255 f. 371 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 204 f., 207, 209; ZVölkR 3 (1909), S. 92; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5., neu durchgearbeitete Auflage, Leipzig 1919, S. 201. 372 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 136.

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rung des Weltfriedens beizutragen, waren seiner Ansicht nach die Haager Konventionen von größter Bedeutung, welche, wie er hoffte, zu einem völligen Rechtsbruch des Völkerrechts führen würden,373 und zwar „selbst für diejenigen Institute, welche Krieg und Frieden betreffen und somit in das innerste Mark der Völkerinteressen“ griffen.374 Völkerrecht bedeutete für ihn eine „Wissenschaft des Friedens“.375 Der Gedanke der Kodifikation des Völkerrechts fand seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder starke Beachtung. Beginnend mit dem sogenannten „Vater des modernen Kodifikationsgedankens“ (Jeremy Bentham)376 entstanden vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts und dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts zahlreiche private Kodifikationsentwürfe von Völkerrechtsgelehrten verschiedener Nationalität. Zu nennen sind in erster Linie die Projekte des Amerikaners Francis Lieber (1863), des bereits mehrfach erwähnten Johann Caspar Bluntschli (1868), des amerikanischen Juristen David Dudley Field (1805–1894) (1872) sowie des Italieners Pasquale Fiore (1890).377 Daneben engagierten sich Völkerrechtsgelehrte auch kollektiv in ihren internationalen Zusammenschlüssen, insbesondere dem Institut de droit international bzw. der International Law Association, für die kodifikatorische Arbeit am Völkerrecht.378 In Deutschland vertrat jedoch außer Kohler, Walther Schücking und Ludwig von Bar379 keiner der deutschen Völkerrechtler die Ansicht vom friedenssichernden Potential einer Kodifikation des Völkerrechts. Die Mehrheit der deutschen Völkerrechtsgelehrten befürwortete zwar die kodifikatorische Arbeit, sprach sich aber gegen eine Totalkodifikation aus.380 373 Josef Kohler, Einführung in die Rechtswissenschaft, 3., verbesserte und stark vermehrte Auflage, Leipzig 1908, S. 271. 374 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Berlin 1914, S. 257. 375 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 129. 376 Vgl. Walther Schücking, Der Staatenverband, München/Leipzig 1912, S. 188; Rosenne, EPIL, Bd. 1 (1992), S. 634. 377 Vgl. Walther Schücking, Der Staatenverband, München/Leipzig 1912. S. 197; Karl Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von dems., erster Band, Berlin/Leipzig 1924, S. 639. Siehe auch die Arbeiten von E. Duplessix, La Loi des Nations: projet d’institution d’une autorité internationale legislative administrative et judicaire; projet de droit international public, Paris 1906, und Jerome Internoscia, New Code of International Law, New York 1910. 378 Vgl. Karl Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von dems., erster Band, Berlin/Leipzig 1924, S. 640. Des Weiteren ist die Tätigkeit der American Society of International Law (ab 1906) und des American Institute of International Law (ab 1911) zu nennen. 379 Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München/ Leipzig 1912, S. 188 ff., 241; Ludwig von Bar, Grundlage und Kodifikation des Völkerrechts, in: ARWP 6 (1912/13), S. 145 ff.

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2. Grundprinzipien einer neuen Völkerrechtstheorie: Frieden, Kultur und Naturrecht Frieden, Kultur und Naturrecht waren Leitlinien der Völkerrechtslehre Kohlers. Kohler verstand das Völkerrecht als Kulturrecht,381 da es sich ständig dem aktuellen Stand der Kultur, den veränderten politischen und sozialen Verhältnissen anpassen sollte, die Kulturbildung ermöglichen sollte. Diese Auffassung resultierte aus seiner Weltanschauung, derzufolge Ziel der Menschheit die unendliche Anhäufung unvergänglicher Kulturwerte sei, die auch nach Untergang des Volkes noch in der Menschheit fortleben könnten.382 Dem Recht fiel dabei eine entscheidende Rolle zu. Es war Kulturerscheinung und -bedingung zugleich.383 Die größtmögliche Förderung der Kulturbestrebungen war für Kohler Begründung und Rechtfertigung dafür, die Souveränität der Staaten zu beschränken. Jede Anarchie, führte er aus, sei verderblich, und so habe das Kulturbedürfnis von selber notwendigerweise dazu geführt, gewisse Normen im Verhältnis der Staaten zueinander festzusetzen.384 Für Kohler waren nicht Macht, sondern Recht und Kultur die maßgeblichen Komponenten eines Staates. Die Völkerrechtswissenschaft sah er als „praktische Wissenschaft“ an, deren Aufgabe nicht nur darin bestehe, vorhandenes Recht zu verwalten, sondern vielmehr es weiterzuentwickeln und den sich ändernden politischen und sozialen Verhältnissen anzupassen. Sie sollte Vorarbeiten zur Friedenssicherung leisten. Die Beziehungen der Völker zueinander warfen für die Gegenwart und die Zukunft Fragen auf, bei deren Beantwortung die Völkerrechtswissenschaft dem Staat normsetzend zur Seite stehen musste. Diese Auffassung von den normsetzenden Aufgaben der Völkerrechtswissenschaft entsprach ebenso wie der Gedanke der Kodifikation und die Idee der Lückenlosigkeit des Rechts, also auch der Völkerrechtsordnung, Kohlers rationalistisch-naturrechtlich 380 Vgl. Otfried Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, Leipzig 1907, S. 559 f.; Emanuel von Ullmann, Völkerrecht, Tübingen 1908, S. 56 ff. Die deutschen Völkerrechtler standen mit ihrer Ablehnung einer Kodifikation in der Tradition von Adolf Lasson, Princip und Zukunft des Völkerrechts, Berlin 1871, S. 179 ff. und von August von Bulmerinq, Das Völkerrecht oder das internationale Recht, 2. Auflage, Freiburg 1889, S. 176 ff. 381 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 38; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 3, 5; Wesen des Völkerrechts, in: Der Tag vom 29. Dezember 1917. 382 Josef Kohler, Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/8), S. 3, 9. 383 Josef Kohler, Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: ARWP 1 (1907/8), S. 3 f. 384 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 1. Auflage, Berlin 1902, S. 191, ebenso 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 271; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 3.

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ausgerichtetem Denken. Gegen eine solche Ausdehnung der wissenschaftlichen Aufgaben richteten sich aber gerade die Einwände der juristischen Positivisten. Westeuropa war im Gegensatz zur deutschen Geisteswelt auch im 19. Jahrhundert naturrechtlichen Ideen verhaftet geblieben. So fand auch die Idee internationaler Organisation seine Befürworter vornehmlich in Westeuropa. Aufgewachsen an der Grenzscheide zwischen Deutschland und Westeuropa, bemühte sich Kohler, eine geistige Verbindung zwischen Deutschland und der westlichen Ideenwelt herzustellen. Treitschkes Machtstaat setzte er die Idee des Rechts- und Kulturstaats385 entgegen und übersteigertem Nationalismus eine Weltkultur, welche aus dem gemeinsamen Fortschritt der Völker erwachsen sollte, gestützt auf ein starkes Völkerrecht. Stritt er auch vehement gegen die rechtspositivistische Methodik, so hieß dies nicht etwa, dass er damit das Erfordernis streng wissenschaftlichen Vorgehens verneint hätte. Auch erkannte er entsprechend seiner liberalen, bürgerliche Rechtssicherheit fordernden Haltung das positive, vom Staat gesetzte Recht als das einzige für die Rechtsprechung maßgebliche Recht an. Mit seiner Intention Friede durch Recht schaffen zu wollen, stand Kohler in der Tradition Kants, der bereits 1795 darauf hingewiesen hatte, dass zu den Voraussetzungen, Frieden zu schaffen und zu erhalten, die rechtliche Organisation des zwischenstaatlichen Zusammenlebens gehöre.386 3. Haltung zur Frage der clausula rebus sic stantibus Dem imperialistischen Denken vom Staat her trug auch Kohler Rechnung, wenn er dem Staat zugestand, in Fällen dringender Not vom Vertrag zurücktreten zu dürfen. Der Staat als sittlicher Organismus war auch sein Ausgangspunkt, und auch er rechtfertigte dessen Recht zur Selbstbehauptung. Im staatlichen Selbsterhaltungsrecht sah er die allem zwischenstaatlichen Recht immanente Grenze. Er bejahte die Anerkennung der Grundsätze der clausula rebus sic stantibus für das Völkerrecht, d.h. die Verträge sollten als unter der Voraussetzung abgeschlossen gelten, dass bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse ein jeder Teil (nicht etwa bloß de facto, sondern de iure) zurücktreten können sollte, „insbesondere, wenn sonst Lebensinteressen des einen Staates gefährdet würden; denn kein Staat“, betonte er, dürfe „seine Lebensinteressen für die Zukunft aufgeben.“387 Die Frage der clausula rebus sic stantibus hatte bereits Generationen von Völkerrechtlern 385

Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 143. Vgl. Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, Band VIII, S. 348 f. 387 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 195; ebenso 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 277; 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 228 f.; 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 206 f.; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 212. 386

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beschäftigt. Seitdem Hugo Grotius die Frage aufgeworfen hatte, „ob die Versprechen die stillschweigende Bedingung mit sich führen, dass die Dinge da bleiben, wo sie jetzt sind“,388 war die Diskussion um die clausula rebus sic stantibus nicht zur Ruhe gekommen. Das betraf nicht nur das Problem einer entsprechenden ausdrücklichen oder stillschweigend vorausgesetzten Vertragsklausel, sondern allgemein die Frage, ob völkerrechtliche Verträge unter dem Vorbehalt stehen, dass sich die Umstände seit ihrem Abschluss nicht wesentlich verändert haben oder nicht wesentliche, den Parteien bei Vertragsabschluss nicht bekannte Umstände zum Vorschein gekommen sind. Die Klausel war zu Anfang des 20. Jahrhunderts in der Völkerrechtslehre überwiegend anerkannt.389 Es gab jedoch auch Stimmen, die vor dem Institut warnten.390 Die Klausel hat ihre Wurzel im römischen Recht.391 Vorbehaltloser Befürworter der seit den Postglossatoren in den Rechtsordnungen fast aller zivilisierter Staaten nahezu ununterbrochen anerkannten Doktrin zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Erich Kaufmann, der völkerrechtliche Verträge nur solange als bindend betrachtete, als sich die Macht- und Interessenlage, die zur Zeit des Abschlusses bestand, nicht so änderte, dass wesentliche Bestimmungen des Vertrages mit dem Selbsterhaltungsrecht der kontrahieren388

Hugo Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Buch II, 1625, § 25 Nr. 2 bzw. § 27 Nrn. 1–3 (Neudruck Aalen 1993). 389 Johann Caspar Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt, Nördlingen 1868, § 456; Friedrich von Martens, Völkerrecht. Das internationale Recht der civilisierten Nationen. Deutsche Ausgabe von Carl Bergbohm. Erster Band, Berlin 1883, S. 427; Carl Gareis, Institutionen des Völkerrechts – ein kurzgefaßtes Lehrbuch des positiven Völkerrechts in seiner geschichtlichen Entwicklung und heutigen Gestaltung, 2. Auflage, Gießen 1901, S. 213; Emanuel von Ullmann, Völkerrecht (Das öffentliche Recht der Gegenwart, Band III), Tübingen 1908; Heribert Franz Köck, Altes und Neues zur Clausula Rebus Sic Stantibus, in: Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag, hrsg. von Peter Fischer/Heribert Franz Köck/Alfred Verdross, Berlin 1980, S. 79. Francis Wharton, (Hrsg.), A Digest of the International Law of the United States taken from Documents issued by Presidents and Secretaries of State and from Decisions of Federal Courts and Opinions of Attorneys General (3 volumes), Vol. II, Washington 1886; William Edward Hall, A Treatise on International Law, 6. Auflage, Oxford 1909, S. 351 f.; A. Mérignhac, Traité de Droit Public International I, Paris 1905, S. 133. 390 Vgl. Philipp Zorn, Reich und Reichsverfassung. Eine Antwort auf die Frage: Ist Reichsverfassung Gesetz oder Vertrag? Festrede, gehalten in der Königlichen Deutschen Gesellschaft zu Königsberg i. Pr. am 18. Januar 1894, Berlin 1895, S. 6 f.; Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899, S. 90; Karl Strupp, Das völkerrechtliche Delikt, S. 130; Notstand im Völkerrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, Berlin/Leipzig 1925, S. 152. 391 Vgl. Leopold Pfaff, Die Clausel rebus sic stantibus in der Doctrin und der Österreichischen Gesetzgebung, Stuttgart 1898, S. 5 ff.

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den Staaten unvereinbar würden392 und dadurch das Prinzip Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten) völlig aushöhlte. Bruno Schmidt hingegen lehnte die Doktrin völlig ab, da sie den Staaten erlaube, „heuchlerisch den wahren Sachverhalt zu maskieren, den schamlosesten Vertragsbruch zu begehen, ohne ihn doch offen als solchen eingestehen zu müssen.“393 Für Lammasch war eine entsprechende Klausel „in einem ausdrücklich vereinbarten Rechtssatze“ nie „ausgesprochen“ worden und ließ sich auch nicht „aus der konstanten Übung der Staaten, aus dem sogenannten Gewohnheitsrechte“ nachweisen.394 „Dem Staate, dessen Volk und dessen Organe für die Zukunft sich rückhaltlos und feierlich zum Grundsatze bekennen Pacta sunt servanda und der daher von allen Seiten das absoluteste Vertrauen eines ruhigen, ehrlichen und friedlichen Nachbarn“ genießen könne, würde Lammasch zufolge zwar nicht eine „öde Weltherrschaft“ – denn die war seiner Ansicht nach unmöglich – wohl aber die Führung der Welt „außenhin begrenzt, im Innern unbegrenzt“ zufallen.395 Strupp zufolge führte die clausula dazu, dass es einem Staat freistehe, eine Veränderung der Umstände als so wesentlich anzusehen, dass er sich ohne Rechtsbruch von der Verbindlichkeit lösen könne. Darin aber sah Strupp den Bankrott des Völkerrechts überhaupt.396 Demgegenüber erachtete Kohler die Klausel als einen Unterfall des das gesamte Völkerrecht durchwaltenden Grundsatzes der bona fides (des guten Glaubens), den Kohler dahingehend interpretierte, dass eine Vertragspartei von der anderen die Erfüllung eines Vertrages nicht mehr verlangen könne, wenn ihr diese Erfüllung unzumutbar geworden sei. Für nicht mehr zumutbar hielt Kohler die Erfüllung, wenn die betreffende Vertragspartei dadurch in ihrem Verhältnis zur anderen eine grobe Unbilligkeit erführe oder aber eine wegen Fortfalls des Zweckes sinnlos gewordene Verpflichtung auszuführen hätte. Er betonte mit Nachdruck, dass ein Rücktritt vom Vertrag nur im Notfall gestattet sei. Grundsätzlich hielt er Staatsverträge für völkerrechtsverbindlich397 und den von Lammasch hervorgehobenen Grundsatz 392

Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die clausula rebus sic stantibus, Tübingen 1911, S. 44 ff. 393 Bruno Schmidt, Über die völkerrechtliche clausula rebus sic stantibus sowie einige verwandte völkerrechtliche Normen, Leipzig 1907, S. 58. 394 Heinrich Lammasch, Das Völkerrecht nach dem Kriege, München/Leipzig 1917, S. 145, 157 f.; ders., Vertragstreue im Völkerrecht? Sonderabdruck aus der österreichischen Zeitschrift für Völkerrecht, Wien o J., S. 14 f., Nachlass Josef Kohler, Kasten 4. 395 Heinrich Lammasch, Vertragstreue im Völkerrecht? Sonderabdruck aus der österreichischen Zeitschrift für Völkerrecht, Wien o. J., S. 37. Nachlass Josef Kohler, Kasten 4. 396 Karl Strupp, Notstand im Völkerrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, Berlin/Leipzig 1925, S. 152.

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der Vertragstreue für eine der Grundlagen des Völkerrechts überhaupt.398 Eine Berufung auf die clausula rebus sic stantibus war Kohler zufolge daher nur in Ausnahmefällen zulässig. Man habe, erklärte Kohler, den Kampf gegen die Klausel ganz unrichtig aufgefasst, indem man behauptete, dass die Berufung auf die Klausel gegen die Vertragstreue verstoße, „einer jener verfehlten Vorwürfe“, meinte Kohler, wie sie gegenüber den Moralisten so oft erhoben worden seien. Kohler zufolge handelte es sich durchaus nicht darum, gegen Verträge zu handeln, sondern lediglich darum, „Verträge auszulegen, um nach Massgabe einer vernünftigen Auslegung zu verfahren.“399 Die Klausel ist heute zwar als solche allgemein anerkannt und gehört damit zum Kernbestand des Völkervertragsrechts;400 die Fälle ihrer Anwendbarkeit sind jedoch nach wie vor umstritten.401 So machtstaatlich die Klausel auch zunächst erscheinen mag, so kann man ihr doch nicht eine gefährliche Erweichung des Rechtsgedankens nachsagen. Kohler verstand sie zutreffenderweise so, dass den Staaten nicht zugemutet werden sollte, in ihre Selbstaufgabe einzuwilligen. Kohler wollte keineswegs einen rechtsfreien Raum im internationalen Rechtsleben lassen, sondern im Gegenteil dies durch die Bewertung der Klausel als absolute Ausnahme für Fälle der Existenzbedrohung des Staates gerade vermeiden. 4. Das Institut des Krieges Den Verteidigungskrieg hielt Kohler für legitim. Ebenso wie weitesten Teilen der Friedensbewegung402 erschien ihm dieser als nichts anderes als eine aus dem Recht des Staates zur Selbsterhaltung resultierende „Verbreiterung des Notrechts“.403 Nur wenige Pazifisten, und zwar diejenigen, die 397

Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 278; ZVölkR 1 (1907), S. 269. 398 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 204; ebenso Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 166 f. 399 Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Clausula rebus sic stantibus. 400 Vgl. Norman Paech/Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001, S. 456 f.; Wolff Heintschel von Heinegg, in: Knut Ipsen, Völkerrecht, 5. Auflage, München 2004, S. 203 ff. 401 Heribert Franz Köck, Altes und Neues zur Clausula Rebus Sic Stantibus, in: Völkerrecht und Rechtsphilosophie. Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag, hrsg. von Peter Fischer/Heribert Franz Köck/Alfred Verdross, Berlin 1980, S. 103. 402 Ludwig Quidde, Nationale Lebens- und Ehrenfragen, Esslingen, 1910, S. 20; ebenso Franziskus Maria Stratmann, Weltkirche und Weltfriede, Augsburg 1924, S. 77 f.; Eugen Schlief, Der Friede in Europa, Leipzig 1892, S. 444. 403 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 195; ebenso 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 277; 4. Auflage, Leipzig 1912,

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von ihrer ethisch-politischen Ausgangsposition her jedes gewaltsame Vorgehen prinzipiell ablehnten, verwarfen auch den Verteidigungskrieg grundsätzlich. Zur Begründung führten sie an, es sei sittlich nicht zu rechtfertigen, Millionen von Menschen zu unsäglichen Martern und qualvollem Sterben zu verurteilen und „ganze Nationen den furchtbaren Wirtschaftsnöten und den grauenhaften sittlichen Verheerungen des Krieges preiszugeben, nur um von einem geringen Volksteile eine vorübergehende fremde Okkupation abzuwenden.“404 Diesen radikalen Pazifisten erschien die Bejahung des Verteidigungskrieges praktisch gleichbedeutend mit der Bejahung des Krieges überhaupt.405 Kohler erkannte aber nicht nur den Verteidigungskrieg, sondern in Abweichung von der Mehrzahl der Mitglieder der organisierten Friedensbewegung, jedoch in Einklang mit nahezu allen Völkerrechtlern der Vorkriegszeit den Krieg als ultima ratio der Politik an.406 Ungeachtet aller rechtspolitischen Bedenken, die er dem Krieg entgegenbrachte, wies er darauf hin, dass Krieg entsprechend der völkerrechtlichen Doktrin des klassischen Völkerrechts ein Mittel völkerrechtlich zulässiger Selbsthilfe darstelle, ein anormales Verhältnis, ein Übel, das allerdings immer noch als ein notwendiges Übel erscheinen könne.407 Kriege würde es, so befürchtete er, geben, solange Staaten im bisherigen Sinne bestünden und im bisherigen Sinne organisiert einander schroff gegenüberträten.408 Krieg war Kohler zufolge weder ein Verhältnis des Rechts, noch des Unrechts als vielmehr ein Verhältnis tatsächlicher Art, das aber mit Rechtsfolgen verbunden war, da, wie Kohler ausführte, nach Ausbruch des Krieges eine Reihe von Regeln gälten.409 Er sah auch die mit dem Mittel der Selbsthilfe verbundene Gefahr des Missbrauchs von Gewalt.410 Die Expedition Italiens gegen die Türkei rechtfertigte Kohler, indem er ihr den Charakter eines Befreiungskrieges zusprach. Der Tripoliskrieg 1911/12 S. 228 f.; 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 206 f.; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 212. 404 Siehe etwa Hans Fülster, Der Weg zum Weltfrieden, Leipzig 1924, S. 155. 405 Vgl. Kurt Hiller, Verwirklichung des Geistes im Staat, Leipzig 1925, S. 203, 285, 287. 406 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 192; 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 283; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 11. 407 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 99 f., 2. Auflage, Leipzig/Berlin 1913, S. 90. 408 Josef Kohler, Staaten und Kriege, in: Berliner Tageblatt vom 14. Mai 1911. 409 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 99 f.; 2. Auflage, Leipzig/Berlin 1913, S. 90. 410 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 210.

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zählte seiner Ansicht nach zu den aus voller Berechtigung geführten Kriegen. Seiner Auffassung zufolge vollzog sich die Expedition Italiens im Dienste des Rechts, erfolgte der Krieg in kulturfördernder Absicht. Nichts sei ungerechter, so Kohler, als den Zug Italiens als einen „Raubzug zu betrachten“ oder Italien eines schweren Bruchs des Völkerrechts anzuklagen, da Italien schließlich lediglich in Gegenden, die „meilenweit Staaten der Kultur sein könnten und jetzt öde“ lägen, die „Fahne einer besseren Bildung aufpflanzen“ wolle. Das Vorgehen Italiens zeigte Kohlers Ansicht nach zugleich, dass die Friedensbestrebungen noch lange nicht am Ende ihrer Ziele seien. Die erste Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden sah er darin, dass die Völker eine „ziemlich gleichmässige Kultur“ hätten und bestrebt seien, in ihren Gebieten die „Aufgabe der Zivilisation zu erfüllen. Kolonialkriege und Kriege der Zivilisation gegen die Mächte, welche weite Landstriche der Erde in Unkultur“ hielten, würde es Kohler zufolge noch lange geben.411 Insofern blieb auch Kohler sehr dem klassischen Völkerrecht verhaftet, das keine allgemeinen Rechtsnormen kannte, die den Völkern die Pflicht auferlegten, den Frieden zu erhalten, das gar nicht den Versuch unternahm, den Krieg als solchen aus dem Völkerleben zu verbannen, ihn vielmehr lediglich „hegen“, d.h. eingrenzen wollte. Ebenso war Schücking gezwungen, zur Begründung des Artikels 2 seines Verbandsentwurfes auszuführen, der Zweck des Verbandes für internationale Verständigung könne nur darum eine „möglichste“ Friedensbewahrung sein, weil die Vereinsmitglieder nicht gewillt seien, auf das Recht der Kriegsführung zu verzichten.412 Erst nach dem Tode Josef Kohlers gewann aufgrund der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der die Begrenztheit der bisherigen völkerrechtlichen Bemühungen erwiesen hatte, eine pazifistisch orientierte Richtung in der deutschen Völkerrechtswissenschaft unter Walther Schücking und Hans Wehberg Bedeutung, die jede Berechtigung zur Kriegführung leugnete. Und erst durch den Briand-Kellog-Pakt, der am 27. August 1928 in Paris unterzeichnet wurde, erfolgte erstmals in der Weltgeschichte eine rechtliche Barriere gegen jede Art von Krieg.413 Kohlers Pazifismus war insoweit nur ein gemäßigter, relativer. Dem Krieg einen festen Platz zuzugestehen, erscheint zunächst wenig pazifistisch und wäre es auch nicht, wäre es dabei geblieben. Kohler erkannte jedoch die Schrecken des Krieges und forderte dessen Beseitigung als ethisches und politisches Ziel. 411 Unveröffentlichtes, undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit aus dem Nachlass Kohlers: Die moderne Friedensbewegung, S. 5. 412 Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München/ Leipzig 1912, S. 241. 413 RGBl. 1929 II, S. 97. Siehe auch Alfred Verdross, Die Entwicklung des Völkerrechts, in: Golo Mann (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte. Eine Weltgeschichte, Bd. 8, Frankfurt a. M./Berlin 1960, S. 701.

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Was das Recht im Krieg, das Kriegsrecht (ius in bello), betraf, so hob Kohler unter Bezugnahme auf Rousseau hervor, dass der Krieg nicht zwischen den Bevölkerungen, sondern zwischen den Staaten geführt werde, so dass sich also nur staatliche Organe am Kriege beteiligen dürften.414 Das Kriegsübel musste dabei Kohler zufolge auf das geringste beschränkt werden. Sofern es sich um Mittel handle, den Feind zu schwächen und dadurch den Krieg zu Ende zu führen, gestatte man „Unheilseinwirkungen der schlimmsten Art.“ Diese, betonte Kohler, müssten aber tatsächlich auf diesen Zweck beschränkt sein. Man führte Kohler zufolge nicht Krieg, um Menschen zu quälen, man dürfe, betonte er, nicht töten, wenn die Verwundung genüge, um den Feind kampfunfähig zu machen. Man zerstöre nicht, wo die Zerstörung nicht dazu beitrage, die Stellung des Feindes zu schwächen.415 Kohler nannte hier die Grundprinzipien des Kriegsrechts, die zugleich auch dessen Grenzen aufzeigen, militärische Notwendigkeit (Kriegsnotwendigkeit) auf der einen Seite, Humanität auf der anderen. Er folgte dem grundlegenden Prinzip des modernen Kriegsrechts, dass die Kriegführenden kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel der Kriegführung haben, vielmehr nur die zur effektiven Kriegführung notwendigen Mittel zulässig sind. Dabei deutete er auf den Kompromiss des Kriegsrechts zwischen den Prinzipien der militärischen Notwendigkeit und der Humanität, aus dem das Verbot solcher Mittel und Methoden der Kriegführung resultierte, die militärisch wertlos waren oder Verwüstungen und Leiden hervorriefen, die zu ihrem militärischen Wert in keinem angemessenen Verhältnis standen. Das Prinzip der Humanität stand dabei zum Prinzip der Kriegsnotwendigkeit in einem dialektischen Verhältnis. Das Bestreben, die Leiden des Krieges zu mildern, sollte danach nur insoweit umgesetzt werden können, als das Prinzip der Humanität nicht die Wirksamkeit der Kriegführung gefährdete. Kohler setzte sich wie schon die Völkerrechtler Hugo Grotius oder Samuel Pufendorf vor ihm in seinen Schriften sehr für die Humanisierung und Verrechtlichung der Kriegsführung ein, und zwar vornehmlich für die Aufrechterhaltung solcher Einrichtungen und Bräuche, die ihm geeignet schienen, die Begleiterscheinungen des Krieges zu mildern wie Zwischenträger, sog. Parlamentäre in Begleitung eines Mannes mit weißer Fahne, die zwischen den feindlichen Heeren vermitteln,416 die Entlassung von Kriegsgefangenen gegen Ehrenwort, den Erhalt gewisser Existenzbedingungen im 414 Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602. 415 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 101, 2. Auflage, Berlin/Leipzig 1913, S. 93. 416 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 102; Rezension zu Christian Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, II. Band, in: ZVölkR 3 (1909), S. 380.

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Feindesland, das Verbot der Anwendung von Gift, insbesondere auch das Verbot der Vergiftung von Quellen oder Infizierung mit ansteckenden Krankheiten. Ansonsten, führte er aus, bestehe die Gefahr der Sanktionierung durch die Truppen gegenüber den Bewohnern des Landes.417 Da jeder Staat auch im Krieg den anderen Staaten gegenüber volle Rechtsstellung besitze, erklärte er, sei auch das Verhältnis der Invasionsarmee zum Feindeslande eine Rechts-, keine Willkürstellung, was zur Folge habe, dass nicht nur der Bevölkerung keine unnötigen Leiden zugefügt werden dürften, sondern auch Staatseigentum nur nach den Grundsätzen einer ordentlichen Staatsverwaltung in Besitz und Verwaltung genommen werden dürfe, und in der Art, dass die Nutzungsquellen zwar benutzt, aber nicht raubbaumäßig erschöpft würden und insbesondere auch die Anstalten der Bildung, Kunst und Wissenschaft möglichst geschont würden.418 Er betonte auch die Selbstverständlichkeit einer humanen Behandlung Kriegsgefangener. Man halte diese nur zu dem Zwecke fest, sie dem Krieg zu entziehen und dadurch den Gegner zu schwächen.419 Die Regeln einer humanen Kriegführung erachtete er als „Grundpfeiler des Völkerrechts.“420 Zum Problem der Freischärler äußerte er sich vor dem Krieg nur lapidar. Der Franktireur, betonte er, sei kein legaler Kämpfer, sondern ein Mörder und hatte Kohler zufolge daher „die Verurteilung als Mörder“ zu gewärtigen.421 Die harte Reaktion Kohlers und später des Reichsgerichts auf den Franktireurkrieg fand seine Wurzeln in der Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg 1870/71 und letztlich in der herrschenden politischen Kultur des Kaiserreiches.422

417 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 102. 418 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 103. 419 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 101; Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602 f. 420 Siehe auch Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602 f.; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 285–288. 421 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 100 f. 422 Dazu im Allgemeinen John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004, S. 211 ff.

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5. Plädoyer für die Bejahung des Gedankens der Völkerrechtssubjektivität Mit der Herrschaft des Positivismus waren bestimmte Grundauffassungen des 19. Jahrhunderts eng verbunden: neben der vollen staatlichen Souveränität auch die ausschließliche Anerkennung der Staaten als Subjekte des Völkerrechts. Die Individuen und alle nichtstaatlichen Organisationen wurden völkerrechtlich mediatisiert, d.h. man gestand ihnen keine unmittelbaren völkerrechtlichen Rechte und Pflichten zu.423 Kohler war neben Hans Wehberg und Franz von Liszt einer der ersten, der die Reservierung der Völkerrechtssubjektivität ausschließlich für die souveränen Staaten kritisch hinterfragte, da er die überkommene Objekttheorie für den Bedürfnissen und Wertungen der Zeit nicht mehr angemessen hielt.424 Er wollte die Rechtsposition von Individuen stärken, so dass diese auch in den Bereichen, für die der eigene Staat keine Sicherheit mehr versprach, nicht völlig rechtlos waren. Als Vorbild diente Kohler die zwölfte Konvention von 1907, die in Artikel 4 auch neutralen Privatpersonen und in gewissen Fällen sogar Angehörigen der feindlichen Macht das Recht des Rekurses zum Prisenhof zugestand. Der Eigentümer sollte einen Anspruch auf Rückgabe des ihm widerrechtlich anerkannten Eigentums und auf Schadensersatz geltend machen können, welcher sich gegen den Nehmestaat richten sollte und unmittelbar auf Völkerrecht beruhte. Waren durch die gesetzgeberische Kraft eines Staatsvertrages Privatrechte entstanden, so sollten diese nach Ansicht Kohlers selbst bei Kündigung des Staatsvertrages bestehen bleiben, soweit sie nicht durch ein Gesetz mit rückwirkender Wirkung aufgehoben würden.425 Kohlers Rückgriff auf das Naturrecht war hierbei insofern von Bedeutung, als dieses die Möglichkeit rechtsschöpferischen und normsetzenden Wirkens jenseits der positivistischen Rechtsquellen des Staatswillens eröffnete. Kohlers Gedanken fielen zunächst nicht auf fruchtbaren Boden.426 Erst das moderne Völkerrecht öffnete sich dieser Idee.427 Kohler war seiner Zeit auch insoweit weit voraus. 423 Siehe etwa Eduard Hubrich, Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft, in: Die Grenzboten 72 (1913), S. 541 m. w. N. 424 Josef Kohler, Die Stellung des Haager Schiedshofes in: ZVölkR 7 (1913), S. 120 f.; Der Friedenstempel, in: ZVölkR 7 (1913), S. 238; Völkerrecht als Privatrechtstitel, in: ZVölkR 2 (1908), S. 230; Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Berlin 1914, S. 256. 425 ZVölkR 1 (1907), S. 269; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 202 f. 426 Siehe etwa Paul Heilborn, Grundbegriffe und Geschichte des Völkerrechts, Berlin 1912, S. 93. 427 Vgl. Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, Berlin 1984, § 424.

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6. Die Möglichkeiten internationaler Streitschlichtung a) Haltung zur Frage der Schiedsgerichtsbarkeit Die Errichtung des Haager Schiedsgerichtshofs hielt er für von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts.428 Das Schiedswesen erachtete er als wichtiges Hilfsmittel des zu errichtenden völkerrechtlichen Systems, war es doch die einzige internationale Instanz, die mit ihren Entscheiden aktiv die zwischenstaatlichen Beziehungen zu regulieren vermochte.429 Er verband damit die Hoffnung, dass die „anarchische Gewaltentscheidung des Krieges“ auf diese Weise einer Entscheidung „durch die rechtliche Vernunft“ Platz machen würde.430 Sah Kohler in der Einrichtung des Haager Schiedshofes auch einen bedeutenden Fortschritt, so war seiner Ansicht nach aber doch anzustreben, diesen nur aus einer Rednerliste bestehenden Schiedshof durch einen wirklich ständigen Schiedshof zu ersetzen. Der Haager Schiedshof genügte pazifistischen Ansprüchen nicht, da er kein wirklich ständig präsentes Gericht war, sondern nur fallweise zusammentrat.431 Das Souveränitätsdenken ließ nur die freiwillige Inanspruchnahme des Schiedshofes nach vorheriger Übereinkunft der Streitparteien, diesen Weg zu beschreiten, und nach ihrer Einigung über die von den Parteien ad hoc zu bestellenden Schiedsrichter zu. Für Kohler war selbstverständlich, dass es sich in einem internationalen Gerichtsverfahren um ein äußerst juristisches Verfahren handeln musste. So sprach er sich gegen nationale Richter aus. Staatsangehörige der streitenden Parteien, führte er aus, sollten nicht entscheidungsbefugt sein, da in eigener Sache niemand Richter sein dürfe.432 Doch war ihm bewusst, dass der Wirksamkeit des Schiedswesens Grenzen gesetzt waren, Grenzen, die sich zum einen aus der nationalen Souveränität ergaben, zum andern aus dem Umstand, dass internationalen Zwisten, bei denen es um Lebensinteressen oder die Ehre eines Staates ging und die daher stärker von Leidenschaften getragen waren, ein durch Rechtsvorschriften nicht fassbares Element inne428

Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 290. Undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die moderne Friedensbewegung, S. 7–12. 430 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 103 f.; ZVölkR 1 (1907), S. 497; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 284; Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Berlin 1914, S. 257 f.; Die FriedensWarte 15 (1913), S. 290. 431 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 103 f.; ZVölkR 1 (1907), S. 497; Lehrbuch der Rechtsphilosophie 1. Auflage, Berlin 1909, S. 207 f. 432 Josef Kohler, Der Friedenstempel, in: ZVölkR 7 (1913), S. 238. 429

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wohnte.433 Man unterschied bei der Behandlung zwischenstaatlicher Streitfälle daher zwischen juristischen Fragen, etwa der Auslegung von Staatsverträgen, und politischen Konflikten, in denen es um die sogenannten Lebensund Ehrenfragen der Nation ging. Den Ständigen Schiedshof wertete Kohler ähnlich wie Schücking und Wehberg als ein angedeutetes Organ der Staatengemeinschaft.434 Der Haager Schiedshof, sein Büro und der die Tätigkeit dieser Institutionen überwachende Verwaltungsapparat waren für Kohler Organe der völkerrechtlichen Staatengemeinschaft. Der Schiedshof in seiner Gesamtheit stellte für ihn nicht nur ein freies Schiedsgericht dar, sondern sprach vielmehr im Namen der Signatarmächte Recht. Ebenso wie Schücking wollte er den „Haager Staatenverband“ auch nicht als Schiedsgerichtsunion, also als Zweckverband, aufgefasst wissen, der etwa mit dem Weltpostverein zu vergleichen gewesen wäre. Rechtsprechung zur Kriegsverhütung war für ihn eine politische Aufgabe. Das Haager Werk hielt er insofern nicht nur für rechtsgestaltend, sondern auch für ein eminent politisches Werk.435 Schückings These von der organisatorischen Bedeutung der Haager Konferenzen wurde von seinen deutschen Zeitgenossen im Übrigen nur in geringem Umfang geteilt.436 Von der Zweiten Haager Friedenskonferenz, die Russland 1907 auf Anregung Amerikas einberief, erhoffte Kohler insbesondere, dass die Staaten verpflichtet würden, ihre auf dem Wege direkter Verhandlungen oder durch Vermittlung nicht zu bereinigenden Konflikte vor den Haager Schiedshof zu bringen. Er strebte die Durchsetzung des Obligatoriums in Form eines allgemeinen Weltschiedsgerichtsvertrags an, nachdem sich gezeigt hatte, dass ein ständig in Den Haag anwesendes Gericht statt der bisherigen Schiedsrichterliste zunächst nicht zu verwirklichen war.437 Doch wurde die Obliga433 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie 1. Auflage, Berlin 1909, S. 207 f.; Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, 1907, S. 104; ZVölkR 1 (1907), S. 497. 434 Josef Kohler, Die Stellung des Haager Schiedshofes in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 113; Hans Wehberg, In wessen Namen wird im Haager Friedenspalast Recht gesprochen, in: Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 286–288. 435 Die Friedens-Warte 15 (1913), S. 296. 436 Die Briten Lawrence und Hall sowie die Amerikaner Scott und Hull hingegen teilten Schückings Auffassung, vgl. Walther Schücking, Der Ausbau des Haager Werkes (1916), S. 75. 437 Vgl. Peter Schneider, Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907, in: Wörterbuch des Völkerrechts, hrsg. von Hans-Jürgen Schlochauer, erster Band, Berlin 1960, S. 743; Philipp Zorn, Die Haltung der deutschen Regierung auf den beiden Haager Friedenskonferenzen, in: Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstags 1919–1930, hrsg. von Georg Gradnauer und Rudolf Breitscheid, fünfter Band, zwei-

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tion zur Inanspruchnahme der Schiedseinrichtungen in internationalen Streitfällen, die nicht mit anderen friedlichen Methoden gelöst werden konnten, selbst in abgeschwächter Form unter Ausklammerung der Bereiche von nationaler Ehre und Lebensinteressen und selbst nach Vorlage einer Liste von Materien, auf die das Prinzip des Obligatoriums beschränkt werden sollte, abgelehnt. Eine beträchtliche Anzahl von Staaten unter deutscher Führung konnte sich nicht zu einer für alle Zukunft bindenden Annahme dieses Prinzips verständigen, was Kohler sehr enttäuschte.438 Insbesondere wandte sich Kohler gegen die Ausführungen des deutschen Botschafters in Konstantinopel und ersten Delegierten des Deutschen Reiches auf der Haager Friedenskonferenz von 1907, von Marschall, der sich gegen die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit ausgesprochen und den Weltschiedsgerichtsvertrag rundweg abgelehnt hatte. Als Gründe dafür hatte von Marschall angeführt, dass die internationale Schiedsrechtsprechung in Konflikt mit der nationalen Rechtsprechung geraten könne, verfassungsrechtliche Schwierigkeiten die Durchführung eines Schiedsspruchs verhindern könnten und bei der Auslegung von Weltverträgen durch einander widersprechende Entscheidungen eine bedenkliche Rechtsunsicherheit entstehe.439 Kohler hielt die Argumente, die von Marschall vorgebracht hatte, für „so wenig stichhaltig“, dass er ihnen langfristig keinen Erfolg beschied.440 Auch nach 1907 vertrat Kohler nachdrücklich die Forderung, es müsse ein wirklich ständiger Schiedsgerichtshof geschaffen werden, der durch einen Weltschiedsvertrag für alle Rechtsstreitigkeiten der Staaten obligatorisch zuständig sein sollte.441 Einer der häufigsten Einwände gegen das Obligatorium war in Deutschland das Argument, dass es einen „Widerspruch zur, ja eine Vernichtung der Souveränität des Staates“ darstelle. Kohler zufolge musste man den Eingriff in das Alleinbestimmungsrecht des einzelnen Staates jedoch gestatten, da das Bestreben, eine solche friedliche Erledigung zu erzielen, immer dringender und naheliegender werde.442 Wer ter Halbband, Berlin 1929, S. 142. Schiedsgerichtsbarkeit und internationale Gerichtsbarkeit unterscheiden sich dadurch, dass bei der Gerichtsbarkeit die Rechtsprechung durch Richter ständiger Gerichtshöfe geschieht, während bei der Schiedsgerichtsbarkeit eine Entscheidung durch die von den Parteien ad hoc bestellten Schiedsrichter gefällt wird. 438 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3., verbesserte und stark vermehrte Auflage, Leipzig 1908, S. 271, 283; Rezension zu Fried: Die zweite Haager Konferenz, ihre Arbeiten, ihre Ergebnisse und ihre Bedeutung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 207. 439 Actes et documents de la Deuxième Conférence Internationale de la Paix, zweiter Band, Den Haag/Paris 1907, S. 49 ff. 440 Josef Kohler, Rezension zu Fried: Die zweite Haager Konferenz, ihre Arbeiten, ihre Ergebnisse und ihre Bedeutung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 207. 441 Josef Kohler, Der Friedenstempel, in: ZVölkR 7 (1913), S. 238.

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die Beschränkung der Staatensouveränität insoweit nicht anerkenne, so Kohler, habe noch nicht erkannt, „wie hoch die Gesetzmässigkeit über der Willkür“ stehe.443 Er hoffte, dass auf der Dritten Haager Konferenz Deutschland im Gegensatz zu seinem Verhalten auf der Zweiten Konferenz „an der Spitze derjenigen Staaten“ stehen würde, welche „alle Mittel“ anwenden, um den Krieg zu hinterhalten und zu verhindern.444 Was die Idee der Schiedsgerichtsbarkeit anbelangte, konnte Kohler auf alte Traditionen zurückgreifen. Jene war schon dem Altertum bekannt und zum klassischen Beispiel im Amphuktionenbund geworden, der im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. die griechischen Staaten in einer, wenn auch nur losen, Föderation mit schiedsrichterlichen Organen zusammengeschlossen hatte. In der Folgezeit beschäftigte sich vornehmlich der französische Jurist Pierre Dubois, ein Anhänger des Scholastikers Thomas von Aquin, mit dem Gedanken internationaler Schiedsgerichtsbarkeit.445 Die Schrift Dubois’ stellt das älteste und seiner Zeit weit vorauseilende Dokument eines auf philosophische Begriffe gegründeten Organisationsplanes einer Staatengemeinschaft dar, mit ganz modern anmutenden Vorschlägen für einen ständigen europäischen Schiedshof, wie sie sechshundert Jahre später durch die Haager Konferenzen wieder auflebten. Mit dem Friedenskongress, zu dem Simon Bolivar die lateinamerikanischen Republiken im Juni 1826 zusammenrief, begann die eigentliche Ära der Schiedsgerichtsbarkeit. Diese Konferenz führte zum Abschluss von zwei- und mehrseitigen Schiedsverträgen zwischen südamerikanischen Staaten. Auf dem ersten privaten internationalen Friedenskongress in Europa, der 1843 in London stattfand, wurde die Einführung einer Schiedsklausel in jeden völkerrechtlichen Vertrag gefordert, auf dem zweiten Kongress in Brüssel 1844 die Errichtung eines Staatengerichtshofes, auf dem dritten Kongress, der 1848 unter dem Vorsitz von Victor Hugo in Paris stattfand, die Schaffung eines Völkerparlaments.446

442

Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 207. 443 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 134. 444 Josef Kohler, Rezension zu Fried: Die zweite Haager Konferenz, ihre Arbeiten, ihre Ergebnisse und ihre Bedeutung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 207. 445 Vgl. Pierre Dubois, De recuperatione terrae sanctae (Paris 1305), New York 1956. 446 Hans-Jürgen Schlochauer, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, begründet von Karl Strupp, in völlig neu bearbeitetete 2. Auflage, hrsg. von Hans-Jürgen Schlochauer, Berlin 1962, S. 179 ff.

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b) Das Institut der Vermittlung Ebenso wie Adolf Trendelenburg, Luwig von Bar und Otfried Nippold erkannte Kohler schon früh die Bedeutung der Vermittlung.447 Er hoffte dabei auf eine Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen, die die Grundlagen schaffen würde für den juristischen Ausgleich auch solcher Konflikte, die Ehre und Lebensinteressen eines Staates betrafen.448 Seiner Ansicht nach sollte die Völkerrechtswissenschaft darauf hinwirken, dass völkerrechtliche Instrumente zur Errichtung und Aufrechterhaltung des Friedens wie die Möglichkeit der guten Dienste, der Vermittlung durch befreundete Nationen, regelmäßiger Vereinbarungen449 oder von Grenzbestandsgarantien450 einen immer festeren Bestand annähmen. Auch dabei, so betonte er, müsse man den Eingriff in das Alleinbestimmungsrecht des einzelnen Staates gestatten.451 Wie später auch Schücking und Wehberg war er der Ansicht, dass die Schiedsgerichtsbarkeit im Laufe der Zeit mit dem Erstarken der internationalen Organisation eine solche Bedeutung einnehmen werde, dass ihr regelmäßig auch Ehren- und Lebensinteressenfragen überwiesen werden könnten.452 Kohler konnte sich dabei auf die Schriften Adolf Trendelenburgs und Ludwig von Bars stützen. Trendelenburg hatte bereits 1870, von Bar schon anlässlich der Haager Konferenz 1899, auf die Erforderlichkeit einer besonderen Institution zur Schlichtung von Interessenkonflikten hingewiesen.453 Eine stärkere Institutionalisierung der Vermittlung wurde aber auch in den Reihen der Pazifisten und Interparlamentarier angeregt. So forderte man in einer Resolution des 14. Weltfrie447

Otfried Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten, Leipzig 1907, S. 411 ff., 429 ff. 448 Rezension zu Ferdinand Kattenbusch, Das sittliche Recht des Krieges, in: ZVölkR 1 (1907), S. 497. 449 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 257. 450 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 104. 451 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 207. 452 Josef Kohler, Der Friedenstempel, in: ZVölkR 7 (1913), S. 238; Die FriedensWarte 15 (1913), S. 297; Siehe auch Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München/Leipzig 1912, S. 149–271; ders., Die organisatorische Bedeutung der Haager Konferenzen, in: Das Buch des Friedens, hrsg. von Georg von Gizycki, Berlin o. J. [1918], S. 326–333; Hans Wehberg, Neue Weltprobleme, München/Leipzig 1919, S. 205. 453 Adolf Trendelenburg, Lücken im Völkerrecht, Leipzig 1870, S. 32 f.; Walther Schücking, Das völkerrechtliche Institut der Vermittlung (1923), S. 60 ff.; Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2. Band, 2. Stück (1867–1889), Den Haag 1940, S. 128.

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denskongesses in Luzern 1905 die Errichtung einer besonderen Instanz der Vermittlung für Staatenkonflikte.454 Für den konservativen Staatsrechtler Philipp Zorn hingegen, wie bereits erwähnt, Berater der Deutschen Delegation in Den Haag, war die Ehrenklausel, ob ausgesprochen oder nicht, immer immanenter Bestandteil der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Über die Frage, ob ein Streitfall Ehre oder Lebensinteressen eines Staates berühre, sollte Zorn zufolge nur der betreffende Staat selbst entscheiden können.455 Die Hoffnung, zwischenstaatliche Krisensituationen durch eine autoritative Entscheidung entschärfen zu können, verband Kohler immer auch mit der realistischen Einsicht in die Schwierigkeiten, die solchen Plänen angesichts des Bestrebens der Staaten, ihre Souveränität nicht aufgeben zu müssen und der daraus resultierenden Weigerung, sich einer autoritativen Streiterledigung zu unterwerfen, entgegenstanden. War sich Kohler der gewichtigen Strukturunterschiede zwischen binnen- und zwischenstaatlichem Bereich so auch stets bewusst, so verlor er doch nicht die durch die Haager Konferenzen angeregte Hoffnung, man könne die friedenssichernden Prinzipien der Rechtsordnung und richterlichen Streiterledigung aus dem innerstaatlichen Bereich auf die internationale Ebene übertragen. 7. Friedenspädagogik Eine völkerübergreifende Erziehung zum Frieden erachtete Kohler als unabdingbar. Er erkannte sehr früh, dass das Völkerrecht seine Grundlage nicht allein im Staatswillen, sondern auch in der Rechtsüberzeugung der Menschen innerhalb der Völkergemeinschaft findet, das Fundament friedenserhaltender Maßnahmen nicht zuletzt auch in den gemeinsamen sittlichen Werten der Völker beruht. Dabei war er aber der festen Überzeugung, dass eine Befriedung des menschlichen Zusammenlebens durch Sittlichkeit und Vernunft möglich und notwendig sei. Er forderte daher, man müsse sich darum bemühen, die Völker einander anzunähern und in ständiger Aussprache die in den völkerrechtlichen Instinkten enthaltenen Gegensätze auszugleichen. Solche Gegensätze, betonte er, seien niemals bloß intellektueller Art, sondern gingen aus der Stimmung der Gemüter hervor. Wenn die Friedensbestrebungen auch keinen anderen Erfolg hätten, als dass sie suggestiv auf die Völker wirkten und die völkerrechtlichen Verstimmungen möglichst ausglichen, war seiner Ansicht nach schon sehr viel gewonnen. 454 Bulletin officiel du XIVe Congrès universel de la Paix, publié par les sois du Bureau international de la Paix à Berne 1905, S. 78, 102 f., 113 f., 124. 455 Philipp Zorn, Das Deutsche Reich und die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Berlin/Leipzig 1911, S. 22 f.

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Einen Hauptvorteil der Friedensvereine und -gesellschaften sah Kohler darin, dass diese überall bei eintretenden Differenzen begütigend eingreifen und versöhnend wirken könnten. Wie früher den Familien, erklärte er, so wohne den Völkern noch eine Leidenschaftlichkeit inne, ein Paroxysmus, so dass ein „Preßerzeugnis oder eine Regierungserklärung“ hinreichten, um die Leidenschaften zur Siedehitze zu bringen.456 Hier war es seiner Auffassung nach eine der Hauptaufgaben der Friedensbewegung, die Menschheit zu einer ruhigeren Auffassung der Dinge zu erziehen.457 Diese Auffassung Kohlers korrelierte mit den Ansichten der organisierten Friedensbewegung, die sich den Erfolg ihrer Bestrebungen von einer Aufklärung der Massen versprach und ihr besonderes Augenmerk daher auf eine Erziehung zur Friedensgesinnung richtete.458 8. Kohlers Forderung der Garantie einer Freiheit der Meere Kohler ging davon aus, dass das Meer als res nullius (in niemandes Eigentum) zu betrachten sei und darum als res omnium allen gleichermaßen gehöre. Irgendeine Vormacht oder auch nur eine Vorzugsstellung war damit seiner Ansicht nach nicht zu vereinbaren.459 Damit rekurrierte Kohler auf die Zweite Haager Konferenz, auf der man die Errichtung eines internationalen Prisenhofes beschlossen hatte, der Rechtsverletzungen zur See beurteilen sollte. Der Prisenhof war als Rekursinstanz über den ein- oder zweistufigen nationalen Prisengerichten gedacht. Er sollte von den beteiligten Privatpersonen und von neutralen Staaten angerufen werden können, um über die Rechtmäßigkeit der Wegnahme feindlichen oder neutralen Eigentums zu befinden.460 Anlass dazu hatte die willkürliche Beschlagnahmepraxis Russlands im ostasiatischen Krieg gegeben.461 Kohler erhoffte sich 456 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 257 f. 457 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 131; Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 257 f.; Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 230. 458 Vgl. Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung. Erster Teil: Grundlagen, Inhalt und Ziele der Friedensbewegung, 2. Auflage, Leipzig 1911, S. 52 f. 459 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 193; 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 272. 460 XII. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907, abgedruckt in: Deuxième Conférence Internationale de la Paix I, S. 668–678; Das Staatsarchiv, Bd. 75, Leipzig 1908, Dok. Nr. 13831. 461 Jost Dülffer, Regeln gegen den Krieg? Die Haager Konferenzen von 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Berlin/Frankfurt a. M. u. a. 1981, S. 304 f.

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durch den Prisenhof eine sachliche Annäherung zwischen Deutschland und England.462 Das Abkommen, das als der bedeutendste Haager Beschluss galt, wurde nicht ratifiziert.463 Kohler bedauerte sehr, dass das Seekriegsrecht keine ausführliche Regelung erhalten hatte.464 Zugleich wies er jedoch auf die erhebliche rechtspolitische Bedeutung des Entwurfs hin, der zum Vorläufer moderner internationaler Gerichte wurde.465 9. Universales Recht und Primat des Völkerrechts Recht wertete Kohler als universale Größe, die den Anspruch auf universale Geltung erheben durfte. Daraus ergab sich die Frage, in welchem Verhältnis die Normen des Völkerrechts und des Staatsrechts zueinander standen. Kohler begriff alles Recht als einheitliches Normsystem. Er sah daher auch im Völkerrecht und im Landesrecht eine einheitliche Rechtsordnung. Dabei ging er von einem Primat des Völkerrechts aus, womit er sich gegen das Dogma einzelstaatlicher Souveränität wandte. Für das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht wurden damals im Wesentlichen drei Konzeptionen diskutiert. Kohlers als pazifistisch diskreditierter Lehre vom Monismus mit Primat des Völkerrechts zufolge stellte das Völkerrecht eine übergeordnete Rechtsordnung dar. Teils verstand man das Völkerrecht auch als Teil des nationalen Rechts. Diesen Monismus mit Primat des Staatsrechts vertraten in erster Linie die sogenannten Völkerrechtsleugner, diejenigen, die das Völkerrecht im Staatswillen verankerten und das Völkerrecht damit letztlich als unverbindlich erachteten.466 Die vornehmlich von Heinrich Triepel und Dionisio Anzilotti vertretene Lehre vom Dualismus hingegen sah in Völkerrecht und Landesrecht zwei voneinander völlig unabhängige Rechtsordnungen.467 Kohlers Bejahung eines Primats des Völkerrechts stellte nicht nur die Hinzuziehung eines erheblichen Wertentscheidungsmoments dar, sondern 462 Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602. 463 Vgl. auch Jost Dülffer, Regeln gegen den Krieg? Die Haager Konferenzen von 1899 und 1907 in der internationalen Politik, Berlin/Frankfurt a. M. u. a. 1981, S. 304 f. 464 Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602. 465 Siehe Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 289. 466 So etwa Philipp Zorn, Die deutschen Staatsverträge, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 36 (1880), S. 10 f. 467 Heinrich Triepel,Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899, S. 156; Dionisio Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Berlin/Leipzig 1929, S. 39.

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war auch sehr zukunftsweisend. Es war außer der Wiener Schule468 insbesondere die Naturrechtslehre, die wie Kohler für den Monismus mit Primat des Völkerrechts eintrat.469 Kohlers Ansicht nach konnte das Völkerrecht bei regelrechter Kodifikation zu einem begrenzenden Faktor des internationalen Machtkampfes werden. Dazu gehörte nach seiner Auffassung aber, dass sich das überstaatliche Recht in einer solchen Weise entwickelte, „daß die Souveränität der Staaten dem Machtgebot des höheren Rechts“ unbedingt folge und dass dafür Organe vorhanden waren, die das höhere Recht sprachen und auch dazu in der Lage waren, es durchzuführen.470 Kohler zufolge mussten ethische Maßstäbe dem politischen Handeln der Staaten Grenzen setzen und die Nationen, die bisher überwiegend lediglich Objekte der Politik gewesen waren, endlich selbst agieren. Sein Aufruf ist zu verstehen als Bemühen, den alten Widerspruch zwischen dem „Gesetz der Geschichte“ und dem menschlichen Handeln aufzulösen: „So ist das heutige Völkerrecht noch eine Halbheit; es ist aber dasjenige Gebiet, welches wir am schaffensfreudigsten weiterbilden müssen; denn die Zukunft kann nicht entstehen, wenn sie nicht durch die Kraft der Gegenwart vorbereitet wird.“471 Ein allgemeiner Weltfriede konnte Kohler zufolge nur durch ständige Entwicklung des überstaatlichen Rechts entstehen.472 Wer ernten wollte, der musste seiner Ansicht nach „auch säen.“473 Seine Bezeichnung des Völkerrechts als „Halbheit“ implizierte die Entwicklung zu einem höheren Organisationsgrad der Staatengemeinschaft. Die Bedeutung der Konzeption Kohlers liegt in erster Linie darin, dass sie Hindernisse für einen weiteren Ausbau der Völkerrechtsordnung wie insbesondere das Dogma der absoluten Staatensouveränität überwand. Die politische Realisierung weltstaatsähnlicher Organisationsstrukturen war dabei keine notwendige Voraussetzung eines universalen Rechts, wie er es verstand. Vielmehr ging es ihm darum, die Grenze zwischen Völkerrecht und nationaler Rechtsordnung zu durchbrechen, um eine erkenntnismäßige Einheit allen Rechts aufzuzeigen. Kohlers Vorstellung eines universalen 468 So etwa Alfred Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, Wien/Berlin 1926, S. 16 f., 33 f.; Josef L. Kunz, The „Vienna School“ and International Law, in: New York University Law Quarterly Review 11 (1933/34), S. 398, 400. 469 So etwa auch Hermann Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, Berlin 1929, S. 323 ff.; Georges Scelle, Règles Générales du Droit de la Paix, in: Académie de droit international, Recueil des Cours 46 (1933 IV), S. 352. 470 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 211. 471 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 212. 472 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3., verbesserte und stark vermehrte Auflage, Leipzig 1908, S. 293 f. 473 Undatiertes Manuskript der Vorkriegszeit im Nachlass, Kasten 4: Die moderne Friedensbewegung, S. 2.

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Rechts verlangte also keine organisatorische Einheit des Rechts im Sinne eines politisch verwirklichten Weltstaats, sondern basierte auf der „erkenntnismäßigen Einheit“ allen Rechts. Das universale Recht umfasste Kohler zufolge alle Rechtsnormen als Teil eines einheitlichen Rechtssystems. Die Konzeptionen, aufbauend auf dem souveränen Staatswillen zu einem zwar verbindlichen, aber nicht überstaatlichen Völkerrecht zu gelangen, beantwortete Kohler mit einem Völkerrechtsverständnis, welches das Völkerrecht nicht nur in das einheitliche Rechtsverständnis integrierte, sondern es dem staatlichen Recht überordnete. In der Völkerrechtslehre Kohlers blieb der Staat zwar nicht das einzige, aber das bedeutendste Völkerrechtssubjekt. Nach der Lehre vom Primat des Völkerrechts stellte er jedoch kein souveränes, vorrechtliches Gebilde dar, sondern eine in die Universalrechtsordnung integrierte Teilrechtsordnung.

10. Kohlers Vorstellungen von einer internationalen Organisation a) Die Form einer internationalen Organisation Die Vollendung menschlicher Vergesellschaftung sah Kohler nicht im Nationalstaat, sondern in einer organisierten Staatengesellschaft, welche naturgemäß eine einschneidende Beschränkung der Staatensouveränität bedeutete. War er auch der Auffassung, dass es sich bei Umwälzungen wie der Abschaffung des Krieges um eine organische Entwicklung der Menschheit handle, so glaubte er auch, dass diese allmähliche Entwicklung durch Staatenorganisationen gefördert werden könne. So hielt er eine republikanische Organisation der Welt für denkbar. Dabei sollte es keine Vorherrschaft eines einzelnen Staates geben. Die Staaten sollten erhalten bleiben und gleichberechtigt nebeneinander existieren. Welche Intensität der internationalen Organisation stellte sich Kohler dabei vor? Einen detaillierten Entwurf einer Staatenorganisation hat er nicht ausgearbeitet. Er teilte die Auffassung Schückings, dass unter dem Oberbegriff der internationalen Organisation im Sinne einer republikanischen Organisation unterschiedlich intensive Stadien der Verknüpfung der Einzelstaaten zu verstehen seien. Auch das Bestehen der sogenannten „Verwaltungsunionen“, also z. B. des Weltpostvereins oder der internationalen Telegraphenunion, stellten danach Erscheinungsformen internationaler Organisation im weiteren Sinne dar. Ein wichtiges Mittel, den Ausbruch von Kriegen zu verhindern, sah Kohler ebenso wie Fried in einer Staatenverbindung unterhalb der politischen Ebene, einem bloßen Zweckverband zur Pflege gemeinsamer Kulturinteressen. Je inniger diese Verbindung sei, eine umso größere Störung werde der Krieg herbeiführen, und umso weniger

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ließen sich die Staaten zu kriegerischen Angriffen hinreißen.474 Die Prestigebedürfnisse zwischen den Völkern sollten dabei durch einen kulturellen Kosmopolitismus überwunden werden, in dem nationale Lebensäußerungen als Varianten eines gleichrangigen Weltbürgertums bestehen bleiben sollten. Kohler zufolge sollte es aber nicht bei der internationalen Regelung von Verwaltungsangelegenheiten bleiben. Gleiches galt für eine Verrechtlichung der Staatenwelt, die sich mit dem Abschluss von Schiedsgerichtsvereinbarungen begnügte, weil diese allein niemals die großen Menschheitsfragen lösen könnten, die bisher zum Ausbruch von Kriegen geführt hätten. Kohler strebte daher ebenso wie Walther Schücking eine umfassende juristische Genossenschaft an.475 Als moderne Völkergemeinschaften, die auch den nationalen Besonderheiten Rechnung trugen, hielt Kohler höchstens Staatenbünde oder Bundesstaaten für realisierbar, einen Weltstaat hingegen – anders als Schücking oder Wehberg – wegen des Umfangs der Erde nicht.476 Vor allem der Gedanke des Bundesstaats hatte es ihm dabei angetan,477 da dieser den Einzelstaaten ihre rechtliche Sonderexistenz in einem gewissen Rahmen beließ. Unter Bezugnahme auf Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ betonte Kohler, dass der Krieg bedeutend eingeschränkt werden könnte, wenn das Völkerrecht verschiedenfach in das Bundesstaatsrecht überginge, da es in einem Bundesstaat, solange dieser bestehe, keinen internen Krieg, sondern allenfalls eine Bundesexekution gebe.478 Die Gründung des amerikanischen Bundesstaates bezeichnete er als „eine der größten Taten der Weltgeschichte“,479 als ungeheures Beispiel der Kulturkraft dieser Idee. Die Kräfte der Einzelnen, so Kohler, würden dadurch vereinigt und gewännen dadurch eine vielfache Macht, und doch bliebe den einzelnen Gliedern Freiheit genug, um sich in ihrer örtlichen oder völkerschaftlichen Eigenart auszuleben.480 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war man sich sehr wohl bewusst, dass in der Vergangenheit die Gründung eines Staatenbundes 474 Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 103 f.; ähnlich auch Rezension Kohlers zu Ferdinand Kattenbusch, Das sittliche Recht des Krieges, in: ZVölkR 1 (1907), S. 497. 475 Josef Kohler, Manuskript: Die moderne Friedensbewegung, S. 12, Nachlass Kohler, Kasten 4. 476 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 208 f. 477 Josef Kohler, Staaten und Kriege, in: Berliner Tageblatt vom 14. Mai 1911. 478 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 130. 479 Ebenso in: Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 129 f. 480 Ausführlich dazu: Staatenverbindung und Staateneinigung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 430; s. a. Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 129 f.

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häufig die Entstehung eines Bundesstaates nach sich gezogen hatte. Entsprechende Entwicklungen in den USA und der Schweiz standen plastisch vor Augen. Vorstellen konnte sich Kohler langfristig aber auch einen Einheitsstaat. So hielt er es für möglich, den Bundesstaat dann in einen Einheitsstaat umzuformen, „sobald zwischen den einzelnen Gliedern eine solche Anpassung und eine solche Gleichartigkeit der Anschauungen und Kulturbestrebungen eingetreten sind, daß die Bedürfnisse der Sonderentwicklung mehr und mehr zum Schweigen gekommen“ seien.481 Für die Juristen seiner Zeit war es seines Erachtens eine der dringendsten Aufgaben, Bundesstaats- oder Provinzstaats-Verhältnissen die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, um Perspektiven für die Zukunft zu gewinnen. So würde es seiner Ansicht nach möglich, in ferneren Zeiten zu einer Vereinigung der Staaten zu gelangen und auf diese Weise das Ideal der Weltkultur und des Weltfriedens möglichst zu erreichen.482 Auch hier stand Kohler in Traditionen, die er zum Teil aufnahm, zum Teil umformte und mit Impulsen versehen, weitergab. Wie Schücking war er der Ansicht, dass die Staaten für die „Aufgabe ihrer Einzelsouveränität einen Anteil an der Souveränität des Ganzen“ gewinnen würden.483 Er war der Überzeugung, dass die Theorie von der absoluten Souveränität des Staates im Widerspruch stehe mit den Bedürfnissen des Weltverkehrs, dass jeder Vertrag einen Bruch der Souveränität beinhalte und dass die Staaten zugunsten der Organisation auf Teile ihrer Souveränität verzichten könnten und müssten. Der Bezug auf das Bundesstaatsrecht im Titel der Kohlerschen Zeitschrift sollte deutlich machen, dass die Zeitschrift nicht nur die „bloß vertragsmässigen Verhältnisse“ behandeln wolle. Vielmehr sollte die Zeitschrift ein Forum für die Entwicklung einer Staaten- oder Völkergemeinschaft sein, unter besonderer Berücksichtigung der Fragen, die sich auf die Bündnisse der Staaten beziehen.484 Hinsichtlich des genauen Organisationstypus legte sich Kohler dabei nicht fest. Der Begriff der Organisation, d.h. einer stärkeren Integration der Staatenwelt, blieb in der gesamten Friedensbewegung und der Völkerrechtswissenschaft sehr verschwommen.485 Er wurde zwar von vielen zeitgenössischen Autoren verwendet, um 481

ZVölkR 1 (1907), S. 2. Josef Kohler, Staatenverbindung und Staateneinigung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 431. 483 Siehe auch Walther Schücking, Die Organisation der Welt, Leipzig 1909, S. 612. 484 ZVölkR 1 (1907), S. 1. 485 Siehe auch Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis – 1913/14–1919, Frankfurt a. M./Bern, Cirenster/U.K. 1980, S. 153 f., Anm. 377. 482

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die jüngsten Entwicklungen des Völkerrechts zu beschreiben. Meistens war damit aber nur allgemein die zunehmende Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen im Rahmen des Haager Werkes gemeint. Der Begriff der internationalen Organisation implizierte nicht zwangsläufig das Zusteuern auf die Gründung eines universellen, politischen Staatenverbandes. Die Vorstellungen über die Form der zu begründenden Organisation gingen daher weit auseinander. Die Skala der vorgelegten Projekte reichte vom losen Interessenverband bis zum stark zentralisierten Bundesstaat. Mit jedem bekannten Organisationstypus wie Einheitsstaat, Bundesstaat usw. stellte man sich einen bestimmten Grad von Bindung der Mitglieder vor. Welcher Grad der Bindung bzw. der Unterwerfung unter die Zentralgewalt angestrebt werden sollte, lässt sich angesichts der Unbestimmtheit des Begriffes Organisation nur willkürlich entscheiden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lag das Schwergewicht der Völkerrechtswissenschaft auf der isolierten Betrachtung einzelner Rechtsinstitute, vor allem der Schiedsgerichtsbarkeit, die überwiegend als maximal möglicher Fortschritt angesehen wurde.486 Charakteristisch ist die Auffassung Philipp Zorns, für den eine Verrechtlichung der Staatenbeziehungen, die über die Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit hinausging, die Gefahr barg, dass ein Weltbundesstaat errichtet würde, der nach seiner Auffassung die nationalen Eigenarten der einzelnen Völker zwangsläufig vernichten müsste.487 Zorn verstand die Organisation des internationalen Staatensystems lediglich im Sinne einer rechtlichen Ordnung und Bindung.488 Nippold verstand unter dem Begriff die Stärkung der völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaft und des Rechtsgedankens im Völkerrecht als solchem.489 Eine zweite Strömung betrachtete die Errichtung von Schiedsgerichten nicht als absolute Grenze im Prozess des internationalen Zusammenwachsens, forderte aber eine ausreichende Berücksichtigung des nationalen Elements. Bezeichnend ist insoweit Niemeyers Entwurf eines „nationalen Internationalismus“. Eine weitere Internationalisierung sollte demnach im steten Ausgleich mit den nationalen Interessen stattfinden. Sie müsse auf starke Einzelstaaten und regionale Staatenbünde wie die Vereinigten Staaten von Europa gegründet sein.490 Im Übrigen bedeutete internationale 486 Siehe etwa Emanuel von Ullmann, Die Haager Konferenz von 1899 und die Weiterbildung des Völkerrechts, in: JöR 1 (1907), S. 91; Walter Kulemann, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Einigungsämter, in: AöR 35 (1916), S. 243. 487 Philipp Zorn, Das Deutsche Reich und die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Berlin/Leipzig 1911, S. 47. 488 Philipp Zorn, Das völkerrechtliche Werk der beiden Haager Friedenskonferenzen, in: ZfP 2 (1909), S. 322, 327 f. 489 Otfried Nippold, Die zweite Haager Friedenskonferenz, in: ZIR 18 (1908), S. 294; Vorfragen des Völkerrechts, in: JöR 7 (1913), S. 44.

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Organisation für Niemeyer lediglich soviel wie internationale Verbindung, d.h. das Entstehen einer praktischen Rechtsgemeinschaft, die sich etwa durch Verwaltungsunionen wie den Weltpostverein äußerte.491 Mehrmann entwarf eine Skizze der internationalen Ordnung, in der es zu einer Renaissance des Europäischen Konzerts kommen sollte, wie es zuletzt Bismarck inszeniert hatte.492 Eine weitere Gruppe von Autoren stand einem weiteren Ausbau der internationalen Organisation offen gegenüber, hielt die Gründung eines Weltbundesstaates jedoch für utopisch.493 Lammasch hielt im Anschluss an Fried einen Zweckverband der Staaten, wie ihrer das 19. Jahrhundert zahlreiche hervorgebracht hatte, mit der Aufgabe der Friedensbewahrung für erstrebenswert,494 lehnte die Projekte eines Weltstaatenbundes oder eines Weltbundesstaates aber ab.495 Oppenheim war der Auffassung, dass die internationale Staatengemeinschaft eine wirklich organisierte Gemeinschaft geworden sei, sobald sie eine periodisch zusammentretende Staatenkonferenz nach dem Muster der Haager Konferenzen und eine Verfassung besitze.496 Ebenso sprach sich Neukamp für einen Ausbau der internationalen Organisation aus, die Neukamp zufolge die Bildung eines universellen Staatenbundes einschließen konnte.497 Grosch forderte in einem detaillierteren Entwurf sogar die Schaffung einer internationalen Exekutive.498 Schücking hingegen intendierte die Errichtung eines Weltstaatenbundes.499 Er stellte sich den Ausbau der bereits im Ansatz bestehenden internationalen Instanzen zu einer eigentlichen Weltregierung vor. Letzte Stufe der Entwicklung war für ihn ein Weltbundesstaat, der ihm als ein relativ zentralisierter Organisationstypus durchaus im Rahmen des Erreich490 Niemeyer, Theodor, Vom Wesen des internationalen Rechts, in: ZIR 20 (1910), S. 3 f.; Politische Extreme und das Völkerrecht, Stuttgart 1910, S. 4–6. 491 Theodor Niemeyer, Internationales Recht und nationales Interesse, Kiel 1907, S. 10, 13; Vom Wesen des internationalen Rechts, in: ZIR 20 (1910), S. 1 ff.; 9 ff. 492 Karl Mehrmann, Nationalismus und Imperialismus beim Bau der Staatengesellschaft, in: ZIR 23 (1913), S. 173 ff. 493 Otfried Nippold, Internationale Rechtseinheit, in: Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft 2 (1906/07), S. 75 ff.; Robert Piloty, Robert, Staaten als Mächte, in: ZVölkR 8 (1914), S. 361. 494 Heinrich Lammasch, Der Friedensverband der Staaten, Leipzig 1918, S. 14. 495 Heinrich Lammasch, Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfang, Band 2, Stuttgart 1914, S. 208. 496 Lassa Francis Lawrence Oppenheim, Die Zukunft des Völkerrechts, in: Festschrift für Binding, Leipzig 1911, S. 158. 497 Ernst Neukamp, Haager Friedenskonferenz und Europäischer Krieg, in: ZVölkR 8 (1914), S. 567 f. 498 Georg Grosch, Der Zwang im Völkerrecht, Breslau 1912, S. 95, 97. 499 Walther Schücking, Die Organisation der Welt, S. 79 ff.; Modernes Weltbürgertum, in: Die Zukunft 1907, S. 245; Kultur und Imperialismus (1910), S. 49 ff.

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baren zu liegen schien.500 Auch Hans Wehberg strebte die Schaffung eines Weltstaatenbundes an.501 Kohlers Überlegungen zum Ausbau der internationalen Organisation sollen im Folgenden in den historischen Kontext, insbesondere in den Zusammenhang der deutschen Völkerrechtswissenschaft, gestellt werden. Wie andere Pazifisten versuchte Kohler, seine Ideen in historische Traditionen einzuordnen.502 „Ideal wäre“, schrieb er 1909 in seinem Lehrbuch der Rechtsphilosophie, „eine Art Weltreich wie das christliche Weltreich im Mittelalter,503 wo sich alle in technischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht förderten.“ Bereits seit dem Spätmittelalter war eine Unzahl von Plänen ausgearbeitet worden, mit dem Ziel, die beengende Vielfalt der Staaten zu einer neuen Einheit zusammenzuschließen. Lange war das Erfordernis einer Einigung mit dem Kampf gegen die Ungläubigen begründet worden. Erst seit dem 18. Jahrhundert sah man darin ein Instrument zur Wahrung des europäischen Friedens, und um die Wende zum 20. Jahrhundert erstarkte der Gedanke, dass Europa, durch Verkehr und Wirtschaft bereits zu einer Einheit zusammengewachsen, auf der Basis des sich entwickelnden Völkerrechts auch den Weg zum politischen Zusammengehen finden müsse, sei es als Gegengewicht zu der in Umrissen auftauchenden panamerikanischen Union,504 sei es zur Friedenssicherung. Kohler rekurrierte auf Projekte aus der Zeit vor 1800.505 Die Kette dieser immer wieder beschworenen Projekte gipfelte schließlich in Kants Schrift Zum Ewigen Frieden von 1795. Anknüpfungspunkt für die Untersuchung der Verbindungslinien der völkerrechtspolitischen Arbeit Kohlers zu Kant ist in erster Linie der zweite Definitivartikel der Schrift Zum Ewigen Frieden, der lautet: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism unabhängiger Staaten gegründet sein.“506 Kohler stimmte mit Kant nicht nur in der Forderung nach Verrechtlichung der internationalen Beziehungen überein. Er folgte Kant auch in der Zuspitzung auf eine internationale Organisation, 500

Walther Schücking, Die Organisation der Welt, Leipzig 1909, S. 80 ff. Hans Wehberg, Der englisch-amerikanische Schiedsvertrag, in: ZVölkR 6 (1912), S. 219 f. 502 Man knüpfte an den Gedanken des antiken Weltstaates und die Pläne eines Pierre Dubois aus dem Mittelalter an, bezog sich aber ebenso auf die Projekte eines Abbé de St. Pierre, Christian Wolff oder Immanuel Kant in der Neuzeit. 503 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 206 f. 504 Vgl. Corbach, Panamerika, (Das freie Wort, 2. Dezemberheft 1910). 505 Zu den Plänen, die insbesondere eine europäische Einigung anvisierten, siehe Hans Wehberg, Ideen und Projekte betreffend die Vereinigten Staaten von Europa in den letzten 100 Jahren, in: Die Friedens-Warte 41 (1941), S. 49 ff. 506 Immanuel Kant, Akademie-Ausgabe, Band VIII, S. 354. 501

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die zumindest die Gestalt eines Staatenbundes annehmen sollte. Kohler erinnerte aber auch an weitere Ansätze zu einer internationalen Organisation, die es schon in der Vergangenheit gegeben hatte, etwa an die theoretischen Betrachtungen zur republikanischen Organisation der Staaten von Pierre Dubois,507 des Herzogs von Sully, des Abbé St. Pierre oder Christian Wolffs.508 Auf diese Weise konnte zwar gezeigt werden, dass der Gedanke der internationalen Organisation selbst – in mannigfachen Variationen und aus verschiedenen Motiven hervorgebracht – schon alt war. Den modernen Gehalt, den der Begriff der Staatenorganisation besaß, wiesen diese Pläne jedoch nicht auf.509 Sie beruhten zum Teil auf der Vorstellung von der Vorherrschaft eines Staates über die anderen, zum Teil hatten sie rein weltanschauliche und religiöse Hintergründe oder trugen philosophisch-weltbürgerliche wie echt utopische Züge. In der politischen Realität der Neuzeit stand ihrer Verwirklichung das sich seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts herauskristallisierende, durch das Gleichgewicht der Mächte gekennzeichnete europäische Staatensystem entgegen. In Deutschland waren nach Kants Schrift von 1795, weiteren, Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Völkerbundprojekten von Philosophen des Idealismus wie Fichte und Schelling510 und Karl Friedrich Christian Krauses (1781–1832) im Jahre 1814 veröffentlichtem Entwurf eines europäischen Staatenbundes zunächst keine weitergehenden Konzepte einer internationalen Organisation mehr entstanden.511 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchte in der deutschsprachigen Völkerrechtsliteratur ein weiterer detaillierter Entwurf eines Staatensystems auf, und zwar Bluntschlis Plan der Gründung eines europäischen Staatenbundes aus dem Jahre 1878.512 Bluntschli zufolge sollten unter möglichst weitgehender Achtung der Selbständigkeit und Freiheit der Einzelstaaten internationale Gesetzgebungsorgane geschaffen werden, ein „Bundesrat“ aus Staatenvertretern und ein „Repräsentantenhaus“ aus Volksvertretern.513 Der Staatenbund 507 Josef Kohler, Rezension zu Emil Heinrich Meyer, Die staats- und völkerrechtlichen Ideen von Peter Dubois, Marburg 1908, in: ZVölkR 4 (1910), S. 512. 508 Josef Kohler, Rezension zu Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipp des Schönen und Bonifaz’ VIII., Stuttgart 1903, in: ZVölkR 1 (1907), S. 108–110. 509 Siehe dazu auch Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/ Berlin 1960, S. 49. 510 Vgl. dazu Otto Dagobert Schoch, Der Völkerbundgedanke zur Zeit des deutschen Idealismus, Zürich 1960, S. 33 ff., 48 ff. 511 Vgl. Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2. Band, 2. Stück (1867–1889), Den Haag 1940, S. 265. 512 Johann Caspar Bluntschli, Die Organisation des europäischen Staatenvereins (1878), aus dem Jahre 1878, abgedruckt, in: Gesammelte kleine Schriften von J. C. Bluntschli, 2. Band: Aufsätze über Politik und Völkerrecht, Nördlingen 1881 sowie in: Die Friedens-Warte 40 (1940), S. 117–120.

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sollte nicht nur Existenzfragen, also Fragen der „großen europäischen Politik“ autoritativ entscheiden dürfen, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung seiner Entscheidungen haben.514 Bluntschli betonte stärker als Kohler die politische Entscheidung zwischenstaatlicher Streitigkeiten. Die rechtsförmige Lösung solcher Konflikte blieb bei Bluntschli demgegenüber sehr im Hintergrund. Zu erwähnen ist des Weiteren Eugen Schliefs Entwurf eines europäischen Staatensystems, bei dem der Schwerpunkt auf der Schaffung eines völkerrechtlichen Streitverfahrens lag.515 Damit man sein System nicht als einen Staatenbund oder gar als Bundesstaat missverstand, hob Schlief hervor, dass die Souveränität der Einzelstaaten durch die Schaffung dieser Staatenorganisation in keinerlei Hinsicht berührt werden solle.516 Zum historischen Kontext von Kohlers Organisationsvorstellungen gehören auch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Weltföderationspläne einiger nichtdeutscher Völkerrechtswissenschaftler. Die Völkerrechtswissenschaft erfuhr nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 einen Aufschwung, der sich u. a. auch in der Gründung internationaler Gelehrtenverbände wie dem Institut de droit international oder der International Law Association niederschlug.517 Gleichzeitig wurde die Idee eines umfassenden Staatenbundes international immer stärker von Interesse.518 Vor allem in den Jahren vor 1890 wurden von einzelnen Gelehrten verschiedener Nation detaillierte Pläne zu einer internationalen Organisation geschaffen. 1872 veröffentlichte der amerikanische Jurist David Dudley Field (1805–1894) seinen Entwurf eines Kodex des Völkerrechts. Sein Konzept einer Kodifikation des zwischenstaatlichen Rechts enthielt u. a. ein System internationaler Schiedsgerichtsbarkeit und eine Versammlung der Vertreter der Repräsentanten der Einzelstaaten. Wenn diese Einrichtungen in Fields Gesamtkonzeption auch eher nebenrangig waren, überstiegen sie, was das Ausmaß der Institutionalisierung anbelangte, doch eine reine Konsolidierung der Schiedsgerichtsbarkeit.519 1877 erhob der englische Völker513 Johann Caspar Bluntschli, Die Organisation des europäischen Staatenvereins (1878), S. 299, 303. 514 Johann Caspar Bluntschli, Die Organisation des europäischen Staatenvereins (1878), S. 305 f., 309 f. 515 Eugen Schlief, Friede in Europa, Leipzig 1892, S. 280 ff. 516 Eugen Schlief, Friede in Europa, Leipzig 1892, S. 277. 517 Vgl. Hans Wehberg, Ideen und Projekte betreffend die Vereinigten Staaten von Europa in den letzten 100 Jahren, in: Die Friedens-Warte 41 (1941), S. 77. 518 Siehe etwa Friedrich von Martens, Das internationale Recht der civilisierten Nationen. Erster Band, Berlin 1883, S. 239. 519 Vgl. David Dudley Field, Outlines of an International Code, New York/London 1872, Art. 527 ff. Zu Field auch Melanie J. Flessner, David Dudley Field, in:

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rechtslehrer James Lorimer (1818–1890) die Forderung nach der Errichtung eines international government, einer Regierungsgewalt, deren Zuständigkeit sich auf internationale Zwecke beschränken sollte. Das international government sollte eine zwei Kammern umfassende gesetzgebende Gewalt, eine rechtsprechende Gewalt sowie eine internationale Exekutive mit internationaler Armee besitzen.520 1881 erhob der russische Völkerrechtsprofessor Graf Leonid Kamarowsky (1846–1912) die Forderung nach einem unter der Kontrolle eines Kongresses von Repräsentanten der Regierung stehenden und mit militärischer Zwangsgewalt ausgerüsteten internationalen Gerichtshof.521 Der Italiener Pasquale Fiore (1837–1914) erstrebte langfristig die Entwicklung der Staatenwelt zu einer magna civitas mit eigenen Organen wie einem Staatenkongress, einer Konferenz der Großmächte und Adhoc-Schiedsgerichten.522 Ein gegenüber Fiores Plan noch wesentlich stärker institutionalisiertes Konzept eines ständigen Schiedsgerichts mit einer dazugehörigen internationalen Organisation präsentierte schließlich 1886 der italienisch-englische Völkerrechtsprofessor Leone Levi.523 Die Pazifisten setzten sich auf den Weltfriedenskongressen 1889 und 1892 mit dem Vorhaben der Gründung einer europäischen Staatenföderation auseinander.524 Auch in späteren Jahren, vor allem zwischen 1905 und 1907, befassten sie sich mit der Idee einer Rechtsunion aller Kulturstaaten.525 In Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 204. 520 James Lorimer, Le problème final du droit international, in: RDILC 9 (1877), S. 161 ff.; The Institutes of the Law of Nations, Edinburgh/London 1884, S. 181–299. 521 Vgl. Leonid Kamarowsky, De l’idée d’un tribunal international, in: RDILC 15 (1883), S. 44 ff. Siehe dazu auch Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2. Band, 2. Stück (1867–1889), Den Haag 1940, Bd. 2/2, S. 207–222; Hans Wehberg, Ideen und Projekte betreffend die Vereinigten Staaten von Europa in den letzten 100 Jahren, in: Die Friedens-Warte 41 (1941), S. 77 ff., 186 ff. 522 Pasquale Fiore, L’organisation juridique de la Société international, in: RDILC 31 (1899), S. 105 ff., 209 ff. Siehe dazu auch de Lima Simoes (1932), S. 77–84; Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2. Band, 2. Stück (1867–1889), Den Haag 1940, Bd. 2/2, S. 22 ff. 523 Vgl. den Abdruck des Plans, in: William Evans Darby, International Tribunals, 4. Auflage, London 1904, S. 216–223. Siehe auch Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 2. Band, 2. Stück (1867–1889), Den Haag 1940, Bd. 2/2, S. 174–179. 524 Siehe dazu Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil: Geschichte, Umfang und Organisation der Friedensbewegung, 2. gänzlich umgearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Leipzig 1911/1913, S. 96 f., 103. 525 Siehe dazu Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung. Zweiter Teil: Geschichte, Umfang und Organisation der Friedensbewegung, 2. gänzlich umgearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Leipzig 1911/1913, S. 186 f., 223 ff. Siehe

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den letzten Vorkriegsjahren wurde von im Übrigen unbekannten Verfassern pazifistischer Richtung eine Gruppe von Plänen vorgelegt, bei denen das Hauptgewicht auf der institutionellen Struktur des vereinigten Kontinents lag, auf seinen zentralen Instanzen, die zum guten Teil mit gemeinsamer legislativer und exekutiver Spitze, gemeinsamer Außenpolitik, gemeinsamem Heer, Zwangsgewalt zur Durchsetzung von Rechtsnormen, oberster gerichtlicher Instanz mit Anklängen an schiedsgerichtliche Formen sowie kultureller Autonomie der Glieder den Institutionen eines Bundesstaates nachgebildet waren.526 Die Anhänger der Friedensbewegung befassten sich mit der Thematik aber nicht wirklich konsequent. Auch gelang ihnen kein kollektiver Plan mit den technischen Einzelheiten der zu schaffenden Weltorganisation.527 In der Friedensbewegung blieb ebenso wie unter den Völkerrechtlern die isoliert betrachtete Frage der Schiedsgerichtsbarkeit im Vordergrund. Dasselbe gilt für das Programm der Deutschen Friedensgesellschaft, das die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Instrument der Befriedung der Welt explizit hervorhebt.528 Neben dem Einfluss Kants wird der geistige Einfluss Alfred Hermann Frieds, der der Organisation der Welt ausdrücklich Vorrang vor den Fragen der Schiedsgerichtsbarkeit und der allgemeinen Abrüstung einräumte,529 auf Kohler deutlich. Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, war Kohlers Idee der Gründung eines Bundesstaates in Europa auch in den Reihen der Völkerrechtswissenschaft sehr fortschrittlich. Er war sich bewusst, dass die Entwicklung zu einem Bundesstaat erst in weiter entfernter Zukunft erfolgen könne.530 Auf Initiative der Mitherausgeber wurde der Titel auch den Aufruf des 16. Weltfriedenskongresses, in: Die Friedens-Warte 9 (1907), S. 209, in dem Europa als reif für die Gründung einer Föderation erachtet wurde. 526 Z. B. anonym, „Von einem Menschenfreunde“, Das Friedenswerk, Hamburg o. J. [1913]. 527 Siehe aber die Ansätze einzelner Pazifisten: Jacob Novocow, Die Föderation Europas, Berlin/Bern 1901, dazu auch Hans Wehberg, in: Die Friedens-Warte 41 (1941), S. 95 ff. Außerdem Frederik Bajers Projekt einer „Union pour la Pacigérence“, das auf dem 11. Weltfriedenskongress in Monaco 1902 vorgestellt wurde, Bureau international de la Paix (Hrsg.) [1912], S. 15 ff. Des Weiteren die Gedankenskizzen des englischen Großkaufmanns Sir Max Wächter, in: Die Friedens-Warte 9 (1907), S. 201 ff. Wächter beschränkte sich auf die Nennung von Grobzielen und forderte dabei insbesondere eine gemeinsame Außenpolitik und eine Zollunion. 528 Vgl. das erste Programm der DFG von 1898, Ziffer III, abgedruckt bei Wolfgang Benz (Hrsg.), Pazifismus in Deutschland – Dokumente zur Friedensbewegung 1890–1939, Frankfurt a. M. 1988, S. 21 f. 529 Alfred Hermann Fried, Die moderne Friedensbewegung, Leipzig 1908, S. 1–10. 530 Kohler am 30. Juni 1913 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg; ähnlich auch Walther Schücking, Die Organisation der Welt, S. 81 f.; Der Staatenverband vom Haag (1912), S. 113.

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der Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1913 auf Zeitschrift für Völkerrecht gekürzt. „Die Entfernung des Bundesstaatsrechts“, erklärte Kohler gegenüber Wehberg, „tut mir am meisten leid, da gerade die Kombination für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht meine eigenste Idee ist.“ Allerdings, so räumte er ein, liege die Zeit der Vereinigten Staaten Europas wohl tatsächlich noch in weiter Ferne.531

b) Die Aufgaben einer Staatenorganisation Die Hauptaufgaben eines Staatenzusammenschlusses sah Kohler darin, den Krieg als ein barbarisches Mittel der Konfliktbereinigung überflüssig zu machen. Daneben sollte er auch der gemeinsamen Bewältigung weltweiter Aufgaben dienen, welche im Wesentlichen die Sektoren der Schaffung und Kodifikation des Völkerrechts, der Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen und der Kulturförderung umfassten. So hob Kohler immer wieder die Bedeutung internationaler Zusammenschlüsse für die gegenseitige Kulturförderung hervor. Dabei ging er von dem Gedanken aus, dass die geistigen Fähigkeiten eines jeden Volkes verflachten, wenn dieses nicht mit dem Leben der übrigen in ständiger Berührung bleibe. Seiner Idealvorstellung von einer „Art Weltreich wie dem christlichen Weltreich im Mittelalter,532 wo sich alle in technischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht förderten, entspricht auch seine Überlegung, den Bundesstaat dann in einen Einheitsstaat umzuformen, „sobald zwischen den einzelnen Gliedern eine solche Anpassung und eine solche Gleichartigkeit der Anschauungen und Kulturbestrebungen eingetreten sind, daß die Bedürfnisse der Sonderentwicklung mehr und mehr zum Schweigen gekommen sind.“533 Dabei äußerte sich wie bei ähnlichen Konzeptionen dieser Zeit auch die Sorge, Europa könnte seine politische, kulturelle und wirtschaftliche Position in der Welt gegen die aufsteigenden amerikanischen und asiatischen Mächte verlieren.534 In diesem Sinne zu verstehen ist auch der Schlusssatz seiner Einführung ins Völkerrecht: „Völkerfreundschaft, Völkerfriede ziehn auf den Bahnen des Völkerrechts; Völkerkraft und Völkereinheit auf den Bahnen des Bundesstaatsrechts. Beides ist in gleicher Weise zu erstreben, jedes auf seinem Gebiet und in seiner Art.“535 Der moderne Weltverkehr zwang die 531

Kohler am 30. Juni 1913 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg. Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 206 f. 533 ZVölkR 1 (1907), S. 2. 534 Vgl. Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 137. 535 Einführung, in: ZVölkR 1 (1907), S. 3. 532

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Mächte schon aus realpolitischen Gründen, Konzessionen zu machen. Nur ein Nationalstaat, der die Zeichen der Zeit verstand und die Notwendigkeit der internationalen Organisation einsah, konnte Kohler zufolge aller wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile teilhaftig werden, die die moderne Weltwirtschaft zu bieten hatte.536 Der Gedanke der Staatenorganisation beruhte nicht nur auf weltanschaulichen Fundamenten, sondern zu einem großen Teil auf der Analyse sehr realer, wirtschaftlicher und verkehrstechnischer Vorgänge in der Weltpolitik. Er brauchte einer wohlverstandenen nationalen Haltung keineswegs zu widersprechen.

c) Kohlers Denken in staatsrechtlichen Kategorien Vielfach dacte Kohler in staatsrechtlichen Kategorien. Der Analogieschluss von der staatlichen auf die zwischenstaatliche Organisation erschien auch in der Zielsetzung für die internationale Organisation: Friedenssicherung durch Herrschaft des Rechts! Wie im Staat erzwingbare Normen die Beziehungen der Bürger untereinander regelten und den „Rechtsweg“ der Selbsthilfe ersetzt haben, so sollte auch das Verhältnis der Staaten untereinander durch eine von Rechtsmitteln garantierte Rechtsordnung bestimmt werden. d) Das Verhältnis von Vaterland und Menschheit Auch die Frage nach dem Verhältnis von Vaterland und Menschheit griff Kohler auf. Er war der Ansicht, dass eine Beachtung der „allgemeinen Menschheitsinteressen“ letztlich auch dem eigenen Staat zugute komme: „Wir sind so gute und noch bessere Patrioten als diejenigen, welche nach dem Kriege rufen; wir wissen, dass nur im geordneten Völkerleben die Menschheit ihr Ziel erreichen kann, und wir versuchen daher das Völkerleben im höchsten Grade zu steigern.“537 Nur wenn „die früher so starren Rechtsbegriffe flüssig gemacht und den ungeheuren Mannigfaltigkeiten des Lebens entsprechend gestaltet“ würden, war es seiner Ansicht nach möglich, die großen Ziele des modernen Rechts zu erreichen, nämlich: die Macht des Ganzen zu steigern, ohne dass hierdurch die Selbständigkeit des 536 Auch bei Völkerrechtlern wie Walther Schücking stand in der Vorkriegszeit der Gedanke der weltwirtschaftlichen Notwendigkeit und zunehmender Interdependenz der Staaten gegenüber ethischen Argumenten deutlich im Vordergrund, vgl. Walther Schücking, Kultur und Internationalismus (1910), S. 40 f.; Der Staatenverband vom Haag (1912), S. 19. 537 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 133 f.

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Einzelnen verloren gehe.538 Dies entsprach der Feststellung Theodor Niemeyers, dass die Förderung des internationalen Rechts durchaus im Interesse der Nation liege, gebe es doch Kulturbedürfnisse, „welche mit absoluter Notwendigkeit in der Form einer die Welt umfassenden Organisation befriedigt werden müssen.“539 11. Der regionale Umfang der Völkerrechtsgemeinschaft Kohler sprach zunächst von einer „Völkerrechtsgemeinschaft unserer Kulturstaaten“.540 Dies entsprach der Auffassung nahezu aller anderen Völkerrechtler, die sich weitgehend darüber einig waren, dass sich die Einigungsbestrebungen auf alle souveränen Staaten der „Kulturwelt“ beziehen müssten. Der Begriff „Kulturwelt“ aber wurde durch zwei Faktoren umgrenzt, eine europäisch bestimmte Zivilisation sowie das Fundament des christlichen Glaubens, in welchen man die Voraussetzungen eines gleich gerichteten Rechtsbewusstseins, der unerlässlichen Basis einer gemeinsamen Rechtsordnung, sah. So wurden als gleichberechtigte Mitglieder der Völkerrechtsordnung außerhalb Europas auch nur die Vereinigten Staaten von Amerika und südamerikanische Staaten anerkannt, weil sie dem europäischen Kulturkreis entstammten, worin die alte Vorstellung vom christlichen Abendland fortlebte. Das Völkerrecht verstand man insofern als solches der zivilisierten christlichen Staaten. Es war noch ein eurozentristisches Völkerrecht. Doch erhob Kohler noch im selben Jahr – 1908 – und damit außerordentlich früh die Frage, inwieweit Nationen einer anderen Kulturstufe mit in das Völkerrecht einzubeziehen seien. Dabei wies er darauf hin, dass die Grundsätze, die für den Verkehr der Völker untereinander Geltung beanspruchten, auch gegenüber solchen Völkern gälten.541 Er zeigte dabei in einem sehr wichtigen Bereich ein Denken, das selbst heute noch nicht selbstverständlich ist, in dem Respekt anderen Kulturen gegenüber. Erst in den beiden letzten Vorkriegsjahren begann sich der Blick auch allgemein über Europa hinaus zu weiten, indem noch sehr vage von der „Menschheit“ oder der „Welt“ als dem Bereich eines Zusammenschlusses gesprochen wurde. Für diese Wandlung dürfte neben der Erwägung, dass die europäischen In538 Josef Kohler, Staatenverbindung und Staateneinigung, in: ZVölkR 3 (1909), S. 430. 539 Theodor Niemeyer, Internationales Recht und nationales Interesse, Kiel 1907, S. 9, 12. 540 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 272. 541 Josef Kohler, Bemerkungen über den Umfang des Völkerrechts, in: ZVölkR 2 (1908), S. 472.

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teressenverflechtungen mittlerweile die ganze Welt umspannten, auch das an erster Stelle von Kohler proklamierte Postulat der Rechtsphilosophie bestimmend gewesen sein, wonach das Recht eine universale Größe mit Anspruch auf universale Geltung sei.

Fazit Bezeichnend für Kohlers völkerrechtliches Werk ist die wiederholte Zurückführung der Fragen von Staat und Recht auf die sittlichen Grundfragen menschlicher Ordnung. Er plädierte für eine ideelle Umgestaltung der internationalen Ordnung im Sinne der Zurückdrängung des Krieges sowie einer Verstärkung des Rechts- und Friedensgedankens. Dabei setzte er sich für eine Stärkung der internationalen Gemeinschaft und der gegenseitigen Verbundenheit der Staaten sowohl durch Ausbau der Rechtsordnung als auch durch Schaffung einer internationalen Organisation der Staaten ein. Zwar erkannte er die Selbständigkeit und die beherrschende Stellung der Staaten an; er betonte dabei aber die Bindung an höhere vom Staatswillen unabhängige Grundsätze des Rechts und die Einordnung der Staaten in eine auf bestimmten Rechtsauffassungen beruhende Gemeinschaft der Nationen. Den Rückgriff auf eine überpositive, nicht im Rechtstext vorzufindende Lebensordnung hielt er für unvermeidlich. Das Fundament des Völkerrechts erblickte er nicht im Staatswillen, sondern in der Rechtsüberzeugung der Menschen innerhalb der Staatengemeinschaft, in den gemeinsamen sittlichen Werten der Völker. Dementsprechend erachtete er die effektive Verwirklichung des Rechts in Überzeugung und Handeln der Einzelmenschen gegründet. Inhaltlich ist Kohlers völkerrechtliches Werk vor 1914 durch die eindeutige Ausrichtung auf das Recht der Friedenssicherung gekennzeichnet. In seinem Werk werden alle anderen Gebiete des Völkerrechts recht kurz behandelt. Zu den verschiedenen Grundsatzdebatten der deutschsprachigen Völkerrechtslehre wie dem Streit um das Verhältnis von Staatsrecht und Völkerrecht, dem Geltungsgrund des Völkerrechts oder der Rechtsquellenlehre fehlen detailliert ausgearbeitete Stellungnahmen. Die Hauptaufgabe der Völkerrechtswissenschaft sah er in der Fortbildung des zwischenstaatlichen Rechts. Der Völkerrechtler durfte sich Kohler zufolge nicht nur auf die Verwaltung bereits vorhandenen Rechts beschränken, sondern musste es vor allem auch weiterentwickeln. Seine Forderungen an die Entwicklung des Völkerrechts zielten auf eine Einschränkung der Souveränität zugunsten internationaler Rechtsbindung, Anerkennung einer Rechtsstellung nichtstaatlicher Völkerrechtssubjekte, Zurückdrängung des Krieges mit gleichzeitigem Ausbau friedlicher Streitbeilegung und Zusammenfassung der interna-

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tionalen Solidarität der Völker in einem organisatorischen Rahmen. Sein Plan eines konföderierten Bundes unabhängiger und souveräner Staaten entsprach der Mehrzahl der Projekte der deutschen Friedensbewegung. Durch die Errichtung eines Staatenbundes, wie man ihn in der nordamerikanischen Föderation verwirklicht sah, erhoffte man sich auch in Europa eine dauerhafte Sicherung des Friedens. Recht wertete Kohler als universale Größe, die den Anspruch auf universale Geltung erheben durfte. Dabei bekannte er sich zu der Einheit der Rechtsordnung und zum Primat des Völkerrechts. Er dachte, insbesondere was seine Lehren von der Vorrangstellung des Völkerrechts und der Universalität des Rechts sowie seine Auffassungen zu Völkerrechtssubjektivität und der Einbeziehung fremder Kulturen in die Völkerrechtsgemeinschaft anbelangt, bereits vor 1914 über das klassische Völkerrecht hinaus und deutete schon an, was nach dem Ersten Weltkrieg herrschende Auffassung – modernes Völkerrecht – werden sollte. Was ihn von den Völkerrechtlern seiner Zeit weithin abhob, war sein einzigartiger Respekt vor anderen Kulturkreisen und -stufen. Dennoch war er in vielem noch dem auf dem Souveränitätsdogma beruhenden klassischen Völkerrecht verhaftet, was vor allem bei seiner Haltung zum Krieg als ultima ratio der Politik zum Ausdruck kommt. Während Schücking sich in der Folgezeit immer mehr Fragen der praktischen Organisation zuwandte, beließ Kohler es bei der Propagierung grundsätzlicher Ideen. Seine völkerrechtlichen Theorien waren nicht besonders umfassend begründet. Oftmals kam er über die Äußerung von Grundsatzprinzipien nicht hinaus. Ihm war in erster Linie daran gelegen, seinen völkerrechtspolitischen Ideen Öffentlichkeit zu verschaffen.542 Kohlers Stärke im Völkerrecht lag nicht im Ausfeilen der Einzelheiten, sondern in der Kombination der verschiedensten Seiten des Rechts und der Kultur, in der Zusammenstellung von Gesichtspunkten, die vorher als fremd erschienen, in der Auffindung neuer konstruktiver Zusammenhänge und neuer Ziele der Entwicklung. So war er ein großer Anreger. Sein völkerrechtliches Werk erhält seine Spannung aus der Verschränkung politisch-pazifistischen und völkerrechtstheoretischen Argumentierens. Es kann verstanden werden als ein früher Versuch, Strategien zur Friedenserhaltung wissenschaftlich zu entwerfen, in der Hoffnung auf politische Rezeption, im Bemühen um Resonanz in der Öffentlichkeit. Seine Ansichten waren Allgemeingut der deutschen Friedensbewegung, sie standen ganz in der pazifistischen Tradition, Friede durch Recht zu sichern.543 Das Engagement für eine Annähe542

Siehe auch Josef Kohler, Vorrede zu: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Band 2: Monarchie und Volkssouveränität, 2. Auflage, Freiburg 1949, S. 104 ff. 543

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rung der Staaten ergab sich für Kohler aus den Traditionen des Altliberalismus und des deutschen Idealismus, denen er sich verpflichtet fühlte. Insbesondere der Altliberalismus hatte eine Annäherung der Völker und eine Verrechtlichung der internationalen Politik durch Schiedsgerichtsbarkeit gefordert.544 Wenn in seiner Argumentation der Technopazifismus, der Internationalismus, gegenüber dem reinen Moralpazifismus stetig mehr Bedeutung gewann und er die Vorteile internationaler Zusammenschlüsse stärker hervorhob, so mag dies zum Teil dem Bestreben geschuldet gewesen sein, die Friedensbewegung vom Stigma des Utopischen zu befreien und eine breitere Basis in der Bevölkerung zu finden. Man wird Kohlers Pazifismus jedoch als relativen bezeichnen müssen. Kohlers höchstes Wertideal war der Kulturfortschritt. Kohler war in erster Linie Kosmopolit, erst in zweiter Linie Pazifist. Seine Entwicklung im Bereich der Friedensbewegung im Zeitraum von 1892 bis 1914 zeigt, dass er, geprägt von Idealismus und Fortschrittsgläubigkeit, Krieg als zivilisatorische Rückständigkeit begriff, die er bekämpfen wollte. Seinen Bestrebungen lag also unzweifelhaft eine ethisch-humanitäre, also im engeren Sinne pazifistische Motivation zugrunde. Doch wird ebenfalls deutlich, dass daneben zunehmend auch Interessenerwägungen an Bedeutung gewannen. Er hatte die Bedeutung internationaler Zusammenschlüsse für die gegenseitige Kulturförderung erkannt: „Völkerfreundschaft, Völkerfriede ziehn auf den Bahnen des Völkerrechts; Völkerkraft und Völkereinheit auf den Bahnen des Bundesstaatsrechts. Beides ist in gleicher Weise zu erstreben, jedes auf seinem Gebiet und in seiner Art.“545 Der Vollständigkeit halber sei hier noch ein kurzer Überblick über die Haltung von Regierung und Parteien angefügt. Beide setzten sich vor dem Ersten Weltkrieg kaum mit der Frage friedenssichernder Zusammenarbeit auseinander, allenfalls mit dem Problem der Abrüstung oder dem Schiedswesen. Der Gesamtkomplex internationaler Kooperation wurde lediglich von den Sozialisten angesprochen. Der Sozialdemokrat Scheidemann erwähnte am 9. Dezember 1911 erstmals im Reichstag den Begriff Völkerbund.546 Die deutsche Regierung konnte während der Haager Konferenzen für die Idee der Einrichtung eines Schiedshofes selbst in der unverbindlichen Form von 1899 nur widerwillig und aufgrund guten Zuredens durch Philipp Zorn gewonnen werden. Das Obligatorium lehnte sie auch 1907 strikt ab, während sie dem Plan eines ständig im Haag residierenden 544

Vgl. den Artikel „Ewiger Friede“ von Pfizer in Rotteck-Welcker, Das Staatslexikon, Bd. 4, S. 560 ff., den Artikel „Friede“ von Rotteck, Band 5, S. 192 ff.; den Artikel „Schiedsgerichte“ von Welcker, Band. 11, S. 778 ff. 545 Josef Kohler, Einführung, in: ZVölkR 1 (1907), S. 3. 546 Philipp Scheidemann, Memoiren eines Sozialdemokraten, Dresden 1928, S. 191.

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Schiedshofes nach einigem Zögern schließlich zustimmte. An der Ausarbeitung des Prisenhofabkommens von 1907 allerdings war die deutsche Delegation führend beteiligt. Hinsichtlich der Abrüstungsfrage schließlich stand die deutsche Delegation während beider Konferenzen an der Spitze der Mächte, die eine Diskussion darüber ablehnten. Diese Politik wurde auch durch Reichskanzler von Bethmann Hollweg weiterverfolgt.547 Die Reichstagsdebatte vom Mai 1907 über die Stellung der Regierung zur bevorstehenden Zweiten Haager Konferenz dürfte repräsentativ sein für die Haltung der deutschen Parteien zur Abrüstungsfrage. Lediglich die Sozialdemokraten traten für eine Politik der Abrüstung ein. Der nachmalige Reichskanzler Graf Hertling bezeichnete als Sprecher des Zentrums die Frage der Abrüstung als eine im besten Falle akademische Doktorfrage, die im Interesse des europäischen Friedens am besten vorläufig von der Tagesordnung verschwinden solle.548

E. Kohlers Staatsauffassung und seine Betrachtung außenpolitischer Fragen I. Staatsauffassung Im Folgenden sollen Kohlers Staatsauffassung und seine Haltung zu einzelnen außenpolitischen Fragen untersucht werden. Kohler hat keine systematische Staatstheorie verfasst. Unter Berufung auf Nietzsche bezeichnete er die Frage nach der Legitimation des Staates als „Entwürdigung“.549 Die politische Organisationsform Staat erachtete er als durch seine Faktizität gerechtfertigt und bedurfte seiner Ansicht nach keiner theoretischen Begründung. Staat bedeutete für ihn eine organisierte Gemeinschaft, welche sich kraft eigenen Rechts in erster Linie die allseitige Förderung der Kultur zur Aufgabe machte. Den Staat zu bezweifeln hieß Kohler zufolge die Kultur zu bezweifeln.550 Den Staat als äußere Basis der Gemeinschaft von Menschen betrachtete er als weithin selbstverständliche Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und eine dauerhafte Ordnung, nicht als theoretisches Problem.551 Die Organisationsform Staat war für ihn Grundlage für 547

Vgl. Hans Wehberg, Die internationale Beschränkung der Rüstungen, Stuttgart/Berlin 1919, S. 89 ff. 548 Vgl. Hans Wehberg, Die internationale Beschränkung der Rüstungen, Stuttgart/Berlin 1919, S. 76 ff. 549 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 143; Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 108. 550 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 143. 551 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 143 f.; Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 108.

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jede Form von Politik, mit welchen Zwecksetzungen auch immer. Ohne den Staat war für ihn weder nationale Politik noch imperialistische Politik noch Friedenspolitik möglich.

II. Deutschlands außenpolitische Lage Kohlers Gedanken zum tatsächlichen und zum zu erstrebenden Verhältnis der Staaten und Völker untereinander entstanden auf der Grundlage der historisch gewordenen, politischen Situation des Deutschen Reiches in Europa und kehrten immer wieder zu dieser zurück. War die normative Begrenzung staatlicher Machtausübung nach außen auch wesentliches Leitmotiv seines völkerrechtlichen Wirkens, so war er doch noch sehr dem spätkonstitutionalistischen Machtstaatskonzept verhaftet. Folgte er auch nicht der starken politischen Strömung in Deutschland, die sich auf den eines Tages unvermeidlichen, letzten Kampf gegen Englands Weltherrschaft vorbereiten zu müssen glaubte, so befürwortete er doch, um, wie er ausführte, „gegenüber der geradezu erdrückenden Herrschaftsentwicklung des britischen Reiches ein Gegengewicht zu schaffen“, den deutschen Flottenbau,552 der letztlich dazu beitrug, den seit Ende des 19. Jahrhunderts macht- und kolonialpolitisch latent bestehenden Gegensatz zwischen England und dem Deutschen Reich zu verstärken.553 Hingegen widersprach er der vor allem von den Alldeutschen erhobenen Behauptung der „Einkreisung“ Deutschlands durch England. Kaum eine andere politische Vorstellung hat im Vorkriegs-Deutschland derart Massenemotionen auslösen können wie die „phobische“ Idee der Einkreisung.554 Solche Redewendungen wie die, dass Deutschland von Feinden umgeben sei, so beschwichtigte Kohler die Ängste seiner Mitbürger, würden sich selbst richten. „Wir sind von zivilisierten Völkern umgeben, von denen keines den Krieg will, „und wir wollen ihn auch nicht.“555 Niemand habe es „auf eine Kaltstellung, eine Ausschaltung, eine Einkreisung Deutschlands“ abgesehen, so auch andere Stimmen aus den Reihen der Friedensbewegung, die das angebliche Aufkommen einer die deutsche Machtstellung bedrohenden Gefahr als „ein von krankhaftem Misstrauen geborenes Gespenst“ ansa552

Josef Kohler, Die deutsche Gefahr, in: Der Tag vom 20. Oktober 1907. Vgl. Manfred Görtemaker, Deutschland im 19. Jahrhundert. Entwicklungslinien, 5. Auflage 1996, S. 365, 370; Michael Epkenhans, Die wilhelminische Flottenrüstung 1908–1914, München 1991. 554 Siehe hierzu Gerd Krumeich, Einkreisung, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2. Auflage, Paderborn/ München/Wien u. a. 2004, S. 452 f. 555 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 139. 553

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hen.556 Die „Einkreisung“ des Deutschen Reiches war nach pazifistischer Auffassung nichts anderes als eine selbstverursachte Isolierung, eine „Auskreisung“ aus den Schiedsgerichts- und Verständigungsbemühungen des Auslands und schließlich auch eine Auswirkung deutscher Flottenpolitik.557 Dementsprechend erachtete Kohler es als im höchsten Grade unpolitisch, das Element nationaler Willkür gegenüber dem Grundsatz völkerrechtlicher Bindung als das Ideal politischer Bestrebung hinzustellen. Das Ausland würde sich, gab er zu bedenken, darauf berufen, es werde Deutschland als den Staat ansehen, der sich der Völkergemeinschaft nicht fügen wolle. Eine solche Haltung konnte seiner Ansicht nach nur dazu führen, die Antipathien, unter denen das Deutsche Reich ohnehin schon leide, zu verstärken.558 Die provokante Art deutscher Flottenrüstung hielt er politisch für verfehlt. Mit der Maxime „oderint dum metuant“, führte er aus, habe man Misstrauen und Argwohn gesät „und jene eigenartige Nervosität gegen Deutschland erweckt“, die man in England oder sogar in den australischen Kolonien habe beobachten können.559 Kohlers Auffassung korrespondierte mit der Haltung der DFG, welche sich für eine vertragsmäßige Beschränkung des Flottenbaus und den gleichzeitigen Abschluss einer Marinekonvention zwischen Deutschland und England aussprach. Zugleich gestand sie dem Deutschen Reich einen bedingten Anspruch auf „Seegeltung“ zu: „Wir wollen bei der Entscheidung über die Seewege wie über überseeische Gebiete mitsprechen dürfen.“ Durch eine solche Übereinkunft sei, so meinte man, die von der deutschen Flotte für England ausgehende Gefahr gebannt und erhalte Deutschland seinerseits einen „Anteil an der englischen Suprematie zur See.“560 Das Deutsche Reich hielt Kohler für berufen, gemeinsam mit den größten Kulturstaaten die Kultur der Menschheit zu bestimmen. Kohlers Impe556 Friedens-Blätter 9 (1908), S. 87. Ähnlich nannte Bertha von Suttner das „Einkreisungs-Manöver“ ein „Phantom“, ein „Hirngespinst“, ein „unseliges Wahngebilde“. Vgl. Der Kampf um die Vermeidung des Weltkrieges. Randglossen aus zwei Jahrzehnten zu den Zeitereignissen vor der Katastrophe, Band 2 (1907–1914), hrsg. von Alfred Hermann Fried, Zürich 1917, S. 27, 43, 119. 557 Der (2.) deutsche Friedenskongress in Stuttgart 1909 o. O. o. J. [Esslingen 1909], S. 52; Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 139. 558 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 139. 559 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 139; ähnlich auch Otto Umfrid, Noch mehr Licht, in: Völkerfriede 11 (1910), S. 13–15; ders., Europa den Europäern, Politische Ketzereien, Esslingen a. N. o. J. [1913], S. 76 ff. 560 Otto Umfried, Rede zur deutsch-englischen Verständigung, in: Völkerfriede 13 (1912), S. 62.

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rialismus trug damit Züge eines kulturellen, friedlich ausgetragenen Wettkampfes. Der Begriff Kulturimperialismus erscheint treffend, zugleich aber auch zu eng. Denn Kohler war sich auch der machtpolitisch-militärischen Grundlagen jeder Form von Imperialismus bewusst. Keine andere Nation als Deutschland, führte er aus, sei imstande, „durch glänzende Kraftentfaltung die verführerische Sucht der Gebietserweiterung niederzuhalten, welche die britische Nation ebenso wie seinerseits das römische Reich erfassen müsste, wenn seinem Ausbreitungsbestreben nicht ein zweiter ebenbürtiger Machtkörper“ gegenüberträte. So sei, fügte er hinzu, „dem englischen Chauvinismus nichts lieber als ein Anschluß der kleineren Mächte an England und eine Zurückdrängung deutschen Genies und der deutschen Staatskraft.“561 Wie bereits oben ausgeführt, erachtete Kohler die Situation rivalisierender Staaten nicht als endgültigen oder gar erstrebenswerten Zustand. In historischem Rückblick sah er aus zahlreichen, sich bekämpfenden politischen Gebilden immer größere und mächtigere politische Gemeinwesen entstehen bis hin zu den in Europa an Zahl überschaubaren Staaten. Die Vollendung menschlicher Vergesellschaftung sah er nicht im Nationalstaat, sondern in einer organisierten Staatengesellschaft, wobei er die Frage nach ihrer letzten und endgültigen Gestalt offen ließ. Seine Gedanken über die menschheitliche Entwicklung auf eine Menschheitsorganisation hin beruhten dabei allerdings auf der Überzeugung von der historischen Notwendigkeit mächtiger Großstaaten als einer geschichtlichen Zwischenstufe. Dieser Anschauung entsprach seine positive Bewertung des Gedankens der Herrschaft über andere, kleinere Völker und Länder. Sein Denken zeigte sehr elitäre Züge. Er differenzierte zwischen Führern und Geführten, zwischen Massen und bedeutenden Individuen im kulturellen wie im politischen Bereich. Auch auf außenpolitischem Gebiet unterschied er zwischen „Führernationen“ und kleineren Völkern, denen nur eine gewisse Autonomie zu gewähren war. Was den Pazifismus anbelange, so Kohler 1912 in einem Schreiben an Walther Schücking, gebe es Missverständnisse hinsichtlich der „Rechte von angeblich unterdrückten Völkerschaften“, während man doch gerade die Kulturträger unterstützen solle. Nichts sei sonderlicher, als dass letzthin jemand den Antrag gestellt habe, die Engländer aus Ägypten zu verdrängen. Wer, wie er (Kohler) mit eigenen Augen gesehen habe, wie die englische Oberaufsicht dort „Heil und Segen“ gebracht habe, könne „derartige abirrende Ansichten“ nicht begreifen.562 Das war gleichbedeutend mit der Ablehnung der ständig stärker gewordenen Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker. 561 562

Josef Kohler, Die deutsche Gefahr, in: Der Tag vom 20. Oktober 1907. Kohler am 2. Dezember 1912 an Walther Schücking, Nachlass Schücking.

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2. Kap.: Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des I. Weltkrieges

Nicht die alle übrigen Völker überschattende Größe der deutschen Nation war Kohlers außenpolitisches Ideal. Vielmehr strebte er die Gleichberechtigung Deutschlands im Kreis der Weltmächte an. Weltgeltungspolitik, die nicht die alleinige Weltherrschaft erstrebte, sondern nur den eigenen Anteil an ihr als gleichberechtigtes Mitglied der Staatenwelt einforderte, hielt er für die richtige Politik Deutschlands. Es fehlte ihm aber insofern an einer kritischen Sicht des wilhelminischen Imperialismus, als dass er, Anhänger einer gemäßigten außenpolitisch prinzipiell gouvernementalen Position, die weit verbreitete Ansicht teilte, dass das Deutsche Reich wegen seines starken Bevölkerungswachstums und seines wirtschaftlichen Potentials notwendig Kolonialpolitik betreiben müsse.563 Karl A. Mollnau bezeichnete Kohlers politische Haltung angesichts seiner Befürwortung von Kolonien als „schillernd und teilweise zwielichtig“.564 Kolonien gehörten jedoch zur zeitgenössischen Vorstellung von einem wirtschaftlich und politisch konkurrenzfähigen Weltwirtschaftsgebiet. Auch andere Pazifisten erkannten grundsätzlich an, dass die bevölkerungspolitische und ökonomische Dynamik das Reich zu einer Besitzergreifung überseeischer Gebiete zwingen werde. So war auch der Theologe Otto Umfried der Überzeugung, dass Deutschland wegen seiner „überschüssigen Bevölkerung“ ackerbau- und gewerbetreibende Kolonien benötige.565 In ethischer Hinsicht hatte Kohler – wie die meisten Mitglieder der deutschen Friedensbewegung – keine Bedenken gegenüber der deutschen Kolonialpolitik. Er begründete dies damit, dass die Annäherung der Kolonialvölker eine zivilisatorische Aufgabe sei, die darauf abziele, unkultivierte Länder zu erschließen, den Wohlstand der Eingeborenen zu fördern, diese zu höherer Gesittung zu erziehen, Armut, Unwissenheit und Aberglauben zurückzudrängen und so zu einer gemeinschaftlichen menschlichen Kultur zu gelangen:566 „Ebenso unrichtig sind Behauptungen wie die, dass wir Gegner der Kolonialpolitik sein müßten; denn gerade, daß wir Völker niederer Stufe uns und unserer Bildung anzunähern suchen, ist ein Element in unseren Bestrebungen, die dahin abzielen, zu einer gemeinschaftlichen menschlichen Kultur zu gelangen und dadurch den einheit563

Josef Kohler, Fürst Bülow, in: Neue Freie Presse vom 15. Juli 1909. Karl A. Mollnau, Recht, Kultur, Wissenschaft und Technologie, in: Spectrum 19 (1988), Heft 2, S. 13. 565 Die Waffen nieder 7 (1898), S. 392. 566 Josef Kohler, Aus der Gedankenwelt unserer Kolonialvölker, in: „Zeitgeist“, Nr. 8, 1901 sowie in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 46 f.; Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 136 f.; ähnlich auch Eugen Schlief, Der Friede in Europa. Eine völkerrechtlich-politische Studie, Leipzig 1892, S. 422; Bertha von Suttner, Der Kampf um die Vermeidung des Weltkriegs. Randglossen aus zwei Jahrzehnten zu den Ereignissen vor der Katastrophe (1892–1900 und 1907–1914), hrsg. von Alfred Hermann Fried, 2 Bände, Zürich 1917, Band 1, S. 279. 564

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lichen Gang der Völkerentwicklung zu beschleunigen.“567 Der „höherstehende“ Kulturkreis würde Kohlers Vorstellung nach durch die neuen Aufgaben erweitert, in seinen Zielen vervollkommnet und in seinen wirtschaftlichen Hilfsmitteln gesteigert, der „niederstehende“ Kreis allmählich heraufgezogen und ihm die Möglichkeit verschafft, nach und nach „zum Stande der europäischen Kultur“ heranzuwachsen. Doch fanden auch hierbei Bewertungskriterien wie Recht, Sittlichkeit und Vernunft noch eine gewisse Berücksichtigung und rief er zu schonendem Vorgehen auf. Seiner Ansicht nach war es Aufgabe der deutschen Regierung, „durch behutsame Einführung europäischer Institutionen die schlummernden Kräfte zu wecken“. „Unsere Aufgabe ist es“, erklärte er, „diese Völker allmählich unseren Vorstellungen anzunähern, langsam und schonend; nur gewisse Auswüchse, die unsern Anschauungen völlig widersprechen, wie das Lebendigbegraben der Witwen, den Gifttrunk, das Tötungsrecht des Häuptlings, werden wir sofort und mit aller Macht vertilgen müssen. Im übrigen aber ist zu hoffen, daß die Völker, wenn richtig behandelt, erhalten bleiben und sich in neue Verhältnisse einzuleben vermögen. So sind insbesondere die Bantuvölker Afrikas von außerordentlicher Zähigkeit und bestimmt, in jenen Gegenden noch Bedeutsames zu leisten.“568 Man erblickte darin die Vorbereitung für eine mögliche Eingliederung dieser Gebiete in die Weltgemeinschaft der Kulturstaaten:569 „Zarter“, führte Kohler aus, „sind die Polynesier angelegt, aber auch von ihnen ist zu erwarten, daß sie nicht untergehen, sondern zu Mitträgern der künftigen Weltkultur werden. Einstweilen haben sie das Verdienst, uns einen tiefen Einblick gewährt zu haben in die ursprünglichen Regungen der menschlichen Natur und in diejenige geistige Phase des Denkens, von welcher auch die Kultur unserer Mitväter ausgegangen ist.“570 Schließlich sprach er die Hoffnung aus, dass es nicht eines steten Zusatzes bedürfe, dass Grundsätze wie die über Blutrache, Sklaverei etc. sich unter deutscher Herrschaft gewandelt hätten.571 In den Reihen der Friedensbewegung war man sich einig über die Ablehnung der gewaltsamen Eroberung überseeischer Gebiete. Auch Kohler stellte sich eine Weltpolitik ohne Krieg vor. Inwieweit eine Politik, die in 567 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 136 f. 568 Josef Kohler, Aus der Gedankenwelt unserer Kolonialvölker, in: „Zeitgeist“, Nr. 8, 1901 sowie in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 46 f. 569 Friedens-Blätter 7 (1906), S. 97. 570 Josef Kohler, Aus der Gedankenwelt unserer Kolonialvölker, in: Zeitgeist, Nr. 8, 1901 sowie in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 46 f. 571 Josef Kohler, Das Banturecht in Ostafrika, in: ZVglRW 15 (1902), S. 3.

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ihrem Ergebnis zu einem Zusammenbruch des europäischen Gleichgewichts führen musste, für die übrigen Großmächte tolerabel sein konnte, thematisierte er nicht. Er schien auch dabei auf einen friedlichen Interessenausgleich mit den etablierten Kolonialmächten zu vertrauen.572 Solange sich die deutsche Außenpolitik nicht auf die Realisierung bestimmter Ziele versteifte, musste, so meinte er, die Chance gegeben sein, mit den etablierten Kolonialmächten zu einem friedlichen Interessenausgleich zu kommen. Mag Kohler ebenso wie die meisten Anhänger der deutschen Friedensbewegung auch den kulturpolitischen und eurozentrischen Stereotypen seiner Zeit verhaftet gewesen sein, nicht frei von tatsächlichen oder vermeintlichen Sachzwängen und Vorstellungskomplexen ihrer Zeit, erkannte auch er die Bevölkerungsdynamik und das Wirtschaftswachstum als Motive einer deutschen „Weltpolitik“ an, so kollidierten die vorgeschlagenen Lösungen dennoch nicht notwendigerweise mit dem pazifistischen Grundsatz einer Rechts- und Verständigungspolitik. Der Erwerb der Kolonien brauchte nicht auf dem Wege imperialer Verdrängungs- und Ausschließungspolitik zu erfolgen, sondern mit Hilfe eines internationalen Vertragssystems, welches das feindliche Gegeneinander der Staaten in ein geregeltes Miteinander überführte. Obwohl er koloniale Politik unter gewissen Voraussetzungen befürwortete, erwies sich der deutsche Pazifismus de facto als eine potentielle Alternative zum imperialistischen Programm.

III. Haltung zur elsass-lothringischen Frage Die Frage Elsass-Lothringens, die aus Gründen politischer Zurückhaltung und nationaler Gesinnung in den ersten Jahren der deutschen Friedensbewegung weitgehend stillgeschwiegen worden war, wurde nach 1900 von französischer Seite wieder aufgenommen. Während sich der deutsche Astronom und Pazifist Wilhelm Julius Foerster als einer der wenigen deutschen Gelehrten gegen die Annexion des Elsass’ und Lothringens aussprach, die er als „andauerndes Unheil für Europa“ und als Widerspruch zu der „höheren Kultur Deutschlands“ und überhaupt einer höheren Stufe internationaler Gesittung begriff, erklärte Kohler, die durch den deutsch-französischen Krieg herbeigeführten Änderungen müssten einfach akzeptiert werden, da der Krieg immer noch als eine regelmäßige völkerrechtliche Institution gelte. Sie seien, führte er aus, rechtmäßig erfolgt, solange der Krieg als ein rechtbildendes Element im Völkerleben gelte. Ein Volk, welches dies nicht anerkennen wolle, stellte sich Kohler zufolge außerhalb des Völkerrechts.573 Die Mehrheit der deutschen Pazifisten hielt aus grundsätz572 Josef Kohler, Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Berlin 1914, Vorwort S. IX.

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lichen und taktischen Erwägungen an dieser Sichtweise fest. Man könne, so argumentierten sie, nicht „Revisionist der Weltgeschichte“ sein, wenn man die Organisation des Weltfriedens erstrebe; man könne nicht damit anfangen, Verträge zu revidieren und Karten zu korrigieren. Die Anerkennung des status quo, wurde argumentiert, stelle die Grundlage allen Pazifismus dar.574 Andere, wie etwa Alfred Hermann Fried, wiederum kamen mit entgegengesetzter Argumentation zu demselben Ergebnis wie Kohler. Die Annexion des Elsass und Lothringens sei in einer Zeit erfolgt, in der es noch kein anerkanntes Völkerrecht gegeben habe, das hätte verletzt werden können.575 Daher, so die Schlussfolgerung, müsse man sich dem Urteil der Geschichte unterwerfen. Mit dieser Argumentation hatte sich Kohler ebenso wie die Mehrheit der deutschen Pazifisten vom Pfad moralischer Stringenz entfernt. Kohler widersprach seiner eigenen Ansicht, das im Laufe der Geschichte Entstandene stetig durch die Ideen der Vernunft und des Naturrechts zu erneuern und zu verbessern. Die prinzipielle Anerkennung des territorialen status quo seitens der widerwillig Stellung nehmenden deutschen Pazifisten stand in Widerspruch mit dem im Grundsatz ebenfalls anerkannten Selbstbestimmungsrecht sowie der Auffassung Wilhelm Julius Foersters und der französischen Pazifisten, dass ein dauerhafter Friede nur auf dem „Boden der Gerechtigkeit“ zu sichern sei. In der Diskussion gingen nationale und pazifistische Argumente unweigerlich ineinander über.

IV. Stellungnahme zum Abrüstungsvorschlag der Pazifisten Was die Frage der Abrüstung anbelangte, war Kohler sehr zurückhaltend. Er verneinte eine einseitige Abrüstung, solange die Friedensgarantien noch nicht weiter gediehen wären. Wie viele Pazifisten der Vorkriegszeit576 war er der Auffassung, dass die Forderung nach Abrüstung im Zustand der Anarchie unfruchtbar bleiben müsse und dass es nicht angehe, den Hausbau 573 Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 1913, S. 602. Siehe auch den Artikel „Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede“, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568, in dem Kohler ein Plebiszit für Elsass-Lothringen verlangte. 574 Die Friedens-Warte 5 (1903), S. 132; Friedensblätter 5 (1904), S. 5 f. 575 Vgl. Alfred Hermann Fried, Die Deklaration von Nimes, in: Die FriedensWarte 6 (1904), S. 89; Friedensblätter 5 (1904), S. 6. 576 Walther Schücking, Der Staatenverband der Haager Konferenzen, München/ Leipzig 1912, S. 323; Eugen Schlief, Der Friede in Europa, Leipzig 1892, S. 388; Otto Umfried, Europa den Europäern, Politische Ketzereien, Esslingen a. N. o. J. [1913], S. 84; Alfred Hermann, Handbuch der Friedensbewegung. Erster Teil: Grundlagen, Inhalt und Ziele der Friedensbewegung, 2. Auflage, Leipzig 1911, S. 20 f.

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mit dem Dache beginnen zu wollen. Eine Rüstungsverminderung war seiner Ansicht nach nur im Rahmen bzw. nur nach Errichtung einer intensiveren Organisation möglich. Die zunehmende Sicherheit als Folge der Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen würde, so Kohler, automatisch den Abbau der Rüstungen mit sich ziehen. Das Motto lautete somit nicht Friede durch Abrüstung, sondern Abrüstung durch Frieden. Insofern korrelierte Kohlers Ansicht nicht nur mit Frieds Theorie des „organisatorischen“ oder „revolutionären“ Pazifismus, bei dem die Abrüstungsforderung nach 1899 ebenfalls in den Hintergrund geraten war,577 sondern auch mit dem Programm der Ersten Haager Konferenz, die, zunächst als „Abrüstungskonferenz“ zusammengetreten, bald zur „Friedenskonferenz“ geworden war, als sich zeigte, dass der Problemkreis der Abrüstung nur in dem größeren Rahmen der Friedenssicherung behandelt werden konnte. Während Wehberg die Oberflächlichkeit bemängelte, mit der sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Völkerrechtswissenschaft die Probleme der Abrüstung behandelt würden,578 bezeichnete Kohler die Aufrüstungsbestrebungen des Deutschen Reichs einerseits als unnötig,579 hielt aber andererseits ein zur See mächtiges Deutschland für das einzige Mittel, um der Herrschaft Englands Einhalt zu gebieten.580 Exkurs: Kohler auf dem Höhepunkt seines Ruhmes – Monarchist und Kosmopolit am Vorabend des Ersten Weltkrieges Bevor auf Kohlers Haltung im Ersten Weltkrieg übergeleitet wird, soll hier noch in einem Exkurs ein kurzer Blick auf die Hundertjahrfeier der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität im Jahre 1910 geworfen werden. Anhand dessen lässt sich Kohlers Haltung zur Monarchie und zum deutschen Nationalstaat sowie zugleich das Selbstverständnis und die Staatsbezogenheit der Mehrheit der Berliner Professorenschaft am Vorabend des Ersten Weltkrieges veranschaulichen. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stand Josef Kohler auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, wenngleich der deutschfeindliche Daily-Mail-Korrespondent Wile Kohlers Einfluss auch überschätzt haben mag, wenn er meinte, „keine andere Kaste“ übertreffe ihren Einfluss auf Staatsangelegenheiten. „Von Harnack, Delitzsch und Pfleiderer, den Theologen, Wagner, 577 Alfred Hermann, Handbuch der Friedensbewegung. Erster Teil: Grundlagen, Inhalt und Ziele der Friedensbewegung, 2. Auflage, Leipzig 1911, S. 20 f. 578 Hans Wehberg, Die Friedens-Warte 13 (1911), S. 139 ff. 579 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 134 f. 580 Josef Kohler, Die deutsche Gefahr, in: Der Tag vom 20. Oktober 1907.

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Schmoller und Bernhard, den Nationalökonomen, von Schiemann, Meyer und Delbrück, den Historikern, von Haeckel und Ostwald, den Philosophen, von Zorn, Kohler und Liszt, den Juristen“, erhalte „das moderne, mächtige und materielle Deutschland hauptsächlich seine geistige Nahrung.“581 Kohler war überzeugter Monarchist. Als Dekan der Juristischen Fakultät verlieh er Wilhelm II. auf der Jubiläumsfeier zum hundertjährigen Bestehen der Berliner Universität im Oktober 1910 die Ehrendoktorwürde.582 Die Ehrung, die als eine dem erhabenen Herrscher entgegengebrachte Huldigung gegenüber den anderen Ehrungen herausragen sollte, wurde als einzige noch in lateinischer Sprache vollzogen.583 „Die Festversammlung“, erklärte Kohler in seiner Rede, „war Zeugin der feierlichen Ehrenpromotion unseres Kaisers und Königs, und der Huldigung, welche unsere Fakultät unserem erhabenen Landesherrn und dem mächtigen Schirmherrn von Reich und Recht dargebracht hat. Daß seine Majestät die Würde eines Doktors beider Rechte in Gnaden anzunehmen geruht haben, betrachten wir mit ehrerbietigem Dank als eine der ganzen Universität erwiesene Auszeichnung und Ehre.“ Die Ehrenpromotion des Kronprinzen Ruprecht von Bayern, der 20 Jahre zuvor selbst als studiosus juris an der Berliner Universität immatrikuliert war, verhieß Kohler als Beurkundung der „unlöslichen Einheit von Süd und Nord im deutschen Vaterland und des gemeinsamen Geistes, der alle deutschen Stämme“ durchdringe.584 581

Frederick William Wile, Men around the Kaiser (1913), deutsch: Rings um den Kaiser, Berlin 1913, S. 133. 582 Kohlers Schüler Paul Krückmann zufolge soll Kohlers „stolz nach außen getragenes imperatorenhaftes Professorentum“ bei der Feier einen gewissen Eindruck gemacht haben, Paul Krückmann, Josef Kohler, in: ZZP 48 (1920), S. 309 f. 583 Vgl. Reinhard Hübner, Die Berliner Universitätsjubiläen 1860 und 1910, in: Festschrift für Friedrich Lenz, hrsg. von Siegfried Wendt, Berlin 1961, S. 112. 584 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 3. Auf die Einheit des Reiches wies auch der Leiter der Akademischen Auskunftstelle, Wilhelm Paszkowski, hin. Wenn die deutschen Universitäten mit dem nationalen und politischen Leben des deutschen Volkes enger verknüpft seien als die Universitäten irgendeines anderen Landes, so Paszkowski in der Leipziger Illustrirten Zeitung, wenn sie in Zeiten vaterländischen Missgeschicks treue Pflegstätten nicht nur der wissenschaftlichen Lehre und Forschung, sondern auch politischer Ideale und Hoffnungen gewesen seien, so gelte dies von keiner anderen mehr als von der zweitjüngsten unter ihnen, der Berliner Universität. An der „Wiedergeburt des Vaterlandes“ habe sie keinen geringen Anteil: die Ideen von Einheit und Reich seien von ihren Lehrkanzeln in weite Kreise des deutschen Volkes getragen worden, noch lange bevor an ihre Verwirklichung gedacht werden konnte. Daher sei es wohl verständlich, wenn an dieser Feier das gesamte deutsche Vaterland teilnehme und wenn man sich auch darüber hinaus des Anteils bewusst werde, den die FriedrichWilhelms-Universität in Berlin in den zurückliegenden hundert Jahren an dem geistigen Fortschritt der Menschheit gehabt habe. Siehe Wilhelm Paszkowski, Zur Jahr-

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In der Rede Kohlers kam auch seine kosmopolitische Haltung zum Ausdruck. Er wies darauf hin, dass sich die Bande der Wissenschaft über die ganze Kulturwelt erstreckten. So habe, führte er aus, die Geistesarbeit der Rechtswissenschaft „alle Reiche umspannt und überall zu einer Verknüpfung der Völker beigetragen und insbesondere die Alte und Neue Welt einander angenähert.“ Kohler betonte die Dankbarkeit, die die deutsche Rechtswissenschaft „den großen Vertretern des ausländischen Rechts“ schulde.585 Zu Ehrendoktoren ernannte Kohler den Amerikaner Oliver Wendell Holmes, Mitglied des obersten Bundesgerichtshofs in Washington, früher Professor an der Harvard-Universität, „in Anerkennung seiner durch tiefe Grundlegung ausgezeichneten Schriften und seiner in der Praxis bestätigten großen Verdienste“ um die Lösung juristischer Probleme, deren Lösung auch für die Zukunft des deutschen Rechts von Bedeutung sei,586 den Amerikaner John William Burgess, Professor der Staatswissenschaften und Dekan dreier Fakultäten an der Columbia-Universität in New York,587 den „Adoptivsohn Großbritanniens“ Paul Vinogradoff, den Italiener Ignazio Guidi, den Schweizer Ernst Röthlisberger, den Österreicher Johann von Wilczek, unter den deutschen Gelehrten den Professor der vergleichenden Sprachwissenschaft in Breslau, Otto Schrader, den Generaldirektor des preußischen Staatsarchivs Reinhold Koser, den Althistoriker Otto Hirschfeld, den Nationalökonomen Max Sering,588 den ehemaligen Staatssekretär des Reichskolonialamtes Bernhard Dernburg, den Unterstaatssekretär im Kultusministerium Philipp Schwartzkopff,589 den Königlich Württembergischen Staatsminister Friedrich von Schmidlin590 sowie den Direktor im Justizministerium, Wirklichen Geheimen Oberjustizrat Oskar Mügel.591 Reclams Universum merkte nüchtern an, interessant sei, dass die juristische Fakultät, „unter Kohlers Dekanat, als die eigentliche Pflanzstätte der Staatshundertfeier der Berliner Universität, in: Leipziger Illustrirte Zeitung 135 (1910), S. 622. 585 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 4. 586 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 4. 587 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 4. 588 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 5. 589 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 8. 590 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 8. 591 Josef Kohler, Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 9.

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wissenschaft“ dem Deutschen Kaiser das Doktordiplom auszustellen den Vorrang erhalten habe.592 Der Historiker Karl Lamprecht, der das Leipziger Rektorat im Anschluss an das dortige Jubiläum 1910/11 bekleidete, klagte in einem Privatbrief an den Publizisten Maximilian Harden: „Die Berliner Herren Professoren kommen sich ja selbst als eigentlich schon von Natur aus besonderem Holz geschnitzt vor, dazu kommt ein wenig das Gefühl der beati possidentes und so entsteht ein Hang zu dem, was [der Berliner Rektor] Erich Schmidt in seiner Berliner Gratulationsrede so artig akademisch ‚Konservativismus‘ genannt hat.“593 Während die Berliner Universität bei ihrer Fünfzigjahrfeier im Jahre 1860 ihre Ehrendiplome nahezu ausschließlich Fachgelehrten oder in- und ausländischen Kollegen verliehen hatte, die in der eigenen Fakultät besondere Verdienste geleistet hatten, ehrten die Berliner Fakultäten 1910 auch allgemein prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Teils handelte es sich dabei um politisch motivierte Ehrenpromotionen.594 Unter den honoris causa Promovierten befanden sich neben dem Kaiser der Reichskanzler, der preußische Kultus- und der württembergische Justizminister, der preußische Generalstabschef sowie Künstler, Kaufleute und Industrielle. Sogar die Witwe Richard Wagners, Cosima Wagner, erhielt den Titel der Ehrendoktorin der philosophischen Fakultät.595 Die Feier wurde zu einem „Höhepunkt universitärer Selbstdarstellung“.596 Es war zugleich die Epoche des zweiten deutschen Kaiserreichs, das sich hier in seiner ganzen Macht repräsentierte. Der amtierende Rektor, der Germanist Erich Schmidt, nahm das Kaiserpaar vor 592 Jahrhundertfeier der Berliner Universität, in: Reclams Universum 27 (1910), S. 482. 593 Zit. nach Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 114 f. 594 Reclams Universum meinte, einen Zusammenhang zwischen den Ehrenpromotionen und der Errichtung einer Stiftung in Höhe von neun bis zehn Millionen zu sehen, der „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft der Wissenschaften“, die unter dem Schutze des Kaisers die Errichtung und Erhaltung von Forschungsinstituten anstreben und durchsetzen solle. Damit sei endlich ein Schritt getan, um die ungeheuren Vorsprünge, welche die mit Millionenstiftungen bedachten amerikanischen Hochschulen vor den europäischen gewonnen hätten, in etwa wieder auszugleichen. Diese neun bis zehn Millionen stammten der Zeitschrift zufolge aus Kreisen, die dem Kaiser nahe stünden. Jahrhundertfeier der Berliner Universität, in: Reclams Universum 27 (1910), S. 482. 595 Vgl. Reinhard Hübner, Die Berliner Universitätsjubiläen 1860 und 1910, in: Festschrift für Friedrich Lenz, hrsg. von Siegfried Wendt, Berlin 1961, S. 111. 596 So Rüdiger vom Bruch, Historiker und Nationalökonomen im Wilhelminischen Deutschland, in: Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945, hrsg. von Klaus Schwabe, Boppard am Rhein 1988, S. 112; vgl. auch die Jubiläumssonderausgabe der Illustrierten „Die Woche“ 12 (1910), S. 1744–1751.

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2. Kap.: Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des I. Weltkrieges

Abbildung 2: Begrüßung der kaiserlichen Familie durch Rektor Erich Schmidt und den Dekan der Juristischen Fakultät Josef Kohler vor der Universität (10. Oktober 1910), von links nach rechts: Josef Kohler, die Kaiserin Auguste Viktoria, Rektor Erich Schmidt, der Kaiser Wilhelm II. von Preußen

der Universität in Empfang, den Kaiser in farbenprächtiger Leibgardehusarenuniform – Kohler als Dekan und die Ehrenkompanie des Kaiser-Alexander-Regiments im Hintergrund. In der Aula bot sich ein sonderbarer Anblick: die Professoren rechts und links vom Katheder des Kaisers fast zurückgedrängt durch die Menge der Würdenträger in Uniform.597 Den universalistischen Geist Kohlers erwähnte Richard Moritz Meyer in der Gartenlaube: „Es sind begeisternde Persönlichkeiten, die die Großartigkeit ihrer wissenschaftlichen Auffassung unmittelbar an große Hörerscharen 597 Vgl. Reinhard Hübner, Die Berliner Universitätsjubiläen 1860 und 1910, in: Festschrift für Friedrich Lenz, hrsg. von Siegfried Wendt, Berlin 1961, S. 108.

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Abbildung 3: Festakt in der Aula der Universität: Ansprache Kaiser Wilhelms II. (10. Oktober 1910). Links oben: die Mitglieder der Juristischen Fakultät

zu übermitteln wissen – unvergessliche Führer der Jugend und Leitsterne der Nation [. . .] Geblieben ist in dieser fünften Periode der universalistische Geist, mit dem ein Eduard Meyer die Geschichte und ein Wilamowitz die Literatur des Altertums erfasst, ein Harnack die Entstehung des Christentums, ein Kohler die Entfaltungen des Rechts, ein Erich Schmidt die feinsinnigen und kunstvollsten Regungen der Poesie. Wir dürfen wohl behaupten, die Friedrich-Wilhelms-Universität sei dem Geist treu geblieben, in dem sie gestiftet wurde.“598 598 Richard Moritz Meyer, Das erste Jahrhundert der Universität Berlin, in: Die Gartenlaube 40 (1910), S. 845.

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2. Kap.: Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des I. Weltkrieges

Kohler stand ebenso wie die deutschen Universitäten 1910 auf einem Höhepunkt seines Einflusses. Zwar standen weite Teile des Volkes wie insbesondere die Arbeiterschaft, die in den Professoren und ihrer Wissenschaft doch nur Vertreter bürgerlicher und kapitalistischer Interessen sahen, den Universitäten weitgehend misstrauisch gegenüber, doch erwartete ein nationales Bürgertum von den Gelehrten Aufklärung über die Entwicklungsmöglichkeiten des gesamten öffentlichen Lebens.

Zusammenfassung des Kapitels In Berlin entstand für Kohler ein dichtes Beziehungs- und Kommunikationsnetz. Das persönliche Prestige renommierter Wissenschaftler verband sich mit der Nähe zum politischen Zentrum. Wie andere deutsche Hochschullehrer im 19. Jahrhundert stellte er sowohl aus der Perspektive der Zeitgenossen als auch aus seinem Selbstverständnis heraus mehr als lediglich das Mitglied einer Leistungselite dar. Vielmehr verkörperte er zugleich das Mitglied einer Wertelite, indem er als Wissenschaftler moralische und politische Normen verkündete und vorzuleben versuchte, an der sich die übrige Bevölkerung orientieren können sollte. Einmal wegen des Selbstverständnisses der deutschen Professoren als politische Mentoren des deutschen Volkes, zum anderen auf Grund ihres gesellschaftlichen Prestiges innerhalb des Bürgertums kam dem deutschen Professorenstand im 19. Jahrhundert insoweit eine repräsentative Stellung zu. Die deutschen Professoren waren nach und nach eine Autorität geworden, die den Anspruch erhob, gerade in den Fragen des öffentlichen Lebens zu urteilen und dabei auch in zunehmendem Maße Beachtung fand. Kohler war nationalliberal; innenpolitisch war er am status quo orientiert. Er sah nicht die Friedensrelevanz sozialer Veränderung. Die bestehende Gesellschaftsordnung stellte er nicht in Frage. Die Monarchie war ihm für das Deutsche Reich selbstverständlich. Sein Friedensbegriff war verengt auf die Regelung äußerer, zwischenstaatlicher Beziehungen. Große Aufmerksamkeit widmete er dabei der sich wandelnden außenpolitischen Situation, in der er nicht lediglich Rivalität, sondern auch eine aus der gemeinsamen christlichabendländischen Tradition der germanisch-romanischen Völker resultierende Solidarität zu erkennen glaubte. Insgesamt bezog er in der Außenpolitik, von deren Primat er überzeugt war, eine mittlere Linie. Er wollte an der deutschen Großmachtstellung festhalten, allerdings im Rahmen des europäischen Gleichgewichts. Eine deutsche „Weltpolitik“ bejahte er, um auch in Übersee einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, was letztlich eine Schwächung Großbritanniens implizierte, ebenso wie die von Kohler ebenfalls gebilligte Flottenrüstung. Er war insofern kein Verfechter des Grund-

E. Kohlers Staatsauffassung und seine Betrachtung außenpolitischer Fragen 209

satzes Friede durch Abrüstung, sondern zog eine allgemeine Abrüstung erst für den Fall der Schaffung weiterer Friedensstrategien in Betracht. Mag er ebenso wie die meisten Anhänger der deutschen Friedensbewegung auch den kulturpolitischen und eurozentrischen Stereotypen seiner Zeit verhaftet gewesen sein, nicht frei von tatsächlichen oder vermeintlichen Sachzwängen und Vorstellungskomplexen ihrer Zeit, erkannte auch er die Bevölkerungsdynamik und das Wirtschaftswachstum als Motive einer deutschen „Weltpolitik“ an, so kollidierten die vorgeschlagenen Lösungen dennoch nicht notwendigerweise mit dem pazifistischen Grundsatz einer Rechts- und Verständigungspolitik. Der Erwerb der Kolonien brauchte nicht auf dem Wege imperialer Verdrängungs- und Ausschließungspolitik zu erfolgen, sondern mit Hilfe eines internationalen Vertragssystems, welches das feindliche Gegeneinander der Staaten in ein geregeltes Miteinander überführte. In der Vorkriegszeit war Kohler ein Vorkämpfer des Völkerfriedens und wollte der internationalen Versöhnlichkeit, Verständigungsbereitschaft und Zusammenarbeit die Bahn brechen. Dabei setzte er sich für eine ideelle Umgestaltung der internationalen Ordnung im Sinne der Zurückdrängung des Krieges sowie einer Verstärkung des Rechts- und Friedensgedankens ein. Das internationale Gewaltsystem sollte durch ein internationales Rechtssystem überwunden werden. Kohler vertrat einen auf die Ausgestaltung des Völkerrechts gerichteten Pazifismus; zu dem von ihm vorgeschlagenen friedenssichernden Instrumentarium gehörten allerdings nicht lediglich völkerrechtliche Instrumente und die föderative zwischenstaatliche Ordnung, sondern auch Friedenspädagogik mit dem Ziel einer Förderung des internationalen Rechtsbewusstseins. Dies verband ihn mit den volkserzieherischen Bestrebungen der ethischen Pazifisten. Kohlers Pazifismus zeigt insgesamt stark kompilatorischen Charakter. Er enthält Elemente der Volkserziehung, die dem ethischen Pazifismus entspringen, Elemente des vornehmlich von Alfred Hermann Fried vertretenen organisatorischen Pazifismus, der die „Anarchie“ zwischen den Staaten durch Zweckverbände unterhalb der politischen Ebene überwinden wollte, Elemente des Kulturpazifismus – der alten, auf die Stoa zurückgehenden kosmopolitischen Idee –, des Internationalismus auf wissenschaftlichem Gebiet sowie stark ausgeprägte Elemente des völkerrechtlichen Pazifismus. Seine Hoffnung einer Einigung Europas auf evolutionärem Wege als sachlicher und zeitlicher Vorstufe zur späteren Organisation der Kulturwelt – mit freier Bahn für die angeblich „zurückgebliebenen“ Völker zur Gestaltung eigener und zum Eintritt in die Gesamtkultur – entsprach dem Geist des fortschrittsgläubigen, im Zeichen ruhiger Entwicklung stehenden 19. Jahrhunderts. Erst der Erste Weltkrieg, wie im nachfolgenden Kapitel gezeigt werden soll, riss Europa aus den Träumen seines Fortschrittsoptimismus.

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2. Kap.: Wissenschaft und Politik vor Ausbruch des I. Weltkrieges

Abbildung 4: Josef Kohler

Drittes Kapitel

Das elementare Erlebnis des Ersten Weltkrieges Im folgenden Kapitel sollen Kohlers Positionen während des Ersten Weltkrieges untersucht werden, um zu sehen, ob und gegebenenfalls inwieweit der Erste Weltkrieg eine Zäsur im Denken Kohlers darstellte. Dabei beschäftigt sich der nächste Abschnitt mit der Reaktion Kohlers auf den Kriegsausbruch und seiner Haltung zu den „Ideen von 1914“.

A. Kohler und die „Ideen von 1914“: Weltanschauliche Umstellung auf den Krieg Am 3. August, dem Gründungstag der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, entließ die Universität 1914 ihre Söhne in den Krieg. Der Rektor Max Planck sprach „nach akademischer Sitte, zunächst über ein wissenschaftliches Thema; dann wandte er sich mit einem ganz sparsamen, aber um so tiefer ergreifenden Pathos dem zu, was alle Gemüter erfüllte. Das Deutschlandlied erklang; hell und jung tönten die Stimmen der Studenten, und mit ihnen vereinigten sich die Stimmen der Lehrer. Sie standen in ihren Talaren, durchgearbeitete, von geistigem Ringen geprägte Köpfe [. . .].“1 Im August 1914 befand sich Josef Kohler auf dem Höhepunkt seines wissenschaftlichen Ruhms. Der Kriegausbruch erschütterte ihn tief. „Wie ein Zusammensturz war es“, so Kohler, „als Ideale und Hoffnungen zerrannen und als der Glaube an die Menschheit, die Überzeugung von dem Walten der Göttlichkeit im ganzen menschlichen Geschlecht fast bis zur Vernichtung erschüttert wurden.“2 Hatte er die Ängste seiner Mitbürger noch vier Jahre zuvor beschwichtigt, das Deutsche Reich sei ausschließlich von zivilisierten Völkern umgeben, von denen keines den Krieg wolle, „und wir wollen ihn auch nicht“,3 so war er nun der festen Überzeugung, dass man sich unter der Urheberschaft Englands zu einem Vernichtungsfeldzug gegen 1

Agnes v. Zahn-Harnack, „Adolf von Harnack“, Berlin 1936, S. 443 f. Josef Kohler, Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: ARWP 8 (1914/15), S. 169. 3 Josef Kohler, Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in ZVölkR 4 (1910), S. 139. 2

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

die deutsche Kultur verschworen hätte.4 Wie viele seiner Mitbürger war Kohler von einer mit allen Mitteln der Propaganda geschürten Kriegspsychose erfasst und der Meinung, französische „Revanchegelüste“, Neid der Engländer und russischer Eroberungsdrang hätten dem Deutschen Reich den Krieg aufgezwungen5 – Vorstellungen, die den Patrioten Kohler zu einem glühenden Nationalisten werden lassen sollten. Wollte Kohler die unmittelbare Vorgeschichte des Krieges einschätzen, so fehlte es ihm an den erforderlichen Informationen, um die von Bethmann Hollweg im Juli 1914 betriebene doppelbödige Diplomatie durchschauen zu können. In den ersten Augusttagen gingen immer neue, widersprüchliche Meldungen auf die Bevölkerung nieder. Die geschickte Regie der Regierung Bethmann Hollweg bereitete die Bevölkerung emotional auf den Krieg vor6 und rief durch eine systematisch aufgebaute Propaganda auch bei Kohler den Eindruck hervor, als reagiere das Deutsche Reich lediglich auf Russland, das die Kampfhandlungen bereits eröffnet habe.7 Teil dieser Propaganda war auch die Versicherung der Regierung, dass sie eifrig bemüht sei, „auf eine Lokalisierung des österreichisch-serbischen Krieges“ hinzuwirken.8 Der Regierung gelang es, in Deutschland den Eindruck zu vermitteln, das Deutsche Reich sei von den anderen europäischen Großmächten, insbesondere England, überfallen worden. Hinzu kam, dass ein eindeutiges Kriegsziel fehlte und Bethmann Hollweg am 4. August 1914 unumwunden vor dem Reichstag zugab, dass der deutsche Einmarsch in Belgien Völkerrecht verletzt habe,9 zwei Umstände, die Kohler als weitere Indizien für den Friedenswillen und das Rechtsbewusstsein der deutschen Regierung auslegte.10 Auch er stimmte im August 1914 der Politik seiner Regierung zu. Seine Überzeugung von der Unschuld des Deutschen Reiches 4

Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915; unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die Zukunft des Völkerrechts, S. 2; Kultur- und Weltentwicklung, in: Der Tag vom 17. März 1916. 5 Josef Kohler, Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915. 6 Vgl. Georges Haupt, Der Kongreß fand nicht statt: Die Sozialistische Internationale 1914. Aus dem Französischen übersetzt von Karin Königseder, Wien 1967, S. 153, 165. 7 Josef Kohler, An die Nation Dantes, in: Vossische Zeitung vom 30. August 1914; siehe dazu im Allgemeinen Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Berlin/Wien 1973, S. 677 ff. 8 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg (Handschriftliche Randbemerkung: Nach einem am 13. November 1914 gehaltenen Vortrag), S. 11. 9 „Sieben Kriegsreden des Reichskanzlers“, Berlin 1916, S. 5–12, hier S. 10 f. 10 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 15.

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am Ausbruch des Krieges war aber nicht nur Folge von Leichtgläubigkeit gegenüber den Darstellungen der Reichsleitung, sondern beruhte auch auf der tatsächlich fehlenden Möglichkeit, die Frage der Verantwortung der beteiligten Staaten beurteilen zu können. So kommt auch die neuere historische Forschung zu dem Ergebnis, dass das Krisenmanagement aller am Krieg beteiligten Regierungen ungenügend gewesen sei und letztendlich eine Verknüpfung von „Schuld und Verhängnis“ für den Kriegsausbruch verantwortlich war.11 Der Erste Weltkrieg leitete das Ende des bürgerlichen Zeitalters ein. Kohler, der im Folgenden möglichst im Originalton zu Wort kommen soll, empfand ihn sofort als epochales Ereignis. „Ende Juni“, so erinnerte er sich später, „durchzuckte die Welt die furchtbare Nachricht von dem Morde zu Sarajewo. Die Nachricht schlug ein, sie war wie ein Ticken der Weltenuhr, man ahnte, dass etwas ungeheures kommen werde.“12 „Als ich mein Werk Recht und Persönlichkeit schrieb“, so brachte er im Herbst 1914 seine Ernüchterung zum Ausdruck, „fühlte ich, dass wir den Abschluss einer Kulturperiode sehen, und ich glaubte und hoffte, dass wir in diesem Fahrwasser weiter leben würden in der Eintracht der Völker, die wir in unserem Idealismus als eine brüderliche Eintracht ansahen, zu dem Zwecke, um mit gemeinsamen Mitteln und mit den verschiedenartigen Kräften der Nationen die Kultur zu erheben und zu verfeinern. Wir haben uns in vielem getäuscht. Eine Menge von Vorstellungen sind in die Nacht der Vergangenheit gerauscht und die letzten 3 Monate haben uns um Jahrhunderte weiter getrieben.“13 Aus den immer wieder mit diplomatischen Mitteln beigelegten Krisen der Vorkriegszeit hatte Kohler die Schlussfolgerung gezogen, dass keine Großmacht ernsthafte Kriegsabsichten verfolge. Insbesondere die Überwindung der Balkankrise (1912/13) hatte ihn in seinem Optimismus bestärkt. Der Umstand, dass die Konflikte der Vorkriegszeit ohne eine bewaffnete Auseinandersetzung der europäischen Großmächte beigelegt worden waren, schien seine Ansicht zu bestätigen, dass die europäischen Probleme friedlich gelöst werden konnten: „Am meisten“, so Kohler noch Silvester 1913/14, „beruhigen uns die völkerrechtlichen Bestrebungen. Auch hier wissen wir zwar, wie alles Intellektuelle scheitern kann an den heftigen Impulsen des Völkergemütes und wie die Bestrebungen nach rationeller Lösung der Völkerkonflikte so häufig an den Instinkten der Völker zerschellen, welche bei jeder Gelegenheit zur feindseligen Glut aufflammen. Doch 11

Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Zweiter Band: Machtstaat vor der Demokratie, München 1995, S. 695. 12 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 8. 13 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 1.

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

auch hier ist schon vieles geschehen, und namentlich haben die Friedensbestrebungen dahin geführt, Öl über die Fluten zu breiten die Leidenschaften etwas zu begütigen. [. . .] Schon hat sich die Kriegsfurie in den Orient geflüchtet, um hier ihre letzten Tage zu fristen. Jetzt kann das Völkerrecht seine Fackel erheben; es wird dem Verein der Staaten die Leuchte vorantragen, damit die Konflikte geläutert werden und in dieser Läuterung ihre rationelle Lösung finden. Das ist die erfreuliche Sicherheit, in welcher wir trotz aller Ungewissheit der Zukunft ins Auge sehen.“14 Die Sprengkraft der zwischenstaatlichen Interessengegensätze, die außerordentlich schwierige Lage des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn, das Problem Elsass-Lothringens und den englisch-deutschen Gegensatz hatte Kohler genauso unterschätzt wie diejenigen Strömungen in der Politik aller europäischen Staaten, denen ein Krieg etwa als Ausweg aus inneren Schwierigkeiten nicht ungelegen kam oder ihn als letztlich unvermeidlich lieber früher als später riskieren wollten. Hinzu kam die Selbstgewissheit des Internationalisten Kohler, einen bewaffneten Konflikt im Zeitalter zunehmender Verflechtungen nahezu ausschließen zu können. Die Triebkraft des von Kohler unterschätzten Nationalismus hatte sich letztlich als stärker erwiesen als die vielgestaltigen internationalen Beziehungen, stärker als das durchaus vorhandene europäische Kulturbewusstsein und stärker als der sozialistische und pazifistische Internationalismus. So illusionär Kohlers Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung bei Betrachtung ex post auch erscheinen mögen, so trugen doch auch strukturelle Gründe wie die weitgehende Ausschließung des Parlaments und der Parteien von den außenpolitischen Entscheidungsprozessen und unzureichende Informierung über außenpolitische Vorgänge dazu bei, dass Kohler ebenso wie weite Kreise der gebildeten Schichten auf die Fähigkeit der Diplomatie zum Krisenmanagement auch noch in der Julikrise 1914 vertraute. So überschätzten nicht nur Kohler und andere Anhänger der Friedensbewegung, sondern auch Mitglieder der Sozialistischen Internationale und der Sozialdemokratie die Anzeichen für eine Entspannung der internationalen Lage.15 Auch Kohler wurde bei Kriegsausbruch von der Idee nationaler Einheit mitgerissen. Zumindest vorübergehend schienen alle alten Gegensätze gewichen. „Manche Fehler hatten wir in der letzten Zeit entwickelt, welche unseren Feinden eine falsche Meinung beibrachten, als ob wir zerklüftet und gespaltet wären, als ob die Parteiungen uns bis ins Mark vergifteten. All 14 Josef Kohler, Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Berlin 1914, Vorwort, S. VIII f. 15 Vgl. Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Berlin/ Wien 1973, S. 414, 596.

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diese Schlacken sind mit einem Mal gewichen, mit einem Mal hat man erkannt, dass eine lebendige Nation nicht anders bestehen kann als unter dem Zusammenwirken einer Reihe von Elementen, die von verschiedenen Ausgangspunkten dem einen Ziele zustreben, die Bildungskräfte der Nation zu entfalten. [. . .] künftighin werden wir nie mehr in die alten Fehler verfallen; wir kennen jetzt keine feindseligen Parteien mehr, sondern nur gemeinsam ziehend Deutsche, das soll jetzt und künftighin unser Wahlspruch sein.“16 Das Erlebnis nationaler Solidarität ergriff auch diejenigen, die wie Kohler den Krieg als Unglück begriffen. Es war der nur im historischen Augenblick erfahrbare Zusammenhalt des ganzen Volkes, der bewegte, gleichsam eine nationale „Selbstbegeisterung“.17 „Und trotz allem Haß und Abscheu gegen den Krieg“ – so schrieb auch Stefan Zweig – „möchte ich die Erinnerung an diese ersten Tage (des August 1914) in meinem Leben nicht missen. Wie nie fühlten die Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten. Eine Stadt von zwei Millionen, ein Land von fast fünfzig Millionen empfanden in dieser Stunde, dass sie Weltgeschichte, dass sie einen nie wiederkehrenden Augenblick miterlebten [. . .] Jeder einzelne erlebte eine Steigerung seines Ichs, er war nicht mehr der isolierte Mensch von früher, er war eingetan in eine Masse, er war Volk [. . .].“18 Dennoch ist bei Kohler anders als bei vielen deutschen Intellektuellen nichts von der „Herrlichkeit“ des Kriegsausbruchs,19 von dem „großen“ und „wunderbaren“ Krieg, den es sich zu erleben „lohne“,20 von der Mobilmachung als „dem größten Ereignis im Leben jedes einzelnen“ zu lesen.21 Von der Kriegsbegeisterung derjenigen, die sich vom Krieg eine Erneuerung der Kultur erhofften, ist die bei Kohler zu beobachtende Kriegsbejahung zu unterscheiden. Ihm waren die Schrecken des Krieges durchaus bewusst. Das Institut des Krieges erachtete er als zivilisatorische Rückständigkeit, die eine moralische Rechtfertigung verlange. Da aber bis in die Reihen der Friedensbewegung der Krieg überwiegend als ein Akt nationaler Notwehr22 verstanden wurde, sah er gar keinen Grund, den Kriegsein16 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 5. 17 Siehe hierzu auch Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992, S. 299–301. 18 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (Erstdruck 1944), Nördlingen 1978, S. 207. 19 Reinhold Seeberg, Was sollen wir denn tun?, Leipzig 1915, S. 5. 20 Max Weber am 15. Oktober 1914 an Ferdinand Tönnies, Gesammelte politische Schriften, München 1921, S. 458. 21 Max Lenz, Der Weltkrieg im Spiegel Bismarckscher Gedanken, in: Das Bismarckjahr, Hamburg 1915, S. 268.

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tritt des Deutschen Reiches kritisch zu kommentieren. Auf dieser Annahme eines aufgezwungenen Verteidigungskrieges baute sich seine gesamte Kriegsideologie auf. Ebenso wie die überwiegende Mehrheit der Sozialdemokratie waren auch die Mitglieder der organisierten Friedensbewegung, selbst spätere Kriegsgegner wie der Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, Walther Schücking und Hans Wehberg23 davon überzeugt, dass Deutschland einen Verteidigungkrieg führe. In einem Flugblatt vom 15. August 1914 erklärte das Präsidium der Friedensgesellschaft: „[. . .] über die Pflichten, die uns Friedensfreunden während des Krieges erwachsen, kann kein Zweifel bestehen. Wir deutsche Friedensfreunde haben stets das Recht und die Pflicht der nationalen Verteidigung anerkannt. [. . .]. Jetzt, da [. . .] unser Volk von Ost, Nord und West bedroht, sich in einem schicksalsschweren Kampf befindet, hat jeder deutsche Friedensfreund seine Pflicht gegenüber dem Vaterlande genau wie jeder andere Deutsche zu erfüllen.“24 Die bei Kohler feststellbare Kriegsbejahung fand so ihre Begründung in der allgemein geteilten Überzeugung, das Deutsche Reich nehme mit seiner Mobilmachung nur ein zu allen Zeiten als selbstverständlich angesehenes Recht auf Selbstverteidigung wahr. Er war der Überzeugung, dass Deutschland einen von den Gegnern „frivol heraufbeschworenen“ gerechten Krieg gegen die Dekadenz des Westens und die Barbarei des Ostens führe und zwar nicht nur im eigenen Interesse, sondern für „weltgeschichtliche Gerechtigkeit“ und den „Kulturfortschritt“. Diese Kriegsbegründung ließ keine Niederlage zu, auch kein Patt. Kohler konnte sich den Krieg nicht anders als siegreich vorstellen. Die Sichtweise neoidealistischer Kulturkritiker wie etwa Rudolf Euckens, dass der Krieg selbst als Erwecker einer neuen Kultur zu sehen sei,25 war für Kohler völlig fremd. Der Erste Weltkrieg bedeutete gerade für jemanden wie Kohler, der an den Erfolg der Friedensbewegung geglaubt hatte, eine Katastrophe. Er sah die fruchtbaren Ansätze zur Ausgestaltung einer internationalen Rechtsordnung und zu einem politi22 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 1 f.; siehe hierzu im Allgemeinen Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 23. 23 Friedrich Wilhelm Foerster, Christus und der Krieg (Deutsche Weihnacht, Liebesgaben deutscher Hochschüler 1 (1914), S. 53, 55; Walther Schücking, Der Weltkrieg und der Pazifismus, in: Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, Leipzig 1917, S. 3 f.; Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkrieg, Leipzig o. J. [1919], S. 12. 24 I. Kriegsflugblatt der DFG, in: Die Friedens-Warte 16 (1914), S. 308. 25 Rudolf Eucken, Der Sinn und Wert des Lebens (1908), 7. Auflage, Leipzig 1920, S. 43; ders., Die sittlichen Kräfte des Krieges, Leipzig 1914; Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel/Stuttgart 1963, S. 178–188.

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schen Ausgleich mit den anderen europäischen Großmächten zerstört.26 Der Krieg sollte sein Ethos, wie sich noch zeigen wird, auf eine unerwartet harte Probe stellen. Neben England trug Kohlers Ansicht nach Russland maßgebliche Mitverantwortung am Kriegsausbruch, da es in der Julikrise durch seine frühzeitige Mobilmachung den Spielraum für Verhandlungslösungen entscheidend eingeengt habe. Österreich konnte seiner Auffassung nach lediglich bedingt zur Verantwortung gezogen werden. Es sei, so meinte er, Sache der Serben gewesen, durch eine unverzügliche Untersuchung der politischen Drahtzieher des Attentats und „Auflösung und Konfiskation der verbrecherischen Schandgesellschaften, welche unter der Gloriole des Patriotismus Mord und Totschlag als Tugenden predigten“ den sich anbahnenden Konflikt zu entschärfen. Der weitere Gang der Sache, so Kohler, liege noch in aller Erinnerung, „es ist uns ein gestern geworden, aber ein gestern, das uns mit fuchtbarem Wetterleuchten noch heute erfüllt.“27 Kohler stellte sich nicht die Frage, ob die Reichsleitung das Großmachtstreben Österreich-Ungarns nicht bereits vor 1914 zu vorbehaltslos unterstützt hatte. Zu viel Vertrauen setzte er auch in die jüngste Politik der eigenen Regierung, deren Gefahrencharakter er nicht erkannte.28 Er war davon überzeugt, dass die deutsche Regierung alles unternommen habe, um die österreichische Regierung in Schranken zu halten und sich bis zuletzt um eine weitestgehend friedliche Lösung des Konflikts bemüht habe. „Ihr habt mit uns die bange Woche erlebt“, wandte er sich Ende August 1914 an die „Nation Dantes“, „in der sich der Rhythmus der Weltgeschichte abgespielt hat, gewaltig wie eine rhythmische Sinfonie unseres großen Beethoven: Die Woche, in der unser Kaiser mit allem Eifer, den Ihr an ihm kennt, bestrebt war, eine Verständigung der Völker herzustellen, bis uns der Ueberfall Russlands klar wurde, und wir mit grauenvoller Sicherheit erkannten, dass es möglich sei, dass ein Staat durch seine Minister ehrenwörtlich ableugnen ließ, was längst beschlossene Sache war, nämlich die Mobilisierung der gesamten russischen 26 Josef Kohler, Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: ARWP 8 (1914/15), S. 169. 27 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 9 f. 28 Zur Julikrise siehe Wolfgang Kruse, Ursachen und Auslösung des Krieges, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 22 ff.; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Zweiter Band: Machtstaat vor der Demokratie, Broschierte Sonderausgabe München 1995, S. 670–699; Peter v. Kielmannsegg, Deutschland und der erste Weltkrieg, 2. Auflage, Stuttgart 1980, S. 7–22; Klaus Hildebrand, Deutsche Außenpolitik 1871–1918, München 1989, S. 85–88; James Joll, Die Ursprünge des Ersten Weltkrieges (Erstdruck 1984), München 1988; Gustav Schmidt, Die Julikrise, in: Gregor Schöllgen (Hrsg.), Flucht in den Krieg?, Darmstadt 1991, S. 187–229.

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Truppenschar gegen uns Deutsche!“29 Österreich, so Kohler, habe ausdrücklich versichert, keine territorialen Erwerbungen machen zu wollen und versprochen, alles zu vermeiden, was gegen die Unabhängigkeit und Integrität von Serbien verstoße. Der deutsche Kaiser, so die Ansicht Kohlers, sei dabei „ausserordentlich bestrebt gewesen, dieses Versprechen Oesterreichs zur Geltung zu bringen und damit den Krieg zu lokalisieren.“30 Hinsichtlich des Einmarschs in Belgien äußerte Kohler die Überzeugung, dass die Reichsleitung sicher gewesen sei, dass ein französischer Angriff unmittelbar bevorgestanden habe.31 Kohlers Sohn Rudolf wurde als Arzt sofort eingezogen. Der ältere Sohn Arthur blieb zunächst zu Hause, was dessen Gattin „peinlich“ war. Arthur Kohler kam dann jedoch im März 1915 als Kriegsgerichtsrat an die Westfront.32 Kohler selbst blieb der Frontdienst aufgrund seines fortgeschrittenen Alters erspart.33 Er empfand aber doch das Bedürfnis, für das Vaterland, das er ungerechtfertigt angegriffen wähnte, einzustehen und die Kriegspolitik wenn nicht an der Front, so doch vom Schreibtisch aus zu unterstützen. Viele Bürger suchten allgemeine Orientierung sowie Auskünfte über die Ursachen und Aussichten des Krieges, die ihnen Geistliche und Gelehrte zu geben bereit waren. Auf die militärische folgte eine intellektuelle Mobilmachung. Die zahlreichen Reden, Erklärungen, Pamphlete, Aufrufe, Artikel, Broschüren, Bücher und Vortragsreihen boten den Professoren ein Forum, das sie in vorher unvorstellbarem Maße nutzten. Die 1915 unter dem Titel Deutsche Reden in schwerer Zeit publizierten Reden der Berliner Professoren füllten allein drei Bände. Darunter finden sich Reden der renommiertesten Berliner Gelehrten. Neben Josef Kohler seien hier erwähnt der Gräzist Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der Philosoph Alois Riehl, der Germanist Gustav Roethe, der Militärhistoriker Hans Delbrück, die Juristen 29 Josef Kohler, An die Nation Dantes, in: Vossische Zeitung vom 30. August 1914. 30 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 11; ähnlich auch Franz von Liszt, Völkerrecht, 10. Auflage, Berlin 1915, S. 43. 31 Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915. 32 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches, Freiburg 1986, S. 74 f., 17, 19. 33 Gesetzlich zum Kriegsdienst verpflichtet waren im Deutschen Reich alle wehrfähigen Männer zwischen dem 20. und vollendeten 45. Lebensjahr. Circa 18% der Hochschullehrer der Berliner Universität konnten im Sommersemester 1915 aufgrund „Kriegsdienstes“ keine Vorlesungen halten. Siehe Deutscher Universitätskalender, SS 1915; Andrea Wettmann, Heimatfront an der Universität. Preußische Hochschulpolitik und die Universität Marburg im Ersten Weltkrieg, Köln 2000, S. 116 f.

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Otto von Gierke und Franz von Liszt, die Theologen Friedrich Delitzsch, Alfred von Harnack und Adolf Deißmann. Wie es im Vorwort der „Deutschen Reden“ heißt, galt es den Berliner Professoren, „uns immer tiefer der inneren Werte bewusst zu werden, die wir in den ersten Wochen des Krieges gewonnen hatten und sie als unversierbares Gut in Besitz zu nehmen; [. . .] es galt, den Krieg in seinen tiefsten Ursachen zu verstehen und vorausschauend zu überlegen, [. . .] Mit einem Wort, es galt in diesen Reden einen Born zu erschließen, aus dem immer wieder neuer Mut, neue Kraft und neue Zuversicht zu schöpfen war.“34 Im Verlauf des Krieges wurde Druckpapier knapp. Zudem bedurfte es einer Druckerlaubnis des Generalkommandos, die Staatsbeamten jedoch bevorzugt erteilt wurde.35 In den überspannten politischen Betätigungsdrang der deutschen Hochschullehrer gliederte sich Kohler ein. Städte und Universitäten organisierten Veranstaltungen mit Tausenden von Zuhörern. Die großen vaterländischen Reden der geistigen Führer der Nation wurden von Trompetengeschmetter zu Beginn, Heil dir im Siegerkranz oder Die Wacht am Rhein umrahmt.36 Einmal wegen des Selbstverständnisses der deutschen Professoren als politische Mentoren des deutschen Volkes, zum andern auf Grund ihres gesellschaftlichen Prestiges innerhalb des Bürgertums kam dem deutschen Professorenstand in dieser Zeitspanne insoweit eine repräsentative Stellung zu. Kohlers Nachlass zeigt, wie er mit Vortragsangeboten regelrecht überhäuft wurde.37 Teils bat er Verlage, einen Teil des Gewinnes, den seine Reden und Schriften erbrachten, gemeinnützigen Organisationen wie der Kriegshilfe oder dem Roten Kreuz zur Verfügung zu stellen.38 Die bereits vor dem Krieg getroffene Feststellung des Korrespondenten der Daily-Mail, Frederick William Wile, Kohler gehöre zu dem Kreis von Gelehrten, von dem das deutsche Volk hauptsächlich seine geistige Nahrung beziehe,39 erlangte erst nun nach Ausbruch des Krieges volle Gültigkeit. 34 Deutsche Reden in schwerer Zeit, gehalten von den Professoren der Universität Berlin, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern, Berlin 1914, Vorwort, S. VII f. 35 Der Verleger C. Schaffnit am 16. Oktober 1917 an Josef Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 36 Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 15. 37 Der Zeitungsverleger Hugo P. Fessler am 29. Mai 1917 an Josef Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 20; C. Schaffnit am 10. Oktober 1917 an Josef Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 38 C. Schaffnit am 21. Oktober 1917 an Josef Kohler; Konzertdirektion Jules Sachs, Berlin, am 1. Oktober 1914 an Josef Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 39 Frederick William Wile, Men around the Kaiser (1913), deutsch: Rings um den Kaiser, Berlin 1913, S. 135.

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Wenn Kohler zugunsten der Deutschen Zentralstelle für Jugendfürsorge im Plenarsaal des Herrenhauses Vorträge hielt, waren „Saal und Tribüne [. . .] bis auf den letzten Platz besetzt“ und befanden sich unter den Zuhörern auch „Offiziere und höhere Beamte der einzelnen Ministerien.“40 Kohlers Vorträge fanden aber auch über die Grenzen Berlins hinaus starkes Interesse, wie sich etwa aus den Briefen des Consuls Dr. Alexander von Schlieben oder des in der Schweiz lebenden Diplomaten Rudolph Said-Ruete ersehen lässt. Von Schlieben hatte Wiener Zeitungen entnommen, „dass Euer Hochwohlgeboren einen hochinteressanten Vortrag über das Thema ‚England und der Weltkrieg‘ gehalten“ haben, so von Schlieben wenige Tage nach einem Vortrag Kohlers im November 1914 im Herrenhaus. Da er damit beschäftigt sei, erklärte von Schlieben, „auf Grund einer langen politischen und journalistischen Tätigkeit eine Geschichte des gegenwärtigen Weltkrieges „besonders nach der politischen Hinsicht hin“ zu schreiben, wäre es ihm „ausserordentlich wertvoll“, den von Seiner „Hochwohlgeboren“ gehaltenen Vortrag „wenigstens auf kurze Zeit im Manuskript oder in einem ausführlichen Bericht über denselben“ haben zu können. Damit verknüpfte von Schlieben die Bitte, ihm zu gestatten, in seinem Werk „geeignete Stellen aus dem Vortrage, selbstverständlich unter voller Erwähnung der Quelle, zu reproduziren“.41 Am selben Tag wandte sich auch Rudolph Said-Ruete, der zu den liberalen Kritikern der deutschen Außenpolitik gehörte und sich in Denkschriften, Briefen und persönlichen Unterredungen besonders für einen deutsch-englischen Interessenausgleich einsetzte,42 an Kohler. Said-Ruete, der sich ebenfalls auf Kohlers Vortrag England und der Weltkrieg, wie er in der Vossischen Zeitung und im Berliner Tageblatt vom 14. bzw. 15. November 1914 wiedergegeben war, bezog, beanstandete die Kritiklosigkeit, mit der Kohler „in Uebereinstimmung mit der in Deutschland verbreiteten, wenn auch nicht immer schlüssig belegten Auffassung“ den Ausbruch des Weltkrieges auf englische Machenschaften zurückführe und gab zu bedenken, dass die Verfassung, in der der Krieg die englische Armee vorgefunden habe, nicht dafür spreche, dass „ein agressiver Waffengang mit der stärksten Waffenmacht des Kontinents von langer Hand geplant“ gewesen sei. Zudem wies Said-Ruete darauf hin, dass dem „scharfen Protest einer Anzahl eng40

So das Berliner Tageblatt vom 15. November 1914. Consul Dr. Alexander von Schlieben aus Cirkvenica b. Fiume vom 20. November 1914 an Josef Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 42 Vgl. Rudolph Said-Ruete, Politische Korrespondenzen und friedfertige Kriegsaufsätze 1914–1918, Zürich 1919. Zu Rudolph Said-Ruete siehe auch Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis 1913/14–1919, Frankfurt a. M./Bern 1980, S. 168 f. 41

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lischer Universitätsprofessoren vor der Kriegserklärung, dem Rücktritt dreier Kabinettsmitglieder anlässlich des Kriegsausbruchs, dem gesinnungstreuen, mutigen Auftreten von Männern wie den Bischöfen von Lincoln und Hereford und den eindrucksvollen Massendemonstrationen gegen den entfachten Krieg“ seines Wissens in keinem anderen Lande nur annähernd ähnliche Äußerungen des „selbständigen gegen die Entschliessungen der eigenen Regierung gerichteten Willens“ an die Seite zu stellen seien. Said-Ruete stellte des Weiteren die Überlegung zur Diskussion, ob die Bildung der „Union of Democratic Control“ unter Leitung eines ausgeschiedenen Kabinettsmitgliedes während der ersten Kriegswochen nicht eine anerkennenswerte politische Tat sei und zugleich auch ein Beleg für die freiheitlichen Auffassungen eines Landes, die ein solches Vorgehen ermöglichten. Er selbst, so SaidRuete, ziehe vor, seiner Ansicht und Gesinnung zur Zeit allerdings „in ziemlicher splendid isolation“ treu zu bleiben. Die Legion der bisher so rührselig lauten „Englandfreunde“, schloss Said-Ruete seine Ausführungen, sei bezeichnenderweise verstummt, ächte „wahrscheinlich am fanatischsten.“43 Dieser Brief Said-Ruetes ist ein erstes Indiz dafür, dass Kohler während des Krieges zu mehr Objektivität ermahnt wurde. In seinen Schriften versuchte Kohler immer wieder, die deutsche Friedfertigkeit und damit die deutsche Unschuld am Krieg näher zu belegen. Gerade für das Ausland, in dem man die deutsche Rechtswissenschaft mit den Namen Josef Kohler und Franz von Liszt verband,44 bedeutete der Name Kohler einen Machtfaktor. Durch das internationale Ansehen, das er vor dem Krieg in aller Welt genossen hatte, fühlte sich Kohler in besonderem Maße dazu befähigt, den Vorwürfen seitens des Auslands entgegenzuwirken. Die Rechtfertigung der „deutschen Sache“ vor den eigenen Landsleuten zur Aufrechterhaltung der Heimatmoral bedeutete zugleich eine Verteidigung gegen die Angriffe von ausländischer Seite. Vehement wandte sich Kohler gegen Vorwürfe von ausländischer Seite, wonach deutscher Militarismus die ganze Welt unterwerfen wolle.45 Denn was ist es anderes, so Kohler, „wenn die Presse der Feinde alle Register aufzieht, uns zu verleumden, alle Bosheitsmittel anwendet, um uns zu verunglimpfen, und alles Gift des Hasses gegen uns ausspritzt? Welch ein Bild der Verzerrung! Es könnte unseren Humor erwecken, wenn es nicht so traurig wäre [. . .]. Sie strotzen 43

Schreiben des Diplomaten Rudolph Said-Ruete vom 20. November 1914 an Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 44 Vgl. Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: Neue Badische Landeszeitung vom 16. Oktober 1932; Otto Liebmann zufolge galt Kohler im Ausland als Deutschlands größter Jurist, siehe Liebmann, Josef Kohler, in: Deutsche Juristenzeitung 24 (1919), Sp. 734. 45 Josef Kohler, Deutschlands Denker, in: Der Tag vom 15. April 1915; ders., Feindesstimmen, in: Der Tag vom 24. Oktober 1916.

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von Beschimpfungen, wie Lüge, Pharisäismus, Verleumdung usw., sie verraten eine vollständige Unkenntnis der deutschen Verhältnisse [. . .], als ob wir die Allherrschaft über die Welt erstrebten! [. . .] Natürlich wird hier auch wieder das Triumvirat Nietzsche, Treitschke und Bernhardi ausgespielt; Bernhardi, von dem die wenigsten Deutschen etwas wussten, wird als das Sprachrohr unserer ganzen Nation dargestellt.“46 Nietzsches Lehre vom Übermenschen, Treitschkes historische Rechtfertigung des Machtstaats und das 1912 erschienene Buch des Generals Friedrich von Bernhardi „Deutschland und der nächste Krieg“, diese „unheilige Dreieinigkeit deutscher Machtstaatsideologie“, galt in England seit einem Leitartikel der Times vom 2. September 1914 (The Great Illusion) als Inkarnation der im Kaiserreich zur Herrschaft gelangten politischen Mentalität und als Vollendung einer Entwicklung, die mit dem „Erobererstaat“ Friedrichs des Großen begonnen und den deutschen Geist durchgehend mit dem Element des Militarismus erfüllt habe.47 Dass die Unschuldsbekenntnisse der deutschen Gelehrten im Ausland ganz anders aufgenommen werden mussten, erkannte Kohler nicht. Das Gefühl politischer Isolierung und moralischer Diskreditierung führte bei ihm nicht etwa zur Besinnung, sondern vielmehr dazu, dass er die Politik seiner Regierung noch energischer verteidigte. So entstand Ende August 1914 eine von Josef Kohler mitunterzeichnete Kundgebung deutscher Gelehrter. Man griff nun auf das seit der Dreyfus-Affäre und dem Kampf gegen die Lex Heinze eingeführte Mittel der Manifeste mit großen Unterschriftenlisten zurück. Die außer von Kohler auch von Gelehrten wie Ernst Haeckel, Wilhelm Kahl, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Adolf Wach und Erich Marcks unterzeichnete Erklärung forderte die Mitbürger unter dem Titel „Die Wahrheit ins Ausland“ dazu auf, an einer Aufklärungskampagne gegen die Wirkungen der feindlichen Propaganda im neutralen Ausland mitzuwirken: „Unsere Feinde haben die systematische Lüge auf ihren Kampfschild geschrieben! [. . .] Mit der reinen Waffe der Wahrheit müssen wir um die internationale öffentliche Meinung streiten. Dieser Kampf hat bereits begonnen. Der Kaiser hat sich an die Spitze gestellt; an seiner Seite steht der Reichskanzler. [. . .] Das Ausland muß mit Nachrichten über den wahren Stand der Dinge geradezu überschwemmt werden. [. . .] Unaufhörlich muß die Wahrheit hinausgerufen werden. Die Welt muß insbesondere erfahren, daß wir schmachvoll überfallen worden sind, daß unsere Sache gerecht ist, dass Deutschland wie ein Mann zum Siegen oder Sterben geeint dasteht. [. . .]. Es ist die Pflicht eines jeden Deutschen hier mitzutun. Sendet Nach46

Josef Kohler, Feindesstimmen, in: Der Tag vom 24. Oktober 1916. Vgl. Ernest Barker, Nietzsche and Treitschke. The Worship of Power in Modern Germany (Oxford Pamphlets, 20); Stuart Wallace, War and the Image of Germany. British Academics 1914–1918, Edinburgh 1988. 47

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richten an geeignete Personen heraus, in welcher Form es auch sei, Briefe, Druckschriften, Zeitungen [. . .] Tut es nicht einmal, ab und zu, sondern dauernd und täglich.“48 „Glücklicherweise besteht keine Nation nur aus Professoren, nicht einmal in Deutschland“, kommentierte Bertrand Russell 1914 die um sich greifende „intellektuelle Kriegsneurose.“49 Kohler meinte, dass man hier nur etwas Selbstverständliches zum Ausdruck bringe, dass das deutsche Volk, deutsche Soldaten nicht als Verbrecher stigmatisiert werden dürften. Mitte Oktober 1914 erschien eine weitere Erklärung der deutschen Universitäten, die diesmal an die Hochschulen des Auslandes gerichtet war: Die Professoren, „denen die Pflege menschlicher Bildung in unserem Vaterlande vorzugsweise anvertraut“ sei, erklärten, sich als Hüter der Wahrheit verpflichtet zu fühlen, angesichts der feindlichen Verleumdungen „aus der Zurückhaltung, die uns Beruf und Stellung auferlegen, mit einer lauten Verwahrung hervorzutreten.“50 Zwar vertraute Kohler auf den Sieg des Deutschen Reiches, aber bereits seit Herbst 1914 stellte er sich auf eine längere Kriegsdauer ein: Bis zum 31. Oktober [1914] werden zwar die entscheidenden Schläge unseres Krieges in einer solchen Weise geführt sein, dass unsere Feinde gründlich niedergeworfen sind, ob aber dann der Krieg zu Ende ist, wird fraglich sein.“51 Anfang September 1914 war es zu einer Wende auf dem westlichen Kriegsschauplatz gekommen. Ein französischer Gegenangriff hatte den deutschen Vormarsch an der Marne zum Stehen gebracht, wodurch die Strategie der Obersten Heeresleitung, durch Umfassung des französischen Heeres eine rasche Entscheidung im Westen zu erzwingen, gescheitert war.52 Der neue Generalstabschef von Falkenhayn war der Auffassung, dass der Krieg „eigentlich verloren“ sei,53 die Zensur jedoch bemühte sich, der deutschen Öffentlichkeit die Niederlage an der Marne zu verheimlichen. Konkrete politische Ziele sprach Kohler zunächst nicht an. Stattdessen konzentrierte er sich in den ersten Kriegsmonaten auf die ideellen Werte, die er in Gefahr wähnte, den deutschen Staat und die deutsche Kultur. Dabei betonte er, 48 Abgedruckt in: Der Krieg der Geister, hrsg. von Hermann Kellermann, Weimar 1915, S. 5 ff. 49 Zit. nach S. Heynes, A War Imagined. The First World War and English Culture, New York u. a. 1992, S. 74. 50 Abgedruckt in: Der Krieg der Geister, hrsg. von Hermann Kellermann, Weimar 1915, S. 86 ff. 51 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Vergeltung gegen England, S. 8. 52 Volker Ullrich, Kriegsalltag. Zur inneren Revolutionierung der wilhelminischen Gesellschaft, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München/Zürich 1994, S. 605. 53 Zitiert nach Fritz Fischer, Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstruktur in Deutschland 1871–1945, Düsseldorf 1979, S. 46.

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dass „man“ kein Volk ohne Kultur war, sondern Geschichte hatte. Geschichte verstand er dabei als Kulturtätigkeit und Kultur als das Ziel der Geschichte. Er vertrat die Auffassung, dass die Ausrottung deutschen Geistes einen unersetzbaren Verlust für die weitere Entwicklung der Kultur- und Weltentwicklung bedeute.54 Kohlers Kulturbewusstsein brachte den Stolz und das Selbstverständnis der Deutschen als einer Kulturnation zum Ausdruck. Der das höhere geistige Leben und die Bestimmung des Menschen bezeichnende Begriff „Kultur“ war in Deutschland spätestens seit der Jahrhundertwende zu einem „Allerweltsbegriff mit fast religiösem Beiklang“ geworden.55 Bezeichnend für Kohlers Haltung im Ersten Weltkrieg war der Streit mit Hans Wehberg, der seit Juni 1913 zusammen mit Kohler und Oppenheim Herausgeber der Zeitschrift für Völkerrecht war. Zum einen ging es dabei um den zweiten Mitherausgeber Oppenheim, wie bereits erwähnt, Professor an der Universität Cambridge, zum andern um die Frage der Verletzung der belgischen Neutralität. Kohler wollte zu Beginn des Krieges Oppenheim als Mitherausgeber der Zeitschrift streichen, da dieser seiner Ansicht nach als früherer Deutscher nach Ausbruch des Krieges seine Stellung als Berater der englischen Regierung hätte aufgeben müssen.56 Wehberg hingegen war der Auffassung, dass es für die Aufgaben der internationalen Verständigung keine feindlichen Nationen gebe, sondern nur gleichgestellte Kämpfer, welche alle dasselbe Ziel erstrebten.57 Die Beziehungen zwischen Oppenheim und der Redaktion, so Wehberg, seien rein wissenschaftlicher Natur und es sei durchaus zulässig, sogar nützlich, dass der Angehörige eines feindlichen Staates formell in der Redaktion bleibe.58 Der zweite Streitpunkt, bei dem es um die Frage der Verletzung der belgischen Neutralität durch den Ein54

Josef Kohler, Kultur- und Weltentwicklung, in: Der Tag vom 17. März 1916. Vgl. Rüdiger vom Bruch, Weltpolitik als Kulturmission. Auswärtige Kulturpolitik und Bildungsbürgertum in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Paderborn/München/Wien/Zürich 1982, S. 41–57; Louise Schorn-Schütte, Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22), Göttingen 1984, S. 111, 27; Joseph Niedermann, Kultur. Werden und Wandlungen des Begriffs und seiner Ersatzbegriffe von Cicero bis Herder, Freiburg 1937, S. 215 f.; Michael Stürmer, Das ruhelose Reich. Deutschland 1866–1918, Berlin 1983, S. 120 f. Martin Heidegger sprach von der „Kulturseligkeit“ des Vorkriegsjahrzehnts, siehe Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 48. 56 Kohler am 29. August und am 9. September 1914 an Wehberg, Nachlass Wehberg; Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 45 f., 54; Paul Guggenheim, Hans Wehberg als Völkerrechtler, in: Die Friedens-Warte 56 (1961/66), S. 297. 57 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 55. 58 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 46. 55

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marsch deutscher Truppen am 3. August 1914 ging, zeigt, welcher Selbstzensur Kohler nach Ausbruch des Krieges die von ihm herausgegebene Zeitschrift für Völkerrecht unterzog. Die Redaktion der Zeitschrift für Völkerrecht erhielt zahlreiche Artikel zugesandt, in denen der deutsche Einmarsch in Belgien ausnahmslos als rechtmäßig bezeichnet wurde. Dabei übertrafen sich die Autoren in den Konstruktionen, durch die sie das deutsche Verhalten rechtfertigen konnten. Am häufigsten wurde das Rechtfertigungsmittel des Notstands angeführt. Man begründete, Deutschland habe dem unmittelbar bevorstehenden Angriff Frankreichs durch belgisches Gebiet zuvorkommen müssen und sich daher Belgien gegenüber im Notstand befunden. Wehberg, der auch – von der Verteidigungslage Deutschlands ausgehend – zunächst für möglich gehalten hatte, zur Rechtfertigung des deutschen Einmarsches lasse sich Notstand anführen, war nach einem Gespräch mit Schücking zur gegenteiligen Auffassung gelangt. Schücking hatte argumentiert, dass sich Deutschland sehr gut auf die Verteidigung der Grenzen hätte beschränken können, dass zur Sicherung der Existenz des Deutschen Reiches der Einmarsch in Belgien also gar nicht notwendig gewesen sei. Der Notstand könne schließlich keinem Land gestatten, alle diejenigen völkerrechtswidrigen Maßnahmen zu ergreifen, die es dem Sieg näher brächten.59 Nachdem im Oktober 1914 ein Artikel Wehbergs, in welchem er den deutschen Einmarsch in Belgien verurteilte, von der Redaktion des Monistischen Jahrhunderts mit dem Hinweis abgelehnt worden war, man wolle unter den Lesern keine „Verwirrung“ anrichten,60 schlug Wehberg Kohler vor, in der Zeitschrift für Völkerrecht folgende Vornotiz zu veröffentlichen: „Die in diesem Hefte vertretenen Auffassungen kann ich nicht in allen Punkten teilen. Sie bedürfen einer genaueren Nachprüfung in ruhigeren Zeiten.“ Kohler lehnte dies ab, mit der Begründung, man würde den Gegnern dadurch nur „Material“ liefern: „Eine derartige Fussnote, wie Sie sie andeuten, kann und darf nimmermehr in der Zeitschrift erscheinen; nachdem unsere Gegner uns und unsere Regierung in der niederträchtigsten Weise angegriffen haben, ist es nicht unsere Sache, ihnen damit Handhaben zu geben, dass wir selber die Anklagen gegen unsere Feinde abschwächen. Man würde höhnisch darauf hinweisen und erklären, dass selbst in unserer deutschen Wissenschaft der deutsche Standpunkt verraten und verlassen wäre. Eine derartige Fussnote würde jedes deutsche Empfinden verletzen und ich würde nie und nimmer in einer Zeitschrift, die meinen Namen trägt, sie passieren lassen, umso mehr als es durchaus nicht unsere Sache ist, Autoren des Völkerrechts, die doch erstklassig sind und darunter zähle ich namentlich Strupp, zu schulmeistern. Wir haben als Herausgeber nicht etwa zu erklären, ob und wie wir mit unseren Anschauungen einverstanden sind, sondern wir haben sie spre59 60

Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 33 ff. Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 51.

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chen zu lassen.“61 Am 2. November beantwortete Kohler einen weiteren Brief Wehbergs mit dem Hinweis darauf, dass er natürlich auch für eine eingehende wissenschaftliche Forschung sei und von dem den Einmarsch in Belgien rechtfertigenden Aufsatz Strupps „den Eindruck vollkommener wissenschaftlicher Akrebie [sic]“ habe.62 Zwar war die Rechtswissenschaft an sich zur sachgerechten Beurteilung völkerrechtlicher Fragen geeignet, doch erlag Kohler ebenso wie zahlreiche seiner Kollegen dabei zunehmend den Leidenschaften der politischen Auseinandersetzung. Der Ton, dessen sich Kohler gegenüber den englischen Gelehrten bediente, verdeutlicht seine Bereitschaft, auf die in der Vorkriegszeit gepflegten internationalen Beziehungen zugunsten der Heimatfront zu verzichten. Wehberg gegenüber äußerte er dazu, selbstverständlich sei auch er dafür, dass der wissenschaftliche Ton gewahrt werde, aber nichtsdestoweniger müsse man „mit aller Kraft“ auf „die infamen Völkerrechtswidrigkeiten“, die dem Deutschen Reich durch England widerfahren seien, hinweisen, man verletze sonst eine Pflicht gegenüber Deutschland. Irgendwelche Rücksichten in Hinblick auf die Zukunft zu nehmen, erklärte er, halte er nicht für angemessen.63 Die von ihm selbst für die Wissenschaft geforderte Objektivität verleugnete er während des Krieges zunehmend. Immer mehr wurde er im Laufe des Krieges zum Interpreten seiner eigenen fachwissenschaftlichen Kenntnisse, die er für die Praxis nutzbar machen wollte. Die Weigerung Kohlers, die von Wehberg erwünschte Vornotiz abzudrucken, veranlasste diesen, am 23. Nov. 1914 aus der Redaktion der Zeitschrift für Völkerrecht auszutreten.64 Kohler bedauerte den Rücktritt Wehbergs sehr, „aber nach den von Ihnen angeführten Gründen“, erklärte er am 24. November 1914 gegenüber Wehberg, „bleibt mir nichts übrig, als diesen Rücktritt zu acceptieren, was mir umso bedauerlicher ist, als ich, wie Sie wissen, Ihre Kraft sehr hoch schätze. Was zunächst die Affäre Oppenheim betrifft, so muss ich bemerken, dass, wenn einstweilen die Mitarbeit eines Engländers in einer deutschen Zeitschrift trotz all jener schmachvollen Erklärungen, die die englischen Gelehrten uns gegenüber gegeben haben, möglich wäre, die Sache mit Oppenheim doch anders steht. Oppen61 Kohler am 28. Oktober 1914 an Wehberg, Nachlass Wehberg. Zu Lassa Oppenheim, einem englischen Völkerrechtler deutscher Herkunft, siehe auch den hetzerischen Artikel Otto Liebmanns, Deutsche Juristen im feindlichen Lager, in: DJZ 20 (1915), Spalte 691 „[Es muß] heilige und vornehme Pflicht deutscher Juristen sein, Männer solcher Gesinnung mit deutscher Verachtung zu strafen, sie aus der Welt der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtspflege zu streichen, jetzt während des Krieges, aber lange über den Friedensschluss hinaus – für die Ewigkeit.“ 62 Kohler am 2. November 1914 an Wehberg, Nachlass Wehberg. 63 Kohler am 2. September 1914 an Wehberg, Nachlass Wehberg. 64 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 54 ff., 65.

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heim ist ein Deutscher und wenn er in diesem Kampf Deutschlands seine Nationalität verleugnet hat und sich anglisieren liess, so ist das ein Verfahren, welches ich so wenig billige, dass ich in keiner Weise mehr mit ihm literarisch zu tun haben möchte. Allerdings steht die Sache nicht fest, aber bei den ständigen Beziehungen Oppenheims zu der englischen Regierung spricht eine starke Vermutung dafür. Ich habe daher zu gleicher Zeit angegeben, dass wenn sich wider Erwarten die Sache anders herausstellen sollte, wir ja immerhin nachträglich Oppenheim wieder in unserer Mitte aufnehmen und ihm entsprechende Satisfaktion geben könnten. Was die belgische Neutralität betrifft, so wäre Ihnen ja durchaus nicht im Wege gestanden, einen von uns abweichenden Standpunkt in einem Aufsatz zu vertreten, ich wollte aber nicht, dass man durch eine Note in diese heikle und für die Politik Deutschlands so verhängisvolle Frage einen Erisapfel hineinwirft und etwa dem Verfasser und der deutschen Regierung nach aussen hin einen Stoss versetzt, ohne dass durch wissenschaftliche Ausführung die Sache geklärt wurde.“65 Wehberg schickte an etwa 20 Völkerrechtler Abschriften seines Abschiedsbriefes an Kohler.66 Dies hatte nicht nur zur Folge, dass Zeitungen wie Der Tag oder die Deutsche Juristenzeitung fortan alle Beiträge Wehbergs ablehnten,67 sondern auch, dass Wehberg zahlreiche empörte Antwortschreiben erhielt, in welchen die Haltung Kohlers energisch verteidigt wurde und Wehberg Verrat am Vaterland und der Völkerrechtswissenschaft vorgeworfen wurde. Ein namentlich nicht genannter Berliner Ordinarius für Staats- und Völkerrecht schrieb, in der Zeit, da das Vaterland einen Entscheidungskampf um seine Existenz führe, hätten die Männer der Wissenschaft für ihren Staat zu schreiben, oder [. . .] sie hätten zu schweigen. Es handle sich gegenwärtig nicht um internationale Verständigung, sondern um die Niederringung eines nichtswürdigen Todfeindes. Schließlich, so der Ordinarius, sei [. . .] der Erfolg des Vaterlandes tausendmal wichtiger als die Zukunft des Völkerrechts.68 Von den deutschen Gelehrten antwortete außer Lammasch und Schücking lediglich noch der Zivilrechtler Ernst Zitelmann verständnisvoll, indem er schrieb, er teile zwar Wehbergs Standpunkt in der belgischen Frage nicht, doch gereiche ihm (Wehberg) sein Verhalten zur Ehre.69 Wehberg wurde in der Folgezeit massiv angegriffen, vor allem die 65

Kohler am 24. November 1914 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg. Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 54 ff. 67 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J [1919], S. 69. 68 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 67 f. 69 Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 66 f. Siehe dazu auch Alfred Hermann Fried, in: Hans Wehberg, Wider den Aufruf der 93! Das Ergebnis einer Rundfrage an die 93 Intellektuellen über die Kriegsschuld, Berlin 1920, S. 39: „Wehbergs dauerndes Verdienst in der Geschichte des Pazifismus und 66

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„alldeutschen“ Zeitungen riefen zu einer Hetzkampagne gegen den Pazifisten auf. Auch die Militärbehörden gingen gegen Wehberg vor. Seine Versuche, auf die Presseangriffe zu erwidern, wurden unterbunden, seine Beteiligung an pazifistischen Kongressen im Ausland, sogar der Briefverkehr mit dem Ausland wurden verboten. Seine Schrift „Das Papsttum und der Weltfriede“ (1915) wurde schließlich beschlagnahmt.70 Wehberg entzog sich der Einziehung zum Heeresdienst nicht. Vielmehr bemühte er sich, dem Verdikt „vaterlandsloser Geselle“ entgegenzuarbeiten. Seine politische Betätigung durfte er auch nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst nicht wiederaufnehmen, da die Entlassung mit der Auflage verbunden war, sich jeder pazifistischen Tätigkeit zu enthalten. Dennoch stellte Wehberg 1945 im Rückblick fest, dass im Ersten Weltkrieg doch ein erstaunliches Maß an Opposition möglich gewesen sei.71 Der Hauptgegner war bei Kriegsbeginn nach Ansicht Kohlers wie fast aller deutschen Gelehrten England,72 der gefährlichste Rivale, dessen Überlegenheit zur See man insgeheim anerkennen musste. „Gott strafe England“ wurde zum täglichen Gruß auf den Straßen.73 Am 7. September 1914 erklärten 31 Gelehrte und Künstler, darunter Josef Kohler, Paul Laband, Rudolf Eucken, Ernst Haeckel, Max Liebermann, Adolf Wagner, Anton von Werner, Wilhelm Wundt und Engelbert Humperdinck „in deutschem Nationalgefühl“ ihren Verzicht auf die Auszeichnungen, die ihnen von englischen Universitäten, Akademien und gelehrten Gesellschaften erwiesen worden waren.74 Als der Pazifist Wilhelm Julius Foerster öffentlich gegen die Erklärung vom 7. September 1914 protestierte, kam es zu einem „Hauskrieg“ unter den deutschen Professoren, der sich im Berliner Tageblatt dokumentierte. Foerster wies darauf hin, dass nicht alle englischen Gelehrten mit der Politik ihrer Regierung einverstanden seien.75 Dieser Protest Foersters fand eine des Völkerrechts wird es bleiben, daß er, in Deutschland selbst lebend, als der einzige deutsche Völkerrechtsjurist gegen das verbrecherische Vorgehen in Belgien Einspruch zu erheben wagte.“ 70 Siehe dazu Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkrieg, Leipzig o. J. [1919], S. 57 ff. 71 Vgl. Hans Wehberg, Der Wendepunkt in der Entwicklung des deutschen Nationalismus, in: Die Friedens-Warte 45 (1945), S. 222; ders., Besprechung von Walter Schätzel, Internationales Recht, in: Die Friedens-Warte 55 (1959/60), S. 261. 72 Josef Kohler, Nicht Haß, sondern Verachtung, in: Der Tag vom 1. Oktober 1914. 73 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches, Freiburg 1986, S. 75; siehe auch Jeffrey Verhey, „Der Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000. 74 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 28 f.

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scharfe Replik durch Josef Kohler und Rudolf Eucken.76 Kohler hielt Foerster entgegen, dass englische Gelehrte dann gegen die Schritte ihrer Regierung hätten protestieren sollen. Allein die deutschen Gelehrten, so Kohler, hätten stets verlangt, dass der Gelehrte nicht nur Denker und Schöpfer sei, sondern dass er auch gegen alle und jeden stets mannhaft für seine Überzeugung einstehen müsse. „Wenn wir daher erklären, dass wir mit Persönlichkeiten, die auf solche Weise sich nicht gescheut haben, die Gehilfen einer Regierung zu sein, welche sich zum Henker deutscher Geisteskultur erniedrigen wollte, keinen Verkehr haben wollen, [. . .] so handeln wir nicht nur in gerechtem Zorn, sondern auch in jenem Stolz, welcher den Gelehrten der größten Kulturnation der Welt gebührt.“77 Wilhelm Waldeyer,78 Max Verworn79 und der sozialdemokratische Abgeordnete Eduard Bernstein erklärten wiederum ihre Missbilligung der im Aufruf vom 7. September 1914 zum Ausdruck gebrachten Haltung. Im „Vorwärts“ vom 14. September 1914 mahnte Bernstein, dass aus keinem Land so viele Stimmen gegen den Krieg mit Deutschland hervorgedrungen seien wie gerade aus England. Die erste Äußerung aus der englischen Gelehrtenwelt über den Krieg, so Bernstein, seien Proteste von Professoren englischer Universitäten nicht gegen Deutschland, sondern gegen den Krieg mit Deutschland gewesen. Was, so Bernstein, habe es angesichts dieser Tatsache für einen Sinn, den Zorn über die Politik Sir Edward Greys und „gewisse verdammenswerte Kriegsmaßnahmen“ der englischen Regierung zu einer Verdammung einer ganzen Nation ausarten zu lassen, die zu allen Zeiten ihrer Geschichte Männer hervorgebracht habe, welche selbst mitten im Kriege mutig lieber ihre ganze Existenz aufs Spiel setzten als zu dem Unrecht zu schweigen, das nach ihrer Ansicht das eigene Land beging? Aber, ermahnte Bernstein, überbiete man ihn nicht noch dadurch, dass man auch noch die geistigen Grundbedingungen zukünftigen Zusammenwirkens der Kulturvölker untergrabe, dass man 75 Wilhelm Foerster, Deutsche Gelehrte und englische Auszeichnungen, in: Berliner Tageblatt vom 11. September 1914; Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 30 f. 76 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 31 ff. 77 Josef Kohler in Erwiderung auf die Ausführungen von Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Förster, in: Berliner Tageblatt vom 14. September 1914; Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 32 f. 78 Wilhelm Waldeyer, Der Verzicht auf die englischen Auszeichnungen, in: Berliner Tageblatt vom 22. September 1914. 79 Max Verworn, Der Verzicht der Deutschen Professoren, in: Berliner Tageblatt vom 19. September 1914; Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 36.

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über das Unvermeidliche hinaus Verbitterung und Verhetzung schaffe, zwecklos und zweckwidrig die geistigen Bande zerstöre, welche vor Ausbruch des Krieges über die Grenzen der sich jetzt befehdenden Nationen hinweg Tausende im Wirken für gemeinsame Ziele auf den verschiedensten Gebieten der Kultur verbunden hätten und die nach seiner Beendigung möglichst schnell wieder angeknüpft zu sehen im Interesse des Gedeihens aller Völker liege.80 Auch die Deutsche Friedensgesellschaft warnte davor, „blinde nationale Leidenschaft“ an die Stelle „patriotischer Hingabe und Begeisterung“ zu setzen; Beziehungen zum Ausland, so der Vorsitz der DFG, müssten genutzt werden, um das System „lügenhafter Berichterstattung, das wir jetzt schon beobachten können“, zu durchbrechen und einen dauerhaften Frieden „gemeinsam mit unseren Gesinnungsgenossen in anderen Ländern“ anzustreben.81 Kohler jedoch blieb uneinsichtig. Er bestätigte seine Auffassung in einer weiteren Stellungnahme: „[. . .] wie recht wir hatten, wenn wir den englischen Gelehrtengesellschaften die Gemeinschaft aufkündigten.“ Immer noch, so Kohler, habe man darauf hingewiesen, dass die englischen Gelehrten selber mit ihrer Regierung sehr unzufrieden seien und, nur durch die Verhältnisse gezwungen, ihr Schweigen beobachteten. Gerade das Gegenteil aber sei richtig! Wenigstens was die Theologen betreffe, seien englische Gelehrte „einmütig für die frivole und verlogene Politik ihrer Regierung eingetreten“ und hätten die „lügnerischen Behauptungen eines Grey zu den ihrigen gemacht.“82 Welche Ausmaße das Gefühl der Feindschaft gegenüber England annahm, zeigt auch die Anfrage, die die Direktion des Deutschen Theaters in Berlin Ende September 1914 an eine Reihe „Berliner Persönlichkeiten“ richtete. Befragt wurden u. a. Josef Kohler, Bethmann Hollweg, Fürst Bülow und Max Liebermann. „Darf ein Theater, das sich in diesen Tagen der allgemeinen nationalen Erhebung seiner ernsten nationalen Aufgabe im tiefsten Sinne bewußt ist, Shakespeare spielen oder nicht? Sollen wir Shakespeare83 als Briten und seine Werke als Erzeugnisse des britischen Geistes ansehen, oder soll er uns als die große geistige Provinz gelten, die wir Deutschen einmal erobert haben, festhalten und an niemanden wieder herausgeben wollen?“84 Kohler beantwortete die Frage des Deutschen Theaters mit fol80 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 33 ff. 81 I. Kriegsflugblatt der DFG, in: Die Friedens-Warte 16 (1914), S. 308 f. 82 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die englischen Gelehrten und der Krieg, S. 1. 83 Wie populär Shakespeare im Kaiserreich war, verdeutlicht etwa der Umstand, dass Max Reinhardt noch die Spielzeit 1913/14 ganz Shakespeare gewidmet hatte, vgl. Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches, Freiburg 1986, S. 72.

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genden Worten: „Shakespeare in seiner sittlichen Größe und seinem weltidealen Humor ist der mächtigste Ankläger gegen das erbärmliche Geschlecht der Engländer von heute. [. . .] Wir wissen, daß sie Shakespeare nicht verstehen und nur in seltenen Fällen und ganz ohne Verständnis aufführen; wir aber haben den Großen erfaßt und zu dem unsrigen gemacht.“85 Bethmann Hollweg und Max Liebermann waren der Ansicht, Shakespeare gehöre der ganzen Welt.86 Fürst Bülow äußerte die Ansicht, Shakespeare gehöre zu den ältesten und schönsten Eroberungen des deutschen Geistes, die „wir wie unseren sonstigen geistigen und kulturellen Besitz gegen alle Welt behaupten wollen. Wir haben Shakespeare längst annektiert und geben ihn nicht wieder heraus. Überlassen wir es unseren Gegnern, sich selbst zu verarmen und überdies lächerlich zu machen, indem sie Wagner und Goethe, Beethoven und Schiller aus ihren Ländern verbannen.“87 Die Anklagen des Auslands gegen den preußischen Militarismus führten zur Mobilisierung auch ehemals unpolitischer deutscher Gelehrter. In Kohlers Nachlass befindet sich die Urfassung der von Ulrich von Wilamowitz verfassten Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches, die Kohler unterschrieb und dann vermutlich, wie von den Urhebern der Erklärung vorgesehen, an den Berliner Historiker Dietrich Schäfer schickte.88 Wie sich aus dem sich ebenfalls im Nachlass Kohlers befindlichen Aufruf an die Hochschullehrer des Deutschen Reiches, ihre Unterschrift „mit etwaigen Titeln“ unter die beigefügte Erklärung zu setzen, ergibt, erhoffte man sich „eine günstige Wirkung“ der Erklärung auf das Ausland und war Motiv des Manifestes, „weit verbreitete falsche Vorstellungen über deutsche Verhältnisse in sehr wichtigen Punkten zu berichtigen.“ Dies weist nicht nur auf eine im Ausland freilich nicht so verstandene tendenziell defensive Haltung hin, sondern zeigt auch eine gewisse emphatische Naivität.89 Die Erklärung 84 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 473 ff. Allgemein bemühte man sich nach Kriegsausbruch, Fremdwörter aus dem deutschen Sprachgebrauch zu tilgen. Theater, deren Besitzer sich dem nicht fügten, drohten demoliert zu werden, vgl. Wolfgang Kruse, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 163. 85 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 475. 86 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 474. 87 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 474. 88 Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21; Exemplar der „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“ vom 23. Oktober 1914 mit Unterschriften, S. 3, Universitätsbibliothek Marburg.

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der Hochschullehrer war zugleich Zeichen eines großen Missbehagens. Man war schockiert, was Krieg tatsächlich bedeutete. Unterzeichnet war die Aufforderung vom 18. September 1914 von den „gestern Abend auf der Donnerstags-Zusammenkunft im Zollernhof anwesenden Mitgliedern der philosophischen Fakultät Sering, von WilamowitzMoellendorff, Beckmann, Brückner, Cohn, Engler, Goldschmidt, Haberlandt, Hintze, Ed. Meyer, Wilh. Schulze, Dietrich Schäfer.“ Es wurde um Rücksendung der Erklärung gebeten, „so rasch wie nur irgend möglich an den mitunterzeichneten Professor Dr. Dietrich Schäfer, Steglitz, Friedrichstraße 7, der das Weitere veranlassen“ werde. Änderungen oder kleine Zusätze, so hieß es des Weiteren, könnten vorgeschlagen werden. Von Wilamowitz-Moellendorff, der Verfasser der Erklärung, habe ihre endgültige Feststellung übernommen.90 Die Urfassung der Erklärung vom 18. September 1914 lautete: „Wir Lehrer an Deutschlands Universitäten und Hochschulen dienen der Wissenschaft und treiben ein Werk des Friedens. Aber es erfüllt uns mit Entrüstung, wenn die Feinde Deutschlands, England an der Spitze, zu unsern Gunsten einen Gegensatz machen wollen zwischen dem Geiste der deutschen Wissenschaft und dem, was sie den deutschen Militarismus nennen. In unserem Heere ist kein anderer Geist als in unserem Volke, denn beide sind eins, und wir gehören auch dazu. Unser Heer dankt seine Überlegenheit ebenso der Wissenschaft, die es pflegt, wie wir unsere Fähigkeit, wissenschaftliche Arbeit zu organisieren, dem Geiste der Zucht, des Pflichtbewusstseins und des Ehrgefühles danken, den uns der Dienst in unserm Heere anerzogen hat und unserer Jugend anerzieht. Dieser Geist lebt nicht nur in Preußen, sondern ist derselbe im ganzen Deutschen Reiche. Er ist auch derselbe in Krieg und Frieden. Mit unserem Heere würde auch die deutsche Wissenschaft zugrunde gehen. Aber wir haben keine Furcht, und wir wissen genau, dass für die Wissenschaft, nicht bloß die deutsche, das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche Militarismus erringen wird.“ Der Aufruf wandte sich gegen die These von den „zwei Deutschland“, dem geistigen Deutschland Goethes (bis 1870) und dem militaristischen Deutschland Bismarcks. In dem wohlwollenden Versuch englischer Gelehrter, zwischen dem „deutschen Geist“ und dem „deutschen Militarismus“ zu differenzieren, erblickte man „heimtückische Versuche, einen Keil zwischen das Heer und das deutsche Volk samt seinen Gelehrten und Künstlern zu treiben.“ Demgegenüber bekannten sich die unterzeichnenden Hochschullehrer im Sinne der tradierten Macht-Kultur-Synthese zur Einheit 89 In diesem Sinne auch Rüdiger vom Bruch, Aufruf der 93, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hrsg. von Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz, 2., durchgesehene Auflage, Paderborn/München/Wien u. a. 2004. 90 Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21.

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von deutschem Heer, deutschem Volk und deutscher Wissenschaft als Erscheinungen ein und desselben Geistes. Die Kundgebung richtete sich außer an das deutsche Volk, das es ständig zu motivieren galt, an die neutralen Länder in Europa sowie nicht zuletzt auch an die Vereinigten Staaten. Kohler sah in den Angriffen gegen den deutschen Militarismus nur die Anerkennung deutscher „Opferwilligkeit“ und der den Deutschen „eingewurzelten Art, dass der einzelne Leib und Leben den Zielen und Bestrebungen des großen Ganzen“ widme. Diese Eigenschaften, die wie Kohler meinte, bei den Gegnern „ohnmächtigen Zorn“ und „wahnsinnige Feindschaft“ erregten, erklärte er, „können und wollen wir niemals aufgeben; sie sind das Geheimnis unserer Größe, sie sind der Zauber, der uns unbesiegbar macht.“91 Kohler deutete damit den bisher vor allem von linksliberaler und sozialdemokratischer Seite benutzten und negativ besetzten Begriff Militarismus in eine heldische Gesinnung und die Vollendung deutschen Pflichtbewusstseins um. Eine leicht abgeänderte Fassung der Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches wurde am 16. Oktober 1914 in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Kundgebung brachte mit mehr als 4000 namentlich aufgeführten Unterzeichnern nahezu die gesamte Hochschullehrerschaft aller 53 deutschen Universitäten und Hochschulen hinter sich. Die Nationalökonomen Max und Alfred Weber, Georg Friedrich Knapp, Lujo Brentano, Leopold von Wiese, der Pädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, Ludwig Quidde, Walther Schücking und Albert Einstein, die ihre Unterschriften verweigerten, stellten seltene Ausnahmen dar. Kohlers Unterschrift fehlt jedoch unter dem berüchtigten Aufruf an die Kulturwelt vom 4. Oktober 1914, in welchem alle Vorwürfe der Entente gegen den deutschen „Militarismus“ und die der deutschen Armee im neutralen Belgien vorgeworfenen Gräuel als „unwahr“ zurückgewiesen wurden und der deutsche Militarismus als unentbehrlich zum Schutze der deutschen Kultur gerechtfertigt wurde.92 Der Aufruf fügt sich ein in die Reihe zahlreicher Manifeste zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung vornehmlich in den neutralen Staaten. 93 deutsche Schriftsteller, Gelehrte und Künstler unterzeichneten den Aufruf, darunter Rudolf Eucken, Alois Riehl, Wilhelm Windelband, Wilhelm Wundt und Gerhart Hauptmann, Paul Laband, Eduard Meyer, Karl Lamprecht, Max Lenz, Friedrich Naumann, Heinrich Morf, Gustav von Schmoller, Reinhold Seeberg, Martin Spahn, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, Paul Ehrlich, Ernst Haeckel, Max Planck, Max Rein91

Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. August 1917. Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 64 ff. 92

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hardt, Max Liebermann, Wilhelm Ostwald, Wilhelm Röntgen und Karl Voßler, sogar Wilhelm Julius Foerster, Adolf von Harnack und Franz von Liszt, die vor 1914 alles andere als Apologeten des preußischen Militarismus gewesen waren. Während von Hans Delbrück bekannt ist, dass er seine Unterschrift für die Erklärung der 93 regelrecht verweigerte, lässt sich nicht mehr klären, ob Kohler zufällig oder bewusst nicht unterschrieb.93 Das Fehlen der Unterschrift ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Aufruf teils in kulturliberalen intellektuellen Netzwerken wurzelte, deren Traditionen bis zu den Protesten 1900/01 gegen eine Knebelung künstlerischer und wissenschaftlicher Freiheit in der sog. lex Heinze zurückreichten, was auf eine tendenziell defensive Haltung vieler Unterzeichner hinweist. Zu diesen Netzwerken gehörte auch der im Frühjahr 1900 gegründete Berliner Goethebund,94 dessen Vorstand, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, Kohler angehörte.95 Am 3. Dezember 1914 entstand die Erklärung gegen die Oxforder Hochschulen, die Kohler ebenfalls unterzeichnete. In dieser von 26 Ordinarien unterzeichneten Erklärung wird die Behauptung Oxforder Historiker, Deutschland sei für den Krieg verantwortlich, energisch zurückgewiesen. Zu den Grundlagen künftiger Kulturbeziehungen der Völker, so die Verfasser der Kundgebung, gehöre die wissenschaftliche Wahrheit. Die unterzeichneten deutschen Vertreter der Geschichtswissenschaft und des Völkerrechts gaben an, durch die Schrift einiger Mitglieder der Oxforder Fakultät für moderne Geschichte diese Basis verleugnet zu sehen. Es müsse das Vertrauen in die Ehrlichkeit wissenschaftlicher Arbeit erschüttern, wurde ausgeführt, wenn englische Gelehrte die Wissenschaft für Zwecke der Politik missbräuchten, einer Politik, welche den Krieg herbeigeführt und welche zu ihrer Rechtfertigung die Wendung ersonnen habe, England kämpfe für die Freiheit unterdrückter Völker. Unverzeihlich war es nach Ansicht der Unterzeichner, dass man sich hätte hinreißen lassen, „die Friedensliebe des 93

Korrespondenzen zu dieser Frage haben sich nicht gefunden. Jürgen von Ungern-Sternberg/Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“. Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1996, S. 34, 39. 95 Hermann Sudermann am 24. März 1900 an Clara Sudermann, in: Irmgard Leux (Hrsg.), Briefe Hermann Sudermanns an seine Frau (1891–1924), Stuttgart/ Berlin 1932, S. 140. Die Korrespondenzkartei Kohlers in der Staatsbibliothek Berlin weist auf Briefe Ludwig Fuldas vom 23. März 1914 sowie aus den Jahren 1916 und 1917 hin. Fulda war eines der aktivsten Mitglieder des Vorstands des Berliner Goethebunds und einer der Initiatoren des Aufrufs an die Kulturwelt, vgl. Alfred Klaar, Ludwig Fulda. Leben und Lebenswerk, Stuttgart/Berlin 1922, S. 33; Jürgen von Ungern-Sternberg/Wolfgang von Ungern-Sternberg, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“. Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1996, S. 27 ff., 43. 94

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Deutschen Kaisers und des Deutschen Volkes verleumderisch zu verdächtigen“ und den Versuch zu machen, die Verantwortung für den Krieg auf die Schultern Deutschlands zu wälzen. „Wir beklagen die Verunglimpfung der Wahrheit und die Herabwürdigung der Wissenschaft, zu welcher sich Oxforder Universitätslehrer erniedrigt haben. Wir verwahren uns gegen die Vergiftung der geistigen Waffen im Kampfe der Nationen.“96 Der Ton, der gegen die ausländischen Kollegen angeschlagen wurde, verdeutlicht die Bereitschaft der Intellektuellen beider Seiten, auf die vor 1914 gepflegten internationalen Beziehungen im Dienste der Heimatfront zu verzichten. Vor Ausbruch des Krieges hatte Kohler die internationale Gemeinschaft der Wissenschaften sehr zu schätzen gewusst. Von der Idee der abendländischen Kulturgemeinschaft war er regelrecht besessen gewesen. Die Preisgabe internationaler Zusammenarbeit bedeutete für ihn jedoch – so bitter er sie auch empfand – die einzige Möglichkeit nationaler Selbsterhaltung. Professoren, die sich wie der deutsch-schweizerische Romanist Heinrich Morf gegen einen endgültigen Abbruch aller internationalen Bindungen wandten, stellten rare Ausnahmen dar. Morf sprach sich Ende Oktober 1914 in seiner ersten Kriegsvorlesung an der Berliner Universität in der Ansprache Civitas Dei gegen eine Politisierung der Wissenschaften aus, in der Hoffnung, dass damit deren übernationale Gemeinschaft erhalten bleibe. Den Begriff der augustinischen Civitas Dei wollte er auf die Universitäten aller Länder übertragen sehen.97 Der Berliner Medizinprofessor Georg Friedrich Nicolai verfasste – nach eigenen Angaben zusammen mit Albert Einstein – Mitte Oktober 1914 als Protest gegen den Aufruf der 93 einen Aufruf an die Europäer, der zur Bildung eines „Europäerbundes“ aufforderte und sich gegen die Verherrlichung des europäischen „Bruderkampfes“ verwahrte.98 Die Gebildeten, so der Aufruf, sollten ihren ganzen Einfluss aufbieten, dass, wie auch der noch ungewisse Ausgang des Krieges sein möge, die Bedingungen des Friedens nicht die Quelle künftiger Kriege würden. Außer den Verfassern unterzeichneten dieses Gegenmanifest lediglich der Privatgelehrte Dr. Otto Buek und der Astronom Wilhelm Julius Foerster, Vorsitzender der Berliner Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft. 96 Hermann Kellermann (Hrsg.), Der Krieg der Geister. Eine Auslese deutscher und ausländischer Stimmen zum Weltkriege 1914, Dresden 1915, S. 90 ff. 97 Heinrich Morf, Civitas Dei, in: IMW 9 (1915), S. 492 ff. 98 Siehe den Text des Aufrufes bei Georg Friedrich Nicolai, Die Biologie des Krieges. Bd. 1: Kritische Entwicklungsgeschichte des Krieges, 2. Auflage, Zürich 1919, S. 12 f.; siehe auch den Brief Albert Einsteins vom 22. März 1915 an Romain Rolland, in: Romain Rolland, Das Gewissen Europas. Tagebuch der Kriegsjahre 1914–1919. Aufzeichnungen zur Moralgeschichte Europas in jener Zeit. Bd. 1: Juli 1914 bis November 1915, Berlin 1963, S. 400.

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Wie viele Gelehrte war Kohler der Ansicht, dass dieser Kriegsausbruch den Pazifismus widerlegt habe.99 Kohler zufolge entsprang es einer naiven Weltsicht, die „Tücke“ der Nachbarn, die Deutschland seiner Ansicht nach überfallen hatten, noch zu leugnen. „Wir glaubten“, führte er aus, „an eine Verbrüderung der Völker, an eine Ethik im Leben der Nationen, aber wir sind gründlich enttäuscht worden.“100 In zynischem Ton, der hier im Original wiedergegeben werden soll, distanzierte sich Kohler von ehemaligen Mitstreitern wie Lammasch, Wehberg, Nippold oder Umfried: Bei Orell Füssli in Zürich, so Kohler, sei ein erstes Heft Blätter für zwischenstaatliche Organisation erschienen, welches zeige, bis zu welchem Grade „einer gewissen Gruppe von Internationalisten die richtige Anschauung der Weltlage“ abhanden gekommen sei. Er erklärte sein Bedauern, an der Spitze des Heftes Lammasch zu sehen, der allerdings, so Kohler, auch durch andere Arbeiten gezeigt habe, dass ihm der richtige Augenpunkt vollkommen verloren gegangen sei. „Natürlich“, polemisierte Kohler, „konnte in dieser Gruppe Wehberg nicht fehlen, der in leidenschaftsloser Erhabenheit über uns armen verblendeten Sterblichen steht und uns zur Rede stellen will, weil wir uns gegenüber den Schändlichkeiten unserer Gegner empören [. . .] Ein anderer dieser Weltfriedensfreunde, nämlich Nippold [. . .].“ Schließlich, erklärte Kohler, könne „unter diesen Internationalisten“ auch Umfried nicht fehlen, der sich zu einer Höhe zu erheben vermeine, die über dem Durchschnitt des Verständnisses des normalen deutschen Gelehrten stehe. „Wir deutsche Gelehrte, glaubt er, sind natürlich der Massensuggestion unterworfen, wir sind nicht in der Lage, ein gesundes Urteil abzugeben, und niemand soll Richter in eigener Sache sein.“101 Hier wird die Zäsur deutlich, die der Erste Weltkrieg im Denken Kohlers darstellte. Die Äußerungen Kohlers zeigen, welchen Realitätsverlust er nach Kriegsausbruch erlitten hat und welche Distanz er zur Friedensbewegung aufbaute. Schücking bezeichnete im Jahre 1917 den Weltkrieg als das „Golgatha des Pazifismus“. Das kleine Fähnlein der Pazifisten, so bemerkte er, werde „täglich dünner und lichter“, der Kreis derer aber, die „verächtlich von der zerschlissenen Fahne des Pazifismus“ schrieben, immer größer und 99

Auch Josef Godehard Ebers, Rezension zu Hans Wehberg, Das Papsttum und der Weltfriede, in: ZVölkR 10 (1917/18), rückte von seiner wohlwollenden Beurteilung der Leistungen der Friedensbewegung ab. Karl Strupp, Lebendes und totes Völkerrecht, in: ZIR 26 (1916), S. 496 f. und Heinrich Triepel, Die Zukunft des Völkerrechts, Leipzig/Dresden 1916, S. 15 erachteten eine zu starke Verknüpfung des Völkerrechts mit pazifistischem Gedankengut nun als geradezu gefährlich. 100 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 101 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Die Zukunft des Völkerrechts, S. 1, 3, 7.

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mächtiger.102 Außer ehemaligen Vorstandsmitgliedern der DFG wie Josef Kohler, Karl Mühling, Heinrich Fränkel und Otto Ernst distanzierten sich der Historiker Karl Lamprecht und Angehörige des ideologisch weniger gefestigten Verbandes für internationale Verständigung wie der Münchner Völkerrechtler Karl von Amira, der Würzburger Staatsrechtler Robert Piloty und die Monisten Ernst Haeckel und Wilhelm Ostwald öffentlich von ihren alten Idealen.103 In den Artikeln Kohlers und anderer deutscher Professoren aus den ersten Kriegsjahren fällt die regelmäßige Verwendung stereotyper Bilder auf. Nur in Ausnahmefällen lässt sich der individuelle Ursprung einer bestimmten Vorstellung im Einzelnen nachweisen. Kohlers Reden und Aufsätze sind insofern äußerst symptomatisch. Nicht nur, dass er in England den Hauptfeind erblickte, wie die meisten deutschen Wissenschaftler ließ er sich auch zu einer umfassenden Verurteilung alles Britischen hinreißen.104 Immer wieder finden sich wissenschaftlich verbrämte Beschimpfungen der Gegner, die dem Nachweis der deutschen Überlegenheit dienen sollten. „Diese drei Stadien der Diplomatie charakterisieren Grey genügend. Hinterlist, Tücke, Unklarheit, Zweideutigkeit, Verschmitztheit, dazu ein erkleckliches Mass ignoranter Albernheit, Torheit und [. . .], denn Grey kommt ja aus England.“105 In den Kriegsschriften Kohlers erscheint dabei eine Tendenz der Weltkriegsliteratur, der „Intentionalismus“, der bereits in der deutschen Historiographie des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielte.106 Bei der Darstellung sozialer oder politischer Vorgänge wird dabei hauptsächlich auf vermeintliche Absichten und Charaktermerkmale der Protagonisten Bezug genommen, ohne faktische Interessen und Vorgänge näher zu analysieren. Kohler charakterisierte die Russen als barbarisch, die Franzosen als revanchesüchtig, die Engländer als neidisch. Besonders polemisch erfolgte Kohlers Darstellung Englands: „Hier war dann kein Mittel zu schlecht, um Deutschland in seine Schranken zu verweisen, und die elende Scheinheilig102 Walther Schücking, Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, Leipzig 1917, S. V f. 103 Vgl. Gustav Fuchs, Der deutsche Pazifismus im Weltkriege, in: Beiträge zur Geschichte der nachbismarckschen Zeit und des Weltkrieges Heft 4, 1928, S. 17 Anm. 58; Reinhold Lütgemeier-Davin, Pazifismus zwischen Kooperation und Konfrontation, Köln 1982, S. 34. Robert Piloty, AöR 36 (1917), S. 304, vertrat die Auffassung, es gebe keine anderen Brücken mehr zwischen den Völkern als die der Waffen und des Blutes. 104 Vgl. allgemein Matthew Stibbe, German Anglophobia and the Great War. 1914–1918, Cambridge 2001. 105 Josef Kohler, Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 15. 106 Dazu im Allgemeinen Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 272.

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keit und Heuchelei, der Cant fand stets einen Vorwand, seinem Tun die Gloriole des Biedermannes aufzustülpen. Hinterlist und Tücke zu üben, galt als smartness und die smartness als die höchste Tugend.“107 Auch insofern passen Kohlers Artikel in den Kanon der völkervergleichenden Umschau, als dass sich dort nicht nur das Idiom des „perfiden Albion“, eine pejorative Sammelmetapher für eine eigensüchtige, vornehmlich von ökonomischen Interessen geleitete britische Außenpolitik, findet, sondern auch damals gängige Leitmotive wie „Konkurrenzneid“,108 Krämernation,109 Scheinheiligkeit, Heuchelei bzw. englischer Cant.110 Die Charakterisierung der Kriegsgegner ermöglichte die Selbstdefinition der Deutschen. Insoweit sind die Schriften Kohlers und zahlreicher seiner Kollegen äußerst bezeichnend. Ihre Schemata besaßen Wirkung bis weit über den Ersten Weltkrieg hinaus. Bemerkenswert erscheint, dass der Staatsrechtler Hugo Preuß schon mitten im Weltkrieg darauf hinwies, dass es keine Beweismittel gebe, wenn es um die Intentionen anderer Menschen, gar fremder Staatsmänner, gehe. Vor allem, so Preuß, sei ein Vorgang wie die Entstehung eines Krieges viel zu komplex, als dass sie anhand einer pauschalen Intentionsbezeichnung erklärt werden könne. Die juristische Formalität der Kriegserklärung reiche ebenso wenig dazu aus wie die Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungskrieg. Noch viel weniger war es nach Ansicht Preuß’ möglich, einem Volk eine bestimmte moralische Disposition als Dauereigenschaft zuzuweisen: „Auf so schwankendem Grunde steht also von vornherein das ganze Gebäude all dieser Beweisführungen.“111 Wie zahlreiche andere Gelehrte deutete Kohler den deutsch-englischen Machtkampf in das Prinzipielle um und konstruierte einen ideellen Gegensatz zwischen Deutschland und England. Die deutsch-englische Auseinandersetzung nahm dabei den Charakter eines Prinzipienkampfes an, eines 107 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 3 f. 108 Josef Kohler, Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915; ähnlich auch Karl Strupp, Der Wirtschaftskrieg gegen Deutschland und die Neutralen, in: ZfP 10 (1917), S. 151. 109 Josef Kohler, Deutschlands Denker, in: Der Tag vom 15. April 1915. Ähnlich auch der Wirtschaftshistoriker Werner Sombart, der in seinem 1915 erschienenen Buch „Händler und Helden“ den Gegensatz zwischen Preußen-Deutschland und dem Westen vorwiegend am Beispiel der englischen „Krämernation“ versinnbildlichte. 110 Josef Kohler, Englands Moral, in: Der Tag vom 27. Oktober 1914; Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915; Not kennt kein Gebot. Die Theorie des Notrechts und die Ereignisse unserer Zeit, Berlin/Leipzig 1915; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 8, 182. 111 Hugo Preuß, Die Legende vom Störenfried, in: ders., Staat, Recht und Freiheit. Aus vierzig Jahren deutscher Politik und Geschichte. Mit einem Geleitwort von Theodor Heuss, Tübingen 1926, S. 255 f.

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Kampfes zwischen deutschem (= idealistischem) und englischem (= utilitaristischem) Denken.112 England erschien bei Kohler als der „Tierbändiger“ auf dem Kontinent, der die „kontinentale Menagerie“ möglichst im Zaum zu halten versuche, den einen gegen den anderen hetze, bald den „bramarbassierenden Franzosen auf den gefrässigen Barbarenführer Russland, bald den zweiten auf den ersten“; jetzt aber, so Kohler, sei es ihm beigekommen, beide auf Deutschland zu jagen „in der Erwartung, dass dann England von dem Mahle, das das vernichtete Deutschland übrig liess, einen Hauptteil bekäme.“113 Auffallend ist, dass Kohler weniger einen deutsch-englischen Gegensatz betonte als vielmehr einen Gegensatz zwischen England und dem Kontinent: „[. . .] herzlich verlacht der Brite den Kontinentalen, der an Tugend und Ehrlichkeit glaubt; eine mit der Scheinheiligkeit verbrämte Tücke ist die höchste Tugend, die der Engländer üben kann. Unsere Ehrlichkeit ist eine Torheit, die wir als Tugend üben, weil wir zu dumm sind, um unseren Vorteil zu erkennen.“114 Das Gefühl der Feindschaft gegenüber dem zweiten Hauptgegner Deutschlands, Russland, fiel demgegenüber ab. Den Konflikten, die den Krieg mit Russland zur Folge hatten und die im Grunde Ausgangspunkt des Krieges waren, schenkte Kohler weitaus weniger Beachtung als dem Gegensatz zu England. „Mag“, so Kohler, „im übrigen die Meinung noch so sehr auseinander gehen – in der Brandmarkung des eitlen und selbstgefälligen, in endlose Korruptionen versenkten und in dieser Korruption brutal auftretenden Franzosen, im Abscheu gegen das Barbarentum der Moskowiter mit ihren entsetzlichen Pogromen und Grausamkeiten, in der Verurteilung der ränkesüchtigen belgischen Politik und ihres verhängnisvollen Leiters Broqueville – über die Verdammung des perfiden Albions stimmen wir alle überein.“115 „Die Franzosen und Russen“, heißt es an anderer Stelle, „können wir bis zu einem bestimmten Grad hassen, England müssen wir verachten.“116 Kohlers mildere Beurtei112 Josef Kohler, Englands Moral, in: Der Tag vom 27. Oktober 1914; ähnlich auch Johannes Haller, Deutschland und der Weltkrieg, Süddeutsche Monatshefte, Nov. 1915, S. 189; Wilhelm Wundt, Die Nationen und ihre Philosophie, Leipzig 1915, S. 41; siehe dazu im Allgemeinen Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 28. 113 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 2 f. Dazu im Allgemeinen: Michael Salewski, Der Erste Weltkrieg, Paderborn/München/Wien u. a. 2003, S. 189: „Da haben wir es wieder, das perfide Albion, das die Kontinentaleuropäer aufeinanderhetzt, selbst sicher in seiner meerumschlungenen Höhle sitzt.“ 114 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 4. 115 Josef Kohler, Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 1.

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lung Russlands mag unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass das Gefühl persönlicher Enttäuschung dem Zarenreich gegenüber möglicherweise nicht so stark war, wenn man sich über die von Russland ausgehende Gefahr ohnehin wenig Illusionen gemacht hatte. Dennoch verstand Kohler auch den Kampf mit Russland als Ideenkampf, was auf die nicht nur bei liberalen Gelehrten verbreitete Vorstellung von dem tiefgehenden Kulturunterschied zwischen Deutschland und dem Zarenreich zurückzuführen ist.117 Der von Kohler verwandte Topos von den Barbaren war während des Ersten Weltkrieges allgemein von zentraler Bedeutung. In diesem Krieg schien es um nichts weniger als den Bestand der Menschheit und ihrer zentralen Werte zu gehen. So entstand eine Sprache, die den Krieg als Konflikt zwischen der eigenen, idealisierten Nation und einem dämonisierten Feind präsentierte, wobei „Zivilisation“ bzw. „Kultur“ der „Barbarei“ gegenübergestellt wurden. Der russische Einmarsch in Ostpreußen bot zusätzlichen Stoff über die Kosakengräuel, wodurch die Vorstellung genährt wurde, dass Deutschland die europäische „Zivilisation“ gegen die russische „Barbarei“ verteidige. Aufgewachsen an der Grenzscheide zu Frankreich und von jeher ein großer Bewunderer französischer Kultur, konnte Kohler die deutschfranzösische Auseinandersetzung kaum als einen Kampf zweier Kulturen interpretieren. Wenn die Haltung Kohlers ebenso wie die der meisten deutschen Gelehrten Frankreich gegenüber nachsichtiger erschien, so ist dies u. a. darauf zurückzuführen, dass man für die französischen Motive im Weltkrieg, vor allem die Revanche für 1870, noch am ehesten Verständnis hatte. Dennoch fiel auch Kohler mit ein in die allgemeinen Klagen über den sittlichen Morast Frankreichs, in dem er einen willenlosen Vasallen Englands erblickte. „So [. . .] denn auch [. . .] die Hetzpresse der Franzosen, die mit allen Niedrigkeiten und Verworfenheiten eines Dirnenkupplers hantierte [. . .]“118 „Mit der Thronbesteigung Eduard VII. kam das Verhängnis. Als Prinz von Wales hatte er ein überflottes französisierendes Leben geführt, nicht wie der Prinz Heinz im Umgang mit einem genialen Trunkenbold, sondern inmitten des frechsten Dirnengesindels, bei Pariser Loretten feinster und gemeinster Sorte. In Paris, auch in dem damals ganz französisierten Baden-Baden feierte er jene heillosen Orgien, von denen in BadenBaden noch heute die üppige Fama voll ist.“119 Wie die Kriegsschriften vieler seiner Kollegen erscheint Kohlers Kriegspublizistik als sehr emotio116

Josef Kohler, Nicht Haß, sondern Verachtung, in: Der Tag vom 1. Oktober

1914. 117 Josef Kohler, Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 1. 118 Josef Kohler, Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915. 119 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 6.

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nal, was auch zur häufigen Verwendung von Klischeebildern geführt haben mag. Im Rückblick beschrieb Friedrich Meinecke diese Entwicklung mit den Worten: „Die selben Forscher, die auf ihrem eigensten Gebiete mit größter Strenge und Nüchternheit das Wirkliche von dem nur Möglichen oder Wahrscheinlichen zu trennen verstanden, gerieten außer Rand und Band, wenn sie die Chancen unserer Siege abschätzten. Sie vergaßen alle ihre rationalen Methoden und erlaubten sich alle Schnitzer dessen, was man emotionales Denken nennt. Sie zeigten, dass auch eine hochentwickelte Kultur- und Geistesdressur nicht zu schützen vermag vor einer plötzlichen Überflutung durch elementare, ungeregelte Denkmotive.“120 Die Ansicht zahlreicher deutscher Gelehrter über den Wert deutscher Kultur teilte Kohler. Deutsche Kultur war Kohler zufolge sittliche Kultur. In der unergründlichen Tiefe ihrer sittlichen Veranlagung wurzelte seiner Ansicht nach ihre Überlegenheit.121 Dabei bezog sich Kohler auf Fichte, der als der deutscheste aller deutschen Philosophen gefeiert wurde und dessen Reden an die deutsche Nation während des Krieges mehrfach neu herausgegeben wurden. „Was ich daher sagte über die Gleichwertigkeit der Nationen, die einander zum Völkerbunde die Hände zu reichen hätten, das muß ich zurücknehmen; nicht Haldane122 hat Recht, [. . .], sondern Fichte hat Recht, wenn er von der Einzigartigkeit der deutschen Nation spricht, von der die anderen Nationen, soweit sie nicht gänzlich entartet sind, zu lernen haben, nicht nur an Intellekt, sondern auch an moralischem Bewusstsein und unerschütterlicher Tatkraft [. . .]“123 „Was die Zukunft beherrscht, ist nicht der kosmopolitische Geist, in dem wir schwelgten, es ist der deutsche Geist.“124 120 Friedrich Meinecke, Die deutschen Universitäten und der heutige Staat, in: Politische Schriften und Reden, hrsg. von Georg Kotowski, Darmstadt 1958, S. 405. 121 Josef Kohler, Der deutsche Idealismus, in: Der Tag vom 21. März 1918. 122 Lord Richard Burdon Haldane (1856–1928) hatte sich als ehemaliger Student der Philosophie in Göttingen (1873), liberales Mitglied des Unterhauses und Rektor der Universität Edinburgh für eine Reform britischer Universitäten nach deutschem Vorbild eingesetzt und ab 1905 als Kriegsminister eine Neuordnung des britischen Heeres nach deutschen Prinzipien „wissenschaftlicher Organisation und Effizienz“ durchgesetzt. Eine am 3. August 1911 in Oxford gehaltene Rede („Great Britain and Germany. A Study in National Characteristics“, New York 1912), in der er das ganze Gedeihen des modernen Deutschland auf seine Universitäten zurückführte, wurde als Dokument deutsch-britischer Verständigung sofort ins Deutsche übersetzt und in einer Auflage von 250.000 auf Kosten der Carnegie-Friedensstiftung in Deutschland verbreitet, Viscount Haldane, Deutschland und Großbritannien. Eine Studie über nationale Eigentümlichkeiten [Internationale Verständigung, 1], Berlin 1911. 123 Josef Kohler, Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: ARWP 8 (1914/15), S. 170 f. 124 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 1.

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„Kein Land kann uns an hochragendem Idealismus gleich kommen; das Land Goethes steht einzig da, und in der idealsten aller Künste in der Musik, haben wir die zwei grössten Schöpfer aller Zeiten, Beethoven und Richard Wagner, erzeugt,“125 Gerade der Hinweis auf Beethoven und Wagner macht deutlich, wie sehr sich Kohler doch bewusst war, sich am Abgrund eines Kulturbruchs erheblichen Ausmaßes zu befinden. Es galt zu zeigen, dass das Volk in Waffen noch das Volk der Dichter und Denker war. Dabei konnte Kohler vor allem auf Nietzsche zurückgreifen, der nicht nur ebenfalls streng zwischen „Kultur“ und „Zivilisation“ unterschied, sondern „Kultur“ auch ausdrücklich als antipolitisch bestimmt hatte.126 In seinem Nachruf auf den Berliner Philosophen Adolf Lasson vermerkte Kohler, dass „in dem Deutschtum allein die idealen Keime der menschlichen Fortbildung liegen, daß wir das gepriesene Volk sind, an welches sich die künftige Kulturentwicklung anschließen wird.“127 Lasson hatte verkündet, die Deutschen verbäten es sich, mit den Feindvölkern auf gleicher Stufe zu stehen. Selbst im Tod, so Lasson, sei ein Deutscher unendlich viel wertvoller als sein Feind.128 Demgegenüber lenkte Kohler ein: „Nicht will ich darum den einseitigen Nationalismus preisen; wir verehren jede Nation, welche sittliche Ideale hat und noch nicht unter dem Joche verderblicher Mächte zusammengebrochen ist. Wir wollen niemals dem Hochmut huldigen, als ob wir alles leisten könnten; aber wir wollen kritischer sein in der Beurteilung der übrigen Völker [. . .].“129 Kohler, der sich bereits zur Jahrhundertwende dem Werk Nietzsches zugewandt hatte, bezog sich auch in seinen Kriegsschriften voller Pathos auf Nietzsche, von dem deutschsprachige Journalisten damals behaupteten, dieser ziehe in Gestalt eines Zarathrustra im Tornister eines jeden deutschen Soldaten mit in den Krieg: „In diesen gewaltigen Zeiten, wo die Grundfesten der Welt erzittern, nehme ich mit Vorliebe Nietzsches Werke zur Hand, und eine Macht der Sprache, die wie Glockengeläute, wie 125

Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 5. 126 Zur Rezeption Nietzsches während des Ersten Weltkrieges siehe Eckart Koester, Literatur und Weltkriegsideologie, Positionen und Begründungszusammenhänge des publizistischen Engagements deutscher Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, Kronberg/Ts. 1977, S. 258. 127 Josef Kohler, Nachruf auf Lasson, 19. Dez. 1917, in: ARWP 11 (1917/1918), S. 295. In der Korrespondenzkartei Kohlers finden sich Einträge von Briefeingängen Adolph Lassons (1832–1917) im Zeitraum vom 9. März 1898 bis zum 8. März 1917. 128 Adolf Lasson, Deutsche Reden in schwerer Zeit, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern, Berlin 1914, S. 109 f. 129 Josef Kohler, Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: ARWP 8 (1914/15), S. 170 f.

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Kanonendonner uns erschüttert, bringt mich in die Stimmung, welche der Größe der heutigen Ereignisse entspricht.“130 Viele Artikel Kohlers zeigen, wie der Historismus des 19. Jahrhunderts praktisch wurde.131 Auch in seinen Schriften finden sich der Bezug der kriegführenden Deutschen auf die Germanen und der Versuch der geschichtlichen Selbsteinordnung. „Was die Zukunft beherrscht, [. . .] ist auch nicht die Völkergemeinschaft, wie sie früher bestand, es ist Deutschland in Verbindung mit Oesterreich und den übrigen Germanenstaaten, welche der Welt die Kulturfahne vorantragen wird.“132 „Animalisch [. . .] – ja, das ist das Charakteristikum des Drachengezüchts, mit dem der deutsche Siegfried zu kämpfen hat!“133 „Am wenigsten ist auf die Stimme derjenigen zu hören, welche die Schwierigkeiten betonen, die dem erobernden Staate bei der Angliederung erwachsen, weil er mit fremden Bevölkerungselementen zu tun habe, die ihm vielleicht widerspenstig entgegentreten. Derartiges mag ein weiches, furchtsames Volk in Schrecken setzen, eine jugendkräftige Nation wird solche Schwierigkeiten einfach beiseite schieben: der großzügige Siegfried lässt sich durch das Minnegeplänkel einer widerwilligen Bevölkerung nicht schrecken.“134 Symptomatisch ist Kohlers Lobpreisung Wilhelms II.135 „Wir sind jugendlich geblieben und von dieser Kraft erfüllt uns eine ebenso hoheitsvolle wie ideenreiche Führung des deutschen Reiches durch den deutschen Kaiser. Ich kann meine ganze Vergangenheit anrufen, um mich gegen den Vorwurf zu wahren, als wollte ich nicht nach freier Ueberzeugung sprechen; aber das muss ich sagen, dass der deutsche Kaiser sich seit Bismarck als der größte Staatsmann erwiesen hatte, den Deutschland je besaß.“136 „Wir Deutschen sind [. . .] staats-, königs- und kaisertreu [. . .].“137 Bismarck, der 130

Josef Kohler, Englands Moral, in: Der Tag vom 27. Oktober 1914. Dazu im Allgemeinen Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 69. 132 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 1. 133 Josef Kohler, Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915; ähnlich auch Josef Kohler, Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916. 134 Josef Kohler, Angliederung und Expansion, in: Der Tag vom 31. Oktober 1915. 135 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 5. 136 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Deutschlands Jugendkraft, S. 9. 137 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 131

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als Staatsmann schlechthin galt, als Inkarnation eines politischen Führers, Entschlossenheit und Machtbewusstsein,138 war für die meisten deutschen Gelehrten die hervorstechende Bezugsperson. Die Glorifizierung Bismarcks verdeutlichte die in der Hälfte des Krieges zunehmende Sehnsucht nach einer starken Führung. Vor allem die annexionistisch gesinnten Gelehrten benutzten Bismarck für ihre Kriegszielagitation und verknüpften den Kult um den Reichsgründer mit ihrer Kritik an Bethmann Hollweg. Selbst den Einsatz religiöser Effekte unterließ Kohler nicht. Er verklärte den Krieg als „heiligen Krieg“, als Abwehrkampf zur Selbsterhaltung des Reiches.139 „Aenderungen, die wir erst in vielen, vielen Jahrzehnten erwarteten, sind über Nacht gekommen, uns unbewusst, wie eine Kulturwelle, die uns auf einmal auf eine nie geahnte Höhe getrieben hat, zum deutlichen Zeichen, dass, so sehr die Kultur unser Werk ist, wir selber das Werk höherer Mächte sind, die in uns walten und ohne unser Wissen uns neuen Zielen zuführen.“140 „[. . .] raffen wir uns auf zu einem tiefphilosophischen, tief religiösen Dasein. In diesem Zeichen werden wir ebenso im Kriege siegen wie im Frieden den Preis der Unsterblichkeit erringen.“141 „Wenn die Volksstimme Gottesstimme ist, so gibt es heutzutage eine Stimme, die uns von einem höheren Wesen eingegeben wurde.“142 Hatte Kohler 1913 noch verkündet, der Glaube an ein auserwähltes Volk unter den Völkern sei gewichen,143 so sakralisierte er nun die eigene Nation: „Wir wussten, dass ein 138 Hermann Oncken, An der Schwelle des dritten Kriegsjahres, Kassel 1916, S. 11; Mitteleuropa, S. 7 ff., 38, 40, 43; Gustav Radbruch, Zur Philosophie des Krieges. Eine methodologische Abhandlung, in: AfSS 44 (1917/18), S. 145; Friedrich Meinecke, Staatskunst und Leidenschaften, in: ders., Probleme des Weltkriegs, Berlin 1917, S. 66; Lujo Brentano, Schlachtruf, München o. J. [1916], S. 12; Walter Goetz, Die Kriegsergebnisse und die deutschen Kriegsziele, in: ders. (Hrsg.), Deutschland und der Friede. Notwendigkeiten und Möglichkeiten deutscher Zukunft, Leipzig/Berlin 1918, S. 437, 439 f.; Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Zum Freiheitsfrieden [22. März 1918], in: Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 222; Gustav von Schmoller, Die soziale Frage. Klassenbildung, Arbeiterfrage, Klassenkampf, München/Leipzig 1918, S. 641; Johannes Haller, Bismarcks Friedensschlüsse, 2. Auflage, München 1917, S. 106 ff.; Dietrich Schäfer, Die Vereinigten Staaten als Weltmacht, Berlin 1917, S. 6, 37–40, 45–49; Georg von Below, Militarismus und Kultur in Deutschland, in: ders., Kriegs- und Friedensfragen (Bibliothek für Volks- und Weltwirtschaft), Heft 43, Dresden/Leipzig 1917, S. 65, 68 f. 139 Josef Kohler, Der heilige Krieg, DRR (2. II. 15), Berlin 1915, S. 26. 140 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: Das Schriftthum der Zukunft, S. 1. 141 Josef Kohler, Der Geist der Gegenwart, in: Der Tag vom 17. November 1916. 142 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 1. 143 Josef Kohler, Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 260.

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derartiger Krieg sich nicht in einem Zuge beenden lasse: die Uebermacht war zu groß, und die Vorsehung schafft zwar unversehens und mit gewaltiger Hand, aber sie schafft mit natürlichen Mitteln. [. . .] so wussten wir, dass wir siegen [. . .] Alles hat seine Zeit; Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher. [. . .] So steht die Weltlage, und es wird sich erfüllen, was wir bei Beginn des Krieges alle dachten: wenn es irgendwie eine Gerechtigkeit in der Weltgeschichte gibt, so werden unsere Feinde darniedersinken; denn mag auch in kleinen Dingen mitunter die Geschichte ihre eigenen Bahnen gehen, in allem Großen ist die Weltgeschichte gerecht.“144 Kohlers Sinngebung des Krieges war geeignet, ungeheure Kraftreserven auszulösen. Wie Kohler beschworen alle Kriegsparteien den „Heiligen Krieg“. Ein weit verbreitetes apokalyptisches Denken bildete die Basis der engen Verbindung religiöser und weltlicher Kriegsdeutungen. Der Krieg wurde als Weltgericht gedeutet und zugleich als Beginn einer umfassenden Welterneuerung, die das „auserwählte“ Volk im Krieg zu vollziehen habe.145 Klaus Vondung, der die apologetischen Deutungen des Ersten Weltkrieges näher untersucht hat, gelangte zu der Auffassung, dass es sich bei den meisten Interpretationen des Krieges um angestrengte Versuche gehandelt habe, angesichts der in Unordnung geratenen Umwelt Sinn zu stiften. Die Sinndeutungen des Unruhe und Ungewissheit verursachenden Geschehens sollten Vondung zufolge sowohl psychischen Halt als auch gesellschaftliche Ordnungsmaßstäbe für Denken und Handeln vermitteln.146 Die Ereignisse seit 1914 deutete Kohler als Scheitern seines Vernunftideals: „In der Wertschätzung der menschlichen Vernunft und ihrer Bedeutung für die Weltkultur hatten wir uns getäuscht, ich wie tausend andere. Wir hatten den Traum einer vernünftigen Völkerrechtsentwicklung geträumt, wo jede Nation der anderen bereitwillig dasjenige gestattet, was sie im Fortschritt der Kultur zu bieten vermag. Wir hatten vermeint, dass das ganze Weltreich in der Friedensbestrebung einmütig ist [. . .] Dieser Traum ist, wie so viele andere, verflogen, aber er ist begreiflich; denn eine solche Fülle von Niedertracht und hinterlistiger Tücke, ein solches Mass an Verruchtheit, elender Selbstsucht, zu gleicher Zeit aber einen solchen Grad 144

Josef Kohler, Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1298 ff. 145 Wolfgang Kruse, Krieg und nationale Identität: Die Ideologisierung des Krieges, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 169 f.; Helmut Fries, Die große Katharsis. Der Erste Weltkrieg in der Sicht deutscher Dichter und Gelehrter. Band 1: Die Kriegsbegeisterung von 1914. Ursprünge – Denkweisen – Auflösung, Konstanz 1994, S. 184. 146 Klaus Vondung, „Geschichte als Weltgericht. Genesis und Degradation einer Symbolik“., in: ders. (Hrsg.), Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen, Göttingen 1980, S. 62.

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von Torheit, Kurzsichtigkeit und Verranntheit, wie ihn England bewiesen hat, war ausserhalb unserer Berechnung. Von jeher hatten wir zwar erkannt, dass neben der Vernunft eine Menge unvernünftiger unlogischer Elemente in der Weltgeschichte walten; denn die Kultur bedarf zu ihrem Fortschritt des Menschen und in der Menschheit schlummert eine ungeheure Menge von Unvernunft und Verblendung, welche überwunden werden muss, um die grossen Ziele der Geschichte zu erreichen. Aber ein solcher Ueberschwall elender animalischer Triebe, eine solche Quelle von tückischer Selbstsucht und Gaunerhaftigkeit, eine solche tigerhafte Bestialität hätten wir der Menschheit nicht zugetraut.“147 Folge dieses Vertrauensverlustes war ein Pathos der Härte, das geistige Pendant einer allgemeinen Verrohung.148 So taucht in den Kriegsschriften Josef Kohlers wiederholt eine Form des „Maskulinismus“ auf, die zwar nicht erst mit dem Weltkrieg aufgekommen ist, aber auch in den Weltkriegstexten anderer Intellektueller signifikant häufig verwandt wurde.149 „Allein wir deutschen Gelehrten haben stets verlangt, daß der Gelehrte nicht nur Denker und Schöpfer ist, sondern daß er auch gegen alle und jeden stets mannhaft für seine Überzeugung einstehen müsse.“150 „Deutschland, werde hart wie das Eisen!“151 „Denn die Nächstenliebe muß sich beugen unter dem Gebot der Fernstenliebe, dem großen Gebote, dessen Kenntnis wir vor allem Nietzsche verdanken. Schon die Gesinnung, welche dem Gegner nichts übles wünscht, darf nicht in der Art übertrieben werden, dass sie das Gemüt zur Weichlichkeit und zum Quietismus lenkt und jede Nervenkraft lähmt. Vor allem aber würde das Gebot der Feindesliebe dann zu schweren Schädigungen führen, wenn wir es auch in Fällen anwenden wollten, wo große Kulturgüter in Frage stehen. Hier kann es nötig sein, den Gegner schonungslos zu vernichten und bis ins Mark zu treffen. Dies hat die christliche Kirche auch von jeher erkannt, und es ist ihr Ruhm, dass sie niemals in die quietistischen Bahnen des Buddhismus verlaufen ist; wo es sich um Glaube und Heilsgüter handelte, hat sie den Kampf bis zum Äußersten nicht gescheut. [. . .]; stets galt der Satz: erst eine vollständige Vernichtung der Gegner des Heils, und dann erst Friede und Schonung; [. . .] Das muß auch im Kampfe der Völker und gerade heutzutage allen entgegengehalten werden, 147 Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 1 f. 148 Siehe auch Theodor Wolff, 3. September 1914: „Welch ein Krieg! Wer noch von Menschlichkeit spricht, muß fürchten, als sentimentaler Narr gehöhnt oder als Antipatriot gelyncht zu werden.“ (Tagebücher, Bd. 1, S. 98 Nr. 28). 149 Vgl. Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 273. 150 Josef Kohler in Erwiderung auf die Ausführungen von Geheimrat Prof. Dr. Wilhelm Foerster, in: Berliner Tageblatt vom 14. September 1914. 151 Josef Kohler, Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918.

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welche jetzt noch Empfindungen der Schwäche fühlen und unangesehen der furchtbaren Gefahren, in denen wir kämpfen, Mitleidstränen vergießen und uns zu Friede und Mäßigung mahnen. Gewiß wollen wir als Vertreter des Völkerrechts nicht, dass nutzlose Leiden bereitet werden, und wir haben energisch hervorgehoben, dass jede Bereitung unnötiger Qualen ein Verbrechen ist; wo aber die Aufgaben des Krieges es verlangen, damit wir siegen, dürfen wir vor seinen Einwirkungen nicht zurückschrecken. Was wir verteidigen, die deutsche Bildung und Kultur, das ist des höchsten Einsatzes wert, und es ist sehr naiv, wenn man von uns verlangt, dass wir uns mit Leib und Leben opfern, dagegen Tränen vergießen sollen wegen der Leiden, die über unsere Feinde hereinbrechen. Siegen müssen wir, und möge unzähliges Leid auf unsere Feinde kommen; denn was wir vor allem lieben müssen, das ist die Zukunft, und die Zukunft gehört dem deutschen Geiste.152 Hier zeigt sich bereits eine in die Zukunft weisende Tendenz, das vorbehaltslose Bekenntnis zu den kollektiven Mächten Staat, Nation und Volk und das Eindringen des Nationalismus in das Gebiet der Ethik und der Wissenschaft hin zum Grundsatz Gut ist, was deinem Volke nützt!153 Für Kohler gilt das Urteil, das Gustav Radbruch über die Professorenpolitik im Weltkrieg gefällt hat: „Mit den Gesten der Führerschaft waren die Universitäten vielfach Geführte, wo nicht Angeführte des Zeitgeistes.“154 Präsentierte sich Kohler auch als unparteiischer Gelehrter, so waren es doch gerade er und seine Kollegen, die durch ihre Autorität politischen Themen oftmals das Antlitz akademischer Fragen gaben und damit die politischen Gegensätze ins Grundsätzliche erhoben und verstärkten. Erhoben sie auch den Anspruch, geistige Führer des Volkes zu sein, so waren sie wie ihre akademisch nicht geschulten Zeitgenossen letztlich doch nicht mehr als mehr oder weniger unselbständige Exponenten des Zeitgeistes. Theodor Wolff, Herausgeber des Berliner Tageblatts, kommentierte Ende 1914 das Engagement der deutschen Professoren mit den Worten: „Die intellektuelle Kriegsneurose nimmt einen bedenklichen Umfang an. Die Verheerungen, die sie im gegnerischen Lager anrichtet, berühren uns nicht, aber im eigenen Hause sähen wir sie gern abgeschwächt. [. . .] Wer nur einigermaßen die Zeitgeschichte kennt, wird es ablehnen, ein Lobredner der 152

Josef Kohler, Nicht Haß, sondern Verachtung, in: Der Tag vom 1. Oktober

1914. 153 Zur Professorenschaft im Allgemeinen siehe Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 275. 154 Gustav Radbruch, Die deutschen Universitäten und der heutige Staat, in: Wilhelm Kahl/Friedrich Meinecke/Gustav Radbruch, Die deutschen Universitäten und der heutige Staat. Referate, erstattet auf der Weimarer Tagung deutscher Hochschullehrer am 23. und 24. April 1926 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 44), Tübingen 1926, S. 33.

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Diplomaten zu sein. Aber die sogenannten geistigen Führer haben mitunter weniger politische Einsicht als der jüngste Gesandtschaftsattaché.“155 Die Art und Weise der Reaktion Kohlers auf den Kriegsausbruch lässt Charakter, Ausmaß und Wirkungsmacht des Krieges erahnen und vermittelt eine Vorstellung davon, was Krieg in der Bürgerwelt des 19. und 20. Jahrhunderts bedeutete. Fazit Im August 1914 wurde Kohler von der allgemeinen Kriegspsychose erfasst. Er zeigte keine Kriegsbegeisterung, aber glaubte, überzeugt von der Unschuld des Deutschen Reiches am Ausbruch des Krieges, an dessen Notwendigkeit. Die bei Kohler feststellbare Kriegsbejahung fand ihre Begründung in der allgemein geteilten Überzeugung, der Krieg sei von den Staaten der Entente aus Hass und Neid entfesselt worden und das Deutsche Reich nehme mit seiner Mobilmachung nur ein zu allen Zeiten als selbstverständlich angesehenes Recht auf Selbstverteidigung wahr. Das Gemeinschaftserlebnis erweckte bei ihm die Zuversicht, der Krieg werde als politischer Integrationsfaktor wirken und die Arbeiter an den bestehenden Staat heranführen. In seiner publizistischen Apologetik des Ersten Weltkrieges findet sich die für die deutsche Weltkriegsliteratur typische Rückbesinnung auf Tugenden und Denkhaltungen, die man dem deutschen Volk zuschrieb, wie Treue, Mut, Unterordnung und Pflichterfüllung. Er teilte den populären Englandhass, der sich seit August 1914 gerade auch in Intellektuellenkreisen ausgebreitet hatte. Wie zahlreiche andere Gelehrte deutete Kohler den deutsch-englischen Machtkampf in das Prinzipielle um und konstruierte einen ideellen Gegensatz zwischen Deutschland und England, in dem er den Initiator der „Einkreisung“ erblickte. Die deutsch-englische Auseinandersetzung nahm dabei den Charakter eines Prinzipienkampfes an, eines Kampfes zwischen deutschem (= idealistischem) und englischem (= utilitaristischem) Denken. In seinen Schriften versuchte Kohler immer wieder, die deutsche Friedfertigkeit und damit die deutsche Unschuld am Krieg näher zu belegen. Durch das internationale Ansehen, das er vor dem Krieg in aller Welt genossen hatte, fühlte er sich in besonderem Maße dazu befähigt, den Vorwürfen seitens des Auslands entgegenzutreten. Als Gelehrter beanspruchte er die Kompetenz zum Verstehen und Erklären dieses Krieges. Dabei vertrat er wie die Mehrheit der deutschen Intellektuellen die Überzeugung, dass es in diesem Krieg nicht nur um die Verteidigung der deutschen politischen Ordnung, sondern auch um die Behauptung der deutsch bestimmten Kultur 155 Theodor Wolff, Ein Philosoph, in: ders., Vollendete Tatsachen. 1914–1917, Berlin 1918, S. 20.

B. Kohlers völkerrechtliche Ansichten nach Ausbruch des I. Weltkrieges

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in Mitteleuropa gehe. Der Erste Weltkrieg erschien als geistig-ideeller Entscheidungskampf von weltgeschichtlicher Bedeutung. Eine Niederlage des Reiches war in dieser Sichtweise des Krieges nicht vorstellbar.

B. Kohlers völkerrechtliche Ansichten nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, ob und gegebenenfalls inwieweit sich Kohlers weltanschauliche Umstellung auf den Krieg auch in seinen völkerrechtlichen Ansichten niedergeschlagen hat.

I. Kohlers „neues“ Völkerrecht Unter dem Eindruck zahlreicher Völkerrechtsverletzungen wurde nun die Diskussion über die Existenz eines Völkerrechts wieder akut. Die Leugner fühlten sich in ihrer Auffassung bestätigt und unter denen, die vorher dafür eingetreten waren, begannen viele zu zweifeln, ob es noch eines gebe.156 Kohler ließ zwar keine Gelegenheit ungenutzt, seine Enttäuschung und sein Misstrauen gegenüber den Feindstaaten zum Ausdruck zu bringen, doch betonte er immer wieder, dass es noch ein Völkerrecht gebe. Obgleich die Staaten das Völkerrecht faktisch erschufen, ergab sich dessen Geltung Kohler zufolge aus der Annahme naturrechtlicher Grundsätze. In Anknüpfung an seine Lehre der Vorkriegszeit, führte er aus, dass die Bestimmungen des Völkerrechts auf klaren Grundsätzen des modernen Naturrechts beruhten und auf der Überzeugung, dass ihre Verletzung nicht nur ein schweres moralisches Unrecht, sondern auch einen tiefen Eingriff in das Rechtsgefühl bilde, welches die Kulturwelt durchdringe. Da das Völkerrecht in den Geboten der ethischen Kultur wurzele, erklärte er, müsse ein Völkerrecht bestehen, solange es Menschen gebe.157 Noch stärker als vor dem Krieg betonte er die Unerlässlichkeit einer die zwischenstaatlichen Verhältnisse gestaltenden überstaatlichen Ordnung158 und das Erfordernis der Stabilität des Völkerrechts gegenüber der politischen Macht. Insbesondere kritisierte er das Festhalten der Staaten an der Machtpolitik und der Verfolgung dieser 156

Siehe dazu auch Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 360; S. Spier, Gibt es noch ein Völkerrecht? in: Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre 12 (1917), S. 288–292. 157 Josef Kohler, Das Völkerrecht, in: Deutsche Revue 42 (1917), S. 62; siehe auch Das neue Völkerrecht, in: ZVölkR 9 (1916), S. 10 sowie: Besprechung von Ernst Zitelmann, Haben wir noch ein Völkerrecht ?, in: ZVölkR 9 (1916), S. 115. 158 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 343 f., 347, 349.

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Politik mit den Mitteln der Geheimdiplomatie sowie den Aufbau des Völkerrechts auf Verträgen und Kongressbeschlüssen. Seiner Ansicht nach musste die Geltung des Völkerrechts noch mehr von der Faktizität des Staatswillens gelöst werden159 und das Völkerrecht selbst sich mehr mit ethischem Gehalt füllen. Dazu forderte Kohler für das Völkerrecht der Nachkriegszeit ein noch stärkeres Anknüpfen an die ethischen Grundlagen, wie er sie von den Postglossatoren und den großen spanischen Naturrechtslehrern des 16. Jahrhunderts vertreten sah.160 Er ging dabei aber davon aus, dass solche Pläne während des Krieges nicht zu realisieren seien.161 Auch 1917 hielt er noch an dem grundsätzlichen Erfordernis der Beschränkung der Souveränität fest.162 Zu den Themen Schiedsgerichtsbarkeit und Staatenorganisationen, mit denen er sich vor dem Krieg so wohlwollend auseinandergesetzt hatte, äußerte er sich nach Ausbruch des Krieges zwar nur noch lapidar, wich dabei aber im Grundsatz von seinen in der Vorkriegszeit getroffenen Überlegungen zur Schiedsgerichtsbarkeit zunächst noch nicht ab. In der zweiten, 1917 erschienenen, Auflage seines Lehrbuchs für Rechtsphilosophie wiederholte er in fast wörtlicher Anlehnung seine Ausführungen zur Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie in der ersten Auflage aus dem Jahre 1909 zu finden sind. Der Gedanke, „eine Art Areopag der Völker oder doch ein Schiedsgericht“ zu schaffen, liest man auch in der zweiten Auflage, zeuge schon von einer großen völkerrechtlichen Annäherung.163 Auf solche Weise, so Kohler, sei bereits vieles ausgetragen und 159 Josef Kohler, Ethik des Kriegs und des Friedens, in: Der Tag vom 17. Januar 1917; siehe auch ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 5, 9; Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 349 f., 353; 51 ff.; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 3; Wesen des Völkerrechts, in: Der Tag vom 29. Dezember 1917. 160 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, Vorwort, S. III; Die spanischen Naturrechtslehrer des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 10 (1916), S. 235, 242; Ethik des Kriegs und des Friedens, in: Der Tag vom 17. Januar 1917; ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 9; siehe dazu auch Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts in gedrängter Darstellung, übersetzt von Herbert Thiele-Fredersdorf, München/Berlin 1960, S. 338 f.; Adalbert Erler, Josef Kohler, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Band II, Berlin 1978, S. 926. 161 Josef Kohler, Das Völkerrecht, in: Deutsche Revue 42 (1917), S. 61; Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 35 f. 162 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 345, ebenso Heinrich Lammasch, Das Völkerrecht nach dem Kriege, München/ Leipzig 1917, S. 82 f.; Der Friedensverband der Staaten, Leipzig 1918, S. 37; Leonard Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht, Leipzig 1917, S. 169–173. 163 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 348.

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mancher schwere Streit geschlichtet worden. Doch durfte dieses Mittel seiner Meinung nach auch nicht überschätzt werden, da es, wie er ausführte, nicht immer rechtliche Uneinigkeiten seien, die zum Streite führten.164 Die Leidenschaften der Nationen – diese Auffassung der Vorkriegszeit sah Kohler im Kriegsausbruch bestätigt – ließen sich nicht dauerhaft zurückdrängen, was seiner Ansicht nach das größte Hindernis für den Weltfrieden darstellte. Im Folgenden zeigte sich etwas Resignation gegenüber Kohlers Fortschrittsoptimismus der Vorkriegszeit: Man sei noch weit davon entfernt, meinte er, auch derartige Unstimmigkeiten in einer angemessenen Weise zu beseitigen.165 Auch Walther Schücking gelangte nach Kriegsausbruch zu der Auffassung, dass die Völkerrechtswissenschaft die Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit bis dahin überschätzt hätte.166 Erst 1918 lehnte Kohler den Gedanken internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zumindest für die Gegenwart ab: Für derartige Institute, erklärte er nun, sei die Zeit noch nicht gekommen.167 Zur Begründung führte er die aktuelle Machtverteilung an. Kohler fürchtete politische Rücksichtnahmen zum Nachteil des in der Weltöffentlichkeit verachteten Deutschen Reiches: „Wer soll Schiedsrichter sein? [. . .] glaubt man, dass wir uns in hochpolitischen Fragen einem Schiedsrichtertum unterwerfen wollen, in dem ein Amerikaner oder ein Franzose oder ein Italiener sitzt? Würden wir nach dieser furchtbaren Verfeindung, nach diesem riesenhaften Hasse, der sich in der Welt entladen hat, nach dieser französischen Barbarei, nach dieser amerikanischen Willkürherrschaft, nach diesem rechtswidrigen Walten englischer Behörden uns einem derartigen Schiedsgericht unterwerfen? Und was auch die neutralen Staaten betrifft – wie sehr ist Holland mit seinen ungeschützten Kolonien der Macht Englands verfallen, wie sehr Norwegen in seinem Handel auf England angewiesen; und wenn wir auch Staaten wie Schweden, Schweiz und Spanien als unsere besonderen Freunde betrachten, so können wir nicht vergessen, dass sich auch in ihnen ganz gewaltige Bevölkerungsgruppen befinden, die in das Schleppseil englischer Gedankenwelt eingefangen sind.“168 An der von ihm in der Vorkriegszeit so stark propagierten Idee eines „allgemeinen Bun164 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 348; so auch schon in der Vorkriegszeit: Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 207 f.; Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 104; ZVölkR 1 (1907), S. 497. 165 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 349. 166 Walther Schücking, Meeresfreiheit (1916), S. 65; Das völkerrechtliche Institut der Vermittlung (1923), S. 59 f. 167 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 168 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918.

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desstaates der Völker“ hielt Kohler ebenfalls zwar theoretisch fest.169 Wie er im Rahmen der Völkerbunddiskussion 1918 explizit äußerte, konnte er sich allerdings eine Umsetzung in Europa zumindest vorerst nicht mehr vorstellen. Es würden Jahrhunderte vergehen, prophezeite er, bis in dieser Beziehung ein Wandel eintrete.170 So strich er in der zweiten Auflage seines Lehrbuchs für Rechtsphilosophie im entsprechenden Abschnitt auch folgenden Satz: „Die Vereinigten Staaten aber bilden ein ungeheures Beispiel der fruchtbaren Kraft dieser Idee; es kann sein, dass in Zukunft auch Staaten Europas sich in solcher Weise zusammentun und eine Einheit bilden.“171 In Kohlers Kriegspublizistik finden sich Äußerungen wie die vom „Wahngebilde einer Völkergemeinschaft“, welches die Normen des Völkerrechts diktiere und welche regelmäßig die Streitigkeiten zu entscheiden habe. „Auch wir“, so Kohler, „waren in diesen Illusionen befangen, „es war unser ehrliches deutsches Gemüt, das uns über Arglist und Schlechtigkeiten hinwegsehen ließ.“172 „Die Ereignisse der letzten Jahre“, führte er aus, „haben uns den Pazifismus gründlich ausgetrieben.“ Nur dann, erklärte er, hätten pazifistische Gedanken einen Sinn, „wenn die Idee hehrer Sittlichkeit auch in den Reihen der Entente Wurzel gefasst“ habe; erst dann könne von Brüderlichkeit die Rede sein. Schließlich, so Kohler, könne man keine Gesellschaft gründen mit Individuen, denen die ersten Gebote des sittlichen Lebens fremd seien.173 In der zweiten Auflage seines Lehrbuchs für Rechtsphilosophie fehlt im entsprechenden Abschnitt der kritische Zusatz über das Selbsthilfeinstitut des Krieges: „Mit der Selbsthilfe kommt Gewalt und auch Mißbrauch der Gewalt“.174 Kohlers Haltung entsprach der der annexionistischen Gruppe um Dietrich Schäfer. Während die verständigungsbereiten Gemäßigten in der Hoffnung, Streitigkeiten in der Zukunft friedlich schlichten zu können, eine Weiterentwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und einen Völkerbund grundsätzlich befürworteten, lehnten die machtpolitisch orientierten Annexionisten beides als Trugbild und Mittel der Gegner ab. Es ist insofern eine Entwicklung festzustellen, als der Ton Kohlers im letzten Kriegsjahr, insbesondere im Rahmen der aufkommenden Völker169 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 345. 170 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 171 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 205. 172 Josef Kohler, Das neue Völkerrecht, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 6. 173 Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. 174 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 1. Auflage, Berlin 1909, S. 210.

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bunddiskussion, schärfer erscheint als in der zweiten, 1917 erschienenen Auflage seines Lehrbuchs der Rechtsphilosophie, in dem die Ausführungen zur Einschränkung der Souveränität, zur obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit und zur Errichtung eines allgemeinen Bundesstaates wesentlich vorsichtiger formuliert sind. Der schärfere Tonfall Kohlers im letzten Kriegsjahr verrät zunehmende Anspannung und Verbitterung. Seine schroffen Äußerungen über die Ententemächte sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass er auch während des Krieges seinen Glauben an eine Völkerrechtsgemeinschaft nie wirklich aufgegeben hat. Seine übertrieben abfälligen Bemerkungen waren letztlich nicht mehr als Ausdruck einer tiefen Enttäuschung: „Wir glaubten an eine Verbrüderung der Völker, an eine Ethik im Leben der Nationen, aber wir sind gründlich enttäuscht worden.“175 Das Festhalten Kohlers an der Idee einer Völkerrechtsgemeinschaft zeigte sich insbesondere auch an der Aufgabenverteilung, die er sich für die Arbeit am Neuaufbau des Völkerrechts nach dem Sieg des Deutschen Reiches vorstellte. Wenn Völker wie die Engländer und Amerikaner lediglich mit Präjudizien arbeiten könnten, wie es im common law gegenüber dem deutschen Rechtssystem, in welchem man mit Konstruktionen arbeite, üblich sei, führte er aus, so müssten sie eben in Zukunft darauf verzichten, an der Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft teilzunehmen und sich auf das Beibringen von Materialien beschränken. Die internationale Ordnung nach dem Krieg sollte Kohler zufolge deutschen Sittlichkeits- und Rechtsvorstellungen entsprechen. Damit meinte er zum einen, dass das Völkerrecht in erster Linie mit Konstruktionen zu arbeiten habe. Was die Präjudizien betreffe, erklärte er, so dürfe ihr Kult nicht, wie es im common law der Fall sei, übertrieben werden. Sie seien, räumte er ein, immerhin schätzenswert als Ergebnisse einer oft nach vernünftigen Bestrebungen ringenden Praxis, eine größere Bedeutung kam ihnen seines Erachtens aber nicht zu.176 Zudem betonte er, dass äußerliche Einrichtungen wie Schiedsgerichte allein nicht ausreichten. Vielmehr mussten Kohler zufolge in subjektiver Hinsicht Ehrlichkeit, Rücksichtnahme, guter Wille, anständige Gesinnung und das Bewusstsein der Brüderlichkeit der Völker hinzutreten.177 Das Völkerrecht werde, prophezeite er, eine neue und große Entwicklung nehmen, „allerdings nicht im stillen Gewässer des Pazifismus, sondern auf rauher See, wo Recht und Kraft zusammen das Steuer lenken.“178 „Die Zukunft 175 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 176 Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 10. 177 Josef Kohler, Die festen und die morschen Stützen des Völkerrechts, in: Die Umschau 22 (1918) vom 16. November 1918, S. 602. 178 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, Vorwort, S. III.

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liegt vor allem in Deutschland und Deutschland wird der leitende Staat sein. Eine völkerrechtliche Konvention kann nicht mehr in der bisherigen Weise, sondern nur in ganz anderer Art gedacht werden und nicht ohne die Hegemonie Deutschlands, dieser müssen wir vorarbeiten.“179 Dabei verlieh er der Hoffnung Ausdruck, dass das Deutsche Reich aus einem siegreichen Kriege so gestärkt hervorgehe, dass es dann auch den Schutz des Völkerrechts übernehmen könne180 und dieser Krieg der letzte sein möge, den Europa führe.181 Erfüllte sich auch seine Erwartung eines deutschen Sieges nicht, so realisierten sich im modernen Völkerrecht doch seine bereits über das klassische Völkerrecht hinweisenden Pläne eines stärkeren Anknüpfens an naturrechtliche Grundlagen.182 Fazit Wie sich im vorangegangenen Abschnitt gezeigt hat, hat sich Kohler während des Krieges von einigen seiner in der Vorkriegszeit verfochtenen pazifistischen Ideen distanziert, da er sie mit den Feindstaaten für nicht mehr durchführbar erachtete, so insbesondere von den Gedanken obligatorischer Schiedsgerichtsbarkeit und der Errichtung eines allgemeinen Bundesstaates. Die Haltung Kohlers wurde von der Gruppe der Annexionisten geteilt. Anders als die Gemäßigten, die die Weiterentwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit grundsätzlich befürworteten, hielten Kohler und seine Gesinnungsgenossen diese für eine trügerische Illusion. Kohlers Ansicht nach hatte der Kriegsausbruch den Pazifismus widerlegt. Man kann ein „Abweichen“ Kohlers von seinen vor 1914 vertretenen Ansichten also feststellen. Doch ist die Zäsur, die der Erste Weltkrieg für die Haltung Kohlers bedeutete, nicht so stark, wie Max Fleischmann, Karl Klee oder Klaus Schwabe183 annehmen. Kohlers pazifistische Haltung war schon in der Vor179

Kohler am 2. September 1914 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg. Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 10. Ähnlich auch Heinrich Triepel, Die Zukunft des Völkerrechts. Vortrag vom 11. März 1916. Vorträge der Gehe-Stiftung, Bd. VIII, Leipzig/Dresden 1916, S. 30, der den Wunsch äußerte, das deutsche Schwert möge über den Ausgang des größten Krieges, den die Welt je gesehen habe, entscheiden, auf dass Deutschland dem künftigen Völkerrecht den Stempel seines Geistes aufdrücken könne. 181 Josef Kohler, Die Vorkriegsgefangenen, in: ZVölkR 8 (1914), S. 645. 182 Vgl. Ulrich Scheuner, Naturrechtliche Strömungen im heutigen Völkerrecht, in: ders., Schriften zum Völkerrecht, hrsg. von Christian Tomuschat, Berlin 1984, S. 99 ff. 183 Max Fleischmann, Josef Kohler, in: ZVölkR 11 (1920), S. XXI; Karl Klee, Josef Kohlers Wirken auf dem Gebiete des Strafrechts und des Völkerrechts, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 68 (1920), S. 206; Klaus 180

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kriegszeit eine „relative“, war er noch sehr dem klassischen Völkerrecht verhaftet, das keine allgemeinen Rechtsnormen kannte, die den Völkern die Pflicht auferlegten, den Frieden zu erhalten. Solange der Krieg als legitimes Mittel zwischenstaatlichen Verhaltens galt, war der Pazifismus zur Schwäche verurteilt. Auch hatte Kohler bereits in der Vorkriegszeit im staatlichen Selbsterhaltungsrecht die allem zwischenstaatlichen Recht immanente Grenze gesehen und die Anerkennung der Grundsätze der clausula rebus sic stantibus für das Völkerrecht bejaht. Zum andern hat sich Kohler von der Idee einer zu erstrebenden Friedensordnung, die er in der Vorkriegszeit dem Gesinnungsmilitarismus entgegengehalten hatte, nicht grundsätzlich gelöst. An den Ideen der Friedenssicherung und einer Fortbildung des Völkerrechts hielt Kohler prinzipiell fest. Er gab sie auch während des Krieges nicht grundsätzlich auf. Vielmehr erstrebte er beides für die Zeit nach Kriegsende, aber – vom Sieg des Deutschen Reiches ausgehend und voller Misstrauen gegenüber den Ententemächten – unter deutscher Führung.

II. Kohlers Behandlung einzelner Kriegsrechtsfragen des Ersten Weltkrieges Im folgenden Abschnitt soll Kohlers Haltung zu einzelnen Kriegsrechtsfragen des Ersten Weltkrieges beleuchtet werden, um zu sehen, ob und inwieweit er dem in der Vorkriegszeit und zu Beginn des Krieges propagierten Ideal einer humanen Kriegsführung treu bleiben sollte. Hatte Kohler in der Vorkriegszeit Strategien zur Friedenssicherung entworfen, so wandte er sich nun den Problemen des ius in bello, des Kriegsrechts, zu. Dabei ergaben sich besondere Probleme daraus, dass sich das Haager Kriegsrecht als zunehmend unzulänglich erwies. Dessen Revision zeigte sich als ein wichtiges und dringendes Problem. Die Unzulänglichkeit des Haager Kriegsrechts erklärt sich schon aus den Lücken und Mängeln, die dieser Kodifikation bereits zur Zeit ihres Entstehens anhafteten; denn sie war selbst in Bezug auf das Landkriegsrecht keineswegs vollständig. So waren zum einen einige der wichtigsten und zugleich umstrittensten Probleme wie Repressalien und Geiseln überhaupt nicht erwähnt. Auch fehlten Regeln über das Luftrecht und hinsichtlich neuer Methoden und Waffen, die im Jahre 1907 noch unbekannt waren. Es waren auch keine Bestimmungen über den stets wichtiger werdenden Wirtschaftskrieg vorgesehen. Aufgrund der Unvollständigkeit der Haager Kodifikation des Kriegsrechts blieb das vorher bestehende Kriegsrecht auch nach dem Jahre 1907 zum Teil völSchwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 243 Anm. 131.

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kerrechtliches Gewohnheitsrecht. Weitere große Schwächen der Kodifikation lagen in der „Allbeteiligungsklausel“ und in der häufigen Einschiebung der Formulierung „wenn die militärischen Umstände es gestatten“. Zudem setzte die Haager Kodifikation die axiomatische Unterscheidung zwischen Streitkräften und Zivilbevölkerung voraus. Die radikalen technischen Fortschritte änderten diese Bedingungen jedoch vollständig. Ein weiteres grundsätzliches Problem, mit dem sich Kohler auseinanderzusetzen hatte, war der Gegensatz zwischen kontinentalem und angelsächsischem Völkerrechtsdenken,184 der sich insbesondere im Wirtschaftskrieg, namentlich im Seekrieg, auswirken sollte. „Welche Kluft tut sich nicht auf zwischen Deutschland und England“,185 so brachte Kohler sein Entsetzen über die zunehmende Entgrenzung der Kriegsmethoden zum Ausdruck und spielte damit auf die Antinomie kontinentalen und angelsächsischen Völkerrechtsdenkens an, die in ihrer begrifflichen Formulierung bis ins 18. Jahrhundert zurückreichte, nun aber im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Kriegführung in fataler Weise aktuell wurde. Rousseau hatte die Doktrin geprägt, wonach der Krieg eine Auseinandersetzung zwischen den Staaten und ihren mit der Kriegführung beauftragten Organen sei, welche die Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Untertanen der kriegführenden Parteien unberührt lasse.186 Diese 1801 von dem französischen Prisenrichter Portalis übernommene Lehre war im 19. Jahrhundert auf dem Kontinent und in Südamerika herrschend geworden. Dagegen hielten Engländer und Amerikaner an dem alten Kriegsbegriff fest, demzufolge der Krieg gegen alle feindlichen Individuen geführt wurde.187 Kohler betonte, dass es England und das englische Wesen seien, welche der Humanisierung des Krieges entgegenträten. Dadurch, führte Kohler aus, sei der Krieg in Bahnen gelenkt worden, welche nach dem Kulturrecht unzulässig wären. Seiner Ansicht nach hatte England „die Kultur der Völker verdorben.“188 Was das Kriegsrecht betraf, so waren Kohler zufolge drei große Gedanken entscheidend. Der Krieg werde, so Kohler unter Bezugnahme auf Rousseau, nicht zwischen den Bevölkerungen, sondern zwischen den Staaten geführt, so dass sich also nur staatliche Organe am Kriege beteiligen durften. 184 Auf diese Antinomie hatte Kohler schon vor dem Krieg hingewiesen: England und die Haager Landkriegsordnung, in: ZVölkR 5 (1911), S. 384 f., 392. 185 Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 2 f.; siehe auch Rezension Kohlers zu Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Der Kriegsbegriff des englischen Rechts, in: Juristische Wochenschrift 45 (1916), S. 104 f. 186 Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag Contrat social, hrsg. von Heinrich Weinstock, Stuttgart 1959, S. 38. 187 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, Baden-Baden 1988, S. 628. 188 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin, S. 351 f.

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Der Krieg, so der zweite Punkt, dürfe zerstören, aber die Zerstörung müsse „durch den Zweck geheiligt“ sein und dürfe somit nur erfolgen, um den Gegner niederzuwerfen. Mit Nachdruck betonte er, dass unnötige Qualen und Leiden zu vermeiden seien, da der Krieg der Zivilbevölkerung schließlich keinen gesetzlosen Zustand bereiten, sondern dem besetzten Gebiet möglichst bald eine staatliche Ordnung bringen solle.189 Kohler nannte hier die Grundprinzipien des Kriegsrechts, die zugleich auch dessen Grenzen aufzeigen, militärische Notwendigkeit (Kriegsnotwendigkeit) auf der einen Seite, Humanität auf der anderen. Er folgte dem grundlegenden Prinzip des modernen Kriegsrechts, wonach die Kriegführenden kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel der Kriegführung haben, sondern nur die zur effektiven Kriegführung notwendigen Mittel zulässig sind. Seine Ansicht entsprach dem mainstream der damaligen Völkerrechtswissenschaft. 1. Haltung zum Problem der Franktireure In seinen Schriften betonte Kohler immer wieder die Gerechtigkeit der deutschen Sache und berief sich dabei auf Moral und Völkerrecht: „[. . .] was uns fest und stark machte, war nicht nur das Bewusstsein unserer nationalen Größe und unserer eigenen Macht, sondern vor allem der tiefe Gedanke, dass wir in einen gerechten Krieg eintraten, dass es ein bellum justum war, in dem wir unsere Fahnen entrollten.“190 Dieses Bild geriet jedoch in immer stärkeren Widerspruch zur tatsächlichen deutschen Kriegführung in Belgien. Nicht nur der Einmarsch in das neutrale Belgien, sondern auch die Repressalien der deutschen Truppen – Massenerschießungen in Löwen (248 Tote), Tamines (383 Tote) und Dinant (674 Tote, nahezu jeder zehnte Bürger) sowie die teilweise Zerstörung der Universitätsstadt Löwen im Zeitraum vom 25. bis 28. August 1914 riefen im Ausland größte Entrüstung hervor.191 Ebenso wie andere deutsche Gelehrte übernahm Kohler kritiklos die Darstellung der deutschen Heeresleitung, Regierung und Presse, die deutschen Truppen seien aus dem Hinterhalt von „Franktireurs“, d.h. nichtuniformierten Zivilisten, die ihre Waffen nicht offen getragen hätten, über189

Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 9. Josef Kohler, Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1298. 191 Vgl. Wolfgang Schivelbusch, Eine Ruine im Krieg der Geister. Die Bibliothek von Löwen August 1914 bis Mai 1940 (Erstdruck 1988), Frankfurt a. M. 1993, S. 13–50; Lothar Wieland, Belgien 1914. Die Frage des belgischen Franktireurkrieges und die deutsche öffentliche Meinung von 1914 bis 1936, Frankfurt a. M. 1984. Alan Kramer, Greueltaten. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch . . .“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges, Essen 1993, S. 85–114. 190

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fallen worden. In Wirklichkeit handelte es sich dabei jedoch überwiegend um durch die Erinnerung an den Franktireur-Krieg von 1870/71 verursachte Wahnvorstellungen deutscher Soldaten.192 Ohne die erhobenen Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, rechtfertigte Kohler die den deutschen Soldaten vorgeworfenen Ausschreitungen als erforderliche Reaktion auf Freischärler.193 Er versuchte, den Bruch moralischer und völkerrechtlicher Normen durch den Nachweis zu rechtfertigen, dass er in der Abwehr schwererer Verbrechen geschehen war. Die Gegenwirkung gegen das Franktireurtum, erklärte er, gehöre zu den sogenannten Repressalien. Der Franktireur, führte er aus, sei kein legaler Kämpfer, sondern ein Mörder und habe die Verurteilung als Mörder zu gewärtigen.194 Er lade aber noch eine weitere Blutschuld auf sich, da die Reaktion gegen das Franktireurtum nicht bei der Strafverfolgung stehen bleiben dürfe. Vielmehr gelte es, sich auch vor zukünftigen Angriffen zu schützen. Kohler sah in der Freischärlerei für das Invasionsheer ein enormes Risiko, gegen das es sich seiner Ansicht nach nicht nur wehren dürfe,195 sondern auch wehren müsse, da es ansonsten die Pflicht gegen den eigenen Staat verletze, der für eine möglichste Unversehrtheit seines Heeres zu sorgen habe.196 Ebenso wie die Rechtsprechung des Reichsgerichts rechtfertigte er das deutsche Vorgehen in Belgien. In der deutschen Völkerrechtslehre und Rechtspraxis des Reichsgerichts galt die Erschießung von Zivilpersonen, die als solche an militärischen Aktionen beteiligt gewesen waren, als rechtmäßig, da sie dem Kriegsbrauch entspreche. Als Rechtsgrundlage für die Maßnahmen der deutschen Besatzer in Belgien bezüglich der Freikorps galt § 18 I der Kaiserlichen Verordnung vom 28. Dezember 1899, der den Kriegsbrauch erwähnte. Nach deutscher Auffassung stand es jedem Staat frei, den Begriff des Kriegsbrauchs mit Inhalt zu füllen.197 Aus der von Rousseau getroffenen Unterscheidung zwischen Streitkräften und zu schüt192 John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004, S. 124, 139–210. 193 Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915. 194 Siehe dazu auch schon Josef Kohler, Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 100 f. 195 Ebenso Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 294 f. 196 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 197 Vgl. Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 228 f.; Carl Rissom, Bestrafung Kriegsgefangener wegen völkerrechtswidriger Handlungen, in: Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 383.

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zender Zivilbevölkerung wurde nicht nur gefolgert, dass letztere nicht bekämpft werden durfte, sondern auch im Interesse einer Beschränkung des Krieges auf Kombattanten, dass sie nicht in die militärische Auseinandersetzung eingreifen durfte. Tat sie es doch, so durfte sie nicht nur fortan auch bekämpft werden, sondern durfte für diesen Verstoß gegen den auf dem Kontinent als Völkergewohnheitsrecht etablierten Grundsatz, dass der Krieg zwischen Staaten und nicht zwischen Personen geführt werde, auch bestraft werden.198 Schon der Schweizer Rechtsgelehrte Eméric de Vattel (1714–1767) hatte dafür plädiert, unrechtmäßige Kombattanten aufzuhängen.199 Die Todesstrafe wurde zur gewöhnlichen Strafe in solchen Fällen. Ein feldgerichtliches Verfahren erachtete man dabei jedenfalls bis 1899 nicht für erforderlich.200 Eine Einschränkung ergab sich erst 1899 durch die auf den russischen Völkerrechtler Friedrich von Martens zurückgehende, auf der Ersten Haager Konferenz 1899 angenommene sogenannte Martenssche Klausel. Ihr zufolge sollten bei Regelungslücken der Haager Landkriegsordnung „die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutze und der Herrschaft des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens.“201 Namentlich die Art. 1 und 2 der HLKO, die regeln, unter welchen Voraussetzungen auch Freikorps bzw. Zivilpersonen wie rechtmäßige Kombattanten zu behandeln sein sollen, waren, so ausdrücklich die Präambel der Haager Landkriegsordnung, im Sinne der Martensschen Klausel zu verstehen. Bei einem Verstoß gegen die Art. 1 und 2 der HLKO kam der Kombattant nicht in den Genuss des Schutzes des dem Kriegsbrauch vorgehenden Völkerrechts. Er galt als Kriegsverbrecher,202 für den die Todesstrafe die gewöhnliche Strafe war.203 Die Forderung der Martensschen Klausel galt 198 Josef Kohler, Jurisprudenz und Krieg (Deutsche Kraft. Kriegskultur und Heimatarbeit 1914/15, Band 14), hrsg. von Leo Golze, Berlin/Leipzig/Wien 1915, S. 27; siehe auch Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 230. 199 Vgl. Hans-Joachim Jentsch, Die Beurteilung summarischer Exekutionen durch das Völkerrecht, Diss. Universität Marburg 1966, S. 87. 200 Vgl. Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 231 f. 201 RGBl. 1910, S. 107. 202 Siehe etwa Lawrence Lassa Oppenheim, International Law. Band 2: War and Neutrality, London/New York, Bombay 1906, S. 270. 203 Alfred Verdross, Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten, Berlin 1920, S. 31 f.; A. Romen/Carl Rissom, Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juli 1872 nebst dem Einführungsgesetz, 3. Auflage, Berlin 1918, S. 568: „Die kriegsmäßige Behandlung des ergriffenen Franktireurs besteht also darin, dass er erschossen wird.“

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nicht für ihn. Aus Art. 46 Abs. 1, demzufolge auf feindlichem Gebiet das Leben der Bürger geachtet werden soll, und aus Art. 50 HLKO, nach dem wegen der Handlung Einzelner, für welche die Bevölkerung nicht als mitverantwortlich angesehen werden kann, keine Strafe über eine ganze Bevölkerung verhängt werden darf, in Verbindung mit der gemäß der Martensschen Klausel auszulegenden Art. 1 und 2 HLKO, war das Verbot zu entnehmen, Personen, die der Freischärlerei verdächtig waren, hinzurichten, ohne dass ihre Schuld nachgewiesen war.204 Art. 50 HLKO war Kohler zufolge ein „toter Artikel“, da nicht zu verstehen sei, was „mitverantwortlich“ bedeute.205 Zwar, räumte Kohler ein, solle grundsätzlich nicht die ganze Bevölkerung für die Taten Einzelner büßen; doch konnte dieser Grundsatz seiner Ansicht nach erst dann gelten, wenn geregelte Verhältnisse eingetreten waren. In Zeiten des Kampfes, führte er aus, hafte die Bevölkerung als Ganzes. So sei es Aufgabe der einheimischen Regierung, alle Vorkehrungen zu treffen, um derartige Franktireurtätigkeiten zu verhindern. Tue sie dies nicht, so habe eben die Gesamtheit dafür zu haften und unterliege dem Rechte der Repressalien.206 Kohler zufolge genoss also der militärische Aspekt, die Kriegsräson, insoweit Vorrang gegenüber etwaigen Gerechtigkeitserwägungen. Der franctireur, erklärte Kohler, gehöre zu den Personen nocentes (Schuldigen). Daher könne gegen ihn vorgegangen werden wie gegen nocentes, also auch durch Operationen, welche möglicherweise Schuldige und Unschuldige zugleich träfen.207 Die Gegenmaßregeln seien durch die besondere Sachlage vorgegeben, da es nicht immer möglich sei, den Täter sofort ausfindig zu machen.208 Das deutsche Vorgehen in Belgien rechtfertigte Kohler ausnahmslos: Das deutsche Weißbuch über Belgien,209 führte er aus, gebe ein außerordentliches Material zum Nachweis „dieser fluchwürdigen Franktireurangriffe“ und zeige zugleich, mit welcher Mäßigung das deutsche Heer vorgehe. Die 204 Siehe auch Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 238 ff. Zu demselben Ergebnis kommt Alfred Verdross, Die völkerrechtswidrige Kriegshandlung und der Strafanspruch der Staaten, Berlin 1920, S. 32. 205 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 208. 206 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 207 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 196, 180. 208 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 209 Deutsches Weißbuch. Die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs, Berlin 1915; siehe dazu auch Belgisches Graubuch, Réponse au livre blanc allemand, Paris 1917; Richard Graßhoff, Belgiens Schuld. Der belgische Volkskrieg, Berlin 1918; Bernhard Schwertfeger, Die Grundlagen des belgischen Franktireurkrieges 1914. Das deutsche amtliche Material, Berlin 1920.

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Behauptung, man dürfe sich gegen Franktireure nur auf dem Wege der Justiz wenden, war seiner Ansicht nach unrichtig. Deutsche Soldaten dürften, führte er aus, nicht den furchtbaren Unbilden eines solchen heimtückischen Krieges preisgegeben werden, und eine kräftige Abwehr, so Kohler, sei nur dadurch möglich, dass auf frischer Tat vorgegangen werde, die kämpfenden Personen sofort erschossen und ihre Häuser in Brand gesteckt würden.210 Gemäß Art. 23 (g) HLKO war die Zerstörung feindlichen Eigentums ausdrücklich verboten, „außer in den Fällen, wo diese Zerstörung [. . .] durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt“ wurde. Kohler zufolge waren Zerstörungen und Verwüstungen privaten Eigentums hingegen schon dann statthaft, wenn sie zum Zwecke erfolgten, um Operationen des Gegners zu verhindern.211 Schrecken und Terrorismus waren Kohlers Ansicht nach „gewöhnlich“ das einzige Mittel, um einer „betörten Bevölkerung“ gegenüber zum Ausdruck zu bringen, dass sie kein Recht habe, für ihr Land und Gut gegen die Invasionsarmee vorzugehen.212 Mit dieser Argumentation versuchte Kohler also, den Eindruck zu vermitteln, als wäre das Vorgehen der deutschen Truppen in Belgien zu rechtfertigen. Das Schicksal Löwens, schloss er seine Ausführungen, sei daher ein wohlberechtigtes gewesen, ja sogar noch ein sehr mildes, denn das zu ahndende Attentat der Franktireure auf die in Ruhe weilenden deutschen Soldaten sei unerhört gewesen.213 Erst durch das Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949 wurden die Rechte von Zivilpersonen im Feindesland und in besetzten Gebieten geregelt. Das IV. Genfer Abkommen, das Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen, stellt ausdrücklich klar, dass sowohl Zivilpersonen im Feindesland als auch solche in besetzten Gebieten nur für persönliche Übertretungen bestraft werden dürfen. Art. 33 verbietet insbesondere Kollektivstrafen, Plünderung und Vergeltungsmaßnahmen.214 210

Josef Kohler, Jurisprudenz und Krieg (Deutsche Kraft. Kriegskultur und Heimatarbeit 1914/15, 14), hrsg. von Leo Golze, Berlin/Leipzig/Wien 1915, S. 28. 211 Josef Kohler, Das Völkerrecht, in: Deutsche Revue 42 (1917), S. 61. 212 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 213 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274; siehe zudem Rezension Kohlers zu Sauer, Die Zerstörung der Kirchen und Kunstdenkmäler an der Westfront, in: ZVölkR 11 (1919/20), S. 639. 214 Vgl. Franz Groh, Die vier Genfer Abkommen zum Schutze der Opfer des Krieges vom 12. August 1949, Frankfurt a. M. u. a. 1954; Oscar Max Uhler, Der völkerrechtliche Schutz der Bevölkerung eines besetzten Gebietes gegen Maßnahmen der Okkupationsmacht, Zürich 1951; Paul de la Pradelle, La Conférence diplomatique et les nouvelles Conventions de Genève du 12 août 1949, Paris 1951; Jean Simon Pictet, Les Conventions de Genève du 12 août 1949. Commentaire.

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Die Haltung Kohlers erscheint insbesondere aus heutiger Sicht sehr rigide, entsprach aber dem mainstream der damaligen deutschen Völkerrechtswissenschaft. Deutlich wird, wie sehr sein Denken doch am eigenen Staat orientiert war. In der Frage der Franktireure räumte er der Kriegsräson den Vorrang ein gegenüber der Kriegsmanier. Die harte Reaktion Kohlers und des Reichsgerichts auf den Franktireurkrieg fand seine Wurzeln in der Erinnerung an den deutsch-französischen Krieg 1870/71 und letztlich in der herrschenden politischen Kultur des Kaiserreiches.215 Humanitäts- und Gerechtigkeitserwägungen traten dabei stark in den Hintergrund. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Kohler bereits in der Vorkriegszeit ein rigides Vorgehen gegenüber Freischärlern gefordert hatte. Insoweit ist also kein Bruch in Kohlers völkerrechtlichem Denken festzustellen. 2. Ansicht zum Problem der Geiselnahme Der Grundsatz des Schutzes der Zivilbevölkerung berührte auch das Problem der Zulässigkeit von Geiselnahmen, eine der umstrittensten Fragen der Völkerrechtswissenschaft und -praxis während des Ersten Weltkrieges. Kohler sah in der Geiselnahme ein unentbehrliches Institut des Krieges,216 insbesondere auch zum Schutz vor Franktireurüberfällen. Von besonderer Bedeutung waren im Ersten Weltkrieg die von ihm unterschiedenen Fälle der Gefahr- und der Repressaliengeiselschaft. Waren deutsche Truppen durch völkerrechtswidrige Akte gefährdet, so durfte man Kohler zufolge sogenannte Gefahrgeiseln nehmen, um die Bevölkerung zu veranlassen, von Rechtswidrigkeiten abzulassen. Dabei betonte er, dass diese Form der Geiselschaft nur als Sicherung gegen Völkerrechtswidrigkeiten zulässig sei. Hingegen sei nicht gestattet – hier verwies er auf russische Truppen – „Weiber und Kinder“ als menschliche Schutzschilde den Truppen voranzustellen, wie es die Russen getan hätten.217 Auch andere Völkerrechtler differenzierten, gegen welche Angriffe die Gefahrgeiselschaft eingesetzt wurde. Ebenso wie Kohler erachteten sie die Gefahrgeiselschaft gegen Angriffe durch Kombattanten des Gegners als völkerrechtswidrig, da es sich bei solchen Angriffen um legitime KriegshandBände 1–4, Genf 1952–1958; Anton Schlögel, Die Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949, 5. Auflage, Mainz/Heidelberg 1965. 215 Dazu im Allgemeinen John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004, S. 211 ff. 216 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 206. 217 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 207; siehe dazu auch Christian Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, Band 2: Das Kriegsrecht der Haager Konferenz, München 1907, S. 244 f.

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lungen handle.218 Davon unterschieden wurde die Sicherungsgeiselschaft gegen illegitime Angriffe von Zivilisten.219 Die deutsche Praxis in Belgien und Frankreich erwähnte Kohler nicht. So hatten im Zeitraum von August bis Oktober 1914 deutsche Truppen in mehreren belgischen und nordfranzösischen Orten Einwohner als menschliche Schutzschilder missbraucht.220 Erfuhren deutsche Staatsangehörige, insbesondere als Kriegsgefangene, schlechte Behandlung, so war es Kohlers Ansicht nach völkerrechtlich zulässig, feindliche Personen, namentlich Kriegsgefangene, als sogenannte Repressaliengeiseln in eine noch schlimmere Lebenslage zu versetzen, um den Staat dazu zu zwingen, die Bedingungen zu verbessern. Doch ermahnte Kohler hier unter Berufung auf den alten Naturrechtslehrer Christian Wolff (Talio illicita erit, si in facto naturaliter turpi consistit.) zu Mäßigung. Begehe der Feind tatsächlich Barbareien, so Kohler, dürfe man nicht zu einer gleichermaßen menschenunwürdigen Behandlung schreiten.221 Auch der Völkerrechtler Josef L. Kunz wies darauf hin, dass die Berufung auf HLKO Art. 46, 50 nicht standhalte.222 Die Repressaliengeiselschaft, so Kunz, sei eine Form der Kriegsrepressalie. Dass Repressalien auch gegen die Zivilbevölkerung zulässig seien, sei zweifellos, trotz HLKO Art. 50, der sich nicht auf Repressalien beziehe.223 Von diesen direkten Formen der Geiselschaft unterschied Kohler die sogenannte indirekte Geiselschaft, bei der die Geisel nicht von Anfang an in eine unangenehme Situation gebracht werde, sondern ihr eine solche nur angedroht werde für den Fall von Völkerrechtswidrigkeiten.224 Dies habe, führte Kohler aus, auch den Vorteil, dass die Feindseligkeiten dann jeweils den Feindseligkeiten angenähert werden könnten, die gegen die deutschen Truppen verübt würden. Wenn dann deutsche Truppenangehörige getötet würden, so durfte man Kohler zufolge auch diese 218

Vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 78. Vgl. Lassa Francis Lawrence Oppenheim, International Law. A Treatise, 4. Auflage, London 1926, II. Band, S. 418–420; Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden. Im Auftrag des Reichstages. Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg. Im Auftrag des Untersuchungsausschusses, hrsg. von Johannes Bell, zweiter Band, Berlin 1927, S. 214–221; Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 78. 220 Vgl. John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004; Alan Kramer, Greueltaten. Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch . . .“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges, Essen 1993, S. 85–114. 221 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 207. 222 Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 78 Anm. 64. 223 Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 78. 224 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 207; siehe auch Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 282 f. 219

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Sicherheitsgeiseln, meist „Honoratioren des Ortes“,225 töten. Die Drohung sei in solchem Falle nicht nur berechtigt, sie müsse nötigenfalls auch verwirklicht werden, da sie sonst, so Kohler wieder unter Berufung auf Hugo Grotius, ein leerer Schein, ja eine „lächerliche Komödie“ bleibe.226 Im Krieg, erklärte er, könne eben der sonst geltende individualistische Standpunkt, demzufolge der einzelne nur für sich selbst hafte, nicht durchgeführt werden. Ansonsten würde die Kriegführung „inmitten einer feindseligen Bevölkerung“ unmöglich werden.227 Diese Ansicht entsprach auch der Auffassung anderer kontinentaleuropäischer Völkerrechtler. So wies auch Kunz unter Berufung auf seinen Lehrer Hans Kelsen darauf hin, dass das Argument, die Geiselschaft widerspreche jedem Rechtsgefühl, weil sie einen Unschuldigen treffe, zwar in psychologischer Hinsicht Geltung beanspruchen könne, doch die Völkerrechtsordnung als primitive Rechtsordnung auf Kollektiv-, nicht auf Individual-, auf Erfolgs-, nicht auf Schuldhaftung beruhe.228 Die Haager Landkriegsordnung erwähnte den Begriff der Geiselschaft nicht, was im Ersten Weltkrieg zu großer Rechtsunsicherheit führte. Aufgrund der Unvollständigkeit der Haager Kodifikation des Kriegsrechts blieb das bis dahin bestehende Kriegsrecht auch nach dem Jahre 1907 zum Teil völkerrechtliches Gewohnheitsrecht. In der Staatenpraxis galt die Geiselnahme und -tötung als feststehender Kriegsbrauch.229 Die Völkerrechtslehre hingegen war hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Geiselnahme, insbesondere aber in der Frage der Geiseltötung, gespalten. In der internationalen Literatur wurde die Geiseltötung in Hinblick auf Art. 50 HLKO, demzufolge die Verhängung von Kollektivstrafen für die Taten Einzelner verboten war, überwiegend abgelehnt. Das Deutsche Reich bestand während der Besetzung Belgiens und Frankreichs jedoch auf solchen Maßnahmen.230 Erst durch das Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949 wurde die Frage der Zulässigkeit von Geiselnahmen geregelt. Das IV. Genfer Abkommen, das Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen, verbietet ausdrücklich jede Form von Geiselnahme. Art. 28 stellt klar, dass weder Zivilpersonen im Feindesland noch solche in besetzten Ge225 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 226 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 208. 227 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 228 Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 78. 229 Zur rechtshistorischen Tradition der Geiselschaft siehe Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 207; H. R. Hoppe, Die Geiselschaft, ihre Entstehung und Bedeutung, Göttingen 1953. 230 Vgl. Achim Tobler, Geiseln, in: Hans-Jürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 1, 2. Auflage, Berlin 1960, S. 636.

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bieten benutzt werden dürfen, um durch ihre Anwesenheit militärische Operationen von bestimmten Punkten fernzuhalten.231 Die Haltung Kohlers erscheint insbesondere aus heutiger Sicht sehr rigide. Deutlich wird zum einen wieder einmal, wie sehr sein Denken doch am eigenen Staat orientiert war, zum andern kommt hier seine betont überindividualistische Ordnungsvorstellung zum Ausdruck. Auch in der Frage der Geiseln räumte er der Kriegsräson den Vorrang ein gegenüber der Kriegsmanier. 3. Einstellung zur Frage der Behandlung von Zivilisten im feindlichen Ausland Als erster deutscher Völkerrechtler beschäftigte sich Kohler seit 1914 intensiv mit der Behandlung von Zivilisten im feindlichen Ausland, den sogenannten Vorkriegsgefangenen.232 Angesichts der Ausdehnung des Systems der allgemeinen Wehrpflicht gingen während des Ersten Weltkrieges fast alle Kriegsparteien zur Zurückbehaltung und Internierung nicht nur Wehrpflichtiger, sondern aller Wehrfähigen, auch von Frauen und Kindern, als sogenannte „Zivilgefangene“ über.233 Die Ententestaaten rechtfertigten diese Maßnahmen mit Erwägungen militärischer Notwendigkeit.234 Kohler echauffierte sich über die Einführung dieser „neuen Art“ von Gefangenen, einer Kategorie, die, wie er ausführte, mit wenigen Ausnahmen das frühere Recht nicht gekannt habe. Tatsächlich kannte die Staatenpraxis des 19. Jahrhunderts keinen Fall mehr für die ältere Praxis der Zurückbehaltung und Internierung feindlicher Staatsangehöriger.235 Ebenso wie 231 Vgl. Franz Groh, Die vier Genfer Abkommen zum Schutze der Opfer des Krieges vom 12. August 1949, Frankfurt a. M. u. a. 1954; Oscar Max Uhler, Der völkerrechtliche Schutz der Bevölkerung eines besetzten Gebietes gegen Maßnahmen der Okkupationsmacht, Zürich 1951; Paul de la Pradelle, La Conférence diplomatique et les nouvelles Conventions de Genève du 12 août 1949, Paris 1951; Jean Simon Pictet, Les Conventions de Genève du 12 août 1949. Commentaire. Bände 1–4, Genf 1952–1958; Anton Schlögel, Die Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949, 5. Auflage, Mainz/Heidelberg 1965. 232 Josef Kohler, Die Vorkriegsgefangenen, in: ZVölkR 8 (1914), S. 643. Siehe dazu auch Georg Cohn, Zur Geschichte der Einsperrung feindlicher Ausländer, in: ZVölkR 9 (1916), S. 87 f. 233 Artur von Kirchenheim, Das Kriegsgefangenenrecht, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von Karl Strupp, dritter Band, Berlin/Leipzig 1929, S. 456 f.; Joannes Spiropoulos, Ausweisung und Internierung feindlicher Staatsangehöriger, Leipzig 1922. 234 Alexander Pierce Higgins, War and the Private Citizen: Studies in International Law, London 1912; ders., Non-combatants and the War, Oxford 1914. 235 Vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 46 f.

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die deutsche Regierung verstand Kohler die Internierung von Zivilgefangenen als Maßnahme der „Wiedervergeltung“.236 Nehme man das Institut an, erklärte er, so müsse man die Gefangenen jedenfalls so human behandeln wie Kriegsgefangene.237 Insbesondere wandte sich Kohler gegen die Internierung deutscher Zivilisten in sogenannten „Konzentrationslagern“,238 wobei er auf die menschenunwürdige Behandlung deutscher Kriegsgefangener durch Russen, Engländer und Franzosen hinwies.239 Frankreich etwa, führte er aus, behandle die Gefangenen mit unerhörter Barbarei, quäle und martere sie, begieße sie mit „Unrat“, bringe sie „in ungesunde Himmelsstriche“, überantworte sie „der Brutalität der Schwarzen“240 und versage den Verwundeten die Pflege.241 In Südafrika, namentlich in Port Papier, so Kohler, seien deutsche Zivilgefangene nicht nur gefangen gehalten, sondern auch vor aller Augen gedemütigt worden. Man habe deutsche Männer unter dem Aufgebot einer starken Polizeimacht „keuchend unter der Last ihres Gepäcks“ durch die Straßen ziehen lassen und dabei geduldet, dass sie „durch den Pöbel beschimpft und ihrer Habe beraubt“ worden seien. „Personen wie Greise und Frauen“ festzuhalten, war Kohler zufolge auch nicht etwa durch das Argument der Wehrpflicht zu rechtfertigen. Schließlich, führte er aus, seien nicht alle Mittel, den Feind zu schwächen, statthaft, sondern nur solche, die dem Begriff des Krieges entsprächen. Hier führte Kohler nun wieder unter Berufung auf Rousseau das Argument der Schutzwürdigkeit der Zivilbevölkerung an. Der Krieg, hob er ein weiteres Mal hervor, sei ein Verhältnis von Staat gegen Staat, nicht von Staat gegen die Bevölkerung. Es war daher seines Erachtens unstatthaft, Personen gefangen zu nehmen, die noch nicht in die Klasse der Wehrleute eingereiht waren und deswegen, wie er betonte, noch nicht als Organe des Staates betrachtet werden dürften.242 In Frankreich wurde den feindlichen Staatsangehörigen per Dekret vom 2. August 1914 erlaubt, das Land umgehend zu verlassen. Diejenigen, die das nicht taten, wurden kurz darauf in Internierungslager oder auf französi236

Josef Kohler, Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918. Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 205. 238 Josef Kohler, Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918. 239 Josef Kohler, Die Vorkriegsgefangenen, in: ZVölkR 8 (1914), S. 641–645. 240 Siehe dazu auch Die Verwendung farbiger Truppen, in: Völkerrecht im Weltkrieg, Dritte Reihe im Werk des Untersuchungsausschusses, dritter Band: Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts, Berlin 1927, S. 97 ff. Dort zitierten Augenzeugenberichten zufolge wurden deutschen Kriegsgefangenen von farbigen Mitgliedern französischer und englischer Truppen wiederholt Köpfe und Finger abgeschlagen sowie die Augen ausgestochen. Siehe ebenda, S. 719–857; 909–913. 241 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 242 Josef Kohler, Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918. 237

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sche Inseln verbracht.243 In Deutschland bestimmte die Verordnung vom 9. November 1914, dass von den feindlichen Ausländern die aktiven und dem Beurlaubtenstande angehörenden Offiziere und Militärbeamten festzunehmen und wie Kriegsgefangene zu behandeln, ehemalige aktive Offiziere und wehrpflichtige Zivilpersonen an ihren Aufenthaltsorten festzuhalten und von der Ausreise ausgeschlossen seien.244 In Großbritannien sah der Alien Restriction Act vom 5. August 1914 eine weitgehende Kontrolle über feindliche Staatsangehörige vor. Ein Verlassen des Landes nach dem 10. August 1914 war nur mit besonderer Erlaubnis möglich. Erst nach der Versenkung der Lusitania im Mai 1915 schritt Großbritannien zu einer allgemeinen Internierung feindlicher Staatsangehöriger in Internierungslagern und auf der Isle of Man als sogenannte Zivilinternierte über.245 Die Haltung Kohlers erscheint auch aus heutiger Sicht als sehr human, insbesondere auch unter Abwägung der Grundprinzipien des Kriegsrechts der militärischen Notwendigkeit mit dem der Humanität. Er war insoweit ein Vorkämpfer, der bereits auf das moderne humanitäre Völkerrecht vorausblickte, wie es im Genfer Abkommen von 1949 zum Ausdruck kommt. Andere deutsche Völkerrechtler folgten seiner Ansicht. Erst durch das Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949 wurden die Rechte von Zivilpersonen im Feindesland und in besetzten Gebieten geregelt. Das IV. Genfer Abkommen, das Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen, gewährt Zivilpersonen im Feindesland, das Land zu verlassen, soweit keine Sicherungsgründe entgegenstehen (Art. 35). Den Personen, die nicht ausreisen oder zurückgehalten werden, werden gewisse Mindestrechte garantiert (Art. 38). Zwangsaufenthalt und Internierung ist nur in genau umgrenzten Ausnahmefällen zulässig, wobei eine Überprüfung dieser Anordnung durch ein Gericht oder einen besonders geschaffenen Verwaltungsausschuss ausdrücklich vorgeschrieben ist (Art. 41–43).246 243 Vgl. Louis Renault, Le régime des prisonniers de guerre en France et Allemagne au regard des conventions internationales: 1914–1916, Paris 1916; Klemens Plaßmann, Die deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich 1914–1920. Ein Beitrag zur Handhabung und zum Ausbau des internationalen Kriegsgefangenenrechts, Berlin 1921; Franz Scholz, Behandlung von Privatpersonen, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von Karl Strupp, dritter Band, Berlin/Leipzig 1929, S. 453; Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 46. 244 Vorschrift für die Behandlung von Angehörigen feindlicher Staaten, Neudruck Berlin 1915; Wilhelm Doegen, Kriegsgefangene Völker, Bd. 1: Der Kriegsgefangenen Haltung und Schicksal in Deutschland, Berlin 1921. 245 Vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 46 f.; Franz Scholz, Behandlung von Privatpersonen, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsg. von Karl Strupp, dritter Band, Berlin/Leipzig 1929, S. 453. 246 Vgl. Franz Groh, Die vier Genfer Abkommen zum Schutze der Opfer des Krieges vom 12. August 1949, Frankfurt a. M. u. a. 1954; Oscar Max Uhler, Der

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4. Stellungnahme zum Gebrauch von Waffen und Geschossen, die unnötige Leiden verursachen Bereits im September 1914 erhob Kohler Protest gegen den Gebrauch von Dumdumgeschossen durch England, Frankreich und Belgien. Wer diese Geschosse, die sich mangels fester Hülle „im Körper platt drücken oder auseinander fahren“ einmal gesehen habe, so Kohler, der könne ermessen, „welche entsetzlichen Schmerzen und Leiden, Zerstörungen, Eiterungen sie bereiten.“247 Bei Kohler zeigt sich hier eine im Ersten Weltkrieg aufkommende allgemeine Tendenz zur Verunglimpfung des Gegners als blutrünstigem Ungeheuer. Es entsprach den Facetten des eigenen Selbstbildes, die eigenen Soldaten davon abweichend als Repräsentanten eines Kulturvolkes erscheinen zu lassen, was zugleich eine tadellose Kriegführung implizierte. Kohlers Haltung stand in Einklang mit einschlägigen Vorschriften des humanitären Völkerrechts und dem mainstream der internationalen Völkerrechtswissenschaft. So verbot schon die Erklärung von Sankt Petersburg von 1868 die Verwendung von Sprenggeschossen unter 400 Gramm Gewicht. Während der Ersten Haager Friedenskonferenz wurde in einer Erklärung vom 29. Juli 1899 „betreffend das Verbot von Geschossen, die sich leicht im menschlichen Körper ausdehnen oder platt drücken“, speziell der Einsatz von Dumdumgeschossen verboten.248 Das Verbot von Waffen, Geschossen und Stoffen, „die geeignet sind, in unnötiger Weise Leiden zu verursachen“ (HLKO 1899 und 1907, Artikel 23 (e)) entsprach der Intention der Signatarstaaten, zwischen der Vermeidung von nutzlosem Leid und dem Wunsch nach der Verwendung der effizientesten Kriegsmittel einen Kompromiss zu finden. Kohlers Stellungnahme zur Verwendung von Dumdumgeschossen ist signifikant. Wie er empörten sich nahezu alle Kriegsparteien während des Krieges über den angeblichen Gebrauch von Dumdumgeschossen. Ebenso leugnete jede Partei die eigene Verwendung solcher Geschosse ab.249 Fast alle zeitgenössischen völkerrechtlichen Schriften über den Ersten Weltkrieg völkerrechtliche Schutz der Bevölkerung eines besetzten Gebietes gegen Maßnahmen der Okkupationsmacht, Zürich 1951; Paul de la Pradelle, La Conférence diplomatique et les nouvelles Conventions de Genève du 12 août 1949, Paris 1951; Jean Simon Pictet, Les Conventions de Genève du 12 août 1949. Commentaire. Bände 1–4, Genf 1952–1958; Anton Schlögel, Die Genfer Rotkreuzabkommen vom 12. August 1949, 5. Auflage, Mainz/Heidelberg 1965. 247 Josef Kohler, Über Dumdumgeschosse, in: Der Tag vom 19. September 1914. 248 Josef Kohler, Über Dumdumgeschosse, in: Der Tag vom 19. September 1914; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 213, auch schon: Völkerrecht, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 101. 249 Vgl. James Wilford Garner, International Law, Bd. 1, London/New York 1920, Bd. 1, S. 262–270; William Edward Hall, A Treatise on International Law, Oxford 1924, S. 636.

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begünstigten die eine oder andere kriegführende Gruppe, wobei die Einseitigkeit der Darstellung bisweilen an die Grenzen der Karikatur geriet.250 Den dem Gegner angelasteten Verstoß gegen Art. 23 HLKO nutzte Kohler, um auf die seiner Ansicht nach nun eröffnete Möglichkeit des Bombardements offener Plätze hinzuweisen. Unter Berufung auf den völkerrechtlichen Satz, dass ein wesentlicher Bruch der vertragsmäßigen Pflichten den anderen Teil von seinen völkerrechtlichen Pflichten entlaste, erklärte er, es bleibe nichts anderes übrig, als dass „auch wir uns an die Konvention nicht mehr für gebunden erachten.“ Selbstverständlich, betonte er, würden zur Wiedervergeltung keinesfalls Bestimmungen empfohlen, die gegen die Vernunft des Krieges verstießen, insbesondere keine Mittel eingesetzt, die Unheil brächten, ohne in entsprechender Weise die Zwecke des Krieges zu fördern. Doch brauchte man sich Kohler zufolge nun nicht mehr wie bisher an den Vorbehalten festzuhalten, wonach auch den vernünftigen Kriegsmitteln gewisse Grenzen gesetzt seien. Wo die Zwecke des Krieges gefördert werden könnten, erklärte er, brauche auch Deutschland sich nun nicht mehr an vertragsmäßige Beschränkungen zu binden, was insbesondere für das an sich verbotene Bombardement offener Plätze gelte.251 Hier wird deutlich, dass auch bei Kohler zunehmend die Kriegsräson, der militärische Aspekt, Vorrang vor der Kriegsmanier gewann. Repressalie stieß auf Repressalie, Aktion und Reaktion schaukelten sich gegenseitig hoch. Die Völkerrechtler beider Seiten waren, so schien es, froh über jeden Vorwand, der ihnen den Einsatz aller zur Verfügung stehenden technischen Errungenschaften mittels des Instruments der Repressalie ermöglichte. Im Januar 1915 wandte sich Kohler explizit gegen die Bombardierung deutscher Städte durch alliierte Flugzeuge. Anlass war die kurz zuvor erfolgte Bombardierung Freiburgs. Zuvor waren Düsseldorf, Nürnberg und Friedrichshafen angegriffen worden. Kohler prangerte einen Verstoß gegen das Verbot des Beschusses unverteidigter Städte an. Der strategische Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung hatte sich 1907 noch nicht voraussehen lassen, und die Haager Festlegungen zum Landkrieg enthielten weder Regeln über den Luftkrieg252 noch hinsichtlich neuer, im Jahre 1907 noch un250

Vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 14. Josef Kohler, Über Dumdumgeschosse, in: Der Tag vom 19. September 1914. Auch die Völkerrechtler L. Rolland und Spiropoulos gelangten während des Krieges zu der Ansicht, dass die Bombardierung offener Plätze als Repressalie gerechtfertigt werden könnte, vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 199. 252 Vgl. Heike Spieker, Haager Regeln des Luftkriegs von 1923, in: HuV-I 1/1990, S. 134 f.; Lassa Francis Lawrence Oppenheim, International Law, Bd. 2, New York u. a. 1926, S. 366 f.; Karl Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, Frankfurt a. M. 1914, S. 75–77. 251

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bekannter Methoden und Waffen. Einschlägige Vorschriften des Landkriegsrechts verboten jedoch den Angriff unverteidigter Städte, Dörfer, Wohnstätten und Gebäude, „mit welchen Mitteln es auch sei“ (Art. 25–27 HLKO), wobei der Begriff „unverteidigte Stadt“ umstritten war.253 Anwendbar waren zudem die Grundsätze der HLKO, Artikel 23 e, betreffend den Gebrauch von Waffen und Geschossen, die unnötige Leiden verursachen. Die Bombardierung deutscher Städte gab Kohler zufolge nicht nur das Recht, zu Repressalien zu greifen, sondern – hier zog Kohler dieselbe Schlussfolgerung, die er schon im September aus dem Gebrauch von Dumdumgeschossen gezogen hatte – auch die Befugnis, sich nun auch von den Bestimmungen der Haager Konventionen loszulösen, an die man Kohler zufolge nur so lange gebunden gewesen sei, wie sie auch von der anderen Seite beachtet worden seien. Unter Berufung auf die römischen Digesten „Quod quisque iuris in alterum statuerit, ipse eodem iure utatur“ – Dem Recht, das jemand gegenüber anderen gesetzt hat, ist auch er selbst unterworfen, Dig. II 2 Rub. (Edikt des römischen Prätors, § 8) schloss Kohler, dass das Deutsche Reich nun auch französische und englische Städte bombardieren dürfe, soweit das die militärischen Pläne fördere.254 Tatsächlich bombardierten deutsche Flugzeuge Anfang 1918 wiederholt Wohnviertel in Paris und beriefen sich dabei auf zulässige Repressalmaßnahmen für das Bombardement deutscher Städte durch alliierte Flugzeuge, namentlich im Dezember 1914 und im Februar und April 1915 Freiburg oder im Juni 1916 Karlsruhe.255 Wie im Seekrieg stieß auch im Luftkrieg Repressalie auf Repressalie.256 Dabei verfolgten die Bombardements durch Luftfahrzeuge und weittragende Geschütze ein grundsätzlich anderes Operationsziel als im traditionellen Landkrieg. Sie strebten oftmals nicht mehr die Ermöglichung der nachfolgenden militärischen Besetzung der beschossenen Plätze an, sondern lediglich deren Zerstörung (bombardement de déstruction). Die neue Art der Kriegführung brachte Kohler 1917 dazu, seine in der Vorkriegszeit und zu Beginn des Krieges geäußerte Auffassung über mögliche Objekte von Kriegshandlungen zu präzisieren. Die quasi-kriegerischen Maßnahmen waren Kohler zufolge so einzurichten, dass die nicht beteiligte 253 Vgl. Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 192 f., 199, Fn. 39, S. 81. 254 Josef Kohler, Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 35 f. 255 Vgl. Deutscher Reichstag (Hrsg.), Völkerrecht im Weltkrieg, 4. Bd.: Der Luftkrieg, Berlin 1927, S. 72–81, 89; Kriege, Die völkerrechtliche Beurteilung des Luftkriegs im Weltkriege, in: ebenda, S. 103 f. 256 Zum Luftkrieg siehe auch Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 471–478.

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Bevölkerung möglichst wenig betroffen werde. Waren sie nicht anders möglich, so müsse, erklärte er, auch die nichtbeteiligte Bevölkerung darunter leiden.257 Rein militärische Akte durften dieser Auffassung nach zwar nicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet werden, konnten sie aber unter Umständen treffen. Kohlers Präzision der Objekte militärischer Operationen war insofern konsequent, als dass sich das Kampfgeschehen durch den Fortschritt der Technik nicht mehr auf den unmittelbaren Kriegsschauplatz begrenzen ließ und dadurch den einschlägigen Vorschriften der HLKO weitgehend der Boden entzogen wurde. Seine Haltung war jedoch inkonsequent gegenüber den von ihm in der Vorkriegszeit vertretenen Grundsätzen einer humanen Kriegführung. Hier zeigte sich auch bei Kohler bereits die während des Ersten Weltkrieges allgemein zunehmende Tendenz zur Aushöhlung des Respekts vor dem Leben von Zivilisten und die Akzeptanz einer neuen mit den Prinzipien einer Humanisierung des Krieges nicht zu vereinbarenden Dimension des Krieges. 5. Haltung zum Problem der Strafbarkeit von Soldaten Sehr milde erscheint Kohlers Haltung zu der im Verlaufe des Krieges aufgekommenen und äußerst umstrittenen Frage, ob Kriegsgefangene für vor der Gefangennahme begangene Handlungen, seien es gemeine Verbrechen oder Verstöße gegen die Kriegsgesetze und -gebräuche, vom Nehmestaat zur Verantwortung zu ziehen seien. Anlass dazu gab ein Urteil des Oberkriegsgerichts. Der Angeklagte war wegen einer auf dem französischen Schlachtfeld gegen deutsche verwundete und gefangen genommene Soldaten begangene Körperverletzung im Sinne des § 223 a des Reichsstrafgesetzbuchs verurteilt worden.258 Der kriegführende Staat hatte Kohler zufolge gegen die Mitglieder des feindlichen Heeres hinsichtlich solcher Taten, die vor der Kriegsgefangenschaft begangen wurden, kein ius puniendi und keine Gerichtsgewalt. Solche entstanden seiner Ansicht nach nur bezüglich solcher Handlungen, die in der Kriegsgefangenschaft begangen wurden.259 Das Heer im Feindesland, erklärte Kohler, sei jedenfalls dann eine Staatsgenossenschaft für sich, wenn es das Land als kriegführende Macht gegen den Willen des Gebietsherrn durchziehe. Das Heer, führte er aus, sei als Teil seines Staates nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen und unterstehe auch nur der Strafgewalt seines eigenen Staates. Kohler zu257

Josef Kohler, Das Völkerrecht, in: Deutsche Revue 42 (1917), S. 61; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 178. 258 Josef Kohler, Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 369 ff. 259 Josef Kohler, Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 369.

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folge – hier zeigen sich wieder sein universalrechtshistorischer Ansatz und seine breit angelegte Bildung – handelte es sich dabei um eine Loslösung der Staatsgewalt vom Staatsterritorium ebenso wie sie seinerzeit während der Völkerwanderung erfolgt sei, wo die Einheit der Bevölkerung gewahrt wurde, obwohl sie das Gebiet wechselte. Unter Berufung auf den reichstalienischen Juristen Baldus (1320 oder 1327–1400) vertrat Kohler den Grundsatz, dass das Heer dem Feinde gegenüber exterritoriell sei, diesem gegenüber Immunität genieße.260 Kriegsgefangene konnten daher Kohler zufolge für dasjenige, was sie als Krieger im Invasionsgebiete getan hatten, von diesem nicht vor Gericht gezogen werden, solange sie Kriegerorgane ihres Staates waren; aber auch danach, so Kohler nachdrücklich, könnten sie für die Vergangenheit nicht verantwortlich gemacht werden, weder strafrechtlich noch zivilrechtlich. Es sei eine unbegreifliche Überhebung, meinte Kohler, wenn der französische Staat geglaubt habe, gegen eine deutsche Patrouille, die in Gefangenschaft geraten war, etwa wegen erfolgter Sachverletzung oder wegen Requisitionen vorgehen zu dürfen.261 Damit spielte Kohler auf die Verurteilung deutscher Soldaten wegen Requirierens durch ein französisches Militärgericht an. Kurz nach Kriegsausbruch waren in mehreren Fällen deutsche Kriegsgefangene für vor der Gefangennahme verübte Handlungen von französischen Militärgerichten zur Verantwortung gezogen worden. Angehörige einer deutschen Kavalleriepatrouille unter der Führung der Leutnants von Schierstaedt und Graf Strachwitz, die im Verlauf der Marneschlacht von den eigenen Truppen abgeschnitten worden waren und sich drei Wochen lang hinter den feindlichen Linien aufgehalten hatten, wurden wegen „Plünderung in bewaffneter Bande“ zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Sie hatten sich Lebensmittel und Kleidungsstücke durch Requisitionen beschafft,262 was vom französi260 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 269 f.; Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 371 f.; Adolf Arndt, Nichtverfolgbarkeit von Handlungen, welche Kriegsgefangene als Militärpersonen vor der Gefangennahme begangen haben, in: Das Recht 19 (1915), Sp. 3–6; ders., Strafgerichtsbarkeit über Kriegsgefangene, in: Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre 10 (1914/15), Sp. 262–276; ders., Strafgerichtsbarkeit im Kriege über Ausländer, insbesondere Kriegsgefangene, in: Zeitschrift für Politik 8 (1915), S. 513–531. 261 Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 269 f. 262 Ausführliche Darstellung des Falles Schierstaedt-Strachwitz, insbesondere der ergriffenen Repressalien, bei Christian Meurer, Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts, in: Walther Schücking/Johannes Bell u. a. (Hrsg.), Das Werk des Untersuchungsausschusses 1919–1928, Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg, Berlin 1927, S. 663–669. Der Fall Erler, ebenda, S. 669. Bericht über einen weiteren Fall in: Journal du droit international [Clunet] 42 (1915), S. 54–56.

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schen Gericht als verbrecherischer „Straßenraub“, von deutschen Stellen hingegen als Akte legitimer Requisition bezeichnet wurde. Das Resultat der Exterritorialität erachtete Kohler insbesondere bei Exzessen wie der Folter oder Tötung verwundeter Soldaten oder Verbrechen ähnlicher Schwere auf dem Kriegsschauplatz als misslich. Er hatte dabei nicht zuletzt auch die russischen Gräuel in Ostpreußen im Auge. Für solche Handlungsweisen verwies er auf die Möglichkeit der Sühnung durch das völkerrechtliche Instrument der Repressalie, da diese zwar Sühne bezwecke, aber kein justitielles Instrument sei.263 Auch Paul Heilfron befürwortete den Exterritorialgedanken. Jedoch verdrängte seiner Ansicht nach die Okkupationsmacht die alte Staatsgewalt und brachte ihr eigenes Recht mit. Das besetzte Gebiet wurde Heilfron zufolge dadurch strafrechtlich „Ausland“. Um die Verfolgung völkerrechtswidriger Kriegshandlungen reichsrechtlich zu ermöglichen, forderte Heilfron, § 4 RStGB und § 160 MStGB inhaltlich entsprechend zu erweitern.264 Der Strafrechtler Ernst Beling hingegen hielt die Bestrafung von Kriegsgefangenen für vor ihrer Gefangennahme begangene Straftaten für zulässig. Er verwarf den Exterritorialitätsgedanken und die zu seiner Unterstützung hervorgebrachten Argumente als „Begriffsjurisprudenz“. Die Exterritorialität von Armee-Einheiten auf fremdem Staatsgebiet war seiner Ansicht nach als Satz des Völkerrechts nicht nachweisbar. Jeder Staat hatte Beling zufolge das Recht einer freien Gestaltung seiner Strafgerichtsbarkeit; diese ende nicht notwendigerweise an den Staatsgrenzen. Eine gerichtliche Würdigung der gegen Kriegsgefangene erhobenen Beschuldigungen hielt er für besser, als die Betroffenen einer möglicherweise willkürlichen Behandlung auszusetzen. Eine dementsprechende Betrachtung der Frage lag seiner Ansicht nach allein im vaterländischen Interesse.265 Teils wurde auch die Auffassung vertreten, im Falle von Ausschreitungen verzichte der Soldat gewissermaßen freiwillig auf seinen Status als rechtmäßiger Kombattant und könne daher wie ein gewöhnlicher feindlicher Ausländer nach der Kaiserlichen Verordnung von 1899 und somit nach Kriegsbrauch behandelt werden.266 263

Josef Kohler, Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 371 f.; ebenso Carl Rissom, Die strafrechtliche Behandlung der Kriegsgefangenen, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 36 (1915), S. 592 ff.; ders., Bestrafung Kriegsgefangener wegen völkerrechtswidriger Handlungen, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 382 f., 386 f. 264 Paul Heilfron, Aburteilung von Militärpersonen durch Kriegsgerichte des Feindes, in: DJZ 20 (1915), Sp. 39–45. 265 Ernst Beling, Militärpersonen als Angeklagte im feindlichen Ausland, in: DJZ 20 (1915), Sp. 129 f.

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Kohlers Auffassung, derzufolge der rechtmäßige Kombattant als durch sein militärisches, sprich dienstliches, Handeln gedeckt galt, entsprach der herrschenden deutschen Ansicht, welche sich auch im Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom Frühjahr 1918 niedergeschlagen hat, der „den dem anderen Teil angehörenden Kriegsgefangenen für alle von ihnen begangenen gerichtlich oder disziplinarisch strafbaren Handlungen“ Straffreiheit gewährte.267 Liberal war auch Kohlers Auffassung zur Frage der Selbstbefreiung Kriegsgefangener. Er wandte sich dabei gegen ein Urteil des II. (Bayerischen) Senats des Reichsmilitärgerichts (Beschluss vom 18. November 1915), bei der es um die Strafbarkeit der Selbstbefreiung Kriegsgefangener ging. Kohler zufolge fand § 79 des Militärstrafgesetzbuches (Selbstbefreiung Strafgefangener) auf die Selbstbefreiung Kriegsgefangener keine Anwendung. Er berief sich dabei auf eine Entscheidung des Reichsmilitärgerichts vom 9. Februar 1916, die, wie er ausführte, zeige, wie sehr Strafrecht und Völkerrecht miteinander „verschwistert“ seien. Lobend hob Kohler hervor, wie wenig die Entscheidung des Reichsmilitärgerichts von politischen Aspirationen beeinflusst gewesen sei. Er wies darauf hin, dass den ausländischen Kriegsgefangenen mit keiner deutschen Dienststelle eine Dienstpflicht verbinde. Ohne eine solche kam seiner Ansicht nach weder Fahnenflucht noch unerlaubte Entfernung in Betracht. Mit der Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Entfernung entfiel Kohler zufolge auch die wegen Selbstbefreiung, die, so Kohler, nur einen Unterfall zu letzterer bilde.268 Weniger kompliziert gestaltete sich Kohler zufolge die Ahndung der Fahnenflucht deutscher Soldaten. Unter Berufung auf eine Entscheidung des Reichsmilitärgerichts wies er darauf hin, dass das Erfordernis der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger etwa wegen Fahnenflucht mit der militärischen Besetzung Belgiens durch die deutschen Truppen für das besetzte belgische Gebiet wegfalle, da für Deutschland das Okkupationsland deutscher Verwaltung Inland, nicht Ausland, darstelle.269 Die Stellungnahmen Kohlers, der selbst nie gedient hat, zum Problem der Strafbarkeit von Soldaten zeigen sein Bemühen um Objektivität in diesem 266 Vgl. Giessner, Die strafrechtliche Stellung der Kriegsgefangenen nach deutschem Strafrecht, insbesondere ihre Verantwortung für vor der Ergreifung begangene Straftaten, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 65 (1918), S. 240–268. 267 RGBl. 1918, S. 644. 268 Josef Kohler, Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 354, 366 f. 269 Josef Kohler, Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 367 f.

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Bereich, und zwar deutschen Soldaten gegenüber ebenso wie gegnerischen. Dabei zeigen die Argumentation Heilfrons und Belings sowie das Urteil des II. (Bayerischen) Senats des Reichsmilitärgerichts vom 18. November 1915, dass Kohler durchaus Argumente zur Verfügung gestanden hätten, die zu gegenteiligen Resultaten geführt hätten. 6. Kohlers Auffassung zu einzelnen Fragen des Seekriegsrechts 1914/15 a) Ansicht Kohlers über die Ausweitung der Konterbandeliste durch Großbritannien (August 1914) Kohler prangerte an, dass England durch die Ausweitung des Konterbanderechts seekriegsrechtliche Grundsätze missachte, wie sie insbesondere in der Londoner Seerechtsdeklaration von 1909 geregelt worden waren, und dadurch das Deutsche Reich von der Zufuhr wirtschaftlicher Güter abschnitt.270 Die Deklaration, nach Ansicht Kohlers eine der größten völkerrechtlichen Errungenschaften, war zwar nicht in Kraft getreten, doch wurde sie als autorative Kodifizierung des geltenden Gewohnheitsrechts erachtet, vor allem, was die Regelungen zur Zulässigkeit der Blockade und zur sogenannten Kriegskonterbande, das heißt zur Unterbindung des Handels mit kriegswichtigen Gütern anbelangte.271 Unmittelbar nach Kriegsausbruch schlug die Regierung der USA den kriegführenden Mächten vor, das in der nicht ratifizierten Londoner Seekriegsrechts-Erklärung vom 26. Januar 1909 enthaltene Gewohnheitsrecht für die Dauer des Krieges als Grundlage der Seekriegführung anzuerkennen. Am 19. August 1914 stimmte die deutsche Regierung unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit zu, diese jede Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung ausschließende Londoner Erklärung als bindend zu akzeptieren. Auch Großbritannien, Frankreich und Russland stellten sich zu Beginn des Krieges zunächst auf den Boden dieser Deklaration,272 doch bereits in der zweiten Augusthälfte 1914 verkündeten Großbritannien und Frankreich, sich nur insoweit an die Vorschriften der Deklaration zu binden, als es ihnen zweckmäßig erscheine. Sie erweiterten ins270 Josef Kohler, Die Aufhebung der Londoner Deklaration durch England, in: Leipziger Illustrirte Zeitung 1916, S. 85 f.; dazu im Allgemeinen Werner Rahn, Strategische Probleme der deutschen Seekriegführung 1914–1918, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, München/ Zürich 1994, S. 354. 271 Siehe auch Arthur Nussbaum, Geschichte des Völkerrechts, München/Berlin 1960, S. 255; Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 400. 272 Vgl. Hans Wehberg, Das Seekriegsrecht, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1915, S. 53.

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besondere das Konterbanderecht, indem sie die Listen der Art. 22 und 24 über absolute und relative Konterbande durch die britischen und französischen Banngutlisten ersetzten und die Regeln der Londoner Deklaration über den Ausschluss des Prinzips der fortgesetzten Reise für bedingtes Banngut aufhoben. Infolge dieser Änderungen wurden immer mehr Waren wie etwa Baumwolle, Erze, Kautschuk, Nahrungsmittel usw. zu absoluter und damit zu uneingeschränkt beschlagnahmbarer Konterbande erklärt.273 Die Haltung Kohlers entsprach dem Gedanken Rousseaus, dass der Krieg nicht zwischen den Bevölkerungen, sondern zwischen den Staaten geführt werden solle und damit auch dem Grundgedanken einer humanen Kriegführung, dass die Kriegführenden kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel der Kriegführung haben. b) Stellungnahme Kohlers zur Verwendung von Minen im Seekrieg Kohler rechtfertigte demgegenüber die deutsche Seekriegführung, insbesondere auch die seit Kriegsbeginn erfolgte Verlegung von Minen,274 die von vorneherein mit dem Grundsatz der Freiheit der Meere in Konflikt stand. Deutschland war Kohler zufolge berechtigt, „an der Küste Englands, wo es wolle, Minen zu legen.“275 Wie Kohler ausführte, sollten die Minen verhindern, dass die englische Blockadestrategie umgesetzt werden konnte und die Warenzufuhr auf neutralen Schiffen nach Deutschland ernsthaft behindert würde. Das Legen von Seeminen war rechtlich zulässig, sofern die Voraussetzungen des VIII. Haager Abkommens über die Legung von unterseeischen selbsttätigen Kontaktminen von 1907276 berücksichtigt wurden. Die in Art. 1 enthaltenen Sicherheitsmaßnahmen, denen zufolge verankerte wie auch unverankerte Minen (Treibminen) so eingerichtet sein mussten, dass sie nach kurzer Zeit unschädlich wurden, wenn sie sich von der Verankerung losgerissen hatten oder außer Kontrolle der sie verwendenden 273 Vgl. Hans Wehberg, Das Seekriegsrecht, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1915, S. 440 ff.; Victor Böhmert, Londoner Seerechtskonferenz von 1908/09, in: HansJürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 2, 2. Auflage, Berlin 1961, S. 429 ff.; Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden, hrsg. von Walther Schücking, Johannes Bell u. a., Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg, Band vier, Berlin 1927, S. 122. 274 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915; Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 476, 478; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 90. 275 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915; Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 476, 78. 276 RGBl 1910, S. 231.

B. Kohlers völkerrechtliche Ansichten nach Ausbruch des I. Weltkrieges

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Macht geraten waren, hielt Kohler für selbstverständlich, da unkontrollierte Treibminen die friedliche Schifffahrt gefährdeten.277 Entsprechend Art. 3, nach dem die Minenfelder dem Gegner und den neutralen Ländern auf diplomatischem Wege mitzuteilen waren, sofern es die militärischen Belange gestatteten, erklärte Kohler: „Wir warnen [. . .] die Schiffe und erklären zum voraus, dass wir für die Unglücksfälle, welche durch ihr Erscheinen an Englands Küste herbeigeführt werden, in keiner Weise aufkommen werden.“278 Art. 3 gewährte dem Minenleger erheblichen Ermessensspielraum. Ob und wann die militärischen Belange die geforderte Mitteilung erlaubten, konnte nur er selbst beurteilen. Kohler hielt es für selbstverständlich, dass Deutschland und Frankreich Art. 2, der das Verbot enthielt, eine Minensperre zu dem alleinigen Zweck zu errichten, den Handelsverkehr zu verhindern, in einem Vorbehalt als nicht für sich verbindlich bezeichnet hatten, da ansonsten, wie Kohler ausführte, ein Hauptkriegsmittel gegen England, nämlich die Isolierung Englands durch Seeminen, „preisgegeben“ worden wäre.279 Im Ersten Weltkrieg wurde von Minen in großem Umfang Gebrauch gemacht, was zu gegenseitigen Anklagen und zahlreichen Protesten Neutraler gegen beide kriegführenden Gruppen führte.280 Die von Kohler befürwortete Verwendung von Seeminen trug letztlich auch dazu bei, dass der Seekrieg eine zunehmend grausamere Gestalt annahm. c) Kohlers Beurteilung des englischen Nordsee-Erlasses vom 2. November 1914 „Welche Kluft tut sich nicht auf zwischen Deutschland und England . . .“281 Damit spielte Kohler unter anderem auf den englischen Nordsee-Erlass vom 2. November 1914 an, den man als eine Art „Steilvorlage“282 für den im Februar 1915 begonnenen deutschen U-Boot-Krieg bezeichnen kann. Am 2. November 1914 gab die britische Admiralität – mit dem Hinweis, durch die Art der deutschen U-Boot- und Minenkriegführung dazu veranlasst zu sein – bekannt, dass die ganze Nordsee als Kriegsgebiet zu betrachten sei.283 England verstieß damit gegen den Grundsatz der „Frei277

Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 90. Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 279 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 90. 280 Josef L. Kunz, Kriegsrecht und Neutralitätsrecht, Wien 1935, S. 128 f. 281 Josef Kohler, ZVölkR 9 (1916), Einführung, S. 2 f. 282 So Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 405. 283 Vgl. Völkerrecht im Weltkrieg 1914–1918, 3. Reihe im Werk des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, 4. Band, i. A. des deutschen Reichstages, 278

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

heit der Meere“. Bezweckt war, das Deutsche Reich von der Zufuhr von Gütern abzuschneiden, was zugleich die Zivilbevölkerung betraf. Kohler wies hier noch einmal auf die Antinomie kontinentalen und angelsächsischen Völkerrechtsdenkens hin. Es kollidierten die britische Auffassung, derzufolge sich der Seekrieg auch gegen die feindliche Zivilbevölkerung richten dufte und die kontinentale Völkerrechtsauffassung, derzufolge die Zivilbevölkerung aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten war. Hier zeigt sich bereits der zweifache Maßstab, den Kohler und mit ihm der Großteil der deutschen Völkerrechtler an die Kriegführung des Deutschen Reiches einerseits und an die Englands andererseits anlegten. Warf Kohler England vor, Deutschland durch die Ausweitung der Konterbandeliste von lebenswichtigen Gütern abzuschneiden, so hatte er keine Bedenken, dass England, das noch mehr auf die Zufuhr von Lebensmitteln angewiesen war, durch das Legen von Seeminen isoliert wurde. Fazit Die Feststellung Frederick William Wiles, dass Kohler zu dem Kreis von Gelehrten zähle, von denen das deutsche Volk hauptsächlich seine geistige Nahrung beziehe,284 erlangte vor allem für völkerrechtliche Fragen während des Ersten Weltkrieges Gültigkeit. Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, war Kohler der Ansicht zahlreicher deutscher Intellektueller, dass der Kriegsausbruch den Pazifismus widerlegt habe. Folge des durch die Kriegsereignisse ausgelösten Vertrauensverlustes war ein Pathos der Härte, der sich teils auch in seinen völkerrechtlichen Auffassungen niederschlug. Sind Kohlers Einstellung zur Frage der Behandlung von Zivilisten im feindlichen Ausland und zum Gebrauch von Dumdumgeschossen auch als sehr human einzuschätzen und zeigen seine Stellungnahmen zum Problem der Strafbarkeit von Soldaten sein Bemühen um Objektivität in diesem Bereich, und zwar deutschen Soldaten gegenüber ebenso wie gegnerischen, so erscheint seine Haltung zu einzelnen Kriegsrechtsfragen wie zur Frage der Behandlung von Freischärlern und Geiseln, zur deutschen Seekriegsführung und zum Luftkrieg insbesondere aus heutiger Sicht sehr rigide und zeigt seine betont überindividualistische Ordnungsvorstellung. Der im Verlauf des Krieges schärfer werdende Tonfall Kohlers verrät zunehmende Anspannung, die auch darin zum Ausdruck kommt, dass er im Verlaufe des Krieges der Kriegsräson zunehmend den Vorrang gegenüber der Kriegsmanier einS. 193–196. Voller Wortlaut der Bekanntmachung der britischen Admiralität (Anl. 3). 284 Frederick William Wile, Men around the Kaiser (1913), deutsch: Rings um den Kaiser, Berlin 1913, S. 135.

C. Vorstellungen Kohlers über Kriegsziele des Deutschen Reiches

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räumte. Seine Auffassungen hinsichtlich völkerrechtlich zulässiger Maßnahmen passten sich dem durch das rasche Fortschreiten der waffentechnischen Entwicklung grundlegend veränderten Kriegsbild an. In Kohlers Auffassungen zeigt sich teils bereits die während des Ersten Weltkrieges allgemein zunehmende Tendenz zur Aushöhlung des Respekts vor dem Leben von Zivilisten. Hatte die Haager Kodifikation noch die axiomatische Unterscheidung zwischen Streitkräften und Zivilbevölkerung vorausgesetzt, so bedeutete die durch Kohler und die Mehrheit der Völkerrechtsgelehrten gerechtfertigte Kriegspraxis einen entscheidenden Schritt hin zum „Totalen Krieg“, zu einem Volkskrieg, der das Gesicht des Krieges grundlegend veränderte und sich auf alle Schichten der Gesellschaft auswirkte. Der Erste Weltkrieg war der erste moderne, die ganze Welt einbeziehende Krieg der Menschheitsgeschichte. Der zwischen deutschen U-Booten und alliierten Marinestreitkräften geführte erbitterte Zufuhrkrieg hatte starke Lebensmittelrationierungen zur Folge. Bombardements trafen unmittelbar die Zivilbevölkerung und eröffneten eine völlig neue Dimension des Krieges, die mit den Grundsätzen einer humanen Kriegführung nichts mehr gemein hatte.

C. Vorstellungen Kohlers über mögliche Kriegsziele des Deutschen Reiches Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, welche Vorstellungen Kohler hinsichtlich außenpolitischer Zielsetzungen des Deutschen Reiches im Krieg hatte. Deutschland besaß bei Kriegsausbruch kein offizielles außenpolitisches Programm. Der Aufgabe, hier eine Orientierungshilfe zu geben, fühlten sich wieder die Gelehrten verpflichtet, die dadurch beträchtlichen Einfluss gewannen, zumal angesichts der Kriegszensur eine anderweitige in der Öffentlichkeit ausgetragene Diskussion kaum möglich war.285 Bei der Herausarbeitung der Kohlerschen Kriegziele müssen auch die Rahmen- und Randbedingungen ins Blickfeld gezogen werden. Zum einen müssen die Kriegsziele Kohlers vor dem Hintergrund des tatsächlichen Kriegsverlaufs untersucht werden, wobei die Daten stets Beachtung finden müssen. Zudem sind die Kriegsziele zu den jeweils aktuellen Friedensbemühungen in Bezug zu setzen, von der Friedensbotschaft Wilsons über die päpstliche Friedensnote bis zur Juliresolution des Reichstags. Darüber hinaus muss darauf hingewiesen werden, dass Großbritannien und Frankreich bereits Anfang September 1914 verkündeten, dass ein Sonderfrieden mit dem Deutschen Reich nicht in Betracht komme.286 285

Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969.

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

Vor der Herausarbeitung der Kriegsziele Kohlers sollen noch kurz die Kriegsziele Frankreichs und Großbritanniens gestreift werden. Frankreich strebte „l’écrasement de l’empire allemand“, die Zerstörung des deutschen Reiches, an. Sollte dies misslingen, so wollte man wenigstens das deutsche Territorium verringern. Das bedeutete die Rückgabe Elsass-Lothringens, die Abtretung des Saarlandes und die Rheingrenze für Frankreich. Dem verbündeten Russland sollte territoriale Freiheit im Osten gewährt werden, was wohl auf die Abtretung Ostpreußens, Schlesiens und Pommerns hinausgelaufen wäre.287 Großbritannien wollte die Wiederherstellung Belgiens, die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich. Deutschland sollte zudem zum Verzicht auf seine Flotte und seine Kolonien sowie zur Abrüstung der Nordseeinseln gebracht werden.288 Aus der Sicht Kohlers und der Mehrheit des deutschen Volkes289 war somit die Existenz des Deutschen Reiches bedroht. „Als am 4. August 1914 uns England den Krieg erklärte, und als der englische Botschafter [. . .] uns prophezeite, dass wir dem Untergang entgegengingen, da durchlebten wir Tage der Spannung und Tage der unruhevollsten Stimmungen“, erinnerte 286

Vgl. Wolfgang Kruse, Kriegsziele, Kriegsstrategien, Kriegsdiplomatie, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 38. 287 Vgl. David Stevenson, French War Aims Against Germany 1914–1919, Oxford 1982; Stéphane Audoin-Rouzeau/Annette Becker, La Grande Guerre, 1914–1918, Paris 1998; Wolfgang Kruse, Kriegsziele, Kriegsstrategien, Kriegsdiplomatie, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 27 f. 288 Vgl. Hubert Gebele, Die Probleme von Krieg und Frieden in Großbritannien während des Ersten Weltkrieges. Regierung, Parteien und öffentliche Meinung in der Auseinandersetzung über Kriegs- und Friedensziele, Frankfurt a. M., Bern 1987; John Keegan, Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Tragödie, Reinbek bei Hamburg 2000; Wolfgang Kruse (Hrsg.), Kriegsziele, Kriegsstrategien, Kriegsdiplomatie, in: ders. (Hrsg.) Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 2000, S. 28. 289 Als Untersuchungen über die Frage der deutschen Kriegsziele im Allgemeinen sind insbesondere zu nennen: Der Untersuchungsausschuß des Reichstages, 4. Reihe, Bd. 8, 1926; Erich Otto Volkmann, Die Annexionsfragen des Weltkrieges, Berlin 1929; Wolfgang Schieder (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Ursachen, Entstehung und Kriegsziele, Köln 1969; Karl Heinz Janssen, Macht und Verblendung. Kriegszielpolitik der deutschen Bundesstaaten 1914/18, Göttingen u. a. 1963; Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969; Klaus Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren im Ersten Weltkrieg, in: HZ 191 (1963), S. 601–634. Zur verwickelten Entstehungsgeschichte der auch als Seeberg-Adresse bezeichneten Eingabe siehe Klaus Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft in Deutschland im Ersten Weltkrieg, in:VfZG 14 (1966), S. 105–138.

C. Vorstellungen Kohlers über Kriegsziele des Deutschen Reiches

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sich Kohler im Rückblick.290 Folge dieser Existenzangst war, wie sich insbesondere in der leidenschaftlich geführten Debatte um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zeigen sollte, ab dem Jahre 1916 die Propagierung der rücksichtslosen Verwendung aller zur Verfügung stehenden Kriegsmittel. „Kriege“, so Kohler, „führen wir zur Selbsterhaltung oder wir führen sie, wenn unsere Lebensinteressen es gebieten; dann aber führen wir den Krieg auch mit aller Kraft.“291 Als Wissenschaftler, der in den Jahren vor 1914 von der Möglichkeit einer „deutschen Weltpolitik ohne Krieg“ überzeugt gewesen war, dachte Kohler nie an die Ausarbeitung eines Kriegszielprogrammes. Eine öffentliche Diskussion hielt er sogar für gefährlich und unterstützte daher die Politik Bethmann Hollwegs, vor Kriegsende keine konkreten Ziele zu nennen.292 Der Weltkrieg, dessen war er sich sicher, würde zweifellos eine ungeheure Macht- und Kulturverschiebung zugunsten Deutschlands herbeiführen,293 das, so hoffte er, in dem gewaltigen Völkerringen wachsen würde. Man müsse, erklärte er, den Blick freibekommen für die dem Deutschen Reich „aufgezwungenen“ großen, „noch vor kurzem nicht erträumten Aufgaben der Weltpolitik“.294 Hier zeigt sich, dass erst der Ausbruch des Weltkrieges Kohlers Streben nach deutscher Weltgeltung vorantrieb. Großmacht war das Deutsche Reich bereits vor 1914. Pläne, eine Weltmacht im Sinne einer politischen und ökonomischen Beherrschung des Kontinents zu werden, kamen erst während des Krieges auf. Kohler sah nun den Moment zum Aufstieg Deutschlands von der Großmacht zur Weltmacht gekommen. Im September 1914 sprach Kohler vom „siegreichen Deutschland“, das als Kolonialreich eine ganz andere Rolle als bisher spielen und eine weltumfassende Macht bilden werde. Neue Gebiete, prophezeite er, würden sich deutscher Herrschaft erschließen und neue Organisationen erfordern.295 Kohlers überseeische Pläne setzten zunächst eine dauerhafte Garantie der 290 Josef Kohler, Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1298. 291 Josef Kohler, Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1298. 292 Josef Kohler, Eingliederung und Angliederung, in: Der Tag vom 11. Juni 1915. 293 Josef Kohler, Äußerung, in: Das eiserne Buch. Die führenden Männer und Frauen zum Weltkrieg 1914/15, hrsg. von Georg Gellert, Hamburg o. J. [1915], S. 147. 294 Josef Kohler, Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916. 295 Josef Kohler, Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, begründet von Franz von Holtzendorff, hrsg. von Josef Kohler, 7. Auflage, V. Band, München/Leipzig/Berlin 1914, Vorwort, S. 1.

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„Freiheit der Meere“ voraus.296 Das außenpolitische Ziel der „Freiheit der Meere“ teilte Kohler mit nahezu allen Professoren bis in die Reihen der Friedensbewegung. Des Weiteren brauchte Deutschland Kohler zufolge Seestützpunkte.297 Auch Kohler vertrat die gegen England gerichtete Kriegszielsetzung, die Seetyrannei Englands zu durchbrechen298 und England dabei so weit niederzuringen, dass es sich der wirtschaftlich-politischen Expansion des Reiches nicht mehr in den Weg stellte. Kohler strebte die Weltmacht des Deutschen Reiches an, nicht dessen Weltherrschaft. Damit verfolgte er weiterhin die kolonialen Expansionspläne, die Deutschland zum Rivalen Englands gemacht hatten. Doch hatte Kohler zufolge Deutschland seine weltpolitischen Ziele bis zum Ausbruch des Weltkrieges allein mit friedlichen Mitteln verfolgt. Erst die Kriegserklärung seitens Englands nötigte in seinen Augen das Deutsche Reich dazu, auf militärischem Wege das zu erstreiten, was es vorher ohne den Einsatz von Waffen zu erreichen bemüht gewesen war. „Wenn wir ein weitgehendes Kolonialreich und Flottenstationen begehren, um nicht mehr wie in diesem Kriege von England abgeschnitten zu werden“, erklärte er, „dann verlangen wir nur dasjenige, was wir infolge unserer Kraft und unseres Könnens beanspruchen dürfen.“ Man wolle kein Volk unterdrücken, fügte er ergänzend hinzu, man wolle auch nicht „wie England andere zu Vasallen“ machen, aber man wolle nach seinen Verdiensten behandelt werden, man wolle auch nicht in der Rangstufe der Völker heruntersteigen, sondern als eine Großmacht ersten Ranges respektiert werden.299 Die Äußerungen Kohlers verraten die Illusion, in relativ kurzer Zeit den Sieg für die Mittelmächte zu erreichen. Hatte der Krieg alle auf den kolonial-überseeischen Raum bezogenen Planungen Kohlers erst einmal lahmgelegt, so konnte eine Stärkung des Deutschen Reiches nun zunächst allenfalls auf dem Kontinent erfolgen. Angesichts des in der Öffentlichkeit zunehmend stärker propagierten Verlangens nach Sicherheiten fühlte sich auch Kohler, der bis zum Kriegsausbruch die Aufrechterhaltung des status quo auf dem Kontinent nicht in Frage gestellt hatte, angeregt, darüber nachzudenken, welche Sicherheiten man auf dem Kontinent erlangen könnte. Selbst innerhalb der Deutschen Friedensgesellschaft öffnete man sich im November 1915 der Idee militärisch-strategischer Annexionen.300 296 Josef Kohler, „Blockade und Kriegsgebiet“, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 102. 297 Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917; Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. Oktober 1917. 298 Josef Kohler, Der Papst als Friedensvermittler, in: Der Tag vom 29. August 1917. 299 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918.

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Seit dem Mai 1915 befand sich die Öffentlichkeit im Siegesrausch. Anlass dazu sah man im Vormarsch der verbündeten Truppen tief ins russische Feindesland, in der Gewinnung Kurlands und dem Fall Warschaus. Den Bruch mit Italien nahm Kohler der Nation sehr übel, nachdem er sich von der Hoffnung hatte leiten lassen, Italien werde neutral bleiben.301 In der „Nation Dantes“ sah Kohler nun eine „elende Loddergesellschaft halbreifer Bildungsproletarier und floskelberauschter Gassenschreier“, die die Regierung dazu hatte zwingen können, die „heiligen Verträge zu brechen und ihren Verbündeten, denen sie Treue geschworen, in die Flanke zu fallen“.302 Im Frühsommer 1915 unterzeichnete Kohler die sog. Intellektuellen-Eingabe,303 eines der übelsten Pamphlete des Annexionismus während des Ersten Weltkrieges, ein Ergebnis des alldeutschen Kongresses in Berlin, für das der Berliner Theologe Reinhold Seeberg in Gelehrtenkreisen Unterschriften sammelte.304 1347 Intellektuelle, neben Kohler auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Eduard Meyer, Erich Marcks, Otto Hintze und Dietrich Schäfer sowie die Juristen Otto von Gierke, Heinrich Triepel, Ferdinand von Martitz, Conrad Bornhak und Fritz Stier-Somlo unterzeichneten die radikal-annexionistische Eingabe mit ihren weitreichenden Annexionsforderungen in Belgien und Nordfrankreich, aber insbesondere im Osten. Man strebte an, einen germanischen Grenzwall zu errichten. Im Hintergrund der Eingabe standen handfeste industrielle Interessen und glühende Vertreter der Weltreichslehre wie der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß, Emil Kirdorf und Alfred Hugenberg, mit dem man über ein mächtiges Sprachrohr für die Öffentlichkeit verfügte. Die wenigsten der unterzeichnenden Professoren, deren Prestige sich die Alldeutschen bei ihrer 300

Vgl. Wilfried Eisenbeiß, Die bürgerliche Friedensbewegung in Deutschland während des Ersten Weltkrieges. Organisation, Selbstverständnis und politische Praxis 1913/14–1919, Frankfurt a. M./Bern 1980, S. 136. 301 Josef Kohler, An die Nation Dantes, in: Vossische Zeitung vom 30. August 1914; siehe auch D’r alt Offeburger vom 13. September 1914. 302 Josef Kohler, Das neue Völkerrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 6. 303 Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 261, 265; Klaus Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren im Ersten Weltkrieg, in: HZ 191 (1963), S. 615; Hans Peter Bleuel, Deutschlands Bekenner. Professoren zwischen Kaiserreich und Diktatur, Bern/München/ Wien 1968, S. 90. 304 Zur verwickelten Entstehungsgeschichte der auch als Seeberg-Adresse bezeichneten Eingabe siehe Klaus Schwabe, Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft in Deutschland im Ersten Weltkrieg, in: VfZG 14 (1966), S. 105–138.

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Unterschriftenaktion bedienten,305 dürften die Hintergründe der Eingabe durchschaut haben.306 Das dürfte auch für Kohler gelten. Man plante „durchgreifende Grenzverbesserungen“ von Belfort bis zur Küste, die Einbehaltung Belgiens im deutschen Machtbereich und die Inbesitznahme eines Teiles der französischen Kanalküste. Hinsichtlich der östlichen Kriegsziele drückte sich die Denkschrift vager aus. Entlang der deutsch-russischen Grenze sollte ein breiter Grüngürtel zum Reich geschlagen werden. Auch in den Ostseeprovinzen sah man ein lohnendes Eroberungsziel. Im Westen sollten die „machtgebenden Unternehmungen und Besitzungen“ in „deutsche Hände“ überführt werden, den Bewohnern „durchaus kein Einfluß im Reiche“ eingeräumt werden; für den Osten waren die „Eigentumsfreimachung“ großer Teile der abzutretenden Gebiete und eine Umsiedlung der russischen Bevölkerung an eine andere Stelle des Zarenreiches geplant. Kohler, der nun kein Fachmann war, was Osteuropa anbelangte, verfügte nicht über den erforderlichen Sachverstand, um sich dort eröffnenden politischen Gestaltungsmöglichkeiten realistisch beurteilen zu können. Aus dem Grund war er gefährdet, sich zu sehr von einer vermeintlich zugunsten Deutschlands sprechenden Landkarte beeindrucken zu lassen. Es war bei Kohler der Wunsch nach Sicherheit, der der Forderung nach Verteidigung eine expansionistische Note gab. Er ließ sich dabei von einer neuen Vision Europas unter deutscher Führung blenden, die für Deutschland eine Mehrung seiner Versorgungsquellen und eine bessere strategische Position versprach. Eine von Hans Delbrück veranlasste und von dem linksliberalen Herausgeber des Berliner Tageblatts Theodor Wolff entworfene gemäßigte Gegeneingabe konnte lediglich 141 Unterschriften (etwa die Hälfte stammte von Hochschullehrern) aufweisen. Unter den Unterzeichnenden befanden sich Max Planck, Albert Einstein, Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch, Walther und Levin Schücking sowie Ludwig Quidde, Lujo Brentano, Gustav von Schmoller, Max und Alfred Weber, Heinrich Herkner, Ferdinand Tönnies und Kurt Wiedenfeld sowie die Juristen Georg Anschütz und Wilhelm Kahl.307 Bethmann Hollweg bedauerte, als die Seeberg-Adresse am 8. Juli 1915 bei der deutschen Regierung eingereicht wurde, nicht nur den Inhalt der Denkschrift, sondern auch die hohe Zahl der Unterzeichner.308 Die 305 Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 89. 306 Vgl. Klaus Schwabe, Zur politischen Haltung der deutschen Professoren im Ersten Weltkrieg, in: HZ 191 (1963), S. 615. 307 Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, Stuttgart 1983, S. 169 ff. 308 Dietrich Schäfer, Mein Leben, Berlin/Leipzig 1926, S. 170.

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Gruppe der Gemäßigten um Hans Delbrück war allerdings lediglich hinsichtlich der westlichen Kriegsziele „gemäßigt“. Sie lehnte die Annexion französischer und belgischer Gebiete ab und intendierte, Belgien in erster Linie als Faustpfand zur Rückverlangung der deutschen Kolonien zu verwenden. Ebenso wie die Gruppe der Annexionisten um Dietrich Schäfer strebte sie aber „Siedlungsraum“ im Osten und einen engen Anschluss des Baltikums an das Deutsche Reich an. In seinen eigenen Schriften beschränkte sich Kohler zunächst auf die Erörterung der Errichtung eines deutschen Protektorats in Belgien, wie ihn überhaupt die belgische Frage in den ersten Kriegsmonaten mit am meisten beschäftigte. Hier stellt sich zunächst die Frage, wie Kohler die deutsche Besetzung Belgiens rechtfertigte. Von offizieller Seite wurde der Einmarsch deutscher Truppen am 3. August 1914 in Belgien als Abwehr eines drohenden Angriffs durch Frankreich auf Deutschland über Belgien gerechtfertigt.309 Auch Kohler berief sich zunächst auf die damals am häufigsten angeführten Rechtfertigungsmittel der Notwehr und des Notstands. Er argumentierte, Deutschland habe dem unmittelbar bevorstehenden Angriff Frankreichs durch belgisches Gebiet zuvorkommen müssen und sich daher in Notwehr befunden.310 Besondere Bedeutung kam seiner Ansicht nach in diesem Zusammenhang den Prinzipien der Präventivnotwehr zu. Es gehöre, führte er aus, zu einem der ersten Prinzipien der Notwehr als der Verteidigung gegenüber einem unmittelbar bevorstehenden oder bereits begonnenen rechtswidrigen Angriff,311 dass man nicht zu warten habe, bis man geschlagen werde, sondern den Angreifer bereits, wenn er noch zum Schlagen aushole, niederwerfen dürfe. Unter Zugrundelegung der Darstellung des Reichskanzlers, dass französische Streitkräfte am 2. August 1914 an der Strecke Givet-Namur aufgezogen seien, so Kohler, sei man somit berechtigt gewesen, vorauszueilen und in Belgien einzuziehen312 und habe damit eine Pflicht gegen sich selbst und die Kulturwelt erfüllt.313 „Wir haben seinen 309 Vgl. Rede Bethmann Hollwegs im deutschen Reichstag am 4. August 1914, Sieben Kriegsreden des Reichskanzlers, Berlin 1916, S. 5–12, hier S. 10 f.; Deutsche Note an die belgische Regierung vom 2. August 1914, abgedruckt bei Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens (Urkundenbuch mit Einleitung), Gotha 1917, S. 163. 310 Josef Kohler, England und die Neutralität, in: Der Tag vom 11. August 1914; Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 577; Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35; ähnlich auch Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 58, Fn. 22; ebenso Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens (Urkundenbuch mit Einleitung), 1917, S. 21 f. 311 Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 576 f. 312 Josef Kohler, England und die Neutralität, in: Der Tag vom 11. August 1914. 313 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 39; Das Notrecht, in: ARWP 8 (1914/15), S. 449.

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Angriff pariert, indem wir rechtzeitig selber in Belgien eingetreten sind. Daher haben wir in Notwehr gehandelt und waren daher Belgien gegenüber zu keiner Rücksichtnahme verpflichtet. [. . .] Wenn Frankreich den Krieg nach Belgien hinüberspielt, um uns zu überfallen, so ist es eben der Boden Belgiens, auf dem wir uns verteidigen müssen.“314 Kohler erklärte, dass das Gebiet Belgiens, selbst wenn kein Verschulden Belgiens vorliege, ein Hilfsmittel des französischen Angriffs auf Deutschland sei, vergleichbar mit der Waffe des Angreifers, die einem unbeteiligten Dritten gehöre.315 Hilfsweise führte er Notstand an.316 Franz von Liszt zufolge befand sich das Deutsche Reich lediglich den Gegnern gegenüber in Notwehr, Belgien gegenüber hingegen im Notstand.317 Karl Strupp und Walther Schoenborn hielten demgegenüber ausschließlich Notstand für einschlägig.318 Auswirkungen hatte diese unterschiedliche Sichtweise lediglich für die Frage, wie stark auf die Interessen Belgiens beim Einmarsch Rücksicht zu nehmen war, denn wie Kohler ausführte, gingen die Rechte der Notwehr gegen einen rechtswidrigen Angriff weiter als die des Notstands, bei dem eine Kollision von Rechten und Pflichten vorlag.319 Kohler folgte also der offiziellen Präventivtheorie und sprach von einem „Erstangreifenden“, der doch nur in der Phantasie existierte, wobei er dem wirklich Angreifenden, nämlich Deutschland, ohne weiteres eine Notwehrstellung zuwies. Kritiklos stellten er und andere deutsche Völkerrechtler den bevorstehenden Angriff Frankreichs, der in Wirklichkeit nur Spekulation war, als Tatsache hin.320 Die ausländische Literatur ließ zum Teil eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zu, allerdings unter der Voraussetzung der Gewissheit des Angriffs und der absoluten Unmöglichkeit, sich anders dagegen zu wehren.321 Dort wurde daher auch weniger die 314

Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 578. Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 577 f.; Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35; für Notwehr auch Ernst Müller-Meiningen, Der Weltkrieg und das Völkerrecht. Eine Anklage gegen die Kriegführung des Dreiverbandes, Berlin 1915, S. 36. 316 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35. 317 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 58, Fn. 22. 318 Karl Strupp, Das internationales Landkriegsrecht, Frankfurt a. M. 1914, S. 133 f.; Walther Schoenborn, Rechtsfragen zur Neutralität Belgiens, in: Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken, Hermann Schumacher, 2. Auflage, Leipzig/Berlin 1916, Band 1, S. 443 ff. 319 Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 577. 320 Zu den angeblichen Beweisen für von Frankreich ausgehende Grenzzwischenfälle an der französisch-deutschen und französisch-belgischen Grenze siehe Ernst Müller-Meiningen, Der Weltkrieg und das Völkerrecht. Eine Anklage gegen die Kriegführung des Dreiverbandes, Berlin 1915, S. 34 ff. Dagegen Members of the Oxford Faculty of Modern History, Why we are at war, Oxford 1914, S. 91 f. 315

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rechtliche Begründung bestritten als vielmehr die von deutscher Seite als Tatsache dargestellte Gefahr eines französischen Angriffs. Neben dem Argument der Abwehr eines bevorstehenden rechtswidrigen Angriffs wurde von deutscher Seite ein zweites Argument angeführt, nämlich strategische Gründe: „that they [the Germans] had to advance into France by the quickest and easiest way, so as to be able to get well ahead with their operations and endeavour to strike some decisive blow as early as possible. It was a matter of life and death for them, as if they had gone by the more southern rute they could not have hoped [. . .] to have got through without formidable opposition, entailing great loss of time. This loss of time would have meant time gained by the Russians for bringing up their troops to the Germain frontier.“322 In dieser zweiten Erklärung ging es also um die Durchführung einer eigentlich unzulässigen Operation zur Sicherung angeblich höherrangiger Interessen. Nahezu einmütig beriefen sich Kohler und andere deutsche Völkerrechtler insoweit auf ein Notrecht.323 Für den Staat galt Kohler zufolge die „unbedingte Pflicht zur Selbsterhaltung“. Dies gelte auch dann, betonte er, wenn der Staat früher Abkommen getroffen habe. Auch ein staatliches Übereinkommen musste seiner Meinung nach dem Notrecht weichen.324 Auch bei noch so zurückhaltender Auslegung der clausula rebus sic stantibus, erklärte er, müsse man zu der Auffassung gelangen, dass kein Staat Verträge in der Art abschließe, dass er auch im Fall der Bedrohung seiner Existenz an diese Verträge gebunden 321 Charles de Visscher, Belgien und die deutschen Rechtsgelehrten, Lausanne 1917, S. 53 f.; Les lois de la guerre et la théorie de la nécessité, in: Revue générale de droit international public 24 (1917), S. 76 f.; T. J. Lawrence, The Principles of International Law, 6. Auflage, London 1915, S. 609 f.; J. E. Colonel Edmonds/ Lassa Francis Lawrence Oppenheim, Land Warfare. An exposition of the laws and usages of war on for the guidance of officers of his majesty’s army, London o. J., S. 101 f. 322 Erklärung des Staatssekretärs von Jagow, wiedergegeben von dem britischen Botschafter Goschen in einem Bericht an Sir Edward Grey vom 8. August 1914, zitiert nach Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens (Urkundenbuch mit Einleitung), Gotha 1917, S. 178. 323 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35 ff.; Theodor Niemeyer, Belgien und seine Neutralisierung, München/Leipzig 1917, S. 46 ff.; Paul Schoen, Die völkerrechtliche Haftung der Staaten aus unerlaubten Handlungen, in: ZVölkR 10 (1917/18), Beiheft 2, S. 114; Walther Schoenborn, Rechtsfragen zur Neutralität Belgiens, in: Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken, Hermann Schumacher, 2. Auflage, Leipzig/ Berlin 1916, Band 1, S. 443; Ernst Müller-Meiningen, Der Weltkrieg und das Völkerrecht. Eine Anklage gegen die Kriegführung des Dreiverbandes, Berlin 1915, S. 26; Bernhard Dernburg, Germany and the Powers, in: The North American Review 1914, S. 843; Ernst Zitelmann, Haben wir noch ein Völkerrecht?, Bonn 1914, S. 22 f. 324 Josef Kohler, England und die Neutralität, in: Der Tag vom 11. August 1914.

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sei.325 Wenn Kohler sich nun auch noch auf den „immer gewissenhaft handelnden deutschen Generalstab“ berief, der den Einmarsch in Belgien zur Erhaltung Deutschlands für erforderlich gehalten habe: „Der deutsche Generalstab hat den Neutralitätsbruch für notwendig gehalten und damit sinken alle anderen Argumente dahin“,326 so bedeutete dies letztlich eine Kapitulation der Wissenschaft vor dem Militär.327 Auch Karl Strupp berief sich auf Notstand. Er vertrat die Ansicht, dass ein Staat dann eine an sich völkerrechtswidrige Handlung begehen dürfe, wenn und soweit diese im Interesse seiner Selbsterhaltung dringend geboten sei. Deutschland wäre Strupp zufolge schon dann berechtigt gewesen, den Durchmarsch durch Belgien vorzunehmen, wenn nicht, wie, so Strupp, bereits im Augenblick seines Einmarsches festgestanden habe, Frankreich Belgiens Territorium verletzt hätte, „wären wir ihm nicht zuvorgekommen [. . .]“328 In der ausländischen Literatur wurde nun zurecht kritisiert, dass die deutschen Völkerrechtler das Recht zur Selbsterhaltung mit bloßen strategischen Interessen und Bequemlichkeiten gleichsetzten.329 Was die Belgienfrage anbelangte, hatten sich die deutschen Juristen also für eine völkerrechtliche Bindung und damit auch für die Ablehnung einer Anwendung der Grundsätze des Notrechts auf den deutschen Einmarsch oder gegen eine völkerrechtliche Bindung zu entscheiden. Die deutschen Völkerrechtler selbst trugen dazu bei, das Rechtsgefühl zu untergraben und machten die Rechtswissenschaft damit zur „Magd der Politik“. Wehberg, der auch – von der Verteidigungslage Deutschlands ausgehend – zunächst für möglich gehalten hatte, zur Rechtfertigung des deutschen Einmarsches lasse sich Notstand anführen, war nach einem Gespräch mit 325 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 33; Das Notrecht, in: ARWP 8 (1914/15), S. 443; ebenso John William Burgess, Der europäische Krieg – Seine Ursachen, seine Ziele und seine voraussichtlichen Ergebnisse, Leipzig 1915, S. 138. 326 Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915. 327 Siehe dazu auch Otfried Nippold, Deutschland und das Völkerrecht. II. Teil: Die Verletzung der Neutralität Luxemburgs und Belgiens, Zürich 1920, S. 63 f., der vom „Tiefstande des Völkerrechts“ in Deutschland sprach. 328 Karl Strupp, Die Vorgeschichte und der Ausbruch des Krieges von 1914, in: ZVölkR 8 (1914), S. 733. 329 James Wilford Garner, International Law and the World War, London/New York 1920, S. 197 f.; Otfried Nippold, Deutschland und das Völkerrecht. II. Teil: Die Verletzung der Neutralität Luxemburgs und Belgiens, Zürich 1920, S. 67, 71; Lassa Francis Lawrence Oppenheim, International Law. A Treatise, 3. Auflage, London 1920, § 133 c; Charles de Visscher, Belgien und die deutschen Rechtsgelehrten, Lausanne 1917, S. 64–83; Albert G. de Lapradelle, The Neutrality of Belgium, in: The North American Review 1914, S. 851.

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Schücking zur gegenteiligen Überzeugung gelangt. Schücking, Lammasch und Nippold, die der Ansicht waren, dass sich Deutschland sehr gut auf die Verteidigung der Grenzen hätte beschränken können, dass zur Sicherung der Existenz des Deutschen Reiches der Einmarsch in Belgien also gar nicht notwendig gewesen sei, da schließlich der Notstand keinem Land gestatten könne, alle diejenigen völkerrechtswidrigen Maßnahmen zu ergreifen, die es dem Sieg näher brächten,330 vertraten damit in Deutschland eine absolute Minderheitsmeinung. Nippold zufolge verlangte die Selbsterhaltung Deutschlands die Verletzung der belgischen Neutralität keineswegs. Lediglich der strategische Vorteil Deutschlands, so Nippold, habe sie verlangt und dieser berechtige noch nicht zu einer Notstandshaltung.331 Kohler warf Bethmann Hollweg vor, dass er einen Völkerrechtsbruch in Belgien zugegeben hätte.332 Die auf eine Schutzverpflichtung für die belgische Neutralität gestützte Kriegserklärung Großbritanniens bezeichnete er als „schwächlichen Vorwand“, als Farce.333 Wenn er der Garantiemacht England das Recht absprach, Deutschland zur Rede zu stellen und allen Ernstes erklärte, bei einer Kollektivgarantie dürfe ein Garant nicht ohne Verständigung mit den anderen, namentlich mit Österreich, die Garantieverteidigung übernehmen,334 führte er den Wert der völkerrechtlichen Garantie ad absurdum. Nachdem der deutsche Einmarsch in Belgien, wie gezeigt, zunächst durch Notwehr bzw. Notstand gerechtfertigt wurde, die als Rechtfertigungsmittel den Nachteil mit sich führten, dass sie die an sich bestehende Rechtswidrigkeit des auf diese Weise gerechtfertigten Verhaltens eingestanden, kam den deutschen Gelehrten erst einige Monate nach Kriegsausbruch die Idee, die Verbindlichkeiten des Deutschen Reiches überhaupt zu bestreiten bzw. die Loyalität Belgiens in Frage zu stellen. So wurden in der Folgezeit zwei Richtungen eingeschlagen. Zum einen wurde die Gültigkeit von Staatsverträgen in Zweifel gestellt, zum andern die Haltung Belgiens diskreditiert. So stellte Kohler im Herbst 1914 Zweifel an, ob Belgien überhaupt noch neutral gewesen sei. Belgien habe, so Kohler, bereits vor Kriegsausbruch mit Frankreich konspiriert und französische Kriegsvorbereitungshandlungen unterstützt. Belgien hatte sich Kohler zufolge damit zum 330

Vgl. Hans Wehberg, Als Pazifist im Weltkriege, Leipzig o. J. [1919], S. 33 ff. Otfried Nippold, Deutschland und das Völkerrecht. II. Teil: Die Verletzung der Neutralität Luxemburgs und Belgiens, Zürich 1920, S. 71. 332 Josef Kohler, Rezension zu Karl Hampe, Das belgische Bollwerk (Stuttgart 1918), in: ZVölkR 11 (1920), S. 110. 333 Josef Kohler, Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 34; Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 580. 334 Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 580; Karl Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, Frankfurt a. M. 1914, S. 132, Anm. 3. 331

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Gehilfen eines aggressiven Staates gemacht und seine Neutralitätsimmunität verscherzt.335 Im Laufe der letzten Wochen des Jahres 1915 verdichteten sich Kohlers Zweifel zunehmend, zumal er inzwischen in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 25. November 1914 veröffentlichten Aktenstücken entnommen hatte, dass Belgien im Vorfeld des Krieges nicht nur mit Frankreich, sondern darüber hinaus auch mit England konspiriert habe. Belgien hatte durch diesen Neutralitätsbruch in den Augen Kohlers nicht nur seine Neutralität verspielt,336 sondern sich auch zum „Schleppenträger Englands“ erniedrigt.337 In der Folgezeit unterzog Kohler die belgische Neutralität einer historischen Analyse. Seit dem Jahre 1887, meinte er, sei der Sinn der belgischen Neutralität, Europa als Puffer gegen Frankreich zu dienen, dadurch pervertiert, dass Belgien den Schwerpunkt seines Festungssystems aus dem Südwesten des Landes, der an Frankeich grenzte, nach Osten in Richtung auf die deutsche Grenze verlegte. Die neuen Festungen, so Kohler, seien in einer „jenem Vertrage geradezu widerstreitenden Art“ entstanden, so dass die Franzosen „offen erklären konnten, dass die Festungen nunmehr nicht gegen Frankreich, sondern hauptsächlich gegen Deutschland gebaut seien.“338 Es habe sich, so Kohler in Anlehnung an den Medievisten Aloys Schulte, vorn herein militärisch und praktisch auch diplomatisch festgelegt,339 sich Frankreich und England geradezu „in die Arme geworfen.“340 Unter Verweis auf den belgischen Völkerrechtler Ernest Nys,341 den französischen 335 Josef Kohler, Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 579; Krieg und Völkerrecht, in: DJZ 19 (1914), Sp. 1013. Unveröffentlichtes Manuskript der Kriegszeit aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4: England und der Weltkrieg, S. 7 f. 336 Die Ansicht vertraten auch Richard Graßhoff, Belgiens Schuld. Der belgische Volkskrieg, Berlin 1918, S. 11; Walther Schoenborn, Rechtsfragen zur Neutralität Belgiens, in: Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Otto Hintze, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken, Hermann Schumacher, Leipzig/Berlin 1915, S. 589; Reinhard Frank, Die belgische Neutralität. Ihre Entstehung, ihre Bedeutung und ihr Untergang, Tübingen 1915; Alex Fuehr, The Neutrality of Belgium, New York 1915. 337 Josef Kohler, Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 32 ff. 338 Geleitwort Josef Kohlers zu, Fritz Norden, Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgischer Staatsmänner und Juristen, München 1916, S. VIII. Houston Stewart Chamberlain hatte Kohler dem Münchner Verlag F. Bruckmann als Verfasser des Geleitworts zur deutschen Übersetzung vorgeschlagen. Siehe Brief Chamberlains vom 18. Oktober 1915 an Kohler sowie die Briefe Kohlers vom 19. Oktober 1915 und vom 1. Dezember 1915 an Chamberlain, Nachlass Chamberlain. 339 Geleitwort Josef Kohlers zu Fritz Norden, Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgischer Staatsmänner und Juristen, München 1916, S. XI; siehe auch Aloys Schulte, Die Neutralität Belgiens, Bonn 1915, S. 85. 340 Geleitwort Josef Kohlers zu, Fritz Norden, Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgischer Staatsmänner und Juristen, München 1916, S. XV.

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Historiker Sorel und den deutschen Medievisten Schulte führte Kohler hilfsweise an, dass die Neutralität Belgiens höchst fraglich auch aufgrund des Umstandes sei, dass England 1870 Preußen und Frankreich veranlasst hatte, eine neue Garantieerklärung für Belgien abzugeben.342 Dies wurde teils als Beweis dafür angesehen, dass die alten Garantieverträge als nicht mehr gültig erachtet würden.343 Man konnte aus den Verhandlungen von 1870 freilich und wohl mit größerem Recht auch das Gegenteil ableiten, nämlich, dass diese die Neutralität Belgiens sogar bekräftigt hätten, so insgeheim wohl auch Kohler, der sogleich auf das Notrecht Deutschlands zurückverwies, das jedenfalls bestehe, „und alles, was früher verabredet war“ habe dagegen kein Gewicht.344 Gröblichst verletzt aber habe Belgien seine Neutralitätspflicht, so Kohler, durch „jene mit England getroffenen Vereinbarungen“, die „berüchtigten conventions anglo-belges“,345 die von der deutschen Regierung bald nach Kriegsausbruch erbeutet und veröffentlicht worden waren. Diese 1906 zwischen Vertretern der englischen und der belgischen Armee erfolgte Unterredung hatte militärische Hilfeleistungen Großbritanniens an Belgien für den Fall einer vorherigen Verletzung der belgischen Neutralität durch das Deutsche Reich zum Inhalt.346 Diese maßgebliche Passage wurde damals auch 341 Ernest Nys, Le Droit International. Les principes, les théories, les faits. Tome premier, nouvelle edition, Bruxelles 1912, S. 424. 342 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35. 343 Vgl. Aloys Schulte, Die Neutralität Belgiens, Bonn 1915, S. 75; Reinhard Frank, Die belgische Neutralität, Tübingen 1915, S. 13; John William Burgess, Der europäische Krieg – Seine Ursachen, seine Ziele und seine voraussichtlichen Ergebnisse, Leipzig 1915, S. 137 f. 344 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35; ebenso Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens, Gotha 1917, S. 20. 345 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 35; Das Notrecht, in: ARWP 8 (1914/15), S. 445. 346 Die Dokumente der Unterredungen sind abgedruckt bei Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens, Gotha 1917, S. 145 ff. Während die deutschen Völkerrechtler wie Kohler von einem Abkommen ausgingen, hob die Gegenseite hervor, dass es sich um bloße Unterredungen ohne völkerrechtliche Wirkungen gehandelt habe. Zum deutschen Standpunkt siehe Ernst Müller-Meiningen, Der Weltkrieg und das Völkerrecht. Eine Anklage gegen die Kriegführung des Dreiverbandes, Berlin 1915, S. 55; John William Burgess, Der europäische Krieg – Seine Ursachen, seine Ziele und seine voraussichtlichen Ergebnisse, Leipzig 1915, S. 140 f. Zur Position der belgischen Völkerrechtler siehe Emile Waxweiler, Belgium – Neutral and Loyal. The War 1914, New York/London 1915, S. 184 ff. Nippold und de Visscher hielten auch ein Defensivbündnis zwischen Belgien und England für zulässig, vgl. Otfried Nippold, Deutschland und das Völkerrecht. II. Teil: Die Verletzung der Neutralität Luxemburgs und Belgiens, Zürich 1920, S. 23 f., 44 ff.; Charles de Visscher, Belgien und die deutschen Rechtsgelehrten, Lausanne 1917, S. 73, 169 f., 154 f.

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

von Kohler nicht hinreichend beachtet. So sah Kohler in diesem „Übereinkommen“ eine einseitige Begünstigung Englands.347 Er teilte damit die Ansicht zahlreicher deutscher Gelehrter wie etwa Aloys Schulte, Karl Strupp, Karl Hampe, Felix Rachfahl oder auch Theodor Schiemann, der von einem „Kriegsbündnis“ sprach. Belgien sei „kurzsichtig genug“ gewesen, so auch der Bonner Rechtslehrer Ernst Zitelmann, sein Schicksal mit dem Englands zu „vereinigen“.348 Kohlers Auffassung, die belgische Neutralität sei ohnehin nur noch eine „Farce“ gewesen, da sich die belgische Politik schon lange vor Kriegsausbruch zugunsten der Entente festgelegt habe, wurde von vielen Gelehrten geteilt, ebenso wie die daraus gezogene Schlussfolgerung, Belgien habe sein Unheil selbst verschuldet.349 Franz von Liszt hielt Kohler entgegen, die Neutralität Belgiens habe weiterbestanden. Zwar, so räumte auch von Liszt ein, hätte das neutralitätswidrige Verhalten Belgiens zur Kündigung des Vertrages von 1839 führen können. Diese sei aber nicht erfolgt. Von Liszt wies darauf hin, dass die deutsche Regierung wiederholt, zuletzt durch Staatssekretär von Jagow am 29. April 1913 in der Budgetkommission des Reichstags, den Fortbestand der Neutralisation anerkannt habe.350 In der Folgezeit führte Kohler noch zwei Argumente an, die den deutschen Einmarsch unter der Voraussetzung der bestehenden Neutralität Belgiens als rechtmäßig erscheinen ließen, ohne dass auf die Rechtfertigungsmittel Notwehr oder Notstand zurückgegriffen werden musste. Erneut unter Bezugnahme auf den belgischen Völkerrechtler Nys meinte er, der deutsche 347 Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915; Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens (Urkundenbuch mit Einleitung), Gotha 1917, S. 28 f.; Aloys Schulte, Die Neutralität Belgiens, Bonn 1915, S. 105; Karl Hampe, Belgien und die großen Mächte, 1915, S. 417; Felix Rachfahl, Belgien und Europa, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 9, 1917, S. 173. 348 Ernst Zitelmann, Das Schicksal Belgiens beim Friedensschluß, Leipzig/München 1917, S. 14. 349 Kohler am 2. November 1914 an Hans Wehberg, Nachlass Wehberg; Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915; siehe etwa auch Karl Hampe, Belgien und die großen Mächte, in: Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Hermann Schumacher, 2. Auflage in zwei Bänden, Leipzig/ Berlin 1916, Band 1, S. 431. 350 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 58, Fn. 22. Siehe auch den Hinweis Kohlers zur 10. Auflage: „Bemerken möchte ich aber, dass beispielsweise, was die Neutralität Belgiens betrifft, die bestrittene, aber doch auch mit guten Gründen verteidigte Anschauung von Burgess u. a., dass durch die Verhandlungen im Jahre 1870 die Neutralisierung Belgiens aufgehört hat, sodann die Meinung von Nys, dass durch die Neutralisierung im Jahre 1939 zwar die Unabhängigkeit, nicht aber die Integrität Belgiens gewährleistet worden ist, wohl hätte erwähnt werden sollen.“, Josef Kohler, Rezension zu Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 10. Auflage, Berlin 1915, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 115.

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Einmarsch habe zu der Neutralität Belgiens gar nicht in Widerspruch gestanden, da sich die Neutralität Belgiens lediglich auf seine „indépendance“, nicht aber auch auf seine „integrité“ und seine „inviolabilité“ beziehe.351 Der Vertrag vom 19. April 1839 habe nur die Unabhängigkeit und nicht wie die Schweizer Neutralität auch Integrität und Unverletzlichkeit vereinbart. Aus dem Wort „indépendance“ sei auch nicht das Gegenteil herauszulesen. Die Unabhängigkeit eines Staates, so Kohler weiter, schließe aber nicht aus, dass dem Staat Belastungen, Staatsservituten etc. unterlägen wie etwa die Belastung, den Durchzug von Truppen zu dulden. Kohler zufolge bezog sich die Garantie der Mächte und so auch die Deutschlands nicht auf das Unterbleiben eines derartigen Durchzugs. In dieser Beziehung habe Belgien mithin jedem anderen, nicht neutralisierten Staat gleichgestanden. In dieser Hinsicht, so schloss Kohler, habe es also keiner Vernichtung des Papiers bedurft, denn das Papier, gab er zu verstehen, enthalte nichts, was dem Durchzug Deutschlands widerspreche.352 Anderer Auffassung war Franz von Liszt, der meinte, die Garantie erstrecke sich auch auf die Integrität Belgiens.353 Die Neutralität Belgiens, stellte von Liszt deutlich klar, sei nicht aufgehoben gewesen, der Einmarsch aber durch die Notlage des Deutschen Reiches gerechtfertigt gewesen.354 Schließlich führte Kohler dann ein Argument an, das zu seinem Hauptargument in der belgischen Frage wurde und das er bis zu seinem Lebensende vehement vertreten sollte. Er meinte, dass Deutschland 1914 schon aufgrund der Durchmarschs- und Besatzungsrechte, die Deutschland in den Verträgen von 1818 und 1839 zugesichert worden waren, in Belgien hätte einrücken dürfen.355 Ähnlich argumentierten auch Karl Hampe, Aloys Schulte und Felix Rachfahl.356 In jenen Verträgen mit Holland, so Kohler, 351 Ähnlich auch Karl Strupp, Die Neutralität Belgiens und die Festungsverträge, in: Fränkischer Kurier vom 22. Oktober 1916; Hermann Wittmaack, Die Neutralität Belgiens, in: Deutsche Revue 1915; A. J. Rosenberg, Der Deutsche Krieg und der Katholizismus, Berlin 1915, S. 37; Fritz Norden, Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgischer Staatsmänner und Juristen, München 1916. 352 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 37 f. Er zitiert dort Ernest Nys, Le droit international, Brüssel 1912, I, S. 424. Siehe auch Josef Kohler, Die Neutralität Belgiens und die Festungsverträge, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 309. Dagegen F. Faluhelyi, Rezension zu Karl Strupp, Die Neutralisation und die Neutralität Belgiens, Gotha 1917, in: ARWP 12 (1918/19), S. 94 f.; Charles de Visscher, Belgien und die deutschen Rechtsgelehrten, Lausanne 1917, S. 93 ff. 353 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 58, Fn. 21. 354 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 58, Fn. 22. 355 Josef Kohler, Deutschlands Schuld und Nichtschuld, in: Der Tag vom 28. März 1919; Rezension Kohlers zu Karl Hampe, Das belgische Bollwerk (Stuttgart 1918), in: ZVölkR 11 (1920), S. 110. 356 Karl Hampe, Belgien und die großen Mächte, in: Deutschland und der Weltkrieg, hrsg. von Hermann Schumacher, 2. Auflage, Leipzig/Berlin 1916, Band 1,

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sei vereinbart worden, dass Preußen im Falle eines Krieges mit Frankreich das Besetzungsrecht der Festungen Huy und Namur und damit auch ein Einmarschrecht habe. In diese Vereinbarung, führte Kohler aus, seien das Deutsche Reich und Belgien als Rechtsnachfolger Preußens bzw. Hollands eingetreten. Sie sei danach auch nicht aufgehoben worden. Juristisch gestaltete sich dieses Einmarschrecht Kohler zufolge als Staatsservitut, das auch durch die Neutralität nicht beeinträchtigt werde.357 Dass Bethmann Hollweg darauf nicht verwiesen hatte, erachtete Kohler als schwerwiegendes Versäumnis. Hätte man einen Bismarck gehabt, so Kohler 1919, „der hätte hier eingehakt und mit aller Wucht die Rechte Deutschlands geltend gemacht.“ Man hätte sich, betonte er, dann nicht einmal auf Notstand oder Notwehr zu beziehen brauchen. Die Behandlung der Sache durch Bethmann Hollweg aber, führte Kohler aus, habe nicht nur aller staatsmännischen Kunst widersprochen, sondern Bethmann Hollwegs „biedermännischer Dilettantismus“ habe Deutschland schwer geschädigt und mit einem Odium belastet, das immer noch nicht ganz geschwunden sei.358 Felix Rachfahl zufolge schien die Regierung „Schlüssel“ zu einigen „Schubladen“ ihres Archives verloren zu haben.359 Kohlers Urteil litt wie das Urteil manches Juristen in jener Zeit darunter, dass es „in dubio pro patria“ ausfiel. „Wie sehr das Völkerrecht im Herzen der Menschen begründet ist, zeigt sich auch darin, daß selbst das Unrecht sich in den Schein des Rechtes hüllt und der frechste Rechtsbruch sich mit dem Mantel des Rechts zu umkleiden sucht“;360 diese in seinem 1918 erschienenen Lehrbuch Grundlagen des Völkerrechts – das Vorwort stammt vom 9. März 1918 – getroffene Feststellung gewinnt hier stark ambivalenten Charakter. Wie seine Rechtfertigung des Einmarsches in Belgien zeigt, versuchte Kohler die dem Deutschen Reich zum Vorteil gereichende Auffassung mit ausgesuchten juristischen und historischen Tatsachen zu stützen. Präsentierte er sich auch als unparteiischer Gelehrter, so scheint es doch, als hätte in der Belgienfrage seine politische Überzeugung nachträglich eine juristische Rechtfertigung erfahren. Seine bisherige Argumentation vertrug sich noch mit der Vorstellung einer „deutschen Sendung“, nicht jedoch seine Auffassung, die Unversehrtheit S. 397, 431; ders., Belgiens Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1916, S. 49; Aloys Schulte, Die Neutralität Belgiens, Bonn 1915, S. 66, 68, 79. 357 Josef Kohler, Deutschlands Schuld und Nichtschuld, in: Der Tag vom 28. März 1919; Rezension Kohlers zu Karl Hampe, Das belgische Bollwerk (Stuttgart 1918), in: ZVölkR 11 (1920), S. 110. 358 Josef Kohler, Rezension Karl Hampe, Das belgische Bollwerk (Stuttgart 1918), in: ZVölkR 11 (1920), S. 110. 359 Felix Rachfahl, Belgien und Europa, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 9, 1917, S. 174, 175. 360 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 11.

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des kleinen Belgiens sei nachrangig gegenüber dem Daseinskampf einer Großmacht. Belgiens Schicksal sei hart, räumte er ein, doch das Deutsche Reich auf der einen Seite und „das kleine Belgien“ auf der anderen, gab er zu bedenken, „sind sie etwa in der Wagschale der Weltgeschichte einander gleich?“361 Hier kollidierte Kohler zufolge „das Leben“ der eigenen Nation mit einem einzelnen „akzidentellen Lebensgut“. Nicht zwei gleichberechtigte Werte waren seiner Ansicht nach gegeneinander abzuwägen, sondern „ein unendliches Recht gegenüber einem endlichen“.362 Was Belgien anbelangte, so verbanden sich bei Kohler annexionistisches Gedankengut und Befreiungsideologie. Wie viele andere Gelehrte rechnete er damit, dass sich der kleine „Papierstaat“ Belgien, das Ergebnis europäischer Diplomatie, in absehbarer Zeit auflösen würde und man einer unterdrückten Völkerschaft zu ihrem Recht verhelfen könnte.363 Anlass für diese Annahme war der Freiheitskampf der „unterdrückten“ Flamen gegen ihre wallonischen Herren. Man war der Meinung, die Flamen seien ein „niederdeutscher Tochterstamm“, der Gefahr laufe, „verwelscht“ zu werden. Den Gedanken, dass das Deutsche Reich zum Befreier der Flamen werden könnte, teilten sogar liberale Gelehrte wie Max Weber oder Gerhart von Schulze-Gaevernitz.364 Die Theorie, dass ein Staat nicht kraft ursprünglichen Rechts entstehen, sondern erst durch Übertragung der Gewalt von Seiten des ursprünglichen Inhabers zum Dasein gelangen könne, meinte Kohler, sei verkehrt. Das gleiche sei, erklärte er, auch bezüglich der Flamen zu erhoffen. Auch dort, so Kohler, organisiere sich ein neues Staatswesen; und sei es organisiert, so bestehe es; „wir können ihm unseren Schutz bieten, weil wir es befreit haben, im übrigen hat sich niemand, weder Belgien noch die Entente, hereinzumischen. Ist das Flamenland von Wallonien befreit, so ist ein jahrzehntelanges Unrecht wieder gutgemacht worden, das Palmerston und Genossen in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts an unseren Stammesgenossen verübt haben, als man den Papierstaat Belgien gründete.“365 An dieser 361

Josef Kohler, Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März

1915. 362 Josef Kohler, Not kennt kein Gebot, Berlin 1915, S. 36 f.; Das Notrecht, in: ARWP 8 (1914/15), S. 446 f. 363 Josef Kohler, Staatenbildungen in Ost und West, in: Der Tag vom 6. Februar 1918; Das besetzte Gebiet und die Unabhängigkeit der Rechtspflege, in: Der Tag vom 10. März 1918. 364 Vgl. Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Die Vlamen, in: Der Türmer 19 (1917), S. 117; Max Weber am 8. Mai 1917 an Friedrich Naumann, in: Gesammelte politische Schriften, München 1921, S. 471; Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 85. 365 Josef Kohler, Staatenbildungen in Ost und West, in: Der Tag vom 6. Februar 1918; Das besetzte Gebiet und die Unabhängigkeit der Rechtspflege, in: Der Tag vom 10. März 1918.

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

Stelle war nun der Punkt erreicht, an dem die Belgienliteratur Kohlers von der Rechtfertigung des deutschen Vorgehens in Belgien seit Kriegsausbruch überging zu der Begründung der deutschen Pläne für die Zukunft des Landes. Aus welchen Gründen meinte Kohler, das Reich dürfe Belgien nicht freigeben? Auch hier gewann das Bild von der belgischen Vorkriegspolitik an Relevanz. Kohler war der Auffassung, Deutschland müsse sich gegen Belgien sichern. Aus den „konspirativen Machenschaften“ Belgiens vor Kriegsausbruch folgerte er, dass man sich auch in Zukunft nicht auf Belgien würde verlassen können.366 Hatte das angeblich zweideutige Verhalten Belgiens vor dem Kriege den deutschen Einmarsch rechtfertigen müssen, so diente es jetzt als Grund für das Sicherheitsstreben des Deutschen Reiches. Denn Belgien unterlag dem Einfluss Englands. Es war zu dessen „Schleppenträger“ geworden.367 Sollte Belgien kein Bollwerk der Entente werden, so gab es Kohler zufolge keine andere Möglichkeit als die Angliederung Belgiens an das Deutsche Reich.368 „[. . .] wir haben lange genug im Dienste fremder Völker und im Dienste weltstaatlicher Ideale gelebt und infolgedessen anderen Völkern die Waffen in die Hand gedrückt, mit denen sie uns rücksichtslos berannten“, führte er dazu aus, „ich glaube, dieses sollen wir nun anfangen zu verlernen.“369 Praktisch liefen Kohlers Angliederungspläne auf das Modell von Provinzstaaten hinaus. Ähnlich wie die englischen Selbstverwaltungskolonien zum Mutterland, so sollte Belgien zu Deutschland in ein Schutzverhältnis treten.370 Bei der Angliederung, erklärte Kohler das Modell, würden dem Staat Gebiete angegliedert, die dann nicht mehr Teile des Stammlandes, sondern des völkerrechtlich einigen Reichs seien, staatsrechtlich aber selbständig seien, d.h. ein eigenes staatliches Leben führten. Die Einheit des Reiches zeige sich, führte er aus, zum einen in der Befugnis der militärischen Besetzung, in der Bestimmung über die Militärorganisation, in der Bestimmung über die Verkehrswege, Eisenbahnen und Hafenanlagen, zum anderen im völkerrechtlichen Verkehr. So sei die völkerrechtliche Stellung ebenso wie die völkerrechtliche Vertretung gegenüber dem Auslande eine einzige. Auch die Entscheidungen über Krieg und Frieden und über die Neutralität, betonte Kohler, könnten nur einheitlich getroffen werden.371 366 Josef Kohler, Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 34; Notwehr und Neutralität, in: ZVölkR 8 (1914), S. 580. 367 Josef Kohler, Neue völkerrechtliche Fragen, in: Tägliche Berliner Rundschau vom 1. Januar 1915 sowie in: DJZ 20 (1915), Sp. 32 ff. 368 Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. Oktober 1917. 369 Josef Kohler, Das besetzte Gebiet, in: Der Tag vom 21. Juni 1917. 370 Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. August 1917; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 77. 371 Josef Kohler, Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 76 f.

C. Vorstellungen Kohlers über Kriegsziele des Deutschen Reiches

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Die Motive, die Kohler für eine deutsche Oberherrschaft in Belgien nannte, waren jedoch nicht ausschließlich defensiver Natur. Vielmehr machte er dabei auch machtpolitische Gründe geltend und spielten auch Interessen der deutschen Weltpolitik eine Rolle. Deutschland, so meinte er, könne die Erringung der Gleichberechtigung neben England nur dann erreichen, wenn es in den Besitz der flandrischen Küste mit Antwerpen gelangte. Wenn England Malta und Gibraltar in seinen Besitz gebracht habe und so sich überall „seine Nester geschaffen“ habe, um von da aus seine Herrschaft zu gründen, warum, fragte er, „sollte es ein schreckliches Unrecht sein, wenn wir uns in Antwerpen und in Seebrügge Bollwerke der Verteidigung und Ausgangspunkte unserer seemännischen Operationen verschaffen?“372 Wie Kohlers Pläne für die innere Verwaltung eines unter deutscher Oberhoheit stehenden Belgiens zeigen, ließ er aber auch ideelle Gesichtspunkte nicht außer acht. Einen neuen Charakter, meinte er, nehme die Tätigkeit des siegreichen Staates an, wenn Teile des feindlichen Gebietes so besetzt würden, dass die inländische Verwaltung lahm daniederliege. Es würde der deutschen Kulturordnung widersprechen, wenn dieses Landesgebiet einfach staatenlos wäre und die notwendigsten menschlichen Interessen daniederlägen. Daher, forderte er, müsse eine Art von Polizei, eine Art von Verwaltung geschaffen, das Eigentum müsse geschützt werden, und es müsse alles dasjenige vorgekehrt werden, was nötig sei, um ein vernünftiges Leben unter die Bevölkerung zu bringen.373 Auch wies er warnend darauf hin, dass in der Kriegszielfrage allein der verantwortliche Staatsmann das letzte Wort beanspruchen dürfe. Man müsse sich überlegen, erklärte er, ob nicht in der Geltendmachung seines Rechts so viel Schwierigkeit, so viel Schädlichkeit, so viel Unbilligkeit und so viel Lieblosigkeit enthalten sei, dass man besser davon absehe.374 Kohler strebte die Verbindung deutscher militärischer Macht mit politischer Mäßigung an. Insofern sah er Sicherheit als einen mit politischen Inhalten gefüllten Begriff an. Einer der Hauptirrtümer in der Kriegszielfrage bestand seiner Ansicht nach darin, dass man zwischen Recht und Politik nicht richtig zu unterscheiden wisse. Ob man ein Recht habe, so Kohler, sei eine Frage, eine andere aber die, ob es angezeigt sei, von diesem Rechte Gebrauch zu machen. Der Unterschied zwischen beiden Lebensproblemen war seiner Ansicht nach gewaltig. In dem einen Falle, so betonte er, sei es das Recht, im anderen die Zweckmäßigkeit in Verbindung mit ethischen Gedanken, soweit diese nicht schon im Recht enthalten seien. Die Frage, wie tief man mit seinem Rechte in das

372

Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. Josef Kohler, Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 274. 374 Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Roter Tag vom 7. August 1917. 373

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

Leben eingreifen wolle, war Kohler zufolge „eine Frage der Lebenskunst und Lebensklugheit, im Verkehr der Völker eine Frage der Politik.“375 Der Umstand, dass Kohler deutlich darauf hinwies, dass man ja keine Eingliederung wolle, sondern lediglich eine Angliederung,376 – auf die Unterscheidung zwischen „Einverleibung“ (= Vollannexion) oder „Eingliederung“ (= Protektorat) wurde allgemein großer Wert gelegt377 – hindert nicht daran, ihn als Annexionisten zu bezeichnen. Der Begriff Annexion wurde häufiger von den Gemäßigten zur Diskreditierung der Pläne ihrer Gegner verwandt als von den Annexionisten selbst. Kohler hielt wie die meisten Annexionisten eine Angliederung für „fruchtbarer“.378 So hätte eine Annexion Belgiens unter anderem das Problem mit sich gebracht, dass sieben Millionen Belgier als vollberechtigte, mit dem Reichstagswahlrecht ausgestattete Reichsbürger von Deutschland aufgenommen werden hätten müssen. Kohlers Hinweis darauf, dass die Angliederung wesentlich fruchtbarer sei als die Eingliederung, zumal für die Bevölkerung dann keine politischen Mitsprachrechte entstünden, insbesondere kein Reichstagswahlrecht,379 entsprach alldeutschem Gedankengut ebenso wie Kohlers Rechtfertigung der wirtschaftlichen Einverleibung der angegliederten Gebiete,380 die notfalls sogar im Wege der Enteignung stattfinden könne.381 Was die Position der Annexionisten und Gemäßigten im ersten Kriegsjahr im Wesentlichen unterschied, war noch nicht der Gegensatz zwischen Anhängern eines Siegfriedens und denen eines Verständigungsfriedens – diese Frage wurde erst 1916 aktuell. Es war auch nicht so sehr der Umfang verfolgter Gebietserwerbungen, als vielmehr die Rigidität, mit der man vorging. Dabei kamen im Dogmatismus der Annexionisten und in der Flexibilität der Gemäßigten zwei völlig unterschiedliche politische Denkweisen zum Ausdruck. Die Annexionisten – und dazu ist Kohler zu zählen – intendierten, den Gegner bis aufs äußerste niederzuringen,382 damit der Friede ohne Rücksicht auf die 375

Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. August 1917. Josef Kohler, Eingliederung und Angliederung, in: Der Tag vom 11. Juni 1915; Das besetzte Gebiet, in: Der Tag vom 21. Juni 1917; Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. August 1917. 377 Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 86. 378 Josef Kohler, Eingliederung und Angliederung, in: Der Tag vom 11. Juni 1915. 379 Josef Kohler, Eingliederung und Angliederung, in: Der Tag vom 11. Juni 1915. 380 Josef Kohler, Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. Oktober 1917. 381 Josef Kohler, Das besetzte Gebiet, in: Der Tag vom 21. Juni 1917. 382 So die Forderung der Seeberg-Adresse. Vgl. Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 126. 376

C. Vorstellungen Kohlers über Kriegsziele des Deutschen Reiches

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Wünsche der Besiegten diktiert werden könnte. Friede konnte Kohler zufolge nur durch eine starke und dauerhafte wirtschaftliche und moralische Schwächung der Gegner gesichert werden.383 Aus der Motivation heraus, sich von den politischen Auffassungen in Deutschland nicht gänzlich zu isolieren und eine realpolitisch vertretbare Alternative zu den Kriegszielprogrammen der Alldeutschen und Industriellen vorzuschlagen, erklärte sich auch die Friedensbewegung zunächst bereit, gewisse Kompromisse mit dem herrschenden Kriegszieldenken einzugehen. Auch die Anhänger der Friedensbewegung akzeptierten 1915 die Vorstellung, der Friede müsse der militärischen Entwicklung Rechnung tragen und sprachen sich für die Erlangung „realer Garantien“ als Sicherung der deutschen Machtstellung aus. Belgien sollte dabei als Faustpfand und Kompensationsobjekt benutzt werden.384 Erst 1917 entschloss man sich wegen moralischer Bedenken innerhalb der deutschen Friedensbewegung dazu, alle Annexionen und Kontributionen abzulehnen385 und die wirtschaftliche, finanzielle und militärische Unabhängigkeit Belgiens zu verlangen. Die Ablehnung von Annexionen wurde damit begründet, dass Annexionen in moralischer Hinsicht immer eine Vergewaltigung der betroffenen Bevölkerung bedeuteten, neue Unterdrückung, Feindschaft und Hass schüfen386 und es, um Annexionen wirtschaftlich nutzbar zu machen, tiefer Eingriffe in das private Besitzrecht bedürfe.387 In politischer Hinsicht, wurde in pazifistischen Kreisen angeführt, führten Annexionen dazu, das annektierende Land zu isolieren, Revancheideen zu schüren und die Entstehung neuer feindlicher Koalitionen zu begünstigen.388 In dem während des Krieges ausgetragenen Gegensatz zwischen einer Friedenssicherung mittels rechtlicher Vereinbarungen oder mittels militärischer Sicherungen schlug sich der prinzipielle Gegensatz zwischen Recht und Macht nieder. Kohler erkannte nicht, 383

Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober

1918. 384 Vgl. Salomon Grumbach, Das annexionistische Deutschland. Eine Sammlung von Dokumenten, die seit dem 4. August 1914 in Deutschland öffentlich oder geheim verbreitet wurden, Lausanne 1917, S. 408, 412. 385 Der Völkerfriede 19 (1918), S. 32 f.; Ludwig Quidde, Friedenskundgebungen, in: Der Völkerfriede 18 (1917), S. 3; Alfred Hermann Fried, Mein Kriegs-Tagebuch, Band IV, Zürich 1919/20, S. 228, 246. 386 Vgl. Otto Umfried, Die moralische Wirkung der Annexionen, in: Der Völkerfriede 18 (1917), S. 1–3. 387 Salomon Grumbach, Das annexionistische Deutschland. Eine Sammlung von Dokumenten, die seit dem 4. August 1914 in Deutschland öffentlich oder geheim verbreitet wurden, Lausanne 1917, S. 381 f. 388 Salomon Grumbach, Das annexionistische Deutschland. Eine Sammlung von Dokumenten, die seit dem 4. August 1914 in Deutschland öffentlich oder geheim verbreitet wurden, Lausanne 1917, S. 383.

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3. Kap.: Das elementare Erlebnis des I. Weltkrieges

dass mehr Macht nicht immer auch mehr Sicherheit bedeuten muss. Hier wird deutlich, dass die von Kohler vor dem Krieg ausgebildeten politischen Kategorien nicht dazu ausreichten, den Widerspruch zu entdecken, der in der Idee eines „Friedens mittels militärischer Sicherungen“ steckte. Anders als Alfred Weber, der sein Erstaunen darüber zum Ausdruck brachte, warum gerade die Nation der Realisten – Deutschland – „die stärksten Realitäten des heutigen politischen Lebens: Volksströmungen, Volksaspirationen und Volksstimmungen in ihrem Wörterbuch“ nicht kenne,389 brachte Kohler solchen Empfindungen Missachtung entgegen. „Plebiszitischer Gefühlsüberspannung“, wonach man die Stimme der Bevölkerung hören solle, ob sie dem einen oder anderen Staat angehören wolle, war seiner Ansicht nach kein Platz zu gewähren. Das Staatsgebiet, so untermauerte er seine Ansicht, sei die feste Grundlage des Staates, nur eine ganz unrichtige Staatslehre könne die Bedeutung des Territoriums im Völkerleben verkennen. Das Territorium aber ziehe die Bevölkerung mit sich. Wer damit nicht zufrieden war, mochte Kohler zufolge das Staatsgebiet verlassen.390 Am wenigsten, hob er hervor, sei auf die Stimme derjenigen zu hören, die die Schwierigkeiten betonen, die dem erobernden Staate bei der Angliederung erwachsen, weil er mit fremden Bevölkerungselementen zu tun habe, die ihm vielleicht widerspenstig entgegenträten. Derartiges mochte seiner Ansicht nach „ein weiches, furchtsames Volk in Schrecken setzen, eine jugendkräftige Nation“ aber würde solche Schwierigkeiten einfach beiseite schieben: der „großzügige Siegfried“, so Kohler lasse sich durch das „Minnegeplänkel“ einer widerwilligen Bevölkerung nicht schrecken. Ob sich in angegliederten Gebieten eine einheitliche Bevölkerung bilden werde, welche nach Jahrzehnten mehr oder minder eingegliedert werden könne, das sollte seiner Ansicht nach zunächst dahin stehen. Solange die Stunde dafür noch nicht geschlagen habe, war er bereit, der Bevölkerung eine autonome Munizipalfreiheit zuzugestehen, das Volk sollte aber, so betonte er, immer empfinden, dass der Angliederungsstaat „Herrscher“ sei.391 Rationeller Zuspruch, so Kohler, habe bei den Völkern wenig Bedeutung; die impulsiven Kräfte der Völkerseele, führte er aus, ruhten „meist unter der Schwelle der vernünftigen Erwägung. „Unverständliche Wallungen“, Schlagwörter, Redensarten, Gewohnheiten, Traditionen wirkten seiner 389 390

Alfred Weber, Gedanken zur deutschen Sendung, Berlin 1915, S. 54. Josef Kohler, Angliederung und Expansion, in: Der Tag vom 31. Oktober

1915. 391

Josef Kohler, Angliederung und Expansion, in: Der Tag vom 31. Oktober 1915. Hierzu schrieb Houston Stewart Chamberlain am 29. November 1915 an Kohler: „Ihre letzten beiden Aufsätze – ‚Expansion und Angliederung‘ und ‚Englands Verschwörung‘ haben mir wieder viel gegeben. Ich bin Ihnen mehr dankbar als ich es zu sagen weiss [. . .].“, Nachlass Chamberlain.

C. Vorstellungen Kohlers über Kriegsziele des Deutschen Reiches

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Ansicht nach mehr als alle „einsichtsvollen Betrachtungen der Sachlage [. . .] Dies muss man immer beherzigen. Darum Macht gegen Macht, unerbittliche Herrschaft, psychologische Kraft gegen psychologischen Widerstand [. . .]“392 So verstrickte sich Kohler in gewisse Widersprüche, wenn er seiner Belgienpolitik einen idealistischen Anstrich geben wollte. Erst 1919 kam er zur Besinnung. In seinem Artikel „Volksseele“ heißt es: „Was wir in all diesen Jahren gefehlt haben und was uns ins Unglück stürzte, das ist in einem kurzen Worte gesagt: wir haben die Volksseele verkannt.“393 Kohlers Sohn Arthur, der als Arzt an der Westfront war, berichtete später, er habe während des Krieges mehrmals vergeblich bei Heimaturlauben versucht, seinen Vater zu Mäßigung zu ermahnen,394 was jedoch lediglich zu Verstimmungen geführt habe. Jener habe seine Ansichten nicht hören wollen.395 Fazit Vor allem, was die Belgienfrage anbelangte, in der die völkerrechtlich zugesicherte Neutralität Belgiens und die nationalen Belange des Deutschen Reiches gegeneinander abzuwägen waren, befand sich die deutsche Völkerrechtswissenschaft in einem Zwiespalt. War der staatlichen Souveränität – dem Notrecht – oder der internationalen Rechtssicherheit – dem Garantievertrag – der Vorrang einzuräumen? Hier plädierte Kohler für die staatliche Souveränität. Was seine Vorstellungen von möglichen Kriegszielen des Deutschen Reiches anbelangte, stand er der annexionistischen Gruppe um Dietrich Schäfer nahe, die auch im Westen weitgehende Expansionen anstrebte. Belgien sollte dabei dauerhaft an das Deutsche Reich angegliedert werden und Frankreich die Erzbecken von Longwy und Briey sowie der Vogesenwestseite abtreten. Die Gruppe der Gemäßigten um Hans Delbrück war allerdings lediglich hinsichtlich der westlichen Kriegsziele „gemäßigt“. Sie lehnte die Annexion französischer und belgischer Gebiete ab. Ebenso wie die Gruppe der Annexionisten um Dietrich Schäfer strebte aber auch sie „Siedlungsraum“ im Osten und einen engen Anschluss des Baltikums an das Deutsche Reich an. Kohler wich hinsichtlich seiner Kriegsziele stark von der pazifistischen Doktrin ab. Regionale Konzeptionen, denen eine machtpolitische Tendenz innewohnte, waren mit dem pazifistischen Ziel einer globalen Friedenssicherung unvereinbar. Seine Vorstellungen von mög392

Josef Kohler, Angliederung und Expansion, in: Der Tag vom 31. Oktober

1915. 393

Josef Kohler, Volksseele, in: Der Tag vom 3. Januar 1919. Vgl. D’r alt Offeburger vom 24. August 1919. 395 Ingeborg Malek-Kohler, Auf der Suche nach meinen badischen Vorfahren, o. O., o. J., Stadtarchiv Offenburg, S. 42. 394

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lichen Kriegszielen des Deutschen Reiches implizierten letztlich eine Rechtfertigung derjenigen Politik, die zum Krieg geführt hatte.

D. Kohler und der Streit um den U-Boot-Krieg im Jahre 1915 Im folgenden Abschnitt soll Kohlers Haltung zur U-Boot-Frage im ersten Kriegsjahr behandelt werden. Der U-Boot-Krieg gewann während des Ersten Weltkrieges zunehmend an Bedeutung und warf zahlreiche völkerrechtliche Fragen auf. Als wirklich kriegsentscheidend wurde er erst angesichts der militärischen Krise 1916/17 erachtet, worauf in dieser Untersuchung noch einmal gesondert eingegangen wird. Seit Februar 1915 beschäftigte sich Kohler wissenschaftlich und publizistisch mit der Frage des U-Boot-Krieges. Anfang 1915 war der Krieg erstarrt. Man ging aber davon aus, dass das Inselreich würde zusammenbrechen müssen, wenn es gelingen sollte, es von den überseeischen Lebensmittelzufuhren abzuschneiden, denn England war noch ganz anders als Deutschland vom Import nahezu aller lebenswichtigen Güter abhängig. Im Deutschen Reich überlegte man, England statt durch Minen und Überwasserfahrzeuge durch den Einsatz von U-Booten von der Zufuhr wirtschaftlicher Güter abzuschneiden. Die Position des Kanzlers war eindeutig: Die Haager Konferenzen und die Seerechtserklärung von 1909 ließen nur einen Seekrieg nach Prisenordnung zu, andernfalls sei mit Protesten der Neutralen, insbesondere aber der USA zu rechnen, was man sich nicht leisten könne. Demgegenüber beharrte die Marineführung auf der Behauptung, ein Erfolg sei nur dann zu gewährleisten, wenn der Krieg in rücksichtsloser Weise in seiner absoluten Form geführt werden durfte. Wissenschaftliche Gutachten der Volkswirtschaftler Hermann Levy und Max Sering sowie des Völkerrechtlers Heinrich Triepel, die sich auf einen Bericht des britischen Unterhauses aus dem Jahre 1908 über die „Versorgung Englands“ im Kriegsfalle stützten, waren zu dem Ergebnis gekommen, dass der U-BootKrieg kriegsentscheidende Wirkung haben könnte, da England bei einer wirksamen Blockade derart gravierende Engpässe zu befürchten hätte, dass es „innerhalb weniger Wochen“ zur Nachgiebigkeit gezwungen werden könnte.396 Auch Adolf von Harnack, später ein Gegner der Marineleitung 396 Siehe Hermann Levy, Die wirtschaftliche Lage Englands im Falle der Blockade, in: Der Handelskrieg mit U-Booten, bearbeitet von Arno Spindler, Band I: Vorgeschichte (Der Krieg zur See. 1914–1918, Abt. IV), Berlin 1932, S. 225; Gutachten Max Serings und Heinrich Triepels, abgedruckt in: Der Handelskrieg mit U-Booten, bearbeitet von Arno Spindler, Band I: Vorgeschichte (Der Krieg zur See. 1914–1918, Abt. IV), Berlin 1932, S. 236 ff.

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in der U-Boot-Frage, Otto von Gierke, Wilhelm Kahl, Theodor Schiemann, Gustav Schmoller und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf schlossen sich dieser Auffassung an.397 Deutschland erklärte in einer Bekanntmachung vom 4. Februar 1915 das Gebiet um Großbritannien und Irland zum Kriegsgebiet. Die militärischen Maßnahmen, heißt es darin, „sollen das englische Verfahren vergelten.“ Jedes feindliche Handelsschiff, das sich vom 18. Februar an auf diesen Kriegsschauplatz begeben sollte, würde zerstört werden, „ohne dass es immer möglich sein wird, die dabei den Personen und Gütern drohenden Gefahren abzuwenden“. Neutralen Schiffen werde empfohlen, das Gebiet zu umfahren, da sie wegen des von der britischen Regierung angeordneten Missbrauchs neutraler Flaggen nicht in jedem Fall als solche erkennbar seien.398 Begründet wurde dieser Schritt damit, dass durch die englische Blockade ein Großteil der deutschen Bevölkerung völkerrechts- und humanitätswidrig auf das Schwerste in Mitleidenschaft gezogen werde und der beschränkte U-Boot-Krieg – einem Gebot der Selbsterhaltung gehorchend – somit nur völkerrechtlich zulässige Vergeltung sei.399 Das damalige Seekriegsrecht ließ nur einen nach der Prisenordnung geführten Kreuzerkrieg gelten.400 Feindliche Handelsschiffe durften nur dann versenkt werden, wenn sichergestellt war, dass die zivilen Schiffsbesatzungen gerettet wurden – sei es, dass sie an Bord des eigenen Schiffes genommen, sei es, dass sie mit ausreichenden Rettungsmitteln ausgestattet wurden. Neutrale Schiffe durften nur dann versenkt werden, wenn sie sog. Konterbande, an Bord hatten, also Waren und Güter, die der Kriegsführung dienten. Nach Prisenordnung vermochte das schwach bestückte U-Boot gegen die Handelsschiffe nach deren Bewaffnung nur in eingeschränktem Umfang zu verfahren. Kohler bezeichnete im Februar 1915 die Einrichtung des Sperrgebietes und die Aufrechterhaltung durch U-Boote als rechtmäßig. Im Gegensatz zur amtlichen Begründung, die die Einrichtung der Sperrzone als Vergeltungsmaßnahme gegen die völkerrechtswidrige britische „Hungerblockade“ be397 Siehe Der Handelskrieg mit U-Booten, bearbeitet von Arno Spindler, Band I: Vorgeschichte (Der Krieg zur See. 1914–1918, Abt. IV) Berlin 1932, S. 235. 398 Alfred von Tirpitz, Politische Dokumente. Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkriege, 2 Bände, Hamburg/Berlin, 1926, Bd. 2, S. 305 f.; Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 399 Der Handelskrieg mit U-Booten, bearbeitet von Arno Spindler, Band I: Vorgeschichte (Der Krieg zur See. 1914–1918, Abt. IV) Berlin 1932, S. V. Siehe dazu auch Gerd Hankel, Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Bruno Thoß/Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland, Paderborn/München/Wien u. a. 2002, S. 676. 400 Vgl. Hans Wehberg, Handbuch des Völkerrechts, 6. Band, „Das Seekriegsrecht“, S. 256 ff.

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zeichnete,401 hielt Kohler eine Rechtfertigung der deutschen Seekriegsführung nicht für erforderlich. Vielmehr sei die Seesperre als solche rechtmäßig. Man habe, so Kohler, den Unterseebootkrieg vielfach auf Notwehr und Notstand gegründet „und betont, dass wir ihn nur begonnen haben, weil man uns die Lebensmittel abzuschneiden versuchte und wir uns dagegen wehren mussten.“ Einer Rechtfertigung als Notwehr, Notstand oder Repressalie bedürfe es aber ebenso wenig wie einer analogen Anwendung der Vorschriften über die Errichtung einer Blockade, da ein kriegführender Staat stets dazu berechtigt sei, einen Teil des feindlichen Geländes zu besetzen und den Zu- und Abgang zu verhindern. Die Sperre könne durch Minenlegung erfolgen, dieser stehe es aber gleich, wenn andere „Vernichtungselemente“, namentlich Unterseeboote, in den Umschließungsgürtel gelegt würden.402 Kohler rechtfertigte die Missachtung seekriegsrechtlicher Grundsätze (§§ 82, 87, 90, 94 und 116 der Prisenordnung; Art. 45, 49 und 50 der Londoner Seerechtsdeklaration) mit der typischen Eigenart der U-Boote. Man könne sich nicht an Regeln halten, erklärte er, die unter ganz anderen Bedingungen entstanden seien. Eine solche Bindung war seiner Ansicht nach praktisch kaum durchführbar, ohne die Seekriegsführung überhaupt unmöglich zu machen, da Unterseeboote eine Prise kaum aufbringen könnten und ihre leichte Verletzlichkeit es ihnen auch sonst unmöglich mache, im Einsatz dem überlieferten Prisenrecht zu folgen. So sei es nicht möglich, folgerte er, die Schiffe anzuhalten und auf die Art der Ladung zu untersuchen. In der Regel könne auch die Besatzung nicht gerettet werden.403 Leider, bedauerte er, sei auch nicht zu vermeiden, dass auch neutrale Schiffe versenkt würden. Dafür machte er insbesondere die englische Regierung verantwortlich, da diese ihre Handels- und Fischereischiffe nicht nur bewaffnet habe, sondern ihnen auch die Verwendung von Flaggen neutraler Länder anempfohlen habe.404 Deswegen, erklärte er, könnten sich die Neutralen auch nicht über Deutschland beklagen; das Gebiet sei als Kriegsgebiet erklärt und alle Schiffe durch die Generalnotifikation ge401 Alfred von Tirpitz, Politische Dokumente. Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkriege, 2 Bände, Hamburg/Berlin, 1926, Bd. 2, S. 305 f.; Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. Siehe dazu auch Gerd Hankel, Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart, in: Bruno Thoß/Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland, Paderborn/München/Wien u. a. 2002, S. 676. 402 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 476 f. 403 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 404 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915.

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warnt.405 Die deutsche Erklärung selbst gebe den Hinweis, wie man das gefährdete Gebiet vermeiden könne. Begäben sich neutrale Schiffe trotz der Gefahr in das Kriegsgebiet, dann mussten sie Kohler zufolge der Gefahren gewärtig sein und hätten sich eventuell eintretenden Schaden selbst zuzuschreiben.406 Was kriegstechnische Fragen anbelangte, verließ sich Kohler ganz auf das Urteil der militärischen Autoritäten. Moralisch-humanitäre Bedenken schienen angesichts der englischen Hungerblockade überflüssig zu sein. Wenig später kam es zu dem Zwischenfall mit der Lusitania, der heftige antideutsche Reaktionen in den USA entfachte. Am 7. Mai 1915 wurde der britische Dampfer Lusitania, mit 31 500 BRT der größte Passagierdampfer seiner Zeit, vor der Südwestküste Irlands durch ein deutsches U-Boot torpediert. Das Schiff, das von New York nach Liverpool unterwegs war, sank innerhalb kurzer Zeit. Von den knapp 2000 Menschen an Bord kamen 1198 ums Leben: 413 Besatzungsmitglieder und 785 Passagiere, unter ihnen 120 Angehörige der damals noch neutralen Vereinigten Staaten.407 Von den zahlreichen Kriegshandlungen der deutschen U-Boote in dem sich fast vier Jahre hinziehenden Handelskrieg 1915–1918 hinterließ keines einen so tiefen Eindruck wie die Versenkung der Lusitania. Kaum ein Ereignis des Ersten Weltkrieges wirkte wie dieses vor allem in seinem Einfluss auf die Beziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten fort. In seinem rechtlichen Gutachten zur Frage der Rechtmäßigkeit der Versenkung der Lusitania führte Kohler aus, die Versenkung sei rechtmäßig gewesen.408 Zum selben Ergebnis kamen alle Rechtsgelehrten, die in der Kohler’schen Zeitschrift für Völkerrecht 1915 an einer Umfrage betreffend die Versenkung der Lusitania teilnahmen.409 Alle Befragten kamen mit teils unterschiedlicher Begründung zu dem Ergebnis, die Versenkung der Lusitania habe nicht gegen Völkerrecht verstoßen. Außer Kohler äußerten sich Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Völkerrechtler an der Universität Würzburg, der Staatsrechtler Carl von Stengel, Professor an der Universität München, Heinrich Triepel, Staats- und Völkerrechtler an der Universität Berlin, der 405

Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 406 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 407 Vgl. Patrick O’Sullivan, Die Lusitania. Mythos und Wirklichkeit, Hamburg 1999; Arno Spindler, Der Lusitania-Fall. Sein Einfluss auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Berlin 1935, S. 1. 408 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 537 f. 409 Umfrage: Der Lusitania-Fall im Urteile von deutschen Gelehrten, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 135–237, auch als selbständige Schrift erschienen, Breslau 1915.

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Strafrechtler Karl Binding, Professor an der Universität Leipzig, der Staatsrechtler Paul Laband, Professor an der Universität Straßburg, der Staatsrechtler Robert Piloty, Professor an der Universität Würzburg, Adolf Wach, Professor an der Universität Leipzig, Max Fleischmann, Völkerrechtler an der Universität Königsberg i. Pr. und Mitherausgeber der Zeitschrift für Völkerrecht, der Frankfurter Völkerrechtler Karl Strupp, Hermann Rehm, Professor an der Universität Straßburg, Heinrich Harburger, Rechtsgelehrter an der Universität München, Julius Hatschek, Professor an der Universität Göttingen, Siegfried Brie, Rechtsgelehrter an der Universität Breslau, Ferdinand von Lentner, Staatsrechtler an der Universität Innsbruck, Ernst Neukamp, Reichsgerichtsrat in Leipzig, Karl Neumeyer, Professor an der Universität München, Johannes Niedner, Professor an der Universität Jena, der Völkerrechtler Woldemar von Rohland, Professor an der Universität Freiburg i. Br., Walther Schoenborn, Professor an der Universität Heidelberg sowie Philipp Allfeld, Professor an der Universität Erlangen. Wie bereits im Februar führte Kohler aus, die Seekriegszone als solche sei rechtmäßig. Ebenso wie man auf dem Lande einen Streifen als Kriegszone erklären könne, könne man im Küstengebiete des feindlichen Landes eine solche Zone feststellen.410 Diese Auffassung teilten insbesondere auch der in Berlin lehrende Straf- und Völkerrechtler Franz von Liszt sowie der Staatsrechtler Robert Piloty.411 Die Versenkung der Lusitania sei allein durch das Befahren der Sperrzone gerechtfertigt gewesen, so von Liszt. Vom rein juristischen Standpunkte sei die Versenkung gerechtfertigt gewesen, weil die Lusitania trotz Warnung das Sperrgebiet befahren habe. Ob sie englischer Hilfskreuzer, ob sie bewaffnet gewesen sei oder nicht, ob sie Munition oder Truppen dem Feinde zuführte oder nicht, sei für die rechtliche Beurteilung gleichgültig.412 Im Gegensatz dazu wollte Brie die Frage, ob der U-Boot-Krieg unter Missachtung der Prisenordnung per se rechtmäßig sei oder nicht, offenlassen. Er hielt ihn aber jedenfalls als Repressalie für gerechtfertigt. Kohlers Argumentation, das bisher geltende Völkerrecht berücksichtige die neue Kriegführung durch Unterseeboote noch nicht und sei auf die dadurch gegebenen Verhältnisse auch nicht ohne weiteres anzuwenden, konstatierte Brie zufolge lediglich eine Lücke des Völkerrechts, ließ aber keinen zwingend logischen Schluss auf die Rechtmäßigkeit der deutschen Seekriegsführung zu.413 Indem Fleischmann und Neukamp den U-Boot-Krieg in seiner verschärften Form ausschließlich als Repressa410 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 537 f. 411 Robert Piloty, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 201–204. 412 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 326, Fn. 10. 413 Siegfried Brie, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 156.

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lie rechtfertigten,414 brachten sie noch stärkere Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit zum Ausdruck als Brie. Dasselbe gilt für Harburger, der als Rechtfertigung „Notwehr“ gegen den „Aushungerungsplan“ der Briten anführte.415 Ebenso wie Kohler hatten Neumeyer und Rehm keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der deutschen Vorgehensweise und zogen das völkerrechtliche Instrument der „Repressalie“ lediglich hilfsweise zur Begründung heran.416 Ein grundsätzliches Problem lag in der Einbeziehung Neutraler in den U-Boot-Krieg, denen – daran sei hier erinnert – empfohlen worden war, das Gebiet zu umfahren, da sie „wegen des von der britischen Regierung angeordneten Missbrauchs neutraler Flaggen“ nicht in jedem Fall als solche erkennbar waren.417 Kriegerische Handlungen, so räumte Kohler ein, dürften zwar grundsätzlich nicht gegen Neutrale gerichtet werden; kriegerische Handlungen aber, welche auf ein feindliches Gebiet gerichtet seien, so rechtfertigte er die Einbeziehung Neutraler, hätten dingliche Wirkung, d.h. sie träfen von selbst alle darin befindlichen Personen und ihre Habe, ob es nun Feinde oder Neutrale seien.418 Könnten die neutralen Staaten den Einbruch einer Kriegspartei in ihre Rechtssphäre wie den Missbrauch ihrer Flagge und den Verbot ihres Handels mit der anderen Kriegspartei nicht abwehren, so ein weiteres Argument Kohlers, so müssten sie auch die Folgen der Gegenmaßregel der anderen Kriegspartei tragen.419 An dieser Stelle verzichtete Kohler auch nicht auf den Hinweis, dass sich die USA nicht an die Regeln der Neutralität gehalten hätten. Schließlich sei für den Untergang der Lusitania nicht zuletzt auch mitverantwortlich, dass das Schiff verbotenerweise Kriegsmaterial geladen habe.420 Wenn sich Schiffe der 414

Max Fleischmann, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 168; Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 189 ff.; so auch das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden. Im Auftrag des Reichstages hrsg. von Walther Schücking, Johannes Bell u. a., Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg, Band IV, Berlin 1927, S. 166–182. 415 Heinrich Harburger, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 174 f. 416 Karl Neumayer, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 198; Hermann Rehm, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 205. 417 Alfred von Tirpitz, Politische Dokumente. Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkriege, 2 Bände, Hamburg/Berlin, 1926, Bd. 2, S. 305 f.; Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. 418 Josef Kohler, Die amerikanische Note, in: Der Tag vom 1. August 1915. 419 Josef Kohler, Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915; ebenso Johannes Niedner, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 201; Siegfried Brie, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 157. 420 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 537.

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Neutralen in die Seesperre hineinwagten, so Kohler, so geschehe dies einzig aus dem eigensüchtigen Streben nach Gewinn heraus, „in der Sucht, die Kriegslage und die Not der Kriegspreise zu ihrer Bereicherung auszubeuten.“421 Den Hinweis in Wilsons Note, es müsse nordamerikanischen Bürgern gestattet sein, zu reisen, wohin sie wollen, ohne durch die Kriegsführung der europäischen Staaten gefährdet zu werden, beantwortete Kohler mit schärfster Polemik. Dass amerikanische Bürger das Recht haben müssten, nach Europa zu reisen, stand seiner Ansicht nach auf gleicher Stufe mit der Behauptung, dass man es ihnen zu gestatten habe, eine „Tour durch die Dardanellen zu machen oder eine Sommerfrische in den Karpathen“ zu beziehen.422 Es könne schließlich nicht verlangt werden, dass das Deutsche Reich seine kriegerischen Maßnahmen so einrichte, dass diese amerikanischen „Erdenpilger“ nicht davon betroffen würden. Ein Amerikaner, der auf einem englischen Schiff fahre, müsse die Folgen ebenso tragen, wie sie auch ein Deutscher oder Schweizer tragen müsste. Zu verlangen, dass das Deutsche Reich seine militärischen Unternehmungen eindämme, „weil irgendwo ein Amerikaner stecken möchte“, „als Passagier oder als Matrose“, sei juristisch so verfehlt, dass jede Widerlegung entbehrlich sei.423 Zum selben Ergebnis kam Theodor Niemeyer, der anführte, für das Blockaderecht sei immer noch die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 gültig, da die Londoner Konvention von 1909 nicht ratifiziert worden sei und die Haager Konvention von 1904 die Frage der Behandlung von Neutralen nicht eindeutig geregelt habe. Das Recht der Neutralen höre schließlich immer noch da auf, wo Recht und Pflicht der Selbsterhaltung bei den Kriegführenden begännen.424 Dem Vorwurf seitens der USA, dass es nicht der Regel des Krieges entspräche, Schiffe zu torpedieren, sondern dass man das Schiff aufbringen und an einen Prisenhafen befördern müsse, entgegnete Kohler, die Amerikaner wüssten sehr gut, dass man mit Rücksicht auf die schwierigen Küstenverhältnisse wenig in der Lage sei, die Schiffe aufzubringen und in einen deutschen Hafen zu schleppen.425 Als Argument führte Kohler die Neuheit der Unterseeboote als Kriegswaffe an. Eine analoge Verwendung wie die 421 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 477. 422 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 539 f.; im Ergebnis genauso Woldemar von Rohland, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 207; Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 194. 423 Josef Kohler, Die amerikanische Note, in: Der Tag vom 1. August 1915. 424 Theodor Niemeyer, Das Recht des Unterseebootkrieges, Sonderdruck der Hamburger Nachrichten vom 24. Oktober 1915, bes. S. 12 f. und 23 f. 425 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538 f.

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der bisherigen Kriegsschiffe sei bei ihnen undenkbar. Deshalb sei es auch unmöglich, eine solche von ihnen zu verlangen – impossibilium nullum obligatio. Ein der Wegnahme unterliegendes Handelsschiff brauche daher vom Kaptor nicht in den Hafen geschleppt zu werden, sondern könne zerstört werden, wenn dieser sich ansonsten einer Gefahr aussetzen würde, was auf die von der Basis entfernten deutschen U-Boote quasi immer zutreffe.426 Der Unterseebootkampf müsse, so Kohler, als Kriegsweise von allen Völkern anerkannt werden, da auch die anderen Staaten sich der Tauchboote und der Torpedierung durch Tauchboote bedienten. Die Plötzlichkeit der feindlichen Erscheinung und die Art der Behandlung der überwältigten Schiffe sei zwar verschieden von diesem Brauch, aber diese Verschiedenheit sei eben in der Art des Kampfmittels begründet und müsse rechtlich anerkannt und in das Gefüge der Rechtsregeln eingereiht werden.427 Das Anhalten, Durchsuchen und Aufbringen der Fahrzeuge sei, meinte Kohler in Einklang mit zahlreichen seiner Zunftgenossen, daher keine regelmäßige Bedingung für die rechtmäßige Überwältigung feindlicher Handelsschiffe. Dies, so räumte er ein, sei eine geschichtlich hergebrachte Art und Weise, die aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der bisherigen Methode des Seekrieges stehe: ändere sich der Seekrieg, so änderten sich auch von selber die rechtlichen Normen. Er halte es für unrichtig zu sagen, dass der Seekrieg sich den bestehenden Normen und nicht die Normen sich dem Seekrieg anpassen müssten. Der Seekrieg habe sich den bestehenden Normen nur insofern anzupassen, als es sich um die Grundlagen der Völkerrechtsordnung, nicht aber insofern, als es sich um die Betätigung des Rechtes im Einzelnen handele.428 Weiter noch ging Laband, der die Ansicht äußerte, dass angesichts des Fehlens eines See- oder Handelskriegsrechts für U-Boote der kriegsmäßige Gebrauch der U-Boote allein durch ihren militärischen Zweck und ihre Beschaffenheit bestimmt werde.429 Die Rettung von Mannschaft und Passagieren war Kohler zufolge in der Regel nicht möglich. Das lag seiner Ansicht nach aber in der Natur der Sache und finde durch die Legung von Seeminen in gleicher Weise statt. Selbstverständlich 426 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538 f.; ebenso Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 217, 221; Heinrich Triepel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 235. 427 Josef Kohler, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 179 f.; ähnlich auch Carl von Stengel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 215; Heinrich Triepel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 235; Heinrich Triepel, Konterbande, Blockade und Seesperre, Berlin 1918, S. 35. 428 Josef Kohler, Würdigung, in: Der Lusitania-Fall im Urteile von deutschen Gelehrten, Breslau 1915, S. 45 f. sowie in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 179 f.; ähnlich Karl Binding, Professor an der Universität Leipzig, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 151 f.; Max Fleischmann, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 160 f.; Heinrich Triepel, Konterbande, Blockade und Seesperre, Berlin 1918, S. 35. 429 Paul Laband, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 181.

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aber, so schob er seinen Ausführungen nach, bemühe man sich um die Rettung von Menschenleben, soweit dies ohne Beeinträchtigung der militärischen Operationen möglich sei.430 Als zusätzliche, aus seiner Sicht aber nicht notwendige Argumente für die Völkerrechtsmäßigkeit der Versenkung führte er an, die Lusitania sei auch unbestreitbar kein Passagierschiff, sondern ein britischer Hilfskreuzer unter britischer Flagge gewesen,431 der durch den Umbau die Eigenschaft eines für den Krieg bestimmten Schiffes an sich getragen habe und darüber hinaus entgegen britischen Angaben mit Munition beladen gewesen sei, welche absolute Bannware darstelle432 und, so Kohler, „auf dem flandrischen Kriegsschauplatz“ gegen deutsche Truppen hätte verwendet werden sollen. Aus diesen Umständen leitete Kohler nicht nur das Recht, sondern darüber hinausgehend sogar eine Verpflichtung zum Eingreifen der deutschen Marine ab. Die Torpedierung der Lusitania sei nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht der Marine gewesen.433 „Wir hätten es zu gestatten, dass die verderblichsten Kriegsmittel an den Kriegsschauplatz gebracht werden, um unsere Leute hinzumorden, und wir sollten nicht vernichtend vorgehen dürfen!“ Es wäre von Deutschland geradezu unverantwortlich ge430 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 478; ebenso Heinrich Triepel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 235; Paul Laband, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 181; Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237. 431 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538; Karl Binding, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 152.; Siegfried Brie, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 154; Heinrich Harburger, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 175; Julius Hatschek, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 177 f.; Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 187; Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 192 f.; Robert Piloty, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 204; Woldemar von Rohland, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 205; Walther Schoenborn, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 210; Carl von Stengel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 215; Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 221; Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 224; Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237; Philipp Allfeld, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 147; Hermann Rehm, Der Unterseebootkrieg, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 20–43. 432 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538; Karl Binding, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 152; Heinrich Harburger, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 176; Paul Laband, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 182; Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 193; Karl Neumayer, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 196 f.; Robert Piloty, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 202; Carl von Stengel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 215; Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 224; Heinrich Triepel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 234, Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237; Max Fleischmann, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 243; Philipp Allfeld, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 147. 433 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538; Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 193; Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237; Karl Binding, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 152.

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wesen, so Kohler, die „Knochen seiner Soldaten solchen Kriegsmaterialien preiszugeben.“434 In der gesamten Öffentlichkeit wurde damals die Frage diskutiert, ob die Lusitania verbotenerweise Munition an Bord hatte. Auf den Einschlag des Torpedos war eine zweite Explosion gefolgt. Innerhalb von achtzehn Minuten sank der Dampfer. Die britischen Behörden behaupteten, es wäre ein zweiter Torpedo abgefeuert worden, was die besondere Brutalität des deutschen Vorgehens belegt hätte. In Deutschland galt es als sicher, dass das Schiff insgeheim bewaffnet war und Munition geladen hatte. Der deutsche Botschafter in Washington, Graf Bernstorff, hatte daher in den Vereinigten Staaten öffentlich davor gewarnt, die Reise mit der Lusitania zu wagen. Später stellte sich heraus, dass die Lusitania tatsächlich 4, 2 Mio Schuss Gewehrmunition und 5000 Schrappnellgeschosse bei sich führte. 1995 gelang es einer Tauchexpedition zu dem in etwa 100 m Tiefe liegenden Wrack der Lusitania vorzudringen und die These von einem zweiten Torpedoeinschlag zweifelsfrei zu widerlegen.435 Kohler warf sowohl der englischen Regierung als auch den amerikanischen Behörden Verantwortungslosigkeit vor. Es sei, so Kohler in seinem Gutachten, nun eine unverantwortliche Gewissenlosigkeit von England gewesen, ein derartiges Schiff mit amerikanischen Passagieren zu besetzen und dabei noch unter ihnen die Meinung zu verbreiten, dass alle Gefahr illusorisch und die deutschen Warnungen wegen des Unterseebootkrieges „reiner Bluff“ wären. Als unverantwortlich erachtete er, dass das amerikanische Hafenamt auf einem derartigen, mit Munition beladenen Schiff amerikanische Passagiere zugelassen hätte. Die amerikanischen Behörden, erklärte Kohler, hätten sehr wohl gewusst, dass die amerikanische Passenger Act ausdrücklich die Mitnahme von Passagieren auf derartigen Munitionsschiffen verbiete, und hätten wissen müssen, dass Deutschland darauf ausgehe, solche Munitionsschiffe zu vernichten.436 Kohler vertrat zudem die im deutschen Reich weitverbreitete Auffassung, die Passagiere der Lusitania hätten als menschliche Schutzschilde für die verbotenerweise transportierte Munition benutzt werden sollen. Man habe gehofft, die Munition auf diese Weise am sichersten nach England zu bringen, so dass England die Kriegsrüstung bekomme und Amerika „den üblichen Profit machte.“437 434 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538 f. 435 Patrick O’Sullivan, Die Lusitania. Mythos und Wirklichkeit, Hamburg 1999. 436 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 538 f. 437 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 539.; siehe auch Karl Binding, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 153; Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237.

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Kohler zufolge handelte der Reisende, der sich zu seiner Reise eines „Kriegsschiffes“ bediene, in eigenverantwortlicher Selbstgefährdung, d.h. er übernahm für seine Person die Gefahr. Kohler bezeichnete es als äußerst leichtsinnig, ein solches Schiff zur Überfahrt zu benutzen, zumal zusätzlich zu der Generalnotifikation noch eine Warnung durch den deutschen Botschafter in Washington erfolgt sei, die an sich nicht mehr notwendig gewesen sei. Der Botschafter war Kohlers Ansicht nach damit ausschließlich der Stimme der Menschlichkeit gefolgt, nicht etwa einer rechtlichen Verpflichtung.438 Dieser Ansicht Kohlers entsprach auch die Auffassung von Liszts, dem zufolge es keinen rechtlichen Unterschied machen könne, wenn die automatisch wirkende Seemine durch Tauchboote ergänzt oder ersetzt werde. Wie die Mine nicht warne, so bedürfe es auch, die Generalnotifikation vorausgesetzt, keiner besonderen Warnung des von dem Tauchboot im Sperrgebiet angegriffenen feindlichen oder neutralen Handelsschiffes. Die Grundsätze des Kreuzerkrieges, so ebenso wie Kohler von Liszt, fänden im Sperrgebiet keine Anwendung; wer es befahre, tue es auf eigene Gefahr. Es sei nichts anderes, als wenn sich im Landkrieg ein Kriegsberichtserstatter in die Feuerzone begebe.439 Im Gegensatz zu Wehberg, Schramm oder Rehm440 bestritt Kohler unter Verweis auf eine französische, auch von englischen Juristen wie Oppenheim anerkannte Entscheidung, dass im Falle berechtigter Zerstörung für das neutrale Gut eine Entschädigung zu zahlen sei.441 Eine Entschädigungspflicht entfiel seiner Auffassung nach schon deshalb, weil die Neutralen bewusst 438 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 539 f.; Josef Kohler, Die amerikanische Note, in: Der Tag vom 1. August 1915; ähnlich Karl Binding, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 152 f.; Paul Laband, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 183; Ferdinand von Lentner, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 185 f.; Robert Piloty, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 203 f.; Walther Schoenborn, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 211 f.; Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 225; Heinrich Triepel, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 232 f.; Max Fleischmann, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 171, Heinrich Harburger, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 175; Woldemar von Rohland, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 207 f.; Adolf Wach, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 237. 439 Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 11. Auflage, Berlin 1918, S. 326; ähnlich auch Ernst Schultze, Die Furcht vor neuen Waffen, in: Zeitschrift für internationales Recht 27 (1917/18), S. 1–39, anderer Auffassung Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 415. 440 Hans Wehberg, in: Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1915, S. 281 ff.; Hermann Rehm, in: DJZ 20 (1915), Sp. 455 ff. 441 Josef Kohler, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 179 f.; ebenso Ernst Neukamp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 194; Karl Strupp, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 228 ff.; Woldemar von Rohland, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 207; Paul Heilfron, in: Juristische Wochenschrift 1915, S. 487.

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die Kriegzone beführen. Dabei wies er darauf hin, dass die Amerikaner selbst im Jahre 1812 ihren Befehlshabern die Zerstörung der feindlichen englischen Schiffe anempfohlen hätten. Es entspreche dem „Humor der Weltgeschichte“, meinte er, dass die USA den Deutschen nun das zum Vorwurf machten, was sie selbst damals als Recht bezeichnet hätten. Mit Hohngelächter, so Kohler, müssten die „Götter“ auf dem Olymp zur Kenntnis nehmen, dass die Amerikaner einen Milliardenprofit einstrichen, der „mit dem Blute vieler Tausender erkauft“ sei, und nun den Deutschen „Vorträge über Moral und Menschlichkeit“ hielten.442 Die Wirkung der Stellungnahme Kohlers zur U-Boot-Frage auf die öffentliche Meinung lässt sich etwa an dem Brief Houston Stewart Chamberlains ersehen. Chamberlain, selbst gebürtiger Engländer,443 schrieb am 6. Juni 1915 an Kohler: „Hochverehrter Herr Geheimer Justizrat. Ungern nehme ich auch nur Minuten Ihrer Zeit in Anspruch; ich kann aber nicht anders und muß Ihnen meinen besonderen Dank aussprechen für die freundliche Zusendung Ihres Lusitania-Gutachtens. Ich kannte nur Auszüge aus Zeitungen und sehnte mich nach dem Ganzen; jetzt habe ich’s schon wiederholt gelesen und vorgelesen – mir und allen zur innigen Erquickung [. . .]. Die Quintessenz jurisprudentisch geschulten Denkens und doch jedem intelligenten Laien in allen Teilen einleuchtend! Nicht roh und deklamatorisch, nichtsdestoweniger ein geschliffenes Schwert, dem Gegner in die Kehle gestoßen!“444 Resonanz fanden Kohlers Ausführungen über den Wirtschaftskrieg aber auch unter Fachkollegen, wie das Dankschreiben Eberhard Schmidts zeigt: „Für Ihre Grundlagen des Völkerrechts“ spreche ich Ihnen meinen gehorsamsten Dank aus“, so Schmidt. „Daß ich das wertvolle Werk behalten darf, ist mir eine ganz besondere Freude. Für meine Arbeit über den Wirtschaftskrieg entnehme ich dem Buche zahlreiche, sehr dankenswerte Anregungen.“445 442 Josef Kohler, Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 540. 443 Houston Stewart Chamberlain (1855–1927), der als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt, ergriff bereits während des Ersten Weltkrieges einseitig Partei für das Deutsche Reich, vgl. Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode, „Chamberlain, Houston Stewart“, in: NDB, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Dritter Band: Bürklein-Ditmar, Berlin 1957, S. 190. In Kohlers Nachlass befindet sich eine handschriftliche Notiz, der zu entnehmen ist, dass Kohler Houston Stewart Chamberlains Kriegsaufsätze, München 1914, gelesen hat. Siehe das undatierte und unveröffentlichte Manuskript der Kriegszeit „Deutschlands Jugendkraft“ aus dem Nachlass Kohlers, Kasten 4. 444 Houston Stewart Chamberlain, Briefe 1882–1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., Erster Band München 1928, S. 313 f. 445 Eberhard Schmidt am 12. Mai 1919 an Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21.

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Auf die Proteste der damals noch neutralen Vereinigten Staaten hin hatte sich die deutsche Regierung dazu entschlossen, den U-Boot-Krieg nur nach den Regeln der Prisenordnung weiterzuführen. In einer an die USA gerichteten Note erklärte sie sich dazu bereit, auch innerhalb des Kriegsgebietes in Zukunft nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen des gewöhnlichen Kreuzerkrieges U-Boot-Krieg zu führen, d.h. jedes Handelsschiff zu durchsuchen, es nur nach Anhalten zu zerstören und Menschenleben retten zu lassen.446 Die Marineführung hingegen drängte, dass die U-Boot-Waffe ohne solche Rücksichten zum Einsatz gebracht würde. Bethmann Hollweg geriet nun zunehmend unter Druck. Gegen ihn entwickelte sich eine Kamarilla, die von Falkenhayn, Hindenburg, Ludendorff und Tirpitz angeführt wurde und von den Alldeutschen und einem Großteil der deutschen Professoren unterstützt wurde. Im Winter 1916/17 verschlechterte sich die Ernährungslage dramatisch, bis sie im Sommer 1917 einen Tiefpunkt erreichte. Die meisten Verbraucher verfügten über weniger als 1000 Kalorien pro Tag.447 Die schlechte Ernährung beeinträchtigte die Gesundheit Kohlers. Ingeborg Malek-Kohler berichtete, ihre Mutter sei zu patriotisch gewesen, um Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. So habe man sich hauptsächlich von Kohlrüben ernährt.448 Fazit Kohler ging davon aus, dass England zusammenbräche, falls es gelänge, es von den überseeischen Lebensmittelzufuhren abzuschneiden. Er glaubte, dass durch den U-Boot-Krieg eine Wende des Krieges zugunsten des Deutschen Reiches herbeigeführt werden könne. Im Gegensatz zur amtlichen Begründung und der Mehrzahl der deutschen Völkerrechtler, die die Einrichtung der Sperrzone und die Aufrechterhaltung durch U-Boote lediglich als Vergeltungsmaßnahme gegen die völkerrechtswidrige britische „Hungerblockade“ für zulässig hielten, erachtete er die Einrichtung des Sperrgebietes völkerrechtlich auch ohne Rückgriff auf Rechtfertigungmittel wie die Vergeltung oder die Repressalie als rechtmäßig. Auch moralische Bedenken hatte er nicht. Seine Äußerungen zur U-Boot-Frage lassen sich nicht ohne weiteres als Kriegspublizistik im „Schein des Rechts“ abqualifizieren. Der Völkerrechtslehre ist es bis heute nicht gelungen, zu einer einheitlichen Be446

Vgl. Völkerrecht im Weltkrieg 1914–1918, 3. Reihe im Werk des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, 4. Band, i. A. des deutschen Reichstages, S. 138. 447 Siehe hierzu auch Jay Winter/J. L. Robert (Hrsg.), Capital Cities at War. Paris, London, Berlin 1914–1919, Cambridge 1997. 448 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reichs. Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern, Freiburg i. Br. 1986, S. 18, 77.

E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918)

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urteilung der Zulässigkeit von Sperrzonen zu gelangen. Die wohl herrschende Auffassung ist grundsätzlich bereit, die Erklärung von Seegebieten zu Sperrzonen, gleich mit welchen Mitteln diese aufrecht erhalten werden, jedenfalls im Verhältnis der Konfliktparteien zueinander und in bezug auf militärische Ziele anzuerkennen.449 Soweit ein Kriegführender seine Handelsschiffe bewaffnet, zum Rammen von feindlichen U-Booten und zum sonstigen Angriff auf feindliche Schiffe anweist, gilt der Gegner als befugt, die derart militarisierten Handelsschiffe wie Kriegsschiffe zu behandeln und sie daher innerhalb des notifizierten Sperrgebiets jederzeit warnungslos zu versenken. Anderes gilt für neutrale Handelsschiffe, die auch innerhalb eines notifizierten Sperrgebiets grundsätzlich nicht warnungslos versenkt werden dürfen.450 Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht sollen darüber hinaus Maßnahmen innerhalb von Sperrgebieten auch gegenüber der neutralen Schiff- und Luftfahrt zulässig sein, wobei im neueren Schrifttum teilweise sogar die warnungslose Versenkung gegnerischer Handelsschiffe für völkerrechtskonform erklärt wird.451 Über die Zulässigkeitsvoraussetzungen sowie über die innerhalb der Zonen zu ergreifenden Maßnahmen besteht jedoch auch hier keine Einigkeit. Im Zeitpunkt der Versenkung der Lusitania konnten solche Überlegungen allerdings nicht mit Anerkennung rechnen. Der Weltöffentlichkeit musste sich der Eindruck eines offensichtlichen Völkerrechtsbruchs aufdrängen.

E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918) Im folgenden Abschnitt soll die Haltung Kohlers im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918) untersucht werden. Die Diskussion um den U-Boot-Krieg wurde nun ein zweites Mal und in verschärfter Form aufgegriffen. Wirkte sich die Krisensituation auf Kohlers Position aus? Lenkte er ein oder verschärfte sich seine Haltung? Mit dem Jahre 1916 hatte sich die militärische Lage bedrohlich zugespitzt; zunehmend entstand der Eindruck, dass eine Kriegsentscheidung zu Lande nicht möglich sei. Angesichts der militärisch-politischen Krise radikalisierten sich die Ansichten Kohlers. Jeden vermittelten vorzeitigen Frie449 Vgl. nur Wolff Heintschel von Heinegg, Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg (Schriften zum Völkerrecht, 115), Berlin 1995, S. 463 mit Nachweisen in Fn. 1078. 450 Jürgen Schmitt, Die Zulässigkeit von Sperrgebieten im Seekrieg (Das geltende Seekriegsrecht in Einzeldarstellungen, 2), Hamburg 1966, S. 122. 451 Vgl. die Nachweise bei Wolff Heintschel von Heinegg, Seekriegsrecht und Neutralität im Seekrieg (Schriften zum Völkerrecht, 115), Berlin 1995, S. 463 f.

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den lehnte er ab. Schließlich, so meinte er, würde der Krieg gefochten, um seine Wiederholung ein für allemal unmöglich zu machen. Man führe, erklärte er, nicht jahrelang Krieg zu dem Zweck, damit Millionen von Menschen getötet und Milliarden von Werten zerstört würden und nachher wieder alles ebenso werde wie früher. Ansonsten, führte Kohler aus, wäre der Krieg überhaupt das Sinn- und Vernunftloseste, das sich denken lasse. Vielmehr, so erklärte er, führe man Krieg, damit die Ergebnisse des Krieges das Völkerbild änderten und das bessere und tüchtigere Volk auch im Frieden die Stellung einnehme, die ihm gebühre. Insofern, schloss Kohler, sei der Krieg noch heutzutage ein Gottesurteil, er sei eine geschichtliche Erscheinung, welche die Kraft, Intelligenz und Moral der Völker auf die höchste Probe stelle. Wer siege, werde allerdings schon durch den Sieg als solchen ein gewisses moralisches Übergewicht erlangen, insbesondere, wenn er gegen eine ganze Welt siege.452 Der Auffassung Kohlers lag eine Ausschließlichkeit zugrunde, in der das Abgleiten in die Irrationalität schon angelegt war. So behielt der Krieg in Kohlers Sicht weiter den Charakter eines zutiefst sinnvollen Geschehens: als Regulator des Völkerlebens, als Prüfung der Geschichte. Kohler teilte die Ansicht der Annexionisten, dass das Reich bei den Mitteln bleiben solle, mit denen es bislang den Kampf ausgefochten hatte. Die Auseinandersetzung zwischen Gemäßigten und Annexionisten weitete sich angesichts der Krise zu einem Konflikt zwischen den Anhängern eines Sieg- und denen eines Verständigungsfriedens aus. Die Fronten schieden sich weiter hinsichtlich der Frage, ob Deutschland den verschärften U-BootKrieg fortsetzen sollte oder nicht.453 Kohler sah keine Möglichkeit, den Krieg auf andere Weise zu einem für Deutschland tragbaren Ende zu führen. Er teilte die weitverbreitete Auffassung, Deutschland könne es im Ringen um seine Existenz nicht zugemutet werden, sich mit Rücksicht auf die Interessen der Neutralen im Gebrauch einer wirksamen Waffe Beschränkungen aufzuerlegen, wenn es seinen Gegnern gestattet bleibe, ihrerseits völkerrechtswidrige Mittel nach Belieben zur Anwendung zu bringen. Die rücksichtslose Verwendung der U-Boote hätte die Entente seiner Ansicht nach selbst zu verantworten. Bethmann Hollweg, den die Oberste Heeresleitung am 9. Januar 1917 erneut unter Druck setzte,454 konnte sich gegen die Phalanx der Obersten 452

Josef Kohler, Der Papst als Friedensvermittler, in: Der Tag vom 29. August

1917. 453 Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 95 ff. 454 General Ludendorff, Urkunden der obersten Heeresleitung, S. 322 ff.

E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918)

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Heeresleitung und der Gelehrten und den Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland, die den U-Boot-Krieg wollte, schließlich nicht mehr durchsetzen. Zum 1. Februar 1917 erklärte das Deutsche Reich den Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Krieges.455 Der U-Boot-Krieg wurde damit nicht nur in Form der warnungslosen Versenkung feindlicher Kriegs- und Handelsschiffe geführt, sondern auch auf alle Schiffe ausgeweitet, die sich in dem neu gekennzeichneten Sperrgebiet aufhalten sollten.456 Das erweiterte Sperrgebiet umfasste die Gewässer um Großbritannien und Frankreich bis zur spanischen Grenze, vor Italien und Teile des östlichen Mittelmeeres.457 Auch Kohler konnte sich die Bedenklichkeit der deutschen Lage auf Dauer kaum verhehlen. Umso fester klammerte er sich an die Hoffnungen auf die „Wunderwaffe“. Seine Angespanntheit schlug sich auch im Ton nieder, der zunehmend schärfer wurde, die Begründung zunehmend irrationaler: Der U-Boot-Krieg, erklärte er, sei „das sichere Mittel“, das die Gegner „auf die Knie“ bringe. Darum sei es eine richtige Politik, ihn ohne alle Bedenken mit steigender Energie fortzusetzen.458 Gegenüber den ersten Kriegsjahren trat ab 1917 die völkerrechtliche Begründung des U-BootKrieges stetig stärker in den Hintergrund. Maßgebend wurde immer mehr die Erreichung des Kriegszwecks. Kohlers Äußerung enthielt das Bekenntnis zur Grotiusschen These, dass im Krieg der Zweck die Mittel heilige – omnia licere in bello quae necessaria sunt ad finem belli. Im Übrigen wiederholte Kohler seine bereits in den ersten Kriegsjahren getätigten Äußerungen über die Rechtmäßigkeit der Seesperre als solcher.459 Es bedufte seiner Ansicht nach weder einer Rechtfertigung durch Notwehr oder Notstand noch des Rückgriffs auf das völkerrechtliche Instrument der Repressalie.460 „Schließlich“, erklärte er, „brauchen wir uns auch nicht darauf zu berufen, dass die Handelsschiffe bewaffnet sein können und dass unsere Unterseeboote den Angriff dieser bewaffneten Schiffe zu gewärtigen hätten.“461 Wer 455

Bernd Stegemann, Deutsche Marinepolitik 1914–1918, Berlin 1970. Alfred von Tirpitz, Politische Dokumente. Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkriege, 2 Bände, Hamburg, Berlin 1926, S. 592 ff.; Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 507 ff. 457 Vgl. Deutscher Reichstag (Hrsg.), Völkerrecht im Weltkrieg, Bd. 4. Der Unterseebootkrieg, Anlage 16 und 17, S. 271 f. 458 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 478. 459 Josef Kohler, Seesperre und Blockade, in: Der Tag vom 18. März 1917; Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 90 f. 460 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 477. 461 Josef Kohler, Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 478. 456

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an seinem Leben hänge, folgerte er, solle der Sperre halt fernbleiben.462 Den amerikanischen Protesten gegen den U-Boot-Krieg hielt Kohler zynisch entgegen, wenn Wilson dabei über Menschenleben weine, so hätte er vielmehr „über den Leichtsinn und die Frevelhaftigkeit derer jammern sollen, die Urahne, Großmutter, Mutter und Kind in den Strudel des Sperrgebietes“ geschickt hätten. Wer die Hand ins Feuer stecke, so Kohler, der verbrenne, und wer in das Minen- und Tauchbootgebiet dringen wolle, der fordere sein Schicksal heraus und verdiene es. „Das“, hob Kohler hervor, „haben wir alles schon längst entwickelt, aber die Logik gleitet stets an dem tranigen Oel amerikanischer Botschaftsphrasen ab.“463 Kohler rekurrierte auf sein bereits 1916 angeführtes Argument der Neuheit der U-BootWaffe. Der Positivismus des Völkerrechts, so Kohler, habe die Geister vollständig abgestumpft und ihnen die Möglichkeit genommen, den neuen Erscheinungen des Lebens rechtsbildend entgegenzutreten. Das Zeitalter der Luftschiffe und Unterseeboote, führte er aus, könne eben nicht mehr mit den Rechtsgebilden hantieren, welche aus den Tagen der friderizianischen oder der napoleonischen Kriege stammen.464 Deutschland tat nun auch im Seekrieg das, was es Großbritannien schon lange vorwarf. Es zog die Zivilbevölkerung in die Kriegführung mit ein. Auch Kohler, der Großbritannien oft diesen Vorwurf gemacht hatte, erkannte dies. Die Rechtfertigung, die er für das Vorgehen des Deutschen Reiches anführte, war dieselbe wie hinsichtlich des Luftkrieges. Dem Einwand, dass sich die Seesperre durch die verhinderte Zufuhr von Lebensmitteln auch gegen die Zivilbevölkerung richte, hielt er entgegen, es sei eine allgemeine Erscheinung des Kriegsrechts, dass militärische Operationen indirekt auch der Zivilbevölkerung Schaden zufügten. Unter Hinweis auf Hugo Grotius und die spanischen Naturrechtslehrer Victoria und Covarruvias wies er nun darauf hin, dass es eine alte Weisheit sei, dass eine Schädigung Unschuldiger dann berechtigt sei, wenn militärische Operationen nicht anders durchgeführt werden könnten.465 In der Berufung auf die Grotiussche These Der Zweck heiligt die Mittel zeigte sich bereits eine in die Zukunft weisende Tendenz, das vorbehaltslose Bekenntnis zu den kollektiven Mächten Staat, Nation und Volk und das Eindringen des Nationalismus in das Gebiet der Ethik und der Wissenschaft hin zum Grundsatz Gut ist, was deinem Volke nützt!466 Kohler erlag während des Krieges ebenso wie 462

Josef Kohler, Seesperre und Blockade, in: Der Tag vom 18. März 1917. Josef Kohler, Wilsons Botschaft, in: DJZ 22 (1917), Sp. 458. 464 Josef Kohler, Seesperre und Blockade, in: Der Tag vom 18. März 1917. 465 Josef Kohler, Seesperre und Blockade, in: Der Tag vom 18. März 1917. 466 Zur Professorenschaft im Allgemeinen siehe Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 275. 463

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zahlreiche seiner Kollegen zunehmend den Leidenschaften der politischen Auseinandersetzung bis hin zur Maxime Right or wrong, my country. Auch Anfang 1917 machte er sich noch keine Gedanken über einen möglichen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten. Offenbar maß er Amerika als Machtfaktor kein allzu großes Gewicht zu. Er teilte die weitverbreitete Ansicht, dass der deutsche Staat gegenüber dem amerikanischen Staat sittlich ebenso überlegen sei wie gegenüber dem englischen. Die amerikanische Politik hatte sich seiner Ansicht nach ohnehin bereits dadurch gegen Deutschland und für die Entente entschieden, dass sie einen umfangreichen Waffenhandel mit den Entente-Mächten gestattete. Bereits in den ersten Kriegsjahren kritisierte er die einseitige Waffenlieferung Amerikas an die Entente.467 Es widerstrebe dem deutschen Gemüt, so Kohler dann auch 1917, da zu antworten, wo sich auf der Gegenseite „Unfähigkeit und Niedrigkeit“ paarten. Noch niemals seien beide Eigenschaften so „widerwärtig“ hervorgetreten wie in den „sog. Botschaften von Wilson, die noch mit dem frommen Oel der Menschenliebe und Friedfertigkeit“ übergossen seien, das aber „besonders tranig“ anmute, wenn man an die Milliarden denke, welche unter Wilsons Ägide dort mit der einseitigen Lieferung von Kriegsmaterial verdient worden seien, und an die Gefahr, welche die amerikanischen Banken bei Englands Fall liefen. Nie, so Kohler, solange die Welt stehe, habe ein sich neutral nennender Staat so sehr seine ganze Industrie auf die Unterstützung der Kriegsbereitschaft eines der kämpfenden Teile eingestellt, und dieser Staat, gipfelte Kohler, proklamiere sich durch seinen Präsidenten als den Vertreter der Menschlichkeit und als Hort der gebildeten Welt gegen Barbarei und Unkultur.468 Eduard Meyer drückte die Überzeugung der meisten U-Boot-Kriegs-Anhänger aus, dass Amerika Deutschland in einem offenen Krieg kaum mehr Schaden zufügen könnte, als es dies bereits jetzt unter dem Deckmantel der Neutralität täte.469 Die Gemäßigten, die den Hoffnungen auf einen U-Boot-Siegfrieden die Konzeption eines Verständigungsfriedens gegenüberstellten, sprachen sich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg aus. So erachtete Max Weber es als höchst gefährlich, „auf ein [. . .] rein technisches und also technischen Umwälzungen preisgegebenes Mittel Entschlüsse von einer für unsere ganze Zukunft ungeheuren Tragweite aufzubauen.“ Der Kriegseintritt der USA würde seiner Ansicht nach das alliierte Machtpotential in kriegsent467 Josef Kohler, Amerika und die Neutralität, in: Der Tag vom 25. Februar 1915; Das neue Völkerrecht, in: ZVölkR 9 (1915/16), S. 8; Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: DJZ 20 (1915), Sp. 537. 468 Josef Kohler, Wilsons Botschaft, in: DJZ 22 (1917), Sp. 457; vorsichtig angedeutet auch in: Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. August 1917. 469 Eduard Meyer, Der amerikanische Kongress und der Weltkrieg, Berlin 1917, S. XI.

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scheidender Weise verstärken.470 Als der Entschluss zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg gefallen war, war man sich in den Reihen der Gemäßigten darüber einig, dass damit eine verhängnisvolle Wendung in der politischen Lage des Reiches eingetreten war. Kohler erkannte weder dies noch die welthistorische Bedeutung jener Entscheidung für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Für Deutschland bedeutete – darauf hat Gerhard Ritter deutlich hingewiesen – der Entschluss zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu Beginn des Jahres 1917 eine Entwicklung, die den schweren Kampf des Reiches nicht nur unheilvoll verlängerte, sondern auch militärisch erst wirklich aussichtslos machte. Für die Welt bedeutete sie den Kriegseintritt der USA. Damit aber setzte eine weltgeschichtliche Wende ein, „wie sie die europäische Staatenwelt seit anderthalb Jahrtausenden noch nicht erlebt hatte.“471 Für Europa bedeutete sie das Ende seiner Vorherrschaft.472 Schon im Sommer 1917 erwiesen sich die Spekulationen auf den durchschlagenden Erfolg des uneingeschränkten U-Boot-Krieges als Fehlschlag. Umso stärker war das Bedürfnis der Öffentlichkeit, Auskünfte über die Kriegsaussichten zu erlangen. Wieder waren die Gelehrten gefragt. „Euer Hochwohlgeboren!“, so der Verleger Fessler an Kohler. „Alle Blicke hängen heute gebannt an dem entscheidungsschweren Ringen im westlichen Kampfgebiete, aus dessen blutgedüngtem Boden uns der kommende Friede erwachsen soll. Werden unsere Helden dem furchtbaren Eisenhagel, der sich aus den Munitionswerkstätten dreier Erdteile über sie ergiesst, auch weiterhin standhalten? Werden sie im Verein mit unseren unvergleichlich tapferen Flieger- und Unterseeboots-Mannschaften das der Vollendung nahe Werk der Befreiung Europas von den britischen Weltherrschaftsansprüchen zum glücklichen Ende führen? [. . .] Einen Beitrag zur Lösung will auch die vorliegende Rundfrage über ‚Die deutsche Westfront‘ bieten, zu deren Beantwortung wir eine grössere Anzahl führender Männer Deutschlands und seiner Verbündeten einladen.“473 Ebenso wie Ludendorff, der verlauten ließ, falls der U-Boot-Krieg scheitern sollte, so gehe das eben darauf zurück, dass man diesen entgegen seinen und Tirpitz’ Warnungen zu spät begonnen habe, sah auch Kohler den Sündenbock in Bethmann Hollweg. Mit Bethmann, so Kohler, sei diese 470 Max Weber, Der verschärfte U-Boot-Krieg, in: Gesammelte politische Schriften, München 1921, S. 64 ff., 68. 471 Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Bd. 3: Die Tragödie der Staatskunst. Bethmann Hollweg als Kriegskanzler (1914–1917), München 1964, S. 382. 472 Vgl. Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 507. 473 Hugo P. Fessler, Herausgeber des „Salonblatts“, am 29. Mai 1917 an Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21.

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„Greisenhaftigkeit“ eingesickert, „mit diesem Manne, dem die Kraft des felsenhaften Entschlusses“ fehle, diesem „kantianischen Wahrheitsfanatiker“, der nichts von dem „rücksichtslosen Wagemut“ in sich habe, den der große Mann in großen Verhältnissen zeigen müsse; diesem Ideologen, der, „im Doktrinarismus befangen“, stets danach gefragt habe, ob man den fremden Nationen das oder jenes antun dürfe; der den „allein richtigen U-BootKrieg“ so lange zurückgehalten habe. Bethmann, so Kohler, habe „die halbphilosophische Greisenhaftigkeit“ in ein Land gebracht, das einen Nietzsche „als den Verteidiger staatlicher Größe und einen Bismarck als das Vorbild der Kraftnaturen“ gezeugt habe.474 Mit dieser Ansicht stand Kohler nicht allein: „Ist denn die Not der Weltlage heute noch nicht groß genug, um dem göttlich großen deutschen Volke den Mann zuzuführen, fähig, so zu der Welt zu reden, wie in solchen Tagen geredet werden muß, fähig, die gesamte deutsche Diplomatie zur Türe hinauszukehren und durch tüchtige neue Kräfte zu ersetzen, wie sie in Deutschland auf Schritt und Tritt zu finden sind?“, so hatte sich Chamberlain bereits Mitte 1915 gegenüber Kohler geäußert.475 Ihren Ursprung bei den Alldeutschen findend, war es bereits kurz nach Kriegsausbruch zu harscher Kritik an der Reichsleitung, vor allem am Kanzler, gekommen. Seit 1915 hatte diese Stimmung weitere Teile der deutschen Gelehrtenschaft unabhängig vom politischen Spektrum erfasst. Die Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Kriegsziele der Regierung erfasste 1917 auch Fragen der Innenpolitik.476 Seit dem Beginn des U-Boot-Streites hatte sich die Fragestellung der Kriegszieldiskussion ständig erweitert: Aus einer Auseinandersetzung über die außenpolitische Orientierung Deutschlands war eine Debatte über die Grundsätze der deutschen Kriegszielpolitik geworden. 1917 setzte sich diese Tendenz fort. Es gerieten nun auch innenpolitische Probleme ins Blickfeld. Als Wilhelm II. Anfang April 1917 seine „Osterbotschaft“ verkündete, in der er die Aufhebung des preußischen Dreiklassenwahlrechts nach Kriegsende versprach, wurde die im Verlaufe des Krieges in Deutschland stetig an Brisanz gewinnende Debatte über innere Reformen zusätzlich angeschürt. Während für Max Weber eine Parlamentarisierung der Reichsexekutive und eine Demokratisierung des preußischen Wahlrechts unaufschiebbare Forderungen darstellten, da das Reich seiner Ansicht nach außenpolitische Erfolge überhaupt erst erwarten konnte, wenn es seine innere Struktur refor474

Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. Houston Stewart Chamberlain am 6. Juni 1915 an Kohler, Houston Stewart Chamberlain, Briefe 1882–1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., Erster Band, München 1928, S. 314. 476 Siehe dazu auch Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 129 ff. 475

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mierte, die Weber für die politischen Misserfolge der Vorkriegszeit und der Kriegszeit verantwortlich machte,477 verhielt sich Kohler in diesen Fragen sehr zurückhaltend. Im Juli 1917 unterzeichnete er gemeinsam mit u. a. Dietrich Schäfer, Eduard Meyer, Reinhold Seeberg, Heinrich Triepel, Otto von Gierke, Ferdinand von Martitz, Albrecht Penck, Gustav Roethe, Theodor Schiemann, Ulrich Stutz und Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff eine Kundgebung Berliner Professoren, in welcher eine Verschiebung der preußischen Wahlrechtsreform auf die Zeit nach dem Kriege gefordert wurde.478 Eine Stellungnahme Kohlers dazu gibt es nicht. Von den zweiundzwanzig Unterzeichnern hatten sechzehn wie Kohler im Frühsommer 1915 bereits die Intellektuellen-Eingabe unterzeichnet. Wie aus der Erklärung konservativer Hochschullehrer vom 7. Juli 1917 hervorgeht, hielten auch sie Änderungen im Staatsleben für unausweichlich. Sie wollten institutionelle Änderungen insoweit zulassen, als diese dem „deutschen Staatsverständnis“ entsprachen. Die Unterzeichner bekannten, dass „in den Ordnungen von Staat und Reich nicht alles so bleiben“ dürfe wie bislang und insbesondere das gesamte Volk „im Felde und zu Hause“ eine Reife gezeigt habe, die seine Berufung zu erhöhter tätiger Teilnahme an der Sorge um die öffentlichen Angelegenheiten rechtfertige. Allerdings sollten Reformen erst nach Kriegsende durchgeführt werden. Von innenpolitischen Veränderungen während des Krieges befürchtete man eine Schwächung der Siegesaussichten. Das Ziel, hieß es in der Erklärung, für dessen Erreichung es „zuvörderst“ die gesamte einheitliche Volkskraft einzusetzen gelte, sei der Sieg über den äußeren Feind. Bei der Betrachtung der Auffassungen der deutschen Gelehrten muss im Folgenden hinsichtlich der Forderung nach einer Parlamentarisierung des Reiches und der nach einer Demokratisierung, d.h. einer Wahlrechtsreform in Preußen, differenziert werden. Der weitaus größere Teil in den Reihen der Gemäßigten unter den Professoren befürwortete zwar, dass die Reform des preußischen Wahlrechts bereits während des Krieges durchgeführt würde, sprach sich aber ebenso wie Kohler gegen eine Parlamentarisierung des Reiches aus. Zu diesen Gelehrten gehörten Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Adolf von Harnack, Max Sering, Gustav Schmoller und Otto 477 Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, Berlin 1918, S. 257 f.; Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 307 Vgl. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, 2. Auflage, Baden-Baden 1988, S. 628. f., 406. 478 Eine Erklärung konservativer Gelehrter vom 7. Juli 1917, abgedruckt in: Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 150 f.; siehe auch Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 45 f., 261–270.

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Hintze.479 Wenn sich diese Professoren für eine Reform des preußischen Wahlrechts aussprachen, so nicht zuletzt deshalb, weil sie die Einbeziehung der unteren Volksschichten in das politische Leben der Nation erhofften480 und sie die starren Traditionen der deutschen Bürokratie für überkommen hielten.481 Die Arbeiterschaft hatte ihrer Auffassung nach mehr Verständnis für eine Politik vernünftiger Mäßigung gezeigt und sich damit als reifer für eine politische Mitbestimmung erwiesen als die oberen Klassen.482 Wie 479 Hans Delbrück, Politische Korrespondenz vom 25. August 1917, in: Pr. Jbb., Bd. 169, S. 465 f.; Die Neuorientierung, in: Pr. Jbb., Bd. 168 (Juni 1917), S. 349 ff.; Friedrich Meinecke, Die Reform des preußischen Wahlrechts (Dez. 1916), in: Politische Schriften und Reden, hrsg. und eingeleitet von Georg Kotowski, Darmstadt 1958, S. 163 ff.; Grenzen der Neuorientierung (1917), ebd., S. 181 ff.; Adolf von Harnack, Friedensaufgaben, in: Erforschtes und Erlebtes. Reden und Aufsätze, N. F. IV Gießen 1923, S. 281 ff.; Max Sering, Staat und Gesellschaftsverfassung bei den Westmächten und in Deutschland, in: Die deutsche Freiheit. Fünf Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 71 ff.; Gustav Schmoller, Würde der Parlamentarismus für Deutschland oder Preußen richtig sein? (1917), in: 20 Jahre Politik. Aufsätze und Vorträge 1897–1917, München 1920, S. 187 ff.; Otto Hintze, Die Demokratisierung der preußischen Verfassung, in: Europäische Staats- und Wirtschaftszeitung vom 5. Juli 1917 (2. Jg.), S. 453 ff. 480 Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: Die deutsche Freiheit. Fünf Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 547; Die Reform des preußischen Wahlrechts (Dez. 1916), in: Politische Schriften und Reden, hrsg. und eingeleitet von Georg Kotowski, Darmstadt 1958, S. 153; Ernst Troeltsch, Der Ansturm der westlichen Demokratie, in: Die deutsche Freiheit. Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 111; Freiheit und Vaterland, in: Deutsche Politik III, 1 (1918), S. 73 f.; Hans Delbrück, Politische Korrespondenz vom 25. August 1917, in: Pr. Jbb., Bd. 169, S. 465; Fritz Stier-Somlo, Vom parlamentarischen Wahlrecht in den Kulturstaaten der Welt, Berlin 1918, S. 231; Otto Hintze, Imperialismus und deutsche Weltpolitik, in, Die deutsche Freiheit. Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 169. 481 Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: Die deutsche Freiheit. Fünf Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 547: „Wir wollen in Preußen nicht mehr von Korpsstudenten und Junkern regiert sein [. . .]“; Hans Delbrück, Die Neuorientierung, in: Pr. Jbb., Bd. 168 (1917), S. 354 und Politische Korrespondenz vom 25. August 1917, in: Pr. Jbb., Bd. 169, S. 465., Politische Korrespondenz vom 26. Oktober 1916, in: Pr. Jbb., Bd. 166 (1916), S. 346 f.: „Hat dieser Krieg wirklich gezeigt, dass die Masse der Gebildeten an politischem Instinkt der Volksmasse überlegen sei? Wo sitzen denn die Unruhestifter, die es mit ihrem patriotischen Gewissen vereinbar halten, mitten im Kriege das Volk gegen die Regierung aufzuregen?“; Max Sering, Staat und Gesellschaftsverfassung bei den Westmächten und in Deutschland, in: Die deutsche Freiheit. Fünf Vorträge, hrsg. vom Bund deutscher Gelehrter, Gotha 1917, S. 77. 482 Hans Delbrück, Die Neuorientierung, in Pr. Jbb., Bd. 168 (1917), S. 354 und Politische Korrespondenz vom 25. August 1917, in: Pr. Jbb, Bd. 169, S. 468; Friedrich Meinecke, Die Reform des preußischen Wahlrechts (Dez. 1916), in: Politische Schriften und Reden, hrsg. und eingeleitet von Georg Kotowski, Darmstadt 1958, S. 169.

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schon von Max Weber wurde auch in diesen Reihen das Erfordernis einer Gleichstellung der Frontsoldaten mit den Daheimgebliebenen betont.483 Ebenso wie Gerhard Anschütz erhoffte sich Max Weber von einer Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts die Schaffung einer breiten demokratischen Grundlage für die preußische Politik.484 Er versprach sich zudem von einer Wahlrechtsreform in Preußen in Hinblick auf die deutsche Außenpolitik eine politische Schwächung der dem Alldeutschen Verband nahestehenden Kreise.485 Schließlich wollte er auch eine politische Benachteiligung heimkehrender Kriegsteilnehmer gegenüber denjenigen ausschließen, die während des Krieges in der Heimat Gelegenheit hatten, von der Kriegskonjunktur zu profitieren und damit in eine höhere Wahlklasse einzurücken.486 Die Forderung nach einer Beteiligung des deutschen Volkes an der Politik hatte bei Weber Vorrang gegenüber allen Expansionsplänen.487 Im Weltkrieg bedeutete das an allererster Stelle innere Reformen und dann vielleicht äußere. Anders als bei Kohler und seinen Gesinnungsgenossen war für Weber die Durchführung innerer Reformen nicht nur das entscheidende Mittel zur Behauptung Deutschlands im Kriege, sondern auch das höchste Gebot für die Nachkriegszeit, ohne dessen Achtung er den deutschen Kampf im Weltkrieg völlig unabhängig von dessen Ausgang, als sinnlos erachtete.488 Nur wenige Gelehrte wie etwa Gerhart von SchulzeGaevernitz, Gerhard Anschütz, Hugo Preuß, Lujo Brentano und gegen Endes des Krieges auch Ernst Troeltsch stimmten Weber hinsichtlich beider Forderungen, d.h. der nach einer sofortigen Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und der nach einer Parlamentarisierung des Reiches zu.489 Wie Weber blieben alle diese Professoren auf dem Boden der monar483 Hans Delbrück, Politische Konferenz vom 21. April 1917, in: Pr. Jbb., Bd. 168, S. 330, 331 f. 484 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917), in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 247. 485 Max Weber am 8. Mai 1917 an Naumann, in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 472. 486 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917), in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 127, 224. 487 Max Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917), in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 300. 488 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917), in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 259 f. 489 Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Parlamentarismus und Krone, in: Deutsche Politik 3 (1918), S. 358 ff.; Gerhard Anschütz, Die preußische Wahlreform, Berlin 1917; Hugo Preuß, Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, in: Archiv

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chistischen Grundordnung des Reiches. Dies galt sogar für einen radikalen Pazifisten wie Friedrich Wilhelm Foerster, der von einem entschiedenen Eintreten für die Politik Wilsons trotz schwerster Anfeindungen nicht abließ. Daraus lässt sich schließen, dass es unter den deutschen Professoren offenbar keine Republikaner gegeben hat.490 Eine Reform des preußischen Wahlrechts und eine Beteiligung der parlamentarischen Parteien an der Regierung forderte auch die Mehrzahl der Anhänger der deutschen Friedensbewegung. Eine Beseitigung der Monarchie strebte man aber auch in ihren Reihen nicht an.491 Demokratie als pazifistische Forderung bedeutete nicht „Massenherrschaft“, sondern lediglich eine Methode bei der Auslese der politischen Führung, deren Kontrolle und eine engere Verbindung zwischen Regierung und Regierten.492 Kohler sprach sich gegen eine Parlamentarisierung des Reiches aus, die er als eine allzu künstliche Übertragung des englischen Regierungssystems auf die deutschen Verhältnisse erachtete. Die Herrschaft des Parlaments verurteilte er ebenso wie alle Gelehrte, die eine Beteiligung der Parteien an der Regierung ablehnten, als Parteienherrschaft.493 Kohler fürchtete angesichts der Parteienzersplitterung im Deutschen Reich eine Lähmung der Exekutive.494 Das parlamentarische System hielt er nur für Staaten wie für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik 44 (1917), S. 263 ff.; Lujo Brentano, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, Jena 1931, S. 334; Ernst Troeltsch, Anklagen auf Defaitismus (Anfang 1918), in: Deutsche Politik 2 (1917), S. 665. 490 Friedrich Wilhelm Foerster, Erlebte Weltgeschichte, Nürnberg 1953, S. 364. 491 Vgl. Gustav Adolf Lang, Die Kontroverse um Kriegsursachen und Friedensmöglichkeiten 1914–1919 im Rahmen der „Neuen Züricher Zeitung“. Ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung im geistigen Kampf des Ersten Weltkrieges, Diss. Zürich 1968, S. 70, 79 ff.; 90 ff. 492 Vgl. Friedrich Wilhelm Foerster, Politische Ethik und politische Pädagogik. Mit besonderer Berücksichtigung der kommenden deutschen Aufgaben, München 1918, S. 114; Alfred Hermann Fried, Mein Kriegs-Tagebuch, Band 3, Zürich 1919/20, S. 224; ders., Die Entgötterung der Regierungen, in: Die Friedens-Warte 19 (1917), S. 129 f. 493 Ähnlich wie Kohler auch Erich Jung, Die parlamentarische Entartung der Staatsgewalt im alten deutschen Reich, in: Deutsche Erneuerung, hrsg. von Houston Stewart Chamberlain, Bd. II, München 1918, S. 252; Parlamentarismus und Königtum, in: Deutschlands Erneuerung Bd. 1 (1917), S. 161 ff.; Max Wundt, Die deutsche Staatsauffassung, in: Deutschlands Erneuerung, Bd. II (1918), S. 201; Max von Gruber, Völkische Außenpolitik, in: Deutschlands Erneuerung, Bd. I (1917) S. 79. 494 Ähnlich wie Kohler auch Otto von Gierke, Unsere Friedensziele, Berlin 1917, S. 13; Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung (1917), in: Gesammelte Schriften I, Göttingen 1960, S. 92, 96; Otto Hoetzsch, Politische Wochenübersicht vom 19. August 1917, in: ders., Der Krieg und die große Politik, Bd. III, Leipzig 1917, S. 512; Georg von Below, Reform, S. 110; Erich Jung, Die parlamentari-

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England mit einer „starken Aristokratisierung“ der Volksvertretung und einer festen zwei Pole bildenden und „einen gewissen Turnus“ in der Regierung ermöglichende Parteigliederung für empfehlenswert. Ansonsten, führte er aus, würde die Monarchie „in die Netze der Demokratie“ verstrickt und ihr die „Erhabenheit über die Majoritätsherrschaft“, das „Uebergewicht des Geistes gegenüber den oft verderblichen Schlägen der blinden Parteileidenschaft“ genommen.495 Kohler wandte sich gegen die „einschnürende Weltherrschaft Englands“ und die „Plutokratie der Neuen Welt“.496 Wie viele andere verband er die Antithetik von deutscher Kultur und westlicher Zivilisation mit staatstheoretischen Gedanken und stellte den Unterschied von deutscher Monarchie und ausländischer Demokratie als Manifestationsform der behaupteten Antithetik von Kultur und Zivilisation dar. Wilsons Botschaft hielt Kohler die „ungeheure Kulturbedeutung“ der deutschen Monarchie vor gegenüber den „zersetzenden geisttötenden“ Ideen der französischen Revolution.497 Die gängige Auffassung von der Überlegenheit der deutschen Kultur implizierte üblicherweise auch eine Überlegenheit der deutschen Staatsform über die als Herrschaft der „tyrannischen und entweihten Massen“ charakterisierte Demokratie. In Entsprechung zu Thomas Mann und vielen anderen proklamierte Kohler einen Sieg der auf Autorität und Gehorsam aufgebauten Staatsform der Deutschen über die angebliche Willkürherrschaft der Massen in den westlichen Demokratien.498 Den demokratischen Forderungen der Westmächte hielt Kohler eine eigenständige deutsche Freiheitsauffassung entgegen.499 Der auch zum Repertoire deutscher Kriegsredner wie Meinecke, Troeltsch oder Sering500 gehörende Begriff der „deutschen Freiheit“ diente zur Abgrenzung von westlichen Demokratien und qualifizierte sich durch Pflichtbewusstsein, elementare Gemeinwohlorientierung und „Einordnung ins Ganze“.501 Die Besonderheit sche Entartung der Staatsgewalt im alten deutschen Reich, in: Deutsche Erneuerung, hrsg. von Houston Stewart Chamberlain, Bd. II, München 1918, S. 239. 495 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 286 f. 496 Josef Kohler, Der Papst als Friedensvermittler, in: Der Tag vom 29. August 1917. 497 Josef Kohler, Wilsons Botschaft, in: DJZ 22 (1917), Sp. 458. 498 Dazu im Allgemeinen Helmut Fries, Die große Katharsis, Band 2, Konstanz 1995, S. 88. 499 Josef Kohler, Wilsons Botschaft, in: DJZ 22 (1917), Sp. 458. 500 Vgl. Ernst Troeltsch, Die deutsche Idee von der Freiheit, in: ders., Deutsche Zukunft (Sammlung von Schriften zur Zeitgeschichte, Bd. 19), Berlin 1916, S. 23, 28; Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: ebd., S. 14–39; Max Sering, Staat und Gesellschaftsverfassung bei den Westmächten und in Deutschland, in: ebd., S. 40–78. 501 Vgl. Kurt Flasch, Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg, Berlin 2000, S. 93.

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deutscher Freiheit lag in der scheinbar widersprüchlichen Einheit von Freiheit und Gebundenheit.502 Zu den Verhetzungen seitens der Entente, führte Kohler aus, gehöre insbesondere auch „die ganze typische Weise“, wie in den feindlichen Staaten gegen das monarchische System und gegen die monarchische Organisation gewütet werde und man „in der unverständigsten Art“ von Militarismus und von Imperialismus spreche, wo es sich nur darum handle, dass das deutsche Volk nicht einem Weizenhaufen von aufgeschichteten Individuen gleichen wolle, sondern eine organisierte menschliche Gruppe bilde, in welcher gerade durch Abstufung, durch Unter- und Überordnung „Großes und Erhabenes“ geleistet werde.503 Dieses ethische Selbstwertgefühl führte bei Kohler zu der Schlussfolgerung, dass nur der deutsche Sieg die Grundlage einer schützenswerten Weltordnung bilden könne. Von den Gegnern einer Parlamentarisierung des Reiches wurden nicht nur praktische, sondern auch historisch-weltanschauliche Argumente angeführt. Eine Liberalisierung der deutschen Verfassung würde in den Augen der meisten Gelehrten zu einem Bruch mit der politischen Tradition des deutschen Reiches führen.504 Ebenso wurde an das Nationalgefühl appelliert. Dieses musste sich gegen die Übernahme „artfremder“ Institutionen wehren.505 Man fürchtete den Versuch der Westmächte, Deutschland durch demokratische Ideologie von innen her zu schwächen und zu zersetzen. Die Demokratisierung Deutschlands galt demnach als inneres Kriegsziel der Feinde.506 Otto von Gierke zufolge war sich Deutschland nur dann des Sieges sicher, wenn es dem Geiste treu bliebe, der es großgemacht hätte.507 Er plädierte des Weiteren dafür, sich nicht „amerikanisieren“ zu lassen.508 Max Wundt zufolge war zwischen dem deutschen und dem demokratischen Gedanken aber auch gar keine „wahre Vermittlung“ möglich.509 502

So etwa Friedrich Meinecke, Die deutsche Freiheit, in: ebd., S. 21–25, 28 f. Josef Kohler, Neutralität und Neutralitätsgesetze, in: DJZ 22 (1917), Sp. 627. 504 Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung (1917), in: Gesammelte Schriften I, Göttingen 1960, S. 99. 505 Dietrich Schäfer zufolge sollte man im deutschen Volke endlich damit aufhören, „am eigenen Leibe mit fremden Mittelchen herumzukurieren.“; Otto Hoetzsch, Politische Wochenübersicht vom 4. April 1917, in: ders., Der Krieg und die große Politik, Bd. III, Leipzig 1917, S. 308; Max Wundt, Die deutsche Staatsauffassung, in: Deutschlands Erneuerung, Bd. II (1918), S. 202. 506 Otto Hoetzsch, Politische Wochenübersicht vom 19. August 1917, in: ders., Der Krieg und die große Politik, Bd. III, Leipzig 1917, S. 512; Politische Wochenübersicht vom 12. Oktober 1917, in: ebd., S. 525. 507 Otto von Gierke, Krieg und Kultur, in: Deutsche Reden in schwerer Zeit, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt, Berlin 1914, S. 17. 508 Otto von Gierke, Unsere Friedensziele, Berlin 1917, S. 18. 509 Max Wundt, Die deutsche Staatsauffassung, in: Deutschlands Erneuerung, Bd. II (1918), S. 201. 503

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Das Verlangen nach einer starken Hand, der in Max Webers Vorstellungen von einem „caesaristischen Parlamentarismus“ und Meineckes Gedanken einer „Vertrauensdiktatur“ zum Ausdruck kam,510 erklang auch in Kohlers Ruf nach dem „großen Mann“, der nicht danach frage, „ob man den fremden Nationen das oder jenes antun dürfe.“511 Was Deutschland nottäte, schrieb Georg von Below, sei die „politische Energie, der handelnde Staatsmann, die unabhängige Persönlichkeit“.512 Auch Otto Hoetzsch, Dietrich Schäfer, Otto von Gierke, Erich Kaufmann, Erich Jung, Conrad Bornhak und Max Wundt513 konstatierten die zwischen Volk und Führung entstandene Vertrauenskrise. Der Gegensatz zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer sofortigen Durchführung der Wahlrechtsreform korrespondierte wie bei Kohler bei den meisten Professoren mit dem Gegensatz von Gemäßigten und Annexionisten in der Frage der äußeren Kriegsziele. Als Bethmann Hollweg am 13. Juli 1917 durch ein Zusammenspiel der Obersten Heeresleitung und der Reichstagsfraktionen gestürzt wurde, hofften Kohler und seine Gesinnungsgenossen, dass ein neuer Kanzler durch forsches Auftreten die Aufweichung der inneren Front beseitigen und den 510 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1917), in: Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. Auflage, Tübingen 1958, S. 162, 166 f., 212 f.; 221; Friedrich Meinecke, Die Reform des preußischen Wahlrechts (Dez. 1916), in: ebd., S. 164; Osterbotschaft, Wahlreform und parlamentarisches Regime (1917), in: ebd., S. 179. 511 Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. 512 Georg von Below, Die Reform des preußischen Landtagswahlrechts, in: Kriegs- und Friedensfragen, Dresden 1917, S. 131; Otto Hoetzsch, Politische Wochenübersicht vom 11. Juli 1917, in: ders., Der Krieg und die große Politik, Bd. II, Leipzig 1917, S. 437: Ein neuer Führer müsse ein in sich geschlossenes Kriegs- und Friedensprogramm ausarbeiten und durchsetzen. Ähnlich Richard Fester, Die Politik der Reichstagsmehrheit, Halle 1917, S. 27; Martin Spahn, Das preußische Wahlrecht und die künftige Stellung Preußens im Reiche, in: Hochland, 17 (Oktober 1918), S. 61: Charakteristisch auch das Thema einer Tagung junger Intellektueller auf Schloß Lauenstein im Herbst 1917: „Das Führerproblem im Staat und der Kultur“, vgl. Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, Heidelberg 1950, S. 611. 513 Otto Hoetzsch, Politische Wochenübersicht vom 18. Juli 1917, in: ders., Der Krieg und die große Politik, Bd. III, Leipzig 1917, S. 449; Georg von Below, Die Reform des preußischen Landtagswahlrechts, in: Kriegs- und Friedensfragen, Dresden 1917, S. 81 ff.; Dietrich Schäfer, Die Neuorientierung und des Vaterlandes Lage, in: Der Panther, 5 (1917), S. 640 ff.; 656; Otto von Gierke, Unsere Friedensziele, Berlin 1917, S. 10 ff.; Erich Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung (1917), in: Gesammelte Schriften I, Göttingen 1960; Conrad Bornhak, Das allgemeine Gemeindestimmrecht im Ausland, in: Konservative Monatshefte 75 (1917), S. 487 ff.; Der Parlamentarismus als Regierungsform, in: Konservative Monatshefte, 74 (Juli 1917), S. 737 ff.; Max Wundt, Die deutsche Staaatsauffassung, in: Deutschlands Erneuerung, Bd. II (1918), S. 201 ff.; Martin Spahn, Das preußische Wahlrecht und die künftige Stellung Preußens im Reiche, in: Hochland, 17 (Okt. 1918), S. 47 ff.

E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918)

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Willen zum Durchhalten bestärken werde. Unter dem Eindruck einer zunehmenden Radikalisierung des innenpolitischen Lebens in Deutschland, von blutigen Streiks und der nachlassenden Kriegsanstrengungen Österreich-Ungarns plädierte der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger im Juli 1917 im Deutschen Reichstag für eine Friedensresolution.514 Schon bald darauf verfasste eine Reichstagsmehrheit erstmals auf höchster politischer Ebene eine Resolution zu einem Verständigungsfrieden ohne Annexionen. Kohler stellte sich demgegenüber hinter einen durch den Tübinger Historiker Johannes Haller in Umlauf gebrachten Aufruf, der sich gegen die Friedensresolution des Reichstags wandte und dem vor dem Kriege gewählten und über seine Legislaturperiode hinaus tagenden Reichstag darüber hinaus das Recht bestritt, „den Volkswillen in unzweifelhafter Weise zum Ausdruck zu bringen.“ Mehr als 1000 Professoren und Dozenten – etwa ein Viertel der Gesamtzahl der deutschen Lehrstuhlinhaber – erklärten sich durch ihre Unterschrift mit diesem Text einverstanden.515 Unter der Urheberschaft Hans Delbrücks entstand am 10. Oktober 1917 eine Gegenadresse, die sich für einen Verständigungsfrieden aussprach, der auf der deutschen Friedensbotschaft vom 12. Dezember 1916 und der deutschen Antwort auf die päpstliche Friedensvermittlung beruhen sollte. Lediglich 49 Berliner Professoren – ein Viertel der Gesamtzahl des Lehrkörpers der FriedrichWilhelms-Universität – entschlossen sich zur Unterschrift, darunter Adolf von Harnack, Friedrich Meinecke und Ernst Troeltsch.516 Wie alle Siegfriedensanhänger wies Kohler pazifistische Ideen und Pläne völlig zurück. Während Gemäßigte wie Hans Delbrück das Bekenntnis der deutschen Links- und Mittelparteien zum Verständigungsfrieden als einen Sieg des Standpunktes politischer Mäßigung auffassten, sah Kohler in ihr nur ein Zeichen der Schwäche. Kohler war Durchhaltepolitiker. Er mahnte dazu, weiter auszuhalten. Möglicherweise wurde er durch seine eigenen Argumente, durch seine eigene federgewandte Kriegsrhetorik in der aus natio514 Vgl. Klaus Epstein, Matthias Erzberger und das Dilemma der deutschen Demokratie, Berlin/Wien 1976, S. 208 ff.; Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, Frankfurt a. M. 1997, S. 522. 515 Tägliche Rundschau vom 6. Oktober 1917; Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 261, 265; Abdruck der Erklärung auch bei Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 184 Nr. 23. 516 Kundgebung für den Verständigungsfrieden vom 14. Oktober 1917, abgedruckt bei Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 185 Nr. 24; Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewußtsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 47 f.

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naler Überzeugung und einem Gefühl der Staatsloyalität resultierenden Kriegszustimmung so bestätigt, dass seine Wahrnehmung der Realität beeinträchtigt wurde. Auch die päpstliche Note vom 1. August 1917 wies er zurück. Hatte er in der Vorkriegszeit noch die Bedeutung des Papsttums als Institut der Friedensvermittlung hervorgehoben,517 so warf er dem Papst nun vor, Gerechtigkeitserwägungen außer acht zu lassen und in einen „bedingungslosen Pazifismus“ zu verfallen. Als Verehrer des Katholizismus bedaure er tief, erklärte Kohler, dass die päpstliche Note in dieses Fahrwasser geraten sei.518 Der Papst, so Kohler, spreche von streitigen Gebietsfragen zwischen Deutschland und Frankreich, obwohl es, führte er aus, streitige Gebietsfragen in dem Sinn, dass auf Seiten Frankreichs „auch nur ein Schein von Recht“ sein könne, gar nicht gebe. Was unzweifelhaft sei, erklärte er, könne der Papst nicht als streitig erklären. Die „gehaltlosen Redensarten“ Frankreichs in bezug auf Elsass-Lothringen konnte man Kohler zufolge nicht auch nur im entferntesten ernst nehmen.519 Kohler hatte bereits in der Vorkriegszeit erklärt, die durch den deutsch-französischen Krieg herbeigeführten Änderungen müssten einfach akzeptiert werden, da der Krieg immer noch als eine regelmäßige völkerrechtliche Institution gelte. Sie seien, hatte er ausgeführt, rechtmäßig erfolgt, solange der Krieg als ein rechtbildendes Element im Völkerleben gelte. Ein Volk, welches dies nicht anerkennen wolle, stelle sich, so Kohler, außerhalb des Völkerrechts.520 Mit diesen Argumenten hatte Kohler bereits vor 1914 den Bereich moralischer Stringenz verlassen und war in einen Widerspruch geraten zu seiner eigenen Auffassung, das Geschichtlich Gewordene immer wieder durch die Idee der Vernunft und des Naturrechts zu korrigieren. Unabhängig von dem Annexionisten und Gemäßigten gemeinsam zugrunde liegenden Sicherheitsstreben lässt sich hinsichtlich der erstrebten Kriegsziele der beiden Gruppen zwischen zwei auf zwei verschiedenen außenpolitische Grundhaltungen beruhenden Richtungen differenzieren. Die 517

ZVölkR 1 (1907), S. 110. Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. 519 Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. „Endlich“, so brachte der Düsseldorfer Verleger C. Schaffnit seine Zustimmung zu Kohlers Zurückweisung eines Verständigungsfriedens zum Ausdruck, habe sich „eine kraftvolle mit klaren Verstandesgründen und sichtlichen Grundlagen ausgerüstete Stimme [. . .] für das Vaterland erhoben!“, C. Schaffnit am 10. Oktober 1917 an Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21; siehe auch die Schreiben C. Schaffnits vom 16. Oktober 1917, vom 21. Oktober 1917 und vom 1. November 1917, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21. 520 Josef Kohler, Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 1913, S. 602. Siehe auch den Artikel „Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede“, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. Nov. 1918, S. 1568, in dem Kohler ein Plebiszit für Elsass-Lothringen verlangte. 518

E. Kohler im Angesicht der militärisch-politischen Krise (1916–1918)

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Befürworter eines Verständigungsfriedens waren der Ansicht, dass der Krieg rein militärisch nicht zu gewinnen sei und es daher politischer Maßnahmen bedürfe, um zu einem ehrenvollen Frieden zu gelangen. Demgegenüber setzten Kohler und die Gruppe um Dietrich Schäfer und Reinhold Seeberg als Anhänger eines Machtfriedens ausschließlich auf militärische Erfolge und sprachen sich gegen jede Verhandlung mit dem Gegner aus. Im Folgenden soll untersucht werden, wie sich die Entwicklung der politisch-militärischen Lage auf die Gestaltung der Anschauungen Kohlers über die Kriegszielfrage auswirkte. Im Osten hatte sich die Lage seit der russischen Oktoberrevolution anscheinend grundlegend zu Gunsten des Deutschen Reiches gewandelt. „Es waren oft Stunden banger Erwartung und schwerer Bedrängnis“, so Kohler im März 1918. Die aktuelle Situation zeigte Kohler zufolge „das Aufsteigen des Morgenrots der deutschen Größe“, verstärkt durch die Ereignisse im Osten, welche einen Sieg Deutschlands verkündeten, wie man ihn niemals zu ahnen gewagt habe.521 Kohler glaubte wie die meisten seiner Zeitgenossen, dass Russland als Großmacht vorerst ausgespielt hätte. Die „schwere Gefahr des Ostens“ schien erst einmal beseitigt zu sein. Es sei, erklärte er, ein gewaltiger Schritt geschehen zur „Zertrümmerung der einheitlich russischen Macht, die wie ein Alp auf uns drückte [. . .] das Reich Peter des Großen wird uns nicht mehr überrennen.“ Wenn sich auch später aus den einzelnen Teilstaaten eine Art von Staatenbund bilde, so werde er doch nie mehr die zusammengeballte „tyrannische Gewalt“ des russischen Reiches in sich fassen.522 Den Friedensschluss der Mittelmächte mit der Ukraine bezeichnete Kohler als eine „welthistorische Tat“. Dabei wies er insbesondere auf die wirtschaftlichen Folgen hin. Wie viele Deutsche hoffte er, dass das Erzbergersche Wort von der Ukraine, die die Brotkarte in Deutschland überflüssig machen werde, wahr würde.523 Die Ukraine, erklärte er, sei nicht nur die Kornkammer Russlands, sondern außerdem reich an sonstigen wirtschaftlichen Produkten, Kohle und Eisenerz.524 Sein hauptsächliches Interesse aber richtete sich auf Kurland, das über eine alteingesessene deutsche Oberschicht verfügte und ihm daher geeignet schien, auf Dauer „preußische Provinz“ zu werden. Kurland, betonte er, habe sich bereit erklärt, nicht nur 521 Josef Kohler, Der Friede im Osten, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 24. März 1918. 522 Josef Kohler, Der Friede mit der Ukraine, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 17. Februar 1918; siehe auch Der Friede im Osten, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 24. März 1918. 523 Dazu im Allgemeinen Michael Salewski, Der Erste Weltkrieg, Paderborn/ München u. a. 2003, S. 283. 524 Josef Kohler, Der Friede mit der Ukraine, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 17. Februar 1918.

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ein eigenes Herzogtum zu bilden, sondern auch dies im Anschluss an Deutschland tun zu wollen. Kohler hoffte, dass auch Livland und Estland nachfolgen würden und in diesen Gebieten „ein neues Bollwerk deutschen Wesens“ entstünde.525 Als Mitte Juli 1918 die deutsche Offensive an der Marne begann, verbreitete Kohler ungebrochene Siegeszuversicht. „Wilsons prahlerische Friedens- und Freiheitsarmee“, verkündete er, sei „auch heute noch“ kaum mehr als ein „Truggespenst“, mit dem man die sinkende Stimmung in Frankreich und England aufzupeitschen versuche. Seiner Ansicht nach sollte sich erfüllen, „was wir bei Beginn des Krieges alle dachten“: Wenn es irgendwie eine Gerechtigkeit in der Weltgeschichte gebe, so würde Deutschland siegen. Mochte die Weltgeschichte in kleinen Dingen mitunter ihre eigenen Bahnen gehen, davon war Kohler überzeugt, in allem Großen war sie gerecht.526 Eine öffentliche Erklärung, mit der sich das Reich zur Freigabe Belgiens verpflichtete, befürwortete Kohler auch nun nicht, sondern wollte es als „Faustpfand“ bei künftigen Friedensverhandlungen verwandt sehen; d.h. Deutschland sollte es bis zum Abschluss des Friedens besetzt halten, als „Druckmittel, um von dem Feinde die Bedingungen zu erlangen, die wir als sachgemäß und unseren Interessen wünschenswert erachten.“527 Hier manifestierte sich noch einmal seine bereits im Mai 1918 bekräftigte Haltung zu Annexionen: „Die Floskel von dem Frieden ohne Annexion und ohne Entschädigung ist glücklicherweise längst zerflossen; sie war ein Erzeugnis der Kleinmütigkeit der Bethmannschen Periode, aus einer Zeit, der die Zuversicht und Siegesgewissheit fehlte, die uns heutzutage beseelt und die uns niemals hätte fehlen sollen.“528 Seit dem September 1918 rückte der Siegfriede in immer weitere Ferne. Kohler klammerte sich bis in die letzten Wochen des Krieges an seine Siegeshoffnungen. Die Gründe für die Entstehung der Herbstkrise sah er sowohl auf politischem als auch auf militärischem Gebiet. Zum einen hielt er die Lage noch für eine Mitgift aus der Regierung Bethmann Hollwegs,529 zum anderen machte er für die Situation im Westen den Umstand mitverantwortlich, dass man während der Kämpfe im Osten dem Westen nur ungenügende Kräfte hätte zuleiten können.530 Wie wenig Kohler ungeachtet 525 Josef Kohler, Der Friede im Osten, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 24. März 1918. 526 Josef Kohler, „Schuld und Sühne im Weltkrieg“, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1300. 527 Josef Kohler, Belgien als Faustpfand, in: Der Tag vom 18. August 1918. 528 Josef Kohler, Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918. 529 Josef Kohler, Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. 530 Josef Kohler, Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1299 f.

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der militärischen Lage von seinen Grundüberzeugungen abwich, zeigen seine letzten Artikel. „Der Friede“, so Kohler noch in einem am 3. Oktober 1918 erschienenen Artikel – wohlbemerkt dem Tag, an dem die erste deutsche Friedensnote an Wilson abging –, trete erst ein, wenn Deutschlands Feinde militärisch, wirtschaftlich und finanziell so sehr herabgedrückt seien, dass sie nichts anderes mehr könnten, wenn sie zur Erkenntnis gelangten, dass ihre „törichten Absichten“, die deutsche Front zu durchbrechen, an der Hindenburgschen Strategie531 zerschellen müssten. Verhandlungen mit Wilson hielt Kohler nach wie vor für ein Zeichen der Schwäche.532 Die Politik eines „Phantasten wie Czernin“, der 1917 als Außenminister Österreich-Ungarns einen Vorstoß zu einem Verständigungsfrieden unternommen hatte,533 hoffte Kohler, möge „hoffentlich bald begraben“ sein, ebenso wie die Politik „eines Kühlmann“.534 Staatssekretär des Äußeren Richard von Kühlmann, der bereits im Herbst 1917 versucht hatte, Sonderfriedensverhandlungen mit Großbritannien aufzunehmen und dabei eine Erklärung über die Wiederherstellung der belgischen Souveränität in Aussicht gestellt hatte,535 wollte Ende Juni 1918 in einer Rede vor dem Reichstag die Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit eines Verständigungsfriedens vorbereiten, weil er kaum noch Möglichkeiten für das Reich sah, den Krieg militärisch für sich zu entscheiden.536 Unterlag Kohler in seinem strikten Festhalten an der Machtfriedenstheorie auch der Gefahr, die Wirklichkeit gänzlich aus den Augen zu verlieren, so blieb er mit seiner Haltung doch authentischer Vertreter der Ideen von 1914. Er plädierte weiterhin dafür, den Krieg auszufechten, der alle Kriege beenden sollte. Sein anhaltendes Vertrauen in Heer und Obrigkeit und einen „gerechten Gang“ der Weltgeschichte, lässt sich als uneinsichtig deuten, aber auch als pflichtgemäß im Verständnis jener Zeit. Diese Haltung gründete in einem bürgerlichen Reichsnationalismus, der sich dem Staat als sittlicher Größe im lu531 Zum Hindenburg-Mythos vgl. zusammenfassend Harald Zaun, Paul von Hindenburg und die deutsche Außenpolitik 1925–1934, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 66–71. 532 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 533 Vgl. Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 517. 534 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 535 Vgl. Wolfgang Steglich, Die Friedenspolitik der Mittelmächte 1917/18 Band 1, Wiesbaden 1964, S. 189 ff.; 207 ff. 536 Der Sturm der Entrüstung, den deutschnationale Abgeordnete daraufhin entfachten, zwang von Kühlmann am 9. Juli 1918 zurückzutreten. Die OHL hatte zuvor schon auf Kühlmanns Ablösung gedrängt, vgl. Ralf Berg, „Richard von Kühlmann“, in: NDB, hrsg. von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 13. Band Krell-Laven, Berlin 1982, S. 190.

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therischen wie im Hegelschen Sinn gegenüber zu Loyalität verpflichtet fühlte. Ihr zufolge garantierte allein der Staat die „höchsten Lebenswerte“ Recht, Religion und Kultur.537 Prinz Max von Baden wurde am 3. Oktober 1918 zum Reichskanzler ernannt.538 Am selben Tag ging die erste deutsche Friedensnote an Wilson heraus.539 Dabei wurde auf das Friedensprogramm der „Vierzehn Punkte“ als Basis der Verhandlungen verwiesen. „Wir Deutschen sind [. . .] staats-, königs- und kaisertreu [. . .]“, ließ Kohler verlautbaren.540 Seit Anfang 1918 kursierte das Thema Völkerbund in der deutschen Publizistik. Der bis dahin kaum verwandte, auf Kant zurückgehende Begriff Völkerbund hatte sich seit 1916 zum Bestandteil des allgemeinen Sprachgebrauchs entwickelt. Wie den meisten Deutschen 1918 erschien Kohler der tatsächlich geschaffene Völkerbund als ein Bund der Siegermächte zur Sicherung ihres im Kriege erkämpften Besitzstandes und der durch den Sieg geschaffenen Machtverhältnisse.541 Lag nicht die Gefahr nahe, dass sich Deutschland vollends dem Sieger auslieferte, während noch ungeklärt war, ob die Wilsonschen Punkte Grundsätze eines internationalen Neubeginns oder Chiffren eines machtpolitischen Vollzuges des Siegers sein würden? Die Aktualisierung des Themas Völkerbund führte bei Kohler bis an den Rand emotional bestimmter, polemisch gefärbter Argumentation. An einen allgemeinen Völkerbund zu denken, an eine Abrüstung in der Czerninschen Weise, bezeichnete Kohler als gänzlich unpolitisch, da dies, wie er meinte, den deutsch-österreichischen Interessen völlig widerstreite. Insbesondere ein Bündnis mit der englisch-französisch-italienischen Trias hielt er für vorerst unmöglich. Zu einem guten Teil vollzog sich Kohlers Polemik unter der Wiederaufnahme von Argumenten, die bereits in den früheren Jahren die Diskussion bestimmten, wie dem sittlichen Abstand zwischen den Mittelmächten und der Entente und einem etwaigen angelsächsischen Hegemoniestreben hinter der Maske eines allverneinenden 537 Vgl. Werner K. Blessing, Universität im Krieg. Erlanger Schlüsseljahre im 19. und 20. Jahrhundert, in: Karl Strobel (Hrsg.), Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert, Vierow 1994, S. 56; Christian Jansen, Professoren und politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914–1935, Göttingen 1992. 538 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte. Band 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 864. 539 Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918. Auf Grund der Akten der Reichskanzlei, des Auswärtigen Amtes und des Reichsarchivs, hrsg. vom Auswärtigen Amt und vom Reichsministerium des Innern, Berlin 1924 Nr. 34, S. 74. 540 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 541 Josef Kohler,Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918.

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Bundes. Auch die gegen England gerichtete Frontstellung trat noch einmal scharf hervor. Man habe Erfahrung genug gemacht mit der heuchlerischen Taktik Englands, welches unter dem Schein der Befreiung eine Welttyrannei anstrebe, erklärte Kohler, man habe genug von der scheinheiligen Manier der Vereinigten Staaten, die unter dem Scheine der Demokratie die ärgste Despotie übe. Kohler warnte davor, sich Illusionen hinzugeben und „zerfahrene Gemütspolitik“ zu betreiben. Erst wenn ein Jahrhundert vergangen sei, meinte er, könne man die Frage eines Völkerbundes wieder aufwerfen und vielleicht von Abrüstung sprechen.542 Seit dem aufsehenerregenden Bekenntnis des österreichischen Außenministers Czernin zur Abrüstung im Oktober 1917 war das Thema Abrüstung wieder in die Diskussion gelangt. Dieses Postulat der Friedensbewegung erschien Kohler jedoch angesichts der Furcht vor dem Revanchewillen der Unterlegenen543 und des Misstrauens in den Hegemonialwillen des anderen als kaum realisierbar.544 Wie die meisten deutschen Gelehrten mit Ausnahme der Völkerbundprotagonisten Walther Schücking, Heinrich Lammasch, Philipp Zorn, Hans Wehberg, Franz von Liszt oder Ludwig Quidde teilte auch der Berliner Völkerrechtler Heinrich Triepel Kohlers Haltung zum Völkerbund. Auch er befürchtete, „der Friedensverein“ würde so eingerichtet, dass in ihm die angelsächsischen Staaten die Führung besäßen, dass dagegen Deutschland und was ihm anhänge, dazu verurteilt sei, „für immer eine Minderheitspartei zu bilden.“545 In besonders polemisierender Weise äußerte sich Kohler noch Anfang Oktober, an dem Tag, an dem die erste deutsche Friedensnote an Wilson versandt wurde, gegen die Idee eines Völkerbundes. Kohler richtete sich damit auch gegen den österreichischen Völkerrechtler Heinrich Lammasch, der 1918 Kanzler von Österreich werden sollte und in der Idee eines Völkerbundes und der Einschränkung des Rechts zum Kriege eine vordringliche Aufgabe des Völkerrechts in der Nachkriegzeit sah.546 Gegen seine (Kohlers) wenige Tage zuvor schon einmal geäußerte ablehnende Haltung zum Völkerbund, leitete Kohler ein, sei „natürlich alsbald“ Lammasch aufgetreten „mit einer Bemerkung über das Unfehlbarkeitsgefühl gewisser Ber542

Josef Kohler, Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918. Ebenso R. Leonhardt, Neue Grundlagen des Völkerrechts, in: Recht und Wirtschaft, Dezember 1914, S. 279–282. 544 Ebenso Rudolf von Laun, Der internationale Staatenverband, in: Der Friede vom 5. April 1918, S. 250–252. 545 Heinrich Triepel, Der Völkerbund, in: Daheim 55 (1918), Nr. 2 vom 12. Oktober 1918, S. 9; Die Freiheit der Meere und der künftige Friedensschluss, Berlin 1917, S. 16. 546 Heinrich Lammasch, Das Völkerrecht nach dem Kriege, München/Leipzig 1917, S. 172–191. 543

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liner Kollegen“ und der „alten, oft gebrachten Wendung“ vom Bündnis der Völker, „etwas modernisiert, aber nicht anziehender geworden durch einige Ingredienzen aus der Betrachtung der heutigen Weltlage.“547 Im Folgenden grenzte sich Kohler einerseits von der Anfang September 1917 in Königsberg gegründeten Deutschen Vaterlandspartei ab, deren maßgebliche Vertreter Wolfgang Kapp, Admiral Alfred Tirpitz, Dietrich Schäfer, Eduard Meyer, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Johannes Haller und Reinhold Seeberg bis zuletzt vehement vor einer Politik des Entgegenkommens gegenüber den Westmächten warnten,548 brachte andererseits aber seine Solidarität mit der Obersten Heeresleitung zum Ausdruck. Zugleich wird deutlich, dass Kohler bis zuletzt an den Ideen von 1914 festhielt: „Nicht eine bestimmte Vaterlandspartei ist es, die aus uns spricht, sondern das Bewusstsein, das wir, gleich Hindenburg, in der Seele tragen, dass Deutschland unüberwindlich ist und dass in der deutschen Kultur die Zukunft der Menschheit liegt [. . .] wir wissen“, hieß es weiter, dass, „wenn Deutschland in den Abgrund fällt, in den es seine Feinde versenken wollen, eine Götterdämmerung über die Menschheit hereinbricht und es mit Wissenschaft, mit Forschung, mit Ethik, mit Geradheit und Ehrlichkeit zu Ende ist.“549 Im Rahmen der Völkerbunddiskussion distanzierte sich Kohler nun seit Juli 1918 explizit von seiner in der Vorkriegszeit,550 aber auch noch 1917 vertretenen Ansicht,551 die Souveränität der Staaten einzuschränken, die als tragende Säule des gesamten Systems des klassischen Völkerrechts für jeden Staat das Recht zum Kriege begründete. „Wir sollen“, empörte er sich, „uns mit unseren Feinden nicht bloß verständigen, sondern mit ihnen einen Friedensbund abschließen, indem wir auf gewisse Selbständigkeitsrechte verzichten; mit Feinden, die [. . .]. Mit jenem England, das schon beim Kriegsbeginn es über sich brachte, die von Amerika kommenden Deutschen feige abzufangen und sie in das Gefangenenlager zu bringen – ein Vorgang, in dieser Art unerhört in der Geschichte der Völker – Mit Frankreich, das unsere Gefangenen mit unerhörter Barbarei behandelt, sie quält, martert, mit Unrat übergießt, in ungesunde Himmelsstriche verbringt, sie der Bruta547

Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober

1918. 548 Vgl. Heinz Hagenlücke, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende des Kaiserreiches, Deutschland 1997, S. 143–164. 549 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 550 Josef Kohler, ZVölkR 1 (1907), S. 497; Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin, Anfang 1914, S. 254; Die Friedensbewegung und das Völkerrecht, in: ZVölkR 4 (1910), S. 135; Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin 1909, S. 209, 211. 551 Josef Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917, S. 345.

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lität der Schwarzen überantwortet, den Verwundeten die Pflege versagt – [. . .] Mit den Vereinigten Staaten, mit jenem unerhört scheinheiligen Lästerer [. . .]“.552 Kohler mahnte dazu, mehr als je auf dem Gedanken der Souveränität zu beharren.553 Ebenso erhob er sich gegen Lammaschs Überlegungen, man müsse das Recht zum Kriege einschränken. Hier zeigt sich deutlich, wie sehr Kohler – und das war, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, vor Kriegsausbruch nicht anders – dem klassischen Völkerrecht verhaftet war, das eben keine allgemeinen Rechtsnormen kannte, die den Völkern die Pflicht auferlegten, den Frieden zu erhalten, das gar nicht den Versuch unternahm, den Krieg als solchen aus dem Völkerleben zu verbannen, ihn vielmehr lediglich „hegen“, d.h. eingrenzen wollte. Noch auf den Haager Friedenskonferenzen war man von dem Standpunkt ausgegangen, dass jeder souveräne Staat nach seinem Ermessen jederzeit – aus welchem Grunde auch immer – zum Krieg schreiten dürfe (ius ad bellum). Auch Kohlers Pazifismus vor 1914 war, wie ebenfalls bereits an anderer Stelle ausgeführt, insoweit nur ein sehr gemäßigter, relativer gewesen. Hier bestätigte sich Kohlers bereits vor dem Krieg554 geäußertes Bekenntnis zum Krieg als der ultima ratio der Politik: „Wir Deutschen sind zu sehr diszipliniert, zu staats-, könig- und kaisertreu; wir wissen, dass wir zum Kriege nur gerufen werden, wenn es die staatliche Notwendigkeit erfordert: dann werden wir aber auch kommen und unsere Staatspflicht mit Freude erfüllen.“555 Kohlers Haltung spiegelt eine unkritische Gutgläubigkeit gegenüber der Staatsmacht wider, ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens in den monarchischen Staat. Sein Verdikt über den Völkerbund kann wohl nur aus der ungeheuren Erschöpfung und Enttäuschung erklärt werden, die mit dem ganzen Volk auch ihn erfasst hatte.556 Anstatt sich für den Völkerbund einzusetzen, plädierte Kohler für ein engeres Zusammenwirken der Völker Mitteleuropas, wobei Mitteleuropa auch 552

Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober

1918. 553 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 554 Josef Kohler, Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 192; 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 283; dann auch: Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918, S. 11. 555 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 556 „Für Ihre Worte über ‚Völkerbund usw.‘ im heutigen Tag danke ich Ihnen herzlich“, so der Leserbrief des Berliner Pfarrers Lic. Schettler, Berlin, vom 3. Oktober 1918 an Kohler, Nachlass Kohler, Briefwechsel, Ordner 21: „Es tut wohl in dieser Zeit, in der die politische Unvernunft Orgien feiert, das Wahre wenigstens gesagt zu hören, wenn auch wenig Aussicht ist, damit der Verblendung zu wehren. Pereat Germania, wenn nur das sozialistische Prinzip triumphiert. Es ist zum Heulen.“

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bei Kohler ein diffuser, weder geographisch noch politisch noch kulturell eindeutig zu verortender Begriff blieb. So hielt er für „möglich und ergiebig“, dass sich einzelne Völker, welche durch ihre gemeinsamen Interessen und durch die Wege ihres Schicksals zusammengeführt würden, näher miteinander verbänden, ihre gegenseitigen Belange anerkennten, sich wechselseitig unterstützten und namentlich auch ihre wirtschaftlichen Verhältnisse „in einer beiderseits förderlichen Weise“ regelten.557 Dabei ging Kohler ähnlich wie Franz von Liszt oder Friedrich Naumann von der Existenz verschiedener Interessengruppen aus. Der Gedanke, die Erde aufzugliedern in mehrere geographisch zusammenhängende, kulturell verwandte, sich politisch und wirtschaftlich ergänzende Regionen trug dem Zerreißen aller internationalen Bindungen durch den Krieg Rechnung. Die Bildung autarker Regionen sollte Spannungen vorbeugen und die Staaten an die übernationale Zusammenarbeit gewöhnen. Mit dem weiteren Ausbau dieser Gruppen, deren Glieder aufgrund gleicher Interessen ohnehin zueinander gravitieren, sah Kohler in einer Verbindung der Mittelstaaten den Kern einer künftigen Staatenordnung. Deutschland und Österreich-Ungarn konnten seiner Ansicht nach nur in gemeinsamer, enger Verbindung miteinander „ihre Lebenskräfte entwickeln.“ Deutschland, das seine Stellung als Großmacht allein nicht behaupten konnte, sollte aus seiner Isolierung befreit werden. Kohler dachte einmal an eine Festigung der zwischen dem Reich, der Doppelmonarchie und der Türkei geknüpften Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ziel einer gemeinsamen Expansion in Richtung auf den Persischen Golf. Seine Pläne bezogen außer der Tükei aber auch Bulgarien, die Ukraine, Finnland, Persien und Indien ein. Selbst eine Einbeziehung Japans und Chinas hielt er nicht für ausgeschlossen.558 An die Stelle eines umfassenden und formalen sollte Kohler zufolge somit der selektive, weil sachgebundene Internationalismus natürlicher Interessengemeinschaften treten. In der Frage der genauen staats- und völkerrechtlichen Position dieser Verbindung hielt sich Kohler zurück. Die Gedanken Kohlers waren nicht sehr originell. Sie lehnten sich zum Teil an den sogenannten Berlin-Bagdad-Plan an, der kontinentale und maritime Expansionspläne miteinander verband. Es handelte sich dabei um den Gedanken einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft, die die Mittelmächte und die Türkei umfassen und dem wirtschaftlichen Betätigungsdrang Deutschlands ein hinreichend großes Feld im Nahen Osten erschließen sollte. Dieses Programm fand bei den verschiedensten Professoren von dem alldeutschen Karl von Amira bis zu Otto Hoetzsch und Hans Delbrück Anklang.559 Zugleich konnte das Deutsche Reich auf diese Weise in die 557 558

Josef Kohler, Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918. Josef Kohler, Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918.

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Rolle der Schutzmacht der Mohammedaner schlüpfen, nachdem man sich zu Beginn des Krieges der machtpolitischen Bedeutung des Islam bewusst geworden war.560 Es sei keine Frage, so Kohler, dass man sich dem heiligen Kriege des Islam als freundschaftlich Beteiligte zugesellen müsse. Dabei wolle man der Türkei Kulturunterstützung gewähren, um nach allen Seiten hin die Islamstaaten zu heben und ihnen das zu geben, was ihnen noch fehle: Eisenbahnen, Kanäle, rationelle Landwirtschaft, Handel, Wissenschaft, Technik, Volkswohlstand und ein gesegnetes Städteleben. Auf diese Weise werde man, führte Kohler aus, dem Menschen- und Kapitalstrom Deutschlands die beste und fruchtbringendste Expansion gewähren und nach der Verdrängung der Feinde des Reiches in der Freundschaft der Türkei zugleich eine neue Stätte deutschen Kulturlebens finden.561 Der BerlinBagdad-Plan stellte die Erweiterung des Plans eines vereinigten Mitteleuropa dar und ähnelte im Grundkonzept den Konzeptionen Friedrich Naumanns. Naumann hatte sich in seinem 1915 erschienenen, sehr erfolgreichen Buch Mitteleuropa für ein dauerhaftes Bündnis mit Österreich-Ungarn und den Zusammenschluss mit weiteren Staaten in Ost- und Südosteuropa ausgesprochen.562 Unter den Vorläufern dieser Idee finden sich auch einige Wissenschaftler. Die Hoffnung auf eine engere Verbindung der Zweibundmächte für die Nachkriegszeit war schon bald nach Kriegsausbruch in 559 Siehe Karl von Amira, Nach dem Krieg, in: Liebesgaben aus dem deutschen Reiche, Beilage zur Österreichischen Rundschau, 42 (1915), S. 9; Hans Delbrück, Bismarcks Erbe, Berlin 1915, S. 206 ff.; Otto Hoetzsch, Weltpolitische Konzentration, in: ders., Politik im Weltkrieg. Historisch-politische Aufsätze, Bielefeld/Leipzig 1916, S. 154. Auch Erich Marcks setzte große Hoffnungen auf die „Zukunftswirkung“ des deutsch-türkischen Bündnisses, das zu einer mitteleuropäischen kleinasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft führen könnte, siehe Erich Marcks, Der Imperialismus und der Weltkrieg, Leipzig 1916, S. 21; ebenso Martin Spahn, Im Kampf um unsere Zukunft, Mönchengladbach 1915, S. 38; Hermann Oncken, Das alte und das neue Mitteleuropa, Gotha 1917, S. 110 ff. als Interessengemeinschaft, nicht als Ausdehnung des deutschen Herrschaftsbereiches. Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 63; Erich Marcks, Der Imperialismus und der Weltkrieg, Leipzig 1916, S. 21; Max Lenz, Bismarck und die deutsche Idee; der Weltkrieg im Spiegel Bismarckscher Gedanken, in: Das Bismarckjahr, hrsg. von Erich Marcks und Max Lenz, Hamburg 1915, S. 13 f. 560 Vgl. Josef Kohler, Die Zukunft des Islams, in: Der Tag vom 14. August 1915; Das Recht des Islams, in: Vossische Zeitung vom 20. Juni 1915; Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 63. 561 Josef Kohler, Der heilige Krieg, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern, Berlin 1915, S. 15 f. Siehe auch Hans Delbrück, Bismarcks Erbe, S. 210: „Wir bedürfen des osmanischen Reiches, weil wir eine Aufgabe haben müssen.“ 562 Friedrich Naumann, Mitteleuropa, Berlin 1915.

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mehreren Professorenschriften, z. B. bei Erich Marcks und Harry Bresslau, angeklungen. Im Spätherbst 1914 erschien dann eine Schrift des Berliner Strafrechtlers Franz von Liszt, die sich ausdrücklich für die Schaffung eines mitteleuropäischen Staatenbundes aussprach.563 Während des Krieges wurde Deutschland von ähnlichen Projekten geradezu überhäuft.564 Die Publizisten Ernst Jäckh und Paul Rohrbach machten die von ihnen herausgegebene Zeitschrift „Deutsche Politik“ zum Forum einer weit ausgreifenden Mitteleuropapropaganda.565 Bereits in der Vorkriegszeit gab es ähnliche Projekte, die sich bis 1862 zurückverfolgen lassen.566 Kohlers Beweggründe waren vor allem politischer Natur. Die Umsetzung seiner Idee hätte für das Deutsche Reich ein indirektes Mittel zur Kontrolle Europas mit Hilfe der Wirtschaft bedeutet und die einzige Möglichkeit, die Sicherheit des Reiches zu erhöhen, ohne auf übermäßige Annexionen, die den Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung Deutschlands noch weiter erhöht hätten, zurückgreifen zu müssen. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass sich Deutschland von der Allianz zwischen Frankreich, Großbritannien und Russland bedroht und eingekreist fühlte. Kohlers Pläne bargen zugleich aber auch durchaus „imperiale“ Intentionen. Ein derartiges Staatensystem, prophezeite Kohler, würde eine der gewaltigsten Mächte bilden, welche die Geschichte kenne, insbesondere wenn noch die Verhältnisse zu den baltischen Randstaaten, zu Litauen und Polen eine ergiebige Lösung gefunden hätten.567 Die Union sollte Kohler zufolge jedoch auf freiwilliger Kooperation beruhen. Ein engerer Anschluss „in dieser Völkergruppe, nicht in dem Sinne einer die Völkerindividualitäten bedrängenden Zusammenschweißung, sondern unter Wahrung einer jedem Volke zukommenden Freiheit“, war Kohler zufolge ein „aufs innigste“ zu wünschendes „Ideal“. Seiner Ansicht nach würde es sich dabei nicht um Unterdrückung handeln, nicht um eine gegenseitige Ausbeutung, sondern darum, dass jedem Volk die Hilfsmittel geboten würden, seine Kultur in der ihm eigenen Art zu ent563 Franz von Liszt, Ein mitteleuropäischer Staatenbund als nächstes Ziel der deutschen auswärtigen Politik (Zwischen Krieg und Frieden, Heft 2), Leipzig 1914. 564 Vgl. Henry Cord Meyer, „Mitteleuropa“ in German Thought and Action 1815–1945, Den Haag 1955, S. 141; Jürgen Frölich, Friedrich Naumanns „Mitteleuropa“. Ein Buch, seine Umstände und seine Folgen, in: Friedrich Naumann und seine Zeit, hrsg. von Rüdiger vom Bruch, Berlin/New York 2000, S. 259 ff. 565 Siehe Wolfgang J. Mommsen, Die Mitteleuropaidee und die Mitteleuropaplanungen im Deutschen Reich vor und während des Ersten Weltkrieges, in: Mitteleuropakonzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan/Anna M. Drabek/Bettina Zaar, Wien 1995, S. 19. 566 Vgl. Jahrbuch für Geschichte 15 (1977); Henry Cord Meyer, „Mitteleuropa“ in German Thought and Action 1815–1945, Den Haag 1955, S. 117 ff. 567 Josef Kohler, Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918.

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wickeln.568 In den Reihen der Friedensbewegung stieß die Mitteleuropaidee auf nahezu geschlossenen Widerspruch. Sie lief nach pazifistischer Ansicht auf einen gegen die übrigen Völker gerichteten „Schützengraben-“ und Wirtschaftsbund hinaus, bei dessen Bildung man „schon frivol mit neuen Weltkriegen“ rechne.569 Das Projekt mit seiner unverhohlenen „anti-englischen Spitze“ würde Schücking zufolge die Rivalität zwischen den Weltmächten eher verschärfen denn beseitigen.570 Erst Ende Oktober 1918 begriff auch Kohler, dass der Krieg verloren war. Er unterstützte gemeinsam mit der gesamten Professorenschaft der Berliner Universität eine von Gustav Roethe angeregte und von Ernst Troeltsch verfasste Kundgebung, die das deutsche Volk zur inneren Einheit der Nation und zur Unterstützung der Regierung des Prinzen Max von Baden aufforderte.571 Der Aufruf ermahnte dazu, alle Gegensätze verstummen zu lassen und sich in den Dienst der parlamentarisch-demokratischen Neuordnung zu stellen. Die Unterstützung der neuen Regierung, hieß es, sei der einzige Weg, „damit unser Vaterland, Kaiser und Reich unversehrt bleiben“. Mit einem Frieden der „Vergewaltigung, der Demütigung und der Verletzung seiner Lebensinteressen“ werde sich das deutsche Volk „nie und nimmermehr“ abfinden. Wenn Kohler nun zu Zugeständnissen bereit war, so geschah dies nicht so sehr aus innerer Überzeugung als vielmehr in Anpassung an die weltweite demokratische Strömung, dergegenüber ihm ein starres Festhalten an der überkommenen Verfassungsform inopportun erschien. Er ging ebenso wie die übrigen Unterzeichner davon aus, dass die Parlamentarisierung des Reiches eine unumgängliche Voraussetzung für einen halbwegs erträglichen Frieden darstelle. Die parlamentarische Demokratie gewann so die Funktion eines „Rettungsankers“.572 Kohler war also wie viele andere deutsche Gelehrte letztlich nur ein Vernunftdemokrat. Ebenso wie die deutsche Regierung hoffte Kohler nun auf den Abschluss eines „Gerechtigkeitsfriedens“.573 Am 20. Oktober 1918 war die deutsche Antwortnote auf die zweite Note Wilsons herausgegangen. Die deutsche 568

Josef Kohler, Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918. Kritisches zu „Mitteleuropa“, in: Die Friedens-Warte 18 (1916), S. 43–46. 570 Walther Schücking, Der Dauerfriede. Kriegsaufsätze eines Pazifisten, Leipzig 1917, S. 72. 571 „Gegen einen Frieden der Vergewaltigung“ vom 21. Oktober 1918, abgedruckt bei Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 236 Nr. 32. 572 Theodor Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, in: ders., Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963, S. 44. 573 Josef Kohler, Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568. 569

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Regierung, hieß es darin, vertraue darauf, dass der Präsident der Vereinigten Staaten keine Forderungen gutheißen werde, die „mit der Ehre des deutschen Volkes und mit der Anbahnung eines Friedens der Gerechtigkeit unvereinbar“ sein würden.574 Wilsons Antwort auf die deutsche Note vom 28. Oktober traf am 5. November ein. Die Alliierten stimmten der Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen zu, allerdings ausschließlich zu ihren Bedingungen, die sich den Deutschen erst später offenbaren sollten. So klammerte sich Kohler ebenso wie die deutsche Regierung und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung immer noch an die Hoffnung, Basis aller Verhandlungen wären die vierzehn Punkte. Kohler ging nun wohlwollend auf Wilsons Vorschläge ein, wobei er insbesondere auch seine Offenheit gegenüber der Errichtung eines Völkerbundes zum Ausdruck brachte. Auch hier betonte er nicht nur die damit verbundenen Chancen der Friedenssicherung, sondern auch die sich daraus für die Kulturarbeit ergebenden Möglichkeiten. Zugleich hoffte er auf möglichst milde Friedensbestimmungen. Kein Teil des deutschen Volkes, bat er, solle losgelöst, sondern alles, was deutsch sei, solle in die deutsche Volkseinheit einbezogen werden. Was der Rechtsfrieden bedeuten solle, führte er aus, ergebe sich insbesondere aus dem Zusammenhang mit der Idee des Völkerbundes. Wenn ein Völkerbund gegründet werden solle in der Weise, dass sämtliche Völker ihre volle Kraft der Kulturarbeit widmen könnten, und dass ihre Differenzen möglichst friedlich ausgeglichen würden, so Kohler, des Weiteren auch ihre Lebensinteressen, „soweit im Kreise des Ganzen tunlich“, erfüllt würden, dann sei es vor allem erforderlich, dass sich der Frieden dieser künftigen Bestimmung anpasse. Eine Anpassung der Friedensbestimmungen setzte seiner Ansicht nach voraus, dass den Völkern „die Lebenskräfte nicht unterbunden und die Bedingungen des Daseins nicht erschwert“ würden. Zudem, darauf wies er hin, dürfe nicht allzu viel „Zündstoff“ verbreitet werden, so dass sich die Völker „nach Kräften mit den vorhandenen Verhältnissen aussöhnen und in ihnen den Ausgangspunkt ihres weiteren Kulturwirkens“ suchen könnten. „Von diesem Geiste“, erklärte er, „gehen Wilsons Vorschläge aus, und darum haben wir uns ihnen angeschlossen und sie als den Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung erklärt.“575 Die Völkerbundakte selbst interessierte ihn nur am Rande. Wo es um konkrete territoriale Fragen ging, erschwerte nationale Selbstüberschätzung Kohlers Umstellung auf die Nachkriegsgegebenheiten. Die imperialistischen „Sicherheits“-Forderungen hatte er zwar preisgegeben, aber hinter der Parole des gegen den Macht- und Siegfrieden ausgetausch574 Note der deutschen Regierung vom 20. Oktober 1918 an den amerikanischen Präsidenten Wilson, in: Der Waffenstillstand 1918/19, Bd. 1, S. 14 f. 575 Josef Kohler, Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568.

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ten „Rechtsfriedens“ verbargen sich weiterhin übersteigerte Ansprüche. So war es Kohler ein besonderes Anliegen, dass Deutschland im Besitz von Kolonien bleibe. „Ein Volk, das Kolonien hatte“, so brachte er seinen Wunsch vorsichtig zum Ausdruck, solle auch weiter Kolonialvolk sein, insbesondere, „wenn es so kulturbringend“ gewirkt habe wie Deutschland.576 Kohler setzte sich hier mit einer Grundfrage der deutschen Politik auseinander: Wie war Deutschlands Rückkehr in die aktive Außenpolitik unter den Bedingungen der Niederlage und der Demokratie möglich? Die Antwort, die er darauf zu geben suchte, stand vorwiegend im Zeichen des Primats der auswärtigen Politik. Kohler setzte seine Hoffnungen unter Wiederaufnahme großdeutscher Ideen auf einen Anschluss Deutsch-Österreichs. In der Euphorie, mit der 1918/19 die Aussicht eines Zusammenschlusses Deutsch-Österreichs mit dem Deutschen Reich begrüßt wurde, lebte ein Rest der Mitteleuropabegeisterung fort. Auch nach der Reichsgründung hatten kulturnationale Denkweisen, die an einer den Deutschen innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen gemeinsamen Nationalkultur festhielten, insbesondere auf das Bildungsbürgertum starke Anziehungskraft behalten.577 Die Rezeption national-kulturellen Erbes sollte den inneren Zusammenhalt und das Selbstbewusstsein nach außen stärken.578 Wenn Kohler mahnte, die konstanten national- und machtstaatlichen Elemente im Staaten- und Völkerverhältnis nicht zu vernachlässigen, erneuerte er damit letztlich ein Geschichtsbild, in dessen Zentrum Deutschlands Interessen in der Außenpolitik standen. Fazit Wie aus dem vorangegangenen Abschnitt ersichtlich wurde, verschärfte sich angesichts der militärischen Krise des Deutschen Reiches 1916 der Konflikt zwischen Annexionisten und Gemäßigten. Anders als die Gemäßigten, die den Hoffnungen auf einen U-Boot-Siegfrieden die Konzeption eines Verständigungsfriedens gegenüberstellten, und sich gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg aussprachen, plädierte Kohler für den U-BootKrieg und damit für eine einseitige und letztlich unzureichende militärische Konzeption, die den Kriegseintritt der USA bewusst einkalkulierte. Wollten 576

Josef Kohler, Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568. 577 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Die Mitteleuropaidee und die Mitteleuropaplanungen im Deutschen Reich vor und während des Ersten Weltkrieges, in: Mitteleuropakonzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Arnold Suppan/Anna M. Drabek/Bettina Zaar, Wien 1995, S. 9. 578 Josef Kohler, Neue Horizonte, in: Der Tag vom 30. November 1918.

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die Gemäßigten die Krise des Reiches vor allem durch innenpolitische Reformen überwinden, so setzten Kohler und seine Gesinnungsgenossen stärker auf außenpolitische Erfolge. Auch Kohler hielt die Reichsverfassung in eingeschränktem Maße für revisionsbedürftig, lehnte wie die Mehrzahl der deutschen Gelehrten eine Parlamentarisierung des Reiches jedoch ab und plädierte zudem gemeinsam mit rechtsstehenden Professoren wie Dietrich Schäfer, Eduard Meyer oder Reinhold Seeberg unter Hervorhebung des Primats der Außenpolitik für eine Verschiebung der Wahlrechtsreform auf die Nachkriegszeit. Die physische Machtbetätigung nach außen war bei der Gruppe der Annexionisten der politische Faktor, der alles bestimmte. Die moralischen Komponenten politischer Machtbildung, das Ansehen des Deutschen Reiches in der ausländischen Öffentlichkeit, hatten für diese Gelehrten keine Bedeutung. Wie viele Kriegsapologeten von 1914 verstand Kohler den Krieg zunehmend nicht nur als einen Krieg um Machterhalt, sondern auch als einen Krieg der politischen Systeme. Er verknüpfte die behauptete Antithetik von deutscher Kultur und westlicher Zivilisation mit staatstheoretischen Gedanken und gab den Unterschied von deutscher Monarchie und ausländischer Demokratie als Manifestationsform jener Antithetik von Kultur und Zivilisation aus. Wenn er sich im Oktober 1918 zu innenpolitischen Zugeständnissen bereitfand, so tat er dies weniger aus innerer Überzeugung heraus als aus Opportunitätserwägungen. Die Parlamentarisierung des Reiches hielt er für die unumgängliche Voraussetzung eines halbwegs erträglichen Friedens. Ebenso wie Friedrich Meinecke, Hans Delbrück und viele andere deutsche Gelehrte, die sich erst kurz vor Kriegsende zu einer Parlamentarisierung Deutschlands durchringen konnten, war er letztlich nur ein Vernunftdemokrat.

F. Kohler im ersten Friedensjahr (November 1918 bis August 1919) Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, wie Kohler die aus der militärischen Niederlage entsprungenen Verhältnisse aufnahm. Kohlers Hoffnungen auf eine Rettung der Monarchie durch Parlamentarisierung und Demokratisierung des Reiches hatten sich nicht erfüllt. Nüchtern stellte er im November 1918 fest, dass das alte System zusammengebrochen war. Die Revolution, konstatierte er, habe „das morsche Gebäude“ der deutschen Staatsverhältnisse mit einer Schnelligkeit und Plötzlichkeit zusammengeworfen, wie es in der Weltgeschichte „unerhört“ sei.579 Dabei gelang es ihm, die Niederlage mit all ihren Folgen zu akzep579

Josef Kohler, Einleitung zu ARWP 12 (1918/19), S. 98.

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tieren und sich der Realität so zu stellen, dass er auch die neuen Verhältnisse sinnvoll finden konnte. Er betrachtete das Ende der Monarchie nicht als radikalen Einschnitt. Seiner Ansicht nach war der neue Staat auch vor dem Hintergrund deutscher Staatstraditionen historisch zu legitimieren. Deutschland sollte auf den Überlieferungen des Jahres 1848 neu aufgebaut werden.580 Der „in den letzten Tagen“ hervorgetretene „revolutionäre Machtwille“, erklärte er, habe zwar zunächst destruktiv gewirkt, dann aber die Bahn geebnet für die Nationalversammlung, welche „aus der Urkraft des Deutschtums ein neues und großes Reich“ hervorgehen lassen werde, so wie es seinerzeit in den 48er Jahren geplant gewesen sei; es werde entstehen „mitten aus der deutschen Volksseele heraus, nicht aufgepfropft durch eine Bismarck’ sche Politik, nicht verzerrt durch die Züge eines ostelbischen Junkertums, nicht von Deutsch-Österreich durch einen künstlichen Graben getrennt.“ Hier heiße es, rief er auf, „mit allen Kräften aufzubauen, aufzubauen im Staat, aufzubauen im Recht [. . .].“581 Kohler konnte die Republik als sinnvolle Fortentwicklung deutscher Geschichte ansehen. So heißt es im Vorwort zur fünften Auflage seiner Einführung in die Rechtswissenschaft, jene stehe unter dem Zeichen eines ungeheuren Strebens und Ringens. Veraltete Formen seien abgefallen, neue müssten geschaffen werden. So liege noch manches im Schoße der Zukunft.582 Gegenüber Max Fürbringer sprach Kohler von einer „mehr als Napoleonischen Umwälzung“. Er habe aber, erklärte er, niemals sein Vertrauen auf die Kraft der deutschen Nation aufgegeben.583 Kohler besaß die Fähigkeit, den historischen Wandel als Herausforderung aufzufassen, die es anzunehmen galt. Wesentlich zurückhaltender mutet demgegenüber die am 20. November 1918 in der Vossischen Zeitung und anderen Berliner Blättern erschienene Erklärung der Berliner Hochschullehrer an, die das Ergebnis einer Beratung des Lehrkörpers war, die am 17. November 1918 in der alten Aula der Universität stattgefunden hatte.584 In der Erklärung spiegelte sich die zwiespältige Auffassung der Versammlung. Angesichts der ungeheuren Umwälzungen, die aus dem Welt- und Massenkriege hervorgegangen seien, so der Rektor Reinhold Seeberg, „erklären die an der Universität Berlin vereinigten Geistesarbeiter, daß auch sie sich bereitwillig der provisorischen neuen Regierung unterstellen, die endgültige Ordnung der Verhältnisse von einer 580

Vgl. D’r alt Offeburger vom 24. August 1919. Josef Kohler, Einleitung zu ARWP 12 (1918/19), S. 99; Neue Horizonte, in: Der Tag vom 30. November 1918. 582 Josef Kohler, Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919, Vorwort, S. IV. 583 Kohler am 17. März 1919 an Max Carl Fürbringer, Nachlass Max Carl Fürbringer. 584 Werner Weisbach, Geist und Gewalt, Wien/München 1956, S. 200. 581

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auf lauteren demokratischen Grundsätzen aufgebauten Nationalversammlung erwarten [. . .]. Dennoch“, so hob Seeberg hervor, sei es bei den „besonderen Verhältnissen“ der Universität Berlin selbstverständlich, dass es viele Lehrer für ein „Gebot der Würde und Aufrichtigkeit“ hielten, ihre bisherige Anhänglichkeit an die „glorreichen Traditionen des bisherigen Staates“ nicht zu verleugnen.585 Anders als viele seiner Kollegen, die sich den neuen Verhältnissen gegenüber verschlossen und auf einer Ordnung beharrten, für die Interessen, Überzeugung und Gewohnheit sprachen, gelang es Kohler, sich den neuen Gegebenheiten gegenüber aufgeschlossen zu zeigen. Er habe, so berichtete auch sein Kollege Leonhard Adam, noch verkündet, dass er am Neuaufbau mitarbeiten werde. Bis zuletzt aber habe ihn der Gedanke gequält, dass er auch nur vorübergehend die Vorurteilslosigkeit des Gelehrten aufgegeben hatte. Dieses Gefühl, so Adam, habe an ihm genagt und sei „die schleichende Mitursache seines Endes“ gewesen.586 Mit seinen Artikeln Mitarbeiter von Zeitungen verschiedener Parteirichtung, neigte Kohler zum Liberalismus, wobei er stets eine gewisse Neigung zum Zentrum hatte. Nach der Revolution trat er in die Deutsche Demokratische Partei ein,587 die als bürgerliche Exponentin der pazifistischen Strömungen des Liberalismus galt.588 Auch Gerhard Anschütz, Otto Baumgarten, Adolf von Harnack, Friedrich Meinecke, Hugo Preuß, Martin Rade, Walther Schücking, Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Ernst Troeltsch und die Brüder Weber unterstützten die Deutsche Demokratische Partei.589 585 Erklärung der Berliner Hochschullehrer vom 20. November 1918, in: Vossische Zeitung vom 20. November 1918, abgedruckt auch in: Klaus Böhme (Hrsg.), Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975, S. 238 sowie in: Kurt Töpner, Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte. Die Revolution von 1918 im Urteil deutscher Hochschullehrer, Göttingen 1970, Anhang Nr. VII, S. 253 f. Ein Bericht zur Versammlung findet sich im Berliner Tageblatt vom 19. November 1918. 586 Leonhard Adam, In memoriam Josef Kohler, in: ZVerglRW 38 (1920), S. 18. 587 Vgl. D’r alt Offeburger vom 24. August 1919; Leonhard Adam, In memoriam Josef Kohler, in: ZVerglRW 38 (1920), S. 15 f. 588 Vgl. Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972, S. 198. 589 Vgl. Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972, S. 54–59; Klaus Töpner, Gelehrte Politiker und politisierende Gelehrte. Die Revolution von 1918 im Urteil deutscher Hochschullehrer, Göttingen 1970, S. 124, 209, 245; Günter Brakelmann, Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1991, S. 227; Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, Stuttgart 1983, S. 186 f.; Günter Brakelmann, Krieg und Gewissen. Otto Baumgarten als Politiker und Theologe im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1991, S. 227 f.; Christian Jansen, Professoren und Politik. Politisches Denken und Handeln der Heidelberger Hochschullehrer 1914–1935, Göttingen 1992, S. 394; Anne

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Hatte Kohler im Oktober 1918 noch seine Loyalität gegenüber dem Kaiser geäußert,590 so kam diesem gegenüber drei Monate später erstmals Kritik zum Ausdruck. Versagt hatte seiner Ansicht nach vor allem der Kaiser selbst. Kohler legte ihm zur Last, viele „Reden“ gehalten und sich nun bei Nacht und Nebel davongeschlichen zu haben.591 Es war nicht selten, dass Anhänger des untergegangenen Systems den gestürzten Hohenzollernherrscher nun kritisierten.592 Dennoch sah Kohler wie die überwiegende Mehrheit der Deutschen593 die Forderung der Siegermächte nach Auslieferung des Kaisers und anderer der Verletzung der Kriegsgesetze und -gebräuche Beschuldigter als ungerechtfertigt an. Die französischen Juristen Julien Merignhac und Weiss hatten bereits im ersten Kriegsjahr eine Bestrafung des Kaisers gefordert.594 In England gipfelten die Ressentiments gegen den Kaiser 1918 im Ruf „Hang the Kaiser!“595 Kohler stellte sich Anfang 1919 mit 51 deutschen Professoren des Staats- bzw. Völkerrechts, darunter auch Erich Kaufmann, Walther Schücking, Philipp Zorn, Christian Meurer, Robert Piloty, Otto Meyer, Ferdinand von Martitz und Franz von Liszt, hinter eine Erklärung gegen die von den Siegermächten verlangte Auslieferung Kaiser Wilhelms II.596 Dieser war nach seiner Abdankung am 9. November 1918 mit seinem engsten Gefolge vom deutschen Hauptquartier im belgischen Spa nach Holland geflohen. Die Flucht Wilhelms II. nach Holland bildete ein Hindernis für das Strafverlangen der Alliierten. Wollten sie ihn vor Gericht stellen, so musste Holland ihn ausliefern. Kohler und die unterzeichnenden Gelehrten erhoben, „gebunden“ an ihr „Gewissen“, im Namen der Wissenschaft pathetisch Einspruch gegen das Vorhaben der Alliierten, den ehemaligen deutschen Kaiser und einige seiner Ratgeber und Offiziere für die Auslösung des Krieges und dessen angeblich völkerrechtswidrige Führung strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Insbesondere wandten Nagel, Martin Rade – Theologe und Politiker des Sozialen Liberalismus. Eine politische Biographie, Gütersloh 1996, S. 168–172. 590 Josef Kohler, Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. 591 Josef Kohler, Volksseele, in: Der Tag vom 3. Januar 1919. 592 Vgl. Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs 1871–1918, 4. Auflage, Frankfurt a. M. 2001, S. 574 f. 593 Vgl. Walter Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20, Stuttgart 1982, S. 291, 323. 594 James Wilford Garner, Punishment of Offenders against the Laws and Customs of War, in: The American Journal of International Law 14 (1920), S. 88. 595 Jean-Jules Mordacq, Le Ministère Clemenceau. Journal d’un témoin, Band 3: novembre 1918–juin 1919, Paris 1931, S. 27. 596 Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 92 vom 24. Februar 1919 (Abendausgabe), S. 1.

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sie sich gegen ein französisches Rechtsgutachten, demzufolge das Deutsche Reich zivilrechtlich, der Kaiser persönlich zivil- und auch strafrechtlich für den Ausbruch des Krieges und die begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich seien, was vor einem internationalen Strafgericht zu verhandeln sei.597 Dem französischen Gutachten zufolge war Wilhelm II. verantwortlich für den Bruch der belgischen und luxemburgischen Neutralität598 sowie für Verletzungen des Kriegsrechts, die seine Truppen begangen hatten.599 Kohler vertrat die Ansicht, dass das politische Delikt Asyl genieße. Dabei wies er ausdrücklich darauf hin, dass ein Delikt politischer Natur bleibe, auch wenn zu seiner Vorbereitung und Durchführung gemeine Verbrechen begangen würden, da der politische Zweck das Ganze bestimme.600 Nach geltendem Völkerrecht, so die Haltung der deutschen Gelehrten, trage für Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges allein der Staat als Träger völkerrechtlicher Verpflichtung Verantwortung. Der verletzte Staat habe kein Recht zu strafen, sondern könne lediglich die Bestrafung von dem Staat verlangen, dessen Angehörigkeit der Beschuldigte besitze. Man warnte davor, das Auslieferungsverfahren, diese wohlbewährte, den Bedürfnissen strafender Gerechtigkeit dienende völkerrechtliche Prozedur zum „Deckmantel rechtloser Willkür“ zu machen.601 Genau das aber sei der Fall, wenn man den ehemaligen Kaiser als flüchtig gewordenen Verbrecher behandle, obwohl doch die oberste Voraussetzung völkerrechtlicher Auslieferung fehle, nämlich „eine durch die Gesetze sowohl des ersuchenden als des ersuchten Staates vorgesehene nicht politische Straftat.602 Ein Jahr spä597 Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 92 vom 24. Februar 1919 (Abendausgabe), S. 1. 598 Durch die Londoner Verträge von 1839 und 1867 hatte Deutschland die dauernde Neutralität beider Staaten anerkannt. Vgl. besonders zur Entstehung des Neutralitätsvertrages für Belgien Barbara W. Tuchmann, August 1914, Bern/München/ Wien 1964, S. 29 f. 599 Mit den Verbrechen gegen das Völkerrecht waren solche gegen das nicht kodifizierte Gewohnheitsrecht gemeint. Man zählte dazu z. B. die Tötung von Geiseln. Vgl. Ferdinand Larnaude/A. de Lapradelle, Examen de la responsabilité pénale de l’empereur Guillaume II d’Allemagne, in: Journal du Droit International 46 (1919), S. 143 f. 600 Josef Kohler, Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919, S. 215 f. 601 Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 92 vom 24. Februar 1919 (Abendausgabe), S. 1. 602 Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 92 vom 24. Februar 1919 (Abendausgabe), S. 1; in dem Sinne auch Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, Die „Sanktionen“ des Vertrages von Versailles, in: Festgabe für Otto Liebmann, Berlin 1920, S. 103–112; Walter Jellinek, Wilhelm II. in den Niederlanden, in: DJZ 1919, Sp. 42–47; Heinrich Triepel, Die Auslieferung des Kaisers, in: Deutsche Politik 4 (1919), S. 299–305; Reinhard Frank, Wesen und Tragweite der Auslieferungsgesetze, in: Festschrift für Otto Liebmann, Berlin 1920, S. 139–147.

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ter verweigerten die Niederländer endgültig die Auslieferung Wilhelms II. Dass es zur Auslieferung nicht kam, stellte einen ersten Schritt zur Revision des Versailler Vertrages dar. Auch die Kriegsschuldfrage bewegte die in- und ausländische Diskussion. Sie war verbunden mit dem rechtlichen Problem der Haftung Deutschlands für materielle Schäden. Kohler wehrte sich wie die Mehrheit des deutschen Volkes603 gegen ein einseitiges Schuldbekenntnis und warnte davor, „in autosadistischer Weise“ nur „auf das eigene Gewissen zu hämmern“ und sich namentlich in völkerrechtlichen Dingen eine Schuld zuzumessen, die nicht bestehe. Eine Diskussion der Schuldfrage hielt er für selbstverständlich, legte dabei aber nachdrücklich Wert auf eine allseitige Erörterung. Seiner Ansicht nach ging es nicht an, erleichternde und entschuldigende Umstände beiseite zu lassen und die gegnerischen Fehler lediglich im Lichte der Ententemächte zu betrachten. So durfte man Kohler zufolge in der Frage der Schuld am Kriege nicht lediglich die Ereignisse unmittelbar bei Kriegsausbruch abwägen, sondern musste die existentielle Bedrohung des Deutschen Reiches mitberücksichtigen, um das, wie er meinte, die Gegner „mehr und mehr, enger und enger ein verderbliches Netz“ geworfen hätten. Auch sein Berliner Kollege Heinrich Triepel war der Auffassung, man dürfe die Eröffnung des Krieges nicht vor aller Welt als ein Verbrechen hinstellen, ohne Rücksicht auf die Umstände, die Deutschland im Jahre 1914 „das Schwert in die Hand gezwungen“ hätten.604 Hinsichtlich der Frage der Schuld im Kriege, der Frage nach Verletzungen des Kriegsvölkerrechts, äußerte sich Kohler nun explizit nur noch zur Frage des deutschen Einmarsches in Belgien, den er ebenso rechtfertigte wie während des Krieges.605 Auch die Anfang Februar 1919 zur Schaffung einer breiteren Basis im Kampf gegen die Kriegsschuldfrage gegründete, eine wissenschaftliche Klärung der Schuldfrage intendierende606 Heidelberger Vereinigung für eine Politik des Rechts,607 der ein exklusiver Kreis von Wissenschaftlern, ehemaligen Diplomaten und Politikern, u. a. Max Weber, Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Ernst Troeltsch, Hermann Oncken, Walther Schücking, Hans 603 Vgl. Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972, S. 212 ff. 604 Heinrich Triepel, Der Entwurf des Reichsgesetzes über die Errichtung eines Staatsgerichtshofs, in: Deutsche Juristenzeitung 24 (1919), Sp. 368. 605 Josef Kohler, Deutschlands Schuld und Nichtschuld, in: Der Tag vom 28. März 1919. 606 Aufruf der Gründungsmitglieder, in: Preußische Jahrbücher, März 1919, Bd. 175, S. 319 f. 607 Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890–1920, 1. Auflage, Tübingen 1959, S. 307–309; Fritz Dickmann, Die Kriegsschuldfrage auf der Friedenskonferenz von Paris 1919, in: Historische Zeitschrift 197 (1963), S. 64 ff.

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Wehberg und Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, die Nationalökonomen Moritz Julius Bonn, Lujo Brentano, Alfred Herkner, Alfred Weber sowie die Parlamentarier Constantin Fehrenbach und Wolfgang Haussmann angehörte,608 wehrte eine einseitige Schuldpropaganda ab. Man wollte auf diese Weise in der Öffentlichkeit eine einheitliche Haltung vorbereiten, auf die sich die Regierung in der Friedensfrage stützen können sollte. Auch der gemäßigte Flügel des deutschen Pazifismus um Ludwig Quidde und Walther Schücking wollte durch Widerlegung der einseitigen Schuldauffassung dem Versailler Vertrag die moralische Basis und den weitreichenden Reparationsverpflichtungen die Basis nehmen.609 Quidde, der der Überzeugung war, dass für den Ausbruch des Weltkrieges nicht nur die Mittelmächte verantwortlich waren, hielt die Kriegsschuldpolitik Eisners für verantwortungslos und es für einen gefährlichen Selbstbetrug, sich dadurch Symphatien zu verschaffen, dass man den Feinden „im Büßergewand“ gegenübertrat.610 Das Völkerrecht besaß Kohler zufolge nach Kriegsende feste und morsche Stützen. Gewiss, räumte er ein, sei während des Krieges vieles verloren gegangen, aber doch nicht so viel, dass die Menschheit nicht wiedererstehen könne. Die bisherigen Bestrebungen, so Kohler, seien deshalb so wenig erfolgreich gewesen, weil man geglaubt habe, mit starren juristischen Formeln die menschliche Leidenschaft beschwichtigen zu können. Äußerliche Veranstaltungen wie Schiedsgerichte allein reichten Kohler zufolge nicht zur Friedenssicherung. Vielmehr mussten seiner Ansicht nach „Ehrlichkeit, Rücksichtnahme, guter Wille, anständige Gesinnung und das Bewusstsein der Brüderlichkeit der Völker“ hinzutreten. Nur durch Selbsterziehung der Völker, betonte er, könnten wieder feste Stützen im Völkerrecht entstehen. Ein Leben der Völker, davon war er überzeugt, konnte sich nur unter ethischen Grundlagen abspielen. Als unerlässlich erachtete er dabei ein Zusammenwirken der Nationen. Eine ethische Erhebung der Völker, das Bewusstsein, dass das einzelne Volk ebenso wie der einzelne Mensch ein Mitglied der Menschheit sei, in welcher gemeinsam die höchsten Ziele zu erreichen seien, erklärte er, müsse die Völker erfüllen und das versprechende Wort beleben, das sonst nur ein „toter Hauch“ bleibe. Gerade im Völkerrecht, so Kohler, müsse den Völkern zur Anschauung gebracht werden, dass der Mensch ohne ethischen Sinn „zum wilden Tiere“ herabsinke.611 Die be608 Lothar Albertin, Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, Düsseldorf 1972, S. 213. 609 Ludwig Quidde, Die Schuldfrage, Berlin o. J. [1922], S. 1. 610 Ludwig Quidde, Auswärtige Politik, München 1918, S. 7; Hans Wehberg, Ludwig Quidde. Ein deutscher Demokrat und Vorkämpfer der Völkerverständigung. Eingeleitet und zusammengestellt von Hans Wehberg, Offenbach 1948, S. 56–58. 611 Josef Kohler, Die festen und die morschen Stützen des Völkerrechts, in: Die Umschau 22 (1918) vom 16. November 1918, S. 602.

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drängte Lage Deutschlands nach dem verlorenen Krieg hätte eine tiefgehende historische Selbstbesinnung angemessen erscheinen lassen, die zur Orientierung in der Gegenwart und zur Gestaltung der Zukunft hätte beitragen können. Die Äußerungen Kohlers lassen jedoch kein selbstkritisches Nachdenken über das eigene Verhalten während des Krieges erkennen. Nach Angaben von Zeitgenossen sowie seiner Enkelin soll er nach Kriegsende ernüchtert zumindest seine unsachlichen Urteile über andere Nationen bereut haben.612 Trotz der schroffen Äußerungen Kohlers über die Ententemächte während des Krieges hat er auch nach 1914 seinen Glauben an die Menschheit und eine europäische Kulturgemeinschaft nie wirklich aufgegeben. Seine abfälligen Bemerkungen über Mitglieder der Entente waren letztlich nicht mehr als Ausdruck einer tiefen Enttäuschung. So schloss er im ersten Kriegsjahr einen Artikel, in dem sich wüsteste Beschimpfungen der Kriegsgegner finden, doch mit den Worten: „Doch ich bereue nicht, daß ich ehemals an die Menschheit glaubte; ich bereue es nicht um so weniger, als ich auch jetzt den Glauben nicht verloren habe.“613 Die Verbitterung Kohlers manifestierte sich in einem weiteren Artikel noch im letzten Kriegsjahr: „Wir glaubten an eine Verbrüderung der Völker, an eine Ethik im Leben der Nationen, aber wir sind gründlich enttäuscht worden.“614 Nach Kriegsende fand auch Kohler zu seinen alten Idealen der Völkerversöhnung zurück. Insbesondere brachte er die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich die Menschheit intellektuell fähig und ethisch gereift zeigen möge.615 Anfang 1918 hatte Kohler eine Mitteilung des Kolonialamtes erhalten, dass eine amtliche Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Fragebogenaktion nicht mehr erfolgen könne, da die Haushaltsmittel in Folge des Krieges anderweitig verbraucht seien.616 Einen Teil des im Rahmen der Fragebogenaktion aus den Kolonien eingesandten Tatsachenmaterials hatte Kohler in der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft verarbeitet. Ein anderer Teil war vom Reichskolonialamt noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben worden.617 Kohler wies im Vorfeld der Versailler Friedensverhandlun612 Vgl. D’r alt Offeburger vom 24. August 1919; Leonhard Adam, In memoriam Josef Kohler, in: ZVerglRW 38 (1920), S. 14 ff.; Arthur Kohler, Josef-Kohler-Bibliographie, Basel 1931 (Neudruck Aalen 1984), S. VI; Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches, Freiburg i. Br. 1986, S. 81; Berliner Tageblatt vom 4. August 1919. 613 Josef Kohler, Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: ARWP 8 (1914/15), S. 169. 614 Josef Kohler, Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. 615 Josef Kohler, Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568. 616 Brief an Kohler vom 19. Januar 1918, RKA 4993/4.

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gen auf die für das Deutsche Reich „drängende Kolonialfrage“ hin. Er wollte „zum Ruhme Deutschlands“, dem die Siegermächte den Vorwurf gemacht hatten, in der Zivilisation seiner Kolonien versagt zu haben,618 zeigen, dass das Deutsche Reich bei der Kolonisation mehr geleistet habe als „alle Völker, selbst diejenigen, deren Kolonisation in die Jahrhunderte“ gehe.619 Dabei hegte er die Hoffnung, man könne den deutschen Kolonialbesitz erhalten. Sein wiederholt ausgesprochenes Angebot einer kostenlosen Veröffentlichung des noch unveröffentlichten Materials in einem Sonderband der Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft620 wurde nicht angenommen, da Meyer und Perels eine amtliche Veröffentlichung der Ergebnisse verlangten.621 Aber auch das Kolonialamt erhoffte sich von einer Veröffentlichung der Forschungsergebnisse eine positive Propaganda, die selbst dann fortgesetzt werden sollte, wenn es nicht gelingen sollte, den früheren Kolonialbesitz zu retten.622 Tatsächlich verlor Deutschland sein Kolonialreich gemäß Art. 119 des Friedensvertrages vom 28. Juni 1919.623 Zwar stellte das Kolonialamt im August 1919 eine Summe von 60 000 Reichsmark zur Verfügung,624 doch erlosch mit dem Verlust der Kolonien in Deutschland das Interesse an der Rechtsethnologie. Erst 1929 gaben Erich Schultz-Ewerth und Leonhard Adam die Ergebnisse der Fragebogenaktion, des umfangreichsten und aufwändigsten Forschungsprojekts auf dem Gebiet 617 Max Schmidt, Die Bedeutung der vergleichenden Rechtswissenschaft für die Ethnologie, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 37 (1920), S. 374. 618 Vgl. Die Versailler Friedensbedingungen vom 7. Mai 1919, I. Völkerbundssatzung, abgedruckt bei Hans Poeschel, Die Kolonialfrage im Frieden von Versailles. Dokumente zu ihrer Behandlung, Berlin 1920, S. 5 ff.; Lettre d’Envoi des Präsidenten der Friedenskonferenz an den Präsidenten der deutschen Delegation, Clemenceau-Brockdorff-Rantzau, 16. Juni 1919, Urkunden zum Friedensvertrage von Versailles vom 28. Juni 1919, Teil 1, zusammengestellt von H. Kraus/G. Rödiger, in: Walther Schücking (Hrsg.), Kommentar zum Friedensvertrage, Berlin 1920, Nr. 64, S. 567 f.; Völkerrecht im Weltkrieg. Dritte Reihe im Werk des Untersuchungsausschusses, dritter Band: Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts, hrsg. von Johannes Bell, Berlin 1927, S. 98 f.; Heinrich Schnee, Die koloniale Schuldlüge, 12. Auflage, München 1940, S. 59. 619 Schreiben Kohlers vom 15. März 1919, RKA 4993/19. 620 Schreiben Kohlers vom 23. Januar 1918, RKA 4994/6; Schreiben Kohlers vom 15. März 1919, RKA 4993/19. 621 Schreiben Meyers vom 11. März 1918, RKA 4993/12; Schreiben Meyers vom 2. April 1919, RKA 4993/21, Schreiben Perels’ vom 16. März 1918, RKA 4993/15; Schreiben Perels vom 27. März 1919, RKA 4993/20. 622 Interner Vermerk, RKA 4993/21. 623 Vgl. das „Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten“ vom 16. Juli 1919, RGBl. 687 (895); Fontes Historiae Iuris Gentium. Quellen zur Geschichte des Völkerrechts, hrsg. von Wilhelm G. Grewe, Band III/2, 1815–1945, Berlin/New York 1992, S. 683 ff. 624 Interner Vermerk, RKA 4993/22.

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der ethnologischen Rechtsforschung in den deutschen Kolonien, in dem zweibändigen Werk Das Eingeborenenrecht625 heraus. Josef Kohler war zu seiner Zeit ein Pionier gewesen. Die Forschungsergebnisse erwiesen sich praktisch nur eingeschränkt als verwertbar. Insbesondere die Methode der Auskunftsermittlung war insofern problematisch, als dass die von Wissenschaftlern mit kontinentaleuropäischen Rechtsvorstellungen verfassten Fragebögen von Nichtjuristen in deutscher Rechtsterminologie beantwortet worden waren.626 Aus dieser Situation hatten sich zwangsläufig Missverständnisse ergeben müssen.627 Dennoch ist anzuerkennen, dass Kohler mit seinen rechtsethnologischen Forschungen einen ernsthaften Versuch unternommen hat, Respekt vor fremden Kulturen und ihren Rechten zu schaffen, andere Meinungen zu achten, andere Völker und Zeiten zu verstehen. Politische Stellungnahmen aus der Nachkriegszeit finden sich – von den wenigen erwähnten Ausnahmen abgesehen – keine. Kohler zog sich in die stille Arbeitswelt zurück. In diesem Sinne ist auch die folgende von Anfang 1919 stammende Äußerung zu verstehen: „Es gehört zu den Vorzügen der Werke des Geistes, daß sie dauernder sind als die Werke der Politik.“628 Dieser Rückzug entsprach Kohlers Verständnis eines Wissenschaftlers, wie er es bereits vor dem Krieg vertreten hatte. Es waren der Existenzkampf des Deutschen Reiches, das er angegriffen wähnte und das aufgrund der erheblichen Führungsschwäche der Reichsleitung entstandene Orientierungsvakuum, welche ihn nach Kriegsausbruch dazu hatten hinreißen lassen, sich in den überhitzten politischen Betätigungsdrang der deutschen Intellektuellen einzugliedern. Am 3. August 1919 starb Josef Kohler im Alter von siebzig Jahren in Berlin. Seit Jahresbeginn war er sehr geschwächt gewesen,629 hatte aber noch bis Mitte Juli 1919 an der Universität Kolleg gehalten.630 Die unzurei625 Leonhard Adam/Erich Schultz-Ewerth, Das Eingeborenenrecht. Sitten und Gewohnheitsrechte der Eingeborenen der ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und in der Südsee, gesammelt im Auftrag der damaligen deutschen Kolonialverwaltung von Beamten und Missionaren der Kolonien, geordnet und kommentiert von früheren Kolonialbeamten, Ethnologen und Juristen, zwei Bände, Stuttgart 1929/30. 626 Vgl. Carl Meinhof, Die Kodifizierung des Eingeborenenrechts, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft 9 (1907), S. 671; August Wilhelm Schreiber, Zur Kodifikation des Eingeborenenrechts, in: Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft 9 (1907), S. 481 f. 627 Ähnlich Rüdiger Schott, Main Trends in German Ethnological Jurisprudence and Legal Ethnology, in: JLP 20 (1982), S. 45 f. 628 Josef Kohler, Zeitschrift für Markenschutz und Wettbewerb 18 (1918/19), S. 69. 629 So leitete er im Februar 1919 sein Testament mit den Worten ein: „Da ich täglich hinfälliger werde“, siehe Testament vom 15. Februar 1919, Stadtarchiv Offenburg.

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chende Ernährung während des Krieges hatte seine Gesundheit stark beeinträchtigt.631 Zudem hatte ihn im Februar 1918 ein schweres Herzleiden erfasst.632 Sein für die Zeitgenossen dennoch unerwarteter Tod ist vielfach auch auf die Erschütterung durch das Erlebnis des Ersten Weltkrieges zurückgeführt worden.633 Beim Zusammenbruch des Deutschen Reiches soll sich sein Herzleiden verschlimmert haben. Durch die Ereignisse, hieß es, sei Kohler „innerlich so ergriffen“ gewesen, dass „der sonst so heitere Mann sehr ernst, ja fast menschenscheu“ geworden sei.634 Auch Hermann J. Held deutete in seinem Aufsatz „Der Zug des Todes in der Völkerrechtswissenschaft“ auf die immense Wirkungsmacht des Krieges und des Versailler Vertrages hin: „Die Enttäuschungen, die Gräuel, die Leiden der Menschheit, die dieser gewaltigste aller Kriege in seinem Gefolge hatte, aber vielfach auch die ungeheuerlichen Waffenstillstands- und Friedensbedingungen, wie die an Stelle der zugesagten Gerechtigkeit tretenden Gewalt- und Willkürakte der Sieger haben am Lebensmark“ der Vertreter des Völkerrechts gezehrt, „ihre Arbeits- und Widerstandskraft erschüttert oder gebrochen und eine ganze Reihe von ihnen inmitten ihres Schaffens und Wirkens aus dem Leben gerissen. [. . .] Es kam das Jahr 1919. Ernüchterung, Enttäuschung, tiefste Niedergeschlagenheit erfassten die Herzen derer, welche auf einen gerechten Frieden zu hoffen gewagt [. . .] hatten.“635 Der Erste Weltkrieg hatte Kohler nicht nur aus seinen Träumen einer Einigung Europas auf evolutionärem Wege gerissen; die Wirklichkeit eines in jeder Hinsicht modernen Krieges hatte darüber hinaus auch seinen Glauben an ein ständiges lineares Fortschreiten in der Entwicklung der Menschheit zerbrochen. Am Beispiel Kohlers wird deutlich, welche Wirkungen der Erste Weltkrieg und die Versailler Friedensbedingungen auf die Zeitgenossen hatten. Gerd Krumeich hat zu Recht ausgeführt, dass der Erste Weltkrieg 630

Vgl. den Artikel „Josef Kohler“ in: Tägliche Rundschau vom 4. August 1919. Vgl. Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches, Freiburg i. Br. 1986, S. 81. 632 Berliner Tageblatt vom 4. August 1919; Leonhard Adam, Josef Kohler als vergleichender Rechtsforscher, in: Der Tag vom 12. November 1919. 633 Vgl. Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger vom 5. November 1932; Carl Friedrich Wilhelm Behl, In Memoriam Josef Kohler. Zu seinem 100. Geburtstag am 9. März, in: NJW 2 (1949), S. 162; Kohler sei „gestorben am Schmerze über sein zertretenes Vaterland“, so Seeberg in seiner Gedächtnisrede, Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 15. 634 Berliner Tageblatt vom 4. August 1919. Seeberg zufolge ertrug Kohler den Zusammenbruch „in Tönen der Qual und in sich windendem Jammer“ und sei darüber „plötzlich ein alter Mann“ geworden, siehe Reinhold Seeberg, Josef Kohler, der Mensch und sein Werk, in: Josef Kohler zum Gedächtnis. Berlin 1920, S. 28. 635 Hermann J. Held, Der Zug des Todes in der Völkerrechtswissenschaft, in: ZIR 29 (1921), S. 183–188. 631

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eine „der prägenden Erfahrungen dieses Jahrhunderts, vielleicht die entscheidende“ gewesen ist.636 Fazit Wie aus dem vorangegangenen Abschnitt ersichtlich wurde, betrachtete Kohler das Ende des Kaiserreiches nicht als radikale Zäsur. Seiner Ansicht nach war der neue Staat auch vor dem Hintergrund deutscher Staatstraditionen historisch zu legitimieren. Es gelang ihm, die Republik als sinnvolle Fortentwicklung deutscher Geschichte anzusehen. Seine Äußerungen lassen jedoch kein selbstkritisches Nachdenken über das eigene Verhalten während des Krieges erkennen, etwa über seinen Verzicht auf das selbständige, unter Umständen auch kritische Urteil, über seine Gutgläubigkeit gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der Regierung, über seine im Grundsatz gouvernementale Haltung oder seine annexionistischen Zielvorstellungen. Bis 1919 hielt er letztlich fest an der nicht weiter definierten „Weltgeltung“. Zusammenfassung des Kapitels Wie sich in der vorangegangenen Untersuchung gezeigt hat, hielt Kohler auch 1917 noch an dem Erfordernis der Beschränkung der Souveränität fest, äußerte sich nach Ausbruch des Krieges jedoch nur noch lapidar zu den Themen Schiedsgerichtsbarkeit und Staatenorganisation. Im Grundsatz wich er von seinen in der Vorkriegszeit getroffenen Überlegungen zur Schiedsgerichtsbarkeit zunächst aber noch nicht ab. Erst 1918 lehnte er den Gedanken internationaler Schiedsgerichtsbarkeit zumindest für die Gegenwart ab. Er begründete dies damit, eine Benachteiligung des in der Weltöffentlichkeit verachteten Deutschen Reiches zu fürchten. An der von ihm in der Vorkriegszeit so stark propagierten Idee eines „allgemeinen Bundesstaates der Völker“ hielt er ebenfalls zwar theoretisch fest. Eine Umsetzung in Europa schien er sich aber zumindest vorerst nicht mehr vorstellen zu können. Während die verständigungsbereiten Gemäßigten in der Hoffnung, Streitigkeiten in der Zukunft friedlich schlichten zu können, eine Weiterentwicklung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und einen Völkerbund grundsätzlich befürworteten, lehnten die machtpolitisch orientierten Annexionisten beides als trügerische Illusion und Mittel der Gegner ab. Noch stärker als vor dem Krieg betonte Kohler das Erfordernis der Stabilität des Völkerrechts gegenüber der politischen Macht. Die internationale Ordnung nach dem Krieg 636

Gerd Krumeich, Kriegsgeschichte im Wandel, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 11.

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sollte Kohler zufolge deutschen Sittlichkeits- und Rechtsvorstellungen entsprechen. Seiner Ansicht nach war ein noch stärkeres Anknüpfen an die ethischen Grundlagen erforderlich, auf denen das Völkerrecht seit Franciscus de Vitoria (1483–1546) erwachsen war. Er hielt solche Pläne jedoch für während des Krieges nicht umsetzbar. Unter Hinweis auf die Völkerrechtsverletzungen seitens der Entente wies er während des Krieges darauf hin, dass sich das Deutsche Reich nun im Wege der Repressalie auch von einzelnen Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung lösen dürfe. Im vorangegangenen Kapitel ist deutlich geworden, dass auch bei Kohler zunehmend die Kriegsräson, der militärische Aspekt, Vorrang vor der Kriegsmanier gewann. Repressalie stieß auf Repressalie, Aktion und Reaktion schaukelten sich gegenseitig hoch. Die Völkerrechtler beider Seiten waren, so schien es, froh über jeden Vorwand, der ihnen den Einsatz aller zur Verfügung stehenden technischen Errungenschaften mittels des Instruments der Repressalie ermöglichte. Das rasche Fortschreiten der waffentechnischen Entwicklung, verbunden mit dem dadurch bedingten Wandel der Zeitanschauung, schufen im 20. Jahrhundert ein grundlegend anderes Kriegsbild. Die neue Art der Kriegführung brachte Kohler 1917 dazu, seine in der Vorkriegszeit und zu Beginn des Krieges geäußerte Auffassung über mögliche Objekte von Kriegshandlungen zu präzisieren. Die quasikriegerischen Maßnahmen waren Kohler zufolge so einzurichten, dass die nicht beteiligte Bevölkerung möglichst wenig betroffen werde. Waren sie nicht anders möglich, so müsse, erklärte er, auch die nichtbeteiligte Bevölkerung darunter leiden. Rein militärische Akte durften danach zwar nicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet werden, konnten sie aber unter Umständen treffen. Auch die Zivilbevölkerung war danach zahlreichen legalen Eingriffen im Krieg ausgesetzt. Kohlers Forderung, Belgien und die baltischen Länder zu Protektoraten unter strenger Kontrolle durch das Reich zu machen, knüpfte an die zentralen Ideologien der Kaiserzeit, den Militarismus und den Nationalismus an. Seine Vorstellungen von möglichen Kriegszielen des Deutschen Reiches implizierten letztlich eine Rechtfertigung derjenigen Politik, die zum Krieg geführt hatte. Damit verließ Kohler wieder einmal pazifistischen Boden. Regionale Konzeptionen, denen eine machtpolitische Tendenz innewohnte, waren mit dem pazifistischen Ziel einer globalen Friedenssicherung nicht vereinbar. Zwar wünschten auch die Anhänger der Friedensbewegung die territoriale Unversehrtheit des Reiches und seiner Verbündeten und eine Sicherung der Entwicklungsmöglichkeiten Deutschlands für die Zukunft. Doch durfte man ihrer Ansicht nach dabei keine fremden Lebensinteressen vergewaltigen. Dauerhaft konnte nach pazifistischer Ansicht ein Friede nur sein, wenn er von allen Beteiligten als befriedigende Regelung ihrer internationalen Beziehungen empfunden wurde.

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Die militärische Lage beurteilte Kohler im Wesentlichen voller Zuversicht. Diese Haltung offenbart eine gewisse Naivität oder aber Unkenntnis der tatsächlichen Kräfteverhältnisse. Er erkannte zwar die Schwierigkeiten, in die die deutsche Armee im Laufe der von Juli bis zum Herbst 1916 dauernden Sommeschlacht geraten war, glaubte aber, dass durch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg eine Wende herbeigeführt werden könne. Dabei setzte er starr auf eine einseitige und letztlich unzureichende militärische Konzeption, die den Kriegseintritt der USA bewusst einkalkulierte. Angesichts der militärischen Krise des Deutschen Reiches 1916 spitzte sich der Konflikt zwischen Annexionisten und Gemäßigten weiter zu. Waren die Vorschläge zur Überwindung der Krise des Reiches bei den auf Reformen im Innern drängenden Gemäßigten in erster Linie innenpolitischer Art, so waren sie bei Kohler und seinen Gesinnungsgenossen stärker außenpolitischer Natur. Was die Erhaltung der Kampfesleidenschaften anbetraf, so blieben sie authentische Repräsentanten des Geistes der ersten Kriegswochen. Die Kluft innerhalb der deutschen Professorenschaft stellte ein Abbild des Gegensatzes dar, der das ganze deutsche Volk gespalten hatte. Wie aus den Unterschriftenlisten hervorgeht, blieb die annexionistische Gruppe bis zum Kriegsende in der Mehrheit. Bethmann räumte nach dem Kriege ein, dass er oftmals gegen seinen Willen dem starken Einfluss der annexionistischen Professoren auf die öffentliche Meinung und damit indirekt auf ihn selbst unterlegen sei.637 In besonderem Maße galt dies für den U-Boot-Krieg. Bethmann hatte sich im Januar 1917 gegen die Phalanx der Obersten Heeresleitung und der Gelehrten und den Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland, die den U-BootKrieg wollte, nicht mehr durchsetzen können. Im Rahmen der innenpolitischen Diskussion über Demokratisierung und Parlamentarisierung sprach sich Kohler für eine Verschiebung der Wahlrechtsreform auf die Zeit nach Kriegsende aus. Dabei verteidigte er das halbkonstitutionelle politische System des Deutschen Reiches gegenüber den westlichen Demokratien, die, wie er meinte, ausschließlich von materialistischen Lebensidealen beherrscht würden. Wenn er sich im Oktober 1918 zu innenpolitischen Konzessionen bereitfand, so tat er dies weniger aus innerer Überzeugung heraus als aus Opportunitätserwägungen. Wenn sich seine Hoffnungen auf eine Rettung der Monarchie durch Parlamentarisierung und Demokratisierung des Reiches auch nicht erfüllten, gelang es ihm doch, die Niederlage mit all ihren Folgen zu akzeptieren und sich der Realität so zu stellen, dass er auch die aus der militärischen Niederlage entsprungenen neuen Verhältnisse sinnvoll finden konnte. 637

Vgl. Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 182.

Zusammenfassung der Studie und Schlussbetrachtung Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung des politischen und völkerrechtlichen Denkens Josef Kohlers zu beleuchten. Stück um Stück fügte sich so zu der faszinierenden Chronik eines Mannes, der sich noch weniger als andere Charaktere in eine Schablone oder ein Schwarz-Weiß-Schema pressen lässt. Er war eine sehr komplexe Persönlichkeit, der man nur mit einer sehr differenzierten Betrachtungsweise beikommen kann. Es entstand das Bild eines streitbaren Geistes in Wissenschaft und Öffentlichkeit, eines leidenschaftlichen Kämpfers für liberale Ideen, der zur Verwirklichung seiner Ziele rhetorisches Pathos nicht scheute, ja, der sich teils sogar der Phrase bediente, einer Persönlichkeit, deren öffentliches Auftreten durch manche persönliche Eitelkeit überschattet wurde, eines Charakters, der aus der schillernden Berliner Szene des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist. I. 1849 im badischen Offenburg geboren, war Josef Kohler von Zeitalter und Region geprägt. Eine seiner Besonderheiten lag darin, dass er sich in einer Zeit, in der man sich in Deutschland noch unter Einfluss der Hegelianischen Staatsauffassung dem westlichen Rechtsdenken gegenüber verschloss, am internationalen Diskurs teilnahm. Dabei bestanden geistige Verbindungslinien zu den süddeutschen Rechtsvergleichern des beginnenden 19. Jahrhunderts. Der moderne, französisch orientierte Verfassungsstaat Baden bot der Rechtsvergleichung ein besonderes Umfeld. Dabei sah sich Kohler einer neuen Tendenz in der Rechtswissenschaft verbunden, die mit der Historischen Rechtsschule und einem reinen Positivismus brach und stattdessen unter Aufnahme rechtsphilosophischer Denkanstöße Rechtspolitik betrieb. Mit seiner Betonung der schöpferischen Richterpersönlichkeit wurde Kohler zum Vorläufer der um die Jahrhundertwende um den österreichischen Rechtssoziologen Eugen Ehrlich entstandenen Freirechtsschule, welche das Dogma des Rechtspositivismus von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung kritisierte. Kohler und in seiner Nachfolge die Freirechtsschule betonten die Funktion des Richters als eigenverantwortliches Organ der Rechtsanwendung.

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In Berlin verdichtete sich Kohlers Beziehungsnetz. Er begann nun, sich in verschiedener Hinsicht als Wissenschaftsorganisator zu betätigen. Neben den Sammelwerken Handelsgesetze des Erdballs, Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Berliner Juristische Beiträge und Die Patentgesetze aller Völker gab er im Laufe der folgenden Jahre auch sechs juristische Archivzeitschriften heraus.1 1909 gründete er die Internationale Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR) und das dazugehörige Archiv.2 In Berlin erweiterten sich auch seine Möglichkeiten zur Fortführung seiner bereits Mitte der achtziger Jahre in Würzburg begonnenen Forschungen in den deutschen Kolonien. Für Kohler blieb bei seinen rechtsethnologischen Forschungen wie schon in Würzburg weiterhin die Universalrechtsgeschichte im Vordergrund, welche in seinem Verständnis zugleich die Möglichkeit bot, nationale Traditionen zu reflektieren und Wertmaßstäbe für die Gegenwart zu finden. Überzeugt von einer einheitlichen Weltkultur des Rechts, wertete er Recht als universale Größe, die den Anspruch auf universale Geltung erheben durfte. Bereits in Würzburg aber war sich Kohler, dessen Forschungen auch der Verwaltung bei der Ausübung einer möglichst effektiven Kolonialherrschaft zugute kommen sollten, auch über die politische Bedeutung der Rechtsethnologie im Klaren. Wesentlich deutlicher noch als in seiner Würzburger Zeit trat bei Kohler in Berlin das nationale Geltungsbewusstsein hervor, das er mit der deutschen Kolonisation verband. Zugleich war Kohler in der Vorkriegszeit ein Vorreiter auswärtiger deutscher Wissenschafts- und Kulturpolitik. Dabei ging es ihm um Kulturausstrahlung, kulturelle Selbstinterpretation und kulturelle Expansion, nicht um Kulturpropaganda oder Kulturimperialismus. Sein Vorhaben einer von den Ideen der Friedenssicherung und Völkerverständigung bestimmten internationalen Zusammenarbeit verkörperte eine Alternative staatlicher Weltfriedenspolitik am Vorabend des Ersten Weltkriegs. In ihrer schwierigen Anfangsphase übernahm er den Vorsitz der Deutschen Friedensgesellschaft und riskierte dabei persönliche Nachteile. Anders als in den romanischen und angelsächsischen Ländern, in denen die Friedensbewegung bald anerkannter Bestandteil des öffentlichen Lebens wurde, trat man im Deutschland der Jahrhundertwende der als politisch naiv, unmännlich und schwach, 1 Die Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft, das Archiv für bürgerliches Recht, die Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht, Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, das Archivfür Rechts- und Wirtschaftsphilosophie sowie die Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht. 2 Auf dem XIII. Weltkongress der Vereinigung Ende August 1987 im japanischen Kobe beschloss man die Stiftung eines Josef-Kohler-Preises zur Förderung junger Wissenschaftler auf dem Gebiet der Rechts- und Sozialphilosophie, vgl. Karl A. Mollnau, Recht, Kultur, Wissenschaft und Technologie, in: Spectrum 19 (1988), Heft 2, S. 13.

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ja sogar als moralisch minderwertig und unpatriotisch geltenden Friedensbewegung mit starken Vorbehalten gegenüber. In Kohlers Argumentation im Bereich der Friedensbewegung zeigt sich eine Entwicklung, die insbesondere in den ersten Jahren parallel zu der der Deutschen Friedensgesellschaft verlief. Sein erster Aufruf als Vorsitzender der DFG fügte sich ganz in das humanitär-aufklärerische Programm der frühen DFG, das auf die Erziehung der Bürger durch Schriften und Vorträge abzielte und den Glauben an die Überzeugungskraft der eigenen Ideale widerspiegelte. Dabei erkannte Kohler nicht, dass die Friedensbewegung auch offensichtlich politisch sein musste, dass sie unmittelbar auf der politischen Ebene agieren und Träger des politischen Willens werden musste. Die Überzeugung von einer dem historischen Prozess innewohnenden Entwicklung zum Frieden hatte eine reservierte Haltung gegenüber aktuellen politischen Fragen zur Folge. Nach dem enttäuschenden Ausgang der Ersten Haager Friedenskonferenz von 1899 beteiligte sich Kohler an der theoretischen Fundierung der Ziele der Friedensbewegung, mit der diesen das Illusionäre genommen werden sollte. Die ethische Begründung des Pazifismus trat dabei aus taktischen Gründen in den Hintergrund. Der Pazifismus sollte von der Utopie zur „Wissenschaft“ erhoben werden. Aus historisch belegten Entwicklungstendenzen leitete Kohler ebenso wie Ludwig Quidde und Alfred Hermann Fried eine Entwicklung zu zunehmender internationaler Organisation ab. Diese Sicht wurde mit parallelen Entwicklungen in der Geschichte, nämlich einer fortschreitenden Entwicklung sozialer Verhaltensweisen und rechtlicher Institutionen begründet. Dabei entsprach der Beschränkung und endgültigen Ausschaltung der Fehde die Beschränkung, Reglementierung und schließliche Beseitigung des Krieges als einer Selbsthilfe der Völker. Kohler beließ es jedoch nicht dabei, solche Entwicklungstendenzen sichtbar zu machen. Seiner Ansicht nach war es das Wechselspiel von natürlicher Entwicklung und bewusster Beschleunigung dieser Entwicklung, welches das Wesen der Friedensbewegung ausmachte. Er intendierte, die Prestigebedürfnisse zwischen den Völkern durch einen kulturellen Kosmopolitismus zu überwinden, in dem nationale Lebensäußerungen als Varianten eines gleichrangigen Weltbürgertums bestehen bleiben sollten. Davon überzeugt, dass eine Befriedung des menschlichen Zusammenlebens durch Sittlichkeit und Vernunft möglich und notwendig sei, sah er ein Hilfsmittel zur Errichtung und zum Erhalt des Friedens zum einen im Zusammenschluss der Völker und ihrer Verbindung zur Pflege gemeinsamer Kulturinteressen, zum anderen in politischen Staatenorganisationen, wobei er sich insbesondere die Gründung eines Bundesstaates vorstellen konnte. Die Hauptaufgaben eines Staatenzusammenschlusses sah er darin, den Krieg als ein barbarisches Mittel der Konfliktbereinigung überflüssig zu machen. Daneben sollte die Staatenorganisation auch der gemeinsamen Bewältigung weltweiter Aufgaben

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dienen, welche im Wesentlichen die Sektoren der Schaffung und Kodifikation des Völkerrechts, der Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen und der Kulturförderung umfassten. Diesen Plänen lag wie bei ähnlichen Konzeptionen dieser Zeit auch die Sorge zugrunde, Europa könnte seine politische, kulturelle und wirtschaftliche Position in der Welt gegen die aufsteigenden amerikanischen und asiatischen Mächte verlieren. Der Schwerpunkt des völkerrechtlichen Werks Kohlers vor 1914 lag auf dem Recht der Friedenssicherung. Die übrigen Gebiete des Völkerrechts blieben demgegenüber deutlich im Hintergrund. Das Hauptgewicht seiner völkerrechtswissenschaftlichen Originalität ist in der Propagierung des Bundesstaatsgedankens in der Zeit vor 1914 zu sehen. Zwar hat die Untersuchung gezeigt, dass der Plan der Errichtung eines Staatenbundes keineswegs bei Kohler seinen Ursprung hatte, sondern wie der Gedanke Friede durch Recht überhaupt auf älteren philosophischen Traditionen und pazifistischen Vorbildern beruhte. Doch ist es das bleibende Verdienst Kohlers, den Gedanken eines allgemeinen Staatenbundes in einer Zeit wieder in den Blickpunkt der deutschen Völkerrechtswissenschaft gerückt zu haben, in der die Schaffung des Völkerbundes noch nicht abzusehen war und der Gedanke der Gründung eines Bundesstaates überwiegend als abwegig erachtet wurde. Kohler wollte dem Staatenbundgedanken das Illusionäre nehmen und ihn als realisierbare rechtspolitische Forderung präsentieren. Seine Fachkollegen wandten sich zwar intensiv der Frage der Schiedsgerichtsbarkeit zu, aber bereits hinsichtlich weiterer Einzelfragen wie der Schlichtung von Interessenkonflikten zeigten sie große Skepsis und Zurückhaltung. Im Gegensatz zu Kohler oder Walther Schücking hatten sie internationale Forschungserträge noch kaum rezipiert. In methodischer Hinsicht sind Kohlers Öffnung gegenüber naturrechtlichem Gedankengut, seine Absage an den Positivismus sowie seine intensive Rezeption pazifistischer Ideen hervorzuheben, durch die er sich von der Mehrzahl seiner Kollegen abhob. Zwar erachteten die meisten Völkerrechtler vor 1914 die Bestrebungen der Friedensbewegung als berechtigt. Kohler aber erhob die Berücksichtigung der Ziele des Pazifismus zu einer Forderung. Er erkannte die Selbständigkeit und die beherrschende Stellung der Staaten an, betonte dabei aber die Bindung an höhere vom Staatswillen unabhängige Grundsätze des Rechts und die Einordnung der Staaten in eine auf bestimmten Rechtsauffassungen beruhende Gemeinschaft der Nationen. Er plädierte für die Anerkennung eines vom staatlichen Willen unabhängigen übergeordneten internationalen Rechts über den Staaten, das die Sphäre ihres Handelns abgrenzte, wobei er darauf hinwies, dass für den Juristen der Bezug auf eine überpositive, nicht im Rechtstext vorzufindende Lebensordnung unvermeidlich sei. In der Verbindung des Völkerrechts zum Naturrecht sah er das feste Fundament für eine über den Staaten und unabhängig von ihnen bestehende rechtliche Ord-

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nung. Von hier aus waren seiner Ansicht nach Rechtssätze zu begründen, die die staatliche Souveränität einschränken und den Staaten bleibende Pflichten gegeneinander auferlegen sollten. Die Hauptaufgabe der Völkerrechtswissenschaft sah er in der Fortbildung des zwischenstaatlichen Rechts. Der Völkerrechtler durfte sich seiner Ansicht nach nicht nur auf die Verwaltung bereits vorhandenen Rechts beschränken, sondern musste es vor allem auch weiterentwickeln. Sein völkerrechtliches Denken weist sehr progressive Züge auf. Er vertrat eine klassische, vom Souveränitätsdenken des 19. Jahrhunderts ausgehende Auffassung des Völkerrechts, ohne dem klassischen Völkerrecht verhaftet zu bleiben. So dachte er national und öffnete sich doch dem Gedanken einer überstaatlichen Ordnung. Kohler deutete, insbesondere was seine Ideen zur Errichtung und Aufrechterhaltung einer Friedensordnung, seine Lehren vom Primat des Völkerrechts und der Universalität des Rechts sowie seine Auffassungen zur Völkerrechtssubjektivität und der Einbeziehung fremder Kulturen in die Völkerrechtsgemeinschaft anbelangt, bereits in der Vorkriegszeit über das klassische Völkerrecht hinaus. Was ihn von den Völkerrechtlern seiner Zeit weithin abhob, war sein einzigartiger Respekt vor Kulturen anderer Kulturkreise und -stufen. Dennoch war er in Vielem noch dem auf dem Souveränitätsdogma beruhenden klassischen Völkerrecht verhaftet, was vor allem bei seiner Haltung zum Krieg als ultima ratio der Politik zum Ausdruck kam. Innenpolitisch war er am status quo orientiert. Die bestehende Gesellschaftsordnung stellte er nicht in Frage. Er erkannte nicht wie Quidde oder Schücking, dass eine Reform der internationalen Beziehungen nicht ausreichen würde, sondern durch demokratische Einrichtungen im Innern hätte ergänzt und abgesichert werden müssen. Sein Friedensbegriff war ausschließlich außenpolitisch orientiert, beschränkt auf die Gestaltung des Verhältnisses zum Ausland. Die gesellschaftlichen Ursachen bestehender Friedlosigkeit lagen jenseits seiner Betrachtung, ebenso wie sie außerhalb des Vorstellungshorizonts der Mehrheit bürgerlicher Pazifisten lagen. Die in den Reihen der Sozialisten vertretene Ansicht, Voraussetzung einer allgemeinen Pazifizierung sei die Revolutionierung des gesellschaftlichen Systems, fand innerhalb der bürgerlichen Friedensbewegung keinerlei Rückhalt. Man strebte eine humanere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems an, keinesfalls aber dessen Umsturz. Staat und Nation spielten in Kohlers Denken in verschiedener Hinsicht eine Rolle. Zwar war er kein Gesinnungsmilitarist, sondern ein erklärter Kriegsgegner. Aber trotz seines starken pazifistischen Engagements, durch das er sich von vielen seiner Zeitgenossen, auch vielen Professoren, abhob, war er auch vielen Stereotypen seiner Zeit verhaftet. So übte er nur verhaltene Kritik am deutschen Nationalismus und Militarismus als ideologischen Hindernissen einer Friedensordnung sowie an den gesellschaftlichen Schichten, die diese Strömungen trugen.

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Seinen Einfluss nutzte er unter anderem auch dazu, sich für Kunst- und Geistesfreiheit einzusetzen. 1900 nahm er an einer der umfassendsten außerparlamentarischen Oppositionsbewegungen innerhalb der liberalen intellektuell-künstlerischen Öffentlichkeit gegen die Zensurverschärfungen im wilhelminischen Deutschland teil. Moral und Recht erschienen neben seinem höchsten Menschheitsziel, der Kulturbildung, nur als sekundäre Werte. Das Recht war Kohler zufolge Kulturerscheinung und -bedingung. Zum Teil kommt bei Kohler eine grundsätzlich konservative, betont überindividualistische Ordnungsvorstellung zum Ausdruck, so etwa, was seine Haltung zur Deportation, zur Todesstrafe oder während des Krieges zu Freischärlern und Geiseln anbelangt. Ebenso zeigt sich in Kohler aber auch ein bis auf den Grund liberaler Individualist, ein Kämpfer für die Freiheit und Würde des einzelnen Menschen. So bekämpfte er den Antisemitismus, setzte sich für die Emanzipation und das Wahlrecht der Frau ein, für die juristische Anerkennung „freier Verbindungen“, für eine verbesserte Rechtsstellung „unehelicher“ Kinder, für Homosexuelle und für eine mildere Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Anschauung der Realität untersagte ihm eine theoretische Herauslösung des einzelnen aus seinen historischen und gesellschaftlichen Bezügen und seine Überbewertung. Individualistische und überindividualistische Wertvorstellungen stellten für ihn keine unvereinbaren Gegensätze dar, sondern sollten sich ergänzen zu einem gerechten Ausgleich, zu einer glücklichen Synthese, die größtmögliche Kulturförderung ermöglichen sollte. Im August 1914 wurde er von der allgemeinen Kriegspsychose erfasst. Von der Kriegsbegeisterung derjenigen, die sich vom Krieg eine Erneuerung der Kultur erhofften, ist die bei Kohler zu beobachtende Kriegsbejahung jedoch zu unterscheiden. Ihm waren die Schrecken des Krieges durchaus bewusst. Das Institut des Krieges erachtete er als zivilisatorische Rückständigkeit, die eine moralische Rechtfertigung verlange. Da aber bis in die Reihen der Pazifisten hinein der Krieg als ein Akt nationaler Notwehr verstanden wurde, sah er gar keinen Grund, den Kriegseintritt Deutschlands kritisch zu kommentieren. Auf dieser Annahme eines aufgezwungenen Verteidigungskrieges baute sich seine gesamte Kriegsideologie auf. Wie viele Gelehrte war er der Ansicht, dass dieser Kriegsausbruch den Pazifismus widerlegt habe. Die Ereignisse seit 1914 deutete er als Scheitern seines Vernunftideals. Folge dieses Vertrauensverlustes war ein Pathos der Härte, das geistige Pendant einer säkularen Verrohung, die sich teils auch in seinen völkerrechtlichen Auffassungen niederschlug. Ist seine Einstellung zur Frage der Behandlung von Zivilisten im feindlichen Ausland und zum Gebrauch von Dumdumgeschossen auch als sehr human einzuschätzen, so erscheint seine Haltung zu einzelnen Kriegsrechtsfragen wie zur Frage der Behandlung von Freischärlern und Geiseln, zur deutschen Seekriegsführung und zum Luft-

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krieg insbesondere aus heutiger Sicht sehr rigide. Deutlich wird, wie sehr das Denken Kohlers doch am eigenen Staat orientiert war. Die Ideen von Humanität und Gerechtigkeit traten demgegenüber stark zurück. Hier zeigte sich auch bei Kohler bereits die während des Ersten Weltkriegs allgemein zunehmende Tendenz zur Aushöhlung des Respekts vor dem Leben von Zivilisten. Hatte die Haager Kodifikation noch die axiomatische Unterscheidung zwischen Streitkräften und Zivilbevölkerung vorausgesetzt, so entwickelte sich durch die Kriegspraxis und Völkerrechtsgelehrte, welche diese rechtfertigten, ein Volkskrieg, der das Antlitz des Krieges veränderte. Der Erste Weltkrieg war der erste moderne, die ganze Welt einbeziehende Krieg der Menschheitsgeschichte und zugleich ein entscheidender Schritt hin zum „Totalen Krieg“. Der Komplex friedlicher Streiterledigung trat bei Kohler nach Kriegsausbruch stark zurück. Erst nach Kriegsende näherte er sich der Idee der Schiedsgerichte, wenn auch sehr zurückhaltend, wieder an. Die Kriegsereignisse hatten bei ihm zu der Auffassung geführt, dass äußerliche Einrichtungen wie Schiedsgerichte allein nicht ausreichten. Vielmehr, so meinte er, müssten in subjektiver Hinsicht Ehrlichkeit, Rücksichtnahme, guter Wille, anständige Gesinnung und das Bewusstsein der Brüderlichkeit der Völker hinzutreten. Was die zukünftige Gestaltung des Völkerrechts anbelangte, so forderte er noch deutlicher als vor dem Krieg eine stärkere Stabilität des Völkerrechts gegenüber der politischen Macht. Seiner Auffassung nach musste sich das Völkerrecht mehr mit ethischem Gehalt füllen. Er ging dabei allerdings davon aus, dass solche Pläne während des Krieges nicht zu realisieren waren. Ideal und Wirklichkeit fielen bei Kohler insoweit auseinander. In dem während des Krieges ausgetragenen Gegensatz zwischen einer Friedenssicherung mittels rechtlicher Vereinbarungen oder mittels militärischer Sicherungen, in dem sich der prinzipielle Gegensatz zwischen Recht und Macht niederschlug, entschied sich Kohler für eine Friedenssicherung mittels militärischer Macht. Was seine Vorstellungen von möglichen Kriegszielen des Deutschen Reiches anbelangte, so wich er stark von der pazifistischen Doktrin ab. Regionale Konzeptionen, denen eine machtpolitische Tendenz innewohnte, waren mit dem pazifistischen Ziel einer globalen Friedenssicherung unvereinbar. Wenn in Kohlers Haltung während des Krieges zunehmend mehr die Grotiussche These Der Zweck heiligt die Mittel durchklang, so zeigte sich darin bereits eine in die Zukunft weisende Tendenz, das vorbehaltslose Bekenntnis zu den kollektiven Mächten Staat, Nation und Volk und das Eindringen des Nationalismus in das Gebiet der Ethik und der Wissenschaft hin zum Grundsatz: Gut ist, was deinem Volke nützt! Die Auslegung des Ersten Weltkrieges als Vernichtungskampf gegen die überlegene deutsche Kultur war eine ideologische Neuheit. Der Krieg wurde als Totalentscheidung über die geistige Zukunft nicht nur des Deut-

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schen Reiches, sondern der ganzen Welt verstanden. Fatale Konsequenz dieser Sichtweise war die vermeintliche Unmöglichkeit eines Friedensschlusses nach herkömmlicher Art. Auch Kohler hielt Änderungen im Staatsleben für unausweichlich. Er konzedierte institutionelle Änderungen insoweit, wie diese mit dem „deutschen“ Staatsverständnis“ in Einklang standen. Dabei sprach er sich für eine Verschiebung der Reform des preußischen Wahlrechts auf die Nachkriegszeit aus, da er die Ansicht Dietrich Schäfers und Reinhold Seebergs teilte, dass man sich während des Krieges auf die Außenpolitik konzentrieren müsse. Der Gegensatz zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer sofortigen Durchführung der Wahlrechtsreform korrespondierte wie bei Kohler bei den meisten Professoren mit dem Gegensatz von Gemäßigten und Annexionisten in der Frage der äußeren Kriegsziele. Waren die Vorschläge zur Überwindung der Krise des Reiches bei den Gemäßigten in erster Linie innenpolitischer Natur, so waren sie bei Kohler und seinen Gesinnungsgenossen stärker außenpolitischer Natur. Eine Parlamentarisierung des Reiches lehnte Kohler wie die meisten Gelehrten, auch die Mehrzahl der gemäßigten, ab. Nur wenige Professoren wie etwa Gerhart von SchulzeGaevernitz, Gerhard Anschütz, Hugo Preuß oder Lujo Brentano stimmten Max Weber hinsichtlich der Forderung nach einer sofortigen Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und der nach einer Parlamentarisierung des Reiches zu.3 Wie Weber blieben alle diese Professoren auf dem Boden der monarchistischen Grundordnung des Reiches. Die Mehrzahl der Anhänger der deutschen Friedensbewegung forderte wie Weber eine sofortige Reform des preußischen Wahlrechts und eine Beteiligung der parlamentarischen Parteien an der Regierung. Eine Beseitigung der Monarchie forderte man aber auch in ihren Reihen nicht. Kohler idealisierte die überkommene, halbautoritäre Staatsordnung im Kaiserreich, die er durch ein Gleichgewicht von Ordnung und Freiheit geprägt sah. Dabei wies er auf eine besondere Befähigung der Deutschen zur Organisation im Rahmen einer Staatsordnung hin, die die freiwillige Unterordnung aller Bürger unter den Staat als der die gemeinsame politische Ordnung verbürgenden Staatsform vorsah. Seine Forderung nach dem „großen Mann“, der nicht danach frage, „ob man den fremden Nationen das oder jenes antun dürfe“ und seine Konzipierung des äußeren Feindbildes zeigen anschaulich den antili3

Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Parlamentarismus und Krone, in: Deutsche Politik 3 (1918), S. 358 ff.; Gerhard Anschütz, Die preußische Wahlreform, Berlin 1917; Hugo Preuß, Weltkrieg, Demokratie und Deutschlands Erneuerung, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik 44 (1917), S. 263 ff.; Lujo Brentano, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, Jena 1931, S. 334; Ernst Troeltsch, Anklagen auf Defaitismus (Anfang 1918), in: Deutsche Politik 2 (1917), S. 665.

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beralen Charakter der deutschen Gesellschaft im ausgehenden Kaiserreich. Reinhard Rürup hat darauf hingewiesen, „in welchem Maße die Gesellschaft in der Schlussphase des Kaiserreiches bereits für faschistische Krisenlösungen vorbereitet war.“4 Nach der Machtübernahme versuchte die nationalsozialistische Propaganda, Kontinuitätslinien zwischen dem Januar 1933 und dem August 1914 herzustellen. Man knüpfte dabei aber nicht an die Ideen von 1914 an, denen im Unterschied zum Ideenkonglomerat der Nationalsozialisten nicht zuletzt auch völkisch-biologische und antisemitische Gedanken fehlten, als vielmehr an die Aufbruchsmetaphorik. Die Ideen von 1914 selbst sind nicht als präfaschistisch anzusehen. Vielmehr stellten sie einen Gedankenvorrat dar, aus dem verschiedene politische Strömungen schöpfen konnten.5 Unabhängig von dem Annexionisten und Gemäßigten gemeinsam zugrunde liegenden Sicherheitsstreben lässt sich hinsichtlich der erstrebten Kriegsziele der beiden Gruppen zwischen zwei auf verschiedenen außenpolitischen Grundhaltungen beruhenden Richtungen differenzieren. Die Befürworter eines Verständigungsfriedens waren der Ansicht, dass der Krieg rein militärisch nicht zu gewinnen sei und es daher politischer Maßnahmen bedürfe, um zu einem ehrenvollen Frieden zu gelangen. Demgegenüber setzten Kohler und die Gruppe um Dietrich Schäfer und Reinhold Seeberg als Anhänger eines Machtfriedens ausschließlich auf militärische Erfolge und sprachen sich gegen jede Verhandlung mit dem Gegner aus. Im Oktober 1918 fand sich Kohler zu innenpolitischen Konzessionen bereit und erklärte, sich in den Dienst der parlamentarisch-demokratischen 4 Reinhard Rürup, Der „Geist von 1914“ in Deutschland. Kriegsbegeisterung und Ideologisierung des Krieges im Ersten Weltkrieg, in: Bernd Hüppauf (Hrsg.), Ansichten vom Krieg. Vergleichende Studien zum Ersten Weltkrieg in Literatur und Gesellschaft, Königstein/Taunus 1984, S. 30; ähnlich ders., Die Ideologisierung des Krieges: Die „Ideen von 1914“, in Helmut Böhme/Fritz Kallenberg (Hrsg.), Deutschland und der Erste Weltkrieg, Darmstadt 1987, S. 139 ff.; Klaus von See, Die Ideen von 1789 und die Ideen von 1914. Völkisches Denken in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1975, S. 114; Wolfgang J. Mommsen, Der Geist von 1914. Das Programm eines politischen „Sonderweges“ der Deutschen, in: ders., Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur des deutschen Kaiserreiches, Frankfurt a. M. 1992, S. 411, 417–420; Wolfgang Greive (Hrsg.), Die Auseinandersetzung mit dem „Geist von 1914“. Vorwort und Einführung, in: ders., Der Geist von 1914. Zerstörung des universalen Humanismus, Rehberg-Loccum 1990, S. 5 ff., 12; Nicolaus Sombart, Der Geist von 1871–1945 – ein deutscher Abweg?, in: Wolfgang Greive (Hrsg.), der Geist von 1914. Zerstörung des universalen Humanismus?, Rehberg-Loccum 1990, S. 120 ff. 5 In diesem Sinne auch Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, S. 310 ff.

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Neuordnung zu stellen. In der Unterstützung der neuen Regierung sah er den einzigen Weg, „Vaterland, Kaiser und Reich unversehrt“ zu erhalten. Erfüllten sich seine Hoffnungen auf eine Rettung der Monarchie durch Parlamentarisierung und Demokratisierung des Reiches auch nicht, so betrachtete er das Ende des Kaiserreiches doch nicht als radikalen Einschnitt. Seiner Ansicht nach war der neue Staat auch vor dem Hintergrund deutscher Staatstraditionen historisch zu legitimieren. Deutschland sollte auf den Überlieferungen des Jahres 1848 neu aufgebaut werden. Kohler konnte die Republik als sinnvolle Fortentwicklung deutscher Geschichte ansehen. Wie viele andere deutsche Gelehrte war er letztlich ein Vernunftrepublikaner. Er hielt das für ihn oberste Priorität genießende Wertideal Kulturfortschritt nicht an die Monarchie gebunden. In seinem Wertemaßstab kam dem Wertideal Kultur stärkere Bedeutung zu als einer konkreten Staatsform. Dies erleichterte ihm die geistige Bewältigung der politischen Neuordnung. Zudem vermochte er die Weimarer Republik historisch nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund deutscher Staatstraditionen zu legitimieren, die ihm von frühester Jugend an vertraut waren. Auf diese Weise konnte er den neuen Staat als sinnvolle Fortentwicklung deutscher Geschichte würdigen. So haben auch Herbert Döring und Walter Bußmann unlängst darauf hingewiesen, dass insgesamt die siebzig- bis achtzigjährigen Gelehrten, deren politisches Bewusstsein noch im Kaiserreich geprägt worden war, stärker als ihre jüngeren Kollegen zur Anerkennung der Weimarer Republik bereit waren.6 Kohler war souverän genug, politische und soziale Veränderungen nicht grundsätzlich zu verurteilen, sondern seine Meinung darüber davon abhängig zu machen, inwieweit sie seinen über die politische Ebene hinausragenden Wertidealen gerecht werden konnten. Er zeigte politische Offenheit gegenüber historischen Umbrüchen und die Fähigkeit, diese nicht als übermächtigen Zwang zu verstehen, sondern als eine Herausforderung, die es anzunehmen und zu gestalten galt. Wie die vorliegende Arbeit zeigt, eröffnet der biographische Ansatz die Möglichkeit, die für die Zeitgenossen noch offene Geschichte zu rekonstruieren, deren Konsequenzen diese – im Gegensatz zur Nachwelt – eben nicht kannten. So zeigte sich u. a., dass selbst ein Mann mit dem Weitblick Kohlers die Tragweite des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Krieg nicht erkannte. Am Beispiel Kohlers wurde deutlich, wie der Erste Weltkrieg von Zeitgenossen erfahren und verarbeitet wurde, welche Leidenschaft, Hassgefühle und Wahnvorstellungen selbst nüchterne, gemäßigte Geister entwickelten. Die Arbeit konnte auf diese Weise auch einen Beitrag zur Men6 Vgl. Herbert Döring, Der Weimarer Kreis. Studien zum politischen Bewusstsein verfassungstreuer Hochschullehrer in der Weimarer Republik, Meisenheim am Glan 1975, S. 139; Walter Bußmann, Politische Ideologien zwischen Monarchie und Weimarer Republik, in: HZ 190 (1960), S. 58.

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talitätsgeschichte leisten. So ist am Beispiel Kohlers deutlich geworden, welche Wirkungsmacht der Erste Weltkrieg auf die Zeitgenossen hatte. Das Beispiel Kohlers war umso eindrucksvoller, als dass Kohler vor Kriegsausbruch anders als viele seiner Zeitgenossen alles andere als ein Apologet des Krieges gewesen war. Der Ansatz der reflektierten Biographie, das untersuchte historische Subjekt nicht mehr ausschließlich als ein individuelles, in sich geschlossenes Selbst zu erfassen, sondern die Bezüge der biographierten Person zu ihren historischen Lebenswelten zu rekonstruieren, hat sich in der vorliegenden Studie bestätigt. Kohler wurde nach diesem Ansatz nicht aus den ihn prägenden gesellschaftlichen Strukturen gelöst, sondern als ein Teil seiner historischen Lebenswelten betrachtet. Dabei zeigte sich, dass seine Kulturideale, seine politischen ökonomischen und gesellschaftlichen Anschauungen ihre Wurzeln im bürgerlichen Liberalismus fanden. Für sein politisches Wirken, insbesondere auch für die Haltung, die sein Schüler Karl Klee abfällig als „Kosmopolitentum“ bezeichnete, waren seine Herkunft und seine Grenzlanderfahrung von Bedeutung. Kohlers Sozialisierung erfolgte im Nachgang der Revolution von 1848/49, begleitet von der Politik Bismarcks, ihren Erfolgen und Misserfolgen. Kohler hat den staatsschöpferischen Einfluss der preußischen Monarchie, deren Militärs und deren Beamtenschaft bei der Gründung des Deutschen Reiches bewusst erlebt. In vielerlei Hinsicht, insbesondere auch aufgrund seiner Verteidigung der konstitutionellen Monarchie als der für das Deutsche Reich besten Staatsverfassung erscheint er als stark dem Kaiserreich verhaftet. II. Wie stark war nun die Zäsur, die der Erste Weltkrieg im Denken Kohlers bedeutete? Klaus Schwabe hat Kohler als Renegaten des Pazifismus bezeichnet.7 War Kohler tatsächlich Pazifist? Kohlers vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs entworfene Friedensstrategien waren Allgemeingut der deutschen Friedensbewegung, sie standen ganz in der pazifistischen Tradition, Friede durch Recht zu sichern. Nicht ganz unproblematisch erscheint allerdings, dass Kohler nicht nur den Verteidigungskrieg bejahte, sondern den Krieg darüber hinaus als ultima ratio der Politik anerkannte. Dennoch wird man Kohler nach damaliger Definition als Pazifisten bezeichnen können, da er eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagierte. Er setzte sich für die Idee des Friedens ein und hoffte, eine 7

Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkriegs, Göttingen 1969, S. 243 Anm. 131.

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Diskussion anzuregen, die politisch bedeutsam genug werden könnte, auf eine allmähliche Orientierung nationaler und internationaler Politik an den Werten Frieden und Recht hinzuarbeiten. Die von ihm begründete und herausgegebene Zeitschrift für Völkerrecht wollte er zu einem Verbindungsglied zwischen der Friedensbewegung und der Völkerrechtswissenschaft werden lassen und dabei auf die Idee der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen aufmerksam machen. Wenn in seiner Argumentation der Technopazifismus, der Internationalismus, gegenüber dem reinen Moralpazifismus stetig mehr Bedeutung gewann und er die Vorteile internationaler Zusammenschlüsse stark hervorhob, so mag dies zum Teil dem Bestreben geschuldet gewesen sein, die Friedensbewegung vom Stigma des Utopischen zu befreien und eine breitere Basis in der Bevölkerung zu finden. Man wird Kohlers Pazifismus jedoch als relativen bezeichnen müssen. Kohlers höchstes Wertideal war der Kulturfortschritt. Kohler war in erster Linie Kosmopolit, erst in zweiter Linie Pazifist. Seine Entwicklung im Bereich der Friedensbewegung im Zeitraum von 1892 bis 1914 zeigt, dass er, geprägt von Idealismus und Fortschrittsgläubigkeit, Krieg als zivilisatorische Rückständigkeit begriff, die er bekämpfen wollte. Seinen Bestrebungen lag also unzweifelhaft eine ethisch-humanitäre, also im engeren Sinne pazifistische Motivation zugrunde. Doch wird ebenfalls deutlich, dass daneben zunehmend auch Interessenerwägungen an Bedeutung gewannen. Er hatte die Bedeutung internationaler Zusammenschlüsse für die gegenseitige Kulturförderung erkannt. Kohler war kein radikaler Pazifist. Anders als die religiös-radikalen Pazifisten, die einzig an das persönliche Gewissen des Einzelnen appellierten und der Gewalt keine äußere Gewalt, auch keine rechtliche, entgegensetzten, also Selbstverteidigung und kollektive Gewalt ablehnten, verneinte er nicht jede Gewalt, sondern nur die rechtlose, sich souverän gebärdende, hielt aber die vom Recht geregelte und zu seiner Durchführung bestimmte Gewalt für zulässig. Er ist damit dem rechtlich-organisatorischen Pazifismus zuzuordnen, der bei Weitem wichtigsten und verbreitetsten Erscheinungsform des deutschen Pazifismus um die Jahrhundertwende, der sich vom absoluten, religiös geprägten Pazifismus dadurch unterschied, dass er die Geltung der Macht in den Staatenbeziehungen allmählich durch die Geltung des Rechts ersetzen wollte. Gewalt im internationalen Verkehr wurde dabei nicht für alle Zeiten und alle Gebiete der Erde ausgeschlossen, sondern da, wo sie im Dienste des Rechts stand, sogar ausdrücklich bejaht. Kohlers Pazifismus zeigt insgesamt stark kompilatorischen Charakter. Er enthält Elemente der Volkserziehung, die dem ethischen Pazifismus entspringen, Elemente des vornehmlich von Alfred Hermann Fried vertretenen organisatorischen Pazifismus, der die „Anarchie“ zwischen den Staaten durch Zweckverbände unterhalb der politischen Ebene überwinden wollte, Elemente des Kulturpazifismus, des Internationa-

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lismus auf wissenschaftlichem Gebiet sowie stark ausgeprägte Elemente des völkerrechtlichen Pazifismus. Sein Pazifismus war ein Pazifismus liberaler Provenienz. Die liberale Weltanschauung akzeptierte den Faktor Macht und eine bedingte Bereitschaft zum Krieg. So wie der deutsche Liberalismus seit seinen Anfängen in Programmatik und Politik sowohl weltbürgerlichinternationalistische als auch am Nationalstaat orientierte Elemente aufgenommen hat, so war seine Beziehung zur Friedensbewegung ebenfalls immer ambivalent.8 Kohler war Pazifist, solange und insoweit wie die Stellung Deutschlands nicht beschnitten wurde. Das zeigt sich schon vor dem Ersten Weltkrieg hinsichtlich der Frage Elsass-Lothringens. Auf Kohler trifft insoweit die Bemerkung Frieds über den deutschen Pazifismus zu: „Der Krieg hat [. . .] das Werk zerstört. Die Halben fielen um.“9 Kohlers Bejahung des „Verteidigungskrieges“ während des Ersten Weltkrieges erscheint aus seiner Sichtweise folgerichtig, unterstellte man wie er das Vorliegen einer Verteidigungssituation. Doch hat er sich während des Krieges von einigen seiner in der Vorkriegszeit verfochtenen pazifistischen Ideen distanziert, da er sie mit den Feindstaaten für nicht mehr durchführbar erachtete, so von den Gedanken obligatorischer Schiedsgerichtsbarkeit und der Errichtung eines allgemeinen Bundesstaates. Seine Kriegsziele wiesen eine mit der klassischen pazifistischen Doktrin im Sinne Bertha von Suttners oder Alfred Hermann Frieds nicht zu vereinbarende machtpolitische Tendenz auf. Kohlers Ansicht nach hatte der Kriegsausbruch diese Art von Pazifismus widerlegt. Man kann ein „Abweichen“ Kohlers von seinen in der Vorkriegszeit vertretenen Ansichten also feststellen. Doch ist die Zäsur, die der Erste Weltkrieg für die Haltung Kohlers bedeutete, nicht so stark, wie Max Fleischmann, Karl Klee oder Klaus Schwabe10 annehmen. Zum einen war das Denken Kohlers auch vor 1914 durchaus am eigenen Staat orientiert gewesen. Kohler verkannte und bejahte den Imperialismus als unproblematische und notwendige Fortsetzung der Bismarckschen Politik. Nach seiner Ansicht war der 1871 vom Deutschen Reich erworbene Großmachtstatus nur zu erhalten, wenn der Übergang zu einer expansiven Kolonial- und Überseepolitik gelang, die der Wirtschaft neue Rohstoff- und Absatzgebiete erschließen konnte. Kohlers pazifistische Haltung war schon 8

Vgl. Friedrich-Karl Scheer, Die deutsche Friedensgesellschaft (1892–1933). Organisation, Ideologie, politische Ziele. Ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus in Deutschland, 2., korrigierte Auflage, Frankfurt a. M. 1983, S. 136 f. 9 Alfred Hermann Fried, Mein Kriegs-Tagebuch, Band II, Zürich 1919/20, S. 128 f. 10 Max Fleischmann, Josef Kohler, in: ZVölkR 11 (1920), S. XXI; Karl Klee, Josef Kohlers Wirken auf dem Gebiete des Strafrechts und des Völkerrechts, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht und Strafprozess 68 (1920), S. 206; Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral. Die deutschen Hochschullehrer und die politischen Grundfragen des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1969, S. 243 Anm. 131.

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in der Vorkriegszeit eine „relative“, war er noch sehr dem klassischen Völkerrecht verhaftet, das keine allgemeinen Rechtsnormen kannte, die den Völkern die Pflicht auferlegten, den Frieden zu erhalten. Solange der Krieg als legitimes Mittel zwischenstaatlichen Verhaltens galt, war der Pazifismus zur Schwäche verurteilt. Auch hatte Kohler bereits in der Vorkriegszeit im staatlichen Selbsterhaltungsrecht die allem zwischenstaatlichen Recht immanente Grenze gesehen und die Anerkennung der Grundsätze der Clausula rebus sic stantibus, auf die er sich während des Krieges im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des deutschen Einmarsches in Belgien bezog, für das Völkerrecht bejaht. Soweit sich Kohler vor 1914 schon zu Fragen des Kriegsrechts geäußert hat, wie etwa zum Problem der Freischärler erscheint seine Haltung nicht weniger rigide als nach Kriegsausbruch. Zum andern hat er sich von der Idee einer zu erstrebenden Friedensordnung, die er in der Vorkriegszeit dem Gesinnungsmilitarismus entgegengehalten hatte, nicht grundsätzlich gelöst. An den Ideen der Friedenssicherung und einer Fortbildung des Völkerrechts hielt er prinzipiell fest. Er gab sie auch während des Krieges nicht grundsätzlich auf. Vielmehr erstrebte er beides für die Zeit nach Kriegsende, aber – vom Sieg des Deutschen Reiches ausgehend – unter deutscher Führung, da er den Ententemächten misstraute. Hatte Kohler in der Vorkriegszeit vehement die Auffassung vertreten si vis pacem para pacem (Wenn Du den Frieden willst, bereite den Frieden), ist seine während des Krieges erlangte Ansicht von der Notwendigkeit, Überlegenheit bzw. Gleichgewicht zur Sicherung des Friedens zu erlangen, letztlich Ausdruck der Para-Bellum-Doktrin des römischen Militärschriftstellers Flavius Vegetius Si vis pacem para bellum (Wenn Du den Frieden willst, rüste zum Krieg). Hier ist allerdings nochmals darauf hinzuweisen, dass Kohler auch vor dem Krieg schon kein Verfechter des Grundsatzes Friede durch Abrüstung war, sondern eine Abrüstung erst für den Fall der Schaffung weiterer Friedensstrategien in Betracht zog. Kohlers Ansicht nach focht man diesen Krieg, um ein für allemal seine Wiederholung unmöglich zu machen. Kohler wollte den Schutz und die Sicherung des Deutschen Reiches. Dafür hielt er es für unerlässlich, die Ententemächte erst einmal völlig niederzuwerfen und die Machtposition des Deutschen Reiches zu verstärken. Der Krieg, der alle Kriege beenden sollte, und der Krieg, der Deutschland aus seiner Mittellage befreien sollte, entsprachen einander dabei. Kohler bejahte also Gewalt zur Errichtung einer Friedensordnung nach dem Krieg und stand damit zumindest noch in Einklang mit den sogenannten Gewaltpazifisten, die Gewalt als Mittel zuließen, um damit eine Welt der Gewaltlosigkeit zu errichten.11 Klaus Schwabe ist aber 11 Zum Gewaltpazifismus siehe Hans Rühle, Angriff auf die Volksseele. Über Pazifismus zum Weltfrieden?, Osnabrück/Zürich 1984, S. 43.

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insoweit zuzustimmen, als dass Kohler während des Krieges den Boden des von ihm in der Vorkriegszeit vertretenen klassischen Pazifismus verlassen hat. Letztendlich durchlief er im Zeitraum von 1892 bis 1918 eine Entwicklung vom ethischen Pazifisten Suttnerscher Prägung bis zum Gewaltpazifisten und Annexionisten. Nach Kriegsende fand er zu seinen alten Idealen der Völkerversöhnung zurück. Diese Sicht, die letztlich nicht der machtpolitischen Auseinandersetzung, sondern der kulturellen Identität der europäischen Staaten Geltung verlieh, teilte er mit anderen Mitte des 19. Jahrhunderts geborenen, im klassischen Humanitätsideal aufgewachsenen Gelehrten wie Lujo Brentano (1844), Hans Delbrück (1848), Franz von Liszt (1851), Heinrich Lammasch (1853) oder Friedrich Meinecke (1862). Die Studie zeigt die Geschichte eines Gelehrtenlebens in seinen Kontinuitäten und Brüchen, seinen Erfolgen und Gefährdungen. Vor dem Krieg hatte Kohler dazu aufgefordert, nicht die eigene Vorstellung vom Recht als die einzig wahre anzusehen und andere Völker zu verstehen und zu achten. Diese Ermahnung hat er während des Krieges selbst nicht befolgt. Wie sich vor allem an der Kontroverse zwischen Kohler und Hans Wehberg über die Handhabung völkerrechtlicher Ansichten, die mit der Kriegführung des Deutschen Reiches nicht in Einklang standen, ersehen lässt, ist sich Kohler untreu geworden, indem er die von ihm selbst für die Wissenschaft geforderte Redlichkeit während des Krieges zunehmend verleugnete. Er wurde während des Ersten Weltkrieges zunehmend mehr zum Interpreten seiner eigenen fachwissenschaftlichen Kenntnisse und erlag dabei immer mehr den Leidenschaften der politischen Auseinandersetzung. Ansätze dazu finden sich aber auch schon in der Vorkriegszeit, wenn es um nationale Belange ging, wie insbesondere bei der Frage Elsass-Lothringens deutlich wird. Seine vermeintliche Professionalität war insofern schon vor 1914 mehr Ideal als Realität gewesen. War die Völkerrechtswissenschaft an sich zur sachgerechten Beurteilung völkerrechtlicher Probleme geeignet, so war doch, wie die vorliegende Studie gezeigt hat, die Gefahr gegeben, dass politische Auffassungen juristisch legitimiert wurden. Gerade, wie die Rechtfertigung des Einmarsches in Belgien zeigt, versuchte Kohler, die dem Deutschen Reich zum Vorteil gereichende Auffassung mit ausgesuchten juristischen und historischen Tatsachen zu stützen. Sein völkerrechtliches Wirken während des Krieges zeigt einmal mehr die Bedeutung und Gefährdung des Rechts, den ewigen Zwiespalt zwischen Gerechtigkeit und politischer Zweckmäßigkeit. Seine Suche nach einer gerechten Abwägung zwischen den Individualinteressen der Staaten und den Kollektivinteressen der Völkerrechtsgemeinschaft zeugte teils von etwas Unsicherheit, was die allgemeine Lage der europäischen Außenpolitik widerspiegelte.

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Wie insbesondere an der Person Kohlers ersichtlich wird, führte der Patriotismus der Friedensbewegung, d.h. seine Loyalität gegenüber den nationalen Interessen des Staates in Krisensituationen (Elsass-Lothringen, Erster Weltkrieg) zu inneren Konflikten. Die Rücksicht auf nationale Interessen wurde durch den „Außenseitercharakter“ der Friedensbewegung und den immanenten Zwang, die patriotische Zuverlässigkeit unter Beweis stellen zu müssen, noch potenziert. Der Erste Weltkrieg und der damit einhergehende Ausbruch chauvinistischer Leidenschaften bedeutete eine Bewährungsprobe für die Anhänger der Friedensbewegung, die Kohler nicht bestand. Die bereits in der Vorkriegszeit bei Kohler feststellbare Orientierung am Nationalstaat gewann unter dem elementaren Erlebnis des Ersten Weltkrieges die Oberhand. Maßstab seines Handelns war nur noch die Nation. Der bereits vor 1914 angelegte Hang zum Nationalismus erwies sich bei Kohler während des Krieges letztlich als stärker als die Völkerverbundenheit. III. Der Politologe und freikonservative Publizist Adolf Grabowsky (1880–1969) hat ihn als Propheten der Epoche des Kaiserreichs bezeichnet12 und damit den Einfluss Kohlers zweifellos überschätzt. Dennoch soll der Behauptung Grabowskys nachgegangen werden. Versteht man den Begriff Prophet in seiner ursprünglichen Bedeutung als „Verkünder neuer Ideen“, so trifft dies auf Kohler durchaus zu. Kohler hat in vielerlei Hinsicht erheblichen Weitblick gezeigt. Sein Hinweis „Die Geschichte ist weiter als wir“13 zeugt nicht nur von der frühen Erkenntnis überkommener Haltungen und Strukturen im zwischenstaatlichen Bereich, sondern lässt sich auch auf andere Bereiche seines Wirkens übertragen. Was aktuelle Fragen der Rechtspolitik wie die Emanzipation der Frau, das Unehelichenrecht oder die Strafvorschriften gegen Homosexualität und das Konkubinat betraf, provozierte er immer wieder durch seine liberale Sichtweise. Modern an Kohler waren auch seine fachliche Grenzüberschreitung und seine internationalen Kontakte, wie sie nur wenige deutsche Gelehrte seiner Zeit wie etwa Adolf von Harnack oder Karl Lamprecht besaßen. Seine völkerrechtspolitischen Ideen wiesen bereits auf das Völkerrecht der Nachkriegszeit hinaus und waren, wenn auch Traditionen, nämlich naturrechtlichen und pazifistischen, verhaftet, sehr modern. Der Begriff Prophet passt aber auch in seiner Wortbedeutung als Wegweiser oder Ratgeber. Wie die vorliegende 12 Adolf Grabowsky, Epoche des Scheins, in: Das neue Deutschland 22 (1919), S. 430. 13 Josef Kohler, Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 219.

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Studie gezeigt hat, verstand sich Kohler bereits in der Vorkriegszeit als geistiger Mentor des Volkes. Noch stärkeren Einfluss gewann er nach Kriegsausbruch. Grabowsky hat Kohler als Propheten einer Epoche bezeichnet. Dies führt des Weiteren zu der Frage, inwieweit Kohler repräsentativ für die Denkund Verhaltensweisen des Kaiserreichs gewesen ist. Die von Martin Doerry für den wilhelminischen Bürger festgestellte Autoritätsfixierung14 ist bei Kohler zwar festzustellen, ein Konformitäts- und Harmoniestreben allerdings nicht, was sein Engagement in der Friedensbewegung in der Vorkriegszeit anbelangte, durch das er sich von der Mehrheit seiner Mitbürger, auch innerhalb des liberalen Bildungsbürgertums und der Professorenschaft abhob und wofür er auch persönliche Nachteile in Kauf nahm. War Kohler seiner Zeit auch bereits in vielerlei Hinsicht voraus, so zeigt sich doch ein Übergewicht der Zeitverstrickung gegenüber der Zeitüberwindung. Nicht zuletzt auch seine Verteidigung der konstitutionellen Monarchie als der für das Deutsche Reich besten Staatsverfassung lässt ihn als stark dem Kaiserreich verhaftet erscheinen. Er war mehr als der „untypische Einzelgänger“, als den ihn viele verstanden. Er war vielmehr in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit, repräsentativ für die Denk- und Verhaltensweisen seiner Epoche. Bei ihm trafen liberal-progressive und elitär-reaktionär anmutende Auffassungen, die Politik und Gesellschaft des Kaiserreichs gleichermaßen charakterisierten, zusammen. Er war älter als die Gelehrten, die im Kaiserreich systemkritisch in Erscheinung traten. Es entspricht auch der Feststellung Bernhard vom Brockes, dass erst um die Jahrhundertwende eine neue Generation dreißig- bis vierzigjähriger Gelehrter wie Walther Schücking oder Gustav Radbruch im Zeichen des Sozialliberalismus antrat mit dem Ziel einer Parlamentarisierung des Reiches und einer Integration der Sozialdemokratie, während die Generation der saturierten ca. sechzigjährigen liberalen Gelehrten den wilhelminischen Obrigkeitsstaat akzeptierte (Enneccerus).15 Wofür steht Kohler? An seinem Beispiel zeigt sich besonders deutlich, welche Wirkungsmacht der Erste Weltkrieg auf die Zeitgenossen hatte. Selbst einen Kosmopoliten wie ihn ergriffen die Ideen von 1914. Er zog sich nicht nur vom Pazifismus zurück, sondern engagierte sich darüber hinaus wie die Mehrheit der deutschen Gelehrten im Lager der Annexionisten. Er gehörte auch zur Mehrheit derjenigen, die die konstitutionelle Monarchie bis zuletzt verteidigten. Zugleich steht er für den Großteil der Deutschen, die auch nach 1918 kein selbstkritisches Nachdenken über das 14 Vgl. Martin Doerry, Übergangsmenschen. Die Mentalität der Wilhelminer und die Krise des Kaiserreiches, 2 Bände, Weinheim 1986. 15 Bernhard vom Brocke, Professoren als Parlamentarier, in: Klaus Schwabe (Hrsg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite, Boppard 1988, S. 65.

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eigene Verhalten während des Krieges erkennen ließen, etwa über ihren Verzicht auf das selbständige, unter Umständen auch kritische Urteil, über ihre Gutgläubigkeit gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der Regierung, über ihre im Grundsatz gouvernementale Haltung oder ihre annexionistischen Zielvorstellungen. Nichtsdestotrotz steht Kohler auch heute noch für den frühen Versuch Einzelner, Strategien zur Friedenserhaltung wissenschaftlich zu entwerfen, in der Hoffnung auf politische Rezeption, im Bemühen um Resonanz in der Öffentlichkeit. Er hat keine völkerrechtliche Schule gebildet. Dies ist damit zu erklären, dass er es oftmals bei der Propagierung grundsätzlicher Ideen beließ. Seine völkerrechtlichen Theorien waren nicht bis ins Detail ausgearbeitet. Nicht selten kam er über die Äußerung von Grundsatzprinzipien nicht hinaus. Ihm war in erster Linie daran gelegen, seinen völkerrechtspolitischen Überlegungen Öffentlichkeit zu verschaffen. Darin zeigt sich auch, was den Nachruhm Kohlers auf dem Gebiet des Völkerrechts schmälerte. Seine Stärke lag nicht im Ausfeilen von Einzelheiten, nicht darin, dass er der Praxis fertige Entwürfe bot. Seine Größe lag vielmehr in der Zusammenführung der unterschiedlichsten Aspekte der Kultur und des Rechts, in der Beleuchtung vorher nicht berücksichtigter Ideen und der Herausstellung neuer Ziele und konstruktiver Zusammenhänge. Sein völkerrechtliches Werk vor 1914 erhält seine Spannung aus der Verschränkung politisch-pazifistischen und völkerrechtstheoretischen Argumentierens. Kohler war ein Autor im ursprünglichen Sinn des lateinischen Begriffes, d.h. ein großer Förderer und geistiger Anreger, der zum Überdenken so mancher alten Frage anhielt. Seine umfassende, über die Grenzen des eigenen Fachgebiets hinausgehende Geistigkeit mochte manchem reinen Fachgelehrten suspekt sein, war für die Rechtswissenschaft jedoch sehr zuträglich. Kohlers Universalität war kein Zeichen von Schwäche, sondern von Überlegenheit, nicht Ausdruck der Unentschiedenheit des eigenen Standorts, sondern der Zweifelhaftigkeit des gemeinhin verbreiteten Spezialistentums. Ungeachtet der fehlenden Schulenbildung hatte er auf dem Gebiet des Völkerrechts letztendlich doch starke Nachwirkung. Als im Jahre 1930 138 namhafte amerikanische Gelehrte, darunter 20 Präsidenten von Universitäten, 43 Dekane juristischer Fakultäten und 25 höchste Richter in einem Aufruf an die Mitglieder des Völkerbundrates den Professor John H. Wigmore als fruchtbarsten und vielseitigsten Juristen Amerikas zum Richter am Weltgerichtshof vorschlugen, fanden sie zu seinem Lobe keinen anderen Vergleich als den mit Josef Kohler.16 Seine völkerrechtlichen Studien lieferten manche Ideen für die Weiterentwicklung des Völkerrechts. Seine in der 16 Arthur Kohler, Erinnerungen an Josef Kohler, in: D’r alt Offeburger vom 5. November 1932.

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Vorkriegszeit an die Entwicklung des Völkerrechts erhobenen, auf eine Einschränkung der Souveränität zugunsten internationaler Rechtsbindung, Zurückdrängung des Krieges mit gleichzeitigem Ausbau friedlicher Streitbeilegung und Zusammenfassung der internationalen Solidarität der Völker in einem universalen organisatorischen Rahmen abzielenden Forderungen fanden über den Völkerbund bis zu den Vereinten Nationen einerseits und in einer Vielzahl völkerrechtlicher bilateraler und multilateraler Verträge andererseits ihre Konkretisierung. Der Erste Weltkrieg leitete die Veränderung der auf der Souveränität der Staaten und europäischer Hegemonie basierenden internationalen Gesellschaft ein. Entzündet als Krieg europäischer Staaten, wurde er durch den Hinzutritt der USA entschieden und damit zum Beginn der Machtverschiebung aus Europa. Bedeutender als die Machtverlagerungen jedoch war die als Folge des Krieges eingetretene Änderung internationaler Rechtsanschauungen. Nicht ohne Rückhalt an der von Kohler in der Vorkriegszeit und von der Friedensbewegung des 19. Jahrhunderts erhobenen Forderung nach gerichtlichem Austrag internationaler Streitfälle verlangte eine neue Richtung im Völkerrecht eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit, eine Beschränkung der Staatensouveränität und die Anerkennung subjektiver Rechtspositionen im Völkerrecht. Kohler steht nicht zuletzt auch für die wenigen Deutschen, die das Ende des Kaiserreiches nicht als radikale Zäsur betrachteten. Seiner Ansicht nach war der neue Staat auch vor dem Hintergrund deutscher Staatstraditionen historisch zu legitimieren. Es gelang ihm, die Republik als sinnvolle Fortentwicklung deutscher Geschichte anzusehen. Kohler entwickelte sich vom Herzensmonarchisten zum Vernunftrepublikaner. Sein politischer Weg verdeutlicht, dass eine starke Verbundenheit mit dem Kaiserreich nicht zwangsläufig eine republikfeindliche Haltung nach 1918 zur Folge haben musste.

Quellen-und Literaturverzeichnis A. Werkverzeichnis Josef Kohlers Vorbemerkung: Das Werkverzeichnis beschränkt sich auf die im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Veröffentlichungen Josef Kohlers. Im Übrigen wird auf die von Arthur Kohler erstellte Bibliographie verwiesen [Basel 1931 (Neudruck Aalen 1984)]. 1876 • Stammeseinheit und Nachberufung, in: Archiv für die civilistische Praxis 59 (1876), S. 87–148. 1878 • Deutsches Patentrecht, systematisch bearbeitet unter vergleichender Berücksichtigung des französischen Patentrechts, Abth. 1: Einleitung und materielles Patentrecht, Mannheim, Straßburg, 1878, Abth. 2: Formelles Patentrecht, Patentansprüche, Patentstrafrecht, Transitorisches Patentrecht, Zusätze und Berichtigung, Anhang, Register, Mannheim, Straßburg, 1878. 1880 • Das Autorrecht, Jena 1880. 1881 • Zur vergleichenden Rechtswissenschaft und ihrer Literatur, in: Kritische Vierteljahresschrift 23 (1881), S. 174–187. 1882 • Rezension zu Anders in: Deutsche Literatur-Zeitung 1882, Sp. 179. • Indisches Obligationen- und Pfandrecht, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 3 (1882), S. 161–218. 1884 • Das Recht des Markenschutzes, Würzburg 1884. • Rechtsgeschichte und Weltentwicklung, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 5 (1884), S. 321–334. • Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz, Würzburg 1884.

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1885 • Das Recht als Kulturerscheinung. Einleitung in die Vergleichende Rechtswissenschaft, Würzburg 1885. • Rechtsgeschichte und Culturgeschichte, in: Grünhuts Zeitschrift für das Privatund öffentliche Recht der Gegenwart 12 (1885), S. 583–593. 1886 • Zur ethnologischen Jurisprudenz, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 6 (1886), S. 407–429. 1887 • Rezension zu Post, Die Grundlagen des Rechts und die Grundzüge seiner Entwicklungsgeschichte, Oldenbur 1884, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 7 (1887), S. 460–461. • Über das Recht der Australneger, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 7 (1887), S. 321–368. 1888 • Patentrechtliche Forschungen, Mannheim 1888. 1893 • Vergleichende Rechtswissenschaft, in: Lexis, Wilhelm (Hrsg.), Die deutschen Universitäten. Für die Universitätsausstellung in Chicago 1893. Unter Mitwirkung zahlreicher Universitätslehrer, Band 1, Berlin 1893, S. 400–404. 1894 • Die geistige Mitarbeit des Weibes, in: Die Frau 1 (1894), S. 147–149. • Die Idee des geistigen Eigentums, in: Archiv für die civilistische Praxis 82 (1894), S. 141–242. 1896 • Ein Tag aus dem Leben eines akademischen Lehrers, in: Akademische Rundschau 1 (1896), S. 117–121. • Autorrechtliche Studien, in: Archiv für die civilistische Praxis 85 (1896), S. 339–374. 1897 • Fragebogen zur Erforschung der Rechtsverhältnisse der sog. Naturvölker, namentlich in den deutschen Kolonialländern, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 427–440. • Zur Urgeschichte der Ehe, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 187–353.

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• Die Rechte der Urvölker Nordamerikas (Nördlich von Mexiko), in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 354–416. • Zum Rechte der Australneger. Neuer Beitrag, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 417–426. • Das Recht der Marschallinsulaner, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 441–454. • Nachruf auf Albert Hermann Post, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 12 (1897), S. 455–457. • Ueber den Begriff der Unzucht mit öffentlichem Aergerniß. Mit Rücksicht auf einen Schweizer Kriminalfall, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht und Strafprozeß 45 (1897), S. 175–213. 1899 • Begriff und Aufgabe der Weltgeschichte, in: Deutsches Wochenblatt 12 (1899), S. 1435. • Zur Entstehung des religiösen Bewusstseins, in: Deutsches Wochenblatt 12 (1899), S. 1015–1028. 1900 • Die Frau und das Recht, in: Zeitschrift für populäre Rechtskunde 1 (1900), S. 2–4. 1901 • Aus der Gedankenwelt unserer Kolonialvölker, in: Zeitgeist, Nr. 8, 1901. • Heidelberg und Mannheim, in: Südwest-Deutsche Rundschau, 1901, Nr. 4, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 226–230. • Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 28 (1901) S. 273–284. • Dante und die Homosexualität, in: Goltdammer’s Archiv für Straf- und Strafprozeßrecht 48 (1901), S. 63–67. 1902 • Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1902, S. 191–203. • Auf den Spuren Nietzsches, in: Zeitgeist, 1902, Nr. 45, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 3–10. • Vom Lebenspfad. Gesammelte Essays, Mannheim 1902. • Eine Weltbetrachtung, in: Der Tag vom 2. Okt. 1902, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 11–14. • An Lasson, in: Berliner Tageblatt Nr. 128, 1902, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 230–231. • Meine Begegnung mit Richard Wagner, in: Der Tag vom 20. Juli 1902, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 223–226.

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• Das Banturecht in Ostafrika, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft 15 (1902), S. 1–83. 1903 • Ein Nachruf an Theodor Mommsen, in: Berliner Tageblatt vom 2. November 1903, auch abgedruckt in: Aus Kultur und Leben, Berlin 1904, S. 231–232. 1904 • Deutschland, in: Der Tag vom 10. Mai 1904, auch abgedruckt in: Aus vier Weltteilen, Berlin o. J. [1908], S. 117 ff. • Über den Weltfrieden, in: Aus Kultur und Leben. Gesammelte Essays, Berlin 1904, S. 216–219. • Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 2. Auflage, Leipzig 1904. • Phantasie im Recht, in: Westermanns Monatshefte 97 (1904), S. 239–242. • Josef Kohler, Fortschrittselemente in der Menschheit, in: Frauenrundschau 5 (1904), S. 209–210. 1905 • Beitrag in: Berliner Tageblatt vom 20. Februar 1905. • Der Geist des Christentums, Berlin 1905. 1906 • Strafverschickung, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht und Strafprozess 53 (1906), S. 198. • Erinnerungen an Oberbürgermeister Schnetzler in Karlsruhe, in: Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung vom 31. Dezember 1906. 1907 • Die deutsche Gefahr, in: Der Tag vom 20. Juli 1907. • Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, Leipzig 1907, S. 99–105. • Einführung, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 1 (1907/08), S. 1 f. • Einführung, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 1–3. • Wesen und Ziele der Rechtsphilosophie, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 1 (1907/08), S. 3–15. • Prof. Kohler über das Recht der Eingeborenen, in: Berliner Lokalanzeiger vom 11. Juli 1907. • Eingeborenenrecht, in: Der Tag vom 21. Juli 1907. • Rezension zu „Deutsche Kolonial-Reform von einem Auslandsdeutschen“ (Zürich 1906), in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 20 (1907), S. 160.

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• Rezension zu F.F. Smith/N. Sibley, International law as interpreted during the Russo-Japanese war, London 1905, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 108. • Rezension zu Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipp des Schönen und Bonifaz’ VIII., Stuttgart 1903, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 108–110. • Rezension zu Lassa Francis Lawrence Oppenheim, International Law, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 495 f. • Rezension zu Ferdinand Kattenbusch, Das sittliche Recht des Krieges, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 497. • Rezension zu Moritz Liepmann, Der Kieler Hafen im Seekrieg, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 497 f. • Rezension zu Adler, Die Spionage, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 1 (1907), S. 620. • Dernburg, in: Der Tag vom 1. Dezember 1907. 1908 • Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 271–302. • Bemerkungen über den Umfang des Völkerrechts, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 2 (1908), S. 472–473. • Völkerrecht als Privatrechtstitel, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 2 (1908), S. 209–230. • Staatsrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Leipzig 1908, S. 121–147. • Aus vier Weltteilen. Reisebilder, Berlin o. J. [1908]. • Erinnerung an Heinrich Dernburg, in: Der Tag vom 22. November 1908. 1909 • Fürst Bülow, in: Neue Freie Presse vom 15. Juli 1909. • Die Stellung des Kaisers, in: Das Kultur-Parlament Heft 1 (1909), S. 1–7. • Rezension zu Schücking, Die Organisation der Welt, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 3 (1909), S. 92. • Rezension zu Fried, Die zweite Haager Konferenz, ihre Arbeiten, ihre Ergebnisse und ihre Bedeutung, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 3 (1909), S. 207. • Rezension zu D’Estournelles de Constant, Die Beschränkung der Rüstungen, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 3 (1909), S. 667. • Rezension zu Christian Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, II. Band, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 3 (1909), S. 380.

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Quellen-und Literaturverzeichnis

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• Rede des juristischen Dekans bei der Jubiläumsfeier der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin am 12. Oktober 1910, Berlin 1910. • Die Berliner Juristenfakultät vor 80 Jahren, in: Der Tag vom 8. Dezember 1910. • Ein deutsches Institut für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung? Eine Enquête, veranstaltet von Josef Kohler, Franz von Liszt und Fritz Berolzheimer, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 4 (1910), S. 190 ff. • Wie ich zum Patentrecht kam, in: Berliner Tageblatt vom 10. Oktober 1910. • Deportation, in: Berliner Tageblatt vom 27. November 1910. • Deportation, in: Straßburger Post vom 5. Juni 1910 sowie in: Magdeburger Zeitung vom 4. Juni 1910. • Diskussionsbeitrag zur Deportation, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 3 (1910), S. 657. • Beitrag in: Koloniale Rundschau 2 (1910), S. 440. • Die Juden, in: Deutsche Montags-Zeitung vom 12. Dezember 1910, Band 1 (1910), Heft 12. 1911 • Beantwortung der Umfrage „Die Reichstagswahl“, in: Der Tag vom 24. Dezember 1911. • Nochmals die Juden, in: Deutsche Montags-Zeitung vom 13. Februar 1911, Band 2 (1911), Heft 7. • Entstehung des Bundesstaates, in: Magdeburger Zeitung vom 25. März 1911 sowie in: Straßburger Post vom 26. März 1911. • England und die Haager Landkriegsordnung, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 5 (1911), S. 384–393. • Rezension zu Beckenkamp, Die Kriegskonterbande, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 5 (1911), S. 225. • Staaten und Kriege, in: Berliner Tageblatt vom 14. Mai 1911. • Die Freirechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, in: Deutsche Juristenzeitung 16 (1911), Sp. 918 f. • Meine Beziehungen zu Jhering, in: Berliner Tageblatt vom 25. Mai 1911. • Das wichtigste Ereignis in meinem Leben. Höhepunkte des Lebens und Schaffens – Erkenntnisse des Lebens und Schaffens hervorragender Persönlichkeiten der Gegenwart, in: Berliner Morgenpost vom 24. Dezember 1911. • Baden-Baden, in: Der Tag vom 20. August 1911. 1912 • Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 223–238.

384

Quellen-und Literaturverzeichnis

• Staatsrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 117–144. • Völkerrechtliche Studien, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 6 (1912), S. 89–124. • Rezension zu Güldennagel, Verfolgung und Rechtsfolgen des Blockadebruchs, in: Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht 6 (1912), S. 88. • Über die Todesstrafe, in: Der Tag vom 17. Oktober 1912. • Strafrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 4. Auflage, Leipzig 1912, S. 201–209. • „Die Vorteile und Gefahren der Freirechtsbewegung“, in: Der Tag vom 19. April 1912. • Äußerung über Frauenstimmrecht, in: Leipziger Tageblatt vom 2. Juli 1912. • Die Universalrechtsgeschichte, in: Der Tag vom 16. August 1912. • Die moderne Rechtswissenschaft, in: Über Land und Meer 107 (1912), S. 56. • Orient und Okzident im Recht, in: Über Land und Meer 107 (1912), S. 166. • Äußerung über die Schülerjahre in: Graf, Alfred, Schülerjahre. Erlebnisse und Urteile namhafter Zeitgenossen, Berlin 1912, S. 38–1. 1913 • Der Krieg und sein Recht, in: Über Land und Meer 109 (1913), S. 602 f. • Rezension zu Fried, Le role de l’Arbitrage in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 276. • Rezension zu Pan-Amerika, in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 529 f. • Rezension zu Rocholl, Die Frage der Minen im Seekrieg, in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 529. • Rezension zu Latifi, Effects of war on property, Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 529. • Die Stellung des Haager Schiedshofes, in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 113–122. • Der Friedenstempel, in: Zeitschrift für Völkerrecht 7 (1913), S. 237–240. • Probleme des Völkerrechts, in: Moderne Rechtsprobleme, 2. Auflage, Leipzig 1913, S. 88–95. 1914 • Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, begründet von Franz von Holtzendorff, hrsg. von Josef Kohler, 7. Auflage, V. Band, München/Leipzig/Berlin 1914. • Arbeiter, Arbeiterorganisation, Arbeiterfürsorge, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 91–109.

Quellen-und Literaturverzeichnis

385

• Staat und Verwaltung, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 185–211. • Ein letztes Kapitel zu Recht und Persönlichkeit, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 8 (1914/15), S. 169–173 (mit einem Nachwort von Franz Klein, S. 173–176). • Das Notrecht, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 8 (1914/15), S. 412–449. • Rezension zu Zorn, Das Deutsche Reich und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), S. 213. • Rezension zu Einicke, Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Seekrieg nach dem Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907, in: Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), S. 755. • Rezension zu Del Vecchio, El fenomeno de la guerra y la idea de la paz, in: Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), S. 212. • Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, begründet von Franz von Holtzendorff, hrsg. von Josef Kohler, V. Band, 7. Auflage, München, Leipzig, Berlin 1914, S. 1–62. • „Englische Würden und deutsche Gelehrte“. Erwiderung auf Ausführungen von Professor Förster, in: Berliner Tageblatt vom 14. September 1914. • Notwehr und Neutralität, in: Zeitschrift für Völkerrecht 8 (1914), S. 570–580. • Das Weltgericht, in: Der Tag vom 13. Januar 1914. • England und die Neutralität, in: Der Tag vom 11. August 1914. • An die Nation Dantes, in: Vossische Zeitung vom 30. August 1914. • Über Dumdumgeschosse, in: Der Tag vom 19. September 1914. • Nicht Haß, sondern Verachtung, in: Der Tag vom 1. Oktober 1914. • Englands Moral, in: Der Tag vom 27. Oktober 1914. • Das Völkerrecht im Balkankriege, in: Deutsche Juristenzeitung 19 (1914), Sp. 25–28. • Krieg und Völkerrecht, in: Deutsche Juristenzeitung 19 (1914), Sp. 1011–1014 sowie in: Nationalzeitung vom 5. September 1914. • Die Schiffe vor Antwerpen, in: Deutsche Juristenzeitung 19 (1914), Sp. 1225–1229. • Uneheliche Kinder und ihr Recht, in: Über Land und Meer 112 (1914), S. 890–891. • Der unlautere Wettbewerb, Berlin 1914. • Weltkultur, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/ Berlin, Anfang 1914, S. 254–268. • Familie, Ehe, Geschlechtsleben, in: Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart, Stuttgart/Berlin 1914, S. 42–54. • Suffragettenwahn, in: Berliner Lokalanzeiger vom 15. März 1914.

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Quellen-und Literaturverzeichnis

• Das Recht der Frau und der ärztliche Beruf, in: Archiv für Frauenkunde und Eugenik 1 (1914), S. 19–20. • Uneheliche Kinder und ihr Recht, in: Über Land und Meer 112 (1914), S. 890. • Der Islam, in: Der Tag vom 10. November 1914. • Zur Frage, ob man jetzt Shakespeare spielen sollte, in: Berliner Tageblatt vom 2. Oktober 1914. 1915 • Der Lusitaniafall im Lichte des Völkerrechts, in: Hamburger Nachrichten vom 1. Juni 1915 und Kölnische Volkszeitung vom 6. Juni 1915 sowie in: Deutsche Juristenzeitung 20 (1915), Sp. 537 f. • Umfrage: Der Lusitania-Fall im Urteile von deutschen Gelehrten, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1915/16), S. 135–237, auch als selbständige Schrift erschienen, Breslau 1915. • Englands Verschwörung, in: Deutsche Juristenzeitung 20 (1915), Sp. 1049–1057. • Äußerung zum Weltkrieg, in: Das eiserne Buch, hrsg. von Gellert, Georg, Hamburg o. J. (1915). • Jurisprudenz und Krieg (Deutsche Kraft. Kriegskultur und Heimatarbeit 1914/15, 14), hrsg. von Leo Golze, Berlin/Leipzig/Wien 1915. • Der heilige Krieg, hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern, Berlin 1915. • Not kennt kein Gebot. Die Theorie des Notrechts und die Ereignisse unserer Zeit, Berlin/Leipzig 1915. • Blockade und Kriegsgebiet, in: Neue Freie Presse vom 12. Februar 1915. • Amerika und die Neutralität, in: Der Tag vom 25. Februar 1915. • Belgiens selbstverschuldetes Unheil, in: Der Tag vom 30. März 1915. • Deutschlands Denker, in: Der Tag vom 15. April 1915. • Eingliederung und Angliederung, in: Der Tag vom 11. Juni 1915. • Krieg und Weltphilosophie, in: Der Tag vom 30. Juni 1915. • Die amerikanische Note, in: Der Tag vom 1. August 1915. • Sie sollen sich hüten!, in: Der Tag vom 9. Oktober 1915. • Angliederung und Expansion, in: Der Tag vom 31. Oktober 1915. • Das Patrimonium Petri, in: Der Tag vom 21. Dezember 1915. • Das Recht des Islam, in: Vossische Zeitung vom 20. Juni 1915. • Zukunft des Islam, in: Der Tag vom 14. August 1915. • Rezension zu Katz, Die Freiheit der Meere im Kriege, in: Juristische Wochenschrift 44 (1915), S. 807. • Rezension zu Huberich, Das englische Prisenrecht, in: Juristische Wochenschrift 44 (1915), S. 937 f.

Quellen-und Literaturverzeichnis

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1916 • Geleitwort zu Fritz Norden, Das neutrale Belgien und Deutschland im Urteil belgischer Staatsmänner und Juristen, München 1916. • Die Aufhebung der Londoner Deklaration durch England, in: Leipziger Illustrirte Zeitung 1916, S. 85–86. • Einführung der Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 1–4. • Das neue Völkerrecht, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 5–10. • Die Neutralität Belgiens und die Festungsverträge, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 298–309. • Der Lusitania-Fall im Urteil von deutschen Gelehrten, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 179. • Rezension zu Ernst Zitelmann, Haben wir noch ein Völkerrecht?, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 115. • Rezension zu Franz von Liszt, Das Völkerrecht, 10. Auflage, Berlin 1915, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 115. • Rezension zu Pohl, England und die Londoner Deklaration, in: Zeitschrift für Völkerrecht 9 (1916), S. 116. • Rezension zu A. Mendelssohn-Bartholdy, Der Kriegsbegriff des englischen Rechts, in: Juristische Wochenschrift 45 (1916), S. 104–105. • Die englische Gewaltherrschaft in Griechenland, in: Deutsche Juristenzeitung 21 (1916), Sp. 153–157. • Die Deutschland und ihre Feinde, in: Deutsche Juristenzeitung 21 (1916), Sp. 745–748. • Naturrecht und Völkerrecht, in: Der Tag vom 6. Februar 1916. • Kultur- und Weltentwicklung, in: Der Tag vom 17. März 1916. • Boutroux und der deutsche Geist, in: Der Tag vom 19. April 1916. • Neutralität und Neutralitätspflicht, in: Der Tag vom 28. Mai 1916. • Blockade neutraler Staaten, in: Kieler neueste Nachrichten vom 21. Juni 1916. • Alte und neue Jurisprudenz, in: Der Tag vom 22. Juni 1916. • Staatsservituten, in: Der Tag vom 30. Juli 1916. • Feindesstimmen, in: Der Tag vom 24. Oktober 1916. • Der Geist der Gegenwart, in: Der Tag vom 17. November 1916. • Das Recht des Heeres in Feindesland, in: Leipziger Illustrirte Zeitung, 1916, S. 269–274. • Strafrecht und Völkerrecht, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht und Strafprozess 62 (1916), S. 354–372.

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Quellen-und Literaturverzeichnis

1917 • Belgische Festungsverträge, in: Weser-Zeitung vom 21. Januar 1917. • Grundprobleme der Ethik, in: Der Tag vom 16. Februar 1917. • Unterseebootkrieg und Völkerrecht, in: Germania vom 24. Juli 1917. • Der U-Boot-Krieg und das Völkerrecht, in: Das U-Boot, Heft 8, 1917, S. 476–478. • Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 2. Auflage, Berlin 1917. • Kohler, Josef, „Lasson“, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 11 (1917/1918), S. 293–295. • Wilsons Botschaft, in: Deutsche Juristenzeitung 22 (1917), Sp. 457 f. • Staatengründung, in: Deutsche Juristenzeitung 22 (1917), Sp. 46–49 sowie in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 13. März 1917. • Das Völkerrecht, in: Deutsche Revue 42 (1917), S. 58–62. • Völkerrecht, in: Juristische Wochenschrift 46 (1917), S. 721. • Rezension zu Franz Klein, Die Kulturgemeinschaft der Völker nach dem Kriege, in: Juristische Wochenschrift 46 (1917), S. 19. • Zeppelin und die Rechtswissenschaft, in: Deutsche Juristenzeitung 22 (1917), Sp. 364–366. • Neutralität und Neutralitätsgesetze, in: Deutsche Juristenzeitung 22 (1917), Sp. 625–628. • Der Sieg der Gerechtigkeit im Weltkriege, in: Deutsche Kriegswochenschau Nr. 49 vom 11. November 1917. • Die Folgen der Ablehnung unseres Friedensangebotes für unsere Feinde, in: Deutsche Kriegswochenschau Nr. 53 vom 9. Dezember 1917. • Ethik des Kriegs und des Friedens, in: Der Tag vom 17. Januar 1917. • Ideale Weltanschauung, in: Der Tag vom 15. Februar 1917. • Die Grundprobleme der Ethik, in: Der Tag vom 16. Februar 1917. • Seesperre und Blockade, in: Der Tag vom 18. März 1917. • Das besetzte Gebiet, in: Der Tag vom 21. Juni 1917. • Tod des Sokrates, in: Der Tag vom 7. Juli 1917. • Völkerrecht und Politik, in: Der Tag vom 7. Oktober 1917. • Der Papst als Friedensvermittler, in: Der Tag vom 29. August 1917. • Politische Leidenschaft, in: Der Tag vom 2. Oktober 1917. • Sein und Werden, in: Der Tag vom 20. Oktober 1917. • Wesen des Völkerrechts, in: Der Tag vom 29. Dezember 1917.

Quellen-und Literaturverzeichnis

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1918 • Grundlagen des Völkerrechts, Stuttgart 1918. • Einleitung zu Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 12 (1918/19) Heft 2, S. 98–103. • Nachwort zu Fuchs, Ernst, Jhering und die Freirechtsbewegung (Glossen zu Jherings 100. Geburtstag) in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 12 (1918/19), S. 10–23. • Die festen und die morschen Stützen des Völkerrechts, in: Die Umschau 22 (1918), S. 601 f. • Beitrag in: Das eiserne Buch, hrsg. von Georg Gellert, Hamburg o. J. [1915], S. 154. • Alte und neue Jurisprudenz, in: Der Tag vom 15. Januar 1918. • Staatenbildung in Ost und West, in: Der Tag vom 6. Februar 1918. • Der Friede mit der Ukraine, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 17. Februar 1918. • Das besetzte Gebiet und die Unabhängigkeit der Rechtspflege, in: Der Tag vom 10. März 1918. • Der deutsche Idealismus, in: Der Tag vom 21. März 1918. • Der Friede im Osten, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 24. März 1918. • Ein Sühneruf aus Südafrika, in: Der Tag vom 5. Mai 1918. • Volkstum und Völkerbund, in: Schlesische Zeitung vom 5. Juli 1918 sowie in: Handel und Industrie vom 13. Juli 1918. • Schuld und Sühne im Weltkrieg, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 21. Juli 1918, S. 1298–1300. • Belgien als Faustpfand, in: Der Tag vom 18. August 1918. • Völkerbund, in: Neues Wiener Tageblatt vom 22. August 1918. • Naturrecht und Völkerrecht, in: Der Tag vom 25. August 1918. • England und das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 1. September 1918; S. 1408 f. • Völkerbund und Nichtvölkerbund, in: Der Tag vom 3. Oktober 1918. • Der Rechts- und Gerechtigkeitsfriede, in: Deutsche Kriegswochenschau vom 10. November 1918, S. 1568. • Neue Horizonte, in: Der Tag vom 30. November 1918. • Die enthüllten Geheimverträge im völkerrechtlichen Lichte, in: Deutsche Juristenzeitung 23 (1918), Sp. 18–20. • Der Ukrainer Frieden, in: Deutsche Juristenzeitung 23 (1918), Sp. 137–140. • Rezension zu Schramm, Das Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, in: Zeitschrift für Völkerrecht 10 (1918), S. 471.

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Quellen-und Literaturverzeichnis

1919 • Volksseele, in: Der Tag vom 3. Januar 1919. • Zur Auslieferung Wilhelms II., in: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung vom 24. Februar 1919. • Deutschlands Schuld und Nichtschuld, in: Der Tag vom 28. März 1919. • Völkerrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919 (Jahresende 1918), S. 201–216. • Staatsrecht, in: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Auflage, Leipzig 1919 (Jahresende 1918), S. 108–128. • Neue autorrechtliche Studien, in: Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 24 (1919), S. 1. • Rezension zu Sauer, Die Zerstörung der Kirchen und Kunstdenkmäler an der Westfront, in: Zeitschrift für Völkerrecht 11 (1919/20), S. 639. • Rezension zu Karl Hampe, Das belgische Bollwerk (Stuttgart 1918), in: Zeitschrift für Völkerrecht 11 (1919/20), S. 110. • Rezension zu Karl Strupp (Hrsg.), Unser Recht auf Elsaß-Lothringen, in: Zeitschrift für Völkerrecht 11 (1919/20), S. 111–112. • Rezension zu Koch, Handelskrieg und Wirtschaftsexpansion, in: Zeitschrift für Völkerrecht 11 (1919/20), S. 116. • Äußerung in: Zeitschrift für Markenschutz und Wettbewerb 18 (1918/19), S. 69. • Undatierte Aufsätze aus dem Nachlass 1. Die moderne Friedensbewegung, Vorkriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 2. Das Studium des Völkerrechts, Vorkriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 3. Clausula rebus sic stantibus, Vorkriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 4. Die Zukunft des Völkerrechts, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 5. Deutschlands Jugendkraft, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 6. Eine neue Niedertracht Englands, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 7. Das Schriftthum der Zukunft, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 8. Vergeltung gegen England, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4. 9. England und der Weltkrieg, Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4 (Handschriftliche Randbemerkung: Nach einem am 13. November 1914 gehaltenen Vortrag). 10. Unbezeichnetes und undatiertes Manuskript der Kriegszeit, Nachlass Kohler, Kasten 4.

Quellen-und Literaturverzeichnis

B. Ungedruckte Quellen I. Nachlässe • Nachlass Josef Kohler Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Sammlung Darmstaedter. • Nachlass Felix von Luschan Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. • Nachlass 216 (Hans Ludwig) 47-1 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. • Nachlass Bertha von Suttner Archiv der Vereinten Nationen Genf PM/FSP/BUS Fried/Suttner Papers, Bertha von Suttner Sta/B 65/Shelf 4 Box 21, file 262 Correspondence No. 1: Kohler, Josef N I. • Nachlass Walther Schücking Universitätsachiv Marburg. • Nachlass Hans Wehberg Bundesarchiv Koblenz. • Nachlass Theodor Kappstein Landesarchiv Berlin. • Nachlass Gustav Radbruch Universitätsarchiv Heidelberg. • Nachlass Max Carl Fürbringer Senckenbergische Bibliothek, Frankfurt a. M. • Nachlass Karl Baumbach Universitätsarchiv Würzburg. • Nachlass Hermann Beuttenmüller Deutsches Literaturarchiv, Marbach. • Nachlass Wilhelm Dilthey Universitätsarchiv Göttingen. • Nachlass Wilhelm Edward Gierke Universitätsarchiv Göttingen. • Nachlass Wilhelm Hübbe-Schleiden Universitätsarchiv Göttingen. • Nachlass Johann Sess Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel.

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Quellen-und Literaturverzeichnis

• Nachlass Heinrich Stücke Institut für Theater-, Film und Fernsehwissenschaft der Universität Köln. • Nachlass Hermann Kantorowicz (C 36/22) Universitätsarchiv Freiburg. • Nachlass Engelbert Humperdinck Universitätsarchiv Frankfurt a. M. • Nachlass Rudolf Presber Universitätsarchiv Frankfurt a. M. • Nachlass Friedrich Althoff Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem (GstA PK). • Nachlass Houston Stewart Chamberlain Stadt Bayreuth, Richard-Wagner-Gedenkstätte.

II. Archivbestände • Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem (GstA PK) I. HA Rep. 76 Kultusministerium, Va Sekt. 2 Tit. IV Nr. 45, Bd. 5: Die Professoren an der Juristischen Fakultät der Universität Berlin 1887–1896. Rep. 84 a/7784: Die Todesstrafe 1870–1903. • Universitätsarchiv, Humboldt-Universität, Berlin Humboldt-Universität Berlin: Personalakten der vormaligen Friedrich-WilhelmsUniversität. Personalakte Josef Kohler. Universitätskuratorium K 244. Jur. Fak. Nr. 16 Sitzungsprotokolle, Bd. 2: 1864–1900. Jur. Fak. Nr. 494, Bd. 3: 1885–1901. Universitätskuratorium 323. • Archiv des Rektorats und Senats der Universität Würzburg ARS Nr. 594: Acte des Rectorats und Senats der kgl. Universität Würzburg Betreff Dr. Joseph Kohler. • Universitätsarchiv Freiburg A 27/3 Nr. 397. Akte Feierlichkeiten und Ehrungen (B 110/8). • Bundesarchiv, Abteilung Berlin Aktenbände Reichskolonialamt 4989, 4993, 4994, 5000, 5002, 5003, 5009. R 8034 II Reichslandbund-Pressearchiv/1770 Strafprozeß-Novelle 1912–1914. • Generallandesarchiv Karlsruhe 213/3784 Untersuchungen gegen den Advocaten Gustav von Struve (1847). 236/8195 Akten des Großherzogthums Baden – Ministerium des Innern. Polizei: Die zu Politischem Zwecke abgehaltene Polizeiversammlung. 234/2643 Großherzogthum Baden – Justizministerium – Diener. • Staatsarchiv Freiburg A 27/3 Nr. 397: In der Untersuchungssache gegen den städtischen Bezirksförster Carl Seybel in Offenburg wegen Theilnahme am Hochverrat.

Quellen-und Literaturverzeichnis

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• Stadtarchiv Offenburg Nachlass StaO 09 71. • Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Akten des Vereinsregisters der Deutschen Friedensgesellschaft (aus der Zeit von 1899–1935).

C. Berichte, Protokolle, Urkunden, Jahrbücher • Actes de la Conférence diplomatique de Genève de 1949, hrsg. vom Départment politique fédéral, vier Bände Bern 1950/51. • Actes et documents de la deuxième Conférence Internationale de la Paix, Paris 1908. • Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918. Auf Grund der Akten der Reichskanzlei, des Auswärtigen Amtes und des Reichsarchivs, hrsg. vom Auswärtigen Amt und vom Reichsministerium des Innern, 4. Auflage, Berlin 1924. • Belgisches Graubuch, Réponse au livre blanc allemand du 10 mai 1915 „Die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs“, Paris 1917. • Benz, Wolfgang (Hrsg.), Pazifismus in Deutschland – Dokumente zur Friedensbewegung 1890–1939, Frankfurt a. M. 1988. • Bureau International de la Paix (Hrsg.), Resolutions textuelles des Congrès Universels et la Paix tenus de 1843 à 1910, Bern 1912. • Chronik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin für das Rechnungsjahr 1907. • Deutsches Biographisches Jahrbuch, hrsg. vom Verbande der deutschen Akademien. Überleitungsband II: 1917–1920, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1928. • Deutsches Weißbuch. Die völkerrechtswidrige Führung des belgischen Volkskriegs, Berlin 1915. • Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin: Verzeichnisse der Vorlesungen, Wintersemester 1888-Sommersemester 1919. • Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden. Dritte Reihe: Völkerrecht im Weltkrieg. Im Auftrag des Untersuchungsausschusses, hrsg. von Johannes Bell, vier Bände, Berlin 1927. • Delbrück, Jost (Hrsg.), Friedensdokumente aus fünf Jahrhunderten: Abrüstung, Kriegsverhütung, Rüstungskontrolle, Teilband 1, Kehl u. a. 1984. • Der (2.) deutsche Friedenskongreß in Stuttgart 1909 o. O. o. J. [Esslingen 1909]. • Der Waffenstillstand 1918/19. Das Dokumentenmaterial der Waffenstillstandsverhandlungen von Compiègne, Spa, Trier und Brüssel. Notenwechsel, Verhandlungsprotokolle, Verträge, Gesamttätigkeitsbericht. Im Auftrag der deutschen Waffen-

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Abbildungsnachweis Frontispiz:

Zeitschrift für Markenschutz und Wettbewerb 18 (1918/19), S. 69.

Abbildung 1:

Privatbesitz Friedrich Ebel, Berlin.

Abbildung 2:

Die Woche 12 (1910), S. 1778.

Abbildung 3:

Die Woche 12 (1910), S. 1778a.

Abbildung 4:

Die Woche 12 (1919), S. 1745.

Sachwortverzeichnis Abrüstung 107, 140, 187, 193–194, 201–202, 209, 280, 334, 371 Abtreibung 129 Afrikapolitik 90 Allbeteiligungsklausel 256 Alldeutsche 90, 102, 195, 283, 298–299, 314, 321, 324 Angelsächsische Völkerrechtsauffassung 256, 278 Angliederung 243, 281, 296, 298, 300–301 Annexion 32, 98, 200, 282, 285, 298–299, 301, 329, 332, 340 Annexionisten 32, 252, 254, 285, 298, 301, 316, 328, 330, 343, 365–366, 372, 374 Antisemitismus 123 Aufrüstung 31 Aufruf an die Europäer 235 Aufruf an die Kulturwelt 233 Auslieferungsfrage 347 Balkankrise 213 Belgien – Einmarsch in Belgien 285 – Neutralität Belgiens 26, 224, 227, 285–294, 296, 307, 315, 319, 327, 348 Belgisches Graubuch 260 Berlin-Bagdad-Plan 338 Blockade 275–277, 282, 302–305, 307–309, 317–318 Blutrache 93, 199 Bombardement 269 bona fides 162 Bonner Schule 151 Bundesexekution 179

Bundesstaat 132, 139, 179–180, 188 Burgfrieden 215 clausula rebus sic stantibus 160, 162–163, 255, 287 Demokratie 35, 37–38, 91, 112, 125, 213, 217, 322–326, 329, 334–335, 341, 343–344, 346, 349–350, 365 Demokratisierung 22, 101, 112, 321–323, 327, 344 Deportation 93, 133–135, 137 Deutsch-französischer Krieg 1870/71 20, 53, 167, 200, 262 Deutsche Demokratische Partei 346 Deutsche Friedensgesellschaft 14–15, 21, 28, 96–98, 105, 112, 126, 140, 145–146, 187, 216, 230, 235, 282, 359–360, 370, 393 Deutsche Professorenschaft 18, 26, 32–33, 80–81, 85–86, 106–107, 125, 144, 146, 205, 208, 216, 218–219, 222, 228, 231–232, 239, 247–248, 255, 279–280, 283–284, 292, 295, 298, 306, 316, 321–322, 329, 334, 339, 345–346, 357, 363, 367–368, 370, 374 Deutsche Vaterlandspartei 32–33, 336 Deutsches Weißbuch 260 Dinant 257 Dreiklassenwahlrecht 111, 321, 324, 365 Dualismuslehre 176 Dumdumgeschosse 268 Einheitsstaat 180–181, 188 Einkreisung 195, 248

Sachwortverzeichnis Elsass-Lothringen 97, 200 Erfolgshaftung 264 Erklärung der deutschen Hochschullehrer vom 7. September 1914 228 Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches 233 Erklärung gegen die Oxforder Hochschulen 234 Erklärung konservativer Hochschullehrer 322 Erster Weltkrieg 13, 18, 20–21, 25–27, 32–33, 95, 104, 117, 119–120, 122, 143, 165, 202, 218, 224, 228, 234, 238, 242, 244, 258–260, 262, 264, 268, 270, 277, 280, 283–284, 298, 312, 316, 321–322, 329, 339, 341, 346, 355, 364, 366, 368, 370 Fehde 108 Flottenrüstung 196 Franktireur 167, 257–258, 261–262 Frauenrechtsbewegung 126 Freirechtsschule 57, 81 Friedensbewegung 14, 17, 20–21, 23, 25, 27–29, 31, 96–97, 99–102, 104, 107, 109–110, 113–115, 137, 139–145, 147, 163–165, 172, 175, 177, 179–180, 186–189, 192, 195–196, 198–200, 202, 209, 211, 214–215, 220, 236, 282–283, 299, 325, 335–336, 341, 359, 361–362, 365, 368, 373–374 Friedenspädagogik 174 Friedrich-Wilhelms-Universität 14, 17–18, 21, 25, 71, 76, 80, 84–85, 95, 118, 202–205, 207, 211, 329 Geisel 255, 262, 264–265, 348 – Gefahrgeisel 262 – Repressaliengeisel 263 – Sicherungsgeisel 263 Gemäßigte 32, 252, 254, 285, 298, 301, 316, 319, 329, 343, 365–366 Gemeinwillentheorie 152

451

Generalnotifikation 304, 312 Genfer Abkommen zum Schutze der Kriegsopfer vom 12. August 1949 261, 264, 267 Gewohnheitsrecht 94, 154–155, 256, 264, 275, 348 Goethebund 124, 234 Haager Friedenskonferenz 14, 25, 102–103, 107, 140, 143–144, 166, 170, 181–182, 262, 268, 360 Haager Konvention 308 Haager Landkriegsordnung 256, 259–261, 264, 268–271 Haager Schiedshof 168–170 Handelsschiff 303, 309, 314–315, 317 Heidelberger Vereinigung für eine Politik des Rechts 349 Hererokrieg 93 Hilfskreuzer 306, 310 Historische Rechtsschule 51, 61, 149–150 Homosexuelle 126 Ideen von 1914 26, 32–33, 211, 333, 336, 366, 374 Immaterialgüterrecht 16, 55–56 Imperialismus 28, 30–31, 90, 143, 150, 153, 160, 182, 197–198, 200, 323, 327, 339, 342, 370 Individualhaftung 264 Institut de droit international 141, 158, 185 Intellektuellen-Eingabe 283, 322 International Law Association 158, 185 internationale Organisation 20, 141, 173, 178, 181–186, 189, 191 internationale Solidarität 192 Internationale Vereinigung für Rechtsund Sozialphilosophie 117, 359 Internationalismus 27, 29–30, 56, 181, 189, 193, 209, 214, 338, 369

452

Sachwortverzeichnis

ius ad bellum 148, 337 ius in bello 166, 255

Londoner Konvention 308 Lusitania 267, 305–307, 309–311, 313, 315

Julikrise 1914 214, 217 Kaiserreich 13, 33, 77, 81, 90, 105, 111, 128, 167, 206, 262, 336, 366, 374, 425 Klassisches Völkerrecht 147–148, 153, 164–165, 192, 254, 336–337 Kodifikation des Völkerrechts 158, 177, 185, 188, 361 Kollektivhaftung 264 Kollektivstrafe 261, 264 Kolonialismus 21, 64, 89–92 Kombattant 256, 258–259, 262, 273–274, 279, 364 Konterbanderecht 275 Kontinentale Völkerrechtsauffassung 256, 278 Konzentrationslager 266 Kosmopolitismus 17, 56, 103, 109, 179, 193, 202, 204, 209, 368 Kriegsbegriff 256 Kriegsmanier 262, 265 Kriegsräson 260, 262, 265 Kriegsschuldfrage 349 Kriegsziele 22, 32, 244, 279–280, 284–285, 301, 321, 328, 330, 365–366 Kulturimperialismus 120, 197 Kulturkampf 49, 125 Kulturkreislehre 64 Kulturrecht 17, 130, 159, 256 Kulturstaaten 114, 186, 190, 196, 199, 323 Lex Heinze 124 Liberalismus 46, 48, 101, 111–112, 117, 120, 124, 126, 139, 284, 295, 346–347, 349–350, 370 Löwen 122, 257, 261

Militärische Notwendigkeit 166, 247, 257 Militarismus 31, 45, 81, 105, 221, 231–233, 244, 327, 362 Mitteleuropa 32, 244, 249, 337, 339–341 Modernes Völkerrecht 148, 168, 192, 254, 267 Monarchie 111–112, 202, 208, 325–326, 344, 365, 367, 374 Monismuslehre 176–177 Mutterschutz 126, 129, 146 Nationalismus 31, 82, 143, 160, 182, 214, 228, 242, 247, 318, 362, 364, 373 Nationalliberale 208 Naturrecht 63, 110, 131, 147–149, 153–154, 159, 168, 201, 249, 330, 361 Naturrechtslehre 154, 177 – Klassische Naturrechtslehre 154 – Moderne Naturrechtslehre 154 Neoidealismus 216 Neuhegelianismus 68 Neutralität Belgiens 285–287, 290–294, 301 Nichtehelichenrecht 126 Nordsee-Erlass 277 Notstand 161–162, 225, 285–286, 288–289, 292, 294, 304, 317 Notwehr 215, 285–286, 289–290, 292, 294, 296, 304, 307, 317, 363 Organisation, internationale 30–31, 97, 145, 168, 219, 281 Osterbotschaft 321 Pacta sunt servanda 162 Pandektenwissenschaft 51

Sachwortverzeichnis Pariser Seerechtsdeklaration 308 Parlamentarisierung 22, 33, 111–112, 321–322, 325, 327, 341, 344, 365 Parlamentarismus 111, 323–325, 328, 365 Passagierschiff 310 Passenger Act 311 Patentrecht 22, 55, 59–60, 73 Pazifismus 13–15, 18, 21, 25, 27–31, 34, 96–99, 101, 103–105, 107–110, 112–114, 127, 137, 139–141, 143–145, 165, 169, 187, 192–193, 196–197, 200–202, 209, 216, 224–228, 236–237, 252–254, 289, 299, 301, 330, 337, 341, 346, 350, 360–364, 368–374 – Freihandelspazifismus 29 – gemäßigter 27, 29, 165, 255 – Gewaltpazifismus 371–372 – Jungpazifismus 107 – Moralpazifismus 30, 193, 369 – radikaler 27, 37, 164, 325, 345, 369 – relativer 337 – Technopazifismus 30, 193, 369 Positivismus 82, 130, 148, 156, 168, 318, 361 Präventivtheorie 286 Prisenhof 168, 175 Prisenordnung 302–304, 306, 314 Protektorat 285, 298 Reaktion 42, 49 Rechtsethnologie 61–62, 66, 69, 82, 352 Rechtspositivismus 57, 82, 130, 147, 149 Rechtsvergleichung 16, 56, 58, 61–62, 64–65, 67, 69, 82 Reichsgründung 54, 83 Repressalie 255, 257–258, 260, 263, 269–270, 272–273, 304, 306, 314, 317 Römisches Recht 51, 55–56, 58, 61, 82, 131, 161, 270, 371

453

Sarajewo 213 Schiedsgerichtsbarkeit 31, 99–100, 102, 107, 140, 169, 171–174, 181–182, 185, 187, 193, 250–254, 361 – obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit 102, 107, 140, 171, 193, 253–254 Schuldhaftung 264 Seekrieg 26, 256, 270, 275–278, 302, 309, 315, 318 Seekriegsrecht 26, 176, 275–276, 303, 315 Seeminen 276 Seesperre 304, 308–309, 317–318 Selbstbefreiung Kriegsgefangener 274 Selbstbestimmungsrecht der Völker 30, 171, 173, 197, 201 Selbsterhaltungsrecht 160–161, 255, 371 Selbsthilfe 108, 164, 189, 252, 360 Selbstverpflichtungslehre 152 Siegfrieden 298, 316, 319 Sklaverei 131, 199 Sozialdemokratie 31, 101, 193, 212, 214, 216, 374 Sozialisten 116, 193, 214, 337 Sozialistenverfolgung 49 Sperrzone 303, 306, 312, 314, 317–318 Staatensouveränität 148, 150, 155–157, 159, 168–169, 171–172, 174, 176–178, 180, 185, 191, 250, 253, 301, 333, 336–337, 362 Strafbarkeit von Soldaten 271, 274 Tamines 257 Todesstrafe 133, 135–137, 259, 392 Totaler Krieg 279 U-Boot-Krieg 24, 26, 276–277, 281, 302–308, 310, 313–321, 343 Universalrechtsgeschichte 63–64, 90

454

Sachwortverzeichnis

Verband für internationale Verständigung 145, 165, 237 Vereinbarungslehre 149, 152 Vereinigte Staaten von Europa 181, 188 Vergeltung 137, 223, 261, 303, 314 Versailler Vertrag 349, 354 Verständigungsfrieden 298, 316, 319, 329–331, 333, 343, 366 Verteidigungskrieg 29–30, 163–164, 238, 368 Völkerbund 193, 253, 334, 342 Völkerrecht 13–14, 17–18, 20, 22–27, 29–32, 52–53, 88, 90, 99, 102–104, 107–110, 113–115, 117, 139–179, 181–185, 188–193, 195–196, 200, 202, 209, 211–214, 218, 225–228, 233–234, 236, 238, 247, 249–255, 257–277, 282–283, 285–294, 296–298, 304–315, 317–319, 330, 335–338, 347–350, 352, 354, 358–359, 361–364, 369–371, 373, 375–376 Völkerrechtssubjekte 147, 191 Völkerrechtssubjektivität 168 Völkerrechtswissenschaft 14, 21–23, 31–32, 139, 141–143, 145–147, 155, 157–159, 165, 173, 180–181, 183, 185, 187, 191, 202, 227, 251, 253, 257, 262, 268, 279, 301, 354, 361, 369, 372 Vorkriegsgefangene 254, 265–266

Wahlrechtsreform 33, 322, 328, 344, 365 Wehrfähigkeit 265 Wehrpflicht 265 Weltbundesstaat 181 Weltföderation 182–183, 185 Weltfrieden 100, 107, 158, 180, 201, 251 Weltgeltungspolitik 198 Weltgemeinschaft 199 Weltherrschaft 162, 195, 198, 282, 326 Weltkultur 61, 68, 82, 99, 158, 160, 168–169, 173, 175, 180, 199, 244–245, 336 Weltpolitik 22, 31, 53, 90, 93, 113, 119, 189, 199, 208, 224, 281, 297, 323 Weltschiedsvertrag 156, 170–171 Wiener Schule 177 Wirtschaftskrieg 238, 255–256, 313 Wirtshaus zum Salmen 36, 38–39, 41 Wissenschaftsgeschichte 13–14, 77–78, 80, 120 Zentralgewalt 181 Zentrumspartei 94, 124, 194, 329, 346 Zivilgefangene 265–266 Zivilisten 256–257, 259, 262–263, 265–266, 269, 271, 275, 278–279, 318, 363–364 Zweckverband 170, 178, 182

Personenverzeichnis Adam, Leonhard 66, 346, 352 Alighieri, Dante 45 Allfeld, Philipp 306 Althoff, Friedrich 76, 79, 105, 119 Amira, Karl von 237, 338 Anschütz, Gerhard 284, 324, 346, 365 Armbruster, Johann 36 Arnaud, Emile 28 Aschrott, Paul Felix 136 Bach, Johann Sebastian 119 Bachofen, Johann Jakob 64, 67 Baldwin, S. 140 Bar, Ludwig von 137, 140, 158, 173 Bastian, Adolf 64–66 Baumgarten, Otto 346 Beethoven, Ludwig van 41, 119, 217, 231, 242 Behl, Carl Friedrich Wilhelm 87 Bekker, Ernst Immanuel 136 Below, Georg von 328 Bergbohm, Carl 151 Berner, Albert Friedrich 75, 87–88 Bernhardi, Friedrich von 222 Bernhöft, Franz 66 Beseler, Georg 75 Bethmann Hollweg, Theobald Theodor Friedrich Alfred von 194, 212, 230, 281, 284–285, 289, 294, 302, 314, 316, 320–321, 328, 332, 357 Binding, Karl 136, 152, 306 Bismarck, Otto Eduard Leopold von 43, 85, 156 Bluntschli, Johann Caspar 32, 115 Bogulawski, Albert von 102

Bonn, Moritz Julius 350 Bornhak, Conrad 143, 283, 328 Bothmer, A. von 98 Brasch, Moritz 98 Brentano, Lujo 233, 284, 324, 350, 365, 372 Brie, Siegfried 306–307 Brunner, Heinrich 75–76, 87, 136 Bühlharz, Catharina 40 Caprivi, Leo von 90, 97 Chamberlain, Houston Stewart 313, 321 Claß, Heinrich 283 Cohn, Georg 66 Darmstaedter, Ludwig 118 Darwin, Charles-Robert 64 Deißmann, Adolf 219 Delbrück, Hans 203, 218, 234, 284–285, 301, 322, 329, 338, 344, 349, 372 Delitzsch, Friedrich 219 Dernburg, Bernhard Jakob Ludwig 91–94, 136 Dernburg, Heinrich 73, 87, 93 Dilthey, Wilhelm 24, 391 Dove, Karl 92 Eck, Ernst 71, 73, 87 Egidy, Moritz von 137 Ehrlich, Paul 233 Einstein, Albert 235, 284 Eller, Elias 36 Ernst, Otto 237 Erzberger, Matthias 329

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Personenverzeichnis

Eschenbach, Wolfram von 119 Eucken, Rudolf 216, 228–229, 233 Fehrenbach, Constantin 350 Fischer, Emil 136 Fleischmann, Max 254, 306, 370 Foerster, Friedrich Wilhelm 113, 216, 325 Foerster, Wilhelm Julius 98, 200–201, 228, 234 Förster-Nietzsche, Elisabeth 16 Fränkel, Heinrich 237 Fricker, Karl Viktor 153 Fried, Alfred Hermann 21, 28–29, 31, 96–98, 100, 108–110, 112–114, 137, 144–145, 178, 182, 201, 209 Friedrich Wilhelm III. 72 Fürbringer, Max Carl 345 Fulda, Ludwig 136 Gareis, Carl 55, 121 Gierke, Otto von 33, 75, 87, 137, 219, 283, 303, 322, 327–328 Giese, Friedrich 143 Gneist, Rudolf von 73 Göppert, Maria 40 Goethe, Johann Wolfgang von 42, 44–45, 119, 231 Goldscheid, Rudolf 31 Goldschmidt, James 123 Goldschmidt, Levin 73–74 Grabowsky, Adolf 373 Gregory, Ch. 140 Grelling, Richard 98 Gross, Leo 30 Gürke, Norbert 142 Haeckel, Ernst 136, 203, 233 Hänel, Albert Friedrich 121 Hagemann, Paul 92 Hamao, A. 70 Hampe, Karl 293 Harburger, Heinrich 306–307

Harden, Maximilian 16, 205 Harnack, Adolf von 202, 207, 234, 284, 302, 322, 329, 346, 373 Harnack, Alfred von 219 Hatschek, Julius 306 Haussmann, Wolfgang 350 Hecker, Friedrich 36, 38 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 45, 48, 63, 119, 150–151 Herkner, Alfred 350 Herkner, Heinrich 284 Hetzel, Hermann 98 Heyse, Paul 136 Hiller, Kurt 108, 110, 127, 137 Hinschius, Paul 75, 87 Hintze, Otto 232, 283, 323 Hoetzsch, Otto 328, 338 Hold von Ferneck, Alexander 140 Holland, O. T. E. 140 Holmes, Oliver Wendell 118 Huber, Max 32, 140, 347 Hübler, Bernhard 73 Hugenberg, Alfred 283 Isay, Hermann 57 Jagow, Gottlieb von 287, 292 Jellinek, Georg 32, 152–153 Jhering, Rudolf von 77–79, 88 Jung, Erich 328 Kahl, Wilhelm 87, 136, 284, 303 Kant, Immanuel 29, 119, 160, 183, 334 Kantorowicz, Hermann 54, 56–57, 121 Kaufmann, Erich 143, 161, 328, 347 Kelsen, Hans 30, 264 Kirdorf, Emil 283 Klee, Karl 17, 20, 254 Kohler, Anton 40 Kohler, Arthur 42, 54, 106, 218 Kohler, Hans-Jörg 40

Personenverzeichnis Kohler, Johann Georg 40 Kohler, Joseph (1809–1874) 35, 38–39, 41, 50 Kohler, Lorenz 39 Kohler, Maria Amalia 39–40 Kohler, Rudolf 54, 218 Kohler, Scholastika 39 Laband, Paul 233, 306, 309 Lammasch, Heinrich 31–32, 114, 140–142, 162, 182, 227, 236, 289, 335, 372 Lamprecht, Karl 120, 205, 222, 233, 237, 373 Lange, Christian Lous 29, 116 Lasson, Adolf 102, 150, 155, 242 Lenz, Max 233 Lette, Friedrich 96 Liebermann, Max 230, 234 Liebknecht, Karl 16 Liedtke, Marianne 14 Liszt, Franz von 32, 121, 127, 129, 136, 146, 168, 203, 219, 221–222, 234, 286, 292–293, 306, 312, 335, 338, 340, 347, 372 Marcks, Erich 283 Martitz, Ferdinand von 283, 322, 347 Mehrmann, Karl 143, 182 Meinecke, Friedrich 105, 241, 322, 326, 328–329, 344, 346, 349, 372 Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht 305, 350 Meszlény, Artur 14 Meurer, Christian 144, 347 Meyer, Eduard 33, 203, 207, 232–233, 283, 319, 322, 336, 344 Meyer, Felix 92–93, 95 Moltke, Helmut Karl Bernhard von 103 Morf, Heinrich 233, 235 Morgan, Lewis Henry 67 Mühling, Karl 237

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Müller, Johann Nepomuk 39 Müller-Meiningen, Ernst 92 Naumann, Friedrich 127, 233, 338–339 Nelson, Heinrich 98 Nernst, Walther 136 Neukamp, Ernst 182, 306 Neumeyer, Karl 306–307 Nicolai, Georg Friedrich 235 Niedner, Johannes 306 Niemeyer, Theodor 144–145, 182, 308 Nietzsche, Friedrich 47, 119, 135, 222, 242, 321 Nippold, Otfried 31–32, 140, 142, 173, 181, 236, 289 Novicow, Jakob 110 Nys, Ernest 290, 292 Olshausen, Justus 72 Oncken, Herman 349 Oppenheim, Francis Lawrence 140–141, 182, 224, 226–227, 312 Ossietzky, Carl von 99, 137 Osterrieth, Albert 22 Pachnicke, Hermann 98 Pernice, Alfred 72, 75, 87, 121 Peters, Carl 90 Piloty, Robert 237, 306, 347 Planck, Max 233, 284 Pohl, Heinrich 143 Post, Albert Hermann 65–67, 89, 94 Preuß, Hugo 238, 324, 346, 365 Puchelt, Ernst Sigismund 117 Quidde, Ludwig 105, 107, 109, 111–112, 137, 233, 284, 335, 350, 360, 362

458

Personenverzeichnis

Rabel, Ernst 117 Rachfahl, Felix 293–294 Radbruch, Gustav 24, 88, 129, 135, 247, 374 Rade, Martin 346 Rée, Gustav 48 Regelsberger, Ferdinand 58 Rehm, Hermann 306–307, 312 Rehmann, Eduard 36 Reinhardt, Max 230, 234 Richter, Adolf 96, 98 Richter, Eugen 98 Richthofen-Damsdorf, Karl Friedrich von 92, 94 Riehl, Alois 218, 233 Röntgen, Wilhelm 234 Roethe, Gustav 218 Rohland, Woldemar von 306 Roosevelt, Theodore 15, 118–119 Roszkowski, Gustav 32, 145 Schäfer, Dietrich 33, 231–232, 252, 283, 285, 301, 322, 328, 331, 336, 344, 366 Schiemann, Theodor 203, 292, 303, 322 Schiller, Friedrich 231 Schmider, Andreas 40 Schmider, Franciscus Hieronymus 40 Schmider, Franz Anton 40 Schmider, Franz Joseph 40 Schmider, Johannes 40 Schmider, Johannes Nepomuk 40, 45 Schmider, Josephus Benedictus 40 Schmider, Maria Anna 40 Schmider, Michael 40 Schmidt, Eberhard 313 Schmidt, Erich 136 Schmidt, Max 93 Schmidt, W. 92 Schmidt-Cabanis, Richard 98 Schmoller, Gustav von 136, 203, 233, 284, 303, 322

Schnee, Heinrich 92 Schnetzler, Karl 43 Schoenborn, Walther 286, 306 Schopenhauer, Arthur 45, 54, 119 Schrader, Karl 98 Schröder, Richard 121 Schücking, Levin 284 Schücking, Walther 21, 24, 108, 111–114, 140, 158, 165, 170, 173, 179–180, 182, 192, 197, 216, 225, 227, 233, 236, 251, 284, 289, 335, 341, 346–347, 349–350 Schulte, Aloys 290, 292–293 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von 324, 346, 365 Seckendorff, Rudolf von 136 Seeberg, Reinhold 18, 33, 41, 233, 283, 322, 331, 336, 344–345 Sering, Max 322, 326 Seuffert, Lothar 58 Sorel, Albert 291 Spahn, Martin 94, 233 Spielhagen, Friedrich 98 Stay, Philipp 35 Stengel, Carl von 102, 143, 156, 305 Stiegler, Franz 36 Stier-Somlo, Fritz 283 Stöcker, Helene 16, 126, 129, 137, 146 Stoerk, Felix 32 Stresemann, Gustav 16 Streuber, Valentin 36 Strupp, Karl 162, 225, 286, 288, 292, 306 Struve, Gustav von 36, 38 Sudermann, Hermann 21, 125 Südekum, Otto 92 Suttner, Bertha von 16, 21, 24, 28, 31, 96–98, 100, 102, 107, 137, 370, 391 Thyssen, August 16 Tönnies, Ferdinand 215, 284

Personenverzeichnis Treitschke, Heinrich von 48, 53, 123, 156, 160, 222 Triepel, Heinrich 152–153, 176, 283, 302, 305, 322, 335, 349 Troeltsch, Ernst 284, 324, 326, 329, 341, 346, 349 Ullmann, Emanuel von 32 Umfried, Otto 137, 198, 236 Virchow, Rudolf 16 Wach, Adolf 70, 136, 222, 306 Wagner, Cosima 205 Wagner, Richard 45, 119, 205, 231, 242 Waitz, Theodor 63 Waldeyer, Wilhelm 136 Weber, Alfred 233, 284, 300, 346, 350 Weber, Max 88, 127, 146, 233, 284, 295, 319, 321, 324, 328, 346, 349 Wehberg, Hans 21, 101, 108, 140–141, 145–146, 165, 168, 170,

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173, 179, 183, 188, 202, 216, 224–227, 236, 288, 312, 335, 350 Wiedenfeld, Kurt 284 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 136, 218, 231–233, 283, 303, 322, 336 Wile, Frederick William 202 Wilhelm II. 15, 105, 120, 203, 205–206, 217–218, 222, 243, 321, 347–348 Windelband, Wilhelm 233 Windscheid, Bernhard 60, 70, 88 Wirth, Franz 96 Wolff, Christian 184, 263 Wolff, Theodor 247, 284 Wundt, Max 327–328 Wundt, Wilhelm 136, 228, 233 Ziegler, Theobald 136 Zitelmann, Ernst 136, 227, 292 Zorn, Albert 151 Zorn, Philipp 101, 121, 141, 151, 203, 347