Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Eine ökonomische Analyse im Lichte der Budgetfunktionen [1 ed.] 9783428507634, 9783428107636

Die historische Entwicklung des Haushaltsrechts in Deutschland liefert wesentliche Anhaltspunkte für das Verständnis bud

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Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart: Eine ökonomische Analyse im Lichte der Budgetfunktionen [1 ed.]
 9783428507634, 9783428107636

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SONIA STRUBE

Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus 1. Hopt, Hamburg . Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main

Band 45

Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart Eine ökonomische Analyse im Lichte der Budgetfunktionen

Von Sonia Strube

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Strube, Sonia: Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart: eine ökonomische Analyse im Lichte der Budgetfunktionen / von Sonia Strube. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zur wirtschafts wissenschaftlichen Analyse des Rechts; Bd. 45) Zug!.: Münster (Westfalen), Uni v., Diss., 2000 ISBN 3-428-10763-2

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-10763-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €9

Vorwort Das deutsche Budgetrecht war von seiner Entstehung bis zur Gegenwart immer wieder Gegenstand von Reformen bzw. von Reformdiskussionen, welche die Ausgestaltung des heutigen Haushaltsrechts stark geprägt haben. Aus ökonomischer Sicht steht bei Reformansätzen in der Regel die Frage im Mittelpunkt, welche Budgetfunktionen das Budgetrecht zu erfüllen hat und ob es diesen Anforderungen gerecht wird. Inwieweit sich die Budgetfunktionen im Zeitablauf gewandelt haben und welche historische Entwicklung das Haushaltsrecht vor dem Hintergrund der Budgetfunktionen durchlaufen hat, ist bisher nicht untersucht worden. Diesem Thema widmet sich die vorliegende Analyse. Die Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Finanzwissenschaft. Sie wurde im November 2000 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinem akademischen Lehrer, Prof. Dr. Heinz Grossekettler, für die mir zuteil gewordene Unterstützung und die wertvollen und konstruktiven Anregungen. Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Aloys Prinz für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Auch meinen Kollegen Dr. Barbara Sebbel-Leschke, Sven Gentner, Dr. Jürgen Harnker, Sven Janßen und Michael Kübbeler möchte ich an dieser Stelle für ihre fachliche und persönliche Unterstützung danken. Mein Dank gebührt an dieser Stelle insbesondere Christian Langer für seine kritischen Anmerkungen und konstruktiven Verbesserungsvorschläge, die für die Entwicklung der Arbeit sehr förderlich waren. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Gabi Musiolik und bei Frau Marion Heuwold im Institutssekretariat sowie den studentischen Hilfskräften für ihre kooperative Zusammenarbeit. Mein besonderer Dank gilt Gabi Bücker, meiner Mutter Mechthild Strube und Dr. Andreas Jäcker für die kritische Durchsicht des Manuskriptes. Großer Dank gilt meinem Freund Dr. Olaf Schefzyk für seine moralische und auch fachliche Unterstützung. Bonn, im Oktober 2001

Sonia Strube

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung .........................................................

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts .... I. Das Budget im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit. . . . . . . ... ... 1. Die räumlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ........... 2. Die Entwicklung des Haushaltswesens in den Territorialstaaten .... a) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Bayern .............. b) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Tirol ................ c) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den östlichen Territorien ...................................................... d) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Sachsen ............. e) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den südöstlichen Territorien Österreich, Steiermark und Kärnten .................... f) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den westlichen Territorien g) Zwischenergebnis .. . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. 11. Die Reformen des Haushaltswesens im Zeitalter des Absolutismus und die Entstehung der frühkonstitutionellen Verfassungen ............... 1. Die Entwicklung des Haushaltswesens in Brandenburg und im Königreich Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Die Entwicklung des Haushaltswesens von 1640 bis 1688 (Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg) .......... aa) Die Ausgangssituation im Haushaltswesen und in der Behördenorganisation ........................................ bb) Reformen in der Behördenorganisation ................... cc) Die Denkschrift von 1651 und dadurch angeregte Reformen in der Behördenorganisation und im Haushaltswesen ....... dd) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Canstein .................................. ee) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Gladebeck ................................ ff) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Knyphausen ............................... b) Die Entwicklung von 1689 bis 1710 (Friedrich III.) ............ aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen im Haushaltswesen ........................... ce) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Kraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21 21 21 25 27 28 28 29 30 30 31 34 38 38 40 41 42 44 44 45 46 46 47 48

Inhaltsverzeichnis

8

2.

3.

4.

5.

c) Die Entwicklung von 1713 bis 1740 (König Friedrich Wilhelm 1.) aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen des Haushaltswesens .......................... cc) Die Beurteilung des Haushaltswesens nach der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. ............................... d) Die Entwicklung von 1740 bis 1786 (Friedrich 11., der Große) .. aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen im Haushaltswesen ........................... e) Die Entwicklung von 1786 bis 1797 (Friedrich Wilhelm 11.) .... aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen im Haushaltswesen ........................... f) Die Entwicklung von 1797 bis 1806 (Friedrich Wilhelm III.) ... aa) Reformen im Haushaltswesen ........................... bb) Reformen im Rechnungswesen .......................... g) Die Entwicklung von 1806 bis zur Preußischen Verfassung von 1850 (bis 1840 Friedrich Wilhelm III., seit 1840 Friedrich Wilhelm IV.) ................................................. aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen im Haushaltswesen ........................... h) Die Entwicklung des Budgetbewilligungsrechts in Preußen ..... Die Entwicklung des Haushaltswesens im Kurfürstentum Bayern . .. a) Die Entwicklung von 1640 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.. aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reform des Haushaltswesens insb. des Rechnungs- und Kontrollwesens ............................................ b) Die Entwicklung des Haushaltswesens von 1799 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts ....................................... aa) Reformen in der Behördenorganisation ................... bb) Reformen des Haushaltswesens insb. des Rechnungs- und Kontrollwesens ........................................ c) Der Kampf um das Ausgabenbewilligungsrecht ............... Die Entwicklung des Haushaltswesens in Württemberg ........... a) Reform der Behördenorganisation ........................... b) Reform des Haushaltswesens und die Entstehung des Haushaltsrechts .................................................... c) Das Ausgabenbewilligungsrecht in Württemberg .............. Die Entwicklung des Haushaltswesens im Großherzogtum Baden .. a) Reform der Behördenorganisation ........................... b) Reform des Haushaltswesens insb. des Rechnungswesens und der Rechnungskontrolle ....................................... . c) Der Kampf um das Ausgabenbewilligungsrecht in Baden ....... Das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 und die Ende des 19. Jahrhunderts etablierten Budgetgrundsätze ................ a) Das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 ............

50 51 53 57 57 58 59 61 61 62 63 64 64 66 66 69 72 76 76 76 79 81 82 84 89 94 94 98 104 105 105 106 111 112 112

Inhaltsverzeichnis

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b) Das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 und der preußischen Verfassung von 1850 aus Sicht der im 19. Jahrhundert etablierten Budgetgrundsätze ................................ 114 C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik ...... I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts .......... 1. Die Budgetfuriktionen des Haushaltsrechts in einem parlamentarischen Regierungssystem und die Budgetgrundsätze als Beurteilungsgrundlage ................................................... 2. Ein Überblick über das Weimarer Haushaltsrecht ................. 3. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weimarer Zeit .... 11. Kritische Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -furiktionen im Weimarer Haushaltsrecht .................................. 1. Die Grundsätze eines ausgeglichenen Haushalts und der Jährlichkeit im Weimarer Haushaltsrecht ................................... a) Der Grundsatz eines ausgeglichenen Haushalts ................ b) Der Grundsatz der Jährlichkeit .............................. 2. Die Grundsätze der Vollständigkeit und der Nonaffektation im Weimarer Haushaltsrecht ......................................... a) Der Grundsatz der Vollständigkeit ........................... b) Der Grundsatz der Nonaffektation ........................... 3. Die Grundsätze der Einheit und Klarheit im Weimarer Haushaltsrecht a) Der Grundsatz der Einheit .................................. b) Der Grundsatz der Klarheit ................................. 4. Die Grundsätze der Genauigkeit und Vorherigkeit im Weimarer Haushaltsrecht ............................................... a) Der Grundsatz der Genauigkeit .............................. b) Der Grundsatz der Vorherigkeit .............................. 5. Der Grundsatz der Spezialität im Weimarer Haushaltsrecht ........ a) Die zeitliche Spezialität .................................... b) Die sachliche Spezialität .................................... 6. Die Grundsätze der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit im Weimarer Haushaltsrecht ......................................... a) Der Grundsatz der Sparsarrikeit .............................. b) Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ......................... 7. Die Budgetkontrolle im Weimarer Haushaltsrecht und der Grundsatz der Öffentlichkeit ........................................ a) Die Budgetkontrolle ....................................... aa) Der Rechnungshof und die Rechnungsprüfungs-Unterkommission ............................................... bb) Die Budgetkontrolle durch den Rechnungshof ............. cc) Die Kontrolle der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit .......................................... dd) Die Sariktionsinstrumente des Reichstags und des Reichsrats insb. bei Haushaltsüberschreitungen ..................... .

123 124 124 129 134 137 138 138 138 139 139 141 143 143 146 150 150 152 154 154 156 160 161 167 168 168 168 169 171 173

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Inhaltsverzeichnis b) Der Grundsatz der Öffentlichkeit ............................ 8. Zwischenergebnis ............................................ III. Die Reformen und Reformvorschläge in der Weimarer Zeit .......... . 1. Der Reichssparkommissar ..................................... 2. Die Novelle der RHO von 1930 ................................ a) Die wichtigsten Änderungen zum außerordentlichen Haushalt sowie zur Planung und Durchführung baulicher Maßnahmen ... . b) Die wichtigsten Änderungen der Regelungen zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einschränkung des Budgetbewilligungsrechts des Parlaments .. 4. Die Einführung einer Vermögensrechnung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in den letzten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ...............................................

D. Die Entwicklung des Haushaltsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg .... I. Die Weiterentwicklung der Budgetfunktionen nach dem Zweiten Weltkrieg ........................................................... 1. Die wirtschaftspolitische Budgetfunktion ....................... . 2. Die Bedeutung der Wirtschaftlichkeit in der Haushaltsplanung im Rahmen der finanzpolitischen Budgetfunktion ................... 11. Die Beurteilung des bundesdeutschen Haushaltsrechts in der Zeit von 1949 bis 1969 vor dem Hintergrund der Budgetgrundsätze ............ 1. Die Grundsätze eines ausgeglichenen Haushalts und der Jährlichkeit 2. Der Grundsatz der Vollständigkeit ............................. . 3. Die Grundsätze der Einheit und Klarheit ....................... . 4. Der Grundsatz der Vorherigkeit ................................ 5. Grundsatz der Spezialität ..................................... . 6. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ............................... III. Das Haushaltsrecht nach der Reform von 1969 ..................... . 1. Die haushaltsrechtlichen Grundlagen nach der Haushaltsreform von 1969 ........................................................ a) Grundzüge der Haushaltsreform von 1969 .................... b) Die wichtigsten haushaltsrechtlichen Regelungen im Grundgesetz c) Die wichtigsten Vorschriften des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG) ....... d) Die wichtigsten Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung (BHO) 2. Die Beurteilung des Haushaltsrechts nach der Haushaltsreform von 1969 ........................................................ a) Die Grundsätze eines ausgeglichenen Haushalts und der Jährlichkeit ...................................................... b) Die Grundsätze der Genauigkeit und der Vollständigkeit ........ c) Die Grundsätze der Klarheit und Einheit ..................... d) Der Grundsatz der Spezialität ............................... e) Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ........ f) Übersicht über die Mängel im Bundeshaushaltsrecht .......... .

175 179 180 180 183 184 185 187 190 197 199 200 200 201 201 201 203 204 204 205 208 210 210 210 212 214 220 223 223 227 227 228 230 232

Inhaltsverzeichnis

11

IV. Refonnvorschläge, die in der Refonn nicht berücksichtigt wurden 1. Die Programmbudgetierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechnungshöfe als beratende Instanz bei der Haushaltsplanung V. Die Diskussion um das Haushaltsrecht in den neunziger Jahren ....... 1. Die Controlling-Funktion des Haushaltsrechts .................... 2. Das Neue Kommunale Rechnungswesen nach Lüder ............. 3. Das Neue SteuerungsmodeU ................................... 4. Die Entwicklung des Europäischen Haushaltsrechts . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtsgrundlagen des Europäischen Haushalts ............ b) Fehlentwicklungen im Europäischen Haushaltsrecht und die Refonnen, mit denen darauf reagiert wurde ...................

232 232 235 236 236 239 244 246 247 248

E. Zusammenfassung und Fazit ........................................ 259 Anhang I: Ausschnitte aus dem Einzelplan des Reichsministeriums des Innern für das Rechnungsjahr 1923 ................................. 265 Anhang 11: Gruppierungs- und Funktionenübersicht .................... 267 Literaturverzeichnis ............................. . .... . ................ 271 Verzeichnis der verwendeten Rechtsquellen ............................. 290 Sachwortverzeichnis ........................................... . ....... 291

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Brandenburg-Preußen Ende des 17. Jahrhunderts .................... 48 Abbildung 2: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen Anfang des 18. Jahrhunderts ....................... 53 Abbildung 3: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen vor den Reformen Friedrichs Il., dem Großen. . . . . ... 59 Abbildung 4: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen nach den Reformen Friedrichs 11., dem Großen ...... 60 Abbildung 5: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen nach den Reformen vom Steins und Hardenbergs . . . .. 69 Abbildung 6: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Bayern in der Mitte des 17. Jahrhunderts............................. 77 Abbildung 7: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Bayern nach den Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ...............

84

Abbildung 8: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Neu-Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1803 .......... 95 Abbildung 9: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Alt- und Neu-Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1806 .. 97 Abbildung 10: Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Baden nach den Reformen Dalbergs und Reitzensteins ................... 107 Abbildung 11: Die Budgetgrundsätze (ergänzt um die Budgetfunktion einer wirksamen Kontrolle) ..................................... 128 Abbildung 12: Gliederung des Gesamtplans ............................... 147 Abbildung 13: Inhalt des Haushaltsplans für das Reichsministerium des Innern im Rechnungsjahr 1923 ................................... 148 Abbildung 14: Entwicklung der Ausgaben ausgewählter Aufgabenbereiche von 1927 bis 1933 ........................................... 165 Abbildung 15: Anzahl der zwischen dem Abschluß eines Rechnungsjahres und der Vorlage der Denkschrift des Rechnungshofs liegenden Monate ................................................. 174 Abbildung 16: Mängel bei der Erfüllung der Budgetfunktionen im Weimarer Haushaltsrecht ........................................... 179

Abbildungsverzeichnis

13

Abbildung 17: Grundzüge der Haushaltsreform von 1969 ................... 211 Abbildung 18: Die Mängel bei der Erfüllung der Budgetfunktionen im Haushaltsrecht aus heutiger Sicht ............................... 233 Abbildung 19: Die Ergebnisrechnung im Neuen Kommunalen Rechnungswesen ..................................................... 241 Abbildung 20: Die Vermögensrechnung im Neuen Kommunalen Rechnungswesen von Lüder ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abbildung 21: Die Finanzrechnung im Neuen Kommunalen Rechnungswesen . 244

Abkürzungsverzeichnis Abs. Art. Aufl. Bd. BHO BMF BSP bspw. bzw. ca. DM DÖH EAG EAGFL ECU EEF EG EGKS EP et al. EU evtl. EWG EWGV EWS f. ff. GAP GATI GO ggf. GO HGrG Hrsg. Ld.R. insb.

Absatz Artikel Auflage Band Bundeshaushaltsordnung Bundesministerium der Finanzen Bruttosozialprodukt beispielsweise beziehungsweise circa Deutsche Mark Der öffentliche Haushalt Europäische Atomgemeinschaft Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft European Currency Unit Europäischer Entwicklungsfonds Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäisches Parlament et alii Europäische Union eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Europäisches Währungssystem folgende fortfolgende Gemeinsame Agrarpolitik General Agreement on Tarifs and Trade Grundgesetz gegebenenfalls Geschäftsordnung Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgeber in der Regel insbesondere

Abkürzungsverzeichnis Jg. KGSt Mio. Mrd. N.F. Nr. NSDAP NSM o.ä. o.V. PPBS qm RHO

RM RN RT-Drs. RT -Sten.Ber. S. SA Sp. StWG u.a. u.ä. USA v.a. vgl. v.H. Vol. VOP WRV z.B. Ziff.

Jahrgang Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, Köln Millionen Milliarden Neue Folge Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neues Steuerungsmodell oder ähnliche ohne Verfasser Planning-Programrning-Budgeting-System Quadratmeter Reichshaushaltsordnung Reichsmark Randnummer Reichstagsdrucksache Stenographische Berichte des Reichstags Seite Sturmabteilung Spalte Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft unter anderem und ähnliche United States of America vor allem vergleiche von Hundert Volume Verwaltungsführung Organisation Personalwesen Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Ziffer

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A. Einleitung Das Haushaltsrecht bildet den institutionellen Rahmen für Ausgabenentscheidungen des Staates. Im Mittelpunkt des Haushaltsrechts steht der Haushaltsplan bzw. das Budget. Der Begriff "Budget" stammt von dem lateinischen Wort für Ledertasche "bulga", woraus im Altfranzösischen "bougette" wurde. Die Engländer machten daraus das Wort "budge" und bezeichneten damit die Mappe des Schatzkanzlers, die den Gesetzentwurf zu den notwendigen Steuern enthält. 1 Neumark definiert das Budget als die "in regelmäßigen Abständen vorgenommene systematische Zusammenstellung der prinzipiell vollzugsverbindlichen Voranschläge der für einen bestimmten zukünftigen Zeitraum geplanten Ausgaben und der Schätzung der zur Deckung dieser Ausgaben vorgesehenen Einnahmen,,2. Die planende Komponente war nicht immer Bestandteil des Haushaltswesens. Vielmehr hat von der Einführung eines Rechnungssystems mit formalem und buchungstechnischem Charakter bis hin zur Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle öffentlicher Haushalte eine langwierige Entwicklung stattgefunden, für die das wachsende Interesse der Bürger für die öffentlichen Finanzen von großer Bedeutung war. 3 Das deutsche Haushaltsrecht war zuletzt in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Gegenstand intensiver Reformdiskussionen. Ähnliche Diskussionen haben aber auch bereits in den vorangegangenen Jahrzehnten, in der Weimarer Zeit sowie im 19. Jahrhundert stattgefunden. Während die einzelnen Reformansätze schon in zahlreichen Abhandlungen untersucht wurden, fehlt bisher eine systematische Analyse der historischen Entwicklung des Haushaltsrechts von seiner Entstehung bis zur heutigen Zeit. Diese Lücke soll mit Hilfe der vorliegenden Arbeit geschlossen werden. Bei der im Rahmen dieser Arbeit behandelten Thematik liegt der Schwerpunkt auf der Erarbeitung von Bestimmungsgründen und Einflußfaktoren, die zu Änderungen im Haushaltsrecht geführt haben. Ausgangspunkt der Überlegungen stellt dabei die Frage dar, welche Budgetfunktionen das Haushaltsrecht zu erfüllen hat. Zu beachten ist, daß die Budgetfunktionen nicht statischer Natur sind, sondern sich im Zeitablauf gewandelt haben, wobei insbesondere politische Einflußfaktoren eine wichtige Rolle gespielt I

2

3

Vgl. Heinig (1949), S. 12. Neumark (1952), S. 558. Vgl. Bohnsack (1993), S. XXIII.

2 Strube

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A. Einleitung

haben. Fehlentwicklungen im Haushaltsrecht sind daher jeweils vor dem Hintergrund der Budgetfunktionen zu beurteilen, welche in dem jeweiligen Zeitraum als relevant angesehen wurden. Bei der Untersuchung der Reformvorschläge bzw. der durchgeführten Reformen, die der Beseitigung der Mängel im Haushaltsrecht dienen sollten, werden deren Ziele und Ausgestaltung dargestellt. In einem letzten Schritt wird die durchgeführte Reform vor dem Hintergrund der im ersten Schritt herausgearbeiteten Mängel kritisch beleuchtet. In diesem Zusammenhang wird untersucht, welche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Umstände die jeweilige Reform begründet, verzögert oder inhaltlich beeinflußt haben. Während die Arbeit den gesamten Zeitraum vom Mittelalter bis zur Gegenwart abdeckt, liegt ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung des Haushaltsrechts bis zur Weimarer Zeit. Dies ist zum einen damit zu begründen, daß in diesen Phasen die zentralen Grundlagen für das heutige Haushaltsrecht geschaffen wurden und diese Zeit somit besonders wichtig für das Verständnis des heutigen Haushaltsrechts und seiner Weiterentwicklungsmöglichkeiten ist. Zum anderen fehlen vor allem für die Phase von der Entstehung des Haushaltsrechts bis zum 2. Weltkrieg ökonomische Untersuchungen über die historische Entwicklung des Haushaltsrechts (das als "Recht" im diktatorischen Regime des Nationalsozialismus sowieso von untergeordneter Bedeutung war), während die wichtigsten Phasen der Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg bereits intensiv bearbeitet wurden. Die Ausführungen stellen das Haushaltsrecht auf Territorial-, Reichsbzw. Bundes- und Länderebene in den Vordergrund. Die Entwicklung des Haushaltsrechts auf kommunaler Ebene wird mit Blick auf solche Reformbewegungen bzw. -vorschläge analysiert, die auch auf Reichs- bzw. Bundes- und Länderebene aufgegriffen wurden. Auf eine historische Betrachtung, wie sie für die höheren Ebenen erfolgt, wird in dieser Arbeit verzichtet, da es nicht möglich wäre, die gesamte kommunale Ebene als eine Einheit hinsichtlich des Haushaltswesen historisch zu untersuchen. Hinzu kommt, daß viele Reformen auf kommunaler Ebene nicht oder nicht nur auf eine Änderung des Haushaltsrechts abzielten, sondern auch die Organisationsstruktur, das öffentliche Dienstrecht oder das (über das Haushaltsrecht hinausgehende) öffentliche Rechnungswesen aufgriffen. Es wäre einer Untersuchung der Reformen auf kommunaler Ebene nicht angemessen, wenn lediglich das Haushaltsrecht betrachtet würde. Eine umfassende Analyse der genannten Entwicklungen in den Kommunen würde andererseits den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet das mittelalterliche Rechnungswesen in den Territorialstaaten. Kapitel B. beginnt mit einem Überblick über die räumlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und mit einer

A. Einleitung

19

kurzen Darstellung des Haushaltswesens in verschiedenen Territorialstaaten. Die Reformen des Haushaltswesens im Zeitalter des Absolutismus und die Entstehung der frühkonstitutionellen Verfassungen sind Gegenstand von Abschnitt B.II. Dabei wird einleitend darauf eingegangen, welche Bedeutung die Verschuldung und das Bürgertum für die Trennung von Staatsgut und Privatgut des Landesherrn hatte. Die Entwicklung bis zur Entstehung der konstitutionellen Verfassungen wird anband der Beispiele Preußen (B.II.!.), Bayern (B.II.2.), Baden (B.lI.3.) und Württemberg (B.lI.4.) untersucht. Diese Territorialstaaten wurden für die Untersuchung aufgrund ihres unterschiedlich ausgestalteten Budgetbewilligungsrechts und aufgrund einzelner, als exemplarisch anzusehender haushaltsrechtlicher Regelungen ausgewählt. In den süddeutschen Staaten stand im Gegensatz zu Preußen zunächst die Steuerbewilligung im Vordergrund. Erst später trat die Ausgabenbewilligung, also die Verwendung der genehmigten Steuern, in den Mittelpunkt. Die Ausgestaltung des Budgetbewilligungsrechts ist von Bedeutung, weil hiervon das Verhältnis zwischen dem Parlament und der Regierung entscheidend abhängt. Unter B.lI.5. wird das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 kritisch untersucht. In diesem Zusammenhang wird ein Überblick über die Budgetgrundsätze gegeben, die zur Beurteilung des Haushaltswesens herangezogen werden. Im gesamten Kapitel B. wird jeweils auch die Entwicklung der Behördenorganisation behandelt, weil der Aufbau eines Behördenapparates die Entwicklung des Haushaltsrechts stark geprägt hat. Kapitel C. beschäftigt sich mit der Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik. In Abschnitt c.I. werden die Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts dargestellt. Dazu gehören die Erläuterung der Budgetfunktionen und Budgetgrundsätze in einem parlamentarischen Regierungssystem, ein Überblick über das Weimarer Haushaltsrecht und eine Darstellung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weimarer Zeit. Die kritische Beurteilung der Budgetfunktionen und Budgetgrundsätze im Weimarer Haushaltsrecht erfolgt in Abschnitt C.II. Dem folgt unter C.III. eine Untersuchung der Reformen und Reformvorschläge in der Weimarer Zeit. Abschließend wird in Abschnitt C.lV. noch auf die Entwicklung des Haushaltsrechts während des 3. Reiches eingegangen. Kapitel D. widmet sich der Entwicklung des Haushaltsrechts nach dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst wird auf die Fortentwicklung der Budgetfunktionen nach diesem Krieg eingegangen. Dem schließt sich in Abschnitt 0.11. die Beurteilung des bis zur Reform von 1969 bestehenden Haushaltsrechts vor dem Hintergrund dieser neuen Entwicklungen an. Sodann wird unter 0.111. das Haushaltsrecht nach der Haushaltsreform von 1969 dargestellt und kritisch analysiert. Innerhalb D.lV. werden außerdem Reformvorschläge vorgestellt, die in der Reform nicht berücksichtigt wurden. Der 2"

20

A. Einleitung

letzte Abschnitt in Kapitel D. (V.) beschäftigt sich mit der Diskussion des Haushaltsrechts in den 90er Jahren. Er beginnt mit der Erläuterung der Controlling-Funktion des Haushaltsrechts. Des weiteren werden Reformvorschläge der 90er Jahre untersucht. Abschließend wird außerdem auf das Haushaltsrecht der Europäischen Union eingegangen, das ebenfalls Gegenstand von Reformdiskussionen war. In Kapitel E. wird ein Fazit aus Kapitel B. bis D. gezogen und werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefaßt.

B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts I. Das Budget im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit 1. Die räumlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation

Bevor die Entstehung und Entwicklung des Haushaltswesens in den Territorialstaaten untersucht wird, soll aufgezeigt werden, welche politischen und wirtschaftlichen Bedingungen dazu führten, daß sich auf Reichsebene eine Finanzwirtschaft im eigentlichen Sinne nicht entwickeln konnte. Deutschland bzw. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation begann sich erst ab dem 10. Jh. zu einem gefestigteren politischen Gebiet zu entwickeln. Von besonderer Bedeutung war dabei die Besiedlung in Richtung Osten, wodurch ein großer Teil Mitteleuropas im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zusammengefaßt werden konnte. Damit grenzte das deutsche Gebiet im Süden an die Alpen und im Norden an die Nord- und Ostsee. Westlich reichte es bis zu den westdeutschen Landschaften um den Rhein, und östlich verlief die Grenze von der Eider und Kieler Förde über die Saale nach Istrien. Im 11. Jahrhundert kamen Gebiete jenseits der EIbe und Saale bis zur Oder hinzu. I Im Gegensatz zu anderen Reichen wie z. B. Frankreich war in Deutschland kein politisch geeinter Flächenstaat vorzufinden, der die Bildung einer zentral staatlichen Verwaltung begünstigte. Das politische Oberhaupt war der Kaiser als Repräsentant des Reiches, der von den Stammesfürsten gewählt wurde. Es fehlte jedoch die Vorstellung einer einheitlichen und umfassenden Staatsgewalt. Die politische Herrschaft bestand in der Ausübung hoheitlicher Rechte wie z. B. der Gerichtsbarkeit, Zoll- und Gebietsrechten sowie Münz- und Bergrechten. Die öffentliche Gewalt als Summe dieser Hoheitsrechte verteilte sich auf mehrere eigenständige Machtträger. Die Rechte waren nicht gebiets-, sondern personenbezogen ("Personenverbandstaat"), so daß es keine scharfen politischen Grenzen gab? Der König und die Fürsten waren zunächst die einzigen Träger hoheitlicher Gewalt. Erst später wurden auch Städte und kirchliche Würdenträger mit originär hoheitlichen Rechten ausgestattet. 3 Das Reich I

2

Vgl. Kellenbenz (1980), S. 506 f. Vgl. Rabe (1991), S. 104.

22

B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

zeichnete sich außerdem durch das Lehnswesen aus. Durch das Lehen konnten erbbare Nutzrechte von Sachen und Rechten vom Eigentümer auf andere Personen übertragen werden, d. h. der König und die Stammesfürsten übertrugen die Verwaltung ihres weit verstreuten Besitzes und die Ausübung der hoheitlichen Rechte auf Vasallen und erhielten als Gegenleistung beispielsweise die Heerfolge und einen Anteil am materiellen Ertrag der Lehensgüter zugesichert. 4 Die Einnahmen des Königs kamen in der ersten Hälfte des Mittelalters vornehmlich aus der DomanialwirtschaJt, d. h. aus den Erträgen des königlichen Besitzes. Zumindest bis ins 13. Jahrhundert hinein bestand der Anteil des Königs an den Erträgen der einzelnen Domanialverwaltungen in Naturalleistungen, da sich der Geldumlauf auf die Städte beschränkte. Der Domänenbesitz verminderte sich jedoch deutlich; ein großer Teil wurde verschenkt, um die Fürsten und die Kirche an die Interessen des Königs zu binden oder für Dienste zu belohnen. Hinzu kamen auch widerrechtliche Aneignungen durch mächtige Landesherren. 5 Die Einnahmen aus den Regalien gewannen in dem Maße, in dem der Domänenbesitz sich verringerte, an Bedeutung. Die Regalien waren Einnahmen aus der Ausübung hoheitlicher Rechte, wie z. B. Marktgebühren und Zöllen. Sie hätten sich zu einer wichtigen Einnahmequelle des Reiches entwickeln können, wenn nicht auch diese Rechte oft von den Fürsten beansprucht oder an sie verliehen worden wären. Einmal der Kirche, den Fürsten oder den Städten in einem lehensartigen Verhältnis überlassen, konnten die Hoheitsrechte oder Besitze nur selten vom König zurückgenommen werden. 6 Damit blieb dem Reich noch der Versuch, Reichssteuem einzuführen. Der König hatte jedoch nur in Notsituationen die Möglichkeit, die Reichsstände um die Zahlung einer Steuer zu bitten, die dementsprechend keine regelmäßige Steuer war, sondern eine Bittsteuer bzw. Bede. Diese Bede hatte den Charakter einer Zwecksteuer, d. h. sie war an eine bestimmte Verwendung gebunden, üblicherweise an die Finanzierung von Kriegszügen. Eine direkte Erhebung von Steuern implizierte einen Eingriff in die Kompetenz der Territorialfürsten, so daß der König letztendlich vorwiegend von den Reichsstädten Pauschalsteuern verlangte. Doch selbst diese hatten eher den Charakter einer Bittsteuer, da die Städte nur einen Teil der Steuern zahlten, und der Rest entweder erlassen oder Gegenstand von langwierigen Verhandlungen wurde? Im 15. Jahrhundert tauchte der Gemeine Pfennig auf, der als eine Mischung von Einkommen-, Vermögen- und Kopfsteuer zu 3 4 5

6 7

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Häuser (1977), S. 27. Häuser (1977), S. 27. Eheberg (1927), S. 19. Henning (1991), S. 69 f. Häuser (1977), S. 30 f.

I. Das Budget im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit

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Kriegszwecken und durch ein dafür eingerichtetes Organ veranschlagt und erhoben wurde. 8 Dieser Versuch, eine Reichssteuer einzuführen, scheiterte letztlich daran, daß den Landesherren und selbst dem König die der Schatzbehörde zugesprochenen Befugnisse mißfielen. Darüber hinaus wehrten sich die Reichsstände gegen eine zentrale, weisungs- und auskunfts berechtigte Finanzbehörde. 9 Neben den oben genannten Einnahmen sind dem König auch Tributzahlungen slawischer Völker, Geldleistungen aus Italien, Ehrengeschenke der

Reichsfürsten u. ä. zugeflossen. Insgesamt dürften die Einnahmen für die regulären Ausgaben wie die Hofhaltung, die Kanzlei, die Reisen und Repräsentativaufgaben ausgereicht haben. 1O Andere Ausgaben wie der Bau von Straßen, Brücken, Burgen oder die Sicherung von Recht und Ordnung mußten i.d.R. von Landes- oder Stadtherren (wobei auch die Kirche häufig zu dieser Gruppe zählte) finanziert werdenY Die politischen Verhältnisse waren geprägt durch die Auseinandersetzung zwischen dem König und den Reichsständen einerseits und den Landesherren und den Landständen andererseits. Die Entstehung des Ständewesens läßt sich auf die Bindung der fürstlichen bzw. königlichen Herrschaft an den Konsens der "Großen des Landes" zurückführen. Den Ständen gehörten zunächst Adlige, später auch Vertreter des Klerus, der Städte und gelegentlich der Bauern an. 12

Auf Reichsebene standen die Landesherren als Reichsstände dem König gegenüber. Eine Finanzreform wäre nur mit der Zustimmung der Reichsstände möglich gewesen, die jedoch kein Interesse daran hatten, ihre landesherrliche Autonomie durch ein finanzkräftiges und damit politisch handlungsfähiges Reich zu gefährden. Dem Kaiser fehlte es an der politischen Vgl. Eheberg (1927), S. 20. Vgl. Häuser (1977), S. 31 f. 10 Vgl. Eheberg (1927), S. 20. In Friedenszeiten waren die Ausgaben des Reiches gering. Die Reichshofkanzlei finanzierte sich aus den Taxen und Gebühren, die sie erhob. Das Reichskarnmergericht erhielt neben den eigenen Einkünften (Gerichtsgefallen) Beiträge vom Kaiser und den Reichsständen. Ende des 16. Jahrhunderts kam der Kammerzieler hinzu, der von den Reichsständen gezahlt wurde. Vgl. Conrad (1966), S. 134 ff. und 164. 11 Vgl. Häuser (1977), S. 32 f. 12 Der Stand war zunächst ein sozialer Begriff, der eine Gruppe von Menschen bezeichnete, die aufgrund ihrer gleichartigen Stellung eine gesellschaftliche Lebenseinheit bildeten. Mit dem Übergang zur ständischen Rechtsordnung wurden die Stände zum Rechtsbegriff. Im Mittelalter entstanden die drei großen Berufs- und Geburtsstände des Adels (Ritter), der Bürger und der Bauern, die für die Rechtsordnung bestimmend wurden. Daneben gab es auch ständische Berufsgruppen mit besonderen Rechten und Pflichten wie z. B. die Geistlichen und die Offiziere. Vgl. Conrad (1966), S. 206 f. 8

9

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Macht, eine Verfassungsreform und darauf aufbauend eine Reichsfinanzreform durchzusetzen. Eine Finanzwirtschaft im eigentlichen Sinn konnte sich aus diesen Gründen auf Reichsebene nicht entwickeln. 13 Für die Entwicklung im Haushaltswesen war die Finanzwirtschaft in den Territorialstaaten und in den Städten von großer Bedeutung. Erstere hatten seit dem 11. und 12. Jahrhundert ihre Position auf Kosten des Königshauses gestärkt. 14 Das Lehnswesen ermöglichte es den Territorialfürsten, ihre Macht zu Lasten des Kaisers zu erweitern und zu stärken. Die Erhaltung dieser Macht im Innern baute nun auf der Auflösung des Lehnswesens auf. Die Landesherren sicherten sich ihre Position, indem sie zunehmend Ministeriale für die Ämter und Aufgaben der Lehensmänner einsetzten. Die Ministeriale, auch Amtmänner genannt, stammten aus dem Hofverband und waren vom Landesherren persönlich abhängig, also unfrei, was bedeutete, daß sie ihr Amt auf Befehl des Landesherren annehmen und aufgeben mußten. Die Ministerialität breitete sich nicht nur in den Ämtern der jeweiligen Territorialstaaten aus, sondern auch in der zentralen Hof- und Landesverwaltung des Territorialfürsten. Dies führte u. a. auch dazu, daß sich die Zusammensetzung der Beratungsgremien der Territorialfürsten zugunsten der Ministerialen änderte. Während die Landesherren ursprünglich neben höheren Geistlichen auch den Adel - die als Lehnsmänner dazu verpflichtet waren, Rat zu erteilen - zUr Beratung heranzogen, bestand die Mehrheit der Räte Mitte des 13. Jahrhunderts aus Ministerialen. Letztere lösten sich vom hofrechtlichen Verband und fanden sich in Landständen zusammen, so daß eine landständische Verfassung entstand, die zu einem Dualismus führte, in dem sich Stände und Landesherren als unabhängige Kräfte gegenüberstanden. 15 Die Landesherren konnten ohne Zustimmung der Landstände keine Gesetze erlassen oder neue Rechte festsetzen. Die Landstände traten auf den Landtagen zusammen und stimmten über die zur Verhandlung und Beschlußfassung anstehenden Fragen ab. Eines der wichtigsten landständischen Rechte war die Steuerbewilligung. Aufgrund dieses Rechtes nahmen die Stände außerdem das Recht der Steuererhebung und -verwaltung einschließlich der Verwaltung der landesherrlichen Schulden für sich in Anspruch. 16 Anfringlich stellten die Steuern keine regelmäßigen Einnahmen dar, sondern wurden nur ausnahmsweise erhoben, also als außerordentliche Einnahmen. Durch die zunehmende Ausgabenbelastung der Territorialherren, die sich aus dem wachsenden Umfang der Aufgaben, die sie wahrzunehmen hatten, ergab, wurden Steuern jedoch immer öfter als regelmäßige 13 14 15

16

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Klein (1974), S. 8 ff. Kellenbenz (1980), S. 523 f. Lütge (1961), S. 586. Conrad (1966), S. 233 f.

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Einnahmen in Anspruch genommen. Die Zuständigkeit für Steuern, die sich von ausnahmsweise genehmigten Steuern in regelmäßige Einnahmequellen verwandelten, ging auf die fürstliche Finanzverwaltung über. Bei den Ständen verblieb das Bewilligungsrecht und die Verwaltungszuständigkeit für die außerordentlichen Steuern, die ausnahmsweise genehmigt wurden und aus denen Ausgaben finanziert wurden, die bereits bei der Steuerbewilligung festgelegt wurden. Meistens wurden diese Einnahmen von den Landesherren für militärische Zwecke eingesetzt. 17 2. Die Entwicklung des Haushaltswesens in den Territorialstaaten

Im folgenden wird die Entwicklung des Haushaltswesens für ausgewählte Territorien unter den eben beschriebenen Rahmenbedingungen analysiert. 18 Bei der Untersuchung der territorialen Finanzverwaltung, insb. des Rechnungswesens, ist zu berücksichtigen, daß die Territorialfürsten als primäres Ziel eine optimale Ausschöpfung ihrer Einnahmequellen hatten 19. Diese setzten sich aus Domanialerträgen, Regalien und Steuern zusammen, wobei Steuern anfänglich nur Sonderleistungen waren, die von den Landesherren später zu regelmäßigen Einnahmen fortentwickelt wurden. 2o Darüberhinaus griffen die Landesherren auf Verschuldung zurück, um ihre Ausgaben zu decken? I Man kann im 13. Jahrhundert in den Territorialstaaten nicht von einer zentralen Finanzverwaltung in dem Sinne sprechen, daß von einer oberen Behörde Anweisungen und Befehle an alle lokalen Ämter erteilt wurden 17 Vgl. Lütge (1961), S. 586. Die ständischen Rechte wurden in vielen Territorialstaaten seit dem 16. Jahrhundert und im Laufe des 17. Jahrhunderts, vor allem nach dem 30jährigen Krieg, als der monarchische Absolutismus seinen Höhepunkt hatte, ausgehöhlt oder auch beseitigt. Vgl. Conrad (1966), S. 234 f., und Klein (1974), S. 15 f. Die Entwicklung des Haushaltswesens im Absolutismus und zur Zeit der frühkonstitutionellen Verfassungen sind Gegenstand von Abschnitt B.II. 18 Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Analyse des Haushaltswesens im Mittelalter durch den Mangel an Quellen erschwert wird. Man benötigt dafür möglichst geschlossene Rechnungsreihen. Schriftliche Rechnungssreihen, die noch heute existieren, liegen jedoch erst für den Zeitraum ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts vor. 19 Vgl. Mußgnug (1976), S. 58 f. 20 Ursprünglich durften Abgaben vom Adel nur beim Ritterschlag des Sohnes, bei der Ausstattung sich verheiratender Töchter und bei feindlicher Gefangenschaft des Fürsten als Ablösegeld verlangt werden. Mit zunehmender Finanzknappheit wandten sich die Landesherren aber auch an die Stände, um allgemeine Abgaben bewilligen zu lassen. In einigen Territorien konnten sie bereits im 13. Jahrhundert, in anderen teilweise erst im 16. Jahrhundert allgemeine Steuern durchsetzen. Die Ausgestaltung des Steuerwesens war in den jeweiligen Territorien verschieden. Vgl. Eheberg (1927), S. 21. 21 Vgl. Eheberg (1927), S. 21.

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und die finanziellen Vorgänge zentral schriftlich erlaßt wurden. 22 Die Finanzverwaltung lag prinzipiell beim Landesherrn, da die Ansicht bestand, daß dieser jegliche Aufgaben persönlich durchzuführen hatte. Der Landesherr hatte keine feste Residenz, auf seinen Reisen wurde er mit den Naturalien versorgt, die für die Hofhaltung notwendig waren; es herrschte vorwiegend Naturalwirtschaft.23 Die räumlichen Begebenheiten und der Umfang der Aufgaben machten dennoch eine Übertragung von Ämtern unumgänglich. Daraus entwickelte sich ein regionales Ämterwesen, das durch eine Fondswirtschaft geprägt war. Die Fondswirtschaft baute auf dem Prinzip auf, daß jede Verwaltungsaufgabe sich selbst zu finanzieren hatte. Daraus leitete sich die Zweckbindung der Einnahmen an dafür vorgesehene Ausgaben ab. Der Landesherr ordnete bestimmte Ausgabenbereiche einer Kasse zu, die ihre Einnahmen z. B. aus den Domänen oder aus dem Zollrecht bezog. Danach beschäftigte er sich nicht mehr mit den Fonds im Einzelnen, sondern sammelte lediglich die Überschüsse ein, die den Fonds nach Finanzierung der Ausgaben verblieben. 24 Die Fondswirtschaft wird häufig als Grund für die fehlende Übersicht über die Finanzen der Landesherren gesehen. Es wird argumentiert, daß eine Gesamtübersicht dadurch erschwert wurde, daß die einzelnen Kassen nur Nettobeträge an die Zentralkasse weitergaben und es deswegen unmöglich war, einen Einblick in die Finanzlage des Territorialstaates zu gewinnen?S In den folgenden Ausführungen zur Untersuchung des Rechnungswesens der einzelnen Territorialstaaten wird jedoch deutlich, daß es andere Ursachen für die mangelnde Übersicht über die Finanzen eines Territorialstaates gab. Ein Grund war im ungenügenden Rechnungs- und Kontrollwesen zu sehen. Hinzu kam, daß die Landesherren bei Anwendung des Fondssystems keinen Anlaß sahen, Haushaltsvoranschläge zu erstellen. 26 Dieser Trugschluß der Landesherren kann jedoch nicht dem System der Fondswirtschaft als Mangel angelastet werden. Ein weiteres Problem war die Handhabung der Fonds durch den Landesherrn. Sie verteilten die Ausgaben nicht nach festen, ökonomischen Regeln, sondern es ergab sich häufig eine vielfältige Mischung von Ausgaben, die einer Kasse zugeordnet wurden. 27 Das Vgl. Bamberger (1923), S. 195 f. Vgl. Droege (1970), S. 328. 24 Vgl. Mußgnug (1976), S. 44 f. 25 Vgl. Lütge (1961), S. 586 f. 26 Vgl. Mußgnug (1976), S. 44. 27 Vgl. Breysig (1892), S. 76. Aus heutiger Sicht müßte auch der Anspruch der Landesherren auf die Überschüsse aus den Fonds kritisch hinterfragt werden; da dies mit den politischen und gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit zusammenhängt, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden. 22 23

I. Das Budget im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit

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System der Fondswirtschaft hätte nur sinnvoll eingesetzt werden können, wenn die Ausgaben sachgerecht zugeordnet und die Zweckbindung auch eingehalten worden wäre. Den Landesherren fehlte in einer Zeit, in der der Umfang der Ausgaben ein starkes Wachstum aufwies, jegliche Übersicht über ihre Einnahmen und Ausgaben und die Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle der Ämter und der Hofhaltung. Die Konsequenz daraus war, daß sie in der Regel unter chronischer Finanznot litten. Wie sich das Haushaltswesen unter diesen Bedingungen entwickelte, soll im folgenden für ausgewählte Territorien bzw. Gebiete untersucht werden. Die Untersuchung beginnt mit dem Aufbau des regionalen Ämterwesens, der in den meisten Territorien im 13. Jahrhundert stattfand, und führt bis zum 15. und teilweise bis zum 16. Jahrhundert?8 a) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Bayern

In Bayern fand die Auflösung des Lehenswesens recht frühzeitig statt, so daß bereits im 13. Jahrhundert Viztume 29 für die Kontrolle der regionalen Ämter zuständig waren?O Seit 1550 fungierte die Hofkammer als oberste Finanzstelle des Landes. Sie beaufsichtigte die Einnahmen und Ausgaben vom Domanialbesitz und von den Regalien?! Inwieweit in der regionalen Verwaltung ein schriftliches Rechnungswesen verbreitet war, hing von der Entwicklung der Kanzlei ab. In Bayern hatte wie in den anderen großen Territorien der Vorsteher der Kanzlei, der oberste Schreiber, eine wachsende Bedeutung. Ob die finanziellen Vorgänge vom obersten Schreiber oder in der Kammer - die zentraler Verwaltungsort war - vom Kammerschreiber erfaßt wurden, ist allerdings unbekannt. 32 Man findet bereits früh Amtsrechnungen, die aber keine Gewähr für eine sichere Kontrolle waren. Zum einen wurden die Rechnungen nicht regelmäßig erstellt, zum anderen konnten die Landesherren in Bayern wie in anderen Territorien oft nicht lesen und schreiben. 33 Neben Amtsrechnungen liegen für Bayern und viele andere Territorien Aufzeichnungen über das Vermögen eines Landesherrn (Urbare) vor, die die Territorialfürsten erstellen ließen, da es für sie von Vgl. Willoweit (1983), S. 103. Die Viztume erfüllten seit 1270 die Funktion von Mittelbehörden, die ihren Namen nach dem Stellvertreter des Landesherren trugen, dem Vicedorninus oder auch Viztum, der Leiter der Ämter war. Vgl. Conrad (1966), S. 304. 30 Vgl. Rosenthai (1968), S. 49. 31 Vgl. Albrecht (1998), S. 52. 32 Vgl. Rosenthai (1968), S. 461. 33 Daher ist es nicht erstaunlich, daß z. B. in sächsischen und brandenburgischen Amtsrechnungen Fehler fast immer zu Ungunsten des Landesherrn auftauchten. Vgl. Bamberger (1923), S. 204 f. und S. 213. 28

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großem Interesse war zu wissen, mit welchen Einnahmen sie rechnen konnten. Solche Aufzeichnungen stellen häufig erste Ansätze von Einnahmeschätzungen dar?4 Ein weiterer Fortschritt für das Rechnungswesen war die Herausbildung einer festen Residenz in München und in Landshut, eine Entwicklung, die durch die Verbreitung der GeldwirtschaJt erleichtert wurde. Die Bildung von Archiven nahm zu, wobei das Hauptziel die Verhinderung von Veruntreuungen war. 35 Eine weitere Änderung bestand im 15. Jahrhundert in der Einführung eines Rentmeisters, der als Kontrollorgan zu den Viztumen hinzukam. 36 Es blieb bei diesen Veränderungen personeller oder organisatorischer Art. Das Rechnungswesen hat sich vorerst nicht weiterentwickelt.

b) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Tirol

In Tirol hat genauso wie in Bayern eine schnelle Auflösung des Lehenswesens stattgefunden; die regionalen Ämter wurden landesübergreifend von einem Amtmann kontrolliert. 37 Wichtige Einnahmen wie z.B. der Zoll wurden direkt der Zentrale unterstellt. Auch hier gab es die Kammer als zentrale Kassenstelle der Landes- und Hofverwaltung und die Kanzlei mit dem obersten Schreiber als Vorsteher. In Tirol hat sich die Kanzlei als Kontrollinstanz etabliert, die alle Rechnungen prüfte, so daß hier keine systematischen Rechenfehler zu Ungunsten des Landesherm vorzufinden waren. 38 Da sich auch hier eine feste Residenz herausgebildet hatte, konnten Archive eingerichtet werden, deren Rechnungsbücher nach sachlichen Gesichtspunkten unterteilt waren und regelmäßig erstellt wurden. Dadurch wurden die finanziellen Vorgänge in Tirol ziemlich vollständig erfaßt, und es hätte daraus ein Ist-Budget zusammengestellt werden können. Eine allgemeine Übersicht wurde damals aber nicht erstellt, da wie bereits erwähnt die Verhinderung von Mißbrauch im Vordergrund stand?9 c) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den östlichen Territorien

In den östlichen Territorien, speziell im Nordosten in der Mark Brandenburg, wurden die Lehensmänner durch die Vögte abgelöst. Bis zum 13. Jahrhundert hatten sich räumlich geschlossene, über den gesamten Territorialstaat verteilte, lokale Verwaltungs stellen herausgebildet, die Vögten un34 35 36 37

38 39

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Rosenthai (1968), S. 52. Bamberger (1923), S. 216 ff. Volkert (1967), S. 548. Mayer (1973), S. 40 ff. Bamberger (1923), S. 236. Bamberger (1923), S. 219.

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terstanden. Eine zentrale Finanzverwaltungsstelle, welche die Vögte kontrolliert hätte, gab es nicht; dafür war der Landesherr zuständig. 4o Es wurde auch kein schriftliches Rechnungswesen angewandt. Kurze Zeit nach dem Aufbau der Vogteien folgte der Verfall der Vogteiverfassung. 41 Albert Achill, Landesherr der Mark Brandenburg, erließ 1470 eine Hofordnung, mit der er versuchte, durch eine Verwaltungsreform eine Verbesserung der finanziellen Lage zu erreichen. Diese Hofordnung entsprang der häufigen Abwesenheit Achills von der Mark Brandenburg, da er auch in Franken regierte. Sie trat dementsprechend außer Kraft, sobald er sich persönlich in Brandenburg befand. 42 Es sollte eine genaue Rechnungslegung und eine Kontrolle der Wirtschaftsführung am Hof durchgeführt werden. Dazu gehörte die Schriftlichkeit von finanziellen Verfahren, ein Verzeichnis der Einnahmen und Ausgaben und eine regelmäßige Rechnungslegung. Eine wichtige Rolle für die Finanzverwaltung spielte die Einführung des Landrentmeisters im 15. Jahrhundert, der ein Register über Ausgaben und Einnahmen zu führen hatte, dem Landesherrn regelmäßig Rechenschaft zu erbringen hatte und die lokalen Verwaltungsstellen kontrollieren sollte. 43 Die Reformvorschläge Achills können als erste Versuche eines Haushaltsvoranschlags angesehen werden. 44 Die Bedeutung der Hofordnung für die Entwicklung des Rechnungswesens sollte jedoch nicht überbewertet werden, da die darin vorgeschlagenen Regelungen von Achill selbst nicht eingehalten wurden. Erst im 16. Jahrhundert wurde unter dem Einfluß der Stände versucht, eine Zentralverwaltung einzurichten, die einen besseren Überblick über die Ausgaben und Einnahmen verschafft hätte. Die Landesherren wurden der Finanznot jedoch trotzdem nicht Herr, so daß den Ständen die gesamte Steuerverwaltung gemeinsam mit einer Möglichkeit zur Mitregierung im sogenannten Ständischen Kreditwerk überlassen wurde. Doch auch das Kreditwerk brach nach einiger Zeit zusammen. 45 d) Die Entwicklung des Haushaltswesens in Sachsen

In Sachsen wurde die Finanzverwaltung von 1347 bis 1379 fast ständig an kapitalkräftige Personen wie Hofbeamte, Mitglieder des Rats oder auch bürgerliche Kaufleute verpachtet. Sie traten als Geldgeber auf, und der Lan40 41 42

43 44 45

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bomhak (1884), 25 f. Bomhak (1884), S. 35 ff. Schapper (1912), S. 131. Droege (1970), S. 334 f. Spangenberg (1908), S. 465. Droege (1966), S. 158 f.

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desherr überließ ihnen sämtliche mit den Ämtern verbundene Einnahmen. Dies führte dazu, daß die Verwaltung zwar in der Regel nach kaufmännischen Prinzipien geführt wurde, aber daß die Bevölkerung häufig von den Kaufleuten noch stärker ausgebeutet wurde als von den Amtmännern des Landesherm. 46 1487 übernahm der bürgerliche Kaufmann Jacob Blasbalg die Finanzverwaltung und führte eine strenge Aufsicht über die lokalen Ämter, u. a. um eine Ausbeutung der Bevölkerung zu verhindern. Während seiner Zeit wurde Sachsen zum reichsten Territorialstaat in Deutschland. Die Anwendung kaufmännischer Methoden hatte jedoch keine langfristigen Auswirkungen auf das Rechnungswesen des Territorialstaates.47 e) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den südöstlichen Territorien Österreich, Steiermark und Kärnten

In den südöstlichen Territorien, zu denen Österreich, die Steiermark und Kärnten gehörten, hatte das Lehnswesen eine geringe Bedeutung, so daß dort bereits früh in allen Territorien lokale Amtmänner eingesetzt wurden. Zeitweise findet man eine länderweise Zusammenfassung der Ämter unter dem Landschreiber als obersten Finanzbeamten, doch die lokale Finanzverwaltung war nicht so stark organisiert wie in manch anderen Territorien. In Österreich wurde erst im 16. Jahrhundert eine Hofkammer eingerichtet, welche die verschiedenen Länderkammern, die zu Österreich gehörten, unter sich vereinigte. 48 In der Hofverwaltung hatte sich bereits im 13. Jahrhundert ein schriftliches Rechnungswesen durchgesetzt, für das der Landschreiber zuständig war. Dieser wiederum unterlag der Kontrolle der Räte des Landesherm. 49 Die Bildung von Archiven wurde in Österreich durch die feste Residenz in Wien begünstigt. 5o f) Die Entwicklung des Haushaltswesens in den westlichen Territorien

In den westlichen Territorialstaaten löste im 14. Jahrhundert der Landrentmeister die Zeiten ab, in denen der Landesherr Regierungsgeschäfte durchführte, indem er von Einnahmestelle zu Einnahmestelle reiste, um sich einen finanziellen Überblick zu verschaffen. Der Rentmeister war dafür zuständig, die Einnahmen und Ausgaben des Landesherrn zu überprüfen und die Überschüsse einzubehalten. Das Haushaltsverfahren des Landrentmeisters bestand darin, die Überschüsse der einzelnen Verwaltungsbe46 47

48 49 50

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bamberger (1923), S. 231 f. Droege (1966), S. 156. Blaich (1983), S. 432 f. Droege (1970), S. 337 f. Bamberger (1923), S. 217.

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zirke in einer Rentmeistereiakte aufzuzeichnen. Die Rentmeistereiakte war also eine Nettoabrechnung, die den von den lokalen Ämtern erzielten Überschuß nach Abzug der Verwaltungskosten angab. Der Landrentmeister errichtete außerdem eine Zentralkasse und ebnete damit den Weg für eine zentrale Finanzverwaltung. 51 In eleve-Mark und Köln erlangten die Stände großen Einfluß auf die Regierung. Sie bestimmten vier Ratsherren, ohne deren Zustimmung der Landesherr keine Entscheidung treffen durfte. Der Landrentmeister war nur mit Erlaubnis der Räte zu Ausgaben ermächtigt. Die Einschränkung der Macht des Landesherrn war jedoch im Gegensatz zu Tirol nicht dauerhafter Natur und hatte keine langfristigen Auswirkungen auf das Rechnungswesen in den westlichen Territorialstaaten. 52 g) Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis der Untersuchung der Entwicklung in den einzelnen Territorien läßt sich festhalten, daß die Landesherren im Rahmen des Haushaltswesens in erster Linie versucht haben, ihre Einnahmen durch ein besseres Rechnungs- und Kontrollsystem zu steigern. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst personelle Veränderungen. Im Zuge der Auflösung des Lehnswesens organisierten die meisten Territorialstaaten eine lokale Finanzverwaltung, die mit Amtmännern besetzt war. Eine weitere Reform war die Einführung einer zentralen Finanzverwaltung. Diese Zentralisierungstendenz war in den Territorialstaaten, in denen sich eine feste Residenz herausbildete, in denen eine Kammer oder Kanzlei in der Hofverwaltung vorzufinden war und in denen sich die Geldwirtschaft schneller ausbreitete, früh zu beobachten. In den östlichen Territorialstaaten kam es erst im 16. Jahrhundert zum Aufbau einer Zentralverwaltung. Von Bedeutung für die Entwicklung des Rechnungswesens im 16. Jahrhundert war außerdem die zunehmende Verbreitung der schriftlichen Niederlegung im Rechnungswesen. Die Rechnungen wurden in der Regel chronologisch abgeheftet, und es wurde überwiegend mit Nettoabrechnungen gearbeitet, die lediglich die Überschüsse bzw. Defizite der lokalen Ämter enthielten. Die Entwicklung des Rechnungswesens war maßgeblich von den Entscheidungen der Landesherren geprägt, da sie die Regierung des Territorialstaates personifizierten. Einige Ursachen für die chronische Finanznot, in der sie sich befanden, blieben in ihren Reformen des Haushaltswesens unberücksichtigt: - Ein wichtiger Grund für die finanziellen Probleme der Landesherren war ihr verschwenderischer Lebensstil. In den westlichen Territorien bei51

52

Vgl. Droege (1971), S. 5 f. Vgl. Bamberger (1923), S. 241 f.

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spielsweise wurden im 15. Jahrhundert 90 v. H. der Einnahmen für das Hofleben ausgegeben. 53 Bei der Beurteilung des Ausgabeverhaltens der Territorialfürsten sollte jedoch berücksichtigt werden, daß im Spätmittelalter und in der Neuzeit der Rang eines Fürsten sich u. a. über den Aufwand bestimmte, den er für seine Hofhaltung betrieb. Die Unterwerfung der vornehmsten und mächtigsten Familien des Adels bei Hofe war ein Instrument zur Durchsetzung der realen Machtansprüche des Landesherren und festigte seine politische Macht. Des weiteren nahmen die Kosten für die Wahrnehmung von Aufgaben im Gerichts- und Polizei wesen sowie für die Ausweitung des Militärs seit dem Spätrnittelalter stetig zu, so daß die i. d. R. mit Verschwendungssucht begründete hohe Verschuldung der Landesherren auch vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen betrachtet werden muß. 54 - Im Widerspruch zum Wunsch einer besseren Kontrolle stand das Verhalten der Landesherren, die bei ihren Kontrollreisen durch das Territorium häufig auf eine Kontrolle verzichteten, wenn sie vom Amtmann gut verpflegt wurden. - Hinzu kam ein unübersichtliches Entlohnungssystem, bei dem die Landesherren in der Regel nicht überschauen konnten, wie hoch die Personalkosten waren, und das die Landesherren finanziell stark unter Druck setzte. 55 Der finanzielle Druck wurde dadurch verstärkt, daß die Auflösung des Lehnswesens im Heereswesen dazu führte, daß die Heerespflicht durch Soldverträge abgelöst wurde,56 und damit die zahlreichen Kriege, die die Landesherren zur Stärkung ihrer Macht und zur Festigung ihres Territorialgebietes führten, viele Mittel verschlangen. 57 - Ein weiterer Mangel im Haushaltswesen der Territorialstaaten war das Fehlen von Haushaltsvoranschlägen. Die zu erwartenden Einnahmen waren für die Landesherren von großem Interesse, so daß es bereits im 13. Jahrhundert erste Ansätze von Einnahmeschätzungen gab, z. B. die bereits erwähnten Urbare. Diese Aufzeichnungen waren aber nicht mit einem Einnahmebudget vergleichbar, das durch die Ergänzung eines Ausgabenbudgets zu einem Haushaltsplan hätte entwickelt werden können. Statt dessen dienten sie vornehmlich als Nachweis für die Ansprüche der Landesherren. 58 53 54 55 56 57

58

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Droege (1966), S. 155. Buchholz (1996), S. 24 f. Bamberger (1923), S. 208 und 215. Spangenberg (1909), S. 510. Bamberger (1923), S. 233. Mußgnug (1976), S. 43 f.

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- Problematisch war zudem, daß eine Trennung des fürstlichen Hausgutes und des Staatsgutes fehlte. Der Landesherr hatte kein Interesse daran, zwischen Haus- und Staatsgut zu unterscheiden, solange die Gefahr bestand, daß die Stände als "Repräsentanten des Staates" versuchten, die Kontrolle des Staatsgutes an sich zu bringen. 59 Die Entwicklung eines zentralen Staatsbewußtseins fand erst im Zeitalter des Absolutismus statt. 60 Die Landesherren hatten wenig Anreize, die oben beschriebenen Probleme zu beseitigen, da sie zum einen kein Interesse daran hatten, ihren Lebensstil zu ändern. Zum anderen waren sie nicht bereit, sich auf eine verbindliche Planung der Finanzen einzulassen, da dies aus ihrer Sicht eine Einschränkung ihrer Macht bedeutet hätte. 61 Es stellt sich die Frage, warum die Stände nicht stärker auf eine Verbesserung des Haushaltswesens hinwirkten. Wie oben bereits angesprochen, waren die Stände für die Schuldenverwaltung der Landesherren zuständig. Die Schuldenverwaltung spielte für die Machtverteilung eine bedeutende Rolle, denn wenn der Landesherr sich so stark verschuldete, daß er nicht mehr in der Lage war, die Schulden zu tilgen, wandte er sich mit der Bitte an die Landstände, die Schulden zu übernehmen. Dies geschah in der Regel nur, wenn der Landesherr gewisse Zugeständnisse machte, also z. B. landesherrliche Rechte auf die Stände übertrug. 62 Die Stände hätten also im Prinzip das notwendige Druckmittel gehabt, Verbesserungen im Rechnungswesen der Territorialstaaten durchzusetzen. Der Einfluß der Stände wirkte sich jedoch nur in Tirol langfristig positiv auf das Haushaltswesen aus. Einer der Gründe dafür, daß die Stände nicht auf sinnvolle Reformen hingewirkt haben oder auch nicht hinwirken konnten, ist sicherlich darin zu sehen, daß die Stände in der Steuerverwaltung nur selten über ein weiterentwickeltes Rechnungswesen verfügten und damit keine Finanzverwaltung hatten, die als Vorbild für die Landesherren hätte gelten können. 63 Sie drängten lediglich auf eine Verringerung der Ausgaben für das Hofleben oder setzten Gremien ein, die die Ausgaben des Landesherren genehmigten und kontrollierten, wie dies z. B. in eleve und Köln zeitweise der Fall war. Schwerwiegender dürfte allerdings das Argument sein, daß die Stände von der finanziellen Not der Landesherren profitierten, da sie damit ihre Macht stärken konnten. Es lag damit nicht in ihrem Interesse, Reformen durchzuführen, die den Territorialherren geholfen hätten, die Finanzkrise zu 59

60 61

62 63

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

3Strube

Klein (1974), S. 17. hierzu Abschnitt B.H. Mußgnug (1976), S. 45. Kellenbenz (1980), S. 523 f. Bamberger (1923), S. 249 f.

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überwinden. Für dieses Argument spricht auch die Tatsache, daß die Stände die Verschuldung der Landesherren oft nutzten, um ihr Vermögen zu erweitern und nicht die Interessen der Landesbevölkerung in den Vordergrund stellten. 64 Die Stände hatten außerdem keinen Anreiz, sich freiwillig auf eine Lösung des Konflikts einzulassen, da sie als Alternative nur die absolute Monarchie kannten, bei der sie auf ihre Mitwirkung in der Finanzverwaltung hätten verzichten müssen. 65 11. Die Reformen des Haushaltswesens im Zeitalter des Absolutismus und die Entstehung der friihkonstitutionellen Verfassungen Die wirtschaftliche und finanzpolitische Entwicklung der Territorialstaaten in der Neuzeit war geprägt durch die Folgen des 30jährigen Krieges, der die Länder und Städte verwüstete und mit zerrütteten Finanzen hinterließ. Die Souveränität der Territorialstaaten wurde mit dem Westfälischen Frieden endgültig bestätigt. Für die weitere Entwicklung des Rechnungswesens ist zunächst von Bedeutung, daß die Geldwirtschaft die Naturalwirtschaft weitgehend verdrängt hatte. Hinzu kommt die Überwindung des Finanzdualismus zwischen den Landesherren und den Ständen, die in der Regel mit der Ausbreitung des Absolutismus einherging. Den Landesherren war es in vielen Territorialstaaten gelungen, die Macht der Stände zurückzudrängen, indem sie die ständische Steuererhebung und -verwaltung ihrer Aufsicht unterstellten oder sie als Auftragsangelegenheit behandelten, wenn sie nicht sogar die Steuerverwaltung übernahmen. Die Verdrängung der ständischen Rechte war eng mit der Entstehung der absolutistischen Machtstellung des Landesherrn verknüpft. Im Absolutismus vereinigte der Landesherr alle Staatsmacht in seiner Hand. 66 Die absolutistischen Regierungen der meisten Territorialfürsten und Monarchen im deutschsprachigen Bereich standen unter dem Einfluß der Kameralisten. 67 Diese Entwicklung resultierte daraus, daß die Fürsten RechtsgeVgl. Bamberger (1923), S. 246. Vgl. Mußgnug (1976), S. 58 f. 66 Vgl. Conrad (1966), S. 234 f. 67 Als Kameralisten wurden die deutschen Merkantilisten vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bezeichnet. Sie zeichneten sich durch die besondere Beziehung zu ihrem Fürsten und seiner Kammer sowie durch die Beamteneigenschaft aus. Die Kameralisten waren Berater der Fürsten, Staatsmänner und Lehrer der angehenden Hotbeamten. Sie vertraten eine spezifisch deutsche Art des internationalen Merkantilismus und forderten die wirtschaftliche und politische Zentralisation des Landes. Im Vordergrund der Finanzpolitik standen nach Meinung vieler Dogmenhistoriker fiskalische Ziele: der Fürst sollte reich und unabhängig sein (vgl. Zielenziger (1923), S. 573 0. Es wird allerdings auch die Meinung vertreten, daß viele Kameralisten die Mehrung des Reichstums ihrer Fürsten nur zum Vorwand nahmen, um 64 65

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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lehrte, Staats wissenschaftler o. a. Ratgeber an den Hof holten, die für das Schatzwesen der Landesherren, das Kamerale und damit auch für das allgemeine Wohl des Landes zuständig waren. Die Wirtschaftspolitik richtete sich nach dem in dieser Zeit weitverbreiteten Merkantilismus, "der die nationalwirtschaftlichen Interessen eines Landes in der Vordergrund rückte und die wirtschaftliche Entwicklung vornehmlich durch die. unmittelbare Aktivität des Staates voranzutreiben suchte".68 Der finanzielle Druck durch steigende Ausgaben für Söldnerheere, für den Ausbau des Beamtenturns und für das Polizei- und Verkehrswesen wurde durch die Ausgaben für die Förderung von Handel und Gewerbe noch verschärft. Die Steuern gewannen als Finanzierungsquelle für die vieWHtigen neuen Staatsaufgaben zunehmend an Bedeutung, da sich zeigte, daß die Einnahmen aus dem Kammergut und den Regalien nicht mehr ausreichten. 69 Die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts ist somit durch den Übergang vom Domanialstaat zum Steuerstaat gekennzeichnet. 70 Die konstitutionelle Bewegung des 19. Jahrhunderts setzte den Absolutismus als Regierungsform unter Druck und wurde durch den sozialen Aufstieg des Bürgertums getragen. Es entstand ein neuer Dualismus zwischen dem Staat und der Gesellschaft, welcher den ständischen Dualismus ablöste. Das Bürgertum konnte sich aufgrund des Wohlstands, den es erreicht hatte, aus seiner Rolle des Untertanen befreien. Das neue politische Selbstverständnis, das zu dieser Zeit entstand, war vom ideologischen Gedankengut der französischen Revolution geprägt. Die ersten konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts (Bayern, Württemberg und Baden) knüpften an die Tradition ständischer Verfassungen an, da sie den Volksvertretungen7l ein Budgetbewilligungsrecht in Form eines Steuerbewilligungsrechts diesen Entwicklungsrnaßnahmen vorzuschlagen, die letztlich im Allgemeininteresse lagen (vgl. Tautseher (1952), S. 387 f. und 414 f.). Eine Fortentwicklung dieser Form der Beratung wird man in Lorenz von Steins Lehre vom "sozialen Königtum" sehen können. Vgl. von Beckerath (1952), S. 424 ff. sowie Grossekettler (1998), S. 76 ff. Zu von Steins Lehre vom "sozialen Königtum" vgl. von Stein (1855). 68 Häuser (1977), S. 40 f. 69 Durch die Beteiligung des Fürsten am Ertrag der Einnahmen ihrer Untertanen (in Form von Steuern), gewann die Durchführung wirtschaftspolitischer Maßnahmen an Bedeutung. Bei den Landesherren wurde dadurch die Haltung gefördert, "in das Land zu investieren", d.h. sich wie ein Unternehmer zu verhalten, der Projekte entwickelt, aus denen er sich Einnahmesteigerungen verspricht. In diesem Fall sollen die wirtschaftsfördernden Maßnahmen zu höheren Steuereinnahmen führen. Vgl. Grossekettler (1998), S. 76 ff. 70 Vgl. Albrecht (1998), S. 58. 71 Der Begriff Volksvertretung soll hier nicht darüber hinwegtäuschen, daß die damals eingeführten Landtage keine eigentlichen Volksvertretungen waren, denn die Mitgliedschaft im Landtag war in den meisten Fällen an Bedingungen geknüpft. In der 1. Kammer war der Großteil der Mitglieder adeliger Herkunft. In der 2. Kammer 3*

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

einräumten. Sie führten aber gleichzeitig die allgemeine Steuerpflicht ein. Dies bedeutete zum einen, daß die Steuerprivilegien der Stände abgeschafft wurden und zum anderen, daß es den Ständen nicht mehr erlaubt war, die Steuerbewilligung an Bedingungen zu knüpfen. Darüber hinaus entfiel die Zweckbindung der Steuern, wie sie im Ständestaat üblich war. Das vornehmliche Interesse des Bürgertums bestand anfangs darin, die steuerliche Last möglichst gering zu halten. Eine der Voraussetzungen dafür lag in der Verstaatlichung des Kammerguts der Landesherren. Die Landesherren ließen sich in den meisten Ländern (Ausnahmen bildeten in der Regel nur die kleineren Territorialstaaten) auf die Verstaatlichung des Kammerguts ein, weil sie sich in einer desolaten finanziellen Lage befanden. Da sie Kredite aufnehmen wollten, ihre Kreditwürdigkeit aber stark angeschlagen war, versuchten sie, mit der Zustimmung zu Reformen um das Vertrauen der Bevölkerung zu werben. 72 Die Umwandlung des Kammerguts in staatliches Vermögen wurde von der Entstehung eines abstrakten Staatsgedankens und einer Loslösung von der personenbezogenen Staatsauffassung, wie sie im Absolutismus verbreitet war, begleitet. Der Landesherr wurde als Inhaber eines Amtes gesehen, der im Auftrag des Staates als juristische Person handelte. 73 Der Landesherr mußte seine öffentlichen Aufgaben zunächst aus den Einnahmen des Kammer- bzw. Staatsguts bestreiten und durfte nur die verbliebenen Haushaltslücken durch Steuern decken. 74 Darin zeigt sich auch, daß staatliches Vermögen im 19. Jahrhundert hauptsächlich der Erzielung finanzieller Erträge, also dem fiskalischen Zweck diente. 75 Viele Reformen des Haushaltswesens, insb. die Ausgestaltung der Behördenorganisation und die geographische Einteilung der Verwaltungsgebiete hatten die französische Verwaltungsorganisation zum Vorbild. In der Behördenorganisation führte das u. a. zu einer zentralistischen Verwaltungsorganisation und zur Einführung von Departements, die nach sachlichen (statt geographischen) Kriterien gegliedert waren. Die Gebietseinteilung nach französischem Vorbild zeichnete sich dadurch aus, daß historisch gewachsene Strukturen ersetzt wurden durch Gebietsstrukturen, deren Einteilung sich an verwaltungsgeographischen Gesichtspunkten orientierte. Diese Gliewaren die Vermögenden häufig deutlich stärker vertreten als andere Teile der Bevölkerung. Vgl. Henning (1993), S. 70. 72 Vgl. Mußgnug (1976), S. 88. 73 Vgl. Friauf(1990), S. 301 f. 74 Vgl. Mußgnug (1976), S. 87. 75 Bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gingen die Erträge aus staatlichem Vermögen zurück, bis deren Bedeutung für die Finanzierung staatlicher Ausgaben, die gleichzeitig stetig gestiegen waren, nur noch gering war. Vgl. Friauf (1990), S. 312.

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derung der Provinzen sollte die Grundlage für eine zentralistische Verwaltung bilden. 76 Im nächsten Abschnitt wird die Entwicklung des Budgets in Preußen untersucht. Dort entzog die Verfassung von 1850 den Ständen die periodische Steuerbewilligung, räumte ihnen aber ein Budgetbewilligungsrecht in Form der Ausgabenbewilligung ein. Die Untersuchung der Entwicklung des Haushaltswesens in Preußen nimmt in diesem Abschnitt einen größeren Raum ein, da das Haushaltsrecht in der Reichsverfassung von 1871 sehr stark durch das preußische Budgetrecht beeinflußt wurde. Dem schließt sich die Untersuchung des Haushaltswesens in den süddeutschen Ländern an, wo die frühkonstitutionellen Verfassungen mit einem Steuerbewilligungsrecht als erstes eingeführt wurden. Nach der Einführung der neuen Verfassungen war das Verhältnis zwischen den Regierungen und den Landtagen geprägt durch den Kampf um das Ausgabenbewilligungsrecht. Die frühkonstitutionellen Verfassungen trennten zwischen dem Steuerbewilligungsrecht und dem Budget, das keinen gesetzlichen Charakter haben, sondern nur dem Nachweis der Notwendigkeit von Steuern dienen sollte. 77 Die Ausgestaltung des Budgetbewilligungsrechts hatte entscheidenden Einfluß auf das Ausgabeverhalten des Parlaments, denn in den Ländern mit einem Steuerbewilligungsrecht versuchten die Landtage die Steuerlast niedrig zu halten, indem sie die Notwendigkeit von Ausgaben zur Diskussion bzw. in Frage stellten. Dadurch kam es in der praktischen Politik bei der Prüfung des Budgets zu Konflikten, in denen die Landtage versuchten, das Ausgabenbewilligungsrecht für sich durchzusetzen. 78 Als Beurteilungsgrundlage für das Haushaltswesen wird auf die Budgetfunktionen bzw. Anforderungen zurückgegriffen, welche an das Budgetwesen gestellt wurden. Diese Anforderungen sind nur begrenzt vergleichbar mit den Budgetfunktionen, die an das Haushaltsrecht in einem parlamentarischen System gestellt und die in Kapitel C. vorgestellt werden. Eine Verwendung dieser Budgetfunktionen wäre nicht sinnvoll, da sie den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des hier untersuchten Zeitraums nicht gerecht würde. Folgende Budgetfunktionen bilden die Beurteilungsgrundlage für das Haushaltsrecht der konstitutionellen Monarchien: - Die Ausgaben und Einnahmen im Haushalt mußten ausgeglichen sein (Haushaltsausgleich ).

76 77

78

V gl. Knemeyer (1970), S. 177 ff. Vgl. Kichler (1956), S. 19 f. Vgl. Mußgnug (1976), S. 79 ff.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

- Die Verwaltung hatte bei der Durchführung ihrer Aufgaben wirtschaftlich vorzugehen, d. h. die vorgegebenen Ziele waren mit einem Einsatz von Mitteln zu erreichen, der so niedrig wie möglich war (Wirtschaftlichkeit). - Die Landesherren hatten außerdem ein großes Interesse an einer wirksamen Kontrolle der Verwaltungstätigkeit, um sich gegen Untreue und einem unwirtschaftlichen Einsatz ihrer finanziellen Mittel abzusichern (Kontrolle). Die Entwicklungsphasen des Haushaltswesens werden in chronologischer Reihenfolge und gegebenenfalls mit einem Verweis auf die Personen, auf welche die Reformen hauptsächlich zurückzuführen waren, untersucht. Im Rahmen der jeweiligen Entwicklungsphasen wird darauf hingewiesen, ob sich die Reformen auf die Behördenorganisation oder das Haushaltswesen beziehen und außerdem beleuchtet, wie die Reformen im Hinblick auf eine Erfüllung der oben genannten Budgetfunktionen zu beurteilen waren. Vor der Entstehung der Haushaltsvoranschläge geht es beim Haushaltswesen insbesondere um das Rechnungs- und Kontrollwesen, nach der Einführung von Haushaltsplänen kamen die Regelungen zur Haushaltsaufstellung hinzu. Die Reichsverfassung von 1871 wird in Abschnitt B.II.5. untersucht und gemeinsam mit der preußischen Verfassung von 1850 kritisch beleuchtet. Die Beurteilung der beiden Verfassungen erfolgt auf der Grundlage der Budgetgrundsätze, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in den Verfassungen und in der finanzwissenschaftlichen Literatur etabliert hatten. 1. Die Entwicklung des Haushaltswesens in Brandenburg und im Königreich Preußen

a) Die Entwicklung des Haushaltswesens von 1640 bis 1688 (Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg) Das Mitte des 17. Jahrhunderts existierende Haushaltswesen in Brandenburg-Preußen (später Königreich Preußen) hatte sich im Vergleich zum Mittelalter nicht weiterentwickelt. Aufgrund der hinzugekommenen Gebiete und des zunehmenden Umfangs an Ausgaben bestand insbesondere in der Finanzverwaltung und im Haushaltswesen dringender Reformbedarf. Die Entwicklung des Haushaltswesens in Preußen war im späten 17. Jahrhundert durch absolutistische Verfassungsstrukturen geprägt. Die Topographie Brandenburg-Preußens und die koloniale Geschichte seiner wichtigsten Provinzen sind primäre Ursachen dafür, daß dieser Staat als Zentrum absolutistischer Verfassungsentwicklung gilt. Denn um die Territorialverbindung zwischen Kurbrandenburg, Preußen, Kleve, Mark, Ravensburg, Minden, Magdeburg und Hinterpommern aufrechtzuerhalten, mußte sie mit neuen

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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politischen Methoden verwaltet werden. 79 Die Entwicklung wurde dadurch begünstigt, daß sowohl die Reichsgewalt als Gegenkraft zur Souveränität des preußischen Staates als auch die Stände als Widerstand gegen den Absolutismus eine untergeordnete Rolle spielten. 8o Die vorrangigen Ziele, die von den Territorialherren vor diesem Hintergrund angestrebt wurden, waren die Befestigung der königlichen Krone und der Armee. Dafür sollten die Einkünfte gesteigert werden, indem mehr Sparsamkeit durchgesetzt, scharfe Kontrollen der Beamten durchgeführt und die Steuerfähigkeit der Untertanen erhöht wurden. 81 Daraus lassen sich die drei zu Beginn genannten Budgetfunktionen eines ausgeglichenen Haushalts, der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltungsführung sowie einer wirksame Kontrolle ableiten. Für die Reformen im Haushaltswesen in der Mitte des 17. Jahrhunderts ergab sich als dringlichste Aufgabe, einen möglichst genauen und vollständigen Überblick über die finanzielle Lage des Kurfürsten bzw. später des Königs und eine wirksame Kontrolle der nachgeordneten Ämter zu erhalten, zu denen im Königreich Preußen auch die Hofkammern anderer Territorialstaaten gehörten. Eine Zentralisierung der finanziellen Vorgänge wurde als Voraussetzung dafür angesehen, diese Ziele zu erreichen, so daß die Entwicklung des Haushaltsrechts unmittelbar mit der Herausbildung einer zentralen Behörde, die für die Finanzverwaltung zuständig sein sollte, zusammenhing. Die Reformbestrebungen, die im folgenden untersucht werden, betreffen - den Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft, - die Versuche, eine zentrale Behörde einzurichten, um die personellen und organisatorischen Voraussetzungen für ein zentrales Haushaltswesen zu schaffen, - die Erstellung von Haushaltsvoranschlägen, - die Entwicklung des Rechnungs- und Kassenwesens und - die Entwicklung der Kontrolle. Das haushaltstechnische Instrumentarium, auf das Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgegriffen wurde, belief sich auf Einzelanweisungen des Kurfürsten, Personalkontrollen und die damit einhergehende privatrechtliche Haftung des Handelnden. 82 Die Einzelanweisungen wurden bei der Einführung der Kollegialbehörden abgelöst durch Anordnungen, die sich an die jewei79 Vgl. zu den charakteristischen Merkmalen des Absolutismus und speziell zum Absolutismus in Brandenburg-Preußen Willoweit (1992), S. 155 ff. 80 Vgl. von Schroeter (1938), S. 2. 81 Vgl. Bomhak (1885), S. 4. 82 Vgl. von Schroeter (1938), S. 2 f.

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lige Behörde richteten. Es ist umstritten, ob den Regelungen im Haushaltswesen des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts Rechtscharakter zugesprochen werden kann. Doch unabhängig davon, ob darin bereits Frühformen des Haushaltsrechts gesehen werden, enthalten die Organisationsstrukturen der Finanzverwaltung Ansätze eines Haushaltsrechts bzw. haben diese Regelungen das danach entstandene Haushaltsrecht geprägt. 83 aa) Die Ausgangssituation im Haushaltswesen und in der Behördenorganisation Die Organisation des Haushaltswesens war im 17. Jahrhundert nur rudimentär ausgeprägt. Genauso wie im 15. und 16. Jahrhundert lag der Schwerpunkt in der Rechnungsprüfung, die noch nicht einmal regelmäßig durchgeführt wurde. Haushaltsvoranschläge wurden nicht angefertigt. Es gab zwei Kassen für die Verwaltung des Kammerguts und der Regalien, die Kammer bzw. Schatulle und die HoJrentei. Die Schatullrechnungen wurden 1640 mal nach einem dreiviertel Jahr, mal nach anderthalb Jahren abgeschlossen. Selbst nachdem sich der Grundsatz der Jährlichkeit für den Rechnungsabschluß durchgesetzt hatte, fand die Nachprüfung nicht regelmäßig statt. Sie wurde von einer ad-hoc einbestellten Kommission aus Geheimen Räten und einem Mitglied der Amtskammer durchgeführt. Im Jahr 1649 sammelten sich beispielsweise die Rechnungen von dreieinhalb Jahren an. 84 Bei der HoJrentei waren die Zustände nicht besser. Der HoJrenteimeister hatte auch Mitte des 17. Jahrhunderts kein schriftliches Rechnungswesen. Gelegentlich wurde von den Geheimen Räten Rechnungsprüfungen abgehalten. In den Rechnungen wurden lediglich einzelne Zahlungen chronologisch vermerkt, ohne eine sachliche Ordnung zu bilden. Sie gaben z.B. keine Auskunft darüber, wieviel jeder Beamte in einem Rechnungsjahr an Gehalt erhielt. Hinzu kam das Problem, daß nicht alle finanziellen Transaktionen über die bei den Kassen und damit über die gleiche Instanz liefen und daß der hohe Anteil an Naturalbeiträgen vom Rechnungswesen nicht erfaßt wurde, da diese Beiträge nicht in geldbeträge umgewandelt wurden. Da aber ein Großteil der Personalausgaben aus Naturalleistungen bestand, hatte der Kurfürst über einen der wichtigsten Bereiche der Staatsausgaben keinen Überblick. Hinzu kamen Ausgaben, die der Kurfürst als direkte Anweisung an die Empfänger tätigte und die ebenfalls nicht in den Rechnungen erfaßt wurden. Auch die Verwaltungskosten der untergeordneten Behörden gingen nicht in ein zentrales Rechnungswesen ein, sondern wurden direkt vor Ort von den Erträgen abgezogen. 85 83 84

85

Vgl. von Schroeter (1938), S. 3 ff. Vgl. Breysig (1895), S. 58 f. Vgl. Breysig (1895), S. 59 f.

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Da beide Kassen jeweils als Zweckkassen zur Unterhaltung des Hofes und zur Verwaltung des Kammergutes eingerichtet wurden, bestand ihre Aufgabe zwar nicht darin, eine Übersicht über die gesamten Einnahmen und Ausgaben bzw. die finanzielle Lage des Königreichs zu geben. Doch das Rechnungswesen der Hofrentei und der Schatulle kam nicht einmal der Aufgabe nach, einen Überblick über die jeweiligen Finanzen des Hofes bzw. der Kammerverwaltung zu liefern. 86 Insgesamt fehlte nicht nur eine zentrale Behörde, die für alle finanziellen Vorgänge zuständig war, sondern auch ein Haushaltswesen, das eine effiziente Planung, Durchführung und Kontrolle der Haushaltsvorgänge auf allen Ebenen ermöglicht hätte. bb) Reformen in der Behördenorganisation Der Große Kurfürst wurde in seinen Reformbemühungen von eimgen seiner Mitarbeiter in der Verwaltung beeinflußt, die sein besonderes Vertrauen genossen. Dazu gehörten insbesondere Waldeck, Canstein, Gladebeck und Knyphausen. Waldeck (1620-1692) ging 1642 in die Niederlande, um dort Kriegsdienst zu leisten und begann dort seine militärische Karriere. 1651 trat er in den brandenburgischen Kriegsdienst ein. Im gleichen Jahr wurde er Mitglied im Geheimen Rat des Großen Kurfürsten. 87 Canstein (1617-1680) war Hofrat und später Obermarschall in Braunschweig-Wolfenbüttel. Seit 1650 war er von Haus aus kurfürstlicher Rat beim Großen Kurfürsten. Canstein wirkte 1651 bei der Verwaltungsreform der niederrheinischen Besitzungen mit, war seit 1655 Direktor der Amtskammer in Köln und übernahm 1659 die Leitung des gesamten Ökonomiewesens. 88 Gladebeck war ursprünglich in der Verwaltung Braunschweigs tätig und wurde später Mitglied im Geheimen Rat. Er galt als erfahrener Kameralbeamter, der jedoch von altertümlichen Ideen geprägt war. Dies äußerte sich in der damaligen Zeit z. B. darin, daß er Gegner der Verpachtung von Ämtern war. 89 Knyphausen (1641-1698) führte innerhalb der ostfriesischen Stände die Opposition gegen das Fürstenhaus an, dessen Ausführung dem Großen Kurfürsten übertragen war. 1682 schloß Knyphausen in Berlin ein MarineTraktat mit Brandenburg ab, nachdem der Große Kurfürst in Emden eine kurfürstliche Afrikanische Handelskompagnie eingerichtet hatte. Knyphausen wurde 1683 Mitglied im Geheimen Rat des Großen Kurfürsten. 9o Die ersten Bestrebungen des Großen Kurfürsten bestanden bei der Reform der Behördenorganisation darin, eine zentrale Behörde zur Verwal86 87 88 89 90

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Breysig (1895), S. 61. Erdrrumnsdörffer (1869), S. 1-13 sowie Fußnote 2 auf S. 446. Saring (1957), S. 126 f. Riedel (1866), S. 12 und 17. Deeters (1980), S. 234 f.

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tung der finanziellen Vorgänge einzurichten. Die Verwaltung des Kammerguts und der Regalien lag bei der Amtskammer und der Hofrentei, die beide vom Amtskammerpräsidenten geleitet wurden. 91 Die Steuerverwaltung wurde von Land- oder Kreiskommissaren wahrgenommen, für die Städte waren Steuerkommissare verantwortlich. 92 Die Trennung zwischen der Verwaltung des Kammerguts und der Steuern blieb in Preußen zunächst erhalten und wurde erst 1722 auf zentraler Ebene und 1798 auf Provinzialebene beseitigt. Durch die Vereinigung mehrerer Territorien in der Mitte und Ende des 17. Jahrhunderts - die sich teilweise um Brandenburg gruppierten und teilweise weit verstreut waren - und die Schaffung des Königreichs Preußen sahen der Große Kurfürst und seine Nachfolger die Notwendigkeit, eine zentrale Finanzverwaltung einzurichten, welche die Regierungen der hinzu gewonnenen Territorien bzw. Provinzen kontrollieren konnte. Gleichzeitig mußten für die neuen Gebiete neue Ämter gebildet bzw. alte neu besetzt werden, die sich nach den Vorgaben aus Brandenburg richteten. 93 Der Große Kurfürst führte auf zentraler Ebene das Amt des Kollektivorgans "Geheimer Rat" ein, der als Ratgeber tätig war, aus dem sich aber keine Zentralbehörde entwickelt hat, da die Zusammensetzung des Geheimen Rates einem ständigen Personalwechsel ausgesetzt war und zudem die meisten Mitglieder für mehrere Aufgaben gleichzeitig zuständig waren. Waldeck wirkte auf eine Reorganisation des Geheimen Rates hin. Dazu gehörte auch die Bildung eines Kollegiums mit vier Mitgliedern (darunter Waldeck) als Abteilung für das Finanzwesen, die sogenannten Staatskammerräte. 94 Dieses Kollegium sollte gleichzeitig als Spezialkommission eine Reform der Kammerverwaltung ausgestalten, indem es Regelungen für die Verwaltung der Einnahmequellen und der Ausgaben einführte und das Kassen- und Rechnungswesen beaufsichtigte. cc) Die Denkschrift von 1651 und dadurch angeregte Reformen in der Behördenorganisation und im Haushaltswesen Die von Waldeck ernannte Spezialkommission legte 1651 eine Denkschrift mit Reformvorschlägen vor, die einige der bestehenden Probleme 91 In der Amtskammer arbeiteten der Kammermeister, der Vize-Kammermeister sowie Amtshauptleute. Die Hofrentei wurde mit einem Hofrentmeister und mehreren Sekretären besetzt. Vgl. Vogel (1983), S. 876. 92 Diese Ämterstruktur ist im 30jährigen Krieg durch den Einsatz von Land-, Kreis- und Kriegskommissaren entstanden und ist danach erhalten geblieben. Vgl. Vogel (1983), S. 882. 93 Vgl. Schmoller (1894), S. 80 f. 94 Vgl. Riede! (1866), S. II f.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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beseitigen sollten. Die Kommission strich die Stellen des Amtskammerpräsidenten und der 12 Amtshauptleute und regte eine regelmäßige Kontrolle (mindestens jede Woche) durch die Staatskammerräte als ständige Aufsichtsbehörde an. Bei den Beamtengehältern sollte von der Natural- auf die Geldwirtschaft umgestellt werden. 95 Die direkten Anweisungen, die eine Übersicht über die finanzielle Lage des Kurfürsten stark erschwerten, sollten in zwei Hauptbüchern erfaßt werden, und die Staatskammerräte sollten dabei sicherstellen, daß keine Anweisungen an Unberechtigte gegeben wurden. Außerdem sollten die Staatskammerräte Rechnungen durch eine objektive Instanz prüfen lassen, ausstehende Forderungen eintreiben sowie die Hofrentei- und Schatullrechnungen mit den Nachweisen der einzahlenden Kassen vergleichen. Es ging also primär um eine ausführliche und korrekte Berichterstattung über finanzielle Vorgänge. Die bis zu diesem Zeitpunkt angesammelte Schuldenlast sollte erfaßt und ein Hauptbuch über alle Ausgaben und Einnahmen erstellt werden. Zu den Reformvorschlägen gehörte auch die Einführung von Etats für die Personalausgaben sowie die Einsammlung der Überschüsse der Territorialstaaten, die in einen Reservefonds fließen sollten. 96 Die Umwandlung der Natural- in Geldbeträge bei den Beamtengehältern hat der Kurfürst wenige Wochen nach Einreichung der Vorschläge vornehmen lassen, doch sie wurde nur für kurze Zeit aufrechterhalten. Außerdem ließ er für die Hofrentei einen festen Einnahmeetat ansetzen, so daß die Territorialkassen einen festen Beitrag zu zahlen hatten, statt eventuelle Überschüsse an die Zentralkasse abzuführen. Die Summe der Beiträge wurde auf das vierfache der bisherigen Einnahmen der Hofrentei festgelegt. Die Durchsetzung der festen Beiträge gelang ebensowenig wie die Aufstellung eines Gesamtetats für die Personalausgaben. Eine Zentralbuchhaltung wurde gar nicht eingerichtet, und die Kontrolle durch die Staatskammerräte wurde wegen Arbeitsüberlastung aufgegeben. 97 Nach Ansicht Breysigs98 scheiterten die Reformen daran, daß Waldeck zum einen seinen Ehrgeiz, zu größtmöglicher Macht zu kommen, in den Vordergrund stellte und zum anderen nicht die erforderliche Ausdauer für bürokratische Reformen besaß. Wichtiger erscheint jedoch, daß sich die Mitglieder des Geheimen Rats nicht voll auf die Finanzverwaltung konzentrieren konnten, da sie, wie bereits erwähnt, verschiedene Aufgaben zu erfüllen hatten. 99 Die Einrichtung der Staatskammerräte als Zentralbehörde

95 96 97

98 99

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Vogel (1983), S. 880. Breysig (1895), S. 69 ff. Breysig (1895), S. 75 f. Breysig (1895), S. 20 ff. Riedel (1866), S. 12.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

wurde zwar nicht fönnlich aufgelöst, aber faktisch zerfiel sie kurz nach ihrer Entstehung. dd) Die Refonnen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Canstein Der Große Kurfürst beauftragte den Leiter der Kammerverwaltung, Canstein, einige Refonnvorschläge Waldecks umzusetzen. Zum einen ennächtigte er die jeweiligen Provinzial behörden der Kammerverwaltungen dazu, den Kassen ihres Bereiches ordentliche Ausgaben anzuweisen, so daß neben der auszahlenden Kasse auch eine anweisende Behörde bestand. Damit blieben lediglich die Anweisungen für außerordentliche Ausgaben und für die Ausgaben der Kriegssteuerkasse in der Zuständigkeit des Kurfürsten. Zum anderen verlangte der Kurfürst, daß ihm vierteljährlich Rechnungen über die Ausgaben und Einnahmen von den Provinzialverwaltungen geliefert würden. Daraus versprach er sich einen Überblick über die Finanzlage. Canstein gelang es 1664 eine Gesamtübersicht über die Kammerfinanzen sowie einen Generalpersonaletat zu erstellen. Die Gesamtübersicht war allerdings sehr ungenau und unvollständig und bestand außerdem aus Nettorechnungen, so daß die Ausgaben der Landesverwaltungen allenfalls geschätzt werden konnten. 1oo Daraufhin verlangte der Große Kurfürst von Canstein die Erstellung einer besseren Gesamtübersicht und eines Voranschlages, die beide kurze Zeit nach Beginn des Rechnungsjahres beim Großen Kurfürsten eingereicht werden sollten. Diese Anweisung wurde jedoch nicht befolgt. ee) Die Refonnen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Gladebeck 1674 ließ der Große Kurfürst die Kammerverwaltung Cansteins durch eine Prüfungskommission untersuchen, die den Verdacht bestätigte, daß sich die Kammerfinanzen wegen des schlechten Rechnungswesens und der mangelhaften Rechnungsprüfungen in einem desolaten Zustand befanden, so daß Canstein entlassen wurde. Der Große Kurfürst versuchte, die Situation zu verbessern, indem er 1678 Gladebeck zum Hofkammerpräsidenten für die Domänenverwaltung ernannte, ohne daß jedoch die Hofkammer im Sinne einer Behörde bereits existierte. 101 In der Steuerverwaltung setzte er 100 Hinzu kam, daß die Gründung einer weiteren Kasse - der Hofstaatsrentei für Ausgaben mit den Titeln wie z. B. Livree, Hofküche, Gewürz, Keller, Konditorei, Silberkammer, Futterboden, Marstall und Handwerker-Auslösungen - die Erstellung einer Übersicht zusätzlich erschwerte. Vgl. Schneider (1952), S. 65. 101 Vgl. Riedel (1866), S. 12 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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1675 einen General-Kriegs-Kommissarius ein, der für die Verwaltung aller mit dem Heerwesen verbundenen Einnahmen und Ausgaben verantwortlich war. In den Einzelterritorien wurden Oberkommissare eingesetzt, denen Kassenkontrolleure zur Seite gestellt wurden. \02 Damit hatte die Finanzverwaltung zwei Abteilungen mit jeweils einem Vorsitzenden, dessen Tätigkeit sich auf das Finanzwesen beschränkte, wobei beide Mitglieder im Geheimen Rat waren. Auch Gladebeck führte als Hofkammerpräsident Reformen im Haushaltswesen durch. Er bekam vom Kurfürsten Instruktionen hinsichtlich des Rechnungs- und Prüfungswesens, aber seine Versuche, eine Gesamtübersicht über die Kammerfinanzen zu erstellen, waren ebenfalls wenig erfolgreich, denn dem Generaletat von 1680/81 fehlten die Rechnungen von der Kurmark, von Preußen und eleve-Mark. Im Kassenwesen konnte Gladebeck hingegen Fortschritte erreichen. Ihm gelang es, alle Naturallieferungen von der Hofstaatsrentei durch Geldbeträge zu ersetzen und die Einnahmen auf feste Beträge umzustellen und diese auch durchzusetzen. 103 Zusammenfassend läßt sich über die Reformen feststellen, daß sich - abgesehen von einigen organisatorischen Reformen - der Große Kurfürst auf personelle Änderungen in der Finanzverwaltung beschränkte. Die Durchführung weitergehender Reformen hing von der Eigeninitiative und damit von den Fähigkeiten der eingesetzten Hofkammer- bzw. Kriegskommissariatspräsidenten ab. ff) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Knyphausen Die nächsten Maßnahmen zum Aufbau einer zentralen Finanzbehörde und zur Einführung eines effizienteren Rechnungswesens kamen von Dodo v. Knyphausen, der 1686 zum Hofkammerpräsidenten ernannt wurde. Um eine wirksamere Kontrolle der regionalen Amtskammern zu erreichen, stellte Knyphausen zusätzliches Personal ein. Durch die Erweiterung des Personalbestandes versuchte Knyphausen dem Problem Abhilfe zu schaffen, daß die Verwalter der Amtskammern der einzelnen Regionen nicht im Sinne der zentralen Interessen handelten. Häufigere Inspektionsreisen und damit ein engerer Kontakt durch persönliche Untersuchungen an Ort und Stelle sollten die zentrale Ausrichtung der finanziellen Angelegenheiten unterstützen. Die Reformbemühungen Knyphausens konnten durch den Herrscherwechsel nach dem Tod des Großen Kurfürsten nur erschwert fortgeführt werden, da sein Sohn Friedrich III. andere Schwerpunkte in seiner Re102 103

Vgl. Vogel (1983), S. 883. Vgl. Schneider (1952), S. 66 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

gierung legte. Dennoch fertigte Knyphausen bis 1689 eine Denkschrift über die Reorganisation der Kammerverwaltung an, in der folgende Punkte angesprochen wurden: 104 - die Einführung eines alljährlichen Generaletats mit allen Domanialeinnahmen, Schulden sowie ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen und Ausgaben, - die Bildung einer Hof- oder Generalkammer als Zentrale, die den Spezial- und Provinzialkammern vorstand, - die Einrichtung von Räumlichkeiten für diese Verwaltungseinrichtung, - die Einrichtung eines Archivs, - die Ernennung von Mitgliedern der Hof- und Generalkammer, die bereits im kurfürstlichen Dienst sein sollten (um keine zusätzlichen Personalkosten zu verursachen), - die Archivierung sowohl der Rechnungen samt Übersicht als auch von Voranschlägen aus allen Ämtern und Gütern, - der Beginn des Rechnungsjahres am Trinitastage, - acht bis zehn Wochen nach diesem Tag (im September) sollten die Jahresrechnung von den vorgesetzten Amtskammern abgenommen und die Überschüsse in den Etats überprüft werden, - die Einführung einer zentralen "Generalrechnung" und eines zentralen "Generaletats", die im November vom Hofkammersekretär angefertigt und beim Hofkammerpräsidenten eingereicht würden, sowie - die Genehmigung der Rechnung und des Etats durch die Unterschrift des Kurfürsten. Inwieweit die Vorschläge dieser Denkschrift umgesetzt werden konnten, soll im folgenden untersucht werden. b) Die Entwicklung von 1689 bis 1710 (Friedrich 1II.)

aa) Reformen in der Behördenorganisation Kurfürst Friedrich III., seit 1701 als Friedrich I. erster König Preußens, nahm die Vorschläge der Denkschrift Knyphausens an und erließ im April 1689 eine Verordnung, die sich daran orientierte. Als zentrale Behörde entstand die Geheime Hojkammer, aus der 1722 das Genera/finanzdirektorium entsprang. Der König übertrug der Hofkammer die alleinige Verantwortung zur Erstellung der Provinzialetats, verlängerte jedoch die Frist zur Einreichung der Rechnungen durch die Provinzialbehörden. Abweichungen von 104

Vgl. zu den Inhalten der Denkschrift Breysig (1895), S. 110 ff.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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den Etats, Gehaltserhöhungen oder die Erteilung von Anweisungen mußten der Hofkarnmer mitgeteilt werden. Letztere war dazu verpflichtet, den Kurfürsten über diese Vorschriftsverletzungen zu informieren. bb) Reformen im Haushaltswesen Im Rechnungswesen wurden der Geheimen Hofkammer die Hofrentei, die Zollverwaltung Preußens und Kleves lO5 und die Kassen der Berliner Münze und der preußischen Bernsteinverwaltung unterstellt, so daß aus ihr rechnungstechnisch eine Generalkasse wurde. Die Etats waren nicht nur als Plangrößen zu verstehen, sondern hatten den Charakter einer Dienstanweisung des Kurfürsten, die für den ausführenden Beamten bindend war. Bei Abweichung der Ist-Ausgaben oder der Ist-Einnahmen von den Sollgrößen bestand somit Rechtfertigungsdruck und unter Umständen Haftungspflicht. 106 Die Umsetzung der Reformvorschläge bedeutete für das Rechnungswesen einen wichtigen Fortschritt. Knyphausen wirkte auf die Erstellung einer Gesamtübersicht hin, in der alle Transaktionen aufgeführt wurden, also auf eine Bruttogeneralrechnung der Kammerverwaltung, die auch die Einnahmen und Ausgaben der unteren Instanzen enthielt. Darüber hinaus verschaffte er sich einen Überblick über das Schuldenwesen, indem er eine Tabelle der verpfändeten Domänen aufstellte. Zum ersten Mal wurde regelmäßig mit Voranschlägen gearbeitet, auch wenn diese noch unvollständig und wenig übersichtlich waren. Sie enthielten jedoch keine Angaben über die Steuerverwaltung, da diese Transaktionen über das Generalkriegskommissariat liefen. 107 Knyphausen hatte bereits 1684 versucht, die Anweisungen des Großen Kurfürsten zumindest rechnungstechnisch zu erfassen, da es ihm nicht gelungen war, das Anweisungssystem, welches die Erstellung eines Überblicks über die Finanzlage erheblich erschwerte, abzuschaffen. In absolutistischen Regierungen war es nicht denkbar, daß der Große Kurfürst (später der König von Preußen) auf die Möglichkeit verzichtete, anband direkter Anweisungen Ausgaben zu tätigen. lOS 1689 legte er für einen großen Teil der Einnahmequellen, die bis dahin auf dem Wege von Anweisungen verausgabt wurden, bereits vor Aufstellung des Etats einen Verwendungszweck fest. Diese Einnahmen wurden direkt nach Berlin abgeführt. Damit wurden 105 Diese beiden Zollverwaltungen konnten bis dahin von einer Unterordnung unter die Amtskammern ihrer Territorien freigehalten werden. Vgl. Breysig (1895), S. 112. 106 Vgl. von Schroeter (1938), S. 7 f. 107 Vgl. Mußgnug (1976), S. 67. 108 Vgl. Breysig (1895), S. 119 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

I

Geheime Hofkammer (Vorgängerin des Generalfinanzdirektoriums)

I

I

I

(Amts)kammerbzw. Hofrentei in Brandenburg unter Leitung von Amtskammerpräsidenten

l Oberkommissar mit Kassenkontrolleur in den Provinzen, in den Städten Steuerkommissare

I

Ehemals zentrale Hofund Kamrnerverwaltung in Kleve

I

j Lokale Finanzverwaltung

I

I

I

Lokale Finanzverwaltung

General-Kriegs-Kommissarius

I I

I

Oberkommissar mit Kassenkontrolleur in Kleve

I

Abbildung 1 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Brandenburg-Preußen Ende des 17. Jahrhunderts

diese Transaktionen zwar weiterhin als Anweisungen bezeichnet, doch stellten die Einnahmen faktisch finanzielle Mittel dar, die an eine bestimmte Verwendung gebunden und vorzeitig verfügbar waren. Damit wurde aber nur ein Teil der Anweisungen abgeschafft. 109 cc) Die Reformen der Behördenorganisation und des Haushaltswesens unter Kraut Weitere Reformen wurden 1696 durchgeführt, als auf eine Nachfolge für den Hofrentmeister verzichtet wurde und statt dessen Kraut zum Leiter 109

Vgl. Breysig (1895), S. 120 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

49

aller Renteien und der gleichzeitig eingerichteten Generalkasse ernannt wurde. Folgende Refonnen wurden unter Krauts Leitung durchgeführt: - Die Domäneneinkünfte aller Territorien mußten in die Generalkasse eingezahlt werden und Aktivbestände in den Provinzialkassen wurden nur bei Vorlage einer Quittung toleriert. - Die Generalkasse sollte eine Generalrechnung anfertigen und war berechtigt, den untergeordneten Ämtern und Kassen Weisungen über das Rechnungsschema zu erteilen. - Der Oberrentmeister war für das gesamte Rechnungs- und Kassenpersonal in den Provinzen zuständig. - Die Provinzialbehörden, Kammern und Territorialregierungen waren dazu verpflichtet, dem Oberrentmeister alle Infonnationen auszuhändigen, die er anforderte. - Der Oberrentmeister war dazu berechtigt, einen Kontrolleur für die Landrenteien zu ernennen, der einen Zweitschlüssel für die Kasse bekam und Gegenrechnungen führen sollte. - Die Generalhauptrechnung sollte jährlich vom Kassierer unter Aufsicht des Oberrentmeisters angefertigt werden und dem Kurfürsten zur Prüfung vorgelegt werden. 1 10 Mit diesen Refonnen wurde eine neue Grundlage für die Erstellung der Generalrechnung und des Generaletats geschaffen. Die Anweisungen erfolgten nicht mehr an die Provinzialkassen, sondern an die Generalkasse, so daß es möglich wurde, einen vollständigen Überblick über die Mittel zu bekommen, die über Anweisungen verausgabt wurden. Die Provinzialkassen mußten auf ihre Unabhängigkeit verzichten und sich einer schärferen Kontrolle fügen. Dennoch fehlte weiterhin eine wirkliche Kasseneinheit, denn neben der Generalkasse bestanden weiterhin die Hofrentei, die Schatulle und die Hofstaatsrentei bzw. -kasse mit ihren eigenen Fonds. Die Zahlungen an diese Kassen kamen nicht von der Generalkasse, sondern in den Etats der Landrenteien war festgelegt, welche Beträge an die jeweiligen Kassen gezahlt werden sollten. Erst unter Einfluß des Kronprinzen Friedrich Wilhelm wurden 1710 111 die Hofstaatskasse und die Hofrentei einer zentralen Kasse, der Generaldomänenkasse untergeordnet. Die Hofstaatskasse blieb zwar als Zweck- und Ausgabenkasse fortbestehen, aber sie war nun zur Tätigung von Ausgaben von den Anweisungen der Generaldomänenkasse abhängig. Die Hofrentei wurde vollständig in die GeneraldoVgl. Schneider (1952), S. 70 f. Der genaue Zeitpunkt der Reform der Hofstaatskasse ist nicht eindeutig geklärt. Breysig setzt ihn mit 1710 später an als Riedel. Vgl. Breysig (1895), S. 149 und Riedel (1866), S. 42. 110 111

4Strube

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

mänenkasse integriert. 1I2 Dabei mußten zum einen technische Schwierigkeiten (im Verkehr) und zum anderen der Widerstand der untergeordneten Kassen gegen den vollständigen Verlust der Selbständigkeit berücksichtigt werden. Die Etataufstellung erfolgte ausgehend von der Initiative der Amtskammern als niedrigste Ebene über die Provinzialkammern bis zur Hofkammer und ging nach der Etatfeststellung über den gleichen Weg zurück. Die Etats galten wie bereits erwähnt als bindende Dienstvorschrift. Die Kontrolle erfolgte dann zentral bei der Generaldomänenkasse. 1 \3 c) Die Entwicklung von 1713 bis 1740 (König Friedrich Wilhelm 1.)

Die bisherigen Reformen mußten zwar in einem letzten Schritt vom jeweiligen Herrscher genehmigt werden, aber die konkreten Vorschläge kamen i. d. R. von Beamten der Finanzverwaltung, die versuchten, den König von der Vorteilhaftigkeit bestimmter Änderungen zu überzeugen. Dies änderte sich mit der Regierungsübernahme Friedrich Wilhelms 1., da dieser ein großes Interesse für die Finanzverwaltung zeigte und einige Reformen auf eigene Initiative durchführte. Für die Untersuchung des Haushalts wesens ist dies deshalb von Bedeutung, weil gerade auch im Absolutismus die Persönlichkeit und die Fähigkeiten eines Herrschers ausschlaggebend waren für die historische Entwicklung. 114 Im Mittelpunkt der Anstrengungen Friedrich Wilhelms I. stand weiterhin die Zentralisierung der Verwaltung, aber auch der Abbau der Schulden und damit verbunden eine bessere finanzielle Nutzung der Domänen. Neben der Fortführung bzw. Vollendung der von Knyphausen angeregten Reformen verstärkte Friedrich Wilhelm I. die Finanzkontrolle. 115 Der Hauptteil der Reformen wurde 1722 und 1723 in den Instruktionen an das Generaldirektorium, die Generalrechenkammer sowie den Generalfiskal v. Katsch verabschiedet. Die Instruktionen des Königs waren genauso wie die Einzelanweisungen als strikte Dienstvorschriften zu verstehen. Friedrich Wilhelm I. versuchte aber verstärkt auf feste Verfahren zurückzugreifen, so daß haushalts technisch z. B. mit Reglements, Etats, Eiden oder den bereits erwähnten Instruktionen gearbeitet wurde. Für regelmäßige Vorfälle gab es nun schriftlich festgeschriebene Normen für die Vorgehensweise, so daß nur in außergewöhnlichen Situationen - i. d. R. außeretatmäßige Ausgaben - dem König berichtet werden mußte. 116 Bevor auf Reformen, die in den Instruktionen angewiesen wurden, eingegangen wird, sollen einige Änderungen in der Behördenorga112 113 114 115 116

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Riede! (1866), S. 41 f. von Schroeter (1938), S. 8. von Schroeter (1938), S. 8. Schneider (1952), S. 72. von Schroeter (1938), S. 10.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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nisation erläutert werden, die Friedrich Wilhe1m I. direkt nach seiner Regierungsübernahme durchgeführt hat.

aa) Reformen in der Behördenorganisation Die erste Reform bestand darin, die Hofkammer und das Domänendirektorium in einer Behörde, dem GeneraLJinanzdirektorium, zusammenzufassen. Damit war zumindest die Kammerverwaltung vollständig zentralisiert. Neben dem Generalfinanzdirektorium für den Kammerstaat bestand weiterhin das Generalkommissariat für den Kriegsstaat. Dieses Generalkriegskommissariat hatte sich als Steuerverwaltung zu einer zweiten zentralen Finanzbehörde entwickelt. Dies führte zu Konflikten zwischen dem Generalfinanzdirektorium und dem Generalkriegskommissariat. 117 Die Streitigkeiten resultierten nicht nur aus den Versuchen beider Behörden, auf Kosten der anderen die Einnahmen zu erhöhen, sondern auch aus grundverschiedenen wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen. Das Generalkommissariat hatte ein großes Interesse daran, die Steuerkraft durch massive Schutzzölle zu erhöhen und richtete in diesem Sinne auch seine Bemühungen auf die Stärkung des städtischen Handels und Gewerbes aus, von dem es seine Steuereinnahmen bezog. Das Generalfinanzdirektorium verteidigte demgegenüber den Freihandel und wollte die Agrarwirtschaft der Domänen stärken. 118 Der König versuchte die Streitigkeiten zu schlichten, indem er die Kompetenzen beider Behörden klar abgrenzte. Er übertrug beispielsweise die Zölle auf das Generalkriegskommissariat, was jedoch lediglich dazu führte, daß das Generalfinanzdirektorium sich benachteiligt fühlte, weil seine Einnahmen dadurch sanken. 119 1714 versuchte der König, diesen Dualismus durch die Einrichtung der Generalrechenkammer als zentrale Behörde für die Rechnungsprüfung zu lindern. 12o Diese Einrichtung wurde zum einen von den bestehenden Rechnungskammern in Frankreich, England und Holland, zum anderen von der Institution des Contröleur General in Frankreich, der für die oberste Verwaltungsprüfung verantwortlich war, beeinflußt. Die Generalrechenkarnmer sollte einen Mittelpunkt schaffen, in dem Vgl. Schmidt (1980), S. 85. Vgl. Schellakowsky (1998), S. 19 f. 119 Vgl. Schmoller (1921), S. 135 f. 120 Das Original der Stiftungsurkunde oder der ersten Instruktion für diese Behörde ist nicht erhalten, so daß unterschiedliche Angaben über das genaue Datum der Einrichtung der Oberrechenkammer gemacht werden. Hertel verweist jedoch auf Nachweise, die von Geschichtsschreibern erbracht wurden und die belegen, daß die Gründung 1714 erfolgt ist. Vgl. Hertel (1884), S. 9 f. sowie die Fußnoten 3 und 4 auf S. 9 f. 117

118

4*

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die Ergebnisse der Finanzverwaltung zusammentrafen, so daß Friedrich Wilhelm I. sie überblicken konnte. 121 Da es dem König letztlich nicht gelang, den Ressortegoismus und die Interessengegensätze der beiden Behörden abzubauen, löste er 1722 die Behörden auf und gründete das General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänendirektorium (auch Generaldirektorium genannt), das sowohl für die steuerlichen als auch für Domänenangelegenheiten zuständig war. Das Generaldirektorium war in fünf Departements eingeteilt, deren Kompetenzverteilung sich jedoch nicht an sachlichen Kriterien, sondern i. d. R. an regionalen Kriterien orientierte. 122 Die Steuer- und Verwaltungsangelegenheiten waren nach Provinzen auf die Departements aufgeteilt und lediglich die Militär-, Post- und Münzbereiche und die Verwaltung des Salzmonopols wurden sachlich zugewiesen. 123 Die Generalrechenkammer wurde in das Generaldirektorium integriert und in Oberrechenkammer umbenannt. Sie hatte unter der Leitung des Direktoriums als unabhängige Kontrollbehörde zu arbeiten. Ein Jahr später ergänzte Friedrich Wilhelm I. in einer Instruktion an den Generalfiskal v. Katsch die Kontrolle um Fiskalate. 124 Die Aufgabe der Fiskalate bestand in der Personal- und Verwaltungskontrolle von den unteren Lokalbehörden bis hin zum Generaldirektorium. Die Kontrolle fand nicht nur offen, sondern häufig auch durch Spione statt. Der König sollte durch geheime Korrespondenz möglichst umfassend informiert werden über Berufs- und Privatleben sämtlicher Personen (Bürger, Pächter, Bauern, Amtsleute usw.), über das Etat-, Kassen- und Rechnungswesen, über das öffentliche Auftreten und Verhalten der Beamten, darüber, ob fleißig gearbeitet, ob intrigiert wurde und vieles mehr. Neben dieser Personal- und Verwaltungskontrolle sicherte sich der König gegen finanzielle Schädigungen durch ein Beamtenhaftungssystem ab, bei dem die Beamten Kautionen zahlen mußten. 125 Die Beamtenhaftung wurde in Artikel 30 der Instruktion an das Generaldirektorium von 1723 geregelt. Darin wurde die Haftung der Beamten für die erwarteten Einnahmen angeordnet, aber z. B. auch aufgeführt, daß Ausnahmen bei Krieg, Mißernten oder anderen Naturkatastrophen gemacht werden sollten. 126 Die Zentralisierung der Verwaltung erstreckte sich bis zum Kassenwesen, bei dem die Schatulle abgeschafft und durch ein Handgeld - das in monatlichen Raten aus der Generaldomänenkasse an den König gezahlt wurde 121

122 123 124 125 126

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schneider (1952), S. 72 f. von Raumer (1836), S. 400 ff. Hubatsch (1983), S. 899 ff. von Schroeter (1938), S. 15 f. Schneider (1952), S. 94 f. von Schroeter (1938), S. 11 f.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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ersetzt wurde. 127 Eine weitere Maßnahme Friedrich Wilhelms I. war die Bildung eines Staatsschatzes, um in Kriegszeiten unabhängig von Gläubigem bleiben zu können. Der Staatsschatz bestand überwiegend aus Goldund Silbergegenständen, die in Krisenzeiten in Geld umgewandelt werden konnten. 128 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen ist in Abbildung 2 dargestellt.

Generaldirektorium (eingeteilt in fünf Departements und mit der Oberrechenkammer)

Finanzverwaltung in den Provinzen (Kriegskommissariate und Domänenkammern)

I

Lokalverwaltung

I

Abbildung 2 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen Anfang des 18. Jahrhunderts

bb) Reformen des Haushaltswesens Eine für die weitere Entwicklung des Haushaltswesens einschneidende Reform war die Trennung von Hof und Staat, mit der eine stärkere Objektivierung der Staatsfinanzen angestrebt wurde. Friedrich Wilhelm I. übertrug das Domanialvermögen dem Staat (also dem königlichen preußischen und kurfürstlich brandenburgischen Hause) und verordnete in einem Edikt die Unveräußerlichkeit der Domanial- und Kammergüter durch nachfolgende Vgl. Riedel (1866), S. 54. Vgl. Schneider (1952), S. 87. Da man in der damaligen Volkswirtschaftslehre noch nicht zwischen Bestands- und Kreislaufgrößen unterschied, wurde bei der Bildung des Staatsschatzes allerdings nicht berücksichtigt, daß eine Auflösung des Staatsschatzes zu Inflation führen würde. Vgl. dazu die Beiträge von Tautscher (1952), Beckerath (1952) und Mann (1977) zur Geschichte der Finanzwissenschaft. 127

128

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Generationen. Erbverpachtungen von Domänen wurden annulliert und die Schulden, die auf den Domänen lasteten, abgebaut. 129 Der König hat die Grundsätze seines Etatwesens in seiner Instruktion an das Generaldirektorium dargestellt. Er hielt sich dabei an die bereits erläuterten Vorschläge Knyphausens. Auffällig ist jedoch, daß neben den beiden Generaletats (Generaldomänenetat und Generalkriegsetat) ein gesonderter Bauetat aufgestellt werden sollte. Dies wurde mit der Länge der Bauzeit größerer Gebäude und den Schwierigkeiten bei der Holz- und Materialbeschaffung über einen allgemeinen Etat begründet. Das Etatwesen wurde fortgeführt in Kombination mit dem Fondssystem, so daß weiterhin mit dezentralen Zweckkassen und dem Prinzip spezieller Deckung auf Grundlage jährlicher Etats, die für die Fonds erstellt wurden, gearbeitet wurde. Die Verbindung eines Etat- und Fondssystems war insofern eine Besonderheit, da im damaligen Verständnis die beiden Systeme als grundverschiedene Ansätze der Finanzverwaltung gesehen wurden. Das Fondssystem wurde dabei stark kritisiert, da zwar mit Vorjahrsrechnungen gearbeitet wurde, dieser Methode aber ansonsten Wirtschaftsperioden fremd waren und außerdem die Zweckbindung von Einnahmen als Problem gesehen wurde. Die Kritik läßt sich nur im Zusammenhang mit der damaligen Zeit verstehen, in der ein starker Trend zur Zentralisierung bestand und somit die Ansicht vertreten wurde, daß alle Einnahmen in eine Kasse fließen und dann übereinstimmend mit dem Etat verausgabt werden sollten. Die dem Fonds zugeordneten Einnahmen flossen in die Kasse und wurden bei Bedarf für die vorgesehenen Ausgaben verwendet, ohne darauf zu achten, aus welcher Periode die Einnahmen stammten. Vor diesem Hintergrund war es ungewöhnlich, daß Friedrich Wilhelm I. die Fonds mit ihrer Zweckbindung beibehielt und sie dem Etatsystem unterstellte. 130 Trotz des Prinzips der speziellen Deckung wurden Etatquanten (auch Extraordinariumquanten genannt) angewendet, mit denen Überschüsse einer Kasse auf andere Kassen mit knappen Mitteln übertragen wurden. Diese Extraordinariumquanten ermöglichten ein Abweichen vom stark geregelten und verbindlichen Etat und waren nach oben begrenzt. 13l Die Zweckbindung der Einnahmen löste sich durch die allumfassende Kompetenz des Generaldirektoriums zunehmend auf. Beispielsweise wurden zwar getrennte Etats für die Domänen- und Kriegskasse erstellt, aber es flossen auch Einnahmen der Domänenkasse in die Kriegskasse, so daß die Trennung faktisch nicht mehr vorhanden war. 132 129 130

l3l 132

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schneider (1952), S. 74. Schneider (1952), S. 81 f. von Schmeter (1938), S. 12 f. Mußgnug (1976), S. 71.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Von den Extraordiariumquanten zu unterscheiden war das Extraordinarium. Letzteres wurde i. d. R. zur Finanzierung neuer Mühlen, Vorwerker oder Dörfer und auch zur Finanzierung von Reparaturen bei Wasserschäden bzw. von Nachlässen, die Dörfern und Vorwerkern bei Unglücksfällen gewährt wurden, verwendet. 133 Beim Extraordinarium war die Übertragung von Einnahmen in die nächste Periode erlaubt, da es der unmittelbaren Kontrolle des Königs unterstand und vom Generaldirektorium verwaltet wurde und daher die Gefahr eines Mißbrauchs der Übertragungsmöglichkeit gering war. 134 In der Instruktion an das Generaldirektorium wurde festgelegt, daß keine Jahres- oder Quartalsreste der Einnahmen in die nächste Periode übertragen werden durften. Diese Regelung begründete sich hauptsächlich im Kontrollbedürfnis des Königs, der sich dadurch einen besseren Überblick und geringere Betrugsmöglichkeiten versprach. Nach von Schroeter ergab sich dieses Bedürfnis daraus, daß die Generaletats im Gegensatz zu den Provinzialetats nach dem Nettoprinzip erstellt wurden und lediglich Überschüsse oder Defizite auswiesen. 135 Diese Begründung erscheint jedoch nicht sehr plausibel, wenn man bedenkt, daß die Provinzialetats vom Generaldirektorium unter dem Präsidium des Königs (der die Provinzialetats auch persönlich prüfte und genehmigte) geprüft wurden. Das Generaldirektorium mußte sich dabei darum kümmern, daß die Provinzialetats im März jeden Jahres eingingen. Die Posten der Etats wurden mit denen des vergangenen Jahres abgeglichen, und es wurde geprüft, ob keine Posten vergessen wurden. Außerdem wurde untersucht, ob die im Extraordinarium geplanten Aufwendungen auch durch Einnahmen gedeckt waren und ob gegenüber dem Vorjahr Einnahmeminderungen angesetzt wurden. Traf letzteres zu, wurden die Beamten durch geheime Korrespondenz und Befragung von Spionen umgehend kontrolliert. Ausgabenmehrungen erforderten einen ausdrücklichen schriftlichen Befehl des Königs. 136 Zudem wurde geprüft, ob der Bauetat zu hoch angesetzt war. Nach dieser Vorprüfung kam eine Hauptprüfung, in die die fünf dirigierenden Minister mit den zuständigen Departementsräten und dem beispielsweise in Berlin anwesenden Präsidenten der betroffenen Provinzialkammer miteinbezogen waren. Die Hauptprüfung wurde mit der Feststellung und Balance des Etats abgeschlossen. Balance stand für den Vergleich des neuen Etats mit dem des Vorjahres und diente der Berechnung von Ertragsminderungen bzw. -steigerungen. Die Etats wurden mit der Balance dem König zur Bestätigung vorgelegt. 137 Aus den Provinzial133 134 135 136 137

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schneider (1952), S. 82. von Schroeter (1938), S. 12 f. von Schroeter (1938), S. 11 f. Bomhak (1885), S. 121. Schneider (1952), S. 83 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

etats erstellte das Generaldirektorium die Generaletats als Nettoetats, die vom König unterschrieben wurden, der dann ein von allen Ministern unterzeichnetes Exemplar bekam. Diese Generaletats waren laut Vorschrift des Königs streng geheim. Die Departementsräte durften nur über den Etat ihres eigenen Departements informiert werden und mußten sich gleichzeitig dazu verpflichten, diese Angaben geheimzuhalten. 138 Vor dem Hintergrund der Vorgehensweise bei der Erstellung der Etats muß der Anlaß für die zeitliche Verbindlichkeit der Einnahmeüberschüsse und Defizite woanders gesucht werden. Der Hauptgrund für diese Regelung scheint darin zu liegen, daß Ungleichgewichte auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite gezielt vermieden werden sollten und daß sie, wenn sie trotzdem vorlagen, als Einnahmen der Zentrale gewertet wurden, über die der König zu bestimmen hatte. Im Falle nicht gedeckter Ausgaben griff die persönliche Haftung oder Kassation; falls offene Rechnungen nicht innerhalb von acht Wochen zur Zahlung vorgelegt wurden, wurden sie nicht beglichen. 139 Das Buchführungs- und Rechnungswesen wurde in der Instruktion an das Generaldirektorium nur knapp behandelt. Der König strebte eine Vereinheitlichung an, aber zum großen Teil überließ er es dem Generaldirektorium, das Buchführungs- und Rechnungswesen zu bestimmen, wobei auch das Generaldirektorium keine neuen Regelungen einführte. Grundlage für die Vereinheitlichung war die Steuerverwaltung Preußens, die im Kameralstil geführt wurde und auch in der Domänenverwaltung übernommen wurde. 140 Für die Finanzkontrolle richtete Friedrich Wilhelm 1., wie bereits erwähnt, 1714 die Generalrechenkammer ein. Zu den Aufgaben der Generalrechenkammer gehörten die Rechnungskontrolle und die Verwaltungskontrolle. Im Rahmen der Rechnungskontrolle wurden die Rechnungen zahlenmäßig überprüft und es wurde nachvollzogen, ob für alle Einnahmen und Ausgaben auch richtige Belege vorlagen. In der Verwaltungskontrolle wurde geprüft, ob die Verwaltungsbehörden beim Vollzug der Etats (Erhebung von Einnahmen und Verausgabung der finanziellen Mittel) wirtschaftlich gehandelt hatten. Außerdem sollte überprüft werden, ob beim Erwerb, bei der Veräußerung oder Benutzung von Staatseigentum die bestehenden Vorschriften und Gesetze eingehalten wurden. Mit der Gründung des Generaldirektoriums und der Rückstufung der Generalrechenkammer zur Oberrechenkammer wurde die Verwaltungskontrolle auf das Generaldirektorium übertragen. Bei der Oberrechenkammer verblieb lediglich die Rechnungskontrolle, so daß sie zu einer reinen Rechnungsprüfungsbehörde wurde und 138 139 140

Vgl. Bomhak (1885), S. 121 f. Vgl. Schneider (1952), S. 85. Vgl. Schneider (1952), S. 87 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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zudem ihre vorherige Immediatstellung verlor. 141 Friedrich Wilhelm I. setzte als Kontrollorgan außerdem verstärkt das oben bereits erwähnte Fiskalat ein, dessen Entstehung ins späte Mittelalter zurückgeht. Die ursprüngliche Aufgabe des Fiskalats bestand im Schutz aller regalischen Hoheitsrechte, d. h. also hauptsächlich in der Überwachung der Regalienverwaltung. Friedrich Wilhelm I. ernannte einen Generalfiskal auf zentraler Ebene und baute das System des Fiskalats als Behördenaufsicht aus, um die Beamtendisziplin zu steigern. 142 cc) Die Beurteilung des Haushaltswesens nach der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. Betrachtet man den Stand des Haushaltswesens nach der Regierungszeit Friedrich Wilhelms 1., läßt sich feststellen, daß die Mängel, die in der damaligen Zeit erkannt wurden, weitgehend beseitigt waren. Mit den Reformen Friedrich Wilhelms I. waren einige der Ziele erreicht worden, die zu Beginn dieses Abschnittes angesprochen wurden. Die Finanzverwaltung war zentralisiert worden, es wurden regelmäßig Etats aufgestellt sowie Verwaltungs- und Rechnungskontrollen durchgeführt. Gleichzeitig gelang es dem König, alle verpfändeten Domänen einzulösen und sämtliche Schulden bei den Städten abzuzahlen. Die Wirksamkeit der Reformen zeigte sich deutlich in einer Steigerung der Einnahmen. Die Domäneneinkünfte lagen bei Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. noch bei 1890613 Thalern, in seinem letzten Lebensjahr bereits bei 3300940 Thalern. 143 Der Staatsschatz, den er seinem Nachfolger hinterließ, betrug 10 Mio. Thaler. Damit hat Friedrich Wilhelm I. seinem Nachfolger nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt hinterlassen, sondern auch finanzielle Reserven aufgebaut. Auch wenn dem Rechnungswesen keine vollständigen Angaben über die Wirtschaftlichkeit der Verwaltungstätigkeit entnommen werden konnten, spricht das wirksame Kontrollsystem dafür, daß Anreize zu wirtschaftlichem Handeln bestanden. d) Die Entwicklung von 1740 bis 1786 (Friedrich II., der Große)

Friedrich 11. (der Große) hat als Nachfolger Friedrich Wilhelms I. das Haushaltswesen bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges in der Form übernommen und unverändert gelassen, wie es sein Vorgänger ihm überlassen hatte. Nach dem Siebenjährigen Krieg stand er dann vor dem Problem, 141 142 143

Vgl. Bomhak (1885), S. 122 f. Vgl. Schmidt (1929), S. 20 f. Vgl. Riede! (1866), S. 61.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

daß er den Krieg zwar gewonnen hatte, die Wirtschaft des Königreichs aber sehr geschwächt war. Die Reformen, die Friedrich der Große seit dem Ende des Krieges durchführte, sollten die Wirtschaft des Königreichs wiederaufbauen und damit die Einnahmen des Königs wieder stabilisieren bzw. steigern. aa) Reformen in der Behördenorganisation Die Reformen in der Behördenorganisation waren dadurch geprägt, daß Friedrich der Große extrem auf die Geheimhaltung der staatlichen Finanzen Wert legte und außerdem den Beamten in der Finanzverwaltung sehr stark mißtraute. l44 Er faßte die Zentralisierung als alleinige Herrschaft des Königs ohne Beratung durch das Kabinett auf, so daß er der einzige war, der einen Überblick über die finanziellen Transaktionen der und Beziehungen zur gesamten Verwaltung hatte. 145 Dies führte dazu, daß der Geheime Rat an Bedeutung verlor. Im Behördenapparat machte sich die Provinzialaufteilung der Departements daraufhin als Mangel bemerkbar, da ohne die Kabinettsregierung der Minister, die bis dahin als Ebene zwischen den Departements und dem König den Überblick bewahren konnte, die Einheitlichkeit und Klarheit in der Finanzverwaltung fehlte. Friedrich der Große teilte deswegen das Generaldirektorium (nach sachlichen Kriterien) in Realdepartements bzw. führte gegebenenfalls neue Realdepartements ein. 146 Zudem richtete der König - gegen den Widerstand der Beamten aus dem Generaldirektorium, die die Reformen des Königs ablehnten, - die "Administration generale des accises et des peages" ein (die sogenannte französische Regie). Es wurden französische Fachleute (Generalregisseure) angeworben und sechsjährige Verträge zur Erhebung der indirekten Steuern sowie der Zölle im gesamten preußischen Staatsverband abgeschlossen. Friedrich der Große versprach sich aus einer französischen Verwaltung eine Steigerung der indirekten Steuern und Zölle. 147 Im Kassenwesen richtete Friedrich der Große eine Dispositionskasse ein, die er allein verwaltete und die später die beiden ursprünglichen zentralen Kassen (Generaldomänen- und Generalkriegskasse) an Umfang übertraf. In diese Kasse flossen die Einnahmen aus neuen Finanzquellen, die durch die Erweiterung des königlichen Monopols entstanden (Tabak, Lotterie, Fabri144 Dies begründete sich u. a. auch im Mißbrauch von Geldern bei Ausgaben für Reisekosten, den Friedrich der Große in einer Kabinettsordre vom 17. Mai 1747 anspricht. Vgl. Rödenbeck (1982), S. 375. 145 Vgl. Dom (1932), S. 409 f. 146 Vgl. Schmidt (1980), S. 98. 147 Vgl. Mainka (1998), S. 47 f.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Generaldirektorium (eingeteilt in fiinf Departements nach regionalen Kriterien und mit der Oberrechenkammer als dem Generaldirektorium unterstellte Behörde)

Finanzverwaltung in den Provinzen (Kriegskommissariate und Domänenkammern)

I

Lokalverwaltung

I

Abbildung 3 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen vor den Refonnen Friedrichs 11., dem Großen

ken usw.). Hinzu kamen die Einkünfte aus den neu hinzu gewonnenen Gebieten und Einnahmeüberschüsse der anderen Bereiche, die über den in den Etats vorgesehenen Beträgen lagen. 148 In der Finanzkontrolle kombinierte der König die beiden unter dem Namen Oberkriegs- und Domänenrechenkammer geführten Rechnungsprüfungsinstanzen zu einer Behörde (Oberrechenkammer) und ernannte einen Präsidenten, der gleichzeitig Geheimer Finanzrat des Generaldirektoriums sein sollte. Die Kompetenzen der Behörde wurden jedoch eingeschränkt, denn in einem nächsten Schritt entzog der König die Rechnungen einiger Kassen, darunter z. B. die Generalkriegs-, die Generaldomänenkasse und die Lotterie der Prüfung durch die Oberrechenkammer. 149 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung vor und nach den Reformen Friedrichs 11., dem Großen ist in Abbildung 3 und in Abbildung 4 dargestellt. bb) Reformen im Haushaltswesen Im Etatwesen wurde das ursprüngliche Verfahren beibehalten. Es kam lediglich zu einer Zerlegung des Extraordinariums, das sich unter Friedrich 148 149

Vgl. Bomhak (1903), S. 229 und auch Riedel (1866), S. 117 f. Vgl. Bomhak (1885), S. 261 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

Generaldirektoriwn (eingeteilt in fünf Departements nach sachlichen Kriterien) und die Oberrechenkammer als unabhängige Behörde

Finanzverwaltung in den Provinzen (Kriegskommissariate und Domänenkammern)

Lokalverwaltung mit französischer Regie für die Akzise- und Zollverwaltung Abbildung 4 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen nach den Reformen Friedrichs 11., dem Großen

dem Großen in zwei Gruppen aufteilte. Die Departements konnten mit ihrem Extraordinarium Lücken im Etat ihres Ressorts ausgleichen, die durch Unglücksfälle, Mißernten u. ä. entstanden waren. Der König verfügte über ein Extraordinarium mit den gleichen Aufgaben für das gesamte Staatsgebiet. Trotz der Beibehaltung der technischen Vorgehensweise verlor das Etatwesen an Bedeutung und an Qualität, da der König zunehmend Einnahmen und Ausgaben am Etat vorbeiführte. Auf der Einnahmeseite bedeutete das, daß die Einnahmen nicht ihrer Entwicklung angepaßt wurden, sondern daß zusätzliche Einnahmen, die in alten Gebieten erzielt wurden, oder Einnahmen aus neuen Gebieten nicht im Etat integriert, sondern allenfalls in Separatetats aufgeführt wurden. Auf der Ausgabenseite griff der König wieder zunehmend auf Einzelanweisungen zurück, so daß die Zusammenfassung der regelmäßigen Einzelanweisungen im Etat, die einen Wirtschaftsplan ermöglichte, wieder aufgehoben wurde. ISO Im Rechnungswesen versuchte der König mehr Klarheit und Einheitlichkeit zu erreichen, indem er die starke Ausrichtung der Rechnungen an den Etats auflöste und in einer Instruktion genaue Grundsätze zur Rechnungsle150

Vgl. Schneider (1952), S. 105 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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gung verabschiedete. Durch die starre Ausrichtung am Etat wurde in einer Rechnung eine endgültige Mindereinnahme durch fiktive außeretatmäßige Ausgaben und eine endgültige Minderausgabe durch fiktive außeretatmäßige Einnahmen ausgeglichen. Dies erschwerte es, das Rechnungswesen mit den Beträgen in den Kassen abzugleichen. Friedrich der Große verlangte die Aufstellung der Rechnungen mit den Angaben der Soll- und Isteinnahmen und des Restbetrags, um die Rechnungen mit den Kassenbeträgen vergleichen zu können. 151 Die Reformen Friedrich des Großen waren hauptsächlich geprägt durch seine absolutistischen Regierungsvorstellungen und sein Mißtrauen gegenüber den Beamten der Finanzverwaltung. Abgesehen von der Einteilung des Generaldirektoriums nach sachlichen Kriterien haben diese Reformen keine eigentlichen Verbesserungen im Haushaltswesen herbeigeführt. Zu Regierungszeiten Friedrich des Großen hatten die Veränderungen im Haushaltswesen aber (noch) keine negativen Folgen im Sinne einer Verschlechterung der Finanzlage, da es dem König gelang, den Überblick über die Finanzen zu behalten. e) Die Entwicklung von 1786 bis 1797 (Friedrich Wilhelm 1/.)

Im Gegensatz zu Friedrich dem Großen war Friedrich Wilhelm 11. den Aufgaben einer solchen absolutistischen Kabinettsregierung nicht gewachsen. Unter dem Einfluß seines vertrauten Ratgebers und späteren Ministers Wöllner 152 führte er einige Reformen durch, die aber das Haushaltswesen nicht wesentlich verbesserten. aa) Reformen in der Behördenorganisation Wöllner hatte als Vorbild das Haushaltssystem Friedrich Wilhelms I. und versuchte somit das Generaldirektorium als zentrale Behörde wiederherzustellen, die Oberrechenkammer aber als eigenes Ministerium davon loszulösen. Zudem ließ er die Regie abschaffen, behielt aber die dazugehörigen Abgaben bei. 153 Die Reformen waren nicht erfolgreich, da Wöllner z. B. Vgl. Schneider (1952), S. 109 ff. Johann Christoph von Wöllner (1732-1800) studierte in Halle Theologie und wurde Hauslehrer. Von 1755-59 hatte er ein Pfarramt inne, das er gegen die Stellung eines Pächters des Gutes Groß-Behnitz in der Mark eintauschte. Er widmete sich dem Studium der Landwirtschaft und Nationalökonomie, nachdem er durch Einheirat Besitzer des Gutes wurde. 1770 wurde Wöllner zum Kammerrat ernannt. Friedrich Wilhe1m 11. ernannte ihn 1788 zum Minister des Geistlichen. Wöllner wurde 1798 durch Friedrich Wilhelm III. entlassen. Vgl. Killy/Vierhaus (1999), S.557. 151

152

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Einrichtungen Friedrichs des Großen nicht abschaffte, die den neuen Rahmenbedingungen nicht gerecht wurden, aber seinen eigenen Interessen entgegenkamen. Dazu gehörte beispielsweise die umfangreiche Dispositionskasse Friedrichs des Großen, zu dessen Leiter Friedrich Wilhelm 11. Wöllner ernannte, der damit die Möglichkeit hatte, die Gelder der Dispositionskasse für Zwecke zu verwenden, von denen auch er profitierte. 154 Der Staatsschatz von 54 Millionen Thalern war 1794 bereits aufgebraucht und die Gelder der Dispositionskasse reichten nicht, um die Ausgaben des Königs zu finanzieren. Da Friedrich Wilhelm 11. seine Einnahmen aus Steuern nicht erhöhen konnte, da eine höhere Steuerlast wirtschaftspolitisch nicht tragbar erschien, griff er auf Anleihen zurück. Ende des Etatjahres 1795/96 betrug die Schuldenlast Preußens 24 Millionen Thaler mit ca. 1 Million jährlichen Zinsen. 155 bb) Reformen im Haushaltswesen Im Etatwesen wurde das Verfahren insoweit geändert, daß nicht alle Etats genehmigt werden mußten, sondern lediglich neue oder nicht beständige Etats. Außerdem wurde das Extraordinarium immer stärker zur Finanzierung regelmäßiger Ausgaben herangezogen, so daß der eigentliche Zweck der Unterstützung in Unglücksfällen oder der Finanzierung außerordentlicher Bauten in den Hintergrund geriet. Im Kassen- und Rechnungswesen blieb nicht nur die Dispositionskasse bestehen, sondern der König richtete auch die Schatulle wieder ein, die die Handgeldeinrichtung wieder ersetzte. Erwähnenswert ist außerdem noch die Einführung der Auftragszahlung und in diesem Zusammenhang der Gebrauch von einheitlichen Kassen- und Rechnungsformularen. Friedrich 11. hatte das Kassen- und Rechnungswesen so weit zentralisiert, daß nicht mit königlichen Anweisungen gearbeitet wurde, sondern alle Gelder in die Generalkasse flossen und von dort aus an die jeweiligen Ausgabekassen verteilt wurden. Die Verordnung vom 23. April 1792 führte den Buchausgleich und Auftragszahlungen ein, um Geldtransporte einzusparen, die mit einer Zentralisierung ohne Anwendung des Anweisungssystems verbunden waren. 156 Vgl. Philippson (1882), S. 84 f. und auch Ruppel-KuhJuss (1937), S. 78. Wöllner verhinderte z. B., daß Mehrausgaben und Schulden wie vom Generaldirektorium erwünscht in den Etat aufgenommen wurden. Vgl. Philippson (1882), S.387. 155 Riedel (1866), S. 192. 156 In der Verordnung wird folgender Vorfall beschrieben: ,,Es ist nach Anzeige des Generalpostamtes kürzlich der Fall vorgekommen, daß von der Hauptmagazinkasse verschiedene ansehnliche Summen an Silbergeld mit der Post nach Breslau versandt worden, deren Fortschaffung durch Beiwagen geschehen müssen, und zu der nämlichen Zeit ist mit der Post von Breslau eine beträchtliche Summe gleich153

154

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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Im Bereich der Haushaltskontrolle waren die Reformen einschneidender. Friedrich Wilhelm 11. löste die Oberrechenkammer vom Generaldirektorium und stufte sie wieder als unabhängige Immediatbehörde ein, die für die Verwaltungs- und Rechnungskontrolle zuständig war. Ihrer Prüfung wurden zwar die Schatulle, die Hofstaatskasse, die Dispositionskasse und die Legationskasse entzogen, sie erlangte aber endgültige Unabhängigkeit vom Generaldirektorium, und die jährliche Berichterstattung der Oberrechenkammer über ihre Tätigkeit gegenüber dem König wurde eingeführt. Die Verordnung vom 4. November 1796 legte fest, daß keine andere Behörde befugt sei, die Beanstandungen der Oberrechenkammer zu übergehen oder Entlastungen bzw. Quittungen für Rechnungen zu erteilen. Insgesamt war aber absehbar, daß die Reformen Friedrich Wilhelms 11. nicht ausreichten, um die Mängel im Haushaltswesen zu beseitigen. Die Finanzlage des Königs verbesserte sich nicht und sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm III., übernahm 1797 die Regierung mit 32 Mill. Thalern Schulden. f) Die Entwicklung von 1797 bis 1806 (Friedrich Wilhelm 1II.)

Friedrich Wilhelm III. erkannte den Reformbedarf im Haushaltssystem und verabschiedete 1798 eine Instruktion, die den Einsatz einer Finanzkommission zur Ausarbeitung einer Finanz- und Verwaltungsreform bestimmte. 157 Die Reformen sollten sich an den Finanzeinrichtungen Friedrich Wilhe1ms I. orientieren. Friedrich Wilhelm III. ging es hauptsächlich um Ordnung, Kontrolle und Übersicht in Finanzsachen sowie um Schnelligkeit und die Beseitigung überflüssiger Formalitäten. 158 Eine neue Instruktion an das Generaldirektorium wirkte in der Behördenorganisation wieder auf eine stärkere Zentralisierung der Behörden hin, so daß beispielsweise einige Sonderbehörden in das Generaldirektorium integriert wurden. In den Provinzen wurden die Kriegskomrnissariate und Domänenkammern zu einer Behörde zusammengefaßt. 159

falls in Silbergeld an die Generalkriegskasse eingesandt worden, zu deren Transport auf der ganzen Tour ein vierspänniger Beiwagen erforderlich gewesen, so daß die beiderseitigen Hin- und Hersendungen der Generalpostkasse einen extraordinären Aufwand von ungefähr 80 Reichsthaler verursacht haben, wofür dieselbe so wenig, als wegen der gefahrvollen Garantie einige Entschädigung erhielt, weil dergleichen Gelder hin- und herwarts postfrei befördert werden müssen." Abgedruckt bei Wähner (1824), Anhang S. 168. 157 Vgl. Petzold (1911), S. I f. 158 Vgl. Petzold (1911), S. 60. 159 Vgl. Riedel (1866), S. 204 f.

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aa) Reformen im Haushaltswesen In der Haushaltsplanung wurde bei der Aufstellung des Etatplans allen Ministern Einsicht gewährt, um eine bessere Abstimmung zwischen den Ressorts zu erreichen. Bis dahin durfte ein Minister nur den Etat einsehen, der sein eigenes Ressort betraf. Die Ausgabenbefugnis der Minister, die unter Friedrich Wilhelm 11. dahingehend erweitert worden war, daß regelmäßige Etats nicht durch den König genehmigt werden mußten, wurde wieder eingeschränkt. Die persönliche Haftung der Beamten für die im Etat aufgestellten Einnahmen und Ausgaben wurde durch das 1794 eingeführte Allgemeine Landrecht abgeschafft. Dadurch verlor der Etat den Charakter einer Zusammenstellung verbindlicher Anweisungen an die Mitarbeiter der Verwaltung. Die im Etat geplanten Ausgaben und Einnahmen (auch ,Haushaltssoll ' genannt) wurden ergänzt durch den Anweisungssoll (auch, Wirklicher Soll' genannt), der sich aus den aus dem Etat resultierenden Anweisungen ergab. Änderungen des Haushaltssolls wurden als Zu- oder Abgänge registriert, um einen Ausgleich zwischen dem Etat und dem Anweisungssoll zu schaffen. Durch dieses System trat erstmals die grundsätzliche Trennung zwischen Anordnung und Ausführung klar hervor. Die Etatkontrolle wurde dadurch zur reinen Kontrolle der Umsetzung des Etats durch die Anweisungsbehörde. 160 bb) Reformen im Rechnungswesen Im Rechnungswesen ging es dem König hauptsächlich um eine Vereinfachung des Systems. Er versuchte, dies durch eine Reduktion der Anzahl an Kassen und Etats zu erreichen, z. B. indem die Besoldung ein und desselben Amtes aus verschiedenen Kassen beseitigt wurde. Die Maßnahmen hatten nur wenig Erfolg, denn 1807 gab es noch 11 Zentralkassen. Auch die Streichung der zahlreichen Separatetats, die unter Friedrich dem Großen entstanden waren, ist gescheitert. 161 Die Dispositionskasse hat der König zwar beibehalten, aber der Verwaltung und Kontrolle durch den Präsidenten der Oberrechenkammer unterstellt, so daß sie als dritte Kasse neben der Generalkriegskasse und der Generaldomänenkasse bestand. Friedrich der Große hatte ein Zuweisungsnetz zwischen Kassen aufgebaut, das die zentrale Zuweisung von Quanten durch die zuständige Generalkasse (an Kassen, die Verluste machten) ersetzte. Dieses System wurde aufgelöst und die zentrale Zuweisung von Quanten wiedereingeführt. 162

160 161 162

Vgl. Schneider (1952), S. 131 f. Vgl. Schneider (1952), S. 128. Vgl. Riedel (1866), S. 211 f.

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Im Bereich der Haushaltskontrolle wurden der Oberrechenkammer noch mehr Kompetenzen zugesprochen. Sie wurde als ein für sich bestehendes, unabhängiges Landes-Collegium auf eine Stufe mit dem Generaldirektorium gestellt. Sie hatte dem König weiterhin jährlich Bericht zu erstatten. Friedrich Wilhelm III. verlangte Informationen über den finanziellen Zustand des ganzen Staates, der Provinzen und einzelner Zweige der Verwaltung, die Kassenbestände sowie die Mängel und Bedürfnisse der Verwaltung. 163 Außerdem mußte das Verhältnis zwischen den Verwaltungskosten und dem reinen Ertrag ermittelt werden. Das Recht der Verwaltungskontrolle wurde um die Aufsicht über die Dispositions-, Hofstaats- und Legationskasse erweitert. Der Bericht mußte vor der Vorlage der Etats und Rechnungen zur Genehmigung und Entlastung erfolgen. Darüberhinaus wurde die Oberrechenkammer zur Begutachtung von Vorschlägen der Leiter der verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung herangezogen. l64 Die an sich sinnvollen Reformvorschläge für die Finanzkontrolle scheiterten jedoch daran, daß der Präsident der Oberrechenkammer durch die Aufgaben überfordert war und außerdem so viele Ämter bekleidete, daß er der Oberrechenkammer nicht genügend Zeit und Aufmerksamkeit widmen konnte. Der König ordnete 1802 in einer Kabinettsordre an, daß die PräsidentensteIle nicht mehr besetzt werden, sondern das Kollegium in vier Senate unter dem Vorsitz von vier Direktoren eingeteilt werden sollte. Die erwarteten Verbesserungen traten jedoch nicht ein. 165 Auch wenn die Reformen meist nur in Ansätzen wirksam wurden, gelang es Friedrich Wilhelm III., die Schulden zu tilgen und einen Staatsschatz anzusammeln. Das Etat-, Kassen- und Rechnungswesen war stark vereinfacht und die Stellung der unabhängigen Kontrolle durch die Oberrechenkammer gestärkt worden. Dies war der Zustand, in dem der König das Haushaltswesen hinterließ, als Preußen 1806 unter den Angriffen der französischen Revolutionsarmee zusammenbrach.

Vgl. Bomhak (1885), S. 351 f. Vgl. Schneider (1952), S. 133. 165 Vgl. Ditfurth (1909), S. 39 f. Wenn man dem Kriegsrat v. Cölln glaubt, dann war das Kollegium "ein Invalidenbaus, ein Korrektionsinstitut und kameralistisches Lazarett, wo man alle am Verstande erlahmte Räte hineinschiebt und kindische Greise zu Präsidenten ernennt". V. Cölln, Vertraute Briefe über die inneren Verhältnisse am Preußischen Hofe seit dem Tode Friedrich 11. Bd. 11, 235/36. Abgedruckt bei Ditfurth (1909), S. 40, der allerdings gleichzeitig darauf hinweist, daß in einem Bericht des Ober-Rechenkammer-Kollegiums den Fähigkeiten und dem Charakter v. Cöllns ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wird. 163

164

5Strube

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g) Die Entwicklung von 1806 bis zur Preußischen Verfassung von 1850 (bis 1840 Friedrich Wilhelm III., seit 1840 Friedrich Wilhelm IV.)

Der Refonnbedarf und auch die Refonnbereitschaft in Preußen wurden durch die veralteten Regierungsstrukturen und die starke Gebietsverkleinerung, von der Preußen nach dem Frieden von Tilsit betroffen war, verstärkt. Die Entwicklung des Haushaltswesens in Preußen war geprägt durch die Refonnen vom Steins und Hardenbergs. 166 Beide haben etwa zeitgleich Denkschriften angefertigt, in denen sie ihre Vorstellung über Refonnen der Staatsorganisation dargelegt haben. Auf die Denkschriften soll hier im Einzelnen nicht eingegangen werden, da nicht alle Bereiche mit dem Thema dieser Arbeit in direktem Zusammenhang stehen. 167 Im folgenden sollen vielmehr die Refonnen in der Behördenorganisation und im Haushaltswesen untersucht werden, die tatsächlich durchgeführt und die durch die beiden Denkschriften maßgeblich beeinflußt wurden. aa) Refonnen in der Behördenorganisation Für die Behärdenorganisation läßt sich festhalten, daß auf zentraler Ebene die Vennischung zwischen sachlicher und regionaler Einteilung der Ministerien aufgegeben wurde und 5 Fachministerien (darunter ein Finanzministerium) gegründet wurden, die als oberste Behörde dem König direkt unterstanden. 168 Der Vorschlag vom Steins, ein kollegial organisiertes Gesamtministerium, den sogenannten Staatsrat, einzuführen, um die Tätigkeit in den Ministerien zu koordinieren, wurde nicht realisiert. 169 Dies lag daran, daß vom Stein 1808 zwar einen Organisationsplan mit seinen Refonnvorschlägen erstellte, er aber Preußen danach unter dem Druck Napoleons verlassen mußte. Der Organisationsplan wurde zwar noch vom König genehmigt, aber später in abgeänderter Fonn veröffentlicht. 17o Hardenberg, der während der Abwesenheit vom Steins zunehmend an Einfluß gewann, befürwortete eine hierarchische Organisationsstruktur im Gegensatz zu den von vom Stein vorgeschlagenen Kollegialbehörden. Es gelang Hardenberg 1810, die Position des Staatskanzlers einzurichten, die er selbst einnahm. 171 Der Staatskanzler übernahm die Koordination der Ministerien und hatte die Vgl. Knemeyer (1970), S. 83 f. Einen Überblick über die Reformvorschläge gibt der Beitrag von v. Unruh (1983). Vgl. dazu außerdem die Werke von Koselleck (1987), Klein (1965), Bomhak (1886) sowie Burg (1989). 168 Vgl. Klein (1961), S. 197. 169 Vgl. Knemeyer (1970), S. 91. 170 Vgl. v. Unruh (1983), S. 414 f. 171 Vgl. Klein (1961), S. 197. 166 167

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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Arbeit der Fachministerien im Auftrag des Königs zu beaufsichtigen und zu kontrollieren. Hardenberg baute zur Unterstützung bei der Durchführung seiner Aufgaben ein Staatskanzleramt auf, da der Umfang an Aufgaben zunahm und mit den Befreiungskriegen (1813 bis 1815) auch wieder neue Gebiete hinzukamen. l72 1814 wurden regelmäßige Ministerialkonferenzen eingeführt, aus denen dann das Staatsministerium als oberstes Regierungskollegium hervorging. Vorsitzender des Staatsministeriums war der Staatskanzler. 173 Das Staatsministerium sollte für die Koordination der Ministerien zuständig sein, aber auch als Beratungsgremium der Minister dienen. 1817 wurde aus der Vereinigung des Staatskanzleramtes und des Staatsministeriums der Staatsrat. Auch wenn die Minister versuchten, die Kabinettsregierung durch das kollegial organisierte Staatsministerium zu verdrängen, hat sich die königliche Kabinettsregierung wieder durchgesetzt. 174 Hardenberg gründete 1817 die Generalkontrolle, welche das gesamte Etat-, Kassen- und Rechnungswesen neu aufbauen sollte. 175 Tatsächlich diente sie Hardenberg zur Überprüfung der Etats der Ministerien. Solange Hardenberg Vorsitzender der Generalkontrolle war, wurde der starke Eingriff in die Selbständigkeit der Fachministerien toleriert. Doch als er 1819 die Leitung seinem Nachfolger übergab, entstanden ständig Konflikte zwischen den Fachministern und der Generalkontrolle, die dazu führten, daß diese 1826 abgeschafft wurde. 176 Für das Rechnungswesen wurde 1808 eine Staatsbuchhalterei im Finanzministerium eingerichtet, welche 1817 mit der Generalkontrolle verbunden und 1826 nach Auflösung der Generalkontrolle zu einer selbständigen Behörde wurde. Sie hatte die Aufgabe, aus den Etats und den Rechnungen Nachweise zu erstellen, die einen Überblick über die gesamten Finanzen des Staates verschafften. 1844 wurde die Staatsbuchhalterei aufgelöst und ihre Aufgaben auf das Finanzministerium übertragen. 177 Die Reformen auf zentraler Ebene brachten auch Änderungen der Provinzialbehörden mit sich. Die bereits vor 1806 zusammengelegten Kriegskommissariate und Domänenkammern wurden in Provinzialregierungen umbenannt und mit mehr Kompetenzen ausgestattet. Die Provinzialregierungen gliederten sich in vier Abteilungen für Polizeisachen, für Kultus und öffentlichen Unterricht, für Finanz- und Kassenwesen sowie für Militärwesen. In den Provinzen wurde bereits 1808 das Amt des Oberpräsidenten eingeführt, der die Selbständigkeit der Provinzialregierung nicht verringern, sondern 172 173 174 175 176 177

5*

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Klein (1965), S. 240-271. Klein (1961), S. 195 ff. Knemeyer (1970), S. 88 f. Verordnung Generalkontrolle 1817, Nr. 2. Schneider (1952), S. 151 f. Hertel (1884), S. 127.

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lediglich die Tätigkeit der Regierung beaufsichtigen sollte. Ende der zwanziger Jahre wurden auf Provinzialebene Steuerdirektionen eingeführt, welche die Steuerverwaltung übernahmen. 1815 wurde eine neue Territorialeinteilung durchgeführt, welche die Provinzen jeweils in mindestens zwei Regierungsbezirke und diese in Kreise einteilte. 178 Der Aufgabenschwerpunkt der Regierungsbezirksverwaltungen lag im Unterschied zu den ehemaligen Kriegs- und Domänenkammern nicht vornehmlich in der Beschaffung finanzieller Mittel für das Militär, sondern in der Wahrnehmung ziviler Aufgaben. Seit 1826 waren alle Regierungen in vier Abteilungen eingeteilt für innere Angelegenheiten, Kirchen- und Schulsachen, Landwirtschaft und Forsten (einschließlich der Domänen) und direkte Steuern. 179 Die Kreise wurden jeweils von einem Landrat verwaltet, der als verlängerter Arm der Bezirksregierungen und damit der Staatsverwaltung auf unterster Ebene galt. Er handelte zum einen im Auftrag der Abteilung für innere Angelegenheiten und erledigte die zu diesem Bereich gehörenden Aufgaben in seinem Kreis. Zum anderen war er für das direkte Steuerwesen zuständig. Die indirekten Steuern wurden auf unterster Ebene u. a. von Zoll-, Haupt- und Steuerämtern verwaltet. Größere Städte wurden als eigenständige Kreise eingestuft und die Aufgaben des Landrats vom Dirigenten des Magistrats übernommen. 180 Im Kassenwesen wurden 1808 die verschiedenen Kassen zur Generalstaatskasse zusammengefaßt mit Ausnahme der Kassen für die Militärverwaltung, für die Zivilliste und für die Staatsschuldenverwaltung. Die Generalkasse gehörte zum Finanzministerium. In den Provinzen wurde analog für jede Regierung eine Hauptkasse eingerichtet, in die sämtliche Ausgaben und Einnahmen flossen. Die Abteilungen der Bezirksregierungen (auch Regierungsdeputationen genannt) waren dazu ermächtigt, innerhalb ihrer Etats Ausgaben anzuweisen. Etatüberschreitungen oder der Zugriff auf Fonds anderer Deputationen waren nicht zugelassen. Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen nach den Reformen vom Steins und Hardenbergs ist in Abbildung 5 dargestellt.

178 Vgl. Knemeyer (1970), S. 95-100. Nach der Einführung der Bezirksregierungen wurde kritisiert, daß der Oberpräsident häufig gleichzeitig auch Regierungspräsident des Bezirks, in dem sein Amtssitz lag, war. Damit stand er bei den anderen Bezirksregierungen im Verdacht der Parteilichkeit. Auch von den Oberpräsidenten kamen Beschwerden über diese Aufgabenverteilung, da es für sie sehr schwierig war, die Leitung einer Regierung auszuüben, wenn sie als Oberpräsidenten viel in der Provinz unterwegs waren. Vgl. Hartung (1961), S. 286 f. Zur geographischen Einteilung der Provinzen vgl. Burg (1994), S. 46 ff. 179 Vgl. Henning (1993), S. 65 f. 180 Vgl. Malchus (1821), S. 279-281.

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Staatskanzleramt und Staatsministerium, seit 1817 vereinigt im Staatsrat, von 1817 bis 1826 Generalkontrolle von 1808 bis 1844 Staatsbuchhalterei

Abteilung für Finanz- und Kassenwesen in den Provinzialregierungen und Steuerdirektionen für die Steuerverwaltung

Abteilung für Landwirtschaft und Forsten und für die direkten Steuern in den Regierungsbezirksverwaltungen

Landrat in den Kreisverwaltungen auf unterster Ebene; Zoll, Haupt- und Steuerämter für indirekte Steuern; größere Städte als eigenständige Kreise verwaltet durch den Dirigenten des Magistrats Abbildung 5 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung im Königreich Preußen nach den Refonnen vom Steins und Hardenbergs

bb) Reformen im Haushaltswesen Die wichtigsten Regelungen für das Haushaltswesen wurden in der Instruktion für die 1817 neu gegründete Generalkontrolle 181 sowie in der Instruktion für die Oberrechnungskammer von 1824 festgehalten. 182 Beide In181 Verordnung über die Einführung einer Generalkontrolle der Finanzen für das gesamte Etats-, Kassen- und Rechnungswesen und für die Staatsbuchhaltung (Verordnung Generalkontrolle 1817) vom 3. November 1817. 182 Die Instruktion für die Oberrechungskammer vom 18. Dezember 1824 ist abgedruckt bei Hertel (1884), S. 125 ff.

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struktionen sind von besonderer Bedeutung, da in ihnen zum ersten Mal das praktizierte Haushaltsrecht vollständig kodifiziert wurde. Die Instruktion von 1824 bildete die Grundlage für die preußische Verfassung von 1850 und für das Gesetz für die Oberrechnungskammer von 1872, welches wiederum die Grundlage für die Reichshaushaltsordnung von 1922 war. 183 In der Haushaltsplanung wurde die Erstellung der Etats dezentralisiert. Die Etats im Finanzministerium wurden auf der Grundlage der Kreisetats der Landräte erstellt. Die Landräte erfaBten in einem Kreisetat die Ausgaben und Einnahmen, die einer Regierungsdeputation zuzuordnen waren. In der Finanzabteilung waren dies z.B. die Domänen-, Forst-, Bergwerks- und Bernsteineinnahmen. Die Regierungsdeputationen erstellten einen Spezialetat. Die Spezialetats wurden zu einem fachlich gegliederten Regierungsetat zusammengefaBt, der an die Fachministerien ging. Letztere fertigten dann Ministerialetats an, welche die Grundlage für den Generaletat bildeten. Damit wurde auch im Etatwesen die Kombination aus regionaler und fachlicher Einteilung durch das reine Fach- bzw. Ministerialprinzip abgelöst. Außerdem wurden die Regierungen und Landräte angewiesen, die Etats durch die Beseitigung überflüssiger oder geringfügiger Titel weitest möglich zu vereinfachen. 184 In den Jahren, in denen die Generalkontrolle bestand, wurden die Etats nicht nur vom Finanzministerium formell und sachlich überprüft, sondern sie wurden auch an die Generalkontrolle weitergereicht. Diese hatte u. a. zu untersuchen, ob die Ausgaben auf das Notwendigste begrenzt waren, ob noch Einsparungspotentiale bestanden oder ob die Steuern noch angehoben werden konnten und ob die Etatentwürfe den formellen Vorschriften entsprachen. 185 Im Haushaltsvollzug wurde den Ministerien in Höhe der im Etat vorgesehenen Ausgaben bei der Generalkasse Kredit gewährt. Die Kassen hatten ein Manual zu führen, aus dem der aktuelle Stand jedes Einnahme- und Ausgabetitels aus dem Spezialetat entnommen werden konnte. Jede Regierungsdeputation, insbesondere der Kassenrat, mußte dafür sorgen, daß die Etats eingehalten wurden, die Einnahmen rechtzeitig eingingen, keine Ausgaben verschoben und die Überschüsse pünktlich an die Generalstaatskasse weitergeleitet wurden. Etatüberschreitungen waren nur im Ausnahmefall zulässig. Sie wurden von der Oberrechnungskammer überprüft, welche darüber entschied, ob die ausführenden Beamten die Abweichungen vom Etat zu verantworten hatten oder nicht. Im ersten Fall mußte der Beamte die Mittel erstatten. 186 1824 wurde in der Instruktion für die Oberrechnungs183 184 185 186

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Rischer (1995), S. 24 f. Schneider (1952), S. 146 und Verordnung Generalkontrolle 1817, Nr. 3. Verordnung Generalkontrolle 1817, Nr. 2. Amdt (1901), S. 324 f.

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kammer ausgeführt, daß die Haushaltstitel wie gesetzliche Normen zu behandeln wären. Mehreinnahmen oder -ausgaben waren bis zu einer Höhe von 5 v. H. des betroffenen Titels zugelassen, wenn sie unvermeidbar waren bzw. wenn sie aus den geplanten Einnahmen gedeckt werden konnten. Die Gehälter oder die Anzahl der Beamten durften nicht erhöht werden und waren damit als Grund für Ausgabenerhöhungen unzulässig. 187 Sämtliche Einnahmen und Ausgaben waren im Rechnungswesen zu erfassen. Es mußte also das Bruttoprinzip angewandt werden. Es durften bspw. keine Zahlungen von den Einnahmen vorweg abgezogen oder auch keine Mehreinnahmen in den außerordentlichen Etat eingestellt werden. Die Verwaltung hatte bei allen Ausgaben äußerst sparsam vorzugehen und Unwirtschaftlichkeiten zu vermeiden. 188 Ausgaben durften nur im Ausnahmefall und nur ins darauffolgende Jahr verschoben werden und mußten in ein Restefonds übertragen werden. Dieser Fonds war strikt von den laufenden Ausgaben zu trennen. Nach Ablauf des darauffolgenden Jahres war die Ausgabe als erspart zu betrachten. Ersparnisse waren laut Instruktion für die Generalkontrolle dem Staatsschatz zu überweisen. 189 In der Haushaltskontrolle wurde 1810 die Oberrechnungskammer dem Finanzministerium unterstellt, ihr Aufgabenbereich blieb in der gleichen Form erhalten. Von 1817 bis 1826 war die Generalkontrolle neben der Oberrechnungskammer kontrollierende Behörde, wobei die Oberrechnungskammer für die Rechnungsrevision zuständig war. Die Generalkontrolle führte wie bereits erwähnt eine Präventivkontrolle durch, indem sie die Etats prüfte und als Sparkommissar tätig war. Darüber hinaus mußte sie dem König jederzeit Auskunft über die finanziellen Verhältnisse des Staates erteilen können. Mit der Auflösung der Generalkontrolle gingen die Aufgaben der Präventivkontrolle auf das Finanzministerium über, und die Oberrechnungskammer wurde mit der nachträglichen sachlichen Kontrolle der Etats beauftragt. Die Instruktion von 1824 machte die Oberrechnungskammer wieder unabhängig - d. h. sie unterstand unmittelbar dem König und nicht dem Finanzministerium - und wies diese an zu prüfen, ob die oben genannten Haushaltsregeln für die Planung und den Vollzug eingehalten wurden oder ob Abweichungen vom Haushaltsplan festzustellen waren. 190 Mit der Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824 wurden sowohl die bis dahin geltenden als auch neue Regelungen 187 Vgl. Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824, abgedruckt bei Hertel (1884), S. 126 ff. hier S. 147 f. 188 Vgl. Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824, abgedruckt bei Hertel (1884), S. 126 ff. hier S. 135. 189 Vgl. Instruktion für die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824, abgedruckt bei Hertel (1884), S. 126 ff. hier S. 146 f. 190 Vgl. Hertel (1884), S. 130.

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haushaltsrechtlich kodifiziert. Bei der Beurteilung der Erfüllung der Budgetfunktionen soll vor allem auf die Auswirkung von Reformen geachtet werden, die seit 1806 durchgeführt wurden, da das vor dieser Zeit angewandte Haushaltswesen bereits kritisch beurteilt wurde. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die neue Behördenorganisation die Verwaltungsstrukturen erheblich vereinfacht hat. Diese Vereinfachung wurde auch auf das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen übertragen, welche an die neuen Verwaltungsstrukturen angepaßt wurden. Mit einer sachgerechten (fachlich statt regional eingeteilte Departements) und einfachen Verwaltungsstruktur konnte ein ausgeglichener Haushalt besser erreicht werden, da es der Regierung erleichtert wurde, sich einen Überblick über die Ausgaben und Einnahmen zu verschaffen und diese zu planen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß die fachliche Einteilung der Ministerien eine wirtschaftlichere Durchführung der Aufgaben ermöglichte, da Spezialisierungsvorteile genutzt werden konnten. Ein Urteil über den Erfolg der Präventivkontrolle durch die Generalkontrolle und später durch das Finanzministerium kann auf der Grundlage der vorhandenen Literatur nicht gefällt werden. Es ist jedoch zu vermuten, daß eine solche Kontrolle ebenfalls das Erreichen eines ausgeglichenen Haushalts unterstützt und Ersparnispotentiale im Haushaltsplan aufgedeckt hat. Außerdem sollte die Oberrechnungskammer bei ihrer Kontrolltätigkeit explizit die Wirtschaftlichkeit in der Ausführung des Haushaltsplans überwachen. Diesbezüglich muß jedoch berücksichtigt werden, daß die Oberrechnungskammer ein Informationsproblem bei der Erfüllung dieser Aufgabe hatte, denn es wurden keine zielorientierten Angaben über die Verwaltungskosten und -leistungen der verschiedenen Behörden gemacht. Diese Kritik betrifft auch die Haushaltskontrolle, die aber ansonsten als die Budgetfunktion angesehen werden muß, die nach den Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts am besten erfüllt wurde. Die Unabhängigkeit der Oberrechnungskammer war dafür eine wichtige Voraussetzung. h) Die Entwicklung des Budgetbewilligungsrechts in Preußen

In Preußen gerieten der König und seine Regierung unter Druck, eine demokratische Vertretung zu bilden, welche u. a. an budgetrechtlichen Entscheidungen und an einer Budgetkontrolle beteiligt werden sollte. Der König hatte bereits 1815 versprochen, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Landesvertretung zu gründen. 19l Doch erst 1848 wurde der Druck unter der Revolution so groß, daß Friedrich Wi1helm IV. einen neuen Vereinigten Landtag berief und einen Verfassungsentwurf vorlegte. l92 Die parlamentari191 192

Vgl. Obenaus (1984), S. 81. Vgl. Obenaus (1984), S. 710 ff.

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sche Vertretung bestand aus zwei Kammern. Die erste Kammer wurde auch Herrenhaus genannt und setzte sich zusammen aus Mitgliedern, die aufgrund ihres Geburtsstandes dazu bestimmt oder vom König berufen wurden. Die zweite Kammer, das Abgeordnetenhaus, setzte sich aus Abgeordneten zusammen, die nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt wurden. 193 Das Budgetrecht der Verfassung von 1848 orientierte sich an dem belgisch/französischen Budgetrecht und führte damit das Budgetbewilligungsrecht für das Abgeordnetenhaus ein. Dieses Budgetbewilligungsrecht war ein Ausgabenbewilligungsrecht. Das jährliche Steuerbewilligungsrecht wurde aus dem belgischen Budgetrecht nicht übernommen. Die preußische Verfassung bestimmte, daß Steuern solange weiter zu erheben waren, bis ein neues Gesetz sie abänderte. Die Verabschiedung von Steuergesetzen war von der Zustimmung des Abgeordneten- und Herrenhauses abhängig. Der Druck, der damit auf die Regierung ausgeübt werden konnte, war aber deutlich geringer als bei einem jährlichen Steuerbewilligungsrecht, da einmal eingeführte Steuern i. d. R. nur selten und meistens erst nach mehreren Jahren abgeschafft wurden. In den Jahren 1849 und 1850 wurden Revisionsverhandlungen geführt, welche um das Thema der Steuerbewilligung und die Entlastung der Regierung durch das Parlament kreisten. Die beiden Kammern konnten sich über das Steuerbewilligungsrecht nicht einigen, so daß es schließlich bei der Regelung von 1848 blieb. 194 Neben dem Ausgabenbewilligungsrecht wurde dem Landtag ein Kontrollrecht eingeräumt. Die Oberrechnungskammer mußte ihre Rechnungen gemeinsam mit ihren schriftlichen Bemerkungen vorlegen. Die schriftlichen Bemerkungen sollten den unmittelbaren Kontakt zwischen dem Landtag und der Oberrechnungskammer ersetzen, da eine solche Verbindung zwischen einer staatlichen Behörde und den Kammern als unzulässig betrachtet wurde. 195 Der Inhalt der Bemerkungen war Gegenstand zahlreicher Diskussionen zwischen der Regierung, der Oberrechnungskammer und dem Landtag, denn in der Verfassung war zwar ein Gesetz mit diesbezüglichen Vorschriften für die Oberrechnungskammer angekündigt worden, aber erst 22 Jahre später wurde der Inhalt der Bemerkungen im Gesetz für die preußische Oberrechnungskammer vom 27. März 1872 geregelt. 196 Die Diskussion drehte sich um die Frage, ob die Kontrolle durch den Landtag auf eine verfassungsmäßige Kontrolle zur Entlastung der Regierung bzgl. der gesetzmäßigen Durchfüh193 Das Dreiklassenwahlrecht unterschied zwischen einem aktiven und passiven Wahlrecht und schloß Fürsorgeempfänger vom Wahlrecht aus. Es führte dazu, daß die im Landtag vertretene Meinung stark von der Meinungsstruktur der Bevölkerung abwich. Genaueres zum Zweikammer- und Wahl system in Preußen in Huber (1963), S. 81-94. 194 Vgl. Friauf(1968), S. 77 ff. 195 Vgl. Rischer (1995), S. 31 f. 196 Vgl. Rischer (1995), S. 34.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

rung des Haushaltsplans beschränkt war, oder ob sie sich auch auf eine Kontrolle der Tätigkeit der Verwaltung insb. im Hinblick auf sparsames Handeln erstreckte. Das Gesetz von 1872 entschied die Frage schließlich zugunsten der Regierung und des Königs, indem es die Kontrolle durch den Landtag auf die Prüfung beschränkte, ob die Verwaltung vom Haushaltsplan abgewichen oder gegen weitere Gesetze, die den Haushaltsvollzug regelten, verstoßen hatte und ob Etatüberschreitungen oder außeretatmäßige Ausgaben nicht vom Landtag nachträglich genehmigt worden waren. 197 In der revidierten preußischen Veifassung von 1850 blieben zwei Fragen offen, die in den nachfolgenden Jahren regelmäßig zu Konflikten zwischen der Regierung und dem Landtag führten. Zum einen fehlte eine Regelung für den Fall, daß kein Haushaltsgesetz verabschiedet werden konnte, weil die beteiligten Institutionen bei Konflikten keine Einigung fanden. Zum anderen wurde über die Bindung der Regierung an die Etatposten im Haushaltsplan gestritten, denn Etatüberschreitungen waren nur mit der nachträglichen Genehmigung der Kammern zulässig. Es wurde allerdings nicht bestimmt, unter welchen Bedingungen sie zulässig waren und welche Sanktionen die Kammern ergreifen konnten, falls die Etatüberschreitungen nicht genehmigt wurden. 198 Hervorzuheben ist, daß es bei den eben genannten Streitfragen zwischen der Regierung und den Kammern nicht um reine Rechtsfragen ging, sondern daß darüber der Machtkampf zwischen diesen bei den Institutionen ausgefochten wurde. Dies macht v. a. auch die Tatsache deutlich, daß die Regierung intern in ihrem Haushaltsrecht Regelungen für Etatüberschreitungen und andere Haushaltsfragen festgehalten hatte. Nach dem Aufkommen der konstitutionellen Verfassungen ging es um die Regelung solcher haushaltsrechtlichen Fragen im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament. In Preußen kam dieser Machtkampf am deutlichsten im Heereskonflikt zum Ausdruck, der von 1862 bis 1866 andauerte. Die Regierung brachte zwei Gesetzesentwürfe in den Landtag ein. Der eine betraf die Erweiterung der Landwehr, der andere die Finanzierung der Maßnahme und die Feststellung des Nachtrags zum Staatshaushaltsetat. Die Kommission des Landtags, die den Fall prüfte, war nicht bereit, die Erweiterung der Landwehr zu bewilligen, ohne daß die Dienstzeit der Infanterie von 3 auf 2 Jahre verringert 197 Vgl. Rischer (1995), S. 40. Die preußische Verfassung von 1850 brachte für das Rechnungs- und Kassenwesen keine einschneidenden Änderungen. Im Kassenwesen ergab sich mit der Verbindung zur Reichsbank eine deutliche Verbesserung, da dadurch die Kassen der zentralen und unteren Ebenen über Girokonten verbunden waren. Dies erleichterte nicht nur die Überweisung von Mitteln zwischen den Kassen, sondern auch die Erhebung von Informationen über den Kontostand der einzelnen Kassen. Vgl. Schwarz (1907), S. 109. 198 Vgl. Friauj (1968), S. 78.

II. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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wurde. Die Regierung zog daraufhin den Gesetzesentwurf zurück und forderte vom Landtag die Bewilligung einer Pauschalsumme, um die notwendigen Maßnahmen zur Kriegsbereitschaft und zur Erhöhung der Heeresstärke zu ergreifen. Die Reaktion der Regierung zeigte, daß die Regierung darauf abstellte, die Heeresreform selbständig durchzuführen, ohne das Parlament an der Entscheidung zu beteiligen. Sie sah die Aufgabe des Landtags lediglich darin, die finanziellen Mittel dafür im Haushalt bereitzustellen. Aufgrund des Konflikts kam für die Jahre 1862 bis 1866 kein Haushalts gesetz zustande. Damit war der Machtkampf eng mit der Frage verknüpft, ob die Regierung dazu berechtigt war, Ausgaben zu leisten, ohne daß ein Haushaltsgesetz verabschiedet worden war. 199 Der Landtag argumentierte, es sei verfassungswidrig, Ausgaben zu tätigen, die vom Parlament abgelehnt worden wären. Die Regierung vertrat zunächst die gleiche Meinung und warnte den König davor, ohne Haushaltsgesetz den Staatshaushalt weiterzuführen. Doch der König ersetzte seinen damaligen Ministerpräsidenten Hohenlohen durch Bismarck, der in dem Streit der Auffassung war, daß die Regierung dazu berechtigt wäre, ohne Haushaltsgesetz zu regieren. Er leitete dieses Recht aus der sogenannten Lückentheorie ab. Laut dieser Theorie bestand in der Verfassung eine Lücke, was das Haushaltsnotrecht beträfe. Vor diesem Hintergrund verstieße es nicht gegen die Verfassung, wenn die Regierung die Staatsausgaben weiter leiste, denn der Staat müßte weitergeführt werden. Die Regierung unter Bismarck führte den Haushalt bis zum Indemnitätsgesetz vom 14. September 1866 ohne Haushaltsgesetz.zoo Das Indemnitätsgesetz beantwortete die Frage nach der Ausgabenhoheit und nach dem Haushaltsnotrecht nicht, sondern besagte lediglich, daß rückblickend die Jahre von 1862 bis 1866 so behandelt werden sollten, als wäre die Verwaltung mit festgestelltem und rechtzeitig veröffentlichtem Staatshaushaltsgesetz geführt worden. 201 Der preußische Konflikt zeigt, welcher Nachteil für die Landtage daraus entstand, daß ihnen kein Steuer-, sondern nur ein Ausgabenbewilligungsrecht zugesprochen worden war. Denn die Regierung war aufgrund der regelmäßig fließenden Einnahmen und der fehlenden Regelung des Haushaltsnotrechts dazu in der Lage, ohne Haushaltsgesetz zu regieren. Es ist zu bezweifeln, ob sie bei einem jährlichen Steuerbewilligungsrecht des Landtages ohne ein geltendes Finanzgesetz weiter Steuern hätte erheben können. Abgesehen vom Druck der öffentlichen Meinung, dem sich die Regierung nicht vollkommen entziehen konnte, hinderte sie nichts daran, ohne Budget199 200 201

Vgl. Kichler (1956), S. 82-89. Vgl. Friauf(1968), S. 237 f. Vgl. Mußgnug (1976), S. 163 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

verabschiedung zu regieren, solange keine zusätzlichen Steuern bewilligt oder Staatsanleihen aufgenommen werden mußten. 202 2. Die Entwicklung des Haushaltswesens im Kurfürstentum Bayern

a) Die Entwicklung von 1640 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

In Bayern war der Kurfürst ursprünglich an die Mitwirkung der Stände gebunden, doch seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war ihr Einfluß stark zurückgegangen. Die ständischen Rechte der Steuerbewilligung sowie der Kontrolle über die Verwendung der Steuern hatten für die Finanzverwaltung des Kurfürsten faktisch keine Bedeutung mehr. 203 Die Gestaltung des Haushaltswesens lag deshalb seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in der Hand des Kurfürsten, der mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, u. a. weil der Umfang der Ausgaben durch die Wahmehmung zusätzlicher Aufgaben stark zugenommen hatte. Der Druck, der durch die finanzielle Notlage entstand, war der Auslöser für Reformen im Haushaltswesen, welche auf eine Steigerung der Einnahmen und auf eine bessere Kontrolle der Finanzverwaltung zielten. Sie bestanden zum großen Teil in Umstrukturierungen der Behördenorganisation sowie in Veränderungen des Rechnungswesens und der Rechnungskontrolle. Alle Reformen waren geprägt durch die im Absolutismus übliche Zentralisierungstendenz, da darin die Lösung für Mängel in der Verwaltung und damit auch in der Finanzverwaltung und dem dazugehörigen Haushaltswesen gesehen wurde. aa) Reformen in der Behördenorganisation Wie bereits in der Untersuchung des bayerischen Haushaltswesens im Spätrnittelalter erläutert wurde, war die Hojkammer die oberste FinanzsteIle des bayerischen Staatshaushalts. 204 Auf unterer Ebene unterstanden ihr die Rentämter in den Provinzen, die wiederum Vorgesetzte der Kasten, Pfleger sowie Maut- und Zollbeamten waren?05 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Bayern Mitte des 17. Jahrhunderts ist in Abbildung 6 dargestellt.

Vgl. Friauj(1968), S. 238. Vgl. Gerbl (1911), S. 93 f. 204 Die Hofkammer gehörte als zentrale Behörde zu den sogenannten Dikasterien genauso wie die Oberlandesregierung, das Kommerz, die Justizbehörde, der Geistliche Rat, das Münz-, Bergwerks- und Forstkollegium sowie der Medizinalrat. Vgl. Valkert (1983), S. 514. 205 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt B.1. 202 203

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

77

Hofkammer (zentrale Finanzverwaltung)

I

Rentämter (Finanzverwaltung der Provinzen)

I

I

Kastner

I

I

Maut- und Zollbeamte

I

I

Pfleger

I

Abbildung 6 Die ürganisationsstruktur der Finanzverwaltung in Bayern in der Mitte des 17. Jahrhunderts

Der Hofkammer wurden 1640 alle Kompetenzen zugeordnet, die mit der kurfürstlichen Kammer in Zusammenhang standen. Sie sollte die Einkünfte der Kammer sichern und steigern sowie alles verhindern, was diesem Ziel schaden könnte. Dies bedeutete nach dem 30jährigen Krieg insbesondere, daß die durch den Krieg verödeten Bauerngüter wieder in Betrieb genommen und der Ausfall an Einkünften wiedergutgemacht werden sollte. Darüber hinaus bekam die Hofkammer die Anweisung, ein Verzeichnis des Domanialbesitzes zu erstellen, um in Erfahrung zu bringen, in welcher Höhe Einnahmen aus den Domänen erwartet werden konnten. 206 Das Geld- und Rechnungswesen gehörte ebenfalls zum Aufgabenbereich der Hofkammer genauso wie die Kontrolle über die Verwaltung der Hofamter sowie der mittleren und unteren Behörden. In der Kontrolle der Hofverwaltung stand die Durchsetzung von mehr Ordnung und Sparsamkeit im Vordergrund. In der Instruktion von 1779 trennte der Kurfürst das Polizei- und Gerichtswesen von den Finanz-, Steuer- sowie Kameralangelegenheiten und gründete die Oberlandesregierung als Polizei- und Justizbehörde. Die Hofkammer als Finanzbehörde wurde sachlich (nach Kameralzuständigkeiten) in 14 Deputationen eingeteilt, doch diese Struktur wurde 1786 wieder aufgegeben, da sie der erwünschten Zentralisierung entgegenwirkte. 207 Als mittlere Behörden unterstanden der Hofkammer die Rentämter. 208 Auch auf mittlerer Ebene vollzog sich die Trennung zwischen Justiz-, Polizei- und Finanzwesen. 209 1776 wurden im Bereich der Kontrolle die Umritte der Rentmeister, die seit einigen Jahrzehnten nicht mehr stattgefunden 206 207 208

Vgl. Schmelzle (1900), S. 135 f. Vgl. von Seydel (1896), S. 27 f. Vgl. zur Entstehung der Rentämter die Ausführungen in Abschnitt B.I.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

hatten, wiedereingeführt. Der Rentmeister sollte seinen Amtskreis innerhalb von drei Jahren bereist und kontrolliert haben. Hierfür wurde ein Fragebogen erstellt, an dem sich der Rentmeister bei der Kontrolle zu orientieren hatte. Wichtigster Punkt war dabei die Einhaltung der Taxordnung. Neben den Umritten sollte der Rentmeister auch eine Kontrolle vom Amtssitz aus auf der Grundlage von Rechnungen und Berichten vornehmen, die ihm von den regionalen Ämtern regelmäßig zugesandt werden sollten. Nach einer Anordnung des Kurfürsten Karl Theodor aus dem Jahr 1779 verdrängte diese Art der Kontrolle vollständig die Kontrolle durch die Umritte. 210 Auf der unteren Ebene fanden sich als regionale Ämter die Kastner, die Pfleger sowie Maut- und Zollbeamte. Der Kastner verwaltete das Kammergut, insbesondere die Erhebung des Gilt- und Zehntgetreides sowie der grundherrlichen Abgaben. Er hatte auch die Bewirtschaftung der Urbare zu beaufsichtigen und jede Besitzveränderung zu erfassen, um Einnahmeausfälle zu verhindern. In seiner Tätigkeit wurde er durch einen Kastengegenschreiber unterstützt, aber auch gleichzeitig kontrolliert,zll Die darüber hinaus verbleibende kamerale Verwaltungstätigkeit (Hof- und Schlossbauökonomie, Küchendienste u. a.) sowie die Gerichtsbarkeit fielen in den Kompetenzbereich des Pflegers,z12 Im Bereich der Pflege oder auch Pfleggerichte lagen die größten Kontrollprobleme. Die Pfleger beuteten das Amt aus, indem sie ihr Einkommen mit illegalen Einnahmen auf Kosten der Untertanen verbesserten. Dies erklärt auch, warum bei der Kontrolle durch die Rentämter der Einhaltung der Taxordnung eine große Bedeutung beigemessen wurde. Zudem verpachteten die Pfleger häufig ihr Amt an sogenannte Pflegverweser, denen ein festes Gehalt zugeteilt wurde. Dies ermöglichte den Hauptpflegern, mehrere Ämter gleichzeitig auszuüben. Da der Adel i. d. R. die wichtigsten und angesehensten Positionen am Hof besetzte, konnte er den Kurfürsten bei der Verteilung der Ämter so beeinflussen, daß ihm die Verwaltung der ertragreichsten Pflegämter zugeordnet wurde. Die oben genannten Pflegverweser bzw. -kommissare wurden dann vom Adel mit der Verwaltung der Pflegämter beauftragt. 213 Das Verhältnis zwischen dem Pfleger und dem Pflegverweser führte zu erheblichen Problemen, da der Pfleger seine Vertreter mit so niedrigen Gehältern bezahlte, daß die Pflegverweser wiederum auch ihr Einkommen durch Nebeneinnahmen aufstockten. Die korrupten Verhältnisse hatten zur 209 Dennoch waren die Rentämter nicht reine Finanzbehörden. Neben dem Gemeinde- und Stiftswesen bei den Städten und Märkten beaufsichtigten sie das Polizeiwesen auf der unteren Ebene. Vgl. Schmelzle (1900), S. 144. 210 Vgl. von Seydel (1896), S. 30-32. 211 Vgl. Schmelzle (1900), S. 145. 212 Vgl. Klotz (1952), S. 60. 213 Vgl. Klotz (1952), S. 167.

Ir. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Konsequenz, daß der Kurfürst keine zusätzlichen Einnahmen vom Pfleger bekam, sondern stattdessen Defizite aufbaute, die mit finanziellen Mitteln vom Hofzahlamt zu decken waren. Karl Theodor versuchte diese Mängel zu beseitigen, indem er die illegalen Einkünfte verbot, die Verpachtung von Pflegämtern abzuschaffen versuchte und mit Strafen bei Zuwiderhandlung drohte. Die Maßnahmen kamen jedoch nie zur Ausführung bzw. zeigten keine Wirkung, so daß sich an der Situation nichts änderte. 214 bb) Reform des Haushaltswesens insb. des Rechnungs- und Kontrollwesens Das Kontrollsystem war von großer Bedeutung für den Kurfürsten, zumal die untergeordneten Behörden und die jeweiligen Kassen nach dem Nettoprinzip lediglich ihre Überschüsse weiterleiteten und in den Rechnungen erfaßten. 215 Bereits seit dem 17. Jahrhundert galten sehr detaillierte Vorschriften für das Rechnungswesen und die Rechnungskontrolle, an die sich die Ämter und Kassen auf allen Ebenen zu halten hatten. Die Pfleggerichte führten ein Tag- und Aufschreibbuch (Journal) und ein Hauptmanual. Im Journal wurden alle Geldeinnahmen und -ausgaben in chronologischer Reihenfolge erfaßt, eine sachliche Einteilung war für das Journal nicht vorgesehen. Es wurde ein wöchentlicher Kassensturz durchgeführt, um den Saldo der Kasse festzustellen. Am letzten Tag jeden Monats fand ein Rechnungsabschluß für das Journal statt, von den Monatseinträgen wurde eine Abschrift angefertigt, die bei den Rentämtern eingereicht wurde (die Monatsabschlüsse aus München wurden direkt bei der Hofkarnmer abgeliefert). Das Hauptmanual diente der systematischen Buchführung. Die Einnahmen und Ausgaben aus dem Journal wurden nach Rechnungstiteln sortiert ins Hauptmanual eingetragen. Jedes Jahr fand eine Überprüfung auf Übereinstimmung der Angaben im Hauptmanual mit den Endziffern im Journal statt. Außerdem wurden die Ausgabe- und Einnahmeposten um die Differenz der Beträge zum VOljahr ergänzt. Da kein Voranschlag gemacht wurde, mußten die Daten des VOljahrs als Ersatz für einen Soll-Ist-Vergleich dienen. 216 Jedem Beamten wurde zur Kontrolle ein Nebenbeamter zugeordnet, i. d. R. ein Gegenschreiber. Neben dieser persönlichen Kontrolle hatten die unteren Behörden beim Rentamt, das für ihren Bezirk zuständig war, Rechnung abzulegen. Dies bedeutete anfangs, daß ein persönliches Erscheinen des Beamten (des Pflegers, Kastners, Zoll- oder Mautbeamten) erforderlich 214 215 216

Vgl. Schmelzle (1900), S. 148. Vgl. Ullmann (1986a), S. 50 f. Vgl. Kraus (1925), S. 29 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Hausha1tsrechts

war, später war eine Vertretung durch einen Bevollmächtigten erlaubt. Zur Rechnungsaufnahme wurde vom Rentamt ein Kollegialmitglied der Hofkammer als Rechnungskommissar ernannt. Vom Rechnungskommissar bzw. -aufnehmer wurde eine Zusammenstellung des Endergebnisses der Rechnungen, ein sogenanntes Skartekel, angefertigt. 217 Dieses war Grundlage für die Abrechnung mit der übergeordneten Kasse. Sobald die Abrechnung abgeschlossen und die Überschüsse an die Kasse weitergeleitet worden waren, bekam der Rechnungsführer eine Hauptquittung und wurde entlastet. Die Rechnungsaufnahme auf der unteren Ebene mußte bis Ende März abgeschlossen sein. Diejenigen Beamten, die ihre Rechnungen nicht rechtzeitig ablieferten, wurden fristlos entlassen. Nach der sogenannten primären Revision der unteren Ebene erfolgte eine Superrevision durch die Hofkammer auf der Grundlage der Rechnungen der Rentämter, die bis Juni abgeschlossen sein mußte. Der Rentmeister mußte persönlich bei der Hofkammer vorsprechen und die Unterlagen vorlegen. Die unteren Ämter konnten dabei nur oberflächlich kontrolliert werden, da die Belege der Rechnungen der Hofkammer nicht vorlagen. Auch die Hofkammer erstellte ein Skartekel mit den Kameraleinnahmen und -ausgaben?18 Das oben beschriebene Rechnungs- und Kontrollsystem bewährte sich, solange Rechnungskomrnissare von der Hofkammer zur Rechnungsaufnahme entsandt wurden, die Rechnung ablegenden Beamten persönlich erscheinen mußten und die Rechnungen vor Anfertigung des Skartekels korrigiert wurden. Die Abschaffung dieser drei Regelungen hatte zur Folge, daß viele Beamten die Zustellung von Rechnungen verzögerten und die Hauptkassen bei der Abrechnung mit den Beamten willkürlich vorgingen, da ihnen die schriftlichen Belege fehlten. Die Anreize zu einer korrekten Rechnungsführung waren gering, denn Fehler oder Unregelmäßigkeiten wurden erst nach Abschluß der vollständigen Rechnungsprüfung aufgedeckt. Die Kontrolle büßte durch die genannten Mängel an Effektivität ein und war dem Problem der zunehmenden Korruption nicht gewachsen?19 Neben der unzulänglichen Kontrolle erschwerten weitere Mängel einen Ausgleich der Ausgaben und Einnahmen im Haushaltswesen. Solange nicht vollständige Informationen über die Ausgaben und Einnahmen vorlagen, konnte sich der Kurfürst keinen Überblick über die finanzielle Lage verschaffen. Es fehlten z. B. die Informationen über die landschaftliche Verwaltung und über einige Fonds, die weder in den Haushaltsplan noch in die Haushaltsrechnung integriert waren. 220 Ein weiteres Problem lag darin, daß 217 218 219 220

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Klotz (1952), S. 166 f. Kraus (1925), S. 33 f. Klotz (1952), S. 166 f. Rauh (1988), S. 188 f.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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die Ausgaben im Etat keinen verbindlichen Charakter hatten, was nicht nur die Kontrolle erschwerte, sondern auch konsequente Sparmaßnahmen verhinderte, da nicht sichergestellt war, daß die Kürzungen im Etat eingehalten wurden. Die Ausgaben wiesen v. a. im Bereich der Militärausgaben starke Schwankungen auf. Die Folge all dieser Mängel war, daß sich die finanzielle Lage nicht verbesserte?21 b) Die Entwicklung des Haushaltswesens von 1799 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts Die weitere Entwicklung des Haushaltswesens in Bayern um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war durch den Regierungsantritt des Kurfürsten Max Joseph IV. und seines Staatsministers Maximilian von Montgelas 222 geprägt. Letzterer leitete im Zeichen der Aufklärung eine Reformepoche der Verwaltung der kurpfalz-bayerischen Staaten ein. 223 Die Reformen wurden insb. durch die Vereinigung der altbayerischen Gebiete im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses mit Erwerbungsgebieten in Schwaben, Franken, Tirol, Salzburg und Österreich, zu denen 1805/06 weitere Gebiete (z. B. Ansbach sowie die Fürstentümer Passau und Eichstätt) hinzukamen, notwendig. Die Erweiterung des Kurfürstentums (seit 1806 Königreichs) Bayern stellte an die zentrale Verwaltung und an das Haushaltswesen neue Herausforderungen. Im Vordergrund stand dabei die Integration der neu erworbenen Gebiete und die Schaffung eines einheitlichen Staatsgebietes. 224

221 Vgl. Ullmann (1986a), S. 50 f. Eine ausführliche Untersuchung der Verschuldung Bayerns Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Vgl. dazu die Werke von Ullmann (1986a und 1986b). 222 Montgelas (1759-1838) ist 1779 in den bayerischen Staatsdienst eingetreten. Er verließ 1786 München, da bekannt wurde, daß er dem Illuminatenorden beigetreten war, deswegen in kurfürstliche Ungnade fiel und keine Aussicht auf eine Besoldung und eine Beförderung hatte. 1795 trat er in den Dienst des damaligen Herzogs Max von Zweibrücken, des späteren Kurfürsten von Bayern. Montgelas hatte den Vorteil, daß er durch seine Erfahrungen im bayerischen Staatsdienst die Verwaltung sehr gut kannte und bereits vor dem Regierungsantritt Refonnüberlegungen anstellte. Vgl. Weis (1963), S. 59 ff. Der Illuminatenorden war ein 1776 von Adam Weishaupt gegründeter geheimer Orden, der zum Ziel hatte, die Gesellschaft und die Kirche nach den Grundsätzen der Aufklärung umzugestalten. Der Illuminatenorden wurde 1785 vom bayerischen Kurfürsten Karl Theodor verboten. Vgl. Brockhaus Enzyklopädie (1970), S. 9. 223 Vgl. Volkert (1983), S. 506. 224 Vgl. Volkert (1983), S. 507. 6 Struhe

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

aa) Refonnen in der Behördenorganisation In der Behördenorganisation sah Montgelas den dringendsten Refonnbedarf zunächst auf zentraler Ebene, wo er die Einrichtung einer Ministerialordnung vennißte. Die Refonnpläne Montgelas standen insofern unter französischem Einfluß, als daß er eine strenge Ressorttrennung forderte. Er distanzierte sich jedoch deutlich vom französischen Vorbild eines Ministerialsystems, indem er eine Institution wie das preußische Generaldirektorium vorzog?25 Montgelas begann 1799 seine Refonn mit der Einrichtung eines Ministeriums 226 , das in vier Departements (auswärtige Angelegenheiten, Finanzen, Justiz und geistliche Angelegenheiten) eingeteilt wurde. Da das Ministerium 1799 noch nicht in der Lage war, die Einzelaufgaben der zentralen Verwaltung vollständig zu übernehmen, wurde die Generallandesdirektion, welche die Aufgaben eines Großteils der zentralen Behörden übernehmen sollte, eingerichtet. Die Hofkammer wurde als zentrale Finanzbehörde wie einige andere Dikasterien 227 im Zuge dieser Refonn aufgehoben, so daß die zentrale Finanzverwaltung in den Tätigkeitsbereich der Generallandesdirektion integriert wurde. Langfristig war die Generallandesdirektion jedoch als mittlere Behörde geplant, was 1806 auch realisiert wurde. Das Ministerium übernahm danach die Leitung aller zentralen Verwaltungsaufgaben, das Departement für Finanzen die Aufgaben der Finanzverwaltung. 228 Die Generallandesdirektion wurde in eine Provinziallandesdirektion für Altbayern umgewandelt, die den Provinziallandesdirektionen der anderen Gebiete nicht mehr übergeordnet sondern gleichgestellt war. 229 Die bisherigen Behörden auf mittlerer Ebene in Altbayern, die vier Rentämter, wurden bereits 1802 aufgehoben. Sie sollten durch vier Landeskommissarien ersetzt werden, welche in einer dem seit längerem abgeschafften Rentmeister ähnlichen Funktion tätig werden sollten. Die LandeskommisVgl. Knemeyer (1970), S. 197. Bis dahin hatte es lediglich ein beratendes Gremium in Form der Geheimen Konferenz gegeben. Die zentralen Verwaltungsaufgaben wurden jedoch von verschiedenen ZentralstelIen wie dem Hofrat, der Hofkammer, dem Geistlichen Rat, der Oberlandesregierung wahrgenommen. Diese arbeiteten aufgrund der sich überschneidenden Sachkompetenzen ineffizient und schwerfallig. Vgl. Volkert (1983), S.512. 227 Zu den sogenannten Dikasterien gehörten die Oberlandesregierung, die Hofkammer, das Kommerz, das Münz-, Bergwerks- und Forstkollegium, der Medizinalrat, die Justizbehörde und der Geistliche Rat. Nur die letzten beiden blieben nach der Reform bestehen. Vgl. Volkert (1983), S. 514. 228 Vgl. Kraus (1925), S. 39 f. 229 Für die Oberpfalz wurde die Landesdirektion in Amberg eingerichtet. Außerdem entstanden Landesdirektionen in Neuburg, in Würzburg und Bamberg (für die Erwerbungsgebiete in Franken) sowie in DIrn (für die Provinz Schwaben). Vgl. Volkert (1983), S. 514. 225

226

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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säre sollten ständige Visitationskommissäre sein, die nicht nur das Kassenund Rechnungswesen der unteren Behörden überwachen, sondern auch die übrigen Verwaltungsgeschäfte kontrollieren sollten. Die vier Landeskommissarien sind jedoch nie erfolgreich eingeführt worden. 230 Ein Grund dafür liegt vennutlich in den Widerständen höherer Verwaltungsbehörden, die sich durch eine von ihnen unabhängige Kontrollinstanz in ihrer Kompetenz angegriffen fühlten. 231 Die Verantwortung für die Finanzverwaltung und in diesem Zusammenhang für das Haushalts-, Rechnungs- und Kassenwesen wurde auf die Präsidenten der Provinziallandesdirektionen, die Generallandeskommissäre übertragen. Sie sollten u. a. für den pünktlichen Eingang der Staatseinnahmen, für die Einhaltung der vorgesehenen Ausgaben und für die Einhaltung der Rechnungsvorschriften sorgen. Neben der Erstellung der Provinzialetats, auf die später noch näher eingegangen wird, hatte der Generallandeskommissär außerdem die Rechnungsprüfung durchzuführen. Die Rechnungen sollten mit dem Etat verglichen und Abweichungen für das Finanzministerium kritisch vennerkt und kommentiert werden?32 Die Behördenorganisation wurde zunehmend unübersichtlicher, da zu den 7 Provinzen, die von den Landesdirektionen verwaltet wurden, weitere Erwerbungsgebiete hinzutraten. Hinzu kamen die Kompetenzüberschneidungen zwischen den Tätigkeitsbereichen der Landesdirektionen und der Ministerialdepartements. Diese Probleme wurden 1808 durch eine neue Gebietseinteilung in Kreise 233 gelöst, für deren Finanzverwaltung die Kreisjinanzdirektionen als Nachfolger der Generallandeskommissäre eingerichtet wurden. 234 Auf unterer Ebene vollzog sich 1802 in den Landgerichten die Trennung zwischen den Justiz- und Polizeiaufgaben und der Finanzverwaltung. Erstere verblieben im Zuständigkeitsbereich der Pfleg- bzw. Landgerichte, für letztere wurden Rentämter eingerichtet?35 Die beiden Behörden arbeiteten unabhängig voneinander. Sie mußten sich lediglich gegenseitig in ihrer Tätigkeit kontrollieren. Das Landgericht führte den Kassen- und Materialsturz beim Rentamt durch, das Rentamt prüfte die Einnahmen beim Landgericht. Diese Rentamtsorganisation blieb bis 1903 in ihren Grundzügen erhalten. Vgl. Klotz (1952), S. 63. Vgl. Kraus (1925), S. 38. 232 Vgl. Kraus (1925), S. 50 f. 233 Die Einteilung der Gebiete in Kreise erfolgte unabhängig von geschichtlich gewachsenen Verhältnissen. Die neuen Kreise sollten der gesamtstaatlichen Integration dienen, so daß auf historisch-geographische Gegebenheiten keine Rücksicht genommen wurde. Vgl. Volkm (1983), S. 524. 234 Vgl. Klotz (1952), S. 64 f. 235 Vgl. Volkerf (1983), S. 533 f. 230

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Eine wichtige Neuerung, die zwar nicht unmittelbar mit der Behördenorganisation zusammenhing, die aber für die Bekämpfung der oben beschriebenen Korruptionsprobleme von Bedeutung war, stellte die Einführung einer festen Besoldung für die Beamten dar. Den Beamten wurde verboten, ihr Einkommen durch die Erhebung von zusätzlichen Taxen für ihre Leistung aufzustocken. Solche Einnahmen mußten in die Staatskasse abgeführt werden?36 Die Organisations struktur der Finanzverwaltung nach den Reformen Anfang des 19. Jahrhunderts ist in Abbildung 7 dargestellt.

Departement für Finanzen im Ministerium (zentrale Finanzverwaltung) seit 1812 mit Oberstem Rechnungshof als abhängige Behörde

Kreisfinanzdirektionen (Finanzverwaltung in den Kreisen)

Rentämter (lokale Finanzverwaltung) Abbildung 7 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Bayern nach den Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts

bb) Reformen des Haushaltswesens insb. des Rechnungs- und Kontrollwesens Durch die Reformen der Behördenorganisation entstand im Rechnungswesen und in der Rechnungskontrolle ebenfalls Reformbedarf. Das Departement für Finanzen im Ministerium hatte die Auflage bekommen, für einen ausgeglichenen Haushalt des Staates zu sorgen. Dies sollte durch die Verordnung vom 9. September 1803 mit grundlegenden Bestimmungen zur Erstellung des Finanzetats erreicht werden. Danach war vorgesehen, daß jede Provinz einen eigenen Provinzialetat erstellt. Dieser Etat war auf der Einnahmenseite in drei Gruppen - die Auflagen, Regalien und Staatsgüter 236

Vgl. Kraus (1925), S. 41 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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(Domanialerträge) - und auf der Ausgabenseite in vier Gruppen - die Besoldungen, Pensionen, Provinzialregieausgaben und den Provinzialschuldenstand - zu gliedern. Diese Hauptteile des Provinzialetats sollten dann weiter unterteilt werden. Hinzu kamen Spezialetats für gesonderte Bereiche wie z. B. höhere Bildungsinstitute, Wissenschaften und Künste oder auch Wohltätigkeitsanstalten. Die Hauptteile der Einnahmen und Ausgaben und die Spezialetats bildeten die Hauptübersicht über den Provinzialetat. 237 Bis zum 1. November jedes Jahres mußten die Provinzialetats an das Finanzministerium weitergereicht werden. Dort wurden sie vom Zentralrechnungskommissariat, das im Zuge der Reorganisation der Behörden als Teil des Finanzministeriums für die Rechnungsprüfung gegründet wurde, geprüft. 238 Die Einnahmeüberschüsse der Provinzen bildeten die Haupteinnahmequelle der Zentralstaatskasse und dienten der Finanzierung der Ausgaben für den Hofhaushalt, die Ministerien, das Militär und den allgemeinen Schuldendienst. Diese Ausgabengruppen bestimmten die Gliederung des Haushaltsplans der Zentralstaatskasse. Sie wurden ergänzt durch Spezialetats, welche die Grundlage für die einzelnen Ausgaben der verschiedenen Gruppen bildeten. Diese Spezialetats, die von den weiter oben genannten Spezialetats für die gesonderten Bereiche zu unterscheiden sind, wurden vom Kurfürst und vom Finanzminister unterzeichnet und sollten als verbindliche Ansätze für die ausführenden Behörden dienen. 239 Sie sollten also gewährleisten, daß keine unvorhergesehenen Ausgabesteigerungen oder keine Abweichungen von den im Etat enthaltenen Vorgaben vorkamen?40 Die Überschüsse aus der Zentral staatskasse sollten in eine Generaldispositionskasse als Reservefonds abgeführt werden. Die Generaldispositionskasse sollte zum einen dem Ausgleich von zeitlichen Schwankungen in der Verteilung der Ausgaben und Einnahmen dienen. Zum anderen konnte sie zur Deckung außerordentlicher Ausgaben herangezogen werden. Die Zusammenstellung aus den Provinzialetats, dem Etat der Zentralstaatskasse und dem Etat der Generaldispositionskasse ergab den Universaljinanzetat. Er wurde das erste Mal für das Jahr 1804 erstellt und kann als der erste Haushalts voranschlag von Bayern angesehen werden, der nach festen Regeln erfolgte?41 Für die Erstellung der Etats waren sämtliche ordentlichen Ausgaben und Einnahmen aufzuführen; die Erhebungs-, Verwaltungs- und Betriebskosten wurden getrennt ausgewiesen. Das Bruttoprinzip hatte damit das Nettoprinzip ersetzt, wobei im Universalfinanzetat zunächst weiterhin nur die End237 238 239 240 241

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Lassen (1911), S. 19.

Kraus (1925), S. 43 f. Kraus (1925), S. 43 f. Kummer (1964), S. 4. Ullmann (1986a), S. 138 f.

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ergebnisse (also die Überschüsse oder Defizite) aus den Provinzialetats eingetragen wurden. Erst der Universalfinanzetat von 1808/09 enthielt sämtliche Ausgaben und Einnahmen der Provinzialetats und davon getrennt auch die Verwaltungs- und Erhebungskosten. 242 In der Verordnung von 1803 waren außerdem Grundsätze vorgeschrieben, welche die Regelung der Verschuldung betrafen. Nach diesen Grundsätzen waren Defizite im laufenden Haushalt, die also im Vollzug des Haushaltsplans entstanden, nicht über die Aufnahme von Darlehen oder Anleihen zu finanzieren. Sie sollten durch Kürzung von Ausgaben, durch mehr Sparsamkeit im Sinne von Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung oder auch durch eine Steigerung der Einnahmen243 finanziert werden. Außerordentliche Ausgaben sollten nicht durch ordentliche Einnahmen sondern durch den Reservefonds oder durch außerordentliche Einnahmen gedeckt werden. Der Verordnung über die Erstellung von Finanzetats folgte eine Verfügung, in welcher der Kurfürst dem Vorschlag Montgelas folgte und auf den Erlaß von Kabinettsordres verzichtete. Letztere führten i. d. R. dazu, daß die Voranschläge und Berechnungen der Behörden nicht eingehalten wurden und somit an Aussagekraft verloren, was als sehr lästig empfunden wurde. Der Kurfürst willigte auch in die Vereinigung seiner privaten Kabinettskasse mit der Staatskasse ein, was bedingte, daß der Kurfürst zur Finanzierung seiner persönlichen Ausgaben ein festes monatliches Gehalt bekam. 244 Im Haushaltsvollzug versuchte der Finanzminister Hompetsch 1808, durch eine Zentralisierung des Anweisungsrechts eine strikte Einhaltung der Ausgabenansätze zu erreichen. Er konnte jedoch nur bis zur mittleren Ebene durchgreifen, da für eine Beschneidung der Kompetenzen auf unterster Ebene (also der Rentämter) nicht genügend Personal verfügbar war. Mit der Verordnung von 1803 wurde die Erstellung einer Gesamthaushaltsrechnung (des sogenannten Universaljinanzkonspektes) vorgeschrieben und somit die Voraussetzung für einen Soll-Ist-Vergleich in der Kontrolle geschaffen. Gleichzeitig bildete der Universalfinanzkonspekt die Grundlage für den Haushaltsplan der darauffolgenden Finanzperiode. Die Haushaltskontrolle bestand in einer Revision auf mittlerer Ebene durch die Generallandeskommissariate, bei denen zu diesem Zweck Rechnungskommissariate eingerichtet wurden. Später übernahmen die Kreisfinanzdirektionen als Vgl. Ullmann (l986a), S. 140. Eine Steigerung der Einnahmen sollte allerdings nur erfolgen, wenn dies ohne eine zu starke Belastung der Wirtschaft möglich war. Es wird von einer drucklosen Vermehrung der Einnahmen gesprochen, jedoch ohne daß konkretisiert wird, wann die Grenze zu einer übermäßigen Belastung überschritten wird. 244 Vgl. Kraus (1925), 48 f. Diese Entwicklung ist auch im Zusammenhang mit der Verstaatlichung des Kammerguts zu sehen, auf die zu Beginn des Abschnitts hingewiesen wurde. 242 243

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Nachfolger der Generallandeskommissariate die Revision. Auf zentraler Ebene wurde ein geheimes Zentralrechnungskommissariat eingerichtet, das sowohl die Rechnungen der Rentämter als auch die der Provinzialhaupt-, Generaldispositions-, Militärhaupt- und Zentral staatskasse prüfte. Dieses Kommissariat bildete eine Abteilung des Finanzministeriums. Es führte also keine unabhängige Kontrolle durch, sondern war dem Finanzministerium untergeordnet. 1812 wurde der Oberste Rechnungshof gegründet, dem 1826 die Rechnungskammer bzw. das Zentralrechnungskommissariat untergeordnet wurde. Letztere sollten für die Rechnungsrevision zuständig sein, damit der Oberste Rechnungshof seinen Aufgaben als Superrevisionsbehörde besser nachkommen konnte und nicht mit Detailaufgaben belastet wurde. 245

Bei der Bewertung der Reformen ist nicht nur auf die Reformpläne einzugehen, sondern auch zu berücksichtigen, ob deren Umsetzung erfolgreich war. Denn die im Zuge der Reformen eingeführten Vorschriften enthielten Ansätze zur Realisierung der Budgetfunktionen, aber vor allem beim Vollzug und bei der Kontrolle erwies sich die Durchführung der Reformen als problematisch. In Hinblick auf einen Haushaltsausgleich stellte die Einführung von Etats, die angestrebte Einheit des Etats und die Realisierung des Bruttoprinzips eine wichtige Verbesserung dar. Die Etats entsprachen zwar keiner echten Haushaltsplanung, da keine Ausgaben und Einnahmen geschätzt, sondern Ist-Daten aus dem vergangenen Jahr herangezogen wurden. Aber sie lieferten Anhaltspunkte, um frühzeitig einen Überblick über die finanzielle Lage zu bekommen. Die Einheit der Etats litt darunter, daß der Hauptetat von den Spezialetats - für die oben genannten gesonderten Bereiche - ergänzt wurde, die bei einer Durchsetzung des Einheitsprinzips in den Hauptetat hätten integriert werden müssen. Dennoch sind die Spezialetats aus ökonomischer Sicht nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, denn sie stellten eine Fortführung des Fondsprinzips mit einer zentralen Kontrolle dar?46 Nicht nur die Spezialetats stellten eine Ausnahme des Einheitsprinzips dar, auch die Landschaftsverwaltung (die ständische Steuerverwaltung) war nicht in den Haushaltsplan integriert. Sie wurde 1807 vom Kurfürsten aufgehoben mit der Begründung, daß die Erhebungskosten zu hoch und eine getrennte Verwaltung einzelner Steuergelder überflüssig sei. Die landschaftliche VerwalVgl. Köstler (1972), S. 8 f. In Abschnitt B.1. wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Fondssystem ökonomisch gesehen durchaus sinnvoll sein kann. Problematisch wären die Spezialetats gewesen, wenn sie einer Kontrolle entzogen worden wären und die im Fondsprinzip vorgesehene Zweckbindung beseitigt worden wäre. 245

246

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

tung bot aus seiner Sicht lediglich Möglichkeiten zum Mißbrauch, da sich die landschaftlichen Kassen seiner Rechnungsaufsicht entzogen?47 Trotz der verbleibenden Mängel hätte die Erfüllung der oben genannten Grundsätze und Regeln die tatsächliche Realisierung eines ausgeglichenen Haushalts unterstützen können. Die Umsetzung der Vorschriften erwies sich jedoch als ausgesprochen lückenhaft. Der Haushaltsvollzug krankte daran, daß die Zentralstaatskasse durch die neuen Aufgaben, die das Anweisungsund Abrechnungsverfahren an sie stellte, personell, organisatorisch sowie von ihrer Geschäftserfahrung her überfordert war?48 Zudem wurden die Rechnungen sehr verspätet oder gar nicht eingereicht, so daß im Finanzministerium und später auch in den Kreisverwaltungen sogenannte Retardatenjustifikationsbüros eingerichtet wurden, die für die Eintreibung und Bearbeitung der rückständigen Rechnungen zuständig waren. Außerdem wurden zahlreiche Normen verabschiedet, um die Rückstände in den Rechnungen zu beseitigen. Doch gerade die Einführung vieler neuer Normen stellte ein weiteres Problem dar. Aufgrund der Heterogenität der verschiedenen Regionen war das Finanzwesen mit vielen verschiedenen Steuern bzw. Auflagen ohnehin schon sehr unübersichtlich. Die vielen Veränderungen im Haushaltswesen bargen die Gefahr, die Beamten zu überfordern?49 Bei der Verwaltung der Steuern erscheint dieses Argument als Begründung für Mängel in der Verwaltung einleuchtend. Die Probleme im Rechnungswesen lassen jedoch vermuten, daß die Anreizstruktur in der Behördenorganisation den Anforderungen nicht gerecht wurde, denn die Regeln für das Rechnungswesen waren durch die Reform von 1803 vereinfacht und eindeutig festgelegt worden. Sie kamen nur nicht zur Anwendung. An äußerlichen Umständen kam hinzu, daß Bayern durch Kriege finanziell geschwächt war, was das Ungleichgewicht im Haushalt und damit die Verschuldung verstärkte. Dies veranlaßte 1811 ein vom Kurfürsten eingesetztes Finanzkomitee vorzuschlagen, daß eine Staatsschuldentilgungskasse, die nach kaufmännischen Prinzipien geführt werden sollte, gebildet würde, um eine grundsätzliche Trennung der laufenden Verwaltung von der Verschuldung zu erreichen. Auch hier wurde eine Reform durchgeführt, ohne daß sie den erwarteten Erfolg zeigte, da die Verschuldung sich weder verringerte noch stabilisierte. 25o Die Trennung der Schuldenverwaltung von der laufenden Haushaltsführung hatte aber den Vorteil, daß der weiterhin bestehende dringende Reformbedarf im Haushaltswesen der laufenden Verwaltung noch deutlicher zum Vorschein kam und der Reformdruck stieg?51 247 248 249 250 251

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kraus (1925), S. 57.

Ullmann (1986a), S. 142 ff.

Klotz (1952), S. 168 ff. Lassen (1911), S. 25 f.

Ullmann (1986a), S. 452 ff.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Die Durchsetzung einer wirtschaftlichen Verwaltungsführung wurde durch die oben genannten Probleme erschwert. Die getrennte Aufführung von Erhebungs- und Verwaltungskosten im Etat und in den Rechnungsübersichten hätte mehr Anhaltspunkte für eine Beurteilung der Effizienz in der Verwaltung geben können. Dies wurde aber durch die Mängel im Rechnungswesen verhindert. Die Unzufriedenheit über die unzureichende Erfüllung der Wirtschaftlichkeitsfunktion wird darin deutlich, daß der König 1825 eine Sparkommission bildete, die Vorschläge zur Senkung der Ausgaben im Staatshaushalt und zur Vereinfachung der Verwaltungsorganisation erarbeiten sollte. Die Folge waren einige königliche Verordnungen mit der Anweisung, bestimmte Ämter aufzulösen oder umzuorganisieren. 252 Es blieb bei diesen Kürzungsmaßnahmen. Da auf die Probleme in der Kontrolle im Rahmen der vorhergehenden Erläuterungen bereits eingegangen wurde, kann an dieser Stelle darauf verzichtet werden. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß das Haushaltswesen in Bayern Anfang des 19. Jahrhunderts den Budgetfunktionen nicht gerecht wurde. c) Der Kampf um das Ausgabenbewilligungsrecht

Auf politischer Ebene zeichnete sich ab, daß sich die Regierung Bayerns nicht länger gegen eine Beteiligung der Volksvertretung am Budget wehren konnte. Die Verfassung von 1808 hatte als Nachfolge für die Stände eine Nationalrepräsentation vorgesehen, welche aber nie realisiert wurde. Erst nachdem die napoleonischen Kriege überwunden waren, kam es zur Einführung einer konstitutionellen Verfassung?53 Die Verfassung von 1808 hatte bereits die Verpflichtung der Allgemeinheit zur Beteiligung an den Staatslasten ausgesprochen und damit die Aufhebung der Steuerprivilegien der ständischen Herren zur Folge gehabt. Die Verfassung von 1818 griff zwar die ständische Tradition in dem Sinne auf, daß die Rechte der Volksvertretung am Steuerbewilligungsrecht anknüpften?54 Sie wies aber deutliche Unterschiede zur ständischen Verfassung auf, da nicht nur die allgemeine Verpflichtung zur Zahlung von Steuern eingeführt wurde, sondern den Ständen zudem verboten wurde, die Genehmigung von Steuern an Bedingungen zu knüpfen?55 Die neuen Stände setzten sich zudem anders zusammen als im

253

Vgl. Köstler (1972), S. 5 ff. Vgl. Eyennann (1933), S. 24.

255

Vgl. Lang (1930), S. 61 f.

252

254 Darin unterschieden sich die süddeutschen Staaten von Preußen, denn dort begründete sich das Budgetrecht seit 1850 (in Anlehnung an das französisch/belgische Budgetrecht) auf dem Ausgabenbewilligungsrecht, das im Rahmen eines Budgetgesetzes jährlich verabschiedet wurde.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

herkömmlichen Ständestaat. Es wurde ein Landtag aus zwei Kammern gebildet, von denen die 1. Kammer aristokratisch besetzt war und die 2. Kammer mehr den Charakter einer demokratischen Volksvertretung hatte. Die Abgabenerhebung wurde im Rahmen eines Sonderverfahrens verabschiedet, in dem die 2. Kammer Vorrang und sachliche Vorrechte gegenüber der 1. Kammer hatte. 256 Die Rechte des Landtags beschränkten sich auf die Steuerbewilligung. Damit fehlte ein parlamentarisches Ausgabenbewilligungsrecht. Die Feststellung des Haushaltsplans war also allein Sache der Regierung und stellte einen Verwaltungsakt dar. Das Parlament wurde erst herangezogen, wenn es darum ging, den Haushaltsvollzug zu ermöglichen, und dann auch nur, wenn die Regierung zur Deckung der Ausgaben auf direkte oder auf die Einführung neuer indirekter Steuern angewiesen war. Das Finanzgesetz war aus budgetrechtlicher Sicht laut Heckel ein Budgetvollzugsgesetz. Der Landtag war bei der Genehmigung von Steuern nicht an die Schätzungen der Regierung gebunden, sondern konnte die Einnahmepositionen im Finanzgesetz erhöhen oder senken. Er stieß jedoch dort an Grenzen, wo Ausgaben gesetzlich bzw. rechtlich vorgeschrieben und damit für die Regierung verbindlich waren?57 Genausowenig wie ein Ausgabenbewilligungsrecht hatte der Landtag einen Anspruch auf eine förmliche Haushaltskontrolle. Sofern es für die Genehmigung von Steuern notwendig war, wurde dem Landtag die Haushaltsrechnung überreicht. Doch die Regierung mußte nicht entlastet werden, und falls dem Landtag Abweichungen oder Unregelmäßigkeiten auffielen, verfügte er nur über wenig wirksame oder aussichtsreiche Sanktionsmechanismen wie die ständische Beschwerde, die Ministeranklage oder die Erhebung des Verfassungskonflikts. 258 Das Budgetrecht blieb in Bayern in der Form, wie es 1818 eingeführt wurde, ein Jahrhundert erhalten. Dennoch kam es zwischen den beiden Kammern und dem Kurfürsten und seiner Regierung zu Konflikten, bei denen die Kammern versuchten, ihre Position im Ausgabenbewilligungsrecht sowie in der Budgetkontrolle zu stärken. Die wichtigsten Konflikte und das Verfassungsverständnis von 1843, welches zwischen den Konfliktparteien ausgehandelt wurde, sollen im folgenden erläutert werden. Denn obwohl das Budgetrecht an sich nicht geändert wurde, hat das Verfassungverständnis zu Veränderungen in der Umsetzung des Haushaltsrechts geführt. Dies ist sicherlich mit ein Grund dafür, daß in Bayern im Gegensatz

256 257 258

Vgl. Heckel (1932), S. 361 f. Vgl. Heckel (1932), S. 363 f. Vgl. Heckel (1932), S. 363.

II. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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zu anderen süddeutschen Staaten das Budgetrecht flÜhkonstitutionellen Charakters erhalten blieb. 259 Der Kampf der Volksvertretungen um das Ausgabenbewilligungsrecht ist mit der Diskussion um die rechtliche Rolle des Budgets verbunden, speziell darum, ob der Haushaltsplan ein formelles Gesetz darstellt oder nicht. Dies ist nicht nur für den Einfluß der Stände auf die Entscheidungen über die geplanten Ausgaben von Bedeutung, sondern hat auch Auswirkungen auf die Verbindlichkeit des Haushaltsplans für die Regierung und damit auf die Budgetkontrolle auf der Grundlage des Haushaltsplans. In Bayern wurde den Kammern ein Budget vorgelegt, das für die Entscheidung über die Steuerbewilligung als Beurteilungsbasis dienen sollte. Die Erstellung des Haushaltsplans wurde von Seiten des Königs und seiner Regierung als Verwaltungsakt angesehen und die Informationen nur deswegen an die Kammern weitergegeben, weil die Genehmigung der Erhebung von Steuern nur sinnvoll war, wenn Informationen über den Umfang der notwendigen finanziellen Mittel vorhanden waren und wenn überplÜft wurde, ob die Mittel verfassungsmäßig verwendet wurden. Die Zustimmung der Stände wurde bei der Erhebung aller direkten sowie neuer indirekten Steuern eingeholt, wobei die direkten Steuern für 6 Jahre genehmigt wurden. Es wurde eine Abrechnung der durchgeführten Ausgaben vorgelegt?60 Im Jahr 1825 verlangte die 2. Kammer die Vorlage eines Rechnungsgesetzes. Diese Forderung wurde von der 1. Kammer jedoch nicht unterstützt, so daß die Regierung letztendlich kein Gesetz vorlegte, aber als Zugeständnis eine Rechnungskontrolle durch Verordnung anordnete. 261 1831 es kam nach der Prüfung der Generalfinanzrechnungen von 1826/27 und 1828/29 zu einem Streit zwischen der Regierung und der 2. Kammer, der dadurch ausgelöst wurde, daß verschiedene Ausgabeposten nicht mit dem Haushaltsplan und dem Finanzgesetz übereinstimmten. Die 2. Kammer kritisierte außerdem Vorgriffe auf das darauffolgende Rechnungsjahr und die Übertragung von Mitteln zwischen Ausgabegruppen (es ging insb. um die Deckung einer Überschreitung der geplanten Ausgaben durch anderweitige Einsparungen). Die 1. Kammer vermied den Konflikt mit der Regierung, so daß es nicht zu einem offenen Streit kam. Der König hielt das Verhalten der 2. Kammer ohnehin für unzulässig. 262 259 In den anderen Staaten gerieten die Regierungen durch die zunehmende Bedeutung der Steuerbewilligung für die Staatswirtschaft so stark unter Druck, daß sie schließlich im Zuge der Revolution von 1848 das Ausgabenbewilligungsrecht einführten. Darauf wird im Rahmen der Erläuterungen über die Entwicklung in Baden und Württemberg eingegangen. Vgl. Heckel (1932), S. 365. 260 Vgl. Lang (1930), S. 60. 261 Vgl. Lang (1930), S. 63. 262 Vgl. Eyermann (1933), S. 31 f.

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Sechs Jahre später änderte die 2. Kammer den Haushaltsplan der Regierung und erhöhte eigenmächtig verschiedene Ausgabenposten. Die Regierung hatte im vorangegangenen Rechnungsjahr Einnahmenposten bewußt zu niedrig angesetzt, um Überschüsse zu erzielen. Aus diesen Überschüssen sollten im darauffolgenden Jahr Kunstbauten finanziert werden, für die der König keine Genehmigung von Mitteln erwartete. 263 Die 2. Kammer begründete ihre Anpassung des Haushaltsplans damit, daß die Verwendung eingesparter Mittel der Genehmigung des Landtags unterliege. Die Positionen des Haushaltsplans wären verbindlich. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kammern über die Höhe eines Budgetansatzes gelte die niedrigere Summe als genehmigt. Die 1. Kammer erkannte die Ausgabenerhöhungen der 2. Kammer an, auch wenn sie eine andere Argumentationsgrundlage hatte. Die Haltung der 1. Kammer begründete sich auf Ausführungen von Oettingen-Wallerstein zum Budget. Oettingen-Wallerstein sah in der Einreichung des Finanzgesetzes mit dem Budget als Beilage eine Erweiterung der Rechte des Landtags, so daß die Übersicht des Staatsbedarfs auf das legislative Gebiet übertragen würde. Der Landtag hätte somit nicht nur ein Steuer- sondern auch ein Ausgabenbewilligungsrecht. Im vorliegenden Fall hieße das in der Konsequenz, daß Einsparungen von finanziellen Mitteln den Einnahmen neu zugeordnet werden müßten und der Landtag mit über die Verwendung dieser Einnahmen entscheiden müßte. Beide Haltungen hatten zur Konsequenz, daß die Veränderung der Ausgabenansätze als erlaubt zu betrachten war?64 Doch die Regierung widersetzte sich der Argumentation beider Kammern. Der Konflikt wurde erst 1843 mit dem sogenannten Verfassungsverständnis gelöst, das folgende Regeln für die Umsetzung des Budgetrechts festhielt: 265 - Das Budget mußte sämtliche vorhersehbaren Ausgaben und erwartete Einnahmen enthalten. - Die Stände hatten nur die Steuern zu bewilligen, die notwendig waren, um die Differenz zwischen den ordentlichen, vorhersehbaren Ausgaben und den von ihrer Bewilligung unabhängigen Einnahmen zu decken. - Die Ausgabenposten des Haushaltsplans waren verbindlich mit Ausnahme unvorhersehbarer bzw. außerordentlicher Ausgaben (Stichwort Spezialisierung des Budgets). - Kam bei Streitigkeiten keine Einigung zwischen den Kammern und der Regierung zustande, wurden diejenigen Ausgaben getätigt, die auf gesetzlichen oder rechtlichen Verpflichtungen beruhten. Vgl. von Ziegler (1904), S. 11. Vgl. Eyermann (1933), S. 33 f. 265 Vgl. zu den im folgenden aufgeführten Vereinbarungen des Verfassungsverständnisses Lassen (1911), S. 126-131 und Ringelmann (1914), S. 24 ff. 263

264

H. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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- Stimmten die Kammern und die Regierung überein, war das Budget obligatorisch. - Die Rechnungsnachweisungen wurden den Kammern vollständig vorgelegt. Abweichungen vom Haushaltsplan konnten von den Kammern mit verfassungsmäßigen Rechten geahndet werden, d.h. der Regierung und der Verwaltung konnte die Entlastung durch den Landtag verweigert werden. - Über Einsparungen von finanziellen Mitteln durfte nur mit Zustimmung der Stände verfügt werden. In außerordentlichen Fällen (und wenn keine Mittel aus dem ordentlichen Budget und dem Reservefonds zur Verfügung standen) durfte eine Ausnahme von diesem Grundsatz gemacht werden, wobei aber abhängig von der jeweiligen Situation die Einberufung des Landtags notwendig sein konnte. - Einsparungen, die nach der Anwendung der eben genannten Regel noch zur Verfügung standen, wurden als Deckungsmittel in das Budget der kommenden Finanzperiode eingestellt. 1865 wurde die Finanzperiode von sechs Jahren auf zwei Jahre verkürzt, da auch die Regierung erkannte, daß eine sechsjährige Planung mit zu hohen Unsicherheiten behaftet war. 1868 und 1872 forderten die Kammern die Umbildung des Obersten Rechnungshofs, um seine Selbständigkeit gegenüber der Regierung zu erhalten und die Mitteilung an die Kammern über die Einhaltung des Haushaltsplans zu sichern. 266 Die Regierung ging darauf zwar nicht ein, doch die Kammern bestanden nicht auf ihren Forderungen, denn faktisch war die Budgetkontrolle aus ihrer Sicht zufriedenstellend?67 Die Kontrolle erfolgte auf zwei Ebenen. In einem ersten Schritt führte die Rechnungskammer die Revision durch. In einem zweiten Schritt war der oberste Rechnungshof als oberster Gerichtshof in Rechnungssachen für die Superrevision zuständig. Diese bestand in der rechnerischen Kontrolle des Haushaltsvollzugs und in der Kontrolle der Budgetmäßigkeit der Rechnungen?68 In Bayern hat sich im 19. Jahrhundert also das vollständige parlamentarische Budgetbewilligungsrecht noch nicht durchgesetzt. Die damit verbundene politische und juristische Budgetfunktion des Budgetrechts blieb infolgedessen im Hintergrund.

Für das Scheitern der Bemühungen des Landtags lassen sich mehrere Gründe anbringen. Ein Problem war sicherlich, daß der Haushaltsplan wenig Informationen bot. Er war nur grob gegliedert und außerdem aufVgl. Lang (1930), S. 65. Eine verfassungsmäßige Kontrolle der Ministerien konnte erst ab 1908 stattfinden, nachdem die Mitglieder des obersten Rechnungshofs mit der Eigenschaft richterlicher Beamter ausgestattet wurden. 268 Vgl. Eyermann (1933), S. 36 und von Ziegler (1904), S. 180-184. 266 267

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

grund der in Teilbereichen weitergeführten Fonds schwer durchschaubar. Letztere waren im Haushaltsplan nicht enthalten, in sie flossen jedoch Steuereinnahmen, die in dem dem Landtag vorgelegten Etat zu hoch angesetzt waren, um auf diese Weise die so herbeigeführten "Ersparnisse" für andere Zwecke verwenden zu können. Hinzu kam die lange Finanzperiode von sechs Jahren, die verhinderte, daß regelmäßig über das Budget diskutiert wurde, was möglicherweise einen größeren Druck auf den Kurfürsten und die Regierung ausgeübt hätte. Schließlich gelang es dem Kurfürsten, die beiden Kammern in Bayern gegeneinander auszuspielen, so daß nach dem Verfassungsverständnis von 1843 keine weiteren Änderungen zu erwarten waren und die Revolution von 1848 nicht die gleichen Auswirkungen auf das Budgetrecht in Bayern hatte wie in anderen süddeutschen Staaten. 269 3. Die Entwicklung des Haushaltswesens in Württemberg

Die Finanzverwaltung in Württemberg bestand seit dem 16. Jahrhundert aus drei getrennt verwalteten Bereichen, die im 17. Jahrhundert einem Geheimrat unterstellt wurden: 27o - Das Kammergut lag im Zuständigkeitsbereich der Rentkammer. Auf unterer Ebene verwalteten die Kellereien, die Kastner, Pfleger, Rentbeamten und andere Verwalter das Kammergut. - Daneben gab es das vom Kirchenrat verwaltete Kirchengut, das 1810 mit dem Kammergut vereinigt wurde. - Schließlich bestand eine ständische Steuer- und Schuldenverwaltung?71 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Kammergut, da die Entwicklungen in diesem Bereich für das spätere Haushaltsrecht entscheidend waren. Die ständische Verwaltung wurde 1806 in das Finanzministerium integriert. Die wichtigsten Reformen in Württemberg haben in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stattgefunden, so daß der Schwerpunkt der Untersuchung des Haushaltswesens in Württemberg in dieser Zeit liegt. a) Reform der Behördenorganisation

Genauso wie Bayern hatte Württemberg durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 neue Gebiete hinzugewonnen. Doch im Gegensatz zu Bayern wurde in Württemberg für die neuen Gebiete eine neue FinanzVgl. Heckel (1932), S. 364 f. Der Geheimrat war oberstes Verwaltungsorgan und alleiniges beratendes Gremium des Landesherrn in Landesangelegenheiten. Vgl. Wunder (1987), S. 108. 271 Vgl. Dehlinger (1953), S. 753. 269

270

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verwaltung aufgebaut, die zunächst unabhängig neben der aIt-württembergisehen Finanzverwaltung bestand. Der Herzog entschied sich bewußt für eine getrennte Verwaltung und damit gegen die sofortige Integration von Neu-Württemberg (wie die neuen Gebiete genannt wurden), vor allem um zu verhindern, daß sich dort das ständische Verfassungssystem durchsetzen konnte?n Nach französischem Vorbild wurde in Neu-Württemberg durch das Organisationsmanifest von 1803 eine (Finanz)Verwaltung in drei Ebenen eingeführt. Die zentrale Behörde für das Finanzwesen war die Hofkammer mit Sitz in Ellwangen. Ihr unterstanden Landvogteien in Ellwangen, Heilbronn und Rottweil als Mittelbehörden. 273 Auf lokaler Ebene wurden für die Finanzverwaltung Steuereinnehmereien eingerichtet. Abbildung 8 stellt die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Neu-Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1803 dar: Hofkammer (zentrale Finanzverwaltung)

I

Landvogteien (Finanzverwaltung auf mittlerer Ebene)

I

Steuereinnehmereien (lokale Finanzverwaltung) Abbildung 8 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Neu-Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1803

In AIt-Württemberg begann die Reorganisation der Behörden 1806 nach der Erteilung der Königswürde. Die aItständische Verfassung AIt-Württembergs wurde in diesem Jahr aufgelöst, und mit der neuen Alt-Württembergisehen Verfassung begann eine 14jährige Regierungszeit des aufgeklärten Absolutismus. 274 Auswirkungen auf die Behördenorganisation gingen vom 272 Vgl. Knemeyer (1970), S. 136 f. In Württemberg hatten sich die Stände eine stärkere Position als in Bayern und Baden bewahren können. Vgl. Wunder (1987), S. 108. 273 Vgl. Wunder (1987), S. 109.

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Organisationsmanifest von 1806 aus, durch das die Verwaltung von Altund Neu-Württemberg vereinheitlicht wurde. Die Entwicklung der Behördenorganisation in Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1806 kann in zwei Phasen eingeteilt werden. Die erste Phase von 1806 bis 1816 fällt in die Regierungszeit von König Friedrich, der die Finanzverwaltung nach französischem Vorbild organisierte. Im Vordergrund stand die Zentralisierung und die Einführung eines einheitlichen drei stufigen Behördensystems, mit dem Finanzministerium auf oberster, den Kreissteuerräten bzw. Landvogteien auf mittlerer und den Kameralämtem auf unterster Ebene. Die zweite Phase umfaßt die Reformen König Wilhelms von 1817 bis 1822, der die Organisations struktur seines Vorgängers beibehielt, sie aber stärker systematisierte und zusammenfaßte wie bspw. die Kreise auf mittlerer Ebene. 275

Vor allem in Alt-Württemberg kam es zu Reformen, da die Behördenstruktur Neu-Württembergs auf mittlerer Verwaltungsebene auf Alt-Württemberg übertragen wurde. Außerdem wurden auf zentraler Ebene nach sachlichen Kriterien eingeteilte Ministerien eingeführt. Die vor der Reorganisation von 1806 vorhandenen Zentralbehörden Alt-Württembergs wurden in das Finanzministerium integriert und in 6 Ressorts umgewandelt. 276 Das Kirchengut wurde mit dem Kammergut vereinigt und gemeinsam mit der ständischen Steuer- und Schuldenverwaltung auf das Finanzdepartement übertragen. Das Finanzministerium erhielt somit die Oberaufsicht über die Staatsausgaben, die Verwaltung des Kammerguts sowie das Rechnungswesen. Darüber hinaus wurde auch das Kassenwesen zentralisiert, vereinheitlicht und dem Generalstaatskassendepartement - einer Abteilung des Finanzrninisteriums - untergeordnet. 277 Ebenfalls auf das Organisationsmanifest von 1806 zurückzuführen ist die Gründung der Staatskontrolle . Die Aufgaben dieser Behörde bestanden in der Kontrolle aller Kassen, in der Aufstellung des gesamten Staatshaushalts und in der Bereitstellung von statistischem Material, das über die Finanzkraft und die Einnahmequellen des württembergischen Staates Aufschluß geben konnte. Ein Eingriff in die Verwaltungstätigkeit war ihr untersagt, sie war lediglich eine Behörde, die statistisches Informationsmaterial aufzubereiten hatte. Sie ist später mit der Oberrechnungskammer, die 1818 als Kontrollbehörde im Finanzministerium eingerichtet wurde, vereinigt worden. 278 274 275 276

277 278

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Mann/Nüske (1983), S. 557. Wunder (1987), S. 109 f. Knemeyer (1970), S. 138 f. Dehlinger (1953), S. 755 f. Reinhard (1904), S. 625 und 628.

II. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Das gesamte Land Württemberg wurde in zwölf Kreise (ab 1810 wieder Landvogteien genannt) eingeteilt, für welche die Provinzialverwaltung NeuWürttembergs übernommen wurde. Für die Finanzverwaltung auf mittlerer Ebene wurden Kreissteuerräte eingerichtet, die jedoch lediglich als Aufsichtsbehörden der unteren Finanzbehörden fungierten. Auf lokaler Ebene wurde an der bestehenden lokalen Finanzverwaltung angeknüpft, d. h. in Neu-Württemberg an den Steuereinnehmereien und in Alt-Württemberg an den weltlichen Oberämtern, den Klosteroberämtern und den Kammerschreibereiämtern. 279 Die letzten drei wurden im Rahmen der Reformen von 1806 zu einer eigenen Behörde, die als Kameralamt bezeichnet wurde, zusammengefaßt. 28o Die Anzahl der lokalen Ämter verringerte sich bis 1810 von 140 auf 65. Die Verringerung der Ämterzahl ist zum einen darauf zurückzuführen, daß das Kirchengut mit dem Kammergut vereinigt wurde. Zum anderen wurde die Größe der jeweiligen Ämter bezogen auf die Bevölkerungszahl und den Flächeninhalt des verwalteten Gebiets stärker angeglichen. Die· Behördenorganisation auf lokaler Ebene blieb in der Form über ein Jahrhundert erhalten. 281 Finanzministerium (zentrale Finanzverwaltung) mit Staatskontrolle bzw. seit 1818 Oberrechnungskarnmer als abhängiger Kontrollbehörde

I

Kreissteuerräte (Finanzverwaltung auf mittlerer Ebene) in den Kreisen bzw. seit 1810 in den Landvogteien

I

Steuereinnehmereien und Kameralämter (lokale Finanzverwaltung) Abbildung 9 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Alt- und Neu-Württemberg nach dem Organisationsmanifest von 1806

279 280 281

7Strube

Vgl. Zeller (1898), S. 447 f. und Grube (1975), S. 74. Vgl. Dehlinger (1953), S. 756. Vgl. Wunder (1987), S. 110.

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Auf mittlerer Ebene wurden die zwölf Kreise 1817 in die vier Kreise Neckar, Schwarzwald, Jagst und Donau zusammengefaßt. Dort wurden jeweils Mittelbehörden eingerichtet, welche die Ressorts im Finanzdepartement auf zentraler Ebene ablösten und damit nicht mehr nur Aufsichtsbehörden, sondern vorgesetzte Verwaltungsbehörden der lokalen Ämter waren. 282 In Abbildung 9 ist die Organisations struktur, wie sie nach dem Organisationsmanifest von 1806 eingerichtet wurde, dargestellt. b) Reform des Haushaltswesens und die Entstehung des Haushaltsrechts

Die Untersuchung des Haushaltsrechts setzt an der Verfassung von 1819 an, die den Landständen Mitspracherechte einräumte und außerdem die Verstaatlichung des Kammerguts herbeiführte. Die Bereitschaft König Wilhelms, den Landständen Zugeständnisse zu machen, ist u. a. damit zu begründen, daß er, bevor er sich auf die neue Verfassung einließ, zunächst in der Lage war, die Verwaltung und das Haushaltswesen nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Erst nachdem dies erreicht war, wurden die grundsätzlichen Regelungen in der Verfassung verankert. Für das Haushaltsrecht waren hauptsächlich folgende Regelungen von Bedeutung: 283 - Das Kammergut wurde verstaatlicht und dem König zum einen das Hofkammergut und zum anderen ein festes Einkommen, das als Zivilliste bezeichnet wurde, zugesprochen. Ohne Einwilligung der Stände durfte das Staatsgut nicht veräußert und auch nicht mit Schulden o. ä. belastet werden. - Die Einnahmen aus dem Staatsgut dienten der Finanzierung der Staatsausgaben. Falls diese Mittel nicht ausreichten, wurden die nicht gedeckten Ausgaben mit Steuereinnahmen finanziert. Sowohl die direkten als auch die indirekten Steuern mußten von den Ständen genehmigt werden. - Die Regierung hatte die Notwendigkeit der Steuerbewilligung im Staatshaushaltsplan nachzuweisen. Den Landständen wurde ein Hauptetat zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt. Darüber hinaus mußten die Minister den Ständen die Ausgaben ihrer Ministerien erläutern. - Der Haushaltsplan wurde für drei Rechnungsjahre verabschiedet. - Die Bewilligung der Steuern durfte nicht an Bedingungen geknüpft werden, die nicht unmittelbar die Steuerverwendung betrafen. - Die Schuldenverwaltung wurde wieder auf die Stände übertragen. Vgl. Grube (1975), S. 79 f. Vgl. zu den wichtigsten Regelungen in der Verfassung die Ausführungen in Roller (1933), S. 3-5 und Dehlinger (1953), S. 758-760. 282 283

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- Stellvertretend für die Stände bestand ein Ausschuß, der die korrekte Verwendung der Steuern kontrollierte und die Etats Ende jedes Jahres mit dem Finanzministerium beriet. Der Staatshaushaltsplan enthielt lediglich die Einnahmen und Ausgaben der laufenden Verwaltung. Getrennt davon gab es außerdem die Grundstockverwaltung, die Restverwaltung und den außerordentlichen Dienst. 284 Die laufende Verwaltung war die Bezeichnung für die regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben und Einnahmen im Staatshaushalt. Die Grundstockverwaltung sollte das Kammergut als Einnahmequelle des Staates sichern. Die Erlöse aus verkauftem Kammergut oder aus der Veräußerung der dem Staat zustehenden (Hoheits)Rechte wurden darin verrechnet. Sie waren entweder zinsbringend anzulegen oder für Neuerwerbungen von Kammergut zu verwenden und durften nicht für die Deckung von Ausgaben der laufenden Verwaltung herangezogen werden?85 In der Restverwaltung wurden die am Ende eines Rechnungsjahres noch ausstehenden Einnahmen (Aktivausstände) erfaßt, wie z. B. schwer einzubringende Strafgelder oder auch Kassenbestände der Kameralämter, die aufgrund noch bestehender Zahlungsvorbehalte (für angefangene Renovierungsarbeiten oder für beanstandete Steuerforderungen) von der Kasse einbehalten wurden. Auf der Ausgabenseite wurden sogenannte "Restvorbehalte" gebildet. Darunter waren noch nicht getätigte, aber im Etat vorgesehene Staats ausgaben zu verstehen. Zur Restverwaltung gehörten auch erzielte Einnahmeüberschüsse und unvorhergesehene Ausgaben?86 Die Einnahmeüberschüsse dienten der Bildung von Finanzreserven für Notzeiten und für den Ausgleich von Einnahmeschwankungen, die zu Haushaltsungleichgewichten führten. Außerdem wurden mit den Überschüssen aus der Restverwaltung Bauvorhaben finanziert, wenn dafür keine Schulden aufgenommen und keine Steuern erhoben werden sollten?87 Eine Besonderheit der Restverwaltung in Württemberg bestand darin, daß evtl. vorhandene Restmittel nicht automatisch der Staatskasse überlassen und für die Deckung von Ausgaben in der nächsten Finanzperiode verwendet wurden, sondern daß die Verwendung der Gelder an die Zustimmung der Landtage und der Regierung gebunden war?88 Die laufende Verwaltung bildete gemeinsam mit der Grundstocksverwaltung und der Restverwaltung den ordentlichen Dienst bzw. Haushalt im Finanzgesetz. Davon unterschieden wurde der außerordentliche Dienst bzw. 284 285 286 287 288

7*

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Riecke (1883), S. 194. Herdegen (1848), S. 58 f. Widenmeyer (1885), S. 21 ff. sowie Riecke (1891), S. 356 f. Reinhard (1904), S. 629. Göz (1908), S. 103, Fußnote 1).

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Haushalt, der große, einmalige Ausgaben enthielt, die in der Regel kreditfinanziert waren. Dazu gehörten im 19. Jahrhundert hauptsächlich die Eisenbahnbauten. 289 Der Staatsschuldenetat wurde von den Landtagen beim Finanzministerium eingereicht und danach in den Hauptfinanzetat eingestellt. Falls Änderungen durch die Regierung vorgenommen wurden, bedeutete dies i. d. R, daß die Aufnahme neuer Schulden geplant war?90

Eine Besonderheit Württembergs gegenüber anderen Ländern war die in der königlichen Verordnung von 1822 geregelte Übertragung von Mitteln. Die Übertragung von für einen bestimmten Zweck vorgesehenen Beträgen auf andere Haushaltspositionen sowie die Übertragung von Restbeträgen auf die nächste Finanzperiode war nur mit vorhergehender Zustimmung der Stände möglich. Diejenigen Beträge, für die keine Übertragungen bewilligt wurden, kamen in die Restverwaltung?91 Den Landtagen Württembergs wurde ebensowenig wie in Bayern eine verfassungsmäßige Kontrolle zugestanden. Die Regelungen zur Rechnungsbzw. Haushaltskontrolle wurden nicht gesetzlich kodifiziert. Wie bereits erwähnt, führte die Oberrechnungskammer die Rechnungskontrolle durch. Sie hatte die Kontrolle der Kreisfinanzkammern und anderer Administrationskollegien (also anderer Abteilungen des Finanzministeriums) zu leiten und zu beaufsichtigen. Die Kreisfinanzkammern wurden 1849 aufgelöst, so daß der damit verbundene Teil der Kontrolltätigkeit entfiel. Die Beaufsichtigung der Administrationskollegien wurde von der Oberrechnungskammer nur sehr oberflächlich wahrgenommen. Eigenständig geprüft wurden von der Oberrechnungskammer lediglich einzelne Eisenbahnstationsrechnungen. Ansonsten überreichten die Revisionsbehörden der verschiedenen Abteilungen im Finanzministerium der Oberrechnungskammer tabellarische Übersichten über den Stand ihrer Revisionstätigkeit, die an die Leitung des Finanzministeriums weitergeleitet wurden. 292 Neben ihren Überwachungsaufgaben war die Oberrechnungskammer für die Abnahme, Revision und Rechtfertigung der ihr bspw. von den lokalen Ämtern und Kassen unmittelbar vorgelegten Rechnungen verantwortlich. Die Revision lief nach einem festen Verfahren ab. Ein Revisor prüfte das Domanialhauptbuch (wenn es um Kameralamtsrechnungen ging) oder die Staatsrechnung (wenn es um die Abrechnung der Staatshauptkasse, der Mittelkassen oder der Spezialkassen ging). Im Rahmen der Prüfung fertigte er ein Revisionsprotokoll an, in dem er die Rechnungen paragraphenweise kommentierte. Die Rechnungsunterlagen wurden gemeinsam mit dem 289 290 291 292

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

von Schall (1910), S. 2 ff. Reinhard (1904), S. 629. Göz (1908), S. 96 und 102 f. und Widenmeyer (1885), S. 21-85. Widenmeyer (1890), S. 153 und 156.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Hauptbuch oder der Staatsrechnung und einem Begleitbericht an einen Referenten (der Oberrechnungskammer) weitergeleitet, welcher eine zweite Prüfung durchführte. Hatte der Referent Einwände, ging er dem Sachverhalt entweder eigenständig nach, oder er trug seine Einwände dem Kollegium der Oberrechnungskammer vor. Der Rechner, der die Rechnungen mit dem Domanialhauptbuch oder der Staatsrechnung eingereicht hatte, bekam eine Reinschrift des Protokolls mit der Aufforderung, die einzelnen Paragraphen "zu beantworten", d.h. Stellung zu den Kommentaren bzw. Einwänden zu nehmen. Der Umfang der Rechnungen hatte zur Folge, daß die Stellungnahme i. d. R. frühestens 8 Wochen später bei der Oberrechnungskammer eintraf. Falls kein Anlaß zu weiteren Rechtfertigungen von Seiten des Rechners bestand, bereitete der Revisor nach Durchsicht der Stellungnahme die Entlastungsurkunde für den Rechner vor,z93 Bei der Beurteilung des Haushaltsrechts, das Anfang des 19. Jahrhunderts in Württemberg eingeführt wurde, soll wieder auf die Budgetfunktionen des Haushaltsausgleichs, der Wirtschaftlichkeit und der Kontrolle zurückgegriffen werden. Ein ausgeglichener Haushalt wurde ebenso wie in Bayern durch die fehlende Einheit des Haushaltsplans erschwert. Die Trennung in Hauptfinanzetat, Restverwaltung, Grundstockverwaltung und außerordentlichen Etat erwies sich nur teilweise als ökonomisch sinnvoll,z94 Die Aufstellung einer getrennten Restverwaltung wurde kritisiert mit dem Argument, daß der Staatshaushalt dadurch unübersichtlich würde und daß eine sehr umfangreiche Restverwaltung, wie sie in Württemberg vorzufinden war, der Regierung die Möglichkeit böte, die wahre finanzielle Lage des Staates zu verschleiern,z95 Göz sah das Problem nicht darin, daß eine getrennte Restverwaltung geführt wurde. Er hielt dies bei einem großen Staatshaushalt für unvermeidlich. Für ihn bestand das Problem darin, daß Einnahmeüberschüsse aus der Erhebung zu hoher Steuern entstehen und daß deswegen die Gelder aus der Restverwaltung dafür verwendet werden müßten, um Steuern zu senken,z96 Dabei berücksichtigt Göz jedoch nicht, daß ein Großteil der Restverwaltung aus Zahlungsrückständen und Aktivausständen bestand, die sich ausglichen. Außerdem wurden mit den Einnahmeüberschüssen finanzielle Reserven für den Ausgleich von Einnahmeschwankungen oder für die Bewältigung unvorhersehbarer Ausgaben gebil-

Vgl. Widenmeyer (1890), S. 153 ff. Die Führung einer getrennten Restverwaltung war seit Mitte des 19. Jahrhunderts Anlaß für zahlreiche Diskussionen. Da die Restverwaltung in Württemberg gegenüber den anderen Ländern eine Besonderheit darstellt, wird diese Problematik stärker ausgeführt als die Beurteilung der anderen Budgets. 295 Vgl. Riecke (1891), S. 346 und 361. 296 Vgl. Göz (1908), S. 103, Fußnote 1). 293

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det. Die Forderung, daß die Steuern hätten gesenkt werden müssen, scheint vor diesem Hintergrund unberechtigt zu sein. 297 Die Grundstockverwaltung hätte der Vermögensplanung dienen sowie einen Überblick über das Vermögen liefern können und damit die langfristige Sicherung des Vermögens unterstützen können. Diese Möglichkeit wurde jedoch nicht genutzt, da weder eine Vermögensplanung durchgeführt noch eine Vermögensrechnung aufgestellt wurde, in der das Vermögen bewertet oder abgeschrieben worden wäre. Die Trennung in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt war problematisch, da sich aus den Ausgaben für den außerordentlichen Haushalt in der Regel laufende Ausgaben ergaben, die nicht in den Hauptfinanzetat integriert wurden, obwohl sie ihm zuzuordnen waren. Hinzu kamen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen außerordentlichen und ordentlichen Ausgaben. Insgesamt brachte die Trennung des Staatshaushalts in vier verschiedene Haushaltspläne einige Nachteile mit sich, denn es gab häufig sachliche Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Haushaltsplänen, die aus den getrennten Haushaltsplänen nicht ersichtlich wurden. Außerdem wurde der Haushalt dadurch sehr unübersichtlich, so daß es sehr schwer war, sich einen Überblick über die Finanzen des Staates zu verschaffen. Es wäre sinnvoller gewesen, alle Bereiche in einen Gesamthaushaltsplan zu integrieren. Der getrennten Behandlung bestimmter Bereiche hätte man sicherlich auch durch eine angemessene Gliederung des Haushaltsplans gerecht werden können?98 Ein Bereich, für den eine Trennung vom allgemeinen Haushaltsplan sinnvoll gewesen wäre, die aber in Württemberg nicht durchgeführt wurde, war die Eisenbahnverwaltung. Die Eisenbahnverwaltung war dem Kammergut zugeordnet, so daß die Überschüsse in die allgemeine Verwaltung einflossen. Diese Regelung brachte erhebliche Nachteile mit sich, denn dadurch wurden keine finanziellen Reserven gebildet, von denen Erweiterungen des Eisenbahnnetzes finanziert oder mit denen schlechte Geschäftsjahre überwunden werden konnten. Hinzu kam, daß der Eisenbahnbau in Württemberg zum großen Teil kreditfinanziert war und solche Ausgaben im außerordentlichen Haushalt aufgeführt wurden. Da die Überschüsse aus der Eisenbahnverwaltung in den allgemeinen Haushalt flossen, war nicht sichergestellt, daß die Überschüsse zur Tilgung der Eisenbahnschulden verwendet wurden?99 Dem Erreichen eines ausgeglichenen Haushalts wirkte zudem die Fassung des württembergischen Budgets als Nettobudget entgegen, wodurch 297 298 299

Vgl. von Schall (1893), S. 8 f. Vgl. Riecke (1887), S. 414. Vgl. Riecke (1891), S. 387 ff.

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die Haushaltspläne unvollständig waren. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnten der König und die Regierung der Aufstellung eines Bruttobudgets aufgrund der desolaten finanziellen Lage nicht mehr ausweichen. 3OO Bis dahin wurden nur die Überschüsse an die Staatshauptkasse weitergeleitet, ohne daß z. B. die Erhebungskosten der Steuereinnehmereien in den Rechnungen schriftlich ausgewiesen worden wären. 301 Da nicht alle Ausgaben und Einnahmen in den Etats ausgewiesen wurden, konnte sich der König keinen Überblick über die Kostendeckung einzelner Verwaltungsbereiche verschaffen. Die Ameize zu einer wirtschaftlichen Verwaltungsführung waren gering, denn in den Nettobudgets wurden die bei der Verwaltungstätigkeit entstehenden Ausgaben nicht getrennt aufgeführt, so daß kein Soll-Ist-Vergleich bei der Kontrolle der Verwaltungskosten durchgeführt werden konnte. Außerdem wurden die Ameize zu Wirtschaftlichkeit dadurch vennindert, daß die Ersparnisse, die in einer Haushaltsperiode erzielt wurden, von den jeweiligen Beamten, Ämtern oder Ministerien nicht (wenigstens anteilig) einbehalten werden durften, sondern vollständig in die Restverwaltung übertragen wurden. Darüber hinaus wurde kritisiert, daß die Verbindlichkeit der Haushaltsansätze an einer zu detaillierten Gliederung der Einzelposten ansetzte, so daß die finanziellen Mittel nicht flexibel eingesetzt werden konnten. Dadurch war nicht sichergestellt, daß die Einnahmen in die ertragreichste Verwendung flossen und daß Ineffizienzen bei der Mittelverwendung vermieden wurden. Bei der Diskussion um die Verbindlichkeit der Haushaltspositionen im Budget besteht ein Konflikt zwischen dem Ziel einer wirtschaftlichen Verwaltungsführung und einer effektiven Kontrolle. Das erste Ziel läßt sich besser verwirklichen, wenn, wie oben angesprochen, die finanziellen Mittel flexibel eingesetzt werden können. Eine wirksame Kontrolle wird dadurch jedoch erschwert, da die Haushaltsdurchführung unübersichtlich wird. Aufgrund der damit verbundenen Schwierigkeiten in der Kontrolle wurden die Spielräume für einen flexiblen Einsatz der Einnahmen im Haushalt Ende des 19. Jahrhunderts üblicherweise eingeschränkt. Die Haushaltskontrolle litt darunter, daß die Oberrechnungskammer keine vom Finanzministerium unabhängige Behörde war. Die Kontrolle der anderen Abteilungen im Ministerium war zwar offiziell vorgesehen, wurde aber wie bereits erwähnt faktisch nicht durchgeführt. 1817 versuchte der König im Edikt vom 18. November, eine unabhängige Oberrechnungskammer einzuführen, machte dies aber 1818 wieder rückgängig. Unter der dadurch schwachen Position der Kontrollbehörde litt die Effektivität ihrer Kontrolltätigkeit, da sie keine wirkungsvollen Sanktionsmechanismen einsetzen konnte. 300 301

Vgl. Reinhard (1904), S. 621. Vgl. Reinhard (1904), S. 632.

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Die Kontrolle litt außerdem genauso wie die anderen Budgetfunktionen darunter, daß die Etats nur Nettobudgets waren und damit kein Soll-Ist-Vergleich bei den Verwaltungskosten durchgeführt werden konnte. Außerdem war das Revisionsverfahren sehr langwierig, so daß der Zeitraum zwischen der Durchführung des Haushaltsplans und der Kontrolle sehr weit auseinander lag. Damit verringerte sich der Druck, der durch eine nachträgliche Kontrolle entstand und der Anreize für eine korrekte und effiziente Durchführung des Haushaltsplans schaffen sollte. Die Landtage wehrten sich nicht gegen die fehlende verfassungsmäßige Kontrolle und unabhängige Kontrollbehörde. Dies lag nach Ansicht Widenmeyers daran, daß sie zum einen die Befürchtung hatten, ihre Position könnte durch Veränderungen eher geschwächt als gestärkt werden. Zum anderen zweifelten sie daran, daß durch eine Stärkung der Position der Oberrechnungskammer merkliche Verbesserungen erzielt worden wären. 302 c) Das Ausgabenbewilligungsrecht in Württemberg

Die Landtage in Württemberg interpretierten das Budgetbewilligungsrecht bereits in der ersten Finanzperiode von 1815 bis 1819 als Ausgabenbewilligungsrecht und übten die Prüfung der Budgets in diesem Sinne aus. Anders als in Bayern wurde das Budget bereits 1830 in Form eines Gesetzes verabschiedet und der Zustimmung der Stände unterstellt. Damit war die Frage nach der Verbindlichkeit des Haushaltsplans geklärt, auch wenn in der ersten Zeit das Budget von einigen Regierungsmitgliedern nicht als Gesetz anerkannt wurde. Im Zusammenhang mit dem Ausgabenbewilligungsrecht kam Mitte des 19. Jahrhunderts die Diskussion um die Ausgabeninitiative auf, also um das Recht, neue Ausgabeposten in das Budget zu integrieren oder bereits vorhandene Ausgabeansätze zu erhöhen. Bis 1833 wehrte sich die Regierung nicht gegen Initiativen der 2. Kammer, die Ausgaben zu erhöhen und diese Änderungen zu einer Bedingung für eine Steuerbewilligung zu machen. In den Verhandlungen von 1833 und 1836 wurde das Thema aufgegriffen und die Regierung gewann insofern die Oberhand, als daß die Landtage dem König die alleinige Initiative für Ausgabenerhöhungen zusprachen. 1845 wurde den Landtagen zwar das Ausgabenbewilligungsrecht zugesprochen. Die Ausgabeninitiative blieb jedoch bei der Regierung. Damit verblieb den Kammern die Steuerverweigerung als Druckmittel, um Einfluß auf die Ausgaben zu nehmen. Die Steuerverweigerung durfte jedoch bei Ausgaben, zu denen die Regierung gesetzlich verpflichtet war, nicht angewandt werden. 303 302 303

Vgl. Widenmeyer (1890), S. 158. Vgl. Roller (1933), S. 98 f.

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4. Die Entwicklung des Haushaltswesens im Großherzogtum Baden

Das Großherzogtum Baden entstand 1806 aus dem Zusammenschluß mehrerer Kleinstaaten mit dem Kurfürstentum Baden. Letzteres war beim Reichsdeputationshauptschluß von 1803 aus der Vereinigung kleinerer Staaten mit dem badischen Stammland hervorgegangen. Das Haushaltswesen der Kleinstaaten sowie des badischen Stammlandes hatte sich seit dem Spätmittelalter kaum weiterentwickelt. 304 Genauso wie in den anderen Ländern war aufgrund der Gebietserweiterung eine Verwaltungsreform dringend erforderlich. Im folgenden werden ebenso wie in den vorhergehenden Abschnitten zunächst Reformen der Behördenorganisation untersucht. Dem schließen sich die Ausführungen über das Haushaltswesen insb. das Rechnungs- und Kontrollwesen an. a) Reform der Behördenorganisation

Die ersten Umstrukturierungen in der Behördenorganisation durch die Organisationsedikte von 1803 waren durch die Vorstellungen des Geheimrats Brauer305 geprägt, der eine straffe Zentralisierung nach französischem Vorbild hinauszögerte und eher zur Dezentralisation neigte. Die Finanzverwaltung auf zentraler Ebene blieb beim Geheimen Finanzrat, der dem Geheimen Ratskollegium unterstand und die Aufsicht über die Generalkasse und über die Finanzen der Hofdepartements führte. 306 Neu war die Einführung einer mittleren Verwaltungsebene durch die Einrichtung von Staatsverwaltungsbezirken in drei Provinzen, deren Einteilung sich an den historischen Grenzen orientierte?07 Die Finanzverwaltung der Provinzen lag beim staatswirtschaftlichen Senat des Hofratskollegiums der jeweiligen Bezirke. Daneben gab es Generalkommissionen wie z. B. die Forstkommission, welche die Ober- und Forstämter sowie das Jagd-, Berg-, Hütten- und Salinenwesen verwaltete. Auf unterster Ebene hatte Brauer geplant, Ämter einzurichten, welche für Gebiete von 6000 bis 8000 Einwohnern zuständig waren. Kleinere Ämter hätten also zusammengefaßt werden sollen, in größeren Ämtern hätte das Vgl. Bader (1948), S. 16--18. Friedrich Brauer (1754-1813) war Jurist und seit 1774 in badischem Dienst. 1790 wurde er Mitglied des Geheimen Rats und leitete seitdem verschiedenste oberste Staatsbehörden. 1811 wurde er Mitglied im neuen Staatsrat. Er galt als konservativer, noch an den Einrichtungen des 18. Jahrhunderts orientierter Beamter. Vgl. Knemeyer (1970), S. 146. 306 Vgl. Oft (1983), S. 586 f. 307 Diese drei Provinzen waren die Pfalzgrafschaft am Rhein mit Sitz in Mannheim, die badische Markgrafschaft mit Sitz in Karlsruhe und das Obere Fürstentum am Bodensee mit Sitz in Meersburg. Vgl. Speidel (1975), S. 12. 304

305

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Personal erweitert werden sollen. Außerdem war geplant, drei bis fünf Ämter jeweils unter die Aufsicht von Land- bzw. Obervogteien zu stellen. Dies hätte insgesamt eine vierstufige Behördenorganisation ergeben, die jedoch nicht zustandekam, weil die eben beschriebene Organisation der untersten Ebene sowie der Ober- bzw. Landvogteien nicht umgesetzt wurde. 30s Durchgreifende Reformen in der Behördenorganisation wurden durch Dalberg 1808 und durch Reitzenstein 1809 durchgeführt. Diese Reformen zeigten die auch in den anderen Ländern beobachteten französisch beeinflußten Zentralisierungstendenzen. Dalbergs Maßnahmen beschränkten sich allerdings auf die Auflösung des Geheimratskollegiums und die Einrichtung von Fachministerien, unter denen das Finanzministerium für die Beaufsichtigung der Finanzverwaltung verantwortlich war. 309 Auf Kreisebene unterstanden dem Finanzministerium zunächst nur die Kassen, die Obereinnehmereien genannt wurden. Erst 1829 fiel die Finanzverwaltung auf Kreisebene von den Kreisdirektionen, welche dem Innenministerium unterstanden, an neu gebildete Steuerdirektionen, denen das Finanzministerium übergeordnet war. Unter Reitzenstein 310 wurde die Anzahl der Kreise von drei auf zehn erhöht und dabei keine Rücksicht mehr auf die historischen Grenzen genommen; auch die Bezirksämter wurden neu eingeteilt. Die unteren Verwaltungsebenen verloren während der darauffolgenden Jahre an Bedeutung, so daß 1832 nur noch vier Kreise verblieben und die Anzahl der Bezirksämter bis 1857 von 118 auf 64 reduziert wurde. 311 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Baden nach den Reformen Dalbergs und Reitzensteins ist in Abbildung 10 dargestellt. b) Reform des Haushaltswesens insb. des Rechnungswesens und der Rechnungskontrolle

Das Rechnungs- und Kontrollwesen hing eng mit dem Kassenwesen zusammen. Es bestand ein Kassensystem, bei dem den Partikularkassen, denen die Einnahmen und Ausgaben sachlich oder regional (nach Bezirken) zugeordnet wurden, eine Haupt- oder Generalkasse übergeordnet war. Letztere sammelte eventuelle Einnahmeüberschüsse der Partikularkassen und Vgl. Oft (1983), S. 287 f. Vgl. Wunder (1987), S. 107. 310 Reitzenstein war seit 1789 in badischem Dienst. Vier Jahre verbrachte er im Oberarnt Röteln, von 1797-1803 war er Gesandter in Paris, und 1809 wurde er Kabinettsminister. Von 1817 an galt er als entscheidender Berater des Großherzogs. In den Jahren 1832-1842 war er Präsident des Staatsministeriums. Vgl. Knemeyer (1970), S. 146. 311 Vgl. Krapp (1931), S. 36 ff. und auch Weizel (1864), S. 30-36. 308

309

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Finanzministerium (zentrale Finanzverwaltung) seit 1875 Oberrechnungskammer als unabhängige Kontrollbehörde

Steuerdirektionen (Finanzverwaltung auf mittlerer Ebene seit 1829)

Bezirksämter (Finanzverwaltung auf unterer Ebene) Abbildung 10 Die Organisationsstruktur der Finanzverwaltung in Baden nach den Reformen Dalbergs und Reitzensteins

Mittel aus eigenen Einnahmequellen ein und erstellte jährlich eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben. Dabei blieben die einzelnen finanziellen Transaktionen der Partikularkassen unberücksichtigt, es wurden lediglich deren Einnahmeüberschüsse bzw. -defizite sowie unmittelbar von der Hauptkasse geleistete Ausgaben oder erhaltene Einnahmen ausgewiesen?12 Für die Rechnungsprüfung wurden die Einnahmen und Ausgaben in zwei Rechnungsbüchern jeweils in chronologischer Reihenfolge (im Journal bzw. Tagebuch) und nach sachlichen Kriterien sortiert (im Manual bzw. Hauptbuch) eingetragen. Die Vorlage für die Rechnungsprüfung am Ende des Rechnungsjahres bildete eine Reinschrift des Hauptbuches mit den entsprechenden Rechnungsbelegen. Im Hinblick auf eine Erfüllung der Budgetfunktionen wies das oben beschriebene Haushaltswesen große Lücken auf. Es wurden keine regelmäßigen Haushaltsvoranschläge angefertigt, so daß das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nur schwer erreicht werden konnte. Hinzu kam, daß die Budgets Nettobudgets waren und die Ausgaben der verschiedenen Aufgabenbereiche oder der einzelnen Ämter nicht getrennt ausgewiesen wurden. Durch das Fehlen von Voranschlägen und von Bruttobudgets mangelte es an Informationen über die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Da die Anreize zu wirtschaftlichem Handeln gering waren, ist davon auszugehen, daß in der Verwaltung Kosteneinsparungspotentiale ungenutzt blieben. Die oben 312

Vgl. Regenauer (1863), S. 711 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

genannten Mängel verhinderten auch eine wirksame Kontrolle. Hierbei kam erschwerend hinzu, daß die Kassen ihre Rechnungen unpünktlich einreichten und sich die Rechnungsprüfung daher hinauszögerte?13 Mit der Verfassung vorn 22. August 1818 wurden für das Budget rechtliche Vorschriften eingeführt. Das badische Budgetrecht war sehr stark durch das bayerische Vorbild geprägt. Auch in Baden bedeutete die Einführung einer ständischen Verfassung für das Budgetrecht, daß den Ständen ein Steuerbewilligungsrecht eingeräumt wurde. Ohne die Zustimmung der Stände durften keine Steuern bzw. Auflagen ausgeschrieben und erhoben werden. Außerdem mußten die Stände die Aufnahme von Darlehen sowie den Verkauf von Domänen bewilligen. Die Stände in Baden bestanden aus zwei Kammern. 314 Der Aujlagengesetzesentwuif wie auch alle die Finanzen betreffenden Gesetzesentwürfe wurden zuerst bei der zweiten Kammer eingereicht und erst nach ihrer Zustimmung an die erste Kammer weitergegeben. Alle zwei Jahre wurde bei der zweiten Kammer der Auflagengesetzesentwurf eingereicht, der durch das Staatsbudget, den Betriebsfonds und eine detaillierte Übersicht über die in vergangenen Perioden verwendeten und eingenommenen finanziellen Mittel (die Staatshauptrechnung, die auch für die Kontrolle des Staatsbudgets herangezogen wurde) ergänzt wurde. Es wurde die Erstellung von Bruttobudgets vorgeschrieben?15 Das Staatsbudget enthielt den Voranschlag der Ausgaben und Einnahmen für den allgemeinen Staatshaushalt in der nächsten Budgetperiode?16 Der Betriebsfonds diente der Erfassung und Übertragung von Überschüssen bzw. Defiziten aus vergangenen Perioden. Die für den Betriebsfonds erforderlichen Angaben wurden aus der Staatshauptrechnung entnommen, die durch eine Abweichungsanalyse, in welcher der Haushaltsvoranschlag den tatsächlich realisierten Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt wurde, ergänzt wurde. 317 Vgl. Regenauer (1863), S. 719 f. Mitglieder der ersten Kammer waren die volljährigen Prinzen des großherzoglichen Hauses, die volljährigen Mitglieder der standesherrlichen Familien, der Landesbischof, ein vom Großherzog lebenslänglich ernannter protestantischer Geistlicher, acht Abgeordnete des grundherrlichen Adels, zwei Abgeordnete der Landesuniversitäten sowie maximal acht vom Großherzog frei ernannte Personen. Die zweite Kammer bestand aus 63 Abgeordneten der Städte und Ämter. Diese wurden von Wahlmännern gewählt. Vgl. Regenauer (1863), S. 26 f. 315 Vgl. van Calker (1901), S. 37 f. 316 Zum allgemeinen Staatshaushalt gehörten u. a. die Verwaltungskosten sowie der Staatsaufwand für das Staatsoberhaupt, die Landstände, die Ministerien, den diplomatischen Dienst, für die Rechtspflege, die Polizei und innere Verwaltung, für die Kirche und für Schulen. Hinzu kamen die Ausgaben zur Förderung von Wissenschaft und Kunst, für die Landwirtschaft, das Gewerbe und den Handel sowie für Wohltätigkeitsanstalten und auch für die Wehrverfassung. Vgl. Regenauer (1863), S. 47 f. 317 Vgl. Buchenberger (1902), S. 1 f. 313

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H. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Neben dem Staatsbudget und dem Betriebsfonds gab es Spezialbudgets für die Verkehrsanstalten sowie das Grundstocksbudget?18 Diese Spezialetats wurden erst seit 1833 dem Landtag zur Budgetprüfung vorgelegt. Der Betriebsfonds wurde getrennt für den allgemeinen Haushalt und die jeweiligen Spezialetats geführt. 319 Für die Aufstellung und Durchführung des Haushaltsplans bildeten sich gewohnheitsrechtliche Regeln heraus, die erst durch das Etatgesetz von 1882 im Budgetrecht gesetzlich verankert wurden?20 Die Vorschriften zum Haushaltsvollzug bezogen sich vornehmlich auf die schriftliche Erfassung der finanziellen Vorgänge. Für die Rechnungskontrolle wurden die Rechnungen und Belege der Staatskassen an die jeweiligen Staatsbehörden zur Überprüfung weitergegeben. Außerdem wurden monatliche Übersichten und vierteljährliche Rechnungsergebnisse erstellt, mit denen jede Verwaltungsbehörde die ihr untergebene Behörde kontrollieren sollte. Aus den Übersichten und den Rechnungsergebnissen wurde eine Gesamtübersicht über den Staatshaushalt zusammengestellt, sowie am Ende ein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt, um festzustellen, wo Abweichungen vom Haushaltsvoranschlag beobachtet werden konnten?21 Wie bereits erwähnt schrieb die Verfassung vor, daß dem Landtag ein Rechnungsnachweis über die tatsächlich vorgenommenen Ausgaben und Einahmen vorgelegt werden mußte. Zu diesem Rechnungsnachweis gehörten die Hauptstaatsrechnung, die Darstellung des Betriebsfonds am Schluß jedes einzelnen Jahres der zu prüfenden Budgetperiode, die Rechnungsübersichten der Amortisations-, Zehnt- und Eisenbahnschuldentilgungskasse sowie der Grundstocksrechnungen und außerdem die Hauptrechnungen der Verwaltungszweige mit Spezialbudgets (der Verkehrsanstalten) mit den jeweils zugehörigen Betriebsfonds. Seit 1831 wurde den Ständen auch eine vergleichende Darstellung (Abweichungsanalyse) vorgelegt, um die Prüfungsarbeit zu erleichtern. Ein Teil der Rechnungen wurde von einem ständischen Ausschuß geprüft und alle Unterlagen wurden den Landtagen als Grundlage für die Verhandlungen vorgelegt. 322 Das Budgetrecht der Verfassung von 1818 und die ebenfalls erwähnten späteren Änderungen des Haushaltsrechts stellten in mancher Hinsicht eine deutliche Verbesserung dar. Im Hinblick auf einen ausgeglichenen Haushalt 318 Das Budget der Verkehrsanstalten teilte sich ein in ein Budget für Post- und Eisenbahnbetriebsverwaltung, das Budget des Eisenbahnbaues sowie das Budget der Eisenbahntilgungskasse. Das Grundstocksbudget führte die aus dem Domänengrundstock zu bestreitenden Ausgaben auf. Vgl. Regenauer (1863), S. 50 f. 319 Vgl. Regenauer (1863), S. 53. 320 Vgl. Buchenberger (1902), S. 2. 321 Vgl. Regenauer (1863), S. 71 ff. 322 Vgl. Regenauer (1863), S. 77 ff.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

war die Einführung von regelmäßigen Haushaltsvoranschlägen und die Einführung von Bruttobudgets ein wichtiger Fortschritt. Für Baden galt auch die Kritik, die bzgl. des württembergischen Haushalts und der verschiedenen Budgets angeführt wurde, daß bspw. die Trennung zwischen außerordentlichem und ordentlichem Haushalt problematisch war. Außerdem litt auch hier die Übersichtlichkeit des Staatshaushalts unter der getrennten Aufstellung der Haushaltspläne. Vorteilhaft war jedoch, daß in Baden die Eisenbahn getrennt verwaltet wurde. Auf die Vorteile, die hierdurch entstanden, ist bereits im vergangenen Abschnitt eingegangen worden. Die Einführung von Bruttobudgets war auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung positiv zu bewerten. Doch auch in Baden stellte sich genauso wie in Württemberg die Frage der Abwägung zwischen Flexibilität bei der Durchführung des Haushaltsplans und einer stärkeren Verbindlichkeit der Einzelposten im Budget, um eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten. In Baden setzte sich lange Zeit die Regierung mit ihrer Forderung nach Flexibilität durch. Da genauso wenig wie in Württemberg geeignete Instrumente zur Förderung wirtschaftlichen Handeins angewandt wurden, ist zu vermuten, daß die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung dadurch beeinträchtigt wurde. Mit dem Machtkampf zwischen der Regierung und den Landtagen um das Ausgabenbewilligungsrecht hing zusammen, daß eine stärkere Verbindlichkeit der Einzelposten im Budget in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht durchzusetzen war. Auf die Konflikte zwischen diesen beiden Institutionen wird an anderer Stelle noch eingegangen. Hier bleibt lediglich festzuhalten, daß sich bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Regierung mit der Haltung, daß das Budget kein Gesetz sei und daß die Kammern deswegen auch nicht die Verbindlichkeit der im Budget verabschiedeten Haushaltspositionen einklagen könnten, behauptete. 323 Erst nach 1850, als die Position der Kammern bei den Budgetverhandlungen zunehmend stärker wurde, war eine stärkere Spezialisierung der Budgets - im Sinne einer detaillierteren Gliederung - zu beobachten und die Verbindlichkeit der Ansätze im Haushaltsplan wurde zum Gewohnheitsrecht, was 1882 im Finanzgesetz verankert wurde. 324 Die Haushaltskontrolle hätte durch die neuen Vorschriften im Budgetrecht deutlich verbessert werden können, zumindest im Hinblick auf die Überprüfung des Haushaltsvollzugs auf Übereinstimmung mit dem verabschiedeten Finanzgesetz und Budget. Problematisch war jedoch, daß das Budget von der Regierung nicht als verbindlich angesehen wurde. Außerdem konnten die Änderungen des neuen Budgetrechts nicht ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden. Das Personal in der Verwaltung war wenig 323 324

Vgl. van Calker (1901), S. 58-66. Vgl. Buchenberger (1902), S. 1 f.

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vorbereitet auf die Änderungen und auch die Rechnungen der vergangenen Budgetperioden waren noch nicht vollständig vorhanden, so daß noch keine Grundlage für einen Soll-Ist-Vergleich nach der neuen Budgetperiode bestand. Das erste Budget nach Verabschiedung der neuen Verfassung war wenig detailliert und bot den Ständen somit wenig Infonnationen für eine Prüfung der Ausgabenseite, um auf dieser Grundlage die für die Finanzierung der Ausgaben notwendigen Steuern zu genehrnigen?25 Spätere Budgets wurden dem Anspruch der Vollständigkeit besser gerecht,326 doch solange die Regierung und die Kammern zu keiner Einigung bzgl. der Verbindlichkeit des Budgets kamen, hatte die ständische Kontrolle der Rechnungsnachweisungen keine Folgen für die Regierung. Erst 1875 legte die Regierung dem Landtag einen Gesetzesentwurf vor, der eine Oberrechnungskammer vorsah, die unabhängig von der Regierung für die beiden Kammern arbeiten sollte. Damit wurde die Voraussetzung für eine unabhängige und wirksame Haushaltskontrolle geschaffen. 327 c) Der Kampf um das Ausgabenbewilligungsrecht in Baden

Genauso wie in Bayern vertrat in Baden die Regierung die Ansicht, daß das im Finanzgesetz vorgelegte Budget als Verwaltungsakt zu betrachten sei. Der Landtag interpretierte das Budget dagegen als Gesetz und leitete daraus die Verbindlichkeit der Haushaltspositionen und das Ausgabenbewilligungsrecht für die Stände ab. Die ersten Budgetverhandlungen von 1817 vor der Einführung der Verfassung von 1818 waren dadurch geprägt, daß die Regierung dem Landtag wohlwollend gegenübertrat und auch Änderungsvorschläge auf der Ausgabenseite akzeptierte, ohne darauf zu bestehen, daß der Landtag lediglich ein Budgetprüfungsrecht und nicht ein Ausgabenbewilligungsrecht habe. 328 Der Landtag von 1819 wagte sich jedoch so weit vor mit seiner Kritik des Budgets und mit Kürzungen von Ausgaben- und Einnahmeposten, daß die Regierung auf Konfrontationskurs ging und von da an nicht bereit war, dem Landtag über das Steuerbewilligungsrecht hinaus Zugeständnisse zu machen?29 Der Konflikt von 1819 wurde gelöst, indem sich der Landtag und die Regierung auf die Kürzung einer Pauschalsumme einigten. Die 2. Kammer erreichte damit eine Verringerung der Steuersumme, und der Regierung verblieb die Entscheidung darüber, in welchen Bereichen gekürzt werden sollte. 33o Diese Lösung hatte auch für den Landtag insofern Vor325 326 327 328 329

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

van Calker (1901), S. 45 f. Regenauer (1863), S. 729 f. van Calker (1901), S. 226 ff. van Calker (1901), S. 43 ff. Kichler (1956), S. 36.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

teile, da er aufgrund der Unvollständigkeit der vorgelegten Unterlagen zum Budget nicht einschätzen konnte, welche Einzelpositionen tatsächlich gekürzt werden konnten oder sollten?3! Die Landtage von 1825 und 1828 zeichneten sich dadurch aus, daß der Anteil regierungstreuer Mitglieder in der 2. Kammer sehr hoch war. Dies bedeutete, daß die Interessen der Regierung in den Budgetverhandlungen sehr stark vertreten waren und damit das Budgetrecht als Steuerbewilligungsrecht ausgeübt wurde. Es wurden vorübergehend 3jährige Budgetperioden eingeführt?32 Diese waren ebenfalls von Nachteil für die Volksvertretung, da es bezüglich der Budgetüberschreitungen und -ersparnisse keine eindeutigen Regelungen gab und die Kammer bei dreijährigen Budgetperioden weniger Einfluß auf die Entscheidung über diese Restmittel nehmen bzw. das Überziehen von Ausgabepositionen nicht verhindern konnte. Die Regierung legte den Kammern 1825 lediglich Nettobudgets vor, jedoch ohne daß sich die (regierungstreue) Volksvertretung dagegen wehrte. 333 Dieses Machtverhältnis bei den Budgetverhandlungen zugunsten der Regierung verschob sich im Finanzgesetz von 1831 zu Ungunsten der Regierung. Das Gesetz von 1831 beschränkte sich nicht nur auf die Steuerbewilligung, sondern umfaßte auch das Ausgabenbudget. Seit 1850 sprach sich die Regierung nicht mehr ausdrücklich gegen das Ausgabenbewilligungsrecht der Landstände aus und 1882 wurde das dann bereits gewohnheitsrechtlich bestehende Ausgabenbewilligungsrecht im Finanzgesetz formal anerkannt. 334 5. Das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 und die Ende des 19. Jahrhunderts etablierten Budgetgrundsätze

a) Das Haushaltsrecht der Reichsveifassung von 1871 Der Budgetkonflikt in Preußen prägte die Verhandlungen für die Verfassung des Norddeutschen Bundes, dessen Regelungen bzgl. des Budgetrechts in der Reichsveifassung von 1871 übernommen wurden. Bismarck versuchte, die Heeresausgaben vom Bundesetat zu trennen, um sich nicht auf einen weiteren Heereskonflikt einlassen zu müssen. 335 Der Bundestag ließ Vgl. Kichler (1956), S. 36. Vgl. van Calker (1901), S. 61. 332 Vgl. van Calker (1901), S. 85 ff. 333 Vgl. Kichler (1956), S. 35. 334 Vgl. Buchenberger (1902), S. 6. 335 Sein Gedanke war, daß ein eigenständiger Heeresetat, der nicht von der Bewilligung des Reichstags abhängig war, lediglich in die Landesetats eingestellt werden mußte. Da die Heeresstärke und die Heeresausgaben pro Kopf kraft Bundes330 331

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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sich jedoch nicht auf die von Bismarck angestrebte Regelung ein. Hinsichtlich der Heeresausgaben stimmte er dem Kompromiß zu, die Friedenspräsenzstärke des Heeres und die Beiträge pro Kopf (der Soldaten) in der Verfassung festzuschreiben, befristete aber das Gesetz bis 1871. Bezüglich der verbleibenden haushaltsrechtlichen Fragen erzielte der Reichstag in den Verhandlungen über die Reichsverfassung von 1871 deutliche Erfolge. Bismarck versuchte, eine dreijährige statt einjährige Budgetperiode einzuführen, scheiterte aber auch mit diesem Vorhaben. Er mußte sogar eine Schwächung der Regierungsposition hinnehmen. Die Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes wurde gegenüber der preußischen Verfassung deutlicher hervorgehoben und bezog sich in der Reichsverfassung explizit auf das Haushaltsgesetz und nicht nur auf den Haushaltsplanentwurf?36 Damit konnte die Reichsregierung nicht wie in Preußen ohne Verabschiedung eines Haushaltsgesetzes Staatsausgaben tätigen. 337 Darüber hinaus wurde die Jährlichkeit bei der Steuerbewilligung wieder eingeführt. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Länder darauf bedacht waren, ihre Autonomie nicht einschränken zu lassen durch eine zu mächtige zentrale Reichsgewalt und deswegen dem Reich nur begrenzte Einnahmekompetenzen zugestanden wurden. Außerdem befürchteten die Länder, daß das Reich die Steuerkraft ihrer Bevölkerung zu ihren Lasten abschöpfen könnte. 338 Die Machtposition des Reichstags läßt sich damit erklären, daß das Reich über wenige eigenen Steuern verfügte, so daß die Ausgaben, welche nicht über die Reichsteuern finanzierbar waren, durch Matrikularbeiträge der Länder gedeckt wurden. 339 Da die Länder ein sehr starkes Interesse daran hatten, die Ausgaben und damit die Matrikularbeiträge so gering wie möglich zu halten, waren Etatüberschreitungen in der Reichsverfassung im Unterschied zur preußischen Verfassung, welche Ausnahmen zuließ, verboten. In der preußischen Verfassung wurden Etatüberschreitungen i. d. R. aus den verfassungsrecht feststanden, hätten die Länder die Heeresausgaben aber nicht kürzen können. Vgl. Huber (1963), S. 663 f. 336 Andernfalls wäre es möglich gewesen, daß der Haushaltsplanentwurf zwar vor Beginn des Rechnungsjahres aufgestellt wurde, aber das Haushaltsgesetz - z. B. aufgrund langwieriger Verhandlungen im Abgeordneten- und Herrenhaus sowie zwischen den beiden Häusern und der Regierung - erst nach Beginn des Rechnungsjahres verabschiedet wurde, ohne daß dies als verfassungswidrig gegolten hätte. Auch im Reich kam es häufig vor, daß das Haushaltsgesetz zu spät verabschiedet wurde. Durch die Verankerung des Grundsatzes der Vorherigkeit in der Verfassung konnten die Regierung und die Verwaltung aber eher unter Druck gesetzt werden, wenn sie dagegen verstießen. V gl. zum Grundsatz der Vorherigkeit auch die Ausführungen im Abschnitt C.II.3. 337 Vgl. Huber (1963), S. 664 f. 338 Vgl. Seeck (1919), S. 180 f. 339 V gl. Schanz (1896), S. 89 f. 8Strube

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

Überschüssen finanziert, die sich im Laufe einer Periode ansammelten. Der Reichstag hatte jedoch kein Interesse daran, Überschüsse für Mehrausgaben auszugeben, sondern ließ in der Verfassung festhalten, daß die Überschüsse einer Budgetperiode eingefroren und für die Ausgaben der darauffolgenden Budgetperiode verwendet werden sollten. Der Regierung blieb lediglich die Möglichkeit, bei über- bzw. außerplanmäßigen Ausgaben den Reichstag um einen Nachtragshaushalt zu erbitten. Von den Nachtragsetats ist auf Reichsebene im Gegensatz zu Preußen häufig Gebrauch gemacht worden. 34o In der Reichsverfassung wurde dem Reichstag und Reichsrat genauso wie dem preußischen Landtag das Recht der Budgetkontrolle eingeräumt. Es wurde jedoch kein eigenes Gesetz für die Kontrolle auf Reichsebene verabschiedet, sondern auf die preußische Oberrechnungskammer zurückgegriffen. Für diese Behörde wurde 1872 ein neues Gesetz betreffend die Einrichtung und Befugnisse der Ober-Rechnungskammer verabschiedet. Das neue Gesetz sollte die Grundlage für die Arbeit der Rechnungsprüfungsbehörde im Dienste des preußischen Landtags und des Reichstags schaffen. Es enthielt Bestimmungen darüber, welche Informationen der Landtag und der Reichstag erhalten sollten, um die Entlastung der Regierung zu prüfen. In der Oberrechnungskammer wurde eine eigene Abteilung - der Rechnungshof des Norddeutschen Bundes und später der Rechnungshof des Deutschen Reichs - für die Rechnungsprüfung des Reichshaushalts und der Reichsrechnungen eingerichtet. 341 Da der Reichsregierung das nicht genügte, versuchte sie seit 1872, eine eigene Rechnungsprüfungsbehörde einzurichten. Nach dem Erlaß des preußischen Komptabilitätsgesetzes von 1898 wurde 4 Jahre später (1902) an einem Entwurf eines Gesetzes über den Reichshaushalt in Anlehnung an dieses Komptabilitätsgesetz gearbeitet. Doch dieser Versuch scheiterte an dem Widerstand der Reichsressorts. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs wurde kein Gesetz für eine eigene Reichsprüfungsbehörde verabschiedet. Erst nach dem 1. Weltkrieg wurde der Entwurf fast unverändert in der Reichshaushaltsordnung von 1922 verwirklicht. 342

b) Das Haushaltsrecht der Reichsverfassung von 1871 und der preußischen Verfassung von 1850 aus Sicht der im 19. Jahrhundert etablierten Budgetgrundsätze Sowohl die Instruktion für die Oberrechnungskarnmer VOn 1824 und die Gesetze VOn 1872 und 1898 als auch die preußische Verfassung von 1850 sowie die Reichsverfassung von 1871 enthielten einige Grundsätze, welche 340

341 342

Vgl. Mußgnug (1976), S. 18l. Vgl. Rischer (1995), S. 38 f. Vgl. Rischer (1995), S. 52 f.

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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die Erfüllung der Budgetfunktionen unterstützen sollten und welche, wenn auch durch weitere Grundsätze ergänzt, bis heute erhalten geblieben sind. Diese Budgetgrundsätze können als Operationalisierung der Budgetfunktionen aufgefaßt werden. Es geht im folgenden um den Grundsatz - eines ausgeglichenen Haushalts, - der Einheit, - der Vollständigkeit, - der Klarheit und Übersichtlichkeit, - der Vorherigkeit, - der Öffentlichkeit, - der Spezialität und - der Wirtschaftlichkeit. Im folgenden soll auf diese Budgetgrundsätze eingegangen werden und untersucht werden, inwieweit sie in Preußen und im Reich tatsächlich eingehalten wurden. Aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Verfassungen kann diese Untersuchung für beide Verfassungen gleichzeitig erfolgen und dort, wo Unterschiede berücksichtigt werden müssen, auf diese verwiesen werden. Die kritische Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze in der preußischen und in der Reichsverfassung wird an dieser Stelle kurz gehalten, da die haushaltsrechtlichen Regelungen der Reichsverfassung in der Weimarer Verfassung weitgehend identisch übernommen wurden und im Kapitel C. über das Weimarer Haushaltsrecht eine ausführliche Untersuchung der Budgetgrundsätze erfolgt. Die 1922 verabschiedete Reichshaushaltsordnung (RHO) orientierte sich am Komptabilitätsgesetz, so daß auch diesbezüglich auf Kapitel C. verwiesen kann. Es wird dennoch nicht vollständig auf eine Beleuchtung der Grundsätze verzichtet, weil die preußische und die Reichsverfassung sich insofern von der Weimarer Verfassung unterschieden, als daß das Haushaltsrecht nicht wie in der Weimarer Zeit in ein parlamentarisches Regierungssystem eingebettet war. Die Budgetgrundsätze, die in Kapitel C. herangezogen werden, gehen damit über diejenigen in diesem Kapitel hinaus. Der Grundsatz eines ausgeglichenen Staatshaushalts ist an erster Stelle zu nennen. Der Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben war eng mit der Frage verbunden, welche Einnahmeart für die Deckung der Ausgaben heranzuziehen war. Dabei standen dem Staat Einnahmen aus der privatwirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, aus Steuern und aus Krediten zur Verfügung, wobei sich die Steuern und Kredite zunehmend als Finanzierungsmittel durchgesetzt hatten?43 343

S"

Vgl. Wagner (1877), S. 101 f.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modernen Haushaltsrechts

Es läßt sich allgemein festhalten, daß Verschuldung für außerordentliche Ausgaben zugelassen war. Die Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben und Einnahmen wurde üblicherweise an der Periodizität festgemacht, d. h. außerordentliche Ausgaben waren einmalige Ausgaben, von denen nicht erwartet wurde, daß sie wiederkehrten. 344 Analog dazu wurde eine Trennung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Haushalt durchgeführt. Dieses Verfahren sollte sicherstellen, daß keine Einnahmen aus Krediten für ordentliche bzw. regelmäßige Ausgaben verwendet wurden. 345 Es erwies sich jedoch häufig als problematisch, da es keine klaren Regeln für die Zuordnung der Ausgaben und Einnahmen in den ordentlichen oder außerordentlichen Haushalt gab. Dementsprechend großzügig wurde mit der Definition außerordentlicher Ausgaben und Einnahmen umgegangen, mit der Folge, daß die Verschuldung in vielen Ländern rapide zunahm und außerdem Haushaltsmittel zwischen dem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt hin- und hergeschoben wurden. Dabei wurde vernachlässigt, auf den gesamten Schuldenstand und damit auf gesunde Staatsfinanzen zu achten. Um dies zu verhindern, hätte die Verschuldung zwar getrennt ausgewiesen und hervorgehoben werden sollen, aber nicht in einem gesonderten Etat. 346 In Preußen wurde über die Aufnahme von Schulden in getrennten Gesetzen entschieden. Die in dieser Form bewilligten Kredite wurden in der Rechnung als außeretatmäßige Ausgaben aufgeführt. Im Reich wurde 1889/ 90 die Trennung zwischen einem ordentlichen und außerordentlichen Etat eingeführt. In den außerordentlichen Etat wurden diejenigen außerordentlichen bzw. einmaligen Ausgaben eingestellt, bei denen eine Finanzierung durch Verschuldung zulässig war. 347 Das Verfahren in Preußen hat sich im Hinblick auf eine Begrenzung der Verschuldung besser bewährt, denn im Reich konnte nach der Einführung des außerordentlichen Etats beobachtet werden, daß der Schuldenstand erheblich zugenommen hat. Außerdem konnte nicht verhindert werden, daß auch zur Finanzierung des ordentlichen 344 Vgl. Schanz (1926), S. 104. Wagner begründete die Zulässigkeit von Krediten als Finanzierungsmittel mit der zukünftigen Wirkung von Ausgaben. Nach seiner Auffassung durften außerordentliche Ausgaben, von denen auch zukünftige Generationen profitierten, mit Krediten finanziert werden. Der zukünftige Nutzen konnte darin bestehen, daß die Staatseinnahmen erhöht wurden, die staatliche Produktionsfähigkeit sich steigerte oder die Staatsausgaben gesenkt wurden. Wagner bezieht sich bei den außerordentlichen Ausgaben, die durch Kredite finanziert werden dürfen, bspw. auf Kriegskosten oder Investitionen, wobei er auch auf die Möglichkeit der Finanzierung von Kriegen durch Extrasteuern verweist. Vgl. Wagner (1877), S. 122 und 130. Zu den unterschiedlichen Arten von außerordentlichen Ausgaben vgl. Wagner (1877), S. 103-111. 345 Vgl. Schanz (1926), S. 103 f. 346 Vgl. Schwarz (1907), S. 20. 347 Vgl. Schwarz (1907), S. 21 f.

II. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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Haushalts auf Verschuldung zurückgegriffen wurde, obwohl dies an sich nicht zulässig war?48 Der Grundsatz der Einheit des Budgets sollte die Übersicht über die staatlichen Finanzen erleichtern und verhindern, daß die Erstellung mehrerer Spezialetats, die aus den Gesamteinnahmen finanziert wurden, zur Verschleierung der wahren Finanzsituation diente. 349 Problematisch war vor allem die bereits erwähnte Trennung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Etat. Dies führte dazu, daß nicht berücksichtigt wurde, ob der Schuldenstand insgesamt eine weitere Aufnahme von Schulden nicht zuließ. Darüber hinaus wurden die Haushaltsmittel zwischen den beiden Haushalten hin- und hergeschoben, da es keine klare Abgrenzung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben und Einnahmen gab. 35o In Preußen kamen die staatlichen Nebenfonds hinzu, die hauptsächlich aus säkularisierten Gütern stammten. Erst 1898 gelang es den Kammern, die Regierung dazu zu bringen, diese Fonds im Gesamtetat aufzuführen?51 Im Komptabilitätsgesetz von 1898 wurde geregelt, daß die Ausgaben und Einnahmen derjenigen Fonds, die keine juristische Persönlichkeit hatten, im Etat aufzuführen seien. Falls sie diese hatten, aber Zwecken dienten, welche aus staatlichen Mitteln finanziert wurden, dann mußte die Regierung dem Landtag Nachweise mit einer Übersicht über die wichtigsten Einnahmen und Ausgaben vorlegen. 352 Der Grundsatz der Vollständigkeit besagte, daß sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Staates im Staatshaushalt aufzuführen waren. Es war also das Brnttoprinzip anzuwenden, was in Preußen in der Verfassung vorgeschrieben war. Im Deutschen Reich wurde anfänglich das Nettoprinzip angewandt. Die Länder erhoben die Reichssteuern und leiteten nach Abzug des ihnen zustehenden Anteils vom Bruttoertrag den Nettoertrag weiter. Seit 1900 wurden für die Post, die Eisenbahn und die Reichsdruckerei Bruttobudgets eingeführt und nachdem das Reich seine Steuern selber erhob, wurde auch in diesem Bereich das Bruttoprinzip eingeführt. 353 Der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit bezieht sich auf den Aufbau und die Gliederung des Haushaltsplans. Sowohl in Preußen als auch im Reich wurde der Haushaltsplan nach den Ausgaben und Einnahmen unterteilt. Die Einnahmen wurden dann üblicherweise sachlich geordnet, die Ausgaben meistens nach Ministerien. Diese Einteilung der Ausgaben und 348 349 350 351

352 353

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schwarz (1907), S. 21. Schanz (1926), S. 89. Schwarz (1907), S. 18 f. Schwarz (1900), S. 24.

§§ 2 und 3 Gesetz Staatshaushalt 1898.

Schanz (1926), S. 95.

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

Einnahmen hatte den Nachteil, daß sachlich zusammengehörende Ausgaben nur schwer ermittelt werden konnten, da häufig mehrere Ministerien für einen Bereich zuständig waren. Damit konnte nicht nachvollzogen werden, wieviel Ausgaben in einen Bereich wie z. B. das Schulwesen flossen, und außerdem war die Verantwortlichkeit für die Ausgaben nicht klar geregelt. 354 Der Grundsatz der Vorherigkeit besagt, daß die Ausgaben und Einnahmen vor Beginn des Rechnungsjahres festgestellt werden müssen, für das sie vorgesehen sind. Dieser Grundsatz war sowohl in der preußischen als auch in der Reichsverfassung verankert. Nicht verfassungsmäßig geregelt war jedoch die Vorgehensweise, wenn kein Haushaltsgesetz zustande kam. In Preußen wurden die bis zur Verabschiedung des (verspäteten) Etats geleisteten Ausgaben im Etatgesetz nachträglich genehmigt. 355 1920 wurde in Preußen der Nothaushalt verfassungsmäßig geregelt, indem bestimmt wurde, daß bis zum Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes Ausgaben für gesetzlich vorgegebene Maßnahmen, für rechtliche Verpflichtungen des Staates sowie für die Fortsetzung von Bauten und sonstiger Leistungen, die im VOIjahr bereits bewilligt worden waren, geleistet werden durften. Falls diese Ausgaben nicht durch auf besonderem Gesetz beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen gedeckt werden konnten, durften Schatzanweisungen bis zur Höhe des Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplans ausgegeben werden. Diese Nothaushaltsregelung war deswegen zu kritisieren, weil sie keine Begrenzung auf einen bestimmten Zeitraum enthielt. Dies konnte dazu führen, daß das Budgetrecht des Parlaments nicht mehr zum Tragen kam und die Verantwortung für den ausgeglichenen Haushalt auf die Verwaltung übertragen wurde. In der Regel wurde das Haushaltsgesetz aber rechtzeitig festgestellt. 356 Im Reich wurde i. d. R. das System der vorläufigen Zwölftel angewandt, d.h. die Verwaltung durfte monatlich Einnahmen und Ausgaben bis zu einem Zwölftel der Summe des abgelaufenen Rechnungsjahres erheben bzw. leisten. Diese Vorschrift wurde seit 1912 allgemeiner gehalten, was dazu führte, daß keine Beschränkung der Ausgabenhöhe mehr erfolgte. Das Nothaushaltsrecht im Reich enthielt für die Regierung also einen großen Entscheidungsspielraum, und seit 1904 kam es regelmäßig vor, daß das Haushaltsgesetz nicht rechtzeitig verabschiedet wurde. In den Rechnungsjahren 1904 bis 1914 wurden sechs Haushaltsgesetze erst nach Beginn des Rechnungsjahres verabschiedet, so daß auf Notregelungen zurückgegriffen werden mußte. Neben diesen sechs eindeutigen Verletzungen des Grundsat354 355 356

Vgl. Schwarz (1907), S. 7 f. und auch v. Stein (1860), S. 55. Vgl. Schwarz (1907), S. 55. Vgl. Neumark (1927), S. 436.

11. Die Refonnen im Zeitalter des Absolutismus

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zes der Vorherigkeit gab es andere Jahre, in denen der Grundsatz inkonsequent eingehalten wurde. 1905 wurde das Haushaltsgesetz am 1. April, also zu Beginn des Rechnungsjahres festgestellt. Die Budgetgesetze von 1909 und 1911 wurden erst 4 bzw. 7 Tage nach Beginn der Rechnungsperiode verabschiedet. Während des 1. Weltkriegs wurde nur das Haushaltsgesetz für 1915 rechtzeitig festgestellt. 357 Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Budgets wurde durch die Verfassungen in der Form eingeführt, daß der Haushaltsplan den Landtagen mit Erläuterungen überreicht wurde. 358 Es wurde nur eine beschränkte Auflage davon gedruckt, da es nicht darum ging, der allgemeinen Bevölkerung Zugang zu solchen Informationen zu verschaffen. Auf den Publizitätsgrundsatz, wie er später für das parlamentarische Regierungssystem definiert wurde, wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Er wird in Kapitel C. im Zusammenhang mit der Budgetkontrolle untersucht. Der Grundsatz der Spezialität bzw. der Verbindlichkeit der Haushaltsansätze, die im Gesetz verabschiedet werden, betrifft nicht die Haushaltsplanung, sondern die Haushaltsdurchführung. Sowohl in Preußen als auch im Reich war der Haushaltsplan als verbindlich zu betrachten. Die Frage nach Abweichungen vom Haushaltsplan war eng verknüpft mit der Diskussion um die Gliederung des Haushaltsplans, denn je detaillierter die Einteilung, desto weniger Freiraum hatte die Verwaltung beim Vollzug des Haushaltsplans. Das Parlament hatte ein starkes Interesse daran, die Regierung und die Verwaltung stärker an den verabschiedeten Haushaltsplan zu binden, so daß es eine möglichst starke Spezialisierung des Haushaltsplans anstrebte. In Preußen und im Reich waren die Etats wie in den meisten anderen Ländern in Kapitel und Titel eingeteilt, was einer starken Spezialisierung entspricht. Es waren allerdings Abweichungen vom Haushaltsplan zugelassen, auf die im folgenden eingegangen wird. 359 Bei der Frage nach Abweichungen vom Haushaltsplan muß unterschieden werden, um welche Art von Abweichung es ging. Unproblematisch waren Ersparnisse auf der Ausgabenseite oder Mehreinnahmen, solange die Verwendung der Ersparnisse bzw. Überschüsse in zufriedenstellender Weise gelöst wurde. Im Reich wurden Überschüsse in der laufenden Periode eingefroren und über ihre Verwendung in den Verhandlungen über die darauffolgende Budgetperiode entschieden, so daß sie i. d. R. dazu verwendet wurden, die Matrikularbeiträge zu senken. In Preußen wurden Überschüsse Vgl. Neumark (1927), S. 430. In Preußen wurde der erste Haushaltsplan 1821 veröffentlicht, um die Kreditwürdigkeit des Staates unter Beweis zu stellen. Der Infonnationsgehalt dieses Budgets hielt sich jedoch in Grenzen, da er nur grob gegliedert war und Nettobeträge enthielt. Vgl. Schmölders (1957/58), S. 197 ff. 359 Widenmeyer (1885), S. 13 f. 357 358

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B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

oder Ersparnisse an das Extraordinarium überwiesen, so daß damit ein Reservefonds gebildet wurde?60 Beide Lösungen erscheinen aus ökonomischer Sicht vertretbar, solange die finanziellen Transaktionen nachvollzogen und kontrolliert werden konnten und solange die Überschüsse nicht ein solches Ausmaß annahmen, daß eine Senkung der Steuern angeraten war, oder mit stabilitätspolitischen Konsequenzen gerechnet werden mußte. Eine weitere Variante der Abweichungen vom Etat waren außeretatmäßige Ausgaben und Etatüberschreitungen. Außeretatmäßige Ausgaben entstanden in denjenigen Fällen, in denen Ausgaben getätigt wurden, für die im Haushaltsplan kein Titel vorgesehen war. Sie wurden auch qualitative Abweichungen vom Etat genannt. Etatüberschreitungen lagen dann vor, wenn die Ausgaben höher ausfielen als im Haushaltsplan vorgesehen oder wenn die Einnahmen niedriger waren als geplant. 361 Sie wurden auch quantitative Abweichungen vom Etat genannt. 362 In Preußen waren Etatsüberschreitungen lediglich in denjenigen Fällen erlaubt, in denen ein Haushaltstitel ausdrücklich als übertragbar im Haushaltsgesetz gekennzeichnet war. Die Überschreitungen waren dann aus Einnahmeüberschüssen oder Ersparnissen in einem anderen Haushaltstitel zu finanzieren. Die außeretatmäßigen Ausgaben und die Etatsüberschreitungen mußten in den Rechnungen nachgewiesen und nachträglich vom Landtag genehmigt werden?63 Allerdings war nicht geklärt, zu welchen Maßnahmen der Landtag greifen konnte, falls er mit den Mehrausgaben nicht einverstanden war. Im Reich mußte die Regierung die Mehrausgaben über einen Nachtragsetat vom Reichstag und Reichsrat genehmigen lassen, bevor sie geleistet wurden. Die Möglichkeit der Nachtragsetats wurde im Reich intensiv genutzt, ohne daß jedoch beurteilt werden kann, ob es in den Einzelfällen um Ausgaben ging, bei denen ein Nachtragsetat zu rechtfertigen war. Das Parlament orientierte sich bei der Entscheidung über nachträgliche Genehmigungen oder Nachtragsetats i. d. R. daran, ob die Ausgaben gesetzlich bzw. rechtlich begründet waren oder ob es freiwillige Leistungen der Regierung waren?64 Die Haushaltsansätze waren nicht nur der Höhe (quantitativ) und der Art (qualitativ) nach verbindlich, sondern sie galten auch nur für eine BudgetVgl. Abschnitt B.II.1. Der Fall, daß die Einnahmen niedriger waren als geplant, kam jedoch seltener vor als Abweichungen aufgrund von Mehrausgaben, so daß dieser Fall im folgenden vernachlässigt wird. Die Schätzung der Einnahmen gestaltete sich zwar nicht einfach, aber es war dennoch möglich, die Einnahmen annähernd vorherzusagen und im Zweifel wurde die Schätzung eher nach unten korrigiert, um Etatsüberschreitungen zu vermeiden. Vgl. zu den Methoden der Einnahmeschätzung v. Stein (1871), S. 46 ff. sowie Schwarz (1907), S. 34 ff. 362 Vgl. Widenmeyer (1885), S. 25-28. 363 Vgl. § 19 Gesetz Ober-Rechnungskammer 1872. 364 Vgl. Schwarz (1907), S. 65-79. 360 361

11. Die Reformen im Zeitalter des Absolutismus

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periode (zeitliche Spezialität bzw. Verbindlichkeit), in Preußen und im Reich also für ein Jahr. Es mußten also Regeln für den Fall gefunden werden, daß entweder die Erhebung bestimmter Einnahmetitel oder die Zahlung bestimmter Ausgabetitel sich verzögerte oder daß eine Übertragung erwünscht war. Die Einnahmen konnten jederzeit erhoben werden, auch wenn sie Etatgesetzen zurückliegender Jahre angehörten. Sie wurden dem Rechnungsjahr zugeordnet, in dem sie vereinnahmt wurden. 365 Bei den Ausgaben war zwischen den übertragbaren Fonds und den eigentlichen Kassenresten zu differenzieren. Die Übertragung von Ausgaben war üblicherweise bei außerordentlichen oder einmaligen Ausgaben zugelassen, also ging es meistens um Baufonds, bei denen verhindert werden sollte, daß aufgrund der zeitlichen Bindung des Haushaltsplans Bauvorhaben abgebrochen werden mußten. Kassenreste entstanden dadurch, daß die Fälligkeit der Ausgaben zwar eingetreten war und damit Verbindlichkeiten an Dritte entstanden waren, die Zahlung aber noch nicht erfolgt war. 366 In Preußen konnten solche Ausgaben in das darauffolgende Haushaltsjahr übertragen werden, falls sie innerhalb dieses Jahres aber nicht ausgezahlt wurden, wurden sie als Ersparnis in das Extraordinarium überwiesen. Ab dann mußte die Ausgabe aus dem laufenden Haushaltsjahr, in dem die Zahlung erfolgte, finanziert werden. 367 Damit sollte ein Anreiz für die Verwaltung geschaffen werden, die Zahlung von Verbindlichkeiten möglichst schnell zu vollziehen. Im Reich durften fällige, aber noch nicht gezahlte Ausgaben noch nicht einmal um ein Jahr verschoben werden. Sie mußten sofort aus dem laufenden Haushaltsjahr gedeckt werden, falls sie nicht rechtzeitig gezahlt wurden. 368 Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit besagte, daß die Verwaltung beim Haushaltsvollzug so vorzugehen hatte, daß die vorgegebenen Aufgaben mit dem niedrigsten Einsatz an Ressourcen erfüllt wurden. 369 Die Oberrechnungskammer und damit auch der Oberste Rechnungshof hatte den Haushalts vollzug durch die Verwaltung im Hinblick auf in diesem Sinne sparsames Handeln zu überprüfen?70 Die Kontrolltätigkeit allein konnte die WirtVgl. Herrfurth (1905), S. 159. Vgl. Schwarz (1907), S. 87. 367 Vgl. §§ 43-46 Gesetz Staatshaushalt 1898 sowie Herrfurth (1905), S. 160 f. 368 Vgl. Arndt (1901), S. 416. 369 Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß sparsames Handeln im Sinne von Ausgabenkürzungen unwirtschaftlich sein kann, wenn dadurch Folgekosten entstehen, die in den darauffolgenden Jahren zu Ausgabenerhöhungen führen. Wenn beispielsweise Haushaltsmittel bei der Wartung von Abwassersystemen gekürzt werden, kann dies dazu führen, daß dies zukünftig zu Folgekosten in Form von Ersatzinvestitionen führt, die deutlich über den Kosten der Wartung liegen. Vgl. Grossekettler (1999), S. 608. 365

366

122

B. Vom Mittelalter bis zur Entstehung des modemen Haushaltsrechts

schaftlichkeit in der Verwaltung jedoch nicht sichern, denn das Haushaltsrecht enthielt Regelungen, die dem wirtschaftlichen Handeln in der Verwaltung entgegenwirkten. Hierzu zählt vor allem der eben erläuterte Grundsatz der Spezialität. Dieser Grundsatz führte dazu, daß Ersparnisse nicht dem Ressort oder Dezernat zugute kamen, das sie erzielte, da die Übertragung von Mitteln zwischen Titeln oder auf spätere Haushaltsjahre nicht zulässig war. Der Anreiz zu wirtschaftlichem Handeln war dementsprechend gering, da die Ressorts dadurch eine Präferenz dafür hatten, die für ihren Fonds vorgesehenen Mitteln tatsächlich zu verausgaben. Aufgrund der starken Spezialisierung kam hinzu, daß sehr leicht Verwechslungen von Titeln und Fonds stattfanden. Der Mehraufwand, der durch die Korrektur solcher Fehler entstand, wirkte dem Wirtschaftlichkeitsprinzip ebenfalls entgegen?7!

370 Vgl. Instruktion an die Oberrechnungskammer vom 18. Dezember 1824, abgedruckt bei Hertel (1884), S. 125 ff. hier S. 130. 371 Vgl. Schwarz (1907), S. 73.

c.

Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wurden die budgetrechtlichen Regelungen der Reichsverfassung von 1871 unverändert übernommen, aufgrund der Einführung des parlamentarischen Regierungssystems änderte sich der Charakter des Budgetrechts jedoch grundlegend. Dies zeigte sich am deutlichsten an den Budgetfunktionen als den Anforderungen, die das Haushaltsrecht in einem solchen System erfüllen soll. 1 Im folgenden werden die traditionellen Budgetfunktionen nach Neumark erläutert und die Budgetgrundsätze, die der Operationalisierung der Budgetfunktionen dienen, genannt. Auf eine Definition der Budgetgrundsätze wird an dieser Stelle verzichtet. Sie erfolgt im Zusammenhang mit der kritischen Beurteilung des Weimarer Haushaltsrechts, wofür die Budgetfunktionen und Budgetgrundsätze die Grundlage bilden. Auch in den nachfolgenden Kapiteln werden sie zur Untersuchung des Haushaltsrechts herangezogen und an entsprechender Stelle durch neuere Entwicklungen in den Anforderungen an das Budgetrecht erweitert. Nach der Erläuterung der Budgetfunktionen und Budgetgrundsätze werden die wichtigsten Vorschriften im Weimarer Haushaltsrecht kurz erläutert. Dem folgt ein Abschnitt über die wirtschaftlichen Probleme in der Weimarer Zeit, da sie die Haushaltspolitik und damit auch die Entwicklung des Haushaltsrechts entscheidend beeinflußt haben. In Abschnitt C.I1. wird untersucht, inwiefern das Haushaltsrecht in der Lage war, den Budgetgrundsätzen (und damit auch den Budgetfunktionen) gerecht zu werden. Im Anschluß an die kritische Beurteilung des Weimarer Haushaltsrechts werden in Abschnitt C.I11. tatsächlich durchgeführte Reformen sowie Reformvorschläge untersucht, die von wissenschaftlicher und Verwaltungsseite angeregt, aber von der Regierung oder dem Reichstag nicht umgesetzt wurden.

1

Vgl. Mußgnug (1976), S. 188 f.

124

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts 1. Die Budgetfunktionen des Haushaltsrechts in einem parlamentarischen Regierungssystem und die Budgetgrundsätze als Beurteilungsgrundlage

Die erste Funktion, die im Zusammenhang mit den traditionellen Budgetfunktionen genannt werden muß, ist die jinanzpolitische Budgetfunktion. Sie ist liquiditätsorientiert und in den bisherigen Ausführungen unter dem Stichwort "ausgeglichener Haushalt" zur Beurteilung des Haushaltswesens herangezogen worden und zwar unabhängig von zeitlichen, örtlichen oder politischen Verhältnissen. Die finanzpolitische Funktion verlangt, daß die Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan ausgeglichen sein müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es verschiedene Arten von Haushaltsausgleichen gibt: - Von einem scheinbaren Ausgleich des Haushaltsplans wird gesprochen, wenn Ausgaben nicht oder - wider besseren Wissens - niedriger als erwartet in den Haushaltsplan eingestellt werden. Außerdem wird von einem scheinbaren Haushaltsausgleich gesprochen, wenn die Einnahmeschätzungen zu hoch angesetzt werden bzw. Einnahmen, mit denen in der kommenden Haushaltsperiode nicht zu rechnen ist, im Haushaltsplan berücksichtigt werden. Die Einhaltung der Grundsätze der Genauigkeit und der Vollständigkeit sollte einen scheinbaren Haushaltsausgleich verhindem. 2 - Ein formal bzw. quantitativ ausgeglichener Haushaltsplan liegt vor, wenn (bei Einhaltung der Grundsätze der Genauigkeit und Vollständigkeit) die Summen der Ausgaben und Einnahmen einander entsprechen. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Art von Einnahmen und Ausgaben es geht. Beim qualifiziert formalen Haushaltsausgleich ist die Summe der Ausgaben und Einnahmen ausgeglichen und die Kreditfinanzierung erfolgt anband bestimmter Verschuldungskriterien bzw. -grundsätze. 3 - Der materielle Ausgleich des Haushaltsplans ist erfüllt, wenn sich die ordentlichen Ausgaben (z. B. ohne die Zahlungen für Schuldentilgung) und die ordentlichen Einnahmen (u. a. ohne Krediteinnahmen) ausgleichen. 4 Die eben genannten verschiedenen Definitionen machen deutlich, daß es beim Haushaltsausgleich um die Frage nach der Art der Ausgaben und Einnahmen geht, die in den Haushaltsplan eingestellt werden. Auf der Einnah2

3 4

Vgl. Neumark (1929), S. 23. Vgl. Rehm (1975), S. 64. Vgl. Rehm (1975), S. 65.

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menseite ergibt sich die Frage, ob die Kreditfinanzierung der Ausgaben zulässig ist. Im Falle eines qualifiziert formalen Haushaltsausgleichs steht die Aufstellung von Verschuldungsgrundsätzen im Mittelpunkt, welche die Aufnahme von Krediten auf die Fälle beschränken, in denen es ökonomisch gerechtfertigt erscheint. 5 In der Weimarer Zeit wurde von der finanzwissenschaftlichen Theorie ein materieller Haushaltsausgleich gefordert. Ob diese Forderung im Weimarer Haushaltsrecht erfüllt wurde, wird in Abschnitt CU. beurteilt. Der Grundsatz eines ausgeglichenen Haushalts steht in sehr engem Zusammenhang mit den anderen Budgetgrundsätzen, wobei insbesondere die bereits genannten Grundsätze der Genauigkeit und Vollständigkeit sowie die Grundsätze der Klarheit, der Vorherigkeit, der Einheit und der Nonaffektation eine wichtige Rolle spielen. Im Zusammenhang mit der finanzpolitischen Budgetfunktion ist außerdem die Frage zu stellen, in welchem Ausmaß und für welche Aufgaben Haushaltsmittel bewilligt werden. 6 Es läßt sich die Forderung aufstellen, daß die Entscheidung über das Ausmaß der Ausgaben, also die Bestimmung des zu erreichenden Zielniveaus, nach dem Grundsatz der Sparsamkeit erfolgen sollte. Die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel sollte nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit erfolgen, d. h. bei der Durchführung der Aufgaben sollte darauf geachtet werden, daß die vorgegebenen Ziele mit einem Aufwand erreicht werden, der so niedrig wie möglich ist. 7 Sowohl für den ausgeglichenen Haushalt als auch für eine sparsame und wirtschaftliche Bewirtschaftung der Haushaltsmittel ist eine wirksame Kontrolle, die vor allem vom Informationsgehalt des Haushaltsplans und der Haushaltsrechnung sowie den verfügbaren Sanktionsmechanismen abhängt, 5 Vgl. Neumark (1929), S. 23 f. In dieser Arbeit soll nicht untersucht werden, wann die Finanzierung öffentlicher Ausgaben durch Verschuldung aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt werden kann und wie solche Verschuldungsgrundsätze ausgestaltet werden sollten [hier vgl. Funke (1995)]. Es kann lediglich gefragt werden, ob in der Verschuldungspolitik rechtlich festgelegte Regeln angewandt, inwiefern die Budgetfunktionen durch die Aufnahme von Schulden verletzt und ob Reforrnvorschläge im Sinne einer Ergänzung des Haushaltsrechts durch Verschuldungsregeln gemacht wurden. 6 Vgl. Neumark (1929), S. 16. 7 Vgl. Grossekettler (1999), S. 608 f. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit kann auch auf den Entscheidungsprozeß bei der Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans ausgedehnt werden, wodurch ein anderer Aspekt der Budgetfunktion die Forderung nach der Aufstellung eines effizienten Regierungsprograrnrns - in den Vordergrund tritt. Auf eine solche Erweiterung der Budgetfunktionen soll an dieser Stelle aber verzichtet werden, da diese Funktion erst nach dem 2. Weltkrieg verstärkt herangezogen wurde, um das Haushaltsrecht zu beurteilen. Da die RHO nach dem 2. Weltkrieg von der Bundesregierung übernommen wurde, kann für eine Beurteilung des Haushaltsrechts in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit bei der Haushaltsplanung auf die Ausführungen in Kapitel D. hingewiesen werden.

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eine wichtige Voraussetzung. Die Kontrollfunktion des Budgets wird nach der Erläuterung der juristischen Budgetfunktion definiert und die Beurteilung des Weimarer Haushaltsrechts aus ihrer Sicht erfolgt in Abschnitt C.lL7. Die spezifisch-politische Funktion sieht das Budget als Mittel zur Beeinflussung der Verwaltung. Diese Funktion ist in einem parlamentarischen Regierungssystem von besonderer Bedeutung, da hier die Bindung der Verwaltung an das politische Programm des Parlaments ein großes Gewicht hat. Im absolutistischen oder auch im ständischen Staat hatte der Herrscher zwar ebenso ein Interesse, die Verwaltung durch das Budget an seine Interessen zu binden. Dies ist jedoch nicht mit der Bedeutung des Haushaltsrechts in einem System zu vergleichen, in dem die Regierung als Vorgesetzte der Verwaltung die bewilligten Mittel im Sinne der Volksvertretung zu verwalten und zu verwenden hat. Denn in einem parlamentarischen System spiegelt das Haushaltsgesetz das politische Programm der Parlamentsmehrheit bzw. der von ihr beauftragten Regierung wieder, soweit die Maßnahmen finanzielle Mittel im Haushalt beanspruchen. Das Haushaltsrecht bestimmt in diesem Zusammenhang, welche Informationen dem Parlament und dem Wähler über die finanzielle Umsetzung des politischen Programms des vom Parlament beauftragten Regierungskabinetts zur Verfügung gestellt werden. 8 Von den haushaltsrechtlichen Regelungen zum Haushaltsvollzug und zur Haushaltskontrolle ist die Lenkung und Kontrolle der Verwaltung im Sinne des Parlaments entscheidend abhängig. 9 Auch für die spezifisch-politische Budgetfunktion ist die Einhaltung der Grundsätze der Vollständigkeit, der Klarheit, Genauigkeit und Vorherigkeit eine Voraussetzung. Eine besondere Rolle für die spezifisch-politische Budgetfunktion spielen darüber hinaus die Grundsätze der Spezialität, der Jährlichkeit und der Öffentlichkeit sowie die Budgetfunktion einer wirksamen Kontrolle durch das Parlament bzw. eine unabhängige Behörde. Eine erfolgreiche Verankerung dieser Grundsätze im Haushaltsrecht war Gegenstand der Machtkämpfe zwischen den Kammern und den Regierungen der frühkonstitutionellen Verfassungen, die in Kapitel B. untersucht wurden. Auch in der Weimarer Zeit war die Implementierung oder die Durchsetzung dieser Budgetgrundsätze der Anlaß für Diskussionen zwischen dem Parlament und der Regierung.

8 Gerade dieser politische Charakter des Budgetrechts hat in der Weimarer Zeit eine besondere Rolle gespielt, da das parlamentarische Regierungssystem sehr jung war und die Parteien häufig in der Kritik standen, die Ausgaben maßlos zu erhöhen. Darauf wird im Zusammenhang mit der kritischen Beurteilung des Haushaltsrechts noch eingegangen. 9 Vgl. Neumark (1929), S. 18 f.

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Die juristische Budgetfunktion setzt voraus, daß das Budget rechtlich bindend für die Verwaltung sein muß, damit die finanzpolitische und spezifisch-politische Funktion erfüllt werden. Das Budget muß also Rechtskraft erlangen, damit bei einer Verletzung des Haushaltsplans auch entsprechende Sanktionen ergriffen werden können. Die rechtliche Bindung der Budgets spielte sicherlich auch zur Zeit absolutistischer Regierungen eine Rolle, doch seit dem Aufkommen der konstitutionellen Verfassungen ist sie von weit größerer Bedeutung. Dafür spricht auch die Ende des 19. Jahrhunderts geführte Diskussion über den gesetzlichen Charakter des Haushaltsplans. Es würde in dieser Arbeit zu weit gehen, diese überwiegend juristisch geführte Diskussion wiederzugeben. 1O Hier soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß das Haushaltsgesetz als formelles Gesetz für die Verwaltung verbindlich ist. Die im Haushaltsplan festgestellten Ausgaben stellen eine Höchstgrenze dar!! und müssen außerdem für den Zweck verwendet werden, für den sie im Haushaltsplan vorgesehen sind. Die Rechtskraft des Budgetgesetzes ist umso stärker, je spezialisierter die Gliederung des Budgets ist.!2 Die juristische Budgetfunktion bildet die Grundlage für die vierte Budgetfunktion, die in der wirksamen Kontrolle besteht. Es ist zu unterscheiden zwischen der Finanzkontrolle, der Veifassungskontrolle und Kassen- und Bestandskontrolle. Die Finanzkontrolle kann unterteilt werden in die Rechnungs- und in die Verwaltungskontrolle. Im Rahmen der Rechnungskontrolle wird überprüft, ob die Rechnungsbelege rechnerisch und formell, also bzgl. der Einhaltung der Vorschriften, richtig sind. Die Verwaltungskontrolle richtet sich auf die sachliche Prüfung der Verwaltungstätigkeit. Es soll festgestellt werden, ob die Verwaltung die geltenden Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften eingehalten hat und ob sie ihre Aufgaben zweckmäßig und wirtschaftlich erfüllt hat. Im Rahmen der Veifassungskontrolle soll geprüft werden, inwiefern die Haushaltsführung den Vorgaben des Haushaltsplans und somit dem Willen des Parlaments entsprach. Die Veifassungskontrolle wird, wenn der Haushaltsplan gesetzmäßig durchgeführt wurde, mit der Entlastung der Regierung durch das Parlament abgeschlossen. 13 IO Friauj (1968), S. 84 ff., Heckel (1927), S. 436 ff. und Mußgnug (1976), S. 164 ff. geben einen Überblick über die Diskussion. Zur Budgetlehre, in welcher der Haushaltsplan als formelles Gesetz eingestuft wurde, vgl. Laband (1971) und (1885). Die Argumente für die Behandlung des Haushaltsplans als materielles Gesetz können in Haenel (1968) nachgelesen werden. 11 Die Behandlung der Haushaltsansätze als Höchstgrenze war umstritten. Eine strenge Interpretation der Verbindlichkeit von Haushaltsplänen würde eine genaue Einhaltung des Haushaltsplans verlangen und Minderausgaben nicht zulassen. Vgl. Jeze/Neumark (1927), S. 23 ff. und 143 ff. 12 Vgl. Neumark (1929), S. 19 f.

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Außerdem kann die Kontrolle unterschieden werden in eine vorgängige (Visakontrolle) und in eine nachträgliche Kontrolle. Diese Unterscheidung läßt sich nur für die Verwaltungs- und die Verfassungskontrolle treffen, da die Rechnungskontrolle erst nach dem Rechnungsabschluß und somit nur nachträglich erfolgen kann. Die nachträgliche Kontrolle wird auf der Grundlage der Rechnungen und Rechnungsbücher durchgeführt und hat zum Ziel, Fehler beim Haushaltsvollzug aufzudecken. Für die kontrollierten Behörden soll ein Anreiz zu gesetzmäßigem und wirtschaftlichem Handeln dadurch entstehen, daß eine strenge und gründliche Rechnungsprüfung Sanktionsmaßnahmen wie Haftung oder Disziplinarmaßnahmen zur Folge haben kann. Die vorgängige Kontrolle hat eine beratende Funktion und soll durch die Beteiligung der Kontrollbehörde am Entscheidungsprozeß die Erfüllung der Budgetfunktionen und -grundsätze unterstützen. Der Nachteil einer vorgängigen Kontrolle ist, daß sie Entscheidungsprozesse verzögert. Zudem besteht die Gefahr, daß die Verantwortung für getroffene Entscheidungen nicht mehr klar zugeordnet werden kann. 14 Statische Budgctgrundsätze Material

Formal

• Vollständigkeit

• Einheit

• Nonaffektation

• Klarheit

Dynamische Budgetgrundsätze Haushaltsaufstellung und -feststellung • Genauigkeit • Vorherigkeit

Haushaltsvollzug die Budgetfunktion einer wirk• Spezialität samen Kontrolle -sachlich - zeitlich

• lährlichkeit • Sparsamkeit • materieller Haushaltsausgleich

• WirtschaftIichkeit

• Öffentlichkeit Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an NeuTTlßrk (1929).

Abbildung 11 Die Budgetgrundsätze (ergänzt um die Budgetfunktion einer wirksamen Kontrolle) Die Budgetgrundsätze, welche die Budgetfunktionen operationalisieren, werden in Abbildung 11 systematisiert. Sie lassen sich in statische und dynamische Budgetgrundsätze einteilen. Zu den statischen Budgetgrundsätzen gehören materiale Grundsätze, die den Inhalt und formale Grundsätze, 13 14

Vgl. StengellWinzerling (1925), S. 1174 f. Vgl. StengellWinzerling (1925), S. 1175 f.

I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts

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welche die äußere Gestalt des Budgets betreffen. Dynamische Grundsätze beziehen sich auf die Aufstellung, die Feststellung und den Vollzug des Budgets. Die Übersicht ist um die Budgetfunktion einer wirksamen Kontrolle ergänzt worden, die auch als Budgetgrundsatz betrachtet werden kann und zur Beurteilung des Haushaltsrechts herangezogen wird. 2. Ein Überblick über das Weimarer Haushaltsrecht

Die rechtlichen Grundlagen des Weimarer Haushaltsrechts finden sich in den §§ 85-87 der Weimarer Reichsveifassung (WRV), in der Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922, in der Reichsschuldenordnung von 1924, in der Reichskassenordnung von 1924 und in den Wirtschaftsbestimmungen von 1929. Die letzten drei enthielten Vorschriften für die technische Umsetzung der Regelungen der RHO für einzelne Bereiche des Reichshaushalts. Sie können im folgenden vernachlässigt werden, da hier nur die wichtigsten Vorschriften dargestellt werden sollen. Die §§ 85-87 WRV bestimmten, daß sämtliche Ausgaben und Einnahmen für jedes Rechnungsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingestellt werden und dieser per Gesetz festgestellt wird. Darüber hinaus enthielt § 85 WRVein Bepackungsverbot in der Form, daß Ausgaben i.d.R. nur für ein Jahr bewilligt wurden und im Reichshaushaltsgesetz Vorschriften unzulässig waren, die über das Rechnungsjahr hinaus reichten und nicht in Beziehung zu den Einnahmen und Ausgaben des Reichs und ihrer Verwaltung standen. Die Erhöhung oder die Ergänzung des Haushaltsplans um neue Ausgaben wurde an die Zustimmung des Reichsrats geknüpft. Eine Ablehnung des Haushaltsplans durch den Reichsrat konnte jedoch durch eine Zweidrittelmehrheit im Reichstag überstimmt werden. In § 86 WRV wurde die gesetzliche Rechnungsprüjung eingeführt. Der Reichsfinanzminister wurde gegenüber dem Reichstag und dem Reichsrat zur Rechnungslegung verpflichtet. Die Rechnungsprüfung mußte durch ein Reichsgesetz geregelt werden. Schließlich wurde in § 87 WRV vorgeschrieben, daß die Verschuldung nur zur Finanzierung außerordentlicher Ausgaben und i. d. R. nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken herangezogen werden durfte. 15 Die Reichshaushaltsordnung von 1922 enthielt in ihren verschiedenen Abschnitten Regelungen zur Haushaltsaufstellung, zur Haushaltsdurchführung, zur Kassen- und Buchführung sowie zur Rechnungslegung und -prüfung. Hinzu kamen ein Abschnitt zur Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit und ein Abschnitt zum Rechnungshof. Die wichtigsten Vorschriften der RHO werden im folgenden aufgeführt, um einen Überblick über das Haushaltsverfahren zu verschaffen. Die Vorschriften zur 15

Vgl. Reichard (1935), §§ 85-87 RHO, S. 1.

9Strube

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Kassen- und Buchführung sowie zur Rechnungslegung können dabei vernachlässigt werden, da sie betriebswirtschaftlicher Natur sind und in der RHO einen Entwicklungsstand erreicht hatten, der ihren Aufgaben weitgehend gerecht wurde. Die Vorschriften zur Prüfung von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit und zur Organisation des Rechnungshofs werden wegen ihres hohen Spezialisierungsgrades ebenfalls nicht berücksichtigt. Die wichtigsten Vorschriften im 1. Abschnitt der RHO zur Haushaltsaujstellung: 16

• Das Rechnungsjahr begann am I. April und endete am 31. März des darauffolgenden Jahres. • Der Haushaltsplan teilte sich in einen ordentlichen und außerordentlichen Haushalt. Zum ordentlichen Haushalt gehörten die regelmäßigen Einnahmen des Reichs und die daraus zu bestreitenden Ausgaben (ordentliche Einnahmen und Ausgaben). In den außerordentlichen Haushalt wurden die Einnahmen aus Anleihen und die daraus zu finanzierenden Ausgaben (außerordentliche Einnahmen und Ausgaben) eingestellt. Ebenfalls zu den außerordentlichen Einnahmen zählten Beiträge zur Schuldentilgung, Einnahmen aus dem Verkauf von Gegenständen, die mit Anleihemitteln finanziert wurden, sowie andere vom Betrag und Entstehungsgrund her außergewöhnliche Einnahmen. • Der Haushaltsplan bestand aus einem Gesamtplan und den Einzelplänen, wobei in die Einzelpläne die Einnahmen und Ausgaben eines einzelnen Verwaltungszweigs (Ressortprinzip ) oder einer bestimmten Gruppe von Ausgaben und Einnahmen (Realprinzip) eingestellt wurden. Der Gesamtplan faßte sämtliche Ausgaben und Einnahmen der Einzelpläne zusammen. • Die Ausgaben und Einnahmen waren getrennt voneinander in voller Höhe im Haushaltsplan zu veranschlagen (Bruttoprinzip ).17 • Die außerordentlichen und einmaligen Ausgaben, alle Einnahmen, deren Haushaltsansatz nicht mit dem im Vorjahr übereinstimmte, sowie alle Aus16 Vgl. zu diesen Vorschriften SchulzeIWagner (1924), §§ 2-23 RHO, S. 18-74 sowie Gerloff (1929), S. 56 ff. 17 Eine Ausnahme wurde laut § 69 Abs. 2 RHO bei den "Kosten einer Versteigerung, Vermessung und Abschätzung sowie (bei) Vermittlungsgebühren, Besitzwechselsteuern, Kosten und Beurkundung von Rechtsgeschäften, (bei) der Herrichtung und Verbesserung von zum Verkaufe gebrachten Gegenständen" gemacht. In diesen Fällen durften die Ausgaben vorweg von den Einnahmen abgezogen werden. In der Rechnung mußten dann der volle Betrag der Einnahmen und die abgezogenen Ausgaben angegeben werden.

I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts

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gaben, für die im Vorjahr nicht Haushaltsmittel in mindestens gleicher Höhe bewilligt wurden, waren im Haushaltsplan zu erläutern. • Bei allen außerordentlichen und einmaligen Ausgaben, die für eine über mehrere Jahre laufende einheitliche Aufgabe veranschlagt wurden, mußten die voraussichtlichen Gesamtkosten und Beiträge Dritter bei der ersten Einstellung in den Haushaltsplan aufgeführt werden. In den darauffolgenden Jahren mußte angegeben werden, welche Beträge in früheren Rechnungsjahren bewilligt und tatsächlich ausgegeben worden sind. • Einmalige und außerordentliche Ausgaben für Bauvorhaben des Reichs durften erst in den Haushaltsplan eingestellt werden, wenn die Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen dazu vorlagen. Aus letzteren sollte hervorgehen, wie der Bau durchgeführt werden sollte und welche Kosten damit verbunden waren. Ausnahmen waren nur zulässig, wenn es nicht möglich war, die Pläne und Kostenberechnungen rechtzeitig zu erstellen und wenn aus der Verschiebung der Ausgabebewilligung dem Reich ein Schaden entstünde. Die Ausnahmen waren im Haushaltsplan zu begründen und die Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen so schnell wie möglich nachzureichen. • Bei kaufmännisch eingerichteten Reichsbetrieben sollte statt der getrennten Veranschlagung der Ausgaben und Einnahmen das voraussichtliche Endergebnis in den Haushaltsplan eingestellt werden. • Die Haushaltsaufstellung erfolgte durch die verschiedenen Ressorts in der Verwaltung unter der Verantwortung der jeweiligen Reichsminister. Die Unterlagen für den Entwurf des Haushaltsplans wurden dem Reichsfinanzminister zu dem von ihm vorgesehenen Termin vorgelegt. Der Reichsfinanzminister prüfte die Vorlagen der einzelnen Stellen und stellte den Entwurf zum Haushaltsplan auf. Er konnte dabei Haushaltsansätze, die er für unbegründet hielt, nach Absprache mit dem betroffenen Reichsminister kürzen oder streichen. • Der Haushaltsplan wurde von der Reichsregierung festgestellt. Die Ausgaben und Vermerke, denen der Reichsfinanzminister nicht zugestimmt hatte, unterlagen der Beschlußfassung der Reichsregierung, wenn es um Fragen grundsätzlicher oder erheblicher Bedeutung ging. Dabei konnte der Reichsfinanzminister sein Widerspruchsrecht geltend machen, wenn er überstimmt wurde. In diesem Fall konnte in einer weiteren Abstimmung nur gegen den Willen des Reichsfinanzministers entschieden werden, wenn die Mehrheit sämtlicher Reichsminister für die Ausgabe oder den Vermerk stimmte und der Reichskanzler der Mehrheit zugestimmt hatte. • Der Entwurf des Haushaltsplans sollte dem Reichsrat spätestens am 1. November und dem Reichstag spätestens am 5. Januar vor Beginn des Rechnungsjahrs, für das er gelten sollte, vorliegen. 9*

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

• Nach der gesetzlichen Feststellung war der Haushaltsplan dem Rechnungshof (durch den Finanzminister) mitzuteilen. Die wichtigsten Vorschriften im 2. Abschnitt der RHO zur Haushaltsdurchjührung: 18

• Durch den Haushaltsplan wurden Ansprüche oder Verbindlichkeiten Dritter weder begründet noch aufgehoben. • Die Haushaltsmittel sollten wirtschaftlich und sparsam verwaltet werden (Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit). • Alle Einnahmen des Reichs sollten als Deckungsmittel für den gesamten Ausgabebedarf dienen (Grundsatz der Nonaffektation). Ausnahmen waren nur zulässig, wenn im Haushaltsplan oder in besonderen Gesetzen etwas anderes bestimmt wurde. • Die bewilligten Haushaltsmittel waren sachlich und zeitlich an den Betrag, an den Zweck und an das Jahr gebunden, die im Haushaltsplan vorgesehen waren (Grundsatz der Spezialität). Bei den ausdrücklich als übertragbar gekennzeichneten Haushaltsmitteln sowie bei den Mitteln, die für einmalige und außerordentliche Ausgaben bewilligt wurden, standen die nicht ausgegebenen Beträge auch in späteren Rechnungsjahren für Ausgaben zur Verfügung, die unter die Zweckbestimmung fielen. Dies galt für einmalige und außerordentliche Ausgaben nur bis zum Rechnungsabschluß des dritten Jahres nach der Schlußbewilligung. Die übertragbaren Mittel, die am Ende des Rechnungsjahrs nicht verwendet wurden, durften nur mit der Zustimmung des Reichsfinanzministers verausgabt werden. 19 Falls Ausgaben als gegenseitig deckungsfähig bezeichnet wurden, durften ersparte Haushaltsmittel für Mehrausgaben bei anderen als gegenseitig deckungsfahig bezeichneten Bewilligungen verwendet werden. • Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben einschließlich der Mehrausgaben bei übertragbaren Haushaltsmitteln mußten vom Reichsfinanzminister genehmigt werden. Sie waren nur ausnahmsweise im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erlaubt. Die Mehrausgaben bei übertragbaren Mitteln (Vorgriffe) galten als Haushaltsüberschreitungen und mußten im nächsten Rechnungsjahr von der Ausgabebewilligung für den gleichen Zweck abgezogen werden. Vgl. zur Haushaltsdurchführung Reichard (1935), §§ 24--54 RHO, S. 9-2l. Dies galt nur dann, wenn keine Verpflichtung zu einer Leistung bestand oder wenn der Finanzminister einer Verwendung der Mittel für Haushaltsüberschreitungen nicht schon zugestimmt hatte. 18 19

I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts

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Die wichtigsten Vorschriften im 4. Abschnitt der RHO zur Rechnungsprüfung: 20

• Die Rechnungsprüfung wurde vom Rechnungshof durchgeführt. Sie umfaßte die Prüfung der Rechnungen über die Ausführung des Haushaltsplans einschließlich der außerplanmäßigen Ausgaben und Einnahmen, der Rechnungen über das gesamte nicht in Geld bestehende Eigentum des Reichs, der Bücher und Rechnungsunterlagen der Betriebe des Reichs sowie der Rechnungen über solche Anstalten, Stiftungen und Vermögensmassen, die lediglich von Reichsbehörden oder durch Beamte, die hierzu von Reichs wegen angestellt sind, verwaltet wurden. • Es war möglich, Haushaltsmittel mit Rücksicht auf ihren Verwendungszweck der Prüfung durch den Rechnungshof zu entziehen. Dies mußte im Haushaltsplan besonders angeordnet werden. Die Rechnungsprüfung konnte durch den Haushaltsplan auch einer anderen Stelle übertragen werden. • Die Rechnungsprüfung wurde am Sitz des Rechnungshofs vorgenommen, aber der Rechnungshof durfte nach eigenem Ermessen auch örtliche Prüfungen bei den zu prüfenden Stellen durchführen. • Der Rechnungshof sollte im Rahmen der Rechnungsprüfung nachvollziehen, ob - der Haushaltsplan eingehalten wurde, - die einzelnen Rechnungsbeträge sachlich und rechnerisch in vorschriftsmäßiger Weise begründet und belegt waren, - bei der Gewinnung und Erhebung der Einnahmen, bei der Verwendung und Verausgabung von Reichsmitteln sowie bei der Erwerbung, Benutzung und Veräußerung von Reichseigentum wirtschaftlich vorgegangen wurde und die bestehenden Gesetze und Vorschriften eingehalten wurden und ob - Einrichtungen unterhalten, Stellen aufrecht erhalten oder Reichsrnittel verausgabt wurden, die eingespart hätten werden können, ohne daß der Verwaltungszweck gefährdet gewesen wäre. • Der Rechnungshof durfte von den geprüften Stellen jede Auskunft oder schriftliche Unterlagen anfordern, die er für die Rechnungsprüfung für erforderlich hielt. Davon ausgenommen waren die Akten der Reichsministerien. • Nach der Rechnungsprüfung hatte der Rechnungshof Bemerkungen anzufertigen, aus denen hervorging, 20

Vgl. SchulzeIWagner (1924), §§ 87-109, S. 218-258.

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C. Die Entwicklung des HaushaItsrechts in der Weimarer Republik

- ob die Angaben in den Haushaltsrechnungen mit den Beträgen der Kassenrechnungen übereinstimmten und ob sie ordnungsmäßig belegt waren, - ob Abweichungen vom Haushaltsplan und seinen Unterlagen vorgekommen waren und in welchen Fällen gegen bestehende Gesetze oder andere Vorschriften verstoßen wurde sowie - welche außer- und überplanmäßigen Ausgaben vom Reichsrat und Reichstag noch nicht genehmigt und welche Ausgaben falschlicherweise als über- oder außerplanmäßig nachgewiesen worden waren. • Den Bemerkungen des Rechnungshofs war eine Denkschrift beizufügen, in der die wichtigsten Ergebnisse der Rechnungsprüfung zusammengefaßt wurden. Vor der kritischen Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts werden im nächsten Abschnitt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weimarer Zeit kurz erläutert. 3. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weimarer Zeit

Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Weimarer Zeit spielen drei Faktoren für die Entwicklung des Haushaltsrechts eine wichtige Rolle: a) die hohe Inflation, die bereits im 1. Weltkrieg einsetzte und sich bis 1923 fortsetzte, b) die hohen Reparationszahlungen und c) die hohen Sozialausgaben. Zu a) Die hohe Inflation:

Die Inflation setzte bereits während des 1. Weltkrieges ein. In diesen Jahren hatte die Mark 40 v. H. ihres Wertes gemessen am Dollar verloren. Nach dem Krieg bekam die Regierung die Inflation aufgrund der hohen Ausgaben für die Reparationsleistungen und die Erwerbslosenfürsorge sowie aufgrund der hohen Verschuldung nicht in den Griff. Sie finanzierte ihre Ausgaben über die Vermehrung der Geldmenge und verstärkte damit den Wertverfall der Mark. Die Inflation wurde aber nicht nur durch die Verschuldung des Staates verschlimmert, sondern auch durch die Kreditvergabe der Reichsbank an die Unternehmen? I Die Stabilisierung der Wäh21 Vgl. Stolper/Häuser/Borchardt (1966), S. 99-102, sowie Walter (1998), S. 148-152.

I. Grundlagen zur Untersuchung des Weimarer Haushaltsrechts

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rung gelang erst 1923 durch die Einführung der Rentenmark. Die Rentenmark war eine Übergangswährung, die als zusätzliches Zahlungsmittel verwendet wurde?Z Erst 1924 wurde die Reichsmark als Goldkernwährung in Umlauf gebracht und ersetzte die alte Papiermarkwährung?3 Zu b) Die hohen Reparationszahlungen:

Die Friedensverträge nach dem 1. Weltkrieg brachten für das Reich einen erheblichen Gebietsverlust. Die abgetretenen Regionen umfaßten 14,6 v. H. der anbaufähigen Fläche, 74,5 v.H. der Eisenerze, 68,1 v.H. der Zinkerze und 26 v. H. der Kohleförderung Deutschlands. Diese Verluste wurden verschärft durch die Sachleistungen, die dem Deutschen Reich aufgebürdet wurden. Die Friedensverträge enthielten keinen Gesamtbetrag und keinen Zeitplan für die Reparationsleistungen. Es war die Aufgabe der Reparationskommission, den endgültigen Betrag und die Zahlungsbedingungen festzusetzen. Dies sollte bis zum 21. April 1921 geschehen. z4 Die ersten Jahre nach dem 1. Weltkrieg waren geprägt durch den Streit um die Höhe der Beträge und die Art der Zahlung der Reparationen. Der erste Vorschlag, der im Januar 1921 in den Pariser Beschlüssen vorbereitet wurde, ging weit über das hinaus, was die deutsche Wirtschaft hätte leisten können. Auch der endgültige Reparationsplan, der im April 1921 von der Reparationskommission erstellt wurde, unterschied sich in dieser Hinsicht nicht groß von den Pariser Beschlüssen. Der deutschen Regierung wurde das Ultimatum gestellt, den Reparationsplan innerhalb von sechs Tagen anzunehmen, andernfalls sollte das Ruhrrevier besetzt werden. Der Reparationsplan, bei dem ein Großteil der Reparationen in Sachleistungen bestand, wurde daraufhin angenommen. Die ersten Zahlungen wurden vom Deutschen Reich erbracht, doch 1922 erbat die Regierung aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage einen Aufschub bis 1924. z5 Frankreich sah darin jedoch nur einen Versuch 22 Die Rentenmark wurde von der Rentenbank ausgegeben, die eine Grundschuld auf Grundstücke, die land- und forstwirtschaftlich oder gärtnerisch sowie industriell, gewerblich oder von Handelsbetrieben genutzt wurden, aufnahm. In Höhe der Gesamtschuld gab die Rentenbank Rentenbriefe im Wert von 500 Goldmark aus. Die Rentenbank wurde dazu berechtigt, gegen die Rentenbriefe Rentenmark bis zu einer Höchstgrenze von 2,4 Mrd. auszugeben. Die Rentenmark wurde nicht als gesetzliches Zahlungsmittel ausgegeben, mußte aber von den öffentlichen Kassen angenommen werden und galt als Banknotenäquivalent. Vgl. Stolper/Häuser/Borchardt (1964), S. 105 ff. 23 Vgl. Walter (1998), S. 153-155. 24 Vgl. Walter (1998), S. 143 f. 25 Vgl. Stolper/Häuser/Borchardt (1964), S. 91 f. Laut einer Zusammenstellung des Statistischen Reichsamtes lagen die Vermögenswerte, die Deutschland infolge des

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Deutschlands, sich den Reparationsleistungen zu entziehen. Dies führte 1923 zum Ruhrkampf, der eine weitere starke wirtschaftliche Belastung für das Reich darstellte 26 und erst 1924 durch die neue Koalitionsregierung beendet wurde. Im Anschluß an diesen Konflikt wurde die Ausgestaltung des endgültigen Reparationsplans an eine unabhängige "Kommission" übertragen. Daraus entstand der Dawes-Plan 27 , der von allen beteiligten Regierungen angenommen wurde, der aber auch keine endgültige Lösung vorsah. Ein endgültiger Betrag für die Gesamtsumme der Reparationen wurde erst im Young-Plan festgelegt, der am 30. Januar 1930 unterzeichnet wurde. 28 Nach der Unterzeichnung des Dawes-Plans erholte sich die deutsche Wirtschaft von der Inflation und den Kriegsfolgen. Der wirtschaftliche Wiederaufbau konnte aufgrund des starken Zuflusses an ausländischem Kapital finanziert werden. Das Vertrauen des Auslands, insbesondere der Vereinigten Staaten von Amerika, von denen ein Großteil der Kredite stammte, war auf die im Dawes-Plan vorgesehene Überwachung der deutschen Finanzen und der deutschen Mark durch den Reparationsagenten und den Transferausschuß zurückzuführen. Die Reparationsleistungen wurden durch den Waffenstillstandabkommens und des Versailler Vertrags geleistet hat, weit über 50 Milliarden Goldmark. Davon stammten 36,8 Mrd. Goldmark aus vorhandenen Beständen (Reichs- und Staatseigentum, Saargruben, Eisenbahnmaterial, Handelsflotte, Binnenschiffahrt u. a.). 3,752 Mrd. wurden aus der laufenden Produktion (Eisenbahnfahrzeugpark, Seeschiffe, Kohlen und Koks u. a.) geleistet und an Barleistungen wurden 2,23 Mrd. Goldmark gezahlt. Bis Ende 1922 lagen die Reparationsleistungen aus vorhandenen Beständen, aus der laufenden Produktion und aus Barleistungen also bei ca. 42 Mrd. Goldmark. Vgl. Statistisches Reichsamt (1923), S. 9-11. 26 Im Ruhrkampf wurde das Ruhrgebiet durch Frankreich und Belgien besetzt. Deutschland verbot allen deutschen Beamten, von den Besatzungsmächten Befehle entgegenzunehmen, woraufhin die Beamten aus dem Ruhrgebiet ausgewiesen wurden und die Region wirtschaftlich von Deutschland abgeschnitten wurde. Neben dem Verlust an Wirtschaftskraft, die der Ruhrkampf mit sich brachte, war für die Regierung die finanzielle Unterstützung der Arbeiter und Beamten, die das Ruhrgebiet verlassen mußten, und der Unternehmen, die unter den Verlusten litten, eine große Belastung. Vgl. Stolper/Häuser/Borchardt (1964), S. 93. 27 Der Dawes-Plan sah vor, daß die Reparationen aus Jahresleistungen zu erbringen waren, die sich aus Erträgen aus der laufenden Besteuerung, aus Leistungen der Reichseisenbahnen sowie aus Aufbringungsverpflichtungen der deutschen Industrie zusammensetzten. Vgl. zu den einzelnen Reparationsleistungen von Spindler (1965), S. 146 f. 28 Der Young-Plan legte für die Jahresleistungen bestimmte Beträge fest. Bis 1937 lag der Jahresdurchschnitt der Zahlungen bei 2,05 Mrd. Reichsmark und das Reich sollte noch weitere 22 Jahre Zahlungen leisten, die zur Deckung der alliierten Schulden an Amerika verwendet werden sollten. In den ersten 19 Jahren war vorgesehen, daß die Beträge bis 1,6 Mrd. Reichsmark anstiegen und in den letzten 3 Jahren sollten sie bei 900 Mio. Reichsmark liegen. Vgl. von Spindler (1965), S. 148 f. Einen ausführlichen Überblick über die Regelungen im Young-Plan gibt Bergmann (1930).

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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Zufluß an Auslandskapital finanziert, was eine Diskussion über die Tragbarkeit dieser Verschuldungspolitik auslöste. Die Gegner dieser Politik befürchteten, daß die deutsche Wirtschaft zusammenbrechen würde, sobald der Zufluß an ausländischem Kapital stoppen würde. Befürworter versprachen sich aus der Auslandsverschuldung ein wirtschaftliches Wachstum, das Deutschland in die Lage versetzen würde, die Verschuldungslasten in Zukunft zu tragen. 29 Zu c) Die hohen Sozialausgaben:

Der Anteil der Sozialausgaben an den Staatsausgaben stieg bis zum Jahr 1927/28 auf 33 v.H. und bis 1932/33 auf 48 v.H. an. 30 Der Anstieg der Sozialausgaben war auf die Errichtung des Weimarer Sozialstaates zurückzuführen. Bis 1928 stand hinter der Erhöhung der Ausgaben das Ziel, das politische System durch die Schaffung eines leistungsfahiges Systems staatlicher Daseinsfürsorge zu stabilisieren. Nach 1928 stiegen die Kosten des Sozialsystems durch die zunehmende Arbeitslosigkeit stark an?)

11. Kritische Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen im Weimarer Haushaltsrecht Die Beurteilung des Weimarer Haushaltsrechts erfolgt anhand der in Abbildung 11 dargestellten Budgetgrundsätze. Dabei wird darauf hingewiesen, welche Auswirkungen eine Verletzung der Grundsätze auf die Erfüllung der Budgetfunktionen hat. Den Abschluß der Beurteilung des Haushaltsrechts bildet die Untersuchung der Budgetkontrolle und des Budgetgrundsatzes der Öffentlichkeit. Dieser Grundsatz wird im Zusammenhang mit der Budgetkontrolle besprochen, weil die Wirksamkeit der Kontrolle eng mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz verknüpft ist. Bei der Beurteilung des Weimarer Haushaltsrechts ist zu berücksichtigen, daß Fehlentwicklungen zum einen daraus resultierten, daß die rechtlichen Regelungen Ausnahmen von den Grundsätzen zuließen oder daß in den Vorschriften Lücken vorhanden waren, welche die Erfüllung der Grundsätze gefahrdeten. Zum anderen waren Fehlentwicklungen darauf zurückzuführen, daß die rechtlichen Vorschriften nicht eingehalten wurden. In diesem Fall ist zu vermuten, daß die Mängel im Budgetrecht in einer ungenügenden Budgetkontrolle oder in fehlenden Sanktionsmechanismen zu suchen waren. Im folgenden wird zunächst auf die rechtlich zugelassenen Ausnahmen von 29 30 31

Vgl. StolperlHäuser/Borchardt (1964), S. 95. Vgl. Heinig (1951), S. 237 f. Vgl. farnes (1988), S. 62.

138

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

den Budgetgrundsätzen eingegangen. Danach werden Verletzungen der Budgetgrundsätze dargestellt, die auf die Mißachtung der haushaltsrechtlichen Vorschriften zurückzuführen waren. 1. Die Grundsätze eines ausgeglichenen Haushalts und der Jährlichkeit im Weimarer Haushaltsrecht

a) Der Grundsatz eines ausgeglichenen Haushalts § 85 der Weimarer Reichsverfassung forderte den Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan. Da begrifflich sämtliche Arten von Ausgaben und Einnahmen gemeint waren, handelte es sich um einen formalen Haushaltsausgleich. Der formale Haushaltsausgleich wurde in der Weimarer Zeit eingehalten, wenn nicht die Inflation eine genaue Planung der Einnahmen und Ausgaben verhinderte.

Der von wissenschaftlicher Seite geforderte materielle Haushaltsausgleich wurde demgegenüber nicht eingehalten. Laut § 87 WRV war die Verschuldung zwar nur für außerordentliche Ausgaben und i. d. R. nur für werbende Zwecke zugelassen. Weder diese Vorschrift noch die Trennung in einen ordentlichen und außerordentlichen Haushalt konnten aber die Erfüllung eines materiellen Haushaltsausgleichs sicherstellen. Aus dieser Trennung zwischen einem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt erwuchsen erhebliche Nachteile, welche insbesondere die Erfüllung der finanzpolitischen Budgetfunktion gefährdeten. Auf diese Nachteile wird im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Einheit eingegangen. Auch die Verletzung anderer Budgetgrundsätze verhinderte einen materiellen Haushaltsausgleich und stellte somit eine Gefährdung der finanzpolitisehen Budgetfunktion dar. Dabei geht es um die Budgetgrundsätze der Vollständigkeit, der Klarheit, der Genauigkeit sowie der Vorherigkeit. Auf diese Grundsätze wird in diesem Kapitel an späterer Stelle eingegangen. b) Der Grundsatz der lährlichkeit Der Grundsatz der Jährlichkeit der Haushaltspläne war im Weimarer Haushaltsrecht verankert. 32 Die Bedeutung dieses Grundsatzes ist vor allem im Zusammenhang mit der spezifisch-politischen Budgetfunktion und der Budgetkontrolle zu sehen, denn die spezifisch-politische Budgetfunktion und eine wirksame Kontrolle können mit kürzeren Budgetperioden besser erfüllt werden als mit längeren?3 Aus Sicht der finanzpolitischen Budget32 33

Vgl. Art. 85 Abs. 1 WRV in Verbindung mit § 2 RHO. Vgl. Patzig (1967), S. 24.

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

139

funktion war die lährlichkeit der Haushaltspläne von Vorteil, weil die Ausgaben und Einnahmen für längere Haushaltsperioden schwerer zu schätzen waren. Die lährlichkeit der Haushaltspläne war aber auch mit Nachteilen verbunden, die Anlaß für Forderungen waren, die jährliche Haushaltsplanung durch Zweijahreshaushalte, in denen nach Rechnungsjahren getrennt geplant wird, zu ersetzen. Dafür spricht die Entlastung der Verwaltung und des Parlaments, die dadurch erreicht werden könnte. Zweijahreshaushalte erleichtern zudem die Planung von längerfristigen Maßnahmen?4 Im folgenden wird aus diesem Grund die zeitliche Spezialität der Haushaltspläne in den Vordergrund und der lährlichkeitsgrundsatz in den Hintergrund gerückt. Unabhängig von der Entscheidung über die Dauer der kurzfristigen Haushaltsplanung bleibt festzuhalten, daß es sinnvoll gewesen wäre, die jährlichen Haushaltspläne durch mittel- und langfristige Planungen zu ergänzen, da viele Entscheidungen der Regierung und des Parlaments längerfristige Wirkungen entfalteten, die im Entscheidungsprozeß nicht berücksichtigt wurden, weil die Informationen entweder nicht vorhanden waren oder nicht offengelegt wurden. Die Erweiterung der Haushaltspläne um Informationen über die langfristige Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen wäre zwar wahrscheinlich nicht hinreichend gewesen, um eine nachhaltige Haushaltspolitik zu sichern, da im politischen Prozeß die Wahlperioden den Entscheidungshorizont bestimmen. Sie wäre jedoch die erste Voraussetzung für eine Abkehr von der kurzfristig orientierten Haushalts- bzw. Regierungspolitik gewesen. 2. Die Grundsätze der Vollständigkeit und der Nonaffektation im Weimarer Haushaltsrecht

a) Der Grundsatz der Vollständigkeit

Die Weimarer Verfassung von 1919 enthielt für das Budget die Vorgabe, daß sämtliche Ausgaben und Einnahmen im Haushaltsplan zu veranschlagen waren (Bruttoprinzip ). Gleiches galt laut § 69 Abs. 1 RHO von 1922 für das Kassen- und Rechnungswesen. In der RHO wurden allerdings Ausnahmen vom Bruttoprinzip zugelassen?5 Im folgenden wird auf die wichtigsten Ausnahmen eingegangen?6 Die RHO erlaubte eine Ausnahme vom Bruttoprinzip für "Reichsbetriebe oder Teile von solchen, die mit Rücksicht auf ihren Wirtschaftszweck und ihren Umfang kaufmännisch eingerichtet Vgl. Patzig (1967), S. 23. Vgl. Heckel (1932), S. 379 f. 36 Eine ausführliche Darstellung der Ausnahmebereiche vom Grundsatz der Vollständigkeit findet sich in Neumark (1929), S. 126 ff. 34 35

140

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

sind,,37. In solchen Fällen durfte die getrennte Veranschlagung von Ausgaben und Einnahmen durch das vorläufige Endergebnis ersetzt werden. Aus ökonomischer Sicht erscheint eine solche Ausnahme zulässig, da diese Betriebe kaufmännisch geführt wurden und eine Integration in den Haushaltsplan mit dem zusätzlichen Aufwand verbunden gewesen wäre, das Prinzip der doppelten Buchführung mit der im öffentlichen Haushalt angewandten Kameralistik zu verbinden. Auch ohne die Integration der Betriebe in den Haushaltsplan hätte gewährleistet werden können, daß das Parlament sich einen Überblick über die finanzielle Situation der Reichsbetriebe verschafft - z. B. indem die Betriebe dazu verpflichtet worden wären, Berichte über ihre Tätigkeit anzufertigen. 38 Weitere Ausnahmen vom Bruttoprinzip waren die Rückeinnahmen. 39 Darunter waren Einnahmen zu verstehen, welche in engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Verwendung bestimmter Budgetkredite stehen. Es handelte sich bspw. um Einkünfte aus dem Verkauf von Veröffentlichungen, die den Ausgaben für deren Herstellung wieder zugeführt wurden, oder auch um Mieten aus Bauten, welche mit den Ausgaben für die Erstellung der Gebäude verrechnet wurden. 4o Die Rückeinnahmen wurden mit dem Vermerk "Einnahmen fließen den Mitteln zu" mit den Ausgaben netto verrechnet. Die Anwendung des Vermerks wurde damit begründet, daß die Rechnung vereinfacht und eine Aufblähung des Haushaltsplans vermieden werden sollte. Die praktische Handhabung der Rückeinnahmen war jedoch stark zu kritisieren. Zum einen, weil sie in einem Umfang stattfand, der nicht mit dem Ausnahmecharakter der Vorgabe zu vereinbaren war. 41 Zum anderen, weil die Verwendung der Rückeinnahmen nicht eindeutig in der Haushaltsrechnung nachgewiesen wurde, so daß im Falle unvorhergesehener Rückeinnahmen oder einer Überschreitung der geplanten Rückeinnahmen Ausgaben getätigt werden konnten, ohne daß sie der Kontrolle des Rechnungshofs und des Parlaments unterlagen. 42 Dies stellte eine Verletzung der finanzpolitischen sowie der spezifisch-politischen Budgetfunktion dar, die erst 1928 dadurch abgemildert wurde, daß ein großer Teil der Rückeinnahmen in den SchulzeIWagner (1924), § 15 RHO. Vgl. Neumark (1929), S. 136 sowie Hoffmann (1851), S. 615 f. 39 Vgl. SchulzeIWagner (1924), § 7 RHO in Verbindung mit den §§ 69 Abs. 2 und 71 Abs. 2 RHO. 40 Vgl. Neumark (1929), S. 141. 41 Der Rechnungshof wies in seiner Denkschrift zur Reichshaushaltsrechnung von 1926 darauf hin, daß der Vermerk für Rückeinnahmen 1928 auf 159 Titeln angewandt wurde, davon gehörten 44 Titel zum Reichswehrministerium Heer und 29 zum Reichsministerium Marine. Vgl. RT-Drs. IV1l053, S. 1-7. 42 Vgl. Trumpler (1933), S. 40-43. 37

38

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

141

Erläuterungen des Haushaltsplanentwurfs nach Art und Maß spezifiziert wurde. 43 Der Rechnungshof verlangte in diesem Zusammenhang, daß die Beiträge Dritter entsprechend dem Bruttoprinzip im Haushaltsplan ausgewiesen werden sollten. Nach Ansicht des Rechnungshofs wurde von der Möglichkeit der Rückeinnahmen in vielen Fällen Gebrauch gemacht, ohne daß die Voraussetzungen dafür gegeben waren. Dies galt insbesondere bei Bauvorhaben, bei denen häufig Beiträge Dritter in hohen Summen geleistet wurden. 44 Eine weitere Verletzung des Grundsatzes der Vollständigkeit war darin zu sehen, daß keine Vermögensplanung und -rechnung erstellt wurde. Laut § 65 RHO konnten Grundstücke, Gebrauchsgegenstände und Gerätschaften in Bestandverzeichnissen erfaßt werden. Es lag im Ermessen der Regierung, zu entscheiden, ob und in welcher Weise Vermögens gegenstände des Reichs erfaßt und nachgewiesen wurden. Die §§ 55 und 56 der Reichswirtschaftsbestimmungen wiesen darauf hin, daß für den Nachweis und die Überwachung von Forderungen und ähnlichen Vermögensgegenständen des Reiches sowie für die Erstellung von Reichsgrundbesitz-, Grundstücks- und Geräteverzeichnissen besondere Bestimmungen gelten. Solche Bestimmungen wurden vom Rechnungshof jedoch lediglich für Gegenstände erlassen, die der Ausstattung von Geschäftszimmern dienten. 45 Es fehlte eine Bewertung des Reichsvermögens, welche die Berechnung von Abschreibungen zur Vermögenserhaltung und eine Beurteilung der Vermögensverwaltung im Hinblick auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermöglicht hätte. Außerdem fehlte eine Verknüpfung der Vermögens verwaltung mit der Haushaltswirtschaft, welche die Auswirkungen der Vermögensverwaltung auf die Ausgaben und Einnahmen des Haushaltsplans aufgezeigt hätte. Nur anband solcher Informationen wäre es möglich gewesen, das Vermögen wirtschaftlich zu planen und das finanzielle Gleichgewicht des Staatshaushalts langfristig zu sichem. 46 b) Der Grundsatz der Nonaffektation

Der Grundsatz der Nonaffektation ist in § 29 Abs. 1 RHO mit der Bestimmung festgehalten worden, daß "alle Einnahmen ... als Deckungsmittel für den gesamten Ausgabebedarf des Reichs [dienen], soweit nicht im Haushaltsplan oder in besonderen Gesetzen etwas anderes bestimmt ist". Vgl. Neumark (1929), S. 142 f. Vgl. RT-Drs. IV/549, S. 2 f. 45 Vgl. Ergänzungsanweisung des Rechnungshofs zu § 65 Abs. 1 RHO hinsichtlich der zur Ausstattung der Geschäftszimmer beschafften Gegenstände und Reichard (1935), S. 367. 46 Vgl. Raab (1936), S. 109 ff. 43

44

142

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Dieser Grundsatz ist eng mit der Zentralisationstendenz staatlicher Einnahmen und Aufgaben verbunden, mit der die Entwicklung hin zu einem hauptsächlich steuerfinanzierten Staat einherging.47 Ob eine steuerliche Finanzierung der staatlichen Aufgaben einem gebühren- und beitragsfinanzierten Staat vorzuziehen ist, soll hier nicht diskutiert werden. Der Grundsatz der Nonaffektation wird als gegeben hingenommen, es wird lediglich untersucht, ob im Weimarer Haushaltsrecht Verletzungen dieses Grundsatzes zu beobachten waren bzw. für welche Fälle im Haushaltsplan oder in besonderen Gesetzen eine Zweckbindung vorgesehen war. 48 Als Ausnahme vom Grundsatz der Nonaffektation ist die Zweckbindung von Steuern aufgrund des Finanzausgleichs und aufgrund der Verpfandung der in das Reparationssystem eingegliederten Abgaben zu sehen. Im Rahmen des Finanzausgleichs erhielten die Länder Anteile an den Reichssteuern, die auf Reichsebene somit zweckgebunden waren49 und dem Reich als Einnahmequelle entzogen wurden. Außerdem wurden im Rahmen der Verpfändung von Abgaben zur Sicherung von Reparationsleistungen bestimmte Reichssteuern der Kontrolle eines Kommissars der Reparationskommission unterstellt, so daß auch hier ein Teil der Einnahmen dem Reich nicht zur freien Verfügung stand. 5o Darüber hinaus besteht eine indirekte Zweckbindung bei den Entgelteinnahmen. Sie werden zwar nach geltendem Haushaltsrecht als ungebundene Haushaltsmittel in den Haushaltsplan eingestellt, dürfen allerdings nur erhoben werden, wenn und solange entsprechende Gegenleistungen erbracht werden. Da diese Gegenleistungen aus dem Haushalt finanziert werden, ergibt sich ökonomisch letztlich eine Zweckbindung. 51 Eine weitere Ausnahme stellte die Zweckbindung von Anleihemitteln im außerordentlichen Haushalt dar. Die Zweckbindung bestand darin, daß AnVgl. Jeze/Neumark (1927), S. 103 ff. Zur Diskussion über die Vor- und Nachteile eines überwiegend steuerfinanzierten Staates vgl. Grossekettler (2000), Hansjürgens (1999). 49 Mit der Erzberger'schen FinanzreJorm von 1920 war die Finanzhoheit von den Ländern auf das Reich übertragen worden. Das Finanzausgleichsgesetz regelte u. a. die Abgrenzung der Steuergewalt zwischen dem Reich, den Ländern und den Gemeinden sowie die Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Reichssteuern. Die wichtigsten Beteiligungssteuern waren die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Darüber hinaus erhielten die Länder Anteile an der Umsatz-, Kraftfahrzeug-, Rennwett- und Grunderwerbsteuer. Vgl. Gerloff (1929), S. 56. Vgl. außerdem Hensel (1922), S. 101 ff. 50 Im Londoner Abkommen von 1924 wurden die Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier und Zucker verpfandet und die Sätze dieser Steuern durften ohne Einwilligung des Reparationskommissars nicht herabgesetzt werden. Vgl. Gerloff (1929), S. 54. 51 Vgl. Grossekettler (1994), S. 380 f. 47

48

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

143

leihen nur zur Finanzierung außerordentlicher Ausgaben herangezogen werden durften und i. d. R. nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken. Eine Zweckbindung von Krediten ist durchaus sinnvoll. Dabei sollte sichergestellt werden, daß die Verschuldung nur zur Finanzierung von Ausgaben herangezogen wird, die sich ökonomisch rechtfertigen lassen. 52 Der Mangel im Weimarer Haushaltsrecht wurde darin gesehen, daß keine Deckungsgrundsätze vereinbart worden waren, welche bei der Abgrenzung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben als Entscheidungsgrundlagen hätten herangezogen werden können. Solche verbindlichen Grundsätze hätten einerseits den Verstoß gegen den Grundsatz der Nonaffektation noch deutlicher zum Ausdruck gebracht. Andererseits hätte anhand solcher Grundsätze die Verschuldungspolitik an ökonomisch sinnvollen Kriterien orientiert werden können. 53 Auch die Sondervermögen führten eine Zweckbindung der Einnahmen ein. Allerdings lag eine Verletzung des Grundsatzes der Nonaffektation nur vor, wenn die Sondervermögen keine eigene Rechtspersönlichkeit besaßen und wenn sie der Erfüllung von Reichsaufgaben dienten. Andernfalls fielen sie nicht in den Zuständigkeitsbereich des Reichshaushalts, der nur der Erfüllung der Aufgaben und rechtlichen Verpflichtungen des Reichs dienen sollte. 54 3. Die Grundsätze der Einheit und Klarheit im Weimarer Haushaltsrecht

a) Der Grundsatz der Einheit Der Grundsatz der Einheit fordert, daß die veranschlagten Haushaltsansätze in einem einzigen Haushaltsplan aufzustellen sind. Dieser Grundsatz wird falschlicherweise häufig mit dem Vollständigkeitsgrundsatz gleichgesetzt. Ein einheitliches Budget bedeutet nicht gleichzeitig, daß sämtliche Ausgaben und Einnahmen vollständig im Haushaltsplan integriert sind, und umgekehrt kann ein Haushaltsgesetz mehrere Haushaltspläne enthalten, aber trotzdem dem Vollständigkeitsgrundsatz genügen, wenn die verschiedenen Haushaltspläne sämtliche Ausgaben und Einnahmen berücksichtigen. 55 Der Vorteil eines einheitlichen Haushalts wird darin gesehen, daß bei einer 52 Auf die Diskussion über die Staatsverschuldung kann in dieser Arbeit nicht im Detail eingegangen werden. Vgl. dazu Funke (1995). 53 Vgl. Jeze/Neumark (1927), S. 118 f. Vgl. außerdem die Ausführungen zur Trennung zwischen einem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt in Abschnitt C.II.3.a). 54 Vgl. Trumpier (1933), S. 48. 55 Vgl. Heinig (1951), S. 291 f.

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Berücksichtigung sämtlicher Ausgaben und Einnahmen in einem einzigen Haushaltsplan die Überprüfung der Budgetfunktionen erleichtert wird. 56 Eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit wurde in der Einteilung des Haushaltsplans in einen ordentlichen und außerordentlichen Haushalt gesehen. Da sowohl der außerordentliche als auch der ordentliche Haushalt zum Reichshaushaltsgesetz gehörten, wurde streng genommen der Budgetgrundsatz der Einheit nicht verletzt, die Unterscheidung zwischen diesen beiden Haushalten zielte jedoch auf eine Trennung zwischen verschiedenen Haushaltsplänen ab, so daß diese Einteilung als Verletzung des Grundsatzes der Einheit aufgefaßt wurde. Wie im folgenden gezeigt wird, hatte die Führung eines außerordentlichen Haushalts erhebliche negative Auswirkungen auf die finanzpolitische und spezifisch-politische Budgetfunktion. Nach Ansicht der Befürworter der Trennung zwischen außerordentlichen und ordentlichen Ausgaben bzw. Einnahmen sollte damit sichergestellt werden, daß zur Finanzierung von Ausgaben nur in den Fällen auf Verschuldung zurückgegriffen wurde, in denen eine Anleihefinanzierung auch aus ökonomischer Sicht zulässig war. Dafür hätten jedoch Deckungsgrundsätze für die Aufnahme von Schulden aufgestellt werden müssen und eine Definition von ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben und Einnahmen im Haushaltsrecht vorhanden sein müssen. Die RHO definierte aber lediglich die außerordentlichen Einnahmen. Zu ihnen gehörten neben den Anleihen die Beiträge zur Schuldentilgung, die Einnahmen aus der Veräußerung von aus Anleihemitteln beschafften Gegenständen des Reichs sowie andere nach ihrem Betrag und ihrem Entstehungsgrund außergewöhnliche Einnahmen. 57 Hinzu kamen Einnahmen aus der Veräußerung von Grundstücken, die den Betrag von 10.000 RM überstiegen und Einnahmeüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt. 58 Eine klare Abgrenzung zwischen den ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben war in den Regelungen der RHO demgegenüber nicht zu finden. Die außerordentlichen Ausgaben wurden in der RHO nicht nach Entstehungsgrund oder Verwendungszweck definiert, sondern zeichneten sich lediglich dadurch aus, daß sie in den außerordentlichen Haushalt eingestellt wurden, sobald sie durch Kredite gedeckt wurden. Eine genauere Definition ergab sich durch die Bestimmung, daß die Einnahmen und Ausgaben des Budgets gleichartig sein sollten, so daß über die Eigenschaften der Einnah56 Dies läßt sich allerdings nur solange aufrechterhalten, wie das Prinzip der Nonaffektation der Einnahmen gilt, denn bei getrennten Fonds, die durch zweckgebundene Einnahmen finanziert werden, würde der Haushaltsausgleich für den jeweiligen Fonds in den Vordergrund treten. In diesem Fall würde der Grundsatz der Einheit für die Sicherung eines ausgeglichenen Haushalts an Bedeutung verlieren. 57 Vgl. SchulzeIWagner (1924), § 3 Abs. 2 RHO. 58 Vgl. SchulzeIWagner (1924), §§ 29 Abs. 2 und 75 RHO.

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

145

men weitere Vorgaben für die außerordentlichen Ausgaben abgeleitet werden konnten (Einmaligkeit, vom Betrag und von der Entstehung her außergewöhnlich sowie die Verwendung für werbende Zwecke).59 Dennoch verblieb ein großer Ermessensspielraum für die Regierung und die Verwaltung. Von 1924 bis 1930 wurden für außerordentliche Ausgaben Anleihen in Höhe von 3.360 Mio. RM bewilligt, von denen nur 1.600 Mio. RM, also weniger als die Hälfte, als echte außerordentliche Ausgaben anerkannt werden konnten. 6o Ein weiterer Nachteil der Trennung zwischen einem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt war die daraus resultierende Tendenz, Ausgaben mit Krediten zu finanzieren, ohne zu berücksichtigen, ob eine Neuverschuldung vor dem Hintergrund der Gesamtverschuldung tragbar war oder ob andere finanzielle Mittel zur Deckung der Ausgaben in Frage kamen. Als grundSätzlicher Kritikpunkt am außerordentlichen Haushalt wurde außerdem angebracht, daß er es der Regierung ermöglichte, Ausgaben zu tätigen, ohne zusätzliche Steuern erheben zu müssen, so daß die Ausgaben leichter durchgesetzt werden konnten, ohne daß die Zweckmäßigkeit der Ausgaben hinterfragt wurde. 61 Die Vorschriften zum ordentlichen und außerordentlichen Haushalt sind ein typisches Beispiel für Regelungen im Budgetrecht, gegen die in der Praxis verstoßen wurde. 62 Hier kann nur auf die auffälligsten Verletzungen eingegangen werden. Dazu gehörte das Hin- und Herschieben von Ausgaben zwischen dem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt. Die Ausgaben für Schiffsbauten wurden bspw. von 1924 bis 1927 im außerordentlichen Haushalt und ab 1928 im ordentlichen Haushalts geführt. Solche Verschiebungen erscheinen nicht nur willkürlich, sondern erschweren zudem den Vergleich zwischen den Haushaltsjahren. Auf der Einnahmeseite wurde z.B. gegen die RHO verstoßen, als 1928 einmalige Einnahmen aus Münzgewinnen in den ordentlichen Haushalt eingestellt wurden. 63 Laut § 73 Abs. 1 RHO mußten Einnahmeüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt in den außerordentlichen Haushalt überwiesen werden und laut § 75 Satz 2 RHO zur Schuldentilgung oder zu Zwecken, für die ein Anleihebedarf vorgesehen war, eingesetzt werden. 64 Gegen diese Bestimmung ist insbesondere Mitte der 20er Jahre des öfteren verstoßen worden, da Einnahmeüberschüsse aus dem ordentlichen Haushalt nicht in den außer59 60 61 62

63 64

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

lOStrube

Trumpier (1933), S. 11. Trumpier (1933), S. 19. Trumpier (1933), S. 15. Außerdem Jeze/Neumark (1927), S. 254 ff. Leihener (1934),53-56. Trumpier (1933), S. 19 und RT-Drs. IV/549, S. 14. SchulzeIWagner (1924), §§ 73 und 75 RHO.

146

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

ordentlichen Haushalt übertragen wurden, obwohl letzterer ein Defizit aufwies und der Schuldenstand insgesamt sehr hoch war. Statt dessen wurden sie auf den ordentlichen Haushalt des darauffolgenden Jahres übertragen. 65 Dies war aus Sicht der finanzpolitischen Budgetfunktion besonders problematisch, da in den vorhergehenden Jahren die Regierung finanzpolitisch sehr stark unter Druck geraten war. Zum einen stellten die Reparationsleistungen eine große Belastung für den Haushalt dar, zum anderen lag die Inflationskrise der Jahre 1918 bis 1923, die durch die Einführung der Rentenmark 1924 gelindert worden war, noch nicht lange zurück. Es wäre wichtig gewesen, die Überschüsse für einen Abbau der während der Nachkriegsjahre angesammelten Schulden zu nutzen. Ende der zwanziger Jahre verschlechterte sich die konjunkturelle Lage im Zuge der Weltwirtschaftskrise wieder, so daß auch der ordentliche Haushalt nicht mehr ausgeglichen werden konnte. 66 Diese Entwicklung wurde dadurch verstärkt, daß bei der Handhabung des außerordentlichen Haushalts Anleiheermächtigungen wie tatsächlich eingegangene Einnahmen behandelt wurden. Für einen großen Teil dieser Anleiheermächtigungen war aber auf dem Finanzmarkt keine Nachfrage vorhanden, so daß eine Anhäufung von Anleiheermächtigungen stattfand. 67

b) Der Grundsatz der Klarheit Der Grundsatz der Klarheit verlangt vom Budget, daß die Haushaltsansätze übersichtlich und nach rationalen Kriterien geordnet veranschlagt werden und daß aus ihnen klar hervorgeht, welcher Herkunft die Mittel sind und für welchen Zweck sie verwendet werden. 68 Der Grundsatz der Klarheit hängt eng mit den anderen Grundsätzen zusammen, insbesondere den Grundsätzen der Einheit und der Öffentlichkeit, da im Grundsatz der Einheit eine Voraussetzung für ein klares und übersichtliches Budget gesehen wird und da der Grundsatz der Öffentlichkeit seine Wirkung erst entfalten kann, wenn das Budget von Außenstehenden verstanden werden kann. 69 Dieser Zusammenhang zwischen den Grundsätzen verdeutlicht, welche Bedeutung der Grundsatz der Klarheit für die spezifisch-politische Budgetfunktion hat, da nur ein übersichtliches Budget dem Parlament ermöglicht, die Verwaltung an sein politisches Programm zu binden und nachträglich zu überprüfen, ob die Verwaltung bei der Umsetzung des Programms erfolgreich war. Aber auch die finanzpolitische Budgetfunktion bedingt ein klares 65 66

67 68 69

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

RT-Drs. IV/549, S. 14 ff. v. Krosigk (1937), S. 457. o. V. (1929), S. 1074. Jeze/Neumark (1927), S. 233 f. Trumpier (1933), S. 35 f.

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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Budget, denn ein unübersichtlicher Haushaltsplan führt zu Ineffizienzen in der Verwendung der Mittel sowie zu Fondsverwechslungen wie sie in Abschnitt B.V. erwähnt wurden. 7o Die Erfüllung des Budgetgrundsatzes der Klarheit steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gliederung und Spezialisierung des Haushaltsplans. Im Zusammenhang mit der Erläuterung der wichtigsten Vorschriften in der RHO wurde bereits ausgeführt, daß der Haushaltsplan aus einem Gesamtplan und den Einzelplänen bestand. Die Gliederung eines Gesamtplans des Reichshaushaltsplans ist in Abbildung 12 dargestellt. In Abbildung 13 ist der Inhalt des Haushalts (Einzelplans) des Reichsministeriums des Innem für das Rechnungsjahr 1923 aufgeführt. In Anhang I sind Ausschnitte des Einzelplans des Reichsministeriums des Innem für das Rechnungsjahr 1923 und die horizontale Untergliederung eines Einzelplans, wie sie für jeden Haushaltstitel im Jahr 1928 galt, dargestellt. Nt. cIea Biazelplma (AbvJuritta)

III

IV V Va VI

VII

VIII IX X

XI

XV XVIII I

II

VIa

XIII XII

XIV

XVII XX

A. Ministerialpläne Reichsministerium, Reichskanzler und Reichskanzlei Auswärtiges Amt Reichsministerium des Innern Reichsministerium für die besetzten Gebiete Reichswirtschaftsministerium Reichsarbeitsministerium Reichswehrministerium Reichsjustizministerium Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Reichsverkehrsministerium Reichsfinanzministerium Reichspostministerium B. Selbständi~e Amtsstellen und Körperschaften Reichspräsident Reichstag Vorläufiger Reichswirtschaftsrat Rechnungshof (und Reichssparkommissar)

c. Sachliche Auf~aben~ebiete Versorgung und Ruhegehälter Reichsschuld Allgemeine Finanzverwaltung Kriegslasten

Quelle: Neumnrk (1929), S. 38.

Abbildung 12 Gliederung des Gesarntplans 70

10*

Vgl. NeuTrUlrk (1929), S. 224 und Abschnitt B.V. in dieser Arbeit.

148

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik A. Ordentlicher Haushalt

I. Einnahmen: Kapitel I Reichsministerium des Innern Kapitel 2 Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete Kapitel 3 Reichsgesundheitsamt Kapitel 4 Physikalisch-Technische Reichsanstalt Kapitel 5 Reichswanderungsamt Kapitel 6 Reichsarchiv Kapitel 7 bis 10... I. Ausgaben: a) Fortdauernde Ausgaben Kapitel I Reichsministerium des Innern Kapitel I a Abteilung für die besetzten rheinischen Gebiete Kapitel 2 Abteilung für Elsaß-Lothringen Kapitel 3 Allgemeine Bewilligungen Kapitel 4 Bundesamt für das Heimatwesen Kapitel 5 Entscheidende Disziplinarbehörden Kapitel 6 Reichskommissare für Überwachung des Auswanderungswesens Kapitel 7 Reichskommissare für Überwachung der öffentlichen Ordnung Kapitel 8 Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete in Koblenz Kapitel 9 bis 21... b) Einmalige Ausgaben Kapitel I Bildung und Schule

B.

Außerordentlicher Haushalt

I. Ausgaben: Kapitell Quelle: Vgl. SchulzeIWagner (1924), Anlage 1, S. 21.

Abbildung 13 Inhalt des Haushaltsplans für das Reichsministerium des Innem imRechnung~ahr 1923

Der Gesamtplan war eine Zusammenfassung der Kapitelsummen der jeweiligen Einzelpläne (Abschnitte). Der Großteil der Kapitel war nach dem Ministerialprinzip zugeordnet, lediglich für vier Bereiche wurde eine sachliche Abgrenzung gewählt. Dies waren die Abschnitte "Versorgung und Ruhegehälter", "Reichsschuld", "Allgemeine Finanzverwaltung" und "Kriegslasten". Die jeweiligen Einzelpläne unterteilten sich in einen ordentlichen und einen außerordentlichen Haushalt. Im ordentlichen Haushalt wurden zunächst die ordentlichen Einnahmen und danach die ordentlichen Ausgaben aufgeführt. Die ordentlichen Ausgaben wiederum wurden in fortdauernde und einmalige Ausgaben getrennt. Im außerordentlichen Haushalt wurden die außerordentlichen Einnahmen und Ausgaben eingestellt (im Reichsministerium des Innern waren für das Rechnungsjahr 1923 allerdings keine Ein-

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

149

nahmen zu veranschlagen). Die jeweiligen Einnahme- und Ausgabegruppen (ordentlich, außerordentlich, einmalig und fortdauernd) wurden in Kapitel und Titel gegliedert. Horizontal unterteilten sich die Haushaltstitel in eine Spalte für den Betrag der Einnahme bzw. Ausgabe für das zu planende Rechnungsjahr, für den Betrag des vorhergehenden Rechnungsjahrs, für den Differenzbetrag zum Vorjahr, in Spalten für Beträge weiterer vergangener Rechnungsjahre und in eine Spalte für die Erläuterungen. An der Gliederung des Haushaltsplans ist zu erkennen, daß durch die Bemühungen des Parlaments, die Verwaltung möglichst eng an die Vorgaben im Haushaltsplan zu binden, eine Entwicklung ausgelöst wurde, die der Übersichtlichkeit des Budgets entgegenwirkte. Denn die zunehmende Spezialisierung des Budgets und die zahlreichen Regelungen, die der Einschränkung des Mißbrauchs durch die Verwaltung dienten, führten dazu, daß der Haushaltsplan sehr umfangreich und detailliert und somit unübersichtlich wurde. 71 In Bezug auf die Gliederung des Haushaltsplans ist außerdem zu hinterfragen, ob die Einteilung der Einzelpläne im Reichshaushalt nach dem Ministerialprinzip dem Grundsatz der Klarheit dienlich war. Neumark verweist diesbezüglich auf die Möglichkeit, den Haushaltsplan durch eine nach sachlichen Kriterien sortierte Übersicht zu ergänzen, wie es in einer Beilage zum Reichshaushaltsplan von 1928 in Ansätzen erfolgt ist. Größere Probleme bereitete die Trennung in einen außerordentlichen und ordentlichen Haushalt, dessen Auswirkungen auf die Klarheit des Budgets bereits im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Einheit besprochen wurden. 72 Ebenfalls zu kritisieren waren die sogenannten Sammelfonds oder Pauschquanten, in denen Mittel mit verschiedenen Zweckbestimmungen in einem Titel zusammengefaßt wurden. Eine Kontrolle des Haushaltsvollzugs in diesen Fällen wurde dadurch erschwert, daß die Verwendung der Mittel aus den Sammelfonds nicht nachgewiesen wurde. 73 In dieselbe Richtung zielt die Kritik einer uneinheitlichen Spezialisierung der Ausgaben, die vor allem im Reichswehrministerium und im Einzelplan der Kriegslasten auffiel. Hier waren einerseits Beträge in Höhe von wenigen hundert oder tausend RM einzeln veranschlagt. Andererseits wurden für manche Fonds mehrere Mio. RM in einer Summe beantragt. Im Kriegslastenhaushalt wurden beispielsweise in einem Sammelfonds für vermischte Ausgaben 60 Mio. RM ohne weitere Untergliederung des Fonds angefordert. Auf Druck des Haushaltsausschusses wurde der Fonds 1927 von der Regierung weiter 71

72 73

Vgl. Heinig (1951), S. 374 f. und S. 406 f. Vgl. Neunwrk (1929), S. 229 ff. Vgl. Seeck (1919), S. 190.

150

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

unterteilt, er wies jedoch immer noch einen Sammelposten von 18 Mio. RM auf. 74 Die ungenügende Spezialisierung der Ausgaben im Haushaltsplan eröffnete der Regierung und der Verwaltung Mißbrauchsmöglichkeiten, die erhebliche negative Auswirkungen auf die finanzpolitische sowie die spezifisch-politische Budgetfunktion hatten. Als Beispiel kann hier der Einsatz von Mitteln vorn Reichswehrrninisterium zum einen für heimliche Rüstungsausgaben und zum anderen für privatwirtschaftliehe Spekulationen dienen. 75 Erheblich beeinträchtigt wurde der Grundsatz der Klarheit durch Doppelbuchungen, die durch die Gliederung in einen ordentlichen und außerordentlichen Haushalt entstanden. Denn für die Öffentlichkeit, die Presse und auch die Parlamentsmitglieder war eine Interpretation des Haushaltsplans extrem schwierig, da die Summen ohne vorherige technische Bereinigung der Doppelbuchungen nicht aussagefähig waren. Im Haushaltsplan des Jahres 1925 wurde die Summe durch Doppelbuchungen bspw. um den Betrag von ca. 340 Mio. RM aufgebläht. Diese Summe ergab sich daraus, daß 330 Mio. RM von dem Überschuß des ordentlichen Haushalts auf den außerordentlichen Haushalt übertragen wurden. Dort taucht dieser Betrag als Einnahme auf, die zur Finanzierung von nicht anderweitig gedeckten Ausgaben verwendet wurde. Darüber hinaus wurden im ordentlichen Haushalt 10 Mio. RM zum Ankauf von Schatzanweisungen zwecks Kursstützung als Ausgabe gebucht. Diese Ausgaben tauchten gleichzeitig im außerordentlichen Haushalt als Einnahme- und Ausgabeposten auf. 76 4. Die Grundsätze der Genauigkeit und Vorherigkeit im Weimarer Haushaltsrecht

a) Der Grundsatz der Genauigkeit Der Grundsatz der Genauigkeit fordert von einern Budget, daß die Voranschläge der Ausgaben und Einnahmen so weit wie möglich den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen sollen. Hier wird also die Schätzung der Ausgabe- und Einnahmebeträge angesprochen. Erste Voraussetzung für eine Erfüllung des Grundsatzes ist der Wille und die Fähigkeit (im Sinne fachlicher Qualifikation) der Verwaltung, möglichst exakte Schätzungen vorzuVgl. Neumark (1929), S. 244. Vgl. Mußgnug (1976), S. 192 und Vogelsang (1962), S. 51-55. Vgl. zu den heimlichen Rüstungsausgaben auch Speidel (1953), S. 22. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von Geldern aus dem Ruhrfonds für die sogenannten Lohmann-Geschäfte, aus denen der Regierung erhebliche Verluste entstanden. Vgl. zu diesem Fall Neumark (1929), S. 246. 76 Vgl. Neumark (1929), S. 205 f. 74

75

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

151

legen. 77 Diese Voraussetzung war in der Weimarer Zeit nur mit Einschränkungen erfüllt. Ein Problem hing damit zusammen, daß die Verwaltung durch strategisches Verhalten bei der Veranschlagung der Ausgaben und Einnahmen versuchte, ihre Interessen beim Parlament durchzusetzen. Wenn 1 Mio. RM für einen bestimmten Titel benötigt wurden und die Regierung vermutete, daß das Parlament politisch nicht an einer Genehmigung solcher Ausgaben interessiert war, dann wurde der Haushaltsansatz z. B. auf 2 Mio. geschätzt, um bei einer Kürzung des Betrags durch das Parlament mindestens die erwünschte 1 Mio. RM bewilligt zu bekommen. 78 Eine andere Strategie, die seit 1924 angewandt wurde, war die zu niedrige Schätzung der Einnahmen, mit dem Ziel Reserven zu bilden, welche entweder zur Schuldentilgung oder für unvorhergesehene Ausgaben verwendet werden konnten. Obwohl die Erzielung von Einnahmeüberschüssen i. d. R. nicht so kritisch betrachtet wurde, wie andere Abweichungen vom Haushaltsplan, stieß diese Budgetpolitik in der Weimarer Zeit auf erheblichen Widerstand, da die Wirtschaft u. a. mit der hohen Inflation und einer hohen Steuerbelastung zu kämpfen hatte. 79 Im Hinblick auf technische Fragen bei der Einnahmen- und Ausgabenschätzung war in den ersten Jahren nach dem 1. Weltkrieg die hohe Inflation ein großes Problem für die Haushaltsplanung. Die Ausgaben- und Einnahmenbeträge waren so unzuverlässig, daß die Haushaltspläne ihrem Zweck nicht mehr dienen konnten. Diese Situation verbesserte sich erst 1924 mit der Ausgabe der Rentenmark. 8o Die zuverlässige Schätzung von Einnahmen und Ausgaben hängt zudem von dem vorliegenden statistischen Material ab. Eine Einschränkung entstand hier dadurch, daß die Haushaltsrechnungen des zuletzt abgeschlossenen Jahres meistens nicht vorlagen, da diese erst verspätet fertiggestellt wurden. 81 Eine weitere Fehlentwicklung, die im Hinblick auf die Genauigkeit des Haushaltsplans zu beobachten war, kam von Seiten des Reichstags. Denn um den Haushaltsplan nach der Erhöhung der geplanten Ausgaben auszugleichen, griff der Reichstag u. a. zur Maßnahme, die Beträge der Einnahmeschätzungen auch gegen den Willen bzw. die Empfehlungen der Regierung nach oben zu korrigieren. 82

77 78 79

80 81 82

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Reichard (1935), S. 77 f. Neumark (1929), S. 261 f. Reichard (1935), S. 77 f. v. Krosigk (1937), S. 453 ff. sowie Neumark (1924), S. 830. Neumark (1929), S. 258 f. o. V. (1929), S. 1072.

152

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

b) Der Grundsatz der Vorherigkeit Der Grundsatz der Vorherigkeit fordert, daß die Ausgaben und Einnahmen vor Beginn des Budgetjahres beraten und bewilligt werden müssen. 83 Dieser Grundsatz war in Art. 85 Abs. 2 der Weimarer Verfassung von 1919 enthalten, der bestimmte, daß der Haushaltsplan vor Beginn des Rechnungsjahres durch ein Gesetz festgestellt wurde. 84 Die Vorherigkeit des Haushaltsplans war eine Grundvoraussetzung für eine rationale Haushaltsführung im Sinne der finanzpolitischen Budgetfunktion, aber auch für die Erfüllung der spezifisch-politischen Funktion, da der Haushaltsplan die Vorgaben für die Verwaltung machte, die sie an das politische Programm des Parlaments binden sollte. 85 In Abschnitt B.V. wurde bereits gezeigt, daß vor dem 1. Weltkrieg und während des Krieges der Grundsatz nur selten eingehalten werden konnte. Dennoch wurde genauso wie in der Reichsverfassung von 1871 in der Weimarer Verfassung von 1919 darauf verzichtet, den Fall eines Nichtzustandekommens des Haushaltsgesetzes gesetzlich zu regeln. Dies wurde vom Parlament zum einen damit begründet, daß durch eine solche Regelung der Anreiz zu einer rechtzeitigen Verabschiedung des Budgetgesetzes verringert würde. Zum anderen ging der Reichstag davon aus, daß sich das Parlament in jedem Fall mit einer Mehrheit über das Haushaltsgesetz einigen würde. Offensichtlich wurde die Mehrheitsfähigkeit der Regierungsparteien überschätzt, da der Grundsatz der Vorherigkeit auch in der Weimarer Zeit nur selten eingehalten worden ist. 86 Lediglich der Reichshaushalt von 1921 wurde rechtzeitig, d. h. vor Beginn des Rechnungsjahres am 1. April 1921 verabschiedet. Die Haushaltsgesetze wurden in den zwanziger Jahren i. d. R. sehr spät verabschiedet. 1924 wurde das Reichshaushaltsgesetz erst nach Abschluß des Rechnungsjahres, am 10. August 1925, verabschiedet, das Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1925 am 30. Januar 1926. 87 Ein möglicher Grund für die Verspätung war, daß die Regierung den Haushaltsentwurf erst verspätet einreichte, um das Parlament zeitlich unter Druck zu setzen und somit eine gründliche Prüfung des Haushaltsentwurfs oder auch die politische Bedeutung des Budgets zu verringern. Wenn das Parlament eine oberflächliche Prüfung des Budgetentwurfs vermeiden wollte, blieb ihm dann nichts anderes übrig, als das Haushaltsgesetz verspätet festzustellen. In den meisten Jahren trugen zudem die langwierigen Budgetverhandlungen, die sich über den Beginn des Rechnungsjahres hinaus 83 84

85 86 87

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Heinig (1951), S. 188. SchulzeIWagner (1934), Art. 85 WRV. Neumark (1927), S. 423-427. Mußgnug (1976), S. 191. RT-Drs. III/4054, S. 10 und RT-Drs. IV/549, S. 12.

II. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

153

erstreckten, zur Verletzung des Grundsatzes der Vorherigkeit bei. Dies begründete sich im zunehmenden politischen Gewicht, das dem Budget beigemessen wurde. 88 Die Zeit bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes wurde üblicherweise mit Nothaushaltsgesetzen überbrückt, wobei für diesen Zeitraum das Prinzip der vorläufigen Zwölftel anzuwenden war. Dieses Prinzip beschränkt die im Nothaushalt bewilligten Ausgaben und Einnahmen zeitlich auf einen Monat und quantitativ auf ein Zwölftel des Jahresbetrags des Titels. Die Zahlen, die den Berechnungen zugrunde gelegt wurden, stammten entweder aus dem vorhergehenden Rechnungsjahr oder aus dem Haushaltsentwurf. Der Vorteil des Prinzips der vorläufigen Zwölftel wurde darin gesehen, daß auf die Regierung und den Reichstag Druck ausgeübt wurde, den endgültigen Haushaltsplan sobald wie möglich zu verabschieden. Auf welche Grundlage bei der Berechnung der Zwölftel zurückgegriffen werden sollte - ob auf die Haushaltsrechnung oder den Haushaltsplanentwurf - war umstritten. Der Rechnungshof befürwortete die Verwendung des Haushaltsentwurfs, da dieser neuen Rahmenbedingungen gerecht wurde. 89 Insgesamt war festzustellen, daß das Prinzip der vorläufigen Zwölftel entweder gar nicht oder nicht streng genug angewandt wurde, auch wenn es als Notlösung an sich angestrebt wurde. Zudem war an den Nothaushalten zu kritisieren, daß sie zeitlich nicht wirksam begrenzt (auch wenn die Nothaushalte befristet galten, wurden sie in einigen Fällen verlängert) und daß die Haushalts ansätze quantitativ nicht eingeschränkt wurden. Aufgrund dieser Lücke im Haushaltsrecht konnte es vorkommen, daß bei Budgetberatungen Entschlüsse wie z. B. die Herabsetzung von Krediten, nicht mehr durchgeführt werden konnten, weil die Ausgaben durch die Ermächtigungen des Nothaushalts bereits getätigt wurden, wie es z.B. im Haushaltsjahr 1925 vorgekommen ist. 9o Dies beeinträchtigte neben dem hier besprochenen Grundsatz auch die Klarheit und die Kontrolle des Budgets. 91 Ein weiterer Verstoß gegen den Grundsatz der Vorherigkeit entstand im Bereich der über- oder außerplanmäßigen Ausgaben. Vor der Einführung der RHO mußten Mehrausgaben vom Parlament in Nachtragshaushalten genehmigt werden. Die RHO schwächte aber die Rechte des Parlaments durch die Regelung ab, daß Ausgaben, die im Haushaltsplan nicht vorgesehen waren, vom Reichsfinanzminister genehmigt werden mußten. Eine Genehmigung durfte dabei nur in Ausnahmefällen und bei Vorliegen eines unabweisbaren Bedürfnisses erfolgen. Die nachträgliche Genehmigung mußte erst anläßlich der Rechnungsprüfung erfolgen. Eine Regelung, welche die 88 89 90 91

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Neumark (1929), S. 286. RT-Drs. III/4054, S. 9 f. RT-Sten. Ber. III/144 S. 5068 B-5073 D. Neumark (1927), S. 426 und 433 ff.

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

vorherige Zustimmung des Reichstags verlangte, bestand nicht. 92 Faktisch wurde bei wichtigen Ausgaben meistens schon vor der Rechnungsprüfung die nachträgliche Genehmigung der Ausgaben beantragt. Doch selbst dann wurde der eigentliche Zweck eines Nachtragshaushalts nicht erreicht, der ja darin bestand, für eine vorherige Verabschiedung der Ausgaben durch das Parlament zu sorgen. Bedenklich war außerdem, daß von den Nachtragsforderungen in großem Umfang Gebrauch gemacht wurde, was auch gegen die Budgetgrundsätze der Einheit und Klarheit verstieß. 93 5. Der Grundsatz der Spezialität im Weimarer Haushaltsrecht

Im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Genauigkeit wurde bereits darauf hingewiesen, daß Abweichungen vom Haushaltsplan i. d. R. nicht zu vermeiden waren. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie solche Ausnahmen vom Grundsatz der Spezialität im Weimarer Haushaltsrecht geregelt wurden und welche Fehlentwicklungen daraus resultierten. Die Untersuchung des Grundsatzes der Spezialität unterteilt sich in die verschiedenen Ausprägungen des Grundsatzes, die zeitliche und sachliche Spezialität.

a) Die zeitliche Spezialität Bei der zeitlichen Spezialität geht es um die Übertragbarkeit von Ausgabe- und Einnahmetiteln, auch Ausgabe- und Einnahmereste genannt, auf spätere Rechnungsjahre. Auf der Einnahmeseite gab es keine zeitliche Bindung für ordentliche Einnahmen. Falls sie in dem Rechnungsjahr, in dem sie eingehen sollten, nicht erhoben werden konnten, wurden sie in der Haushaltsrechnung als Mindereinnahme gebucht. Nachgewiesen wurden sie in den Haushaltsrechnungen derjenigen Rechnungsperiode, in der sie tatsächlich eingingen. Der Betrag an übertragenen ordentlichen Einnahmen war jedoch gering, so daß dieser Fall im folgenden vernachlässigt werden kann. 94 Bei außerordentlichen Ausgaben und Einnahmen war die Übertragung von Mitteln ebenfalls zulässig und wurde extensiv genutzt. Dies war nicht zu vermeiden, da es im außerordentlichen Haushalt häufig um die Finanzierung von Bauten o. ä. Vorhaben ging, die sich über mehrere Jahre verteilten. Die RHO schrieb in diesem Fall vor, daß alle einmaligen und außerordentlichen Ausgaben, die sich über mehrere Jahre erstreckten, bei der ersten Einstellung in den Haushalt durch eine Berechnung der Gesamtkosten er92 93

94

Vgl. Trumpier (1933), S. 134--136. Vgl. Neumark (1927), S. 446-450. Vgl. Trumpier (1933), S. 55 f.

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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gänzt werden mußten. 95 Bei baulichen Unternehmungen mußten "Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die Kosten der baulichen Maßnahme ausreichend ersichtlich sind".96 Problematisch war jedoch die Handhabung von Anleiheermächtigungen, die wie tatsächliche Einnahmen behandelt wurden und den übertragbaren Ausgaben gegenübergestellt wurden. Bei der kritischen Beurteilung des außerordentlichen Haushalts ist bereits darauf hingewiesen worden, daß dies eine erhebliche Beeinträchtigung der finanzpolitischen Budgetfunktion hervorrief, da am Ende des Rechnungsjahres eine Liquiditätslücke auftauchte, wenn die Anleiheermächtigungen nicht realisiert werden konnten. 97 Auf der Ausgabeseite konnten ordentliche Ausgaben nur mit ausdrücklicher Genehmigung (also nur Ausgaben, die im Haushaltsgesetz als übertragbar bezeichnet wurden) zeitlich verschoben werden. Für diese übertragbaren ordentlichen Ausgaben wurden im darauffolgenden Rechnungsjahr keine ordentlichen Einnahmen eingestellt, da sie nicht im Haushaltsplan geführt wurden. 98 Praktisch wurde die Finanzierung übertragbarer Ausgaben so gelöst, daß in der Haushaltsrechnung ein "Bestand aus dem Vorjahre" geführt wurde. Dieser Bestand berechnete sich aus der Differenz zwischen den Restausgaben und Resteinnahmen. 99 Der Betrag an Resteinnahmen im ordentlichen Haushalt war i. d. R. gering und lag damit unter den Restausgaben, so daß faktisch ein bestimmter Betrag aus den ordentlichen Einnahmen zur Deckung der übertragenen Ausgaben in den Kassen geführt wurde. 100 Die übertragbaren ordentlichen Ausgaben bereiteten vor allem im Hinblick auf die Erfüllung der spezifisch-politischen Funktion Schwierigkeiten. Denn in Verbindung mit der Regelung, daß der Reichsfinanzminister Mehrausgaben genehmigen durfte, wenn ihnen Ersparnisse in anderen Haushaltstiteln gegenüberstanden, führte die Übertragung von Ausgaben dazu, daß die Ministerien Einsparungen in den Übertragungen zur Finanzierung von Mehrausgaben nutzten. Für letztere war, wie im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Vorherigkeit erläutert wurde, keine vorherige Zustimmung des Parlaments notwendig. 101 Vgl. Schulze/Wagner (1924), § 13 RHO. Schulze/Wagner (1924), § 14 RHO. 97 Vgl. Trumpier (1933), S. 61 f. 98 Wobei in besonderen Fällen Ausnahmen zugelassen wurden. Vgl. Schulze/ Wagner (1924), § 31 RHO. 99 Die Bildung von Resteinnahmen war an sich nicht vorgesehen, aber tatsächlich wurden Einnahmereste gebildet, die vorwiegend aus einmaligen Einkünften bestanden, worin eine Verletzung der Trennung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Haushalt zu sehen war. Vgl. RT-Drs. IV/549, S. 63. 100 Vgl. RT-Drs. IV/549, S. 4 ff. 95

96

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Die Wirkung auf die finanzpolitische Budgetfunktion hing bei Mehrausgaben, die durch anderweitige Ersparnisse gedeckt wurden, davon ab, ob die Verwendung der Mittel für die Mehrausgaben zu einem höheren Nutzen führte als ihre Verwendung für den ursprünglichen Zweck. Eine gewisse Flexibilität beim Einsatz von Mitteln wurde als Anreiz für wirtschaftliches Handeln von Seiten der Verwaltung gesehen. Dennoch hätte dies nur unter der Bedingung zugelassen werden dürfen, daß das Parlament rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt wurde und daß eine Kontrolle der Tätigkeit der Verwaltung weiterhin gewährleistet war. Es wurde bezweifelt, daß die getätigten Mehrausgaben so dringend waren, daß sie nicht hätten hinausgeschoben und einer parlamentarischen Prüfung hätten unterzogen werden können. 102 Im Hinblick auf eine wirksame Kontrolle wurde die Arbeit des Rechnungshofs als Kontrollbehörde insofern erschwert, als durch solche Vorgänge die Klarheit und Übersichtlichkeit der Haushaltsrechnungen beeinträchtigt wurde. Außerdem konnte eine wirksame Kontrolle nur dann erfolgen, wenn die Regierung und Verwaltung für ihre Entscheidungen auch in die Verantwortung gezogen werden konnten. Auf diese Frage wird bei der kritischen Beurteilung der Budgetfunktion der Finanzkontrolle eingegangen. 103 Die Übertragung außerordentlicher Ausgaben ergab sich aus dem längerfristigen Charakter der Ausgaben. Ausgabereste in der außerordentlichen Verwaltung waren aufgrund der Zweckbindung der Mittel i. d. R. unkritisch, solange nicht auf übertragbare Ausgaben vorgegriffen wurde. Damit sind Haushaltsüberschreitungen gemeint, die bei übertragbaren außerordentlichen Ausgaben aus den für den gleichen Zweck vorgesehenen Einnahmen des nächsten Rechnungsjahres finanziert werden mußten. Wichtig war in diesem Fall auch, sicherzustellen, daß die Ausgaben im darauffolgenden Rechnungsjahr wieder abgezogen wurden und nicht insgesamt die Summe der Ausgaben für diesen Zweck erhöht wurde. 104 b) Die sachliche Spezialität Die Ausnahmen vom Grundsatz der sachlichen Spezialität wurden in Abschnitt B.V. dieser Arbeit in außerplanmäßige (qualitative) und überplanmäßige (quantitative) Abweichungen vom Haushaltsplan und in gegenseitig deckungsfähige Haushaltstitel (Virements) unterschieden. Eine andere Ein101 102 103 104

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Trumpier (1933), S. 56 f. Neumark (1929), S. 342 f. Neumark (1929), S. 327. SchulzeIWagner (1924), § 30 RHO, S. 94 f. und S. 100 f.

II. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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teilung erfolgt bei Neumark, der die außerplanmäßigen und überplanmäßigen Ausgaben als quantitative Abweichungen auffaßt, da beide eine Mehrausgabe darstellen. Die gegenseitige Deckungsfähigkeit von Ausgaben bezeichnet er als qualitative Abweichung, da es in diesem Fall um eine Verschiebung von Mitteln innerhalb des Haushalts geht. Diese Einteilung erscheint auch deswegen zweckmäßiger, weil die Behandlung von außerund überplanmäßigen Ausgaben im Reichshaushaltsrecht gemeinsam erfolgt. Aus diesem Grund wird im folgenden die Abgrenzung von Neumark herangezogen. Zunächst werden Haushaltsüberschreitungen untersucht. Dem schließen sich die Ausführungen über qualitative Abweichungen an. Quantitative Abweichungen

Laut § 30 RHO waren die bewilligten Beträge "nur zu dem im Haushaltsplane bezeichneten Zwecke, soweit und solange dieser fortdauert, und nur innerhalb des Rechnungsjahrs" zu verwenden. Über- und außerplanmäßige Ausgaben waren nur zulässig, wenn der Reichsfinanzminister seine Zustimmung gab. Diese Zustimmung durfte laut § 33 RHO "nur ausnahmsweise im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden". Außerund überplanmäßige Ausgaben wurden in der RHO definiert als Ausgaben, die den im Haushaltsplan veranschlagten Betrag und die aus der vergangenen Rechnungsperiode übertragenen Restausgaben überstiegen. Es fehlte jedoch eine genauere Definition des Begriffs "unabweisbares Bedürfnis", so daß der Reichsfinanzminister bei seiner Entscheidung einen relativ großen Entscheidungsspielraum hatte. Als Hinweis dafür, daß der Begriff recht weit ausgelegt wurde, kann die Denkschrift des Rechnungshofs zum Rechnungsjahr 1925 gesehen werden. Dort merkt der Rechnungshof an, daß § 33 RHO weiter ausgelegt wurde, als vom Gesetzgeber erwünscht, da manche Haushaltsüberschreitungen ohne weiteres hätten zurückgestellt werden können. 105 Der Rechnungsausschuß des Reichstags hat die sachlichen und zeitlichen Haushaltsüberschreitungen ebenfalls kritisiert und darauf hingewiesen, daß der Umfang der übertragenen Ausgaben und der Mehrausgaben mit einer wirtschaftlichen Verwaltungsführung nicht zu vereinbaren wäre. 106 Darüber hinaus ist zu erwähnen, daß im Falle einer Finanzierung der Haushaltsüberschreitungen aus Ersparnissen in anderen Haushaltstiteln für diese Ausgaben gegenseitige Deckungsfähigkeit hergestellt wurde, ohne daß dies vom Parlament im Haushaltsgesetz genehmigt worden war. Damit wurde gegen den Grundsatz der qualitativen Spezialität verstoßen, der im folgenden genauer untersucht werden soll.

105

106

Vgl. RT-Drs. IV/549, S. 4-8. Vgl. RT-Drs. IV/549, S. 7 f.

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Qualitative Abweichungen

Bei den Mittelverschiebungen innerhalb des Haushalts geht es aus Sicht der politischen Budgetfunktion um das Ausmaß der Bindung der Verwaltung an das Parlament. Dabei können zwei Extremfälle unterschieden werden. Im ersten Fall müßte die Verwaltung bei jeder Ausgaben verursachenden Entscheidung die Genehmigung des Parlaments einholen. Dies würde jedoch die Verwaltungsführung faktisch auf die Legislative übertragen, was nicht erwünscht ist. Im zweiten Fall würde das Parlament z. B. den Ministerien Gesamtsummen zur Verfügung stellen, die von ihnen frei verwendet werden könnten. Wie bereits erwähnt, geht es um das Ausmaß der Spezialisierung des Haushaltsplans. Eine schwache Spezialisierung würde auf eine stärkere Machtstellung der Regierung und Verwaltung hindeuten, eine starke Spezialisierung eine starke Bindung der Regierung und Verwaltung an das Parlament herbeiführen. 107 Letzteres würde die spezifisch-politische Budgetfunktion unterstützen. Aus Sicht der finanzpolitischen Budgetfunktion wurde von einigen Finanzwissenschaftlern die Ansicht vertreten, daß eine zu starke Spezialisierung keine Anreize zur Erzielung von Ersparnissen setze, da die Verwaltung nur ein Interesse hätte zu sparen, wenn die Ersparnisse für andere Verwendungen eingesetzt werden könnten und damit ihren Ressorts zugute kommen würden. lOS Demgegenüber argumentierte Neumark, daß eine geringere Spezialisierung auch nicht zu Ersparnissen, sondern lediglich zu Mittelverschiebungen führen würde. 109 In beiden Argumenten kommt zum Ausdruck, daß eine Lockerung des Grundsatzes der sachlichen Spezialität im Bereich der qualitativen Abweichungen nur zu Erfolgen im Sinne von Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hätte führen können, wenn Ersparnisse belohnt worden wären, z. B. durch Beförderungen o. ä. Personalmaßnahmen. 110 Verschiebungen von Mitteln innerhalb des Haushalts waren nur erlaubt, wenn die Ausgaben laut Vermerk gegenseitig deckungsfahig waren. Es fehlten jedoch gesetzliche Vorschriften darüber, wann eine gegenseitige Dekkungsfahigkeit zugelassen werden sollte. Faktisch bedeutete das, daß es im Ermessen der Ressorts oder des Reichsfinanzministers lag, einen Haushaltstitel mit dem Vermerk "gegenseitig deckungsfahig" zu versehen, denn der Vermerk wurde in den Beratungen zum Haushaltsplan vom Parlament i. d. R. nicht rückgängig gemacht. 111 Die Verwaltung machte von den VireVgl. Gneist (1879), S. 182 und Siebert (1932), S. 53. Vgl. u.a. Gneist (1879), S. 176 f., Stourm (1896), S. 164-167 sowie Wagner (1877), S. 62 ff. 109 Vgl. Neumark (1929), S. 303. 110 Vgl. Kötzler (1939), S. 9-17. 107 108

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

159

ments nur selten Gebrauch. Es gab Einzelfälle, bei denen gegen die Anwendung von Virements erhebliche Bedenken geäußert wurden. Die Kritik richtete sich gegen das Verkehrsministerium und gegen das Reichswehrministerium. Im Verkehrsministerium wurde bspw. in den Titeln zur Bekleidungswirtschaft durch eine Ansammlung von Vermerken zur sachlichen und zeitlichen Übertragbarkeit sowie über Rückeinnahmen die Kontrolle durch den Rechnungshof erheblich erschwert. In diesem Fall lagen vermutlich keine politischen Bedenken vor, da die Haushaltsmittel für einen verwandten Zweck eingesetzt wurden, aber im Hinblick auf eine wirksame Kontrolle wäre eine stärkere Bindung an die Haushaltstitel erwünscht gewesen. Im Reichswehrministerium stand es z. B. der Marineverwaltung frei, Mittel für Schiffsbauten nach eigenem Ermessen für andere Schiffstypen zu verwenden, als sie im Haushaltsplan vorgesehen waren. Sie setzte bspw. Ersparnisse bei Torpedobauten für die außerplanmäßige Anschaffung von Kreuzern und Panzerschiffen ein. 112 Dies war aus Sicht der spezifisch-politischen Budgetfunktion bedenklich, da das Parlament auf den guten Willen der Marineverwaltung angewiesen war, wenn seine Pläne realisiert werden sollten. Genauso kritisch wurden Virements bei solchen Ausgaben beurteilt, die in keinem sachlichen Zusammenhang zueinander standen. Im Verkehrshaushalt wurden z.B. Titel für die Unterhaltung von Dienstgebäuden, für Baggerarbeiten sowie für die Kosten der Unterhaltung von Schleusen, Maschinenanlagen, Schleppdampfern für gegenseitig deckungsfähig erklärt, obwohl einige der genannten Zwecke in keinem sachlichen Zusammenhang zueinander standenY3 Eine weitere Lockerung des Spezialitätsgrundsatzes stellten die Überweisungen von Mitteln zu Selbstbewirtschaftung nach § 16 RHO dar. In diesem Fall waren die Mittel zwar für einen bestimmten Zweck zu verwenden, aber es mußten keine Belege über die Verausgabung der Mittel vorgelegt werden, sondern es reichte, eine Bestätigung über den Empfang der Mittel auszustellen. 114 Die Überweisung von Mitteln zur Selbstbewirtschaftung erfolgte überwiegend im Reichswehrhaushalt und stellte eine Verletzung der spezifisch-politischen Budgetfunktion dar. Denn die Verwaltung konnte diese Haushaltsmittel an ein Sonderkonto überweisen und für außerplanmäßige Ausgaben verwenden oder ins nächste Rechnungsjahr übertragen, ohne daß nachvollzogen werden konnte, ob die Verwendung der Mittel im Sinne des Parlaments bzw. der Öffentlichkeit erfolgte.

111 112 113 114

233 f.

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Neumark (1929), S. 307 f. RT-Drs. III/4054, S. 28, 33 und 51. Neumark (1929), S. 308 f. SchulzeIWagner (1924), § 16 in Verbindung mit § 95 RHO, S. 56 und

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6. Die Grundsätze der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit im Weimarer Haushaltsrecht

Der Grundsatz der Sparsamkeit fordert, wie bereits im Zusammenhang mit der finanzpolitischen Funktion erläutert wurde, daß bei der Auswahl des Zielniveaus, also bei der Entscheidung über den Umfang der Haushaltsmittel, die für einen bestimmten Zweck verwendet werden, sparsam vorgegangen wird. Eine solche Definition ordnet den Grundsatz der Sparsamkeit in denjenigen Fällen der Haushaltsplanung zu, in denen das Ausmaß der Ausgaben für einen Zweck durch eine hinreichende Konkretisierung im Haushaltsplan bereits vor der Haushaltsdurchführung festgelegt wird. Es ist aber auch der Fall denkbar, daß die Festlegung des Zielniveaus der Verwaltung überlassen wird, welche bei der Haushaltsdurchführung die Entscheidung über den Umfang der Ausgaben trifft. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verlangt, daß die vorgegebenen Ziele bzw. Zwecke mit einem Aufwand realisiert werden, der so niedrig wie möglich ist. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz wird hier also der Haushaltsdurchführung zugeordnet. 115 Den Grundsätzen der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit wurde in der Weimarer Zeit aufgrund der schwierigen finanziellen Lage, in der sich die Regierung befand, besondere Bedeutung beigemessen. So bestimmte § 26 RHO, daß die Haushaltsmittel wirtschaftlich und sparsam zu verwalten sind. In den Regelungen zur Kassen- und Buchführung und Rechnungslegung verlangte § 96 Abs. 3 RHO die Prüfung der Rechnung auf Wirtschaftlichkeit "bei der Gewinnung und Erhebung von Einnahmen sowie bei der Verwendung und Verausgabung von Reichsmitteln, ferner bei der Erwerbung, Benutzung und Veräußerung von Reichseigentum'" 16 und § 96 Abs. 4 RHO wies darauf hin, daß der Rechnungshof zu prüfen hat, ob "nicht Einrichtungen unterhalten, Stellen aufrecht erhalten oder in sonstiger Weise Reichsmittel verausgabt worden sind, die ohne Gefährdung des Verwaltungszwecks hätten eingeschränkt oder erspart werden können". Bei einer Beurteilung der Grundsätze der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit stellt sich zunächst die Frage, ob die Regierung, die Verwaltung und das Parlament im Rahmen ihrer Kompetenzen Anreize zu sparsamem und wirtschaftlichem Verhalten hatten. Im folgenden soll zunächst für den Grundsatz der Sparsamkeit untersucht werden, welche Anreizstruktur bei der Haushaltsplanung vorzufinden war und ob sie eine Erfüllung des Grundsatzes unterstützte. Dem schließt sich die Beurteilung der Anreiz115 In Kapitel D. wird dieser Grundsatz im Zusammenhang mit der Programmfunktion des Budgets weiter definiert und sowohl auf die Haushaltsplanung als auch auf die Haushaltsdurchführung bezogen. 116 SchulzeIWagner (1924), § 96 Abs. 3, S. 235.

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struktur zu wirtschaftlichem Verhalten bei der Haushaltsdurchführung an. Die Anreizwirkungen der Sparsamkeits- und Wirtschaftlichkeitskontrolle und ihrer Sanktionsmechanismen werden im nächsten Abschnitt untersucht, der sich mit der Budgetkontrolle beschäftigt.

a) Der Grundsatz der Sparsamkeit Die Höhe der Haushaltsansätze bzw. das Ausmaß, in dem für einen Zweck Ausgaben bewilligt wurden, wurde zum einen durch Gesetze (z. B. im Bereich der Sozialausgaben) oder andere rechtliche Verpflichtungen (bspw. Schuldendienst) bestimmt. Zum anderen gab es Ausgaben, deren Höhe nicht durch Gesetze vorbestimmt war. Sie wurden zum einen durch die Verwaltung im Zuge der Haushaltsaufstellung für den Entwurf des Haushaltsplans festgelegt. Zum anderen beeinflußte der Reichstag die Ausgabenhöhe, indem er im Rahmen seiner Haushaltsberatungen die Haushaltsansätze erhöhte, neue Haushaltsansätze einfügte oder während des Haushaltsjahres ausgabenwirksame Gesetze verabschiedete. Häufig erhöhte oder neu eingefügte Haushaltspositionen waren z. B. Ausgaben für die allgemeine Verwaltung oder für den Bau von Verwaltungsgebäuden. 117 Das Verhalten der Verwaltung bei der Haushaltsaufstellung ist nach der Ökonomischen Theorie der Politik dadurch geprägt, daß die Macht und das Ansehen eines Mitarbeiters in der Verwaltung durch den Umfang seines Budgets bestimmt wird. Bei der Haushaltsaufstellung ist deswegen davon auszugehen, daß die Mitarbeiter in der Verwaltung Budgetmaximierer sind. 118 Diese Aussage gilt auch für die Verwaltung in der Weimarer Zeit. Denn das öffentliche Dienstrecht setzte wenig Anreize zu sparsamem Verhalten, da dies bei der Besoldung oder bei Beförderungen - im Vergleich zu den Vorteilen, die sich aus der Verwaltung umfangreicher Budgets ergaben - nicht berücksichtigt wurde. 119 Darüber hinaus war zu beobachten, daß die verschiedenen Ressorts von den Parteien, die in einer Koalitionsregierung die jeweiligen Reichsminister stellten, zu Ausgaben angeregt wurden. Die Vorschläge von den Parlamentsmitgliedern wurden durch die Ressorts häufig angenommen, obwohl die Reichsminister bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs politisch nicht unter Druck standen, denn es war zu bezweifeln, daß die Partei, welche die Ausgabenerhöhung bzw. die Einstellung neuer Haushaltsmittel in den Haushaltsplan vorgeschlagen hatte, bei einer Ablehnung der Vorschläge eine Vgl. Siebert (1932), S. 11-16. Vgl. Grossekettler (1999), S. 657 f., Kirsch (1997), S. 308 ff. sowie Frey/ Kirchgässner (1994), S. 181 f. 119 Vgl. Kätzler (1939), S. 78 ff. 117 118

11 Strube

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C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

Mehrheit für ein Mißtrauensvotum im Parlament hätte zusammenbringen können. 120 Das Ausgabeverhalten des Parlaments stand in der Weimarer Zeit häufig unter Kritik. Es wurde dem Reichstag vorgeworfen, die Ausgaben maßlos zu erhöhen. In vielen Reformvorschlägen - auf die in Abschnitt C.III. eingegangen wird - wurde gefordert, das Ausgabenbewilligungsrecht des Reichstags einzuschränken. Aus Sicht der Ökonomischen Theorie der Politik ist das Verhalten des Parlaments dadurch zu erklären, daß die verschiedenen Parteien versuchten, ihre Wahlklientel zu bedienen. Dies wurde in der Weimarer Republik dadurch verstärkt, daß die Koalitionsregierungen i. d. R. aus vielen Parteien bestanden, und jede Partei versuchte, durch eine entsprechende Ausgabenpolitik ihren Anteil an den Wählerstimmen zu erhöhen. 121 Dennoch muß der Vorwurf maßloser Ausgabenerhöhungen relativiert werden, denn Vorschläge zu Ausgabenerhöhungen kamen nicht nur vom Reichstag, sondern waren auch auf Anregungen der Regierung und der Verwaltung zurückzuführen. 122 Außerdem war die Erhöhung von Ausgaben v. a. auch deswegen möglich, weil ihr von der Einnahmenseite her kein Riegel vorgeschoben wurde. Statt dessen wurden die Einnahmeschätzungen willkürlich erhöht. Außerdem fehlten Deckungsgrundsätze, die eine Finanzierung durch Verschuldung nach ökonomischen Kriterien geregelt und somit begrenzt hätten. Denn gegen eine steuerliche Finanzierung der Ausgabenerhöhungen waren mehr Widerstände zu erwarten als gegen eine durch Verschuldung finanzierte Ausgabenerhöhung. 123 Außerdem übersieht der Vorwurf an das Parlament, zu wenig Bereitschaft zum Sparen gezeigt zu haben, daß die Verantwortung für die Sparpolitik auch auf der Regierung und Verwaltung bei der Haushaltsaufstellung ruhte. Darüber hinaus war der Finanzminister mit Kompetenzen zur Durchsetzung von Sparmaßnahmen ausgestattet, die dieser jedoch kaum genutzt hat. 124 Daher scheint bezüglich des Ausgabeverhaltens die Aussage, daß sowohl Parlament als auch Regierung und Verwaltung phasenweise zur Verschwendung neigten, zutreffender zu sein. 125 Ein weiteres Problem, welches die Erfüllung des Grundsatzes der Sparsamkeit verhinderte, war die Tatsache, daß bei der Haushaltsaufstellung sowie bei den Haushaltsberatungen im Parlament Haushaltsansätze aus ver120 121 122 123 124 125

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Cremer (1928), S. 28. Wachsmann (1927), S. 1179. Braun (1924), S. 49 f. Neumark (1928a), S. 1453. Neumark (1928b), S. 1492. Dorn (1928), S. 529.

11. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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gangenen Haushaltsplänen als gegeben hingenommen wurden. Dadurch war die Bereitschaft, Ausgaben zu kürzen oder zu verringern, indem bspw. Personal abgebaut wurde oder Verwaltungsgebäude anders genutzt wurden, gering. 126 Ebensowenig wurden bestehende Gesetze hinterfragt, so daß keine Diskussion über die Notwendigkeit bestimmter Aufgabenbereiche stattfand, die evtl. zu einer Anpassung des Umfangs der Staatstätigkeit und damit auch zu Einsparungen von Ausgaben - geführt hätte. 127 In eine ähnliche Richtung zielt die Kritik an der Möglichkeit, ausgabenwirksame Gesetze zu verabschieden, ohne daß über deren Finanzierung verhandelt wurde. Dies hatte den Nachteil, daß während eines Haushaltsjahres die Ausgaben erhöht werden konnten, ohne daß dies im Haushaltsplan vorgesehen war, und daß bei der Entscheidung über neue Gesetze oder Gesetzänderungen kein Zwang bestand, die hieraus resultierenden Kosten zu berücksichtigen. 128 Auf die Nachteile einer Trennung zwischen einem ordentlichen und außerordentlichen Haushalt wurde bereits in Abschnitt C.lI.3. eingegangen. Ausgaben, die nicht mehr aus ordentlichen Einnahmen finanziert werden konnten, wurden in den außerordentlichen Haushalt eingestellt und i. d. R. trotzdem bewilligt, obwohl sich eine Verschuldungsfinanzierung für sie nicht rechtfertigen ließ. Dies wirkte dem Grundsatz der Sparsamkeit entgegen und hätte durch die rechtliche Verankerung von Deckungsgrundsätzen für die Finanzierung des Staatshaushalts verhindert werden können. Insgesamt sollte trotz der angeführten Kritik aber berücksichtigt werden, daß die Entwicklung des Ausgabenvolumens allein nicht als Nachweis für fehlende Sparsamkeit angeführt werden darf. Ein großer Teil des Ausgabenwachstums war in den zwanziger Jahren auf Kriegsfolgelasten und soziale Ausgaben zurückzuführen, die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung gestiegen waren. Solange zwischen dem Parlament und der Regierung darüber Einigkeit bestand, daß kein Richtungswechsel in der Sozialpolitik erwünscht war, waren die Sozialausgaben in ihrer Höhe von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Somit konnten sie nicht dem Parlament als Beweis für Verschwendungssucht angelastet werden, wie es in den Berechnungen zur Ausgabenentwicklung häufig getan wurde. 129 In einem Zwischenergebnis lassen sich folgende drei Probleme festhalten, welche die Erfüllung des Sparsamkeitsgrundsatzes bei der Haushaltsaufstellung erschwerten:

126 127 128 129 11*

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Cremer (1928), S. 27. Neumark (l928b), S. 1494. Neumark (l928a), S. 1455. Dom (1928), S. 541 f.

164

C. Die Entwicklung des Haushaltsrechts in der Weimarer Republik

- bei den Budgetverhandlungen konnten Ausgabenerhöhungen vorgenommen werden, ohne daß für eine ausreichende Deckung auf der Einnahmenseite gesorgt wurde, - bei der Verabschiedung neuer oder der Änderung bestehender Gesetze mußten die Auswirkungen auf den Haushalt nicht offengelegt und im Fall von dadurch bewirkten Ausgabenerhöhungen die Finanzierung nicht nachgewiesen werden, - aufgrund fehlender Deckungsgrundsätze für die Finanzierung von Ausgaben durch Verschuldung wurde auch bei Ausgabenerhöhungen auf Verschuldung zurückgegriffen, bei denen dies ökonomisch nicht gerechtfertigt war. Dadurch war es leichter, diese Ausgabenerhöhungen durchzusetzen, als wenn damit eine Steuererhöhung verbunden gewesen wäre. Ein Blick auf die tatsächliche Entwicklung des Reichshaushalts zeigt, daß sowohl von Regierungs- als auch von Reichstagsseite eine entsprechende Sparbereitschaft erst vorhanden war, als sich die Krise nach der sich progressiv verschlimmernden Inflation und dem Ruhrkampf sowie unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise so zuspitzte, daß drastische Maßnahmen notwendig wurden. Nach dem l. Weltkrieg war gegenüber 1913 ein starkes Ausgabenwachstum zu beobachten, welches zum einen auf sozialpolitische Maßnahmen und zum anderen auf die Kriegsfolgelasten zurückzuführen war. Hinzu kamen die Schuldenlast und die Wehrausgaben. Während die Reichsausgaben 1913 noch 3,2 Mrd. betrugen, lagen sie 1918 bei 48 Mrd. RM und 1919 bei 63 Mrd. 130 Davon waren 40,7 Mrd. RM bzw. 47,2 Mrd. außerordentliche Ausgaben. An ordentlichen Ausgaben waren im Haushaltsplan für 1918 6,2 Mrd. RM und für 1919 14,2 Mrd. RM veranschlagt. Der ordentliche Haushalt machte also nur einen geringen Teil (ein Sechstel bzw. ein Drittel) des Gesamthaushalts aus. Die Entwicklung des Reichshaushalts zu Beginn der zwanziger Jahre kann aufgrund der sich progressiv verschlimmernden Inflation nur schwer abgebildet werden, deswegen soll hier darauf verzichtet werden. Festzuhalten bleibt, daß der finanzielle Druck 1923 so hoch war, daß nach der Einführung der Rentenmark die Regierung für eine begrenzte Zeit dazu bevollmächtigt wurde, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die sie auf finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet für dringend notwendig hielt. Im Haushaltsbereich ermöglichte dies drastische Sparmaßnahmen. Hierzu gehörte bspw. eine am 27. Oktober 1923 erlassene Personalabbauverordnung, 131 welche alle über 65jährigen Beamten pensionierte und die Entlassung solcher seit dem 130 Ein Vergleich zwischen der Entwicklung des Großhandelsindex und der Entwicklung des Reichshaushalts zeigt dabei, daß die Steigerung der Werte des Reichshaushalts nicht allein auf die Inflation zurückgeführt werden kann. Der Index stieg von 100 in 1913 auf 245 in 1918 und 803 in 1919, während die Reichsausgaben sich von 1913 bis 1919 verzwanzigfachten. Vgl. Terhalle (1952), S. 295.

II. Beurteilung der Erfüllung der Budgetgrundsätze und -funktionen

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