Die gesammten Materialien zu den das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Nebengesetze betreffenden bayerischen Gesetzen und Verordnungen. Band 1 Materialien zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche: (bis zur Vereinigung mit dem Entwurf eines Gesetzes, die durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Aenderungen der seit 1818 erlassenen Gesetze betreffend [Abth. IV u. V. Bd. 2]) [Reprint 2020 ed.] 9783112352205, 9783112352199

135 8 55MB

German Pages 987 [995] Year 1899

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die gesammten Materialien zu den das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Nebengesetze betreffenden bayerischen Gesetzen und Verordnungen. Band 1 Materialien zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche: (bis zur Vereinigung mit dem Entwurf eines Gesetzes, die durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Aenderungen der seit 1818 erlassenen Gesetze betreffend [Abth. IV u. V. Bd. 2]) [Reprint 2020 ed.]
 9783112352205, 9783112352199

Citation preview

Die

achumten Mtmaliei zu den

ks Bürgerliche GesePuch null feine Nebengesetze betreKen-ell bllljerischen Gesetze« mtz Verortzmilgev nebst den

einschlägigen Ministerialerlassen herausgegeben von

Heinrich Archer. IV. und V. Abtheilung.

MsölimBStseZ W Biirgerlicheil 8esetzb«chc vom 9. Juni 1899.

Band 1. Abth. IV. Materialien zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche . „ (i................... 6-10). 6. „ (1..................11-15). 7. „ (1............... 16-24). 6„ (1............... 25—41). 9. „ (1............... 42-52). 10. „ (1............... 53-57). 11. „ (1............... 58-72). 12. „ (1............... 73-81). 13. „ (1............... 82-89). 14. (1............... 90-102) 15. „ (1................ 103-125) Protokoll d. Redaktionskommission 5. Antrag der Königl. Staatsregierung (Art. la, 76, 77a, 80 a, 94 , 94 a, 113a b, 115a—d) mit Begründung 6. Verhandlungen des Justizgesetzgeb-

1 7

33

137 138 161 199 229 268 303 344 375 402 435 471 504 539 563 591

596

Seite

ungsausschusses der Kammer der Abgeordneten 23. Prot. (2. Lesg. Art. 1-41) . 606 24. „ (2. „ „ 42-125) 634 Protokoll d. Redaktionskommission 673 Zusammenstellung des Entwurfs und der Ausschußbeschlüsje . . 676 7. Bericht des Reichsraths Dr. Ritter von Schmitt.................................. 698 8. Verhandlungen des Justizgesetzgeb­ ungsausschusses der Kammer der Reichsräthe V. Prot. (1. Les. Art. 1—8) . . 735 VI. „ (1. „ „ 9-18) . . 765 VII. „ (1 19-59) . . 801 VIII. „ (1. „ „ 60—114). . 834 IX. „ (1. „ „115—125a,53) 870 Protokoll d. Redaktionskommission 884 Antrag des Reichraths Dr. Ritter von Bechmann (Art. 15, 53) . 888 XIV. Protokoll d. genannten Aus­ schusses (2. Lesung) .... 889 Abänderungsbeschlüsse .... 925 9. Verhandlungen des Justizgesetzgeb-' ungsausschusses der Kammer der Abgeordneten 32. Protokoll (Art. 1—53a) . . 929 33. „ ( „ 53 a—125) . 960

Alphabetisches Sachregister f. am Schlüsse des Bandes 3 der Abth. IV, V.

Berichtigung. Auf Seite 7 muß es in Art. 1 statt 86 bis 90 heißen: 86 bis 89.

IV. Abtheilung.

AiisWmgs-esktz W Wrgkklilheu Kefttzbiiche. 1.

Aorvemerkung. Behufs zweckmäßiger gesetzgeberischer Erledigung der durch die Einführung des Bürger­ lichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetze brachte die K. Staatsregierung am 25. Mai 1898 folgenden Gesetzentwurf ein (zu vergl Beilage Nr. 1093 z. d. Berhandl. d. K. d. Abg. 1898 Bd. XVI S. 314, 315):

Gntnmrf eines Gesetzes,

S. 314.

die Behandlung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetz­ entwürfe betreffend.

Im Aamen Seiner Majestät des Königs. Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, haben nach Vernehmung des Staatsraths mit Beirath und Zustimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten und unter Beobachtung der in Titel X § 7 der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen: Einziger Artikel.

Die Bestimmungen des Gesetzes vom 12. Mai 1848, die Behandlung neuer Gesetzbücher betreffend, finden auf die Behandlung der Gesetzentwürfe, welche durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetze veranlaßt werden, mit der Maßgabe Anwendung, daß der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten aus fünfzehn von der Kammer in öffentlicher Sitzung zu wählenden Mitgliedern besteht und zur Beschluß­ fähigkeit die Anwesenheit von mindestens elf Mitgliedern erforderlich ist, und daß für den Fall des Abganges oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder von der Kammer der Abgeordneten fünf Ersatzmänner zu wählen sind. Die Mitglieder des Ausschusses der Kammer der Abgeordneten erhalten während der Dauer der Ausschußberathungen ein Tagegeld von zehn Mark, auch wenn sie in München wohnen. Gegeben Für den Entwurf:

(gez.) Dr. Freiherr non Feonrod.

(L. S.) Becher, Materialien

IV.

1

2

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Vorbemerkung.

Begründung.

S 314.

Die Einführung des am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden Bürgerlichen Gesetzbuchs und der mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetze, nämlich

der Grundbuchordnung, deS Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung nebst Einführungsgesetz,

des Handelsgesetzbuchs nebst Einführungsgesetz, des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes, betreffend Aenderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Straf­ prozeßordnung,

des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Civilprozeßordnung, nebst Einführungs­ gesetz und

des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Konkursordnung, nebst Einführungsgesetz macht eine große Anzahl von landesgesetzlichen Vorschriften erforderlich, durch welche theils die von den Reichsgesetzen der landesgesetzlichen Regelung vorbehaltenen Gegenstände zu ordnen, theils die in Kraft bleibenden Landesgesetze mit den neuen reichsgesetzlichen Vor­ schriften in Einklang zu bringen, theils Uebergangsbestimmungen zu treffen sind. S. 315.

Die diesen Zwecken dienenden Gesetzentwürfe, nämlich

der Entwurf eines Gesetzes, die Vorbereitung der Anlegung des Grundbuchs in den Landestheilen rechts des Rheins betreffend,

der Entwurf eines Gesetzes, das Unschädlichkeitszeugniß betreffend, und der Entwurf eines Gesetzes, das Liegenschastsrecht in der Pfalz betreffend, sind dem Landtage bereits vorgelegt und werden voraussichtlich in kurzer Zeit ihre verfassungs­ mäßige Erledigung finden. Die weiter erforderlichen Vorschriften werden den Gegenstand folgender entwürfe bilden: 1. des Entwurfes eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche,

Gesetz­

2. des Entwurfes eines Gesetzes, die durch div Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Aenderungen der seit 1818 erlassenen Goetze betreffend, 3. des Entwurfes eines Gesepes, Uebergangsvorschriften für die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend, 4. des Entwurfes eines Ausführung?gesetzes zu der Grundbuchordnung und dem Gesetze über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung,

5. des Entwurfes eines Gesetzes über die Einrichtung des Notariats, 6. des Entwurfes eines Gesetzes über das Gebührenwesen. Der Umfang und die Wichtigkeit der der Landesgesetzgebung gestellten Aufgabe, die in diesen Entwürfen ihre Lösung zu finden haben wird, machen es noihwendig, für die Be­ rathung der in den Nummern 1 bis 6 aufgeführten Gesetzentwürfe Gesetzgebungsausschüsse nach dem Gesetze vom 12. Juni 1848, die Behandlung neuer Gesetzbücher betreffend, zu be­ stellen, wie dieß durch Gesetz vom 18. Oktober 1871 bei der Einführung des Strafgesetzbuchs, durch Gesetz vom 15 Juli 1878 bei der Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Prozeßordnungen, durch Gesetz vom 19 Februar 1879 für die Gesetzentwürfe über das Gevührenwesen und die Erbschaftssteuer geschehen ist.

Der vorliegende Gesetzentwurf schließt sich im Abs. 1 an die beiden letzteren Gesetze an. Die Erhöhung der Zahl der für den Gesetzgebungs-Ausschuß der Kammer der Abge­ ordneten zu wählenden Ersatzmänner von drei (Art. 2 des Gesetzes vom 12. Mai 1848) auf fünf ist dem Artikel 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 12. Februar 1880, die Behandlung der Gesetz­ entwürfe über die direkten Steuern betreffend, entnommen Der Abs. 2 gewährt mit Rücksicht auf das große Opfer an Zeit und Arbeit, das die Theilnahme an den Ausschußberathungen den Mitgliedern auferlegt, für die Dauer dieser Berathungen das nach Artikel 36 Abs. 2 des Gesetzes vom 4. Juni 1848, die Wahl der Land­ lagsabgeordneten betreffend, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. März 1881 (Ges.u. Verordn -Bl. S. 113) den „nicht am Orte der Versammlung wohnenden Abgeordneten" gebührende Tagegeld auch den in München wohnenden Mitgliedern des Ausschusses der Kammer der Abgeordneten. Tritt an die Stelle eines verhinderten ordentlichen Mitglieds ein Ersatzmann, so hat dieser für die Zeit der Stellvertretung das Tagegeld zu beanspruchen.

IV. Abrh.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuchs. — Vorbemerkung.

3

In der 452. öffentlichen Sitzung vom 2. Juni 1898 wurde der Entwurf von der Kammer der Abgeordneten berathen und nebst den hierzu von den Abgeordneten Lerno und Wolfram gestellten Anträgen auf Vorschlag des Abgeordneten Wolfram an den Justiznusschnß zur Vorberathung überwiesen (zu vergl. Stenogr. Berichte der K. d. Abg. 1898 Bd. XII Nr. 452 S. 995 bis 999). Der Justizausschutz, welcher den Abgeordneten von Waller zum Berichterstatter ernannte, einigte sich über folgenden Gesetzentwurf, in welchen er auch noch andere Materien herein­ nahm (zu vergl. Beilage Nr 1150 z. d. Berhandl. d. K d. Abg. 1898 Bd. XVI S. 407, 408):

Entwurf eines Gesetzes,

S 407.

die Behandlung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetz­ entwürfe, sowie der Gesetzentwürfe über die Einkommen-, Kapitalrenten- und Gewerbfteuer betreffend.

Am Mamen Seiner Majestät des Königs. Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, haben nach Vernehmung des Staatsratds mit Beirath und Zustimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kummer der Abgeordneten und unter Beobachtung der in Titel X § 7 der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, was folgt:

Artikel 1. Auf die Behandlung der Gesetzentwürfe, welche durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetze veranlaßt werden, sowie der Gesetzentwürfe über die Einkommen-, Kapitalrenten- und Gewerbsteuer finden die Vorschriften des Gesetzes vom 12. Februar 1880, die Behandlung der Gesetzentwürfe über die direkten Steuern betreffend, mit nachstehenden Aenderungen und Ergänzungen entsprechende Anwendung. Artikel 2. Für die Gesetzentwürfe, welche durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetze veranlaßt werden, ist der Ausschuß der Kammer der Reichsräthe aus sieben, der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten aus fünfzehn Mit­ gliedern zu bilden. Zur Beschlußfähigkeit ist in dem Ausschüsse der Kammer der Reichs­ räthe die Anwesenheit von mindestens || fünf, in dem Ausschüsse der Kammer der Abgeord- S. 408. neten die Anwesenheit von mindestens elf Mitgliedern erforderlich.

Artikel 3. Für die Gesetzentwürfe über die Einkommensteuer, die Kapitalrentensteuer und die -Gewerbfteuer bleibt der von der Kammer der Abgeordneten gebildete Ausschuß bestehen. Für diesen Ausschuß sind neun Ersatzmänner zu wählen. Artikel 4. Den Ausschüssen können Gesetzentwürfe, die zu dem Gegenstände ihrer Aufgabe ge* hören, unmittelbar vorgelegt werden. Als zu dem Gegenstände der Aufgabe der Ausschüsse für die im Artikel 3 bezeichneten Gesetzentwürfe gehörend sind auch solche Gesetzentwürfe an­ zusehen, die Aenderungen der übrigen Gesetze über die direkten Steuern betreffen.

Artikel 5. Die Mitglieder der von der Kammer der Abgeordneten gebildeten Ausschüsse erhalten für die Dauer der Ausschußberathungen freie Eiienbahnfahrt, Reisekostenentschädiaung und ein Tagegeld von zehn Mark nach den Vorschriften des Artikel 36 des Gesetzes vom

4 ^nl

die Wahl der Landtagsabgeordneten betreffend, auch wenn sie in München

21. Marz 1881 wohnen.

Artikel 6. Die Vorschrift des Artikels 5 des Gesetzes vom 12. Februar 1880 findet auf diejenigen Gesetzentwürfe, welche zunächst der Kammer der Reichsräthe oder dem von dieser gebildeten Ausschüsse vorgelegt werden, keine Anwendung. Gegeben

....

München, den 3. Juni 1898. Der Präsident: Dr. von Clem«.

4

IV. Ablh. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Vorbemerkung.

In der 455. öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 6. Juni 1898 fand sodann die Berathung des Regierungsentwurfs und des Entwurfs des Ausschusses statt, in der 456. öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 7. Juni 1898 wurde der Ausschußentwurf angenommen (zu vergl. Stenogr. Berichte der K. d. Abg. 1898 Bd. XII Nr. 455 S. 1113 bis 1118 und Nr. 456 S. 1139, 1140). Der Beschluß, dessen Wortlaut sich mit dem Ausschußanttage deckt, findet sich in Beilage Nr 1187 z. d. Verhandl d. K. d. Abg. Bd. XVI S. 450. Die Kammer der Reichsrätbe beschäftigte sich mit dem Gesetz­ entwurf in ihrer 55 öffentlichen Plenarsitzung vom 8. Juni 1898, in welcher der Reichsrath Dr. Ritter von Bechmann Bericht erstattete, und stimmte dem Beschlusse der zweiten Kammer zu (zu vergl. Verhandl. d. K. d. Reichsräthe 1898 Prot. Bd. VII Nr. 55 S. 838 bis 852, 882). Der Gesamnttbeschluß beider Kammern findet sich in Beilage Nr. 1199 z. d. Verhandl. d. K. d. Abg. 1898 Bd. XVI S. 453 bis 456; sein Wortlaut entspricht dem Gesetzestexte. Das Gesetz vom 15. Juni 1898, die Behandlung der durch die Einführung des Bürger­ lichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetzentwürfe sowie der Gesetzentwürfe über die Einkommen-, Kapitalrenten- und Gewerbesteuer betreffend, ausgegeben am 18. Juni 1898 (zu vergl. Ges.und Verordn.-Bl. 1898 Nr. 29 S. 307, 308), lautet:

S. 307.

Am Aarnen Seiner Majestät des Königs.

Kuitpotd, von Gottes Gnaden Königlicher Krinr von Kayern,

Regent. Wir haben nach Vernehmung des Staatsrathes mit Beirath und Zustimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten und unter Beobachtung der in Titel X § 7 der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, was folgt:

Artikel 1. Auf die Behandlung der Gesetzentwürfe, welche durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der mit ihm zusammenhängenden Rerchsgesetze veranlaßt werden, sowie der Gesetzentwürfe über die Einkommen-, Kapitalrenten, und Gewerbsteuer finden die Vorschriften S. 308. des Gesetzes vom 12. Februar 1880, die Behandlung der Gesetzentwürfe über die direkten Steuern betreffend, mit nachstehenden Aenderungen und Ergänzungen entsprechende Anwendung. Artikel 2. Für die Gesetzentwürfe, welche durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs unb der mit ihm zusammenhängenden Reichsgesetze veranlaßt werden, ist der Ausschuß der Kammer der Reichsräthe aus sieben, der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten aus fünfzehn Mit­ gliedern zu bilden. Zur Beschlußfähigkeit ist in dem Ausschüsse der Kammer der Reichsräthe die Anwesenheit von mindestens fünf, in dem Ausschüsse der Kammer der Abgeordneten die Anwesenheit von mindestens elf Mitgliedern erforderlich.

Artikel 3. Für die Gesetzentwürfe über die Einkommensteuer, die Kapitalrentensteuer und die Gewerbsteuer bleibt der von der Kammer der Abgeordneten gebildete Ausschuß bestehen. Für diesen Ausschuß sind neun Ersatzmänner zu wählen. Artikel 4. Den Ausschüssen können Gesetzentwürfe, die zu dem Gegenstände ihrer Aufgabe gehören, unmittelbar vorgelegt werden. Als zu dem Gegenstände der Aufgabe der Ausschüsse für die im Artikel 3 bezeichneten Gesetzentwürfe gehörend sind auch solche Gesetzentwürfe anzusehen, die Aenderungen der übrigen Gesetze über die direkten Steuern betreffen.

Artikel 5. Die Mitglieder der von der Kammer der Abgeordneten gebildeten Ausschüsse erhalten für die Dauer der Ausschußberathungen freie Eisenbahnfahrt, Neisekostenentschädigung und ein Tagegeld von zehn Mark nach den Vorschriften des Artikel 36 des Gesetzes vom ^1 März 1881' der Landlagsabgeordneten betreffend, auch wenn sie in München wohnen.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Vorbemerkung.

5 S 308.

Artikel 6. Die Vorschrift deS Artikel 5 des Gesetzes vom 12. Februar 1880 findet auf diejenigen Gesetzentwürfe, welche zunächst der Kammer der Reichsräthe oder dem von dieser gebildeten Ausschüsse vorgelegt werden, keine Anwendung.

Gegeben zu München, den 15. Juni 1898.

Lvitp-td, Pli»! uou Kayeru, des Königreichs Bayern Verweser.

Dr. Frhr. v. Crailsheim. Dr Frhr. o. Kiedel. Frhr. o. Feilitzsch. Dr. Frhr. v. Feourod. Frhr. o. Asch. Dr. o. Landmauu. Auf Allerhöchsten Befehl:

Der Oberregierungsrath im k. Staatsministerium des Innern:

Dr. Proebst.

Das Gesetz, die Behandlung der Gesetzentwürfe über die direkten Steuern betreffend, vom 12. Februar 1880 (Ges - und Berordn.-Bl. 1880 Nr. 9 S. 25 bis 28) lautet:

Kudwig II.

S. 25.

von Golles Gnaden König von Kayern, Kfahgras bei Rhein, Herzog von Kayrru, Frauken und in Schwaben etc. rlr. Wir haben nach Vernehmung Unseres Staatsrathes mit Beirath und Zustimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten unter Beobachtung der in § 7 Tit. X der Berfassungsurkunde vorgeschriebenen Form beschlossen und verordnen, was folgt: Art. 1. Zur Berathung der Gesetzentwürfe, die Einkommensteuer betreffend, die Kapitalrentensteuer betreffend, S. 26. die Gewerbsteuer betreffend, und einige Abänderungen an den Gesetzen über die allgemeine Grund- und Haussteuer betreffend, wird bei der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten ein besonderer Ausschub gebildet. Für den Fall des Abganges oder dauernder Verhinderung einzelner Ausschußmit­ glieder sind in einem besonderen Wahlakte bei jeder Kammer Ersatzmänner aufzustellen, deren Zahl dem dritten Theile der Ausschußmitglieder gleichkommen, keinenfalls aber weniger als drei betragen soll. Art. 2.

Der König kann verordnen, daß diese Ausschüsse nach Schließung oder Vertagung der Landlagsversammlung in Thätigkeit bleiben sollen, er kann dieselben auf einen späteren Zeitpunkt einberufen, oder soferne sie in Abwesenheit der Kammern versammelt sind, deren Sitzungen vertagen oder aufheben. Art. 3. Diese Ausschüsse haben fich auf die Prüfung der bezeichneten Gesetzentwürfe und auf gutachtliche Berichterstattung über dieselben zu beschränken. Sie haben keine andere Wirk­ samkeit, als den Ausschüssen bei versammelten Kammern zukommt.

Art. 4. Für die Geschästsbehandlung sind die Bestimmungen des Gesetzes vom 19. Jan. 1872, -en Geschäftsgang des Landtags betreffend, und die von jeder Kammer für den von ihr gewählten Ausschuß hinsichtlich der Geschäftsordnung getroffenen Bestimmungen maßgebend. Dem Vorsitzenden jedes Ausschusses steht die Besugniß zu, geschäftsordnungsmäßige Mittheilungen an die Staatsministerien und an den Ausschuß der anderen Kammer, welche bei versammeltem Landtage durch die Präsidien der Kammern erfolgen, in Abwesenheit der Kammern unmittelbar zu bewirken, sowie die einschlägigen Mittheilungen von jener Seite in Empfang zu nehmen.

6 S. 27.

IV. Abth. AusführungSgesep zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Vorbemerkung,

Bezüglich der Beurlaubung von Ausschußmitgliedern, der Beschlußfassung auf Gesuche um Bewilligung des Austrittes aus dem Ausschüsse und der Einberufung von Ersatz­ männern stehen in Abwesenheit der Kammern den Vorsitzenden der Ausschüsse die Befugnisse der Kammerpräsidien, den Ausschüssen die Befugnisse der Kammern zu. Hat sich ein Mitglied des Ausschusses der zweiten Kammer einer Neuwahl unter­ worfen, so ist jener Ausschuß auch zur vorläufigen Prüfung deS Wahlergebnisses befugt. Art. 5. Die Berichterstattung des Ausschusses der Kammer der Reichsräthe findet erst statt,, nachdem die Kammer der Abgeordneten über die Gesetzentwürfe Beschluß gefaßt hat. Art. 6. Alle Kammermitglieder können an den Ausschuß jener Kammer, der sie angehören^ auch wenn dieser in Abwesenheit der Kammer versammelt ist, schriftliche Anträge auf Ver­ werfung einzelner Artikel der zu berathenden Gesetzentwürfe oder auf Abänderung und Zu­ sätze gelangen lassen. In beiden letzteren Fällen ist mit dem Anträge die entsprechende neue Fassung deK Artikels in Vorschlag zu bringen. Diese Anträge sind in der Berathung des Ausschusses bei den betreffenden Artikeln in Erwägung zu ziehen. Art. 7.

S. 28.

Nach Wiedereröffnung der Kammern bleiben diese Ausschüsse bis zur Erledigung der ihnen zugewiesenen Gesetzentwürfe in Wirksamkeit, allenfallsige Abgänge werden durch Wahl ersetzt Art. 8. Gegenwärtiges Gesetz tritt außer Wirksamkeit, sobald die verfassungsmäßige Zuständigkeit der gegenwärtig gewählten Kammer der Abgeordneten durch Ablauf der Wahlperiode oder Auflösung erloschen ist.

Gegeben zu München, den 12. Februar 1880.

Ludwig. o. Pfretzschner. Dr. v. §ntz. v. Pfenfer. Dr. o. Zanstle. v. Maiüinger.

o. Kiedel.

Nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs: Der Oberregierungsrath im k. Staatsministerium des Innern, Neumayr.

In den besonderen Justizgesetzgebungsausschuß der Kammer der Abgeordneten sink gewählt die Abgeordneten: Brünings, Michel, Joseph Wagner, Dr. Casselmann, von Stobäus, Johann Geiger, vonWalter, Joseph Geig er, Lerno, Fuchs, Seeberger^ Joseph Huber, Dr. Ratzinger, Segitz und Lutz, als Ersatzmänner die Abgeordneten: Franz Laver Schmidt, Burger, Landmann, Conrad und Beckh.

(Zu vergl. Stenogr. Berichte d. K. d. Abg. 1898 Bd. XII Nr. 457 S. 1184, 1185.) In den besonderen Justizgebungsausschuß der Kammer der Reichsräthe sind gewählt die Reichsräthe: Graf Fugger von Glött, Ritter von Küffner, von Auer, Dr. Ritter von Bechmann, Freiherr von Soden-Fraunhofen, Dr. Ritter von Schmitt und Hessert,

als Ersatzmänner die ReichsrätheRitter von Maffei, Ritter von Haßler und Freiherr von Guttenberg. (Zu vergl. Berhandl. d. K. d. Reichsräthe 1898 Prot. Bd. VII 883 bis 885.)

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Entwurf.

7

2.

Entwurf eines Ausfvhrungsgesetzes

Kürgerliche« Oesetzd«che. (Beilage A z. d. Verhandl. des Gesetzgebungsausschusses d. K. d. Abg. 1898 S. 1 bis 13.)

Im Namen Zeiner Majestät des Königs. Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayern Verweser, haben nach Vernehmung des Staatsraths mit Beirath und Zu­ stimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten beschlossen und verordnen, was folgt:

Aufrechterhaltung älterer Vorschriften. Artikel 1. Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs verlieren die Vor­ schriften des bürgerlichen Rechtes, welche aus der Zeit vor der Erlassung der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 stammen, ihre Geltung, soweit sie nicht in den Artikeln 56 bis 59, 69, 74 bis 76, 78, 80, 86 bis 90, 109, 111, 132, 133 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und im § 16 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung Vorbehalten sind. Soweit in den in Kraft bleibenden Gesetzen auf örtliche Verordnungen oder auf das Herkommen verwiesen ist, behalten die bestehenden Verordnungen und das Herkommen ihre Geltung.

Volljährigkeitserklärung. Artikel 2. Für die Volljährigkeitserklärung ist das Staatsministerium der Justiz zuständig.

Vereine. Artikel 3. Zur Entziehung der Rechtsfähigkeit eines Vereins nach § 43 des Bürger­ lichen Gesetzbuchs und zur Erhebung des Einspruchs gegen die Eintragung eines Vereins oder einer Aenderung der Satzung in das Vereinsregister nach § 61 Abs. 2 und § 71 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist die Distrikts­ polizeibehörde, in München die Polizeidirektion, zuständig. Gegen den Beschluß auf Entziehung der Rechtsfähigkeit sowie gegen den Einspruch findet binnen

S 1

8

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Entwurf.

S. i. einer Frist von zwei Wochen Beschwerde an die Regierung, Kammer des Innern, statt. Gegen die Entscheidung über die Beschwerde ist weitere Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig. Für die Beschwerde an den Verwaltungs­ gerichtshof gelten die Vorschriften des Artikel 45 Abs. 2, 3 des Gesetzes vom 8. August 1878, betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofs und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen.

Stiftungen. Artikel 4. Erlischt eine Stiftung des bürgerlichen Rechtes, so fällt das Stiftungs­ vermögen in Ermangelung einer anderen Bestimmung des Anfallberechtigten an den Fiskus. Die Vorschrift des Titel IV § 9 Abs. 4 der Verfassungs­ urkunde bleibt unberührt.

Zahlungen aus öffentlichen Kassen. Artikel 5. Zahlungen aus öffentlichen Kassen sind, soweit nicht ein Anderes bestimmt ist, an der Kasse in Empfang zu nehmen, welche die Zahlung zu leisten hat.

Aufrechnung gegen Gehälter und Pensionen.

Uebertragung von Wittwen- und Waisenbezügen.

Artikel 6. Gegen die Ansprüche der Hof-, Staats- und Gemeindebeamten, öffent­ lichen Diener und Geistlichen auf Gehalt oder Pension können Ansprüche aus dem Amts- oder Dienstverhältnisse sowie die von dem Gehalt oder der Pension zu entrichtenden Steuern oder Umlagen unbeschränkt aufgerechnet werden. Für die Ansprüche der Hinterbliebenen der im Abs. 1 bezeichneten Be­ diensteten auf Wittwen- und Waisenbezüge gilt das Gleiche in Ansehung der von den Bezügen zu entrichtenden Steuern oder Umlagen. Die Wittwen- und Waisenbezüge können weder abgetreten, noch verpfändet werden. Auf die Bezüge der Angehörigen des Heeres und deren Wittwen und Waisen finden diese Vorschriften keine Anwendung.

Bierlieferungsverträge.

S. 2

Artikel 7. Wird zwischen einem Brauer und einem Wirthe ein Vertrag über die Lieferung von Bier ohne Bestimmung der Menge des zu liefernden Bieres geschloffen, so gilt, soweit nicht ein Anderes vereinbart wird, als Gegenstand des Vertrags der gesammte Bedarf an Bier, der sich in dem Gewerbebetriebe des Wirthes während der Dauer des Vertragsverhältnisses ergibt. Der Wirth ist verpflichtet, den Bedarf || ausschließlich von dem Brauer zu beziehen, der Brauer hat dem Wirthe die jeweils verlangten Mengen zu liefern. Ist die

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Entwurf.

9

Dauer des Vertragsverhältnisscs nicht bestimmt, so kann dieses von jedem S. 2. Theile für den Schluß des Monats September jedes Jahres gekündigt werden. Geht das Geschäft des einen oder des anderen Theiles durch Rechts­ geschäft unter Lebenden auf einen Dritten über, so hat der bisherige Inhaber dafür einzustehen, daß der neue Inhaber in den Vertrag eintritt.

Artikel 8. Ist bei dem Bestehen eines Vertragsverhältnisses der im Artikel 7 Abs. 1 bezeichneten Art der Wirth Eigenthümer des Grundstücks, auf welchem er sein Geschäft betreibt, so kann der Brauer verlangen, daß ihm für den gestundeten oder rückständigen Kaufpreis des gelieferten Bieres eine Sicherungshypothek an dem Grundstücke bestellt wird. Hat der Wirth noch andere Grundstücke, die mit dem seinem Geschäfts­ betriebe dienenden Grundstücke gemeinschaftlich bewirthschaftet werden, so kann die Erstreckung der Sicherungshypothek auf diese Grundstücke verlangt werden, soweit sie erforderlich ist, damit der Betrag des Kaufpreises durch den Werth der Grundstücke doppelt gedeckt wird. Der Werth wird unter Abzug der Be­ lastungen berechnet, die der Sicherungshypothek im Range vorgehen.

Gesinderecht. Artikel 9. Auf das Rcchtsverhältniß zwischen der Dienstberrschaft nnd dem Dienst­ boten finden die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes nur insoweit Anwendung, als sich nicht aus den Artikeln 10 bis 22 ein Anderes ergibt.

Artikel 10. Personen, die nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind oder unter Polizeiaufsicht oder unter der im § Z61 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs be­ zeichneten Aufsicht stehen, kann die Polizeibehörde das Halten von Dienstboten unter achtzehn Jahren untersagen. Die Entlassung von Dienstboten, welche dem Verbote zuwider gehalten werden, kann von der Polizeibehörde erzwungen werden.

Verdingt Zeit, so hat er mit welcher er herrschaften ist

Artikel 11. sich ein Dienstbote an mehrere Dienstherrschaften für dieselbe bei derjenigen Dienstherrschaft auf deren Verlangen einzutreten, den Dienstvertrag zuerst geschlossen hat; den übrigen Dienst­ er zum Schadensersätze verpflichtet.

Artikel 12. Das Draufgeld wird im Zweifel nicht vom Lohne abgezogen und im Falle der Aufhebung des Dienstverhältnisses, wenn die Dienstherrschaft zum Schadensersätze verpflichtet ist, nicht auf den zu ersetzenden Betrag angerechnet.

Artikel 13. Der Dienstbote ist verpflichtet, den Anordnungen der Dienstherrschaft in Ansehung der ihm nach dem Vertrag und der Sitte obliegenden Ver­ richtungen und der häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten, der Dienst­ herrschaft Achtung zu erweisen und sich anständig zu führen. In Fällen der

10

S. 2

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Entwurf.

Noth hat er vorübergehend auch solche seinen Kräften und seiner Stellung entsprechende Dienste zu leisten, die nicht zu seinen im Vertrage bestimmten Obliegenheiten gehören.

Artikel 14. Ist der dem Dienstboten zu gewährende Lohn nach längeren Zeit­ abschnitten als Vierteljahren bemessen, so kann der Dienstbote nach dem Ab­ laufe von je drei Monaten der Dienstzeit die Zahlung der Hälfte des auf diesen Zeitraum treffenden Betrags verlangen. Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, nach der die Zahlung später erfolgen soll, ist nichtig. Artikel 15. Die Dienstherrschaft kann ihre Entschädigungsansprüche wegen vorsätzlicher Verletzung der dem Dienstboten obliegenden Verpflichtungen gegen dessen Lohn­ forderung unbeschränkt aufrechnen.

Artikel 16. Das Dienstverhältniß eines landwirthschaftlichen Dienstboten ist im Zweifel als für ein Dienstjahr und, falls es im Laufe eines Dienstjahrs be­ ginnt, als für die Zeit bis zum Schluffe des nächsten Dienstjahrs eingegangen anzusehen. Ist das Dienstverhältmß auf unbestimmte Zeit eingegangen, so ist die Kündigung nur für den Schluß eines Dienstjahrs und nur unter Ein­ haltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zulässig. Das Dienstjahr beginnt am 1. Februar. Bei anderen Dienstboten tritt an die Stelle der int § 621 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten Kündigungsfrist von fechs Wochen eine solche von einem Monate.

Artikel 17. Das Dienstverhältniß kann von jedem Theile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Artikel 18. Als ein wichtiger Grund, der die Dienstherrschaft zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt, ist es, sofern nicht besondere Um­ stände eine andere Beurthettung rechtferttgen, namentlich anzusehen: 1. wenn der Dienstbote die Dienstherrschaft bei Eingehung des Dienst­ vertrags durch Vorzeigung eines falschen oder gefälschten Dienst­ zeugnisses oder Dienstbotenduchs hintergangen oder über das Bestehen eines anderen, ihn gleichzeitig verpflichtenden Dienstverhältnisses in einen Irrthum versetzt hat; 2. wenn der Dienstbote sich eines Diebstahls, einer Unterschlagung, eines Betrugs oder eines liederlichen Lebenswandels schuldig macht; 3. wenn der Dienstbote den Antritt des Dienstes ohne rechtfertigenden Grund verweigert oder in erheblichem Maße verzögert, wenn er den Dienst während einer den Umständen nach erheblichen Zeit unbefugt verläßt oder den ihm obliegenden Verpflichtungen nachzukommen beharrlich verweigert; 4. wenn der Dienstbote die ihm obliegenden Verpflichtungen beharrlich in grober Weise vernachlässigt, die ihm anvertrauten Personen oder Thiere schlecht behandelt oder durch Vernachlässigung gefährdet;

IV. Ablh.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Entwurf.

11

5. wenn der Dienstbote der Verwarnung ungeachtet mit Feuer uud Licht ® 2. unvorsichtig umgeht; 6. wenn der Dienstbote sich Thätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen die Dienstherrschaft oder deren Familienangehörige zu Schulden kommen läßt: 7. wenn der Dienstbote sich einer vorsätzlichen rechtswidrigen Sach- ®- 3. beschädigung zum Nachtheile der Dienstherrschaft, ihrer Familien­ angehörigen oder des Nebengesindes schuldig macht; 8. wenn der Dienstbote Familienangehörige der Dienstherrschaft oder das Nebengesinde zu Handlungen verleitet oder zu verleiten versucht oder mit Familienangehörigen der Dienstherrschaft Handlungen begeht, die wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen; 9. wenn der Dienstbote die Behausung zur Nachtzeit heimlich verläßt oder jemand zur Nachtzeit heimlich tn die Behausung einläßt; 10. wenn der Dienstbote zu den ihm obliegenden Dienstleistungen unfähig ist oder an der Verrichtung der Dienste durch anhaltende Krankheit oder eine längere Freiheitsstrafe oder eine die Zeit von vier Wochen übersteigende militärische Dienstleistung verhindert wird; 11. wenn der Dienstbote an einer ansteckenden oder abschreckenden Krankheit leidet; 12. wenn ein weiblicher Dienstbote sich im Zustande der Schwangerschaft befindet. In den unter Nr. 1, 3 bis 9 genannten Fällen ist die Kündigung wegen Thatsachen, die der Dienstherrschaft länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig. Artikel 19.

Als ein wichtiger Grund, der den Dienstboten zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt, ist es, sofern nicht besondere Umstände eine andere Beurtheilung rechtfertigen, namentlich anzusehen:

1. wenn die Dienstherrschaft die Aufnahme des Dienstboten verweigert oder den Dienstboten vor Beendigung des Dienstverhältnisses entläßt; 2. wenn der Dienstbote zu den ihm obliegenden Verrichtungen unfähig wird oder wenn sich ergibt, daß die Fortsetzung der Verrichtungen das Leben oder die Gesundheit des Dienstboten einer erheblichen Gefahr aussetzen würde, die ihm bei Eingehung des Dienstverhältnisses nicht bekannt war; 3. wenn die Dienstherrschaft sich Thätlichkeiten oder grobe Beleidigungen gegen den Dienstboten zu Schulden kommen läßt oder es verweigert, den Dienstboten gegen solche Handlungen eines ihrer Familien­ angehörigen oder eines anderen Dienstboten oder Angestellten zu schützen; 4. wenn die Dienstherrschaft oder deren Familienangehörige dem Dienst­ boten Handlungen zumuthen, die wider die Gesetze oder die guten Sitten verstoßen; 5. wenn die Dienstherrschaft den Lohn oder den gebührenden Unterhalt nicht gewährt oder den ihr nach § 618 des Bürgerlichen Gesetzbuchs obliegenden Verpflichtungen nachzukommen verweigert; 6. wenn der Dienstherrschaft das Halten des Dienstboten nach Artikel 10 verboten ist.

12

S 3.

IV. Abth. Ausführungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Entwurf.

In den unter Nr. 3 genannten Fällen ist die Kündigung wegen That­ sachen, die dem Dienstboten länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig.

Artikel 20. Wird das Dienstverhältniß wegen vertragswidrigen Verhaltens des einen Theiles nach Artikel 17 gekündigt, so kann der andere Theil als Schadens­ ersatz den Betrag der Hälfte des auf ein Vierteljahr treffenden Lohnes ver­ langen. Bei landwirthschaftlichen Drenstboten erhöht sich der Schadensersatz auf den Betrag des vierten Theiles des Jahreslohns, wenn die Kündigung von Seite der Dienstherrschaft in der Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Oktober oder von Seite des Dienstboten in der Zeit vom 1. Oktober bis zum Schlüsse des Monats Februar erfolgt. Ist das Dienstverhältniß auf kürzere Zeit als ein Vierteljahr oder so eingegangen, daß es nach kürzeren Zeiträumen als von Vierteljahr zu Viertel­ jahr gekündigt werden kann, so ist als Schadensersatz der Betrag der Hälfte des für die Dienstzeit vereinbarten oder auf den Zeitraum von einem Kündigungstermine zum andern treffenden Lohnes zu leisten. Der in den Abs. 1, 2 bestimmte Schadensersatz kann verlangt werden, ohne daß der Eintritt eines Schadens dargelegt wird. Durch die Geltendmachung des Anspruchs auf diesen Schadensersatz wird das Verlangen eines weiteren Schadensersatzes ausgeschlossen. Diese Vorschriften finden auch in den Fällen des Artikel 10 Abs. 2, des Artikel 11 und des Artikel 19 Abs. 1 Nr. 6 Anwendung. Artikel 21.

Würde der Dienstbote durch die Fortsetzung des Dienstverhältnisses ver­ hindert, von der ihm gebotenen Gelegenheit zur Verheirathung oder zur Be­ gründung eines eigenen Hausstandes Gebrauch zu machen, so kann er das Dienstverhältniß kündigen. Die Kündigung ist nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig; sie hat spätestens am fünfzehnten des Monats zu erfolgen. Artikel 22.

Ist die Dienstherrschaft in Folge einer wesentlichen Veränderung der Umstände, insbesondere wegen Verlegung des Wohnsitzes oder wegen Ver­ äußerung des Gutes, zu dessen Bewirthschaftung der Dienstbote ausgenommen ist, dauernd verhindert, von der Dienstleistung Gebrauch zu machen, so kann sie ein auf längere Zeit eingegangenes Dienstverhältniß einem landwirthschaft­ lichen Dienstboten gegenüber nach Maßgabe des Artikel 16 Abs. 1 Satz 2, 3, einem anderen Dienstboten gegenüber unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist für den Schluß des Kalendervierteljahrs kündigen. Im Falle des Todes der Dienstherrschaft ist sowohl der Erbe als der Dienstbote zu der Kündigung nach Abs. 1 berechtigt. Artikel 23.

Wer einen Dienstboten verleitet, vor der Beendigung des Dienstverhältnisses den Dienst zu verlassen, ist der Dienstherrschaft für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; er haftet neben dem Dienstboten als Gesammtschuldner. Die Vorschriften des Artikel 20 finden Anwendung.

IV. Abth. Ausführung-gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Entwurf.

13

In gleicher Weise haftet derjenige, welcher wissentlich einen bereits der- rist beruht, ist ein berechtigter. Auch liegt er den freilich weniger weittragenden Bestimmungen des § 106 der Gewerbeordnung und des § 81 des Handelsgesetzbuchs zu Grunde. Der Entwurf schließt sich im Artikel 10

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

49

diesen Vorbildern an, stellt jedoch kein von selbst wirkendes Verbot auf, sondern S. 21. räumt der Polizeibehörde das Recht ein, Personen, die sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden oder unter Polizeiaufsicht oder unter der im § 361 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Aufsicht stehen, das Halten von Dienstboten unter achtzehn Jahren zu untersagen. Durch diese Regelung werden die Härten vermieden, die unter Umständen namentlich bei dem landwirthschaftlichen Betriebe, bei dem die Verwendung jugendlicher Arbeiter für gewisse Verrichtungen üblich ist, mit einem gesetzlichen Verbote verbunden sein würden. Eine Strafe für den Fall der Nichtbefolgung der Untersagung braucht nicht angedroht zu werden. Mit Rücksicht auf den Artikel 21 des Polizeistraf­ gesetzbuchs genügt es, daß nach dem Vorbilde des § 82 Abs. 2 des Handels­ gesetzbuchs die Polizeibehörde befugt ist, die Entlassung verbotwidrig beschäftigter Dienstboten zu erzwingen. Auf den dem Dienstboten gebührenden Schadens­ ersatz finden die besonderen Vorschriften des Artikel 20 Anwendung. Artikel 11.

Für den Fall, daß ein Dienstbote sich mehreren Dienstherrschaften zugleich verdingt, schreiben das Bayerische Landrecht IV 6 § 20 und Anmerkungen hiezu Nr. 2 lit. a, das Preußische Landrecht II 5 § 27 und die Ehehaltenordnung von 1781 Artikel 9 übereinstimmend vor, daß derjenigen Dienstherrschaft der Vorzug gebührt, mit welcher der Gesindevertrag zuerst abgeschlossen wurde. Nach allen Gesindeordnungen bleibt der Dienstherrschaft, bei welcher der Dienst­ bote nicht eintritt, der Schadensersatzanspruch gegen ihn vorbehalten. Eine Vorschrift darüber, welcher Dienstvertrag vorgeht, ist nicht zu entbehren. Zwar fehlt in der Gewerbeordnung eine entsprechende Vorschrift für das Verhältniß zwischen Meister und Geselle. Allein im Gesinderechte würde eine Lücke schon mit Rücksicht auf das Vorführungsrecht der Polizei (P. St. G. B. Art. 106 Abs. 4) mißlich sein. Wird eine ausdrückliche Entscheidung nicht getroffen, so läßt sich aus allgemeinen Grundsätzen wohl kein anderes Ergebniß ableiten, als daß die Dienstherrschaft den Vorzug hat, bei welcher der Dlenstbote den Dienst angetreten hat. Diese Entscheidung widerspricht dem geltenden bayerischen Rechte sowie den Bestimmungen fast aller übrigen deutschen Gestndeordnungcn, z. B. dem § 27 der preußischen Gesindeordnung von 1810, dem § 27 der sächsischen, dem Artikel 4 der hessischen Gesindeordnung. Sie ist auch nicht zweckmäßig. Der Entwurf (Art. 11) bestimmt deßhalb, daß der ältere Dienst­ vertrag den Vorzug hat. Für den Schadensersatz, || den die übrigen Dienst- © 22 Herrschaften beanspruchen können, gelten die besonderen Vorschriften des Artikel 20.

Artikel 12. Bezüglich der Bedeutung, die dem Geben eines Draufgeldes bei dem Gesindevertrage zukommt, ist der Rechtszustand im geltenden bayerischen Gesinderecht ein bunter. Nach der vorderösterreichischen Dienstbotenordnung und nach der Rechtsübung in der Pfalz hängt das Zustandekommen des Vertrags von dem Geben des Draufgeldes ab. Nach dem Preußischen Land­ rechte II 5 § 23 ist, wenn die versprochene Vergütung 15Q M. übersteigt, ein nicht schriftlich geschlossener Gesindevertrag ohne Draufgeld nicht verbindlich. In einigen Rechtsgebieten, namentlich im Gebiete der Ehehaltenordnung von 1781, ist es streitig, ob das Draufgeld nicht blos als Zeichen des Vertragsschlusses gilt. Jedenfalls hat sich in einem erheblichen Theile des Geltungsgebiets der Becher, Materialien. IV.

4

50

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 22. Ehehaltenordnung von 1781 gewohnheitsrechtlich der Satz ausgebildet, daß der Gesindevertrag ohne Draufgeld zu Stande kommt. In anderen Rechtsgebieten hat das Draufgeld die Bedeutung eines Reugeldes, bald nur für die Dienstherrschaft, so in denjenigen altbayerischen Bezirken, in welchen sich das in den Anmerkungen zum Bayerischen Landrechte IV 1 tz 11 Nr. 1 lit. d erwähnte Herkommen erhalten hat, bald für beide Theile, so in einigen rechtsrheinischen Bezirken und in einigen Landstrichen der Pfalz. Das Bürgerliche Gesetz­ buch (§ 336) betrachtet das bei der Eingehung eines Vertrags gegebene Draufgeld im Zweifel als Zeichen des Vertragsabschlusses. Als Reugeld gilt die Draufgabe im Zweifel nicht. Dabei wird es auch für den Gesindevertrag zu belassen sein. Die Bedeutung eines Reugeldes kann dem Draufgeld auf keinen Fall beigelegt werden; überwiegende Gründe sprechen aber auch dagegen, den Gesindevertrag erst durch das Geben eines Draufgeldes zu Stande kommen zu lassen. Eine derartige Vorschrift würde nicht nur einem großen Theile des geltenden Gesinderechts widersprechen, sondern ist auch nicht unbedenklich. Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für Bayern Theil II (1861) spricht im Artikel 489 Abs. 1 bezüglich der Bedeutung des Dinggeldes bei der Dienstmiethe den gleichen Grundsatz aus wie das Bürgerliche Gesetzbuch. Dabei geht der Entwurf davon aus, daß die Vorschrift des Artikel 489 durch die Gesindeordnungen, deren Erlassung er im Artikel 490 vorbehält, nicht abgeändert werden soll. Die Frage, ob das Draufgeld auf den Lohn anzurechnen ist, wird im geltenden bayerischen Gestnderechte überwiegend verneint, während das Bürgerliche Gesetzbuch im § 337 die Regel auf stellt, daß es auf die von dem Geber geschuldete Leistung angerechnet wird. Der Artikel 42 des bayerisches Entwurfes schreibt im Allgemeinen gleichfalls die Anrechnung vor, soweit nicht das Gegentheil verabredet oder ortsüblich ist, bestimmt aber für den Dienstvertrag im Artikel 489 Abs. 1 Halbsatz 2, daß das Dinggeld im Zweifel am Dienstlohne nicht abgezogen werden darf. Wenn auch der § 337 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur eine Auslegungsvorschrift enthält, empfiehlt es sich doch mit Rücksicht auf das geltende Recht, für den Gesindevertrag mit dem bayerischen Entwürfe die gegentheilige Auslegungsvorschrift aufzustellen (Art. 12 Halbsatz 1). Wird das Dienstverhältniß unter Umständen aufgehoben, welche die Ver­ pflichtung des Dienstberechtigten zum Schadensersätze begründen, so verbleibt das Draufgeld dem Dienstboten ohne Anrechnung auf den Schadensersatz (Art. 12 Halbsatz 2). Für die übrigen Fälle der Aufhebung des Dienst­ verhältnisses genügen die Vorschriften des § 337 Abs. 2 und des § 338 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Dienstbote ist auch in diesen Fällen zur Rückgabe des Draufgeldes nicht verpflichtet, wenn das Dienstverhältniß erst nach dem ersten Termine, für den der Dienstbote kündigen konnte, aufgehoben wird; erfolgt die Aufhebung früher, so behält der Dienstbote einen Theil des Draufgeldes nach dem Verhältnisse der abgelaufenen Dienstzeit zu der Zeit, die er bis zu dem ersten Kündigungstermine zu dienen haben würde.

Artikel 13. Der Artikel 13 regelt die Pflichten des Gesindes. Manche Statutarrechte und Gesindeordnungen enthalten hierüber mehr oder weniger ausführliche Vor­ schriften. Am weitesten in der Kasuistik geht das Preußische Landrecht II 5 §§ 57 bis 81. Die neueren Gesindeordnungen pflegen die Pflichten der Dienst­ boten nach den wichtigsten Seiten im Allgemeinen zu bezeichnen. Eine ähnliche Vorschrift enthält der § 121 der Gewerbeordnung. Die dort ausgesprochene

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

51

Verpflichtung, den Anordnungen des Arbeitgebers in Ansehung der zu leistenden S 22 Arbeiten und der häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten, paßt auch für das Gesindeverhältniß. Die Art und das Maß der dem Dienstboten obliegenden Verrichtungen bestimmen sich nach dem Vertrag und der Sitte; in Fällen der Noth muß aber der Dienstbote vorübergehend auch solche seinen Kräften und seiner Stellung entsprechende Dienste leisten, die nicht zu seinen vertragsmäßigen Obliegenheiten gehören (vergl. § 60 der preußischen, §§ 34, 35 der sächsischen, § 6 Abs. 3 der badischen, § 13 Abs. 1 Satz 2 der hessischen, § 37 der bremischen Gesindeordnung). Das Gesindeverhältniß bringt es mit sich, daß der Dienstbote verpflichtet ist, der Dienstherrschaft Achtung zu erweisen (vgl. P.St.G.B. Art. 106 Abs. 1 Ziff. 7) und sich anständig zu führen (vgl. § 30 der sächsischen, § 32 der bremischen Gesindeordnung, Art. 501 Abs. 2 des bayerischen Entwurfes). Die letztere Pflicht hat insofern rechtliche Bedeutung, als die Dienstherrschaft berechtigt ist, Zuwiderhandlungen zu rügen und wegen schwerer Verletzung der Pflicht das Dlenstverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Im Preußischen Landrechte II 5 §§ 71, 72 wird dem Gesinde die Pflicht auferlegt, Untreue des Nebengesindes anzuzeigen; Verletzung macht schadensersatzpfllchtig. Dem übrigen bayerischen Gesinderecht ist eine derartige Vorschrift fremd. In den Gesindeordnungen der anderen deutschen Staaten findet sie sich nur vereinzelt (Gesindeordnung für Preußen § 71, für Sachsen §31, für Bremen § 34). Die Schadensersatzpflicht dürfte jedenfalls zu weit gehen. Wird sie aufgegeben, so verliert die Anzeigepflicht die wichtigste Wirkung ihrer privat­ rechtlichen Eigenschaft. Es empfiehlt sich deßhalb, ihr die Eigenschaft einer privatrechtlichen Verpflichtung überhaupt nicht beizulegcn. Der z. B. im Preußischen Landrcchte II 5 § 62 ausgesprochene Satz, daß 1>as Gesinde sich in den ihm übertragenen Geschäften nicht vertreten lassen darf, folgt bereits aus § 613 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Aus § 276 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt sich, daß der Dienstverpflichtete Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Davon geht auch das geltende bayerische Gesinderecht aus. Die Haftung für Fahrlässigkeit ist indessen in dem überwiegenden Theile der bayerischen Gesinderechte (Anm. z. Bayer. Landrecht IV 6 § 11 lit. f, vorderösterreichische Dienstbotenordnung §§ 23, 24, Preuß. Landrecht II 5 §§ 65 bis 67) gemildert. Der Dienstbote hat ein geringes || Versehen (culpa levissima) lediglich dann zu verantworten, S 23. wenn er gegen den Befehl der Herrschaft gehandelt, ihm nicht obliegende Ge­ schäfte ohne Auftrag übernommen oder sich zu Arbeiten verdungen hat, die einen besonderen Grad von Sorgfalt erfordern. Eine derartige Milderung der Haftung ist auch in manchen der übrigen deutschen Gesindeordnungen, z. B. im § 41 der sächsischen, angenommen. Es wird sich jedoch empfehlen, nach dem Vorvilde der Gesindeordnungen für Baden (§ 6 Abs. 3) und für Hessen (Art. 13 Abs. 3 Satz 1) lediglich die allgemeinen Grundsätze entscheiden zu lassen. Dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist eine dreigradige Abstufung der Fahrlässigkeit un­ bekannt. Hievon für das Gesinderecht eine Ausnahme zu machen, fehlt es an einem genügenden Grunde. Die Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit aber widerspricht der Anschauung und Uebung des täglichen Lebens. Ein Züchtigungsrecht steht der Dienstherrschaft nach der zwingenden Vor­ schrift des Artikel 95 Abs. 2 des Einsührungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche nicht zu. Dadurch wird ein Zurechtweisungsrecht nicht ausgeschlossen. Dieses Recht versteht sich aber von selbst und hat keinen civilrechtlichen Inhalt. Seine strafrechtliche Bedeutung (vergl. Entsch. des Reichsgerichts in Strass, n S. 7) behält es auch beim Schweigen des Gesetzes.

52

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

Artikel 14, 15. Unter den Verpflichtungen der Dienstherrschaft steht obenan die Ver­ pflichtung zur Lohnzahlung und zur Gewährung der sonstigen vertragsmäßigen Vergütung. Die in dieser Beziehung in dem § 611 Abs. 1 und in den §§ 612, 614 bis 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegebenen Vorschriften passen auch für das Gesindeverhältniß. Sie stimmen in der Hauptsache mit dem geltenden bayerischen Gesinderecht überein. Dieß gilt insbesondere von den Vorschriften über die Höhe des Lohnes und über die Zeit der Entrichtung sowie bezüglich der Frage, inwieweit der Dienstbote durch eine vorübergehende Verhinderung seines Anspruchs auf Lohn verlustig wird. Der § 614 bedarf jedoch für den Fall, daß der Lohn nach längeren Zeitabschnitten als Vierteljahren bemessen ist, einer Ergänzung, die dem Dienst­ boten nach dem Ablauf einer gewissen Dienstzeit das Recht auf Auszahlung eines Theiles des bis dahin verdienten Lohnes gewährt und einer Vereinbarung, nach der auch dieser Theil des Lohnes erst später gezahlt werden soll, die rechtliche Wirksamkeit versagt. Der Dienstbote soll in der Lage sein, über einen Theil des verdienten Lohnes ungehindert zu verfügen, er soll nicht genöthigt sein, die Dienstherrschaft um einen Vorschuß auf den erst künftig fälligen Lohn zu bitten. Solche Vorschriften finden sich in verschiedenen neueren Gesinde­ ordnungen, z. B. in der für Sachsen (§ 55), der für Baden (§ 7 Abs. 4), der für Hessen (Art. 9 Abs. 2). Einem ähnlichen Zwecke dienen der § 119a Abs. 2 Nr. 1 der Gewerbeordnung und der § 64 des Handelsgesetzbuchs. Der Entwurf (Art. 14) bestimmt deßhalb, daß nach je drei Monaten der Dienstzeit die Hälfte des auf diesen Zeitraum treffenden Lohnes auszuzahlen und eine Vereinbarung, durch welche im Voraus eine spätere Zahlungszeit bestimmt wird, nichtig ist. Ein Anspruch auf die üblichen Geschenke steht dem Dienstboten in Ermangelung einer Vereinbarung nicht zu. Die Vorschrift des Preußischen Landrechts (II5 § 34), daß auch auf versprochene Geschenke nicht geklagt werden kann, eignet sich nicht zur Aufrechterhaltung. In der vorderösterreichischen Gesindeordnung ist der Dienstherrschaft er­ laubt, zu ihrer Sicherung einen bestimmten Theil des Lohnes bis zum Ablauf einer gewissen Zeit zurückzubehalten. Soweit die Vorschrift die Hinausschiebung der Fälligkeit eines bestimmten Lohntheils auf das Ende der Dienstzeit bezweckt, genügt der § 614 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch mit der im Artikel 14 be­ stimmten Beschränkung. Für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhält­ nisses der Dienstherrschaft ein weitergehendes Zurückbehaltungsrecht einzuräumen, als nach allgemeinen Grundsätzen '(§§ 273, 274 des B-G-B.) jedem Schuldner

zusteht, läßt sich nicht rechtfertigen. Lobneinbehaltungen zum Zwecke der Sicherung gegen Vertragsbruch können nach § 119a Abs. i der Gewerbeordnung

nur unter gewissen Einschränkungen vereinbart werden. Für das Gesindever­ hältniß wird die Vorschrift des Artikel 14 auch in dieser Beziehung genügen. Nach § 749 Abs. 1 Nr. 1 der Civilprozeßordnung in Verbindung mit § 1 des Gesetzes vom 21. Juni 1869, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits­ oder Dienstlohns, kann die Lohnforderung eines Dienstboten erst mit Beschlag belegt werden, nachdem die Leistung der Dienste erfolgt und der Tag, an dem der Lohn zu entrichten war, abgelaufen ist, ohne daß der Dienstbote den Lohn eingefordert hat. Soweit hienach die Beschlagnahme unzulässig ist, schließt künftig der § 394 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Gegensatze zum geltenden bayerischen Rechte (Gesetz vom 18. Dezember 1887, die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen und Forderungen betreffend, Art. 2 Satz 1) auch

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

53

eine Aufrechnung aus. Diese Aenderung des geltenden Rechtes macht die Vor- « 23 schrift des Artikel 15 nothwendig, nach welcher die Beschränkung der Auf­ rechnung bei den Entschädigungsansprüchen wegen vorsätzlicher Verletzung der dem Dienstboten obliegenden Verpflichtungen nicht gelten soll. Der Grund, auf welchem die Beschränkung beruht, tritt bei dem hier allein in Betracht kommen­ den Geldlohne der Dienstboten zurück, weil dieser nur einen Theil der ver­ tragsmäßigen Vergütung bildet und der Dienstbote nicht in gleicher Weise wie andere Lohnarbeiter mit der Deckung des täglichen Lebensbedarfes auf den Geldlohn angewiesen ist. Für die Dienstherrschaft aber ist der Schutz, den ihr die Aufrechnungsbefugniß gewährt, von wesentlicher Bedeutung, nicht nur als Mittel, den Ersatz des entstandenen Schadens zu erlangen, sondern mehr noch als Sicherung gegen die Schädigung durch vorsätzliche Pflichtverletzung des Dienstboten. Die im bisherigen bayerischen Gesinderechte nur vom Preußischen Land­ rechte (II 5 §§ 86—96) ausgesprochene Verpflichtung der Dienstherrschaft zur Fürsorge für krankes Gesinde ist vom Bürgerlichen Gesetzbuch in den §§ 617, 619 einheitlich und bindend geregelt. Die landesgesetzlichen Vorschriften bleiben nur insoweit unberührt, als sie dem Gesinde weitergehende Ansprüche zubilligen. Dieß trifft für das Preußische Landrecht insofern zu, als es, falls der Dienst­ bote sich die Erkrankung im Dienste zugezogen hat, die Verpflichtung der Dienst­ herrschaft nicht auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt und nicht gestattet, die Kosten für Heilung und Verpflegung vom Lohne abzuziehen. Diesen Unterschieden kommt aber mit Rücksicht auf die Artikel 11, 20 des Gesetzes über die öffentliche Armen- und Krankenpflege vom 29. April 1869 und den Artikel 2 Abs. 1, 2 des bayerischen Ausführungsgesetzes vom 26. Mai 1892 zum Reichs-Krankenversicherungsgesetze vom 15. Juni 1883/10. April 1892 eine erhebliche Bedeutung nicht zu. Im Interesse der Rechtseinheit empfiehlt es sich deßhalb, die Vorschrift des Preußischen Landrechts fallen zu lassen. Die weitere Bestimmung des Preußischen Landrechts II 5 § 94, daß die e 24 Dienstherrschaft zur Unterstützung des Gesindes über die Dienstzeit hinaus unter den Voraussetzungen verpflichtet ist, unter denen ein Vollmachtgeber den Bevollmächtigten nach allgemeinen Grundsätzen entschädigen muß, fällt mit der Vorschrift, auf welcher sie beruht (I 13 §§ 80, 81), von selbst hinweg. Die Pflichten der Dienstherrschaft m Ansehung der Herstellung und Unterhaltung der zur Verrichtung der Dienste bestimmten Räume, Vorrichtungen und Geräthschaften sowie in Ansehung des Wohn- und Schlafraums, der Verpflegung und der Arbeits- und Erholungszeit sind in den §§ 618, 619 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in bindender Weise festgesetzt. Für eine landesgesetzliche Regelung ist hier kein Raum mehr. Eine Bestimmung über die Unzulässigkeit einer Afterverdingung ist mit Rücksicht auf den § 613 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entbehrlich. Die Verjährung des Anspruchs auf Dienstlohn ist für das rechtsrheinische Bayern durch das Gesetz vom 26. März 1859, die Verjährungsfristen betreffend, Artikel 3 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 einheitlich geregelt. Der Anspruch verjährt in drei Jahren. In der Pfalz richtet sich die Verjährung nach den Artikeln 2271, 2272 des Code civil, deren Auslegung nicht unbestritten ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt im § 196 Abs. 1 Nr. 8, daß die Ansprüche derjenigen, welche im Privatdienste stehen (über den Begriff vergl. Motive I S. 303), wegen des Lohnes oder anderer Dienstbezüge, mit Einschluß der Auslagen, in zwei Jahren verjähren. Bei dieser Vorschrift wird es für das Gesindeverhältniß zu verbleiben haben.

54

S 24

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung. Artikel 16.

Fast alle bayerischen Gesindeordnungen enthalten über die Dauer des Gesindeverhältnisscs Vorschriften, die in Ermangelung einer besonderen Ver­ einbarung maßgebend sind. Mit diesen Vorschriften stehen die Bestimmungen über die Antritts- und Abzugszeiten des Gesindes, die sogenannten Ziele, und über die stillschweigende Erneuerung des Gesindeverhältnisses im Zusammen­ hänge. Die Vorschriften der Gesindeordnungen sind jedoch durch das Herkommen in mannigfacher Weise geändert. Der Rechtszustand ist in Folge dessen ein sehr bunter. Für landwirthschaftliche Dienstboten gilt nach allen Dienstbotenordnungen die einjährige Dienstzeit. Hieran hält auch die Rechtsübung überall fest. In der Pfalz ist die einjährige Dienstzeit gleichfalls in allgemeiner Geltung. Die Dienstziele sind sehr verschieden. Mitunter ist nur ein Ziel herkömmlich; mit­ unter findet der Dienstbotenwechsel an zwei oder vier, hie und da an fünf Zielen statt. Als Ziele kommen insbesondere in Betracht:

Lichtmeß: z. B. nach der Dienstbotenordnung für das Herzogthum Neuburg von 1790 und nach allgemeiner Uebung in dem größeren Theile von Mittel- und Oberfranken sowie in Theilen des Gebiets des vorder­ österreichischen und des gemeinen Rechtes in Schwaben; Lichtmeß und Michaelis: z. B. nach der altbayerischen Ehehaltenordnung von 1781, den Dienst­ botenordnungen für Schwaben von 1804 und für den Untermainkreis von 1818, nach der Uebung auch in einem Theile des Gebiets des vorderösterreichischen Rechtes und von Mittelfranken; Lichtmeß und Martini: z. B. nach der Dienstbotenordnung für die Oberpfalz von 1801 und der Uebung im größeren Theile der Oberpfalz; Lichtmeß, Walburgis, Laurenzi und Allerheiligen: z. B. nach der Nürnberger Ehehaltenordnung von 1741; Drei Könige: z. B. im größeren Theile des Fuldischen Rechtsgebiets; Drei Könige, Ostern, Kiliani und Michaelis: z. B. nach der Würzburger Dienstbotenordnung von 1777;

der zweite Weihnachtstag: in der Pfalz. Das Dienstverhältniß muß regelmäßig eine gewisse Zeit vor Ablauf des Dienstjahrs gekündigt werden, sonst tritt stillschweigende Erneuerung ein. Die Kündigungsfrist beträgt überwiegend sechs Wochen: z. B. nach den Dienstbotenordnungen für Altbayern von 1781, für Neuburg von 1790, für die Oberpfalz von 1801, für Schwaben von 1804, dem vorderösterreichischen Rechte, der mittelfränkischen Dienst­ botenordnung von 1859, der Uebung im Gebiete des Preußischen Landrechts und in Oberfranken; in einzelnen Grsindeordnungen: z. B. der Ehehaltenordnung für Nürnberg von 1741, der Würzburger Dienstbotenordnung von 1777, der Dienstbotenordnung für den Unter­ mainkreis von 1818,

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

55

ist sie auf vier Wochen festgesetzt, in einzelnen Gegenden kommen auch Kündigungs- S 24. fristen von drei oder zwei Wochen vor. Das Dienstverhältniß gilt entweder als bis zum nächsten Ziele: z. B. nach dem Bayerischen Landrechte IV 6 § 19, den Dienstboten­ ordnungen für den Untermainkreis von 1818, für Mittelfranken von 1859, oder als auf die ursprüngliche Dauer: z. B. nach dem vorderösterreichischen, dem Schweinfurter, dem Hohenlohe'schen, dem Regensburger Rechte, dem Preußischen Landrechte, der Uebung in der Pfalz, erneuert. Für die übrigen Dienstboten beträgt die gesetzliche Dienstzeit regelmäßig die Zeit von dem einen bis zum anderen Ziele. Mitunter ist sie auf ein Jahr oder, z. B. in einem Theile von Oberfranken, auf ein halbes Jahr oder, wie im Preußischen Landrecht, auf ein Vierteljahr festgesetzt. Der Dienstboten­ wechsel findet regelmäßig an vier Zielen, mitunter an sechs Zielen, statt. Als Ziele sind namentlich gebräuchlich: Lichtmeß, Georgi, Jakobi und Michaelis:

z. B. nach der Ehehaltenordnung von 1781, den Dienstbotenordnungen für Neuburg von 1790, für Schwaben von 1804, der Uebung in Theilen des Gebiets des vorderösterreichischen Rechtes und der Oberpfalz; Lichtmeß, Georgi, Jakobi, Martini: z. B. in Theilen von Schwaben; Lichtmeß, Walburgis, Saurenji und Martini: S 25. z. B. nach der Dienstbotenordnung für die Oberpfalz von 1801, der Uebung im größeren Theile der Oberpfalz und von Mittelfranken; Lichtmeß, Walburgis, Laurenzi und Allerheiligen: z. B. nach der Nürnberger Ehehaltenordnung von 1741; Lichtmeß, Walburgis, Jakobi und Martini: im größten Theile von Oberfranken; Weihnachten, Ostern, Johannis und Michaelis: in der Pfalz. Auch bei diesen Dienstboten muß das Dienstverhältniß eine gewisse Zeit vor Ablauf der Dienstzeit gekündigt werden, wenn nicht stillschweigende Er­ neuerung eintreten soll. Die Kündigungsfrist beträgt überwiegend vier Wochen: z. B. nach der Ehehaltenordnung von 1781, den Dienstbotenordnungen für Neuburg von 1790, für Schwaben von 1804, für den Unter­ mainkreis von 1818, für Würzburg von 1777, der Nürnberger Ehe­ haltenordnung von 1741; mitunter sechs Wochen: z. B. im größeren Theile österreichischen Rechte;

von Oberfianken,

nach

dem

vorder­

oder nur zwei Wochen: z. B. im Allgäu, soweit vorderösterreichisches Recht gilt und in einigen altbayerischen Bezirken. Das Dienstverhältniß gilt regelmäßig als auf die bisherige Dienstzeit erneuert. Für Livreediener gilt fast ausnahmslos einmonatige Dienstzeit.

56 S. 25.

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Wird der Dienst in der Zeit zwischen zwei Zielen angetreten, so wird die gesetzliche Dienstzeit meistens erst vom nächsten Ziele an gerechnet, wenn auch der Lohn nach der Zeit der wirklichen Dienstleistung bezahlt wird:

z. B. nach der Ehehaltenordnung von 1781, den Dienstbotenordnungen für Neuburg von 1790, für Schwaben von 1804, für den Unler­ mainkreis von 1818, für Mittelfranken von 1859.

In einigen Landestheilen: z. B. in einem Theile der Obeipfalz, in einigen altbayerischen und schwäbischen Bezirken, wie Dillingen, Lauingen, Aichach, Mühldorf, ist eine stillschweigende Erneuerung des Dienstverhältnisses unbekannt und wird deßhalb bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses das Dinggeld von Neuem gegeben. Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Dienst­ vertrag endigt das Dienstverhältniß mit dem Ablaufe der Zeit, für die es ein­ gegangen ist (§ 620 Abs. 1). Ist die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zwecke der Dienste zu ent­ nehmen, so kann feder Theil das Dienstverhältniß kündigen. Die Kündigung ist in den §§ 621 bis 623 geregelt. Von diesen Vorschriften kommen für das Gestndeverhältniß nur der § 621 Abs. 2 bis 4 und der § 623 in Betracht. Eine stillschweigende Erneuerung des Dienstverhältnisses tritt nach dem Bürger­ lichen Gesetzbuch ein, wenn das Dienstverhältniß nach dem Ablaufe der Dienst­ zeit von dem Verpflichteten mit Wissen des anderen Theiles fortgesetzt wird und dieser nicht unverzüglich widerspricht. Das Dienstverhältniß gilt als auf unbestimmte Zeit verlängert (§ 625). Der stillschweigenden Erneuerung des Dienstverhältnisses im Sinne der geltenden Vorschriften über das Gesinde­ wesen entspricht aber im Bürgerlichen Gesetzbuche nicht die stillschweigende Er­ neuerung, sondern die Eingehung des Dienstverhältnisses auf unbestimmte Zeit (§ 620 Abs. 2). Die ältere Theorie, der sich die geltenden Gesetze angeschlossen haben, betrachtete die auf unbestimmte Zeit eingegangenen Verhältnisse als zunächst für die Zeit bis zu dem ersten Termin eingegangen, für welchen die Kündigung zulässig ist, und sah in der Unterlassung der Kündigung eine still­ schweigende Erneuerung für die Zeit bis zu dem nächsten Termine. In Wirklichkeit ist der Vertrag aber nicht so abgeschlossen, daß das Verhältniß mit dem Eintritte des nächsten Termins ohne Weiteres endigt; das Verhältniß ist vielmehr auf Kündigung eingegangen und bedarf deßhalb nicht einer Er­ neuerung, sondern besteht fort, weil es nicht gekündigt worden ist. Geht der Dienstbote vor dem Beginne der Kündigungsfrist ein neues Dienstverhältniß ein, ohne das bestehende zu kündigen, so gilt dieses, weil es fortbesteht, im Sinne des Artikel 11 als das ältere (Gesindeordnung für Sachsen § 70). Die großen Verschiedenheiten der Termine haben ihren Grund ebenso wie die gleiche Erscheinung bei der Wohnungsmiethe überwiegend nicht in be­ sonderen Verhältnissen und Bedürfnissen, sondern in Zufälligkeiten. Sie haben insoweit nicht mehr Berechtigung, aufrechterhalten zu werden, als die ent­ sprechenden Verschiedenheiten bei der Wohnungsmiethe, welche durch den § 565 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beseitigt werden. Die Freizügigkeit und die durch die heutigen Verkehrseinrichtungen gebotene Leichtigkeit der Orts­ veränderung machen es wünschenswerth, daß die Termine für zusammenhängende größere Gebiete gleich bestimmt werden. Dieß liegt ebenso im Interesse der Dienstherrschaften wie der Dienstboten; für die einen wie für die andern ist es vorthcilhaft, mit ihrer Nachfrage nicht auf das Angebot der Nachbarschaft beschränkt zu sein.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zmil Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

57

Für das städtische — d. h. das nicht landwirthschaftliche — Gesinde S 25 gelten fast allenthalben vier Termine, von denen auf jedes Kalendervierteljahr einer trifft. Sie stimmen meistens mit den für die Wohnungsmiethe geltenden Terminen überein und werden ohne Schwierigkeiten mit diesen dadurch in Uebereinstimmung erhalten werden können, daß als die Termine, für welche gekündigt werden kann, der Schluß der einzelnen Kalenderwerteljahre bezeichnet wird. Bei der weiten Verbreitung, welche bei dem städtischen Gesinde die monatliche Kündigung gefunden hat, empfiehlt es sich, für dieses Gesinde es bei den Vorschriften des § 621 Abs. 3, 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Aenderung zu belassen, daß bet vierteljähriger Kündigung an die Stelle der sechswöchigen Kündigungsfrist eme Frist von einem Monate tritt (Art. 16 Abs. 2). Für das landwirthschaftliche Gesinde entspricht es dem in dem größten Theile Bayerns geltenden Rechte, das Dienstverhältniß mit dem Anfänge des Monats Februar beginnen zu lassen. Der Entwurf stellt in Uebereinstimmung mit dem Gutachten des Bayerischen Landwirthschaftsraths nur diesen einen Termin auf, weil Angebot und Nachfrage sich im Wesentlichen auf diesen Termin beschränken (Art. 16 Abs. 1). Mit einem Termine begnügen sich auch die Gesindeordnungen für Preußen (§ 43), für Sachsen (§ 18), für Baden (§ 3), für Hessen (Art. 5). Das Dienstverhältniß eines landwirthschaftlichen Dienst­ boten soll aber, wenn die Dauer nicht durch den Vertrag bestimmt ist, im Zweifel nicht als auf unbestimmte Zeit, auf Kündigung, sondern als auf ein Dienst || jähr, die Zeit vom 1. Februar bis zum 31. Januar des nächsten S 26 Jahres, eingegangen angesehen werden. Es ist also die Dauer des Dienst­ verhältnisses durch die ergänzende Vorschrift des Gesetzes bestimmt, so daß das Dienstverhältniß mit dem Ablaufe des Dienstjahrs nach § 620 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ohne Kündigung endigt. Wird es nach dem Ablauf des Dienstjahrs fortgesetzt, so gilt es nach § 625 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als verlängert. Fällt der Beginn des Dienstverhältnisses in den Lauf eines Dienstjahrs, so gilt als die vereinbarte Dauer des Dienstverhältnisses der Rest des laufenden Dienstjahrs und das nächstfolgende Dienstjahr. Wird das Dienstverhältniß nicht auf ein Dienstjahr, sondern auf unbestimmte Zeit, auf Kündigung, eingegangen, so ist die Kündigung nur für den Schluß eines Dienstjahrs, auch des bei dem Dienstantritte laufenden, zulässig und muß in Uebereinstimmung mit dem in dem größten Theile Bayerns geltenden Rechte eine Kündigungsfrist von sechs Wochen eingehalten werden. Auch diese Regelung entspricht den von den Vertretern der landwirthschaftlichen Interessen, insbesondere dem Bayerischen Landwirthschaftsrathe, geäußerten Wünschen.

Artikel 17 bis 19. Alle rechtsrheinischen Statutarrechte und Dienstbotenordnungen räumen der Dienstherrschaft wie dem Dienstboten das Recht ein, das Dienstverhältniß nach Antritt des Dienstes aus gewissen Gründen einseitig zu lösen. Sie ge­ währen dieses Recht nicht nur in dem Falle, daß ein Theil durch sein Ver­ schulden die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unthunlich macht, sondern auch in Fällen, in denen lediglich objektive Veränderungen in den Verhältnissen des einen ober des anderen Theiles die Beendigung des Dienstverhältnisses er­ fordern. Die Gründe sind in der Regel in eingehender Weise aufgezählt, am ausführlichsten ist die Regelung des Preußischen Landrechts. Dabei gilt — abgesehen vom Gebiete des Preußischen Landrechts — in der Rechtsübung der Grundsatz, daß die in den Gesindeordnungen enthaltenen Aufzählungen

58

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 26. nicht als erschöpfende zu erachten sind, vielmehr die Aufhebung des Dienst­ verhältnisses aus wichtigen Gründen verlangt werden kann und die Beurtheilung der Wichtigkeit dem richterlichen Ermessen überlassen bleibt. Die pfälzische Rechtsprechung ist im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen gelangt.

Auch das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 626) gestattet bei dem Dienstvertrag in Abweichung von den für die Verträge geltenden allgemeinen Grundsätzen (§§ 324 bis 327) jedem Theile, unter gewissen Voraussetzungen das Dienstverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Die Gründe, welche die Kündigungsbefugniß gewähren, sind nicht im Einzelnen bestimmt. Das Bürgerliche Gesetzbuch beschränkt sich darauf, auszusprechen, daß wichtige Gründe die Kündigung rechtfertigen. Die Kündigung aus wichtigen Gründen lassen auch die Gewerbeordnung (§§ 124a, 133 b) und das Handelsgesetzbuch (§ 70 Abs. 1) zu. Auch beim Gesindedienste kann eine erschöpfende Aufzählung der einzelnen zur einseitigen Aufhebung des Dienstverhältnisses berechtigenden Gründe nicht in Frage kommen, vielmehr muß der im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgestellte Grundsatz auch für das Gesindeverhältniß gelten. Dies bringt der Artikel 17 des Entwurfes zum Ausdrucke. Nach dem Vorbilde des Handelsgesetzbuchs (§§ 71, 72), der Gewerbe­ ordnung (§§ 123, 124, 133c. 1336) und der Mehrzahl der deutschen Gesinde­ ordnungen werden vom Entwurf, um Streitigkeiten thunlichst vorzubeugen, die wichtigsten der Fälle, in welchen das Dienstverhältniß ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, namhaft gemacht. Die einzelnen in den bayerischen Gesinderechten anerkannten Gründe einseitiger Entlassung und einseitigen Austritts stimmen im Wesentlichen mit den in der Gewerbe­ ordnung (§§ 123, 124, 133c, 1336) bestimmten Fällen überein. Es empfiehlt sich, die für Gesellen und Gehülfen geltenden Bestimmungen der §§ 123, 124 der Gewerbeordnung zum Vorbilde zu nehmen, zumal da die Entscheidung, ob ein Arbeiter Gewerbsgehülfe oder Dienstbote ist, in manchen Fällen Schwierigkeiten bereitet. Auch das Handelsgesetzbuch hat in den §§ 71, 72 die Gewerbeordnung möglichst berücksichtigt. Auf diesen Erwägungen beruhen die in den Artikeln 18, 19 aufgeführten Kündigungsgründe. Die als solche anerkannten Thatsachen sollen, wie in den §§ 71, 72 des Handelsgesetzbuchs bestimmt ist, nicht schlechthin das Recht zur Kündigung geben, sondern dann ausnahmsweise nicht als wichtige Gründe für die Kündigung anzusehen sein, wenn besondere Umstände eine andere Beurtheilung rechtfertigen. Von den Bestimmungen der Gewerbeordnung weichen die Artikel 18, 19 im Wesentlichen nur nach folgenden Richtungen ab. Der Artikel 18 Nr. 3 und der Artikel 19 Nr. 1 führen als Kündigungs­ grund auch den Fall an, daß der Dienstbote den Antritt des Dienstes ohne rechtfertigenden Grund verweigert oder in erheblichem Maße verzögert oder die Dienstherrschaft die Aufnahme des Dienstboten verweigert. In der Gewerbe­ ordnung und im Handelsgesetzbuche sind diese Fälle nicht erwähnt. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch erachtet es für entbehrlich, eine besondere Vorschrift über das Kündigungsrecht für den Fall zu geben, daß der Vertrag von dem Verpflichteten oder von dem Dienstberechtigten nicht zur gehörigen Zeit erfüllt wird; denn der Grundsatz des § 626 gilt auch für den Fall, daß der Dienst noch nicht angetreten ist. Die ausdrückliche Hervorhebung der bezeichneten Fälle im Entwürfe rechtfertigt sich indessen durch das häufige Vorkommen und hat für den Entwurf überdies wegen der im Artikel 20 getroffenen besonderen Bestimmung über die Höhe des Schadensersatzes Bedeutung.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

59

Aus dem gleichen Grunde ist in dem Artikel 19 Nr. 1 auch der Fall S. 26. berücksichtigt, daß die Dienstherrschaft den Dienstboten vor der Beendigung des Dienstverhältnisses entläßt. Im Artikel 18 Nr. 9 wird eine nach Artikel 106 Abs. 1 Ziffer 8 bi 5 Polizeistrafgesetzbuchs strafbare Pflichtwidrigkeit als Kündigungsgrund anerkannt Der Artikel 18 Nr. 10 gestattet im Anschluß an den § 72 Nr. 3 des Handelsgesetzbuchs der Dienstherrschaft die Kündigung bei länger dauernder Verhinderung des Dienstboten an der Leistung seiner Dienste und trifft ins­ besondere auch eine Bestimmung für den Fall, daß der Dienstbote burm militärische Dienstleistung verhindert ist. Nach den §§ 6. 7 des Wehrgesetzcs vom 9. November 1867 und dem Artikel II §§ 2, 13 des Gesetzes vom 1. Februar 1888 (Wehrordnung §§ 116, 117) kommen militärische Uebungen in der Zeit von acht Tagen bis zu zehn Wochen — Reserve: zwei Uebungen bis zu acht Wochen; Landwehr: zwei Uebungen von acht bis zu vierzehn Tagen, Ersatzreserve: drei Uebungen von zehn, sechs, vier Wochen — in Betracht. Das Handelsgesetzbuch erkennt für Handlungsgehülfen nur eine die Zeit von acht Wochen übersteigende Verhinderung durch militärische Dienstleistung als Kündigungsgrund an. Soweit zu gehen, muß bei dem Gesinde für bedenklich cracktet werden. Der Entwurf setzt daher im Einklänge mit dem Gutachten des || Bayerischen Landwirthschaftsraths die Grenze auf vier Wochen fest. S 27. Der Kündigungsgrund des Artikel 18 Nr. 12 findet sich im Preußischen Landrechte II 5 § 129 und in mehreren neueren Dienstbotenordnungen. Der Artckel 19 Nr. 3 enthält gegenüber dem § 124 Nr. 2 der Gewerbeordnung eine Erweiterung, die dem ß 71 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs entnommen ist. Der im Artikel 19 Nr. 6 enthaltene Kündigungsgrund ist zur Durch­ führung des im Artikel 10 aufgestellten Verbots erforderlich. Nach § 123 Abs. 2 und § 124 Abs. 2 der Gewerbeordnung sind die Entlassung und der Austritt nickt mehr zulässig, wenn in den Fällen des § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 dem Arbeitgeber und in den Fällen des § 124 Abs. 1 Nr. 2 dem Arbeiter die zu Grunde liegenden Thatsachen länger als eine Woche bekannt find. Diese Vorschriften haben dem Artikel 18 Abs. 2 und dem Artikel 19 Abs. 2 des Entwurfes zum Vorbilde gedient. Aehnlicke Bestimmungen enthält die sächsische Gesindeordnung im § 84 Abs. 2 und im § 85 Abs. 2.

Artikel 20. Die Rechtsfolgen, welche eintreten, falls das Dienstverhältniß vor oder nach dem Antritte des Dienstes befugter Weise einseitig gelöst wird, sind in den geltenden bayerischen Gesinderechten nicht ganz gleichmäßig bestimmt, treffen aber in der Hauptsache mit den Wirkungen zusammen, die der § 628 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der vorzeitigen Kündigung verknüpft. Die Vorschriften des § 628 führen zu einem billigen Ergebnisse, das nur nach einer Richtung einer Ergänzung bedarf. Wird die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unbefugter Weise verweigert, so soll nach den meisten Statutarrechten und Gesindeordnungen, z. B. nach der Ehehaltenordnung von 1781, dem Würzburger und dem Schweinfurter Rechte, der Dienstbote, der ohne rechtmäßige Ursache den Dienst verläßt, des Anspruchs auf Lohn auch für die Zeit, welche er gedient hat, verlustig und die Dienstherrschaft, welche den Dienstboten ohne genügenden Grund entläßt, verpflichtet sein, dem Dienstboten den vollen Lohn sowie Unterhalt bis zum ordnungsmäßigen Ablaufe der Dienstzeit zu gewähren. Nach manchen Rechten ist der Dienstbote überdies verpflichtet, der Dienstherrschaft die Kosten eines

60

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 27. Stellvertreters zu bezahlen. Nach § 628 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist, wenn es in Folge des vertragswidrigen Verhaltens der Dienstherrschast oder des Dienstboten zur vorzeitigen Kündigung kommt, der schuldige Theil zum Schadensersätze verpflichtet. Den Dienstboten seines Anspruchs auf den bereits verdienten Lohn für verlustig zu erklären, ist eine civilrechtliche Strafe, die unter Umständen über die Billigkeit weit hinausgeht. Soweit aber diesen Vorschriften der Gedanke zu Grunde liegt, Streitigkeiten über die Höhe des Schadens dadurch vorzubeugen, daß gestattet wird, ohne Weiteres einen Theil des Lohnes als Schadensersatz zu verlangen, dürfte ihnen die Berechtigung nicht abzusprechen sein. Die Gesindeordnungen für Baden (§§ 14,16) und für Hessen (Art. 19—22) geben der Dienstherrschaft das Recht, wenn der Dienstbote den Dienst vertrags­ widrig nicht antritt, unbefugt austritt oder in Folge eigenen Verschuldens mit Recht entlassen wird, als Schadensersatz die Hälfte des Vierteljahrslohns zu verlangen oder aufzurechnen. Wenn landwirthschaftliche Dienstboten in der Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Oktober vertragsbrüchig oder entlassen werden, so erhöht sich die Entschädigung auf den vierten Theil des Jahreslohns. Bei dem auf eine kürzere Zeit als ein Vierteljahr gemietheten Gesinde beträgt die Entschädigung die Hälfte des für die Dienstzeit vereinbarten Lohnes. Gleiches gilt zu Gunsten des Dienstboten, wenn er unbefugter Weise nicht ausgenommen oder vertragswidrig entlassen wird oder aus Verschulden der Dienstherrschaft mit Recht das Dienstverhältniß aufhebt. Die Erhöhung auf den vierten Theil des Jahreslohns tritt ein, wenn bei landwirthschaftlichkn Dienstboten die Nicht­ aufnahme, die Entlassung oder der Austritt in die Zeit vom 1. Oktober bis zum letzten Februar fällt. Aehnliche Vorschriften trifft die Gewerbeordnung im § 124b. Wie von allen Begutachtern des Entwurfes, insbesondere auch vom Bayerischen Landwirthschaftsrath, anerkannt worden ist, eignen sich die erwähnten Vorschriften des badischen und des hessischen Gesinderechts auch für Bayern. Der Entwurf schließt sich daher im Artikel 20 Abs. 1, 2 an sie an. Die Geltendmachung des im Artikel 20 Abs. 1, 2 bestimmten Schadensersatzanspruchs ist von dem Nachweis eines Schadens nicht abhängig, schließt aber den An­ spruch auf Ersatz eines weiteren Schadens aus (Art. 20 Abs. 3). In beiden Beziehungen stimmt der § 124b Satz 2, 3 der Gewerbeordnung mit dem Ent­ wurf überein. Der Abs. 4 des Artikel 20 dehnt die in den Abs. 1 bis 3 ent­ haltenen Vorschriften auf die Fälle aus, daß die Polizeibehörde die Entlassung eines Dienstboten auf Grund des Artikel 10 erzwingt oder der Dienstbote mit Rücksicht auf das polizeiliche Verbot kündigt und daß der Dienstbote den Ver­ trag nach Artikel 11 deßhalb nicht erfüllen kann, weil er sich auch an eine andere Dienstherrschaft verdungen hat. Artikel 21.

Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keine Gründe, welche zwar eine ein­ seitige Kündigung des Dienstverhältnisses rechtfertigen, aber nur unter Ein­ haltung einer Kündigungsfrist oder unter Stellung eines tauglichen Vertreters. Anders der überwiegende Theil der bayerischen Gesinderechte. So darf der Dienstbote nach Artikel 13 der Ehehaltenordnung von 1781, wenn er durch Verheirathung oder Uebernahme des elterlichen Anwesens sich versorgen kann, aus dem Dienste austreten, sofern er einen tauglichen Vertreter stellt. Aehnliches gilt nach dem vorderösterreichischen und dem Schweinfurter Rechte. Auch

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

61

nach den Erläuterungen der oberpfälzischen Landesdirektion von 1801, den S. 27. Dienstbotenordnungen für Unterfranken von 1818 und für Mittelfranken von 1859, dem Preußischen Landrechte II 5 § 147 und der Rechtsübung in einigen pfälzischen Bezirken geben Verheirathung und Gutsübernahme dem Dienstboten ein Recht zum Dienstaustritt, aber nur unter Einhaltung einer verschieden — zwei, vier, sechs Wochen, ein Vierteljahr — bemessenen Kündigungsfrist. Das Preußische Landrecht II 5 §§ 143 bis 146, 149 hat noch andere Fälle dieser Art, für die Dienstherrschaft: Mangel der nöthigen Geschicklichkeit auf Seite des Dienstboten, eigener Vermögensverfall; für den Dienstboten: Verzug in Bezahlung des Lohnes, Beschimpsung unter Duldung der Herrschaft, Un­ entbehrlichkeit im elterlichen Hause. Der bayerische Entwurf kennt gleichfalls ein außerordentliches Kündigungs­ recht des Dienstberechligten (Art. 502) und des Verpflichteten (Art. 504), das die Lösung des Dienstverhältnisses erst nach Ablauf einer gewissen Kündigungszeit zur Folge hat. Dem Dienstberechtigten steht dieses Recht zu, wenn er durch Unglücksfälle zu einer erheblichen Ein || schränkung seines Haushalts ge- S. 28. nöthigt ist; dem Verpflichteten steht es zu, wenn er durch Fortsetzung des Dienstverhältnisses verhindert würde, die Gelegenheit zur Verheirathung oder zur Gründung eines Nahrungsstandes zu benützen. Der Entwurf geht davon aus, daß die Versorgung des Dienstboten, und zwar nicht nur des weiblichen, durch Verheirathung oder durch sonstige Be­ gründung eines eigenen Nahrungsstandes billiger Weise als Grund zur ein­ seitigen Lösung des Dienstverhältnisses anerkannt werden muß. Es kann dieß aber, schon um Mißbrauch vorzubeugen, wie nach dem geltenden bayerischen Gesinderecht und fast allen übrigen deutschen Gesindeordnungen nur unter einer Beschränkung geschehen, nämlich so, daß die Einhaltung einer Kündigungsfrist verlangt wird. Die Kündigungsfrist wird zweckmäßiger Weise in Anlehnung an den § 621 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt (Art. 21). Die Stellung eines tauglichen Vertreters bleibt besser der Vereinbarung überlassen. Für den Fall, daß über das Vermögen der Dienstherrschaft der Konkurs eröffnet wird, enthält die neue Fassung des § 19 der Konkursordnung eine ausreichende Vorschrist. Der Verzug der Dienstherrschaft in der Lohnzahlung und die Versagung des Schutzes gegen Beschimpfung sind im Artikel 19 Nr. 3, 5 berücksichtigt. Artikel 22.

Der Artikel 503 Nr. 3 des bayerischen Entwurfes gestattet dem Dienst­ boten die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, wenn die Dienstherrschaft den Wohnsitz verändert oder dem Dienstboten zumuthet, sie auf Reisen in entferntere Gegenden oder über die Dienstzeit hinaus zu begleiten. Die Dienstherrschaft ist verpflichtet, den Dienstboten für den sich aus der Kündigung ergebenden Verdienstentgang in bestimmtem Maße zu entschädigen. Diese Thatsachen sind auch in den Gesindeordnungen der meisten anderen deutschen Staaten berücksichtigt, aber in sehr verschiedener Weise. So läßt der § 141 der preußischen Gesindeordnung den Austritt zu, wenn die Dienst­ herrschaft auf eine Zeit, welche die laufende Dienstzeit übersteigt, und in eine Entfernung, die mehr als sechs Meilen beträgt, eine Reise unternimmt oder in diese Entfernung den Wohnsitz verlegt und sich nicht verpflichten will, den Dienstboten zum Ablaufe der Dienstzeit kostenfrei zurückzusenden. Nach § 85 Nr. 9 der sächsischen Gesindeordnung kann der Dienstbote den Dienst verlassen, wenn die Dienstherrschaft ihren Wohnsitz in Begleitung des Gesindes außerhalb

62 S. 28.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

des Königreichs Sachsen verlegen will. Nach Artikel 16 der hessischen Gesinde­ ordnung genügt es, wenn die Dienstherrschaft ihren Wohnort bleibend ver­ ändert oder den Dienstboten nöthigen will, längere Reisen in entferntere Gegenden mitzumachen. Die gleiche Bestimmung trifft die badische Gesinde­ ordnung im § 11 Abs. 1. In den Gesindeordnungen einiger deutscher Staaten finden sich besondere Bestimmungen über die Stellung des landwirthschaftlichen Gesindes im Falle der Veräußerung oder der Verpachtung des Gutes, zu dessen Bewirthschaftung das Gesinde hauptsächlich ausgenommen ist. Das Dienstverhältniß geht auf den Erwerber oder den Pächter über; dieser und das Gesinde sind an den Ver­ trag bis zum nächsten Ziele gebunden (vergl. z. B. § 81 der sächsischen Gesinde­ ordnung; ähnliche Vorschriften finden sich in den Gesindeordnungen für Braun­ schweig, Altenburg und Mecklenburg). Dem bayerischen Gesinderechte sind solche Bestimmungen fremd. Der Erwerber oder Pächter des Gutes muß, wenn er die Dienstboten in seinen Dienst übernehmen will, sich mit ihnen über die Fortsetzung des Dienstverhältnisses einiaen. Auf demselben Standpunkte steht das Bürgerliche Gesetzbuch, das mit Rücksicht auf den persönlichen Charakter des Dienstverhältnisses das Recht auf die Dienstleistung im Zweifel als nicht übertragbar ansieht (§ 613 Satz 2). Der Entwurf nöthigt das Gesinde weder im Falle der Verlegung des Wohnsitzes der Dienstherrschaft zur Kündigung noch im Falle der Veräußerung oder Verpachtung des Gutes zum Uebertritt in den Dienst einer Dienstherrschaft, an die es sich nicht verdungen hat, sondern beläßt es in beiden Fällen zunächst bei den Vorschriften des § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Dienstbote wird seiner Ansprüche aus dem Dienstvertrage nicht dadurch verlustig, daß die Dienstherrschaft ihren Wohnsitz an einen Ort verlegt, an den der Dienstbote ihr nicht folgt und zu folgen nicht verpflichtet ist, oder daß sie die Bewirth­ schaftung des Gutes einem Anderen überläßt, er muß sich aber anrechnen lassen, was er für dieselbe Zeit aus einem neuen Dienstverhältniß erlangt, und darf die Eingehung eines neuen Dienstverhältnisses nicht böswillig unter­ lassen. Diese Vorschriften reichen vollständig aus, wenn das Dienstverhältniß zu den üblichen Terminen gekündigt werden kann oder mit dem Eintritte des nächsten Termins ohne Kündigung endigt. Für den Fall, daß das Dienstverhältniß für längere Zeit, z. B. auf mehrere Jahre, eingegangen ist, gibt der Artikel 22 Abs. 1 eine ergänzende Vorschrift, die auf einer ähnlichen Billigkeitsrücksicht beruht wie die des Artikel 21; er gestattet der Dienstherrschaft, wenn sie durch eine wesentliche Veränderung der Umstände, insbesondere Ver­ legung des Wohnsitzes oder Veräußerung oder Verpachtung des Gutes, dauernd verhindert ist, von der Dienstleistung Gebrauch zu machen, das Dienstverhältniß für den nächsten der gewöhnlichen Termine zu kündigen. Im Ergebnisse stimmt dieses Kündigungsrecht der Dienstherrschaft der Hauptsache nach mit dem im Artikel 503 des bayerischen Entwurfes dem Dienstboten eingeräumten Kündigungs­ recht überein. Da bei dem persönlichen Charakter des Dienstverhältnisses mit dem Tode der Dienstherrschaft eine wesentliche Aenderung der Umstände eintritt, so gewährt der Abs. 2 des Artikel 22 das im Abs. 1 bestimmte Kündigungsrecht in diesem Falle beiden Theilen fbayer. Entw. Art. 502 Abs. 2, Art. 504 Abs. 2). In manchen der geltenden Gesinderechte sind noch andere Beendigungs­ gründe anerkannt. So gestattet das vorderösterreichische Recht, daß Dienstboten auch bei geringen Vergehen sofort entlassen werden. Es muß ihnen aber der Lohn für ein Vierteljahr ausbezahlt werden. An einigen Orten hat sich das

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

63

Herkommen gebildet, daß der Gesindevertrag von jedem Theile in den ersten S. 28. vierzehn Tagen nach dem Dienstantritt ohne Weiteres gelöst werden kann. Eine derartige Vorschrift enthält auch das schweizerische Obligationenrecht (Art. 344). Diese Beendigungsgründe werden beseitigt. Was übrigens das erwähnte Herkommen betrifft, so versteht es sich von selbst, daß die Parteien eine Probezeit ausdrücklich oder stillschweigend vereinbaren können. Artikel 23.

Als eine dem Gesinderecht angehörende Frage erwähnt der Artikel 95 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch insbesondere die Schadens­ ersatzpflicht desjenigen, || welcher Gesinde zum widerrechtlichen Verlassen des e 29. Dienstes verleitet. In den geltenden bayerischen Gesinderechten finden sich ausdrückliche Vorschriften hierüber nur vereinzelt, z. B. im vorderösterreichischen Rechte. Von den Gesindeordnungen anderer deutscher Staaten enthalten die für Preußen, für Baden und für Hessen keine solche Bestimmung. Der preußische Gesetz­ entwurf über den Kontraktbruch der landwirthschaftlichen Arbeiter (Verhandl. des Herrenh. 1879/80 II S. 17 Aktenstück Nr. 15) hat jedoch im § 3 die Schadensersatzpfllcht aufgestellt. In einem großen Theile der übrigen deutschen Geiindeordnungen ist sie ausdrücklich anerkannt. Sachlich unterliegt die Auf­ stellung einer Schadensersatzpflicht keinem Bedenken. Sie ist auch im § 125 der Gewerbeordnung bezüglich der Verleitung gewerblicher Arbeiter zum Ver­ tragsbruch anerkannt. Der Entwurf (Art. 23 Abs. 1) schließt sich an die Vor­ schrift der Gewerbeordnung an. Der Verleitung zum Vertragsbrüche steht es nach den Dienstbotenordnungen und der Gewerbeordnung gleich, wenn jemand einen bereits verdungenen Dienstboten oder Arbeiter wissentlich für die nämliche Zeit für sich dingt. Der Entwurf folgt im Artikel 23 Abs. 2 auch hier der Gewerbeordnung. Dagegen erachtet er die im § 125 Abs. 2 der Gewerbe­ ordnung bestimmte Haftung desjenigen, der einen einem anderen Arbeitgeber noch verpflichteten Arbeiter wissentlich in der Beschäftigung behält, für nicht auf das Gesindeverhältniß übertragbar. Im Zusammenhänge mit der Vorschrift des Artikel 20, nach der im Falle eines Vertragsbruchs als Schadensersatz ein bestimmter Theil des Dienstlohns verlangt werden kann, schreibt der Artikel 23 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 nach dem Vorbilde des § 125 der Gewerbeordnung vor, daß die gleiche Entschädigung als Schadensersatz auch verlangt werden kann, wenn die Schadensersatzpflicht auf Verleitung zum Vertragsbruch oder Dingung in Kenntniß eines Vertrags­ bruchs beruht. Die Verpflichtung, ein Dienstbotenbuch zu führen, ist eine polizeiliche Pflicht; sie bestimmt sich nach den über die Vorlage und Aufbewahrung der Drenstbotenbücher auf Grund des Artikel 107 des Polizeistrafgesetzbuchs er­ lassenen orts- und distriktspolizeilichen Vorschriften. Bürgerlich-rechtliche Folgen sind an die Verletzung dieser Vorschriften im bayerischen Gesinderechte nicht geknüpft. Verschiedene deutsche Gesindeordnungen nehmen zwar einen anderen Standpunkt ein; der Entwurf findet aber keinen zureichenden Grund, von dem bisherigen Rechtszustand abzuweichen. Die Pflicht der Dienstherrschaft, dem Dienstboten beim Dienstaustritt ein Zeugniß auszustellen, ist in fast allen bayerischen Gesinderechten ausdrücklich anerkannt. Das Zeugniß soll sich regelmäßig nicht nur auf die Zeit und die Art des Dienstes, sondern auch auf die Führung im Dienste erstrecken; es soll

64

IV. Abth.

Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 29. wahrheitsgemäß sein. Nach Artikel 108 des Polizeistrafgesctzbuchs ist die Dienst­ herrschaft auf Aufforderung der Polizeibehörde verpflichtet, das Zeugniß im Dienstbotenbuch auszustellen; Verweigerung der von der Polizeibehörde ver­ langten Ausstellung ist mit Strafe bedroht. Fühlt das Gesinde sich durch ungünstige Beurtheilung beschwert, so kann es obrigkeitliche Untersuchung und gegebenen Falles Richtigstellung des Zeugnisses verlangen. Nach einem Er­ kenntnisse des Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte (Ges.- u. Vcrordn.-Bl. 1887 Beilage I) ist zur Entscheidung von Streitigkeiten wegen Aenderung eines in das Dienstbotenbuch eingetragenen Zeugnisses die Verwaltungsbehörde zuständig, weil die Ausstellung eines wahrheitsgetreuen Zeugnisses im Dienstbotenbuch als eine öffentlich-rechtliche Pflicht der Dienstherrschaft anzusehen ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch gibt im § 630 in Uebereinstimmung mit dem § 113 der Gewerbe­ ordnung und dem § 73 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs dem zur Dienstleistung Verpflichteten einen privatrechtlichen Anspruch auf Ausstellung eines Zeugnisses. Das Zeugniß bezieht sich auf die Art des Dienstverhältnisses und dessen Dauer, wenn der Dienstverpflichtete es verlangt, auch auf die Leistungen und die Führung im Dienste. Die Bestimmung des § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet auch auf das Gesindeverhältniß Anwendung. Die Vorschriften des öffentlichen Rechtes über die Verpflichtung zur Ausstellung eines Zeugnisses im Dienstbotenbuche bleiben unberührt.

Hienach werden in Ansehung der Ausstellung eines Dienstzeugnisses in Zukunft zwei Pflichten der Dienstherrschaft, eine privatrechtliche und eine öffentlich-rechtliche, neben einander bestehen. Ueber die privatrechtliche Ver­ pflichtung entscheiden die Gerichte, die Dienstherrschaft zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflicht anzuhalten ist die Polizeibehörde zuständig. Wird diese bei einem Streite über den die Leistungen und die Führung des Dienstboten betreffenden Inhalt des Zeugnisses angerufen, so kann sie die Betheiligten auf den Rechtsweg verweisen, weil der öffentlich-rechtlichen Pflicht Genüge geleistet wird, wenn in das Dienstbotenbuch das Zeugniß eingetragen wird, aus dessen Ausstellung der Dienstbote nach § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anspruch hat. Einer besonderen Vorschrift über die Schadensersatzpflicht der Dienstherr­ schaft wegen Verweigerung oder unrichtiger Ausstellung des Zeugnisses bedarf es nicht. Zwar findet sich eine ausdrückliche Bestimmung in manchen Dienst­ botenordnungen, insbesondere im Artikel 16 der Ehehaltenordnung von 1781. Die Schadensersatzpflicht ergibt sich aber in dem Umfang, in dem sie billiger Weise anzuerkennen ist, theils aus den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Haftung wegen schuldhafter Nichterfüllung einer Verbindlichkeit, theils aus den Bestimmungen über unerlaubte Handlungen, insbesondere aus dem § 824.

Die Frage, ob die Dienstherrschaft wegen Ausstellung eines wahrheits­ widrigen Zeugnisses Dritten haftet, ist im bayerischen Gesinderecht ausdrücklich nur vom Preußischen Landrecht II 5 §§ 174,175 und zwar bejahend beantwortet. Von den Gesinderechten der übrigen deutschen Staaten macht der größere Theil eine Dienstherrschaft, welche einem Dienstboten, dem grobe Laster oder Ver­ untreuungen zur Last fallen, wider besseres Wissen ein gutes Zeugniß ausstellt, jedem Dritten für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich (vgl. z. B. Gesindeordnung für Preußen §§ 174, 175, für Sachsen § 108). Es empfiehlt sich indessen, nach dem Vorbilde der Gewerbeordnung und des Handelsgesetz­ buchs über diese Frage zu schweigen, womit freilich für die meisten Fälle eine Schadensersatzpflicht verneint wird. Erhebliche praktische Bedeutung würde der Schadensersatzpflicht ohnehin nicht zukommen.

IV Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

65 S. 29.

Artikel 24. Der Artikel 24 unterwirft die zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestehenden Gesindeverhältnisse den Vorschriften der Artikel 9 bis 23 mit derselben Maßgabe, mit der nach Artikel 171 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche für die bestehenden Dienstverhältnisse die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Geltung erlangen. Leibgedingsvertrag.

S. 30

Artikel 25 bis 41. Nach Artikel 96 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über einen mit der Ueberlassung eines Grundstücks in Verbindung stehenden Leibgedings-, Leibzuchts-, Altentherls- oder Auszugsvertrag unberührt, soweit sie das sich aus dem Vertrag ergebende Schuldverhältnrß für den Fall regeln, daß nicht besondere Vereinbarungen getroffen worden sind. Im geltenden bayerischen Rechte finden sich über den Leibgedingsvertrag nur spärliche Vorschriften. Er wird meist nur im Zusammenhänge mit dem Handlohn und der Gutsherrlichkeit erwähnt. Das Bayerische Landrecht regelt ihn nicht. Die Bestimmungen in Theil I 6 § 15 betreffen ein anderes Rechtsverhältniß. Das Preußische Landrecht I 11 §§ 602 bis 605 trifft jetzt nicht mehr gültige Vorschriften über die gerichtliche Mitwirkung bei dem Abschlusse des Leibgedingsvertrags und verweist im Uebrigen auf die Provinzialgesetzgebung. Dem pfälzischen Rechte sind Vorschriften über den Leibgedmgsvertrag unbekannt. Nach den Angaben von Weber, Darstellung der Provinzial- und Statutarrechte von Arnold, Beiträge zum teutschen Privatrecht, und von Runde, die Rechts­ lehre von der Leibzucht, enthalten außer den Rechten von Bamberg und Würzburg nur einige kleinere Statutarrechte, Bestimmungen über den Leibgedingsvertrag. Die meisten dieser Rechte regeln nur besondere Fälle, so den Tod eines Muberechtigten oder die Verheirathung des Berechtigten. Auch ist ein Theil der in diesen Gesetzen enthaltenen Vorschriften nicht mehr in Geltung. Dieß trifft namentlich bei dem Erforderniß obrigkeitlicher Bestätigung und den damit zusammenhängenden Beschränkungen des Maßes des Leibgedinges zu. Von den übrigen deutschen Staaten haben über den Leibgedingsvertrag neuere Gesetze (wegen der älteren Rechte vergl. Runde a. a. O.) nur Baden und Sachsen erlassen (badisches Landrecht Satz 1983a bis 1983m, badisches Edikt vom 25. September 1807, sächsisches Gesetzbuch §§ 1157 bis 1172). Die preußischen Provinzialrechte enthalten keine Vorschriften über den Leid­ gedingsvertrag. Da der Leibgedingsvertrag bei der Ueberlassung von Grundstücken häufig vorkommt und nicht selten zu Streitigkeiten Anlaß gibt, ist es nothwendig, von dem Vorbehalte des Artikel 96 Gebrauch zu machen. Das Bedürfniß solcher Vorschriften wurde auf der Dresdner Konferenz für das Obligationenrecht namentlich für Süddeutschland anerkannt. Auch enthalten alle neueren Gesetz­ gebungswerke der deutschen Staaten Bestimmungen über den Leibgedingsvertrag: hessischer Entwurf von 1853 Artikel 575 bis 581, bayerischer Entwurf von 1861 Artikel 794 bis 799, sächsisches Gesetzbuch §§ 1157 bis 1172, Dresdner Entwurf Artikel 935 bis 943 (Dresdner Protokolle S. 3114—3121, 3150 bis 3175, 4537). Die Bedürfnißfcage ist vom Bayerischen Landwirthschaftsrath einstimmig bejaht worden. Becher, Materialien. IV

5

66

S. 30.

IV. Abth. Ausfiihrungsgesetz zum Bürgerlichen Gcsetzbuche- — Begründung.

Für die Ausgestaltung im Einzelnen ist von Bedeutung, daß es sich in Folge der Schranken, welche der Artikel 96 der Landcsgesetzgebung setzt, nur um die Erlassung von ergänzenden und Auslegungs-Vorschristen handelt. Die Auslegung und Ergänzung eines Leibgedingsvertrags hängt aber von den m den einzelnen Landeslheilen verschiedenen Sitten und Gebräuchen der Bevölkerung und von den Verhältnissen des einzelnen Falles ab. Die Landesgesetzgebung muß sich deßhalb damit begnügen, Bestimmungen für diejenigen Fälle zu treffen, welche eine allgemeine Entscheidung zulassen und erfahrungsgemäß am meisten Streitigkeiten verursachen. Emen ähnlichen Standpunkt nimmt der bayerische Entwurf von 1861 ein, dessen Vorschriften dem Entwurf im All­ gemeinen zum Vorbilde gedient haben. Der Entwurf ist vor seiner endgültigen Feststellung dem Bayerischen Landwirthschaftsrathe zur Begutachtung vorgelegt worden. Auch von den Notariatskammern sind Gutachten über den Entwurf erholt worden, weil die Notare nach dem geltenden Rechte die Verträge, in Verbindung mit denen der Leibgedingsvertrag vorkommt, zu beurkunden haben und deßhalb über die Sitten und Anschauungen der Bevölkerung Ausschluß geben können. Die Wünsche des Landwirthschaftsraths und die Anregungen der Notariatskammern sind in weitgehendem Maße berücksichtigt worden. Zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfes wird Folgendes bemerkt: Artikel 25.

Der Artikel 25 bringt zunächst die Natur der in den Artikeln 26 bis 41 enthaltenen Vorschriften als ergänzender Vorschriften zum Ausdruck und stellt klar, daß der Leibgedingsvertrag nur eine Art des Leibrentenvertrags und deßhalb den Vorschriften der §§ 759 bis 761 des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Leibrentenvertrag unterworfen ist. In Folge der Anwendbarkeit dieser Vorschriften bedürfen insbesondere die im bayerischen Entwurf Artikel 799 mit Artikel 782, 783 behandelten Fragen keiner Entscheidung, ob das Leibgeding als auf Lebenszeit des Berechtigten versprochen anzusehen ist, ob die geschuldeten Leistungen im Voraus zu entrichten sind und ob bei Vorausleistung, wenn der Leibgedingnehmer in der Zeit zwischen zwei Fälligkeitsterminen stirbt, eine Rückforderung stattfindet. Artikel 26.

Nach den allgemeinen Grundsätzen würde den Lcibgedingsschulden die Natur von Holschulden zukommen. Hievon macht eine verbreitete Rechtsprechung (Seuffert's Archiv V 47, XIII 156, XIV 152), welcher auch der bayerische Oberste Gerichtshof wiederholt beigetreten ist (Sammi. II S. 491; Bl. f. Rechtsanwendung XXXVII S. 378), für den Fall eine Ausnahme, daß dem Leibgedingsberechtigten eine abgesonderte Wohnung auf dem überlassenen Grund­ stück eingeräumt ist. Der Artikel 26 schließt sich der Rechtsprechung an. Die Bestimmungen der neueren Gesetzgebungswerke (sächs. GB. § 1168, Dresdner Entw. Art. 889) führen zu dem gleichen Ergebnisse.

Artikel 27. Nach § 243 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat, wer eine nur der Gattung nach bestimmte Sache schuldet, eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten. Hat der Leibgedinggeber Erzeugnisse von der Gattung derjenigen

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerliche Gesetzbuche. — Begründung.

67

zu liefern, welche auf dem übergebenen Grundstücke gewonnen werden, so wird S. 30. als Absicht der Parteien anzunehmen sein, daß der Berechtigte sich mit Er­ zeugnissen von der mittleren Beschaffenheit derjenigen begnügen muß, welche auf dem Grundstücke bei ordnungsmäßiger Bewirthschaftung gewonnen werden, auch wenn sie nicht Marktwaare mittlerer Art und Güte sind. Artikel 28.

S. 31

Die Zeit der Leistung der Leibgedingsreichnisse wird in den Verträgen meist genau bestimmt. Für Naturalien, welche nur zu gewissen Jahreszeiten gewonnen werden und nach dem Vertrag in einer als Jahresvorrath bestimmten Menge zu liefern sind, gibt der Artikel 28 im Anschluß an das sächsische Gesetzbuch § 1164 und den Dresdner Entwurf Artikel 885 eine ergänzende Vorschrift. Für die Erzeugnisse, die zwar in einer nach dem Jahresbedarfe bestimmten Menge, aber nicht als Jahresvorrath auf einmal, sondern nach und nach in angemessenen Theilleistungen zu liefern sind, gilt § 760 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs; der Zeilabschnitt, für den im Voraus zu liefern ist, bestimmt sich nach der Beschaffenheit und dem Zwecke der Leistung.

Artikel 29. Der Artikel 29 stellt, indem er den Artikel 882 Satz 1 des Dresdner Entwurfes verallgemeinert, klar, daß der Berechtigte, der sich die Benutzung eines Theiles des Grundstücks oder eines Gebäudes ausbedungen hat, die den Nießbraucher nach § 1047 des Bürgerlichen Gesetzbuchs treffenden Lasten nicht zu tragen, sondern Gewährung des lastenfreien Gebrauchs zu beanspruchen hat.

Artikel 30, 31. Die Artikel 30 und 31 regeln die Wohnungsgewährung. Der Artikel 30 Abs. 1 lehnt sich an den Dresdner Entwurf Artikel 882 Satz 1 an. Der bayerische Entwurf enthält zwar keine ausdrückliche Vorschrift, beruht aber auf dem gleichen Grundsätze. Eine Vorschrift ist nothwendig, um die für das Leibgeding nicht passende Schlußfolgerung aus § 1093 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs abzuschneiden, wonach beim Wohnungsrechte die gewöhn­ lichen Ausbesserungen dem Berechtigten obliegen (§ 1093 Abs. 1 mit § 1041 des B. GB.). Der Artikel 30 Abs. 2 trifft für den Fall Vorsorge, daß das Gebäude durch Zufall ganz oder theilweise zerstört wird. Die in Satz 1, 3 des Abs. 2 ausgesprochene Verpflichtung des Leibgedinggebers auf Obdachverschaffung schlechthin und deßhalb einestheils auf einstweilige Unterbringung und anderntheils auf Neubau steht mit der Rechtsprechung (Seuffert's Archiv II 80, V 213, XXIII 239, Gruchot's Beiträge XII S. 443) sowie mit den neueren Gesctzgebungswerken im Einklänge (sächs. GB. § 1172, Hess. Entw. des Sachenrechts Art. 578, bayer. Entw. Art. 796, Dresdner Entw. Art. 884). Der Entwurf beschränkt aber die Verpflichtung zur Wiederherstellung der Wohnung für den Fall, daß der Zufall, durch welchen das Gebäude zerstört wurde, in den Vermögensverhältnissen des Verpflichteten eine so wesentliche Verschlechterung bewirkt hat, daß das Verlangen der vollen Leistung mit der Billigkeit nicht zu vereinbaren ist, auf das der Billigkeit entsprechende Maß. Die dem Gutsüberlassungsvertrage zu Grunde liegende Absicht, daß das überlassene Gut die wirthschaftliche Selbständigkeit des Uebernehmers sichern soll, macht diese Berück­ sichtigung der in der Vermögenslage des Uebernehmers eingetretenm Aenderung 5*

68

S. 31

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

nothwendig. Für die Zwischenzeit bis zur Wiederherstellung der Wohnung muß der Leibgedingnehmer sich auch nach den neueren Gesetzgebungswerken mit einer billigem Ermessen entsprechenden Unterkunft begnügen. Um den Leibgedingnehmer gegen die Gefahr des Unterganges des Gebäudes möglichst zu sichern, verpflichtet der Artikel 30 Abs. 3 den Leibgedinggeber, das Gebäude auf Verlangen des Leibgedingnehmers gegen Brandschaden zu ver­ sichern. Die Versicherung entspricht einer weit verbreiteten Uebung. Der Umfang des Wohnungsrechts des Leibgedingnehmers bestimmt sich verschieden, je nachdem dieser nur auf die Mitbenutzung der Wohnung des Leibgedinggebers oder auf abgesonderte Wohnung Anspruch hat, mag ihm auch nicht ein ganzes Haus, sondern nur ein abgeschlossener Theil des von dem Leibgedinggeber mitbewohnten Hauses zum ausschließlichen Gebrauch eingeräumt sein. Letzterenfalls kann sein Recht ohne Beschwerung des Leibgedinggebers nach dem Vorbilde der für das Wohnungsrecht geltenden Vorschrift des § 1093 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs weiter bemessen werden. Hiedurch recht­ fertigt sich der Unterschied, welchen die Abs. 1 und 2 des Artikel 31 in den Rechten des Leibgedingnehmers machen. Im Grundgedanken stimmen Recht­ sprechung (vergl. Seuffert's Archiv I 250, XIII 50, XX 236) und Gesetzgebung mit dem Entwurf überem. Doch enthalten für das Leibgeding nur der bayerische Entwurf Artikel 798 und der Dresdner Entwurf Artikel 881, 883 ausdrückliche Vorschriften; die übrigen Gesetzgebungswerke begnügen sich mit Vorschriften über das Wohnungsrecht (sächs. GB. §§ 637 ff., hessischer Entw. des Sachen­ rechts Art. 30).

Die Artikel 32, 33

entsprechen den Artikeln 779 Abs. 2, 799 des bayerischen und dem Artikel 878 des Dresdner Entwurfes. Für die Fassung sind der § 1610 Abs. 2 und der § 1615 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Vorbilde genommen worden. Artikel 34. Dem Wesen des Verhältnisses und der allgemeinen Uebung entspricht es, daß das Leibgeding durch Bestellung von Rechten an dem überlassenen Grund­ stücke sichergestellt wird. Das Leibgeding besteht theils in der Gewährung einer Benutzung von Theilen des Grundstücks, theils in Leistungen, deren wirthschaftliche Quelle das Grundstück ist. Der Leibgedingnehmer gibt das Grund­ stück, das bisher die Grundlage seiner wirthschaftlichen Selbständigkeit gebildet hat, nicht aus der Hand, ohne es für die Zwecke, denen es bei der Entrichtung des Leibgedinges zu dienen hat, rechtlich zu binden und sich dadurch seinen künftigen Unterhalt zu sichern. Dieß geschieht am einfachsten und zweckmäßigsten, soweit es sich um die unmittelbare Benutzung handelt, durch Begründung per­ sönlicher Dienstbarkeiten (Nießbrauch, Wohnungsrecht u. s. w.), bei wieder­ kehrenden Leistungen anderer Art durch Begründung von Reallasten. Der Entwurf gewährt deßhalb dem Leibgedingnehmer das Recht, die Bestellung dieser Rechte mit dem Range zu verlangen, der ihnen nach Maßgabe der zur Zeit der Ueberlassung des Grundstücks bestehenden Belastungen eingeräumt werden kann. Die Eintragung der Dienstbarkeiten und Reallasten ist durch § 50 der Grundbuchordnung wesentlich vereinfacht. Für den Fall der Zwangs­ versteigerung des Grundstücks bietet § 9 des Einführungsgesetzes zu dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung die Möglichkeit, sie

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesctzbuche. — Begründung.

69

aufrecht zu erhalten, auch wenn sie nicht in dem geringsten Gebote zu berücksichtigen S. 31. sind, sofern nicht dadurch ein ihnen vorgehendes oder gleichstehendes Recht beeinträchtigt wird. Artikel 35.

Für den Annahmeverzug des Leibgedingnehmers reichen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus. Dagegen || ist für den Verzug des Leibgeding- S 32. gebers eine Sondervorschrift (Art. 35) erforderlich. Das bei gegenseitigen Verträgen im § 326 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gewährte Rücktrittsrecht paßt nicht; es geht nicht an, dem Leibgedingnehmer den Rücktritt mit den in den §§ 346 bis 348 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten Folgen zu gestatten, wenn der Verpflichtete mit einer der vertragsmäßigen Leistungen in Verzug kommt und die ihm bestimmte Nachfrist verstreichen läßt, ohne die Leistung zu bewirken (vergl. Code civil Art. 1978, bayer. Entw. Art. 788, 799). Der Rücktritt würde der Absicht der Betheiligten widersprechen; denn die Ueberlassung des Grundstücks pflegt zu dem Zwecke zu erfolgen, daß es dem Leibgedinggeber als Grundlage seiner wirthschaftlichen Selbständigkeit dienen soll, und diese darf nicht dadurch von dem Belieben des Leibgedingnehmers abhängig werden, daß der Verpflichtete mit einer der ihm obliegenden Leistungen in Verzug kommt. In den meisten Fällen ist die Ueberlassung des Grundstücks nicht blos die Gegenleistung für das Leibgeding und die übrigen Leistungen, zu denen sich der Uebernehmer verpflichtet, sondern es liegt in ihr zugleich eine Zuwendung zur Begründung der wirthschaftlichen Selbständigkeit des Uebernehmers; auf diese Zuwendung erstreckt sich aber das Rücktrittsrecht nicht. Ebenso wie mit dem Rücktrittsrechte wegen Verzugs verhält es sich mit dem Rücktrittsrechte wegen Nichterfüllung nach rechtskräftiger Verurtheilung (§ 325 Abs. 2 dcs B. GB.) und mit dem bei der Schenkung an die Stelle des Rücktrittsrechts tretenden Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes (§ 527 des B. GB.). Artikel 36 bis 38.

Der Leibgedingsvertrag schafft unter den Betheiligten ein dauerndes persönliches Verhältniß. Erleidet dieses Störungen, so kann der Leibgedings­ vertrag für die Betheiligten unter Umständen zu einer unerträglichen Last werden. Die Rechtsprechung hat deßhalb stets anerkannt, daß, wenn der eine Theil die persönlichen Beziehungen derart stört, daß dem anderen Theile nicht zugemuthet werden kann, das Vertragsverhältniß in der vereinbarten Weise fortzusetzen, der an der Störung unschuldige Theil die Lösung des Vertrags­ verhältnisses oder doch die Umwandlung des Naturalgedinges in eine Geld­ rente verlangen kann. Vergl. die Urtheile des bayerischen Obersten Landesgerichts in Samm­ lung VIII S. 238, X S. 177, ferner die Urtheile des Reichsgerichts in Blum's Annalen II S. 49, in der juristischen Wochenschrift 1885 XIV S. 188 Nr. 30, 1892 XXI S. 379 Nr. 31, in Bolze I S. 42, 102, XV S. 103, XVIII S. 49, und die Urtheile in Seufferr's Archiv XXXVI 275. XXXIX 94, in Gruchot's Beiträgen XXV S. 889, in Striethorst's Archiv VI S. 103, XVI S. 344, LXV S. 144.

Auf denselben Standpunkt hat sich die Gesetzgebung gestellt. Vergl. badisches Landrecht Satz 1983 i bis 1983 m, Züricher Gesetz­ buch §§ 492, 495, bayerischer Entwurf Artikel 792.

70

S. 32.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Der Gedanke, auf welchem der Rechtssatz beruht, trägt noch weiter. Es muß dem Leibgedingnehmer das Recht, eine Geldrente zu verlangen, auch dann gegeben werden, wenn er durch besondere Umstände, die nicht auf ein Verschulden zurückzuführen sind, genöthigt ist, das Grundstück dauernd zu ver­ lassen, z. B. wenn er seines Gesundheitszustandes wegen seinen Aufenthalt anderswo nehmen muß. Er darf in diesem Falle nicht schlechter stehen, als wenn er wegen eigenen Verschuldens das Grundstück zu räumen hat. Hiedurch rechtfertigen sich die Artikel 36 bis 38. Der Entwurf läßt nicht eine vollständige Lösung des durch den Leibgedingsvertrag geschaffenen Verhältnisses oder die Umwandlung aller Naturalleistungen in Geldleistungen zu, sondern gestattet nur, daß der Leibgedingnehmer die Wohnung verläßt oder ihm die Wohnung gekündigt wird und daß an Stelle der Gewährung der Wohnung und derjenigen Leistungen, die für den Berechtigten in Folge der Abwesenheit von dem Grundstück ohne Werth sind, eine Geldrente tritt. Trägt der Leibgedinggeber an den Umständen, welche zum Verlassen des Grundstücks und damit zur Umwandlung der Natural­ leistung in eine Geldleistung führen, keine Schuld, so darf die Umwandlung keine Erhöhung seiner Verpflichtungen bewirken. Die Geldrente darf also nur auf den Betrag bestimmt werden, welcher dem Werthe der Befreiung des Leibgedinggebers von der Verpflichtung zur Gewährung der Wohnung und zu Dienstleistungen, insbesondere zur Wart und Pflege, nach billigem Ermessen entspricht, und dem Werthe, den die sonstigen in Wegfall kommenden Leistungen auf dem Grundstücke haben, gleichkommt. Veranlaßt dagegen der Leibgedinggcber durch sein Verhalten, daß der Leibgedingnehmer nicht mehr auf dem Grundstücke wohnen kann, so muß der Leibgedingnehmer Schadloshaltung in dem im Artikel 38 bestimmten Umfange verlangen können. Häufig werden beide Theile an der Störung ihrer gegenseitigen Beziehungen schuld sein. In solcheM'Falle gibt die Vorschrift des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Maß.

Artikel 39. Die Veräußerung des dem Leibgedinggeber überlassenen Gmndstücks kann die Leistungen, zu denen dieser verpflichtet ist, in einer für den Leibgeding­ nehmer ungünstigen Weise beeinflussen. Dieß gilt insbesondere von der dem Leibgedingnehmer gebührenden Wohnung sowie von den ihm zu beschaffenden Dienstleistungen. Der Leibgedingnehmer kommt durch die Veräußerung in ein dauerndes persönliches Verhältniß zu dem Erwerber, durch den der Leibgeding­ geber die ihm obliegenden Leistungen bewirken läßt. Ein solcher Wechsel der persönlichen Beziehungen, die für das Rechtsverhältniß von wesentlicher Be­ deutung sind, darf dem Leibgedingnehmer nicht aufgedrängt werden. Deßhalb räumt der Entwurf im Anschluß an das Züricher Gesetzbuch § 493 dem Leib­ gedingnehmer im Falle der Veräußerung des Grundstücks die im Artikel 38 bestimmten Rechte ein. Diese Rechte stehen ihm aber nicht zu, wenn die Ver­ äußerung an einen gesetzlichen Erben des Leibgedinggebers mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht erfolgt. Eine derartige Veräußerung, eine sogenannte antizipirte Erbfolge, steht gegenüber dem Leibgedingnehmer der Vererbung gleich. Aus diesem Grunde entfällt in solchem Falle nach den §§ 511, 1098 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch das Vorkaufsrecht. Macht der Leibgedingnehmer, nachdem er von der Veräußerung Kenntniß erlangt hat, nicht innerhalb an­ gemessener Frist von seinem Rechte Gebrauch, so wird angenommen, daß er mit der durch die Veräußerung herbeigeführten Aenderung des persönlichen Verhältnisses einverstanden ist. Ergibt sich in der Folge eine Störung der

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

71

persönlichen Beziehungen zwischen ihm und dem Erwerber, so treten dieselben S. 32. Wirkungen ein, die sich nach den Artikeln 37, 38 an Störungen der persönlichen Beziehungen zwischen ihm und dem Leibgedinggeber knüpfen.

Artikel 40. S. 33. Für den Fall, daß einer von mehreren Leibgedingsberechtigten stirbt, ist die Rechtsprechung schwankend; auch die Gesetzgebungswerke nehmen verschiedene Standpunkte ein. Wenn das Leibgeding nicht für Eheleute vereinbart ist, geht die überwiegende Meinung (vergl. die Ürtheile in Seuffert's Archiv XXV 256, XXXIV 226) dahin, daß der Leibgedinggeber durch den Tod eines Mitberechtigten für dessen Kopftheil insoweit von seiner Verpflichtung frei wird, als es sich um theilbare Leistungen handelt; als theilbar gelten solche Leistungen nicht, die für einen einheitlichen, ungetheilt zu deckenden Bedarf bestimmt sind, wie die Beschaffung der Beleuchtung und Feuerung. Bei einem für Eheleute ver­ einbarten Leibgeding aber wird regelmäßig (vergl. die Urtheile in Seuffert's Archiv I 328, II 79, in den Bl. f. Rechtsanwendung XXII S. 225, Ergänzungs­ Band II S. 110, anderer Ansicht Bl. f. Rechtsanwendung I S. 292, XXXIX S. 29, XLI S. 327, Seuffert's Archiv XXXIX 200) dem überlebenden Ehe­ gatten der volle Fortbezug bewilligt. Der Entwurf schließt sich in Ueber­ einstimmung mit dem bayerischen Entwurf Artikel 797 und dem hessischen Entwurf Artikel 581 (Sachenrecht) der herrschenden Meinung an. Artikel 41. Es kommt nicht selten vor, daß der Uebergeber sich ein Grundstück zur Benutzung vorbehält und der Uebernehmer sich verpflichtet, das Grundstück zu bestellen. Beließe man es hier bei den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetz­ buchs, so würde der Uebemehmer nach § 1055 mit § 592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet sein, bei Beendigung des Leibgedingsverhältnisses dem Uebergeber oder dessen Erben alle auf die Gewinnung der Früchte verwendeten Kosten zu ersetzen. Dieß führt insoweit zu einem unbilligen Ergebniß, als in diesen Kosten die von dem Verpflichteten selbst geleisteten Bestellungsarbeiten enthalten sind. Der Artikel 41 nimmt deßhalb diese Kosten von dem Ersatz aus. Die neueren Gesetzgebungswerke regeln zum Theile noch einige andere Fragen. Insbesondere ist im Dresdner Entwurf Artikel 891 und im Züricher Gesetzbuche § 494 die Abtretung der Leibgedingsberechtigung ausgeschlossen. Der bayerische Entwurf enthält sich einer derartigen Vorschrift. Wie die Recht­ sprechung lehrt, läßt sich die unbeschränkte Unzulässigkeit der Abtretung nichr aufstellen. Es muß auf den Inhalt der einzelnen Leistungen gesehen und die Abtretung da ausgeschlossen werden, wo die Leistung sich nach dem persönlichen Bedürfnisse des Leibgedingnehmers bemißt oder sonst ein persönliches Verhältniß der Betheiligten zu einander den Ausschluß der Abtretung mit sich bringt (Seuffert's Archiv XXIII199, XXXII 23, wohl auch bayer. Oberstes Landes­ gericht Samml. IX S. 235). Zu diesem Ergebnisse führt aber schon die Vor­ schrift des § 399 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Schuldverschreibungen der Staates und der übrigen juristischen Personen der öffentlichen Rechter. Artikel 42 bis 50. Der Entwurf gibt in den Artikeln 42 bis 50 einige Vorschriften über die Schuldverschreibungen des Staates und der übrigen juristischen Personen

72

S 33

IV. Abtb. Aussühnlngsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

des öffentlichen Rechtes. Die Artikel 42 bis 49 beziehen sich auf die Schuld­ verschreibungen des Staates und regeln das sich aus der Umschreibung einer Jnhaberschuldverschreibung auf den Namen des Gläubigers ergebende Rechts­ verhältniß (Art. 42 bis 48) sowie die dem Staatsfinanzrecht angehörende Frage, welchem Staatsfonds das Erlöschen und die Verjährung der Ansprüche aus Staatsschuldverschreibungen zu statten kommt (Art. 49). Im Artikel 50 werden die Vorschriften der Artikel 42 bis 48 über die Umschreibung auf die Schuld­ verschreibungen erstreckt, die von einer dem bayerischen Staate angehörenden Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechtes ausgestellt sind. Artikel 42 bis 48.

S. 34

Das geltende bayerische Recht (Verordnung vom 17. August 1813, R. Bl. S- 1082, Bekanntmachung der Staatsschuldentilgungskommission vom 1. September 1860, R. Bl. S. 769) ermöglicht die Festmachung der auf den Inhaber lautenden Staatsschuldenverschreibungen durch Umschreibung auf den Namen des Gläubigers. Das Bürgerliche Gesetzbuch gestattet im § 806 gleichfalls die Umschreibung einer auf den Inhaber ausgestellten Schuld­ verschreibung auf den Namen eines bestimmten Berechtigten. Die Umschreibung kann nur durch den Aussteller erfolgen; dieser ist zur Umschreibung nicht verpflichtet. Bei den Schuldverschreibungen auf den Inhaber, die von dem Staate oder von einer dem Staate angehörenden Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechtes ausgestellt sind, kann nach Artikel 101 des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche die Landesgesetzgebung dem Aussteller die Verpflichtung zur Umschreibung auferlegen und die sich aus der Umschreibung ergebenden Rechtsverhältnisse, mit Einschluß der Kraftloserklärung, regeln. Im Anschluß an den Artikel 101 ermächtigt der § 11 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung die Landesgesetzgebung in Ansehung der umgeschriebenen Schuldverschreibungen dieser Art auch zu Aenderungen der Vorschriften der Civilprozeßordnung über das Aufgebotsverfahren. Da die in Bayern bestehenden Vorschriften zum Theile lückenhaft, zum Theile in Rcchtsquellen enthalten sind, die mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Wegfall kommen, muß von diesen Vorbehalten Gebrauch gemacht werden. Eine privatrechtliche Verpflichtung des Staatcs zur Umschreibung der von ihm ausgestellten Jnhaberschuldverschreibungen ist in den bestehenden Vorschriften nicht ausgesprochen. Die Umschreibung ist vielmehr nur eine im Interesse der Gläubiger getroffene Verwaltungseinrichtung, die vom Staate jederzeit ohne Eingriff in die Rechte der Gläubiger, die von ihr noch nicht Gebrauch gemacht haben, aufgehoben werden kann. Dabei wird es auch für die Zukunft zu verbleiben haben. Die Umschreibung hat den Zweck, den Gläubiger vor den Gefahren zu schützen, die den Eigenthümer eines Jnhaberpapiers bedrohen, wenn das Papier in die Hände eines Unberechtigten kommt. Der Inhaber kann die Zahlung nicht fordern, die Staatskasse ist nicht berechtigt, sie an ihn zu leisten, die be­ sonderen Vorschriften über den Erwerb des Eigenthums an gestohlenen oder sonst abhanden gekommenen Jnhaberpapieren (§ 935 Abs. 2 des B. GB ) finden keine Anwendung. Andererseits wird die Schuldverschreibung durch die Um­ schreibung nicht zu einem einfachen Schuldscheine, sondern sie bleibt Werth­ papier, der Staat ist nur gegen Aushändigung der Schuldverschreibung zur Zahlung ver || pflichtet, der Besitz des Papiers ist zur Legitimation des Gläubigers nothwendig.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

73

Nach der Bekanntmachung vom 1. September 1860 muß der Gläubiger S 34. bei der Empfangnahme der Zahlung mit der Schuldverschreibung eine öffentlich beglaubigte Quittung übergeben und können Anträge, die eine Verfügung über die Schuldverschreibung enthalten, insbesondere der Antrag auf Rückverwandlung der Schuldverschreibung in ein Jnhaberpapier, nur mittelst schriftlicher, öffentlich beglaubigter Erklärung gestellt werden. Handelt der Inhaber der Schuld­ verschreibung als Erbe oder Vermächtnißnehmer des Gläubigers, als dessen Vormund oder in ähnlicher Stellung, so muß er die Rechtsnachfolge oder die Stellung, auf der seine Befugniß beruht, durch eine öffentliche Urkunde nach­ weisen; tritt er als Bevollmächtigter auf, so muß er eine öffentliche oder eine öffentlich beglaubigte Vollmachtsurkunde vorlegen. Diese Vorschriften beruhen auf einem Bedürfnisse, das sich aus der Aufgabe einer großen Schuldenverwaltung ergibt. Die Aufgabe erfordert einen Geschäftsgang, bei dem die Prüfung der verwaltenden Behörde sich auf That­ sachen beschränkt, die mittelst urkundlicher Bestätigungen sofort festgestellt werden können. Auf einen anderweitigen Nachweis des Rechtes des Gläubigers kann sich die Behörde nicht einlassen, sie muß sich deßhalb bei dem Verzicht auf die Vortheile, welche die Eigenschaft der Schuldverschreibung als eines Inhaberpapiers ihr bietet, das Recht vorbehalten, den Berechtigten so lange zurück­ zuweisen, als er nicht die Schuldverschreibung vorlegt und die vorschriftsmäßige Legitimation beibringt. Eine Verpflichtung zu einer weiter gehenden Prüfurg kann sic nicht übernehmen, sie ist nicht in der Lage, die Rechtswirksamkeil der vorschriftsmäß'g beurkundeten Erklärungen oder die Richtigkeit der eine Erbfolge bezeugenden öffentlichen Urkunde zu untersuchen, sondern muß sich darauf verlassen können, daß die Rechtsgeschäfte, die sie mit dem legitimirten Inhaber der Schuldverschreibung vornimmt, nicht wegen eines Mangels im Rechte oder eines Mangels in der Geschäftsfähigkeit des Inhabers unwirksam sind. Die . Beschränkung der Prüsungspflicht liegt auch im Interesse der Gläubiger, weil nur sie eine glatte und rasche Erledigung der Anträge der Gläubiger ermöglicht. Die Gläubiger trogen allerdings die Gefahr, daß vielleicht einmal der vorschrifts­ mäßige Nachweis von einem Besitzer der Schuldverschreibung beigebracht wirb, der in Wirklichkeit kein Verfügungsrecht hat. Aber die gleiche Gefahr trägt jeder Hypothekengläubiger, nicht nur bei der Briefhypothek (§ 1155 des B. GB ), sondern auch bei der Hypothek ohne Brief, weil das Grundbuchamt sich bei der Eintragung einer Abtretung der Forderung und bei der Löschung der Hypothek mit einer öffentlich beglaubigten Erklärung des Gläubigers begnügt (§ 29 der G. BO.). In dem Reichsgesetze, betreffend das Reichsschuldbuch, vom 31. Mai 1891 und in den Gesetzen Preußens vom 20. Juli 1883 und Sachsens vom 25. April 1884 über das Staatsschuldbuch ist deßhalb aus­ drücklich bestimmt, daß eine Prüfung der Gültigkeit der den Anträgen zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfte nicht stattfindet und daß die Zahlung der Zinsen rechtswirksam an denjenigen geschieht, der in einem bestimmten Zeitpunkte vor der Fälligkeit als der Berechtigte im Schuldbuch eingetragen war. Auf diesen Erwägungen beruhen die Vorschriften der Artikel 42 bis 45. Die Artikel 43, 44 schließen sich unter Berücksichtigung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gebotenen Aenderungen den ent­ sprechenden Vorschriften des Reichsgesetzes vom 31. Mai 1891 über das Reichs­ schuldbuch § 7 Abs. 1, 4, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 2, 3, § 11, § 13 Abs. 1, 3 an und stimmen im Wesentlichen auch mit der Ziffer 7 der Bekanntmachung vom 1. September 1860 überein. Der Abs. 1 des Artikel 43 stellt die Regel auf, daß dre Schuldverschreibung auf den Namen des Gläubigers umgeschrieben

74

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

S- 34. sein muß, von dem oder für den der eine Verfügung über die Schuldverschreibung enthaltende Antrag gestellt wird. Wie die Regel dem § 40 Abs. 1 der Grund­ buchordnung, so entsprechen die zugelassenen Ausnahmen dem § 41 daselbst. Die Vorschrift des Artikel 43 Abs. 2 erleichtert dem Zwecke der Zwangs­ vollstreckung gemäß die Veräußerung einer im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändeten Schuldverschreibung, indem sie den betreibenden Gläubiger er­ mächtigt, die Rückverwandlung der Schuldverschreibung in ein Jnhaberpapier zu beantragen. Daß Ehefrauen zu Anträgen ohne die nach dem ehelichen Güterrecht erforderliche Zustimmung des Mannes zugelassen werden (Art. 43 Abs. 3), rechtfertigt sich durch das Bedürfniß, die Staatsschuldenverwaltung der Pflicht zu entheben, sich in jedem Falle zu vergewissern, ob die Gläubigerin verheirathet und welcher Güterstand für die Ehe maßgebend ist. Durch Artikel 50 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (vergl. Art. 97 daselbst) ist für das Reichsschuldbuch bestimmt, daß die Ehefrau der Zustimmung des Mannes dann bedarf, wenn ein Vermerk zu dessen Gunsten eingetragen ist. Zugleich ist die Verpflichtung der Ehefrau ausgesprochen, ihre Zustimmung zur Eintragung des Vermerkes zu ertheilen. Eine solche Vorschrift ist bei den auf den Namen der Ehefrau umgeschriebenen Papieren entbehrlich, weil der Mann, falls ihm nach dem für die Ehe maßgebenden Güterstande Rechte an den Werthpapieren der Frau zustehen oder die Papiere zum Gesammtgute gehören, befugt ist, die Papiere in Besitz zu nehmen (vergl. B. GB. § 1373, § 1443 Abs. 1 Satz 2, § 1519 Abs. 2, § 1525 Abs. 2, § 1549, § 1550 Abs. 2), und dadurch sich selbst schützen kann. Die Vorschrift des Artikel 44 Abs. 3 Satz 1 über den Nachweis einer Vollmacht oder einer sonstigen Vertretungs- oder Verwaltungsbefugniß verweist auf die §§ 29, 33 und den § 36 Abs. 2 der Grundbuchordnung, den § 89 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, den § 26 Abs. 2 und den § 87 Abs. 1 des Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, vom 1. Mai 1889 und ähnliche Bestimmungen. Das nach Artikel 44 Abs. 3 Satz 2 bei dem Erwerbe von Todeswegen erforderliche Zeugniß des Nachlaß­ gerichts kann ein Erbschein (§ 2353 des B. GB.) oder etn nach § 1507 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ertheiltes Zeugniß über die Fortsetzung der Güter­ gemeinschaft sein, es genügt aber auch etn besonderes, auf den Erwerb der Schuldverschreibung beschränktes Zeugniß. Zur Uebertragung der umgeschriebenen Schuldverschreibung genügt der formlose Abtretungsvertrag in Verbindung mit der Uebergabe der Schuld­ urkunde. Soll die Uebertragung aber auch der Staatsschuldenverwaltung gegenüber wirksam werden, so muß nach dem Artikel 46, der mit dem § 7 Abs. 3 des Gesetzes über das Reichsschuldbuch und der für Aktien auf Namen geltenden Vorschrift des § 223 Abs. 3 des Handelsgesetzbuchs überemstimmt, die Schuldverschreibung auf den Erwerber umgeschrieben werden. Von den für Schuldverschreibungen auf den Inhaber geltenden Vor­ schriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 793 bis 808) werden die der §§ 798 bis 803, 805 durch die Umschreibung nicht berührt, wie denn auch die §§ 798 S. 35. bis 800, || 805 nach den §§ 228 bis 230 des Handelsgesetzbuchs auf öte auf Namen lautenden Aktien entsprechende Anwendung finden. Der Entwurf er­ klärt deßhalb im Artikel 47 Abs. 1 die bezeichneten Vorschriften auf die umge­ schriebenen Schuldverschreibungen für anwendbar. Durch die Anwendbarkeit des § 798 wird die Verpflichtung des Staates, beschädigte Schuldverschreibungen umzutauschen, ausgesprochen. Die §§ 799, 800 beziehen sich auf die Kraftlos­ erklärung, deren Zulässigkeit auch von dem geltenden bayerischen Rechte (Ver-

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzduche. — Begründung.

75

ordnung vom 10. Oktober 1810 R. Bl. S. 953, Verordnung vom 17. August S. 35. 1813, R. Bl. S. 1082) anerkannt ist. Die Krastloserklärung ersetzt nach § 850 der Civilprozeßordnung die Rückgabe der Schuldverschreibung, von der der Artikel 42 die Leistungspflicht des Staates abhängig macht. Die Verjährung der Ansprüche aus Staatsschuldverschreibungen ist gegenwärtig durch das Gesetz vom 29. September 1861, die Verjährung der Forderungen aus Staatsschuld­ urkunden der Staatsschuldentilgungsanstalt betreffend, geregelt. Für die nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgegebenen Schuldverschreibungen auf den Inhaber sind die Vorschriften der §§ 801, 802 des Bürgerlichen Gesetzbuchs maßgebend, die nach den in Aussicht genommenen Aenderungen der seit 1818 erlassenen Gesetze und nach den in Aussicht genommenen Uebergangsbestimmungen auch für die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetz­ buchs ausgegebenen Jnhaberschuldverschreibungen gelten sollen. Bei dieser Sachlage empfiehlt es sich, sie auch auf die Ansprüche aus umgeschriebenen Schuldverschreibungen des Staates für anwendbar zu erklären. Die Zinsscheine der umgeschriebenen Schuldverschreibungen behalten nach der Ziffer 2 der Be­ kanntmachung vom 1. September 1860 die Eigenschaft von Jnhaberpapieren, die Umschreibung der Hauptschuldurkunde hat auf die Zinsscheine keinen Einfluß. Die Vorschriften des § 803 des Bürgerlichen Gesetzbuchs stehen mit dem für Zinsscheine auf den Inhaber geltenden bayerischen Rechte im Einklänge. Die tm Artikel 4 des Gesetzes vom 29. September 1861 vorausgesetzte Verwaltungs­ einrichtung, vermöge deren die Staatsschuldenverwaltung bei der Einlösung der Haupturkunde von dem Rechte, den Betrag der fehlenden Zinsscheine abzuziehen, keinen Gebrauch macht, wenn für den Betrag der fehlenden Zins­ scheine Sicherheit geleistet wird (§ 281 der Dienstesinstruktion für die Staats­ schuldentilgungskaffen von 1845), wird durch den § 803 Abs. 2 des Bürger­ lichen Gesetzbuchs nicht ausgeschlossen. Auch die rechtliche Bedeutung des zu der Schuldverschreibung gehörenden Erneuerungsscheins wird durch die Um­ schreibung der Haupturkunde nicht geändert, der § 805 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bleibt deßhalb auch nach der Umschreibung anwendbar. Der Abs. 2 des Artikel 47 übernimmt die Vorschrift des Artikel 69 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. Februar 1879 zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung, welche bei den Urkunden, bei denen die Zulässigkeit der Kraftloserklärung auf älteren landesgesetzlichen Vorschriften beruht, die An­ wendung der Vorschriften der §§ 843 bis 846 der Civilprozeßordnung auf das Aufgebotsverfahren ausschließt. Der im Artikel 69 des Ausführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung und Konkursordnung für das Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung von Staatsschuldverschreibungen bestimmte aus­ schließliche Gerichtsstand gilt auch für das Aufgebot der umgeschriebenen Schuldverschreibungen. Die Vorschriften über das sich aus der Umschreibung ergebende Rechts­ verhältniß müssen, wenn nicht in dem Geschäftsbetriebe der Staatsschulden­ verwaltung Schwierigkeiten entstehen sollen, auch auf die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfolgten Umschreibungen Anwendung finden (Art. 48 Abs. 1). Die rückwirkende Kraft ist deswegen unbedenklich, weil der Entwurf im Wesentlichen nur das geltende bayerische Recht zusammenfaßt. Nur für die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgestellten Erneuer­ ungsscheine muß mit Rücksicht darauf, daß Art. 3 des Gesetzes vom 29. Sep­ tember 1861 abweichend von dem § 805 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dem Artikel 13 des Gesetzes vom 18. März 1896, einige Bestimmungen über die Jnhaberpapiere betreffend, die Erneuerungsscheine als selbständige Inhaber-

76

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 35. Papiere behandelt hat, das bisherige Recht aufrechterhalten werden (Art. 48 Abs. 2), wie dies auch im Artikel 15 Abs. 2 des Gesetzes vom 18. März 1896 und im Artikel 174 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetz­ buche geschehen ist.

Artikel 49. Nach den Artikeln 1, 2 des Gesetzes vom 29. September 1861 verjähren die Kapital- und Zinsforderungen aus Schuldurkunden der Staatsschulden­ tilgungsanstalt „zu Gunsten des einschlägigen Staatsschuldentilgungsfonds". Im Artikel 22 des Gesetzes vom 21. April 1884, die Landeskultur-Renten­ anstalt betreffend, ist diese Bestimmung mit der Maßgabe für anwendbar erklärt, daß die Verjährung zum Vortheile der Anstalt eintritt. Da die übrigen noch geltenden Vorschriften des Gesetzes vom 29. September 1861 außer Kraft lreten, so nimmt der Artikel 49 des Entwurfes diese finanzrechtliche Vorschrift auf, um die völlige Aufhebung des Gesetzes vom 29. September 1861 zu ermöglichen. Artikel 50.

Die Festmachung durch Umschreibung auf den Namen des Berechtigten ist auch bei den Schuldverschreibungen der dem bayerischen Staate angehörenden Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechtes üblich. Der Artikel 101 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ermöglicht es, auch für die von diesen juristischen Personen ausgegebenen Schuldverschreib­ urgen das sich aus der Umschreibung ergebende Rechtsverhältniß zu regeln. Der Artikel 50 des Entwurfes erstreckt deßhalb die Vorschriften der Artikel 42 bis 48 auf sie. In den Artikel 69 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung wird eine Vorschrift ausgenommen werden, die auch für oas Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung dieser Schuldverschreibungen einen ausschließlichen Gerichtsstand bestimmt.

Haftpflicht bei Benutzung öffentlicher Grundstücke oder Gewässer zu Anlagen oder Betrieben. Artikel 51, 52.

In den Artikeln 105, 106 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche sind die landesgesetzlichen Vorschriften Vorbehalten, nach welchen der Unternehmer eines Eisenbahnbetriebs oder eines anderen mit gemeiner Gefahr verbundenen Betriebs für den aus dem Betrieb entstehenden Schaden in weiterem Umfang als nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs verantwortlich ist und eine solche Haftpflicht, wenn ein dem öffentlichen Gebrauche dienendes Grundstück zu einer Anlage oder zu einem Betriebe benutzt werden darf, den Unternehmer der Anlage oder des Betriebs in Ansehung des Schadens trifft, der bei dem öffentlichen Gebrauche des Grundstücks durch die Anlage oder den Betrieb verursacht wird. Der Entwurf erweitert im Artikel 51 die Haftpflicht des Unternehmers eines Eisenbahnbetriebs dahin, daß der Unternehmer im Falle der Benutzung S. 36. öffentlicher Straßen oder Plätze || in gleicher Weise, wie er nach § 1 des Haft­ pflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 für den durch Tödtung oder körperliche Ver­ letzung eines Menschen entstehenden Schaden verantwortlich ist, auch den Schaden tragen muß, der bei dem Betrieb in Folge des öffentlichen Gebrauchs

IV. Abth.

Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

77

der Straßen oder Plätze an fremden Sachen entsteht. Der Betrieb bringt für diejenigen, welche die Straßen oder Plätze ihrer Bestimmung für den öffent­ lichen Verkehr gemäß benutzen, eine gemeine Gefahr mit sich, die nach der Er­ fahrung im Laufe der Zeit immer wieder Unfälle herbeiführt. Es ist deßhalb gerechtfertigt, den aus dieser Gefahr entstehenden Schaden nicht als einen Zufall zu behandeln, sondern ihn dem Unternehmer zur Last zu legen, dessen Betrieb die Gefahr hervorruft. Weiter zu gehen und mit dem preußischen Eisenbahngesetze vom 3. November 1838 § 25 der Haftpflicht des Eisenbahnunternehmers in Ansehung der Be­ schädigung fremder Sachen den gleichen Umfang zu geben, den die Haftpflicht wegen Tödtung oder körperlicher Verletzung eines Menschen hat, erachtet der Entwurf nicht für geboten. Ebensowenig stellt er eine über die allgemeinen Vorschriften hinausgreifende Haftung des Unternehmers für den Schaden auf, der bei dem öffentlichen Gebrauche der Straßen und Plätze durch das Bestehen der Eisenbahnanlage verursacht wird. In der bayerischen Rechtsprechung ist zwar das Bestreben hervorgetreten, auch für einen solchen Schaden den Unter­ nehmer verantwortlich zu machen, Samml. der Entsch. XI150 und dazu Jacubezly, Bemerkungen S. 176, 177), der Gedanke ist aber nicht zur vollen Entwickelung, geschweige denn zu allgemeiner Anerkennung gelangt. In den Gesetzen der anderen deutschen Staaten finden sich solche Vorschriften nicht. Der Entwurf eröffnet aber im Art. 52 die Möglichkeit, bei den unter den Artikel 106 des Einführungsgesetzes fallenden Anlagen und Betrieben mit der Genehmigung der Benutzung von Straßen und Plätzen die Haftpflicht des Unternehmers für die aus seinem Unternehmen für den öffentlichen Gebrauch der Straßen und Plätze entstehenden Gefahren oder für gewisse Arten dieser Gefahren zu verbinden. Die öffentlichen Straßen und Plätze werden, abgesehen von Eisenbahnanlagen, zu verschiedenen ober- und unterirdischen Leitungen (Wasser-, Gas-, elektrische Leitungen, Abzugskanäle, Rohrpostanlagen) benutzt; diese Benutzung kann in Zukunft noch größere Ausdehnung (z. B. für Druck­ luft- und Warmluftleitungen, für Schwebebahnen) gewinnen und es läßt sich nicht voraussehen, ob nicht Anlagen und Betriebe gestattet werden müssen, aus denen sich erhebliche Gefahren für den öffentlichen Verkehr auf den Straßen und Plätzen ergeben können. Das Gesetz muß deßhalb dafür sorgen, daß dem Unternehmer, soweit ein Bedürfniß besteht, eine Haftpflicht auferlegt werden kann. Die gleiche Befugniß wird der zuständigen Behörde in Ansehung der öffentlichen Flüsse, Kanäle und Seen einzuräumen sein, bei denen die Landes­ gesetzgebung schon nach Artikel 65 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche freie Hand hat. Bezüglich der Begrenzung der Haftpflicht, sowie des Inhalts und der Verjährung des Anspruchs auf Schadensersatz schließt sich der Artikel 52 an die Vorschriften des Haftpflichtgesetzes in der Fassung des Art. 42 des Ein­ führungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch an. Die in dem Gesetze vom 28. Mai 1852 über die Benützung des Wassers den Verwaltungsbehörden eingeräumten Befugnisse werden durch den Artikel 52 nicht berührt. Wegen des Schadens, der aus den für Triebwerke und Bewässerungs- oder Entwässerungsanstalten hergestellten Uferschutzvorrichtungen entsteht, verbleibt es bei der Vorschrift des Artikel 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über den Uferschutz und den Schutz gegen Ueberschwemmungen. An der nach Artikel 69 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über die Benützung des Wassers mit der Ausübung der Flößerei in Triftgewässern verbundenen Haftpflicht wird gleichfalls nichts geänvert.

S. 36.

78 S. 36.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Haftung des Staates und der KommunalverbLnde für Beamte.

Artikel 53. Während die Verantwortlichkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechtes für den Schaden, den ein Beamter der juristischen Person durch eine in Ausübung der ihm zustehenden privatrechtlichen Vertretungsmacht begangene, zum Schadensersätze verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt, durch die §§ 31, 89 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt ist, bleiben in Ansehung der Haftung der juristischen Personen des-öffentlichen Rechtes für den von ihren Beamten in Ausübung der diesen anvertrauten öffentlichen Gewalt zugefügten Schaden die Landesgesetze maßgebend (Art 77 des E G. zum B. G.B.). Von den im rechtsrheinischen Bayern geltenden Rechten enthalten weder das gemeine Recht noch die Partikularrechte eine gesetzliche Bestimmung, welche die Haftung des Staates für die Amtshandlungen der Beamten allgemein regelt. In den Anmerkungen zum Bayerischen Landrechte V 24 § 14 wird davon ansgegangen, daß der Staat nur hastet, wenn er sich bei der Bestellung oder der Beaufsichtigung des Beamten ein Versehen hat zu Schulden kommen lassen. In der Folgezeit hat indessen die Ansicht, welche die Haftung des Staates auch ohne ein Verschulden der Anstellungs- oder Aufsichtsbehörde anerkennt, nach und nach an Boden gewonnen. Ausdrücklich ist sie zuerst für das Hinterlegungswesen in den Verordnungen vom 24. Oktober 1796, vom 6. August 1798 und vom 9. Juli 1802 anerkannt worden. Verschiedene Vor­ gänge zeigen, daß die Haftung des Staates auch im klebrigen nicht grundsätzlich verneint worden ist. Die Verordnung vom 16. August 1779 legt den Ständen nahe, tüchtige Beamte anzustellen, da sie für Verfehlungen der Beamten zu haften haben. Die Verfassungsurkunde erklärt in der Beilage IV § 63 die Standesherren und in der Beilage VI § 59 die Gutsherren für den aus den Amtshandlungen ihrer Beamten entstehenden Schaden in dem nämlichen Maße für haftbar, wie der Fiskus sür die Handlungen der unmittelbaren Staats­ diener haftet. Ausdrücklich bestimmt ist die Haftung des Staates im Artikel 149 des Notariatsgesetzes vom 10. November 1861 für den Fall, daß ein Notar aus Auftrag des Gerichts sein Amt auszuüben hat; die Haftung des Staates ist die gleiche, wie wenn die Beschädigung durch das Gericht selbst verursacht worden wäre. Damit ist zugleich anerkannt, daß der Staat sür die Handlungm der Richter haftet (verql. auch die Begründung zum Art. 119 des Eniw. des Nntariatsges. in den Verh. der Kamm, der Abg. 1851 Beil.-Bd. I S. 42, 1859 Beil.-Bd. V S. 230). Die Rechtsprechung hat bis zum Jahre 1848 geschwankt (vetgl. die in den Bl. f. Rechtsanwendung IS. 216, 217, VII S. 141, IX S. 315 mitgetheilten Seitdem ist die Haftung des Staates von oberstrichterlichen Erkenntnisse). dem jeweiligen obersten Gerichte des Königreichs in ständiger Rechtsprechung anerkannt worden (vergl. die in den Bl. f. Recbtsanwendung XV S. 190, XVI S. 346, XXI S. 121, 152, XXIII S. 174, XXXV S. 239, LII S. 196 und in der Samml. der Entsch. IV S. 529, XIII S. 149 mitgetheilten oberstrichterS. 37. lichen Erkenntnisse). In der Literatur des || bayerischen Rechtes wird sie nur von Seydel, Staatsrecht 2. Auflage I S. 609, II S. 371, III S. 9, verneint. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß im rechtsrheinischen Bayern die Haftung des Staates zwar gesetzlich nur für bestimmte Fälle ausgesprochen worden ist, daß sich aber ein Gewohnheitsrecht gebildet hat, nach welchem der Staat für den Schaden haftet, der von seinen Beamten in Ausübung der diesen anvertrauten öffentlichen Gewalt schuldhafter Weise verursacht wird, und

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

79

daß die Gesetzgebung das Bestehen dieser Haftung als unzweifelhaft an- S 37. gesehen hat. Ueber die Frage, ob die Haftung des Staates eine primäre oder eine subsidiäre ist, besteht weder in der Rechtsprechung noch unter den Bearbeitern des bayerischen Rechtes Einigkeit. Für die Subsidiarität sprechen sich die in den Blättern für Rechtsanwendung XXIII S. 174 und von Arends, Sammlung interess. Erkenntnisse IIIS. 34, 39, mitgetheilten oberstrichterlichen Entscheidungen sowie namentlich Gönner, Kommentar zum Hypothekengesetze II S. 37 ff., und Regelsberg er, Hypothekenrccht 3. Auflage S. 104 Anm. 11, aus. Eine bei Weber Gesetz- und V.-O.-Samml. I S. 626 Anm. 37, veröffentlichte Ministerial­ entschließung vom 5. Dezember 1834 hebt hervor, daß die Haftung der Gerichts­ herren seit der Einführung der Verfassung stets nur als eine subsidiäre be­ handelt wurde. Den gegentheiligen Standpunkt nehmen die in den Blättern für Rechtsanwendung XV S. 190, XVII S. 346, XXI S. 121, 152, XXXV S. 239 und in der Sammlung XIII S. 149 mitgetheilten Erkenntnisse ein. In der Pfalz wird die Haftung des Staates auf den Artikel 1384 des Code civil gestützt und demgemäß insoweit angenommen, als der Beamte den Weisungen der vorgesetzten Behörde unterworfen ist (Entsch. d. Reichsgerichts in Civils. X S. 286). Die sich aus dem Artikel 1384 des Code civil ergebende Haftung ist eine primäre; die Rechtsprechung legt deßhalb auch der Haftung des Staates diese Eigenschaft bei (Puchelt, Zeitschr. XXV S. 678). Bei diesem Rechtszustand ist es geboten, aus Anlaß der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Haftung des Staates für die Amtshandlungen der Beamten einheitlich zu ordnen. Der Entwurf geht davon aus, daß es der Entwickelung des bayerischen Rechtes entspricht, die Haftung des Staates für den von den Beamten in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt zugefügten Schaden grundsätzlich anzuerkennen. Auch der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für Bayern Theil II (1861) Artikel 67 hat die Haftung des Staates aus­ gesprochen. Die Haftung des Staates wird vom Entwurf insoweit aufgestellt, als der Beamte selbst hastet. Der Staat haftet daher insbesondere dann nicht, wenn die Ersatzpflicht des Beamten nach § 839 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs ausgeschlossen ist, weil der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Die Haftung des Staates wird vom Entwurf als eine subsidiäre gestaltet. Dafür sind nicht nur das Interesse der Staatskasse, sondern vor Allem dienst­ liche Rücksichten entscheidend, die eine Abschwächung des Verantwortlichkeitsgefühls des Beamten Widerrathen. Vermöge der subsidiären Haftung kann der Staat nur in Anspruch genommen werden, wenn der Ersatz des Schadens nicht von dem Beamten zu erlangen ist. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn die Rechts­ verfolgung oder eine weitere Rechtsverfolgung gegen den Beamten aussichtslos oder mit Schwierigkeiten und Weiterungen verbunden ist, auf die sich einzulassen dem Beschädigten nicht zugemuthet werden kann. Ob dieß zutrifft, ist in vielen Fällen zweifelhaft. Es dient deßhalb zur Verhütung von Streitigkeiten, wenn die Subsidiarität der Haftung näher bestimmt wird. Dieß kann am einfachsten durch Anlehnung an die für die Bürgschaft int Bürgerlichen Gesetzbuchs ge­ troffenen Vorschriften geschehen. Die preußische Rechtsprechung wendet bei der im § 29 der Grundbuchordnung bestimmten Haftung des Staates für die Ver­ sehen der Grundbuchbeamten gleichfalls die Vorschriften über die Bürgschaft an (Achilles, Grundbuchordnung 3. Aufl. Anm. II 2 zum § 29). Der Entwurf

80

S. 37

S. 38

IV Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

nimmt deßhalb von den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Bürgschaft den § 772 Abs. 1 und den § 773 Abs. 1 Nr. 2 bis 4, Abs. 2 herüber. Die neben die Haftung des Beamten tretende Haftung des Staates begründet nach § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein Gesammtschuldverhältniß. Im Verhältnisse des Staates und des Beamten zu einander ist dieser der allein Verpflichtete. Der Entwurf spricht dieß mit Rücksicht auf den § 426 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausdrücklich aus. Nach § 426 Abs. 2 des Bürger­ lichen Gesetzbuchs erwirbt der Staat, soweit er den Beschädigten befriedigt, dessen Anspruch gegen den Beamten. Die Haftung des Staates wird vom Entwürfe grundsätzlich für alle Beamten anerkannt, nicht blos für die höheren, die Beamten im engeren Sinne, sondern auch für die niederen Bediensteten, soweit ihnen die Ausübung einer öffentlichen Gewalt übertragen ist. Sie ist auch nicht ausgeschlossen, wenn dem Betheiligten die Wahl des Beamten freisteht, der in seiner Angelegenheit thätig werden soll; denn die Wahl ist auf die vom Staate aufgestellten Beamten beschränkt, der Beamte, den der Betheiligte auswählt, wird als Beamter aus­ gewählt, und der Betheiligte darf vom jedem der Beamten, unter denen er wählen kann, pflichtmäßige Ausübung des Amtes erwarten. Bei den Gerichts­ vollziehern als Vollstreckungsbeamten kommt aber für das Rechtsverhältniß zu dem Gläubiger in Betracht, daß der Gerichtsvollzieher seinem Auftraggeber nach der herrschenden Meinung, mit der die Rechtsprechung des Obersten Land­ gerichts (Samml. XV S. 160) und des Reichsgerichts (Entsch. XVI S. 99) übereinstimmt, nicht als Beamter, sondern als Beauftragter gegenübersteht. Der Begriff des Beamten bedarf keiner näheren Bestimmung. Die Begrenzung folgt von selbst aus dem Erfordernisse, daß es sich um einen „in Ausübung der dem Beamten anvertrauten öffentlichen Gewalt" zugefügten Schaden handeln muß. Soweit für eine bestimmte Klasse von Beamten mit Rücksicht auf die Besonderheiten ihrer Aufgabe und ihrer dienstlichen Stellung besondere Vor­ schriften über die Haftung des Staates gegeben sind, müssen sie vorbehalten werden (Abs. 2). Wegen der Haftung des Staates für den Schaden, welchen ein Notar in Ausübung des Amtes den Betheiligten schuldhafter Weise zugefügt, wird der Entwurf eines Gesetzes über die Einrichtung des Notariats das Erforderliche bestimmen. Die Fassung des Abs. 2 berücksichtigt auch die auf Reichsgesetz beruhende primäre Haftung des Staates für die Grundbuchbeamten (§ 12 der Grundbuchordnung) Der Abs. 3 macht die Haftung des Staates gegenüber Nichtdeutschen von dem Nachweise der Gegenseitigkeit abhängig. In einem großen Theile der ausländischen Staaten wird ein im Rechtswege verfolgbarer Entschädigungs­ anspruch gegen den Staat nicht anerkannt, der Ersatz des einem Deutschen durch Verschulden eines Beamten zugefügten Schadens aus der Staatskasse kann, wenn er überhaupt zu erlangen ist, || nur auf dem diplomatischen Wege erwirkt werden. Die Angehörigen solcher Staaten werden durch den Entwurf gleichsfalls auf den diplomatischen Weg verwiesen. Zu diesem Zwecke wird dem Staate eine Einrede gewährt, mittelst deren der Anspruch ves Ausländers dauernd ausgeschlossen werden kann. Ob von ihr Gebrauch gemacht oder auf sie verzichtet wird, hängt von dem Ausgange der diplomatischen Verhandlungen ab. Solange ein Verzicht nicht erfolgt ist, hat der Ausländer keinen rechtlich wirksamen Anspruch. Ueber die Haftung der Gemeinden und der übrigen Kommunalverbände für den von ihren Beamten in Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt verschuldeten Schaden sind bayerische oberstrichterliche Entscheidungen

IV. Abth. AusführungSgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

81

nicht vorhanden. Daß, soweit der Staat für die Handlungen seiner Beamten S. 38. haftet, auch die Gemeinden für die Handlungen ihrer Beamten hasten, wird allgemein für selbstverständlich gehalten (vergl. die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Edel zum Art. 84 der Gemeindeordnung, Verh. der Kamm, der Abg. 1866/69 Gesetzg.-A. Abth. I S. 113). Der Entwurf spricht daher die Haftung der Gemeinden und der übrigen Kommunalverbände aus und gestaltet sie in der gleichen Weise wie die Haftung des Staates. Beamte einer Gemeinde oder eines Verbandes sind die Beamten, welche im Dienste der Gemeinde oder des Verbandes stehen (vergl. auch § 12 der Grundbuchordnung), auch wenn die Ernennung nicht durch die Gemeinde oder den Verband, sondern durch eine Staatsbehörde (z. B. auf Grund des Art. 141 Abs. 5 der Gemeindeordnung für die Landestheile rechts des Rheins, des Art. 75 Abs. 7 der Gemeindeordnung für die Pfalz oder des Art. 13 Abs. 2 des Forstgesetzes) erfolgt ist. Steht der Beamte gleichzeitig im Dienste des Staates und im Dienste einer Gemeinde (vergl. z. B. Art. 12 des Forstgesetzes), so kommt es darauf an, in wessen Dienste er die schädigende Handlung vorgenommen hat. Der Artikel 77 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche läßt auch diejenigen Vorschriften unberührt, welche das Recht des Beschädigten, von dem Beamten den Ersatz des in Ausübung der dem Beamten anvertrauten öffentlichen Gewalt zugefügten Schadens zu verlangen, insoweit ausschließen, als der Staat oder der Kommunalverband hastet. Derartige Vorschriften be­ stehen in Bayern nicht. Für die Grundbuchbeamten ist die reichsrechtliche Vor­ schrift des § 12 der Grundbuchordnung maßgebend.

Nachbarrecht. Artikel 54 bis 72. Der Artikel 124 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche*) hält die landesgesetzlichen Vorschriften auf den Nachbarrechtsgebieten, die vom Bürgerlichen Gesetzbuche nicht erfaßt sind, auftecht. Das in Bayern geltende Nachbarrecht leidet insbesondere auf dem Gebiete des Baurechts an einer weitgehenden Zersplitterung. Mehr als ein Dutzend Baurechte sind noch in Geltung, alle in Einzelheiten von einander verschieden. Der Verschiedenheit der Vorschriften entspricht nicht auch eine Verschiedenheit der heutigen Verhältnisse. Von den Baurechten ist das jüngste vor mehr als hundert Jahren, die älteren sind vor mehreren Jahrhunderten entstanden. Ihre Verschiedenheiten mögen damals den örtlichen Verschiedenheiten angepaßt gewesen sein. Inzwischen haben der Wegfall der inneren Schranken und der Aufschwung des Verkehrs einerseits, die Fortschritte der Technik und die An­ forderungen der Gesundheitspflege andererseits eine ausgleichende Wirkung geübt. Manche von den aus alter Zeit stammenden Beschränkungen sind entbehrlich, manche, die zur Zeit ihrer Enfftehung als eine wenig beschwerende Rücksichtnahme auf den Nachbar erschienen, sind bei dem steigende Werthe des Baugrundes drückend und volkswirthschaftlich schädlich geworden. Die Ver­ hältnisse haben sich geändert, die Gesetze und Statuten sind die gleichen *) Er lautet: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das Eigenthum an Grundstücken zu Gunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuche bestimmten Beschränkungen unterwerfen. Dies gilt insbesondere auch von den Vorschriften, nach welchen Anlagen sowie Bäume und Sträucher nur in einem bestimmten Abstande von der Grenze gehalten werden dürfen." Becher, Materialien. IV.

6

82

S- 38

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

geblieben. Die Ersetzung dieser Vorschriften durch neues einheitliches Recht ist deßhalb ein dringendes Bedürfniß. Für die Neugestaltung verengert sich die Aufgabe, insbesondere auf dem Gebiete des Baurechts, durch die polizeilichen Vorschriften; soweit den Be­ dürfnissen des nachbarlichen Zusammenlebens auf diesem Wege Genüge geleistet wird, bedarf es privatrechtlicher Elgenthumsbeschränkungen nicht. In dem diesen vorbehaltenen Bereiche wird von dem Grundsatz auszugehen sein, daß nur weit verbreiteten Bedürfnissen abgeholfen werden soll, deren Befriedigung von der Vereinbamng der Betheiligten nicht erwartet werden kann. Für die mit bestehenden Anlagen verknüpften Interessen wird, soweit der ihnen durch das bisherige Recht gewährte Schutz wegfällt, durch Uebergangsvorschriften die erforderliche Vorkehrung gegen Beeinträchtigung zu treffen sein. Nach diesen Gesichtspunkten sind die im geltenden Rechte bestehenden Eigenthumsbeschränkungen, soweit ihre Aufrechthaltung in Frage kommen kann, geprüft worden. Dazu wurden Gutachten erholt vom Bayerischen Land­ wirthschaftsrathe, der Obersten Baubehörde, der Lokalbaukommrssion München, ferner von den Stadtmagistraten Landshut, Regensburg, Bayreuth, Nürnberg, Würzburg und Augsburg sowie von dem Bürgermeisteramte Ludwigshafen a/RH. Die in den Gutachten gemachten Vorschläge haben im Entwurf eingehende Berücksichtigung gefunden. Im Einzelnen hat sich ergeben, daß nur eine geringe Anzahl von Eigenthumsbeschränkungen zu Gunsten der Nachbarn erforderlich sind. U«ve»va«, Mauerausvauchung.*)

Bauliche Uebergriffe über die Grenze in weiterem Umfange zu gestatten als das Bürgerliche Gesetzbuch, besteht kein Bedürfniß. Der Ueberbau ist vom Bürgerlichen Gesetzbuche geregelt. Die für Mauerausbauchungen geltende Vorschrift des römischen Rechtes ist thatsächlich ohne Bedeutung, daher auch von keinem neueren Rechte übernommen. Stört die Ausbauchung den Nachbar oder bedroht sie ihn gar, so ist der Zwang der Duldung nicht zu rechtfertigen. Ist sie weder bedrohlich noch störend, so wird die Entfernung nach § 226 des Bürgerlichen Gesetzbuchs *****) ) nicht verlangt werden können. Kammerschlagsrecht.**')

S. 39

Auch die Uebernahme des Hammerschlags- und Leiterrechts empfiehlt sich nicht. Sein bisheriger Geltungsbereich in Bayern ist klein. Die Be­ stimmung des Preußischen Landrechts über die Benutzung des Nachbargrundes zur Ausbesserung von Planken ist ohne Bedeutung. Sonst aber kommt das Recht nur in Regensburg und Amberg vor. Von den auswärtigen Rechten gibt das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch § 350, die braunschweigische Bau­ ordnung vom 15. Juni 1876 § 61 und das italienische Bürgerliche Gesetz­ buch Artikel 592 eine Befugmß, den Nachbargrund behufs Ausbesserung oder Erbauung einer Anlage vorübergehend zu benutzen, das italienische Bürgerliche Gesetzbuch gewährt jedoch nur die Be || nutzung als Nothweg. Das Züricher Bürgerliche Gesetzbuch §§ 163, 183 bis 187 gibt das Hammerschlagsrecht *) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2 Aufl. § 135 Note80 ff.; §146 Note3. **) Dieser lautet „Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem Anderen Schaden zuzufügen „ ***) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Aufl. § 146 Note 9.

IV. Abth. Aussührungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

83

nur zum Zwecke der Unterhaltung und Ausbesserung. Dieses ist auch der Standvunkt des hessischen Entwurfes Artikel 69, während der bayerische Ent­ wurf Theil III (1864) Artikel 187 dem sächsischen Rechte folgt. Zn Oesterreich und Frankreich besteht kein Hammerschlagsrecht, auch in der Württembergischen Neuen allgemeinen Bauordnung vom 6. Oktober 1872 ist es nicht anerkannt. Schon die geringe Verbreitung des Hammerschlagsrechts läßt erkennen, daß ein Bedürfniß, das Nachbargrundstück mit einer solchen Duldungspflicht zu belasten, nicht besteht, und damit stimmen die Erfahrungen überein, welche in den Gebieten gemacht worden sind, denen dieses Recht fremd ist. Für Noth­ fälle gewährt § 904 des Bürgerlichen Gesetzbuches Abhilfe.*) Die Frage, ob nicht durch Uebergangsvorschrift den bisherigen Hammer­ schlagsberechtigten ihre Befugniß zu wahren sei, wird verneint werden können, da die Fälle der Anwendung des Zwanges doch nur selten sind und der Hammerschlagsberechtigte sich die Aufhebung seiner Befugniß durch Bauführung des Nachbars auch jetzt schon gefallen lassen muß.

rreldvau.*') Eine über den §226 des Bürgerlichen Gesetzbuchs***) hinausgehende Vor­ schrift gegen den Neidbau ist jedenfalls überflüssig. Den neueren Gesetz­ gebungen sind solche Vorschriften fremd.

#aua6ffant>.t) Bedenklich erscheint eine allgemeine Vorschrift, die für Bauten nach dem Muster des Preußischen Landrechts I 8 § 139 einen gewissen Abstand von der Grenze gebietet. Denn ein weiter Abstand würde die Baufreiheit zu sehr beengen und durch Verminderung der Bebaubarkeit auf den Werth der Grund­ stücke ungünstig einwirken, ein enger Abstand würde, ohne wesentliche Vortheile zu bieten, zur Bildung schädlicher Winkel führen. Auch ist im Innern der Städte zumeist die geschlossene Bauart nothwendig. Den anderen in Bayern geltenden Rechten ist eine solche Vorschrift ftemd. Von den Gesetzgebungen auswärtiger Staaten hat das Züricher Bürgerliche Gesetzbuch § 169 das Gebot eines Grenzabstandes von 1,50 m, die anderen neueren Rechte stellen eine allgemeine Abstandsvorschrift nicht auf. Auf demselben Standpuntte steht der bayerische Entwurf. Die Bauordnung für München vom 29. Juli 1895 schützt im § 71 die nachbarlichen Interessen durch besondere polizeiliche Vor­ schriften. Die Entstehung von Winkeln oder Reihen muß nicht nur in München, sondern auch nach § 49 der allgemeinen Bauordnung vom 31. Juli 1890 ,,wo nur immer möglich" vermieden werden. Uebergangsvorschristen sind bei der Abschaffung nicht angezeigt. Man könnte zwar daran denken, den Gebäuden, die in der vorschriftsmäßigen Entfernung von der Grenze errichtet sind, das Recht auf Einhaltung des Abstandes durch den Nachbar zu wahren. Allein man käme damit an eine Kette ohne Ende.

*) Er lautet: „Der Eigenthümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines Anderen aus die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegen­ wärtigen Gefahr nothwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigenthümer entstehenden Schaden unverhältnißmäßig groß ist. Der Eigenthümer kann Ersatz des ihm zustehenden Schadens verlangen.,, •*) Bergt, v Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Ausl. § 144 Note 4 ff. ***) Bergl. S. 82 Note **. t) Bergl. 1). Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Ausl. § 197 Note 39 ff.

>. 39.

84

S. 39.

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

r«auf»echt.*)

Die Traufrechte der Statuten stammen aus einer Zeit, in der Rinnen weniger gebräuchlich waren. Sie haben ferner eine gleichmäßige Bauart zur Voraussetzung. Jetzt ist die Sachlage verändert. Für München bestimmt § 41 Abs. 2 der Bauordnung vom 29. Juli 1895: „An allen Gebäuden, welche feuersicher eingedeckt werden müssen, „sind Dachrinnen und Abfallrohre aus feuersicherem Material an„zubringen."

Die Anbringung von Dachrinnen und Abfallrohren ist aber auch in den anderen Städten Regel und selbst auf dem platten Lande nicht mehr selten. Das dem Mauereigenthümer selbst am meisten schädliche Abtraufenlassen ohne Rinne wird voraussichtlich immer mehr abkommen. Die Bestimmung eines Traufabstandes ist deßhalb jetzt kein Bedürfniß mehr. Sie wäre eher schädlich, weil sie enge Reihen befördern würde, und einheitlich kaum möglich, weil die Höhe der Gebäude und die Bauart der Dächer allzu verschieden ist, als daß sich ein auch nur annähernd richtiges Abstandsmaß finden ließe. Nöthig und ausreichend ist die Vorschrift, daß jeder bei der Einrichtung seines Daches dafür zu sorgen hat, daß die Traufe nicht den Nachbargrund trifft. Dieser Satz ist für ganz Bayern aus Artikel 34 des Wasserbenützungsgesetzes vom 28. Mai 1852 abgeleitet worden, das neben dem Bürgerlichen Gesetzbuche bestehen bleibt. Der Anlage eines rinnenlosen Daches in nächster Nähe der Grenze kann aber auch auf Grund des § 907 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entgegengetreten werden. In neuerer Zeit hat nur Württemberg in der Bauordnung vom 6. Oktober 1872 Artikel 56 einen Traufabstand bestimmt (0,50 m). Bei der ersten Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat die Kommission den Anttag (Sachenrechtsentw. § 113), eine Vorschrift dieser Art aufzunehmen, abgelehnt (Prot. I. Lesung S. 3865/6). Auch der bayerische Entwurf bestimmt keinen Traufabstand. Eine Uebergangsvorschrist ist nicht erforderlich. Für den Fortbestand der der Traufe und dem Ablaufe des Regenwassers dienenden gemeinschaft­ lichen Reihen ist durch § 922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs**) gesorgt. Iensterrecht.***) Artikel 54 bis 58.

Besondere Beachtung verdienen die Beschränkungen des Fensterrechts. Der Bestand stemder Fenster in unmittelbarer Nähe des Grundstücks bedroht den Eigenthümer mit der ständigen Gefahr, daß aus ihnen Sachen auf das Grundstück geworfen oder Flüssigkeiten auf dieses ausgegossen werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch gewährt dagegen keinen Schutz; denn die unzulässige

*) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Aufl. § 144 Note 20. **) Dieser bestimmt: „Sind die Nachbarn zur Benutzung einer der im § 921 bezeichneten Einrichtungen gemeinschaftlich berechtigt, so kann jeder sie zu dem Zwecke, der sich aus ihrer Beschaffenheit ergiebt, insoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung des anderen beeinträchtigt wird. Die Unterhaltungskosten sind von den Nachbarn zu gleichen Theilen zu tragen. So­ lange einer der Nachbarn an dem Fortbestände der Einrichtung ein Interesse hat, darf sie nicht ohne seine Zustimmung beseitigt oder geändert werden. Im Uebrigen bestimmt sich das Rechtsverhältniß zwischen den Nachbarn nach den Vorschriften über die Gemeinschaft." e*e) Vergl. v. Roth'Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Aufl. § 144 Note 11 ff.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

85

Einwirkung auf das Nachbargrundstück ergibt sich nicht aus dem Bestände S 39 und der bestimmungsmäßigen Benutzung der Fenster, sondern ist ein Mißbrauch, zu dem die Gelegenheit leicht verleitet. Auch eine baupolizeiliche Hilfe mangelt. Nach der rechtsrheinischen Bauordnung vom 31. Juli 1890, der Münchener Bauordnung vom 29. Juli 1895 und den pfälzischen Baupolizeivorschristen vom 30. August 1890 bedarf die Neuanlage von Fenstern in bestehenden Seiten- oder Rückmauern regelmäßig keiner baupolizeilichen Genehmigung. Beschränkungen des Fensterrechts durch nachbarrechtliche Vorschriften bestehen in Bayern in den Geltungsbezirken des Preußischen Landrechts, des Code civil und der Statutarrechte von München, Nürnberg, Augsburg, Würzburg, Regensburg, Amberg, Mainz, Dinkelsbühl und Sachsen-Coburg und sind auch außerhalb Bayerns weit verbreitet. Von den anderen deutschen Staaten haben außer Preußen, Baden und Elsaß-Lothringen insbesondere Württemberg und Braunschweig solche Vorschriften. Die bestehenden Gesetze mit Ausnahme des Württembergischen schützen den Nachbar nicht blos gegen die Gefahr des Auswerfens und Ausgießens, sondern auch gegen die Belästigung durch den Einblick aus allzu großer Nähe. Von den neueren Gesetzen geht am weitesten der Code civil, || dem der S. 40. bayerische Entwurf im Wesentlichen folgt; er verlangt einen Abstand von 1,90 m in gerader und von 0,60 m in schräger Richtung. Das Preußische Landrecht beschränkt nur die Anlegung von Fenstern in Mauern, die unmittelbar an der Grenze stehen. Die Mehrzahl der älteren Statuten gibt die Anlegung von Fenstern frei, wenn der Traufabstand eingehalten ist. Mit ihnen stimmen das württembergische und das braunschweigische Gesetz insofern überein, als sie sich mit einem Abstand von 0,60 m begnügen. Die Möglichkeit des Einblicks in fremde Grundstücke ist mit dem Zu­ sammenwohnen in geschlossenen Ortschaften unttennbar verbunden. Wirksamer Schutz gegen die daraus entstehende Belästigung kann nicht gewährt werden; dazu würde ein viel größerer als der vom Code civil vorgeschriebene Abstand erforderlich sein. Der Ausblick auf ein fremdes Grundstück ist keine Ein­ wirkung auf dieses. Es ist deßhalb nicht gerechtferttgt, dem Eigenthümer die Benutzung des Licht- und Luftzutritts, den ihm ein zwischen seiner Mauer und der Grenze liegender Streifen seines eigenen Grundstücks bietet, lediglich aus dem Grunde zu versagen, weil die diesem Zwecke dienenden Fenster ihm den Ausblick auf das fremde Grundstück ermöglichen würden. Vielmehr mag der Nachbar, der sich fremden Blicken entziehen will, die dazu erforderlichen Vorkehrungen treffen. Für Wohnräume, bei denen der Einblick am lästigsten empfunden wird, ist heutzutage der Gebrauch von Vorhängen allgemein ver­ breitet. Anders verhält es sich bei Fenstern, die der Grenze so nahe find, daß sie Luft und Licht nur ober fast nur von dem fremden Grundstücke her erhalten. Wer darauf angewiesen ist, die Annehmlichkeit zu benutzen, die ihm das fremde Grundstück dadurch gewährt, daß es den Zutritt von Licht und Lust gestattet, soll dieß nicht in solcher Weise thun, daß daraus für den Eigenthümer des fremden Grundstückes eine empfindliche Belästigung entsteht, er soll den Vortheil, den das Nachbargrundstück ihm bietet, nur so gebrauchen, daß der Nachbar nicht beeinttächtigt wird. Nach diesen Erwägungen wird es genügen, Vorkehrungen sowohl gegen das Auswerfen und Ausgießen als gegen den Einblick vorzuschreiben, wenn die Fenster weniger als 0,60 m von der Grenze entfernt find. Der doppelte Zweck läßt sich dadurch erreichen, daß die freie Fensteröffnung erst oberhalb Mannshöhe über dem Boden beginnen darf. Es kann zwar auch dann noch

86

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 4V. der Nachbar ausblicken, wenn er auf eine Unterlage tritt, und er kann in diesem Falle sowie im Bogen aus der Fensteröffnung werfen. Diese Mög­ lichkeit ist indessen, da ihre Benutzung außergewöhnlich ist, nicht zu berücksichtigen. Deßhalb kann auch von der ebenso lästigen wie unschönen Vergitterung ab­ gesehen werden. Das Preußische Landrecht, der Code civil und der bayerische Entwurf verlangen für die Lichtöffnungen Erhöhung vom Fußboden ab bis über Mannshöhe, also eine ebenso hohe Mauerbrüstung bis zum Beginne des Fensters. Dieß beeinträchtigt die Wohnlichkeit ebenso sehr wie das äußere Aussehen. Es ist aber zur Erreichung des Zweckes nicht durchaus nothwendig. Fenster können heutzutage leicht und ohne nennenswerthe Mehrkosten so her­ gestellt werden, daß sie zwar das Licht durchlassen, nicht aber den Blick des Menschen (Milchglas, gewelltes Glas, wie es z. B. in den unteren Fenstern der Schulsäle angebracht wird). Sind diese Fenster überdieß so angelegt, daß sie bis über Mannshöhe, also in der Regel bis zu dem oberen Flügel, nicht geöffnet werden können, so ist auch der Gefahr des Ausgießens und Aus­ werfens genügend vorgebeugt, ohne daß die Wohnlichkeit zu sehr beeinträchtigt wird. Mehr zu verlangen ist darum nicht nöthig. Will der Eigenthümer statt dessen das ganze Fenster erhöhen, so bleibt ihm dieß unbenommen. Die Vorschrift ist ihrem Zwecke nach selbstverständlich auf Altanen, Gallerien, Erker und ähnliche Anlagen (Terrassen, Belvederes) auszudehnen. Sie muß aber andererseits von der Beschaffenheit des Nachbargrundstücks abhängig gemacht werden, sie soll nicht zu Gunsten eines Grundstücks gelten, bei dem kein besonders schutzwerthes Interesse daran besteht, daß der Nachbar ihnen gegenüber keine offenen Fenster hat. Der Entwurf gewährt deßhalb Schutz gegen das Oeffnen und das Durchblicken nur, wenn das Nachbar­ grundstück mit einem Gebäude versehen ist oder als Hofraum oder Hausgarten dient, und gibt das Recht, einen festen, das Oeffnen nicht gestattenden Abschluß zu verlangen, auch für die öffentlichen Eisenbahnanlagen, bei denen nicht nur das Auswerfen und Ausgießen verhütet, sondern auch der bei offenen Fenstern in unmittelbarer Nähe des Betriebs bestehenden Feuersgefahr vorgebeugt werden muß. Fenster und gleichgestellte Anlagen, die sich an der Baulinie befinden, sind einer nachbarrechtlichen Beschränkung nicht zu unterwerfen. Für den llebergang ist besonders zu sorgen. Nachbarrechtsvorschriften treten wie Eigenthuinsvorschriften überhaupt sofort für alle bestehenden Ver­ hältnisse in Wirksamkeit. Es geht aber nicht an, für tausende von bestehenden Fenstern eine Aenderung vorzuschreiben. Darum muß man den Eigenthümern bestehender Fenster gestatten, bei dem bisherigen Rechte zu bleiben, wenn dieses für sie günstiger ist. Der Nachbar wird dadurch nicht beschwert, denn er hat keinen Anspruch auf Aenderung des Gesetzes zu seinen Gunsten. Die baupolizeilichen Anordnungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Fenster und den Grenzabstand von Lichtöffnungen jeder Art bleiben selbst­ verständlich vom Nachbarrecht unberührt. Ein Verbot der unmittelbar auf das Nachbargrundstück führenden Thüre, wie es das Preußische Landrecht I 8 § 138 hat, ist entbehrlich. Die Beseitigung solcher Thüren kann aus Grund des § 907 des Bürgerlichen Gesetzbuchs*) ver­ langt werden. *) 8 907 Abs. 1 B. G. B. lautet: „Der Eigenthümer eines Grundstücks kann ver­ langen, daß auf den Nachbargrundstücken nicht Anlagen hergestellt oder gehalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge hat. Genügt eine Anlage den landes-

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

87

Schutz der Fenster vor Verdunkelung.**)

S. 40.

Artikel 59.

Die in Bayern geltenden Vorschriften zum Schutze bestehender Fenster gegen das Verbauen eignen sich nicht zur Aufnahme tit das künftige Recht. Vorschriften, die den Schutz mittelst der Ersitzung einer Dienstbarkeit gewähren, fallen weg, weil das Bürgerliche Gesetzbuch die Ersitzung von Dienstbarkeiten nicht zuläßt. Bezüglich des Schutzes, den die Rechtsprechung im Gebiete des Code civil den fett dreißig Jahren und im Gebiete des Preußischen Landrechts den seit zehn Jahren bestehenden Fenstern gewährt, sind die Ansichten darüber getheilt, ob es sich um Ersitzung einer Dienstbarkeit oder um die Entstehung einer nachbarrechtlichen Beschränkung handelt. Für das Gebiet des Code civil nimmt die neuere Rechtsprechung, insbesondere auch die des Reichsgerichts, die Begründung einer Dienstbarkeit an und die Vorschrift des Preußischen Landrechts wird überwiegend gleichfalls in diesem Sinne ausgelegt. Ein nachbar­ rechtlicher Schutz, der von der Dauer des Bestehens der Fenster unabhängig ist, findet sich, abgesehen von der allgemeinen Abstandsvorschrift des Preußischen Landrechts I 8 § 139, || nur in den Statutarrechten von Regensburg und Augs- S. 41. bürg. In Regensburg muß bei Unentbehrlichkeit der bestehenden Fenster drei Schuh gewichen werden, in Augsburg ist eine Reihe von vier Schuh zu bilden. Der Schutz bestehender Fenster gegen Verdunkelung begünstigt denjenigen, der zuerst baut, auf Kosten des Nachbars. Dafür fehlt es unter den heutigen Verhältnissen an zureichendem Grunde. Weder der bayerische Entwurf noch die Württembergische Bauordnung vom 6. Oktober 1872 unterwirft den Nachbar einer solchen Beschränkung. Dagegen muß zur Verhütung von Streitigkeiten durch eine Uebergangsbestimmung klargestellt werden, daß es sich bei dem nach Preußischem Landrechte und nach pfälzischem Rechte durch Zeitablauf entstehen­ den Fensterschutze nicht um eine gesetzliche Eigenthumsbeschränkung sondern um Ersitzung einer Grunddienstbarkeit handelt. Ist der erforderliche Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs verstrichen, so bleibt das erworbene Recht mit dem Inhalte bestehen, mit dem es erworben worden ist (Art. 184 des Einf.-Ges. zum B. GB.). Hat der Bestand des Fensters zur Zeit des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht die Dauer, von welcher der Schutz nach den bisherigen Vorschriften abhängt, so kann dieser, abgesehen von dem Falle des Artikel 189 Abs. 2 des Einführungsgesetzes, nicht mehr erworben werden. Für die Abstandsvorschriften des Preußischen Landrechts I 8 § 139, des Regensburger und des Augsburger Statutarrechts sind Uebergangsvorschriften nicht erforderlich. Sonstige vanrechtliche Avstanvsvorschristen.**)

Von besonderen Vorschriften über den Abstand von Dung- und Versenk­ gruben, Aborten, Rinnen, Brunnen, Wassergräben, Oefen, Kaminen, Feuerungen und ähnlichen Anlagen kann abgesehen werden. Hier ist wegen der Feuer­ sicherheit oder der Gesundheitspflege das öffentliche Interesse betheiligt. Die gesetzlichen Vorschriften, die einen bestimmten Abstand von der Grenze oder sonstige Schutz­ maßregeln vorschreiben, so kann die Beseitigung der Anlage erst verlangt werden, wenn die unzulässige Einwirkung thatsächlich hervortritt." *) Vergl. v. Roth-Becher, bahr. Civ.-R. Theil II 2. Aufl. § 184 Note 6 ff.

**) Bergl. v. Roth-Becher, bahr. Civ -R. Theil II 2. Ausl. § 143 Note 39 ff.

88

S. 41.

IV Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuchs. — Begründung.

polizeilichen Anordnungen genügen in der Regel auch zum Schutze des Interesses des Nachbars und können sich den besonderen Verhältnissen besser anpassen als Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. § 52 der rechtsrheinischen Bau­ ordnung vom 31. Juli 1890 schreibt vor:

„Für die Anlage, Einrichtung und Abänderung sowie für die . . . „bauliche Instandhaltung von Abtritten, Dung- und Versitzgruben in „Wohngebäuden oder in unmittelbarer Nähe von Wohnungen, Brunnen „oder Brunnenquellen sind die auf Grund des Artikel 73 Abs. 1 des „Polizeistrafgesetzbuchs erlassenen oder künftig ergehenden Vorschriften „maßgebend." „Dung- und Versitzgruben müssen unter allen Umständen mindestens „einen Meter von den Umfassungswänden bewohnter Gebäude entfernt „hergestellt und erstere überdieß so angelegt werden, daß ihr etwaiger „Ueberlauf sich nicht dem Wohnhause nähert."

Aehnlich § 75 der Münchener Bauordnung vom 29. Juli 1895. Ferner verfügt § 17 der rechtsrheinischen Bauordnung vom 31. Juli 1890: „Kamine sind aus gelegten Backsteinen auf feuerfester Grundlage „mindestens 0,80 m über die Dachfläche zu mauern, im einzelnen „Falle aber soweit über die Dachung hinauszuführen, als es die „Polizeibehörde aus feuer- oder gesundheitspolizeilrchen Rücksichten „sowie zur Fernhaltung erheblicher Belästigung der Nachbarschaft „fordert."

Hiemit stimmt § 7 Abs. 1 der baupolizeilichen Vorschriften für die Pfalz vom 30. August 1890 und § 22 Abs. 1 der Münchener Bauordnung vom 29. Juli 1895 überein. Neben dem polizeilichen Schutze steht dem Nachbar das im § 907 des Bürgerlichen Gesetzbuchs*) bestimmte Recht zu Gebote. Abstandsvorschriften für Zäune und Gerüste kommen in den in Bayern geltenden Rechten nur vereinzelt vor (Augsburg, Regensburg) und sind von geringer Bedeutung, wenn für Nachbarbauten ein Grenzabstand nicht vor­ geschrieben ist. Besondere landesrechtliche Bestimmungen über den Abstand von Ver­ tiefungen und Erhöhungen des Bodens bestehen in Bayern nur im Geltungs­ bezirke des Preußischen Landrechts (I 8 §§ 185, 187). Bei den großen Unter­ schieden in der Festigkeit des Bodens (Stein, Lehm, Sand u. s. w.) und der Willkürlichkeit der Art und Ausdehnung von Erhöhungs- und Vertiefungs­ anlagen ist es unmöglich, mit Ziffern etn einigermaßen zuverlässiges Schutzmaß zu geben. Es bewendet darum am besten bei den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 908, 909).**) Uebergangsvorschriften sind nicht veranlaßt. *) Vergl. oben S. 86 Note *. **) Diese lauten: § 908: „Droht einem Grundstücke die Gefahr, daß es durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen Werkes, das mit einem Nachbargrundstücke ver­ bunden ist, oder durch die Ablösung von Theilen des Gebäudes oder des Werkes beschädigt wird, so kann der Eigenthümer von demjenigen, welcher nach dem § 836 Absatz 1 oder den §§ 837, 838 für den eintretenden Schaden verantwortlich sein würde, verlangen, daß er die zur Abwendung der Gefahr erforderliche Vorkehrung trifft." § 909: „Ein Grundstück darf nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, daß für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt ist."

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

89

Grenzmauevn und gemeinschaftliche Mauern.*)

S. 41.

Artikel 60 bis 62.

Die Regel, daß man an der unmittelbar an der Grenze stehenden Mauer des Nachbars nicht ohne eigene Wand anbauen, auf sie nicht Balken und bergt auflegen, in sie nicht einzäpfen darf, ergibt sich aus § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,**) Besondere Vorschriften, welche die Benützung der eigenen Grenz­ mauer zu Gunsten des Nachbars beschränken, finden sich nur in einigen älteren Statutarrechten und sind entbehrlich. Es handelt fick um die Anbringung von Vertiefungen in der Mauer, die die Gefahr eines Bruches der Mauer oder des Hinübergreifens eines in dem Hause ausbrechenden Brandes mit sich bringen. Droht die Gefahr des Einsturzes, so kann sich der Nachbar durch Geltend­ machung des im § 908 des Bürgerlichen Gesetzbuchs***) bestimmten Anspruchs oder durch Anrufen des polizeilichen Eingreifens helfen; ist die Mauer im Sinne der baupolizeilichen Vorschriften (§ 40 der rechtsrheinischen Bauordnung vom 31. Juli 1890, § 2 der Bauvorschriften für die Pfalz vom 30. August 1890 und § 47 der Münchener Bauordnung vom 29. Juli 1895) eine Brand­ mauer , so ist sie gegen Einbrüche, die ihren Zweck gefährden, durch diese Vorschriften (§ 16, § 1, § 21) geschützt. Für die Benutzung und Unterhaltung der gemeinschaftlichen Grenzanlagen sind die Vorschriften der §§ 922 f), 1008 bis 1011 und der §§ 741 bis 758 tf) des Bürgerlichen Gesetzbuchs maßgebend. Der Code civil und mehrere Statutarrechte (München, Amberg, Ulm, Memmingen, Mainz, Nürnberg) enthalten besondere Bestimmungen über die Befugniß eines Nachbars, eine gemeinschaftliche Mauer zu seinen Zwecken zu erhöhen, und verpflichten den anderen Theil, wenn er die Erhöhung für sich benutzt, die Hälfte der Kosten zu ersetzen. Vorschriften solchen Inhalts stellen auch der bayerische Entwurf Artikel 205 bis 207 und die Württembergische Bauordnung vom 6. Oktober 1872 Artikel 68 bis 70 auf. Unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird die gemeinschaftliche Mauer als durch die Grenzlinie getrennt im Sondereigenthum der Nachbar stehend zu denken sein. Ihre Erhöhung ist daher nur bis zur Hälfte der Dicke zulässig und selbst dieß dann nicht, wenn sie nicht ohne Schaden der Mauer geschehen kann. Ist eine Verstärkung der || Mauer nöthig, so hat sie der bauende Nachbar auf seiner e. 42. Seite vorzunehmen. An dem nur auf dieser Seite erhöhten Theile der Mauer steht dem anderen Nachbar kein Recht zu. Soll das Verhältniß anders geordnet werden, so ist Einigung der Nachbarn erforderlich. Bei dieser Rechtslage wird der Nachbar, welcher die Erhöhung der Mauer auf seiner Seite gestatten soll, sich die Vortheile, welche die Erhöhung ihm bei künftiger Bauführung bietet, in der Regel unentgeltlich verschaffen können. Der bauende Nachbar ist nicht in der Lage, sich für den Fall, daß der andere Nachbar die erhöhte Mauer zu einem Anbaue benutzt, den Ersatz eines Theiles der Baukosten auszubedingen, weil er ohne Benutzung des dem Nachbar ge­ hörenden Theiles der Mauer noch höhere Aufwendungen machen müßte. Die *) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Aufl. §§ 137, 138, 144 VII. **) § 903 B. G B. bestimmt: „Der Eigenthümer einer Sache kann. soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und Andere von jeder Einwirkung ausschlietzen." ***) Vergl. oben S. 88 Note **. t) Siehe diesen oben S. 84 Note *•. ff) Dies sind die Grundsätze des Miteigenthums.

90

S. 42.

IV. Abtb. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Billigkeit spricht aber dafür, wenn der andere Nachbar sich die Vortheile der Erhöhung aneignet, ihn auch zu den Kosten heranzuziehen. Dieß geschieht am einfachsten und zweckmäßigsten auf dem Wege, auf den Artikel 124 des Ein­ führungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche*) hinweist, nämlich dadurch, daß dem Nachbar die Benutzung des Aufbaues versagt wird, bis er den ihn treffenden Betrag entrichtet hat. Hat die Mauer zum Zwecke der Erhöhung verstärkt werden müssen und verlangt der Nachbar später, daß ihm die Benutzung des höher gebauten Theiles der Mauer gestattet wird, so hat die Ersatzleistung sich auf die Hälfte der Aufwendung an Grund und Boden zu erstrecken, die der Nachbar, der die Mauer verstärkt hat, dazu von seinem Eigenthum machen mußte. Andererseits wird, wenn für die Verwendung des nachbarlichen Bodens Ersatz geleistet wird, auch eine Grenzverschiebung stattzufinden haben, derzufolge die neue Grenze durch die Mitte der verstärkten Mauer läuft. Um die Zweifel, zu denen die bisherigen Vorschriften Anlaß geben, abzuschneiden und möglichst einfaches Recht zu schaffen, will der Entwurf die Heranziehung des Nachbars zu den Baukosten auch dann nach den neuen Vorschriften gestalten, wenn die Erhöhung der gemeinschaftlichen Mauer schon vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfolgt ist, die Benutzung des Aufbaues durch den Nachbar aber erst nach diesem Zeitpunkt eintritt. Ist dagegen die für die Benutzung des Aufbaues zu entrichtende Leistung schon vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs fällig geworden, so soll es bei der Gestaltung bewenden, die das Rechtsverhältniß durch die bisherigen Vorschriften erhalten hat. Einen Zwang zur Betheiligung bei der Errichtung einer Grenzmauer zu gemeinschaftlicher Benutzung oder zur Umwandlung einer an der Grenze stehenden Mauer, die dem einen Nachbar allein gehört, in eine der gemeinschaftlichen Benutzung unterliegende Grenzmauer (Kommunmauer) kennen von den in Bayern geltenden Rechten nur das pfälzische Recht und die Statutarrechte von München und Nürnberg. Der bayerische Entwurf hat Bedenken getragen, den Kommunmauerzwang auf das ganze Königreich zu erstrecken (Motive S. 70), und die Württembergische Bauordnung vom 6. Oktober 1872 hat ihn nicht ausgenommen. Ein Bedürfniß, den Bauenden durch einen solchen Eingriff in das Recht des Nachbars zu begünstigen oder demjenigen, dessen Grundstück an eine fremde Mauer stößt, ein Enteignungsrecht zu dem Zwecke zu geben, die Mauer gemeinschaftlich zu machen, besteht, wie die Erfahrungen in den deutschen Staaten zeigen, welche diese Einrichtung nicht kennen, unter den heutigen Verhältnissen auch für größere, in rascher Entwickelung begriffene Städte nicht. Ist bei dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Grund der bisherigen Vorschriften über den Kommunmauerzwang mit dem Baue einer gemeinschaftlichen Grenzmauer begonnen, so müssen diese Vorschriften für die Vollendung des Baues maßgebend bleiben. Auf die nach dem Münchener Rechte den Nachbar des Bauenden im Falle der Benutzung der Grenzmauer treffende Ersatzpflicht werden die für die Ersatzpflicht bei der Erhöhung einer gemeinschaftlichen Mauer gegebenen Vorschriften Anwendung zu finden haben.

Nach Ablehnung des Kommunmauerzwanges wird auch für einen Schiedmauer- und Verzäunungszwang kein Raum mehr sein. Er besteht ohnehin nur in einem kleineren Theile Bayerns, ohne an anderen Orten vermißt zu werden. Ebensowenig bedarf es neben dem § 49 der allgemeinen Bauordnung vom 31. Juli 1890 besonderer Vorschriften über Winkel. Für die gemein*) S. diesen oben S. 81 Note *.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

91

schaftlichen Winkel gilt § 922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, für die eigenen S. 42. kann es bei den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs be­ wenden. Srenzabstand von Gewächsen.*)

Artikel 63 bis 67. Von den übrigen Vorschriften des Nachbarrechts sind die wichtigsten die­ jenigen, nach welchen Bäume, Sträucher und andere Gewächse nur in einem gewissen Abstande von dem Nachbargrundstücke gehalten werden dürfen. Das Preußische Landrecht begnügt sich mir einer Vorschrift für Hecken. Der Code civil gibt dem Nachbar das Recht, das Halten von Bäumen und Hecken innerhalb einer bestimmten Entfernung von der Grenze zu verbieten. Von den Statutarrechten haben nur wenige (Augsburg, Regensburg. Schweinfurt, für Hopfen auch München und Memmingen) solche Vorschriften. Der bayerische Entwurf Artikel 197 schließt sich an den Code civil an und erstreckt die Beschränkung auf Hopfenstöcke und Weinstöcke. Die Vorschrift des Code civil hat auch dem hessischen Gesetze vom 23. Januar 1861, die Entfernung der Baumpflanzungen von den Grenzen des Nachbars in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen betreffend, Artikel 1, 2 zum Vorbilde gedient. In neueren Gesetzen deutscher und ausländischer Staaten tritt das Bestreben hervor, durch Vergrößerung des Abstandes insbesondere bei Bäumen die nachtheiligen Wirkungen abzuwenden, die sich für die landwirthschaftliche Benutzung der Nachbargrundstücke aus der Beschattung ergeben (württembergisches Gesetz, betr. das landwirthschaftliche Nachbarrecht, vom 15. Juni 1893, Art. 9 bis 19, Züricher Gesetzbuch §§ 150 bis 152, 161, ital. B. GB- Art. 579 bis 581). Die unmittelbare Nähe fremder Bäume und Sträucher ist auch abgesehen von der Beschattung lästig. Ihr Wachsthum bringt das Uebergreifen von Wurzeln und Aesten mit sich, sie halten die Feuchtigkeit im Boden fest und sind eine Brutstätte für Insekten und andere kleine Thiere. Die neuere Gesetzgebung erkennt überwiegend das Bedürfniß an, den Nachbar durch das Gebot eines mäßigen Abstandes zu schützen. Im Allgemeinen wird ein Abstand von 0,50 in für Pflanzungen bis zur Höhe von 2 m und ein Abstand von 2 m für höhere Pflanzungen (vgl. Code civil Art. 671 in der Fassung des französischen Gesetzes vom 20. August 1881) ausreichen. Die Nachtheile sind aus­ geschlossen, wenn sich die Pflanzungen hinter einer Mauer oder einer sonstigen dichten Einfriedigung befinden und diese nicht oder nur unerheblich überragen. Der größere Abstand von 2 m soll nicht gefordert werden können zu S. 43. Gunsten von Waldgrundstücken, weil bei diesen Schutz vor Beschattung nicht in Frage kommt und sie den sonstigen Nachtheilen der Nähe von Gewächsen weniger ausgesetzt sind. Man soll ferner mit Wein und Hopfenstöcken nicht weiter als 0,50 m von der Grenze abrücken müssen, wenn in den Lagen, wo sie sich befinden, der Anbau von Wein und Hopfenstöcken nach den örtlichen Verhältnissen üblich ist, weil hier ein Eingriff in die hergebrachte Art der Bebauung des Landes vom bürgerlichen Rechte zu vermeiden ist. Bei Pflanzungen auf freiem Felde erfordert das Bedürfniß der Land­ wirthschaft, die sich immer mehr genöthigt sieht, den Betrieb intensiver zu ge­ stalten, eine weitergehende Beschränkung. Der Ertrag der Fläche, auf die der Schatten fällt, wird dadurch, daß die Abhaltung des Sonnenlichts die Ent­ wickelung der auf ihr stehenden Nutzpflanzen hemmt, wesentlich beeinträchtigt. *) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Ausl. § 143 Note 39 ff.

92

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 43. Die nachtheiligen Wirkungen beschattender Bäume sind nicht nur für den Nachbar, sondern auch für die Volkswirthschaft ungleich größer als der Vortheil, den die unbeschränkte Zulassung des Haltens von Bäumen dem Eigenthümer bietet. Der Entwurf verdoppelt deßhalb den Abstand gegenüber einem der Landwirth­ schaft dienenden Grundstücke, dessen wirlhschaftlicheBestimmung durch Schmälerung des Sonnenlichts erheblich beeinträchtigt wird, für Bäume, die über 2 m hoch sind. Bei Stein- und Kernobstbäumen soll eine Erhöhung des Abstandes nicht eintreten, weil sie die Obstbaumzucht beeinträchtigen würde und mit Rücksicht auf die gewöhnliche Höhe und die sonstige Beschaffenheit dieser Bäume nicht erforderlich ist. Ebenso soll bei Aufforstungen der einfache Abstand genügen, wenn nach der Lage des aufzuforstenden Grundstücks die Aufforstung der wirthschaftlichen Zweckmäßigkeit entspricht. Hier steht dem Interesse des Nachbars am Schutze gegen Beschattung das berechtigte Interesse des Eigenthümers, sein Grundstück zweckentsprechend auszunützen, gegenüber. Für Bäume, die sich in einem Hofraum oder einem Hausgarten befinden, soll es gleichfalls bei der all­ gemeinen Abstandsvorschrift bewenden, auch wenn die Beschattung der landwirthschaftlichen Benutzung eines Nachbargrundstücks nachtheilig ist, weil die weitergehende Beschränkung die bestimmungsmäßige Benutzung dieser Grundstücke beeinträchtigen und einen unbilligen Eingriff in das Recht des Eigenthümers bilden würde. Bei Bäumen, die längs einer öffentlichen Straße oder auf einem öffentlichen Platze gepflanzt werden, erfordern die Bestimmung des Grundstücks und das öffentliche Interesse, dem das Grundstück dient, von der Einhaltung eines bestimmten Abstandes ganz abzusehen fvergl. Hess. Gesetz Art. 7, württemb. Gesetz Art. 12 Abs. 5). Ebenso müssen Pflanzungen, die zum Uferschutze, zum Schutze von Abhängen und Böschungen oder zum Schutze einer Eisenbahn (insbesondere gegen Schneewehen) dienen, von der Abstandsvorschrift aus­ genommen werden (vergl. württemb. Gesetz Art. 26). Für die nach den bisherigen Vorschriften zulässigen Pflanzungen muß durch eine Uebergangsvorschrist der Fortbestand gestattet werden (vergl. Hess. Gesetz Art. 4 Ziff. 1, württemb. Gesetz Art. 29, Züricher Gesetzbuch § 154). Werden die vorhandenen Gewächse durch neue ersetzt, so sind für diese die neuen Vorschriften maßgebend. Bei den bestehenden Waldungen muß aber auch für neue Bäume die Einhaltung des den bisherigen Vorschriften entsprechenden Abstandes genügen; am Waldessaum entstehende Lücken müssen ausgefüllt werden können, damit nicht der Bestand des Waldes gefährdet wird. Tritt eine Ver­ jüngung des Waldes ein, bei der eine ganze Waldfläche neu besetzt wird, so darf nicht die Einhaltung eines Abstandes verlangt werden, der einen beträcht­ lichen Theil des Waldbodens unbenutzbar machen würde und da, wo der übrig bleibende Theil zu schmal werden würde, sogar den Bestand des Waldes ge­ fährden könnte. Der Entwurf schließt sich auch hier dem Württembergischen Gesetze (Art. 19 Abs. 1) an und stimmt mit der für die Staatswaldungen erlassenen Entschließung des Staatsministeriums der Finanzen vom 25. Juli 1896 (Fin.Min.Bl. S. 194) überein. Werden Grundstücke aufgeforstet, die bisher nicht Waldboden gewesen sind, so sind die Vorschriften des Artikel 64 maßgebend.

-r«wende»echt.*) Artikel 68.

In den Landestheilen rechts des Rheins steht in vielen Gegenden ver­ möge örtlichen Gewohnheitsrechts dem Eigenthümer eines Ackergrundstücks das *) Vergl. v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Ausl. § 146 Note 10.

IV. Abth.

Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

93

Recht zu, bei der Bestellung das Nachbargrundstück zu betreten, soweit cs er­ forderlich ist, um das eigene Grundstück bis an die Grenze zu bestellen (Anwende­ recht, Tretrecht, Trepprecht u. s. w.). Diese nachbarrechtliche Befugniß kommt in verschiedenem Umfange vor, indem das Nachbargrundstück bald nur zum Wenden des Gespanns und des Pfluges benutzt, bald auch beim Pflügen und Eggen die Grenze des zu bestellenden Grundstücks entlang betreten werden darf. Auch die Voraussetzungen, unter denen das Betreten des Nachbargrund­ stücks gestattet ist, sind verschieden, insbesondere wird das Anwenderecht in manchen Gegenden nur anerkannt, wenn der Eigenthümer sich bei der Be­ stellung seines Grundstücks nicht durch Ziehen von Querfurchen an der Grenze helfen kann. In den Statutarrechten ist das Anwenderecht nicht ausgebildet. Die neuere Gesetzgebung ist dieser nachbarrechtlichen Beschränkung nicht günstig. Das Preußische Landrecht, das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch, das österreichische Bürgerliche Gesetzbuch, der Code civil und das italienische Bürgerliche Gesetzbuch kennen sie nicht, auch der bayerische Entwurf wollte sie übergehen (Motive S. 65). Das Württembergische Gesetz über Feldwege, Treppund Ueberfahrtsrechte vom 26. März 1862 hat das Recht, beim Pflügen längs des zu bestellenden Grundstücks das Nochbargrundstück zu betreten oder den Pflug auf ihm gehen zu lassen (Rädlesrecht), gegenüber Wiesen und angebauten Grundstücken aufgehoben und das Anwenderecht im engeren Sinne dahin be­ schränkt, daß der Pflug nicht auf dem fremden Grundstück angesetzt werden darf (Art. 38, 39). Bei der Ausübung des Rechtes müssen die angepflanzten oder zum Anpflanzen zugerichteten Grundstücke möglichst geschont werden (Art. 41 Abs. 1). Gegenseitige Anwenderechte können von jedem Betheiligten ohne Entschädigung aufgehoben, einseitige Anwenderechte können abgelöst werden (Art. 36, 37). Das Züricher Gesetzbuch § 143 bestimmt den Inhalt des Anwenderechts dahin, daß auf das Nachbargrundstück 3,50 m weil hinausgefahren werden darf, und schließt die Ausübung des Rechtes gegenüber bepflanzten Grundstücken aus. Im Jahre 1865 haben die beiden Kammern des Landtags die Bitte um Vorlegung eines Gesetzentwurfes über die Regelung der Trepprechte gestellt. Im § 34 des Landtagsabschieds vom 10. Juli 1865 (G Bl. S. 128) ist Er­ wägung der Frage zugesichert worden, zur Vorlegung eines Gesetzentwurfes ist es aber nicht gekommen. Das Anwenderecht ist eine nachbarrechtliche Duldungspflicht, die den Eigenthümer in der Benutzung seines Grundstücks in erheblichem Maße be­ schränkt und den Werth des Grundstücks mindert. Die Last wird um so drückender, je mehr die Zeitverhältnisse zu intensivem Bettiebe nöthigen, dem das Anwenderecht hindernd entgegensteht. Es kann deßhalb nicht daran ge­ dacht werden, das Recht da einzuführen, wo es nicht besteht. Andererseits würde die Abschaffung in den Gegenden, in welchen es noch besteht, mit dem Rechtsbcwußtsein der Bevölkerung in Widerspruch treten und in die hergebrachte Wirthschaftsweise eingreifen. Es ist deßhalb geboten, die Anwenderechte da, wo sie bestehen, in dem durch das örtliche Herkommen bestimmten Umfang aufrechtzuerhalten und die allmähliche Beseitigung dem Fortschreiten der Flur­ bereinigung zu überlassen, die sie in der Regel entbehrlich macht. Dagegen empfiehlt es sich, die Ausübung des Anwenderechts gegenüber einem bestellten Grundstücke nach dem Vorbilde des § 143 des Züricher Gesetzbuchs und des Artikel 41 Abs. 1 des Württembergischen Gesetzes auszuschließen. Der Berechtigte soll gegenüber einem Grundstücke, das einer landwirthschaftlichen Bestellung unterliegt, mit seinen Bestellungsarbeiten auf die Bewirthschaftungsweise des

S. 43.

S. 44.

94

IV. Abth. Ausführungsgesctz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 44. Eigenthümers Rücksicht nehmen müssen, er soll mit seinen Bestellungsarbeiten nicht säumen, bis der Eigenthümer das Nachbargrundstück bestellt hat, und seine Bestellungsarbeiten nicht schon vornehmen, bevor der Eigenthümer das Nachbargrundstück abgeerntet hat. Sonstige LorsAeisten des landwirtHschaftliKrn ktachbarrechts.

Die vereinzelte Bestimmung des Schweinfurter Stadtrechts, wonach beim Stürzen des Bodens die letzte Zeile unter gewissen Umständen für kurze Zeit auf den Nachbargrund gelegt werden darf (Feldordnung Titel von den Wein­ gärten Art. 9 Abs. 2), hat ein so geringes Anwendungsgebiet und so geringe Bedeutung, daß die Uebernahme dieser Einzelheit in das neue Recht sich nicht empfiehlt. Für den Abstand der Vertiefungen und Erhöhungen des Bodens von der Grenze genügen auch zum Schutze der landwirthschaftlichen Grundstücke die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die vereinzelte Bestimmung des Schweinfurter Rechtes über die Be­ nutzung nur je einer der gemeinschaftlichen Weinbergsanwandungen eignet sich nicht zur Aufnahme. Bei dem fast vollkommenen Mangel an Vorschriften über Verzäunungen m der Feldflur und dem Fehlen von Klagen über diesen Mangel wird ein Bedürfniß nach solchen Bestimmungen nicht anerkannt werden können. Leezicht und Lerjätzrung.

Artikel 69 bis 71. Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann auf nachbar­ rechtliche Befugnisse mit Wirkung gegenüber jedem späteren Eigenthümer des Grundstücks, zu dessen Gunsten die Befugniß gegeben ist, nur durch Bestellung einer entsprechenden Grunddienstbarkeit Verzichter werden. Zur Eingehung der persönlichen Verpflichtung, von der Befugniß keinen Gebrauch zu machen, ge­ nügt Vertrag zwischen den Betheiligten. Soweit der Landesgesetzgebung Vor­ behalten ist, nachbarrechtliche Beschränkungen aufzustellen, kann sie auch über das Erlöschen der dem Nachbar gewährten Rechte Bestimmungen treffen. Bei den in den Artikeln 54 bis 58, im Artikel 60 Abs. 1 und in den Artikeln 63 bis 67 bestimmten Beschränkungen wird es wegen der Bedeutung, die sie für den jeweiligen Eigenthümer des Grundstücks haben, dem sie zum Vortheile gereichen, den Vorzug verdienen, von dem Erlöschen durch Verzicht abzusehen. Dagegen muß formloser Verzicht, zu dem Erklärung gegenüber dem anderen Theile genügt, bei den im Artikel 60 Abs. 2, im Artikel 61 und im Artikel 62 Abs. 2 bestimmten Verbietungsrechten zugelassen werden, weil diese Rechte hauptsächlich den Zweck haben, den Ersatz eines Theiles der Baukosten oder eine sonstige Vergütung für die auf die Bauführung gemachten Aufwendungen herbeizuführen. Auch bei dem Anwenderechte (Art. 68) wird der Verzicht zu­ zulassen sein. Es ist nicht wünschenswerth, daß entbehrlich gewordene Anwende­ rechte fortbestehen, und der Verzicht des Berechtigten zeigt, daß das Recht entbehrlich geworden ist. Die nachbarrechtlichen Vorschriften bezwecken die Regelung eines dauernden Verhältnisses zwischen den Eigenthümern der benachbarten Grundstücke. Das Bürgerliche Gesetzbuch § 924 erklärt deßhalb die Ansprüche auf Herstellung des seinen nachbarrechtlichen Vorschriften entsprechenden Zustandes für unverjährbar. Derselbe Grund spricht für die Unverjährbarkeit der sich aus den Artikeln 54

IV. Abth. Ausführungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

95

bis 58 und dem Artikel 60 Abs. 1 ergebenden Ansprüche. Dagegen ist es S. 44. bedenklich, auch den Anspruch auf Beseitigung oder Zurücksetzung von Pflanz­ ungen, die den vorgeschriebenen Abstand von der Grenze des Nachbargrundstücks nicht einhalten, der Verjährung zu entziehen. Die Nachtheile, die sich für ein Grundstück aus der Nähe fremder Pflanzungen ergeben, sind in den einzelnen Fällen sehr verschieden, eine Pflanzung, die den vorgeschriebenen Abstand nicht vollständig einhält, bringt oft nur so geringen Nachtheil, daß der Eigenthümer wenig Interesse daran hat, von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Hat er die Pflanzung geraume Zeit geduldet, so darf angenommen werden, daß ihr Bestand seinem Grundstücke keinen wesentlichen Nachtheil zufügt. Andererseils wird der Zwang, eine Pflanzung zu beseitigen, für den Eigenthümer des Grund­ stücks, auf dem sie sich befindet, um so mißlicher, je länger sie besteht. Der Schaden, den die Beseitigung eines älteren Baumes ihm verursacht, würde oft größer sein als der Vortheil, der sich für das Nachbargrundstück ergeben würde. Wird das Nachbargrundstück veräußert, so wird es für den Erwerber nicht schwer sein, aus der Beschaffenheit der Pflanzung zu erkennen, ob die Ver­ jährung schon vollendet ist. Der Grund, der gegen die Zulassung des Ver­ zichts spricht, trifft die Verjährung nicht. Die Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung des die Abstandsvorschriften verletzenden Zustandes bietet den weiteren Vortheil, daß sie die mit dem Ablaufe der Zeit immer schwieriger werdende Feststellung, ob eine bestehende Pflanzung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs stammt oder erst später entstanden ist, entbehrlich macht, sobald feststeht, daß im letzteren Falle die Verjährungs­ frist abgelaufen sein würde. Der Entwurf folgt deßhalb dem Württembergischen Gesetze (Art. 27) und dem Züricher Gesetzbuche (§ 153), indem er eine fünf­ jährige Verjährungsfrist bestimmt. Die Verjährung hat nur die Bedeutung, daß die Beseitigung oder Zurücksetzung der bestehenden Pflanzung verweigert werden darf, sie begründet nicht eine dauernde Belastung des Inhalts, daß eine Pflanzung von der Art derjenigen, die während der Verjährungsfrist bestanden hat, an der Stelle, wo diese bestanden hat, gehalten werden darf. Wird die Pflanzung durch eine neue ersetzt, so kann der Nachbar von seinem Rechte vollen Gebrauch machen. Anwenderechte, für die kein Bedürfniß mehr besteht, sollen nicht auftecht erhalten werden. Der Entwurf läßt || sie deßhalb erlöschen, wenn sie fünf S. 45. Jahre nicht mehr ausgeübt worden sind. Auf die Berechnung der fünfjährigen Frist sollen die Vorschriften über die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung in demselben Umfang Anwendung finden, in dem sie nach den §§ 939, 941 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die Ersitzungsfrist und für die in den §§ 900, 927 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten Fristen gelten. Besonderer Sg«H für OöstKäume.

Von dem Vorbehalte, durch den das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch im Artikel 122 landesgesetzliche Vorschriften zu Gunsten von Obstbaum­ pflanzungen zuläßt, macht der Entwurf keinen Gebrauch. Von den Vorschriften des in Bayern geltenden Rechtes kommt nur die des gemeinen Rechtes über die Verpflichtung zur Duldung herüberragender Zweige, die sich mindestens fünfzehn Fuß über dem Grundstücke befinden, in Betracht. Das Bayerische Landrecht, das Preußische Landrecht und der Code civil haben sie nicht aus­ genommen.*) Einem Mißbrauche des Rechtes, herüberragende Wurzeln und *) Bergt, hierzu v. Roth-Becher, bayr. Civ.-R. Theil II 2. Ausl. § 146 Note 4.

96

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

6. 45. Zweige zu beseitigen, ist schon dadurch vorgebeugt, daß § 910 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Beseitigung ausschließt, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Nachbargrundstücks nicht beeinträchtigen. Slofflweg.*)

Dem Vorbehalte des Artikel 123 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch**) entsprechende Vorschriften sind dem in Bayern geltenden Rechte fremd. Ein Bedürfniß, das Recht des Nothwegs zu erweitern, ist nicht hervor­ getreten. €ifen6afln*, Dampfschiffahrts- und ähnliche LerkehrsunterneAmnugen.

Artikel 72. Die Vorschrift beruht auf dem Vorbehalte des Artikel 125 des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch***) und entspricht der Württembergischen Bauordnung vom 6. Oktober 1872 Artikel 65 Abs. 4 und dem bayerischen Entwurf Artikel 193 Abs. 2. Ein Recht, die Einstellung des Betriebs eines obrigkeitlich genehmigten Eisenbahn- oder Dampfschiffahrtsunternehmens (Art. 8 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes vom 30. Januar 1868, das Gewerbswesen betr.) wegen der über das Maß der allgemeinen Duldungspflicht (§ 906 des B. GB.) hinausgehenden Einwirkung auf ein Nachbargrundstück zu verlangen, ist schon bisher nicht anerkannt worden (vergl. die Erkenntnisse des vormaligen OAG. vom 15. Februar 1866 und vom 5. April 1871, Bl. f. Rechtsavwendung XXI S. 123, XXXVI S. 392).

Form der Auflassung, f)

Artikel 73. Die Vorschrift beruht auf dem Vorbehalte des Artikel 143 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch-ff) und trägt dem geltenden Rechtszustande vergl. Notariatsgesetz vom 10. November 1861 Artikel 14, 18; Gesetz vom 23. Februar 1879 zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung Artikel 219 Abs. 1 Rechnung. Die Zuständigkeit des Grundbuchamts kann von der Landesgesetzgebung nicht ausgeschlossen werden. Die Landesgesetzgebung ist aber nach Artikel 141 *) Vergl. v. Roth-Becher, bahr. Civ.-R. Theil II 2. Stuft § 146 Note 13 ff.

**) Er lautet: „Unberührt bleiben die landesgcfetzlichen Vorschriften, welche das Recht des Nothwegs zum Zwecke der Verbindung eines Grundstücks mit einer Wafferstraße oder einer Eisenbahn gewähren." ***) Dieser bestimmt: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Vorschrift des § 26 der Gewerbeordnung aus Eisenbahn-, Dampfschiffahrts- und ähnliche Verkehrsunternehmungen erstrecken." f) Vergl. hierzu v. Roth-Becher, bahr. Civ.-R. Theil II 2. Stuft. § 162 a. ff) Er lautet: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche in An­ sehung der in dem Gebiete des Bundesstaats liegenden Grundstücke bestimmen, daß die Einigung der Parteien in den Fällen der §§ 925, 1015 des Bürgerlichen Gesetzbuchs außer vor dem Grundbnchamt auch vor Gericht, vor einem Notar, vor einer anderen Behörde oder vor einem anderen Beamten erklärt werden kann."

IV. Ablh.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

97

des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche befugt, zu bestimmen, daß die Beurkundung des Vertrags, durch den der eine Theil sich verpflichtet, das Eigenthum an einem Grundstücke zu übertragen (§-313 Satz 1 des B. GB.), nur die Notare zuständig sind. Nach § 98 der Grundbuchordnung kann durch Landesgesctz ferner bestimmt werden, daß das Grundbuchamt die Erklärung der Auflassung nur entgegennehmen soll, wenn die nach § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erforderliche Urkunde vorgelegt wird. Es ist in Aussicht genommen, in den Vorschriften, durch welche an den seit 1818 erlassenen Gesetzen die erforderlichen Aenderungen vorgenommen werden, von dem Vorbehalte des Artikel 141 und in den Vorschriften zur Ausführung der Grundbuchordnung und des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung von dem Vorbehalte des § 98 Gebrauch zu machen und so den bisherigen Rechts­ zustand in Ansehung der Zuständigkeit der Notare für die Beurkundung der das Eigenthum an Grundstücken betreffenden Rechtsgeschäfte wenigstens im Ergebnisse zu wahren.

Die für die Uebertragung des Eigenthums an Grundstücken getroffene Bestimmung gilt auch für die Uebertragung des Erbbaurechts (§ 1017 Abs. 2 des B. GB.) und der durch Landesgesetz den Grundstücken gleichgestellten Rechte, des Bergwerkseigenthums und der unbeweglichen Kuxe des älteren Rechtes (Art. 41 Abs. 1, Art. 228 Abs. 2 des Berggesetzes vom 20. März 1869), des Fischereirechts, der Realgewerbeberechtigungen und des im Artikel 19 Abs. 2 des Entwurfes eines Gesetzes über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz (Verh. der Kamm, der Abg. 1898, Beil. Nr. 1054) bezeichneten Rechtes an einzelnen Räumen eines fremden Gebäudes. Artikel 74.

Die Vorschrift des Entwurfes beruht auf dem Vorbehalte des Artikel 143 Abs. 2 des Emführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche, der die Landesgesetzgebung ermächtigt, zu bestimmen, daß es bei der Auflassung eines Grund­ stücks der gleichzeitigen Anwesenheit beider Theile nicht bedarf, wenn das Grundstück versteigert worden ist und die Auflassung noch in dem Versteigerungs­ termine stattfindet. Der Vorbehalt ist hauptsächlich mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Gegenden mit stark zersplittertem Grund­ besitz ausgenommen worden, in denen insbesondere bei Erbtheilungen häufig eine große Anzahl kleiner Grundstücke in einem Termine zur Versteigerung gebracht wird. Die strenge Beobachtung des für die AuflassunA im § 925 des Bürgerlichen Gesetzbuchs aufgestellten Erfordernisses der gleichzeitigen Anwesenheit beider Theile führt bei diesen Versteigerungen zu Unzuträglichkeiten, weil der Versteigerer sich die Entscheidung bis zur Beendigung der ganzen Versteigerung vorzubehalten pflegt, die Ersteher der einzelnen Grundstücke aber sich entfernen, sobald festgestellt ist, daß sie die Meistbietenden sind. Die preußische Gesetz­ gebung hat sich deßhalb genöthigt gesehen, durch § 5a III des Gesetzes vom 14. Juli 1893, betreffend die Abänderung und Ergänzung des Gesetzes vom 12. April 1888 über das Grundbuchwesen u. s. w. im Geltungsbereiche des Rheinischen Rechtes, für die Rheinprovinz eine dem Artikel 143 Abs. 2 des Einführungsgesetzes entsprechende Vorschrift zu treffen. Die Verhältnisse liegen in einigen Theilen Bayerns, insbesondere in Unterfranken und in der Pfalz, ähnlich wie in der preußischen Rheinprovinz.

S 45.

98 S. 46.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Uebertragung des Eigenthums, Begründung und Aufhebung von Dienstbarkeiten an buchungsfreien Grundstücken. Artikel 75, 76.

Nach § 90 der Grundbuchordnung kann durch landesherrliche Verordnung bestimmt werden, daß die Grundstücke des Landesherrn und der landesherrlichen Familie, des Fiskus oder gewisser juristischer Personen, die öffentlichen Wege und Gewässer sowie die Grundstücke, welche einem dem öffentlichen Verkehre dienenden Bahnunternehmen gewidmet sind, nur auf Antrag ein Grundbuchblatt erhalten. Mit dieser Vorschrift stehen die Vorbehalte der Artikel 127, 128 des Einsührungsgesctzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Zusammenhang. Nach Artikel 127 bleiben unberührt die landesgesetzlichen Vorschriften über die Ueber­ tragung des Eigenthums an einem Grundstücke, das im Grundbuch nicht ein­ getragen ist und nach den Vorschriften der Grundbuchordnung auch nach der Uebertragung nicht eingetragen zu werden braucht; der Artikel 128 macht denselben Vorbehalt für die Begründung und Aufhebung einer Dienstbarkeit an einem von der Buchungspflicht befreiten Grundstücke. Da beabsichtigt ist, von der im § 90 der Grundbuchordnung ausgesprochenen Ermächtigung Gebrauch zu machen (vergl. Art. 2 des Entwurfes eines Gesetzes, betr. die Vorbereitung der Anlegung des Grundbuchs in den Landestheilen rechts des Rheins, und Begründung hiezu, Verh. der Kamm, der Abg. 1898, Beil. Nr. 911), so trifft der Entwurf den Vorbehalten der Artikel 127, 128 entsprechende Vorschriften. Bei der Uebertragung des Eigenthums soll nicht nur von der Eintragung des Eigenthumsüberganges tn das Grundbuch, sondern auch von dem Erforderniß einer Beurkundung des dinglichen Vertrags bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Theile (§ 925 Abs. 1 des B. GB.) abgesehen werden. Der Artikel 75 begnügt sich mit der Einigung des Veräußerers und des Erwerbers und öffentlicher Beurkundung der Erklärungen des einen und des anderen Theiles; die Er­ klärungen können auch getrennt abgegeben werden. Sofern der in der vor­ geschriebenen Form abgegebenen schriftlichen Erklärung des Veräußerers oder des Erwerbers die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde zukommt, genügt felbstverständlich diese Erklärung; andernfalls ist notarielle Beurkundung erforderlich. Es kann also z. B. das Eigenthum an einem öffentlichen Wege dadurch von dem Staate auf eine Gemeinde übertragen werden, daß von der zuständigen Staatsbehörde die Uebertragung und von der Gemeindeverwaltung die Annahme in amtlichen Schreiben erklärt wird. Der Abs. 2 des Artikel 75 folgt, indem er die Uebertragung des Eigen­ thums unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung ausschließt, dem § 925 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Eine bedingte oder befristete Eigenthumsübertragung würde, wenn es später zur Eintragung des Grundstücks kommt, zu Schwierigkeiten führen. In dem Verhältnisse der Personen, für welche die Vorschrift des Artikel 75 gilt, zu einander wird sich nicht leicht das Bedürfniß einer bedingten oder befristeten Eigenthumsübertragung ergeben. Sollte es unter besonderen Umständen für nothwendig erachtet werden, eine dingliche Gebundenheit herbeizuführen, so mag die Eintragung des Grundstücks und einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Auflassung (§ 883 des B. GB.) beantragt werden. In ähnlicher Weise, wie der Artikel 75 die Uebertragung des Eigenthums ordnet, bestimmt der Artikel 76 die Erfordernisse der Begründung und der rechtsgeschäftlichen Aufhebung von Dienstbarkeiten. Bei der Begründung einer Dienstbarkeit soll nur die Erklärung des Bestellers der öffentlichen Beurkundung

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

99

bedürfen (vergl. § 873 Abs. 2 des B. GB.), zur Aufhebung soll nach dem Vorbilde des § 875 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die einseitige Erkürung des Berechtigten genügen. Die Gründe, welche bei eingetragenen Dienstbarkeiten gegen das Erlöschen durch fortgesetzte Unterlassung der Ausübung sprechen, treffen bei den nicht eingetragenen Dienstbarkeiten an buchungsfreien Grundstücken nicht zu. Es ist zweckmäßig, daß solche Rechte erlöschen, wenn sie thatsächlich bedeutungslos geworden sind. Aus diesem Grunde beläßt es der Artikel 189 Abs. 2 des Emführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche für die Aufhebung der nicht eingetragenen Dienstbarkeiten an den im Grundbuch eingetragenen Grundstücken bei den bisherigen Vorschriften. Die Dauer der Erlöschungsfrist wird vom Entwurf im Anschluß an das gemeine Recht auf zehn Jahre bestimmt. Wegen der Hemmung und der Unterbrechung des Laufes der Erlöschungsfrist soll das Gleiche gelten wie bei der im Artikel 71 für das Anwenderecht bestimmten Erlöschungsfrist.

Ausschließung von Dienstbarkeiten und Reallasten. Artikel 77.

Rach Artikel 115 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, welche die Belastung eines Grundstücks mit gewissen Grunddienstbarkeiten oder beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten oder mit Reallasten untersagen. Im rechtsrheinischen Bayern ist durch neuere Gesetze die Begründung gewisser Dienstbarkeiten und Reallasten ausgeschloffen. Die Naturalfrohnden, das Mortuarium, der Handlohn und der Zehent sind durch Artikel 2 Abs. 1, Artikel 3, 4, 8 des Ablösungsgesetzes vom 4. Juni 1848 theils ohne Ent­ schädigung aufgehoben theils fixirt und der Ablösung unterworfen worden. In der unentgeltlichen Aufhebung und in dem allgemeinen Gebote der Fixirung ist das Verbot der Neubegründung enthalten. Nach Artikel 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 30. März 1850, die Ausübung der Jagd betreffend, darf die Jagdgerechtigkeit nicht als Grundgerechtigkeit bestellt werden. Der Artikel 34 des Forstgesetzes vom 28. März 1852 verbietet die Begründung von Forst­ berechtigungen. Nach den Artikeln 34, 45 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über die Ausübung und Ablösung des Weiderechts auf fremdem Grund und Boden darf der Eigenthümer eines Grundstücks ein Weiderecht weder als Dienst­ barkeit bestellen noch bei Veräußerung von Grundstücken Vorbehalten und sind auch gegenseitige Weidedienstbarkeiten ausgeschlossen. In der Pfalz ist die Belastung eines Grundstücks mit Reallasten nicht zulässig. Schon Artikel 6 des Gesetzes vom 4. August 1789 portant abolition du regime feodal 2C. und Artikel 1 des Dekrets vom 18./29. Dezember 1790 relatif au rachat des rentes foncieres haben, die Begründung von Reallasten verboten und die Artikel 529, 530 des Code civil haben sich dieses Verbot angeeignet, indem sie jeder Rente die dingliche Eigenschaft absprechen und dauernde Renten für ablösbar erklären. Die volkswirthschaftlichen Gründe, welche dazu geführt haben, im rechts­ rheinischen Bayern gewisse Dienstbarkeiten und Reallasten auszuschließen, treffen auch jetzt noch zu. Der Entwurf will deßhalb die Rechtseinheit dadurch Herstellen, daß er die in den Landestheilen rechts des Rheins geltenden Vor­ schriften auf die Pfalz erstreckt.

S. 46.

100

S. 47.

!V. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Die Bestellung von Reallasten wird in der Pfalz insbesondere für die Sicherstellung des mit der Ueberlassung eines Grundstücks in Verbindung stehenden Leibgedinges (Art. 34 des Entw.) Bedeutung gewinnen. Vorschriften, welche den Inhalt und das Maß gewisser Dienstbarkeiten und Reallasten näher bestimmen, erachtet der Entwurf nicht für erforderlich. Die bestehenden Rechte behalten nach Artikel 184 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ihren bisherigen Inhalt. Mmtliche Ermittelung des Wertßes von Grundstücken.

Artikel 78.

In den Landestheilen rechts des Rheins besteht in der Hypothekenschätzung eine Einrichtung, welche dem Eigenthümer eines Grundstücks die Benutzung des Realkredits durch amtliche Feststellung des Werthes des Grundstücks zu er­ leichtern bezweckt. Nach § 132 des Hypothekengesetzes ist der Werth des Grundstücks regelmäßig durch eine von beeidigten Sachverständigen unter gerichtlicher Leitung vorzunehmende Schätzung festzustellen. In der V. Beilage der Instruktion vom 13. März 1823 zum Hypothekengesetz ist eine Instruktion für die Schätzungen und die Schätzmänner in Hypothekensachen (R.Bl.S. 802) erlassen. In der Pfalz ist diese Einrichtung unbekannt. Die durch die französische Gesetzgebung (Gesetz vom 3. frimaire VII Titel II) geschaffenen Steuervertheller werden bei der Ausleihung von Kapitalien der Gemeinden und Stiftungen zur Schätzung der zu beleihenden Grundstücke benutzt (vergl. Ausschreiben der Regierung der Pfalz vom 12. August 1869, Amtsbl. S. 1829), ohne daß jedoch die Verwendung anderer Sachverständigen ausgeschlossen ist. Die amtliche Ermittelung des dauernden Werthes der zur Hypothek zu stellenden Grundstücke durch beeidigte Schätzer wird in den Landestheilen rechts des Rheins viel benutzt und muß im Interesse des Grundkredits beibehalten werden. In diesem Sinne hat sich auch das Generalcomite des Landwirthschaftlichen Vereins einstimmig ausgesprochen. Der Artikel 78 gibt deßhalb dem Eigenthümer eines Grundstücks das Recht, die amtliche Schätzung des Grundstücks mit Rücksicht auf die Sicherheit von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden zu verlangen. Die amtliche Werthsermittelung ist nach dem geltenden Rechte eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit und behält diese Eigenschaft nach dem Entwürfe. Die Mitwirkung bei ähnlichen Werthsfeststellungen obliegt nach § 164 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts­ barkeit in einer Reihe von Fällen den Amtsgerichten. Zur Vernehmung der Sachverständigen müssen auch die Notare zuständig sein, zu deren Wirkungs­ kreise dieses Geschäft auch nach dem geltenden Rechte gehört. Der Notar wird insbesondere dann angegangen werden, wenn die Schätzung durch eine Hypothekbestellung veranlaßt wird, mit deren Beurkundung er betraut ist. Die amtliche Vernehmung der Schätzer ist für die Verlässigkeit der Schätzung und wegen der Haftung der Schätzer (Art. 79) auch für diese selbst von großer Bedeutung. Das Gericht oder der Notar hat sich nicht auf die Entgegennahme und Beurkundung der Erklärungen der Schätzer zu beschränken, sondern darauf hinzuwirken, daß die für den Werth des Grundstücks wesentlichen Umstände gehörig berücksichtigt und die für die Schätzung maßgebenden Gründe ange­ geben werden (Ziff. 19, 21 der Instruktion vom 13. März 1823). Die Vorschrift des Abs. 2 beruht auf den gleichen Erwägungen wie die des Artikel 91 Abs. 2.

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

101

Die Vorschriften des Artikel 78 sollen auch für die Pfalz gelten. Durch die Vorschriften über die amtliche Werthsfeststellung werden selbst­ verständlich Privatschätzungen nicht ausgeschlossen. Diese können sowohl von dem Eigenthümer als von dem Darleiher bestellt und auch von den für amtliche Schätzungen ernannten und beeidigten Sachverständigen übernommen werden. Zur Aufnahme in das Grundbuch eignet sich aber nur eine unter amtlicher Leitung zu Stande gekommene Schätzung.

S 47.

Artikel 79. Mit der amtlichen Ermittelung des Werthes von Grundstücken für Zwecke des Realkredits steht die Verantwortlichkeit der dazu bestellten Schätzer gegen­ über den Gläubigern in engem Zusammenhänge. Nach § 10 der Instruktion für die Schätzungen in Hypothekensachen sind die Schätzer für die Richtigkeit der Schätzungen dem Gläubiger verantwortlich; sie hasten für den ihm aus einer übertriebenen Schätzung entstehenden Schaden. Wie das Urtheil des Obersten Landesgerichts vom 17. Oktober 1894 (Sammi. XV S. 368) ausführt, besteht die Haftung der Hypothekenschätzer gegenüber jedem Gläubiger, der durch die unrichtige Schätzung geschädigt worden ist. Das Maß der von den Schätzern zu vertretenden Sorgfalt richtet sich nach dem örtlichen bürgerlichen Rechte. Für das Gebiet des gemeinen Rechtes nimmt die Rechtsprechung (Samml. d. Entsch. d. O. GH. und des O. LG. IV S. 654, V S. 872, XI S. 730, XV S. 368) an, daß die Hypothekenschätzer nur für grobes Verschulden haften; im Gebiete des preußischen Landrechts haben sie nach LR. I 5 §§ 281, 289 jedes Versehen zu vertreten (Samml. XII S. 6). Die Schätzer haften nur subsidiär. Die Vorausklagung des Schuldners ist nach der Rechtsprechung (Bl. f. Rechtsanwendung XXXII S. 336, XXXV S. 265) entbehrlich, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält keine besonderen Bestimmungen über die Haftung von Sachverständigen und Schätzern oder von öffentlich angestellten Sachverständigen und Schätzern wegen Verletzung ihrer Berufspflichten (Motive II S. 827). Die Sachverständigen und Schätzer haften daher nur, soweit ihnen eine unerlaubte Handlung (vergl z. B. § 163 StGB.) zur Last fällt oder sie ihren vertragsmäßigen Pflichten gegenüber demjenigen nicht genügen, von dem ihre Dienste in Anspruch genommen werden. Kommt den Sachverständigen oder Schätzern die Eigenschaft von Beamten zu, so bestimmt sich die Haftung nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Artikel 79 des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche hält aber die landesgesetzlichen Vorschriften auftecht, nach welchen die zur amtlichen Feststellung des Werthes von Grund­ stücken bestellten Sachverständigen für den aus einer Verletzung ihrer Berufs­ pflicht entstandenen Schaden in weiterem Umfang als nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche haften. Der Entwurf macht in Uebereinstimmung mit dem Gutachten des General­ comites des Landwirthschaftlichen Vereins von diesem Vorbehalte Gebrauch. Es würde nicht genügen, die Schätzer für Pflichtwidrigkeiten nur dem Eigen­ thümer und etwa dem zunächst beiheiligten Gläubiger haftbar zu || machen. Denn der Eigenthümer wird häufig die Schätzung veranlassen, ohne zu wissen, von wem er das Darlehen erhalten wird. Haftet der Schätzer nur dem Gläubiger, zu dessen Gunsten die Schätzung verlangt worden ist, so wird die Schätzung häufig wiederholt werden müssen, und der Eigenthümer wird mit unnützen Schätzungskosten belastet. Den Schätzern wird durch die erweiterte

S. 48.

102

S. 48

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

Haftung nicht zu nahe getreten, weil es für ihre Aufgabe gleichgiltig ist, um welches Darlehen es sich handelt und für welchen Gläubiger sie die Schätzung vornehmen. Im Einklänge mit dem Preußischen Landrecht ist dem Schätzer die Haftung für jedes Versehen auferlegt. Die gemeinrechtliche Beschränkung der Haftung auf grobes Verschulden läßt sich nur geschichtlich erklären und kann neben den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Haftung aus dem Dienst- und dem Werkvertrag und über die Haftung des Beamten nicht aufrecht erhalten werden. Die Haftung des Schätzers soll wie im geltenden Rechte nur eine subsidiäre sein. Die Ausgestaltung der Subsidiarität lehnt sich an die für die Haftung des Beamten geltende Vorschrift des § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs an. Wie in der Begründung zu Artikel 78 erwähnt ist, werden durch die Vorschriften über die amtliche Werthsfeststellung Privatschätzungen mcht aus­ geschlossen. Bei der Uebernahme von Privatschätzungen treten die Sach­ verständigen aber nur zu demjenigen in ein Verpllichtungsverhältniß, der die Schätzung bestellt, sie haften im Falle eines Verschuldens, abgesehen von den Vorschriften über unerlaubte Handlungen, nur dem anderen Vertragschließenden, nicht den bei dem Vertrag unbetheiligten künftigen Gläubigern.

Recht der Gemeinden und Stiftungen auf Sicherungshypothek gegenüber ihre« Verwaltern. Artikel 80.

Nach § 12 Nr. 2 des Hypothekengesetzes haben die Gemeinden und Stiftungen wegen aller aus der Verwaltung ihres Vermögens entstehenden Forderungen gegen ihre Verwalter und deren Bürgen einen gesetzlichen Hypotheken­ titel auf die Liegenschaften ihrer Schuldner. Die Hypothek kann auch als Sicherungshypothek für die künftig möglicher Weise entstehenden Forderungen verlangt werden. Der Hypothekentitel fällt weg, wenn mit Einwilligung der Gemeinde- oder Stiftungsvertretung in anderer Weise genügende Sicherheit geleistet wird. In ähnlicher Weise schützt das pfälzische Recht die Gemeinden und Stiftungen, indem der Artikel 2121 des Code civil die Gemeinden und öffentlichen Anstalten für ihre Ansprüche aus der Amtsführung ihrer rechnungs­ pflichtigen Einnehmer und Verwalter mit einer gesetzlichen Hypothek an deren Vermögen ausstattet (vergl. Gesetz vom 5. September 1807 über die droits du tresor Public sur les biens des comptables, Dekret über die Anwendung des Code civil vom 12. November 1809 Art. 95—104). Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt weder ein gesetzliches Pfandrecht an Grundstücken noch gesetzliche Hypothekentitel, der Artikel 91 des Einführungs­ gesetzes ermöglicht es aber, daß die Landesgesetzgebung für die bezeichneten Hypothekentitel Ersatz schafft. Nach dem Artikel 91 bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach welchen der Fiskus, eine Körperschaft, Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechtes oder eine unter der Verwaltung einer öffentlichen Behörde stehende Stiftung berechtigt ist, zur Sicherung gewisser Forderungen die Eintragung einer Hypothek an Grundstücken des Schuldners zu verlangen, und nach welchen die Eintragung der Hypothek auf Ersuchen einer bestimmten Behörde zu erfolgen hat. Die Hypothek kann nur als Sicherungshypothek eingetragen werden; sie entsteht mit der Eintragung. Das Grundbuchamt hat die Eintragung nach § 39 der Grundbuchordnung auf das Ersuchen der zuständigen Behörde ohne Weiteres zu vollziehen.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

103

Von dem Vorbehalte macht der Entwurf Gebrauch. Zugleich stellt er S. 48. die Rechtseinheit zwischen den Landestheilen rechts und links des Rheins her. Das Ersuchen um Eintragung der Sicherungshypothek ist ein Mittel, um auf möglichst einfachem Wege die dem Verwalter obliegende Sicherheits­ leistung zu beschaffen. Das gleiche Mittel ist im § 54 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Vormundschaftsgerichte zur Beschaffung einer von dem Vormunde nach § 1844 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu leistenden Sicherheit gewährt. Ob und in welchem Umfange der Verwalter Sicherheit zu leisten hat, wie das Maß der zu leistenden Sicherheit bestimmt wird, unter welchen Umständen die geleistete Sicherheit zu erhöhen ist und wer für die Ausführung der über die Sicherheitsleistung getroffenen Bestimmungen zu sorgen hat, ist durch die Vorschriften des öffent­ lichen Rechtes bestimmt, an denen nichts geändert wird (vergl. für die Ver­ walter des Gemeinde- und des örtlichen Stiftungsvermögens Art. 87 Abs. 4, Art. 134 Abs. 4 der Gemeindeordnung für die Landestheile rechts des Rheins, Art. 67 Abs. 4 der Gemeindeordnung für die Pfalz; für die Verwalter eines Ortschaftsvermögens Art. 153 Abs. 5, 8 der Gemeindeordnung für die Landes­ theile rechts des Rheins, Art. 85 Abs. 1 der Gemeindeordnung für die Pfalz; für die Verwalter des Vermögens der örtlichen Armenpflege Art. 33 Abs. 2 des Gesetzes, die öffentliche Armen- und Krankenpflege betreffend; für die Kirchenpfleger Zrff. 135 der Vollzugsvorschriften zu dem revidirten Gemeinde­ edikte vom 31. Oktober 1837; für die Distriktskassiere Art. 20 Abs. 2 des Gesetzes, die Distriktsräthe betreffend). Das Ersuchen muß den Vorschriften der §§ 1113, 1190 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des § 28 der Grund­ buchordnung entsprechen, also die Bezeichnung des zu belastenden Grundstücks und die Angabe des Höchstbetrags enthalten, bis zu dem das Grundstück haften soll. Ergibt sich eine Haftung des Verwalters, so sollen in Ueberein­ stimmung mit dem bisherigen Rechtszustand auch die für die Feststellung der Haftung zuständigen Behörden (vergl. Art. 158 der Gemeindeordnung für die Landestheile rechts des Rheins, Art. 90 der Gemeindeordnung für die Pfalz; Art. 42 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Armen- und Krankenpflege) berechtigt sein, die Eintragung der Hypothek zu erwirken. Das Ersuchen um die Eintragung kann gestellt werden, sobald die zuständige Behörde die Ueber­ zeugung von dem Bestehen der Haftung gewonnen hat; es ist nicht erforderlich, die Durchführung des Feststellungsverfahrens abzuwarten. Für den Fall, daß der Verpflichtete mehrere Grundstücke hat, tritt der § 11 des Hypothekengesetzes einer übermäßigen Ausdehnung der Belastung entgegen. Die Fassung der Vorschrift führt bet wörtlicher Auslegung zu einem unzweckmäßigen Ergebnisse; die schon von Gönner versuchte Umdeutung ist nicht zu allseitiger Anerkennung gelangt (Regelsberger, Bayer. Hyp.-R. § 48 Note 13). Im Artikel 371 des bayerischen Entwurfes Theil III (1864) ist die Vorschrift dahin verbessert worden, daß der Gläubiger doppelte Deckung des sicherzustellenden Betrags durch den freien Werth der || Grundstücke bean- S. 49. spruchen kann. Der Abs. 3 des Art. 80 schließt sich ebenso wie der Art. 8 Abs. 2 und der Art. 111 Abs. 1 dieser Bestimmung an.

Lösungsanspruch der öffentlichen Pfandleihanstalten. Artikel 81. Nach § 1207 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Verbindung mit den §§ 932, 934 steht bet der Verpfändung einer beweglichen Sache dec Umstand, daß die

104

S. 49.

IV- Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Sache nicht dem Verpfänder gehört, dem Erwerb eines Pfandrechts nur ent­ gegen, wenn der Pfandgläubiger nicht in gutem Glauben (§ 932 Abs. 2 des B. GB.) ist. Ebenso geht nach § 1208 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wenn die Sache mit dem Rechte eines Dritten belastet ist, das in gutem Glauben erworbene Pfandrecht dem Rechte des Dritten vor. Das Pfandrecht wird aber nicht erworben und es geht dem Rechte des Dritten nicht vor, wenn die Sache dem Eigenthümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war, oder, falls der Eigenthümer nur mittelbarer Besitzer war, wenn die Sache dem Besitzer abhanden gekommen war. Bei abhanden gekommenen Sachen hat der gutgläubige Pfandgläubiger nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche gegenüber demjenigen, welcher die Herausgabe der Sache zu verlangen berechtigt ist, auch keinen Lösungsanspruch. Das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche eröffnet jedoch der Landesgesetzgebung die Möglichkeit, zu Gunsten der öffentlichen Leihanstalten eine Ausnahme zu machen. Nach Artikel 94 Abs. 2 des Einführungsgesetzes bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach welchen öffentlichen Pfandleihanstalten das Recht zusteht, die ihnen ver­ pfändeten Sachen dem Berechtigten nur gegen Bezahlung des auf die Sache gewährten Darlehens herauszugeben. Von den in Bayern geltenden Rechten kennt einen Lösungsanspruch nur das Preußische Landrecht (I 20 § 80 vergl. I 15 §§ 24—26), indem es den gutgläubigen Pfandgläubiger zur Herausgabe der ihm von einem Nichteigen­ thümer verpfändeten Sache nur gegen Ersatz der Auslagen verpflichtet. Den übrigen im rechtsrheinischen Bayern geltenden Rechten sowie dem pfälzischen Rechte ist ein allgemeiner Lösungsanspruch fremd; er ist aber zumeist durch besondere Privilegien öffentlichen Leihanstalten eingeräumt.

Vergl. churbairisches Mandat vom 25. Juni 1754 zwölftens, siebzehntens (Kreitmaier Generaliensammlung S. 579, Döllinger Verordn.Sammlung XIV Theil 4 S. 2339), Entschließung der Landesdirektion Neuburg vom 22. Dezember 1803 § 13 (R.Bl. für Neuburg 1804 S. 94), Oberpfälzische Pfandhausordnung vom 26. Juni 1806 sR.Bl. S. 243), Augsburgische Pfand- und Leihhausordnung von 1732 XIV, Nürn­ berger Leihhausordnung vom 14. Februar 1757, Anmerkungen zum Bayerischen Landrecht II 6 tz 8 Nr. 2, II 2 tz 7 Nr. 6, IV 4 § 2 Nr. 6, Code civil Art. 2084, Entschließung des Staatsministeriums des Innern vom 11. Dezember 1837 (Weber III S. 223), Ausschreiben des Staatsministeriums der Justiz vom 4. Januar 1839 (Döllinger XXVIII Theil 2 S. 1306). Mit Rücksicht auf das in Bayern geltende Recht macht der Entwurf von dem Vorbehalte des Artikel 94 Abs. 2 des Einführungsgesetzes in der Weise Gebrauch, daß er im Interesse der Rechtseinheit nicht die einzelnen Privilegien aufrecht erhält, sondern durch einen allgemeinen Rechtssatz den sämmtlichen öffentlichen Pfandleihanstalten den Lösungsanspruch gewährt. Dieß empfiehlt sich schon deßwegen, weil der Grund, welcher für die Austechterhaltung des Lösungsanspruchs der öffentlichen Pfandleihanstalten maßgebend ist, bei allen öffentlichen Pfandlcihanstalten gleichmäßig zutrifft. Eine Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Leihanstalten ist entbehrlich. Bei der Ausgestaltung des Lösungsanspruchs schließt sich der Entwurf an die Fassung des Artikel 94 Abs. 2 des Einführungsgesetzes an. Die Fassung stellt klar, daß die öffent­ lichen Pfandleihanstalten nur für die Fälle, in denen dem Erwerb eines Pfandrechts oder eines besseren Pfandrechts die Vorschriften des § 935 Abs. 1

IV Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

105

und der §§ 1207, 1208 entgegenstehen, einen besonderen Schutz erhalten sollen, S. 49. im Uebrigen aber die allgemeinen Grundsätze gelten, daß also insbesondere das Pfandrecht oder der bessere Rang dann nicht erworben wird, wenn die Anstalt zur Zeit der Verpfändung nicht in gutem Glauben ist. Nach dem Preußischen Landrechte I 20 § 82 erstreckt sich der Lösungs­ anspruch nicht auf die Zinsen; dagegen schützen das Mandat vom 25. Juni 1754 und die Oberpfälzische Pfandhausordnung vom 26. Juni 1806 ausdrücklich auch den Zinsenanspruch der Anstalt, was wohl auch im Sinne der übrigen Privilegien liegt fvergl. auch die Sinnt, zum Bayer. L R- II 6 § 8 Nr. 2). Der Wortlaut des Arlikcl 94 Abs. 2 läßt die Frage unentschieden; nach dem Zwecke der Vorschrift ist aber anzunehmen, daß das gewährte Darlehen so bezahlt werden muß, wie es gewährt ist, also als verzinsliches. Die Anstalt Hal nur ein Zurückbehaltungsrecht, kein Pfandrecht. Es kann ihr aber mcht zugemuthet werden, die Sache unbestimmte Zeit aufzu­ bewahren, sie muß vielmehr berechtigt sein, den Eigenthümer zur Erklärung darüber zu nöthigen, ob er die Sache auslösen wolle. Zu diesem Behuf erklärt der Entwurf den § 1003 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für entsprechend anwendbar.

Anlegung von Mündelgeld in Hhpothekenforderungen.

Artikel 82. Nach § 1807 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann Mündelgeld in Forderungen, für die eine sichere Hypothek an einem inländischen Grund­ stücke besteht, und in sicheren Grundschulden oder Rentenschulden an inländischen Grundstücken angelegt werden. Nach § 1807 Abs. 2 können die Landesgesetze für die innerhalb ihres Geltungsgebiets belegenen Grundstücke die Grundsätze bestimmen, nach denen die Sicherheit einer Hypothek, einer Grundschuld oder einer Rentenschuld festzustellen ist. Das geltende bayerische Recht hat derartige Grundsätze nur für die Pfalz aufgestellt. Der boyensche Entwurf eines Gesetzes über das VormundschaftsWesen (1874) hat von der Aufstellung solcher Grundsätze abgesehen, weil, wie die Motive S. 80 bemerken, die Erfahrung lehre, daß alle derartigen Be­ stimmungen nicht ausreichen, um die Möglichkeit eines Verlustes abzuwenden. Die Ausstellung von Grundsätzen ist indessen im Interesse des Mündels und mit Rücksicht auf die Verantwortlichkeit des Vormundes und des Gegen­ vormundes auch in deren Interesse geboten. Zur Anlegung von Mündelgeld bedarf der Vormund nach § 1810 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nur, tocnn ein Gegenvormund nicht vorhanden ist. Der Vormund und der Gegenvormund werden insofern eine freiere, aber auch verantwortungsvollere Stellung erhalten. Die Aufstellung von || Grundsätzen, S. 50. nach denen die Sicherheit der Hypothek zu beurtheilen ist, mindert die Gefahr der Verantwortlichkeit. Dazu kommt, daß in einer Reihe von anderen gesetz­ lichen Bestimmungen, beispielsweise in ben §§ 238, 1079, 1288, 1377, 1642, 2119 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, im § 40 des Krankenversicherungsgesetzks vom 15. Juni 1883, im § 76 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884, im § 129 des Jnvallditäts- und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juli 1889, auf die Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld verwiesen und auch für die dort behandelten Verhältnisse eine nähere Bestimmung der erforderlichen Sicherheit wünschenswerth ist. Für die Aufstellung von Grundsätzen über die

106 S. 50.

IV- Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Feststellung der Sicherheit hat sich auch der Bayerische Landwirthschaftsrath ausgesprochen. Die Sicherheit einer Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld hängt einerseits davon ab, daß das Grundstück nur bis zzu einem gewissen Theile des Werthes beliehen, andererseits davon, daß der Werth des Grundstücks in verlässiger Weise ermittelt wird.

Bezüglich der Beleihungsgrenze ist die Uebung der Gerichte im rechts­ rheinischen Bayern schwankend. Man nimmt als Regel entweder die Hälfte des Grundstückswerths an oder unterscheidet zwischen ländlichen und städlischen Grundstücken und läßt städtische Grundstücke nicht über zwei Drittel, ländliche nicht über die Hälfte des Werthes beleihen. Als Grundstückswerth gilt der Verkehrswerth, den das Grundstück nach seiner dauernden Beschaffenheit be­ ständig hat (§ 9 der Instruktion für die Schätzungen und die Schätzer in Hyporhekensacyen vom 13. März 1823, G Bl. S. 802). Das Gesetz vom 26. April 1888, die Abänderung von Bestimmungen des in der Pfalz geltenden Hypotheken- und Vormundschaftsrechts betreffend, Artikel 26 Abs. 2 Nr. 5 er­ achtet als sichere Hypotheken nur diejenigen, welche innerhalb der ersten Hälfte des Werthes der Liegenschaft stehen. Die preußische Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 § 39 Abs. 3 be­ stimmt, daß eine Hypothek oder Grundschuld für sicher zu erachten ist, wenn sie bei ländlichen Grundstücken innerhalb der ersten zwei Drittheile des durch ritterschaftliche, landschaftliche, gerichtliche oder Steuertaxe, bei städtischen innerhalb der ersten Hälfte des durch Taxe einer öffentlichen Feuerversicherungs­ gesellschaft oder durch gerichtliche Taxe zu ermittelnden Werthes oder wenn sie innerhalb des fünfzehnfachen Betrags des Grundsteuerreinertrags der Liegenschaft zu stehen kommt. In ähnlicher Weise ist die Beleihungsgrenze im sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuche § 1935 festgesetzt. Dagegen haben das Württem­ bergische Gesetz vom 28. November 1833 Art. 1, 2, die zur Ausführung des hessischen Gesetzes vom 18. Juni 1887 erlassene Instruktion vom 18. August 1887, das meining'sche Gesetz vom 12. April 1882, das lübische Gesetz vom 30. Mai 1877, die hamburgische Vormundschaftsordnung vom 14. Dezember 1883 Art. 45 die Beleihungsgrenze auf die Hälfte des Werthes bestimmt. Zu einer Aenderung der im Artikel 26 des Gesetzes vom 26. April 1888 für die Pfalz getroffenen Festsetzung der Beleihungsgrenze liegt kein Grund vor. Die für die Pfalz erlassene Vorschrift paßt aber auch für das rechts­ rheinische Bayern. Dafür spricht, daß die gleiche Grenze für die Anlegung von gemeindlichen und Kirchen-, Stiftungs-, sowie Sparkassenkapitalien vor­ geschrieben

bergt. Verordnung vom 31. Juli 1869 § 2, Vollzugsvorschriften zum revidirten Gemeindeedikte vom 31. Oktober 1837 Ziff. 114b, Min Entschl. vom 20. Mai 1874 über die Sparkassen Ziff. 9 und auch für die von der Bayerischen Landwirthschaftsbank zu gewährenden Darlehen (Reglement der Bayer. Landwirthschaftsbank § 7, Statut § 12) an­ genommen ist. Weiter zu gehen ist nach den in anderen Staaten gemachten Erfahrungen (vgl. Prot. zum Entw. des B. GB. II. Lesung IV S. 766, 767) bedenklich und würde namentlich bei Anlagen an anderer als an erster Stelle wegen des für die Zwangsversteigerung geltenden Grundsatzes, daß die im Range vorgehenden Ansprüche durch das Mindestgebot gedeckt werden müssen, den Mündel in vielen Fällen gefährden.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

107

Der Entwurf setzt deßhalb in Uebereinstimmung mit dem Gutachten des Bayerischen Landwirthschaftsraths die Beleihungsgrenze auf die Hälfte des Werthes fest. Nicht erforderlich ist, daß die Hypothek, Grundschuld oder Rentenschuld die erste Stelle einnimmt; es genügt, daß mit Einrechnung der vorhergehenden Belastungen die Werthshälfte nicht überschritten ist. Für die Ermittelung des Werthes des Grundstücks werden die nach Artikel 78 Abs. 2 von den Staatsministerien der Justiz und des Innern zu bestimmenden Grundsätze maßgebend sein.

S. 50.

Gemeindewaisenrath. Artikel 83 bis 89. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche steht die Obervormundschaft dem Staate zu. Der Gemeinde obliegt jedoch eine unterstützende Thätigkeit durch den Gemeindewaisenrath. Der Gemeindewaisenrath ist ein Hilfsorgan der Obervormundschaft und zwar nicht nur im Verhältnisse zu demjenigen Vor­ mundschaftsgerichte, zu dessen Bezirke die Gemeinde gehört, sondern zu allen Vormundschaftsgerichten, die für eine obervormundschaftliche Thätigkeit in An­ sehung der sich in der Gemeinde aufhaltenden Mündel zuständig sind. Der Wirkungskreis des Gemeindewaisenraths ist im Bürgerlichen Gesetzbuche fest begrenzt. Bezüglich der Vormundschaften und (vergl. § 1915 B. GB.) der Pflegschaften sind die §§ 1849 bis 1851 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (zu § 1849 vgl. § 1779 Abs. 1, § 1792 Abs. 4, § 1862 Abs. 1), bezüglich der elterlichen Gewalt ist der § 1675 des Bürgerlichen Gesetzbuchs maßgebend. Eine auf den Gemeindewaisenrath bezügliche Vorschrift enthält ferner der § 49 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Organisation des Gemeindewaisenraths überläßt das Bürgerliche Gesetzbuch der Landesgesetzgebung. Da dem geltenden bayerischen Rechte die Einrichtung des Gemeindewaisen­ raths fremd ist, so ergibt sich für die Landesgesetzgebung die Aufgabe, den Gemeindewaisenrath einzuführen. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat den Gemeindewaisenrath der preußischen Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 §§ 52 bis 54 entlehnt (Motive IV S. 1016, 1225). Die preußische Vormundschaftsordnung enthält für die Organisation des Gemeindewaisenraths nur die Grundzüge. Für jede Gemeinde oder für örtlich abzugrenzende Beziike sind dem Vormundschaftsgericht ein oder mehrere Gemeindeglieder als Waisenräthe zur Seite gestellt. Das Amt eines Waisenraths ist ein unentgeltliches Gemeindeamt. Durch Beschluß der Gemeinde­ behörde kann das Amt des Waisenraths besonderen Abtheilungen der Gemeinde­ verwaltung übertragen oder mit bestehenden Organen der Gemeindeverwaltung verbunden werden. Die weitere Ausführung fällt in das Gebiet der Selbst­ verwaltung und ist in verschiedener || Weise erfolgt. Die Einrichtung des Gemeindewaisenraths war auch im bayerischen Entwurf eines Gesetzes über das Vormundschaftswesen (1874) Artikel 6 Abs. 2, 3 in Aussicht genommen. Die nähere Bestimmung der gemeindlichen Organe, denen die Verrichtungen des Gemeindewaisenraths übertragen werden sollten, war einer Verordnung vorbehalten. Der Entwurf hat die preußische Vormundschaftsordnung zum Vorbilde genommen und die Erfahrungen, welche in Preußen gemacht worden sind, zu verwerthen gesucht. Da die Lösung der dem Gemeindewaisenrathe gestellten

S. 51.

108 S. 51.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

Aufgabe Einrichtungen erfordert, die den örtlichen Verhältnissen angepaßt sind, so beschränkt sich auch der Entwurf auf die Grundzüge der Organisation. Die weitere Ausführung bleibt zum Theile der Selbstverwaltung der Gemeinde, zum Theile der Regelung durch Ministerialvorschriften überlassen. Der Gemeindewaisenrath ist als eine selbständige Gemeindebehörde gedacht, der Entwurf erachtet es nicht für zweckmäßig, die Verrichtungen des Gemeinde waisenraths einer anderen Gemeindebehörde, insbesondere dem Armenpflegschafts­ rathe, zu übertragen. Gemeindewaisenrath und Armenpflegschaftsrath haben freilich manche Berührungspunkte. Auch wird der Gemeindewaisenrath haupt­ sächlich in Vormundschaften über solche Personen thätig zu sein haben, welche gering bemittelt sind oder öffentliche Unterstützung genießen. Allein die Aufgaben sind gleichwohl verschieden, und sowohl die eine als die andere stellt, wenn sie richtig erfüllt werden soll, in vielen Fällen so große Anforderungen, daß es sich nicht empfiehlt, sie kraft Gesetzes in einer Person zu verbinden. Dagegen ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß einer Person, die sich dazu eignet, beide Aemter zu versehen, beide übertragen werden. Am Gemeindewaisenrath ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche die Gemeinde als solche betheiligt. Der Entwurf geht daher davon aus, daß jede Gemeinde einen Gemeindewaisenrath haben muß sArt. 83 Abs. 1). Zweckmäßig­ keitsgründe können die Bildung mehrerer Gemeindewaisenräthe für eine Gemeinde verlangen. Dieser Fall wird nur bei sehr großen Gemeinwesen vorkommen. Der Artikel 83 Abs. 2 gestattet deßhalb, daß in Gemeinden mit mehr als 100,000 Einwohnern mehrere Gemeindewaisenräthe gebildet werden. Jedem

Artikel 79 Abs. 2, Artikel 126 Abs. 3 der rechtsrheinischen, Artikel 57 Abs. 3 der pfälzischen Gemeindeordnung durch den Bürgermeister in ihr Amt eingewiesen. Aus der Natur des Amtes eines Waisenraths als eines Gemeindeamts ergibt sich auch, daß die Aufsicht über den Gemeindewaisenrath der vorgesetzten Verwaltungsbehörde zusteht und die nothwendigen Auslagen von der Gemeinde zu tragen sind. Als zweckmäßig hat sich die Einrichtung erwiesen, dem Gemeindewaisenrathe zur Beaufsichtigung der im Kindesalter stehenden Mündel und zur Ueberwachung weiblicher Mündel ehrbare Frauen, welche hiezu bereit sind, als Walsenpflegerinnen beizugeben. Ein gesetzliches Gebot der Auf || stellung von S. 52. Waisenpflegerinnen kann nicht erlassen werden, es muß aber dem Gemeindewaifenrath und in Gemeinden, in welchen dieser nicht kollegiale Gestaltung hat, dem Bürgermeister die Befugniß offen gehalten werden, die Einrichtung einzuführen (Att. 88). Die Geschäftsführung des Gemeindewaisenraths soll durch Ministerialvorschriften geregelt werden (Art. 89). Diese Vorschriften werden sich insbesondere auf den Verkehr mit dem Vormundschaftsgericht und mit anderen Behörden, auf den Gebrauch von Formularen u. s. w. beziehen. Für eine gedeihliche Entwickelung der ganzen Einrichtung ist, wie die in Preußen gemachten Erfahr­ ungen beweisen, von besonderer Wichtigkeit, daß die Waisenräthe eines Bezirkes zeitweise unter Leitung des Vormundschaftsrichters zusammenberufen werden können, um ihre Erfahrungen auszutauschen, von dem Zustande, in welchem

HO

S. 52.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

sich die Handhabung ihrer Aufgabe in dem Bezirke befindet, Kenntniß zu erlangen, Mängel abzustellen und allgemeine Fragen ihrer Amtsführung zu besprechen. Dadurch werden namentlich die Vortheile der kollegialen Verfassung wenigstens in gewissen Grenzen auch für die Gemeindewaisenräthe, die nicht kollegial organisirt sind, erreicht. Der Entwurf will deßhalb die Möglichkeit gewähren, daß solche Zusammenberufungen angeordnet werden, wo den Umständen nach dazu Anlaß gegeben ist.

Anstaltsvormund.

Artikel 90. Die Vormundschaft wird nach § 1774 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von dem Vormundschaftsgericht angeordner, der Vormund und der Gegenvormund werden von dem Vormundschaftsgerichte bestellt (§ 1789, § 1792 Abs. 4). Der Artikel 136 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch eröffnet aber der Landesgesetzgebung die Möglichkeit, von der gerichtlichen Bestellung des Vormunds für diejenigen Minderjährigen eine Ausnahme zu machen, welche in einer unter staatlicher Verwaltung oder Aufsicht stehenden Ecziehungs- oder Verpflegungsanstalt erzogen oder verpflegt werden. Für diese Minderjährigen können dem Vorstande der Anstalt landesgesetzlich alle oder einzelne Rechte lind Pflichten eines Vormundes übertragen werden und das Landesgesetz kann die rechtliche Stellung dieses Vormundes in den im Artikel 136 bezeichneten Schranken regeln. Die Einrichtung des Anstaltsvormundes ist dem Rechte der rechtsrheinischen Landestheile Bayerns fremd. Dagegen kennt sie das pfälzische Recht. Nach dem Gesetze vom 15. pluviöse XIII und dem Dekrete vom 19. Januar 1811 übt die Verwaltung der öffentlichen Pflegeanstalten die vormundschaftlichen Verrichtungen über die in die Anstalt aufgenommenen Kinder aus. Die Ver­ waltung hat eines ihrer Mitglieder mit der Führung der Vormundschaft zu betrauen, die übrigen Mitglieder bilden den Vormundschaftsrath, der Rechner der Anstalt hat die Verwaltung des Vermögens der Pflegling. Durch den Austritt des Kindes aus der Anstalt erlischt die vormundschaftliche Gewalt der Anstaltsverwaltung nicht. Die Anstaltsverwaltung kann aber, wenn das Kind die Anstalt verläßt und, um in einen Dienst zu treten, seinen Aufenthalt an einem von dem Sitze der Anstalt entfernten Orte nimmt, mit Genehmigung der vorgesetzten Behörde die Vormundschaft der Verwaltung derjenigen gleichartigen Pflegeanstalt übertragen, welche dem Aufenthaltsorte des Mündels zunächst liegt. Für die Verwaltung des Mündelvermögens sind besondere Vorschriften getroffen. Das Gesetz vom 15. pluviöse XIII und das Dekret vom 19. Januar 1811 sind durch das Gesetz vom 26. April 1888, die Abänderung des in der Pfalz geltenden Hypotheken- und Vormundschaftsrechts betreffend, nicht beseitigt worden (Verh. d. Kamm, der Abg. 1887/88, Sten. Ber. III S. 251) und werden noch gegenwärtig angewendet. Das Gesetz vom 15. pluviöse XIII und das Dekret vom 19. Januar 1811 haben schon bisher manche Aenderungen erlitten, das letztere ist schon jetzt zum weitaus überwiegenden Theile nicht mehr in Geltung. Die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs bringt wieder mehrfache Aenderungen mit sich. Dieß gilt insbesondere von den Artikeln 3, 4 und dem Artikel 5 Abs. 3 des Gesetzes vom 15. pluviöse XIII in Folge des Wegfalls der Emanzipation und von den

VI. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuchs — Begründung.

111

Artikeln 8, 9 dieses Gesetzes, welche den Pflegeanstalten ein Anrecht auf den Nachlaß der von ihnen verpflegten Kinder einräumen, die vor der Emanzipation oder Großjährigkeit und vor ihrem Austritt aus der Anstalt sterben; an ihre Stelle werden die Artikel 92, 93 des Entwurfes treten. Der aus Mitgliedern der Verwaltung gebildete Vormundschaftsrath, der die Stelle des Familienraths vertritt, fällt weg; der Anstaltsvormund führt die Vormundschaft unter der Aufsicht des Vormundschaflsgerichts. Ist bei dieser Sachlage schon für die Pfalz eine Neuregelung erforderlich, so wird es zweckmäßig sein, die Einrichtung auf das ganze Königreich zu erstrecken. Die Erfahrungen der Länder, in welchen die Einrichtung besteht, müssen als günstige bezeichnet werden. Für Frankreich beweist dieß der Umstand, daß die Einrichtung durch spätere Gesetze (Gesetz vom 10. Januar 1849 und Gesetz vom 24. Juli 1889) weiter ausgebildet und auf die Anstalten, in denen die ihren Eltern nach Verlust der elterlichen Gewalt entzogenen Kinder untere gebracht werden, ausgedehnt worden ist. Die preußische Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 hat sie ausgenommen und in der ganzen Monarchie eingeführt (Verh. des Herrenh. 1875 I S. 130, 131, II S. 172). Bei den Verhandlungen der 10. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Armenpflege wurde ihre Zweckmäßigkeit anerkannt (vergl. Schriften dieses Vereins 1889 S. 34, 73; 1890 S. 26, 41), und mit Rücksicht hierauf wurde von einigen Seiten der Vorschlag gemacht, die Einrichtung reichsrechtlich einzuführen. Der Entwurf geht, indem er sich im Wesentlichen den bestehenden Gesetz­ gebungen, insbesondere der preußischen Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 §§ 13, 26 Abs. 4, 62 und der Hamburger Vormundschaftsordnung vom 14. Dezember 1883, Artikel 9, anschließt, von folgenden Gesichtspunkten aus. Um dem Bedürfnisse gerecht zu werden, muß die Einrichtung bei allen Anstalten zugelassen werden, die unter den Artikel 136 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche fallen, insbesondere auch bei den Anstalten, in welchen verwahrloste Kinder (§ 1666 des B- GB., Art. 135 des EG. zum B- GB.) untergebracht werden. Die gesetzliche Vormundschaft kann aber nicht ohne Weiteres den Vorständen aller Anstalten übertragen werden, bei denen sie zulässig ist. Bei den Privatanstalten ist dieß von vorneherein nicht thunlich; aber auch die öffentlichen Anstalten eignen sich nicht alle dazu. Es muß viel­ mehr bei jeder einzelnen Anstalt geprüft werden, ob ihre Einrichtungen gestatten, dem Vorstande die Rechte und Pflichten eines Vormundes zu übertragen. Die Entscheidung ist den zuständigen Staatsministerien vorzubehalten. Die Vormundschaft des Anstaltsvorstandes soll nach dem Entwürfe nicht mit dem Austritte des Mündels aus der Anstalt endigen, sondern bis zum Eintritte der Volljährigkeit fortdauern. Der Vorstand behält die Stellung eines Vormundes insbesondere, wenn der Mündel durch ihn zur Erziehung und Verpflegung in einer Familie untergebracht wird oder in ein von dem Vorstande bestimmtes Lehr-, Dienst- oder Arbeitsverhältniß eintritt. Gerade bei Heranwachsenden Mündeln wird der Vorstand der Anstalt, in der sie erzogen worden sind, besser einzuwirken im Stande sein als ein fremder Vormund. Durch die landesgesetzliche Vorschrift kann nach Artikel 136 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche dieBefugniß des Vormundschafts­ gerichts, jederzeit einen anderen Vormund zu bestellen, nicht ausgeschlossen werden. Der Entwurf gibt dem Anstaltsvorstande das Recht, die Bestellung eines anderen Vormundes zu verlangen, mit der sein eigenes vormundschaftliches Amt endigt. Von diesem Rechte wird der Vorstand insbesondere nach dem

S. 52.

S. 53.

112

S. 53.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Austritte des Mündels aus der Anstalt Gebrauch zu machen veranlaßt sein, wenn der Mündel seinen Aufenthalt in große Entfernung von der Anstalt verlegt hat oder der Anstalt gänzlich fremd geworden ist. Die Bestellung eines anderen Vormundes nicht ohne hinreichenden Grund zu beantragen, ist eine dem Vormunde kraft seiner Stellung obliegende Pflicht, bei öffentlichen Anstalten eine Dienstpflicht. Die Aufsicht über die Erfüllung dieser Pflicht steht der Behörde, welche die Aufsicht über die Anstalt zu führen hat, nicht dem Vormundschaftsgerichte zu. Das Vormundschaftsgericht hat deßwegen nicht zu prüfen, aus welchem Grunde der Antrag gestellt wird. Eine dem Artikel 2 des Gesetzes vom 15. pluviose XIII entsprechende Bestimmung, die den Anstaltsvorstand ermächtigt, die vormundschaftlichen Rechte und Pflichten gegenüber einem Mündel, der seinen Aufenthalt an einen von dem Sitze der Anstalt entfernten Ort verlegt, auf den Vorstand der zunächst befindlichen Anstalt gleicher Art zu übertragen, empfiehlt sich nicht. Dem Anstaltsvormunde muß sowohl die Sorge für die Person, als auch die Sorge für das Vermögen der Mündel, einschließlich der Vertretung, obliegen. Thatsächlich wird es sich fast nur um die Sorge für die Person handeln. Es besteht aber kein ausreichender Grund, für die Vermögensverwaltung die Be­ stellung eines Mitvormundes oder eines Pflegers, sei es in allen Fällen oder bei größerem Vermögen des Mündels, vorzuschreiben. In Fällen, in denen die Vermögensverwaltung besser von einem anderen als dem Anstaltsvormunde besorgt wird, kann der Vorstand, wenn nicht das Vormundschaftsgericht durch Bestellung eines Pflegers (§ 1909) Abhilfe schafft, die Bestellung eines anderen Vormundes beantragen. Für die Bestellung eines Gegenvormundes besteht kein Bedürfniß. Dem Vorstande können unbedenklich die mit dem Fehlen eines Gegenvormundes zusammenhängenden Befreiungen zugestanden werden, welche im § 1852 Abs. 2 bezeichnet sind. Von der Aufnahme des Mündels in die Anstalt, mit welcher die Vor­ mundschaft des Anstaltsvorstandes beginnt, hat dieser dem Vormundschafts­ gerichte sofort Anzeige zu machen. Das Vormundschaftsgericht hat den bis­ herigen Vormund, dessen Amt mit dem Eintritte der Vormundschaft des Anstalts­ vorstandes erloschen ist, zu verständigen. Der Artikel 136 des Einführungsgesetzes ermöglicht es der Landesgesetz­ gebung ferner, bei dem Bestehen einer Einrichtung des öffentlichen Rechtes, vermöge welcher in gewissen Fällen Minderjährige unter der Aufsicht eines Beamten in einer von ihm ausgewählten Familie oder Anstalt erzogen oder verpflegt werden, dem Beamten die Rechte und Pflichten eines Vormundes für die unter seiner Aufsicht zu erziehenden oder zu verpflegenden Minder­ jährigen zu übertragen. Bei unehelichen Kindern ist dieß auch dann zulässig, wenn sie unter der Aufsicht des Beamten in der mütterlichen Familie erzogen oder verpflegt werden. Bei dem Vorbehalte kommen haupsächlich die Mündel, für deren Er­ ziehung und Verpflegung Armenunterstützung gewährt wird sArt. 10 Abs. 2 Ziff. 4 des Gesetzes über die öffentliche Armen- und Krankenpflege vom 29. April 1869), und die sogenannten Kostkinder (Art. 41 des Polizeistraf­ gesetzbuchs) in Betracht. In Bayern bestehen ähnliche Einrichtungen nicht und Bestrebungen, sie einzuführen, sind bisher nicht hervorgetreten. Der Entwurf macht deßhalb in dieser Beziehung von dem Vorbehalte des Artikel 136 keinen Gebrauch. Sollte sich in einer Gemeinde das Bedürfniß ergeben, die vormundschaftliche Amts­ führung für die genannten Mündel in die Hand eines Gemeindebeamten zu

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

113

legen, so läßt sich dieses Ziel dadurch erreichen, daß das Vormundschaftsgericht in jedem solchen Falle den hiezu bestimmten Gemeindebeamten zum Vormunde bestellt, wie dieß in verschiedenen Städten des Königreichs Sachsen (vergl. Taube, der Schutz der unehelichen Kinder in Leipzig, Prot. zum Entw. des B. GB. II. L. IV S. 745, Wolf in Laband's Archiv für öffentliches Recht XI S. 46 ff.) geschehen ist.

S. 53.

Festsetzung des Ertragswerths.

Artikel 91. Die im § 1515 Abs. 2, 3 für die fortgesetzte Gütergemeinschaft und in den §§ 2049, 2312 für die Auseinandersetzung unter Miterben sowie für die Berechnung des Pflichttheils getroffenen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetz­ buchs setzen Bestimmungen über den Ectragswerth eines Landguts voraus. Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält über die Berechnung des Ertragswerths nur im § 2049 Abs. 2 die Vorschrift, daß der Ertragswerth sich nach dem Reinerträge bestimmt, den das Landgut nach seiner bisherigen winhschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirthschaftung nachhaltig gewähren kann. Der Landesgesetzgebung ist es im Artikel 137 des Emführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch überlassen, die Grundsätze aufzustellen, nach denen der Ertragswerth festzustellen ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht davon aus, daß, auch wenn die Landesgesetzgebung von dem Vorbehalte keinen Gebrauch macht, eine Lücke nicht bestehe, weil der Richter im einzelnen Falle auf Grund des Gutachtens von Sachverständigen immer zu einem bestimmten Ergebnisse gelangen werde. Allein jedenfalls ist es im Interesse der Verhütung von Streitigkeiten rathsam, daß die Landesgesetzgebung bestimmte Grundsätze über die Ermittelung des Ertragswerths aufstellt. Dos Bedürfniß hat auch der Bayerische Landwirthschaftsrath einstimmig anerkannt. In der bayerischen Gesetzgebung finden sich keine Vorschriften, welche die Bestimmung des Ertragswerths erfordern. Das Gesetz vom 22. Februar 1855, die landwirthschaftlichen Erbgüter betreffend, Artikel 31 geht von dem Verkaufs­ werth aus. Dagegen bietet die preußische Gesetzgebung Vorbilder. Ins­ besondere bezwecken die Taxvorschriften, welche im Gebiete des Preußischen Landrechts für die gerichtliche Auseinandersetzung und für die Ermittelung des Pflichttheils bestehen, regelmäßig die Ermittelung des Ertragswertys. Mit dieser besaßt sich auch die sogenannte Höfegesetzgebung, sowie das Gesetz vom 8. Juni 1896 (Gesetz-Samml. S. 124), de st treffend das Anerbenrecht bei S 54. Renren- und Ansiedelungsgütern. Ein Theil dieser Gesetze legt ein bestimmtes Vielfache des Katastralreinertrags zu Grunde, ein anderer Theil bestimmt den Ertragswerth in der Weise, daß der Reinertrag zu einem gewissen Prozent­ sätze kapitalisirt wird. Auf diesen Standpunkt stellen sich insbesondere die Verordnung vom 22. März 1844 für Westpreußen (Kapitalisirung mit sechs vom Hundert), die Höfegesetze für Hannover vom 2. Juni 1874 § 15, für Lauenburg vom 21. Februar 1881 § 14 sowie die Landgüterordnung für Schleswig-Holstein vom 2. April 1886 § 14 (Kapitalisirung mit fünf vom Hundert) und das Gesetz vom 8. Juni 1896 § 17 (Kapitalisirung mit vier vom Hundert). Einen Zinsfuß von vier vom Hundert legt auch der Entwurf des westfälischen Anerbengesetzes § 25 (Drucks, des Herrenh. 1898 Nr. 6) zu Grunde. Becher, Materialien IV. 8

114

S. 54.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

Der Entwurf folgt den letzteren Gesetzen. Er überläßt aber die Be­ stimmung der Grundsätze, nach welchen der Reinertrag festzustellen ist, einer allgemeinen Anordnung der betheiligten Staatsministerien, weil es sich dabei im Wesentlichen um eine dem Gebiete der Wirthschaftslehre angehörende Auf­ gabe handelt, und begnügt sich damit, den der Ermittelung des Ertragswerths zu Grunde zu legenden Zinsfuß festzusetzen. Die Entwickelung der preußischen Gesetzgebung, die von sechs vom Hundert im Jahre 1844 auf vier vom Hundert in den Jahrer 1896, 1898 zurückgegangen ist, zeigt, daß cs nicht wohl angeht, einen höheren Zinsfuß als vier vom Hundert zu bestimmen. Auf vier vom Hundert ist auch die Höhe der gesetzlichen Zinsen im § 246 des Bürgerlichen Gesetzbuchs festgesetzt. Mit diesem Zinsfüße hat sich das Gutachten des Bayerischen Landwirthschaftsraths einverstanden erklärt. Die Kapitalisirung des Reinertrags nach dem bestimmten Zinsfüße reicht aber nicht für alle Fälle aus. Es können besondere Umstände, z. B. schlechter Zustand der nothwendigen Wirthschaftsgebäude, vorliegen, welche eine Abweichung von dem dem Kapitalwerthe einer dauernden Rente von dem Betrage des Rein­ ertrags entsprechenden regelmäßigen Ertragswerthe mit sich bringen. Welche Umstände in dieser Richtung zu berücksichtigen sind, soll gleichfalls durch allgemeine Anordnung der betheiligten Staatsministerien bestimmt werden. Der vom Entwurf angenommene Zinsfuß von vier vom Hundert foll nicht eine unwandelbare Größe sein. Da sich nicht übersehen läßt, ob nicht die wirthschaftlichen Verhältnisse eine andere Festsetzung des Zinsstrßes erforderlich machen, so behält der Entwurf einer Königlichen Verordnung die Bestimmung einer anderen Verhältnißzahl vor.

Rechte der öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten in Ansehung des Nachlasses unterstützter oder verpflegter Personen.

Artikel 92, 93. Nach Artikel 139 des Einführungsgcsetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach welchen dem Fiskus oder einer anderen juristischen Person in Ansehung des Nachlasses einer ver­ pflegten oder unterstützten Person ein Erbrecht, ein Pflichttheilsanspruch oder ein Recht auf bestimmte Sachen zusteht. Derartige Vorschriften sind auch dem geltenden bayerischen Rechte bekannt.*) Im gemeinen Rechte sowie im Bayerischen Landrechte finden sich derartige Vorschriften nicht (vergl. Anm. zum Bayerischen Landrechte III12 § 5 Nr. 1, 2). Dagegen ist den Spitälern und dem Leprosenhause der Stadt München durch Privilegium (Münchener Stadtrecht Art. 485) ein ausfchließliches Erbrecht in Ansehung der von ihnen bis zum Tode unentgeltlich verpflegten Pfründner eingeräumt. Das Erbrecht schließt die Notherben aus und ist nicht durch letztwillige Verfügung entziehbar. Nach Preußischem Landrechte haben öffentliche Anstalten, sofern sie nicht bloße Heilanstalten sind, an dem Vermögen derjenigen, welche von ihnen unentgeltlich bis zum Tode verpflegt worden sind, ein unentziehbares, alle Verwandten ausschließendcs Erbrecht, wenn die Verpflegten bei ihrer Aufnahme über dieses Erbrecht verständigt worden sind. Der Ehefrau und den ehelichen Nachkommen muß jedoch der Pflichttheil gereicht werden, wenn sie nicht wegen *) Bergt, v. Roth, Bayr. Civilrecht 3. Theil 1. Aufl. § 358; 2. Aufl. § 387.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

115

Verweigerung der Unterstützung crbunwürdig sind (LR. II 19 §§ 50—55). S. 54. Gegenüber den in einem Waisenhaus erzogenen Kindern bleibt das Erbrecht bestehen, auch wenn sie die Anstalt behufs ihrer Fortbildung verlassen haben, sofern sie vor der Vollendung des 24. Lebensjahrs (nach anderer Ansicht vor der Volljährigkeit) und Zöglinge weiblichen Geschlechts unverehelicht sterben. Das Erbrecht des Waisenhauses ergreift den Nachlaß insoweit nicht, als das Kind das Vermögen erst nach dem Verlassen des Waisenhauses erworben hat (LR. II 19 §§ 56 ff.). Dem Waisenhause der Stadt Ansbach steht nach einem Edikte vom 4. April 1726 das Erbrecht nur zu, wenn das Kind nach dem Eintritte der Pubertät und vor der Volljährigkeit ohne letztwillige Verfügung und ohne Hinterlassung von Verwandten in gerader Linie oder von vollbürtigen Ge­ schwistern verstirbt. Mit halbbürtigen Geschwistern muß das Waisenhaus Ansbach nach billigem Ermessen theilen. Auch das Erbrecht der Hospitäler und der Almosenstiftungen ist im Ansbachischen Rechte besonders geregelt. Hinterläßt ein Pfründner, welcher sich nicht in das Spital eingekauft hat, ein ihm nach der Aufnahme in das Spital zugefallenes Vermögen, so erhalten in Ermangelung einer letztwilligen Verfügung nach dem Edikte vom 30. Januar 1744 die Verwandten in gerader Linie, die Geschwister und die Kinder ver­ storbener Geschwister die eine Hälfte, das Spital die andere Hälfte; das Spital erbt allein, wenn derartige Verwandte nicht vorhanden sind. „Almosen­ stiftungen", d. h. die selbständigen Wohlthätigkeitsanstalten, beerben nach dem Edikte vom 22. August 1754 arme kranke und gebrechliche Personen, welche sie ohne Beihilfe der Verwandten bis zum Tode verpflegt haben, unter Aus­ schluß aller Verwandten allein. Dem Pfründner muß von dem Erbrechte bei der Aufnahme Mittheilung gemacht werden, bei Almosenstiftungen ist die Ver­ ständigung nicht vorgeschrieben. Für die Beerbung stellt das Ansbacher Recht den überlebenden Ehegatten den Verwandten in gerader Linie gleich. Das Nürnberger Additionaldekret vom 28. Januar 1580 bestimmt, daß reiche Pfründner, die sich für ein gewisses Geld in das Spital einkaufen, und kranke arme bedürftige Personen, die nur kurze Zeit vom Spitale beherbergt werden, über ihr Vermögen außer über das, was sie an Kleidern, Leinzeug u. dgl. in's Spital brachten und was dem Spitale verbleibt, verfügen können. Dagegen hat das Spital ein Erbrecht, welches unentziehbar ist, an dem Ver­ mögen der unentgeltlich aufgenommenen kinderlosen Pfründner mit Ausschluß aller Verwandten. Nach der Würzburgischen Verordnung vom 12. September 1690 ist den Spitälern und Pfründehäusern an dem Vermögen der unentgeltlich bis zum Tode verpflegten Pfründner ein ausschließliches unentziehbares Erbrecht eingeräumt. In der Pfalz steht den Krankenhäusern nach dem Staatsrechtsgutachten vom 3. November 1809 gegenüber den unentgeltlich aufgenommenen und in der Anstalt versterbenden Kranken ein außerordentliches Erbrecht in Ansehung der || in die Anstalt mitgebrachten Sachen zu. Nach den Artikeln 8,9 des S. 55. Dekrets vom 15. plüviöse XIII fällt ferner der Nachlaß eines unter der gesetzlichen Vormundschaft des Pflegehauses stehenden Kindes in Ermangelung bekannter Erben dem Pslegehause zu, unbeschadet des Rechtes der Erben, wenn sie in der Folge auftreten, die Herausgabe der Erbschaft gegen Vergütung der im Interesse des Pfleglinges gemachten Aufwendungen zu verlangen. Durch die Verordnung vom 17. November 1816 Artikel 3 (R. Bl. S. 779) war den Armenpflegen ein Erbrecht an dem Vermögen der aus ihren Mitteln 8*

116

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 55. ernährten Personen, welche keine armen Notherben hinterlassen haben, eingeräumt worden. Diese Bestimmung ist durch das Gesetz vom 29. April 1869 über die öffentliche Armen- und Krankenpflege Artikel 7 (vergl. dazu Art. 5 Abs. 1 desselben Gesetzes) beseitigt. Das Erbrecht ist in einen bestimmt begrenzten Ersatzanspruch umgewandelt worden. Dabei wurden die in den einzelnen Statutar­ rechten begründeten Erbrechte der Armenanstalten ausdrücklich aufrecht erhalten. Den unter den Vorbehalt des Artikel 139 des Einsührungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche fallenden Vorschriften kommt große Bedeutung nicht zu. Für das Erbrecht des Waisenhauses in Ansbach hat sich nach dem Zeugnisse von Berolzheimer (Jntestaterbfolge nach den Provinzialrechten des Fürstenthums Ansbach S. 155) kein Anwendungsfall ermitteln lassen. Gleichwohl wird es nicht angehen, diese Vorschriften einfach aufzuheben. Tritt einmal der Fall ein, daß eine von einer öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalt unentgeltlich verpflegte Person Vermögen hinterläßt, so würde das allgemeine Rechtsbewußtsein es nicht verstehen, daß das Vermögen vielleicht entfernten Verwandten zufallen und die Anstalt leer ausgehen soll. Das Recht der Anstalt auf die von dem Erblasser zum Gebrauch in der Anstalt eingebrachten Sachen hat neben der Bedeutung, daß es wenigstens für einen Theil der für den Erblasser gemachten Aufwendungen Deckung gewährt, den Zweck, die Anstalt vor der Behelligung mit Ansprüchen aus Herausgabe wirklich oder angeblich cingebrachter Sachen zu schützen, und ist insbesondere für größere Anstalten schon aus diesem Grunde von Werth. Die bestehenden Vorschriften zeigen die Zersplitterung, die auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes in Bayern herrscht. Innere Gründe für die Ver­ schiedenheiten der einzelnen Rechte sind nicht vorhanden, es handelt sich lediglich um Folgen der geschichtlichen Zufälligkeiten, auf denen der dermalige Rechts­ zustand beruht. Sie werden daher durch einheitliche Vorschriften zu ersetzen sein. Für diese wird, was das Erbrecht anlangt, die Stellung von Bedeutung sein, welche das Gesetz vom 29. April 1869 zu dem Erbrechte der öffentlichen Armenpflege genommen hat. Die Gründe, welche dazu geführt haben, der Armenpflege statt des Erbrechts einen Ersatzanspruch zu geben Motive zu Art. 6 des Entwurfes des Gesetzes, Verhandlungen des Ausschusses der Kamm, der Abg. für die Sozialgesetze 1866/69 I S. 94), treffen auch bei den Wohl­ thätigkeitsanstalten zu. Das Erbrecht müßte jedenfalls zu Gunsten der pflichttheilsberechtigten Angehörigen des Erblassers beschränkt werden, die mit der Deckung ihres nothdürftigen Unterhalts auf ihre Erbtheile angewiesen sind. Damit würde aber die Beerbung von schwer festzustellenden Thatsachen abhängig gemacht werden, deren Ermittelung dritten Personen, die durch rechtliche Be­ ziehungen an die Erben als solche gewiesen sind, nicht zugcmuthet werden kann. Von dieser Schwierigkeit abgesehen geht das Erbrecht über das Ziel hinaus. Es ist billig, daß die Anstalt, die den Erblasser unentgeltlich verpflegt hat, aus dem Nachlaß Ersatz ihrer Aufwendungen erhält, soweir der lltachlaß nicht zur Deckung des nothdürftigen Unterhalts pflichttheilsberechtigter Angehöriger erforderlich ist; es entspricht aber nicht der Billigkeit, daß die Anstalt den Angehörigen des Erblassers einen ihre Aufwendungen weit übersteigenden Nachlaß entzieht, um einen unerwarteten Gewinn zu machen. Die heutige Rechtsanschauung würde in einer Vorschrift, nach welcher in einem solchen Falle der ganze Nachlaß der Anstalt verfallen wäre, nicht die Anerkennung des guten Rechtes der Anstalt, sondern eine ungerechtfertigte Härte erblicken. Der Entwurf setzt deßhalb im Artikel 92 an die Stelle des Erbrechts einen Ersatzanspruch. Den Ersatzanspruch gewährt der Entwurf auf Grund

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuchs. — Begründung.

117

des Artikel 103 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch als privat- S 55. rechtlichen Anspruch. Die letztere Eigenschaft hat nach Artikel 43 Abs. 1 des Armen- und Krankenpflege-Gesetzes vom 29. April 1869 der Ersatzanspruch der öffentlichen Armenpflege. Aus dem Artikel 7 des Armen- und KrankenpflegeGesetzes (in der Fassung des Gesetzes vom 3. Februar 1888) ist die Voraussetzung übernommen, daß der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tode von der Anstalt unterstützt oder unentgeltlich verpflegt worden ist und daß nicht durch die Geltendmachung des Anspruchs der nothdürftige Unterhalt pflichttheilsberechtigter Angehöriger des Erblassers gefährdet wird. Das Recht der Anstalt muß ferner von dem Vorhandensein eines die Nachlaßverbindlichkeiten (mit Ausnahme der Verbindlichkeiten aus Pflichttheilsrechten, Vermächtnissen und Auslagen) übersteigenden Nachlasses abhängig gemacht, der Anspruch darf nicht zum Nachtheile der Nachlaßgläubiger gewährt werden (vergl. § 5 Abs. 3 des badischen Gesetzes über die öffentliche Armenpflege vom 5. Mai 1870). Neben dem Ersatzansprüche räumt der Entwurf im Artikel 93 der Anstalt, in welcher der Erblasser bis zum Tode unentgeltlich verpflegt worden ist, den Anspruch auf die von dem Erblasser zum Zwecke des Gebrauchs in der Anstalt ein gebrachten Sachen ein. Da das Recht für kleinere Anstalten wenig Be­ deutung hat, empfiehlt es sich, es von einer Bestimmung der Satzung der Anstalt abhängig zu machen. Das Eigenthum an den der Anstalt zufallenden Sachen geht mit dem Eintritte des Erbfalls auf die Anstalt über, die Sachen gehören also nicht zur Erbschaft (§ 1922 des B. GB.). Der Werth der Sachen wird auf den der Anstalt zustehenden Ersatzanspruch angerechnet. Vermittelung der Auseinandersetzung eines Nachlasses oder eines Gesammtguts.

Artikel 94. Die Vorschrift beruht auf dem Vorbehalte des § 193 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und entspricht dem in den Landestheilen rechts des Rheins geltenden Rechte (Notariatsgesetz vom 10. November 1861 Art. 35). In der Pfalz ist in den Fällen, in welchen eine gerichtliche Auseinandersetzung stattzufinden hat, der Notar zur Mitwirkung berufen (Gesetz vom 11. September 1825, die Förmlichkeiten bei Anlegung und Abnahme der gerichtlichen Siegel u. s. w. bett., Art. 26 ff.) und, wo eine gerichtliche Thätigkeit nicht erforderlich ist, können die Betheiligten sich der Hilfe des Notars bedienen (vergl. Art. 222 Ziff. 2 des Ges. zur Ausf. der CPO. und KO.).

Sicherungsmaßregeln bei dem Tode eines Beamten. Artikel 95.

Das Bayerische Landrecht III 1 § 17 Nr. 7 hatte bestimmt, daß „auf Absterben eines in Verrechnung gestandenen Churfürstlichen Beamten zwar die Kassasperre von Seiten der Churfürstlichen Hofkammer, respektive des Rentamts verfügt" werde, „um aber doppelte Kosten zu ersparen, solle man solche zugleich demjenigen, der die Obsignation auch bei der anderen Verlassenschaft vorzunehmen hat, kommissionaliter übertragen". Durch Verordnung vom 2. September 1811 (R. Bl. S. 1105) wurde für das ganze rechtsrheinische Bayern vorgeschrieben, daß bei allen Staatsbeamten nach dem Ableben die Siegelung der bei dem Ver­ storbenen v orhandenen amtlichen Pap iere,Gelder undEffekten vorzunehmen sei (vergl. Entschl. des Staatsministeriums derJustizvom H.Märzl881, J.M.Bl. S.130).

S. 56.

118

S. 66.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Für die Pfalz bestimmt der Artikel 911 des Code de procedure: „Die Siegel werden .... von Amtswegen angelegt .... 3) wenn der Verstorbene öffentlicher Depositar war; in diesem Falle werden die Siegel nur in Beziehung auf das Depositum und die dazu gehörenden Gegenstände angelegt". Nach Artikel 1 des Gesetzes vom 11. September 1825, die Förmlichkeiten bei An­ legung und Abnahme der gerichtlichen Siegel u. s. w. betreffend, sollen die Beamten des Civilstandes die Sterbefälle öffentlicher Depositare dem Friedens­ richter anzeigen, welcher sodann die Versiegelung des Nachlasses vorzunehmen hat. Durch Artikel 178 des Gesetzes vom 23. Februar 1879 zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung ist Artikel 911 des Code de procedure aufrechterhalten worden. Die Verordnung vom 2. September 1811 hat in der Anwendung zu Anständen geführt. Insbesondere machte sich der Mangel einer bestimmten Begrenzung der Beamtenkategorien fühlbar, bei denen eine Versiegelung aus dienstlichen Gründen geboten ist. Auch die Bestimmungen des pfälzischen Rechtes haben sich als nicht mehr zeitgemäß erwiesen. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt kein allgemeines Gebot der Versiegelung des Nachlasses. Die Fürsorge des Nachlaßgerichts tritt nur unter den im § 1960 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Voraussetzungen ein.*) Der Artikel 140 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche läßt zwar die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt, nach welchen das Nachlaß­ gericht auch unter anderen Voraussetzungen die Anfertigung eines Nachlaß­ verzeichnisses sowie bis zu dessen Vollendung die erforderlichen Sicherungs­ maßregeln, insbesondere die Anlegung von Siegeln, von Amtswegen anordnen kann; der Entwurf macht aber von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch, weil die Vorschrift, daß das Nachlaßgericht in allen Fällen von Amtswegen die Errichtung eines Inventars anzuordnen hat, den in Bayern geltenden Rechten fremd ist (Roth, Bayerisches Civilrecht III § 384 Note 61, § 370 Note 43) **) Die amtliche Errichtung eines Nachlaßverzeichnisses ist nach dem geltenden Rechte nur zur Wahrung der Rechtswohlthat des Inventars erforderlich, das Bürgerliche Gesetzbuch macht aber die beschränkte Haftung des Erben nur dann von der Jnventarerrichtung abhängig, wenn dem Erben auf Antrag eines Nachlaßgläubigers eine Jnventarfrist bestimmt worden ist (§ 1994), was voraussichtlich nur ausnahmsweise geschehen wird. Bei dieser Ge­ staltung der Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten genügt es, daß der Erbe die Thätigkeit des Nachlaßgerichts in Anspruch nehmen kann, sobald ihm eine Jnventarfrist bestimmt worden ist (§ 2003). Wenn nun auch die bestehenden Vorschriften über die Versiegelung des Nachlasses von Beamten durch das Bürgerliche Gesetzbuch nicht berührt werden, weil sie öffentlichrechtlicher Natur sind, so muß doch der Umstand, daß die in einem großen Theile Bayerns als Regel vorgeschriebene Nachlaßversiegelung (Roth III S. 779—782) künftig die Ausnahme bilden wird, schon wegen der Kosten auf die aus öffentlich-rechtlichen Gründen eintretende Versiegelung Einfluß üben. Es empfiehlt sich deßhalb, die Verordnung vom 2. September 1811 sowie die erwähnten Vorschriften des pfälzischen Rechtes durch eine neue Vorschrift über die Sicherung der im Nachlaß eines Beamten befindlichen amtlichen Schriffftücke, Gelder und sonstigen Gegenstände zu ersetzen. Der Entwurf *) Sohin, wenn die Erbschaft noch nicht angenommen oder der Erbe unbekannt oder ungewih ist, ob er die Erbschaft angenommen hat, und ein Bedürfniß zur Fürsorge besteht. ••) 1. Aust. — 2. Aast. 88 413, 899.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

119

behält mit Rücksicht auf die in Betracht kommenden organisatorischen Fragen S. 56. die Regelung einer Königlichen Verordnung vor. Der Entwurf läßt die Bestimmung von Sicherungsmaßregeln durch Königliche Verordnung nicht nur bei dem Tode eines Beamten des Staates, sondern auch bei dem Tode eines Beamten einer Kreisgememde, einer Distrikts­ gemeinde oder einer nicht unter gemeindlicher Verwaltung stehenden öffentlichen Stiftung zu, weil auch in diesen Fällen die Interessen des Dienstes durch die zuständigen Staatsbehörden zu wahren sind. Anders verhält es sich bei den Beamten der Gemeinden und der örtlichen Stiftungen. Bei diesen ist die etwa erforderliche Regelung — vorbehaltlich der Grundsätze über die formelle Behandlung des Kasse- und Rechnungswesens durch die vorgesetzten Behörden — Sache der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 107, 145 Abs. 8 der rechts­ rheinischen, Art. 78 Abs. 10 der pfälzischen Gemeindeordnung). Die Bestimmung des § 68 der II. Beilage zur Verfassungsurkunde bleibt unberührt. Vollziehung einer Auflage von öffentlichem Interesse.

Artikel 96. Nach § 2194 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann die Vollziehung einer durch Verfügung von Todeswegen angeordneten Auflage von der zuständigen Behörde verlangt werden, wenn die Vollziehung im öffentlichen Interesse liegt. Das Gleiche gilt nach § 525 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs für die mit einer Schenkung verbundene Auflage nach dem Tode des Schenkers. Die Zuständigkeit der Behörden, die für die Vollziehung solcher Auflagen zu sorgen haben, bestimmt sich nach bett landesrechtlichen Vorschriften. Neben den staatlichen Behörden kommen für gewisse Fälle auch die Behörden der juristischen Personen des öffentlichen Rechtes, insbesondere der verschiedenen Gemeindeverbände mit Einschluß der öffentlichen Armenpflege, in Betracht. Es ist nicht unzweifelhaft, ob diese Behörden in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Vorschrift verpflichtet sind, sich der Aufgabe zu unterziehen; denn die Auflage enthält nicht eine Zuwendung an die Gemeinde oder die sonstige juristische Person, das Recht, die Vollziehung der Auflage zu verlangen, bezweckt nicht, der juristischen Person einen Vermögenswerth zu verschaffen, und steht nicht der juristischen Person, sondern der Behörde als solcher zu, es hat lediglich formale Bedeutung und soll die Lücke ausfüllen, die sich daraus ergibt, daß derjenige, dem die Auflage zu gute kommt, der den Vortheil erlangen soll, kein Recht hat, den Beschwerten zu der Erfüllung seiner Ver­ pflichtung anzuhalten (§ 1940 des B. GB ). Der Entwurf spricht deß || halb 5. 57. die Zuständigkeit dieser Behörden, die Vollziehung solcher Auflagen zu verlangen, deren Zwecke dem Wirkungskreise der von ihnen vertretenen juristischen Personen angehören, ausdrücklich aus. Oeffentliche Sparkaffen.

Artikel 97 bis 109. Nach Artikel 99 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die öffentlichen Sparkassen, unbeschadet der Vorschriften des § 808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs*) und der *) Wird eine Urkunde, in welcher der Gläubiger benannt ist, mit der Bestimmung ausgegeben, daß die in der Urkunde versprochene Leistung an jeden Inhaber bewirkt werden

120

S. 57

IV. Abth. Ausführurigsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld, unberührt. Soweit die Sparurkunden (Sparbücher, Sparscheine) zu den im § 808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Urkunden gehören, kann die Landesgesetzgebung nach Artikel 102 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche für die Kraftloserklärung ein anderes Verfahren als das Aufgebotsverfahren be­ stimmen. Von diesen Vorbehalten macht der Entwurf in den Artikeln 95 bis 108 für die öffentlichen Sparkassen, d. h. für die Sparkassen der Gemeinden und Distrikte, in der Weise Gebrauch, daß er die Prüfungspflicht der Sparkassen bei Einzahlungen, Kündigungen und Rückzahlungen erleichtert (Art. 97, 98), die Kraftloserklärung einer abhanden gekommenen oder vernichteten Sparurkunde durch den Vorstand der Sparkasse zuläßt (Art. 99) und das bei der Kraftlos­ erklärung zu beobachtende Verfahren bestimmt (Art. 100 bis 108).

Artikel 97. Minderjährige und andere (§ 114 des B. GB.) in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen können nach § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Spar­ einlagen nur mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters machen. Erfolgt die Einzahlung der Spareinlage ohne die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so kann dieser das Geld ohne Weiteres zurückverlangen und wird die Spar­ kasse durch Zahlung an den nur beschränkt geschäftsfähigen Einleger nicht be­ freit. Denn der Vertrag, durch welchen sich der Einleger den satzungsmäßigen Bestimmungen der Sparkasse unterworfen hat, ist rechtlich unwirksam, die Sparkasse hat die Einlage ohne rechtlichen Grund. Aehnlich liegt die Sache bei Ehefrauen; sie können nur, soweit in der Ehe Gütertrennung gilt oder es sich um Vorbehaltsgut handelt, Spareinlagen ohne die Zustimmung des Mannes machen (§§ 1396, 1443, § 1519 Abs. 2, § 1525 Abs. 2, §§ 1549, 1550 des B. GB.). Den Sparkassen kann aber nicht zugemuthet werden, die Geschäftsfähigkeit und die Verfügungsbefugniß der Personen zu prüfen, die Spareinlagen machen. Hievon abgesehen macht der Zweck der öffentlichen Spareinrichtungen es noth­ wendig, deren Benützung Ehefrauen und Minderjährigen in der Weise zu er­ leichtern, daß sie selbständig Einlagen machen können. Das Erforderniß der Einwilligung des Ehemanns oder des gesetzlichen Vertreters würde in sehr vielen Fällen, insbesondere bei Personen, die sich fern von der Heimath in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnisse befinden, die Anlegung von Ersparnissen verhindern. Die Zulassung der Ehefrauen und Minderjährigen als Einleger ist unbedenklich, weil die Sparenden im Wesentlichen nur Rechte erwerben, während die Sparkasse überwiegend Pflichten übernimmt. Deßhalb gestattet der Artikel 97, durch die Satzung zu bestimmen, daß Ehefrauen ohne die Zu­ stimmung des Ehemanns und in der Geschäftsfähigkeit Beschränkte ohne Ein­ willigung des gesetzlichen Vertreters Spareinlagen machen können. Die Vor­ schrift entspricht der bei den bayerischen Sparkassen herrschenden Uebung und hat in einigen Gesetzgebungen, z. B. im elsaß-lothringischen Gesetze vom 14. Juli 1895, betreffend die Sparkassen (G. Bl. S. 87), § 4 und im österkann, so wird der Schuldner durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde befreit. Der Inhaber ist nicht berechtigt, die Leistung zu verlangen. Der Schuldner ist nur gegen Aushändigung der Urkunde zur Leistung verpflichtet. Ist die Urkunde abhanden gekommen oder vernichtet, so kann sie, wenn nicht ein Anderes bestimmt ist, im Wege des Aufgebotsverfahrens für kraftlos erklärt werden. Die im § 802 für die Verjährung gegebenen Vorschriften finden Anwendung.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

121

reichischen Gesetze über die Postsparkassen vom 28. Mai 1882 (R.G.Bl. Nr. 56) S. 57. Artikel 6 Abs. 5, Vorbilder. Eine ädnliche Bestimmung hatte auch der Ent­ wurf eines Reichsgesetzes über die Postsparkassen (Reichslagsdrucksachen 1884/85 Nr. 82) im § 5 ausgenommen. Artikel 98.

Von noch größerer Bedeutung als bei der Einzahlung ist die Erleichter­ ung der Prüfungspflicht für den Geschäftsbetrieb der öffentlichen Sparkassen bei der Kündigung und der Rückzahlung der Guthaben. Die Sparurkunden können als Legitimationspapiere im Sinne des § 808 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs ausgestellt werden, so daß die Sparkasse berechtigt aber nicht verpflichtet ist, die Berechtigung des Inhabers der Sparurkunde zu prüfen, und durch die Zahlung an den Inhaber frei wird, auch wenn dieser in Wirklichkeit nicht der Berechtigte ist. In der That haben schon jetzt die meisten öffentlichen Spar­ kassen gemäß Nr. 6 Abs. 2 der Normativentschlicßung des k. Staatsministeriums des Innern vom 20. Mai 1874 (Amtsbl. d. Mm. d. Innern 1874 S. 301) in ihre Satzung die Bestimmung ausgenommen, daß sie nicht verpflichtet sind, die Berechtigung des Inhabers der Sparurkunde zu prüfen. Für den Fall, daß eine solche Bestimmung getroffen ist, gewährt der Artikel 98 den Spar­ kassen noch weiteren Schutz, indem er nicht nur den Mangel des Verfügungs­ rechts, sondern auch einen Mangel in der Geschäftsfähigkeit für unschädlich erklärt Mit der Zahlung an den Inhaber der Urkunde erlischt die Verbind­ lichkeit der Sparkasse, auch wenn die Zahlung an den Inhaber nach den Vor­ schriften des bürgerlichen Rechtes nicht rechtswirksam geschehen kann. Die Zwecke, denen die öffentlichen Sparkassen zu dienen bestimmt sind, bringen es mit sich, daß die Sparkassen genöthigt sein werden, sich in manchen Fällen auf eine Beschränkung des Rechtes, an den Inhaber der Sparurkunde zu zahlen, einzulassen. Insbesondere kann Mündelgeld bei der Sparkasse nur angelegt werden, wenn die Sparkasse in die Bestimmung willigt, daß zur Er­ hebung des Geldes die Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist (§ 1809 des B. GB.). Eine Sparkasse kann daher zur Anlegung von Mündelgeld nur dann für geeignet erklärt werden (§ 1807 Abs. 1 Nr. 5 des B. GB ), wenn ihre Satzungen die Anlegung unter der bezeichneten Bestimmung ermöglichen. Aehnliche Bestimmungen sind zu treffen, wenn einer Mutter, der die elterliche Gewalt über ihr Kind zusteht, ein Beistand bestellt ist (§ 1691 des B. GB.) oder wenn es sich um die An­ legung einer Geldsumme handelt, die einem Nießbrauch oder einem Pfandrecht unterworfen ist (§ 1079, § 1288 Abs. 1 des B. GB.). Solche Beschränkungen sind zur Verhütung von Irrungen in die Sparurkunde aufzunehmen.

Das elsaß-lothringische Gesetz vom 14. Juli 1895 § 12 Abs. 2 gewährt Ehefrauen und in Ausnahmsfällen auch Minderjährigen das Recht, die von ihnen selbst gemachten Einlagen selbständig zurückzuziehen. Mit Rücksicht auf den Artikel 98 ist eine solche Bestimmung entbehrlich. Gegenüber Minder­ jährigen und anderen in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Personen werden die Sparkassenverwaltungen von ihrem Rechte, an den Inhaber der Spar­ urkunde ohne Prüfung seiner Einziehungsbefugniß zu zahlen, nur mit || Vor- S. 58. sicht Gebrauch machen dürfen. Es wird sich empfehlen, in die Satzung die Vorschrift aufzunehmen oder durch Verwaltungsvorschrift zu bestimmen, datz solchen Personen Einlagen, die nicht von ihnen selbst gemacht sind, — abgesehen von dem Falle ihres Auftretens als Bevollmächtigte des Berechtigten — nur

122 S. 58

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, von ihnen selbst gemachte Einlagen nur auf Anordnung des Vorstandes gezahlt werden sollen. Artikel 99 bis 108.

Soweit die Sparurkunden nicht Legitimationspapiere im Sinne des § 808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind, besteht für die Zulassung der Kraftlos­ erklärung kein Bedürfniß. Der Sparer wird aus den Büchern der Sparkasse ohne Schwierigkeit seine Berechtigung nachweisen können. Die Sparkasse kann sich durch ein in Gemäßheit des §371 des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus­ gestelltes öffentlich beglaubigtes Anerkenntniß des Verlierers sichern. Dagegen ist bei den Sparurkunden, welche zu den im § 808 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs bezeichneten Urkunden gehören, die Kraftloserklärung durch reichsgesetzliche Vorschrift zugelassen. Da jedoch die Sparurkunden häufig über kleine Beträge ausgestellt werden und nicht im Verkehre von Hand zu Hand zu gehen pflegen, so ist ein einfacheres unl> weniger kostspieliges Verfahren als das für die Kraftloserklärung von Urkunden vorgeschriebene Aufgebotsverfahren der Civilprozeßordnung zulässig und zweckmäßig. In einer Reihe von Gesetz­ gebungen ist deßhalb entweder das gerichtliche Verfahren vereinfacht oder an Stelle des gerichtlichen ein anderes Verfahren zugelassen. Mit einer Verein­ fachung des gerichtlichen Aufgebotsverfahrens begnügen sich z. B. die Gesetze von Baden und Hessen. Nach dem badischen Gesetze zur Einführung der Reichsjustizgesetze vom 3. März 1879 § 105 Nr. 3, § 108 und dem hessischen Ausführungsgesetze zur Civilprozeßordnung vom 4 Juni 1879 Artikel 10 Nr. 3, Artikel 16 kann das Gericht anordnen, daß die Einrückung des Aufgebots und des Ausschlußurtheils in öffentliche Blätter nur einmal erfolgen soll. Ein besonderes Verfahren schreiben z. B. das elsaß-lothringische Gesetz vom 14. Juli 1895 § 17 und das österreichische Postsparkassengesetz vom 28. Mai 1882 Artikel 14 vor. Nach dem elsaß-lothringischen Gesetz erfolgt, wenn ein Sparkaffebuch abhanden gekommen ist und der Sparer den Verlust des Buches glaubhaft macht, auf Antrag des Sparers die einstweilige Sperrung des Gut­ habens und das Aufgebot des Buches durch den Vorstand der Sparkasse. Das Aufgebot hat die Aufforderung an den Inhaber des Buches zu enthalten, binnen drei Monaten das Buch vorzulegen. Wird das Buch nicht vorgelegt, so erklärt der Vorstand es für kraftlos und wird dem Sparer ein neues Buch ausgestellt. Ein ähnliches besonderes Verfahren hatte auch der Entwurf eines deutschen Postsparkassengesetzes im § 24 vorgeschlagen. Wo ein solches be­ sonderes Verfahren nicht besteht, ist häufig dem Vorstande der Sparkasse in der Satzung die Befugniß ertheilt, eine zu Verlust gegangene Sparurkunde nach öffentlicher Bekanntmachung, unter Umständen auch ohne solche, für kraft­ los zu erklären. Bestimmungen dieses Inhalts finden sich auch in den Satz­ ungen bayerischer Sparkassen. Der § 808 des Bürgerlichen Gesetzbuchs steht Satzungsbestimmungen, welche den Vorstand der Sparkasse ermächtigen, eine neue Sparurkunde auch ohne gerichtliche Kraftloserklärung der bisherigen auszustellen, nicht eutgegen Es empfiehlt sich aber, für die öffentlichen Sparkassen ein einfacheres Verfahren gesetzlich einzuführen. Dadurch wird die besondere Regelung in den Satzungen der Sparkassen entbehrlich und werden die Sparkassen veranlaßt, sich nicht mit zu geringen Erfordernissen zu begnügen.

Der Entwurf geht davon aus, daß kein hinreichender Grund vorhanden ist, das gerichtliche Aufgebotsverfahren auszuschließen, das die Landesgesetz-

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesctzbuche — Begründung

123

gcbung nach § 850e Satz 2 der Civilprozeßordnung*) durch abweichende Vor- S. 58. schriften über die erforderlichen Veröffentlichungen und über die Aufgebotsfrist vereinfachen kann. Neben dem gerichtlichen Aufgebotsverfahren läßt aber der Entwurf nach dem Vorbilde des elsaß-lothringischen Gesetzes vom 14. Juli 1895, des österreichischen Postsparkassengesetzes und des Entwurfes eines deutschen Postsparkassengesetzes die noch rascher und mit geringeren Kosten zum Ziele führende Kraftloserklärung durch den Vorstand der Sparkasse, d. h. bei ge­ meindlichen Sparkassen durch den Bürgermeister, bei Distrikts-Sparkassen durch den ständigen Vorstand des Distriktsausschusses (Bezirksamtmann), zu. Das bei der Kraftloserklärung zu beobachtende Verfahren schließt sich, soweit der Zweck es erfordert, den Vorschriften der Civilprozeßordnung an. An die Stelle der eidlichen Versicherung der Wahrheit einer von dem Antrag­ steller aufgestellten Behauptung (§ 840 Nr. 3, § 829 Abs. 2 der CPO.)**) tritt eine Versicherung an Eldesstatt (Art. 100 Satz 2, Art 105 Abs. 2), deren Ab­ nahme dem Vorstande der Sparkasse zusteht. Mit der Erlassung des Auf­ gebots wird die Zahlungssperre (§ 850a, ß850e Satz 1 der CPO.)***) verbunden, ohne daß es eines besonderen Antrags bedarf (Art. 101). Ein Aufgebotstermin wird nicht abgehalten, die Anmeldungsfrist (§ 847 der CPO.)f) ist auf drei Monate herabgesetzt (Art. 102). In den Satzungen mancher Sparkassen ist vorgeschrieben, daß die Spar­ bücher behufs Richtigstellung der Kontos, Zuschreibung der nicht erhobenen Zinsen und zu ähnlichen Zwecken von Zeit zu Zeit eingefordert werden. Ist eine derartige Bestimmung getroffen, so gebietet es die Rücksicht auf den möglicher Weise berechtigten Inhaber des Sparbuchs, daß dieses erst dann für kraftlos erklärt werden darf, wenn es bei der nächsten Einforderung der Bücher nicht zum Vorscheine gekommen ist. Der Entwurf schreibt deßhalb im Anschluß an die auf einer ähnlichen Erwägung beruhenden §§ 843 bis 846 der Civilprozeßordnung-ff) vor, daß die Anmeldungsfrist so zu bestimmen ist, daß sie erst abläuft, wenn seit dem nächsten Termine, für welchen die Bücher eingefordert werden, drei Monate verstrichen sind (Art. 102 Abs. 3). Die nothwendigen Veröffentlichungen sind auf das möglichst geringe Maß beschränkt und thunlichst vereinfacht. Bekannt zu machen sind nur das Aufgebot (Art. 103) und der Beschluß, durch den die Urkunde für kraftlos erklärt wird (Art. 105 Abs. 3). Bezüglich der Bekanntmachung durch öffent­ liche Blätter begnügt sich der Entwurf für die Regel mit einmaliger Ein­ rückung in das für die Bekanntmachungen der Sparkasse bestimmte Blatt. Wo eine ausdrückliche Bestimmung nicht getroffen ist, wird die Uebung bestehen, die Bekanntmachungen in das Amtsblatt des Verwaltungsbezirkes einzurücken. Bei dem Aufgebot ist, wenn es sich um Urkunden über einen höheren Betrag handelt, die Einrückung in ein zweites, nach den Umständen auszuwählendes Blatt vorgeschrieben und für besondere Fälle, z. B. wenn der Sparer von dem Orte, an dem sich der Sitz der Sparkasse befindet, entfernt wohnt, ist dem Vorstände der Sparkasse die Befugniß gewährt, die Veröffentlichung in einem zweiten Blatte oder die Wiederholung der Veröffentlichung in dem für die Bekanntmachungen der Sparkasse bestimmten Blatte anzuordnen. Zm Uebrigen erfolgen die Bekanntmachungen durch Aushang bei der Sparkasse. S. 59. •) ••) ••*) t) tt)

Siehe Siche Siche Siehe Siehe

jetzt jetzt jetzt jetzt jetzt

§ 1023 Satz 2 C P O. in der Fassung vom 17 /20. Mai 1898 (n. F.) § 1007 Nr. 3, § 952 Abs. 3 C.P.O. n. F. § 1019, § 1023 Satz 1 C.P.O. n. F, § 1015 C.P.O. n. F. die §§ 1010 bis 1014 C P. O. n. F.

124

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 59. Gegen den Beschluß, durch welchen die Sparurkunde für kraftlos erklärt wird, kann eine Beschwerde ebensowenig zugelassen werden wie gegen das im gericht­ lichen Aufgebotsverfahren erlassene Ausschlußurtheil. Der Entwurf (Art. 107) gestattet deßhalb nur die Anfechtung mittelst Klage nach den Vorschriften der §§ 834, 835 der Civilprozeßordnung*) (bergt § 24 des Entwurfes eines deutschen Postsparkassengesetzes). Ist die Kraftloserklärung durch rechtskräftiges Urtheil ausgehoben, so muß der wesentliche Inhalt des Urtheils in derselben Weise wie der Beschluß, durch welchen die Kraftloserklärung erfolgt ist, veröffentlicht werden (vergl. § 848 Abs. 3 der CPO.)**). Im Uebrigen verbleibt es für Be­ schwerden gegen die von dem Vorstande der Sparkasse getroffenen Verfügungen bei den allgemeinen Vorschriften. Die Kosten der Kraftloserklärung müssen möglichst gering sein. Die Kraftloserklürung soll auch bei Sparurkunden über kleine Guthaben nicht an den Kosten scheitern. Der Entwurf sucht dieses Ziel nicht nur durch die Beschränkung der erforderlichen Veröffentlichungen zu erreichen, sondern erklärt das Verfahren für gebührenfrei (Art. 108), so daß der Antragsteller nur die baaren Auslagen und die etwaige Gebühr für die Ausstellung einer neuen Sparurkunde zu tragen hat. Artikel 109.

Die Vorschriften der Artikel 98 bis 108 können unbedenklich auf die vor dem Inkrafttreten des Ausführungsgesetzes ausgestellten Sparurkunden für anwendbar erklärt werden. Eine verschiedene Behandlung der älteren und der neueren Sparurkunden würde nur zu Verwirrungen Anlaß geben. Der Entwurf gibt deßhalb den Artikeln 98 bis 108 rückwirkende Kraft (Art. 109).

Ansprüche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes und Grundgefällen.

Artikel 110 bis 114. In den Artikeln 110 bis 114 sind einige Vorschriften über die Ansprüche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes und aus Grundgefällen getroffen. Hinsichtlich der Ansprüche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes sind die dingliche Haftung des Grundstücks (Art. 110), das Recht, die Eintragung einer Sicherungshypothek zu verlangen (Art. 111), und das Erlöschen durch Zeitablauf (Art. 112, 113), hinsichtlich der Ansprüche aus Grundgefällen sind die Befreiung von der Eintragung in das Grundbuch (Art. 114 Abs. 1) sowie das Recht, die Eintragung einer Sicherungshypothek zu verlangen, und das Erlöschen durch Zeitablauf (Art. 114 Abs. 2) geregelt. Artikel 110. Die dingliche Haftung eines Grundstücks für die auf das Grundstück treffenden Staatsabgaben wird von der herrschenden Meinung nur anerkannt, soweit sie ausdrücklich ausgesprochen ist. Nach Artikel 108 Abs. 1 Ziff. 1, Artikel 151 Abs. 1 Ziff. 1 der Subhastationsordnung vom 23. Februar 1879 sind aber aus dem Versteigerungserlös und dem Ueberschusse der Zwangs­ verwaltung in erster Reihe die auf die beschlagnahmten Gegenstände treffenden Steuern, Umlagen und gleichgestellten Leistungen für die Zeit von der Beschlagnahme *) Siehe jetzt die §§ 957, 958 C. P. O. n. F. **) Siehe jetzt § 1017 Abs. 3 C.P.O. n. F.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

125

bis zum Zuschläge sowie die etwaigen Rückstände für das bei der Beschlagnahme S. 59. laufende und die vorhergehenden zwei Kalenderjahre zu berichtigen, gleichviel ob die Rückstände aus der Besitzzeit des gegenwärtigen Besitzers oder eines Vorbesitzers herstammen. Die Folge ist, daß z. B. für einen Grundsteuer­ rückstand, welcher aus der Besitzzeit des Besitzvorgängers des jetzigen Besitzers herrührt, das Grundstück an sich nicht in Anspruch genommen werden kann, daß aber, wenn die Zwangsvollstreckung in das Grundstück gegen den jetzigen Besitzer von einem Dritten betrieben wird, der Steuerrückstand aus dem Ver­ steigerungserlös oder dem Ueberschusse der Zwangsverwaltung befriedigt wird. Dieses Ergebniß entbehrt der inneren Berechtigung, da die Haftung des Grund­ stücks nicht davon abhängen sann, daß der Besitznachfolger zufällig zahlungs­ unfähig ist und das Grundstück deßhalb zur Versteigerung kommt. Abhilfe ist schon zu wiederholten Malen, namentlich bezüglich der Gemerndeumlagen, verlangt worden (vergl. Verh. der Kamm, der Abg. 1894 Sten. Ber. IV S. 351). Eine von der herrschenden Meinung abweichende Auffassung liegt dem § 32 Abs. 4 des Fmanzgesetzes vom 28. Dezember 1831 zu Grunde. Durch den Vorbehalt der „Bestimmungen des Hypothekengesetzes und der Prioritütsordnung" sollte zum Ausdrucke gebracht werden, daß für die aus ein Grund­ stück treffenden Staatsgefälle, soweit sie den Hypotheken im Range vorgehen, auch dingliche Haftung besteht jVerh. der Kamm, der Abg Prot. XXI S. 117 ff., insbesondere S. 125). Der Entwurf gibt diesem Gedanken einen klareren Ausdruck, indem er im Art. 110 für Leistungen, die auf Grund eines Rechtsverhältnisses des öffentlichen Rechtes von einem Grundstücke zu entrichten sind, das Grundstück für verhaftet erklärt. Die dingliche Haftung für rück­ ständige Leistungen soll im Einklänge mit § 10 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, durch welchen die Artikel 108, 151 der Subhastationsordnung ersetzt werden, mit dem Ablaufe von zwei Jahren nach dem Eintritte des Zeitpunkts erlöschen, von dem an die Leistung gefordert werden sann, wenn nicht vorher die Beschlagnahme des Grundstücks erfolgt ist. Die Vorschrift ist einerseits auf die Ansprüche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes beschränkt, weil für die privatrechtlichen Ansprüche, soweit nicht Vorbehalte bestehen, das Bürgerliche Gesetzbuch maßgebend ist und für die Grundgefälle des Staates und der Ablösungskaffe die Vorschriften der Ablösungsgesetze tn Geltung bleiben, andererseits auf alle Ansprüche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes ausgedehnt, auch wenn sie nicht dem Staate, sondern z. B. einer Kreis-, Distrikts- oder Ortsgememde zustehen. Welche Leistungen auf Grund eines Rechtsverhältnisses des öffentlichen Rechtes von dem Grundstücke zu entrichten sind, bestimmt sich nach den Ge­ setzen, auf Grund deren die Leistungen geschuldet werden. Zu diesen Leistungen gehören insbesondere die Grundsteuer, die Haussteuer, die Umlagen, welche von der Grund- und der Haussteuer berechnet werden, die Brandversicherungsbetträge nach Artikel 72, 75 des Brandversicherungsgesetzes vom 3. April 1875, die Hagelversicherungsbeiträge nach Artikel 4 des Hagelversicherungsgesetzes vom 13. Februar 1884, die Beiträge zu der land- und forstwirthschaftlicheit Unfall- und Krankenversicherung nach Artikel 12 des Ausführungsgesetzes vom 5. April 1888, die Beiträge zu genossenschaftlichen Bewässerungs- und Ent­ wässerungsanlagen nach Artikel 13, 14 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über die Bewässerungs- und Entwässerungsunternehmungen zum Zwecke der Boden­ kultur und Art. 9 Abs. 2 Ziff. 3 des Gesetzes vom 21. April 1884 über die

126

IV. Abth. Ausführungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 59. Landeskultur-Rentenanstalt. Auch Leistungen, welche für die Benutzung von S. 60. Gemeindeanstalten (Kanalisation, Unrathabfuhr, Wasserleitung, „ Gasleitung) geschuldet werden, können hieher gehören. Nicht hieher gehören z. B. die Gewerbe-, Kapitalrenten- und Einkommensteuer, der Malzaufschlag, die Besitzv eränderun gsgebühren. Zur Verwirklichung der dinglichen Haftung des Grundstücks steht auch gegenüber dem nicht persönlich haftenden Eigenthümer den Verwaltungs- und den Gemeindebehörden das in den Artikeln 6 bis 8 des Gesetzes vom 23. Februar 1879 zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkurs­ ordnung bestimmte Vollstreckungsrecht zu. Artikel 111.

Nach § 12 Nr. 1 des Hypothekengesetzes hat der Staat wegen der rückständigen ordentlichen und außerordentlichen Staatsabgaben einen gesetzlichen Hypothckentitel. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt gesetzliche Hypothekentitel nicht, nach Artikel 91 des Einführungsgcsetzes bleiben aber die landesgesetz­ lichen Vorschriften unberührt, nach denen der Fiskus berechtigt ist, zur Sicherung gewisser Forderungen die Eintragung einer Hypothek an Grundstücken des Schuldners zu verlangen, und die Eintragung der Hypothek auf Ersuchen einer bestimmten Behörde zu erfolgen hat. Die Hypothek kann nur als Sicherungs­ hypothek eingetragen werden; sie entsteht mit der Eintragung. Der Entwurf macht von diesem Vorbehalte Gebrauch, weil das Recht auf Eintragung einer Sicherungshypothck nicht nur wegen des Schutzes der Staatskasse gegen Aus­ fälle an den geschuldeten Abgaben von hohem Werthe ist, sondern auch den Schuldnern insofern einen nicht gering anzuschlagenden Vortheil bringt, als es den Behörden die Gewährung schonender Nachsicht ermöglicht. Der Artikel 111 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 wiederholt nur das geltende Recht. Im Abs. 1 Satz 2 ist das Maß von Sicherheit, das beansprucht werden darf, wenn der Pflichtige mehrere Grundstücke hat, in der gleichen Weise bestimmt, wie im Artikel 8 Abs. 2 und im Artikel 80 Abs. 3. Artikel 112, 113.

Die Verjährung der Ansprüche des Fiskus und der Ansprüche gegen ihn ist für das rechtsrheinische Bayern hauptsächlich durch die Vorschriften der §§ 31 bis 34 des Finanzgesetzes vom 28. Dezember 1831 geordnet. Diese Vorschriften sind durch die Gesetze vom 19. Mai 1881 über die direkten Steuern (Grundsteuergesetz § 116 Abs. 2, Haussteuergesetz § 37 Abs. 2, Einkommensteuergesetz Artikel 82 Abs. 1, Kapitalrentensteuergesetz Artikel 37, Gewerbsteuergesetz Artikel 75 Abs. 1), durch das Gesetz vom 18. August 1879 über die Erbschaftssteuer Artikel 46 Abs. 1 und durch das Gebührengesetz Artikel 267 Abs. 1 in Ansehung der durch diese Gesetze geregelten Abgaben zum Theil auf die Pfalz übertragen worden. Im Uebrigen gelten in der Pfalz bezüglich der Verjährung der Ansprüche des Fiskus und der Ansprüche gegen ihn die Vorschriften des Code civil und einiger anderen Gesetze. Mit der Einführung des Bürgerlicken Gesetzbuchs fallen die Vorschriften der §§ 31 bis 33 des Finanzgesetzes vom 28- Dezember 1831 für privat­ rechtliche Ansprüche, welche dem Fiskus zustehen oder gegen den Fiskus gerichtet sind, weg. Sie bleiben nur insoweit, als sie dem öffentlichen Rechte angehören aufrecht, bedürfen indessen schon int Interesse der leichteren Anwendbarkeit einer Neufassung. Mit Rücksicht hierauf und um die Rechtseinheit im König-

IV. Abtb. Ausführungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

127

reiche herzustellen, will der Entwurf die Verjährung der Ansprüche, welche S. 60. aus öffentlich-rechtlichen Verhältnissen dem Staate zustehen oder gegen den Staat gerichtet sind, neu regeln. Die Regelung soll sich auch auf die Ansprüche erstrecken, welche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes für oder gegen eine Gemeinde oder einen andern Kommunalverband begründet sind. Die Verjährung dieser An­ sprüche ist, soweit es sich um Rückstände oder Nachholungen von öffentlichen Abgaben oder um Rückersatz von Abgaben handelt, im rechtsrheinischen bayerischen Rechte überhaupt nicht geregelt. Die Rechtsprechung ist zum Theile schwankend, überwiegend hat sie die Lücke durch entsprechende Anwendung der für die Verjährung bürgerlich-rechtlicher Ansprüche geltenden Vorschriften aus­ gefüllt (vergl. Entsch. des Verwaltungsgerichtshofs III S. 629, IV S. 426, 524, VII S. 87, X S. 250, Seydel, Bayer. Staatsr, 2. Auflage II S. 684). Es bedarf aber keiner Begründung, daß es innerlich nicht gerechtfertigt ist, die Ansprüche, welche einem Kommunalverbande zustehcn oder gegen ihn gerichtet sind, insbesondere die Ansprüche auf Entrichtung oder Rückersatz von Um­ lagen, nach anderen Grundsätzen zu behandeln als die dem Fiskus zustehenden oder gegen ihn gerichteten Ansprüche. Der Artikel 112 des Entwurfes betrifft die Verjährung der Ansprüche, welche dem Staate oder einem Kommunalverband aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes zustehen. Der Entwurf schließt sich im Wesentlichen dem § 32 Abs. 2, 3 des Finanzgesetzes von 1831 an. Gegenstand der Sonder­ vorschrift sind nur Ansprüche, die auf eine Geldleistung gerichtet sind (Seydel, Bayer. Staatsr. 2. Auflage II S. 372, 373), und der hier bestimmten Ver­ jährung unterliegen nur liquide Ansprüche, d. h. die Verjährung beginnt erst, wenn die Thatsachen feststehen, auf denen der Anspruch beruht. Es ist nicht nothwendig, daß die geschuldete Leistung in das Erhebungssoll eingestellt ist, es müssen aber die Grundlagen des Anspruchs in solcher Weise festgestellt sein, daß der Betrag ohne Weiteres berechnet werden kann (Samml. der Entsch. des O. LG. IX S. 253, XI S. 768, XIV S. 691, Seydel, Bayer. Staatsr. 2. Auflage II S. 374 Note 24). Die Verjährungsfrist ist in Ueber­ einstimmung mit dem geltenden Rechte auf drei Jahre festgesetzt, nach dem Vorbilde des Gesetzes vom 26. März 1859, die Verjährungsfristen betreffend, Artikel 3 Abs. 2 und des § 201 des Bürgerlichen Gesetzbuchs soll aber die Frist nicht mit dem Zeitpunkte beginnen, von dem an die Leistung gefordert werden kann, sondern erst mit dem Schluffe des Kalenderjahrs, in welchem dieser Zeitpunkt eintritt. Dadurch werden Streitigkeiten und Zweifel über die Feststellung dieses Zeitpunktes abgeschnitten und erhält die Verjährung einen leicht festzustellenden und int Gedächtnisse zu behaltenden Anfangspunkt. Von welchem Zeitpunkt an die Leistung gefordert werden kann, bestimmt sich nach den Gesetzen, auf welche sich der Anspruch gründet. Bei Malzaufschlag­ gefällen z. B. ist dieser Zeitpunkt der gesetzliche Enthebungstermin (Art. 43 des Malzaufschlaggesetzes vom 16. Mai 1868). Die Verjährung bewirkt nach dem Finanzgcsetze von 1831 das Erlöschen des Rechtes, sie erzeugt nicht blos eine Einrede, wie die privatrechtliche Verjährung (§ 222 des B. GB.). Hieran hält der Entwurf int Interesse der Schuldner fest. Der § 33 des Finanzgesetzes von 1831 läßt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus anderen Gründen als wegen Minderjährigkeit nicht zu. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Die Wiedereinsetzung gegen unvermeidliche Versäumnisse und wegen Mangels oder Beschränkung der Geschäftsfähigkeit ist in den §§ 203,

128

S. 61.

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

206, 207 durch eine Hemmung || der Verjährung ersetzt. Dieß würde zwar an sich der Aufrechthaltung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die vom Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt gelassenen Rechtsgebiete nicht entgegen­ stehen. Allein im Interesse der Vereinfachung des Rechtes ist es gelegen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch für die Verjährung der Ansprüche des öffentlichen Rechtes zu beseitigen. Der Entwurf übernimmt deßhalb die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung im Ganzen. Im Abs. 2 des Artikels 112 sind die Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung in Uebereinstimmung mit dem § 32 Abs. 2 des Finanzgesetzes von 1831 dahin ergänzt, daß als Unterbrechungsgrund auch die Einforderung der geschuldeten Leistung gilt, während nach § 209 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Mahnung eine Unterbrechung nicht bewirkt. Nach dem geltenden Rechte (§ 30 Abs. 6 lit. b, § 32 Abs. 2 des Finanz­ gesetzes von 1831, § 32 des Hypothekengesetzes) wird die Verjährung durch die Eintragung einer Hypothek für den Anspruch und sogar schon durch die Stellung des Antrags auf Eintragung ausgeschlossen. Der Entwurf (Art. 112 Abs. 3) legt dagegen in Uebereinstimmung mit dem § 223 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Hypothek nur die Bedeutung bei, daß durch das Erlöschen des Anspruchs die Geltendmachung des Rechtes, Befriedigung aus dem Grund­ stücke zu suchen, nicht gehindert wird. Diese Rechtsgestaltung verdient deß­ wegen den Vorzug, weil das geltende Recht den Schuldner, welcher Grund­ besitz hat, in Ansehung seines übrigen Vermögens ohne zureichenden Grund schlechter stellt als den Schuldner ohne Grundbesitz. Die Stellung des An­ trags auf Eintragung einer Vollstrcckungshypothek (§ 757 c der CPO.*) unter­ bricht den Lauf der Frist (§ 209 Abs. 2 Nr. 5 des B. GB.). Die gleiche Wirkung dem Verlangen der Eintragung einer Sichcrungshypothek (Art. 111) beizulegen, besteht mit Rücksicht auf den Artikel 112 Abs. 2 kein Bedürfniß. Der Artikel 113 des Entwurfes handelt von dem Erlöschen der Ansprüche, welche aus Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes gegen den Staat oder einen Kommunalverband gerichtet sind, und schließt sich im Wesentlichen dem § 31 des Finanzgesetzes von 1831 und den Vorschriften an, welche der Ent­ wurf im Artikel 112 für das Erlöschen der aus Rechtsverhältnissen des öffent­ lichen Rechtes dem Staate oder einem Kommunalverbande zustehenden An­ sprüche getroffen hat. Im Abs. 2 des Artikel 113 ist die Vorschrift des § 31 des Finanzgesetzes von 1831 wiederholt, daß die besondere Verjährung nicht eintritt, wenn der Empfangsberechtigte sich vor dem Ablaufe der Frist bei der Kaffe, welche die Zahlung zu leisten hat, zum Empfange meldet. Im Interesse derjenigen, welche einen Anspruch gegen den Staat oder einen Kommunalverband haben, wird durch die Meldung nicht nur der Lauf der Erlöschungsfrist unterbrochen, sondern der Anspruch unterliegt nunmehr nur der allgemeinen Verjährung von dreißig Jahren. Durch den Plenarbeschluß des vormaligen Oberappellätionsgerichts vom 9. März 1848 (R.Bl. S. 185) ist der § 31 des Finanzgesetzes von 1831 dahin ausgelegt worden, daß die Verjährung erst mit dem Zeitpunkte beginne, in welchem die Forderung an den Staat bei der Kasse, durch welche die Zahlung erfolgen soll, zur Auszahlung angewiesen ist. Diese Auslegung macht die Ver­ jährung für den Staat nahezu werthlos und ist deßhalb bereits im geltenden •) Siehe jetzt §867 C.P.O. n. F.

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

129

Rechte für eine Reihe von Ansprüchen gegen den Fiskus fallen gelassen worden S. 61. (vergl. Grundsteuergesetz § 37 Abs. 3, Einkommensteuergesetz Artikel 82 Abs. 2, Kapitalrentensteuergesetz Artikel 37, Gewerbsteuergesetz Artikel 75 Abs. 2, Erb­ schaftssteuergesetz Artikel 46 Abs. 2 Satz 2, Gebührengesetz Artikel 207 Abs. 2 Satz 2, Motive zum Entw. des Erbschaftssteuerqes., Verh. der Kamm, der Abg. 1879 Beil.-Bd. VII Abth. 1 S. 13). Der Entwurf nimmt den gleichen Standpunkt ein. Darüber, ob der Anspruch auf Rückerstattung mit Unrecht erhobener Abgaben und Kosten eines Verfahrens zu den privatrechtlichen oder zu den öffentlich-rechtlichen Ansprüchen zu zählen ist, besteht Meinungsverschiedenheit. Um Zweifel abzuschneiden, bestimmt der Entwurf im Artikel 113 Abs. 3, daß die Vorschriften der Abs. 1, 2 auf diese Ansprüche Anwendung finden. Die Zulässigkeit der Vorschrift ergibt sich aus dem Artikel 104 des Einführungsgesetzcs zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Wie in den Artikeln 112, 113 hervorgehoben ist, sollen die von ihnen getroffenen Vorschriften keine Anwendung finden, soweit in anderen Gesetzen, insbesondere in Reichsgesetzen, über die Verjährung von Ansprüchen des öffent­ lichen Rechtes besoneere Bestimmungen enthalten sind (vgl. z. B. wegen der Nachforderung von Gerichtskosten § 5 des Gerichtskostengesetzes, wegen der Rückstände von Besoldungen, Warlegeldern und Ruhegehalten §§ 197, 201 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wegen der Haftung des Staaies oder der Ge­ meinde für den bei Zusammenrottungen verursachten Schaden und wegen des Ersatzes der mit dem Einschreiten der bewaffneten Macht verbundenen Kosten Artikel 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung). Die Vorschriften dec Abgabengesetze über die Zulässigkeit von Nachholungen (vergl. z. B. Haussteuergesetz § 14, Einkommensteuergesetz Artikel 79 Abs. 2, Kapitalrentensteuergesetz Artikel 38 Abs. 2, Gewerbsteuergesetz Artikel 73 Abs. 2, Wanderqewerbsteuergesetz Artikel 18) bleiben schon deßwegen unberührt, weil nach Artikel 112 Abs. 1 Satz 1 die besondere Verjährung des Entwurfes erst cintntt, wenn die Thatsachen festgestellt sind, auf denen der Anspruch beruht. Ist aber festgestellt, daß der Fall der Nachholung vorliegt, so beginnt der Lauf der dreijährigen Frist.

Artikel 114.

Die Grundgefälle des Staates und der Ablösungskaffe sowie die an deren Stelle getretenen Lasten werden vom bayerischen Rechte nicht als Leist­ ungspflichten des öffentlichen Rechtes, sondern als Reallasten aufgefaßt. (Entsch. d. O. L.G. XI S. 178.) Sie würden daher zu ihrer Wirfiamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs nach § 892 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Eintragung in das Grundbuch bedürfen. Der § 22 Nr. 5 des Hypothekengesetzes in der Fassung der Novelle vom 29. Mai 1886 hat sie von der Nothwendigkeit der Eintragung in das Hypothekenbuch befreit und der Vorbehalt des Artikel 114 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ermöglicht es der Landesgesetzgebung, die Befreiung gegenüber dem Grundbuch aufiechtzuerhalten. Der Artikel 114 Abs. 1 des Entwurfes macht von dem Vorbehalte Gebrauch. Der Abs. 2 wiederholt, indem er den Artikel 111 für anwendbar erklärt, nur die im § 12 Nr. 4 des Hypothekengesetzes (vergl. Artikel 29 Abs. 2 des Ablösungsgesetzes vom 4. Juni 1848, Artikel 17 des GiundentlastungS || gesetzes S. 62 vom 28. April 1872 und Artikel 6 des Gesetzes vom 2. Februar 1898, be­ treffend die Fortsetzung der Grundentlastung) getroffene Vorschrift, daß der Becher, Materialien. IV 9

130

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

S. 62. Staat wegen der rückständigen Leistungen aus den im Abs. 1 bezeichneten Lasten einen gesetzlichen Hypothekentitel hat, in der dem Artikel 91 des Einführungs­ gesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch entsprechenden Form. Die Bezugnahme auf den Artikel 112 regelt die Verjährung der Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen aus Grundgefällen des Staates oder der Ablösungskasse und den an deren Stelle getretenen Lasten. Auch m dieser Beziehung hält der Ent­ wurf nur das geltende Recht (§ 30 Abs. 6 lit. a, § 32 Abs. 2 des Finanz­ gesetzes vom 28. Dezember 1831) aufrecht. Die Zulässigkeit der Vorschrift ergibt sich aus Artikel 113 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Nach dem Artikel 113 verbleibt es auch in Ansehung der dinglichen und der persönlichen Haftung für die Grundgefülle und die an deren Stelle getretenen Lasten bet den Vorschriften der Ablösungsgesetze und der Entwurf läßt diese gleichfalls unberührt. Dieß gilt insbesondere auch von der im Art. 17 Abs. 3 des Gesetzes vom 28. April 1872, die Grundentlastung betreffend, ausgesprochenen persönlichen Haftung des Erwerbers des Grundstücks für die aus der Zeit vor seinem Erwerbe stammenden Rückstände. Der Fiskus kann deßhalb dem Erwerber gegenüber in gleicher Weise tote dem Veräußerer gegen­ über wegen der Rückstände von dem Rechte auf Eintragung einer Sicherungsoder einer Vollstreckungshypothek Gebrauch machen.

Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Artikel 115. Auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit bleiben neben den Vor­ schriften der Relchsgesetze, insbesondere des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Grundbuchordnung, die Landesgesetze für diejenigen Angelegenheiten maßgebend, die außerhalb des Bereichs der Reichsgefetzgebung liegen. Zu diesen Angelegenheiten gehören insbesondere die Verrichtungen des Fideikommißgerichts (Beilage VII zur Verfassungs­ urkunde, Verordnung vom 3. März 1857) und die nach dem Gesetze vom 22. Februar 1855 über die landwirthschaftlichen Erbgüter den Gerichten ob­ liegenden Verrichtungen; die Verrichtungen, welche in standesherrlichen Vormundschaftssachen durch § 10 Abs. 1 der IV. Beilage zur Verfassungsurkunde den Gerichten zugerotefen sind; die den Gerichten durch d e Gesetze vom 21. April 1884 über die Landes­ kultur-Rentenanstalt und vom 29. Mai 1886 über die Flurbereinigung über­ tragenen Verrichtungen; die Feststellung der Unschädlichkeit gewisser Aenderungen des Gegenstandes von Hypotheken und anderen Rechten; die Feststellung des Bestehens von Realgewerbeberechtigungen; die amtliche Ermittelung des Werthes von Grundstücken (Art. 78 des Entwurfes); die Feststellung des Datums einer Privaturkunde (Art. 88 des Ausf.-Ges. zur CPO., Artikel 271 des Gebührengesetzes); die Rechtshülfe in Angelegenheiten, die vor nicht deutschen Behörden anhängig sind, z. B. die Vernehmung von Zeugen, die Abnahme von Eiden in ausländischen Nachlaßsachen; gewisse den Notaren zugewiesene Verrichtungen, z. B. die Ausstellung

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

131

von Lebenszeugnissen, die Beglaubigung von Abschriften (Art. 11 Abs. 2 des S. 62. Notariatsgesetzes vom 10. November 1861). Die Landesgesetze sind ferner für diejenigen Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit maßgebend, die sich auf Rechtsverhältnisse beziehen, für welche nach den Uebergangsbestimmungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche das Landesrecht in Geltung bleibt, insbesondere für die Vereinssachen nach dem Gesetze vom 29. April 1869, die privatrechtliche Stellung von Vereinen betr., und für die Verrichtungen des Registergerichts bei den reglstrirten Gesellschaften nach dem Gesetze vom 29. April 1869, die Erwerbs- und Wirthschaftsgesellschaften betr. (Art. 165 des EG. zum B. GB.). Für diejenigen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die durch Reichsgesetz den Gerichten übertragen sind, gelten nach § 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit die in den §§ 2 bis 34 dieses Gesetzes aufgestellten allgemeinen Vorschriften. Die allgemeinen Vor­ schriften betreffen die Rechtshülfe (§ 2), die örtliche Zuständigkeit (§§ 3 bis 5, 7), die Ausschließung und Ablehnung der Richter (§§ 6, 7), die Gerichtssprache, die Sitzungspolizei, die Berathung und Abstimmung (§§ 8, 9), die Gerichts­ ferien (§ 10), die Abgabe von Erklärungen zum Protokoll eines Gerichtsschreibcrs (§ 11), die Veranstaltung der erforderlichen Ermittelungen (§ 12), die Zulassung von Beiständen und Bevollmächtigten (§ 13), das Armenrecht (§ 14), den Beweis durch Zeugen und Sachverständige und die Glaubhaft­ machung (§ 15), den Eintritt der Wirksamkeit gerichtlicher Verfügungen (§ 16 Abs. 1) und die Form ihrer Bekanntmachung (§ 16 Abs. 2, 3), die Berechnung von Fristen (§ 17), die Aenderung einer ungerechtfertigten Verfügung (§ 18), die Rechtsmittel der Beschwerde und der weiteren Beschwerde (§§ 19 bis 30), die Zeugnisse über die Rechtskraft (§ 31), die Folgen der Aufhebung einer Verfügung (§ 32), die Androhung von Ordnungsstrafen (§ 33) und die Einsicht der Gerichtsakten sowie die Ertheilung von Abschriften (§ 34). Im § 199 kommt eine Vorschrift über die Zuständigkeit des Obersten Landesgerichts hinzu. Diese Vorschriften eignen sich im Allgemeinen auch für diejenigen An­ gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für welche die landesgesetzlichen Vorschriften maßgebend sind. Dieß gilt insbesondere von den Vorschriften über die Beschwerde und die weitere Beschwerde, deren Abweichungen von den Artikeln 56 bis 66 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung nur von geringer Bedeutung sind. Der Entwurf erstreckt sie daher im Artikel 115 auf diese Angelegenheiten. Hiedurch wird eine Ver­ schiedenheit vermieden, die leicht zu Verwirrung führen würde. Von der Erstreckung nimmt der Entwurf die Vorschriften des § 28 und des § 199 Abs. 1 aus. Nach § 28 Abs. 1 entscheidet über die weitere Beschwerde das Oberlandesgericht und in gewissen Fällen das Reichsgericht; der Landes­ gesetzgebung ist aber im § 199 Abs. 1 die Befugniß eingeräumt, die Entscheidung an Stelle des Oberlandesgerichts dem Obersten Landesgerichte zuzuweisen. Nach dem geltenden Rechte (Art. 42 Abs. 3 des Ausf.-Ges. zum Gerichtsverf.Ges.) ist für die Entscheidung über die weitere Beschwerde das Oberste Landes­ gericht zuständig. Diese Bestimmung wird, soweit der § 199 Abs. 1 es gestattet, aufrechterhaltcn bleiben. Die Zuständigkeit des Reichsgerichts kommt in den Angelegenheiten, für welche die Landesgesetze maßgebend sind, nicht in Frage. Die allgemeinen Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Gerichts­ barkeit finden insoweit keine Anwendung, als || für gewisse landesgesetzlich S. 63. geregelte Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit besondere Bestimmungen getroffen sind. Eine solche besondere Bestimmung ist z. B. die, daß die Er9*

132

S. 63.

lV. Abth. AuSsührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung

theilung des Unschädlichkeitszeugnisses nicht im Wege der Beschwerde an­ gefochten werden kann, und die des Artikel 62 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung über die Unanfechtbarkeit der von dem Obersten Landesgericht als Beschwcrdegericht erlassenen Entscheidungen, die der Entwurf als Satz 2 in den Artikel 115 aufnimmt, weil die Vorschriften der Artikel 56 bis 67 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung aufgehoben werden sollen.

Notarielle Urkunden.

Artikel 116 bis 121. Die Artikel 116 bis 121 geben auf Grund des Artikel 151 des Ein­ führungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und des § 200 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergänzende Vorschriften über notarielle Urkunden, welche den Artikeln 49, 58, 65, dem Artikel 67 Abs. 1, den Artikeln 68, 70 bis 72, dem Artikel 82 Abs. 2, dem Artikel 87 Abs. 1 und in Ansehung der Beglaubigung von Unterschriften und Handzeichen dem Artikel 62 des Notariatsgesetzes vom 10. November 1861 entnommen sind. Die weiteren Vorschriften, welche das Notariatsgesetz im Artikel 63 Abs. 2 und in den Artikeln 64, 87 enthält, eignen sich nicht zur Aufnahme in das Gesetz. Artikel 116, 117. Die Artikel 116, 117 treffen über die äußere Beschaffenheit der notariellen Urkunden Bestimmungen. Die Abs. 1, 2 des Artikel 116 behandeln Abkürzungen und Lücken; der Abs. 3 verbietet Einschaltungen, Ueberschreibungen und Radirungen; im Abs. 4 ist bestimmt, bis zu welchem Zeitpunkte bet der Aufnahme von Protokollen Zusätze und Aenderungen gestattet und ui welcher Welse sie vorzunehmen sind. Der Artikel 117 bezweckt durch die Vorschrift, daß die Urkunde auf jedem Blatte mit dem Namenszuge des Notars versehen werden soll, und durch Vorschriften über die Verbindung mehrerer Bogen oder Blätter mit einander sowie der Beilagen mit der Urkunde, Unterschiebungen zu verhüten. Die Regelung des Entwurfes entspricht im Wesentlichen den in Artikel 65, Artikel 67 Abs. 1, Artikel 68 Abs. 1, 2 und Artikel 70 bis 72 des Notariats­ gesetzes vom 10. November 1861 enthaltenen Vorschriften. In der Hauptsache übereinstimmende Vorschriften sinden sich in den Notariatsgesetzen anderer Staaten svergl. zu Artikel 116 bie preußische Notariatsordnung vom ll.Juni 1845 § 12, die hannoversche Notariatsordnung vom 18. September 1853 § 35, die Notariatsordnung für Rheinpreußen vom 25. April 1822 Art. 26, 30, 31 und das preußische Gesetz vom 15. Juli 1890 § 7, ferner die Notariats­ ordnungen für Sachsen vom 5. September 1892 § 30, für Anhalt vom 11. April 1877 §§ 67, 68, 72, für Hamburg vom 29. Juni 1883 §§ 25, 26, für Lübeck vom 30. November 1885 § 34, für Bremen vom 16. November 1880 §§ 22 bis 24, das badische Rechtspolizeigesetz vom 6. Februar 1879 und 20. Juli 1888 §§ 52, 58; zu Artikel 117 die Notariatsordnungen für Hannover § 40, für Anhalt § 62, für Hamburg § 27, für Lübeck § 35, die sächsische Ausführungsverordnung vom 7. September 1892 § 17 Abs. 2, das badische Rechtspolizeigesetz § 59)

Artikel 118. Der um die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts angegangene Notar darf seine Amtsthätigkeit nicht deßwegen verweigern, weil es ihm in Ansehung eines

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

133

Betheiligten zweifelhaft erscheint, ob dieser die Fähigkeit zur Abgabe einer ®. 63. wirksamen Willenserklärung hat. Da aber die Wahrnehmungen, die dem Urkundsbeamten Anlaß zu dem Zweifel geben, für einen künftigen Streit über die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts in den hauptsächlich in Betracht kommen­ den Fällen des § 104 Nr 2 und des § 105 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs von wesentlicher Bedeutung sein können, so schreibt der Entwurf m Uebereinstimmung mit dem Artikel 49 des Notariatsgesetzes vom 10. November 1861 vor, daß diese Wahrnehmungen in dem Protokolle festgestellt werden sollen. Aehnliche Vorschriften finden sich z. B. in der sächsischen Notariatsordnung vom 5. September 1892 § 12 Abs. 1, in der hannoverschen Notariatsordnung vom 18. September 1853 § 15, im badischen Rechtspolizeigesetze vom 6. Fe­ bruar 1879/20. Juli 1888 § 33, in den Notariatsordnungen für Lübeck vom 30. November 1885 § 19 und für Bremen vom 16. November 1880 § 28. Artikel 119. Das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit begnügt sich für den Fall, daß ein bei der Beurkundung eines Rechtsgeschäfts Betheiligter taub aber nicht zugleich stumm ist, mit der Vorschrift (§ 169), daß der Richter einen Gerichtsschreiber oder zwei Zeugen, der Notar einen zweiten Notar oder zwei Zeugen zuziehen muß. Der Entwurf trifft zum Ersätze des Artikel 58 des Notariatsgesetzes vom 10. November 1861 die ergänzenden Vorschriften, daß das Protokoll dem tauben Betheiligten, dem die Vorlesung (§ 177 Abs. 1 Satz 1, 2 des angeführten Gesetzes) nicht Kenntniß von dem Inhalte des Protokolls verschafft, auch ohne ausdrückliches Verlangen (§ 177 Abs. 1 Satz 3) zur Durchsicht vorgelegt werden soll und daß, wenn der taube Betheiligte nicht im Stande ist, Geschriebenes zu lesen, eine Vertrauensperson zugezogen werden soll, die sich mit ihm zu verständigen vermag. Die Ver­ lrauensperson soll mit dem Betheiligten (§ 177 Abs. 3) das Protokoll genehmigen und unterschreiben. Die nach den §§ 170 bis 173 des Gesetzes über die An­ gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für einen Zeugen geltenden Vor­ schriften finden auf die Vertrauensperson keine Anwendung.

Artikel 120. Das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gibt im § 182 nur Vorschriften über die Ausfertigung der bei der gerichtlichen Beurkundung von Rechtsgeschäften aufgenommenen Protokolle und erachtet es für selbstverständlich, daß die Ausfertigungen notarieller Protokolle von dem Notar unterschrieben und mit seinem Dienstsiegel versehen werden (Begründung zum § 178 des Entwurfes, Neichstagsdrucksache Nr. 21 1897/98 S. 90). Der Entwurf nimmt der Vollständigkeit wegen eine ausdrückliche Vorschrift dieses Inhalts auf und ergänzt sie durch die dem Artikel 87 des Notariatsgesetzes in der Fassung des Artikel 126 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung und dem §54 der Instruktion vom 1. Juni 1862 zum Notariatsgesetz entsprechende Anordnung, daß in der Ausfertigung der Tag der Ausstellung und der Betheiligte, dem sie ertheilt wird, angegeben werden soll. Die notariellen Protokolle verbleiben nach Artikel 82 Abs. 1 des Notariats- S. 64. gesetzes in der Regel in der amtlichen Verwahrung des Notars. Die Betheiligten können daher nur die Ertheilung von Ausfertigungen verlangen, die bestimmt sind, im Verkehre die Urschrift zu ersetzen, deren Vorlegung also dieselbe Wirkung hat wie die Vorlegung der Urschrift (Begründung zu dem Entwürfe

134

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung

S. 64. des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit a. a. £>.). Der Entwurf gestattet aber im Anschluß an den Artikel 82 Abs. 2 des Notariats­ gesetzes die Aushändigung der Protokolle über einseitige Erklärungen, die als solche wirksam zu werden bestimmt sind.

Artikel 121. Ueber die Feststellung der Persönlichkeit der Betheiligten durch den Richter oder den Notar trifft das Gesetz über die Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit nur in Ansehung der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung von Rechtsgeschäften Bestimmungen (§ 176 Abs. 3) In Ansehung der Beglaubigung von Unterschriften oder Handzeichen ist die Erlassung von Vorschriften der Landesgesetzgebung anheimgegeben. Der Artikel 62 des Notariats­ gesetzes vom 10. November 1861 gilt auch für die Beglaubigung einer Unter­ schrift oder eines Handzeichens. Die Gleichstellung ist zweckmäßig, weil, wenn der Beglaubigungsvermerk nicht darüber Aufschluß gibt, in welcher Weise die Persönlichkeit festgestellt worden ist, die Annahme nahe liegt, daß der beglaubigende Beamte die Persönlichkeit des Urhebers der Unterschrift oder des Handzeichens aus eigener Kenntniß bezeuge. Der Artikel 119 erstreckt deßhalb die Vorschrift des § 176 Abs. 3 auf die notarielle Beglaubigung einer Unterschrift oder eines Handzeichens. Einsicht

des Grundsteuerkatasters, der bezirksbergamtlichen Bücher und der Fideikommißmatrikel.

Artikel 122. Die öffentlichen Bücher, welche über Grundstücke und die den Grund­ stücken gleichstehenden Rechte geführt werden, sowie die auf die Führung der Bücher bezüglichen Urkunden stehen nach dem geltenden bayerischen Rechte nur unter gewissen Voraussetzungen zur Einsicht offen. Gleiches gilt von dem Rechte, Abschriften oder Auszüge zu verlangen. An die Stelle des Hypothekenbuchs und des Grundbuchs der Stadt München tritt künftig das Grundbuch. Für dieses enthält die Grundbuchordnung im § 11 die maßgebenden Vorschriften; im § 93 ist jedoch der Landesjustiz­ verwaltung die Befugniß vorbehalten, die Einsicht und die Ertheilung von Abschriften in weiterem Umfange zu gestatten, als es im § 11 vorgeschrieben ist. Für die übrigen öffentlichen Bücher, Grundsteuerkataster, bezirksbergamtliche Bücher (Sammlung der Verleihungsurkunden, Berggegenbuch), Fideikommiß­ matrikel, bleibt das Landesrecht maßgebend. Die prozeßrechtlichen Vorschriften des Artikel 13 der Subhastationsordnung vom 23. Februar 1879 und der Artikel 26, 135 des Gesetzes zur Ausführung der Civilprozeßordnung und Konkursordnung werden jedoch durch den § 700a der Civilprozeßordnung*) ersetzt. Ueber die Einsicht des Grundsteuerkatasters enthält das Grundsteuergesetz vom 15. August 1828 in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Juni 1881 keine Bestimmung. Für die Landestheile rechts des Rheins gewährt der § 130 Nr. 4 des Hypothekengesetzes in Ansehung der in das Hypothekenbuch ein­ getragenen Grundstücke den zur Einsicht des Hypothekenbuchs Berechtigten das Recht auf Einsicht. Für die Pfalz bestimmt der Artikel 17 des Gesetzes vom 26. April 1888, die Abänderung von Bestimmungen des in der Pfalz geltenden Hypotheken- und Vormundschaftsrechts betreffend, daß Jedermann sich beglaubigte *) Siehe jetzt § 792 C. P. O. n. F

IV Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — Begründung.

135

Auszüge aus dem Grundsteuerkataster und den dazu gehörigen Plänen ertheilen S. 64. lassen kann. Das Berggesetz vom 20. März 1869 trifft eine Vorschrift nur im Artikel 36 bezüglich der Einsicht des das Feld darstellenden Planes im Ver­ leihungsverfahren. Im Artikel 186 der Subhastationsordnung sind die Rechte, die nach Artikel 13 dem mit einem vollstreckbaren Titel versehenen Gläubiger zustehen, für die Fälle, in welchen die gerichtliche Versteigerung eines Bergwerkes oder einer gleichgestellten Anlage nach den Artikeln 161, 163, 164 des Berggesetzes beantragt werden kann, den Antragsberechtigten emgeräumt. Auf die Befugnlß, Einsicht von der Fldeikommißmatrikel zu nehmen und Auszüge zu verlangen, finden nach § 11 Abs. 3 der Verordnung vom 3. März 1857 (R.Bl. S. 253) die für das Hypothekenwesen geltenden Vorschriften Anwendung. Da die bestehenden Vorschriften lückenhaft, zum Theil für die Landes­ theile rechts des Rheins und für die Pfalz verschieden und zum Theil in Gesetzen enthalten sind, die aufgehoben werden sollen, so erachtet der Entwurf eine neue Regelung für erforderlich. Dem Zwecke des Grundsteuerkatasters und der bezirksbergamtlichen Bücher entspricht es, ihren Inhalt jedem zugänglich zu machen, rote es für amtliche Register ähnlicher Art insbesondere durch die Reichsgesetzgebung (öeigt. B. GB. §§ 79, 1563 für das Vereinsregister und das Güterrccktsregister, Handels­ gesetzbuch § 9 für das Handelsregister, Börsengesetz vom 22. Juni 1896 § 56 für das Börsenreglster, Genoffenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889 § 147 für das Genossenschaftsregister, Binnenschiffahrtsgesetz vom 15. Juni 1895 § 122 für das Schiffsregister, Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen, vom 11. Juli 1876 § 11 für das Musterregister, Gesetz, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, vom 1. Juni 1891 § 3 für die Gebrauchsmusterrolle, Patentgesetz vom 7. April 1891 § 19 für die Patentrolle, Gesetz zum Schutz der Waarenbezeichnungen vom 12. Mai 1894 § 3 für die Zeichenrolle) geschehen ist. Die Gründe, welche der vollen Freigabe der Einsicht des Grundbuchs entgegenstehen, treffen bei den in Rede stehenden Büchern nicht zu. Dagegen eignet sich die unbeschränkte Offenlegung nicht für das dem Aktienbuche (§§ 222 bis 224 des HGB.) entsprechende Gewerkenbuch (Art. 93, 96 des Berggesetzes). Die Sondervorschrfft des Artikel 186 der Subhastationsordnung wird durch den Artikel 122 Abs. 1 entbehrlich. Für die Fldeikommißmatrikel gibt der Artikel 122 Abs. 2 eine Bestimmung, die sich der Vorschrift des § 11 der Grundbuchordnung anschließt und sachlich dem geltenden Rechte entspricht. Inwieweit für die Gestattung der Einsicht und die Ertheilung von Abschriften und Auszügen Kosten zu erheben sind, wird durch das Gesetz über das Gebührenwesen bestimmt.

Einstweilige Aufrechterhaltung von Vorschriften des Liegenschaftsrechts. Artikel 123.

Das Liegenschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs setzt das Vorhandensein des Grundbuchs voraus und kann daher vollständig nicht mit dem 1. Januar 1900, sondern erst mit dem Zeitpunkt in Kraft treten, in welchem das Grundbuch geniäß Artikel 186 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum || Bürgerlichen Gesetzbuch S. 65. als angelegt anzusehen ist. Den Umfang, in welchem die Geltung der das

136

S- 65

IV Abth. Aussührungsgesctz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«. — Begründung.

Liegenschaftsrecht enthaltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs bis zu dem bezeichneten Zeitpunkte hinausgeschoben ist, bestimmen der Artikel 189 und der Artikel 191 Abs. 1 des Einführungsgesetzes. Nach Artikel 189 erfolgen der Erwerb und Verlust des Eigenthums sowie die Begründung, Uebertragung, Belastung und Aufhebung eines anderen Rechtes an einem Grundstück oder eines Rechtes an einem solchen Rechte in der Zwischenzeit nach den bisherigen Gesetzen. Das Gleiche gilt von der Aenderung des Inhalts und des Ranges der Rechte. Ein nach den Vor­ schriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzulässiges Recht kann jedoch nicht mehr begründet werden. Die Aufhebung eines Rechtes, mit dem ein Grund­ stück oder ein Recht an einem Grundstücke zu der Zeit belastet ist, zu welcher das Grundbuch als angelegt gilt, erfolgt auch nach dieser Zeit nach den bisherigen Gesetzen, bis das Recht in das Grundbuch eingetragen wird. Der Artikel 191 Abs. 1 beläßt die bisherigen Gesetze über den Schutz im Besitz einer Grunddienstbarkeit oder einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit bis zu der Zeit in Geltung, zu welcher das Grundbuch für das belastete Grund­ stück als angelegt anzusehen ist. Da in Bayern das Grundbuch nicht schon am 1. Januar 1900 für alle Bezirke als angelegt erklärt werden kann, so müssen die in dem Entwurf abgeänderten oder für aufgehoben erklärten Vorschriften des Liegenschaftsrechts einstweilen noch in Kraft bleiben. Der Entwurf erhält sie aber nur in dem im Artikel 189 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche bestimmten Umfang aufrecht, weil beabsichtigt ist, in den Entwurf der Uebergangsvorschrlften die dem Artikel 22 des Gesetzes vom 15. Juni 1898 über das Liegenschaftsrecht in der Pfalz entsprechende Bestimmung für das rechtsrheinische Bayern aufzunehmen, daß die tnt Artikel 191 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche zum Schutze der Ausübung von Grunddienst­ barkeiten gegebenen Vorschriften von dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs an gelten, auch bevor das Grundbuch als angelegt anzusehen ist. Aushebung von Vorschriften des Beamtenrechts.

Artikel 124. Die Aufhebung der Verordnung vom 2. September 1811, die besondere Versiegelung, Ausscheidung und Aushändigung der öffentlichen und AmtsPapiere, Gelder oder Effekten bei dem Ableben eines Staatsbeamten betreffend, hat schon m der Begründung zum Artikel 95 des Entwurfes ihre Recht­ fertigung gefunden. Nach § 7 Ziff. I lit. e der Verordnung vom 31. Juli 1817, die Organisation der General-Administration der Posten betreffend (R.Bl. S. 733), haben die von der Postverwaltung in Post-Reklamationsfällen zur Schadens­ ersatzleistung herangezogenen Postbeamten oder Postbediensteten eine Haftentbindungsklage bei Vermeidung des Verlustes des Klagerechts binnen einer Frist von zwei Monaten zu erheben. Diese Bestimmung, welche nach der Rechtsprechung bei Haftentbindungsklagen von Staatsbahnbeamten und Staats­ bahnbediensteten in Eisenbahn-ReNamationssachen gleichfalls Anwendung findet, kann zwar auf Grund des Artikel 80 des Einführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch aufrecht erhalten werden. Für eine Abweichung von dem für die Beschreitung des Rechtswegs gegen die Feststellung der Haftung eines Beamten sonst geltenden Rechte besteht indessen kein Grund. Der Entwurf stellt deßhalb durch Aufhebung der Sondervorschrift Rechtsgleichheit her.

IV. Abth.

Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuchc. — 1. Protokoll.

137

4.

Verhandlungen des Jnstiz-Gesetzgebungsausschuffes der Kammer der ALgeordnete«. 1.

Krotokoll über die Sitzung des besonderen (XVIII.) Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Beilagenband XX, Abth. II, z. d. Vcrhandl. d. K. d. Abg. 1898 Seite 1) München, den 9. November 1898, Vormittags 10 Uhr.

Gegenwärtig Die Vertreter der k. Staatsregierung der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod, Excellenz, der k. Senatspräsident am k. obersten Landesgcrichte vr Ritter von Jaeubezky, der k. Ministerialrath im Staatsministerium der Finanzen, Kron­ anwalt Ritter von Schubart, der k. Landgerichtsrath im Staatsministerium der Justiz Dr Unzner; ferner die Ausschußmitglieder: von Stobäus, Vorsitzender, Wagner, Stellvertreter des Vorsitzenden, Dr. Casselmann, Schriftführer, Michel, Stellvertreter des Schrift­ führers, Fuchs, Joseph Geiger, Joseph Huber, Lerno, Lutz, Dr Ratzinger, Seeberger, Segitz, von Walter.

Der Vorsitzende von StobäuS eröffnet die Verhandlungen des Ausschusses unter Begrüßung der Vertreter der k. Staatsregierung und der Ausschußmitglieder und theilt mit, daß an Stelle des verstorbenen Abg. Johann Geiger und des wegen ärztlich bescheinigten Augenleidens aus dem Ausschüsse ausgetretenen Abg. Brünings die Abgeordneten Land­ mann und Conrad als Ersatzmänner einzutreten hätten, wogegen eine Erinnerung nicht erhoben wird. Weiler gibt derselbe bekannt, daß er hievon dem k. Staatsministerium des Innern Mittheilung machen werde. Dem Gesammtstaatsministerium sowie dem Ausschüsse der Kammer der Reichsräthe werde er die Konstituirung des Ausschusses anzeigen. Der Vorsitzende theilt ferner mit, daß nach Zuschrift des k. Staatsministeriums der Justiz vom 8. ds. Mts. als k. Kommissäre die Justizbeamten: Staatsrath Ritter von Heller, Senatspräsident am obersten Landesgericht Dr. Ritter von Jacubezky, Ministerialrath Ritter von Schnell, Ministerialrath Thelemann, Oberregierungsrath Henle, Oberregierungsrath Schneider, Landgerichtsrath Schmitt und Landgerichtsrath Dr Unzner und nach Zuschrift des k. Staatsmmisteriums der Finanzen vom 8. ds. Mts. der k. Ministerial­ rath und Kronanwalt Otto von Schubart bestimmt worden seien. Der Vorsitzende theilt endlich mit, daß die k. Staatsregierung dem Ausschüsse folgende zwei Gesetzentwürfe vorgelegt habe 1. den Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche und 2. den Entwurf eines Gesetzes, die durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Aenderungen der seit 1818 erlassenen Gesetze betreffend. Für den ersten Entwurf habe er den Abg. Wagner als Referenten und den Abg. Lerno als Korreferenten, für den zweiten den Abg. von Walter als Referenten und den Abg. Conrad als Korreferenten bestellt.

Abg. von Walter gibt die Erklärung ab, daß zu der vor einiger Zeit in einer hiesigen Zeitung enthaltenen Bemerkung, daß die Mitglieder des Centrums sich geweigert hättrn, Referate zu übernehmen, absolut kein Anlaß gegeben gewesen sei, da weder er noch seine politischen Freunde sich zur Uebernahme von Referaten jemals geweigert hätten. Der Vor­ sitzende bestätigt Letzteres. Als stellvertretenden Vorsitzenden an Stelle des aus dem Ausschüsse aus­ getretenen Abg. Brünings schlägt der Vorsitzende den Abg. Wagner vor, welchen der Ausschuß als solchen acceptirt. Der Ausschuß beschließt hierauf nach längerer Debatte, an jedem Wochentage mit Ausnahme des Montags eine Bormittagssitzung abzuhalten, zu diesen Sitzungen vier Kontrolstenographen, denen ein tägliches Honorar von je 8 JL zu bewilligen sei, beizuziehen Becher, Materialien IV 10

S. 1

138 S. 1.

IV. Ablh. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

und für den Bezug der Ausschubverhandlungsprotokolle und der einzelnen Gesetzentwürfe 2c. ein Sonderabonnement zu eröffnen. Auf Anregung des Abg. von Walter beschließt der Ausschuß weiter, den Referenten die Fertigung eines schriftlichen Referates vor der ersten Lesung der einzelnen Gesetzentwürfe nicht zur Pflicht zu machen. Hierauf wird in die Berathung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes ^um- Bür­ gerlichen Gesetzbuche ein getreten. Der Ausschuß bejckließt, von einer Generaldiskussion zu diesem Entwürfe abzusehen. Sodann wird die Sitzung auf den 10. November Vormittags 9l/a Uhr vertagt. (Schluß der Sitzung.)

von StobäuS, Vorsitzender.

S. 3.

Dr. Casselmann, Schriftführer.

S.

Protokoll über die Sitzung des besonderen (XVIII.) Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Beilagenband XX, Ablh. II, z. d. Verhandl. d. K. d. Abg. 1898 Seite 3 bis 15.) München, den 10. November 1898, Vormittags 9^2 Uhr.

Gegenwärtig: Die Vertreter der k. Staatsregierung: der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod, Excellenz, der k.Senatspräsident am k. oberstenLandesgerichteDr Ritter von Jacubezky, der k. Ministerialrath im Staatsministerium der Finanzen, Kron­ anwalt Ritter von Schubart, der t. Ministerialrath im Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheilen Schraut, der k. Landgerichtsrath int Slaatsminitterium der Justiz Dr Unzner; ferner die Ausschußmitglieder: von Stobäus, Vorsitzender, Wagner, Stellvertreter des Vorsitzenden, Dr. Casselmann, Schriftführer, Michel, Stellvertreter des Schrift­ führers, Conrad, Fuchs, Joseph Geiger, Joseph Huber, Landmann, Lerno, Lutz, Dr. Ratzinger, Seeberger, Segitz, von Waller.

Tagesordnung:

Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Artikel 1.

Erste Lesung. Der Vorsitzende von StobäuS eröffnet um 9 Uhr 35 Minuten die Sitzung und gibt zunächst eine Zuschrift des k. Staatsministeriums der Finanzen bekannt, wonach vorerst der k. Ministerialrath und Kronanwall Otto von Schubart bestimmt ist, den Ausschußberathungen anzuwohnen; ferner eine Zuschrift des k. Staatsministeriums des Innern, wonach die Abg. Landmann und Conrad als Ersatzmänner nunmehr in den Ausschuß einberusen worden sind. Ferner theilt der Vorsitzende mit, daß die Verhandlungen des Justiz-Gesetzgebungs­ ausschusses stenographisch ausgenommen werden. Eine Generaldiskussion findet nicht statt. Bevor in die Spezialdiskussion eingetreten wird, erhält der Referent Abg. Wagner das Wort zu einer kurzen Vorbemerkung.

Abg. Wagner (Referent): Wir wissen Alle, daß in Bezug auf das bürger­ liche Recht der Rechtszustand in unserem Vaterlande ein nicht ganz zufrieden­ stellender ist, daß wir eine Unmasse von Bestimmungen haben über ein und. dieselbe Frage, daß sie je nach dem Territorium ganz anders geregelt ist. Man hat.schon Anfangs dieses Jahrhunderts den Wunsch geäußert, daß man in dieser Beziehung ein einheitliches Recht schaffe; allein es ist nicht gelungen, das bisher zu Stande zu bringen. Durch das Bürgerliche Gesetzbuch ist nun

ja in der Hauptsache der Wunsch erfüllt; allein das Bürgerliche Gesetzbuch ©• 3. gelbst und namentlich das Einführungsgesetz hat in den Artikeln 55—152 eine große Anzahl von civilrechtlichen Materien Der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen und zwar theils im Hinblick auf die Eigenartigkeit von besonderen Verhältnissen, theils im Hinblick auf den Zusammenhang einzelner civilrechtlicher Institute mit dem öffenttlchen Rechte, und deßwegen, weck die Grenzen zwischen öffentlichem und Privatrecht, namentlich in verschiedenen Materien, sehr unsicher sind. Es ist nun die Aufgabe des vorliegenden Gesetzentwurfes, der uns heute beschäftigt, namentlich die, daß wir die älteren gesetzlichen Bestimmungen ins Auge fassen, welche dermalen noch gelten, und sie entweder beseitigen, bezw. verändern, an das neue Recht anpassen, oder, wie das in Artikel 1 geschieht, zunächst wenigstens unverändert austechterhalten. Ich habe mich, als ich das Referat abfaßte, gefragt: Nach welchen Gesichtspunkten soll man bei dieser Aufgabe arbeiten? Ich war der Meinung, daß man da, wo man die bisherigen Institutionen landesgesetzlich zu erhalten hat, wenigstens soweit als möglich ein einheitliches Recht für das ganze Landesgebiet schaffen sollte und daß namentlich aufgeklärt werden sollten dre Bestimmungen, bezüglich deren es unsicher ist, ob sie noch gelten oder nicht, oder bezüglich deren es unsicher ist, wie sie ausgelegt werden sollen, daß man hier volle Klarheit schafft, indem man einestheils fest­ stellt, was noch gilt, und andernrheils das, was unklar ist, aufklärt. Es wird ja außer allem Zweifel sein, daß wir in Bayern ebenso wie in anderen Staaten verschiedene Rechtsinstitute haben, welche unseren besonderen Verhältnissen angepaßt sind und deren Erhaltung wünschenswcrth ist. Diese werden zu erhalten sein; allein wie das ja auch in dem Gesetzentwürfe zu Tage getreten ist, es wird das Bestreben vorhanden sein müssen, soweit als möglich, diese aufrechtzuerhal­ lenden Rechtsinstitute mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Einklang zu bringen. Was dann die Besonderheiten, die wir in der eigenthümlichen Rechtspflege haben, betrifft, so war ich der Meinung, daß man ja diese Besonderheiten, soweit sie besonderen Bedürfnissen angepaßt sind oder der geschichtlichen Ent­ wicklung entsprechen, erhalten kann, daß man aber immer bei all' diesen Rechts­ instituten sein Augenmerk darauf richten soll, daß man die Sache möglichst einfach macht, und daß namentlich möglichst wenig Kosten für die Bevölkerung erwachsen. Denn wenn die Gerichtskosten an sich wohl gerechtfertigt sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, so ist doch bezüglich der Frage, ob dieß auch für das Gebiet der freiwilligen Rechtspflege zutrifft, nach meiner Meinung der Standpunkt ein anderer, und je komplizirter die betreffenden Apparate sind, desto mehr werden auch Kosten erwachsen, während nach meiner Meinung es hier sich um eine Art Polizei handelt, die eigentlich ohne besondere Kosten gewährt werden sollte, die aber jedenfalls so auszugestalten ist, daß man Yen Leuten möglichst wenig Kosten macht, selbstverständlich unbeschadet der Rechts­ sicherheit, denn diese ist in erster Linie bei all' diesen Instituten im Auge zu behalten. Hierauf wird in die Spezialdiskusfion eingetreten.

Artikel 1. Abg. Wagner (Referent): Was den Artikel 1 betrifft, so ist das wohl der schwierigste Punkt des ganzen Gesetzes. Der Artikel 1 spricht klar aus, was weder im Bürgerlichen || Gesetzbuche noch im Einführungsgesetze selbst gesagt ist, nämlich daß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts außer Kraft treten, soweit nicht Vorbehalte gemacht sind. Es erfüllt also der Artckel 1 eine Aufgabe, deren Lösung zweifelsohne jetzt in Angriff genommen werden muß. Ich habe

10*

S. 4.

S. 4

schon vorhin darauf hingewiesen, daß wir gerade in Bayern sehr zersplitterte Rechtsnormen in Bezug auf das bürgerliche Recht haben, und diese werden nun durch den Artikel 1 alle beseitigt, soweit nicht hier Ausnahmen gemacht worden sind. Ausnahmen mußten aber leider gemacht werden; nur ist das Mißliche, daß aus den Motiven nicht klar hervorgebt, inwieweit denn die Aus­ nahmen im Einzelnen Heer gehen. Ich erkenne die Schwierigkeit dieser Ausgabe vollständig an; es wird außerordentlich schwer sein, mitzutheilen, was in Bezug auf einzelne Materien bisher bürgerliches Recht ist. Allein auf der anderen Seite müssen wir uns doch sagen: wenn wir feststellen, in der und der Materie bleiben die bisherigen Vorschriften aufrechterhallen, so müssen wir doch eigentlich vorher wissen, was wir aufrecht erhalten; denn wenn wir das nicht wissen, so weiß ich nicht, ob es gerechtfertigt ist. zu sagen: die und die Bestimmungen werden aufrechterhalten; denn dann stecken wir eigentlich bewußter Weise den Kopf in den Sand und lassen die Sachen laufen, wie sie sind. Wir haben ja verschiedene Bücher, in welchen man sich Aufklärung erholen kann, allein ganz Sicheres erfahren wir nirgends und, wie ich vorhin schon andeutete, sollte es gerade die Aufgabe dieses Entwurfes sein, die Unklarheiten soweit als möglich zu beseitigen und ein möglichst einheitliches Recht zu schaffen. Wenn ich nun die einzelnen Artikel des Einführungsgesetzes durchgehe, so ist zuerst darauf hinzuweisen, daß zunächst aufrecht erhalten werden jene Bestimmungen, welche den Artikel 56 des Emführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche betreffen. Dieser sagt nun Folgendes: „Unberührt bleiben die Bestimmungen der Staatsverträge, die ein Bundesstaat mit einem ausländischen Siaat vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschlossen hat." Es ist selbstverständlich, daß die Staatsverträge unter Bundesstaaten, soweit sie Gegenstände betreffen, welche durch das Bürgerliche Gesetzbuch oder überhaupt durch ein Reichsgesetz geregelt sind, keine Kraft mehr haben. Soweit unter Bundesstaaten über solche Gegenstände, welche der Landesgesetzgebung vorbehalten worden sind, Staatsverträge bestehen, werden diese wohl aufrecht zu erhalten sein und der Artikel 56 des Einführungsgesetzes sogt ausdrücklich, daß derartige Staatsverträge, soweit sie mit ausländischen Staaten von einzelnen Bundesstaaten geschlossen sind, aufrecht erhalten werden. Ich muß nun gestehen, daß ich mir darüber eine selbständige Meinung zu äußern nicht erlauben kann, sondern ich glaube, daß es Aufgabe der k. Staatsregierung ist, uns hierüber Klarheit zu verschaffen, und uns zu sagen, welche Staats­ verträge hier in Betracht kommen, seien es Staatsverträge unter den Bundesstaaten selbst, seien es Staatsverträge mit ausländischen Staaten. Ich möchte mir also zunächst diese Frage zu stellen erlauben.

Abg. Lerno (Korreferent): Was der Herr Referent in seinen einleitenden Bemerkungen und zu Artikel 56 des Einführungsgesetzes gesagt hat, erkenne ich vollkommen an und theile selbstverständlich seine Wünsche. Schon mit Rücksicht auf die praktische Rechtsprechung wäre es im höchsten Grade wünschenswerth, eine Klarheit zu schaffen, damit die Frage, was künftig von den bisherigen Vorschriften noch in Geltung ist, sicher beantwortet werden kann. Allein eine klare und insbesondere erschöpfende Antwort dieser Frage, wie der Herr Referent sie wünscht, wird außerordentliche Schwierigkeiten bereiten. Der Herr Referent war sich selbst dieser Schwierigkeit bewußt; er wünscht deßhalb nur, daß so viel wie möglich Klarheit geschaffen würde. Allein ich glaube, daß man selbst

da mit der nöthigen Vorsicht vorgehen muß. Der Herr Referent hat gesagt, wenn wir den Artikel so annehmen würden, wie ihn die Regierung vorgeschlagen hat, so stecken wir gewissermaßen den Kopf in den Sand. Ich möchte dem gegenüber bemerken, daß der Vorschlag des Herrn Referenten auch eine nicht unbedenkliche Kehrseite hat. Wenn man den Regierungsentwurf liest, so kommt einem der Gedanke, wenn der Regierungsentwurf Gesetz wird, und darnach alle vor 1818 erlassenen Gesetze, soweit sie mcht Vorbehalten sind, aufgehoben werden, ob nicht dadurch das eine oder andere jetzt noch in einem Theile des Landes geltende Rechtsinstitut beseitigt wird, das eigentlich nicht beseitigt werden sollte oder wollte. Mir ist zwar ein solches Rechtsinstitut nicht bekannt, aber ich weise doch darauf hin, daß die Sache diese Kehrseite hat und daß wir nicht weiter gehen dürfen, als es die Regierung gethan hat. Es ist allerdings mißlich, daß ein solcher Zustand der Unklarheit wird fortbestehen müssen, aber es wird sich das nicht vermeiden lassen, weil ein vollständiges Durchhauen der Dinge nach unserer bayerischen Rechtsauffassung eben nicht angeht. Man hat das seinerzeit in Frankreich gethan, aber so energisch können wir nicht Vorgehen und darum werden wir es dabei belassen müssen, daß von Fall zu Fall, wenn von Seite eines Rechtsuchenden behauptet wird, es gelte die oder die Rechtsnorm noch, die Gerichte hierüber entscheiden. Wenn wir nun aus die einzelnen Artikel eingehen, so wird es gut sein, wenn wir die Artikel des Einsührungsgesctzes so, wie sie vorliegen, Punkt für Punkt durchgehen. Es wird sich im Laufe der Debatte Manches ergeben, um fixiren zu können: das und das gilt noch und das wird dann für später ein schätzbares Material bilden. Was nun den Artitel 56 des Einführungsgesetzcs betrifft, welcher von den Staatsverträgen spricht, so meint der Herr Referent, die k. Staatsregierung könnte uns sagen, welche Staatsverträge außer Kraft treten und welche nicht. Ich weiß nicht, ob die k. Staatsregierung in der Lage ist, diese Frage zu beantworten; sollte es möglich sein, so wäre auch ich hiefür sehr dankbar. Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Die Materien, bezüglich deren im Artikel 1 die Aufrechterhaltung der bisherigen Vorschriften ausgesprochen ist, hängen mit dem öffentlichen Rechte so eng zu­ sammen, daß ein Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche nicht der Ort sein dürfte, sie zum Gegenstände der Regelung zu machen. Es genügt, daß nach Artikel 56 des Einführungsgesetzes die bayerischen Staatsverträge mit ausländischen Staaten unberührt bleiben. Diese StaatsVerträge einzeln aufzuzählen, wie es die Absicht des Herr Referenten zu sein scheint, ist weder geboten noch rathsam und bedürfte einer geraume Zeit in Anspruch nehmenden Prüfung. Wird einmal streitig, ob ein solcher Staats­ vertrag besteht, so werden die Gerichte darüber zu entscheiden haben. Die Staatsregierung ist nicht in der Lage, dem Verlangen des Herrn Referenten stattzugeben. Was die weitere Bemerkung des Herrn Referenten bezüglich der StaatsVerträge Bayerns mit den andern Bundesstaaten betrifft, so fallen deren privatrechtliche Bestimmungen weg, soweit sie sich auf die vom Reichsrechte geregelten Materien beziehen. Abg. Michel: Gestatten Sie mir, mit Rücksicht auf die pfälzische Gesetz­ gebung einige allgemeine Bemerkungen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat in Erledigung einer Allerhöchsten Entschließung des k. Staatsministeriums der Justiz vom 19. April 1896 ein umfassendes Gutachten darüber erstattet,

S. 4.

S. 5.

S. 5

1. welche Gesetze und einzelnen Bestimmungen civilrechtlichen Charakters dermalen in der Pfalz neben dem Code civil sowie den Reichs- und bayerischen Landesgesetzen heute noch in Kraft stehen, und 2. welche von diesen Normen in Folge der Vorbehalte in dem Ein­ führungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuche durch letzteres unberührt bleiben. Ich bin im Besitz dieses Gutachtens und ich ersehe daraus, daß das Oberlandesgericht Zweibrücken bei der Vorlage des Gutachtens an das Justiz­ ministerium auch eine Anlage mit vorgelegt hat, welche diejenigen Bestimmungen enthält, die noch aufrecht zu erhalten sein dürften aus der Zeit vor und seit der Geltung des Code civil und welche als aufgehoben anzusehen sind. Um die Sache zu vereinfachen, dürfte es zweckmäßig sein, wenn die k. Staatsregierung bereit sein würde, diese Anlage dem Ausschüsse vorzulegen, damit eventuell geprüft werden kann, welche von diesen Bestimmungen noch als fortbestehend zu erachten sind und welche als aufgehoben zu betrachten sind. Der k. Staatsminister der Justiz: Die Anlage war eine Vorarbeit für uns; für die Ausschußberathungen scheint mir die Mittheilung keinen Zweck zu haben.

Abg. Michel: Der Zweck ist der: Es sollen die einzelnen Bestimmungen, welche als aufgehoben anzusehen sind, speziell aufgeführt werden, damit in der Rechtsprechung Klarheit herrscht. Es wird das von vielen praktischen Juristen in der Pfalz gewünscht, und ich bin ermächtigt worden, diesen Wunsch hier zu äußern. Die Bestimmungen in der Pfalz, welche einen civilrechtlichen Charafter haben und welche vor der Zeit des Code civil erlassen worden sind, sind sehr vielgestaltig und gehen sehr weit zurück, und man wünscht in der Pfalz dringend, daß ausgesprochen wird, welche von diesen Bestimmungen noch als fortbestehend anzusehen seien und welche nicht. Der k. StaatSmimster der Justiz: Alle diese Bestimmungen werden, so­ weit sie nicht durch den Artikel 1 aufrechterhalten werden, durch das Bürger­ liche Gesetzbuch aufgehoben. Abg. Michel: In vielen Fällen ist es doch zweifelhaft, ob nicht einzelne Bestimmungen, welche in diesen Gesetzen enthalten sind, noch als fortbestehend anzusehen sind. Es ist also in einzelnen Fällen streitig und das Oberlandes­ gericht Zweibrücken hat soviel ich weiß, diese Frage speziell berührt.

Abg. Dr. Casselmann: Nach meiner Auffassung bestimmt der Artikel 1 des Gesetzentwurfes, welche gesetzlichen Bestimmungen aus der Zeit vor der Berfassungsurkunde bestehen bleiben sollen, und zwar unter Bezugnahme auf die einzelnen Artikel des Einführungsgesetzes. Diese Artikel beziehen sich aber auf das gesammte in Bayern geltende Recht, also auch auf das Pfälzer Recht. Ein Zweifel darüber, welche Bestimmungen des letzteren nach Erlassung des Ausführungsgcsetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche noch Geltung behalten, kann deßhalb so wenig obwalten wie bezüglich aller übrigen zur Zeit in Bayern geltenden Privatrechte. ' Vorsitzender: Ich glaube, die Herren können sich bet der Erklärung der k. Staatsregierung beruhigen.

Abg. Wagner (Referent): Ich bin einigermaßen erstaunt darüber, daß man eine derartige Haltung gegenüber der Frage der Staatsverträge einnimmt. Ich gebe zu, daß vielleicht bezüglich anderer Materien es schwer sein wird, Aufschluß zu ertheilen, aber die k. Staatsregierung muß doch wissen, welche Staatsverträge gelten; wenn die k. Staatsregierung es nicht weiß, wer soll

es sonst wissen? Das ist denn doch etwas auffallend, daß man uns in dieser S. 5. Beziehung die erwünschten Aufklärungen nicht gibt, und da wir nicht im Be­ sitz des betreffenden Materials sind, ist es für uns außerordentlich schwer, uns eine klare Meinung darüber zu bilden. Seine Excellenz der Herr Minister sagt, der Artikel 56 des Einführungsgesetzes beziehe sich nur auf Staatsverträge mit ausländischen Staaten. Das habe ich auch bererts berührt; darüber ist kein Zweifel; nur habe ich vorhin einen Punkt angeregt, auf welchen regierungsseitig eine Aeußerung nicht ge­ fallen ist, nämlich ich habe erklärt, ich bin dec Meinung, daß, wenn unter Bundesstaaten in Bezug auf solche Materien Staatsverträge bestehen sollten, welche der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen seien, diese nach meiner Meinung nicht außer Kraft treten. Herüber fehlt allerdings eine klare gesetz­ liche Bestimmung; aber es ist selbstverständlich, daß diese Staatsverträge in­ soweit, als die Landesgesetzqebung künftig zuständig bleibt, aufrecht erhalten bleiben. Nun weiß ich nicht, ob es derartige Verträge noch gibt; aber ich glaube doch, daß jene Staatsverträge einmal ganz sicher bekannt sein müssen und mitgetheilt werden können, welche sich auf Gegenstände des Bürgerlichen Rechts beziehen und mit ausländischen Staaten abgeschlossen worden sind. Was die Anregung des Herrn Kollegen Michel betrifft, so bin ich der Meinung, daß, wenn ein derartiges Gutachten von einem so angesehenen Ge­ richtshof, wie ein Oberlandesgericht es ist, erstattet wurde, und dieses Gut­ achten für Klärung des Dunkels in Bezug auf diese Materie dienen könnte, daß es da allerdings wünschenswerth wäre, wenn dem Ausschüsse dieses Gut­ achten mitgetheilt würde. Ich weiß nicht, warum man die einzelnen Richler im Unklaren läßt in Bezug auf diese Materie. Die Richter draußen haben künftig ohnehin eine furchtbar schwierige Aufgabe mit den einzelnen neuen Gesetzen, und wenn dazu auck noch lange Nachforschungen nach noch be­ stehenden alten Gesetzen angestellt werden sollen, so wird die Rechtsprechung immer mehr erschwert, besonders für jüngere Richter, welche unter dem alten Rechte noch nicht gearbeitet haben. In dieser Beziehung Aufklärung zu schaffen, wäre Aufgabe des Aus­ schusses und der k. Staatsreaierung, soweit es nur immer möglich ist; aber die vollständig negative Ant || wort Seitens des Herrn Staatsministers ist S. 6. allerdings geeignet, unsere Ausgabe außerordentlich zu erschweren. Abg. Lerno ^Korreferent): Wenn ich die Sache praktisch und richtig auf­ fasse, so kann sie gar nicht von der Bedeutung sein, die ihr von Seite des Herrn Referenten beigelegt wird; denn derselbe hat nicht genügend betont, daß es sich nicht um die Staatsverträge an sich und ihren gesammten Inhalt bandeln kann, sondern nur um einzelne cwilrechtliche Normen, welche in diesen Staatsverträgen sich noch vorfinden mögen. Nun glaube ich, daß das Material, das da etwa gefunden werden könnte und aufrecht erhalten werden soll, ein außerordentlich geringfügiges ist; denn es handelt sich hier nur um Staats­ verträge vor 1818. Was also da noch vorhanden sein könnte, wird nicht nur der Zahl, sondern auch dem Inhalt nach so wenig bedeutend sein, daß es sich kaum verlohnt, der Sache nachzugehen, während anderseits es zu brdenklich ist, eine entschiedene Cäsur zu machen. Ich glaube, man könnte sich begnügen mit dem, was in der Regierungsvorlage enthalten ist, nämlich mit der Bestimmung: das, was in solchen Staatsverträgen privatrechtlichen In­ halts noch vorkommt, bleibt aufrecht erhalten. Abg. Wagner (Referent): Ich für meine Person muß es nach wie vor als wünschenswerth erachten, daß wir wenigstens eine Antwort geben können,

S. 6

wenn wir gefragt werden: was hat es für eine Bedeutung, den Artikel 56 des Einführungsgesetzes hier hereinzuziehen? Wenn wir Alle miteinander nicht einmal wissen, was das für eine Bedeutung hat, so mutz ich doch sagen, dah das ein sonderbarer Zustand ist. Wenn die Herren draußen sagen: Ihr wäret im Gesetzgebungsausschusse, und wenn sie uns fragen, was hat es für eine Bedeutung, datz wir den Artikel 56 des Einführungsgesetzes hereingezogen haben, so müssen wir sagen, und ich konstatire das: „es hat das Niemand gewutzt", und wir haben uns damit begnügt, daß Niemand etwas davon gewußt hat. Also, ich habe meine Schuldigkeit gethan, und wenn wir eine Aufklärung in dieser Richtung nicht bekommen, so bin ich nicht in der Lage, das zu ändern. Vorsitzender: Nach dieser Erklärung des Herrn Referenten können wir den Artikel 56 verlassen und zu Artikel 57 übergehen.

Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 57 des Einführungsgesetzes): Hier habe ich ebenfalls in meinem schriftlichen Referat einige Bemerkungen gemacht. Ich habe ausgeführt, datz nach meiner Kenntnitz hieher einschlägig sind die Verfassungsurkunde von 1818, insbesondere die Tit. II und III, das Königliche Familienstatut vom 5. August 1819, das Gesetz vom 9. März 1828 über das Staatsgut, das Gesetz über die Cwilliste vom 1. Juli 1834 und das Gesetz über den Wittelsbacher Palast vom 11. April 1843. Für die Mitglieder der Königlichen Familie gilt wohl subsidiär auch das gemeine deutsche Privatsürstenrecht (P.M. 9422). Nun habe ich folgende Fragen gestellt: a) ob und in welcher Beziehung das gemeine deutsche Privatfürstenrecht zur Anwendung zu kommen hat, b) ob noch andere als die vorstehend aufgeführten Gesetze hier einschlagen, c) nach welchen „bürgerlichen Gesetzen" sich gemätz Tit. VIII § 4 des Königlichen Familienstatuts vom 1. Januar 1900 an die eintretende Jntestaterbfolge richtet (cfr. auch § 5 ibid.). Im Uebrigen, was die letztere Frage betrifft, so gestehe ich zu, daß ich hier vorangeeilt bin, weil, als ich meinen Bericht machte, der zweite Entwurf mir noch nicht vorlag. Hätte ich ihn gehabt, so hätte ich diese Frage nicht gestellt. Ich muß es also der k. Staatsregierung überlassen, ob sie nicht der Meinung ist, daß diese Frage erst bei dem zweiten Entwurf einschlägig ist.

Abg. Lerno (Korreferent): Ich glaube, man wird mir Recht geben, wenn ich sage, daß die Rechtsmaterie, um die es sich hier handelt, das Privatfürsten­ recht, für uns und die große Menge des Volkes von keinem besonderen Interesse, insbesondere auch nicht von allgemeiner Bedeutung ist. Was künftighin Rechtens sein wird bei allenfallsigen Rechtsstreitigkciten dieser Art, das wird ja immer­ hin der Verlauf des Rechtsstreites ergeben, nachdem der Artikel 57 ganz deut­ lich sagt, daß die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur insoweit An­ wendung finden, als nicht besondere Vorschriften der Hausverfassungen oder der Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten. Dann glaube ich, daß dem Herrn Referenten hier ein Irrthum unter­ laufen ist. 6r führt nämlich hier an die Verfassungsurkunde von 1818, das Königliche Familienstatut von 1819, das Gesetz über das Staatsgut vom 9. März 1828, das Gesetz über die Civilliste vom 1. Juli 1834 und das Gesetz über den Wittelsbacher Palast vom 11. April 1843. Es handelt sich aber nach dem Artikel 1 nur um Vorschriften, welche vor dem 26. Mai 1818 erlassen worden sind. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß die Be­ stimmungen, die er aufführt, künftig noch gelten.

Abg. Wagner (Referent): Ein Irrthum war das nicht. Daß der Artikel57 sich auch auf das Gesetz über den Wittelsbacher Palast u. s. w. bezicht, so­ weit darin civilrechtlicbe Bestimmungen enthalten sind, darüber ist kein Zweifel. Ich habe hier ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Bestimmungen handelt, welche vor 1818 oder nach 1818 erlassen worden sind, die Bestimmungen aufgezählt, die nach meiner Kenntniß auf den Artikel 57 einschlogen könnten; also von einem Irrthum ist keine Rede. Bon Bestimmungen, welche vor 1818 erlassen wurden, dürfte wahrscheinlich nur das Privatfürstenrccht in Betracht kommen und gerade in dieser Beziehung wäre ich dankbar, wenn uns eine Aufklärung gegeben würde. Das Recht nach 1818 ist uns ja Allen bekannt.

S. 6.

Der k. Staatsminister der Justiz: Daß das gemeine deutsche Privat­ fürstenrecht als subsidiäre Rechtsqurlle für die Mitglieder des Königlichen Hauses fortbesteht, ist nicht zu bestreiten und wird nicht bestritten. Auf die Frage, in welchen Beziehungen es zur Anwendung kommt, kann nur geant­ wortet werden, daß es soweit gilt, als eine primäre Norm fehlt. Ob neben den vom Herrn Referenten ausgeführten gesetzlichen Vorschriften noch andere anwendbar sind, läßt sich mit erschöpfender Sicherheit nicht sagen. Die Frage, nach welchen „bürgerlichen Gesetzen" sich gemäß Tit. VIII § 4 des Königlichen Familienstatuts vom 1. Januar 1900 an die Jntestaterbfolge richtet, ist nur eine Auslegungsfrage, zu deren Entscheidung hier nicht der Ort ist.

Abg. Wagner (Referent): Was die letzte Bemerkung Seiner Excellenz des Herrn Ministers betrifft, so ist es ja richtig, daß die Auslegung Sacke der Wissenschaft und Praxis ist; allein ich bin doch der Meinung, daß der Gesetz­ geber, welcher über derartige Normen sich ausspricht, die Aufgabe hat, soweit es in seiner Macht steht, dunkle Rechtsmaterien aufzuklären. Wenn wir diese Aufgabe vollständig überrücksichtigt lassen, so fürchte ich, daß man uns mtt Recht vorwerfen kann, daß wir unsere Aufgabe nicht vollständia erfüllt haben. Im Uebrigen gebe ich zu, daß es sich gerade hier um eine Materie handelt, welche das Volk als solches nicht rn dem Maße berührt, wie andere Gegen­ stände. Es wird wohl auch nichts übrig bleiben, als sich bei der Erklärung der k. Staatsregierung zu beruhigen. Vorsitzender: Wir gehen über zu Artikel 58.

Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 58 des Einführungsgesetzes): Auch hier habe ich in meinem Berichte diejenigen Bestimmungen zusammen­ gestellt, ohne Rücksicht darauf, ob sie vor oder nach der Verfassungsurkunde ergangen sind, welche nach meiner Kenntniß der Verhältnisse hieher einschlagen. Unter diesen Artikel werden die IV. Verfassungsbeilage und beziehungs­ weise die Königliche Deklaration vom 19. März 1807, sowie Artikel 102 des Ausführungsge;etzes zur Reichs-Civilprozeßordnung, Gerichtsverfassungsgesetz vom 10. November 1861, Artikel 76 Abs. 3 und Artikel 81 des Ausführungs­ gesetzes zum Reichs-Gerichtsverfassungsgesetz, dann bezüglich des Thurn- und Toxls'schen Hauses die Königliche Deklaration vom 27. März 1812 (RBl. S. 841) und das Gesetz vom 29. April 1869, ferner das Gesetz vom 26. April 1882, betreffend die Hausgesetze des fürstlichen Gesammthauses Nassau, fallen. Bezüglich des letzteren Punktes bin ich im Zweifel, ob der unter Artikel 58 oder 57 fällt. Ich glaube, daß er schon unter Artikel 57 fällt. Also hier habe ich um Aufklärung gebeten, ob diese Annahme richtig ist, oder ob noch andere Gesetze, welche den Standesherren privatrechtliche Vor­ theile gewähren, hieher fallen.

S 7.

S. 7

Die zweite Frage lautet: wie es sich fernerhin mit dem Vorkaufsrechte verhält, das der Staat nach der Königlichen Deklaration von 1807 Heft 14 (IV. Verf.Beil. § 65) an den in Bayern gelegenen standesherrlichen Besitzungen hat. Diese letztere Frage ist im zweiten Entwürfe beantwortet, und kann ich also dieselbe hier zurückziehen. Daß diese Frage hier berechtigt war, ergibt sich daraus, daß es sich hier um eine Frage handelt, welche sich auf ein Gesetz vor der Verfassungs­ urkunde bezieht.

Abg. Lern» (Korreferent): Bezüglich des Artikel 58, der vom hohen Adel handelt, gilt das Gleiche, nämlich daß diese Rechtsnormen ein besonders großes allgemeines Interesse kaum werden beanspruchen können. Selbst wenn es möglich wäre, alle zur Zeit noch als giltig anerkannten Normen anzuführen, so wird sich doch kaum vermeiden lassen, daß im Falle eines Rechtsstreites die Behauptung aufgestellt wird, die eine oder andere Rechtsnorm, die auf Her­ kommen oder Gesetz beruhe, gelte zu Gunsten eines in Anspruch genommenen Rechtes, und es wird immer Sache des Gerichts bleiben, zu entscheiden, ob das richtig ist. Nur Eines möchte ich betonen, nämlich daß außer den vom Herrn Referenten aufgeführten Bestimmungen in erster Linie der Reichs­ deputationshauptschluß von 1803 hier einschlägig ist. Der k. Staatsminister der Justiz: Die Gerichtsbarkeit des Hauses Thurn und Taxis in Vormundscbasts- und Verlassenschaftssachen der fürstlichen Be­ diensteten wird durch das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beseitigt; im Uebrrgen kann sowohl die Deklaration vom 27. März 1812 als auch das Gesetz vom 29. April 1869 bestehen bleiben. Das Haus Nassau fällt unter den Artikel 57 des Einführungsgesetzes. Wenn um Aufklärung ersucht wird, ob der Herr Referent alle Gesetze hier aufgeführt hat, so läßt sich dieß nicht leicht beantworten. Man darf sich nur vergegenwärtigen, daß man auch die Staatsakte hieher rechnen kann, durch welche einzelnen adeligen Familien die Rechte von standesherrlichen Familien eingeräumt worden sind. Ueberhaupt möchte ich noch einmal bitten, von dem Ersuchen um Auf­ zählung der einzelnen Gesetze abzusehen. Die Aufzählung ist nicht nothwendig und eine Gewähr der Vollständigkeit kann nicht übernommen werden.

Abg. Wagner (Referent): Inwieweit der Reichsdeputationshauptschluß von 1803 hieher fällt, das zu beantworten, wird allerdings sehr schwer sein. Es ist auch bezüglich späterer Bundesbeschlüsse, z. B. in Bezug auf die Häuser Giech und Pappenheim, zu erwähnen, daß dieselben wohl hieher zu fallen haben. Wenn weitere Aufklärungen nicht gegeben werden können oder die Regierung es nicht für rathsam erachtet, so bleibt mir nichts Anderes übrig, als mich zu bescheiden. Vorsitzender: Der Herr Korreferent verzichtet auf's Wort. Ich rufe dann Artikel 59 auf.

Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 59 des Einführungsgesetzes): Hier haben wir nach meiner Meinung für Bayern vier Arten von Fidei­ kommissen zu unterscheiden: a) jene nach der VII. Verfassungsbeilage mit dem Gesetze vom 11. Sep­ tember 1825,

b) die Majorate nach dem Edikte vom 20. Dezember 1811 mit § 103 S. 7. der VII. Verfassungsbeilage, c) die Familienfideikommisse der vormaligen Reichsritterschast und des Adels in den erst seit 1812 mit Bayern vereinigten Provinzen nach Maßgabe der VII. Verfassungsbeilage § 107 mit §§ 104 und 106, sowie 108, d) die Familienfideikommisse der Standesherren, für welche (nach Maß­ gabe der VII. Verf.-Beil. § 102 und IV. Verf.-Beil. § 9) die Haus­ verfassungen und das gemeine Recht zur Anwendung kommen werden. Was die Lehen betrifft, so werden das Edikt über die Lehenverhältnisse vom 7. Juli 1808 (RBl. S. 1893), die IV. Verfassungsbeilage § 57, das Gesetz vom 15 August 1828 (RBl. S. 353) und das Gesetz vom 4. Juni 1848 über die Ablösung des Lehenverbandes einschlägig sein. Weiter fällt nach einer Aeußerung, welche in der zweiten Kommission bei S. 8. der Abfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gemacht wurde, hieher noch das Gesetz über die landwirthschaftlichen Erbgüter, und ich habe hier gebeten, mitzutheilen, ob diese Annahme richtig ist, beziehungsweise ob noch andere Gesetze hier einschlagen, dann wie die Sache mit den Stammgütern in Bayern steht, ob es noch derartige Stammgüter gibt, und dann ist mir auch ein Bedenken gekommen hinsichtlich der Pfalz. In der Pfalz konnten bisher Familienfidei­ kommisse überhaupt nicht errichtet werden. Nun frägt es sich, ob künftighin die Rechtsznstände auf diesem Gebiet für die Pfalz fortdauern auf Grund der aufrecht erhaltenen Bestimmungen, und ich würde bitten, mir zu sagen, ob es nicht nothwendig ist, eine besondere Bestimmung in dieser Beziehung zu treffen, denn ich glaube nicht, daß in der Pfalz eine allzugroße Sehnsucht nach Fidei­ kommissen besteht. Dann habe ich darauf hinzuweisen, daß schon in der zweiten Kommission bet der Abfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Stimmen laut geworden sind, dahin gehend, daß man die Fideikommisse überhaupt nicht begünstigen, sondern sie beseitigen solle, und auch in Bayern ist der Wunsch laut geworden, eine Gründung nicht mehr zuzulassen, sondern die Fidei­ kommisse zu beseitigen. Was die Beseitigung anlangt, so wird dieselbe, wenn man nicht eine Art von Gewaltstreich macht, wohl nicht möglich sein. Etwas Anderes ist es, ob man nicht für die Zukunft die Entstehung von Fidei­ kommissen verhindern soll oder die Vergrößerung der bestehenden durch Grund­ besitz. Ich glaubte mich als Referent verpflichtet, diese Frage anzuregen^ Die Gründe, welche für die Familsenfideikommtsse, und die, welche dagegen sprechen, zu erläutern, unterlasse ich, ich möchte hiemit Bezug nehmen auf das Proto­ koll der zweiten Kommission. Abg. Lerno (Korreferent): Ich möchte glauben, daß diese Materie der Familienfideikommisse in Artikel 1 der Beilage B*) gehört. Es kann sich nur um die Thatsache drehen, daß die lanvesrechtlichen Bestimmungen über die Familienfideikommisse unberührt bleiben. Ich glaube, wir haben keinen Anlaß zur Veränderung dieses Zustandes. Meine politischen Freunde und ich stehen auf dem Standpunkte, daß die Erhaltung der gegenwärtigen Fideikommisse, welche zum großen Theil vom hohen Adel errichtet sind, durchaus zu billigen ist, und ich glaube, daß die Erhaltung des Adels zumal auf dem Lande ein wichtiger sozialer Faktor ist, den wir nicht dadurch untergraben dürfen, daß wir für die Zukunft dte Möglichkeit der Gründung neuer Fideikommisse erschweren. *) Sergi. Abth. V. S. 1, 2.

S. 8.

Der Herr Referent hat in seinem Referate die Erwägung nahe gelegt, ob nicht künftighin die Vergrößerung der Fideikommisse durch Grundstücke oder die Errichtung neuer Fideikommisse untersagt werden solle. In seinem heutigen Vortrag habe ich nicht mehr diese Unterscheidung gefunden, der Herr Referent hat von Fideikommissen überhaupt gesprochen. Er hat seinen heutigen Vortrag auf die Familienfideikommisse von Grund­ stücken beschränkt und nicht auf jene Fideikommisse ausgedehnt, die z. B. in Form von Werthpapieren oft sehr bedeutende Vermögen repräsentiren. Ich glaube, gerade gegen diese Anhäufung von Vermögen in der Hand einer Familie könnte eher ein soziales Bedenken erhoben werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß die meisten Fideikommisse, soweit es sich um Bewirthschaftung des Landes handelt, Musterwirthschaften sind, und ich glaube, daß die Stimmen, die dagegen laut geworden sind, nicht für berechtigt erachtet werden dürfen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir den be­ stehenden Zustand nicht für beklagenswerth oder abänderungsbedürftig halten. Der Herr Referent hat auch auf das Gesetz über die landwirthschaftlichen Erbgüter Bezug genommen; hier spielt herein die Frage der Errichtung des Anerbenrechts, welche in der Beilage B*) ventilirt ist, deren Erledigung wir als wünschenswerth erachten.

Abg. Michel: In der Allerhöchsten Entschließung vom 5. Oktober 1818 (Amtsbl. S. 847) ist in Abs. 5 eine Anzahl Bestimmungen der Verfassungs­ urkunde für den Rheinkreis als unanwendbar erklärt und zwar von den Be­ stimmungen des Tit. V die in den §§ 2, 3, 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 Ziff. 1, 3, 4, nicht aber auch die auf die Familienfideikommisse sich beziehende Ziff. 2. Nun sind nach Art. 896 Code civil die Substitutionen verboten. Mit Rücksicht darauf wurde bisher in der Pfalz keinerlei Fideikommiß ge­ gründet, allein es scheint nach meinem Dafürhalten nothwendig, daß aus­ drücklich eine Bestimmung dahin gehend ausgenommen werde, daß die Errichtung von Familienfideikommissen in der Pfalz künftighin unzulässig ist. So viel über die Familienfideikommisse. Was die Lehen anlangt, so bestehen besondere Bestimmungen in der Pfalz nicht, damit hat die französische Revolution gründlich aufgeräumt. Abg. Segitz: Nach unserer Auffassung wurzeln die Familienfideikommisse überhaupt in wirthschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen, die mit unserer Zeit einfach unvereinbar sind, und wir tragen kein Bedenken, sie zu beseitigen. Wir müssen uns dagegen aussprechen, daß dieses Monopol, das nur einer gewissen Klasse von Personen eingeräumt ist, eine weitere Ausdehnung erfährt und auf die Pfalz ausgedehnt wird. Ich habe auch die entgegengesetzte An­ sicht, wie der Herr Korreferent, daß die Fideikommisse Musterwirthschaften sind; ich habe darüber Vieles gelesen, was mit dieser Auffassung in direktem Widerspruche steht. Ich werde jeden Vorschlag unterstützen, der darauf hinaus­ geht, dieses Monopol zu beseitigen.

Abg. Dr. Casselmann: An eine vollständige Beseitigung der Familien­ fideikommisse zu denken, ist unmöglich. Es wäre dieß ein außerordentlicher Eingriff in wohlerworbene Privatrechte. Wenn der Herr Vorredner sagt, er wolle nicht, daß dieses Monopol einer bestimmten Klasse auch auf die Pfalz ausgedehnt werde, so ist davon keine Rede, es wird dazu auch nicht des An­ trages bedürfen, den der Herr Abgeordnete Michel gestellt hat. Darüber läßt ») Vergl. Abth. V S. 8, 9, 58 bis 60.

sich streiten, ob in unserer modernen Zeit die Familienfideikommisse derartig begründet sind, daß zu den bestehenden noch neue zugelassen werden sollen. Ich meine indessen, daß wir zur Zeit keine Veranlassung haben, auf legis­ latorischem Wege eine Aenderung der Verhältnisse herbeizuführen.

Abg. Landmann: Bezüglich der Anregung des Herrn Referenten, daß die Vergrößerung der Fldeikoinmisse, sowie die Neuerrichtung untersagt werden solle, habe ich zu bemerken, daß unbestreitbar die Meinung des Volkes dahin geht, Fideikommisse nicht zu errichten. Wer die Stimmung in bäuerlichen Kelsen kennt, wird dieß zugeben. Es besteht die Ansicht, daß nach und nach durch dergleichen Fideikommisse die kleinen Leute verschwinden und daß über­ haupt soziale Gründe gegen eine weitere Vermehrung der Fideikommisse sprechen. Ich halte die Sache doch für so wichtig, daß man || sie nicht so kurz erledigen kann. Davon kann zunächst keine Rede sein, daß man die bestehenden Fidei­ kommisse beseitigt. Nachdem man nun in der Pfalz Fideikommisse überhaupt nicht kennt, wäre es angezeigt, für die Zukunft der Meinung des Volkes Rechnung zu tragen dadurch, daß man ihre weitere Vermehrung und Vergrößerung durch Grundstücke nicht zuläßt. Der k. Staatsminister der Justiz: Der Herr Referent zählt einzelne Be­ stimmungen über die Fideikommisse auf und ersucht um Mittheilung, ob noch andere Gesetze hieher bezüglich sind. Die Aufzählung wird als richtig zu be­ zeichnen sein. Sollten noch andere Gesetze bestehen, so würden sie aufrecht erhalten werden. Zur Entscheidung der Frage, ob Stammgüter in Bayern bestehen, liegt für dieses Gesetz keine Veranlassung vor. Beim fränkischen Adel dürften wohl noch Stammgüter bestehen, insbesondere spricht die VII. Ver­ fassungsbeilage von solchen Gütern. Auf die Frage, ob nicht für die Pfalz besondere gesetzliche Bestimmungen nothwendig seien, um dort auch künftighin die Errichtung von Fideikommissen unmöglich zu machen, bemerke ich, daß jetzt Familienfideikommisse wegen des Artikel 896 des Code civil nicht begründet werden können. Ob sie nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs begründet werden können, ist eine Frage der Auslegung des § 4 der Allerhöchsten Entschließung vom 5. Oktober 1818 (Amtsblatt für die Pfalz S. 847). Ich glaube sagen zu dürfen, daß keine Absicht besteht, für die Pfalz ein Gesetz zu erlassen, welches die Gründung von Familienfideikommissen gestattet. Was die fernere Frage anlangt, ob die Vergrößerung von Fideikommissen oder die Neuerrichtung untersagt werden soll, so meine ich, es dürfe sich nicht empfehlen, eine derartige gesetzliche Bestimmung in Erwägung zu ziehen. Abg. Wagner (Referent): Der wichtigste Punkt ist wohl der, der sich auf die Pfalz bezieht. Ganz klar bin ich mir nicht darüber, ob für die Zukunft, wenn die Bestimmung des Code civil in Wegfall kommt, künftighin nicht die Bestimmung der VII. Verfassungsbeilage auch Anwendung findet für die Pfalz und dort Familienfideikommisse gegründet werden können. Seine Excellenz der Herr Minister verweisen auf die Auslegung der Allerhöchsten Entschließung vom 5. Oktober 1818. Die Materie ist bereits zweifelhaft, und es fragt sich, ob nicht, wenn ein Adeliger nunmehr nach Wegfall der Bestimmung des Code civil zur Errichtung eines Fideikommisses schreiten wA, die Gerichte anerkennen müssen, daß dieß auf Grund der VII. Verfassungsbeilage zulässig ist. Nach­ dem jetzt schon Zweifel bestehen, wäre es angemessen, sie zu beseitigen.

S. 8.

S. 9.

S. 9.

Was die Anregung betrifft, daß für die Zukunft die Gründung von Familienfideikommissen untersagt werden solle beziehungsweise die Vergrößerung derselben, so ist nach der Erklärung des Herrn Korreferenten es müssig, jetzt über diese Frage weiter zu diskutiren, da eine Zweidrittelmajorität keinesfalls zu erlangen ist; deßhalb bin ich der Meinung, daß es das Zweckmäßigste ist, diese Frage durch einen besonderen Gesetzentwurf oder durch einen besonderen Gesetzesanlrag zum Austrage zu bringen, des Weitern auch wegen der Pfalz eigene Bestimmungen zu treffen.

Abg. Lerno (Korreferent): Nach den letzten Ausführungen des Herrn Referenten ist die Frage der Zukunft der Familienfideikommisse entschieden und ihre Aufrechterhaltung gesichert. Was die künftige Errichtung derselben in der Pfalz anlangt, so habe ich eine andere Auffassung der Debatte als der Herr Referent. Ich habe das Ergebniß so aufgesaßt, daß die Meinung des Aus­ schusses dahin geht, daß auf Grund des Artikel 59 des Einführungesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch m der Pfalz künftighin so wie bisher die Errichtung von Familienfideikommissen unmöglich ist, und ich glaube, es genügt die Konstatirung zu Protokoll, ohne daß es einer besonderen gefetzlichen Bestimmung bedarf.

Abg. Wagner (Referent): Ich glaube nicht, daß dieß aus dem Reichs­ gesetze folat. Das Reichsgesetz hält nur die landesgesetzlichen Bestimmungen aufrecht. Die Familienfideikommisse sind in der VII. Verfassungsbeilage geregelt. Es handelt sich darum, ob die VII Verfassungsbeilage für die Pfalz gilt. Darüber hat das Reichsgesetz nicht zu befinden, das ist unsere Sache und hängt, tote der Herr Staatsminister gesagt hat, von der Auslegung der Allerhöchsten Verordnung vom 5. Oktober 1818 ab. Diese ist jedoch zweifelhaft. Ich glaube also, daß man nach Wegfall der Bestimmung des Code civil sagen kann, auch in der Pfalz gilt die VII. Vcrsaffungsbeilage, wie im dießseitigen Bayern, in Folge bessert können auch dort Ftdeikommtsie errichtet werden. Abg. Conrad: Ich möchte meiner Anschauung dahingehend Ausdruck geben, daß mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs doch die Familienfideikommtffe bet VII. Versassungsbetlage nicht so einfach in ber Pfalz zulässig erscheinen. Mit bem Wegfall des bisherigen Hinberntsses, bes Substilutionsverbots bes französischen Rechts, kann doch diese zufolge Allerhöchster Deklaration bisher in ber Pfalz unanwendbare Verfassungsbestimmung nun nicht so ohne Weiteres zur Geltung kommen. Dazu würbe es meines Erachtens eines befonberen unb förmlichen gesetzgeberischen Aktes bebürfen.

Senatspräsident Dr. von Jacnbezkh: Der Abs. 6 der Allerhöchsten Verordnung vom 20. Oktober 1818 (pfälzisches Amtsblatt S. 847) lautet: Von den übrigen in der Beilage V der Verfassungsurkunde zugestandenen Rechten kommen dem Adel des Rheinkretses nur jene zu, welche mit den Gesetzen und besonderen Institutionen dieses letzteren verembarlich sind.

Abg. Michel: Ich bin derselben Ansicht wie der Herr Abgeordnete Wagner. Wenn der Code civil aufgehoben ist, dann wird einfach die Bestimmung der VII. Verfassungsbeilage auf die Pfalz anwendbar erscheinen und damit die Möglichkeit der Errichtung von Fideikommissen. Ich glaube, daß es nothwendig ist, auszusprechen, daß der bisherige Rechtszustand in der Pfalz auch nach dem 1. Januar 1900 fortbesteht und in Folge dessen die Errichtung von Famüienfiveikommissen unzulässig ist.

Senatspräsident Dr. von Jakubezkh: Zunächst handelt es sich nach S. 9. der Bemerkung des Herrn Mlnisters um die Auslegung der Allerhöchsten Ver­ ordnung. Ich möchte auf die Gründe zurückkommen, die dafür sprechen, die Verordnung sy auszulegen, wie es bereits von mehreren Herren geschehen ist. Es ist außer allem Zweifel, daß die Geltung der VII. Verfassungsbeilage für die Pfalz jetzt ausgeschlossen ist. Nun fällt allerdings der Grund, welcher dazu geführt hat, die Geltung auszuschließen, weg, aber cessante ratione legis non cessat lex ipsa. Der Gesetzgeber hat nicht gesagt, diese besonderen S. 10. Rechte treten dann in Kraft, wenn einmal die besonderen Einrichtungen der Pfalz nicht mehr entgegenstehen, sondern er hat gesagt, im Rheinkreis hat der Adel diese Rechte nicht. Man kann also wohl sagen, daß, solange ein besonderes Gesetz nicht gemacht wird, die Wirkung der Allerhöchsten Entschließung bleibt, die dahin geht, daß die VII. Verfassungsbeilage in der Pfalz keine Geltung hat. Wenn der Herr Staatsminister sich dahin ausgesprochen hat, daß dieß eine Auslegungsfrage ist, so sollte damit nur die Frage offen gehalten werden, ob etwa die Auslegung möglich sei, das Gesetz beabsichtige diese Vorzüge und Rechte nur insolange auszuschließen, als besondere Gesetze und Einrichtungen für die Pfalz bestehen. Aber wenn man den Wortlaut des Gesetzes ansieht, io spricht dieser zunächst nicht für diese Auffassung, und man wird nicht sagen können, der Gesetzgeber habe im Jahre 1818 daran gedacht, diese Bestimmungen zu ändern. Man hat damals, weil man keine Beunruhigung in der Pfalz verursachen wollte, nicht angedeutet, daß man mit dem Gedanken umgehe, der Pfalz demnächst Einrichtungen aufzuerlegen, die ihr in hohem Grade unsympathisch waren. Ich glaube deßhalb, daß überwiegende Gründe dafür sprechen, daß keine Veränderung des bestehenden Rechtszustandes einttitt, vielmehr Alles beim Alten bleibt.

Abg. von Walter: Die Auslegung des Herrn Ministerialkommissärs ist keine absolut sichere. Denn er hat schon den Satz, den man in positiver Form ausstellt, cessante ratione cessat lex ipsa in eine negative Form umgewandelt. Abgesehen davon geht aus der Allerhöchsten Entschließung vom 5. Oktober 1818 hervor, warum die VII. Verfassungsbeilage nicht auf die Pfalz ausgedehnt wurde, nämlich weil die bestehenden Gesetze und Einrichtungen dagegen waren. Ob die Auslegung so, wie sie vom Herrn Ministenalkommiffär gegeben wurde, zulässig ist, ist mir zweifelhaft, und ich glaube, wenn man in der Pfalz so großen Werth darauf legt daß keine Fideikommisse errichtet werden, dann sollte man diesem Wunsche Rechnung tragen; denn sonst fürchte ich sehr, daß man auch auf eine andere Auslegung kommen kann. Es könnte ja in dem Gesetz­ entwürfe über die seit dem Jahre 1818 erlassenen Gesetze ein Antrag gestellt werden und würde ich einen diesbezüglichen Antrag besürwortcn. Abg. Lrrno (Korrescrent): Ich muß gestehen, daß ich nach den Aufklär­ ungen des Herrn Ministerialkommissärs schwankend geworden bin mit meiner Meinung. Seitens der k. Regierung ist Anfangs gesagt worden, die VII. Versassungsbeilage gelte nicht für die Pfalz, und in Folge dessen war ich der Meinung, es wäre eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift, die dieß bestimmt. Da muß ich jetzt dem Herrn Abg. Wagner Recht geben, wenn er sagt, daß, wenn die Bestimmung des Code civil wegfällt, die Ermächtigung zur Gründung von Familienfideikommissen gegeben ist. Da die Sache zum Mindesten zweifel­ haft ist, bin ich auch für eine gesetzliche Regelung derselben. Ich gehe aller­ dings einen andern Weg wie der Herr Abg. von Walter, der meint, man solle den Gefühlen der Pfälzer Bevölkerung Rechnung tragen. Es ist bisher nur

S 10. Bezug genommen worden darauf, warum im Jahre 1818 die Errichtung von Fideikomnlissen verboten wurde. Es war dieß ein Ueberbleibsel der französischen Revolution. Ob diese Antipathie auch heute noch besteht, weiß ich nicht. Ich habe aber einen wichtigeren Grund, nämlich den der Rechtsgleichheit. Ich sehe nicht ein, warum in der Pfalz die Errichtung von Familienfideikommissen ver­ boten, im rechtsrheinischen Bayern hingegen erlaubt sein soll. Daher würde ich gegen einen Antrag stimmen, dahin lautend, daß Fideikommisse in der Pfalz nicht möglich seien. Soziale Nachtheile kann ich nicht erblicken. Ich bleibe darauf bestehen, daß eine gesetzliche Regelung der Sache sehr wünschenswerth wäre.

Abg. Dr. Ratzinger: Die Errichtung von Familienfideikommissen hat ver­ schiedene Seilen, die dem Adel wohl am meisten geschadet haben. Es ist gewiß möglich, daß durch die Errichtung von Fideikommissen die materielle Existenz des Adels sicher gestellt wird, aber das ist nur ein Gesichtspunkt zweiter Klasse. Es ist durch die Errichtung ein geistiges Herabsinken des Adels, ein sittlicher Verfall desselben veranlaßt worden, denn es ist ein Gesetz der sozialen Ent­ wicklung, daß Derjenige, der eine absolut gesicherte Stellung einnimmt, nicht jene Energie sich aneignet, welche anderen Klassen zur Nothwendigkeit wird. Ich glaube, daß wir zwar nicht daran gehen können, alle alten Fideikommisse zu beseitigen, aber ich möchte einer Ausdehnung derselben nicht zustimmen. Ferner möchte ich noch anregen, daß wir die Errichtung neuer Familienfidei­ kommisse nicht der Regierung überlassen, sondern der Volksvertretung. Wenn diese keine Gefahr erblickt bei der Neuerrichtung oder Vergrößerung der Fideikommisse, so kann Niemand etwas einwenden, aber es kann eine Zeit kommen, wo der Aufkauf bedeutender Vermögen als ein Nachtheil erscheint. Abg. von Walter: Ich glaube, daß Herr Abg. Dr. Ratzinger in ver­ schiedener Richtung von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Was den Punkt betrifft, daß die Besitzer von Familienfideikommissen wirthschaftlich, geistig und sittlich herabgekommen sind, so kann dieß wohl von der Mehrzahl nicht behauptet werden und hat Herr Dr. Ratzinger sicher nur einzelne Ausnahmen im Auge: im Gegentheil behüten die dem Besitzer eines Fideikommisses auf­ erlegten Beschränkungen denselben vor wirthschaftlichem Verfall. Wenn wir dem Adel die Sicherheit, die er durch den Grundbesitz erlangt hat, nehmen, dann wird er genöthigt, sich auf andere Gebiete zu verlegen, auf den Armee- und Staatsdienst und wird hier den bürgerlichen Elementen Konkurrenz machen. Fideikommisse sind nicht die größte Gefahr für die kleinen Anwesensbesitzer. Es gibt Leute genug, wie auch Herr Dr. Ratzinger weiß, welche den kleinen Besitz aufkaufen. Ich bin also der Ansicht, man solle dem Adel nicht verwehren, falls er ein Grundstück braucht zur Arrondirung, daß er dasselbe zur Vergrößerung seines Fideikommisses kauft, auch nicht, daß man dem Adel die Gründung neuer Fideikommisse abschneiden soll. Der k. StaatSminister der Justiz: Auf die Komplimente des Herrn Abg. Dr. Ratzinger gehe ich natürlich nicht ein. Aber ich möchte darauf Hinweisen, daß der gemachte Vorschlag nicht in den Gesetzentwurf paffen würde.

Abg. Dr. Ratzinger: Ich möchte bemerken, daß ich im Allgemeinen ge­ sprochen habe und daß dieß keineswegs ein Kompliment für den bayerischen Adel sein soll. In Bayern haben wir so wenig Fideikommisse, daß davon kaum die Rede sein kann. Ob dieß in Zukunft auch fo bleiben wird, ist eine andere Frage; es ist möglich, daß der Adel von draußen kommt. Es muß bemerkt werden, daß die Fideikommisse erst sehr spät zu uns gekommen sind; ein Blick

auf Böhmen, Mähren, Oesterreich und Spanien ^eigt den tiefen Verfall des S. 11. Adels, der vom Judenthum unterdrückt ist. In Bayern haben wir den Ver­ fall nicht so sehr, denn hier machen die Fideikommisse nur 1—2 Prozent aus. Die Zustimmung zur Errichtung von Fideikommissen soll dem Landtage über­ lassen bleiben, dann besitzt man eine Handhabe, wenn wirklich Mißstände sich zeigen.

Abg. Landmann: Es ist kein Zweifel, daß, wenn die Verhältnisse in der Pfalz aufrecht erhalten werden sollen, eine gesetzliche Bestimmung nothwendig sein wird. Jedenfalls ist eine große Anzahl Ausschußmitglieder für die gesetz­ liche Regelung der Sache. Da aber die Sache den zweiten Entwurf betrifft, könnte man die Sache dorthin verlegen. Im Großen und Ganzen bin ich mit den Ausführungen des Herrn Dr. Ratzinger einverstanden. Wir werden uns ja noch mit der Sache beschäftigen, wenn Herr Dr. Ratzinger sich seinen Antrag vorbehält. Abg. Wagner (Referent): Was die Pfälzer Frage betrifft, so glaube ich, daß es nothwendig ist, eine Bestimmung zu treffen, dahin gehend, daß die VII. Verfassungsbeilage auf die Pfalz nicht Anwendung findet. Run bin ich, wie Herr von Walter und andere Herren, der Meinung, daß es am Platze ist, diese Bestimmung nicht hier im Artikel 1 zu treffen, sondern beim zweiten Gesetz­ entwurf vorzunehmen. Selbstverständlich werde ich mir dort die Antragstellung, dahin gehend, daß die VII. Verfassungsbeilage auch künftighin für die Pfalz nicht in Anwendung kommt, vorbehalten. Vorsitzender: Wir gehen nun über zu Artikel 69 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 69): Mit der Frage, ob das erlegte Thier für den Jagdberechtigten oder für den Eigenthümer erworben wird, haben wir uns nicht zu befassen, auch nicht mit dem Wildschaden. In den ausführenden Bestimmungen ist die Ausübung der Jagd und der Fischerei der landesgesetzlichen Regelung überlassen. Wir haben nun Zweifel darüber, welche gesetzliche Bestimmungen noch aus der Zeit vor 1818 gelten. Bezüglich des Jagdrechts wird es sich darum handeln, was als jagdbares Thier zu erachten ist. Diese Frage ist im zweiten Gesetzentwurf gekegelt.*) Uebrigens glaube ich, daß andere Bestimmungen hier nicht einschlägig sind. Es wäre wichtig, zu erfahren, ob auch noch andere Bestimmungen vor 1818 in Frage kommen. Hier befinden wir uns in einer ganz anderen Lage als bei den übrigen Fragen, die mit dem öffentlichen Rechte eng zusammenhängen; hier handelt es sich um Dinge, die den einzelnen Bürger berühren und deren Lösung sehr klar sein muß. Was die Fischerei betrifft, so ist in den Motiven ausgesprochen, daß diese der künftigen Regelung vorbehalten ist. Ich möchte nun bitten, bekannt zu geben, mit welchen älteren Bestimmungen wir zu rechnen haben.

Der k. Staatsminister d r Justiz: An älteren Gesetzen kommt ins­ besondere die Verordnung der österreichisch-bayerischen Landesadministration vom- 21. September 1815 in Betracht, welche die Grundlage des pfälzischen Jagdrechts ist. Im Uebrigen verweise ich auf die Begründung zu Artikel 9 des zweiten Gesetzentwurfes und die allgemeine Einleitung zum gegenwärtigen Gesetzentwurf.**) *) Vergl. Abth. V S. 5, 51 bis 53. Becher, Materialien

IV

**) Vergl. Abth. V S 51 bis 53.

11

S. 11.

Dr. Michel: Ich möchte bitten, nach Erledigung des Artikels 69 auf Artikel 63 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zurückzukommen, weil dieser Artikel die Regelung beziehungsweise Aufrechterhaltung einer für die Pfalz wichtigen Materie, nämlich des Erbvachtrechtes, vorbehält. Es handelt sich hier um das Dekret vom 18./29. Dezember 1790 »relativ au rachat des rentes foncieres« Tit. I Abs. 1 im Zusammenhänge mit Artikel 543 des Code civil. In der Pfälzer Praxis haben sich Zweifel ergeben, ob diese Bestimmung nicht aufgehoben erscheint im Hinblick auf Artikel 543 des Code civil.

Abg. Wagner (Referent): Nachdem die Jagdbarkeit der Thiere im zweiten Gesetzentwurf geregelt ist, bezüglich der Fischerei die Regelung erfolgen soll, brauchen wir auf die alten Bestimmungen nicht weiter einzugehen. Was die Pfalz anlangt, so kann es möglich sein nach den Bemerkungen des Herrn Abg. Michel, daß man auch Artikel 63 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Artikel 1 herübernehmen muß. Abg. Michel: Beim Artikel 63 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch handelt es sich unter Anderem auch um das Erbpachtrecht und frägt es sich insbesondere, ob eine Erbpacht mit dinglicher Wirkung während der Geltungszeit des Code civil begründet werden konnte, und wenn ja, ob ein solches Rechtsinstitut noch aufrecht erhalten werden soll oder nicht. Das Dekret vom 18./29 Dezember 1790 hat die Erbpacht auf Zeit für die Zukunft zugelassen. Aus der Allerhöchsten Verordnung vom 9. April 1822, welche die Taxenregulirung der Notare betrifft, die solche Verträge abschließen, geht hervor, daß man in gewissen Kreisen der Ansicht war, daß das Abschließen von Erbpachtverträgen noch zulässig sei; es ist aber, wie in dem angeführten oberlandesgerichtlichen Gutachten festgestellt wurde, kein Fall bekannt, daß eine Erbpacht mit dinglicher Wirkung wirklich während der Geltungsdauer des Code civil abgeschlossen wurde. Es wird ein großes Gewicht darauf gelegt, daß ausdrücklich ausgesprochen wird, daß derartige Ecbpachtverträge jetzt nicht zulässig sind und in Folge dessen das Erbpachtrecht für die Pfalz nicht aufrecht erhalten werden könne. Senatspräsident Dr. von Jarubezkh: Der Gesetzentwurf geht davon aus, daß in der Pfalz ebensowenig wie im rechtsrheinischen Bayern in Zukunft sollen Erbpachtverträge abgeschlossen werden können. Deßhalb wurde Artikel 63 nicht ausgenommen. Dagegen war es nicht Aufgabe des Entwurfs, zu ent­ scheiden, ob bisher seit Geltung des Code civil in der Pfalz noch die Be­ gründung von Erbpachtverhältnissen möglich war oder nicht. Dabei würde es sich ja um die authentische Interpretation eines alten Gesetzes handeln, das schon seit mehr als 90 Jahren in Kraft ist. Bei der Anlegung des Grundbuchs in der Pfalz sind in den Nr. 249, 272 der Grundbuchanlegungsverordnung für die Pfalz vom 14. September 1898 besondere Weisungen gegeben worden für den Fall, daß etwa entgegen der Mittheilung des Oberlandesgerichts Zweibrücken, nach der in der Pfalz kein solches Verhältniß vorkomme, sich doch der eine oder andere Fall finden sollte. (Verliest die einschlägige Stelle der Instruktion.) Die Justizverwaltung geht also von derselben Ansicht aus wie der Herr Abgeordnete, indem sie annimmt, daß die Begründung von derartigen Ver­ hältnissen schon jetzt unter der Herrschaft des Code civil nicht möglich ist, S. 12. sofern aber || ein rechtskräftiges Urtheil in einzelnem Falle vorliegen sollte, ist sie der Ansicht, daß es bei der res judicata sein Bewenden haben müsse. Es wird also nicht nothwendig sein, eine besondere gesetzliche Vorschrift zu treffen;

ich möchte nur beifügen, daß, wenn etwas geschehen soll, dieß nur geschehen S. 12. könnte in den Uebergangsvorschriften; denn es handelt sich nur um Verhältnisse aus der Vergangenheit. Ich glaube aber, man kann es bei dem, was ge­ schehen ist, bewenden lassen. Abg. Wagner (Referent): Ich glaube, die Ausführungen des Herrn Ministerialkommtssärs waren vollständig zutreffend, und es besteht nach meiner Ansicht keine Veranlassung, den Artikel 63 in den Artikel 1 herüberzunehmen. Wenn etwa Bestimmungen nothwendig sind, so können diese nur in dem Ent­ wurf über die Uebergangsvorschriften erfolgen. Vorsitzender: Wir kommen zu dem im Entwürfe nicht aufgeführten, von dem Herrn Referenten aber eingesetzten Artikel 73.

Abg. Wagner (Referent) (verliest den Artikel 73 des Emführungsgesetzcs): In den Motiven ist aufgesührt, daß es sich nur um das Salpeterregal handeln könnte, nachdem die übrigen Regale mit Ausnahme der Perlfischerei nicht mehr bestehen. Die Frage, ob das Regal der Perlfischerei hier besprochen werden soll oder bei dem Wasserbenützungsgesetze, welches im zweiten Gesetzentwurf behandelt wird, möchte ich offen lassen. Vorsitzender: Artikel 74.

Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 74): Hier darf ich wohl auf den gedruckten Bericht Bezug nehmen. Bannrechte im eigentlichen Sinne haben wir nach meiner Meinung nicht mehr. Es wird hier das organische Edikt von 1807 in Frage kommen. Was die radizirten Gewerbsrechte anlangt, so bestehen Zweifel, unter welchen Voraussetzungen dingliche Gewerbsrechte durch Nichtgebrauch erlöschen, und sie bestehen auch hinsichtlich der Uebertragbarkeit der radizirten Gewerbsrechte. Es wäre wohl wünschenswerth, wenn dieß hier entschieden werden könnte. Der k. Staatsminister daß sie alle älter sind als hier einzugreifen. Was die Gewerbsrechte anlangt, so schieden werden.

der Justiz: Bezüglich dieser Rechte ist zu beachten, 1825. Es dürfte also kein Anlaß gegeben sein, Frage bezüglich der Uebertragbarkeit der radizirten kann sie in dem vorliegenden Gesetze nicht ent­

Abg. Wagner (Referent): Die Entscheidung wäre hier sehr einfach. Entweder es würde die Uebertragbarkeit ausgesprochen oder die Unzulässigkeit derselben. Ich weiß nicht, ob auf die Lösung dieser Frage Gewicht gelegt wird. Ich habe als Referent die Verpflichtung gefühlt, darauf aufmerksam zu machen; ich denke, es wird das in einzelnen gewerblichen Kreisen von Belang sein. Abg. Landmann: Was die Frage der Uebertragbarkeit radizirter Gewerbs­ rechte anlangt, so besteht schon konstante Praxis dahin, daß solche Gewerbs­ rechte nur mit Zustimmung der betreffenden Polizeibehörde übertragen werden können. Was die Frage der Erlöschung der Gewerbsrechte durch Nichtgebrauch anlangt, so besteht meines Erachtens eine gesetzliche Bestimmung nicht. Uebrigens könnte die Sache ausgetragen werden; aber ich glaube nicht, daß hier der Platz dazu ist. Es müßte die Sache bei der Gewerbeordnung von 1868 angebracht werden. Abg. Wagner (Referent): Nachdem von keiner Seite ein Wunsch geäußert wird, daß die Sache geregelt werde, habe ich keine Veranlassung, einen Antrag nach dieser Richtung zu stellen.

S. 12.

Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 75 und 76 des Einführungsgesetzes.

Abg. Wagner (Referent) (verliest beide Artikel): Hier ist ebenfalls zweifelhaft, welche Bestimmungen in Betracht kommen. Es kommt das Preußische Land­ recht und das Oesterreichische bürgerliche Gesetzbuch in Betracht. Ich weiß nicht, ob auch noch andere Bestimmungen einschlagen. Im Allgemeinen wird das Versicherungsrecht reichsgesetzliche Regelung finden. Wenn mit Rücksicht hierauf die Anführung des Artikels geschehen ist, so kann ich mich dabei be­ scheiden. Bezüglich des Verlagsrechts weiß ich nicht, ob weitere Bestimmungen in Aussicht stehen. Wenn das der Fall ist, so gilt dasselbe und wäre ich damit einverstanden, es bei der Anführung dieses Artikels zu belassen.

Der k. Staat-minister der Justiz: Bereits in der Einleitung zu den Motiven*) ist erwähnt, daß das Verstcherungs- und das Verlagsrecht durch die Reichsgesetzgebung werden geregelt werden; bis dahin müssen die bestehenden Vorschriften noch gelten, weil sonst eine Lücke entstehen würde. Abg. Michel: Ich möchte konstatiren, daß bezüglich der Versicherungs­ und Verlagsrechte Sonderbestimmungen für die Pfalz nicht bestehen. Vorsitzender: Wir gehen über zu Artikel 78.

Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 78): Ich habe in meinem schrift­ lichen Berichte bemerkt, daß, soweit ich es beurtheilen konnte, Artikel 1384 des Code civil und — im Drucke ist ausgeblieben — „Preußisches Landrecht" Th. I Tit. 13 §§ 46—48 in Frage kommen. Ich möchte um Aufklärung bitten, ob diese Annahme richtig ist, oder noch andere einschlägige Bestimmungen vorhanden sind. Es sollte diese Materie nach meiner Meinung in irgend einem Gesetz endgiltig geregelt werden, damit man nicht auf den Code civil und das Preußische Landrecht und, sofern es sich noch um andere Gesetze handelt, auf diese zurückgreifen muß. Der k. Staatsminister der Justiz: Die vom Herrn Referenten angeführten Bestimmungen fallen, weil sie allgemeines bürgerliches Recht enthalten, weg. Die besonderen Vorschriften über die Haftung der Beamten für Gehilfen bleiben bestehen. In Betracht kommt beispielsweise das Gesetz vom 21. Ok­ tober 1807, bete, die Hypothekenbewahrer für die Pfalz.

Abg. Wagner (Referent): Ich möchte wissen, warum dieses Gesetz auf­ recht erhalten wird.

Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Diese Vorschriften hängen innig zusammen mit den Vorschriften des öffentlichen Rechtes nach welchem S. 13 gewisse Beamten ihre || Gehilfen selbst zu wählen berechtigt sind, sie nicht durch Emennung der Regierung bekommen. Der Beamten, welche ihre Gehilfen und Selbstvertreter selbst wählen, gibt es verschiedene Kategorien, und wir müssen gestehen, daß wir ein vollständiges Verzeichniß nicht bereit haben. Diese Beamten haften deßhalb, weil sie ihre Gehilfen selbst wählen dürfen, ohne Weiteres für den Schaden, welchen ihre Gehilfen verursachen. Man kann nicht einfach diese Vorschriften loslösen aus dem inneren Zusammen­ hang mit den Vorschriften des öffentlichen Rechtes. Es wird vielleicht Aufgabe der einzelnen Amtsorganisationen sein, hierin Aenderungen zu treffen. Auf einem Gebiete ist dieß, wie die Herren wissen, in den letzten Jahren geschehen. *) Vergl. oben S. 34.

bei den Gerichtsschreibern. Aber es geht nicht an, zu sagen, wir wollen deßhalb, S. 13. weil wir ein Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch machen, diese Organisationen umändern. Sie müssen einstweilen so bleiben, wie sie sind, sie werden durch das Bürgerliche Gesetzbuch in keiner Weise getroffen. Abg. Dr. Casselmann: Ich möchte fragen, warum man nicht an eine ein­ heitliche Festlegung der Vorschriften geht. Der Umstand des Zusammenhangs derselben mit dem öffentlichen Recht scheint mir doch kein ausreichender Hinderungs­ grund zu sein. Senatspräsident Dr. von Jaeubezky: Es ist dieß eine Einrichtung, der wahrscheinlich die Zukunft nicht gehört. Die Bestrebungen gehen, wie das Beispiel der Gerichtsschreiber zeigt, offenbar dahin, die Dienstverhältnisse in dieser Weise nicht aufrecht zu erhalten, sondern das niedere Personal auch unmittelbar ernennen zu lassen. Aber wir können es jetzt nicht für unsere Aufgabe erachten, die Revision aller dieser Dienstverhältnisse vorzunehmen. Wenn wir nicht soviel zu thun Hätten, dann wäre es vielleicht etwas Anderes, aber wir müssen uns auf's Aeußerste anstrengen, fertig zu werden. Ich meine, wir sollen die Sache ruhig so bleiben lassen, wie sie seit langer Zeit bestanden hat.

Abg. Wagner (Referent): Nach den Aufklärungen, die mir geworden sind, geht der Artikel 78 weiter, als ich gedacht habe. Es werden auch die Rentamts­ schreiber in Frage kommen, und es gibt noch eine Reihe von solchen Verhält­ nissen. Ich muß den Gedanken des Herrn Dr. Easselmann theilen, daß es wünschenswerth wäre, daß wir in dieser Beziehung, klare Bestimmungen haben; allein ein besonderes Bedürfniß nach dieser Richtung besteht nicht. Wenn wir mehr Muße haben, können wir auch diesen Gegenstand erledigen. Vorsitzender: Wir gehen zu Artikel 80.

Abg. Wagner (Refereni): Ich habe darauf hingewiesen, daß die Anführung dieses Artikels wohl hauptsächlich nur wegen des kirchlichen Pfründerechts geschehen ist. Es handelt sich ferner wohl um die Pensionspragmatik von 1805. Ich möchte bitten, ob nicht noch andere Bestimmungen in Frage kommen. Der k. Staatsminister der Justiz: Hauptsächlich kommt die Pensions­ pragmatik von 1805 in Frage.

Abg. Wagner (Refereni): Hier handelt es sich, was das Pfründerecht betrifft, zumeist um eine Materie, die vielleicht mit der Kirchengemeindeordnung eine Regelung finden kann. Ob das möglich sein wird, werden wir abwarten können. Jedenfalls, glaube ich, ist der Zeitpunkt jetzt nicht gegeben, in die Regelung dieser schwierigen Materie einzutreten. Ich bin mit den erhaltenen Aufklärungen zuftieden und habe nichts weiter zu erinnern.

Abg. Michel: Ich darf feststellen, daß bezüglich der Besoldungsverhält­ nisse der protestantischen Geistlichen in der Pfalz das Dekret vom 13. Fructidor XIII in Betracht kommt und noch heute als maßgebend anzunehmen ist für den Umfang ihres Staatsgehaltes. Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 86. Abg. Wagner (Referent) (ver­ liest den Artikel 86). Vorsitzender: Zu diesem Artikel liegt ein Abänderungs­ antrag vor, der sich gedruckt in Ihren Händen befindet.

S. 13.

Abg. Wagner (Referent): Der Antrag lautet: Der Ausschuß wolle beschließen: Es seien in Artikel 1 Abs. 1 die Artikel 86 und 87 (Einf.-Ges. zum B. GB.) zu streichen. Mit Rücksicht hierauf wird es angemessen sein, auch gleich Artikel 87 mit in die Diskussion zu ziehen (verliest Art. 87 d. EG ). Hier handelt es sich hauptsächlich um die Amortisationsgesttze, die auch durch den Artikel 86 des Einführungsgesetzes modifizirt wurden, indem dort die Summe auf 5,000 Ä hinaufgesetzt wurde; es gelten für Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz, dann für Theile von Schwaben, Ober- und Mittelfranken die Amortisationsgesetze vom 1. August 1701 und 13. Oktober 1764, wozu noch die Mandate vom 9. Februar 1787 und 4. September 1799 kommen, dann in einem Theil von Schwaben und Oberbayern die kaiserlich österreichischen Gesetze vom 27. August 1764, 24. Januar 1766, 26. August 1771 und 11. September 1779; im Gebiete des Preußischen Landrechts die Bestimmungen desselben in Th. II Tit. 11 §§ 194—216, im Rechtsgebiete des Mainzer Landrechts das kurfürstl. Mainzische Amortisationsgesetz vom 5. April 1737, im Bisthum Würzburg die Verordnung vom 31. Juli 1725, in den ehemals Fuldlschen Aemtern die Verordnung vom 10. Dezember 1767; dazu werden für die Pfalz wohl die Artikel 910 mit 937 des Code civil kommen.*) Ich habe nur die Anregung gegeben, daß es angezeigt wäre, diese ver­ schiedenen und zersplitterten Bestimmungen wenigstens für das dießseitige Bayern einheitlich zu regeln. Was Artikel 87 betrifft, so werden dieselben Bestimmungen hier in Betracht kommen. Diese Gesetze sind in dieser Beziehung davon ausgegangen, daß die Religiösen weder besitz- noch erwerbsfähig sind. Das fällt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch von selbst hinweg und darum bin ich ganz im Unklaren darüber, was die Aufrechthaltung des Artikel 87 im Artikel 1 des gegenwärtigen Gesetzes für eine Bedeutung hat, und hierüber bitte ich um Auskunft. Was den Antrag „Fuchs und Genossen" betrifft, so werde ich zunächst die Begründung desselben abwarten.

Abg. Lerno (Korreferent): Der Herr Referent äußerte bezüglich dieser Materie den Wunsch, daß dieselbe durch einheitliche Norm für ganz Bayern S. 14. geregelt werden möge. || Diesem Wunsche gegenüber haben meine politischen Freunde und ich unter oem Gestrigen den Antrag gestellt: Der Ausschuß wolle beschließen: Es seien in Artikel 1 Abs. 1 die Artikel 86 und 87 (Einf.-Ges. zum B. GB.) zu streichen.

Dieser Antrag hat, falls er vom Ausschüsse angenommen wird, zur Folge, daß die alten Amortisationsgesetze endlich nach fast 200 jährigem Be­ stand beseitigt werden. Die Thatsache, daß diese Gesetze veraltet sind, geht, wie schon der Herr Referent bemerkte, daraus hervor, daß das erste vom 1. August 1701 datirt. Hier und in der Erwägung, daß wir in der Schaffung eines neuen bürger­ lichen Rechts begriffen sind, liegt der Gedanke nahe, diese alten nicht mehr zeitgemäßen Gesetze aufzuheben, um so mehr als dieselben theilweise durch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch selbst schon eingeschränkt worden sind, indem die Grenze der Erwerbssumme auf 5,000 M festgesetzt ist, unter*) Vergl. hierzu Becher, bayer. Land.-Civ.-R. rc. § 39 Nr. 2, 3; § 47 Nr. 3.

halb deren die Erholung einer staatlichen Genehmigung überhaupt nicht mehr S. 14. nothwendig ist. Während nach der Bundesrathsvorlage zum EinsührungSgesetz des Bürgerlichen Gesetzbuchs anfänglich eine solche Summe gar nicht festgesetzt war, wodurch die landesgesetzlichen Amortisationsgesetze ganz unberührt geblieben wären, ist es den Bemühungen des Centrums im Reichstage gelungen, wenigstens diese Grenze des freien Erwerbs für die juristischen Personen bis zu 5,000 M. zu schaffen. Es ist das eine sehr begrüßenswerthe Errungenschaft, die für uns in Bayern noch dahin ausgedehnt werden muß, daß die Amortisationsgesetze sammt und sonders fallen. Das Bürgerliche Gesetzbuch selbst kennt eine solche Ausnahmsbestimmung nicht mehr; es ist Jeder gleichberechtigt als Staatsbürger, sich Vermögen zu sammeln, und doch soll diese Ruine aus dem vorigen Jahrhundert noch auf­ recht bleiben! Wenn ich recht unterrichtet bin, hat im Jahre 1897 der bayerische Epis­ kopat eine Eingabe gemacht um Aufhebung dieser Gesetze, welcher bisher eine bejahende Folge nicht gegeben wurde. Diese nicht mehr zeitgemäßen Gesetze enthalten eine Bevormundung der Ordensgenossenschaften, überhaupt der juristischen Personen der katholischen Kirche, der Kirche überhaupt, die durch nichts gerechtfertigt ist; es ist aber andererseits auch eine Beschränkung des persönlichen Verfügungsrechts und insbesondere der Testirfreiheit für den einzelnen Privaten, welcher in der Lage und gewillt wäre, derartige Schenkungen und Dispositionen zu Gunsten religiöser Körperschaften zu machen. Der Private kann sonst ein beträchtliches Vermögen an jeden Beliebigen schenken, es wird nicht gefragt, ob der Empfänger würdig ist oder nicht; nur wenn der Empfänger eine religiöse Körperschaft ist, da kann auf einmal der Staat mit seinem Beto eintreten und sagen, das dulde ich nicht. Es haben diese Gesetze aber auch keine praktische Bedeutung mehr; sie mögen Anfangs des 18. Jahrhunderts mit Rücksicht auf den damaligen Zug der Zeit am Platze gewesen sein, heutzutage kann sich Niemand, der rechtlich und freiheitlich denkt, mehr mit ihnen einverstanden erklären. Es geht das auch schon daraus hervor, daß sie in Wirklichkeit so gut wie gar nicht gehand­ habt werden; denn in allen Fällen, wo es sich z. B. um den Eintritt von Personen in ein Kloster handelt, die größeres Vermögen mitbringen, pflegt auf vorherigs Ansuchen Dispense ertheilt zu werden. Mir ist wenigstens kein Fall bekannt, daß diese Dispense verweigert worden wäre. Was haben also diese Gesetze noch für eine Bedeutung, nachdem fast ausnahmslos von der Regierung selbst Dispense ertheilt wird? Es ist, glaube ich, im Laufe der ver­ flossenen Landtagssession in einer Debatte, an der sich Herr Dr. Casselmann lebhaft betheiligte, von dem Besitz der todten Hand, der manus mortua, ge­ sprochen worden, und wurde ihm damals mit Recht entgegnet, daß eine solche Vermögenserwerbung in unbegrenztem Maße bei nicht religiösen Körperschaften und Personen ohne Ausnahme gestattet ist. Diese Gründe dürften hinreichen, um diese Gesetze aufzuheben; ich möchte aber noch einige andere Gesichtspunkte hervorheben, die für unsern Antrag sprechen. Es wird da vor Allem von den Canonisten die Frage aufgeworfen, ob die bayerischen Amortisationsgesetze überhaupt noch gütig sind. Diese Frage wird zweifellos nach dem jetzigen Stand von den Administrativbehörden >m bejahenden Sinne beantwortet werden, aber die Lehrer des Kirchenrechts be­ haupten, sie gelten nicht mehr, seit Einführung der Verfassung durch das Religionsedikt und Konkordat hätten sie ihre Geltung verloren. Diese An­ schauung hat eine Zeitlang auch Seitens der bayerischen Regierung geherrscht.

Es ist am 15. November 1835 eine kultusministerielle Entschließung ergangen, in welcher das Ministerium die Erklärung abgibt, daß die älteren Amortisations­ verordnungen, also alle vor Erlassung der Verfassung bestandenen, aufgehoben werden. Es ist aber kein Jahr vergangen, so erschien ein Referent, der eine andere Couleur hatte, und es erging unter dem 18. Juli 1836 wiederum eine ministerielle Entschließung des Inhalts, daß die bindende Kraft der Amortisations­ gesetze über jeden denkbaren Zweifel erhaben und deren Rechtsgiltigkeit unbedingt zu sichern sei. Dieser Wechsel ist außerordentlich markant und bemerkenswerth, wenn im Jahre 1835 eine höchste Stelle in Bayern sagt: diese Gesetze gelten nicht mehr und acht Monate darauf sagt dieselbe Stelle: diese Gesetze gelten. Trotz dieser ministeriellen Entschließung von 1836, welche die Giltigkeit dieser Gesetze über alle Zweifel erhaben hingestellt hat, sind sie, wie es scheint, doch sehr häufig m der Praxis nicht beobachtet worden. Wiederholt unter dem 4. Mai 1869 und 5. Mai 1874 wurden Seitens des bayerischen Justiz­ ministeriums die Notare auf diese Gesetze speziell aufmerksam und verantwortlich gemacht für die Beobachtung derselben bei Käufen und Schankungen. Aus der Existenz dieser Mln>sterialentschließungen ist die Thatsache zu entnehmen, daß in der Praxis aus irgend welchen Gründen, wohl mit Rücksicht daraus, daß man den Dispens in sicherer Aussicht hatte, auf diese Gesetze nicht mehr Bezug genommen wurde. Diese Gesetze sind also schon längst veraltet und widersprechen der persönlichen Freiheit, insbesondere der Freiheit jedes einzelnen Staatsbürgers und sind als Ausnahmsgesetze zu erachten. Denn nicht nur Private ohne Unterschied der Person haben das Recht, Vermögen zu erwerben, sondern auch alle möglichen Gesellschaften und Körperschaften, die nicht religiöser Natur sind; sie Alle sind unbeschränkt in Erwerbung des Vermögens. Ich erinnere daran, daß zahlreiche Gesellschaften und Körperschaften, z. B. landwirthschaftliche Genossenschaften, solche mit humanen Zwecken, Vermögen erwerben. Auch wird solchen Gesellschaften, die die Eigenschaft einer juristischen Person noch nicht haben, wenn ihnen Jemand ein Legat oder sonst eine Schankung zudevkt, nichts in den Weg gelegt zur Erfüllung der gesetzlichen Vorbedingungen, um die Eigenschaft als anerkannter Verein zu bekommen; ich sehe also keinen Grund, S. 15. warum diese Freiheit, die jeder beliebigen Person gestattet ist, den || religiösen Genossenschaften vorenthalten wird. Dispensirt wird doch in den allermeisten Fällen, es kann also heutzutage nur als eine höchst odiöse Fessel angesehen werden, wenn eine religiöse Genossenschaft für jede Erwerbung dre Allerhöchste Genehmigung zum Erwerb einholen muß. Ich glaube, daß unser Antrag, schon vom Gesichtspunkte der persönlichen Freiheit aus, von Ihnen angenommen werden kann.

S. 14.

(Hier entspinnt sich eine Geschäftsordnungsdebatte darüber, ob nach Antrag des Abg. Dr. Casselmann die Verhandlung über den Antrag des Corref. Lerno zu vertagen und der Kultusminister beizuziehen sei.)

Der k. Staatsminister der Justiz: Zunächst möchte ich dem Herrn Referenten antworten auf die Frage, die er zu Artikel 87 gestellt hat. Der Artikel 87 ist aufgeführt, weil die Bestimmungen, welche die Wirk­ samkeit von Schenkungen an Religiösen und den Erwerb von Todeswegen an staatliche Genehmigung knüpfen, unverändert bestehen bleiben und weil der Rechtsprechung Vorbehalten bleiben muß, den Vorschriften über die Erwerbs­ unfähigkeit, die in dieser Gestalt nicht fortbestehen können, auch für die Zukunft

Ausschußverhandl. b. K. b. Abg. — 3. Protokoll.

Ißl

die Bedeutur g beizu legen, daß sie den Erwerb im Sinne des Artikel 87 von S. 15. staatlicher Genehmigung abhängig machen. Was die andere Frage betrifft, so habe ich erst heute im Laufe der Sitzung Kenntniß von einem förmlichen Antrag erhalten; ich habe mich aber vorher schon über die einzelnen Bestimmungen des Gesetzentwurfs mit allen Herren Ministern benommen, und das Gesammtstaatsministerium hat sich dahin schlüssig gemacht, daß die Artikel 86 - 88 in den Gesetzentwurf zu stellen seien und daß auf der Ausrechter Haltung der Amortisationsgesetze bestanden werden müsse. Ich selbst habe für mich lediglich die Erklärung abzugeben übernommen, daß die Staatsregierung darauf aufmerksam machen möchte, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen eme Debatte wohl ein Ergebniß nicht herbeisühren würde, wie dasselbe von den Herren Antragstellern gewünscht wird. Somit muß ich es Ihnen überlassen, ob Sie über diesen Antrag weiter berathen wollen. Abg. Lerno (Korreferent): Wenn der Herr Justizminister nicht nur als seine persönliche Meinung, sondern auch als Anschauung des Herrn Kultus­ ministers und als Sentiment des Gesammtministeriums erklärt hat, daß die Regierung auf eine Aenderung der bestehenden Verhältnisse nicht eingehe, so kann ich nur darauf sogen: Bange machen gilt nicht, die Regierung hat schon öfter nackgegeben. Die Sache ist für uns von so prinzipieller Bedeutung, daß wir auf keinen Fall unsern Antrag zurückziehen, sondern ihn zur Abstimmung bringen werden; ob das heute geschieht oder nicht, darauf legen wir keinen besonderen Werth. Bezüglich der Herbeiziehung des Herrn Kultusministers trete ich nicht entgegen, obwohl sein Vertreter da ist. Wenn der Antrag den Herren Kollegen überraschend kam und sie sich noch besprechen wollen, habe ich nichts gegen die Vertagung, aber auf der Diskussion und Abstimmung müssen wir aus alle Fälle bestehen und werden wir die Sache im Plenum wieder vorbringen. Diese Erklärung gebe ich im Namen meiner politischen Freunde ab. Der Ausschuß beschließt hieraus bie Vertagung ber Sitzung auf den 11. ds. Mts. Vormittags 91/» Uhr. (Schluß ber Sitzung um 12 Uhr 45 Minuten.)

von Stobiius, Vorsitzenber.

Dr. Casselmann, Schriftführer.

S. 17.

»

Protokoll über die Sitzung des besonderen (XVIII.) Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Beilagenband XX, Abth. II, z. d. Verhandl. d. K. d. Abg. 1898 Seite 17 bis 37)

München, den 11. November 1898, Vormittags

Uhr

Gegenwärtig:

Die Vertreter der k. Staatsregierung- der k. Staatsminister der Justiz Dn Freiherr von Leonrod, Excellenz, der k. Staatsminister des Innern für Kirchen- und'Schul­ angelegenheilen Dr von Landmann, Excellenz, der k. Senatspräfident am obersten Landesgerichte Dr. Ritter von Jacubezky, der k. Ministerialrath im Staatsministerium der Finanzen, Kronanwalt Ritter von Schubart, der k. Ministerialrath im Staatsmtnisterium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheilen Schraut, der k. Landgerichtsrath im Staatsministerium der Justiz Dr. Unzner;

162 S. 17.

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

ferner die Ausschußmitglieder: von Stobäus, Vorsitzender, Wagner, Stellvertreter des Vorsitzenden, v'r. Casselmann, Schriftführer, Michel, Stellvertreter des Schrift­ führers, Conrad, Fucks, Joseph Geiger, Joseph Huber, Landmann, Lerno, Lutz, Idr. Ratzinger, Seeberger, Segitz, von Walter.

Tagesordnung: Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Geschbuche. Artikel 1 (Fortsetzung). Erste Lesung. Vorsitzender von StotäuS eröffnet um 9 Uhr 35 Minuten die Sitzung und gibt bekannt, daß das k. Staatsminifterium des Innern für Kirchen- und Schulangelegcnheiten den Ministerialrath Schraut und eventuell noch den Ministerialroth Dr. Wehner und den Oberregierungsrath Dr.Müller als k. Kommissäre für den Gesetzgebungsausschuß bestimmt hat.

Hierauf wird bei Artikel 1 in der Berathung der Artikel 86 und 87 des Einführungsgesetzes zum Bürgert. Gesetzbuch und des hiezu gestellten Ab­ änderungsantrags fortgefahren. Abg. Wagner (Referent): Der Herr Kollege Lerno hat gestern ausgeführt, daß ich in meinem Referate die Amortisationsgesetze in ziemlich erschöpfender Weise angegeben habe. Er scheint also an deren Vollständigkeit zu zweifeln. Ich wäre ihm sehr dankbar, wenn er vielleicht die Bestimmungen namhaft machen würde, welche neben den von mir aufgeführten etwa noch hervorzuheben wären. Ich habe weiter noch zu bemerken, daß ich mir über die Tragweite der Aufnahme des Artikel 87 in den Artikel 1 noch nicht vollständig klar bin und daß ich gerade deßwegen eine Regelung dieser Materie für erwünscht halte. Mir scheint^ es nach den Darlegungen Seiner Excellenz des Herrn Ministers sich darum zu handeln, daß nunmehr die Gesetze, welche die Erwerbsunfähigkeit der Religiösen behandeln, sich in solche verwandeln, welche die Erwcrbsbeschränkung bis zu dem Betrage, der in Artikel 86 normirt wird, festsetzen. Ich weiß nicht, ob diese meine Auffassung richtig ist und ob es nicht an­ gezeigt wäre, die Sache durch eine gesetzliche Regelung klar zu stellen. Wünschenswerth wäre eine Einheit und Klarheit auf diesem Gebiete gewiß; aber ich muß der k. Staatsregierung sofort zugeben, daß Angesichts des An­ trags, welchen die Centrumsfraktion gestellt hat, eine Vereinbarung über eine derartige Norm sehr schwierig sein wird. Was nun diesen Antrag der Centrumsfraktion betrifft, so kann ich mich nicht für denselben aussprechen. Ich habe durchaus keine Antipathien gegen die betreffenden Religionsgesellschaften oder Orden, die in Frage kommen, im Gegentheil, ich erkenne auch an, daß mit dem Vermögen, das auf solche Weise in die Hände geistlicher Körperschaften gelangt ist, schon viel Gutes geschaffen worden ist; das ist zweifellos und ich persönlich habe auch keine dahingehenden Erfahrungen gemacht in meinem dermaligen Bezirke, daß sich die bisherigen Gesetze nicht bewährt Hütten, oder daß vielleicht Manipulationen gemacht worden wären, welche die bürgerlichen Kreise erregt hätten; aber der Herr Kollege Lerno hat schon gestern auf die Debatte hingewiesen, die im vorigen Jahre anläßlich der Traunsteiner Affaire im Landtage gespielt hat, und aus meiner früheren Praxis ist mir auch wenigstens ein Fall bekannt. Ich will jedoch darauf nicht weiter eingehen. Es läßt sich ja in dieser Beziehung immer lagen, daß für das, was ein Einzelner thut, die Anderen nicht verantwortlich gemacht werden dürfen. Das ist außer allem Zweifel. Nun kommt aber

Eines in Betracht: die öffentlichen Kirchengesellschaften bei uns haben eine S 17. Sonderstellung, sie haben eine Reihe von Privilegien. Solange wir nun den innigen Zusammenhang von Kirche und Staat haben, der in unserer Ver­ fassung bestimmt ist und bezüglich der katholischen Kirche durch das Konkordat gesichert ist, solange wird man nicht sagen können, daß man vom Staate lediglich eine privilegirte Stellung in Anspruch nehmen darf, während man auf der anderen Seite sich weigert, das entsprechende Korrelat zu behalten. Wenn gewissen Körperschaften oder Personen eine privilegirte Stellung ein­ geräumt ist, so ist es eigentlich selbstverständlich, daß der Staat gewissermaßen in der Nothlage sich befindet, entsprechende Bestimmungen zu treffen, welche verhüten, daß diese privilegirte Stellung zum Nachtheil der übrigen Staats­ angehörigen ausschlägt. Von diesem Gesichtspunkt aus dürfte es wohl begreiflich sein, daß man seinerzeit die Amortisationsgesetze erlassen hat. Es ist nun außer allem Zweifel, daß in gewissen Kreisen der Bevölkerung eine gewisse Antipathie gegen derartige Erwerbungen der „toten Hand" besteht. Damit wird man doch auch wohl rechnen müssen und wird wenigstens den jetzigen Zeitpunkt für eine Aufhebung der Amortisationsgesetze um so weniger für günstig halten können, als doch zwei Momente eintreten, welche den Erwerb der „todten Hand" begünstigen. Einmal ist sicher, daß durch die Zu­ lassung des holographischen Testaments im Bürger!. Gesetzbuch der Erwerb der todten Hand außerordentlich erleichtert worden ist gegenüber den bisherigen Formvorschriften, wonach letztwillige Verfügungen nur unter gewissen Kautelen gemacht werden konnten. || Zweitens ist die Summe jetzt bedeutend hinaufgerückt. S. 18. Ich meine, mit diesen beiden Konzessionen könnte man sich vorerst wohl be­ gnügen und es im Uebrigen bei dem bisherigen Rechtszustande belassen, wobei ich sehr dankbar wäre, wenn die Centrumsfraktion sich entschließen würde, mit uns Hand in Hand zu gehen, um eine Einigkeit und Klarheit in Bezug auf diese gesetzlichen Bestimmungen herzustellen. Ich verlange nicht, daß das jetzt in diesem Augenblick gemacht wird; es wäre das vielleicht auch ein Gegen­ stand, der im Zusammenhang mit der in Aussicht gestellten Kirchengemeindeordnung seinerzeit geregelt werden könnte. Meine Anregung hat auch nicht bezweckt, daß man sofort einen Gesetz­ entwurf nach dieser Richtung hin vorlegt. Es wird unter allen Umstünden praktisch sein, denselben besonders zu behandeln. Natürlich, wenn der Antrag des Herrn Abg. Lerno durchgeht, ist meine Anregung überflüssig; denn das wäre allerdings die gründlichste Vereinheitlichung, wenn man die Sache einfach streicht. Dafür kann aber ich mich nicht aussprechen. Auffallend war mir, daß Kollege Lerno zur Begründung seines Antrags darauf Bezug nahm, daß die Amortisationsgesetze eigentlich doch nicht gehand­ habt worden sind; denn dann hat er eigentlich keinen besonderen Grund, sich über dieselben zu beschweren; aber ich möchte doch glauben, daß gerade hieraus die k. Staatsregierung eigentlich die Nutzanwendung ziehen könnte, daß man in der Handhabung gesetzlicher Vorschriften nicht allzu lax sein darf; denn sonst kommt der Dank dafür in Gestalt, daß man sagt: Ihr habt wohl Ge­ setze, aber Ihr handhabt sie nicht. Warum soll man sie also aufrecht erhalten? Ich möchte daher der Meinung sein, daß man über diese Frage sich nicht allzu sehr ereifern soll, sondern daß man es bei dem Zustande, der durch den Artikel 86 des Einführungsgesetzes angebahnt worden ist und wenigstens in Bezug auf die Summe eine Einheit gebracht hat, belassen sollte.

S-18.

Ich bin daher für die Ablehnung des Antrags. Abg. Lerno ^Korreferent): Ich folge dem Vortrage des Herrn Kollegen Wagner Punkt für Punkt und beginne damit, daß er mich aufgefordert hat, ich solle meinen Zweifel an der vollständigen und erschöpfenden Aufzählung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen dadurch rechtfertigen, daß ich sage, welche Bestimmungen allenfalls noch hätten aufgeführt werden können. Diese Frage vollständig erschöpfend zu beantworten, ist gewiß außer­ ordentlich schwierig. Das wird mir auch der Herr Abg. Wagner zugeben. Ich habe meinen Zweifel über die vollständige Aufzählung auch nicht in der Form und in der Absicht eines Tadels oder einer Kritik gebracht, sondern ich habe nur ausgesprochen, daß möglicherweise auch noch andere Gesetze und Ver­ ordnungen hier einschlägig sein könnten, und daß das der Fall ist, dafür ver­ weise ich den Herrn Abg. Wagner darauf, daß er eine Allerhöchste Verordnung vom 27. April 1807, erlassen von König Max Joseph, ferner die Verord­ nungen vom 10. Oktober 1810 und 17. August 1813, die sich sämmtlich in der sogenannten Bambergensis finden, nicht aufgeführt hat. Und so mögen auch noch verschiedene andere Verordnungen vor 1818 exisüren, die uns Beiden nicht bekannt sind. Was nun fein Eingehen aus den Antrag selber betrifft, so bin ich einer­ seits froh, daß wir gestern dem Vertagungsantrage der Herren stattgegeben haben, well sie dadurch Gelegenheit gehabt haben, sich das nöthige Material zur Bekämpfung des Antrags zu beschaffen; anderseits muß ich sagen, daß das, was bis jetzt vorgebracht worden ist, sehr dürftig ist und die ablehnende Haltung, welche der Herr Abg. Wagner geltend gemacht hat, durchaus nicht rechtfertigt gegenüber den Gründen, die ich gestern vorgebracht habe und die ich heute nicht wiederholen will. Kollege Wagner hat zwei Erwägungen vörangestellt; er sagt: Erstens sind die Amortisationsgesetze dadurch gerechtfertigt, daß bei dem noch be­ stehenden engen Verhältniß zwischen Staat und Kirche letztere sich großer Privilegien erfreut und daß dafür ein gewisses Korrelat vorhanden fein muß, damit, wie er weiter sagte, diese Privilegien nicht zum Nachtheil der übrigen Staatsangehörigen mißbraucht werden könnten. Nun bin ich hier in derselben Lage, wie vorhin der Herr Kollege Wagner mir gegenüber in Bezug auf die Aufzählung dieser Privilegien. Er möge mir sagen, worin diese Privilegien bestehen und ob dieselben so weitgehender Natur sind und so tief in das soziale Leben eingreifen, daß es nothwendig ist, diesen Privilegien ein Korrelat zum Schutze der übrigen Staatsangehörigen zu geben. Meine Herren! Das ist eine Behauptung, die mir etwas stark vorkommt. Wenn man von Privilegien spricht, denen gegenüber es nothwendig ist, andere gesetzliche Bestimmungen zu schaffen oder aufrecht zu erhalten, damit nicht die übrigen Staatsangehörigen geschädigt werden, so muß man doch auch beweisen können, daß eine solche Schädigung eingetreten ist oder wenigstens eintreten könnte. Die Privilegien, deren die katholische Kirche in Bayern sich erfreut, sind gewiß nicht derart, daß durch den Gebrauch derselben die nichtkatholischen Staatsangehörigen sich in ihrem Gewissen oder tu ihrer wirthschaftlichen Be­ wegungsfreiheit beengt fühlen könnten. Der Grund zieht also nicht mehr gegenüber dem Hauptargumente, das ich gestern anführte, daß diese Gesetze nicht mehr zeitgemäß sind, daß sie eine ganz ungerechtfertigte und kränkende Bevormundung der Kirche enthalten und daß sie im höchsten Grade unbillig sind gegenüber der Thatsache, daß außer der katholischen Kirche Jedermann

und jeder juristischen Person der unbeschränkte Vermögenserwerb erlaubt ist, S. 18. während er den Klöstern vorenthalten ist. Der zweite Grund, den Herr Kollege Wagner anführte, ist der, daß er gegenüber meiner gestrigen Ausführung, die Gesetze wären eigentlich obsolet, weil immer und fast immer Dispense gewährt worden sei, sagte: mit den beiden durch Einführung des Bürger!. Gesetzbuchs geschaffenen Konzessionen in Betreff der Summe und in Betreff des holographischen Testaments könnte man eigentlich zufrieden sein. Was letzteres betrifft, so kann ich das als kein besonderes Privilegium für die Kirche betrachten. Das ist eine Rechtsinstitution, welche durch den Zeitgeist eingeführt worden ist und zwar für alle Staats­ bürger, und die Väter des Bürger!. Gesetzbuchs waren objektiv genug, für die katholische Kirche keine Ausnahme zu machen. Die Grenze von 5,000 Ä, unter welcher künftig eine staatliche Ge­ nehmigung nicht mehr nothwendig ist, ist ja ganz gut; allein, wenn man sich in den Geist Derer hineindenkt, welche die Amortisationsgesetze geschaffen haben, und welche dieselben aufrecht erhalten wollen, so müßte man die beschränkende Wirkung dieser Gesetze eher für die Beträge unterhalb dieser Grenze als ober­ halb derselben eintreten lassen; denn meistens sind es kleine Leute, von denen die Gegner der Kirche behaupten, daß ihnen durch geistliche jj Erbschleicherei S. 19. das Geld abgenommen wird; oder man hätte, um die kleinen Leute vor den Angriffen dieses räuberischen und geldsüchtigen Molochs — der katholischen Kirche und ihrer Orden — zu schützen, die Grenze für die staatliche Ge­ nehmigung mindestens noch weiter herabsetzen müssen. Was das holographische Testament betrifft, so habe ich seinerzeit in der Reichstagskommission mit Freuden dieser hauptsächlich von den rheinischen und badischen Juristen so energisch befürworteten Neuerung zugestimmt, weil auch ich es für angezeigt hielt, daß man die strenge römisch-rechtliche Form der Testaments­ abfassung endlich beseitige, weil dieselbe eine stetige Quelle von Prozessen gewesen ist. Die Frage der Rechtsgiltigkeit der Amortisationsgesetze will ich heute nicht mehr weiter berühren, sondern beschränke mich auf das bisher Gesagte. Abg. Dr. Casselmann: Der Herr Abg. Lerno hat zur Begründung des von ihm und seinen politischen Freunden gestellten Antrags auf Beseitigung der Amortisationsgesetze gestern auch Bezug genommen auf verschiedene Aus­ führungen, die ich gelegentlich der Berathung des Justizetats in der Kammer der Abgeordneten in der vergangenen Session gemacht habe, und er hat bei­ gesetzt, daß meine Ausführungen damals, wie er glaube, durch die nachfolgenden Redner widerlegt worden seien, nämlich die Ausführungen, die sich beschäftigten mit der Zunahme des Vermögens der todten Hand in Bayern. Ich wäre nun sehr versucht, um so mehr als mir ja nach der Geschäfts­ ordnung des Landtags damals eine Replik nicht möglich war, im gegenwärtigen Moment auf diese Ausführungen zurückzukommen; ich widerstehe aber dieser Versuchung an dieser Stelle mit Rücksicht darauf, daß ich nicht verschulden will, daß die Geschäfte des Gesetzgebungsausschusses ungebührlich in die Länge gezogen werden. Ich behalte wir deßhalb vor, wenn sich später dazu Ge­ legenheit bieten sollte, in der Kammer dieses nachzuholen. Für heute und hier beschränke ich mich nur darauf, zu erklären, daß ich voll und ganz heute noch auf demselben Standpunkt in der Frage der Zunahme des Vermögens der todten Hand stehe, auf dem ich damals gestanden bin, und daß dieser Standpunkt mich vor Allem veranlaßt, gegen den jetzt gestellten Antrag der Centrumspartei zu stimmen.

S. 19.

Herr Kollege Lerno hat gestern und auch am Schluß seiner heutigen Ausführungen es als zweifelhaft hingestellt, ob überhaupt die bestehenden Amortisationsgesetze noch zu Recht bestehen. Diese Zweifel sind nach meinem Dafürhalten vollständig unbegründet und sie werden auch in der Literatur und vor Allem in der Praxis nur von ganz Wenigen getheilt Es ist mir ja bekannt, daß Diejenigen, welche die Geltung der Amortisationsgesetze bestreiten, Bezug nehmen auf die Verfassungs­ urkunde und insbesondere auf das Konkordat, aus dem sie zu folgern suchen, daß die Amortisationsgesetze beseitigt seien. Meiner Auffassung nach wird man ausgehen müssen vom § 44 der II. Verfassungsbeilage, in welchem es heißt, daß die in dem Königreiche als öffentliche Korporationen aufgenommenen Kirchen berechtigt sind, Eigenthum zu besitzen und nach den hierüber be­ stehenden Gesetzen auch künftig zu erwerben. Es wird also hier das Recht der öffentlichen Kirchen-Korporationen anerkannt, Eigenthum zu besitzen; es wird ihnen der Schutz des Eigenthums garantirt. Was aber den Erwerb neuen Eigenthums betrifft, so nimmt das Religions-Edikt an der besagten Stelle ausdrücklich Bezug auf die hierüber bestehenden Gesetze. Man kann nicht sagen, wie es geschehen ist, daß durch die Verfassungsurkunde selbst in Tit. IV § 9 Abth IV etwa eine Aenderung eingctreten sei, wo es heißt, daß „allen Religionstheilen ohne Ausnahme das Eigenthum der Stiftungen und der Genuß ihrer Renten nach den ursprünglichen Stiftungsurkunden und dem rechtmäßigen Besitze, sie seien für den Kultus, den Unterricht oder die Wohl­ thätigkeit bestimmt, vollständig gesichert sei." Auch in dieser Verfassungsstelle ist keine Rede vom Erwerb des Eigenthums, sondern nur vom Schutz des Eigenthums. Es wird von den Kanonisten ferner behauptet, daß Artikel VIII des bayer. Konkordates mit der Bestimmung des Religions-Ediktes im Widerspruch stehe. Das ist meiner Auffassung nach nicht der Fall; denn, wenn es in diesem Artikel VIII Abs. 2 auch heißt, daß die Kirche das Recht hat, neue Besitzungen zu erwerben, und was sie erwirbt, künftighin ihr Eigenthum sein soll, so ist damit in keiner Weise ausgedrückt, daß es der Kirche unbeschränkt gestattet ist, neue Besitzungen zu erwerben, sondern daß auch hier wieder der Erwerb neuen Besitzes sich richtet nach den übrigen gesetzlichen Bestimmungen. Uebrigens bin ich der Meinung, daß, selbst wenn ein solcher Widerspruch bestehen würde, nach der bayerischen Verfassung darüber kein Zweifel ist, daß das Religions-Edikt dem Konkordat vorgeht und daß die dem Religions-Edikt widersprechenden Bestimmungen des Konkordates eine Gesetzeskraft nicht haben. Der Standpunkt der Rechtsgiltigkeit der Amortisationsgesetze ist von der bayerischen Staatsregierung stets eingehalten worden mit Ausnahme einer einzigen Entschließung vom 15. November 1835, die vom Fürsten Wallerstein gegen gezeichnet ist. Alle übrigen Aeußerungen der bayerischen Staatsregierung sind im entgegengesetzten Sinne gehalten, insbesondere ist schon gleich im nächsten Jahre, im Jahre 1836, eine entgegenstehende Regierungsentschließung ergangen. Im Jahre 1869 insbesondere ist eine Entschließung ergangen, die darauf hinweist, daß es vorgekommen sei, daß die Notare den Erwerb solcher Liegenschaften beurkundet hätten, ohne daß die erforderliche Dispensation erholt worden sei, und es werden die Notare auf den Artikel 55 des Notariats­ gesetzes hmgewiesen und verpflichtet, daß die erforderliche Dispensation schon vor Errichtung der Urkunde erholt werden muß. Wenn die Herren ferner das Gesetz vom 29. April 1869 über die privatrechtliche Stellung von Vereinen ansehen, so heißt es dort im Artikel 37 ausdrücklich, daß an den

bestehenden Gesetzen über Erwerbungen zur todten Hand nichts geändert worden ® 19ist, und ebenso ist die Gerichtspraxis ohne Ausnahme, soweit ich die Sache habe verfolgen können, jederzeit dahin gegangen, daß trotz Konkordats, trotz bayerischer Verfassungsurkunde bte Amortisationsgesetze in Bayern rechtsgiltig sind. Der Rechtszustand in Bayern ist deßhalb zur Zeit so, daß mit Aus­ nahme der Stadt Regensburg in ganz Bayern die Amortisationsgesetze bestehen. Freilich sind die einzelnen Bestimmungen äußerst verschieden. Es gibt sieben Gruppen von solchen Amortlsationsgesetzen: die altbayerische, die preußische, die Württembergische, die österreichische, die Kurmainzische, die Fuldaische und die französische Amortisationsgesetzgebung. Und es wäre, wenn man doch einmal an die Regelung geht, äußerst wünschenswerth, wenn man auch auf diesem Gebiete eine einheitliche Regelung für ganz Bayern, aber nicht in dem negativ radikalen Sinne der Herren Mitglieder der Centrumspartei vornehmen würde. Es wurde gestern bei einer anderen Stelle gesagt, es wäre bei dem kolossalen Arbeitsstoffe nicht gut möglich, auch jetzt noch bei Gelegenheit || des S 20 Ausführungsgesetzes auf eine einheitliche Regelung all' dieser noch vorbehaltenen Rechtsmaterien einzugehen. Ich muß das ja zum Theil anerkennen bei der Vielseitigkeit der Sache und der Kürze der Zeit, die zur Verfügung steht. Ich möchte aber jetzt schon den Vorbehalt machen, daß, wenn ruhigere Zeiten kommen, auch die einheitliche Codifikation des noch übrig bleibenden Rechtes nicht aus dem Auge gelassen werden soll. Ist sonach die Bemängelung des Herrn Abg. Lerno bezüglich der Frage der Rechtsgiltigkeit der Amortisationsgesetze unbegründet, so entsteht die weitere Frage der Aufrechterhaltung dieser Gesetze. Es wurde gestern von dem Herrn Abg. Lerno besonders betont, daß es sich hier eigentlich um „olle Kameelen" handle, die sich längst überlebt hätten; es seien Gesetze, die seit Jahrhunderten bestehen, die man endlich als dem modernen Zeitgeist widersprechend aufheben solle. Nun meine ich, daß gerade das Alter dieser Gesetze mit dafür spricht, daß sie eben doch einem gewissen in den Verhältnissen liegenden Bedürfnisse entsprechen. Es ist merkwürdig und ich möchte das auch dem Herrn Vor­ redner besonders sagen, daß gerade in den geistlichen Territorien stets die häufigsten nnd einschneidendsten Amortisationsgesetze erlassen worden sind nnd daß vor Allem auch die weltlichen katholischen Staaten stets dieses Amortisations­ recht in ganz hervorragendem Maße ausgeübt haben. Es beweist das ein Blick auf die Verhältnisse nicht nur bei uns in Bayern, sondern auch in Oesterreich, in Frankreich, Belgien, Spanien u. s w., so daß man also doch sich die Frage vorlegen muß, ob nicht gerade die Verhältnisse in diesen Staaten den Gesetzgeber besonders veranlaßt haben, solche Amortisationsgesetze zu er­ lassen. Solche Amortisationsgesetze bestehen ja auch heute noch in einer großen Reihe von deutschen Staaten. Dem Antrag „Fuchs und Genossen" trete ich entgegen mit Rücksicht auf das statistische Material, das ich seinerzeit in der Kammer vorgetragen habe und auf das ich mich der Kürze halber berufe. Ich glaube auch heute noch, daß wir ohne diese Amortisationsgesetze nicht auskommen können, wenngleich ich nicht verkenne, daß man die Bedeutung dieser Amortisationsgesetze wegen der reichsgesetzlichen Erhöhung der pragmatischen Summe auf 5,000 JI. nicht allzu sehr überschätzen soll. Es hat ja etwas für sich, was Herr Kollege Lerno vom theoretischen Standpunkte aus sagt, wenn er die Aufrechterhaltung der Amortifationsgesetze als einen Eingriff in das wirthschaftliche Freiheits­ prinzip, wenn ich so sagen darf, betrachtet, wenn er darauf verweist, daß andere juristische Personen von solchen Beschränkungen nicht getroffen werden.

S. 20. Allein ich möchte doch einmal darauf aufmerksem machen, daß ja auch auf anderen Gebieten des wirthschaftlichen Lebens dieses sogenannte wirthschaftliche Freiheitsprinzip durchbrochen wird, und daß man von dem Standpunkt „laissez faire laissez aller“ gerade unter der heutigen Auffassung des Staats­ lebens doch häufig abgeht. Aber Eines muß man doch gegenüber dieser Be­ tonung des wirthschaftlichen Freiheitsprinzips nicht außer Acht lassen und das ist, daß gerade bei den kirchlichen Korporationen ein Faktor in Frage kommt, der bei den anderen juristischen Korporationen wegfällt, und das ist — meine Herren, ich bitte, mich nicht mißzuverstehen — die kolossale Macht, die unter Umständen hier über die Gewissen der Gläubigen ausgeübt werden kann, und die ganz gewiß nicht zu unterschätzende Gefahr, daß, so sehr auch von den kirchlichen Obern in Wort und Schrift es bekämpft worden ist, in der Praxis die Möglichkeit der Ausbeulung der Macht über das Gewissen gegeben ist, und eben deßhalb glaube ich daß es nicht unwesentlich ist, was der Herr Referent bereits hervorgehoben hat, nämlich daß durch die Einführung des holographischen Testaments diese Gefahr sich nicht unwesentlich erhöht. Der Herr Abg. Lerno sagt, dieser § 2231 des Bürger!. Gesetzbuchs statuire kein besonderes Recht der Kirche, er beziehe sich auf alle privatrecht­ lichen Subjekte. Das ist ja richtig. Aber es ist deßhalb doch die Gefahr nicht zu leugnen, daß nach Einführung des holographischen Testaments eine Ausbeutung der Macht über das Gewissen noch häufiger eintreten rotri), als heute, wo derartige Testamente doch unter gewissen Kautelen zu Stande kommen. Ich kann durchaus nicht als richtig zugeben, daß dieser Paragraph über das holographische Testament um deßwillen nicht beweiskräftig sei, weil hier nur sogenannte kleine Leute und Summen unter 5,000 Jt. in Frage kämen; denn es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß derartig eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testamente auch über höhere Summen verfügen. Nun ist ja richtig, daß eben, weil die pragmatische Summe nach preuß­ ischem Recht 500 Thaler, nach bayerischem Recht 2,000 Gulden, nach französi­ schem Recht 300 Francs beträgt, die Festsetzung auf 5,000 JL ganz gewiß nicht dafür spricht, daß der Antrag besonders vordringlich ist, um so weniger, als auch Herr Kollege Lerno zugibt, daß Dispense Seitens der k. Staatsregierung, wenn nur immer begründet, ertheilt werden. Aber wenn wir die Amortisationsgesetze ganz aufheben, dann nehmen wir eben der Staatsregierung die Möglichkeit, auch in den Fällen einzuschreiten, wo es den guten Sitten widerspricht, wenn z. B. Zuwendungen zur „todten Hand" unter Uebergehung von dürftigen Verwandten u. s. w. gemacht werden. Weil das gegen die guten Sitten verstoßt, wie das schon wiederholt auch von den kirchlichen Obern ausgesprochen worden ist, und weil ich der Regierung die Möglichkeit lassen will, in solchen Fällen einzugreifen, kann ich mich nicht dazu bequemen, dem Antrag „Lerno" und seiner politischen Freunde zuzustimmen, und ich möchte den Ausschuß bitten, denselben abzulehnen.

Abg. von Walter: Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, wenn man Zeuge sein muß, wie man sich dem Antrag auf Aufhebung der Amortisations­ gesetze widersetzt und welche Gründe man hervorsucht, um diese Aufhebung nicht zur That werden zu lassen. Es ist schon an sich auffallend, daß man in einer Zeit, in welcher man auch in der Gesetzgebung mit allen bisherigen Anschauungen und Einrichtungen bricht, daß man da alte Gesetze hervorsucht, welche sich längst überlebt haben und welche zu einer Zeit erlassen worden sind, die mit der unsrigen sehr wenig gemein hat. Die Amortisationsgesetze

sind jetzt fast 200 Jahre alt und es liegt doch die Annahme nahe, daß sich S 20 seit dieser Zeit sehr viel geändert hat, und daß die Amortisationsgesetze sich in der neueren Gesetzgebung nicht mehr finden sollten. Man meint, daß die Privilegien der Kirche es insbesondere sind, die einen Schutz dagegen noth­ wendig machen. Der Herr Korreferent hat bereits hervorgehoben, daß er solche Privilegien nicht finden kann, und der Herr Vorredner hat soeben auch erwähnt, daß die Bestimmungen des Konkordates, welche in der That ein Privilegium für die Kirche bilden könnten, durch das Religions-Edikt beseitigt worden sind. Ich gebe das nicht einmal zu; denn die Bestimmungen, die der Herr Vorredner soeben verlesen hat aus dem Artikel VIII des Konkordates, enthalten nach meinem Dafürhalten keine Beschränkung, und wenn in dem Religions || Edikt bestimmt ist, daß die Erwerbung von Eigenthum für die ® 21 katholische Kirche und ihre Attribute nach den bestehenden Gesetzen stattfinden muß, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß diese Gesetze die Amortisationsgesetze sein müssen. Im Gegentheil, man kann aus dem Erlaß der Ver­ fassungsurkunde und den Erlassen der folgenden zwei Jahrzehnte mit Recht folgern, daß eigentlich Niemand mehr daran gedacht hat, daß die Amortisationsgesetze noch zu Recht bestehen. In der Ministerialentschließung vom 15. No­ vember 1835 ist dieß ausdrücklich ausgesprochen. Die Ministerialentschließung vom 16. Juni 1836 hat zwar in dieser Beziehung einen etwas anderen Stand­ punkt eingenommen, allein einen Standpunkt, der nach meinem Dafürhalten keineswegs dafür spricht daß man im Jahre 1836 von dem Fortbestände der Amortlsationsgesetze noch so fest überzeugt war. Die Genehmigung aller Zu­ wendungen an die religiösen Gesellschaften ist in der Ministerialentschließung, wie aus Abs 2 hervorgeht, nicht deßhalb ausgesprochen, um die Gefahr des Eigenthumserwerbs für andere Staatsangehörige hintanzuhalten, sondern sie ist damit motivirt, daß die bindende Kraft der Zuwendungen und Schenkungen über jeden Zweifel erhaben gemacht werden soll und daß man deßhalb, um diese bindende Kraft herbeizuführen, die Genehmigung der Staatsregierung für solche Zuwendungen vorgeschrieben hat. Das ist ein anderer Standpunkts als der vom Herrn Abg. Casselmann geltend gemachte. Man hat insbesondere die Verbindung zwischen Staat und Kirche als Argument geltend gemacht dafür, daß ein Korrelat nothwendig ist. Nun ist der Begriff der todten Hand nach meinem Dafürhalten von Haus aus ein falscher. Es handelt sich nicht darum, daß die kirchlichen Genossenschaften sich nur bereichern wollen, sondern alle diese Zuwendungen erfüllen öffentliche Zwecke, sie erfüllen einen Staatszweck, sie machen es nämlich möglich, daß sich die Kirche mit ihrem eigenen Vermögen behelfen kann und nicht immer dem Staate zur Last fallen muß. Das ist auch ein Gesichtspunkt, und ich meine, es wäre nicht so übel, wenn wir einmal den Kultusetat um die vielen Tansende entlasten könnten, mit welchen er jetzt belastet ist und zwar deßhalb, weil das Kirchenvermögen zur Erfüllung der Kultuszwecke nicht mehr ausreicht. Schon aus diesem Gesichtspunkte glaube ich, wäre es nicht so weit gefehlt, wenn wir die Amortlsationsgesetze fallen und der Kirche einmal freie Bewegung lassen wollten, um sich auf eigene Füße zu stellen und dadurch die allgemeine Melk­ kuh, den Staat, zu verschonen. Der Staat hat ohnehin in neuerer Zeit so viele Aufgaben und Bedürfnisse, daß er sehr leicht in kritischen Zeiten tn die Lage kommen kann, daß ihm derartige Leistungen für kirchliche Zwecke nicht mehr möglich sind. Wenn dann die Kirche nicht in der Lage ist, sich selbst zn helfen, dann werden wir in eine Situation gerathen, die keine gesunde genannt werden kann. Becher, Materialien. IV

12

S. 21.

Es ist mit der todten Hand so eine eigenthümliche Sache. Ich habe schon früher in der Kammer geltend gemacht, daß es eine andere todte Hand gibt, und diese besteht in den großen Aktiengesellschaften, in den großen Geld­ instituten, die weit mehr als die Kirche das Blut des Volkes aussagen und die nicht mehr herausgeben, was sie einmal erworben haben, während die Kirche das, was sie besitzt und erwirbt, immer noch im Interesse ihrer An­ gehörigen verwendet und verwenden muß. Selbst wenn man die Klöster ins Feld führt und sagt, die Klöster erfüllen, keine anderen Zwecke, so ist das nicht richtig; denn auch die Klöster haben Aufgaben in der Seelsorge zu erfüllen. Es ist nicht einmal richtig, daß die Klöster nur allein auf sich bedacht sind und daß sie die Schätze, die sie erwerben, nur aufhäufen, um ein üppiges Leben führen zu können. Kein Vorwurf ist ungerechter als der, wenn man den Klöstern vorwirft, daß sie sich mit den aufgehäuften Schätzen ein üppiges Leben verschaffen und sich um die gemeinschaftlichen Interessen nicht mehr kümmern. Ich glaube, Herr Kollege Casselmann wird ja auch gehört haben, daß in seiner Nähe ein Kloster besteht, das sich allerdings noch in einer sehr dürftigen Lage befindet, das aber gleichwohl für landwirthschaftliche Zwecke, namentlich für die Hebung der Rindviehzucht im Voigtlande außerordentlich viel leistet und dessen Verdienste auch auf jeder Ausstellung durch Prämien anerkannt werden; es ist das Klostcr Waldsassen. Kollege Casselmann wird es ebenso gut wie ich erfahren haben, daß das Kloster Waldsassen in Leipzig nicht nur Prämien erhalten, sondern auch allgemeine Anerkennung gefunden hat für Leistungen auf dem Gebiete der Besserung und Hebung der Rindvieh­ zucht, und das ist doch auch ein Interesse, das der Allgemeinheit zu gute kommt. Nun kommt noch als gewichtigstes Bedenken der Umstand, daß die Kirche eine kolossale Macht über die Gewissen haben soll. Wer die Geschichte der Neuzeit verfolgt, der muß zugeben, daß die kolossale Macht der Kirche über die Gewissen schon bedeutend gebrochen ist, und daß man Alles aufbietet, um diese Macht noch mehr zu brechen; sie ist auch in der That gar nicht so groß, und selbst wenn hie und da ein Fall vorkommen sollte, daß ein Priester sich auf diese Macht stützt, um Zuwendungen zu erlangen, so sinh solche Fälle doch außerordentlich selten. Wenn man, wie im Traunsteiner Fall, immer gleich Erbschleicherei vermuthet und daraus Kapital schlägt, um die Noth­ wendigkeit der Amortisationsgesetze zu behaupten und zu begründen, so glaube ich, daß gerade im Traunsteiner Fall der Beiveis für eine Erbschleicherei nicht erbracht worden ist. Den guten Sitten soll das Betragen mancher Geistlichen widersprechen. Ja, meine Herren, den guten Sitten würde manches Andere auch widersprechen; man hört aber kein Wort des Tadels. Wir haben uns über verschiedene andere Einrichtungen wiederholt sehr laut beschwert. Was ist geschehen? Der Staat hat allerdings unserem Drängen nachgegeben und in der Beziehung Konkurrenzanstalten geschaffen, die die Ausbeutung des Volkes vermindern, aber ganz gebrochen ist der Einfluß dieser Institute noch lange nicht. Man soll nicht immer allein bei den kirchlichen Obern, sondern auch auf anderen Gebieten die Fehler und Mißbräuche in's Auge fassen und dann wird man über die Amortisationsgesetze ein ganz anderes Urtheil fällen als bisher. Woher kommen denn die meisten Zuwendungen für kirchliche Zwecke? Ich glaube, daß ein großer Theil der Stiftungen, die in neuerer Zeit gemacht werden, vom Klerus selbst kommen, und, meine Herren, wollen Sie denn auch in dieser Beziehung eine Schranke setzen und in dieser Beziehung die

Ausschußverhandl. d. K. d. 916g. — 3. Protokoll.

171

Amortisatwnsgesetze wirken lassen? Tas können Sie deßhalb nicht, weil der S. 21. Geistliche nach kanonischem Rechte verpflichtet ist, alles Vermögen, das er von der Kirche erhält, auch wieder zu kirchlichen und gemeinnützigen Zwecken zu verwenden. Das ist doch nichts Unrechtes und ich meine deßhalb, daß man in dieser Beziehung doch einmal mit einer Vergangenheit brechen könnte, die auf ganz anderen Grundlagen aufgebaut ist als die Jetztzeit. Früher hat die Oeffentllchkeit die Kontrole nicht geübt, wie sie jetzt geübt wird. Es ist doch auch bekannt, daß die kirchlichen Obern sofort nach Bekanntwerden des Traunsteiner Falles und nach den Der || schiedenen Angriffen, die in der Richtung S. 22. auf sie gemacht wurden, sofort Anlaß genommen haben, den Geistlichen in dieser Richtung Takt und Zurückhaltung zu empfehlen und ihnen sogar die Annahme von Testamenten zu verbieten, soweit überhaupt in dieser Richtung eine Anordnung getroffen werden kann. Es ist dieß gewiß ein Beweis dafür, daß die Kirche an und für sich nicht darauf ausgeht, sich unter allen Um­ ständen irdische Schätze zu ergattern, daß man ihr aber auf der anderen Seite auch keine Schranken setzen und zulassen soll, daß auch für fromme Zwecke Zuwendungen gemacht werden. Wenn auf das holographische Testament besonderer Nachdruck gelegt wird, so glaube ich, daß nach den bisherigen Ein­ richtungen die Zuwendungen zu religiösen Zwecken gerade so leicht stattsinden konnten als bei einem holographischen Testament, da nach dem bayerischen Landrecht ein Testament vor 7 Zeugen errichtet werden kann. Also man kann die Sache getrost der Zukunft und der Entwicklung überlassen. Es wird immer Mittel geben, auch die armen Verwandten zu bedenken; aber die Be­ rücksichtigung der Verwandten findet in der Regel Schwierigkeiten dadurch, daß diese armen Verwandten sich oft recht lieblos gegen die Erblasser jahre­ lang aufgeführt haben, sich um dieselben in keiner Weise bekümmert, ja deren Pflege anderen Personen überlassen haben, und nun soll auf einmal der Testator sein Vermögen nicht Zwecken, für welche er selbst will, sondern er soll es den armen Verwandten zukommen lassen. Das ist ja recht schön, aber die Würdigung der Frage, wem das Vermögen zugewendet werden soll, muß doch dem Erblasser selbst überlassen werden, und wenn er es für gut findet, damit nicht arme Verwandte, sondern die Kirche zu bedenken, so glaube ich, kann man darüber keine Vorschriften machen, und wenn man das nicht kann, soll man auch die Erwerbung dieser Zuwendungen von keinen weiteren Be­ schränkungen abhängig machen. Ich für meinen Theil bin deßhalb der Ueber­ zeugung, daß man einen guten Schritt thut und zwar nicht blos im Interesse der Kirche, sondern im Interesse der Gesammtheit, wenn man die Amortisations­ gesetze fallen läßt. Der Herr Abg. Dr. Casselmann hat auch auf die Erlassung der Kirchenordnuug verwiesen. Ja, meine Herren, die Erlassung der Kirchenordnung ist ein Ding, das wir schon lange erstreben, aber mit welchem Erfolg? Wir haben noch keine Kirchenordnung. Im Gegentheil, während man die Autonomie auf allen Gebieten schützt, während man den Gemeinden zum Nachtheil ihrer An­ gehörigen eine Autonomie emgeräumt hat, die alles Maß überschreitet und jede Kuratel ausgibt, ist diese Kuratel der Kirche gegenüber geblieben und jede Mark, die über den Etat für kirchliche Zwecke verausgabt wird, muß eingehend begründet und nachträglich mit der Kuratelgenehmigung versehen werden, während man anderen Korporationen gegenüber das nicht für nothwendig hält. Ich meine doch, daß man unter so gelagerten Umständen von besonderen Privilegien der Kirche nicht reden kann und daß man die Amortisationsgesetze mcht als ein Korrelat dieser Privilegien betrachten kann.

S 22

Ich möchte noch auf Eines aufmerksam machen. Nach meinem Dafür­ halten hat der Herr Referent die Bedeutung des Artikel 87 doch nicht ganz richtig klar gelegt, wenn er gesagt hat, daß die Religiösen nicht mehr Be­ schränkungen unterworfen sein sollen. Ich glaube, der Artikel 87 des Ein­ führungsgesetzes geht weiter. Er hält die Beschränkung aufrecht, soweit es sich um Zuwendungen von Todeswegen handelt. Auf Grund von Rechts­ geschäften sind die Religiösen fortan keinen Beschränkungen unterworfen. Ich glaube, das muß doch klar gestellt werden. (Zuruf: Entgeltlich!) Jawohl, entgeltlich!

Abg. Segitz: Meine Parteifreunde stehen dem Anträge „Fuchs und Gen." sympathisch gegenüber. Ich selbst muß meine Stellung jedoch Vorbehalten bis zur zweiten Lesung, eventuell bis zum Plenum. Meine Parteifreunde erblicken in der Bestimmung, wie sie setzt besteht, eine Einschränkung, wie sie ohne zwingende Gründe nicht in das neue Recht Herübergenommcn werden soll. Indeß, wie die Dinge liegen, kann ich doch nicht so mir nichts dir nichts für den Antrag stimmen. Denn zweifellos kommen der Beschränkung gegenüber sehr wichtige Dinge in Betracht, wie das heute von liberaler Seite ausgcführt worden ist, nämlich der Streit zwischen Staat und Kirche, der auch in dieser Beziehung spielt, und der wird so lange verbleiben, bis man zu einer endgiltigen Lösung dieser Frage drängt, nämlich zur Trennung von Kirche und Staat. Wenn unsere Kollegen von der Eentrumspartei sich dazu verstehen würden, so würde ich mit Vergnügen Gefolgschaft leisten. Aber das scheint mir augenblicklich aussichtslos. Ich verstehe ganz gut das Verlangen der Kirche, sich kapitalistisch gestalten zu können, auf Vermehrung der irdischen Schütze bedacht zu sein, aber ich verkenne durchaus nicht, daß damit sehr wesentliche Nachtheile ver­ bunden sem können. Aber wenn man es einerseits der Kirche verwehren will, sich kapitalistisch zu gestalten, so sollte man auch Aktiengesellschaften rc. ähnlich behandeln. Solange sich aber der Staat dazu nicht versteht, werden wir es auch unserseits nicht gut verantworten können, der Kirche eine solche Be­ schränkung aufzuerlcgen, wie cs xctzt geschehen ist Alle diese Gründe bestimmen mich, zunächst tn dieser Frage mich passiv zu verhalten und die endgiltige Stellung für später vorzubehalten.

Der k. StaatsmlNlster des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten Dr. von Landmann: Ich erlaube mir, im Allgemeinen auf die gestern von Seiner Excellenz dem Herrn Justizminister abgegebene Er­ klärung Bezug zu nehmen, und möchte nur noch Einiges zur Ergänzung der­ selben beifügen, nachdem Seitens des Ausschusses meine persönliche Antheilnahme an den Verhandlungen ausdrücklich gewünscht worden ist. Ich gestatte mir zunächst einige wenige Worte über die von verschiedenen Herren Vor­ rednern berührte Frage der fortdauernden Giltigkeit der Amortisationsgesetze. Für mich ist diese Frage feine Frage, nachdem die Verwaltung sowohl, wie die Rechtsprechung konstant die fortdauernde Giltigkeit dieser Gesetze anerkannt haben, insbesondere die Gerichte diese Gesetze als fortdauernd giltig annchmen. Es ist darauf Bezug genommen worden, daß auch das Gesetz vom 29. April 1869 über die prwatrechtliche Stellung der Vereine die Amortisationsgesetze als fort« benetzend betrachtet. Ich kann dieses Citat ergänzen durch den Hinweis auf Artikel 16 Abs. 3 des Gesetzes über die Flurbereinigung vom 29. Mai 1886, welches unter Mitwirkung verschiedener der hier anwesenden Herren zu Stande gekommen ist, in welchem es heißt: „Besitzünderungcn und Geldentschädigungcn auf Grund des gegenwärtigen Gesetzes unterliegen den beschränkenden Be-

Stimmungen der Gesetze über Erwerbungen zur todten Hand (Amortisations- S. 22. gesetze) nicht." Also auch hier ist ausdrücklich vorausgesetzt, daß die Amortisations­ gesetze gelten. Wenn || hingewiesen wird auf die Ministerialentschließung von S. 23. 1835, so beweist das eben nichts Anderes, als daß Fürst Wallerstein einmal sich geirrt hat. Eine andere Folgerung kann ich aus dieser Entschließung nicht ziehen. Richtig ist allerdings, daß im Laufe der Zeit der Geltungs­ bereich der Amortisationsgesetze eingeschränkt worden ist, indem von diesem Geltungsbereich insbesondere Wohlthätigkeits- und Kirchenstiftungen ausge­ nommen wurden. Allein diese Stiftungen unterliegen seit 1818 der besonders geregelten Staatskuratel und aus diesem Grunde finden auf die kirchlichen Stiftungen die Amortisalionsgesetze in Bayern keine Anwendung. Die Kirchen­ stiftungen können unter Staatskuratel und ganz unbeschränkt durch die Amortisationsgesetze Vermögen erwerben und ich theile mit dem Herrn Abg. von Walter den Wunsch, daß den kirchlichen Stiftungen weitere Zuwendungen zukommen möchten, wodurch auch unser Staatsbudget in dieser Beziehung etwas entlastet werden wird. Namentlich bezüglich der Klöster und klösterlichen Institute ist aber, wie ich mir schon zu bemerken gestattete, die fortdauernde Anwendbarkeit der Amortisationsgesetze meines Erachtens nicht zu bezweifeln mit Rücksicht auf die Rechtsprechung der Gerichte. Was nun die Sache selbst betrifft, so möchte ich betonen, es handelt sich hier bei dem Anträge, der Seitens der Herren Lerno, von Walter und anderer Herren gestellt worden ist, um die Beseitigung eines Rechtes der landesherrlichen Gewalt, um die Beseitigung eines Rechtes der Krone, welches ohne zwingende Gründe nicht aufgegeben werden kann und zu dessen Aufgeben die verantwort­ lichen Minister ihre Zustimmung nicht ertheilen können, weil dieses Recht, wenn es auch zur Zeit keine sehr große Bedeutung besitz', doch unter Umständen auch wieder eine erhebliche praktische Bedeutung bekommen kann. Die Amortisations­ gesetze sind seinerzeit erlassen worden, vor etwa 200 Jahren, aus verschiedenen Gründen. Sie sind erlassen worden, um einer übermäßigen Ansammlung von Grundbesitz in den Händen der geistlichen Kommunitäten vorzubeugen, sie sind erlassen worden aus wirthschaftlichen und politischen und auch aus privatrecht­ lichen Gründen und zwar hauptsächlich auf Andrängen der Landstände. Das Letztere ist in der Einleitung zum Mandat von 1701 des Näheren ausgeführt. Allerdings haben die Amortisalionsgesetze jetzt nicht mehr die gleiche Bedeutung, wie vor 200 Jahren, allein sie haben doch immer noch einen gewissen prak­ tischen Werth. Sie können unter Umständen verhindern, daß wieder Zustände eintreten, wie die Zustände waren, welche vor 200 Jahren die Landstände ver­ anlaßt haben, auf die Erlassung der Amortisationsgesetze zu bringen. Der Standpunkt, daß dieses Recht der Krone nicht aufzugeben sei, wird nach den von der bayerischen Staatsregierung eingezogenen Erkundigungen auch in den übrigen betheiligten Bundesstaaten eingenommen. Soviel mir bekannt, haben auch die übrigen deutschen Staaten, in welchen Amortisationsgesetze bestehen, sich auf den Standpunkt gestellt, diese Amortisationsgesetze nicht fallen zu lassen, und dabei möchte ich noch erwähnen, daß diese fremden Amortisationsgesetze zum Theil weitergehende Bestimmungen enthalten als die bayerischen Gesetze, sie erstrecken sich theilweise auch auf die Kirchenstiftungen, was, wie erwähnt, in Bayern nicht mehr der Fall ist. Unsere Amortisalionsgesetze beziehen sich hauptsächlich auf die Klöster und ordensähnliche Kongregationen. Der Hauptgrund, aus welchem der Herr Abg. Lerno die Aufhebung dieser Gesetze verlangt, wird dahin formulirt, daß es Ausnahmegesetze seien. Es wird dieser Gedanke auch in anderer Weise ausgedrückt, es wird gesagt, daß sie eine

S. 23

ungerechtfertigte Bevormundung der katholischen Kirche enthalten und daß sie nicht mehr zeitgemäß seien. Es ist ausgeführt worden, daß andere, sowohl Privatpersonen, rote juristische Personen der gleichen Beschränkung nicht unter­ liegen, kurz, daß man es hier mit einer ungerechtfertigten, unzeitgemäßen Aus­ nahmemaßregel zu thun habe. Allein ich kann nicht zugeben, daß die Amortisations­ gesetze ihrer Natur nach Ausnahmegesetze seien; nn Gegentheil möchte ich be­ haupten, daß die Amortisationsgesetze auf der Linie der anderen Gesetze stehen, durch welche andere öffentliche Korporationen einer gewissen Staatsaufsicht unterworfen werden. Die Klöster sind Korporationen des öffentlichen Rechts, nicht Korporationen des Privatrechts und die Korporationen des öffentlichen Rechts in Bayern unterstehen immer einer gewissen Staatsaufsicht. Die Ge­ meinden unterstehen der durch die Gemeindeordnung geregelten Staatsaufsicht, die Kirchenstiftungen rc. unterstehen der Staatskuratel nach den Bestimmungen vom Jahre 1818 und 1834, die nunmehr, wenn die Kirchengemeindeordnunq zu Stande kommt, durch die Staatsaufsicht ersetzt werden soll Davon, daß tue Staatsaufsicht über die kirchlichen Stiftungen ganz aufgegeben werden soll, war nie die Rede, davon haben auch die Herren von der rechten Seite des Hauses nie gesprochen. In allen Aeußerungen über tue Erlassung einer Kirchen­ gemeindeordnung war als selbstverständlich anerkannt, daß die Staatsaufsicht über die kirchlichen Stiftungen erhalten bleiben soll. Nun, die Klöster sind auch öffentliche Einrichtungen, es handelt sich hier um Korporationen des öffentlichen Rechts. Gegenüber der Vermögensverwaltung der Klöster üben wir tue Staatsaufsicht nicht. Die Klöster sind bezüglich der Vermögensver­ waltung nicht beschränkt und besteht nur tue Beschränkung, daß der Erwerb der Klöster den Amortisationsgesetzen unterliegt. Ich glaube, diese Ausführungen dürften dargethan haben, daß die Amortisationsgesetze nicht Ausnahmegesetze sind, sondern Gesetze, wie sie dem Kirchenvermögen gegenüber überhaupt an­ gewendet werden Wenn wir dem Klostervermögen gegenüber die Staatsauf­ sicht hätten, so könnten wir die Amortlsatlvnsgesetze ganz gut fallen lassen, dann würde für dieselben kein Bedürfniß mehr bestehen. Der innere Grund für tue Staatsaufsicht über die Kirchenvermögen liegt in der bevorzugten Stellung, welche tue Kirche, insbesondere die katholische Kirche im bayerischen Staatswesen, rote überhaupt in der deutschen Gesetzgebung einntmmt Die Kirchen haben eine bevorzugte Stellung im Allgemeinen, sie genießen den bevor­ zugten Schutz des Strafgesetzbuches und haben nach unserer Verfassung bevor­ zugte Rechte. Daß die Kirchen bevorzugte Rechte haben, wird von keiner Seite bestritten. Eine längere Abhandlung darüber zu geben, kann ich wohl nicht für angezeigt halten. Wir haben nicht die freie Kirche im freien Staate, sondern es besteht ein gegenseitiges Verhältniß zwischen Kirche und Staat und mit Rücksicht auf die bevorzugte Stellung, welche tue Kirche einntmmt, muß sie sich auch eine gewisse Aufsicht über ihre Einrichtungen Seitens des Staates gefallen lassen. Gegenüber den Klöstern zeigt sich die Aufsicht in der Form der Amortisationsgesetze dadurch, daß ihre Erwerbungen der vorherigen Prüfung Seitens der Staatsgewalt unterstellt werden. Nun wurde Wetter behauptet, daß die Gesetze in Wirklichkeit nicht mehr gehandhabt werden, es soll, wenn ich recht unterrichtet bin, der Herr Abg. Lerno den Ausdruck gebraucht haben, die Gesetze würden durch fortwährende S 24. Dispens umgangen. Dieser Auffassung muß ich wider || sprechen. Es ist, wenn ich recht gehört habe, der Ausdruck „umgangen" gebraucht worden. Er wird wohl nicht so böse gemeint gewesen sein. Diese Gesetze werden vollzogen, nicht umgangen und die Auffassung, die hier theilweise durchgeschimmert hat,

Ausschußverhandl. d. K. b. Abg — 3. Protokoll.

175

beruht auf der irrigen Voraussetzung, daß durch die Mandate von 1701 und S. 24 1764 der Erwerb der gelstlichen Hand durchweg verboten sei Das Mandat von 1701 sagt, der Erwerb der geistlichen Hand ist der behördlichen Kognition unterworfen. Es kommt nicht darauf an, ob ich genau den Ausdruck des Mandats treffe, aber der Sinn ist, daß gesagt ist, daß landesfürstlicher Konsens und Einwilligung nöthig sei. Das Mandat von 1764 setzt allerdings zunächst die pragmatische Summe fest für die Erwerbung, aber schon im erläuternden Mandat von 1765 ist wieder davon die Rede, daß über diese pragmatische Summe durch landesherrliche Genehmigung hinausgegangen werden könne. Wenn also nach vorheriger Prüfung die Genehmigung zu Grund- oder Mobiliar­ erwerb erfolgt, so ist das nicht eine Umgehung der Gesetze, man kann nicht sagen, daß die Gesetze nicht gehandhabt werden, sondern das ist ein einfacher Vollzug der betreffenden Gesetze. Das Wesentliche dieser Gesetze liegt nicht darin, daß die Genehmigung versagt wird, sondern darin, daß die Verhältnisse in jedem einzelnen Falle geprüft werden und nach vorheriger Prüfung und Jnstruirung der Sache die Genehmigung ertheilt wird. Das ist richtig, daß die Gesetze zur Zeit milde gehandhabt werden, und ich anerkenne das Zugeständnlß der Herren Redner vom Centrum, daß die Handhabung der Gesetze loyal ist; allein es besteht zur Zeit auch kein Grund zu einer anderen Hand­ habung. Wir überzeugen uns von Fall zu Fall, daß die Zwecke, für welche die Grunderwerbungen erfolgen, nützlich sind, und finden keinen Anlaß, Aller­ höchsten Orts die Nichtgenehmignng vorzuschlagen oder die Genehmigung zu verweigern. Bei den Grunderwcrbungen in Städten handelt es sich zumeist um Gebäude für Wohlthätigkeit und Unterricht und bei den Grunderwerbungen auf dem Lande handelt es sich immer regelmäßig nur um solche Grunderwerb­ ungen, die nöthig sind, um den Insassen des betreffenden Klosters den nöthigen Unterhalt zu gewähren. Auf diesen Klostergütern herrscht meist die Naturalwlrthschaft. Der eigene Bedarf wird auf den Klostergütern gebaut und die Erwerbungen von landwirthschaftlichen Grundstücken verfolgen keinen anderen Zweck, soweit ich die Klöster kenne, als dem Kloster so viel Grundbesitz zu verschaffen, als nöthig ist zum Unterhalt seiner Angehörigen. Also zur Zeit besteht in der That kein Anlaß, in dieser Beziehung rigoros vorzugehen. Eines kann ich zugeben, daß die bestehenden Vorschriften in einer Beziehung etwas weit gehen, indem sie für alle Grunderwerbungen ohne Rücksicht auf den Werth und ohne Rücksicht auf den Umfang die landesherrliche Genehmig­ ung vorschreiben. Wenn eine Grundfläche von ein paar Quadratmeter ver­ tauscht wird, wie es unlängst öorgekommen ist, wo ein Stück Klostergarten abgegeben und eine andere Fläche dafür erworben wurde, damit ein Weg ver­ breitert werden konnte, so ist die landesherrliche Genehmigung erforderlich. Das ist eine Vorschrift, welche zu unnöthigen Weitwendigkeiten und Schreibereien führt; aber diese Bestimmung wird ja durch die Reichsgesetzgebung beseitigt, indem die Erwerbssumme, auf welche die Amortisationsgesetze keine Anwendung finden sollen, bis zu 5,000 Ä begrenzt ist. Fallen diese kleinen Grunderwerb­ ungen aus dem Bereich der geltenden Amortisationsgesetze, sind sie vollständig frei, so ist dieser Grund zur Klage damit beseitigt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch Eines ausdrücklich konstatiren, worüber ich mit dem Justiz­ ministerium korrespondirt habe. Die Bestimmung des Artikel 86 des Einführungsgesetzes gilt nach unserer Auffassung nicht allein für Mobiliarerwerbungen, sondern auch für Jmmobiliarerwerbungen. Aus den bisherigen Erörterungen und auch aus meinen Ausführungen konnte, wie ich glaube, entnommen werden, daß die Amortisationsgesetze immer noch einen praktischen Werth haben. Der

S. 24. praktische Werth der Amortisationsgesetze und der Verhandlungen, die im Voll­ züge der Amortisationsgesetze von Fall zu Fall stattfinden, beruht darin, daß durch diese Verhandlungen manchen Streitigkeiten und Differenzen vorgebeugt wird, indem durch die Jnstruirung der betreffenden Gesuche, durch die Erörter­ ungen, die zwischen den Betheiligten und den Behörden stattfinden, von vorn­ herein vermieden wird, daß zwischen den Betheiligten und dem Kloster Streitig­ keiten entstehen. Die Anwendung der Amortisationsgesetze hat besonders für die Kirche eine wohlthätige Bedeutung. Die Aufrechterhaltung der Amortisations­ gesetze liegt meines Erachtens gerade im Interesse der Klöster. Es ist schon darauf hingewiesen worden, wie leicht es sich ereignet, daß kirchliche Institute wegen ihrer Erwerbungen von Grundbesitz, aber auch wegen anderer Erwerb­ ungen angefeindet werden. Dadurch nun, daß der Staat die Gesuche prüft, und dadurch, daß der Staat die Genehmigung ertheilt, übernimmt er'gewisser­ maßen eine Mithaftung für diese Erwerbungen und deckt somit auch die klöster­ lichen Institute in Bezug auf diese Erwerbungen. Der Staat tritt durch seine Genehmigung sogar dafür ein, daß die Erwerbungen nicht bedenklich und nicht zu beanstanden sind. Ich möchte die Herren, welche mit ihrem Anträge die Interessen der Kirche zu vertreten glauben, speziell auf diesen Punkt auf­ merksam machen und sie bitten, diesen Gesichtspunkt besonders im Auge zu behalten. Was endlich die Anregung des Herrn Referenten Wagner wegen der Codifikation der Amortisationsgesetze betrifft, so wird cs sich hiebei zunächst um die Frage handeln, ob vom legislatorischen, vom juristisch-technischen Stand­ punkt ein Bedürfniß zur Codifikation besteht, mit anderen Worten, ob diese Gesetze so verschiedenartig und so unklar sind, daß aus diesem juristisch-tech­ nischen Grunde eine Codifikation nöthig wäre. Tas ist eine Frage, die zunächst das Justizministerium zu würdigen hätte. Ich muß erklären, daß von mir ein dringendes Bedürfniß nach einer Codifikation nicht behauptet zu werden ver­ mag. Es hat eine Zeit gegeben, wo es schien, als ob die Amortisationsgesetze nicht mehr vollzogen würden, cs ist aber wiederholt im Justizminifterialblatt und im Kultusministerialblatt darauf aufmerksam gemacht, die Notare und die Gerichte wissen es, daß sie diese Gesetze zu beachten haben, in den einzelnen Landestheilen kennt man die dort geltenden Vorschriften und darauf kommt es ja hauptsächlich an, daß man in loco die betreffenden Vorschriften kennt, und sie werden thatsächlich vollzogen. Also, ich glaube nicht, daß ein dringendes Bedürfniß besieht; andererseits aber kann ich erklären, wenn eine Codifikation gewünscht wird, so werde ich meinerseits keine Schwierigkeiten bereiten, sondern gerne mitwirken, möchte aber darauf aufmerksam machen, daß die Schwierig­ keiten einer Verständigung über die Fassung wahrscheinlich ziemlich groß sein

werden. — Zum Schluß möchte ich noch darauf Hinweisen, daß ich die Regelung der vorwürfigen Sache mit der Kirchengemeindeordnung, welche von einer Seite S. 25. angebeutet worden ist, nicht in Aussicht stellen kann; || denn die Kirchen­ gemeindeordnung hat sich mit klösterlichen Instituten nicht zu befassen, sondern mit dem Kirchenvermögen.

Abg. Dr. Ratzinger: Es ist eine sehr auffällige Erscheinung, daß gerade von jener Seite, welche jedem Eingriff in das Erwerbsleben schroff ablehnend gcgenübersteht, immer auf möglichste Beaufsichtigung der kirchlichen Institute hingearbeitet wird. Hierin liegt ein Widerspruch, welchen auch der Herr Abg. Dr. Casselmann nicht zu entkräften vermochte. Wenn man das Prinzip auf­ stellt, daß das moderne Erwerbsleben ein Eingreifen der Staatsregierung wo

möglich nicht veranlassen soll, so darf man dann auch nicht ein solches Ein- S- 25. greifen gegen klösterliche Institute allein verlangen. Der Herr Minister hat allerdings gemeint, es sei eine Nothwendigkeit damit begründet, daß vot 200 Jahren diese Amortisationsgesetze geschaffen wurden auf Ansuchen der Landstände. Nun liegen aber die Verhältnisse von damals und heute so grund­ verschieden, daß hierauf wohl nicht rekurrirt werden kann. Wer ein Geographie­ buch aus damaliger Zelt zur Hand nimmt, weiß, wie viel Klöster damals waren und wie begütert sie waren. Sie hatten einen großen Theil des Grund­ besitzes, namentlich der Waldungen. Heute sind die Verhältnisse ganz anders. Wir haben überhaupt fast keine Klöster in Bayern, welche Grundbesitz er­ werben können. Männliche Klöster haben wir nur die Benediktiner. Die Kapuziner, Franziskaner sind ja Mendikantenorden und können liegendes Ver­ mögen nicht erwerben. Wie ist es nun aber mit unseren Benediktinern? Sie sind nichts weniger als reich, sie vermögen kaum dem dringendsten Bedürfniß zu genügen für ihre Mitglieder. Wenn man von Metten und Scheyern absieht, sind sie geradezu arm zu nennen. Wenn der Herr Abg. Segitz meint, die Kirche treibe Kapitalismus, so ist er nicht recht gut informirt. Bezüglich der Frauenklöster liegt es anders. Wir haben allerdings einige wohlhabende Frauenklöster, aber die Frauenklöster verwenden aW ihren Besitz für allgemeine Interessen. Sie leben sehr einfach und verwenden ihr gesammtes Einkommen für allgemeine Landesinteressen, für Unterricht, Erziehung, Armenund Krankenpflege. Wenn man trotzdem alte Schranken gegen Erwerbungen aufrechterhallen wissen will, so ist das meines Erachtens nicht begründet. Man hat allerdings darauf hingewiesen, daß die k. Staatregierung doch eigentlich emschreiten müsse, wenn arme Verwandte enterbt werden, was gegen die gute Sitte verstößt. Da hat der Herr Abg. Dr. Casselmann eben vergessen, daß es eine Vorschrift des kanonischen Rechts ist, wonach Testamente mit Enterbung von armen Familiengliedern und nächsten Verwandten gar nicht angenommen werden dürfen. Es ist ein alter Grundsatz, daß die Bischöfe Testamente, durch welche arme Familienglieder enterbt werden, nicht annehmen dürfen. Das geht zurück bis in die Zett des hl. Augustinus. Nun wird übrigens diese Frage regelmäßig hereingeworfen. Ja, em armer „Verwandter" ist überall vorhanden, und dann sagt man gleich, er sei benachthelllgt. Aber regelmäßig exfftirt gar keme moralische Verpflichtung für den Erblasser, für sogenannte arme „Ver­ wandte" zu sorgen und sie durch das Testament zu unterstützen. In der Regel sind diese Testamente für die sogenannten armen Verwandten sogar ein großes Unglück, denn letztere verfallen der Lüderlichkeit und dem Leichtsinn und es ist nicht immer em Glück, wenn der arme Verwandte auf einmal Geld bekommt Wenn überschüssige Vermögen für öffentliche Zwecke, für Erziehung, Unterricht, Armenpflege verwendet werden, dann ist es viel besser, als wenn sie sogenannten armen Verwandten zugewendet werden. Ich möchte darauf Hinweisen, daß gerade die Klostervermögen für die Interessen der Gesammtheit verwendet werden und daß sie deßhalb so große Sympathien in der katholischen Bevölkerung besitzen und daß viele Testamente nur deßhalb den Klöstern zugewendet werden, weil man sich sagt, hier schaffen wir eine Oase, die nicht dem Luxus, nicht dem Geldbesitz als solchem dient, sondern wir geben das Geld für öffentliche Interessen, für allgemeine Zwecke, da sei es am besten angewendet. Gerade das ist em Gesichtspunkt, der gegen die Amortisationsgesetze hauptsächlich eingewendet werden mußte. Ich meine daher, warum soll man eine Gesetzgebung aufrechterhalten, wo kem Bedürfniß

178

S 25

S. 26

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

dafür vorhanden ist? Eine Gesetzgebung, die ganz anderen Verhältnissen ent­ sprungen ist! Wenn wirklich Mißbräuche sich einschleichen, so hat ja die Gesetz­ gebung immer Gelegenheit, einzugreifen; aber ich bin der Ansicht, daß besser als jede staatliche Aufsicht die Korrektur der kirchlichen Behörden selbst sein würde. Wenn die staatliche Aufsicht nicht bestehen würde, so würden die kirch­ lichen Behörden der Frage ein viel größeres Gewicht zuwenden müssen als heute. In einem Zurückgrcifen auf die alte kanonische Bestimmung würde das beste Korrektiv gegeben sein gegen Mißbräuche und die Bischöfe würden durch die Verhältnisse selbst gezwungen sein, das, was heute die Staatsregierung thut, im Interesse der Kirche selbst.wahrzunehmen, und dieses kirchliche Ein­ greifen würde, glaube ich, viel eher am Platze sein, wie nun einmal die Ver­ hältnisse liegen, als die staatliche Aufsicht. Außerdem wird die öffentliche Meinung, die ja heute sehr empfindlich ist bezüglich der Erwerbung von Grund­ besitz für Klöster, ein viel besseres Korrektiv sein als die Staatsaufsicht. Der Herr Minister meint allerdings, die staatliche Oberaufsicht biete eine Garantie gegenüber der öffentlichen Meinung. Das ist richtig, aber ob damit die Auf­ rechterhaltung sich rechtfertigen läßt, das möchte ich doch bezweifeln. Ich komme zum Schluffe. Die bestehende Gesetzgebung ist in ganz anderen Verhältnissen begründet, als sie heute liegen. Diese Gesetze kommen mir als eine Art Mißtrauen gegen die kirchlichen Institute vor und sind in Folge dessen nicht zu rechtfertigen. Sie sind auch deßhalb nicht zu rechtfertigen, weil das gesummte moderne Erwerbsleben auf ganz anderen Grundlagen ruht als vor 200 Jahren, wo Jeder seinen Wirkungskreis glaubte vom Staate an­ gewiesen erhalten zu sollen. Heute hat man die Schranken für das Erwerbs­ leben nicdergerissen, man kann nicht mehr für kirchliche Institute und klöster­ liche Kommunitäten allein sie aufrechterhalten, wenn man nicht den Schein der Gehässigkeit oder Intoleranz auf sich laden will. Ich bin deßbalb der Ansicht, wir sollten mit diesen Bestimmungen aufräumen und, nachdem ein Bedürfniß für die Gegenwart nicht mehr vorhanden ist, diese Gesetze einfach zu den Todten legen. Das ist das beste Mittel, um in der Beziehung Wandel zu schaffen. Abg. Lerno (Korreferent): Erlauben Sie mir nur einige wenige Bemerk­ ungen auf das, was die Herren Vorredner von der liberalen Seite zur Be­ gründung ihrer ablehnenden Haltung gegenüber unserm Antrag vorgebracht haben. Herr Kollege Dr. Casselmann hat gesprochen von einer Zunahme des Vermögens der todten Hand in Bayern. Ich || möchte den hochverehrten Herrn Kollegen hier, wenn er eine solche Behauptung aufstellt, doch recht dringend bitten, auch den Beweis dafür zu liefern, z B. durch statistische Aufstellungen, daß man in der That von einer Zunahme des Vermögens der todten Hand in Bayern sprechen kann, in einer Weise, daß es — und damit motiviren die Herren ihre ablehnende Haltung — gewissermaßen als eine Gefahr für die übrigen Staatsbürger, als eine soziale Gefahr erscheine. Man könnte vielleicht auf Oesterreich exemplificiren, allein diese Verhältnisse gehen uns nichts an. Bei uns in Bayern weiß ich kein einziges Kloster, von dem man sagen kann, es sei übermäßig reich und in einer Weise mit weltlichen Gütern bedacht, daß dieser Zustand als nicht haltbar mehr bezeichnet werden könne. Ich glaube, wenn statistische Zusammenstellungen über das Vermögen bestünden, welches in den Händen der Klöster in Bayern sich befindet, so würde eine verhältnißmäßig geringe Summe herauskommen. Der Herr Abg. Dr. Casselmann hat zugegeben, daß die Anfrechterhaltung der Amorti;ationsgesetze allerdings ein Eingriff in die wirthschaftliche Freiheit

der Klöster ist, und er stützt seine ablehnende Haltung wieder auf verschiedene S. 26. Punkte, von welchen er ganz besonders einen hervorhebt, daß nicht übersehen werden dürfe, daß die Kirche eine kolossale Macht über die Gewissen, der Gläubigen hat und daß der Ausbeutung dieser Macht über die Gewissen durch diese Gesetze entgegengetreten werden müsse. Ich möchte aber den Herrn Kollegen Dr. Casselmann, der, wenn ich recht unterrichtet bin, nicht Katholik ist, darauf aufmerksam machen, daß von einer solchen Macht der katholischen Kirche über die Gewissen und insbesondere von einer Ausbeutung dieser Macht in seinem Sinne nicht gesprochen werden kann. Die katholische Kirche predigt das Evangelium Christi, den Schutz der Armen und Unterdrückten, und gerade die Ausübung der in dieser Lehre gegebenen Vorschriften findet sich am meisten und prägnantesten in den Klöstern. Dort wird die persönliche Armuth geübt, und was die Klöster erwerben, wird immer wieder für wohlthätige Zwecke und für Zwecke der christlichen Charitas verwendet. Von einem Mißbrauch des Einflusses auf die Gewissen ist kein einziger Fall nachweisbar, daß im Beichtstuhl oder auf der Kanzel oder sonstwie in der That ein zwingender Einfluß auf die Dispositionen der Gläubigen über ihr Vermögen jemals geübt worden ist. Man kann solche Schauermärchen besonders in der norddeutschen Literatur von untergeordnetstem Range manchmal finden, allein wenn es sich um einen Beweis der aufgestellten Behauptungen handeln würde, würde es damit sehr windig aussehen.

Herr Kollege Dr. Casselmann spricht dann davon, daß Fälle vorkommen können, welche den guten Sitten widersprechen, und hat speziell daraus hin­ gewiesen, daß es vorkommen kann, daß bei einem Testament arme Verwandte umgangen werden können. Herr Kollege Dr. Ratzinger, wie Herr Kollege von Walter haben in dieser Beziehung schon eingehend geantwortet. Ich möchte nur auf einen rechtlichen und sozialen Gesichtspunkt noch Hinweisen. Das bürgerliche Gesetzbuch kennt kein Notherbenrecht, sondern den Pflichttheil. Handelt es sich um Verwandte, die den Pflichttheil anzusprechen haben, so bekommen sie denselben trotz des Testaments. Handelt es sich aber um solche, die ein solches Pflichttheilerbrecht nicht haben, dann sehe ich nicht ein, warum der Staat zu Gunsten solcher Leute einschreitcn soll und in die vorausgegangenen Familienverhältnisse, Feindseligkeiten u. s. w. sich einmischen soll. Wenn ein solcher Erblasser sein bedeutendes oder nicht bedeutendes Vermögen nicht der Kirche, sondern einer Privatperson oder irgend einem anderen profanen Zwecke vermacht, da mischt sich der Staat nicht ein, das geht ihn nichts an. Aber wenn ein Erblasser einen Theil seines Vermögens der Kirche zuwenden will, da kann der Staat auf Grund der Amortisationsgesetze dazw'schentreten. Ich kann einen Grund für die fernere Aufrechterhaltung dieses Ausnahmezustandes nicht ersehen. Herr Kollege Dr. Casselmann hat weiter gesprochen von Zweifeln über die Rechtsbeständigkeit der Ausnahmegesetze und darauf hingcwiesen, daß in der Literatur der Kanonisten sich solche Aufstellungen finden. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen und will es heute nicht mehr wiederholen, daß sich in den Lehrbüchern des katholischen Kirchenrcchts vielfach die Meinung ver­ treten findet, daß die bayerischen Amortisationsgesetze durch die Verfassungs­ urkunde seit dem Jahre 1818 ihre Geltung verloren haben. Ich habe aber lediglich auf diese abweichenden Meinungen hingcwiesen und habe weder gestern noch heute für mich persönlich die Behauptung aufgestellt, daß es erwiesen sei, daß die Amortisationsgesetze nicht mehr gelten. Ich habe gesagt, es sind

S. 26. Zweifel über ihre Rechtsbeständigkeit geltend gemacht worden und diese Zweifel können durch die Verordnung von 1835 belegt werden. Ich muß darauf zurückkommen, was Herr Dr, Casselmann gesagt hat, es können Fälle eintreten, welche der guten Sitte widersprechen. Betrachten wir aber nur die Klöster in Bayern und die Art und Weise, wie sie Zu­ wendungen verwerthen. Es hat schon der Herr Abg. von Walter darauf hin­ gewiesen, daß es durchaus kein üppiges Leben ist, das sich im Kloster zeigt. Wenn Herr Kollege Dr. Casselmann die Verhältnisse in den Klöstern kennen würde, so würde er wissen, daß die Religiösen in Ascese und Entsagung alles dessen leben, was wir Menschenkinder sonst als Annehmlichkeiten des Lebens betrachten, daß sie nicht blos religiösen Uebungen, sondern hauptsächlich der Bethätigung der christlichen Charitas leben. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen, daß es ein ungerechtfertigter Ausnahmezustand ist — ich glaube den Ausdruck gebrauchen zu dürfen —, diese Fessel der katholischen Kirche, beziehungsweise ihren Orden anlegen zu lassen, wenn man bedenkt, daß andere Korporationen und Privatpersonen diese Fessel nicht haben. Jede Aktiengesell­ schaft kann sich ausbreiten und vermehren, und wenn von einem den guten Sitten widersprechenden Zustand gesprochen worden ist, so will ich dem entgegen­ halten, daß ich die rechtliche und moralische Ueberzeugung habe: wenn eine Aktiengesellschaft z. B. 10, 20 oder gar 40 Prozent Dividende vertheilt, so widerspricht das den guten Sitten — ich habe natürlich nur diejenigen Aktien­ besitzer im Auge, die die Aktien von Anfang an erworben haben, nicht die­ jenigen, die sie etwa später bei weit gestiegenem Kurswerth erst gekauft haben —, aber wenn Jemand für sein Kapital 40 Prozent nimmt und man forscht dann nach, wie dieses Geld gewonnen wird, wenn man die Arbeiter fragt, welche dieses Geld mit erwerben helfen müssen, dann wird man auf Dinge stoßen, welche der guten Sitte widersprechen, nicht aber, wenn man die Art und Weise in's Auge faßt, wie die Klöster von den ihnen gemachten Zuwendungen Gebrauch machen. Herr Dr. Casselmann hat auch darauf aufmerksam gemacht, daß gerade in katholischen Staaten solche Amortisationsgesetze sich finden und oft mit weitergehenden Bestimmungen als in Bayern. Mir sind die Verhältnisse außer­ halb Bayerns nicht bekannt und ich muß diese seine Behauptung dahingestellt S. 27. sein lassen, ich will sie auch nicht „ bezweifeln. Er hat als Beispiel Oesterreich, Belgien und Spanien angeführt; allein ich möchte ihm entgegenhalten, wenn es in der That der Fall ist, daß die Amortisationsgesetze zumeist in katholischen Ländern noch bestehen, so ist das naturgemäß dadurch erklärlich, daß in diesen katholischen Ländern sich Klöster und kirchliche Vermögen befinden, während in nichtkatholischen Ländern, in protestantischen, in Norddeutschland derartige Jnstüute nicht vorhanden sind, weil man tabula rasa damit gemacht hat und in Folge dessen auch für nichtkatholische Staaten eine Nothwendigkeit, solche Gesetze zu schassen, nicht vorhanden war. Es ist gesprochen worden von den Privilegien, deren sich die katholische Kirche, die Kirchen überhaupt in Bayern erfreuen. Der Herr Abg. Wagner hat auf die II. Verfassungsbeilage hingewiesen. Ich will durchaus nicht ver­ kennen,. daß die katholische Kirche einen großen Schutz Seitens der bayerischen Staatsregierung findet, allein wenn man sich gerade auf die II. Verfassungs­ beilage beruft und dieselbe durchblättert, so fällt einem manches auf, was dieses Privilegium in einem sonderbaren Lichte erscheinen läßt. Ich verweise z. B. auf das 3. Kapitel über die Religionsverhältnisse der Kinder aus ge­ mischten Ehen und da kann ich in der Art und Weise, wie das Kapitel ge-

handhabt wird, eine besondere privilegirte Stellung der katholischen Kirche S. 27. nicht erblicken. Ich will nur darauf Hinweisen, was die katholische Kirche in der vor wenigen Jahren abgeschlossenen altkatholischen Bewegung sich gefallen lassen mußte, wie Kirchenthüren gesprengt wurden, um das Glockengeläute zu erzwingen u. dgl. Ich halte das dem gegenüber, nachdem so sehr diese Privi­ legien betont wurden und behauptet wurde, daß diesen Privilegien gegenüber als Korrelat die Aufrechterhaltung der Amortisationsgesetze bestehen bleiben muß. Der Herr Abg. Segitz hat heute vorläufig für seine Person zwar nicht eine vollständig ablehnende Haltung unserem Antrag gegenüber dokumentirt, aber aus seinen Ausführungen war doch zu entnehmen, daß er mehr den Argumenten von der liberalen Seite zuneige als den unseren und in Folge dessen seine Abstimmung für die zweite Lesung oder gar für das Plenum Vorbehalte. Ich kann es nur bedauern, wenn ein Mitglied der Fraktion im Landtag, welche von jeher wenigstens nach ihrer Behauptung für die größte individuelle Freiheit gekämpft und welche am meisten unter den Ausnahme­ gesetzen im Deutschen Reich zu leiden hatte, jetzt noch der Beibehaltung dieser Ausnahmegesetze, ich will nicht sagen das Wort redet, aber doch wenigstens ihr gegenüber sich passiv verhält. Nun darf ich mir noch erlauben, einige Bemerkungen zu machen gegen­ über den Aeußerungen, welche Seine Excellenz der Herr Kultusminister über diese Frage gegeben hat; ich muß sagen, ich bin durch denselben nicht von meiner Ansicht abgebracht worden bezüglich der Nothwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Zeitgemüßheit unseres Antrags. Der Herr Kultusminister hat zunächst den Begriff, die Anwendung der Amortisationsgesetze eingeschränkt, indem er sagte, nicht auf die Kirche selbst, sondern zunächst auf die Klöster und ordensähnliche Kongregationen finden dieselben Anwendung. Allein ich möchte darauf Hinweisen, wenn ich recht unterrichtet bin, sind diese Amortisationsgesetze auch auf Seminarien ?c. an­ gewendet worden, die weder Klöster noch ordensähnliche Kongregationen sind. Der Herr Kultusminister hat gemeint, die mangelnde Staatsaufsicht über die Klöster bedinge die Amortisaüonsgesetze. Allein ich kann dieses Argument durchaus nicht als zutreffend anerkennen. Der Herr Kultusminister hat auch von den Privilegien der Kirche ge­ sprochen und als einen Beweis dafür angeführt, daß die Kirche den Schutz des Strafgesetzbuches genieße. Auch diesen Punkt kann ich nicht als sehr vollwerthig gelten lassen; denn in unserem Strafgesetzbuch genießen die katho­ lische Kirche und die Orden derselben durchaus keinen anderen Schutz wie jede Privatperson. Im ganzen Strafgesetzbuch kommt die Bezeichnung „katholische Kirche" nicht einmal vor; erst der Abschnitt von den Bergehen wider die Religion spricht lediglich von christlichen Kirchen, niemals aber von der katholischen Kirche; und wenn sich die katholische Kirche, wie man behauptet, eines besonderen Schutzes erfreut, so theilt sie dieses Privilegium mit jeder anderen christlichen Religionsgemeinschaft. Der Herr Kultusminister hat ferner davon gesprochen, daß ich gestern den Ausdruck gebraucht hätte, die Amortisationsgesetze würden umgangen werden. Ich habe das nicht in dem Sinne gemeint, als ob die Gesetze von der Regierung umgangen würden, sondern Seitens der Wohlthäter werden die Gesetze umgangen dadurch, daß sie Dispens erbitten und auch bekommen. Das ist ein Unterschied in der Auffassung. Thatsache aber ist, daß die Kirche, speziell die Klöster kein Vermögen erwerben können, und wenn sie es wollen, dann müssen sie die Regierung fragen, und das ist eben die drückende Fessel,

S. 27. die als solche von der Kirche empfunden wird. Der Herr Kultusminister sagt, dadurch, daß die Regierung fast immer diese Dispens ertheile, werde Streitigkeiten vorgebeugt und durch die Ertheilung der Genehmigung bekomme die Schenkung gewissermaßen eine staatliche Sanktion, die den Klöstern zu gute komme gegenüber allcnfallsigen anderen Leuten, die sie wegen dieser Schenkungen schief ansehen. Dieß ist eine subjektive Auffassung, der gegenüber ich auf die Auffassung der Kirche und Klöster Hinweisen möchte. Diese haben die Amortisatlonsgesetze niemals als eine Wohlthat empfunden, sondern als eine ungerechte Bevormundung. Auch im Landtag ist schon vor geraumer Zeit die Forderung auf Aufhebung der Staatsaufsicht gestellt worden. Ein Argument, das der Herr Kultusminister angeführt hat, war be­ sonders schwerwiegend Der Herr Kultusminister sagt, daß durch die Annahme des Antrags ein Recht der Krone beseitigt würde, zu dessen Beseitigung die Räthe der Krone, also die Minister, niemals ihre Einwilligung geben könnten. Ich gebe zu, daß dieß für jeden loyalen Staatsbürger im ersten Augenblick bestechend ist: denn unsere Partei ist die letzte, die die Hand dazu bieten möchte, den Rechten der Krone irgend Eintrag zu thun. Aber es muß uns doch gestattet sein, die Sache näher zu untersuchen, und da muß ich fragen, was. ist das für ein Kronrecht? Wenn ein Rechtslehrer in einem theoretlfchen Werke sämmtliche Rechte der bayerischen Krone aufzählen wollte, so glaube ich, wird er gewiß nicht anfangen mit dem Rechte, welches die Krone besitzt, den Klöstern zu verbieten, Vermögen zu erwerben. Es ist dieß eine so unbe­ deutende Sache, daß man mit dessen Preisgabe gewiß nicht von einer Beein­ trächtigung der Machtfülle der Krone reden kann. Ich darf auch darauf Hinweisen, daß Rechte der Krone von viel weitergehender Bedeutung nament­ lich seit 1870 beseiilgt worden sind Ja wir selbst hier, indem wir das vor­ liegende Ausführungsgesetz machen, beseitigen ein solches. In dem Artikel 2 des Ausführungsgesetzes im Reg erungsentwurfe wird anch das Recht auf Ertheiluug der Volljährigkeit von der Krone auf das Ministerium der Justiz übertragen. Ich kann ja anticipirend sagen, daß wir mit diesem Vorschläge S. 28 einverstanden sind; aber es ist dieß auch eine Verminderung der Rechte der Krone. (Zuruf: Geschieht durch Reichsgesetz!) Gewiß! Und noch größere Rechte werden beseitigt. Es ist eine nicht unbe­ deutende Minderung der Rechte der Krone, wenn künftig nach Artikel 6 des Einführungsgefetzes zum Bürgerl. Gesetzbuch in der III. Instanz in allen Civilsachen nicht mehr im Namen des Königs von Bayern, sondern in Leipzig im Namen des Reichs Recht gesprochen wird. Darum, meine ich, kann man sich nicht darauf stützen, daß man bet einer so verhültnißmüßig kleinen Befugniß, die noch der Krone zusteht, nämlich das Verbieten von Vermögens­ erwerb Seitens armer und bedürftiger Klöster, sagt: hier werde ein Recht der Krone beseitigt. Wenn man die Sache bei Licht betrachtet, so muß mau gestehen, daß dieser Einwand nicht stichhaltig erscheint. Ich möchte Sie bitten, unsern Antrag anzunehmen. Abg. Wagner (Referent): Ich glaube, daß ich mich im Allgemeinen sehr kurz fassen kann. Der Standpunkt der beiden größeren Parteien in dieser Frage deckt sich nicht. Keine Partei kann die andere überzeugen, so daß längere Ausführungen wohl keinen Werth haben. Für mich waren maßgebend die Gründe, die ich angeführt habe, und der Hauptgrund ist der, daß die anerkannten öffentlichen Religionsgesellschaften in Bayern eine pnvilegirte Stellung haben, uud dieser wird, wie auch der Herr Minister gesagt hat, ein

gewisses Korrelat gcgenüberstchen müssen, welches sich in der Aufsichtsthätigkelt S. 28. des Staates äußert, und auf diesem Standpunkte stehen auch die Amortisations­ gesetze. Es ist außer Zweifel, so wenig wir Veranlassung haben, an der Staatskuratel über Kirchenstiftungen u. dgl. zu rütteln, ebensowenig glaube ich, daß solches hier am Platze ist, solange das Verhältniß zwischen Kirche und Staat so ist, wie dermalen. Weder von Ihnen, noch von uns will zur Zelt Jemand eine Aenderung an diesem Verhältnisse vornehmen; wenn wir es auf der Seite nicht thun können, können wir es auf der anderen auch nicht. Das war für mich der Haupterwägungsgrund. Ich gestehe zu, daß ich nicht gerade die Empfindung habe, daß zur Zeit ein besonderes Bedürfniß für die Beibehaltung der Amortisationsgesetze besteht. Mir persönlich stehen keine derartigen Erfahrungen zu Gebote. Es wird ja ein Bedürfniß in ver­ einzelten Fällen auftreten, m Fällen, in welchen wohl nur Organe- m Frage kommen, die nicht im Geiste der Kirche handeln. Dieß will ich gleich zugeben. Aber derartige Fälle sind vorgekommen und werden wieder vorkommen, das liegt in der menschlichen Natur. Es fällt uns aber nicht ein, dafür die Kirche und die kirchlichen Institutionen verantwortlich zu machen. Werl, rote Herr Abg. Casselmann mit Recht ausgeführt hat, die kirchlichen Organe auf das Gewissen eine besondere Macht haben, ist die Gefahr nahe gelegt, daß in einzelnen Fällen damit Mißbrauch getrieben wird, und wenn wir der Möglichkeit eines solchen Mißbrauchs entgegentreten, so ist das nicht eine feindselige Stellungnahme gegen die Kirche, die liegt uns fern, aber ich glaube, daß es berechtigt ist, Institutionen zu schassen, um die Möglichkeit zu haben, daß solche Dinge nicht vorkommen. Auch ein besonderes Bedürfniß für die Befcitigung ist nicht dargelegt worden, da vielmehr anerkannt wurde, daß in allen Fällen der Anwendung der Gesetze, die in letzter Zeit zur Erörterung kamen, die erforderliche Dispens ertheilt wurde. Ich will auf die soziale Bedeutung nicht näher eingehen und auf das, was Herr Dr. Ratzinger aus­ geführt hat. Wenn gesagt wird, daß eine Beeinträchtigung der armen Ver­ wandten schon nach kanonischem Recht nicht vorkommen kann, so weiß ich nicht, wie sich dieß mit den Ausführungen des Herrn Abg. Lerno bezüglich des Pflichttheils deckt. Es wird nicht immer angezeigt sein, daß die Deszendenten mit dem Pflichtteil abgefunden werden; es können auch Fälle eintreten, wo die Entziehung eines Vermögensthciles, der über den Pflichttheil hinausgeht, schon als eine unbillige Härte erscheint. Wenn Derartiges durch staatliche Aufsicht verhindert werden kann, so glaube ich, ist dieß im Interesse der Allgemeinheit; sind es auch nur wenige Fälle, die im Laufe der Zeit vor­ kommen, so ist es doch gut, ein Mittel zu haben, um überhaupt zu verhüten, daß solche Dinge vorkommen. Ich glaube, daß dieß etwas ist, was für die Beibehaltung dieser Gesetze spricht. Ich bin so wenig kapitalistisch, wie irgend einer der Herren im Ausschüsse, und es ist gewiß nicht zu verkennen, daß Fälle vorkommen, in denen einzelne Gesellschaften, z. B. Aktiengesellschaften, Vermögen in einer Weise erwerben, die zu tadeln ist. Aber es ist doch ein kleiner Unterschied in dieser Beziehung. Dort handelt es sich um ausge­ sprochene Erwerbsgesellschaften, und auch diese sind nicht ohne alle Aufsicht des Staates, sondern unterstehen einer sehr strengen Aussicht; sie stehen nicht nur unter einer Verwaltungskuratel, sondern auch die Gerichte haben bezüglich derselben eine umfassende Thätigkeit zu entfalten. Ich meine daher, diese Dinge sollten nicht miteinander verglichen werden. Ich billige keinen Erwerb, der in der Weise erzielt wird, daß die Arbeiter dabei zu kurz kommen. Allein, meine Herren, das läßt sich nach meiner Meinung nicht zusammenstellcn mit

S 28 dem zur Verhandlung stehenden Gegenstände, das sind Dinge ganz ver­ schiedener Natur. Was die rechtlichen Ausführungen betrifft, so glaube ich, daß ich nicht allzuweit darauf einzugehen brauche, nachdem Herr Abg. Lerno jetzt selbst zu­ gegeben hat, daß er das rechtliche Bestehen der Amortisationsgesetze nicht in Zweifel ziehe. Er hat zuletzt eigentlich, wenn ich ihn recht verstanden habe, gesagt, daß es zwar Leute gibt, die sie in Zweifel ziehen, aber zu erkennen gegeben, daß er nicht dazu gehört. Ich glaube also, hierüber kein Wort weiter verlieren zu müssen, sondern mich auf das beziehen zu können, was von Seite des Herrn Kultusministers ausgeführt wurde. Aber bezüglich der Ausführungen des Herrn Ministers bin ich allerdings noch einigermaßen im Zweifel. Der Herr Minister hat diese Amortlsationsgesetze lediglich auf Klöster und ordensähnliche Korporationen bezogen; nach preußischem Landrecht ist aber der inländischen Kirche, gleichviel, ob sie katholisch oder nicht katholisch ist, also auch der protestantischen, tue Annahme von Geschenken und Vermächtnissen, welche die Summe von 500 Thalern übersteigen, ohne besondere Einwilligung untersagt. Ich bin nicht in der Lage, den Inhalt der einzelnen Gesetze zu reproduziren. Hier im preußischen Landrecht, ist eine Beschränkung auf Klöster nicht gemacht und ich bin im Augenblick nicht darüber im Klaren, ob durch eine spezielle Bestimmung diese Bestimmung des preußischen Landrechts modifizirt worden ist. Wenn dieß der Fall wäre, so würden ja die Ausführungen des Herrn Ministers zutreffen und der Herr Korreferent daraus auch die Unrichtigkeit seiner Anschauung nach der Richtung hin ableiten können, daß nämlich von diesem Gesetze nur die katholische Kirche betroffen werde; es würde überhaupt die ganze inlän­ dische Kirche hievon getroffen. Endlich habe ich noch einen Punkt hervorzuheben. Der Herr Abg. Lerno S 29 meint, es komme allerdings etn Kronrecht in || Frage, allem es handle sich um ein solches, auf welches sehr wohl verzichtet werden könnte, insbesondere im Hinblick auf andere Verzichte, welche zum Theil im gegenwärtigen Gesetze ent­ halten sind, z. B. die Großjährigkeitserklärung. Diese ist nun aber durch das Reichsgesetz bereits geregelt. Und wenn Herr Abg. Lerno darauf hinweist, daß nunmehr auch die Zusiändigkeit des Reichsgerichts erweitert wird und daß hierin ein Verzicht der Krone Bayerns auf etn Kronrecht liegt, so ist zu sagen, daß die Krone Bayerns in dieser Beziehung einen Vertrag mit den übrigen deutschen Bundesstaaten abgeschlossen hat, in welchem die Befugnisse, auf welche sie ver­ zichten will, klar dargelegt sind; hier liegt also schon etn älterer Akt der Krone vor. Uebrtgens partizipirt auch die Krone Bayerns an dem Reichsgericht genau so wie jeder andere Bundesstaat. Die Souveränität, welche desfalls ausaeübt wird, steht dem Königreiche Bayern genau so zu wie jedem andern Bundesstaate, und wenn im Namen des Reichs judizirt wird, so wird auch im Namen des Bundesstaates Bayern mitjudizirt, so daß man von einem allzu großen Verzicht nicht sprechen kann. Ich glaube, daß, nachdem wir Alle dahin einig gehen, daß wir ein möglichst einheitliches Recht für ganz Deutschland schaffen wollen, wir das, was auf diesem Gebiete geschehen ist, Alle sehr billigen können. Was die endgiltige Beschlußfassung betrifft, so wird bei diesem Stande der Dinge nichts übrig bleiben, als daß wir es bei den Regierungsvorschlägen einfach belassen. Wir werden nicht in der Sage fein, rote der Herr Kultus­ minister bereits angedeutet hat, eine Einigung bezüglich einer anderweitigen Regelung der Amortisationsgesetze herbeizuführen, und so muß man beim bis-

herigen Zustande bleiben, bis einmal die Möglichkeit herantritt, die Materie ®- 29. einheitlich zu regeln. Mein Antrag geht also dahin, es bei der Einstellung der Artikel 86 und 87 des Einführungsgesetzes in Artikel 1 zu belassen und den Antrag „Fuchs und Genossen" abzulehnen. Der Ausschuß beschließt hierauf bei Stimmengleichheit durch Stichentscheid des Vorsitzenden unter Ablehnung des Antrags „Fuchs und Genossen" die Einstellung der Artikel 86 und 87 des Einführungsgesetzes zum Bürger!. Gesetz­ buch in den Artikel 1 des Gesetzentwurfs.

Artikel 88. Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 88): Auch hier wird es sich um diejenigen Vorschriften handeln, die wir soeben behandelt haben. Nur glaube ich, daß hier die Landesgesetzgebung durch Artikel 86 nicht gebunden, sondern in der Lage ist, die bisherigen Gesetze gegenüber den Ausländern einfach auf­ recht zu erhalten, soweit kirchliche Institute in Frage kommen. Ich weiß nicht, ob gesetzliche Bestimmungen auch auf andern Gebieten bestehen, und wäre für erne solche Mittheilung außerordentlich dankbar. Abg. Lerna (Korreferent): Im Nachgang zu der eben stattgehabten Debatte erkläre ich, daß ich damit einverstanden bin, wenn die bestehenden Amortisatlonsgesetze für den Erwerb durch Ausländer in Geltung bleiben. Im Uebrigen habe ich nichts gegen den Vortrag des Herrn Referenten zu erinnern. Der k. Staatsmlnister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Der Artikel 88 ist hauptsächlich wegen der Amortisationsgesetze ausgenommen worden; in Betracht kommt übrigens auch das in der I. Beilage zur Verfassungsurkunde enthaltene Retorsionsrecht. Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 89. Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 89): Ich habe hier in meinem Berichte bereits darauf hingewiesen, daß hier wohl in Frage kommen das bayerische Landrecht Th. II. Kap. 6 § 24 und das preußische Landrecht Th. I Tlt. 14, §§ 413—465. Im Allgemeinen, glaube ich, ist gerade dieses Recht in den deutschen Staaten nicht im weiten Umfang anerkannt, obwohl mir spezielle Bestimmungen nach dieser Richtung nicht bekannt sind. Ich weiß nicht, ob vielleicht die Regierung hier in der Lage ist, mir mittheilen zu können, ob wir noch in anderen Gebieten ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen haben, ob sich ein Her­ kommen nach dieser Richtung gebildet hat u. dgl. Jedenfalls wäre es angenehm, wenn hier ein möglichst einheitliches Recht geschaffen würde; aber ich glaube mich zu erinnern, es steht auch in den Motiven, daß für später eine Regelung dieser Gegenstände in Aussicht genommen ist. Wenn dieß der Fall, dann würde eine kurze Beantwortung meiner Frage genügen und wir könnten den Gegenstand weiter zurückstellen. Der k. Staatsminister der Justiz: Es ist beabsichtigt, das Privatpfändungs­ recht zum Gegenstand eines besonderen Gesetzentwurfs zu machen, welcher voraussichtlich schon dem nächsten Landtag vorgelegt werden wird. Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 90. Der k. Staatsminister der Justiz: Auf Aufrechterhaltung dieses Artikels wird verzichtet; für die Justizverwaltung kommen nur die pfälzischen HypothekenBecher, Materialien. IV 13

S. 29

bewahrer in Frage und auch diese nur für die Zeit bis zur Fertigstellung des Grundbuchs. Bon der Fmanzverwaltung ist erklärt worden, daß wegen der pfälzischen Notare auf diesem Artikel nicht bestanden wird.

Abg. Wagner (Referent): Ich habe bei meinen Nachforschungen gefunden, daß es eine hier einschlägige Allerhöchste Entschließung vom 27. April 1808 gibt; sie wird aber wahrscheinlich nicht mehr praktisch sein. Nachdem jedoch Seitens der Regierung darauf verzichtet wird, habe ich nichts dagegen zu erinnern, wenn Artikel 90 gestrichen wird.

Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 109. Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 109): Was diesen Artikel betrifft, so haben wir im Allgemeinen das Expropriationsgesetz vom Jahre 1837, welches beim zweiten Entivurf weiter zu besprechen sein wird. Ich habe mir Mühe gegeben, eine ältere Bestimmung zu finden, und habe nur eine einzige gefunden, nämlich die Verordnung vom 3. Juli 1812 über die Verwendung von Gemeindeoder Privatgründen als Kiesgruben oder Steinbrüche zum Chausseebau. Diese Verordnung wird wohl noch rechtsgiltig fein. Ich möchte mir die Anfrage erlauben, ob noch andere gesetzliche Bestimmungen hier als einschlägig betrachtet werden können. Der k. Staatsminister der Justiz: Zu Artikel 109 kommen insbesondere pfälzische Vorschriften in Betracht. S 30.

Abg Michel: Ich darf vielleicht hervorheben, daß unter anderen auch noch das Gesetz vom 9. ventöse XIII, besonders der VI Artikel als noch bestehend zu erachten ist, ferner das Gesetz vom 16. September 1807, betr. relative au dessechement des marais, Artikel 50, 53, 54, dann das Dekret vom 8. bezw. 10. Juli 1791, concernant la Conservation et le classement des places de guerre etc ; dazu kommen noch eine Reihe anderer Bestimm­ ungen, die ich aber nicht näher aufführen will.

Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 111. Abg. Wagner (Referent) (verliest Artikel 111): Hier muß ich gestehen, daß ich mir allerdings sehr unklar darüber bin, welche Vorschriften hier in Frage kommen könnten. Hier könnten vielleicht nach den Bauordnungen, die aber nicht einschlägig sein dürften, noch die Forstordnungen einschlägig sein. Ich würde um Aufklärung bitten. Der k. Staatsminister der Justiz: Einschlägig sind z B. die Verordnung vom 16. August 1805 über die Staatsstraßen, dann einige Pfälzer Vorschriften, wie die Ordonnanz von Ludwig XIV. vom August 1669 sur le fait des eaux et forets.

Abg. Wagner (Referent): Ich meine, es dürfte doch angezeigt sein, diese Vorschriften durch neue gesetzliche Bestimmungen zu beseitigen. Ich halte es für mißlich, wenn man immer so weit zurückgehen muß. Doch das geht in erster Linie die Pfälzer Herren an. Abg. Dr Casselmann: Ich möchte nochmals anregen: Mit Rücksicht darauf, daß wir im gegenwärtigen Momente unüberwindliche Schwierigkeiten haben werden, diese Codifikation vorzunehmen, möchte ich darauf Hinweisen, daß wir uns es für die Zukunft vorbehalten sollen, alle diese Rechtszersplitterungen in einzelnen Materien durch eine einheitliche Codifikation zu regeln.

Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 131. S. 30. Ich mache darauf aufmerksam, daß der Artikel 131 in dem Entwurf des Aussührungsgesetzes nicht vorgetragen ist, wohl aber kommt er vor im schrift­ lichen Referate. Abg. Wagner (Referent): Was den Artikel 131 betrifft, so handelt der­ selbe von dem sogenannten Stockwerkseigenthum. Es ist in den Motiven aus­ geführt, daß die Nlchtemführung des Artikel 131 in den Artikel 1 die Bedeutung hat, daß in Zukunft ein neues Stockwerkseigenthum nicht mehr solle begründet werden können. Nun möchte ich m dieser Beziehung Aufklärung zunächst darüber erbeten, wie sich diese Bemerkung der Motive gegenüber dem Artikel 20 des pfälzischen Liegenschaftsrechts verhält Es wird wohl anzunehmen sein, daß dieser Artikel nicht die Neubegründung von Stockwerkseigenthum für die Zukunft im Auge hat, sondern nur die Regelung des bisherigen Stockwerks­ eigenthums. Die Frage, ob die Begründung von Stockwerkselgenthum für die Zukunft vollständig ausgeschlossen werden soll, halte ich einigermaßen für zweifelhaft. Ich wohne in einer Gegend, wo dasselbe tn ausgedehntem Um­ fange besteht Der Memminger Bezirk wird wohl dee größte sein, ut welchem dasselbe vorkommt im diesseitigen Bayern. In der Pfalz scheint es ebenfalls sehr verbreitet zu sein. Es hat einen Nachtheil in baulicher Beziehung, der bauliche Charakter namentlich einer Stadt leidet darunter. Denn wenn der eine Theilnehmer eines solchen Stockwerkseigenthums tn der Lage ist, bauen zu können, dann ist es der andere nicht oder er mag nicht. Daraus ergeben sich ab und zu Zerwürfnisse, aber im Großen und Ganzen kann ich konstatiren, daß es nicht viele Rechtsstreitigkelten gibt, die hieraus erwachsen. Ich habe z. B. fünf Jahre lang am Amtsgericht Memmingen die streitige Rechtspflege versehen, dort war während dieser Zelt nur eine einzige Miethsstreitlgkeit durch Endurthell zu verbescheiden, es waren noch andere angefallen, aber diese erledlgten sich meist gütllch, und im Allgememen sind dort die Miethprozesse sehr wenig, so daß die soziale Wirkung hlevon meiner Memung nach als un­ günstig nicht betrachtet werden kann. Nun aber hat das Stockwerkselgenthum auch Vortheile; es ermöglicht den kleinen Leuten, um etn verhältnißmäßig geringes Geld sich ein sicheres Eigenthum zu erwerben, und die Leute, die sich derartigen Besitz erwerben, sind im Allgemeinen solche Elemente, die zu den soliden zu rechnen sind. Es ist hervorzuheben, daß gerade bei diesen Leuten eine große Nüchternheit und Einfachheit des Lebens und eine außerordentliche Regsamkeit und Sparsamkeit besteht, wie dieß vielleicht bei anderen Leuten nicht in dem Maße vorkommt, und es dürfte zu vermuthen sein, daß diese Leute gerade durch die Thatsache, daß sie ein gesichertes Herm, eine Scholle haben, iue sie ihr Eigen nennen, dazu veranlaßt werden, möglichst wirthschaftlich zu verfahren. Wenn das der Fall ist, so glaube ich, daß eigentlich keine Ver­ anlassung gegeben wäre, für die Zukunft die Gründung eines neuen Stockwerks­ eigenthums unmöglich zu machen. Wenn man das aber nicht will und sagt, daß ein verhältnißmäßig kleiner Bezirk, hier in Frage kommt, so möchte ich auf einen andern Gesichtspunkt noch Hinweisen, der allerdings weniger hier zutrlfft, als für die Uebergangsvorschrlften, die uns noch vorzulegen sind, von Belang ist; denn die Verhältnisse bezüglich dieses Stockwerkseigenthums werden nach memer Meinung noch Jahrhunderte dauern. Nun sind die rechtlichen Zustände dieses Stockweikseigenthums sehr unsicher; gesetzliche Bestimmungen sind eigentlich so gut wie nicht vorhanden oder doch nur in geringem Maße. Ich wäre sehr dankbar, wenn in dieser Beziehung weitere Mittheilungen gemacht werden könnten über die gesetzlichen Bestimmungen, die bestehen.

S. 30.

Ich glaube, es würde nichts im Wege stehen, wenn wir den Artikel 20 des pfälzischen Liegenschaftsrechts zusammen mit der Bestimmung des Code civil für das ganze Königreich Bayern einführen würden. Im Allgemeinen ist das Stockwerkseigenthum klar geregelt und für unklare Punkte hat das pfälzische Recht Abhckfe getroffen durch Artikel 20. Dre Konstruktion würde sich nach meiner Meinung mit unserm Rechte vollständig vereinbaren lassen, und ich würde bitten, daß man uns m den Ausführungsbestimmungen eine solche Vor­ lage macht. Was die weitere Anregung in meinem gedruckten Referate betrifft, nämlich daß für jedes Stockwerkseigenthum im Grundbuch ein eigenes Folium angelegt werden solle, so weiß ich, daß durch die ergangene Instruktion dieser Anregung ohnehin bereits Rechnung getragen ist; dieselbe hat also m Wegfall zu kommen. Es muß ein besonderes Folium hiefür bestehen und in Memmingen haben wir unzählige solche Folien. Ich weiß ein Haus, das nicht weniger als 11 ver­ schiedene Folien hatte.

S 31.

Der k. Staatsminister der Justiz: Die gewünschten Uebergangsvorschriften erscheinen demnächst in dem Entwurf und zwar ganz adäquat mit dem Artikel 20 des Gesetzes über das pfälzische Liegenschaftsrecht. Was die weitere Frage bezüglich des Abs. 3 anlangt, so ist sie dahin zu beantworten, daß die frag­ liche Bestimmung, die der Herr Referent angedeutet hat, in der Verordnung über die Anlegung des Grundbuchs rechts des Rheins vom 3. Juli lfd Js. als § 17 und in der Bekanntmachung vom 1. Oktober lfd. Js für die Pfalz als § 73 steht. Es ist also allen Wünschen bereits vollständig Rechnung getragen. Abg. Wagner (Referent): Würde der Herr Minister nicht Veranlassung nehmen, wegen der Zulässigkeit des künftigen Stockswerkeigenthums eine Aeußerung zu machen? Senatspräsident Dr. von Jucnbezky: Ueber diese Frage ist schon vor längerer Zeit, als der Redaktorenentwurf zum Sachenrecht des Bürger!. Gesetz­ buchs der bayerischen Regierung zukam, eine Erhebung im Königreiche angestellt worden und dabei hat sich herausgestellt, daß es nur wenige Bezirke sind, in denen die Begründung solcher Rechte noch vorkommt. Derjenige Berzirk, in dem es am meisten geschieht, ist der Bezirk des Amtsgerichts Memmingen. Es sind m den fünf Jahren, auf die sich die Erhebungen erstreckten, dort 70 neue Stockwerkseigenthumsrechte begründet worden. Während m der Mehrzahl der anderen Bezirke gar feine Neugründungen vorkamen, wurde in einem erheb­ lichen Theile von Bezirken, in denen solche Verhältnisse häufiger Vorkommen, von deren Lösung berichtet. Insbesondere tritt letztere Erscheinung in München in den Vorstädten rechts der Isar zu Tage. Es ist auch, wie ich mich erinnere, vor einigen Monaten im Gemelndekollegium oder im Magistrate die Abnahme der Herbergsrechte zur Sprache gekommen. Bei der geringen Bedeutung, welche das Stockwerkseigenthum noch hat, dürfte es nicht veranlaßt fein, dieses Institut in das künftige Recht aufzunehmen. Den Vortheilen, die es hat, stehen auch gewisse Mißlichketten gegenüber. Ich errinnere mich aus der Zeit, als ich in die juristische Praxis eintrat, daß zwar Civilprozesse über Streitig­ keiten aus dem Herbergsverhältuisse nur selten Vorkommen, daß aber die Streitigkeiten meist mit der Faust erledigt werden und dann die Sache vor das Strafgericht kommt. Daß Houser, die z. B. tm Eigenthum von elf Familien sind, sich nicht im besten baulichen Zustande befinden, kann nicht auffallen, da ein Jeder sich von der Theilnahme an den Reperaturen wegschraubt, so gut es nur möglich ist.

Das Stockwerkseigenthnm bietet insofern einen Vortheil, als es einen S. 31. Theil des Hauses einer Familie zur ausschließlichen Benützung zuweist; ein großer Nachtheil liegt aber darin, daß dieser Theil thatsächlich nicht selbständig ist und man in Folge dessen genöthigt ist, in dauernder Gemeinschaft mit Leuten zu bleiben, die man sich nicht zu Genossen gewählt hat und die auch wechseln können, ohne daß man irgend einen Einfluß darauf hat. Ich glaube daher, daß es nicht wünschenswerth ist, dieses Institut für die Zukunft aufrecht zu erhalten. Die bestehenden Verhältnisse dieser Art müssen selbstverständlich gewahrt werden. Daß dieß die Meinung der Regierung ist, sehen Sie schon daraus, daß Vorschriften wegen der Eintragung in das Grundbuch ergangen find, und wie von Seite des Herrn Ministers mitgetheilt wurde, sind auch Uebergangsvorschriften für die Landestheile rechts des Rheins beabsichtigt, durch welche die Verhältnisse für die Zukunft einheitlich geregelt werden.

Abg. Wagner (Referent): Ich begrüße es, daß die bestehenden Verhält­ nisse durch die Uebergangsbestimmungen eine einheitliche und sichere Regelung sinden sollen. Nach den Darlegungen des Herrn Mmisterialkommissärs wird es keine Aussicht haben, wenn ich den Antrag stelle, daß auch für die Zu­ kunft Stockwerkseigenthumsrechte sollen begründet werden können. Ich muß zugeben, daß das Geltungsgebiet dieses Rechtsinstituts ein verhältnißmäßig kleines ist, und man wird wohl Mittel und Wege finden, daß das desfalls bestehende Bedürfniß in den Formen des Bürger!. Gesetzbuchs genügende Er­ füllung finden kann. Ich stelle deßhalb nur den Antrag, daß es bei der Weg­ lassung des Artikel 131 des Einführungsgesetzes aus Artikel 1 des Ausführungs­ gesetzes sein Bewenden haben soll. Abg. Lrrno (Korreferent); Ich kann mich auch nicht dafür erwärmen, daß dieses Institut noch ferner begünstigt werden soll, daß man weitere Stockwerkseigenthumsrechte begründen kann. Ich bin mit der Regierungsvorlage einverstanden. Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 132.

Abg. Wagner (Referent) (verliest den Artikel): Hier handelt es sich um cme Materie, welche ebenfalls sehr schwierig ist und die zum Theil tit das öffentliche Recht einschlägt. Ich habe in meinem schriftlichen Bericht darauf hingewiesen, wo die dermalen geltenden Bestimmungen sich vorfinden. Ich glaube, es wird dabei sein Bewenden haben können. Es wäre wünschenswerth, daß auch hier eine einheitliche Regelung erfolgt; aber ich habe schon in meinem Berichte bemerkt, daß wir es für den Augenblick nicht machen können; für eine Erkürung aber, dahingehend, es solle diese Materie in'8 Auge gefaßt werden, wäre ich sehr dankbar; denn es wäre sehr wünschenswerth, wenn die Sache einmal klar gestellt wird

Der k. Staatsministcr des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten: Die Erklärung, daß eine einheitliche Regelung der Kirchenbaulast und der Schulbaulast in's Auge gefaßt ist, vermag ich nicht abzugeben. Was zunächst die Kirchenbaulast betrifft, so handelt es sich um privatrechtliche Bestimmungen, mit deren Auslegung sich die Gerichte zu beschäftigen haben, und das Kultus­ ministerium ist daher nicht in der Lage, über das Bedürfniß nach Vereinheit­ lichung dieser Bestimmungen ein sicheres Urtheil abzugeben. Ich weiß aller­ dings, daß vielfach der Wunsch nach Codlfikation der Bestimmungen über die kirchliche Baulast besteht; daß aber dieser Wunsch laut wird, ist hauptsächlich darin begründet, daß diejenigen, die baupflichtig sind, die Baulast auf andere

S. 31. Schultern abschieben möchten. Es handelt sich hier um einen Kampf der Interessen. Es wird schwer gehen, diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Wenn wir die Kirchenbaulast heute auf den Staat übernehmen würden, würden wir natürlich eine sehr weitgehende Zustimmung finden (Heiterkeit); allein ob man so weit gehen kann, scheint mir doch sehr zweifelhaft. Ich für meine Person muß daher erklären, daß ich die einheitliche Regelung der kirch' lichen Baulast zur Zeit noch nicht m's Auge gefaßt habe Was die Schul­ baulast anlangt, so liegen ähnliche Verhältnisse vor. Die Baulast au VolksS. 32. schulen ist nach dem Schulbedarfsgesetz Sache der politischen Gemeinde, soweit nicht dieser Aufwand zufolge prwatrechtlicher Verpflichtung von anderen Pflich­ tigen geleistet werden muß. Diese Pflichtigen können sein der Staat, Stift­ ungen (insbesondere Kirchenstiftungen wegen des mit dem Schuldienste ver­ bundenen niederen Kirchendlenstes), sodann Gutsbesitzer und andere Private. Die Baulast an Schulgebäuden datlrt zum Theil auf die Zeit der Reformatiou zurück, zum Theil rührt sie von der Säkularisation her. Aus diesem Gesichts­ punkt ist besonders der Staat vielfach baupflichtig zu den Schulgebäuden. Daneben bestehen auch Baupflichtsverhültnisse der Gutsbesitzer, die aus dem gutsherrlichen Verbände sich entwickelt haben. In dieser Beziehung ist nun die Ablösung der Baupflicht bereits angeregt worden und zwar ist die Frage in Fluß gebracht worden durch die Beschlüsse des Landtags über die Ablösung der Komplexlastcn Hiebei wird übrigens auch die Kirchenbanlast in Frage kommen. Im Uebrigen wird ja auch die Revision des Schulbedarfsgesetzes Anlaß geben, auf die Frage der Regelung der Baupflicht an Schulgebäuden zurückzukvmmen Abg. Wagner (Referent): Angesichts der Erklärung Seiner Excellenz des Herrn Ministers sehe ich ein, daß wir im Augenblick und für die nächste Zeit auf diesem Gebiete nicht so weit kommen werden. Ich bescheide mich daher damit, daß es nicht wohl möglich sein wird, zunächst diesen Gegenstand zu regeln. Ich bitte aber gleichwohl, denselben im Auge zu behalten.

Vorsitzender: Wir kommen zu Artikel 133.

Abg. Wagner (Referent): Artikel 133 betrifft die gesetzlichen Vorschriften über das Recht zur Benützung der Kirchenstühle und bezüglich der Erbbegräbnisse. Auch hier habe ich auf die Quellen hmgewiesen, welche vorhanden sind. Bezüglich der Erbbegräbnisse sind einschlägige Bestimmungen im Preußischen Landrecht Th. II Tlt. 11 §§461 und 185 und in Bezug auf Kirchenstühle Th. II Tit 11 §§ 676—685 maßgebend. Außerdem würden nach Schulte, Kirchenrecht IV. Ausl. S. 129 einschlägig sein einige Bestimmungen des kanonischen Rechts, z. B c. 13 q. 2 X de sepult. 3, 28. Ich weiß nicht, ob nicht die Möglichkeit gegeben wäre, hier für die Zukunft eine einheitliche Regelung in's Auge zu fassen. Ich würde hierüber um Aufklärung Seitens des Staatsmimsteriums bitten.

Der k. Staatsminister der Justiz: Reue Kirchenstuhl- oder Erbbegrübmßrechte iverden nicht mehr begründet. Für eine Codifikation der aus älteren Zeiten stammenden noch geltenden Rechte besteht kein Bedürfniß. Abg Wagner (Referent): Es ist aber durch die Aufnahme des Artikel 133 in den Artikel 1 des Gesetzes nach meiner Meinung dargethan, daß auch sür die Zukunft auf diesem Gebiet neues Recht geschaffen werden kann, und nach­ dem wir zersplitterte Bestimmungen auf diesem Gebiete haben, dürfte es doch wohl veranlaßt sein, hier einheitliches Recht zu schaffen.

Der k. Staatsminister der Justiz: Ich sagte nur, daß thatsächlich neue S. 32. Rechte dieser Art nicht mehr begründet werden. Rechtlich ausgeschlossen ist die Neubegründung nicht. Abg. Michel: Was die pfälzischen Gesetze anlangt, so darf ich darauf Hinweisen, daß Artikel 68, 69, 71 des Dekrets vom 30 Dezember 1809, die Fabrikräthe betreffend, hier einschlägig sind. Der Artikel 68 verbietet die Vermiethung eines Kirchenstnhls auf längere als Lebenszeit, Artikel 69 und 71 betreffen die Voraussetzungen einer solchen Miethe und bei einer Vermiethung gegen unbewegliches Gut die behördliche Ermächtigung. Artikel 72 bestimmt, daß derjenige, der eine Kirche baut, sich das Eigenthum eines Stuhles oder einer Kapelle für sich und seine Familie, solange sie existirt, vorbehalten kann. Artikel 73 desselben Dekrets betrifft die Errichtung von Denkmälern oder Grabmälern, die von behördlicher Genehmigung abhängig ist. Abg. Fuchs: Wenn der Herr Justizminister erklärt, neue Kirchenstuhl­ rechte können nicht mehr begründet werden, so wäre es nach meiner Meinung das Beste, diese Bestimmung in die Uebergangsvorschriften aufzunehmen und nicht in Artikel 1. Der k. Staatsminister der Justiz: Ich wiederhole, daß kein Grund vor­ handen ist, solche Rechte nicht mehr neu begründen zu lassen. Thatsächlich sind sie freilich schon seit langer Zeit nicht mehr neu begründet worden. Eine Zusammenstellung der einschlägigen Vorschriften kann nicht gegeben werden. Der k. Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten: Ich kann der negativen Erklärung des k. Staatsmiiilsters der Justiz beipflichten, insofern auch ich sagen muß, daß wir nicht tn der Lage sind, die gewünschten Zusammenstellungen zu geben. Unsere Akten sind nicht so vollständig, daß eine zuverlässige Zusammenstellung der einschlägigen Gesetze gemacht werden könnte Ich könnte hier nur entge Citate geben; allem Anspruch auf Voll­ ständigkeit würde das nicht haben. Abg Wagner (Referent): Wenn das nicht möglich ist, muß ich mich dabei bescheiden, ultra posse nemo tenetur. Doch die bestehenden Rechte müssen aufrecht erhalten werden und das kann zunächst nur tn der Weise geschehen, daß wir Artikel 133 in Artikel 1 stehen lassen. Ich bitte aber doch, diesen Gegen­ stand für die Zukunft im Auge zu behalten; es ist doch besser, wenn man wegen solcher Detailbestimmungen nicht immer wieder auf das Preußische Landrecht re. rcfurrtren muß. Vorsitzender: Artikel 133 ist erledigt. Ziff. 21 des Referats betrifft das Anerbenrecht. Abg. Wagner (Referent): In den Motiven ist dargelegt, daß eine Regelung dieser Materie für die Zukunft tn Aussicht genommen ist; also brauchen wir hierüber keine lange Diskussion Unsere Bauern sind einer Emsch änkung ihrer Dispositionsfähigkeit über den Grundbesitz nicht geneigt, sie wollen eine besondere Einschränkung in dieser Richtung nicht; allein ich gebe zu, daß hier auch eine Kehrseite besteht und daß vielleicht Bestimmungen getroffen werden könnten, welche im Interesse der Erhaltung des Bauernstandes auch sehr günstig wirken können, und wenn wir solche erlassen können, dürfte es auch Angemessen sein, das zu bieten. Eine Art des Anerbenrechts ist schon in dem Gesetze über die landwirthschaftlichen Erbgüter enthalten, und die geringe An­ wendung dieses Gesetzes beweist, daß das || Bedürfniß für derartige Rechts- S. 33.

S. 33

Institute bei uns nicht in ausgedehntem Maße gefühlt wird oder man doch nicht Lust hat, sich in solche Gesetzesschranken zu fügen. Vorsitzender: Nun hat das Referat noch zu Artikel 135 Bemerkungen gemacht.

Abg. Wagner ^Referent): Artikel 135 betrifft die Zwangserziehung: auch ihre Regelung ist für die Zukunft in Aussicht gestellt; möge sie baldmöglichst in Angriff genommen werden. Der k. Staatsminister der Justiz: Die Erhebungen für die Vorarbeiten sind bereits im Gange.

Vorsitzender: Wir kommen nun zu § 16 Nr. 1 des Einführungs­ gesetzes zur Reichs-Civllprozeßordnung. Abg. Wagner (Referent): Hier handelt es sich nur um die Aufrecht­ erhaltung der Beweiskraft der vor dem 1. Januar 1876 errichteten Civilstandsurkunden. Die im Berichte gemachte Bemerkung: „Es möchte nur fraglich sein, ob nicht eine einfachere Vorschrift, welche nicht zum Zurückgehen auf eine Reihe älterer Gesetze nöthigt, gegeben werden könnte und sollte", muß ich dahin modiftziren: Es wird das allerdings hier nicht wohl möglich und auch nicht veranlaßt sein, nachdem es sich nicht mehr um Neuschaffungen handelt; sondern es wir im einzelnen Falle immer nothwendig sein, wenn die Beweiskraft einer solchen Urkunde zweifelhaft ist, auf das ältere Recht zurückzugehen, und ich kann mich damit bescheiden, daß man es bei Einstellung des § 16 in Artikel 1 bewenden lasse Vorsitzender: Nun ist noch Artikel 1 Abs 2 des Entwurfs zu erledigen.

Abg. Wagner (Referent): Wir haben nun Abs. 1 des Artikel 1 erledigt und durch unsere Beschlüsse dahin modifizirt, daß Artikel 90 gestrichen ist, im Uebrigen aber der Artikel 1 nach der Regierungsvorlage angenommen ist. Was Abs. 2 betrifft, so sagt er: „Soweit in den m Kraft bleibenden Gesetzen auf örtliche Verord­ nungen oder auf das Herkommen verwiesen ist, behalten die bestehen­ den Verordnungen und das Herkommen ihre Geltung." Hier ist nun, was das Herkommen betrifft, vielleicht noch eine erläuternde Bemerkung Seitens der k. Staatsregierung wünschenswerth. Im Referate wies ich darauf hin, daß Roth in seinem Civilrecht von Herkommen in zweierlei Bedeutung spricht, einmal als gleichbedeutend mit Gewohnheitsrecht und dann wieder als gleichbedeutend mit Ersitzung. Es möchte also gesagt werden, rote das Wort „Herkommen" m Abs. 2 zu ver­ stehen ist. Dann möchte ich eine Erklärung, wie es sich bezüglich eines solchen Herkommens verhält, auf welches nicht in in Kraft bleibenden Gesetzen ver­ wiesen ist, welches aber doch für einzelne Rechtsinstitute maßgebend sein kann

Abg. Lrrno (Korreferent): Nach Abs. 2 unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß die Herkommen, die hier in Bezug genommen sind, sich auf die Gesetze vor dem 26. Mat 1818 beziehen. Der k. Staatsminister der Justiz: Zunächst möchte ich unregen, den Ein­ gang des Abs. 2 des Artikel 1 dahin zu ändern: „Soweit in den in Kraft bleibenden Gesetzen und in diesem Gesetze". Die Einschaltung der Worte.

AuZschußvechandl d. K. d. Abg. — 3. Protokoll.

193

„und in diesem Gesetze" ist dadurch veranlaßt, daß der Artikel 68 des Ent- S. 33. Wurfs auf das örtliche Herkommen verweist. Auf die Anfragen des Herr Referenten erwidere ich, daß unter den in Kraft bleibenden Gesetzen jede Rechtsnorm, also auch das Gewohnheitsrecht, zu verstehen, sowie daß der Ausdruck Herkommen natürlich im Sinne von Gewohnheitsrecht aufzufassen ist. Abg. Lerno (Korreferent): Wenn meine Auffassung richtig ist, daß das Herkommen, welches in Abs. 2 hier angeführt ist, sich nur auf diejenigen Ge­ setze oder auf diejenigen Rechtsinstitute, welche vor dem 26. Mai 1818 er­ lassen sind, bezieht, so wäre wohl der jetzt vorgeschlagene Beisatz nicht blos nicht nothwendig, sondern er könnte sogar zu Mißverständnissen Änlaß geben. Wenn diese Interpretation richtig ist, daß die vor dem 26. Mai 1818 ent­ standenen Rechtsinstitute Geltung behalten sollen, dann bleiben sie eben auf­ recht bestehen. Wenn wir aber „in diesem Gesetze" beisetzen, so könnte leicht ein Mißverstündniß entstehen und könnten also auch Herkommen nach 1818 darunter zu verstehen sein, ja es wäre sogar die Auffassung möglich, daß fortwährend noch weiteres Herkommen sich bilden kann, was ich für durchaus unzulässig halte.

Senatspräsident Dr. von Iacubezky: Artikel 1 des Gesetzes spricht zunächst den Gedanken aus, daß solche eivilrechtliche Vorschriften, die aus der Zeit vor der Erlassung der Verfassungsurkunde stammen, mit gewissen Aus)lahmen ihre Geltung verlieren sollen. Da diese Regel aufgestellt wird, muß man alle Ausnahmen, die man überhaupt machen will, hier machen. Eine Rechtsnorm, die aus der Zeit nach 1818 stammt, wird durch diesen Artikel

überhaupt nicht berührt, sondern bleibt, soweit sie in den Rahmen der Vorbehalte des Einführungsgesetzes und der sonstigen Reichsgesetze füllt, von vornherein unberührt. Nun können wir aber, soweit es sich um Herkommen handelt, nicht unterscheiden zwischen einem Herkommen, das sich zurückdatiren läßt auf die Zeit vor 1818, und einem solchen, das erst später entstanden ist. Die Frage soll auf den Gebieten, auf denen in den neueren Gesetzen auf Herkommen verwiesen ist, überhaupt nicht aufzuwerfen sein, es soll zwecklos sein, sie zu untersuchen. Es ist in den Motiven angeführt, daß sowohl die Gemeinde­ ordnung als auch die Wassergesetze Vorschriften enthalten, in denen auf das Herkommen und örtliche Verordnungen Bezug genommen ist, und daß das in diesen Gesetzen für maßgebend erklärte Herkommen soll in Kraft bleiben, es mag vor oder nach der Verfassungsurkunde entstanden sein. Wenn es nach der Verfassungsurkunde entstanden ist, bleibt es schon um deßwillen in Kraft, weil keine Vorschrift gegeben wird, die cs beseitigt; wenn es aus der Zeit vor der Verfassungsurkunde stammt, so würde die allgemeine Norm des Abs. 1 es be­ seitigen, wenn nicht der Abs. 2 es aufrecht erhielte. So verhält es sich auch mit dem Herkommen nach Artikel 68, in welchem das Anwenderecht behandelt ist. Dieses Herkommen wird in der Regel älter sein als die Verfassungsurkunde; es soll aber nach Artikel 68 bestehen bleiben, also nichts durch den Artikel 1 S. 34. Abs. 1 aufgehoben werden. Damit nun nicht ein scheinbarer Widerspruch besteht zwischen Artikel 1 und Artikel 68, dürfte es redaktionell richtiger sein, im Abs. 2 des Artikel 1 darauf hinzuweisen, daß auch dieses Gesetz einen solchen Vorbehalt enthält. Was dagegen das Herkommen auf denjenigen Gebieten anlangt, die im Abs. 1 schon ausgenommen sind von der aufhebenden Vorschrift des Abs. 1, also auf dem Gebiete der Vorbehalte, die wir jetzt der Reihe nach besprochen

S. 34. haben, so gehört das Herkommen, soweit es in diesen Materien überhaupt als Rechtsquelle m Betracht kommt, eben zu den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, von denen hier die Rede ist. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sind nicht blos gesetzliche, sondern auch auf einem Gewohnheitsrechte beruhende, und das Gewohnheitsrecht muß nicht gerade em allgemeines sein, es kann auch ein sogenanntes partikuläres sein, wie wir es in größeren und kleineren Bezirken haben. Die Sache ist also so: Das Herkommen, das sich bezieht auf eures der Rechtsinstitute, die ui Abs. 1 Vorbehalten sind, ist schon durch den Abs. 1 gedeckt. Das Herkommen dagegen, welches sich auf andere Materien bezieht, füllt weg, soweit es aus der Zett vor der Verfassungsurkunde stammt und nicht nn Abs. 2 vorbehalten ist. Aus der späteren Zeit stammendes Her­ kommen bleibt bestehen, da eine Derogation für das neuere Recht überhaupt nicht allgemein ausgesprochen wird, aber selbstverständlich nur innerhalb der Schranken, die allen Landesrechten durch die reichsgesetzlichen Vorschriften gezogen sind. Abg. Geiger: Wenn ich richtig verstanden habe, so wird von der Staatsreglerung zugegeben werden müssen, daß auf Grund der nach Artikel 1 aus­ nahmsweise in Kraft bleibenden Gesetze neues Herkommen, das Nicht bereits im Jahre 1900 begründet ist, als Rechtsquelle nicht mehr gebildet werden kann. Ich bitte um Antwort. Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Wenn m den Gesetzen, die in Kraft bleiben, sei es m denjenigen, die hier Vorbehalten sind, sei es nt den­ jenigen, die dadurch Vorbehalten sind, daß wir grundsätzlich die seit 1818 er­ lassenen Gesetze nicht aufheben, auf Herkommen verwiesen ist und be^ Sinn der Verweisung, wie ich glaube annehmen zu dürfen, der ist, daß auch neues Herkommen sich bilden kann, so wird hierin nichts geändert; die Verweisung auf das Herkommen bleibt so, wie sie jetzt besteht, ui Wirksamkeit. Dafür brauchen wir keine besondere Vorschrift. Ein Bedürfniß, eine besondere Vor­ schrift zu geben, besteht lediglich insoweit, als es sich darum handelt, klar zu stellen, daß die Aufhebungsvorschrift des Abs 1 ein solches Herkommen nicht trifft, welches m aufrecht erhaltenen Gesetzen ni Bezug genommen ist. Also, wenn ich die Sache konkret bezeichne, ein Herkommen, das in dem Wasser­ benützungsgesetz, der Gemeindeordnung und in Ansehung des Anwenderechts für maßgebend erklärt ist, soll auch dann in Kraft bleiben, wenn sich nach­ weisen läßt, daß es älter ist als die Verfassungsurkunde.

Abg. Geiger: Ich weiß nicht, ob ich den Herrn Ministerialkommissür richtig aufgefaßt habe. Zu meiner Frage hat mich veranlaßt die Motivirung in dem später zu berathenden Abünderungsgesetze bezüglich der Artikel über die Wassergesetze. Es ist dort ausgesprochen, daß das Herkommen, welches auch m Zukunft geschützt wird, sich nicht mehr weiter bilden könne, d. h. daß sich ein neues Herkommen nicht mehr als Rechtsquelle einführen lasse, sondern nur dasjenige Herkommen in Betracht kommen dürfe, welches sich bereits rechtlich gebildet hat. Es wird diese Folgerung auch aus der Verbindung mit den Bestimmungen des Bürger!. Gesetzbuchs sich ableiten, und das hat mich ver­ anlaßt, klar zu stellen, wie es ferner gehalten wird in Bezug auf die nach Artikel 1 ausnahmsweise noch fortbestehenden älteren Gesetze, nämlich ob auch dort das Herkommen, soweit es eine Rechtsquelle nach diesen Gesetzen ist, mit dem Jahre 1900 als Neubildung aufzuhören hat. Senatsprüsident Dr. von Jacubezky: Ich glaube, daß der Herr Abg. Geiger die Bemerkungen auf Sette 96 der Motive des zweiten Entwurfes

(Beil. B) mißverstanden hat. Dort steht nicht, was er sagt. Es steht kein Wort S. 34. davon da, daß neues Herkommen sich nicht mehr bilden könne, sondern es ist am Schlüsse gesagt: „Bestehende Verordnungen und das schon begründete Herkommen behalten nach Artikel 1 Abs. 2 ihre Geltung auch insoweit, als sie aus der Zeit vor Erlassung der Verfassungsurkunde stammen." Ich wiederhole, die allgemeine Aufhebungsvorschrift des Artikel 1 Abs. 1 würde ein solches Her­ kommen beseitigen, wenn wir nicht eine Ausnahme machten. Aber es ist nicht gesagt, daß ein Herkommen, das sich nach dem Wasserbenützungsgesetze noch bilden kann, sich in Zukunft nicht mehr soll bilden können. Gesagt ist nur, daß die Ersitzung nicht mehr stattfinde; aber Ersitzung ist etwas Anderes als Herkommen und für die Aushebung der Ersitzung ist unter Anderem angeführt, daß der Bedeutung, die das längere Bestehen von gewissen Verhältnissen be­ anspruchen kann, schon durch die Berücksichtigung des Herkommens Rechnung getragen ist. Diese Bemerkungen hätten nicht gemacht werden können, wenn man von der Ansicht ausgegangen wäre, daß von nun an kein Herkommen mehr sich bilden kann, daß man für das Bestehen eines Herkommens sich auf den Zustand, der nach dem 1. Januar 1900 bestanden hat, nicht soll berufen können. Es handelt sich dort lediglich darum, klar zu stellen, daß die Auf­ hebungsklausel des ersten Absatzes des Artikel 1 keinen Einfluß hat auf ein Herkommen, das in den in Geltung bleibenden Gesetzen zugelassen ist. Abg. von Walter: Der Herr Ministerialkommissär hat ganz Recht mit der Aufstellung, daß wir durch diese Bestimmungen in Abs. 2 des Artikel 1 die Möglichkeit sichern wollen, daß auch nach dem Jahre 1900 man sich auf die Herkommen berufen darf. Es ist das aber eine andere Frage als die, die der Herr Abg. Geiger gestellt hat. Der Herr Abg. Geiger hat gefragt, ob sich jetzt nach dem Jnslebcntreten des Bürgert. Gesetzbuchs außerhalb der Gesetze noch ein neues Herkommen bilden kann. Der Herr Ministerialkommissär hat die Frage bejaht. Run glaube ich, wird in dieser Beziehung kaum eine voll­ ständige Uebereinstimmung hergestcllt werden können. Ich sehe z. B., daß in der Ausgabe des Bürger!. Gesetzbuchs von Fischer-Henle zu Artikel 2 des Ein­ führungsgesetzes ausdrücklich die Bemerkung enthalten ist: „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches ist jede Rechtsnorm" und die Bemerkung dazu sagt: „Das partikulare Gewohnheitsrecht kann sich nicht weiter bilden; dagegen ist die Bildung eines gemeinen Gewohnheitsrechtes an sich nicht ausgeschlossen." Also in der Gemeindeordnung ist nur von einem partikularen Gewohnheits­ rechte die Rede. Das kann aber kein allgemeines Gewohnheitsrecht bilden. Es ist das nur in einem kleinen Bezirke möglich, daß sich ein solches Gewohnheits­ recht herausbildet. Wenn aber das || nicht mehr zulässig ist und wenn man sich g. 35, auf diesen Artikel beruft, so wird die Frage, die der Herr Abg. Geiger gestellt hat, zu verneinen sein. Senatspräsident Or. von Jacubrzky: Die Bemerkung in der Ausgabe von Fischer-Henle ist ganz richtig, aber der Herr Vorredner hat dasjenige, worauf es ankommt, nicht betont, daß partikulares Gewohnheitsrecht sich „gegenüber dem Bürger!. Gesetzbuch" nicht bilden kann. Artikel 2 der Reichs­ verfassung sagt, daß es nicht möglich ist, daß ein Satz des Reichsrechtcs durch ein partikulares Gewohnheitsrecht abgeschafft wird. Das ist ausgeschlossen: aber hier haben wir es nicht mit Reichsgesetzen zm thun, sondern mit bayeri­ schen Landesgesetzen und gegenüber den bayerischen Landesgesetzen gilt auch ein partikulares Gewohnheitsrecht in dem Sinne, daß sein Gebiet sich auf einen Theil des Königreichs beschränkt, soweit das Landesgesetz ein solches

196

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

S. 35. Gewohnheitsrecht zulüßt. Die bayerischen Landesgesetze machen im Allgemeinen ebenso Anspruch, für das ganze Königreich einheitlich zu gelten, wie die Reichs­ gesetze einheitliche Geltung für das Reichsgebiet beanspruchen. Aber es ist in einigen Gesetzen, die ich schon angeführt habe, zugelassen, daß besondere partikulare Rechtsnormen entstehen durch Gewohnheitsrecht, durch Herkommen und soweit das zugelassen ist, soweit soll es auch in der Zukunft dabei sein Bewenden haben und soll lediglich dafür Vorsorge getroffen werden, daß nicht aus der Fassung des Artikel 1 Abs. 1 gefolgert werden kann, daß ältere Gewohnheitsrechte dieser Art aufgehoben feien.

Abg. von Walter: Ich weiß nicht, ob nach der Gemeindeordnung und nach den Wassergesetzen sich seit ihrer Proklamation noch neues Gewohnheits­ recht bilden kann. Ich fasse die betreffenden Bestimmungen so auf: Es wird verfügt, das gilt, soweit nicht durch Herkommen anders bestimmt ist. Das, glaube ich, muß aber nicht für die Zukunst angewendet werden, sondern das schließt die Anwendung auf die Zukunft aus und sichert nur den Rechtsbestand, der bereits bei Emanation des Gesetzes bestanden hat. Wenn man neben den jetzigen Gesetzen sich noch neues Herkommen bilden lassen will, dann soll man das Gesetzgeben überhaupt aufgeben, dann foll man die Leute draußen thun lassen, was sie wollen. Ich glaube, daß eine derartige Ausdehnung des Be­ griffes „Herkommen" und eine derartige Ausdehnungsmöglichkeit der Ent­ stehung des Herkommens zu weit geht. Die Gesetze bestimmen und bestimmen für die Zukunft und sie lassen nur etwas Anderes zu, soweit durch Her­ kommen aus früherer Zeit etwas Anderes bestimmt ist; aber in ungemesscne Ferne und für alle Zukunft die Entwicklung eines Herkommens fortbestehen zu lassen, das würde uns in außerordentliche Schwierigkeiten bringen und würde zu Prozessen führen, die nach meinem Dafürhalten keinen Werth haben. Wenn einmal ein Gesetz besteht, so gilt, was das Gesetz bestimmt; außerdem das noch, was zur Zeit der Emanation des Gesetzes als Herkommen bestand.

Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Es handelt sich jetzt, wie ich sehe, um die Auslegung einiger Vorschriften der Wassergesctze und der Ge­ meindeordnung. Nun glaube ich, kann man schon daraus, daß diese Gesetze von einem rechtsgiltigen oder rcchtsbegründeten Herkommen sprechen, schließen, daß man nicht lediglich ein Herkommen gemeint hat, wie es schon bestanden hat zur Zeit der Erlassung der Gesetze, so daß ein neues, eine Aenderung sich nicht mehr bilden könnte. Es handelt sich eben darum, gewissen besonderen Verhältnissen und lokalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, und da hat man ausnahmsweise, in einem engen Rahmen, dem Herkommen Raum gegeben. Aber wir brauchen uns nicht auf die Frage einzulassen, wie diese Gesetze aus­ zulegen sind. Es hängt das ja nicht von den Meinungen ab, die wir hier äußern. Für die Frage, die wir zu entscheiden haben, nämlich ob Abs. 2 des Artikel 1 angenommen werden soll, ist es vollständig gleichgiltig, ob sich nach diesen Gesetzen noch ein neues Herkommen bilden kann oder nicht. Wir haben blos zu sagen, daß, soweit das in diesen Gesetzen zugelassene Herkommen nicht nur zur Zeit der Erlassung der Gesetze von 1852 und 1869, sondern schon zur Zeit der Erlassung der Verfassungsurkunde von 1818 bestanden hat, dieses alte Herkommen gerade so in Geltung bleibt wie dasjenige, welches erst aus der Zeit nach 1818 stammt, und ob ein nach 1852 und 1869 ent­ standenes Herkommen noch Geltung erlangen konnte, das haben wir hier nicht zu entscheiden.

Abg. Geiger: Ein Theil dessen, was der Herr Ministerialkommissär S. 35. vorgebracht hat, wird von uns nicht bestritten. Wir sind auch nicht der Meinung, daß wir der Auslegung eines bestehenden Gesetzes hier vorgreifen können; das ist Sache der Behörden, welche die Gesetze anzuwenden haben; sondern es handelt sich um etwas Anderes. Es handelt sich um die Frage, ob wir bezüglich der noch in Kraft bleibenden Gesetze, welche iin Artikel 1 hcrvorgehoben sind, auch noch ein Gewohnheitsrecht als formale Rechtsguelle anerkennen sollen oder nicht. Das ist Sache der Gesetzgebung, ob eine Rechts­ quelle bei den bestehenden oder bezw. in Zukunft zu erhaltenden älteren Ge­ setzen noch fortdauern und noch fort sich entwickeln könne oder nicht. Dieser Zweifel ist in diesem Abs. 2 nicht gelöst; hingegen haben die Motive zu den Abänderungsgesetzcn und gerade zu den Wassergesetzen, wenn ich nicht irre, an zwei Stellen, jedenfalls aber an einer Stelle darauf Bezug genommen, daß ein weiteres Herkommen, wenn es nicht schon gebildet ist, sich nicht mehr weiter bilden könne. Und was bezüglich der neueren Gesetze, die auch aufrecht erhalten werden auf Grund des Einführungsgesetzes, Geltung hat, das wird auch Geltung haben müssen bezüglich der Gei'etze vor 1818. Ich habe nun eine Frage gestellt, bezüglich deren der Herr Ministerialkommissär allerdings eine Antwort gegeben hat, nämlich dahin, daß bei denjenigen Rechtsinstitnten und Gesetzen, welche vor dem Jahre 1818 erlassen wurden und in Geltung bleiben sollen, Gewohnheitsrechte sich fortentwickeln können und als Rechts quelle auch ferner noch in Betracht kommen. Daß ein Herkommen, welches als Recht begründet ist, bestehen bleibt, ist wohl selbstverständlich, wenn wir den Abs. 2 überhanpt annehmen; aber bezüglich der Fortentwicklung des Gewohnheitsrechts, des Herkommens, als Rechtsquelle, auf Grundlage der alten Gesetze vor 1818 habe ich Klarstellung gewünscht, weil mir die nun allerdings als möglich bezeichnete Neubildung eines Gewohnheitsrechts be­ denklich erscheint. Senatspräsident Dr. von Iacubezky: Diese Frage bezieht sich meines Erachtens nicht auf Abs. 2, sondern auf Abs. 1. Da auf dem im Abs. 1 vorbehaltenen Gebiete das Gewohnheitsrecht überhaupt nicht ausgeschlossen ist, wird es im gleichen Umfange wie bisher auch in Zukunft seine Kraft bewahren können. Es wird also in den || jenigen Angelegenheiten, auf die sich die S. 36. Artikel 56—59 des Einführungsgesetzes u. s. w. beziehen, auch in Zukunft die Bildung eines Gewohnheitsrechts möglich sein. So kann z. B. auf dem Gebiete der Kirchenbaulast sich noch ein gewohnheitsrechtlicher Satz entwickeln etwa durch die Praxis. Ich sehe keinen Grund ein, warum hier eine Ein­ schränkung eintreten soll. In der Theorie unterliegen alle Normen der Ein­ wirkung durch das Gewohnheitsrecht. Praktisch ist die Sache eine wesentlich verschiedene, je nachdem es sich nm neuere Gesetze handelt oder um derartige Rechte wie das sogenannte gemeine deutsche Recht. Gegenüber den fest be­ stimmten Vorschriften kann sich eine abweichende Rechtsübung viel schwerer bilden als gegenüber einem Rechte, das theils auf Gesetzen längst entschwundener Zeiten, theils auf Gewohnheitsrecht beruht. Die alten Gesetze, bei denen man mitunter nicht mehr recht weiß, was sie eigentlich sagen wollen, werden nach den Bedürfnissen der Zeit durch die Uebung umgemodelt und so entsteht ein Gewohnheitsrecht, dessen Inhalt von dem ursprünglichen Inhalt des alten Gesetzes weit verschieden ist. Abg. Wagner (Referent): Ich habe auch noch ein Bedenken. Nach meiner Meinung scheint der Hauptwerth des Abs. 2 darin zu bestehen, daß er sich

S. 36. auf Gesetze bezieht die nach dem Jahre 1818 erlassen sind, und nicht aus solche vor 1818, also hauptsächlich auf die Wasserbenützungsgesetze, die Ge­ meindeordnung und das Anwenderecht. Ich glaube, den Herrn Ministerialkommissär dahin richtig verstanden zu haben, daß er meint, daß künftighin sich ein Gewohnheitsrecht soll bilden können und zwar neues. Eine reich-gesetzliche Schranke besteht in dieser Beziehung nicht. Ein partikulares Gewohnheitsrecht kann sich soweit bilden, als die Landesgesetzgebung überhaupt zuständig ist. Es ist nun eine andere Frage die, ob, wenn wir in Abs. 2 ausdrücklich das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle in Bezug auf die neuen Gesetze statuiren, wir nicht eine Vorschrift dahin nothwendig haben, unter welchen Voraussetzungen sich das Gewohnheitsrecht für die Zukunft bilden soll. Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Die Frage, ob es überhaupt angeht, durch Gesetz zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen ein Ge­ wohnheitsrecht entsteht, ist bekanntlich eine Streitfrage. In der ersten Kom­ mission für das Bürgerl. Gesetzbuch hat man geglaubt, eine Vorschrift über die Geltung gewohnheitsrechtlicher Rechtsnormen geben zu sollen. Die zweite Kommission hat aber diese Vorschrift gestrichen. Es har sich die Mehrheit dahin entschieden, daß die Festsetzung gesetzlicher Bedingungen für das Zustande­ kommen eines Gewohnheitsrechts außerhalb des Machtbereichs des Gesetzgebers liegt. Das Gewohnheitsrecht gilt, weil es da ist, nicht weil der Gesetzgeber ihm seine Sanktion ertheilt hat. Das Gewohnheitsrecht ist eine der Gesetz­ gebung gleichstehende Rechtsquelle. Wenn es thatsächlich in Geltung gelangt ist, so gilt es, und Gesetze, die ihm die Geltung absprechen wollten, sind dadurch, daß es zur Geltung gelangt, insoweit ohne Weiteres abgeschafft. Da man nun bei Schaffung des Bürgerl. Gesetzbuchs und ebenso auch bei dem Handelsgesetzbuche diesen Standpunkt eingenommen hat, werden auch wir auf den Versuch verzichten müssen, eine gesetzliche Theorie der Entstehung des Gewohnheitsrechts aufzustellen. Die Sache hat übrigens eine für das Gebiet, mit dem wir hier zu thun haben, nur sehr geringe Bedeutung.

Abg. Lerno (Korreferent): Ich kann nur sagen, daß ich über die Aus­ führungen vom Regierungstische in höchstem Grade erstaunt bin. Ich finde es sehr begreiflich, daß man Herkommen zur Zeit oder vor der Zeit der Erlassung der betreffenden Gesetze respektirt, aber ich sollte ebenso meinen, man solle nach Erlassung dieser Gesetze ein Herkommen, durch welches möglicher­ weise Vorschriften dieser Gesetze außer Kraft treten, nicht mehr aufkommen lassen; dafür ist die Gesetzgebung da. Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Es liegt wieder ein Mißverständniß vor. Ich habe schon vorhin gesagt, daß die bayerischen Landes­ gesetze gerade so für das Landesgebiet wie die Reichsgesetze für das Reichs­ gebiet die absolute Geltung in Anspruch nehmen und daß ihnen gegenüber ein partikuläres Gewohnheitsrecht, d. h. ein für einen Theil des Landesgebietes geltendes Gewohnheitsrecht sich nicht bilden kann. Dem steht die Einheit des Rechtsgebietes entgegen. Das allgemeine Landesgesetz kann aber aus besonderen Gründen, nach seinem Ermessen, ein partikuläres, ein örtliches Herkommen zulassen, wie es die Gemeindeordnung und die Wassergesetze wirklich gethan haben, nicht allgemein, nicht für das ganze Gebiet dessen Regelung den Gegen­ stand des Gesetzes bildet, sondern für einige eng begrenzte Materien, für einige Punkte, deren einheitliche Regelung wegen der Besonderheit der örtlichen Ver­ hältnisse für unzweckmäßig erachtet wird. Nun sagen die Herren, die Gesetze von 1852 und 1869 haben schon vorhandenes Herkommen gelten lassen wollen,

Ausschußverhandl. d. K. d. Abg. — 4. Protokoll.

199

aber neues nicht. Wenn das die Absicht dieser Gesetze ist, dann bleibt es S. 36. dabei, der Artikel 1 ändert daran nichts. Er sagt nur: „Soweit in ben in Kraft bleibenden Gesetzen und in diesem Gesetze auf örtliche Verordnungen oder auf das Herkommen verwiesen ist, bleiben die bestehenden Verordnungen und das Herkommen in Geltung." Wenn also die Gesetze, auf welche verwiesen ist, so aufzufassen sind, daß nur das zur Zeit der Erlassung des Gesetzes bestehende Herkommen in Geltung erhalten wird, ein neues aber ausgeschlossen ist, so hat es dabei sein Bewenden; die Wassergesetze und die Gemeindeordnung werden ja in dieser Beziehung nicht geändert. Nach meiner persönlichen Meinung sind diese Ge­ setze nicht so aufzufassen, aber ob ich darin Recht oder Unrecht habe, ist für die Fassung unserer Vorschrift belanglos. Wir wollen darüber nicht streiten; um die Diskussion nicht zu verlängern, will ich meine Ansicht über die Auslegung der Wassergesetze und der Gemeinde­ ordnung hier nicht weiter verfolgen. Was ich von der Gleichwerthigkeit des Gewohnheitsrechts mit dem Ge­ setze, von der Beseitigung gesetzlicher Vorschriften durch Gewohnheitsrecht gesagt habe, bezog sich nur auf allgemeines Gewohnheitsrecht des Landes oder der Landestheile, die ein einheitliches Rechtsgebiet bilden. Es ist mir aber nicht eingefallen, zu sagen, daß alle bayerischen Landesgesetze durch ein örtliches Herkommen in dem einen oder anderen Dorf außer Kraft gesetzt werden könnten; ich sprach von Herkommen nur, soweit es von den Gesetzen Vor­ behalten ist. Der Ausschuß beschließt hierauf die Annahme des Artikel 1 mit der Abänderung, daß in Abs. 1 an Stelle der Artikel „86 bis 90" die Artikel „86 bis 89" gesetzt wird und daß Absatz 2 lautet: „Soweit in den in Kraft bleibenden Gesetzen und in diesem S. 37. Gesetze auf örtliche Verordnungen oder auf das Herkommen ver­ wiesen ist, behalten die bestehenden Verordnungen und das Herkommen ihre Geltung." Hierauf wird die Sitzung gescklossen, nachdem der Vorsitzende die nächste Sitzung auf den 12. November Vormittags 9l/2 Uhr anberaumt hatte. (Schluß der Sitzung um 1 Uhr 20 Minuten) von StobäuS, Vorsitzender.

Dr. Casselmann, Schriftführer.

4

Protokoll über die Sitzunq des besonderen (XVIII.) Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Beilagenband XX, Abth. II, z. d. Verhandl d. K. d. Abg. 1898 Seite 39 bis 53). München, den 12. November 1898, Vormittags 9^2 Uhr. Gegenwärtig: Die Vertreter der k. Staatsregierung: der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod, Exzellenz, der k. Senatspräsident am obersten Landesgerichte Dr. Ritter von Jacubezky; der k. Ministerialrath im Staatsministerium der Finanzen, Kron­ anwatt Ritter von Schubart, der k. Landgerichtsrath im Staatsministerium der Justiz Dr. Unzner;

lichen Rechtes im zweiten Entwurf erläutert ist, so ist das richtig. — Was die andere Frage betrifft, so habe ich nichts dagegen, daß diejenigen Bestimm­ ungen, welche ich noch für wünschenswerth erachtet habe, auf dem Verordnungs­ wege gegeben werden. Es handelt sich ja auch nur um Organisationsfragen und ich bin vollständig damit einverstanden, wenn die Sache in entsprechender Weise auf dem Verordnungswege geregelt wird; nur glaubte ich, Bestimmungen . hierüber vermissen zu dürfen, und es ist ja dieser Mangel auch dadurch aner­ kannt worden, daß Bestimmungen im Verordnungswege in Aussicht gestellt wurden. — Was nun die Fassung des gegenwärtigen Artikels selbst betrifft, so muß ich allerdings anerkennen, daß der Vorschlag, den ich gemacht habe, gegenüber dem Vorschläge der k. Staatsregierung die Lücke hätte, daß eine Zwischenzeit entstünde zwischen dem Erlöschen der Stiftung und dem neuen Anfallberechtigten, wenn mein Vorschlag durchginge. Es würde in der That eine Lücke hier vorhanden sein, welche durch den Vorschlag der k. Staats­ regierung allerdings ausgefüllt ist; daß diese Lücke in der vorgeschlagenen Weise ausaesüllt wird, ist ja allerdings etwas, was nicht ganz sympathisch berührt. Allein ich muß zugeben, daß schwer eine andere juristische Person zu finden sein wird als eben der Fiskus; mir wenigstens ist im Augenblick nicht gegenwärtig, was ich Anderes an der Stelle Vorschlägen soll, und es wird dann auch wohl bei dem Vorschlag der k. Staatsregierung sein Bewenden haben müssen. — Mein Vorschlag bezüglich der Beschwerde an den Verwaltungs­ gerichtshof hängt natürlich nur zusammen auch mit meinem Anträge; in dem Falle, wenn eine andere Behörde eine solche Bestimmung erläßt, die materiell rechtlich wäre, da allerdings glaube ich, daß der Verwaltungsgerichtshof die richtige Behörde wäre, welche die Beschwerde verbescheiden sollte. Auch wenn der Fiskus in Frage kommt, kann man ja der Meinung sein, daß es sich hier nicht blos um eine Zweckmäßigkeitsfrage handelt, sondern eben weil das bürgerliche Recht schon die Bestimmung trifft, daß der Fiskus thunlichst das

Vermögen in einer den Zwecken des Vereins entsprechenden Weise zu der- S. 47. wenden hat, so dürfte es sich um eine Bestimmung handeln, welche nicht aus­ schließlich Ermessensfrage, sondern auch eine Rechtsfrage wäre. Es könnte also wohl ein Streit darüber entstehen, ob nicht die Zuständigkeit des Ver­ waltungsgerichtshofes gegen die Entscheidung derjenigen Behörde des Fiskus gegeben wäre, die hier in Frage kommt — es würde das wohl das Kreisfiskalat im einzelnen Falle sein müssen —, oder ob denn nicht eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig erachtet werden sollte. Doch gebe ich zu, es können Zwcckmäßigkeitsfragen hier in den Vordergrund treten, und wenn das der Fall ist, dann ist allerdings nach den.Normen, die für den Verwaltungsgerichtshof gelten, das Ministerium als die oberste Instanz an­ zuerkennen. Ich muß es noch weiterer Erwägung überlassen, ob nicht nach diesen Richtungen eine Aenderung eintreten soll. Ich glaube, daß man sich unter Umständen mit dem Vorschlag der k. Staatsregierung begnügen könnte, und was die Redaktion betrifft, so bin ich damit einverstanden, daß die beanstandete Redaktion und der Antrag des Herrn Kollegen Fuchs in einer Redaktions­ kommission ihre Erledigung finden. Ministerialrath, Kronanwalt von Schubart: Ich möchte nur der Anschauung des Herrn Referenten entgegentreten, als ob die Entscheidung über die weitere Verwendung eines derartigen Vermögens dem Kreisfiskalate überlassen würde. Es ist ja selbstverständlich, daß in einem solchen Falle das Finanzministerium mit dem einen oder anderen Ministerium, je nachdem die Stiftung mehr in das Ressort des einen oder des anderen Ministeriums einschlägt, sich in's Benehmen setzt und mit ihm die Entscheidung trifft. Dem Kreisfikalate wird eine derartige Entscheidung nie || überlassen. Es ist eine S. 48. ziemlich undankbare Aufgabe, die der Fiskus bei einer solchen Sache übernimmt; er hat nur die Arbeit, nebenbei das Risiko, wenn er bei Berichtigung der Schulden des Vermögens der erloschenen Stiftung irgend etwas versieht, dagegen von dem Vermögen selbst gar nichts; denn er darf keinen Pfennig davon für die Staatskasse verwenden, sondern muß es immer einer Ver­ wendung zuführen, welche dem Stiftungszwecke verwandt und gleichartig ist.

Abg. Conrad: Ich möchte mir hier gleichfalls eine Frage erlauben, nämlich die Frage, was man unter einer Stiftung des bürgerlichen und einer Stiftung des öffentlichen Rechts versteht. Die Motive zu dem Artikel belehren uns, daß die §§ 80—88 des Bürger! Gesetzbuchs sich mit Stiftungen des Privatrechts befassen. In den Motiven auf Seite 106 der Beilage B*) werden wir dahin belehrt, daß, soviel ich wenigstens im Moment es aufzufassen vermag, nur bezüglich derjenigen Stiftungen des öffentlichen Rechts, welche die Ge­ meindeordnungen als örtliche Stiftungen bezeichnen, eine gesetzliche Norm ge­ troffen werden will. Ich weiß nicht, aber es kommt mir so vor, als ob andere Stiftungen des öffentlichen Rechts hier unberührt bleiben, also Stiftungen, die mit sonstigen Verbänden des öffentlichen Rechts Zusammenhängen. Da würde nun wieder die Streitfrage entstehen, was für ein Unterschied zwischen öffentlicher und privater Stiftung ist. Wäre es nun nicht angezeigt, um der Frage aus dem Wege zu gehen, zu sagen, wir wollen, wenn der Stiftungs­ zweck nicht mehr ausführbar ist, dann auch bezüglich der Stiftung des öffent­ lichen Rechts dieselbe Norm treffen, wie in der Regierungsvorlage geschieht. *) Vergl. Abth. V Seite 77. Becher, Materialien. IV.

15

S. 48. Mem Wunsch ginge also dahin, daß man die Bezeichnung „Stiftung des bürgerlichen Rechtes" wegließe und für sämmtliche Stiftungen Entscheidung treffe.

Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Die Schwierigkeit, im einzelnen Falle zu unterscheiden, ob eine Stiftung des bürgerlichen oder eine Stiftung des öffentlichen Rechts vorliegt, kann nicht geleugnet werden; auch nach der Erläuterung, die in den Motiven des II. Entwurfes gegeben ist, mag man im einzelnen Falle Zweifel hegen. Eben deßwegen ist für diejenigen Stiftungen des öffentlichen Rechts, welcbe unter der gemeindlichen Verwaltung stehen, in dem II. Entwurf in dieser Beziehung Gleichstellung mit den Stiftungen des bürgerlichen Rechts vorgeschlagen. Es soll die mitunter mißliche Frage nach der Natur der Stiftung dadurch beseitigt werden. Bei Stiftungen des öffent­ lichen Rechts, die unter einer anderen Verwaltung stehen, wird aber dieser Zweifel viel seltener hervortreten, insbesondere wird er nicht hervortreten können bei allgemeinen Stiftungen. Bei diesen müßten wir, wenn wir diese Norm anwenden wollten, die Verfassungsurkunde abändern. Denn bei allge­ meinen Stiftungen ist zur Abänderung der Zweckbestimmung die Zustimmung des Landtags nothwendig, und dieses Erforderniß zu beseitigen, werden die Herren kaum Lust haben. Diejenigen Stiftungen des öffentlichen Rechts, bei denen man unter Umständen zweifeln mag, ob sie nicht vielleicht privatrecht­ liche Stiftungen sind, werden nur vorkommen unter gemeindlicher Verwaltung und insoweit wird die Untersuchung überflüssig gemacht durch unsere Vor­ schläge im zweiten Entwurf, für die anderen Stiftungen wird es bei den be­ stehenden Vorschriften bewenden können, jedenfalls wird von einer Aenderung der Verfaffungsurkunde abzusehen sein. Abg. Wagner (Referent): Ich kann nur, was die letzten Ausführungen des Herrn Senatspräsidenten betrifft, bemerken, daß ich mich einverstanden erklären kann, daß eine vollständige Klarstellung des Unterschieds zwischen Stiftungen des bürgerlichen Rechts und des öffentlichen schwer möglich sein wird. Das wird wohl anerkannt werden müssen, und der Schwierigkeit ist in dem zweiten Entwürfe, wie der Herr Senatspräsident eben bemerkten, aus dem Wege gegangen, beziehungsweise ist dieselbe wenigstens für die praktische Gesetzanwendung beseitigt. Nachdem anderweitige Vorschläge nicht gemacht worden sind, so glaube ich, werden wir es beim Vorschlag der k. Staats­ regierung vorbehaltlich einer Redaktionsänderung bewenden lassen. Vorsitzender: Ich konstatire, daß Artikel 4 angenommen ist. über zu Artikel 5.

Wir gehen

Abg. Wagner (Referent): Artikel 5 stützt sich auf Artikel 92 des Ein­ führungsgesetzes zum Bürgerl. Gesetzbuch. Nun muß ich ganz offen gestehen, ich habe einen gewissen horror gegen jede gesetzliche Bestimmung, in welcher das Wort: „soweit nicht ein Anderes bestimmt ist" vorkommt. Denn man weiß dann eigentlich sehr häufig nicht, wie weit man in solchen Bestimmungen geht, und deßwegen wäre ich sehr dankbar dafür, wenn uns wenigstens Mit­ theilung hierüber gemacht würde, wo etwas Anderes bestimmt ist und wie diese anderweitigen Bestimmungen lauten. Was nun Artikel 5 selbst betrifft, so reproduzirt derselbe Bestimmungen, die im Preußischen Landrecht gelten; bezüglich anderer bürgerlichen Gesetze ist eine gleiche Bestimmung nicht zu konstatiren. Der Vorschlag der k. Staats­ regierung ist damit begründet, daß es im Interesse einer geordneten Kassenführung ist, die Leute, welche Geld in Empfang zu nehmen haben, zu ver-

anlassen, daß sie sich an die Kasse selbst wenden und dort das Geld in ®- 48. Empfang nehmen. Es möchte auch schon einigermaßen zweifelhaft sein, was alles unter öffentlichen Kassen hier zu verstehen ist. Ist hier auch die k. Bank und ihre Filialen bezüglich ihres Geschäftsverkehrs gemeint, sind die Reichsbankstellen in Bayern, sind auch die Kassen der Gemeinden und Distrikte hier in Betracht zu ziehen? Hierüber würde ich ebenfalls bitten, Aufklärung zu geben. Die Bestimmung enthält eine Ausdehnung des Privilegiums, das der Fiskus für das preußische Landrechtsgebiet hat auf das ganze Königreich, und ich will ja zugeben, daß es im Interesse der Finanzverwaltung erwünscht sein kann, eine solche Bestimmung zu haben; aber daß die geordnete Kassen­ verwaltung gerade von dieser Bestimmung abhängt, möchte ich doch einiger­ maßen bezweifeln; denn in anderen Staaten bestehen derartige Bestimmungen nicht, und wenn ich mich an die Verhandlungen der zweiten Kommission ent­ sinne, so glaube ich, ist dort geradezu dargelegt worden, daß in Württemberg rs ausdrücklich abgelehnt worden ist, daß man ein Bedürfniß für eine derartige Bestimmung habe. Dort wird aber auch der Fiskus eine geordnete Kassen­ verwaltung haben, und was in Württemberg möglich ist, wird wohl auch für das Königreich Bayern möglich sein. Es ist ohne Zweifel eine Ausnahme­ bestimmung von § 270 des Bürgert. Gesetzbuchs, welche in manchen Fällen lästig werden kann. An mich selbst hat man sich, während ich dem Landtag angehöre, aus Lehrerkreisen schon öfters gewendet mit dem Ansuchen, dahin zu wirken, daß gestattet oder veranlaßt wird, daß das Rentamt einem weit vom Rentamtssitze wohnenden Lehrer sein Gehalt auf seine Kosten und Gefahr durch die Post zuschicke. Daß aus solchem Grunde die Leute genöthigt werden, an das Rentamt zu gehen, das ist doch eigentlich, glaube ich, nicht mehr nothwendig im Interesse einer geordneten Kassenführung. Außer den Lehrern kommen hier auch die Geistlichen und Geschäftsleute in Betracht, die in großer Entfernung vom Rentamtssitze wohnen und für die es, wenn sie nicht einen anderweitigen Gang an den Sitz der betreffenden Behörde ohnehin haben, S 49. nicht blos einen Verlust an Zeit, sondern unter Umständen auch an Geld bedeutet, wenn sie wegen einer Zahlung an das Rentamt selbst gehen müssen. Ich bin daher diesem Privilegium gegenüber gar nicht besonders günstig gestimmt; wenn es aber nach den Einrichtungen unserer Finanzbehörden nicht wohl anders geht, als daß man diese Bestimmungen, welche, wie ich anerkenne, den dermal bestehenden thatsächlichen Verhältnissen entsprechen, trifft, so glaube ich doch, daß die k. Staatsregierung auf einen Vorschlag, den ich zur Er­ wägung gestellt habe, eingehen könnte, dahin gehend, daß eine Zusatzbestimmung ausgenommen werde, etwa des Inhalts: „Der Gläubiger ist jedoch befugt, schriftlich von der öffentlichen Kasse zu verlangen, daß ihm das Geld auf seine Kosten und Gefahr durch die Post übermittelt wird." Ich meine, die Aufnahme einer solchen Bestimmung würde die Kassenverwaltung nicht wohl in Unordnung bringen können. Denn unter allen Umständen hat ja das Rentamt, welches das Geld abschickt, einen schriftlichen Ausweis, daß der berechtigte Empfänger verlangt hat, daß auf sein Wag und Gefahr das Geld abgeschickt werden soll und es würde sich also nur darum handeln, daß man in dem Rentamtsdiener, der das Geld auf die Post zu tragen hat, einen Ver­ trauensmann hat, der es auf die Post bringt, und das wird doch wohl der Fall sein. Darum glaube ich nicht, daß besondere Schwierigkeiten für die öffentlichen Kassen entstehen, wenn der Vorschlag, den ich gemacht habe, Zustimmung finden würde.

S. 49.

Abg. Lerno (Korreferent): So scheinbar untergeordneter Natur diese Be­ stimmung ist, so kann ich mich auch der Erwägung durchaus nicht verschließen, daß in der That im praktischen Leben nicht selten der Zwang, Gehälter und dergleichen an den Rentamtskassen abzuholen, als eine sehr drückende Maßregel, insbesondere von Lehrern und Geistlichen, wie der Herr Referent schon hervor­ gehoben hat, empfunden wird. Aber andererseits habe ich zu deutlich das Gefühl, daß es außerordentlich schwierig und gefährlich wäre, von dem bis­ herigen Usus die Abweichung zu schaffen, die der Herr Referent am Schluffe seines Antrags vorschlägt, namentlich mit Rücksicht auf die persönliche finanzielle Verantwortlichkeit der Rentbeamten und mit Rücksicht auf die Möglichkeit von Urkundenfälschungen, Betrugshandlungen u. bergt, die vorkommen könnten, wenn an eine dritte Person gezahlt werden darf. Ich glaube, man könnte die Regierungsvorlage mit Rücksicht darauf, daß sie nur einen bisher bestehenden Zustand festsetzt, annehmen und aussprechen, es sei den einzelnen Regierungen Vorbehalten, im Administrativweg Ausnahmen zu schaffen in der Weise, daß die Rentbeamten die Ermächtigung bekommen, mit den Empfangsberechtigten Privatabmachung dahin zu treffen, daß dieselben eine Anzahl von Quittungen deponiren, z. B. für ein halbes Jahr, und den Rentbeamten ersuchen, nach jedem Fälligkeitstermine ihnen das Geld per Post­ anweisung zu schicken. Abg. Fuchs: Ich habe im letzten Landtag die Anregung gegeben, daß den Geistlichen und Lehrern die Gehälter Seitens des Rentamts durch die Post zugeschickt werden sollen; der Herr Finanzminister hat erklärt, daß dieser Vorschlag erwägungswerth sei und er der Sache nachgehen wolle. Inwieweit dieß geschehen ist, weiß ich nicht. Ich neige dem Vorschlag des Herrn Korreferenten zu; ich glaube auch, daß auf dem Verordnungswege bestimmt werden könnte, daß die Rentamt­ männer die Gehälter an Lehrer und Geistliche u. s. w. nach vorheriger Ein­ sendung der Quittung auf deren Kosten und Gefahr schicken könnten. Zuweilen haben Lehrer und Geistliche einen sehr weiten Weg zum Rentamt, sie müssen nicht blos Zeit, sondern auch Geld aufwenden, ja es kommt vor, daß ein Geistlicher 7—8 monatlich ausgeben muß, bis er sein Gehalt erlangen kann; das sind unverhältnißmäßig hohe Ausgaben. Hier muß Abhilfe ge­ schaffen werden.

Abg. Michel: Ich bin bei der Sache persönlich interessirt. An meinem Amtsgerichtssitz befindet sich kein Rentamt und ich möchte Ihnen klar legen, wie sich die Sache bei uns abwickelt, wenn ich meinen monatlichen Gehalt zu beziehen habe. Mein Amtsgericht gehört zum Rentamt Pirmasens. Pirmasens ist einige Stunden von Waldfischbach entfernt. Nun haben wir die Bitte an das Rentamt gerichtet, es möge gestattet sein, daß durch den Gemeindeeinnehmer der Gehalt ausbezahlt werden düife und daß er dann mit dem Rentamt die Sache abrechnet. Das ist genehmigt worden und wird seither jo gehalten. Es ist dieß eine Begünstigung, für die wir sehr dankbar sind. Wenn dieß künftig nicht mehr gestattet wäre, so müßten wir einfach eine Reise nach Pirmasens machen, um unsern Gehalt dort zu holen, es müßte dann wenigstens ein halber Tag darauf verwendet werden. Darum erschkint es mir doch räthlich, daß die Sache gesetzlich geregelt wird. Aehnlich liegt es bei anderen Beamten und ich wäre deßhalb dafür, daß eine gesetzliche Regelung in Artikel 5 stattfindet.

Abg. Dr. Ratzinger: Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß an S 49. vielen Rentämtern es jetzt schon Gebrauch ist, das Geld an die Lehrer und Geistlichen durch Boten zu schicken. Es gibt viele Ortschaften, ich weiß das ganz bestimmt, wo dieß geschieht. Die Boten bringen die Quittungen und erhalten das Geld. Wenn diese Bestimmung angenommen wird hier in Artikel 5, so sind die Lehrer und Geistlichen gezwungen, immer persönlich an das Rentamt zu gehen. Ich meine also, daß wir diese bestimmte Fassung nicht in das Gesetz aufnehmen sollen. Ferner möchte ich mir doch eine Bemerkung gegenüber dem Referate des Herrn Abg. Wagner gestatten. Er bringt da die Reichsbankstellen als öffent­ liche Kassen vor. Ich denke, die Reichsbank ist doch eine private Erwerbs­ gesellschaft, die allerdings eine öffentliche Verwaltung hat, aber sie ist doch nur eine Privatgesellschaft. Wenn man diese aufnehmen wollte, so müßte man vor Allem die bayerische Notenbank aufnehmen, die für den Staat eine Rente abwirft. Abg. Seeberger: Aus dem Rentamtsbezirk, dem ich angehöre, sind mir die Fälle genau bekannt. Wenn man weiß, wie schwierig der Weg zum Rent­ amt besonders in Winterszeit ist und wie weit oft die Entfernung hiezu ist, dann wird man sich nicht wundern, wenn die Leute, um zu ihrem Gelde zu kommen, oft auf ihre Kosten ein Fuhrwerk nehmen müssen. Da kommt einem unwillkürlich der Gedanke, daß sich dieser Zustand doch ändern ließe, wenn man guten Willen habe, etwas zu thun. Ich sehe gar keine Gefahr, wenn der betreffende Herr seine Quittungen einsendet und ihm nach Abzug des Porto das Geld vom Rentamt zugeschickt wird. Daß hiebei eine Defraudation Vor­ kommen sollte, kann ich nicht recht glauben. Wenn der Empfänger das Geld nicht rechtzeitig bekommt, dann wird er sich schon rühren. Ich würde also bitten, daß in dieser Beziehung den Lehrern und Geistlichen, die vom Rentamte Geld beziehen, insbesondere zur Winterszeit gewährt werde, das Geld per Post zugeschickt zu erhalten. Mir ist es gleich, ob das in das Gesetz hineinkommt oder ob es auf andere Weise gemacht wird, wenn es nur geschieht. Ministerialrath, Kronanwalt von Schubart: Ich erlaube mir auf S.50. die Fragen des Herrn Referenten zu antworten. Er wünscht Aufschluß, wo und inwieweit etwas Anderes bestimmt wird als in Artikel 5. Ich glaube, daß der Herr Referent zu dieser Frage dadurch veranlaßt worden ist, weil in die Vorschrift der Zwischensatz eingefügt ist: „soweit nicht ein Anderes bestimmt ist". Dieser Zwischensatz wurde in den Artikel nur deßhalb ausgenommen, um außer allen Zweifel zu stellen, daß die Vorschrift selbst keine zwingende, sondern eine dispositive ist, d. h. daß ihre Anwendung durch rechtsgeschäftliche Bestimmung ausgeschlossen werden kann. Es steht das im Einklang mit der juristischen Technik, die auch im Bürgerl. Gesetzbuch überall angewendet wird. Da wird der Umstand, daß eine Vorschrift eine dispositive ist, in der Weise gekennzeichnet, daß es heißt: „Soweit nicht ein Anderes bestimmt oder verein­ bart ist". Bestimmungen in Gesetzen sind nicht gemeint, denn wir wollen gerade die gesetzlichen Bestimmungen, die das Gegentheil aussprechen, was in der Vorschrift enthalten ist, mit dieser Vorschrift außer Wirksamkeit setzen. Der Herr Referent wünscht ferner Aufschluß darüber, ob unter öffent­ lichen Kaffen auch die k. Bank und ihre Filialen, dann die Reichsbankneben­ stellen und die Kassen der Gemeinden und Distrikte zu verstehen seien. Die Verhältnisse der Reichsbank sind durch Reichsgesetz vom 14. März 1875 ge­ regelt und können landesrechtlich nicht geändert werden. Mit der Stellung,

222

IV. Abth. Ausführung-gesetz zum Bürgerlichen Gcsetzbuche.

50. welche nach jenem Gesetze die Reichsbank einnimmt, wäre es wohl nicht vereinbarlich, wenn man die Reichsbanknebenstellen als öffentliche Kassen im Sinne der Vorschrift erachten wollte. Hiegegen sind die k. Bank und ihre Filialen allerdings öffentliche Kassen, denn die k. Bank ist nach der Allerhöchsten Ver­ ordnung vom 13. September 1878 Staatsanstalt. Uebrigens bringt es das Wesen eines Bankinstituts an und für sich mit sich, daß sich der Geldverkehr desselben zum größeren Theile an den Schaltern der Bank abspielt, und überdieß veranlaßt die Rücksicht auf die Konkurrenz jedes Bankinstitut, die k. Bank so gut wie andere, dazu, daß es in seinen Geschäftsverkehr keine anderen Formen einführt, als die sonst üblichen. Die Vorschrift ist vor Allem im Interesse der sonstigen öffentlichen Kassen, und dazu gehören auch die Kassen der Gemeinden und Distrikte, gedacht. Es ist nun allerdings richtig, daß von den in Bayern zur Zeit geltenden Civilrechten nur das preußische Landrecht eine Norm des Inhalts enthält, daß den öffentlichen Kassen immer gebracht und von ihnen geholt werden müsse. Das gemeine Recht und auch das bayerische Landrecht enthalten eine geschriebene Norm dieses Inhalts nicht. Trotzdem bestätigen bereits die allbayerischen Finanzordnungen und zwar gerade in Bezug auf Darlehen, also zweifellose Bringschulden, diese Uebung. So schärft schon die Hofkammerordnung von 1550 ein: „Sie auch jederzeit bedacht sein, damit die Verzinsung auf Unseren Aemtern und sunst (d. h auf den landschaftlichen) zu gebührlicher Zeit so viel möglich bezahlt und männiglich seiner Verschreibung nach Glauben erhalten werde." Im Abschnitt 4 des Stempelmandats vom 18. Dezember 1812 heißt es: „Bei Bescheinigung von Quittungen, welche bei Staats- oder andern öffent­ lichen Kassen ausbezahlt zu werden pflegen, tritt eine Ausnahme von der Stempelschuldigkeit ein." Auch das Finanzgesetz vom 28. Dezember 1831 enthält dieselbe Bestätigung in § 31, welcher lautet: „Vom 1. Oktober 1830 an — erlöschen alle Forderungen an die Staatskassen, wenn sie binnen drei Jahren nicht erhoben sind." Thaffächlich wurde in Bayern das beregte Prinzip immer geübt und es ist auch, solange wir unsere derzeitigen Kassen- und Rechnungseinrichtungen haben, geradezu unbedingt erforderlich, daß wir eine Vorschrift dieser Art beibehalten. Wenn andere Staaten einer solchen Vorschrift entrathen können, so wird dieß wohl mit einer andern von der unsern abweichenden Gestaltung des dortigen Kassen- und Rechnungswesens zusammenhängen. Im Großen und Ganzen hat übrigens die Uebung zu wenig Beschwerden Anlaß gegeben. Ich verkenne ja nicht, daß in solchen Fällen, wie sie der Herr Referent ange­ führt hat und wie sie von mehreren der Herren ebenfalls angeführt worden sind, also in Fällen, wo es sich um die Gehaltsforderungen von Beamten, Lehrern, Geistlichen oder anderen Empfangsberechtigten, die einigermaßen weit vom Rentamtssitze wohnen, handelt, das Prinzip an und für sich zu Unge­ legenheiten führen könnte; aber das Verfahren, das der Herr Referent in seinem Eoentualvorschlag in Vorschlag bringt, das besteht ja fast überall schon zum größten Theil und dabei soll es auch verbleiben. Dagegen haben wir gar nichts zu erinnern, wenn in der Weise die Belästigung von Empfangs­ berechtigten hintangehalten wird. Es hat überdieß der Herr Finanzminister bei der Berathung des letzten Finanzetats, wie Herr Abg. Fuchs mit Recht anführt, schon versprochen, daß er darauf Bedacht nehmen werde, eine Ver­ einfachung des Auszahlungswesens im Wege der Erweiterung des Postanweisungs­ verkehrs herbeizuführen, und es sind dießbezügliche Verhandlungen zwischen

dem Finanzministerium und dem Ministerium des Aeußern im Gange. Ich S. 50. glaube, daß in allen den Fällen, in welchen ein Verlangen im Sinne des Eventualvorschlags an das Rentamt gestellt werden wird, selbstverständlich gegen vorhergängiges Einschicken der Quittung in den Fällen, wo der Rentbeamte das zu seiner Deckung absolut nothwendig erachtet, dem Verlangen auch entsprochen werden wird. Ich meine daher, daß die Herren diese Vorschrift unbedingt genehmigen dürfen und daß Sie beruhigt sein dürfen, daß man dafür sorgen wird, daß sie nicht drückend für die Betheiligten wird. Wohl aber muß ich mich dagegen aussprechen, daß man eine Vorschrift im Sinne des Evcntualvorschlags auch in das Gesetz aufnimmt. Das würde doch zu Konsequenzen führen, die nicht abzusehen sind. Ich glaube, man dürfte das Weitere dem Vollzüge überlassen. Abg. Wagner (Referent): Was den Vorschlag der k. Staatsregiernng betrifft, so wird nach den Aeußerungen der Herren an demselben festzuhalten sein und demselben nicht opponirt werden können. Es besteht also Neigung, das Privilegium des Fiskus auf das ganze Land auszudehnen, und ich werde es also für überflüssig zu erachten haben, noch weiter darüber zu diskutiren. Ganz zweifellos ist es doch nicht, ob die Sache bezüglich der k. Bank voll­ ständig hier in Ordnung ist, wenn wir die Vorschrift so lassen, wie sie ist; denn nachdem die k. Bank als eine Kasse im Sinne dieser Bestimmung erklärt worden ist durch den Herrn Ministerialkommissär — und ich habe eigentlich auch keinen Zweifel darüber, daß sie darunter zu fallen hat —, so kann doch im einzelnen Falle die k. Bank, wenn sie sich auf die gesetzliche Vorschrift stützt, eine Haltung annehmen, welche mit dem gewöhnlichen Geschäflsverkehr nicht übereinstimmt; namentlich in Fällen, wo es Zwistigkeiten gibt, da kann die k. Bank sagen: Du holst Dir Dein Geld selber, ich schicke es Dir nicht, obwohl der Geschäftsverkehr es vielleicht anders verlangt. Ich lege aber darauf kein Gewicht und nehme an, daß eine entgegenstehende Verkchrsgewohnheit so wirksam ist, daß sich auch die Bank dieser Wirkung nicht entziehen kann.

Wenn der Herr Abg. Dr. Ratzinger gemeint hat, es sei auffallend, daß ich die Reichsbankstelle hercingezogen habe, so habe ich sie nicht hereingezogen, sondern nur gefragt, ob wir sie hier hereinziehen sollen. Aber es war nicht S. 51 überflüssig zu verlangen, daß erklärt wird, ob das Gesetz auch auf die Reichsbankstrlle Anwendung zu finden habe. Ich bin vollständig mit dem Herrn Kronanwalt einverstanden, daß dieselbe ihre spezielle Verfassung hat und daß sie von den Bestimmungen, die hier getroffen werden, nicht getroffen werden kann. Es mußte das aber konstatirt werden. Daß, wenn für Kassen des Staates diese Bestimmungen getroffen werden, dieselben auch für die Gemeindeund Distriktskassen gelten sollen, damit kann man vollständig einverstanden sein. Es handelt sich also nur noch um den Eventualvorschlag. Es wurde allseitig anerkannt, daß es wünschenswerth ist, daß in Fällen, wie wir sie alle hier erwähnt haben, der Empfangsberechtigte nicht genöthigt wird, wegen einer kleinen Zahlung sich an den Sitz der betreffenden Finanzbehörde zu begeben. Nun meint der Herr Kollege Dr. Ratzinger und auch der Herr Kronanwalt, das geschehe bisher schon; ich kann aber den verehrten Herren versichern, daß mir Zuschriften nicht von einem, sondern von vielen Lehrern zugekommen sind und daß mir auch mündlich schon erklärt worden ist, es sei außerordentlich mißlich, daß man wegen der Alterszulage immer an das Rentamt gehen muß. Der betreffende Rentbeamte thut es eben nicht, denn es geht auf seine Wag und Gefahr, und da glaube ich, daß, wenn wir nicht eine gesetzliche Bestimm-

S. 51. ung treffen, es selbst zweifelhaft ist, ob der Herr Finanzminister in dieser Beziehung einen Befehl erlassen kann. Ich erinnere beispielsweise nur daran, wie es mit dem Gebührengesetz gegangen ist. Namentlich bei den Gebühren­ berechnungen bei Uebergaben, da hat ja der Herr Finanzminister wiederholt in der Kammer erklärt, er wünsche nicht, daß die Rentämter den Betrag hinaufschrauben, und doch ist es immer geschehen, weil die Rentbeamten erklärt haben, sie halten sich an das Gesetz, und im Uebrigen sind sie für die Steuern verantwortlich und für deren richtigen Eingang, und das Risiko müssen sie tragen. Wenn also nicht durch eine klare gesetzliche Bestimmung die Haftung der Rentbeamten beseitigt ist, dann glaube ich, wird eine bloße Dienstes­ anweisung kaum dazu führen, daß wir die Rentbeamten allgemein für ver­ pflichtet erklären können, so zu handeln, wie wir es wünschen; dazu gehört eine positive gesetzliche Bestimmung, und wenn wir die Möglichkeit haben, eine solche zu erlassen, dann weiß ich nicht, warum wir uns lediglich auf die Gnade der Regierung verlassen sollen; denn selbst wenn der dermalige Herr Finanzminister geneigt wäre, darauf einzugehen und unserem Wunsche zu entsprechen, so wissen wir doch nicht, ob es dem nächsten ebenso behagt. Ich wäre also der Meinung, daß eine Bestimmung in dem Sinne getroffen wird, wie ich sie vorgeschlagen habe. Es kann auch nach den Darlegungen des Herrn Kronanwalts eine solche Bestimmung den ordentlichen Geschäftsgang nicht verhindern, und die Leute draußen sind nicht gesichert. Wenn wir jetzt die Gelegenheit versäumen, so werden wir den Vorwurf bekommen: Warum habt Ihr den Zeitpunkt versäumt, eine solche Bestimmung zu erlassen? Ich würde vielleicht noch, nachdem vorgeschlagen ist zu verlangen, daß die Quittung eingesendet wird, meinen Vorschlag dahin modifiziren können: „Der Gläubiger ist jedoch befugt, schriftlich unter Einsendung der Quittung von der öffentlichen Kasse zu verlangen, daß ihm das Geld auf seine Kosten und Gefahr durch die Post übermittelt wird." Allein ich bemerke, daß bei den Kommissionsverhandlungen in der zweiten Kommission dieser Standpunkt besprochen und von einer Seite auch gesagt wurde, mit dem vorhergehenden Einsenden der Quittung sei nichts gedient, denn eine Quittung, von der man weiß, daß sie ausgestellt wurde zu einer Zeit, wo man das Geld noch nicht hatte, beweist eigentlich nichts. Also, wenn man dieses Bedenken nicht hat, so habe ich nichts dagegen, wenn in meinen Vorschlag die Worte „unter Ein­ sendung der Quittung" noch ausgenommen werden. Aber ich würde die Herren schon bitten, im Interesse der Ordnung der ganzen Sache auf den Vorschlag, den ich gemacht habe, oder auf eine ähnliche Regelung der Sache einzugehen.

Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Ich möchte mir wegen der Bezugnahme auf eine in der zweiten Kommission für das Bürger!. Gesetzbuch gemachte Aeußerung eine Entgegnung gestatten. Es wurde damals über die juristische Natur der Quittung gestritten. Die eine Meinung ging dahin, die Quittung sei lediglich eine Beweisurkunde, die andere ging dahin, sie enthalte ein Rechtsgeschäft, ein Anerkennungsgeschäft, und um die Mitglieder, die glaubten, die Quittung sei nur eine Beweisurkunde, von der Irrigkeit ihrer Ansicht zu überzeugen, wurde bemerkt, wenn die Quittung nur eine Beweisurkunde wäre, dann könnte man jede im Voraus einqeschickte Quittung durch den Beweis widerlegen, werthlos machen, daß die Einsendung vor der Zahlung erfolgte. Da diese Schlußfolgerung offenbar dem Sinne der Quittung, der Bedeutung, die sie im Verkehr hat, widerspreche, müsse man folgern, daß die Quittung nicht nur Beweisurkunde ist, sondern eine rechtsgeschäftliche Verfügung in sich

schließt. Nur in diesem Zusammenhang ist die Aeußerung gemacht worden, S 51 und ich möchte verhüten, daß man etwa aus unseren Verhandlungen entnehme, daß unwidersprochen geblieben ist, Quittungen hätten keinen Werth, wenn nach­ gewiesen ist, daß sie vor der Zahlung eingeschickt worden sind.

Abg. von Walter: Es ist ganz außer Zweifel, daß in Bezug auf die Empfangnahme der Gehälter u. s. w. auf dem Lande noch sehr große Schwierig­ keiten und Lästigkeiten bestehen, deren Beseitigung ich auch wünschen würde; auf der anderen Seite aber muß ich sagen, daß der Vorschlag, den der Herr Referent macht, mir gleichwohl etwas zu weit zu gehen scheint. Erstens würde den Empfängern allgemein das Recht eingeräumt, die Zusendung des Gehaltes oder anderer Forderungsbeträge überhaupt durch die Post zu verlangen. Aber das geht zu wert. Es ist doch ganz entschieden richtig, daß die Auszahlung des Gehaltes oder einer anderen Forderung von Hand zu Hand viel leichter geht, als wenn erst noch die Post in Anspruch genommen werden muß. Die Arbeitslast der öffentlichen Kassen würde nach meinem Dafürhalten dadurch sehr wachsen, wenn man den allgemeinen Grundsatz statuiren wollte, daß jeder Empfangsberechtigte verlangen kann, ihm auf seine Wag und Gefahr das Geld durch die Post zu schicken. Sodann hat es mit der Wag und Gefahr auch so seine eigene Bewandtniß. Auf Kosten des Empfangsberechtigten muß die Zusendung jedenfalls geschehen. Aber daraus, daß sie auch auf seine Gefahr geschieht, würde dem Empfangsberechtigten nichts gedient sein, wenn auf dem Wege zur Post oder durch die Post das Geld verloren ginge. Es ist gesagt worden, in dem Falle würde sich der Empfangsberechtigte schon rühren. Ja, an wen soll er sich aber halten? An den, der das Geld unter­ schlagen hat? Es müßten also gewisse Kautelen geschaffen werden zu Gunsten des Empfangsberechtigten. Es ist aber von dem Herrn Korreferenten schon gesagt worden, daß unter Umständen auch betrügerische Manipulationen unter­ laufen könnten, und bei der Entwicklung, die die Gaunerindustrie erreicht hat, ist es nicht ausgeschlossen, daß jemand Anderer eine Quittung einschickt und bittet, ihm unter der und der Adresse das Geld zuzuschicken. Es ist also nicht ohne Gefahr. Aber eine Er || leichterung wünsche ich auch und die könnte S. 52 geschaffen werden dadurch, daß uns nicht nur mit der Versicherung entgegen­ kommen wird, daß alle möglichen Erleichterungen gewährt werden, sondern daß uns zugesichert wird, daß diese Frage im Verordnungswege geregelt wird. Die Verordnungen sind auch für die Rentämter bindend. Diese Sache kann in den einschlägigen Ministerien — und einschlägig sind fast olle Ministerien — viel besser übersehen werden, als wir hier in der Lage sind, und ich würde daher dringend bitten, daß die k. Staatsregierung uns in dieser Beziehung eine Zusage macht. Solange sie diese Zusage nicht ertheilt, würde ich mich trotz aller Bedenken, die ich gegen den Vorschlag des Herrn Kollegen Wagner bade, verpflichtet fühlen, demselben meine Zustimmung zu geben. Aber die Zustimmung wäre keine deflnitwe, sondern würde wegfallen, sobald die Zusicherung gegeben wird, daß die Sache im Verordnungswege geregelt wird. Abg. Dr. Ratzinger: Ich bin ganz der Ansicht, die der Herr Vorredner ausgesprochen hat; aber dann brauchen wir den Artikel überhaupt nicht. Wenn ober der Artikel so stehen bleibt, wie er hier steht, so ergäbe sich ein Wider­ spruch zwischen Gesetz und Verordnung. Die Verordnung wird doch nicht das Gegentheil von dem bestimmen können, was das Gesetz sagt. Es müßte also der Gesetzesartikel eine ganz andere Form erhalten oder einen Zusatz, z. B. „soweit nicht durch Verordnung anders bestimmt wird".

S. 52.

Abg. Landmann: Ich bin auch mit der Anregung des Herrn Kollegen von Walter einverstanden. Wenn uns von Seite der k. Staatsregierung eine dießbezügliche bindende Erklärung gemacht wird, so kann ich mich auch ein­ verstanden erklären, daß der Antrag des Herrn Referenten in Wegfall kommt; wenn nicht, so wäre ich für den Antrag des Herrn Referenten. Er muß aber meines Erachtens etwas genauer gefaßt werden; denn nach der jetzigen Fassung wären die öffentlichen Kassen verpflichtet, auf Verlangen auch in loco das Geld per Post zu schicken. Das geht doch zu weit. Die Last, die dadurch den öffentlichen Kassen erwachsen würde, stünde in keinem Verhältniß zu der Wohlthat, die wir erwiesen haben wollen. Ich würde Vorschlägen, zu sagen: Der Gläubiger „soferne er nicht am Ort der Zahlstelle wohnt" rc. Dann müßte auch eine Bestimmung wegen der Zeit getroffen werden. Manche Kassen sind so mit Arbeit überlastet, daß sie erst am 10. oder 12. das Geld zu schicken in der Lage sind. Da könnte nun der Betreffende sagen, ich habe mein Geld am 1. des Monats zu bekommen, verlange also Ver­ zugszinsen.

Abg. Lutz: Ich glaube, wir können den Artikel 5 unmöglich entbehren; denn es darf nicht vergessen werden, daß es sich nicht allein handelt um die Auszahlung vollständig liquider Forderungen, wie z. B. der Gehälter der Beamten, Geistlichen, Lehrer u. s. w., sondern es handelt sich auch um die Honorirung von Lieferanten bei Staatsbauten, Eisenbahnen u. s. w. Man darf dabei nicht vergessen, daß diese Bezahlungen in der Regel nicht auf einmal erfolgen, sondern bei Staatsbauten Abschlagszahlungen üblich sind. Wenn nun als Norm die Zusendung durch die Post festgesetzt würde, dann wäre es den betreffenden Kassen unmöglich gemacht, eine definitive Abrechnung zu machen. Es können Fälle eintrcten, wo der betreffende Lieferant persönlich erscheinen muß, um Generalrechnung zu stillen. Ich halte es nicht für unthunlich, durch Verordnung zu bestimmen, daß die Gehälter durch die Post ausgezahlt werden können; da hat die Kasse kein großes Risiko. Aber allgemein festzustellen, daß der Empfangsberechtigte das Recht hat, das Geld durch die Post zu verlangen, das geht nicht. Ich glaube, die Herren werden doch unser Finanzministerium für so coulant halten, daß, wenn wir im Landtag den Wunsch äußern, daß entfernt vom Rentamt wohnende Förster, Lehrer u. s. w. ihren Gehalt zugeschickt erhalten sollen, das auch geschieht. Von den Banken wird das Wenigste in Baargeld ausbezahlt, sondern da tritt der Checkverkehr an die Stelle des Baar­ geldes. Wir in den Darlehenskassen nehmen z. B. von der k. Bank nicht einen Pfennig in Baarem, sondern wir bekomipen Alles durch Check; aber in dem Augenblick, wo die Bank irgend ein Bedenken trägt, würde sie sagen: Ihr habt Euch selbst einzufinden. Also Artikel 5 ist ein unbedingt nothwendiger Schutz für unsere öffent­ lichen Kassen und ich würde daher dringend bitten, dem Artikel 5, wie er hier steht, zuzustimmen. Ministerialrath, Kronanwalt von Schubart: Es ist von dem Herrn Referenten bemerkt worden, daß bei der Auszahlung durch Postanweisung in den seltensten Fällen Schädigungen des Aerars vorkommen könnten, daß über­ haupt die Arbeit keine so große sein wird. Ich mache daraus aufmerksam, daß allein bei den Verkehrsanstalten circa 20,000 Bedienstete sind, welche Geld in Empfang zu nehmen haben. Wenn die Alle verlangen würden, daß man ihnen das Geld per Postanweisung schicke, und wenn das gesetzlich festgestellt würde, so wäre geradezu eine Personalvermehrung nothwendig. Dann kommt noch

in Betracht, daß es auch für den Empfangsberechtigten nicht immer ungefährlich S. 52. sein dürfte, wenn man die Auszahlungen allgemein in der Weise machen würde. Wiederholt muß ich bemerken, daß bei dieser Frage das k. Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Aeußern in hervorragendem Maße betheiligt ist. Ich könnte schließlich für das k. Staatsministerium der Finanzen die Zu­ sicherung abgeben, daß in Hinsicht auf die Fälle, die da in Betracht kommen (Zahlungen an Beamte, Geistliche, Lehrer u. s. w.), direkte Vorschriften an die Rentämter erlassen werden sollen, daß sie die Zahlungen an die Berechtigten, die es wünschen, auf Kosten, Wag und Gefahr der letzteren zu übermitteln hätten. Das eventuelle Risiko ließe sich wohl übernehmen, wenn die Quittung vorher eingeschickt wird. Ob aber das k. Staatsministerium des Aeußern sich zu Gleichem verstehen wird, darüber kann ich heute keine Erklärung abgeben.

Abg. Wagner (Referent): Ich bin mit dem Herrn Kollegen Lutz ganz einverstanden, daß es Mißlichkeiten hätte, wenn man den Artikel 5 vollständig streichen würde. Was ich vorgetragen habe, habe ich auch nur in dem Sinne gethan, um alle die einschlägigen Rechtsverhältnisse und den dermaligen Rechts­ zustand klarzustellen. Daß ich den Artikel 5 ganz streichen will, habe ich nie­ mals erklärt. Ich habe im Gegentheil zu erkennen gegeben, daß ich gegen denselben eine Erinnerung nicht erheben werde, wenn von Seite des Ausschusses kein Redner sich dagegen erheben wird. Was von Seite des Herrn Kollegen von Walter vorgebracht worden ist, das erkenne ich ja an; ich habe ja auch noch nicht einen definitiven Vorschlag gemacht, sondern erst zu Vorschlägen angeregt, und ich bemerke nur, nach den Erklärungen des Herrn Kronanwalts von Schubart glaube ich, kann der Artikel 5 nicht ganz genau in seinem Wortlaut -so belassen werden, wie er lautet. Der­ selbe hat gesagt, daß das Wort „bestimmt" im Sinne der Vereinbarung auf­ zufassen, also gleich ist mit „soweit nicht ein Anderes vereinbart ist". Run sehe ich nicht ein, warum man das nicht gleich deutlich sagt; denn wenn der Wortlaut bestimmt ist und bleibt, so denkt man nicht an Vereinbarungen, || die S. 53. im einzelnen Falle getroffen werden, sondern man denkt auch an allgemeine gesetzliche Bestimmungen. Nun kommt der zweite Punkt. Gerade die Anregungen des Herrn Kollegen von Walter geben Anlaß, auf den Verordnungsweg hinzuweisen. Ich bin ganz damit einverstanden, daß mein Vorschlag fallen gelassen wird, wenn uns, wie vom Finanzministerium geschehen ist, zugesichert wird, daß im Verordnungswege diejenigen Mißstände abgestellt werden, welche wir beklagen, und von Seite des Herrn Kronanwalts von Schubart ist, wenn ich ihn richtig verstanden habe, hinsichtlich des Finanzministeriums das in Aussicht gestellt. Ich habe vorhin gesehen, daß Herr Kollege Geiger einen Abänderungs­ vorschlag übergeben hat. Ich habe genau einen ähnlichen selbst stellen wollen, nämlich dahingehend, daß das Wort „bestimmt" durch „vereinbart" ersetzt und daß noch hmeingesetzt wird: „und soweit nicht im Verordnungswege etwas Anderes bestimmt wird". Ich will aber den Modifikationsantrag dem Herrn Kollegen Geiger nicht wegnehmen, sondern überlasse es dem genannten Herrn, seinen Antrag selbst noch des Näheren zu plädiren. Ich bemerke nur, daß, wenn eine derartige Modifikation erfolgt, ich damit völlig einverstanden bin und keinen Anlaß mehr habe, auf meinem Vorschläge zu bestehen. Vorsitzender: Der Herr Abg. Geiger beantragt, den beanstandeten Zwischensatz so zu fassen: „soweit nicht ein Anderes vereinbart oder im Verordnungswege bestimmt ist".

S. 53

Abg. Geiger: Gestatten Sie mir nur eine ganz kurze Begründung. Ich bin auch mit dem Herrn Kollegen Wagner einverstanden, daß sich der Ausdruck „soweit nicht ein Anderes bestimmt ist" nicht wohl eigne. Wir haben eine ganze Reihe von Gesetzen, wo es heißt „soweit nicht Anderes be­ stimmt ist", solches bedeutet: in diesem oder in anderen Gesetzen. An eine „Vereinbarung" denkt man zunächst gar nicht, sondern nur an eine gesetzliche Bestimmung. Ich glaube also, daß das zum Ausdruck zu gelangen hat im Gesetze. Und wenn ich mir den Zusatz erlaubt habe: „oder im Verordnungs­ wege bestimmt ist", so entspricht das einem allgemeinen Wunsche. Auf der einen Seite wird uns von der Finanzverwaltung die Zusicherung, daß eine die gewünschten Erleichterungen bietende Vorschrift erlassen wird, ertheilt. Wenn dieselbe in der Form einer Allerhöchsten Verordnung erlassen wird, so wird sie auch andererseits für sämmtliche Kassen bindend sein, und wird sodann die Zurücknahme nicht wohl zu befürchten sein. Aber ich glaube, es würde zur Beruhigung dienen, wenn das im Gesetze selbst zum Ausdruck käme, weil dann auch die Gewißheit vorhanden ist, daß sämmtliche Kassen die Verordnung zu respektiren haben. Ich möchte schließlich, da ich gerade das Wort habe, die Frage stellen, ob auch bei den Stiftungskassen ein Zwang wie in Artikel 5 normirt bestehen soll, oder ob diese Kassen von der Bestimmung des Artikel 5 ausgenommen erscheinen. Abg. Conrad: Ich kann mich im Prinzip nur für die Regierungsvorlage aussprechen und zwar um so mehr, als in der Pfalz nach den dortigen ge­ setzlichen Bestimmungen, nach Artikel 1247 des Code civil ohnedem schon Zahlungen aus öffentlichen Kassen als Holschulden gelten, also an der Kasse in Empfang zu nehmen sind. Wir haben dort die Einnehmer, welche ver­ pflichtet sind, allmonatlich sich in die Gemeinden zu begeben, und dort können dann, mit Hilfe dieser Einnehmer, die Auszahlungen erfolgen. Die heutige Verhandlung hat doch dahin geführt, daß, wie ich glaube, nach dem Vorschläge des Herrn Kollegen von Walter eine Allerhöchste Ver­ ordnung, sohin unter Mitwirkung des Gesammtstaatsministeriums, ergehen sollte, um die Interessen der Empfangsberechtigten den öffentlichen Kassen gegenüber mehr sicher zu stellen. Denn auch die Ausführungen des Herrn Referenten haben im Allgemeinen den Eindruck gemacht, daß da etwas geschehen soll. Sympathisch war mir besonders die Ausführung des Herrn Kollegen Lutz, der darauf hinwies, daß man für die Auszahlungen leichtere Formen finden solle. Wir haben gehört, daß die k. Bank und ihre Filialen öffentliche Kassen seien. Mit öffentlichen Kassen werden aber allgemein ausgedehnte Ge­ schäfte gemacht, auch von Privaten und von Gemeinden und öffentlichen Kor­ porationen, die vorschriftsmäßig ihr Geld dort deponiren müssen. Bei Empfang­ nahme von Zahlungen können sich aber doch häufig Schwierigkeiten ergeben, da derartige öffentliche Kassen, mit einem Privilegium ausgestattet, den Ge­ meinden und Privaten gegenüber sich manches gestatten können. Wenn es nun zu einer solchen Allerhöchsten Verordnung kommt im Einvernehmen mit allen anderen Ministern, so hätte ich gewünscht, daß man mehr als bisher die kameralistische Art des Kassen- und Rechnungswesens ablege und sich die erleichternden Formen des kaufmännischen Verkehrs so viel als möglich an­ eigne. Hoffentlich kommt es auch zu einem deutschen Checkgesetz, was ich vor einem Jahre bei dem allgemeinen deutschen Genossenschaftstag anzuregen Anlaß nahm, und es hat auch Seine Excellenz der Herr Finanzminister seine Ueber-

Ausschußverhandl. d st- d. Abg. — 5. Protokoll.

229

einstimmung damit zu erkennen gegeben, daß die bayerische Regierung die Sache S 53. beim Bundesrathe unterstützen werde. Dann werden vielleicht die Checkein­ richtung und andere nützliche Einrichtungen des kaufmännischen Verkehrs auch für derartige Auszahlungen mit nutzbar gemacht werden können.

Der k. Staatsminister der Justiz: Es ist nicht zweifelhaft, daß die Kassen der öffentlichen Stiftungen unter Artikel 5 fallen.

Ministerialrath, Kronanwalt von Schubart: Nur noch ein paar Worte, um gegen eine irrthümliche Auffassung meiner Aeußerung gesichert zu sein. Ich habe zuerst gesagt, ich glaube, daß für das Finanzministerium die Zusicherung gegeben werden könne, daß Vorschriften dieser Art erlassen werden; ob dieselben im Verordnuugswege erlassen werden, darüber bin ich heute nicht im Stande, eine Zusicherung zu geben. Für die weitere Behandlung der Frage ist es von großer Bedeutung, vorerst eine Aeußerung über die Stellung­ nahme des k. Staatsministeriums des Königlichen Hauses und des Aeußern, das bei der Sache wesentlich interessirt ist, zu erlangen, und es werden die geeigneten Schrrlte zu diesem Behufe getroffen werden. Der Ausschuß beschließt hierauf unter Stattgebung des Antrags „Geiger" die Annahme des Artikel 5 in folgender Fassung: „Zahlungen aus öffentlichen Kassen sind, soweit nicht ein Anderes vereinbart oder im Verordnungswege bestimmt ist, an der Kasse in Empfang zu nehmen, welche die Zahlung zu leisten hat." Die Sitzung wird hieraus durch den Vorsitzenden geschlossen und die nächste Sitzung aus den 15. ds. Mts. Vormittags 9*/i Uhr anberaumt. (Schluß der Sitzung um 12 Uhr 45 Minuten.)

von Gtobans, Vorsitzender.

Dr. Casselmann, Schriftführer.

S

Protokoll über die Sitzung des besonderen (XVIII.) Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Beilagenband XX, Abth. II, z. d. Verhandl. d. K. d. Abg. 1898 Seite 55 bis 73.)

München, den 15. November 1898, Vormittags 91/» Uhr.

Gegenwärtig:

Die Vertreter der k. Staatsregierung: der t. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod, Excellenz, der k. Senatspräsident am obersten Landesgerichte Dr. Ritter von Jacubezky; ferner die Ausschußmitglieder: von Stobäus, Vorsitzender, Wagner, Stellvertreter des Vorsitzenden, Dr Casselmann, Schriftführer, Michel, Stellvertreter deS Schrift­ führers, Fuchs, Joseph Geiger, Joseph Huber, Landmann, Lerno, Lutz, Dr. Ratzinger, Seeberger, Segitz, von Walter (Conrad entschuldigt).

S. 55.

S. 55.

Tagesordnung:

Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Artikel 6 mit 10.

Erste Lesung.

Vorsitzender von Stobius eröffnet um 9 Uhr 35 Minuten die Sitzung und ertheilt vor Eintritt in die Tagesordnung das Wort zur Geschäftsordnung dem Herrn Staatsminister der Justiz.

Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Ich las in einer hiesigen Zeitung, ich Hütte in diesem Ausschüsse erklärt, daß die Regierung alle Amtskautionen ausheben wolle. Dieß ist nicht richtig. Meine Erklärung ging dahin, daß auf die Aufnahme des Artikel 90 in den Artikel 1 verzichtet werde, weil für die Justizverwaltung nur die pfälzischen Hypotheken­ bewahrer in Frage kommen könnten und auch diese nur für die Zeit bis zur Fertigstellung des Grundbuchs; von der Finanzverwaltung sei erklärt worden, daß wegen der pfälzischen Notare auf diesem Artikel nicht bestanden werde. Die Weglassung des Artikel 90 hat lediglich die Bedeutung, daß auf die älteren Vorschriften aus der Zeit vor der Erlassung der Verfaffungsurkunde verzichtet wird. Die Frage der Beibehaltung der Kautionen der Beamten ist zwar Gegen­ stand der Erwägungen der einschlägigen Ministerien, eine Entscheidung ist jedoch noch nicht getroffen.*) Vorsitzender: Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Wir stehen bei Artikel 6.

Abg. Wagner (Referent) (verliest den Artikel 6): Wir haben hier zu be­ rücksichtigen, daß nach dem Bürger!. Gesetzbuch, beziehungsweise nach den Be­ stimmungen, welche in den Motiven aus dem Bürger!. Gesetzbuch angezogen sind, eine Aufrechnung (Kompensation nach früherer Ausdrucksweise) gegenüber einer Forderung insoweit nicht zulässig ist, als die Forderung nicht gepfändet werden kann. Es handelt sich hier um Gehalts- und Pensionsansprüche; bezüglich dieser ist über die Zulässigkeit der Pfändung, das heißt der Pfändung durch gerichtlichen Akt im Wege der Zwangsvollstreckung, im nunmehrigen § 850 der Civilprozeßordnung bestimmt, daß nur der dritte Theil des den Betrag von 1,500 JH. übersteigenden Gehalts- beziehungsweise Pensionsbezugs der Pfändung unterliegt, abgesehen von bestimmten Aufnahmen, auf welche ich hier wohl nicht näher einzugehen brauche. Es würde also die Aufrechnung zulässig sein für den dritten Theil des den Betrag von 1,500 Jt. übersteigenden Jahresbezugs. Der Artikel 6 des gegenwärtigen Gesetzes will nun, daß die Aufrechnung dieser Beschränkung nicht unterliegt, sondern ohne Rücksicht auf den Betrag zulässig ist zu Gunsten von Ansprüchen des Staates beziehungs­ weise der Gemeinde rc. aus dem Amts- oder Dienstverhältnisse und zu Gunsten der Steuern und Umlagen. Hinsichtlich der Reliktenbezüge wird die Aufrech­ nung ebenfalls zugelassen ohne Rücksicht auf den Betrag. Wichtig ist hier die weitere Bestimmung, daß die Cession und die Verpfändung vollständig aus­ geschlossen ist bezüglich der Wittwen- und Waisenbezüge. Was nun die Frage betrifft, ob diese Bestimmungen zu acceptiren sind, so dürfte Folgendes in Erwägung gezogen werden: *) Bergl. nunmehr die K Allh. Verordnung, die Amtsbürgschoften der Beamten und Bediensteten des CivilstaatsdicnsteS betreffend, vom 11. Dez. 1898 (Ges - u. Ver.-Bl. 1898 Nr. 55 S. 603, 604) nebst der Bek. d. K. Fin.-Min. gleichen Betreffs vom 12. Dez. 1898 (o. a. O. S. 604, 605).

Ein Privilegium wird dem Fiskus allerdings eingeräumt werden müssen. S. 55. Es ist ja hievon zunächst auch bei den Verhandlungen z. B. der zweiten Kom­ mission ausdrücklich die Rede gewesen und ist insbesondere hervorgehoben worden, daß gerade der bayerische Eisenbahnfiskus diese Bestimmungen wohl kaum entbehren könnte schon im dienstlichen Interesse. Das wird nun wohl anzuerkennen sein; die Frage ist aber doch, ob die unbeschränkte Aufrechnung zugelassen werden soll. Das ist ja nach meiner Meinung schon gar nicht durch­ führbar; es muß doch dem einzelnen Beamten, beziehungsweise dem Bediensteten sein Nothbedarf belassen werden und es ist ja auch aus den Motiven ersichtlich, daß das im Verwaltungswege durchgeführt werden soll. Nun weiß ich nicht, ob man es hier lediglich auf die Anordnungen im Verwaltungswege ankommen lassen soll, ob nicht doch schon der Gesetzgeber selbst tn dieser Beziehung einen Riegel vorschieben soll. Es wird da allerdings gesagt, die Dinge bleiben geradeso, wie sie bisher waren; denn nach dem Gesetz über die Forderungs­ pfändung, das wir ja selbst gemacht haben im Jahre 1887, war die Auf­ rechnung auch in dieser Beziehung unbeschränkt zulässig; allein der Rechts­ zustand ist doch jetzt ein anderer, denn das Bürger!. Gesetzbuch trifft eben jetzt eine allgemeine Bestimmung, die wir nicht hatten, und von dieser allgemeinen Bestimmung will jetzt eine Ausnahme statuirt werden. Wenn ich nun auch diese Ausnahme zugebe, so möchte ich doch der Meinung sein, daß es genügen dürste, dieses Privilegium des Fiskus auf den dritten Theil der Gehalts­ ansprüche zu beschränken. In höherem Maße es durchzuführen, wird ja gar nicht möglich sein, und ich glaube, es wird doch gut sein, daß man auch für einzelne Fälle, in welchen vielleicht von Seite des einen oder anderen Vorgesetzten eine Neigung bestünde, hier allzu weit zu gehen, schon einen gesetzlichen Riegel vorschiebt. Weiters habe ich in meinem schriftlichen Bericht angeregt, daß ich es für zweifelhaft halte, ob das Bedürfniß gegeben ist gegenüber allen Beamten und Bediensteten. Nun will ich hierüber eine lange Diskussion nicht veranlassen;

ich habe mir die Sache nochmal überlegt — ich glaube, daß schon redaktionell eine Ausscheidung außerordentlich schwierig wäre, und man kann dann auch über die materiellen Voraussetzungen immer streiten Ich möchte also diesen Gedanken nicht weiter hier festhalten, sondern bin S. 56. der Meinung, daß bei denjenigen, bei welchen ent Bedürfniß nicht besteht, die Bestimmung auch nichts schadet; sie wird eben dann einfach nicht zur An­ wendung kommen. Also in dieser Richtung will ich eine Bemängelung nicht erheben, aber Zweifel habe ich doch darüber, wie weit die Vorschrift nach ihrem dermaligen Wortlaute sich ausdehnt, ob auch nicht statusmäßige Bedienstete oder auch Bedienstete, die im Taglohn beschäftigt sind, hieher zu beziehen sind und ob unter den öffentlichen Dienern wohl auch die Volksschullehrer mitzuverstehen sein werden. Ich würde schon bitten, hierüber eine ausdrückliche Erklärung abzugeben. Dann, was die Pensionsbezüge betrifft, so dürfte der Ausdruck „Hinter­ bliebene" mit Rücksicht auf die Unterschiede, die in dieser Beziehung zwischen der Gesetzgebung bestehen, die wir durch das Bürger!. Gesetzbuch bekommen, und derjenigen Gesetzgebung, in welcher die öffentlichrechtlichen Normen, die hier wohl einschlagen, erlassen wurden — ich sage, es dürfte ein Aufschluß darüber zu geben sein, namentlich ob unter „Hinterbliebenen" auch die Adoptiv­ kinder und, was noch etwas neuer ist, die für ehelich erklärten Kinder mitzuverstehen sind. Wahrscheinlich wird sich auch diese Frage nicht generell beant­ worten lassen, sondern ich werde vermuthlich die Antwort bekommen, daß es hier auf das öffentliche Recht ankommt und auf den Sinn, den die betreffenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts haben. Ich will aber der Antwort nicht

2 56. vorgreifen und bitte nur, in dieser Beziehung Aufklärung zu ertheilen Ich habe in Meinem schriftlichen Bericht auch die Frage gestellt, ob die Regreß­ ansprüche nach Artikel 53 des Gesetzes hieher fallen. Ich glaube, daß das selbstverständlich ist, und wenn eine Bemerkung hierüber Nicht gemacht wird, so möchte ich nur konstatiren, daß wenigstens von meiner Sette das als selbst­ verständlich betrachtet wird.

Abg. Lerno (Korreferent): Artikel 6 entspricht nur dem bisherigen Rechtszustande und den Gepflogenheiten, die m Bayern, insbesondere rücksichtlich der den Verkehrsanstalten angehörenden Beamten und Bediensteten vorgewaltet haben, und ich bitte darum um unveränderte Annahme der Regierungsvorlage. Es handelt sich hier um etn Privilegium des Staates und dieses Privi­ legium ist nothwendig; auch der Herr Referent ist damit einverstanden. Er hat Zweifel ausgesprochen, ob es auf alle Beamte auszudehnen ist, und die Frage dahin beantwortet, daß man Ausnahmen nicht gut machen könne. Damit bin auch ich einverstanden; nicht aber damit, daß der Herr Referent Vorschlägen will, die Haftsumme auf den dritten Theil der Gehalts- und Pensionsansprüche zu beschränken. Ich gebe ja recht gerne zu, daß es Erwägungen von nicht untergeordneter Bedeutung sind, welche den Herrn Referenten dahingeführt haben, nämlich der Gedanke, daß man einem Beamten nicht seine vollständigen Subsistenzmittel für sich und seine Familie nehmen soll. Allein ich möchte darauf Hinweisen, was in den Motiven zur Regierungsvorlage auf Seite 18 ausgeführt ist, daß es auch bei dem bisherigen Rechtszustande bleiben solle und daß bet der Ausübung des Rechts Nicht das fiskalische Interesse, sondern das dienstliche Interesse maßgebend ist. Das war bisher und m diesen Motiven erblicke ich auch ent Versprechen für die Zukunft und ich glaube, wir dürfen uns damit zufrieden geben. Gegen den Vorschlag des Herrn Referenten, den Kompensationsanspruch des Staates auf den dritten Theil der Gehalts- und Pensionsansprüche der Beamten zu beschränken, habe ich ferner das große Bedenken, daß damit dem Leichtsinne, ja sogar dem strafbaren Verfehlen einzelner Beamten eigentlich Thür und Thor offen gelassen würde. Wenn der Beamte oder Bedienstete weiß, daß ihm im Kompensatlonsmege nicht mehr als ein Drittel seines Ge­ haltes oder seiner Pensionsansprüche sofort eingehalten werden kann, dann wird er nicht mit der Sorgfalt in seinem Dienste auftreten, als wenn er für seme, sei es auf grober Fahrlässigkeit oder vielleicht gar aus Verfehlungen gegen das Strafgesetzbuch beruhenden Dienstwidrigkeiten mit eventuell bis zurganzen Höhe seines Gehaltes einstehen muß. Ich meine also, wir sollen es bei den von der Regierung vorgeschlagenen Bestimmungen belassen.

Ministerialrath, Kronanwalt von Schubart: Wenn in dem Gesetze vom Jahre 1887 die Zulässigkeit der Aufrechnung gegen der Pfändung nicht unterworfene Ansprüche ausdrücklich festgestellt worden ist, so ist das deßhalb geschehen, weil das Bedürfniß nach Zulassung einer derartigen Aufrechnungsbefugniß nicht verkannt zu werden vermochte, und anderseits geraume Zeit hindurch vor Erlassung des Gesetzes die Rechtsprechung die Zulässigkeit einer solchen Aufrechnungsbefugniß negirt hatte. Das, was Artikel 6 vorschrelbt, ist auf Grund des Gesetzes von 1887 bereits Rechtens; neu daran ist lediglich, daß der Kreis der Ansprüche, welche aufgerechnet sollen werden können, eine wesentliche Einschränkung erfahren hat. Bisher konnten aufgerechnet werden Ansprüche wegen rückständiger Gebühren, auch Gerichtskosten, Strafvollzugs-

kosten und dergleichen; künftighin sollen gegen die Gehalts- und Pensionsan- S. 56. spräche der m Artikel 6 bezeichneten Personen lediglich solche Ansprüche aus­ gerechnet werden können, welche aus dem Amts- und Dienstverhältniß ent­ springen, oder die Steuern und Umlagen, die auf die Bezüge treffen, welche an die Empfangsberechtigten ausbezahlt werden, also zur Zeit Einkommen­ steuern und Umlagen; gegenüber den Ansprüchen der pensionsberechtigtcn Relikten sogar lediglich diese letzteren Ansprüche. Für diese beschränkte Aufrechnungsbefugnlß sprechen heute noch dieselben Gründe, die dazu geführt haben, die Aufrechnungsbefugnlß tnt Gesetze von 1887 festzustellen. Es ist doch int höchsten Grade mißlich für den Staat, und ich sage Ihnen, die Fälle sind sehr häufig vorgekommen, daß der Staat Gehälter und Pensionen auszahlen muß und nicht einmal zu den davon zu entrichtenden Steuern kommen kann, weil, was überhaupt vom Gehalt oder von der Pension pfändbar ist, bereits zu Gunsten dritter Personen gepfändet ist. Wie nothwendig diese Austechnungsbefugniß für den Eisenbahnfi'kus ist, wurde bereits vom Herrn Korreferenten hervorgehoben. Nun ist bet Schaffung des Gesetzes vom Jahre 1887 von Seite der k. Staatsregierung die Erklärung abgegeben worden, daß man bei der Ausübung dieser Befugniß auf die Interessen der Beamten in wohlwollender und billiger Weise Rücksicht nehmen werde. Die Staatsregierung ist diesem Versprechen in geradezu ängstlicher Weise, mit peinlicher Gewissenhaftigkeit nach­ gekommen. Es wird nicht behauptet werden können, daß irgend einem Betheiligten ein Grund zu berechtigter Klage gegeben worden ist. Es ist auch nicht den äußeren Behörden überlassen worden, hierüber zu entscheiden, sondern es sind allgemeine Direktiven m dieser Hinsicht ergangen. Die Staatsregierung wird auch künftighin von der Vorschrift des Artikel 6 in der rücksichtsvollsten Weise Gebrauch machen; sie legt aber Werth darauf, daß die Vorschrift m der vorgeschlagenen Form angenommen wird und daß die Aufrechnungsbefugniß unbeschränkt und nicht blos gegenüber einem Drittel der Ansprüche der m Betracht kommenden Personen zugelassen wird. Es wird wohl allerdings nur in den allerseltensten Fällen vorkommen, daß aufgerechnet werden will gegen­ über mehr als einem Drittel der Gehälter und Pensionen ober auch nur gegenüber einem vollen Drittel. Aber die Vorkehrung einer derartigen Eini'chränknng im Gesetz, die im Gesetze von 1887 fehlt, nähme sich doch so aus, als ob die Staatsregierung bisher von der Aufrechnungsbefngniß einen zu S 57 ansgedchnten Gebrauch gemacht hätte, und man ihr für die Zukunft Zügel anlegen müsse.

Der k. Staatsminister der Justiz: Die nicht statusmäßigen Beamten sollen unter den Artikel 6; die int Taglohn beschäftigten Perionen dagegen sind weder Beamte noch Bedienstete, auf sie ist der Artikel 6 daher nicht an­ wendbar. Die Volksschullehrer sind als Gememdebeamte oder Bedienstete zu erachten. Als Hinterbliebene im Sinne dieses Artikels kann ein für ehelich erklärtes Kind oder ein angenommenes Kind eines Beamten nicht in Betracht kommen; denn nach den für die Pensionsansprüche maßgebenden Bestimmungen haben eben diese Kinder keinen Anspruch auf Pension. Abg. von Walter: Ich schließe mich auch der Anschauung des Herrn Korreferenten an, daß wir dem Artikel 6 die Zustimmung geben sollen, so, wie er vorliegt Der Herr Referent hat ja ganz gewiß Recht, wenn er auch auf die Subsistcnzfählgkeit der betreffenden Beamten und Bediensteten Rücksicht nimmt, Becher, Materialien

IV

16

S. 57. und wenn der Vollzug des Artikel 6 in die Hände der äußeren Behörden gelegt sein würde, wäre ich wohl der Letzte, der nicht auch dafür sein würde, daß Kautelen geschaffen werden müßten, weil die Rücksicht bei den äußeren Behörden nicht immer so groß ist, daß man mit Sicherheit auf einen billigen und rücksichtsvollen Vollzug rechnen kann. Allein der Herr Ministerialkommissär haben uns bereits gesagt, daß der Vollzug nicht den äußeren Behörden anvertraut ist, sondern daß die Zentralstelle gewisse Direktiven gibt, an deren Einhaltung die äußeren Behörden gebunden sind. Ich glaube, es wird gerade darin der Grund liegen, warum gegen die Bestimmungen des Gesetzes vom Jahre 1887 bisher keine Klagen vorgekommen sind. Wir sind ja namentlich gegenüber unserem Herrn Finanzminister ganz gewiß zur Annahme berechtigt, daß das, was er der Landesvertretung verspricht, genau gehalten und gewahrt wird. Deßhalb möchte ich den Herrn Referenten bitten, das geltende Recht, wie es jetzt besteht, in’§ neue Gesetzbuch hinüber zu nehmen. Ich habe nur ein formelles Bedenken: Ich frage mich nämlich, ob es zweckmäßig ist, den Artikel 6 im Ausführungsgesetz unterzubringen, oder ob es nicht besser wäre, denselben in Beilage B zu verweisen und ihn als einen Zusatz oder eine Abänderung des Gesetzes von 1887 zu behandeln. Ich glaube nämlich, daß ohnehin die Anwendung der neuen Gesetze von außerordent­ lichen Schwierigkeiten begleitet sein wird, und daß wir diese Schwierigkeiten nicht noch dadurch vermehren sollen, daß wir die einzelnen Materien aus­ einanderlegen und sie theilweise in dem und in dem und theilweise in einem anderen Gesetze erledigen. Ich wäre deßhalb der k. Staatsregierung sehr dank­ bar, wenn sie sich damit einverstanden erklären würde, daß wir Artikel 6 zwar heute abschließen, daß er aber aus diesem Gesetze ausgehoben und in das Gesetz, die Abänderung der Gesetze seit dem Jahre 1818 betreffend, hinübergenommen werde. Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Diesem Vorschläge dürfte das Bedenken entgegen stehen, daß das Gesetz vom Jahre 1887 im zweiten Entwurf nicht umgebildet, sondern gänzlich aufgehoben wird, und es wird meines Erachtens auch gar nichts Anderes übrig bleiben, wenn wir uns den übrigen Inhalt dieses Gesetzes vor Augen führen. Der Artikel, der von der Beschränkung des Pfandrechts des Vermiethers und Verpächters spricht, fällt weg; dafür haben wir keinen Vorbehalt. Der Artikel 2 spricht auch noch von anderen Forderungen, insbesondere von den in § 749 Nr. 2, 3, 4 der Zivilprozeß­ ordnung bezeichneten Forderungen, bei denen die Landesgesetzgebung auch keinen Raum mehr hat; er spricht ferner von der Benachrichtigung der aus­ zahlenden Kasse durch eine öffentliche Urkunde; das ist durch das Bürgerl. Gesetzbuch dahin geändert, daß eine öffentlich beglaubigte Urkunde genügt. Der Artikel 3 bestimmt die rückwirkende Kraft des Gesetzes und hat überhaupt nur die Bedeutung einer Uebergangsvorschrift. Wie Sie sehen, wird also dieses Gesetz n>cht umgebildet, sondern aufgehoben. Wir haben überhaupt — das darf ich vielleicht jetzt gleich im Allgemeinen bemerken — diejenigen Normen, welche aus solchen seit 1818 erlassenen Gesetzen übernommen werden, die voll­ ständig aufgehoben werden sollen, in diesen Entwurf eingestellt. So finden Sie hier insbesondere einen Ersatz für die Vorschriften des Finanzgesetzes vom Jahre 1831 über die Verjährung von Ansprüchen des Staates und An­ sprüchen gegen den Staat. Die hierauf bezüglichen Vorschriften sind hier hereingesetzt worden, weil das Finanzgesetz vom Jahre 1831 gleichfalls aufgehoben werden soll.

Abg. von Walter: Ich erkenne vollständig als richtig an, was der Herr S. 57. Senatspräsident jetzt vorgebracht hat; aber ich meine doch, daß die Möglich­ keit nicht ausgeschlossen wäre, alle diejenigen Bestimmungen, durch welche Gesetze, die seit 1818 erlassen sind, abgeändert oder aufgehoben und durch neue Bestimmungen ersetzt werden, in den zweiten Entwurf einzustellen. Das könnte insbesondere bezüglich des Artikel 6 hier dadurch geschehen, daß man sagte: „an Stelle des Gesetzes von 1887 tritt folgende Bestimmung". Ein gleiches Verfahren könnte auch bezüglich des Finanzgesetzes vom Jahre 1831 stattfinden. Man würde dann im Auffinden sich viel leichter thun, weil man weiß, es handelt sich um gesetzliche Bestimmungen, die seit dem Jahre 1818 erlassen worden sind, und weil man gleich nach dem Gesetze greifen kann, welches für die Abänderung der Gesetze seit 1818 maßgebend ist. Es ist dieß eine Zweckmäßigkeitsfrage; ich bestehe übrigens nicht unbedingt darauf. Ich habe aber geglaubt, daß es jedenfalls angezeigt wäre, dieses Bedenken vorzubringen. Der k. Staatsminister der Justiz: Der zweite Entwurf enthält, wie schon sein Titel ergibt, nur die Gesetze, welche geändert werden sollen. Wird ein Gesetz aufgehoben und durch neue Bestimmungen ersetzt, so gehören die neuen Bestimmungen in den gegenwärtigen Entwurf.

Abg. Wagner (Referent): Was die letzte Frage betrifft, so meine ich auch, daß wir es bei dem Vorschlag der k. Staatsregicrung und bei der von ihr beliebten Anordnung belassen sollen. Wir haben ja eigentlich schon ein Präjudiz dafür. Das Vereinsgesetz bezieht sich meines Wissens auch nur auf Gesetze, welche nach der Zeit von 1818 erlassen wurden; denn für das Vereins­ recht glaube ich nicht, daß wir noch Bestimmungen haben, welche aus der Zeit vor 1818 herrühren. Es ist ja ohnehin beabsichtigt, diese drei Entwürfe in einen zu vereinigen, und ich glaube nicht, daß das Aufschlagen des Gesetzes sehr erschwert wird, wenn die Vereinigung der drei Gesetze, des jetzigen Ent­ wurfs, des zweiten Entwurfs und der Ausführungsbestimmungen erfolgt. Was nun aber die andere, materielle Frage betrifft, so glaube ich doch, daß eigentlich die Anregung, die ich gegeben habe, nicht widerlegt ist. Von Seite des Herrn Kronanwalts haben wir den Einwand gehört, daß es bisher so war, daß allerdings es wohl noch kaum vorgekommen ist und höchst unwahr­ scheinlich ist, daß es vorkommen wird, daß gegen einen Beamten mehr als ein Drittel aufgerechnet wird. Nun daraus folgt doch eigentlich, daß ein Be­ dürfniß für eine weitergehende Einschränkung nicht vorhanden ist. Nun sagt der Herr Kronanwalt: Ja, wenn wir jetzt diese Aenderung eintreten lassen, so sieht das aus, als ob etwas vorgekvmmen ist, was wir bekämpfen müssen. Es sieht also aus, wie eine Art Miß |j trauensvotum. Das, glaube ich, brauchen S. 58. wir nicht sagen zu wollen und wir wollen es auch nicht sagen: wir haben bisher keine Veranlassung, uns in dieser Beziehung zu beschweren — das ist, glaube ich, außer allein Zweifel. Wir glauben auch, daß die gegenwärtige Regierung denjenigen Gebrauch davon macht, den sie bisher davon gemacht hat, und gegen welchen wir eine Erinnerung nicht erheben wollen. Aber wir machen doch das Gesetz nicht für die bestehende Regierung, sondern machen es für alle Zeiten, und da wissen wir nicht, welche Regierungen kommen. Also glaube ich denn noch, daß, wenn es sich um die Frage handelt, wie weit man mit einer Beschränkung des Einzelnen gehen darf, daß man da niemals weiter gehen soll, als es das Bedürfniß erheischt, und das Bedürfnis erheischt ein Weitergehen als auf ein Drittel nicht; denn wenn in den allerseltensten

S. 58. Fällen einmal eine Ausnahme gemacht worden sein sollte, so glaube ich, braucht gerade wegen des Allerunwahrscheinlichsten nicht ein besonderes Gesetz gemacht zu werden. Ich wäre also schon der Meinung, daß man die Kompensationsbefugniß auf ein Drittel beschränken sollte; selbstverständlich, wenn meine Anregung im Ausschüsse irgend einen Anklang nicht findet, so bin ich überhaupt nicht in der Lage, meinen Wunsch durchzusetzen, und werde es dann unterlassen, einen Antrag zu stellen. Aber ich möchte den verehrten Herren nochmal die Eiwägung der Gründe, die ich vorgetragen habe, anheimgeben. Abg. Fuchs: Ich muß bekennen, daß mir bei dem erstmaligen Lesen der Vorschlag des Herrn Referenten nicht unsympathisch gewesen ist. Wenn ich aber die Gründe näher erwäge, welche für und gegen diesen Vorschlag sprechen, namentlich darauf Rücksicht nehme, was heute Seitens der Regierung gesagt worden ist, so möchte ich glauben, daß die überwiegenden Gründe doch für den Regierungsvorschlag sprechen. Ich lege des Hauptgewicht darauf, daß, wie der Herr Korrefent bereits betont hat, dem Leichtsinn, aus dem eine Fahr­ lässigkeit hervorgeht, ein zu großer Spielraum gelassen wird. Wenn die Leute wissen, daß sie nur bis zum dritten Theile ihres Gehaltes und ihrer Pension in Anspruch genommen werden können, so tverden sie voraussichtlich jene Sorgfalt nicht beobachten, die sie unter anderen Verhältnissen an den Tag legen müssen. Ich glaube, daß der Vorschlag der k. Staatsregierung der bessere ist. Abg. Wagner (Referent): Ja, was diesen Gesichtspunkt betrifft, so glaube ich doch, daß er kaum zutreffen wird. Die Leute kennen in der Regel die gesetzlichen Bestimmungen gar nicht; die richten sich darnach, wie in Wirklich­ keit verfahren wird, und wenn in Wirklichkeit nur der dritte Theil oder ein noch geringerer Betrag abgezogen wird, so, glaube ich, wird das für sie maß­ gebend sein, wenn überhaupt aus diesem Gesichtspunkt eine größere oder geringere Aufmerksamkeit resultireu sollte. Ich möchte das aber vollständig bezweifeln, daß aus diesem Gesichtspunkt Jemand zu einer größeren Sorgfalt veranlaßt wird; möglich kann es ja sein, aber ich für meine Person halte es für sehr unwahrscheinlich und sage, die Leute werden nicht aus das, was gesetzlich normirt ist, Rücksicht nehmen, das werden sie in der Regel gar nicht kennen, sondern auf das, was thatsächlich geübt wird. Abg. Fuchs: Meines Wissens werden die Leute bei ihren Verpflichtungen darauf aufmerksam gemacbt, welche Haftungen sie eventuell zu übernehmen haben; die Leute wissen also genau, was ihnen bevorsteht, wenn sie nicht die Sorgfalt anwenden, die man von ihnen verlangen kann. Abg. Lutz: Ich meine, wir sollen die Bestimmungen stehen lassen, wie sie stehen. Der Herr Referent hat gesagt, wir machen diese Gesetze nicht für jetzt, sondern für alle Zeiten. Das mag wohl für die Herren Juristen sehr bequem sein, die jetzt amtiren, wenn dieses Gesetz in der Beilage B unter­ gebracht wird, wegen des Nachschlagens — eine spätere Generation wird sich aber da ganz gut zurechtfinden, auch wenn es nicht unter B untergebracht ist. Abg. Wagner (Referent): Nachdem meine Anregung irgend eine sympathische Aufnahme nicht gefunden hat, ist es selbstverständlich, daß ich die Zeit nicht weiter vertragen will, und ich unterlasse also die Stellung eines Antrags.

Vorsitzender: Unter diesen Umständen kann ich konstatiren, daß Artikel 6 S 58. angenommen ist. Wir kommen zu Artikel 7. Abg. Wagner (Referent): Der Artikel 7 und 8 betreffen die Bierlieferungs­ verträge. In dieser Beziehung haben wir — das wird vielleicht vorauszuschicken sein —, bevor wir auf eine Prüfung der einzelnen Artikel näher eingehen, bisher folgenden Rechtszustand und zwar nach der Verordnung vom Jahre 1811 und beziehungsweise nach dem Gesetze vom Jahre 1846: Der Wirth, welcher von einem bestimmten Bcäuhaus sein Bier nimmt, der muß sich zu Michaeli erklären, ob er austritt oder nicht, widrigenfalls ein Bierlieferungsvertrag als für das nächste Jahr stillschweigend fortgesetzt zu erachten ist. Es gilt das selbstverständlich nur für diejenigen Fälle, m welchen nicht ausdrücklich ander­ weitige Vereinbarungen getroffen sind. Die Kündigung zu Michaeli ermöglicht aber dem Wirthe das Austreten auch im nächsten Jahre dann noch nicht, wenn er Bierschulden hat, wenn er seinem Brauer für geliefertes Bier etwas schuldet und seine Schuldigkeit nicht bis zu Weihnachten desjenigen Jahres, in welchem er die Kündigung bethätigt hat, zurückbezahlt; selbst eine spätere Zahlung noch vor Ablauf der nächsten Frist Michaeli, aber nach Weihnachten, hilft ihm nichts mehr; er muß dann doch noch ein Jahr bleiben. Tann ist er verpflichtet, den ganzen Blervorrath aus dieser Brauerei zu entnehmen: er darf anderswo ein Bier nicht abnchmcn, und es ist weiter die Bestimmung zur Zeit gegeben, daß, wenn der Wirth sein Anwesen veräußert, als wie wenn etwa der Besitz­ nachfolger kraft Gesetzes in den Bierlieferungsvertrag einzutretcn hat. Das ist nun im Allgemeinen der bisherige Zustand. Es sind dann noch einzelne Bestimmungen in den bisherigen Gesetzen enthalten, welche sich nach dem Bürger!. Gesetzbuch von selbst verstehen, z. B. über das freie Vertragsrecht. Was den Artikel 8 betrifft, so habe ich zu be­ merken, daß zur Zeit der Bierbrauer einen gesetzlichen Hypothektitel am An­ wesen des Wirthes für seine Bierforderungen hat. Artikel 7 und 8 wollen diese Brauerprivilegien, soweit als möglich, aufrecht erhalten. Nicht aufrecht erhalten werden kann das Zwangsrecht, welches aus der Schuldennichtzahlung resultirt, wie ich vorhin dargelegt habe; das aufrecht zu erhalten ist nicht möglich, und es liegt die Befugniß der Landesgesetzgebung auch nicht in der­ jenigen Norm, welche die Landesgesetzgebung in dieser Materie für zuständig erklärt Es ist das der Artikel 18 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetz­ buch; denn dieser lautet: „Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über den Vertrag zwischen dem Brauer und dem Wirthe über die Lieferung von Bier, soweit sie das aus dem Vertrage sich ergebende Schuldenverhältniß für den Fall regeln, daß nicht besondere Vereinbarungen getroffen sind." Ebenso wird die Landesgesetzgebung nach dieser Bestimmung nicht die Bestimmung treffen können, daß der Besitznachfolger || unter Lebenden von selbst S. 59 in die Schulden des vorbesitzenden Wirthes gegenüber einem Brauer eintritt. Wir haben nun also zunächst Artikel 7 in's Auge zu fassen. Derselbe lautet: „Wird zwischen einem Brauer und einem Wirthe ein Vertrag über die Lieferung von Bier ohne Bestimmung der Menge des zu liefernden Bieres geschloffen, so gilt, soweit nicht ein Anderes vereinbart wird, als Gegenstand des Vertrags der gesammte Bedarf an Bier, der sich in dem Gewerbebetriebe des Wirthes während der Dauer des Vertragsverhältniffes ergibt."

238

S- 59.

IV. Ablh.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Das ist also eine Bestimmung, welche in dem bisherigen Rechte schon enthalten ist, daß der gesammte Bierbedarf, der sich während eines Jahres ergibt, als Vertragsgegenstand zu betrachten ist. Ferner heißt es:

„Der Wirth ist verpflichtet, den Bedarf ausschließlich von dem Brauer zu beziehen", er darf also nicht von jemand Anderem Bier nehmen; endlich ist gesagt:

„Der Brauer hat dem Wirthe die jeweils verlangten Mengen zu liefern. Ist die Dauer des Vertragsverhältnisses nicht bestimmt, so kann dieses von jedem Theile für den Schluß des Monats September jedes Jahres gekündigt werden."

Diese Bestimmungen wurden also aus dem früheren Rechte herüber­ genommen. Was nun die Besitznachfolge betrifft, so bestimmt Abs. 2 des Artikel 7: „Geht das Geschäft des einen oder des anderen Theiles durch Rechtsgeschäft unter Lebenden auf einen Dritten über, so hat der bis­ herige Inhaber dafür einzustehen, daß der neue Inhaber in den Ver­ trag eintritt."

Also, wie ich vorhin schon dargelegt habe, das Gesetz bestimmt nicht, daß von selbst der Besitznachfolger in das Schuldverhältniß seines Besitzvor­ gängers eintritt, aber der Besitzvorgänger hat die Verpflichtung gegenüber dem Brauer, daß er den Vertrag nur in der Weise abschließt, daß der Besitznach­ folger eintreten muß. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, so ist er dem Bier­ brauer für den daraus entstehenden Schaden ersatzpflichtig. Nun, was den Artikel 7 zunächst betrifft — derselbe Grund gilt ja schließlich auch für Artikel 8 —, so kann erstens einmal die Frage aufgeworfen werden, ob es denn angemessen ist, dieses Privilegium der Bierbrauer fort­ bestehen zu lassen. Begründet ist das Privilegium mit Rücksicht auf die eigenthümliche Art der Bierbereitung, wie sie in früheren Zeiten allgemein geübt wurde. Der Brauer mußte in der Lage sein, zu ermessen, wie viel er mit Rücksicht auf den voraussichtlichen Bedarf seiner Wirthe Bier einzusieden habe, und zwar mußte er das um so mehr wissen, weil in der Regel nur während der Winters­ zeit das Bier gesotten wurde. Dieses Verhältniß hat sich nun bei den meisten Brauereien allerdings insoferne geändert, als namentlich bei den Großbrauereien das ganze Jahr hindurch Bier versotten wird. Von diesem Standpunkte aus könnte man sagen, für diese Brauer ist ein derartiges Privilegium nicht mehr nothwendig; nothwendig ist es eigentlich nur für diejenigen Brauereien, welche noch nach der alten Bierbereitungsweise verfahren. Wie viele deren sind, das läßt sich wohl schwer feststellen. Es wird nicht mehr allzu viele geben; für diese ist allerdings das Privilegium nach meiner Meinung außerordentlich noth­ wendig, sie werden ohnehin durch die Konkurrenz des Großbetriebs sehr stark beeinträchtigt. Wenn sie dieses Privilegium verlieren würden, so wäre ihre wirthschaftliche Existenz sehr stark gefährdet. Also ich bin der Meinung, schon mit Rücksicht hierauf ist das Privileg zuzulassen. Nun wird aber die Aus­ scheidung im Gesetze eine außerordentlich schwierige sein, und man wird wohl schließlich dazu kommen müssen, daß man das Privilegium im Allgemeinen zuläßt. Dafür scheint mir noch ein anderer Grund zu sprechen, der in den Motiven nicht ausgesprochen ist. Es ist das der Hinblick auf unseren Malz­ aufschlag. Ter Malzaufschlag ist — ich möchte fast sagen — die wichtigste

Staatseinnahme; sie trägt ja weit mehr als die sämmtlichen direkten Steuern. S 59. Nun hat der Staat ein gewisses Interesse daran, daß dieser Malzaufschlag von den Bierbrauern gut eingeht und das hängt wieder davon ab, daß solche Personen auch gegenüber jenen Personen, an welche sie ihr Bier veräußern, einen entsprechenden Rückhalt finden, daß sie auch hier für ihre Bierforderung eine genügende Sicherheit haben; der Staat hat für seine Forderungen gegen­ über den Bierbrauern Vorzugsrechte und Privilegien und es wird auch hier die Bestimmung des Artikel 111 dahin, daß der Staat eine Sicherungshypothek für den Malzaufschlag auf dem Anwesen des Bierbrauers verlangen kann, ein­ treten. Ich glaube, es ist Artikel 111, der im Allgemeinen von den Ansprüchen des Staates spricht und von den öffentlichen Abgaben, der wird wohl auch bezüglich des Malzaufschlags gelten. Also, wenn der Staat sich gegen den Bierbrauern versichert, so glaube ich, daß er umgekehrt so billig sein muß, auch dem Bierbrauer die Möglichkeit zu geben, sich gegenüber dem Wirthe zu sichern, dadurch daß er ihm tn ähnlicher Weise Privilegien gibt, und namentlich auch die Möglichkeit der Sicherung durch den Ersatz des Hypothektitels mittelst der Zulassung einer Sicherungshypothek, was ja eigentlich erst beim nächsten Artikel zu besprechen sein wird, hier aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden muß. Eine Frage dürfte blos noch zu berücksichtigen sein und die erschwert allerdings etwas die Stellungnahme. Wenn nämlich der Wirth verpflichtet ist, sein Bier ganz vom Brauer zu nehmen, der Brauer aber ein schlechtes Bier liefert, so kann der Wirth unter Umständen in eine mißliche Lage kommen. Nun ist die Frage, ob er in der Lage ist, sich vom Bierlieferungsvertrag zu befreien, wenn der Brauer vielleicht länger andauernd ein schlechtes Bier liefert. Wir haben — ich habe in meinem schriftlichen Berichte darauf hmgewiesen — eine Entscheidung des Reichsgerichts, welche sagt, daß, wenn der Wirth das schlechte Bier verwendet hat, er keinen Grund oder keine Berechtigung mehr hat, das Bier oder die Qualität des Biers zu bemängeln. Das Bier gilt als genehmigt, wenn er es für sich verbraucht hat. Wenn das allerdings der Fall wäre, daß, obwohl der Wirth anderswo ein Bier nicht nehmen darf, wenn er geliefertes schlechtes Bier ausschänkt, hierin eine Genehmigung des Biers gefunden wird, )o wäre allerdings der Wirth in einer außerordentlich schlechten Lage. Ich habe zwar eine etwas andere Meinung hinsichtlich dieser Frage, möchte mich aber nicht für maßgebend erklären und deßfalls besondere Grund­ sätze nicht aussprechen. Ich wäre der k. Staatsregierung sehr dankbar, wenn sie die Bedenken, die ich in dieser Beziehnng angeregt habe, zerstreuen könnte. Ich dächte wohl, es wäre möglich, daß das geschehen kann; ich wäre also, wenn dieses Be­ denken zerstreut werden kann, im Großen und Ganzen mit dem Regierungs­ vorschlage einverstanden.

Abg. Lerno (Korreferent): Ich kann von mir das Gleiche sagen. Aus den Ausführungen des Herrn Referenten geht hervor, daß er Bedenken gegen die beiden Artikel und zunächst gegen Artikel 7 nicht vorzubringen hat. Seine Anfrage war mehr aufzufassen als Bedenken, ob dieses Privileg auf alle Brauereien auszudehnen oder auf diejenigen zu be || schränken sei, welche nach S. 60 der älteren Betriebsweise ihr Bier sieden. Diese Frage hat er selbst damit beantwortet, daß es außerordentlich schwierig wäre, hier eine Grenzlinie zu ziehen und darum werden wir es wohl am besten bet der Regierungsvorlage belassen. Die zweite Beanstandung, die der Herr Referent gegenüber der Regierungs-

S. 60. Vorlage erwähnt hat, theile auch ich vollkommen, nämlich die Frage, bezüglich der Lieferung von schlechtem Bier, was hier Rechtens ist? Wir sind mit" der Regierungsvorlage vollständig einverstanden, daß wir int Interesse der kleineren Brauer auf dem Lande, welche ohnehin mit der Konkurrenz der Großbetriebe auf diesem Gebiete sehr schwer zu kämpfen haben, das bisherige Verhältniß aufrecht erhalten wollen, allein anderseits entspricht der Rücksichtnahme auf die Brauer doch auch die Tendenz, daß wir die Wirthe, welche unterlassen haben, einen Vertrag mit dem Brauer abzuschließen — der vollkommenen Vertragsfreiheit ist ja keine Schranke gesetzt —, daß wir dieselben nicht sozu­ sagen mit gebundenen Händen an den Brauer ausliefern wollen; daraus ergibt sich die Frage, was soll Rechtens sein, wenn der Wirth schlechtes Bier von seinem Brauer bekommt? Hier könnte man mir einwenden, es sei eine gesetzliche Bestimmung nicht nothwendig, weil bei der Eigenschaft der Brauer und Wirthe als Kaufleute die Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs ohnehin Platz greifen. Allein gegen­ über den kleinen Wirthen auf dem Lande wäre es ungerechtfertigt, wenn man sic lediglich auf die strengen Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs verweisen wollte. Ich glaube, daß es gut wäre, hiewegen eine eigene gesetzliche Regelung eintreten zu lassen. Ich würde z. B. eine Bestimmung für wünschenswerty erachten analog der früheren Bestimmung des Artikel 21 der jetzt zum größten Theil aufgehobenen Verordnung von 1811, worin es heißt: „Hat ein Brauer in eilt und demselben Sudjahre dreimal schlechtes Bier geliefert und ist der Brauer hiewegen bestraft worden, so soll der Wirth das Recht haben, auch unter dem Sudjahre den Brauer wechseln zu dürfen." Vielleicht wäre es besser, wenn statt des Wortes „dreimal" gesagt würde: „wiederholt oder zweimal". Bevor ich jedoch nicht die Meinung des Ausschusses gehört habe, möchte ich keinen Antrag stellen. Mit dem Begriff „schlechtes Bier" wird allerdings das Gericht nichts anfangen können, denn derselbe ist zumeist mehr subjektiv als objektiv. Wer z. B. das süße Bier gewöhnt ist und nach der Oberpfalz oder nach Ober­ franken kommt, der wird über das dortige bittere Rauchbier gewiß ein scharfes Urtheil füllen. Es wäre darum vielleicht besser, wenn wir uns an die Terminologie des Nahrungsmittelgesetzes halten und lieber den Begriff „verdorben" nehmen. Mir schwebt also der Gedanke vor, eine gesetzliche Bestimmung dahin zu treffen, daß der Wirth berechtigt sein sollte, das Verhältniß mit dem Brauer lösen zu dürfen, wenn ihm der Brauer int Laufe eines Sudjahres zweimal verdorbenes Bier geliefert hat.

Abg. Wagner (Referent): Ich habe noch einen Punkt zu berühren. Es ist in den Motiven auch hingcwiesen auf Artikel 25 des Handelsgesetzbuchs, wonach, wenn ein Handelsgeschäft übernommen wird, der Besitznachfolger auch verbunden ist, auch in die Passiva desselben einzutreten. Diese Bestimmung wird ja maßgebend sein für große Geschäfte, Hotels u. dergl. Auf diese wird wohl unser Gesetz hier selten Anwendung finden, diese Geschäste werden sich meist durch besondere Vertrüge sichern. Auf die Wirthe draußen auf dem Lande wird die Bestimmung des Artikel 25 des Handelsgesetzbuchs in der Regel nicht zutreffen, weil sie nicht zu den firmenpflichtigen Personen gehören.

Senatspräsident Dr. von Jarubezkh: Der von dem Herrn Korreferenten angeführte Artikel 21 der Verordnung von 1811 gilt schon seit dem Jahre 1846 nicht mehr.

Ich erachte es nicht für zweckmäßig, die Abhilfe auf diesem Gebiete zu S. 60. suchen, und möchte auch Zweifel daran erheben, ob wirklich der bestehende Rechtszustand, der eine ausdrückliche Vorschrift des angegebenen Inhalts nicht hat, einer Ergänzung bedarf. Es ist auf ein reichsgerichtliches Erkenntniß hingcwiesen worden. In diesem Erkenntnisse steht, daß der Wirth sich auf die schlechte, mangelhafte Beschaffenheit des Biers nicht hinterher zum Zwecke berufen darf, um von dem Vertrage loszukommcn, wenn er unterlassen hat, rechtzeitig, d. h. so zeitig, als es bei ordnungsmäßigem Geschäftsgänge möglich war, den Mangel zu rügen. Wenn der Wirth Monate lang das Bier bezieht, verschänkt, bezahlt und dann hinterher plötzlich sagen will, das Bier sei von schlechter Be­ schaffenheit gewesen und er trete deßhalb setzt aus, so ist es doch ein ganz richtiger Gedanke, ihm cntgegenzuhal'cn: Du hättest damals, als das Bier geliefert wurde, sagen sollen, daß es schlecht sei, dann hätte man es untersucht und die Beschaffenheit durch Sachverständige festgestellt. Du hast aber die Möglichkeit dieser Ermittlung abgeschnitten und kannst deßwegen nicht ver­ langen, daß man sich auf die nachträgliche Bemängelung einlaffe. Das Gesetz sagt, wenn unter Kaufleuten gekaufte Waaren angenommen werden und der Käufer es unterläßt, innerhalb der Zeit, innerhalb welcher bei ordnungs­ mäßigem Geschäftsgänge die Prüfung thunlich ist, die Waaren zu untersuchen und den gefundenen Mangel unverzüglich dem Verkänfer anzuzeigen, so gilt die Waare als genehmigt, der Käufer kann nicht mehr darauf zurückkommen, daß die Waare nicht vertragsmäßig gewesen sei. Diese Vorschrift ist für den Handelsverkehr nicht zu entbehren. Es ist richtig, daß es manchen kleinen Gewerbtreibenden, die Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuchs sind, wegen unzureichender Waarenkenntniß schwer fallen mag, dieser Prüfungspflicht zu genügen. Aber die Prüfungspflicht ist gleichwohl unerläßlich. Wer als Kauf­ mann auftritt, der muß diejenige Kenntniß haben, die sein Beruf erfordert, und wenn er sie nicht hat, so ist das sein Schaden, nicht der Schaden des­ jenigen, der mit ihm kontrahirt. Wir können die Möglichkeit, Sondervorschriften zu erlassen, die wir hier bezüglich des Verhältnisses zwischen Wirth und Brauer haben, nicht dazu benützen, um die Wirthe zu schützen, die etwa so wenig erfahren sind, daß sie nicht einmal wissen, ob das Bier vertragsmäßig oder mangelhaft — wie der Herr Korreferent sagt verdorben — ist. Ich glaube übrigens gerade in Bezug auf das Bier werden die Wirthe so viel Kenntniß haben, daß sie wissen, ob das Bier trinkbar oder verdorben ist. Aber die Nachlässigkeit zu unterstützen, die darin besteht, daß man von der schlechten Beschaffenheit des Bieres keine Anzeige an den Brauer macht, ist gewiß nicht Aufgabe der Landesgesetzgebung. Der Brauer muß, wenn das Bier nicht beanstandet wird, darauf vertrauen können, daß es gut befunden worden ist, er kann auch nicht jedes Faß besonders untersuchen. Es ist auch nicht richtig, daß der Wirth das Bier, wenn er es vertrags­ widrig findet, nicht mehr in seinem Gewerbebetrieb ausschänken dürfte, sofern dieß mit dem Nahrungsmittelgesetze vereinbar ist, daß er also das Recht, sich auf die schlechte Beschaffenheit des Biers zu berufen, verlöre, wenn er das Bier verkauft hat. Er kann allerdings nicht mehr die Wandelungsklage anstellen, aber er hat noch das Recht der Minderung, er kann überhaupt alle Rechte geltend machen, die sich darauf stützen, daß das Bier nicht die vertrags­ mäßige Beschaffenheit hat, mit Ausnahme der Wandelungen. Derartige Lieferungsverträge, Verträge über die dauernde Lieferung des Bedarfes eines Gewerbebetriebs Seitens einer Produktionsstätte, einer Fabrik, eines Bergwerks, kommen im Handelsverkehr häusig vor, namentlich die Kohlenlieferung

S. 61. spielt eine große Rolle, die sich auch in den Entscheidungen des Reichsgerichts bemerklich macht. Man hat bei der Revision des Handelsgesetzbuchs unterlassen, besondere Vorschriften für den Fall aufzunehmen, daß der eine oder andere Theil seiner Vertragspflicht in Ansehung der einen oder der andern Leistung nicht nachkommt, insbesondere daß der Lieferungspflichtige nicht vertragsmäßige Waare liefert oder die bestimmte Zeit nicht einhält, mit der Lieferung in Ver­ zug kommt. Man hat es bei dem, was sich aus den allgemeinen Vorschriften ergibt, belassen, weil die Entscheidung wesentlich von der Beschaffenheit des einzelnen Falles abhängt. Ich glaube, daß es richtiger sein dürfte, auch hier keine Bestimmung auszunehmen. Es würde für den Wirth eine wesentliche Ein­ schränkung sein, wenn blos die Lieferung eines im Sinne des Nahrungsmittel­ gesetzes verdorbenen Biers ihn berechtigte, den Vertrag zu kündigen. Wenn das Bier nicht vertragsmäßig, wenn es im Sinne des Bürger!. Gesetzbuchs mangel­ haft ist, so wird es darauf ankommen, ob der Wirth alsbald eine vertrags­ mäßige Lieferung bekommen kann und zwar so zeitig, daß der eigene Geschäfts­ betrieb keine Störung erleidet, und wenn mehrmals in kurzen Zwischenräumen verdorbenes oder mangelhaftes Bier geliefert worden ist, so wird , man daraus schließen können, der Brauer hat überhaupt kein anderes oder er will kein anderes liefern. Dann wird allerdings der Wirth nicht mehr an den Vertrag gebunden sein. Wenn aber vielleicht einmal zu Anfang des Jahres und dann wieder kurz vor Schluß des Jahres ein Versehen vorkommt und dieses sofort ohne Störung des Betriebs des Wirthes beseitigt wird, dann ist doch kein Grund vorhanden, ein formales Recht auf sofortige Kündigung zu gewähren. Ich meine, es ist besser, daß wir bei dieser Frage, die nicht speziell Bierlieferungsverträge, sondern überhaupt die Lieferungen für den Bedarf eines Gewerbebetriebs betrifft, von besonderen Vorschriften absehen.

Abg. Lutz: Wenn in der Vorlage die Artikel 7 und 8 Aufnahme gefunden haben, so entspricht das einem Wunsche des bayerischen Brauerbunds und ich möchte betonen, daß bei dem Brauerbund die Großbrauer hauptsächlich ver­ treten sind. Die kleinen Brauer sind hier nur in verschwindendem Maße vertreten. Also auch die Großbrauereien legen ein bedeutendes Gewicht daraus, daß der bisherige Rechtszustand erhalten bleibt. Es ist nicht allein darum zu thun, daß die kleinen Brauer auf ein ganzes Jahr wissen, wie sie daran sind, sondern gerade auch die Großbrauer würden einen beträchtlichen Schaden erleiden, wenn sie auf einmal einen größeren Kundenkreis verlieren würden. Ich erinnere ferner an die seinerzeitige Petition der bayerischen Gastwirthe, über welche die Kammer der Abgeordneten unter'm 18. November 1891 auf Antrag des Herrn Kollegen Geiger zur Tagesordnung übergegangen ist. Es ist ganz in der Ordnung, wenn diesen beiden Wünschen entsprechend die k. Staatsrcgierung diese beiden Artikel in den Gesetzentwurf ausgenommen hat. Nun muß ich auch sagen, wenn wir hier gar keine Einschränkung geben, daß von einem Grunde der Kündigung für die Wirthe dann nicht die Rede ist und daß wir das auch nicht durch den Begriff schlechtes Bier thun können. Schlechtes Bier ist ein subjektiver Begriff. Damit können die Gerichte so wenig arbeiten wie das Publikum. Auch der Begriff verdorbenes Bier genügt nicht, denn es kann auch zu neues Bier geliefert werden, das nicht verdorben, aber noch nicht ausgegohren ist, und solches Bier kann unter Umständen gesundheitsschädlicher sein als verdorbenes Bier. Wenn wir also den Artikel annehmen, wie er vorliegt, so ist der Wirth durchaus nicht schutzlos, denn wenn der Brauer ein ungesundes schädliches Bier

liefert, so hat der Wirth das Recht, Anzeige zu erstatten, und der Brauer S. 61. wird bestraft. Nach strafgesetzlichen Bestimmungen aber hat der Wirth das Recht, den Bestraften für den Schaden haftbar zu machen. Ich meine also, es genügt vollständig, was wir hier da stehen haben. Es ist ja in Abs. 1 richtig darauf hingewiesen, daß der Wirth einen Vertrag machen kann, und der bayerische Gastwirthschaftsverein agitirt ganz bedeutend dahin, daß jeder Wirth mit seinem Brauer einen Vertrag abschließt. Nun ist gesagt worden, daß für die Bierlieferung Vertragsfreiheit besteht. Da möchte ich mir die Frage erlauben, ob eine Bestimmung aus dem Gesetze vom Jahre 1848 aufgehoben fei, nämlich die Bestimmung bezüglich der Schaffung neuer Zwangs- und Bannrechte. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir es zu thun haben nicht blos mit dem Kampfe zwischen Wirthen und Bierbrauern, sondern mit einem Kampfe zwischen Klein- und Großbrauern. Nicht derjenige, der das beste Bier hat, macht das größte Geschäft, sondern diejenige Brauerei, die das größte Kapital hat und möglichst viele Schankstätten aufkauft. In meinem Wahlkreise z. B. wirken die Aktienbrauereien in fabelhafter Weise, sie kaufen Alles auf. Daß die kapitalkräftige Großbrauerei die mittlere und kleinere mit der Zeit ganz beseitigt, das halte ich für ganz sicher, aber es ist gut, wenn es nicht auf einmal geschieht in Form einer Katastrophe. Nun ist es ausdrücklich verboten, daß über einen gewissen Zeitpunkt — über Michaeli hinaus — Bierlieferungsverträge abgeschlossen werden können, und die Rechtsprechung hat bis in die obersten Instanzen hinauf entschieden, wenn zwischen Bierbrauer und Wirth ein Vertrag gemacht worden sei, das Bier für alle Zeiten vom Brauer zu beziehen, so daß sogar hypothekarische Kaution eingetragen werden könnte, so müßte dieser Vertrag für ungiltig erklärt werden. Ich möchte mir erlauben, zu fragen, ob durch Artikel 7 und 8 das Gesetz bezüglich des Verbots der Neuschaffung von Zwangs- und Bannrechten auf­ gehoben ist. Es wäre das ein ganz bedeutender Rückschritt zu Gunsten des Kapitals. Im Uebrigen bitte ich, den Artikel 7, wie er hier steht, anzunehmen. Von einer Benachtheiligung der Wirthe kann nicht die Rede sein und gegen die Lieferung verdorbenen oder mangehaften Biers kann sich der Wirth jeden Augenblick schützen durch eine Anzeige. Abg. Geiger: Artikel 7 des Entwurfs bewegt sich eigentlich fast ganz auf dem Boden unseres jetzt geltenden Rechts. Ich möchte vor Allem bemerken, daß eine versuchte Neuschaffung von Zwangs- und Bannrechten keine Giltig­ keit hätte. Wir haben ja unsere Gewerbeordnung, in welcher hiegegen eine Schranke für alle Zeiten gesetzt ist. Das Bedürfniß, daß wir die Bestimm­ ungen, wie wir sie in Artikel 7 wiederfinden, aufrecht erhalten, ist von uns Allen anerkannt, und wenn Herr Kollege Lutz soeben auf ein Votum der Kammer hingewiesen hat, so erinnere ich mich genau, daß wir vor einigen Jahren den Herrn Minister gefragt haben damals, als das Bürgerl. Gesetz­ buch und das Einführungsgesetz zum Bürgerl. Gesetzbuch noch nicht fertig waren, ob wir mit Sicherheit darauf rechnen können, daß die besonderen Ver­ hältnisse zwischen Wirthen und Brauern auch in Zukunft aufrecht erhalten werden, und Seine Exzellenz haben damals die Erklärung abgegeben, daß dafür gesorgt ist, daß in dieser Beziehung das alte Recht bestehen bleibe. Dieses alte Recht hat in Artikel 7 zwei Modifikationen erfahren. Ich möchte sagen, es ist gleichheitlich den Brauern und gleichheitlich den Wirthen etwas

S. 61. gewährt worden. Die Modifikation zu Gunsten der Brauer liegt darin, daß, wenn ein anderer Wirth eintritt, durch Vertrag an Stelle des bisherigen, der Brauer sich nicht mehr mit dem Ersteren herumzuprozessiren hat, damit derselbe in den Vertrag eintritt, sondern er kann sich jetzt an den bisherigen Wirth, welcher sein Geschäft abgegeben hat, einfach halten, der haftet ihm S. 62. dafür, daß der neue Wirth den || Vertrag übernimmt, bezw. er hat dem Brauer das Interesse zu prästiren; eine Vorschrift, die nicht mehr ausgenommen werden konnte mit Rücksicht darauf, daß, wie bereits erwähnt, das Bürgerl. Gesetzbuch daran hindert. Es wäre solches auch nicht durch das Einführungsgcsetz gedeckt, denn das Schuldverhültniß hat sich hier auf einen Dritten erstreckt. Die zweite Modifikation ist zweifellos zu Gunsten der Wirthe. Es war nämlich der Wirth, welcher, wie man sagt, beim Brauer hängt, gar nicht in der Sage, am Schluß des Jahres bezw. vor Beginn des neuen Sudjahrcs zu kündigen, wenn er nicht bis Weihnachten noch seine Schuld bezahlt hatte. Das war eine sehr harte Bestimmung, denn wenn auch das Bier nicht schlecht ist, so kann doch das Bier den Gästen des Wirthes nicht mehr schmecken, es ist ein anderer Geschmack eingetreten; der Wirth geht bei diesem Bier zu Grunde und er kann nicht weg, weil er dem Brauer so viel schuldet. Daß diese Be­ stimmung nicht mehr übernommen wurde, ist eine Wohlthat für die Wirthe. Was nun die Frage betrifft, die heute von mehreren Herren angeregt worden ist, zunächst von dem Herrn Korreferenten, ob nicht in dem Gesetze ein weiterer Schutz dem Wirthe gegeben werden solle in der Richtung, daß ein außerordentliches Kündigungsrecht des Wirthes im Falle einer fortgesetzten oder einer Zeit lang dauernden Lieferung von fchlcchtem Bier gesetzlich gewährt werden soll, so sehe ich in dieser Beziehung gar kein Bedürfniß, gesetzgeberisch vorzugehen. Abgesehen davon, daß, wie schon der Herr Ministerialkommissär gesagt hat, solches nicht allgemein gemacht werden könnte — die Fälle sind zu verschieden —, müßte man hier allgemeine Regeln aufstellen, die trotzdem nicht für alle Fälle passen würden. Abgesehen davon habe ich in einer ziemlich langen Praxis die Prozesse wiederholt mitzuentscheiden gehabt, welche sich auf diese angeregte Frage bezogen und insbesondere am Oberlandesgericht München, wohin also auch Niederbayern gehört, hatten wir gerade von dort eine Reihe von Prozessen zu entscheiden, die die Frage betrafen: „unter welchen Um­ ständen kann der Wirth außerordentlich kündigen, wenn ihm der Brauer ein schlechtes Bier liefert?" Die Entscheidung war, soweit ich mich mit Bestimmt­ heit erinnere, von uns immer so ziemlich einstimmig dahin ergangen, daß, wenn schlechtes Bier geliefert worden ist — ich spreche zunächst nicht von gesundheitsschädlichem Bier, sondern von schlechtem Bier und von Bier, welches die Gäste vertreibt —, der Wirth nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches dasselbe dem Brauer zur Verfügung zu stellen und, wie es natürlich ist, zu verlangen hat, daß er sofort ein besseres zum Verschönten geeignetes schicke. Wenn der Wirth das Bier, das nicht gut ist, mit dem er auf die Dauer seine Wirthschaft zu Grunde richtet, gleichwohl den Gästen verschänkt, so haftet er für den Kaufpreis. Das war der eine Punkt, der durch reichsgerichtliche Ent­ scheidung wohl festgestellt werden mußte. Der Wirth hat das Rechh zu ver­ langen, daß das zugeschickte schlechte Bier durch ein besseres ersetzt wird, und zwar schleunigst, und wenn der Brauer nicht in der Lage ist, diesem Verlangen Rechnung zu tragen, wenn er wiederholt Bier schickt, das als schlechtes an­ zusehen und erachtet werden muß, worüber die Gäste zunächst die erste Ent­ scheidung haben dürsten, dann ist der Fall einer außerordentlichen Kündigung von uns praktischen Juristen immer angenommen worden. Ob nun das schon

beim zweiten Male angenommen wird oder erst beim dritten, vierten Male, S. 62. ob die Hartnäckigkeit des Brauers oder die Unmöglichkeit, zu liefern, eine Zelt lang gedauert haben muß, das richtet sich von Fall zu Fall; man denke den Fall, daß der Wirth den Gästen gar kein Bier vorsetzen kann, wenn ein Fest im Anzug ist, wo er viel und gutes Bier braucht. Ich sage, tn einem solchen Falle müßte selbst bei einer kürzeren mangelhaften Vertragserfüllung Seitens der Brauer das Recht der außerordentlichen Kündigung vom Gerichte dem Wirthe zuerkannt werden. Ich glaube also nicht, daß es nothwendig ist, die vom Herrn Korreferenten erwähnte Frage gesetzgeberisch zu beantworten, und ich wiederhole, wir sollten den Artikel 7 annehmen, wie er steht, und ich bin überzeugt, daß wir daun das gethan haben, was den Brauern und den Wirthen recht und erwünscht ist. Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Ich wollte nur gegenüber den Bemerkungen Les Herrn Abg. Lutz darauf aufmerksam machen, daß in Bayern die Zwangs- und Bannrechte schon zu Anfang des Jahrhunderts, wenn ich nicht irre im Jahre 1804, aufgehoben worden sind und daß jetzt, wie der Herr Abg. Geiger erwähnt hat, eine reichsgesetzliche Vorschrift besteht des Inhalts, daß neue Zwangs- unb Bannrechte nicht mehr begründet werden können. Diese Vorschrift steht tn der Gewerbeordnung § 10. Mir scheint aber auch die Fassung des Artikel 7 keinen Anlaß zu der Annahme zu geben, daß etwa die Absicht bestehe, irgend ein Zwangsrecht begründen zu lassen. Es ist nur gesagt, welchen Inhalt der Vertrag hat, von Zwangsrecht ist gar keine Rede.

Abg. Dr. Casselmann: Es wird allseitig im Interesse der kleinen Brauer anerkannt, daß der bisherige Rechtszustand bezüglich der Bierlieferungen auf­ recht erhalten werden soll. Eine andere Frage ist es bezüglich der Groß­ brauereien. Da theile ich die Bedenken, die von anderer Seite gemacht wurden, wiewohl Herr Abg. Lutz hcrvorgehoben hat, von den Großbrauern selbst sei ein großes Gewicht auf die Beibehaltung des Privilegs gelegt worden. Damit allein ist keineswegs das Bedürfniß für die Großbrauereien anerkannt. Ich verkenne aber nicht, daß es schwierig ist, in Artikel 7 eine solche Ausscheidung der großen und kleinen Brauer vorzunehmen. Besonders in der Praxis würde das zu Dingen führen, die sich nicht voraussehen lassen, und ich glaube deßhalb, daß wir es m dieser Beziehung bei der Fassung des Artikels be­ lassen müssen Eine andere Frage ist aber die, ob es mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts geboten ist, dem Artikel 7 noch einen Zusatz zu geben, nach welchem unter Umständen der Wirth, wenn er wiederholt vom Brauer schlecht bedient wird, berechtigt sein solle, außerordentlich zu kündigen. Ich lege die reichsgerichtliche Entscheidung, die auch der Herr Referent berührt hat, so aus, daß nach den Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs, unter welches auch die Wirthe fallen, der Wirth verpflichtet ist, das Bier zur Disposition zu stellen, widrigenfalls er die Lieferung gelten lassen muß, und daß insbesondere die Verwendung des Bieres als Genehmigung gilt. Das Reichsgericht sagt tn seiner Entscheidung, daß tn jedem einzelnen Falle der Nichterfüllung des Ver­ trags — also durch Zusendung schlechten Biers — der Wirth das Bier zur Verfügung stellen und sich dadurch für jeden einzelnen Fall schadlos halten kann. Die Entscheidung lagt aber nicht, daß er berechtigt ist, selbst wenn wiederholt vertragswidriges Bier geschickt wurde, den Vertrag zu brechen, d h. wegen der wiederholt schlechten Lieferung auch die ferneren Lieferungen zuiückzuweifen.

Es haben nun der Herr Ministerialkommissär und der Herr Abg. Geiger auf Grund der Erfahrungen beim k. Oberlandesgerichte München den Satz ausgesprochen, daß, wenn öfter verdorbenes Bier geliefert würde, man sagen könne, daß in einem solchen Falle der Wirth, weil er annehmen könne, der Brauer könne seinen Vertrag nicht mehr erfüllen, an diesen Vertrag nicht gebunden sei. So ganz zweifellos ist die Sache nicht, insbesondere nach der Entscheidung des Reichsgerichts. Wenn wirklich aber der bestehende RechtsS. 63. zuftand so || ist, wie die Herren sagen, so meine ich, sollte man, um jeden Zweifel, der nach den Bestimmungen des § 377 des Handelsgesetzbuchs und nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sich dennoch ergeben kann, eine Be­ stimmung, wie sie der Herr Korreferent vorgeschlagen, in das Gesetz auf­ nehmen. Ob man sich freilich nur darauf beschränken soll, die außerordentliche Kündigung zuzulassen, wenn dem Wirth wiederholt verdorbenes Bier geschickt wird, oder ob man ihm nicht auch das Recht geben soll, im Falle der Lieferung von vertragswidrigem Bier überhaupt, wird Sache der Formulirung sein. Ich halte aber die Anregung der beiden Herren Referenten nach dieser Rücksicht für beachtenswerth, und ich wäre schon der Meinung, daß man diese Zweifel, die sich ergeben könnten aus der Fassung des Gesetzes selbst, durch Aufnahme einer solchen Bestimmung beseitige.

S. 62.

Senatspräsident Dr. von Jarubczky: Ich muß um die Erlaubniß bitten, Ihnen das Wesentlichste von den Gründen des Reichsgerichts zu ver­ lesen, denn ohne das kommen wir nicht zurecht. Dieselben lauten: Wenn der Beklagte die fraglichen Lieferungen im Sinne des Artikel 347 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs genehmigte — d. h. wenn er es unterlassen hat, rechtzeitig den Mangel dem Verkäufer anzuzeigen —, so war hiemit, was diese Liefer­ ungen anbelangt, der Vertrag Seitens der Kläger erfüllt; hieraus aber ergibt sich von selbst, daß das Rücktrittsrecht, welches Artikel 355 dem Käufer nur für den Fall des Verzugs in der Erfüllung gibt, sowie auch jedes andere aus dem bürgerlichen Recht etwa herzuleitende Rücktrittsrecht auf die angeblich schlechte Beschaffenheit jener Lieferungen nicht gegründet werden konnte. Nur aus dem späteren Verhalten der Kläger konnte der Beklagte den Grund zum Rücktritt vom Vertrag entnehmen; er mußte daher abwarten, wie die ferneren Lieferungen ausfallen würden..— Damit ist aber nicht gesagt, daß der Wirth, wenn er schlechtes Bier bekommen und die schlechte Beschaffenheit rechtzeitig gerügt hat, immer warten muß, ob der Brauer nicht später besseres Bier liefern wird. Das Urtheil sagt nur, daß der Wirth, wenn er versäumt hat, die mangelhafte Beschaffenheit zu rügen, sich überhaupt nicht mehr daraus berufen darf, das Bier, dessen Beschaffenheit nicht rechtzeitig gerügt worden ist, sei schlecht gewesen. Daraus aber zu folgern, daß der Wirth auch im Falle rechtzeitiger Rüge warten muß, ob das künftige Bier auch schlecht ist, geht nicht an. Abg. Lutz: Ich will auf den eigentlichen Gegenstand nicht mehr näher eingehen. Aber ich muß zurückkommen auf das, was ich vorher gesagt habe. Wenn es möglich ist, über den 1. Oktober hinaus neue Bierlieferungsverträge zu schließen, wenn in dieser Beziehung völlige Vertragsfreiheit besteht, dann schaffen wir in der That neue Zwangs- und Bannrechte. Die Brauereien haben nämlich die Uebung, möglichst viele Schankstellen aufzukaufen. Nun war nach der Verordnung von 1811 verboten, Bierlieferungsverträge über den 1. Oktober hinaus abzuschließen. Trotzdem hat in einem Falle eine

Brauerei versucht, für alle Zeiten sich ein Privileg zu verschaffen, indem sie S. 63. eine Schankstätte ankaufte mit der Bedingung, daß jeder künftige Besitzer das Bier von dieser Brauerei beziehen müsse. Zur Sicherung wurde sogar eine hypothekarische Kaution von 6000 fl., wenn ich nicht irre, eingetragen. Der Wirth hat später geklagt und das Oberlandesgericht Augsburg hat entschieden, daß eine solche Verpflichtung im Widerspruche mit der Verordnung von 1811 sei, und die hypothekarische Kaution mußte gelöscht werden. Wenn hier nicht eine Vorkehrung getroffen wird im Gesetze, so sind die Brauereien in der Lage, eine Wirthschaft nach der andern aufzukaufen und sich das Recht zu sichern, daß alle Rechtsnachfolger das Bier bei ihnen nehmen müssen. Früher haben die Notare die Leute aufmerksam machen sollen, daß eine derartige Verpflichtung, das Bier für alle Zeiten von einem Brauer zu beziehen, nicht rechtswirksam ist. Wenn wir also die Verordnung von 1811 aufheben und nicht zugleich sestgesetzt wird, daß Bierlieferungen über eine

gewisse Zeit hinaus nicht rechtswirksam sind, so können die Großbrauereien sich spielend ihre Zwecke sichern. Wenn ich also keinen Aufschluß in dieser Beziehung erhalte, so würde ich mir erlauben, den Antrag zu stellen, dem Artikel 7 den Zusatz zu geben: „Bierlieferungsverträgc können über den 1. Oktober eines jeden Jahres hinaus nicht vereinbart werden." Nur dadurch sichern wir den freien Verkehr und wird es den Bier­ brauern unmöglich sein, sich die Bierlieferungen zu sichern, auch wenn sie nicht mehr im Besitze der Schankstätten sind. Heute sind sie in der unange­ nehmen Lage, daß sie die Wirthschaften behalten müssen, was ein größeres Kapital erfordert. Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Der Herr Abg. Lutz scheint sich bezüglich des zur Zeit in Bayern geltenden Rechts in einem Irrthum zu befinden. Es sagt nämlich § 11 des Gesetzes vom 23. Mai 1846: „Den Brauhausbesitzern und Wirthen steht es frei, Verträge über die Bierabnahme auch für eine beliebige Anzahl von Jahren abzuschließen." Wir haben aber auch keinen Vorbehalt für eine Vorschrift, durch welche die Vertragssreiheit beschränkt werden soll. Das Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch gibt der Landesgesetzgebung das Recht, den Inhalt eines solchen Vertrags näher zu bestimmen, das Schuldverhältuiß, das sich aus dem Vertrag ergibt, zu regeln, aber es gibt der Landesgesetzgebung nicht die Befugniß, die Vertragssreiheit der Betheiligten zu beschränken. Es besteht auch gar kein Bedürfniß für eine solche Vorschrift; denn die Vorschrift, die der Herr Abgeordnete wünscht, ist schon da, das ist die Vorschrift der Gewerbeordnung, daß neue Zwangsrechte nicht mehr begründet werden können. Es ist mir erinnerlich, erst vor einiger Zeit eine Entscheidung des Reichsgerichts gelesen zu haben, in der ein ganz ähnlicher Vertrag, wie derjenige, den der Herr Abgeordnete soeben angeführt hat, mit Rücksicht auf diese Vorschrift der Gewerbeordnung für nichtig erklärt worden ist. In dem Falle, den der Herr Abg. Lutz erwähnte, hat das Ober­ landesgericht ebenso erkannt und den Vertrag für nichtig erklärt. Sie brauchen also nicht zu befürchten, daß das Großkapital derartige Verträge schließt. Es schließt sie nicht, weil es sie nicht schließen kann.

Abg. Fuchs: Nach dem letzten Satze des Abs. 1 kann das Vertragsver­ hältniß , wenn seine Dauer nicht bestimmt ist, von jedem Theile für den Schluß des Monats September jeden Jahres gekündigt werden. Nun kann es für den Brauer unter Umständen von sehr großem Nachtheil sein,

S. 63. wenn der Wirth nicht gehalten ist, von einem bestimmten Termin ab, also z. B. em Vierteljahr vorher, für den Schluß des Monats September zu kündigen. Der Brauer weiß, wie viel er zu brauen hat, und hat sich darnach eingerichtet; nun sagt der Wirth am 29. September zum Brauer, ich nehme von dir kein Bier mehr. Dadurch kann der Brauer m große Ver­ legenheit kommen. Ich möchte mir in dieser Beziehung eine Aeußerung der k. Staatsregierung erbitten. Im Uebrigen möchte ich glauben, daß nach den zutreffenden Ausführungen des Herrn Kollegen Geiger und des Herrn Mmisterialkommissärs eme Aenderung des Artikel 7 im Sinne der Herrn Referenten S. 64 nicht ange || jeigt ist; gerade die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Cassel­ mann haben den Beweis hiefür geliefert. Senatsprüsident Dr. von Iacubezky: Das Bedenken des Herrn Abg. ,^uchs beruht auf einem Mißverständnlß. Seil 1811 ist bestimmt, daß der Wirth erst am Michaelistag zu kündigen hat. .Der Grund liegt darin, das; die nach der alten ?lrt eingerichteten Brauereien vor dem ersten Oktober über­ haupt nicht anfangen, zu brauen. Wenn also der Brauer vor dem 1. Oktober weiß, mit welchen Wirthen er zu rechnen hat, so weiß er es früh genug. Ja, das geltende Recht gestattet sogar, die Kündigung, wenn Zahlung erfolgt, bis Weihnachten nachzuholen, weil der Brauer em dringendes Bedürfniß, das Ouantum genau zu wissen, erst um Weihnachten hat. Der k. Staatsminister der Justiz: Es könnte eine Aeußerung des Herrn Abg. Lutz, welche er nn Eingang ferner ersten Bemerkung gemacht hat, außer­ halb des Ausschusses vielleicht mißverstanden werden, und das veranlaßt mich, cm paar Wone hierüber zu sagen. Der bayerische Brauerbund, der über den Gesetzentwurf gehört worden ist, war mit den Artikeln 7 und 8 einver­ standen. Es waren dabei allerdings auch die Großbrauer betheiligt Diese haben zwar den Entwurf gebilligt, aber erklärt, daß für sie die Bestimmungen ohne praktische Bedeutung seien, daß sie auf die Bestimmungen jedoch nn Interesse der mittleren und kleineren Brauereien Werth legen.

Abg. Landmann: Ich kann das Bedenken des Herrn Abg. Lutz nicht theilen. Es ist richtig, es kann durch einen Vertragsabschluß für längere Zeit em gewisser Mißstand für die kleinen Brauer entstehen; aber wir können nicht so weit gehen, daß wir hier eine Art Staatskuratel einführen, und das wäre es, wenn man den Brauern gebieten würde, nur auf eme gewisse Zelt von Jahren solche Verträge eiiizugehen. Bannrechte können nach der Bestimmung unserer Gewerbeordnung nicht mehr fonftttutrt werden. Es muß also m jedem Vertrag eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Anzahl von Jahren an­ gegeben werden. Damit ist ohnehin cm Mittel geschaffen, daß solche Bannrechte nicht entstehen. Was die Frage anlangt, welche von dem Herrn Referenten und Kor­ referenten angeregt worden ist bezüglich des außerordentlichen Kündigungrechtes der Wirthe, so neige ich mich in dieser Beziehung der Auffassung der beiden Herren zu. Es ist allerdings richtig, daß die angezogene reichsgerichtliche Entscheidung, wenn man den Wortlaut näher ansieht, nicht so aufzufassen ist, wie es nach dem Referate auf den ersten Augenblick erscheint; ober immerhin halte ich cs für erwünscht, wenn eine klare, positive Bestimmung geschaffen wird. Ich würde Vorschlägen, zu sagen: „Wcnn vertragswidriges, verdorbenes oder gefälschtes Bier wiederholt geliefert wird, so ist der Wirth berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten." Ich meine, diese drei Charakteristika enthalten

Alles, was vorkommen kann. Z. B. saueres Bier wird ost durch Natron S. 64. wieder genießbar gemacht, aber nach der Auffassung der Chemiker ist es ein gefälschtes Bier. Ich stehe auf dem Standpunkt: superflua non nocent, und bin daher geneigt, wenn ein Antrag zu Gunsten der Wirthe gestellt wird, zuzustimmen. Abg. Segih: Ich muß schon sagen, wenn etwas mir die Bestimmung des Artikel 7 gleichgiltig erscheinen läßt, so ist es die Konstatirung der Thatsache, daß für die Aufrechthaltung des jetzigen Zustands sich auch die Großbrauereien ausgesprochen haben. Wenn die Großbrauer behaupten, den jetzigen Zustand im Interesse der Kleinbrauer erhalten zu wollen, so erinnert mich das an die Fürsorge der Füchse für die Hühner. Wer die Verhältnisse kennt, der wird zugeben müssen, daß keine Rechtsbestimmungen den Niedergang des Klein­ gewerbes aufzuhalten vermögen, und daß bei keiner anderen Industrie der Großbetrieb so sehr die Oberhand gewonnen hat als gerade in der Brauerei. Im Uebrigen habe ich die Auffassung, daß durch derartige Bestimmungen die wirthschaftliche Entwicklung weder ernstlich gehemmt noch wesentlich gefördert werden kann. Was ich aber für absolut nothwendig halte, das ist eine Schutzbestimmunz für die Wirthe; denn darüber herrscht kein Zweifel, daß der Wirth unter den jetzigen Bestimmungen sehr gedrückt werden kann. Wenn es daher möglich ist, eine Bestimmung im Sinne des Herrn Korreferenten aufzunehmen, so würde ich einen derartigen Vorschlag für wünschenswerth halten. Abg. Wagner (Referent): Was das Zwangs- und Bannrecht betrifft, so glaube ich, daß hierüber der Herr Senatspräsident das Zutreffende bemerkt hat. Ich glaube nicht, daß wir in der Lage wären, hier landesgesetzlich eine Bestimmung zu treffen; es gilt hier eben der Artikel 10 der Gewerbeordnung. Was nun die andere Frage betrifft, die ich durch meine Bemerkung im Referate und durch meine mündliche Bemerkung veranlaßt habe, so ist es ja richtig, daß im Referate nicht ganz glatt ausgedrückt ist, worum es sich handelt, es ist der Bericht nach dieser Richtung etwas kurz ausgefallen. Im Allge­ meinen muß ich zugeben, daß das richtig ist, was der Herr Kollege Geiger und auch der Herr Senatspräsident über die Frage des Rücktrittsrechts des Wirthes ausgeführt haben. Ich habe zwar seit längerer Zeit einen derartigen praktischen Fall nicht mehr gehabt; aber ich erinnere mich noch aus der Zeit, wo ich in Nürnberg war, daß in der That immer von den Gerichtshöfen und auch von dem damaligen Handelsappellationsgericht so entschieden wurde, wie der Herr Abg. Geiger es dargelegt hat. Ein schwieriger Zustand bleibt aber auch, wenn die Verhältnisse so liegen, wie sie von dem Herrn Kollegen Geiger dargelegt worden sind, immer übrig und das ist das Mißliche, daß durch das Gesetz der Wirth eine gewisse Zeit verhindert ist, von jemand Anderm ein Bier zu nehmen. Wenn nun der Wirth von seinem Brauer kein ordent­ liches Bier geliefert bekommt und die Voraussetzungen vielleicht noch zweifel­ haft sind, unter welchen er vom Vertrag abgehen kann, dann ist das außer­ ordentlich mißlich für ihn. Tiefen Zustand habe ich hervorheben wollen, daß der Wirth nicht in die Lage versetzt wird, sich hier von einem anderen Brauer ein Bier zu beschaffen. Diese schwierige Frage scheint mir allerdings bis jetzt noch nicht gelöst zu sein, und wenn wir eine Lösung nach dem Vorschlag des Herrn Kor­ referenten finden könnten, so wäre ich dafür sehr dankbar. Ich gebe ja zu, daß der Ausdruck „schlechtes Bier" nicht derjenige sein wird, welchen man einer solchen Bestimmung zu Grunde legen könnte. Es wird überhaupt ziemlich Becher, Materialien. IV. 17

S. 64. schwierig sein, die richtige Fassung zu finden; aber eine Bestimmung des Inhalts, daß, wenn der Brauer seiner vertragsmäßigen Verpflichtung nicht nachkommt, der Wirth eine bestimmte Sicherung nach der Seite hin finden soll, daß er von anderwärts her sich ein Bier beschaffen kann, die sollen wir nach meiner Meinung schon aufnehmen können. Ich bin nach dieser Richtung hin doch noch nicht so ganz sicher. Wenn dieses Bedenken gehoben wäre, so würde ich es nicht für nöthig erachten, daß wir an dem Artikel eine Aenderung vornehmen. Aber, wie gesagt, dieses Bedenken besteht zur Zeit bei mir noch. Abg. Lutz: Nach den Erklärungen des Herrn Senatspräsidenten glaube ich, einstweilen auf meinen Antrag verzichten zu können. Ich möchte nur noch bitten, den Artikel 7 so, wie er ist, anzunehmen. S. 65.

Abg. Joseph Huber: Wenn der Herr Kollege Landmann meint, es sollten die Bedingungen genannt sein, unter welchen der Vertrag hinfällig wird, so machen sich diese Dinge nicht gut; denn das Bier hat so vielerlei Untugenden, daß man sie gar nicht alle beschreiben kann. Namentlich auf dem Lande hat das Bier oft einen Geschmack, daß man gar nicht weiß, woher er kommt. Ich weiß z. B. einen Brauer, der hat das Unglück gehabt, schlechtes Pech zu kaufen. Sein Bier war fast untrinkbar, aber nicht schädlich. Es hat drei Wochen gebraucht, bis man den Geschmack sozusagen verbeißen konnte. Ebenso ist es mit dem neuen Bier. Es gibt Leute, die das neue Bier gerne trinken; wer aber das neue Bier nicht gewohnt ist und den Maischgeruch nicht leiden kann, der ist schlecht daran. So ein Brauer gibt vielleicht den ganzen Winter Bier von solchem Geschmack; es ist nicht ungesund, aber unausstehlich für Manchen. So gerne ich die Brauer, welche mit ihrem Malzaufschlag eine große Last haben, geschützt wissen will, ebenso gerne möchte ich auch den Wirthen einen Schutz gewähren gegenüber den Brauern. Wie das zu machen ist, das muß ich den Juristen überlassen. Ich bitte nur, die Sache in einer Weise zu schlichten, daß auch der Wirth geschützt ist. Ob ein Bier ungesund oder direkt schlecht ist, das ist nicht leicht nachzuweisen. Es gibt aber auch so leichte Biere, daß es nicht mehr recht ist, den Leuten solches Bier vorzu­ setzen; es ist nicht ungesund, man bekommt keinen Affen davon, aber es ist doch so, daß die Leute, die einen guten Trunk wollen, um ihr Geld eben nichts Gescheidtes bekommen. Abg. Seeberger: Ich wollte mir die Anfrage gestatten, die inzwischen von dem Herrn Abg. Wagner aufgeworfen worden ist, wie es insbesondere gehalten werden soll, wenn der betreffende Wirth in die Lage kommt, dem Brauer sein schlechtes Bier zurückzuweisen und den Vertrag vorzeitig künden zu müssen, ob der betreffende Wirth ruhig zusehen, seine Wirthschaft zumachen und warten muß, ob ihm der Brauer vielleicht ein noch schlechteres Bier bringt oder ob er Selbsthilfe anwenden und bis zum Austrag des Prozesses sich von einem anderen Brauer Bier beilegen darf. Diese Frage wollte ich mir gestatten und habe mich zum Worte gemeldet gehabt. Der Herr Vor­ sitzende hat es aber leider übersehen. Inzwischen hat der Abg. Wagner die gleiche Frage aufgeworfen und ich möchte dringend bitten, eine derartige Be­ stimmung in den Artikel 7 aufzunchmen, die den Wirthen in der Beziehung einen Schutz verleiht. Wir sind Alle einverstanden, daß das Braugewerbe geschützt werde und haben freudig die betreffende Bestimmung angenommen. Wir haben aber auch den Schwächeren zu schützen und das ist in meinen Augen der Wirth.

Ausschußverhandl. d. K. d. 216g. — 6. Protokoll.

251

Senatspräsident Dr. von Jambezky: Ich habe schon, wenn ich nicht S. 65. irre, in meinem ersten Vortrag darauf aufmerksam gemacht, daß der Wirth, wenn er einmal schlechtes Bier bekommen und die schlechte Beschaffenheit recht­ zeitig gerügt hat und dann wieder schlechtes Bier bekommt, nicht warten muß, ob nicht vielleicht später gutes Bier kommen wird, sondern berechtigt ist, sich anderweil zu versehen, wenn das vertragswidrige Verhalten des Brauers ihn mit einer Störung des eigenen Geschäftsbetriebes bedroht. Zunächst muß der Wirth, der sich verpflichtet hat, seinen Bedarf von dem Brauer zu decken, dem Brauer anzeigen, daß das Bier, das er bekommen hat, nicht annehmbar ist. Er muß den Brauer auffordern, ihm sofort für seinen Bedarf anderes, vertragsmäßiges Bier zu schicken, sofern dazu noch Zeit ist. Kann er aber nicht mehr warten, ist die schlechte Lieferung vielleicht erst einige Stunden, bevor das Bier ausgcschänkt werden muß, gekommen, so darf er sich das sofort nöthige Bier von einem anderen Brauer beschaffen. Daraus kann ihm nicht der Vorwurf gemacht werden, daß er vertragswidrig gehandelt habe. Ebenso habe ich vorhin schon gesagt, wenn mehrmals nacheinander schlechtes Bier kommt, d. h. vertragswidriges Bier, so daß der Wirth zu der Ueber­ zeugung gelangt, daß er von diesem Brauer vertragsmäßiges Bier überhaupt nicht bekommt, so muß er berechtigt sein, das Vertragsverhältniß zu lösen und auf andere Weise seinen Bedarf zu decken. Wenn einmal eine Lieferung mangelhaft ist und es wird dann gutes Bier geschickt, nach längerer Zeit kommt aber wieder eine mangelhafte Lieferung, so kann deßwegen allein, weil zwei Lieferungen ganz oder theilweise mangelhaft gewesen sind, das Vertrags­ verhältniß nicht gelöst werden. Ich möchte wiederholt darauf aufmerksam machen, daß es sich hier nicht um eine Besonderheit der bayerischen Bier­ lieferungsverträge handelt, sondern um eine Frage, die sich bei allen Lieferungs­ verträgen ähnlicher Art ergibt, und die ihre Beantwortung in der Anwendung des Satzes findet, daß der Vertrag so auszulegen ist, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Wollten wir besondere Vor­ schriften geben, so müßten wir es unternehmen, im Rahmen der Auslegung der bayerischen Bierlieferungsverträge die ganze Theorie solcher Lieferungs­ verträge festzulegen. Das zu machen wird augenblicklich Niemand von uns in der Lage sein. Die Regelung dieser Verhältnisse würde große Vorarbeiten erfordern, man müßte erst die ganze Rechtsprechung sorgfältig durchforschen. Wenn wir ein Stückwerk machen, wenn wir hier den einen oder anderen Satz uufnehmen, so ist es sehr zweifelhaft, ob wir damit etwas Gutes leisten. Sie wissen ja, wie oft man schon über die fragmentarische Gesetzgebung geklagt hat. Jetzt hört endlich die fragmentarische Gesetzgebung auf mit der Ein­ führung des Bürger!. Gesetzbuchs. Wollen wir nun auf dem Gebiete des Handelsrechts wieder mit einer fragmentarischen Gesetzgebung beginnen? Die Vortheile, die davon zu erwarten wären, werden meines Erachtens überwogen durch die Nachtheile, die mit einem solchen Vorgehen verbunden sind.

Vorsitzender: Bei aller Geneigtheit, den Wirthen zu helfen, muß ich ge­ stehen, daß es sehr schwer gehen wird.

Es liegen jetzt zwei Anträge vor, der eine gestellt vom Herrn Kollegen Landmann, der lautet: „Der Wirth ist berechtigt, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn der Brauer während eines Sudjahres wiederholt vertragswidriges, ungenießbares oder verfälschtes Bier geliefert hat."

252 S. 65.

IV. Abth. AuSsührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche. Der andere Antrag ist gestellt vom Herrn Kollegen Lerno und lautet: Der Ausschuß wolle beschließen, in Artikel 7 sei zwischen Abs. 1 und 2 folgender Absatz einzustellen: „Für den Fall, daß der Brauer innerhalb des Sudjahres zweimal Bier liefert, welches in der Qualität vertragswidrig, insbesondere verdorben oder verfälscht ist, so ist er berechtigt, von dem Ver­ tragsverhältniß zurückzutreten. Dieses Recht verliert er, wenn er nicht sofort nach der Untersuchung der zweiten Lieferung dem Brauer Anzeige von der vertragswidrigen Eigenschaft des Bieres macht." Ich eröffne über beide Anträge zusammen die Diskussion.

Abg. Landman«: Ich möchte mir nur einige Worte gestatten. Ich habe den Ausdruck „wiederholt" gewählt, weil ich glaube, daß man die Sache schließlich der Interpretation überlassen kann. Ich meinte übrigens unter S. 66. „wiederholt" || allerdings zweimal, ich halte es aber nicht für angezeigt, das Wort „zweimal" in das Gesetz aufzunehmen. Unter vertragswidrigem Bier verstehe ich jedes Bier, das dem Abkommen nicht entspricht, beispielsweise, der Wirth will ein regelrecht eingesottenes Bier, bekommt aber sogenannten Scheps, das wäre also vertragswidrig. Der Begriff „ungenießbar" umfaßt verdorbenes, schlechtes Bier, insbesondere jenes Bier, von welchem Herr Kollege Huber gesprochen hat, Bier, das vielleicht durch Rauch verdorben ist. Der Begriff „gefälschtes Bier" bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. Was den Antrag des Herrn Korreferenten anlangt, so stimme ich dem­ selben zu, wenn die Herren ihn für den besseren halten; aber ich glaube, daß der zweite Zusatz doch eigentlich nicht in das Gesetz hineingchört: er würde sich mehr zu den Motiven eignen. Sollten aber die Herren den Antrag des Herrn Korreferenten für besser halten, bin ich gerne geneigt, den meinigen zn Gunsten des andern zurückzuziehen. Abg. Lerno (Korreferent): Es ist Seitens der Regierung sowohl als des Herrn Kollegen Geiger darauf hingewiesen worden, daß die jetzige Rechtsprechung schon Mittel an die Hand gibt, nm den Wirth in dieser Frage gegenüber dein Brauer zu schützen; allein dem mnß ich entgegenhalten, daß, wenn Herr Kollege Geiger gesagt hat, daß die Praxis beim Oberlandesgericht von jeher die ist, daß einem Wirth, falls er einmal schlechtes Bier, das er absolut nicht ausschünken konnte, geliefert bekam, auch als selbstverständlich das Recht zu­ erkannt wurde, vom Bertragsverhältniß zurückzutreteli, (Abg. Geiger: einmal nicht!) also im WiederholtmgsfaUe, so möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß die Rechtsprechung in dieser Beziehung bei den verschiedenen Gerichten sehr verschieden ist. Auch möchte ich die kleinen Wirthe, um die es sich hier handelt, nicht ausschließlich auf die Rechtsprechung verweisen, die kennen weder die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, noch viel weniger diejenige des Reichs­ gerichts. Ich würde es im Interesse der Vermeidung von Prozessen für außerordentlich wünfcheuswerih erachten, wenn über diesen wichtigen und strittigen Punkt etwas im (besetze stände, so daß der Wirth gegenüber dem Brauer sich darauf beruien und sagen tonn: hier steht cs, wenn du mir zwei oder dreimal Bier schickst, das ich absolut nicht brauchen kann, dann bin ich berechtigt, zurückzutreten. Von dieser Erwägung geht mein Antrag aus. Run gebe ich zu, daß es ganz richtig ist, was der Herr Senatspräsident mir ent-

gcqengchalten hat, daß es im praktischen Verkehr nicht angehc, daß der Wirth ® 66. qegen Ende des Sudjahrcs, vielleicht im August oder September daherkommt und sagt, du hast mir zu Ansang des Jahres schlechtes Bier geliefert. Das läßt sich bmterljer nicht gut beweisen, darum habe ich in meinem Anträge den zweiten Satz beigefügt, daß bei der zweiten Lieferung sofort die Tispositionsstellung soll erfolgen können. Ich habe das Wort „zweimal" gewühlt nach Analogie des Artikel 21 der früher gütigen Verordnung von 1811. Ich glaube, daß in der Praxis gar viele Prozesse vermieden wurden, bei denen die Ent­ scheidung auf Kosten der Brauer oder Wirthe ergeht, wenn im Gesetze selbst darüber Bestimmung getroffen wurde. Artikel 377 des Handelsgesetzbuchs, auf den auch verwiesen wurde, gibt dein Wirthe wie jedem Kaufmann das Recht, ein geliefertes Bier, eine gelieferte Waare zu beanstanden und das nicht Brauchbare zur Verfügung zu stellen, er gibt aber nicht das Recht, aus dem Vertragsverhältniß zurückzutreten. Wenn aber dem Wirth zu wiederholten Malen schlechtes Bier geliefert wird, so daß er in seinem Geschäfte geschädigt ist, so ist das für ihn eine außerordentlich mißliche Sache, und ich kann es nicht als ausreichend anerkennen, was Herr Abg. Lutz gesagt hat, daß der Wirth in jedem Augenblick das Bier zurückschicken und dann eventuell Strasanzeige gegen den Brauer bei Gericht erstatten könne: da kommt auch noch die praktische Erwägung hinzu, daß in den meisten Füllen der Wirth nicht blos seit einem Jahre, sondern seit mehreren Jahren mit Bierschulden beim Brauer hängt und dadurch in eine solche Abhängigkeit gerathen ist, das; er nicht mehr mit so schroffen Worten, wie es eine Straf­ anzeige ist, gegen denselben Vorgehen kann. Ich möchte also meinen Antrag zur Erwägung anheimstellen, ob es nicht angezeigt ist, diese Frage gleich im Gesetze zu regeln.

Senatspräsident Dr. von Iacubezky: Ich möchte gegenüber dem Antrag des Herrn Korreserenten bemerken, daß der zweite Satz mir recht be­ denklich erscheint. Wenn ich es recht verstehe, so ist die Absicht die, das; der Wirth sich ans die mangelhafte Beschafienheit auch der ersten Lieferung soll berufen können, wenn er nicht bei der ersten, sondern nur bei der zweiten den Mangel gerügt hat. Das wird aber nicht angehen. Wir können doch nicht bei der Auslegung des Bierlieferungsvertrags von dem Grundsätze des Handelsgesetzbuchs abweichen, daß der Kaufmann die Waare, die er gekauft hat, im ordnungsmäßigen Geschäftsgänge untersuchen und wegen der dabei wahrgeiiomineneii Mängel dem Verkäufer unverzüglich Anzeige machen muß. In welche Lage kommt der Brauer, wenn der Wirth im August ihm plötzlich kündigt und sagt, die Bierlieserung, die ich gestern bekommen habe, hat den und den Mangel und außerdem hast Du mir im Januar Bier geliefert, das ebenso schlecht war, während er bisher von der schlechten Beschaffenheit des im Januar gelieferten Bieres feine Mittheilung gemacht hat. Die Lieferung, die im Januar gemacht und ohne Beanstandnng angenommen wurde, muß jedenfalls als gut gelten. Das Rügerecht darf nicht verloren sein, es muß also vorausgesetzt werden, daß die Rüge der VertragSwidrigkeit rechtzeitig erfolgt ist. Ich glaube aber immer noch, daß es nicht nothwendig ist, eine solche Vorschrist auszunehmen, auch nach der Ersahrnug, die man seit dem Jahre 1861 gemacht hat. Wenn der Herr Korreferent auf die Fälle hinweist, in welchen der Wirth deßwegen keine Strasanzeige macht, weil er, wie man sagt, beim Brauer hängt, so ist das überhaupt der Angelpunkt. Der Wirth bekommt schlechtes Bier deßwegen, weil er von dem Brauer vollständig ab-

254

IV. Abth. Airsführungsgrsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

S. 66. hängig ist, weil er beim Brauer so viel Schulden hat, daß seine wirthschaftliche Existenz gefährdet ist, wenn der Brauer seine Forderung geltend macht, und dagegen helfen alle Vorschriften nichts. Der Mann kann eben nichts machen, weil er ökonomisch nicht selbständig ist. Abg. Lutz: Ich meine, wir sollten die beiden Anträge „Landmann" und .Lerno" ablehnen. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß dadurch die Prozesse nicht vermindert, sondern eher gefördert werden, wenn wir die Ab­ änderungsanträge annehmen. Es hat der Wirth, wenn er unabhängig ist, immer das Recht, bei Lieferung von verdorbenem, gesundheitsschädlichen Bier Strafanzeige zu erstatten, und es wird der Brauer gestraft werden. Außerdem hat der Wirth nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs auch das Recht, auf Schadloshaltung wegen Minderverbrauchs zu klagen. Es wird aber schwer sein, wenn ein Wirth wegen sogenannten vertragswidrigen Biers den Brauer verklagt, deßwegen vom Lieferungsverhältniß zurückzutreten, denn es werden selbstverständlich Sachverständige vernommen; diese werden zumeist die Vor­ stände der Untersuchungsstationen in Weihenstephan und Nürnberg sein und auf die Gutachten dieser Herren werden die Gerichte großen Werth legen. S. 67. Diese Herren kennen || aber die großen Schwierigkeiten des Brauereigewerbes und werden daher mit Forderungen an die Bierbrauer sehr vorsichtig zu Werke gehen. Es handelt sich um bedeutende Werthe, es werden daher bedeutende Kosten erwachsen und die Chancen für den Wirth werden sehr ungünstig sein Nun möchte ich auch der Meinung entgegentreten, als ob in dem Falle der Wirth immer der schwächere Theil wäre. Der Wirth ist weder in Bezug auf den Gewinn noch aus die Abhängigkeit der schwächere Theil. Es mag das in einigen Städten sein, besonders wenn die Leute in die großen Städte kommen und Wirthschaften von Brauereien kaufen; aber unsere Wirthe auf dem Lande sind im Großen und Ganzen wohlhabende Leute, sie sind in keinem Abhängigkeitsverhültniß, speziell in meinem Wahlkreis und in der Gegend, wo ich wohne, sind die Wirthe wohlhabende Leute, gegen die der Brauer alle Rücksicht walten lassen muß, wenn er sie als Kunden erhalten will. Die Abhängigkeit ist also nicht soweit her. Also meine Meinung geht dahin, daß durch die Anträge, wie sie gestellt sind, die Prozesse nicht vermieden werden. Ich möchte nur bitten, mir zu erklären, was ist ein vertragswidriges Bier? Kein Wirth wird verlangen, daß er Bier von einem gewissen Prozent­ satz Gehalt bekommt, das wechselt je nach dem Vergährungsgrad, und jeder Sachverständige wird sagen, daß der Brauer nicht verpflichtet ist, Bier von einer bestimmten Qualität oder von bestimmtem Geschmacke zu liefern. Es wird das Kriterium immer sein: Ist ein Bier gesundheitsschädlich oder bringt es der Gesundheit keinen Nachtheil? Gibt der Brauer eckelerregendes Bier ab, wie Herr Kollege Huber gesagt hat, das von stinkigem, garstigem Geschmack ist, so wird der Brauer bestraft, denn das wird dem Brauer Niemand glauben, wenn er sagt, daß der Geschmack vom Pech herrührt, höchstens von dem Pech, das er hatte mit seinen unreinlichen Manipulationen im Keller. Die Anträge sind also nach meiner Ansicht bedenklich, sie rufen große Prozesse hervor und bei der heutigen Debatte handelt es sich doch um eine Materie von großer volkswirthschaftlicher und nationalökonomischer Bedeutung — die Brauer zahlen an den Staat 36 Millionen Aufschlag und die große Bedeutung der Brauereien auf dem Lande für die übrigen Geschäfte müssen wir doch auch anerkennen.

Ich meine, es würde sich empfehlen, daß man die Anträge zurückstellt S. 67. bis morgen und dieselben inzwischen im Druck vertheilt; denn es ist sehr schwer, sich über Anträge, die man nicht genau vor sich hat, auszusprechen und dieselben richtig zu würdigen. Ich möchte daher bitten, daß man die Anträge heute von der Tagesordnung absetzt und morgen, wenn sie gedruckt vorliegen, zur Berathung bringt. Inzwischen wäre es auch möglich, sich über diesen wichtigen Punkt auf andere Weise noch zu informiren. Abg. Lerno (Korreferent): Auf die Bemerkung der Herrn Senats^ Präsidenten habe ich meinen Antrag modifizirt und habe das Wort „zweiten" gestrichen, so daß es jetzt heißt: „Dieses Recht verliert er, wenn er nicht sofort nach der Unter­ suchung der Lieferungen dem Brauer Anzeige von der vertragswidrigen Eigenschaft des Bieres macht." Was die vom Herrn Kollegen Lutz angeregten Bedenken betrifft, daß der Ausdruck „vertragswidrig" sehr vielfach einer Mißdeutung unterstellt werden könnte, so möchte ich darauf Hinweisen, daß ich mir die Sache so denke, daß, wenn es zum Prozesse kommt, der Begriff „vertragswidrig" zumeist interpretirt werden muß nach Analogie des § 633 Abs. 1 des Bürger!. Gesetzbuchs: „Der Unternehmer ist verpflichtet, das Werk so herzustellen, daß es die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Werth oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern." Ob es angezeigt ist, die Abstimmung heute auszusetzen, überlasse ich zunächst dem Ermessen des Herrn Vorsitzenden. Abg. von Walter: Ich muß aufrichtig gestehen, daß ich von den jetzt vorliegenden Abänderungsanträgen mir kein Resultat verspreche. Mit diesen Abänderungsanträgen wird eigentlich blos gesagt, was ohnehin schon Rechtens ist und wird nur mit Ausdrücken gesagt, die viel unbestimmter und dehnbarer sind als die jetzt einschlägigen Gesetze die Sache feststellen. Wenn man von verdorbenem, eckelerregendem, gefälschtem oder vertragswidrigem Biere spricht, so bewegt man sich nach meinem Dafürhalten dabei in Ausdrücken, die theils vom subjektiven Ermessen festgestellt werden oder für die man anderntheils eine sichere Grenze überhaupt nicht hat. Herr Abg. Lutz hat darauf hin­ gewiesen, daß, wenn wir einen derartigen Zusatz annehmen, die Zahl der Prozesse vermehrt würde, und ich fürchte sebr, daß da die Entscheidung dieser Prozesse von Sachverständigengutachten abhängt, die Gutachten aber aus­ einandergehen werden, daß in der Regel der Wirth erst recht den Kürzern zieht. Ich möchte wirklich befürchten, daß durch eine derartige Abänderung ein Schutz der Wirthe kaum geschaffen wird. Meines Wissens hat die Sache auch bis jetzt zu keinen besonderen Schwierigkeiten geführt. Wenn der Wirth ein schlechtes Bier bekommt, so schlägt er einfach den Zapfen wieder zu und setzt den Brauer davon in Kenntniß. Der Brauer läßt das beanstandete Bier abholen und ersetzt es durch ein anderes, und wenn die Zusendung schlechten Bieres sich öfter wiederholt, dann hat bisher kein Mensch dem Wirth das Recht abgesprochen, sich um ein anderes Bier umzusehen. Das geht nach meinem Dafürhalten Alles glatt ab, wenn der Wirth vom Brauer unabhängig ist, wenn der Wirth einen Absatz hat, der für den Brauer ein Interesse be­ gründet, den Wirth zu behalten und wenn der Brauer weiß, von dem Manne

S. 67. habe ich rechtzeitig auch Zahlung zu erwarten. Wenn aber der Wirth nur einen unbedeutenden Absatz hat, so wird der Brauer nicht besonders interessirt sein, ihn sich zu erhalten und er kann gehen, wenn er will. Wenn der Wirth nicht zahlen kann, so hat ihn der Brauer ohnedieß in der Hand; dann ist er, wie der Herr Senatspräsident hervorgehoben hat, einfach ein Sklave des Brauers und dagegen können wir ihn nicht schützen. Den Ausweg, den der Herr. Kollege Lutz vorgeschlagen hat, daß der Wirth den Brauer anzeigen soll, damit er bestraft wird und der Wirth auf diese Weise die Möglichkeit erhält, vom Vertrage zurückzutreten, möchte ich nicht empfehlen und zwar deßhalb nicht, weil die Sache an sich odios ist und weil der Ausgang einer strafrechtlichen Untersuchung ebenso wie der Ausgang eines Rechtsstreites von Sachverständigengutachten abhüngt und diese häufig so auseinandergehen, daß es, wie wir beim hiesigen Amtsgericht, Abtheilung für Strafsachen, fast täglich sehen können, dem betreffenden Richter sehr erschwert wird, die richtige Ent­ scheidung zu treffen. Dieser Ausweg hilft nichts. Die Hauptsache ist, daß der Wirth sich unabhängig vom Brauer zu erhalten sucht. Dann wird der Brauer auch den Wirth entsprechend respektiren. Also meine Ansicht geht dahin, mit den gestellten Abänderungsanträgen kommen wir absolut zu keinem Ziel, wir bringen dadurch den Wirth nicht in eine bessere, sondern eher in eine schlimmere Lage. Wir weichen von dem sonst für Handelsgeschäfte geltenden Rechte weit ab und setzen dafür nichts Besseres an die Stelle, und deßhalb meine ich, wir sollten uns dahin schlüssig machen, daß wir den Abänderungsanträgen unsere Zustimmung nicht geben. S. 68. Es wird auch nicht noth || wendig sein, eine Vertagung unserer Abstimmung eintreten zu lassen. Wenn uns wirklich bis zur zweiten Lesung etwas Besseres einfällt, so haben wir noch freie Hand und können einen mehr dem jetzigen Rechte sich anschließenden Antrag stellen, als es heute der Fall ist. Wir können nach meinem Dafürhalten im Interesse der Brauer einerseits und der Wirthe anderseits nichts Besseres thun, als den bisherigen Rechtzustand auf­ recht zu halten. Abg. Dr. Casselmann: Die Ausführungen des Herrn Vorredners würde ich accepptiren, wenn ich den Satz für zweifellos halten würde, daß schon nach dem geltenden Rechte die Wirthe gegen solche Handlungen des Brauers ge­ schützt sind. Wir haben von dem Herrn Senatsprüsidenten und dem Herrn Kollegen Geiger gehört, daß nach der Praxis, wie sie hier geübt wird, aller­ dings das schon angenommen wird, allein ich habe, trotzdem der Herr Senats­ präsident die Entscheidung des Reichsgerichts zum Theil verlesen hat, gerade mit Rücksicht auf diese reichsgerichtliche Entscheidung und mit Rücksicht auf die Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs doch sehr berechtigte Zweifel darüber, ob das, was die Herren als heute schon bestehendes Recht annehmen, wirklich bestehendes Recht ist, und ich dächte doch, wenn solche Zweifel bestehen, dann sollte man bei Neuregelung der gesetzlichen Bestimmungen auch diese Sache klipp und klar im Gesetze zum Ausdruck bringen, damit alle Zweifel für die Zukunft beseitigt werden. Herr von Walter sagt, nach seiner Auffassung gehe es in der Praxis draußen glatt ab, solange der Wirth vom Brauer unabhängig ist. Wenn schlechtes Bier kommt, wird zugeschlagen, der Brauer muß anderes Bier liefern u. s. w. Wenn wir uns aber die Verhältnisse auf dem flachen Lande ver­ gegenwärtigen, so sind dieselben auch da, wo der Wirth unabhängig vom Brauer ist, nicht ganz so glatt, wie der Herr Vorredner sagt. Stellen Sie

sich vor, ein Wirth ist ziemlich entfernt von der Brauerei, von der er sein Bier bezieht; nun kommt eine Bierlieferung an, sie ist so schlecht, daß der Wirth, wenn er nicht Gefahr laufen will, seine Kundschaft ganz zu verlieren, das Bier nicht ausschänken kann; er schlägt das Faß wieder zu, wie Herr von Walter sagt. Wenn nun aber Kunden kommen und er kann ihnen kein Bier vorsetzen, so kann er leicht in die Lage kommen, daß sich die Kundschaft, bis er wieder Bier aus einer anderen Brauerei bekommt, verläuft, und wenn sich das öfters wiederholt, dann kann der Wirth in eine äußerst fatale Situation gerathen, und zwar nicht blos der von seinem Brauer abhängige Wirth. Ich meine, der Brauer, dem hier ein sehr wichtiges Privilegium ge­ währt wird, sollte es sich auch gefallen lassen, daß wir den Wirth gegen Mißbräuche wirksam schützen wollen. Aber ich wiederhole noch einmal, wenn es von anderen Seiten anerkannt wird, daß das, was hier im Antrag aus­ gesprochen werden soll, eigentlich schon bestehendes Recht ist, dann kann es wohl auch keinem Anstand unterliegen, nachdem Zweifel geäußert worden sind, ob das Recht wirklich besteht, das auch im Gesetze zum Ausdruck zu bringen. Ob der Wortlaut des Antrags des Herrn Korreferenten, den ich zunächst unterstützen möchte, so bleiben soll, wie er gestellt ist, das ist ja eine noch zu diskutirende Frage. Für mich handelt es sich jetzt nur um das Prinzip, ob man wirklich eine gesetzliche Bestimmung für geboten hält, nach welcher die Wirthe geschützt werden sollen.

Abg. Landmann: Wenn man die Artikel 7 und 8 unbefangen liest, so wird sich sofort das Gefühl aufdrängcn, daß hier nur von den Rechten der Brauer, nicht aber von den Rechten der Wirthe die Rede ist. Schon aus diesem Gesichtspunkte ist cs angezeigt, daß dem Artikel ein Zusatz im Sinne meines Antrags beigefügt wird. Ich bin der Ansicht, welcher soeben Herr Kollege Casselmann Ausdruck gegeben hat, daß durch die vorgeschlagcnen An­ träge die Wirthe ganz entschieden besser geschützt werden, als wenn man sich lediglich auf den allgemein rechtlicheu. Standpunkt oder auf den Standpunkt des Handelsgesetzbuchs stellt. Ich erlaube mir, nur auf Eines hinzuweisen. Wenn z. B. im Gesetze gesagt ist, daß der Wirth berechtigt ist, zurückzutreten, wenn ein vertragswidriges Bier geliefert ist, so ist diese Bestimmung für die Wirthe sehr werthvoll. Nehmen wir den Fall, es wird anstatt regelrecht ein­ gesottenen Biers sogenanntes Schepsbier geliefert, so wäre ich doch sehr be­ gierig, wie entschieden wird, wenn zweimal Scheps geliefert wird und der Wirth deßwegen vom Vertrage zurücktreten will; es ist zum Mindesten fraglich, ob der Richter nicht sagt, das gibt keinen Grund zum Zurücktreten vom Vertrag, das ist lediglich ein Grund, zu verlangen, daß besseres Bier geliefert wird. Scheps ist kein schlechtes, verdorbenes, ungesundes Bier, also ist es kein Grund zum Iiücktritt. Ich würde es also gerade im Interesse der Wirthe für angezeigt halten, daß eine Bestimmung, wie sie vorgeschlagen wird, ausge­ nommen wird. Es wird durch diese Bestimmung nichts Neues geschaffen; es wird nur gesetzlich festgelegt, was ohnehin schon Rechtens ist. Ich sehe nicht ein, warum das nicht in klaren Worten im Gesetze ausgesprochen werden soll.

Abg. Joseph Huber: Ich möchte mir einige allgemeine Bemerkungen erlauben und namentlich möchte ich dem Herrn Kollegen Lutz antworten. Derselbe hat bestritten, was Herr Kollege Seeberger behauptet hat, und hat gesagt, die Brauer sind nicht die Kräftigen. In den meisten Fällen ist der Brauer der Kräftige und Mächtige; der Brauer kann sich in der Regel viel mehr helfen als der Wirth, besonders auf dem Lande. Wenn man die Wirthe

68.

S. 68. auf dem Lande nimmt, die oft fast nicht richtig lesen und schreiben können — und solche gibt es ja genug, namentlich was ältere Leute sind —, so wird sich der Brauer gegen diese leicht helfen können. Das wird auch der Herr Kollege Lutz nicht bestreiten, und daß die Wirthe in der Regel wohlhabende Leute sind, ist auch nicht der Fall, in meiner Gegend wenigstens nicht; es gibt ja wohlhabende Wirthe, aber es gibt auch sehr mangelhafte Wirthschaften, wo es sehr an Vermögen fehlt und die Schulden eine solche Höhe erreichen, daß der Wirth ganz der Untergebene des Brauers ist. Es ist das eine traurige Thatsache, und wenn wir daher dem Wirthe etwas mehr Schutz geben können, als ihm hier gegeben ist, so halte ich das für sehr gut. Abg. Dr. Ratzinger: Ich muß schon sagen, daß ich mich vollständig auf den Standpunkt des Herrn von Walter stelle. Der Wirth hat auch heute, wenn er Verträge abschließt, genügenden Schutz, und wenn er schlechte Ver­ träge abschließt, so ist er selbst Schuld daran. Wenn man einen Begriff aufnimmt, wie „vertragswidriges Bier", so muß man doch zuvor sagen, was ist ein „vertragsgemäßes Bier", sonst können wir nicht das vertragswidrige konstatiren. Da müßten wir in das Gesetz hineinnehmen, wie viele Grade das Bier haben muß; oder der Eine sagt, das ist Scheps, was einem Andern recht gut schmeckt, und in einem Landestheil wird geringhaltiges Bier verzapft um 20 /$, was in einem anderen Landes­ theile für geradezu ungenießbar betrachtet würde. Also damit können wir nichts anfangen. Herr Abg. Dr. Casselmann sagt allerdings, schreiben wir klipp und klar hinein, was Rechtens ist. Ja, wenn die beiden Anträge klipp und klar aussprechen könnten, was gesetzlich ist, so würde ich sehr gerne dafür stimmen; aber ich meine, der Herr Kollege von Walter hat ganz richtig gesagt, daß diese Ausdrücke sehr dehnbar sind und, was die Hauptsache ist, nicht zur S. 69. Entscheidung allein || genügen. Man ist immer auf die Gutachten angewiesen. Wenn wir nicht gleich ein ganz eingehendes Gesetz über die Bierlieferungs­ verträge machen, dann werden die Gutachten der Sachverständigen im Großen und Ganzen zu Gunsten der Brauer ausfallen, und die Wirthe werden da keinen Schutz finden, sondern würden erst recht hereingelegt durch die großen Prozeßkosten u. s. w. Ich möchte daher bitten, es bei dem Vorschläge, den die k. Regierung im Entwurf ausgearbeitet hat, zu belassen, und ich glaube, es wäre das Beste, wenn die Anträge zurückgezogen würden. Abg. Lutz: Nur einige Worte! Ich bin nach wie vor der Meinung, daß, wenn wir die beantragte Bestimmung annehmen, wir damit weder die Wirthe noch die Brauer schützen, sondern hauptsächlich die Advokaten; denn ich glaube, es werden große Streitigkeiten daraus entstehen. Ich kann auch dem Herrn Abg. von Walter nicht beistimmen, daß für den Wirth der Civilprozeß ebenso gangbar ist wie der Strafprozeß, denn wenn der Wirth den Brauer anzeigt wegen Lieferung von schlechtem Bier, so kostet ihm das keinen Pfennig, wenn er aber einen Civilprozeß anstrengt, so er­ wachsen ihm eine Menge Auslagen. Das ist der große Unterschied. Die ganze Bestimmung hat nur den Werth, den Kampf der Brauer um die Wirthe auf eine gewisse Jahreszeit zu beschränken. Im Allgäu unterhalten die großen Aktienbrauereien eigene Bierreisende, die reisen herum, suchen Kunden, be­ kommen bedeutende Provisionen dafür, und wenn ein Vertrag nicht besteht, können die Wirthe jederzeit eintreten.

Es hat in dieser Beziehung Herr Dr. Ratzinger ganz Recht, wenn er S 69. sagte, jeder Wirth könne sich durch den Abschluß eines Vertrags selbst schützen; er erklärt einfach der Brauerei: Ich behalte mir das Recht vor, den Bier­ bezug einzustellen, wann ich will. Es ist auch nicht so, wie der Herr Abg. Landmann meint, daß es dem Brauer einfach einfallen könnte, anstatt Bier Scheps zu liefern. Das wäre strafbarer Betrug, der Brauer würde riskiren, 2, 3, ja 6 Monate ins Ge­ fängniß zu kommen, und das wird er wohl lassen. Es sind auch schon Leute wegen Betrugs gestraft worden, weil sie Scheps anderem Biere beigemischt haben. Das Braugewerbe hat aber seine kolossalen Schwierigkeiten, die Sie Alle kennen, die Sachverständigen werden dieß würdigen und die Wirthe werden selten solche Prozesse gewinnen. Wie die Dinge liegen, ist der Wirth schon durch die Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs geschützt, deßhalb halte ich jeden Antrag für überflüssig und möchte bitten, den Antrag der Regierung anzunehmen; meinen Einspruch gegen sofortige Abstimmung ziehe ich zurück. Abg. Lerno (Korreferent): Wenn wiederholt in meinem Antrag der Aus­ druck „vertragswidrig" beanstandet wurde, so habe ich schon gesagt, es wird das Sache der Rechtsprechung, der Auslegung des Gesetzes sein. Ich habe auch schon auf § 633 des Bürger!. Gesetzbuchs Bezug genommen und möchte nur noch darauf Hinweisen, daß auch die Verordnung vomJahre 1811 eine Bestimmung hatte, die möglicherweise als Interpretation gelten kann, indem sie von der nothwendigen Qualität des Biers spricht. Es heißt im Artikel 9: „Wer ein Bier verleitglbt, das die Kraft und den Gehalt nicht hat, welche es haben sollte, wenn dasselbe die vorgeschriebene quan­ titative Größe der Ingredienzien am Malz und Hopfen in sich enthielte, soll unnachsichtlich mit einer Strafe von sechs Pfennige für jede Maß, welche das Gefäß enthielt, aus welchem dieses als zu schwach erkannte Bier genommen wurde, belegt werden."

Das gilt allerdings nicht mehr; allein es kann als Jnterpretationsmaterial noch benützt werden.

Abg. Wagner (Referent): Es handelt sich eigentlich nur noch um die Frage, ob wir eine Zusatzbestimmung zu dem Artikel machen wollen oder nicht. Das Bedürfniß für eine solche Zusatzbestimmung liegt hauptsächlich in zwei Gründen, einmal darin, daß für das Bierlieferungsverhältniß zwischen dem Brauer und Wirth im gegenwärtigen Artikel Ausnahmebestimmungen getroffen werden, und zweitens in der Thatsache, auf welche namentlich die Herren Kollegen Seeberger und Huber hingewiesen haben, daß es eine Reihe von recht unbeholfenen Personen gibt, welche nicht in der Lage sind, den Voraussetzungen des Handelsgesetzbuchs jetzt und künftig des allgemeinen bür­ gerlichen Gesetzbuchs in entsprechender Weise zu genügen, und für diese Leute wäre ganz entschieden eine einfache Schutzvorschrift am Platze. In dieser Richtung gehe ich mit den Herren, welche Anträge gestellt haben, vollständig einig, ich bin aber zweifelhaft, ob die gestellten Anträge das bringen, was man verlangen muß. Der Antrag des Herrn Kollegen Landmann ist, soweit ich ihn beurtheile, so ziemlich selbstverständlich. Ich glaube, daß man an der Hand der gegenwärtig geltenden Bestimmungen genau zu dem Resultate kommt wie der Abg. Landmann. Bezüglich der Tragweite des Antrags des Herrn Abg. Lerno bin ich noch nicht vollständig mit mir im Reinen. Ich habe mir einen Antragsentwurf

S. 69. gefertigt, aber ich will keinen Antrag stellen. Ich bemerke blos, daß es mir schien, daß, wenn man eine Zusatzbestimmung machen würde, es besser wäre, dieselbe etwa folgendermaßen zu fassen: „Der Wirth hat unbeschadet der all­ gemeinen gesetzlichen Bestimmungen das Recht, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn der Brauer im Laufe eines Vierteljahres zweimal vertragswidriges Bier geliefert hat, und der Wirth dem Brauer von der mangelhaften Beschaffenheit des Biers alsbald nach erlangter Kenntniß des Mangels hievon Anzeige ge­ macht hat." Es wäre also ausdrücklich gesagt: „wenn zweimal innerhalb eines Vierteljahres vertragswidriges Bier geliefert und Anzeige hievon gemacht wurde." Diese Vorschrift hätte den Vorzug der Einfachheit und enthielte zu­ gleich die Möglichkeit, daß der Wirth nicht etwa durch den Antrag schlechter fahren würde als nach der bisherigen gesetzlichen Bestimmung. Nun bin ich durchaus nicht der Meinung, daß man für diesen Vorschlag — einen Antrag stelle ich ja nicht — weiter plaidirt, sondern ich bin der Meinung, daß wir die Frage heute nicht lösen sollen. Wenn die Mehrheit des Ausschusses eine Abänderung der Bestimmung will, so würde ich es für besser halten, daß diejenigen Herren, welche eine Abänderung wünschen, zusammentreten und sich über eine Formulirung einigen; dann könnten wir den Antrag bei der zweiten Lesung gemeinsam einbringen, und dann werden wir rascher zu einem Ende kommen, als cs heute der Fall ist. Ich möchte daher die Herren Kollegen Lerno und Landmann ersuchen, vorerst ihre Anträge zurückzuziehen, sie nicht zur Abstimmung zu bringen, und würde mir erlauben, dieselben einzuladen, entweder mit mir oder einem andern Herrn, der Interesse daran hat, zusam­ menzutreten, um uns über eine gemeinsame Fassung einer solchen Bestimmung zu vereinigen. Ich glaube, damit kämen wir am ersten zum Ziele. Vorsitzender: Die Sache scheint mir so zu sein, daß wir zuerst wissen müssen, ob nicht die Regierungsvorlage angenommen wird.

Abg. Lerno (Korreferent): Ich will nichts gegen das, was der Herr S. 70. Referent gesagt hat, vorbringen; aber bevor || wir auf seinen Vorschlag unsere Anträge zurückziehen, muß doch die Frage entschieden werden, ob der Ausschuß in seiner Mehrheit überhaupt geneigt ist, eine derartige Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen. Bringt die Abstimmung das Resultat, daß die Äusschuß-

mehrheit das nicht will, dann sind unsere Anträge von vornherein überflüssig. Vorsitzender: Ich stimme mit dem Herrn Korreferenten vollständig über­ ein. Ich habe auch gemeint, wir müssen abstimmen, ob nicht die Regierungs­ vorlage pure angenommen wird.

Abg. von Walter: So liegt die Frage meines Erachtens doch nicht. Herr Kollege Geiger und ich haben uns gegen die Abänderungsanträge aus­ gesprochen, aber nur deßhalb, weil sie nach unserer Auffassung nicht die Sache erschöpfen und das Richtige treffen. Wenn uns ein Abänderungsvorschlag gebracht wird, der diesen Mangel nicht hat, wie die heutigen Anträge, dann werden wir mit Vergnügen einem derartigen Anträge zustimmen, weil wir die Wirthe schützen wollen. Wenn es den Herren gelingt, einen richtigen Ab­ änderungsantrag zu Stande zu bringen, dann glaube ich, wird der gejammte Ausschuß einstimmig dafür eintreten. Allein die Frage ist, ob das möglich ist. Ich meine daher, es wäre in der That am besten, wie der Herr Referent vor­ geschlagen hat, die heutigen Anträge zurückzuziehen und sich vorzubehalten, für die zweite Lesung einen anderen und besseren Antrag einzubringen.

Ausschußverhandl. d. K. d. Abg. — 5. Protokoll.

261

Vorsitzender: Sind die Herren Antragsteller mit dem Vorschläge des S. 70Herrn von Walter einverstanden? (Wird bejaht.) Es sind also die Anträge unter diesem Vorbehalt zurückgezogen, und ich darf nunmehr annehmen, dah Artikel 7 pure angenommen ist. Wir gehen nun über zu Artikel 8. Abg. Wagner (Referent): Was Artikel 8 betrifft, so habe ich eigentlich das Erforderliche schon gesagt. Der Artikel 8 hat die Aufgabe, den gegenwärtigen Hypothektitel, den der Brauer für seine Bierlieserung an den Wirth hat, zu ersetzen, indem er folgende Bestimmung enthält: „Ist bei dem Bestehen eines Vertragsverhültnisses der im Artikel 7 Abs. 1 bezeichneten Art der Wirth Eigenthümer des Grundstücks, auf welchem er sein Geschäft betreibt, so kann der Brauer verlangen, daß ihm für den gestundeten oder rückständigen Kaufpreis des gelieferten Bieres eine Sicherungshypothek an dem Grundstücke bestellt wird. Hat der Wirth noch andere Grundstücke, die mit dem seinem Geschäftsbetrieb dienenden Grundstücke gemeinschaftlich bewirthschaftet werden, so kann die Erstreckung der Sicherungshypothek auf diese Grundstücke verlangt werden, so weit sie erforderlich ist, damit der Betrag des Kaufpreises durch den Werth der Grundstücke doppelt gedeckt wird. Der Werth wird unter Abzug der Belastungen be­ rechnet, die der Sicherungshypothck im Range vorgehen." Hier könnte es sich höchstens um die Fassung handeln; denn, wie gesagt, ich bin damit einverstanden, daß der gesetzliche Hypothektitcl, welchen der Brauer bisher bereits hatte, in der Weise ersetzt wird, wie es im Bürger!. Gesetzbuch hinsichtlich der Bauhandwerker bereits geschehen ist. Es handelt sich also nur um die Frage, ob nicht redaktionelle Aenderungen nothwendig sind, ob es beispielsweise nothwendig ist, hineinzusetzen „für den gestundeten oder rückständigen Kaufpreis", ob es nicht genügen würde, einfach zu sagen „für den Kaufpreis" allein. Es wird aber nicht viel darauf ankommen. Was die Höhe betrifft, bis zu welcher Sicherheit verlangt werden kann, so glaube ich, daß hier das richtige Maß getroffen ist. Es wiederholt sich dieselbe Ausdrucksweise in mehreren Artikeln dieses Gesetzes. Die Sache ist also so, daß, wenn ein Wirth ein Anwesen im Werthe von 10,000 M. besitzt, welches mit 6,000 -M. Hypothekschulden belastet ist, dann, wenn die Bierschuld des Wirthes 2,000 M. beträgt, der Brauer auf den sämmtlichen Grundbesitz­ ungen des Wirthes Sicherung verlangen kann. Denn 6,000 K sind bereits vorhanden, es bleiben also noch 4,000 JH. Reinwerth übrig; 2,000 nen Ausführungen nur wenig beizufügen. Ich bemerke, daß der Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welcher besagt, daß bei der Bestellung des Vormundes Rücksicht zu nehmen sei auf die konfessionellen Verhältnisse, in dem ursprünglich von den Kommissionen hergestellten Entwürfe nicht enthalten war. Erst der Bundesrath hat denselben eingesetzt, und gewiß aus triftigen Gründen. Zu­ gleich findet sich in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch die Erwähnung, daß der Vormundschastsrichter unmöglich informiert sein kann über die einzelnen Gemeinden, über das Vorhandensein von zu Vormündern tauglichen Per­ sonen u. s. w. Er muß sich jedenfalls informieren lassen und wird den Ge­ meindewaisenrath, gerade wenn es sich hinsichtlich der konfessionellen und sitt­ lichen Verhältnisse um den richtigen Erzieher u. s. w. handelt, nicht entbehren können. Der Gemeindewaisenrath selbst aber wird hinwieder seine Information am besten bei demjenigen erholen, der von Amtswegcn sich mit den religiösen Verhältnissen rc. befaßt, der zugleich Schulinspektor ist. Der Antrag ist übrigens bei der Schlußberathung des Abgeordnetenausschusses nicht wiederholt worden. Würde meinem Anträge stattgegeben, so verkenne ich mcht, daß einige weitere Aenderungen im Entwürfe nothwendig sind. Denn mein Antrag setzt allgemein eine Kollegialbehörde voraus. Der Entwurf aber geht davon aus, nur in größeren Orten eine Kollegialbehörde als Gemeindewaisenrath niederzusetzen, während in kleinen Orten der Gemeindewaisenrath nicht eine Kollegialbehörde sein soll, sondern eine Einzeln-Person; auch wo hier mehrere Waisenräthe be­ stellt sind, sollen diese nicht als Kollegialbehörde fungieren, sondern ein jeder den ihm zugewiescnen Distrikt selbständig verwalten. Ich bemerke ferner als selbstverständlich, daß man die Pfarrvorstände nicht ohne weiteres als geborene Mitglieder des Gemeindewaisenrathes wird erklären können. Es ist Voraussetzung, daß die vorgesetzten kirchlichen Behörden mit dem Gedanken einverstanden sind, und auch die Regierung hat, insoferne ihr die staatliche Kuratel zusteht, ein Wort mitzureden. Ich habe vorausge­ setzt, daß die Regierung, insoferne die Kultusvorstände in Frage kommen, sich nach dieser Richtung informiert hat. Das sind die wenigen Bemerkungen, welche ich meinem schriftlichen Bericht beifügen wollte.

Reichsrath Graf Fugger von Glött: Obgleich ich die Gründe zu würdigen weiß, welche den Herrn Referenten zu seinem Antrag gebracht

haben, glaube ich doch dagegen stimmen zu sollen. Ich bin der Ueberzeugung, daß die Beiziehung der Pfarrer zum Gemeindewaisenrath absolut nicht noth­ wendig ist. Die Einwirkung in religiöser und sittlicher Beziehung auf die verwaisten Minderjährigen hat der Pfarrer hinlänglich als Lokalschulinspektor und Seelsorger, und wenn er in diesen beiden Eigenschaften kernen Einfluß hat, wird er ihn sicher auch als Gemeindewaisenrath nicht gewinnen. Uebrigens wird die Kompetenz des Pfarrers durch Zugehörigkeit zum Gemeindewaisenrath in keiner Weise erhöht. Als solcher hat er lediglich ein Anzeigerecht, während er als Kultusvorstand und Lokalschulinspektor im § 57 Ziffer 9 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ein Beschwerderecht zur Obervormundschaft hat. Außerdem wird seine Beiziehung erhebliche Schwierigkeiten in konfessionell gemischten und in großen Gemeinden mit sich bringen. Dazu kommt noch, daß es der sonstigen Stellung des Pfarrers nicht entspricht, als Gemeindewaisenrath direkt unter dem Amtsrichter zu stehen. Ich habe übrigens mit verschiedenen Pfarrern meiner Gegend in dieser Be­ ziehung Fühlung genommen und die Herren haben in ihrer überwiegenden Mehrheit sich dahin ausgesprochen, daß sie es sehr bedauern würden, wenn sie kraft ihres Amtes zum Waisenrath zugezogen würden. Ich bitte daher die Hohen Herren dringend, dem Antrag des Herrn Referenten nichtstattzugeben. Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Gegen den Antrag, die Pfarrvorstände kraft Gesetzes zu Mitgliedern des Ge­ meindewaisenraths zu machen, hat sich die Staatsregierung schon im Ausschüsse der Kammer der Abgeordneten erklärt. Sie muß an ihrem Standpunkte festhalten. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch soll dem Vormundschastsgerichte für die Aufsicht über die dem Vormund obliegende Sorge für die Person des Mündels, für die Erziehung und die leibliche Pflege, ein Hilfsorgan zur Seite stehen, und dieses Hilfsorgan soll von der Gemeinde gestellt werden in dem Gemeindewaisenrathe. Die Aufgabe des Gemeindewaisenraths stellt keine An­ forderungen, welche die Befähigung der Gemcindebürger übersteigen, die nach den Vorschriften der Gemeindeordnungen zur Uebernahme der Gemeindeämter berufen sind, und die Stellung, die das Bürgerliche Gesetzbuch dem Gemeinde­ waisenrath anweist, ist eine solche, wie sie im allgemeinen gemeindlichen Beamten im Verhältnisse zu den staatlichen Behörden zukommt, denen die gemeindlichen Beamten Hilfsdienste zu leisten haben. Daß das Amtsgericht die erforderlichen Anzeigen und Auskünfte von den aus den Gemeindebürgern gewählten Waisenräthen nicht erhalten werde, wenn nicht der Pfarrer als Mitglied des Gemeindewaisenraths mitwirkt, ist eine grundlose Befürchtung, die durch die Erfahrungen der Länder widerlegt wird, in denen die Einrichtung des Gemeindewaisenraths schon besteht; daß die Gemeindebehörden auch ohne Mitwirkung des Pfarrers im Stande sind, zu Vormündern Männer vor­ zuschlagen, welche die für ihre Aufgabe erforderlichen religiössittlichen Eigen­ schaften haben, wissen wir aus den in Bayern selbst gemachten Erfahrungen. Die Theilnahme des Pfarrers oder sonstigen Kultusvorstandes wird aber auch deswegen verlangt, weil sie für den Kultusvorstand zur gedeihlichen Führung seines geistlichen Amtes nothwendig sei. Diesen Gesichtspunkt hat insbesonvere der Herr Referent betont. Ich kann aber auch diesen Grund nicht als zutreffend anerkennen. Der bestehende Rechtszustand, gegen den auch von kirchlicher Seite keine Klagen erhoben worden sind, erleidet dadurch, daß künftig das Vormundschaftsgericht von dem Gemeindewaisenrath unterstützt

856

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

wird, keine Aenderung, die irgend welche Erschwerung der seelsorgerischen Thätigkeit des Kultusvorstandes mit sich brächte, und das neue Recht beläßt dem Kultusvorstand nicht nur die Stellung, die er bisher gegenüber dem Vor­ mundschaftsgericht einnahm, sondern sichert seine berechtigte Einflußnahme auf die Sorge für die Person des Mündels insofern noch besser, als es ihm in diesen Angelegenheiten das Beschwerderecht einräumt. Pfarrer und Gemeindewaisenrath sollen einander gegenseitig unterstützen; aber der gesetzlichen Berufung des Pfarrers in den Gemeindewaisenrath bedarf es weder für diesen, um ihn zur Erfüllung seiner Aufgabe, noch für den Pfarrer, um ihn zur Erfüllung der Pflichten seines geistlichen Amtes in den Stand zu setzen. Gegen den Antrag spricht außerdem die Erwägung, daß er die Organi­ sation des Gemeindewaisenraths kompliziert, da dieser nach dem Antrag auch in den kleinsten Gemeinden ein Kollegium sein soll, und daß er in vielen Fällen fast unausführbar ist, jedenfalls aber große Schwierigkeiten bereitet, insbesondere bei Pfarreien, zu deren Sprengel mehrere politische Gemeinden gehören, und bei Gemeinden mit konfessionell gemischter Bevölkerung. Wo der Gemeindewaisenrath schon besteht, ist er ein Gemeindeamt, zu dem der Pfarrer gewählt werden kann, aber nicht kraft Gesetzes berufen ist. Ebenso hat keiner der Entwürfe der Ausführungsgesetze der übrigen deutschen Bundesstaaten die Pfarrvorstände als solche zur Theilnahme am Gemeindewaisenrathe herangezogen. Insbesondere bestimmen die Entwürfe von Preußen, Baden, Weimar, Mecklenburg, Meiningen und Elsaß-Lothringen, daß der Gemeindewaisenrath gewählt wird. Württemberg erklärt den Gemeinderath zum Gemeindewaisenrath. Die Staatsregierung ist mit den kirchlichen Oberbehörden über den Antrag ins Benehmen getreten. Die erzbischöflichen und bischöflichen Ordinariate sind getheilter Meinung; ein Theil spricht sich gegen den Antrag aus. Gegen den Antrag haben sich auch das Oberkonsistorium und das Konsistorium in Speyer erklärt. Es dürfte deshalb dem Antrag eine Folge nicht zu geben sein. Vorsitzender: Wenn Niemand das Wort ergreift, erlaube ich mir, meine Anschauung zu begründen. Ich schließe mich den Anschauungen Seiner Erlaucht vollständig an und möchte nur einen Punkt noch hervorheben. Ich habe eine hohe Meinung von der Aufgabe der Geistlichen, des Pfarrers, namentlich auf dem Lande und ich habe auch schon bei einer anderen Gelegen­ heit dieser Anschauung Geltung zu verschaffen gesucht. Eben deshalb bin ich der Ansicht, daß man den Pfarrer möglichst frei von solchen polizeilichen Funktionen halten sollte, zu denen im großen und ganzen doch die Aufgabe des Gemeindewaisenrathes zu rechnen ist. Wir sollen den Pfarrer auf den Kreis beschränkt lassen, für den er bestimmt ist, in konziliatorischer und nicht polizeilicher Weise seines Amtes zu walten. Es ist ja schon öfter hervorgehoben worden, daß die Funktion des Gemeindewaisenrathes eigentlich nur eine Hllfsfunktion der Vormundschaftsbehörde ist und daß dieselbe Funktion in noch ver­ mehrtem Grade eigentlich auch jeder üben kann, der sich beschweren will darüber, daß entweder der Vormund seine Pflicht nicht erfüllt oder daß der richtige Vormund nicht vom Gemeindewaisenrath bezeichnet worden ist. Denn ich möchte den Vormundschaftsrichter kennen, der, wenn ihm solche Bedenken auch von dritter Seite vorgebracht worden sind, dieselben nicht ebenso berück­ sichtigen wird, wie jede andere vom Gemeindewaisenrath vorgebrachte Be­ anstandung auch. Das ist die Pflicht des Vormundschaftsrichters, daß er alle

Beschwerden hört und prüft, die ihm entgegengebracht worden sind. Gerade die Skeitigkeiten, die sich in Bezug auf die Mündelpflege ergeben, wachsen sich nicht selten in Familienfeindschaften aus und sie werden in erbittertster Weise von einer Familie gegen die andere geführt. Es wäre nicht wünschenswerth, wenn, nachdem der Gemeindewaisenrath mehr oder minder von diesen Streitig­ keiten Kognition nehmen muß, in solchen Fällen der Pfarrer für eine Partei eintritt und die andere vor den Kopf stößt. Wie gesagt, ich glaube die Be­ stellung des Pfarrers zum Gemeindewaisenrath würde seine Stellung in der Gemeinde geradezu erschweren. Es ist ja ganz richtig, daß die konfessionellen Beziehungen eine große Wichtigkeit haben. Nach meinen Erfahrungen wäre es doch sehr schlimm, wenn das Ausschlaggebende bei der Wahl des Vormunds rein die Rücksicht auf die Konfession bilden würde. Es ist sehr schwer, einen tüchtigen Vormund zu wählen, und wenn der Pfarrer mit weltlichen Dingen sich nicht sehr beschäftigt, ist er nicht einmal in der Lage, für die Vermögens­ angelegenheiten des Mündels entsprechend zu sorgen. Ich schließe mich dem Antrag auf Ablehnung des Antrages des Herrn Referenten an.

Reichsrath Dr. von Bechmann: Nachdem bisher in dieser Angelegenheit lediglich solche Hohe Herren das Wort ergriffen haben, die der katholischen Kirche angehören, ist es wohl nicht unbescheiden, wenn ich auch vom pro­ testantischen Standpunkte meine Anschauung ausdrücklich konstatiere. Dieselbe stimmt mit der ablehnenden, die wir aus dem Munde Seiner Erlaucht und des Herrn Vorsitzenden vernommen haben, vollkommen überein. Es freut mich, gehört zu haben, daß auch die oberste Kirchenbehörde der protestantischen Kirche sich in dem gleichen Sinne ausgesprochen hat. Das war mir neu; ganz unabhängig davon würde ich mich entschieden gegen den Vorschlag aus­ gesprochen haben. Ich würde es speziell für den protestantischen Pfarrer für kein Glück, sondern für eine Erschwerung seiner Lage halten, wenn ihm dieses Amt übertragen würde. Ich glaube, ein tüchtiger und seines Berufes mächtiger protestantischer Pfarrer wird reichlich Gelegenheit haben, auf Pflege und Für­ sorge des zu Bevormundenden Einfluß zu üben, besser außerhalb des Waisenrathes als innerhalb desselben.

Neichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Es bestehen Gründe Und Gegengründe in der vorwürfigen Angelegenheit. Die Gründe, die man für die Hereinnahme des Pfarrers als geborenen Mitgliedes in den Gemeinde­ waisenrath geltend machen kann, sind in meinem schriftlichen Bericht nieder­ gelegt. Die Hohen Herren, die sich dagegen ausgesprochen haben, haben auch ihre Gegengründe geltend gemacht und können sich allerdings darauf berufen, daß selbst von Seite der katholisch-kirchlichen Oberbehörden nicht ein ein­ stimmiges Votum für meinen Antrag abgegeben ist. Unter solchen Umständen sehe ich ja wohl voraus, daß mein Antrag abgelehnt wird. Ich will ihn aber gleichwohl nicht zurückziehen. Denn man weiß nicht, ob nicht im Abgeordnetenhause die Sache weiter verfolgt werden wird, da sich dort eine bedeutende Minorität für den Antrag interessiert hat. Unter solchen Umständen wird es gut sein, wenn man im Abgeordnetenhause weiß, wie die Sache im Reichsrathsausschusse aufgefaßt wird. Vorsitzender: Ich erachte demnach die Sache für genügend erörtert und schreite zur Abstimmung. Diejenigen Hohen Herren, welche für den Antrag Seiner Excellenz des Herren Referenten sind, bitte ich die Hand emporzuheben. (Folgt Abstimmung.) Der Antrag ist abgelehnt.

858

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Nachdem die Prinzipien­ frage erledigt ist, kommen wir zu den einzelnen Artikeln. Ich habe gegen die einzelnen Artikel 83—89 keine Bedenken geltend zu machen; nur gebe ich zur Erwägung, ob im Artikel 88 gesagt werden soll: Der Gemeindewaisenrath ist befugt, Frauen, welche hiezu bereit sind, als Waisenpflegerinnen in widerruflicher Weise aufzustellen. Ich habe gemeint, es sei selbstverständlich, daß die Frauen zur Annahme der Funktion nicht gezwungen werden können; sie werden ja nicht Waisenräthe, sondern sie sollen als Pflegerinnen angenommen werden. Ihre Bereitwilligkeit wird um so mehr Voraussetzung sein, und zwar selbstverständliche, als gedacht ist, wenigstens nach meiner Meinung, daß die Pflegerin ihre Funktion unentgeltlich wahrnehmen soll. Ein großes Unglück wird es freilich nicht sein, wenn Sie die Worte stehen lassen, aber ich meine, es bedarf derselben nicht. Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Aarubezky: Es ist allerdings richtig, daß die Worte, die der Herr Referent streichen will, nicht gerade nothwendig sind. Indessen ist es gegenüber dem, was sich aus dem Artikel 87 für die Landestheile rechts des Rheins ergibt, nicht un­ zweckmäßig, diese Worte stehen zu lassen. Sie finden sich auch in dem preußischen Entwurf Artikel 75 § 2. Borsitzender: Ich nehme an, daß sämmtliche Artikel bezüglich des Gemeindewaisenrathes, und zwar Artikel 86, 88 und 89 in der Fassung des Abgeordnetenausschusses, angenommen sind.

Anstaltsvormund. Artikel 90.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 90 handelt vom Anstaltsvormund. Die Einrichtung ist für uns neu; ob sie sich bewährt, das weiß man nicht. Einen Versuch ist sie allerdings werth. Es ist gut, daß der Anstaltsvormuvd hinwieder seine Enthebung beantragen kann, und davon wird, meiner Empfindung nach, ziemlich häufig Gebrauch gemacht werden, namentlich wo Vermögensverwaltungen in der Mehrzahl auf den Anstaltsvormund treffen. In solchem Falle kann er nach meinem Dafürhalten doch kaum die Sache machen. Ich beantrage Zustimmung.

Reichsrath Kessert: Die Bestimmung ist dem pfälzischen Rechte ent­ nommen. Ich kann sagen, weitgehender Gebrauch wird davon nicht gemacht. In manchen Städten besteht die Uebung z. B. in Speyer; diese Stadt hat die Bestimmung von jeher benützt. Es handelt sich fast ausnahmslos um Mündel, die kein oder ein unbedeutendes Vermögen haben. Die Amtsrichter haben sehr gerne diese Entlastung hingenommen, und ich glaube, man kann die Einrichtung in Zukunft beibehalten, umsomehr, als sie fakultativ ist. Vorsitzender: Ich möchte mir eine Anfrage erlauben. In Absatz 5 heißt es: Auf Antrag des Vorstandes ist ein anderer Vormund zu bestellen. Ist das Recht des Vorstandes ein unbegrenztes oder muß es sich auf § 1786 des Bürgerlichen Gesetzbuches, worin die Gründe der Ablehnung der Ueber­ nahme der Vormundschaft aufgeführt sind, stützen?

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jambezky: Das Recht des Vorstandes ist unbegrenzt; es ist nicht auf die Fälle beschränkt,

in denen ein Vormund nach § 1889 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf seinen Antrag zu entlassen ist. Vorsitzender: Dann bin ich befriedigt. angenommen.

Ich erkläre Artikel 90 für

Rechte der öffentliche« Wohlthätigkeitsanstalten in Ansehung deS Nachlasses unterstützter oder verpflegter Personen.

Artikel 90 a und 90b. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 90a lautet: (Wird verlesen.) Dann kommt Artikel 90b, der damit zusammenhängt und in dem besagt ist: (Wird verlesen.) Ich habe mich gegen diese beiden Artikel erklärt und habe beantragt, daß statt dessen die einschlägigen älteren Bestimmungen des Landesrechts (Ein­ führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Artikel 139) aufrecht zu erhalten sind. Ich habe das in ausführlicher Erörterung begründet und berufe, mich auf diese Erörterungen. Ich möchte vorerst absehen von technischen Erwägungen, insbesondere der Frage, ob wir von Reichswegen befugt sind, soweit zu gehen, wie der Entwurf geht. Der Entwurf gibt auf der einen Seite gewissen Anstalten Rechte, die sie bisher nicht gehabt haben , und er nimmt gewissen Anstalten Rechte, die sie bisher gehabt haben. Es ist das nicht so ganz einerlei. Ich gebe ja zu, da es sich um Erbrecht handelt, so können wir sagen, das jeweilige Recht gilt. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt dergleichen gesetzliches Erbrecht nicht, also fällt das fragliche Erbrecht der Anstalten rc. weg. Auf der andern Seite ist das doch schon von der Reichsgesetzgebung für hart erachtet und deshalb uns das Recht gegeben, diese alten Rechte und Gesetze aufrecht zu erhalten; hart ist es immerhin, wenn solche Anstalten, die seit Jahrhunderten dergleichen Rechte hatten, diese nun verlieren nicht bloß für die Zukunft, sondern sie auch verlieren in Ansehung derjenigen Pfründner — so will ich sie einmal nennen —, die bereits in die Anstalt eingetreten sind. Das wäre ja die Folge. Das war der Hauptgrund, warum sie sachlich ein Interesse haben an der Aufrechterhaltung dieser bestehenden Rechte, wenn es auch nur Hoffnungsrechte wären. Das war die Bemerkung, die ich meinen schriftlichen Erörterungen noch anfügen wollte. Ich beantrage also unter Abstrich der Artikel 90a, 90b den Artikel 139 des Einführungsgesetzes zu denjenigen zu stellen, welche in Artikel 1 unseres Entwurfs ausgenommen sind, eventuell möchte ich hinzufügen, wenn Sie nicht wollen, daß der Artikel 90 a entfällt, so bleibt der Artikel 139 noch übrig für die juristischen Personen des Bürgerlichen Rechts, damit sie nichts von dem verlieren, worauf sie ein Recht haben. Derk. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. vonJaeubezkh: Ich möchte vor allem die Behauptung des Herrn Referenten zu widerlegen versuchen, daß die k. StaatSregierung den Artikel 103 mißverstanden habe, daß sie eine Vorschrift Vorschläge, welche zu erlassen außerhalb des Bereichs der Landesgesetzgebung liegt. Der Artikel 103 hat nicht den Wortlaut, der auf Seite 32 des gedruckten Referates angegeben ist, und setzt nicht voraus, daß die Anstalt zur Gewährung der Unterstützung „an die unterstützte Person" ver­ pflichtet war, er lautet vielmehr:

860

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen der Staat sowie Verbände und Anstalten, die auf Grund des öffent­ lichen Rechtes zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet sind, Ersatz der für den Unterhalt gemachten Aufwendungen von der Person, welcher sie den Unterhalt gewährt haben, sowie von denjenigen ver­ langen können, welche nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetz­ buchs unterhaltspflichtig waren. Ob die Verpflichtung gerade gegenüber der Person besteht, die thatsächlich die Unterstützung bekommen hat, oder ob die Anstalt sich die zu unterstützenden Personen innerhalb eines bestimmten Kreises von Bedürftigen auswählen kann, ist nach dem Artikel 103 gleichgiltig. Das Erforderniß einer Verpflichtung zur Unterstützung bestimmter Personen würde zu einer zu engen Begrenzung des Vorbehalts geführt haben. Ich war selbst bei der Feststellung der Fassung betheiligt und kann versichern, daß absichtlich nicht mehr verlangt wurde als eine auf dem öffentlichen Rechte beruhende Verpflichtung zur Gewährung von Unterhalt. Eine solche Verpflichtung besteht aber für jede öffentliche Wohl­ thätigkeitsanstalt, zu deren satzungsmäßiger Aufgabe die Gewährung von Unter­ halt gehört. Das öffentliche Recht verpflichtet die Anstalt, aus ihren Mitteln Unterhalt zu gewähren, sie darf ihre Einkünfte nicht admassieren oder für andere Zwecke verwenden, sondern muß ihre satzungsmäßige Aufgabe erfüllen, indem sie Unterhalt gewährt, und ist damit im Sinne des Artikel 103 zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet. Die Landesgesetzgebung soll nach dem Artikel 103 darüber bestimmen können, ob die Unterhaltsgewährung, welche auf Grund einer Vorschrift des öffentlichen Rechtes erfolgt, an die einzelnen unterstützten Personen vorbehaltlos oder mit dem Vorbehalte erfolgt, daß unter gewissen Voraussetzungen Ersatz der Aufwendungen verlangt werden kann. Es fehlt an einem inneren Grunde, der Landesgesetzgebung die Be­ stimmung darüber nur für den Fall einzuräumen, daß die Anstalt verpflichtet ist, bestimmten Personen Unterhalt zu gewähren, dagegen den Ersatzanspruch auszuschließen, wenn die Anstalt zwar verpflichtet ist, ihre Einkünfte zur Ge­ währung von Unterhalt zu verwenden, aber die Personen, denen die Wohlthat zu statten kommen soll, auswählen darf; der Vorbehalt mußte, wenn er sach­ gemäß sein sollte, den Umfang erhalten, den er nach dem Wortlaute des Artikel 103 hat. Die k. Staatsregierung hat ihn daher nicht mißverstanden, indem sie ihn in diesem Sinne auslegte. Wenn die Vorschrift des Artikel 90 a erlassen werden kann, so erhebt sich die Frage, ob es zweckmäßig ist, dies zu thun. Dabei kommt zunächst die Ersetzung des Erbrechts, das in den bestehenden Statutarrechten gegeben ist, durch einen Ersatzanspruch in Betracht. Wenn ich den Herrn Referenten richtig verstanden habe, so tadelt er die grundsätzliche Stellung des Entwurfs in dieser Beziehung nicht. Ich glaube aus den Gründen, die in den Motiven dargelegt sind, behaupten zu dürfen, daß der Ersatzanspruch den Vorzug ver­ dient. Von dieser Anschauung ist auch die bayerische Gesetzgebung ausgegangen, als sie das gesetzliche Erbrecht der öffentlichen Armenpflege im Jahre 1869 durch einen Ersatzanspruch ersetzte. Sie hat angenommen, es könne nicht in der Absicht der öffentlichen Armenpflege liegen, auf Kosten der Verwandten einer unterstützten Person, wenn einmal ein außerordentlicher Glücksfall eintritt, einen unerwarteten Gewinn zu machen. Sie könne in einem solchen Falle nicht mehr beanspruchen, als daß ihr ersetzt wird, was sie für die unterstützte Person aufgewendet hat. Was übrig bleibt, möge in den gewöhnlichen Erb­ gang fallen. Dieselben Gründe treffen auch bei den Wohlthätigkeitsanstalten

zu. Auch diese gehen nicht darauf aus, durch Beerbung ihrer Pfleglinge gelegentlich einen zufälligen Gewinn zu machen. Sie üben Wohlthätigkeit, indem sie Bedürftigen Unterhalt gewähren. Hinterläßt eine unterstützte Person Vermögen, aus dem der Anstalt die für sie gemachten Aufwendungen ersetzt werden können, so soll der Ersatz geleistet werden, damit die Anstalt andere Bedürftige unterstützen kann. Das entspricht der Billigkeit. Es würde aber als eine Unbilligkeit, als eine Härte empfunden werden, wenn das Gesetz in einem Falle, in dem der Nachlaß das Zehnfache oder das Hundertfache der für den Erblasser gemachten Aufwendungen beträgt, den ganzen Nachlaß mit Ausschließung der Angehörigen der Anstalt zuwiese. Der Herr Referent glaubt, daß es, um den öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten den Ersatzanspruch zu gewähren, nicht des Artikel 90 a bedürfe; er sagt in seinem gedruckten Referate: Handelte es sich bei Artikel 90 a des Entwurfes um eine Anstalt, die gegenüber dem Unterstützten zur Gabe auf Grund öffentlichen Rechts verpflichtet wäre, so ist er unnöthig, weil nach dieser Seite schon unser Armenrecht reicht. Das ist ein offensichtlicher Irrthum; denn der Artikel 7 des Armenpflegegesetzes, der allein in Betracht kommt, spricht nur von dem Ersatzansprüche der öffentlichen Armenpflege und der zur Armenunterstützung verpflichteten öffentlichen Kassen, insbesondere der Staatskasse, die in gewissen Fällen die Armenlast zu tragen hat, den öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten ist ein Ersatzanspruch nicht gewährt, sondern das bisherige Erbrecht Vorbehalten. Sollen diese Anstalten den Ersatzanspruch erhalten, so ist der Artikel 90a nothwendig. Der Herr Referent findet eine Unbilligkeit darin, daß der Entwurf den Ersatzanspruch allen öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten gibt, auch denjenigen, die zur Zeit ein Erbrecht nicht haben, dagegen den Privatanstalten das ihnen zustehende Erbrecht ohne Ersatz entzieht. Ich gestehe offen, daß mir Privat­ anstalten, die ein gesetzliches Erbrecht haben, nicht bekannt sind. Auch bei Roth, Bd. III § 358, ist keine Vorschrift dieses Inhalts angeführt. Ich würde dem Herrn Referenten dankbar sein, wenn er mir das Statut, welches solche Vorschriften enthält, nennen wollte. Nach meiner Kenntniß des geltenden Rechtes möchte ich annehmen, daß die Anstalten, denen ein gesetzliches Erbrecht verliehen ist, öffentliche Anstalten sind. Die Vorschriften der Statutarrechte über das Erbrecht der öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten eignen sich nicht zur Aufrechterhaltung. Wenn sich die Hohen Herren der Mühe unterziehen, die in der Begründung, Seite 82 bis 84, enthaltene Uebersicht nachzulesen, so werden sie dem Entwürfe darin beistimmen. Das gesetzliche Erbrecht hat für die Anstalten, denen es zusteht, eine praktische Bedeutung nicht. Es ist wohl noch niemals vorgekommen, daß einer solchen Anstalt ein beträchtliches Ver­ mögen angefallen ist. Die Anstalten werden dadurch, daß ihnen an Stelle des Erbrechts der Ersatzanspruch gewährt wird, thatsächlich nichts verlieren. Sollte es wirklich Privatanstalten geben, die ein gesetzliches Erbrecht haben, so müßte, da ihnen ein Ersatzanspruch auf Grund des Artikel 103 nicht ge­ währt werden kann, versucht werden, das Erbrecht auf Grund des Artikel 139 des Einführungsgesetzes neu zu gestalten.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Es handelt sich hier um verschiedene Fragen, zunächst um die: sind wir durch das Reichsgesetz ermächtigt, eine Bestimmung, wie die in Artikel 90 a vorgeschlagene zu treffen. Der Herr Ministerialkommissär gibt zu, daß es der Artikel 139 des Einführungsgesetzes

862

IV, Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

nicht ist, auf Grund dessen der Artikel 90 a erlassen wird, sondern der Artikel 103. Dieser Artikel enthält aber die ausdrückliche Bestimmung: Unberührt bleiben die landcsgesetzlichen Vorschriften, nach welchen der Staat, sowie Verbände und Anstalten, die auf Grund des öffent­ lichen Rechtes zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet sind, Ersatz der für den Unterhalt gemachten Aufwendungen von der Person, welcher sie den Unterhalt gewährt haben, sowie von denjenigen ver­ langen können, welche nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetz­ buchs unterhaltspflichtig waren. Die Worte „auf Grund des öffentlichen Rechts verpflichtet" hat aber der Artikel 90 a nicht wiederholt. Es ist aber ein Unterschied, ob der Zweck der Anstalt ein öffentlicher ist oder ob die Verpflichtung eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung ist. Wenn der Herr Ministerialkommissär vorzugsweise gerade bei der Schaffung des Artikel 103 mitzuwirken in der Lage war, dann ist er allerdings besonders in der Sage, über den Sinn des Artikels Aufschluß zu geben; aber er wird mir auch zugeben, daß wenn ein Dritter den Artikel liest, meine Auffassung ebenso möglich ist wie die seinige. Es mag ja die seinige richtiger sein, das weiß ich nicht, aber es war Veranlassung, gerade darauf Gewicht zu legen um so mehr, als bei dem vorgeschlagenen Artikel 90 a dieser Passus weggeblieben ist und ersetzt wurde durch die Worte „öffentliche Wohlthätigkeitsanstallen". Das ist meines Erachtens nicht ganz unverfänglich. An­ genommen, wir wären befugt, solche Bestimmungen, wie sie im Artikel 90 a vorgeschlagen sind, auf Grund des Artikel 103 des Einführungsgesetzcs zum Bürgerlichen Gesetzbuche zu machen, dann wäre die Frage, ist es zweckmäßig, an die Stelle des Erbrechtes den Ersatzanspruch zu setzen. Diese Frage bejahe ich mit dem Herrn Ministerialkommissär ohne weiteres. Wenn ich beantragt habe, den Artikel zu streichen und statt dessen die alten Rechte auf Grund des Artikel 139 des Einführungsgesetzes aufrecht zu halten, so war der Grund, weil ich davon ausgegangen bin, wir seien zu ersterem nicht berechtigt. Da­ gegen kann ich nicht anerkennen, daß es keine Härte ist, wenn uno animo den einen Anstalten ein Recht, das sie bisher nicht hatten, gegeben wird und anderen Anstalten, die ein Recht bisher hatten, dieses genommen wird. Nun fragt mich der Herr Ministerialkommissär, ob ich solche Anstalten des bürgerlichen Rechtes kenne, die dergleichen Befugnisse haben. Ja, ich bin nicht in der Sage, alle Anstalten zu kennen und zu untersuchen, ob es derlei Anstalten gibt. Aber eine bezügliche Anstalt ist mir bekannt, es ist eine Bamberger Anstalt, die von einem Privaten gestiftet worden ist und schon lange Zeit besteht. Daß noch anderweitige solche Anstalten vorhanden sind, das möchte ich glauben. Hat doch der Vorsitzende des Abgeordnetenausschusses seinem Bedauern Ausdruck gegeben darüber, daß Anstalten, welche bisher ein solches Recht hatten, dasselbe genommen wird und daran die Prophezeiung geknüpft: diese Anstalten würden künftig entweder sich hüten, dergleichen Pfründner aufzunehmen oder durch Privatabmachungen, Verträge und dergleichen sich sichern. Er muß solche An­ stalten im Auge gehabt haben, sonst hätte er nicht seinem Bedauern Ausdruck geben können. Uebrigens wurde geltend gemacht, man sollte wenigstens die alten Rechte aufrecht erhalten. Ich habe ja schon betont, sie fallen ja nicht nur weg gegenüber den neuen Pfründnern, welche ausgenommen werden, sondern auch gegenüber allen, die bereits ausgenommen sind. Wenn man sagt, man kann diese alten Bestimmungen nicht aufrecht erhalten, sie sind unklar, dehnbar, nicht bestimmt genug formuliert und passen nicht in das System des Erbrechtes, so kann ich letzteres zugeben, habe aber eine bezügliche Stelle aus den Motiven

zu Artikel 81 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Erste Kommission für das Bürgerliche Gesetzbuch) in meinem schriftlichen Berichte erwähnt und danach hat man keinen Abstand genommen, die alten Bestimmungen weiter gelten zu lassen. Wenn sie bisher Anwendung gefunden haben und finden konnten, warum soll es jetzt anders sein unter dem neuen bürgerlichen Recht? Zunächst gelten diese Bestimmungen und dann, wenn nichts in dem betreffenden Sonderrechte bestimmt ist, dann gelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ich kann nur wiederholen, es ist hart, wenn die Anstalten auf einmal dieser Rechte, die sie seit Jahrhunderten haben, entkleidet werden. Das war für mich wenigstens ein Nebengrund, den Versuch zu machen, sie aufrecht zu erhalten.

Ich will mich damit einverstanden erklären, daß man den Artikel 90 a stehen läßt, wenn man auch die alten Rechte für die Anstalten des bürgerlichen Rechts auf Grund des Artikel 139 des Einführungsgesetzes festhält. Was den Artikel 90 b anlangt, so hat mir der juristisch gar nicht recht gefallen, ich habe das in meinem schriftlichen Berichte schon betont.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jacubezkh: Ich möchte bitten, die Fassung des Artikel 90 b beizubehalten. Der Artikel 90 b macht von der Möglichkeit Gebrauch, öffentlichen Verpflegungsanstalten in Ansehung des Nachlasses der von ihnen verpflegten Personen ein Recht auf einzelne Sachen zu gewähren. In dem fchriftlichen Berichte des Herrn Referenten ist bemerk, daß für dieses Recht der Legatencharakter nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch hätte festgehalten werden sollen. Der Artikel 139 des Einführungsgesetzes verlangt aber nicht, daß das Recht auf einzelne Sachen als Vermächtnißforderung (§ 2174 des Bürgerlichen Gesetzbuches) gestaltet wird, und diese Rechtsform würde mit dem Zwecke des Vorbehaltes nicht über­ einstimmen. Soll das Recht seinem Zwecke Genüge leisten, so müssen die Sachen unmittelbar in das Eigenthum der Anstalt übergehen und dürfen sie nicht zur Berichtigung der Nachlaßverbindlichkeiten verwendet werden, die nach § 226 der Konkursordnung im Falle des Nachlaßkonkurses den Vermächtnissen im Range vorgehen. Demgemäß läßt der Entwurf das Eigenthum an den der Anstalt zufallenden Sachen kraft Gesetzes auf die Anstalt in der Weise übergehen, daß die Sachen mit dem Tode des Erblassers aus dem Nachlaß ausscheiden und den Nachlaßgläubigern gegenüber nicht als zum Nachlasse gehörig gelten. In dieser Beziehung hat sich der hessische Entwurf (Artikel 128) an unseren Entwurf angeschlossen. Von viel größerer Wichtigkeit ist aber der Artikel 90 a. Der Herr Referent hat mit Recht bemerkt, daß der Entwurf die im Artikel 103 des Einführungsgesetzes vorausgesetzte Verpflichtung des öffentlichen Rechtes zur Gewährung von Unterhalt bei den öffentlichen Wohlthätigkeits-Anstalten, die nach ihren Satzungen Unterstützungen oder Verpflegung zu gewähren haben, schon in der satzungsmäßigen Zweckbestimmung der Änstalt findet. Die öffent­

lichen Anstalten sind, wie ich schon bemerkt habe, nach dem öffentlichen Rechte verpflichtet, den Zwecken zu dienen, für die sie nach ihren Satzungen bestimmt sind. Eine andere Verpflichtung des öffentlichen Rechtes zur Gewährung von Unterhalt als die sich aus der satzungsmäßigen Bestimmung der Anstalt er­ gebende, wird bei den Anstalten nicht leicht in Frage kommen. Wäre im Artikel 103 eine von der satzungsmäßigen Zweckbestimmung unabhängige Ver­ pflichtung zur Gewährung von Unterhalt vorausgesetzt, so könnte von dem Vorbehalte gerade für die Anstalten nicht Gebrauch gemacht werden, deren

864

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Wirkungskreis in der Gewährung von Unterhalt besteht. Die Fassung des Artikel 103 gibt aber keinen Anlaß, den Vorbehalt so einzuengen, daß sein Zweck zum großen Theil vereitelt werden würde. Wenn der Herr Referent die Aufrechterhaltung der statutarrechtlichen Vorschriften über das Erbrecht der Wohlthätigkeitsanstalten auch für den Fall wünscht, daß die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung zur Gewährung des im Artikel 90 a bestimmten Ersatzanspruchs anerkannt wird, so scheint mir dieser Wunsch im Widerspruch zu stehen mit der Bemerkung des Herrn Referenten, daß die Gewährung des Ersatzanspruchs, ihre Zulässigkeit vorausgesetzt, zweck­ mäßig sei. Es geht selbstverständlich nicht an, für dieselbe Anstalt beide Rechte zu gewähren, sowohl den Ersatzanspruch als auch das Erbrecht. Die Auf­ rechterhaltung des Erbrechts könnte nur in Frage kommen für die mir zur Zeit nicht bekannten Privatanstalten, die nach der Ansicht des Herrn Referenten dieses Recht haben und es für die Zukunft verlieren sollen. Der Herr Referent hat gesagt, es bestehe in Bamberg eine solche alte Privatstiftung, und hat sich daneben auf eine Aeußerung des Herrn Vorsitzenden des Aus­ schusses der Abgeordnetenkammer berufen, nach der es auch in Regensburg Privatanstalten zu geben scheine, die ein gesetzliches Erbrecht haben. Was die letzteren anlangt, so liegt ein Mißverständniß vor. Herr von Stobäus hat (Prot. S. 228) auf eine Bemerkung erwidert, die ich gemacht hatte; es war die Frage gestellt worden, ob die Anstalten, die in Frage kommen, über die Umwanvlung ihres Erbrechts in den Ersatzanspruch gehört worden seien, und darauf habe ich erwidert, daß sie nicht gehört worden seien, weil man von vorneherein wisse, daß die Antworten auf eine solche Frage immer verneinend ausfallen. Die Anstalten schienen sich aber bei dem seit Monaten bekannten Vorschläge des Entwurfs beruhigt zu haben, da keine von ihnen die Vor­ stellung gegen die Aufhebung des Erbrechts eingereicht habe. Darauf hat Herr von Stobäus bemerkt, aus dem Schweigen der Anstaltsverwaltungen dürfe man nicht auf ihre Zustimmung schließen, der Verlust des Erbrechts werde von manchen Anstalten hart empfunden; man habe von einer Vorstellung nur deshalb abgesehen, weil die Vorstellung voraussichtlich nichts genützt haben würde. Er hat zwei Regensburger Wohlthätigkeitsanstalten genannt, die unzweifelhaft öffentliche Stiftungen sind, von Privatanstalten hat er nicht ge­ sprochen. Ein gesetzliches Erbrecht kann einer Privatanstalt nur auf Grund eines Privilegiums zustehen. Bei Roth ist für Bamberg überhaupt keine statutarrechtliche Bestimmung über das gesetzliche Erbrecht einer Wohlthätigkeits­ anstalt angeführt. Wenn der Herr Referent die Güte hätte, den Namen der in Betracht kommenden Bamberger Stiftung zu nennen, so ließe sich nach­ forschen, ob die Stiftung nicht etwa eine öffentliche Stiftung ist. Wenn sie schon Jahrhunderte besteht und durch ein Privilegium ein gesetzliches Erbrecht erhalten hat, so glaube ich mit aller Bestimmtheit annehmen zu müssen, daß sie eine öffentliche Stiftung ist. Denn daß man in früheren Jahrhunderten einer Stiftung, die man nicht für eine öffentliche erachtete, ein solches Privilegium eingeräumt haben sollte, kann ich nicht glauben. Wenn die Stiftung auch vielleicht den Namen des Stifters trägt, so ist das kein Beweis dafür, daß sie nicht eine öffentliche Stiftung ist. Für andere Rechtsgebiete haben wir keinerlei Anhalt für die Annahme, daß nichtöffentliche Anstalten ein Erbrecht hätten. Sollte es wirklich eine Privatanstalt gebe«, der ein gesetzliches Erbrecht zusteht, so würde zu erwägen sein, ob man ihr nicht ausnahmsweise das Erbrecht wenigstens für die schon aufgenommenen Personen belassen müsse. Ob man das Erbrecht unbeschränkt aufrechterhalten soll, würde wohl von der Bedeutung

abhängen, die das Erbrecht thatsächlich hat. Man würde die Anstalt auf­ fordern, aus ihren Rechnungen mitzutheilen, wie viel Vermögen sie ererbt hat; ist der Betrag ein unbedeutender, so würde man vielleicht über das Erbrecht hinweggehen können. Jedenfalls bitte ich, jetzt nicht den Artikel 139 ohne Weiteres in den Artikel 1 Absatz 1 einzusetzen, denn das würde die Folge haben, daß daneben der Ersatzanspruch nicht bestehen könnte. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Herr Ministerialkommissär wirft sich theils auf die Auslegung verschiedener gesetzlicher Bestimm­ ungen, theils auf die Auslegung von Aeußerungen, die im Abgeordnetenausschuß gefallen sind. Wenn sie so gefallen sind — und ich habe keinen Grund der Darstellung des Herrn Ministerialkommissärs zu widersprechen, — dann habe ich die Aeußerung allerdings mißverstanden. Ob ein solches Mißverständniß nicht anderen auch passieren konnte, will ich dahin gestellt lassen. Ich bin aufgefordert worden, den Namen der Stiftung anzugeben, um die es sich in Bamberg handelt: es ist die Jbel'sche Dienstbotenstiftung. Wenn man weiter nachforschen will, ist es ja ganz gut. Ein Bedenken ist aber doch wohl kaum in der Diskussion widerlegt worden. Das ist die bedenkliche Differenz, die über den Begriff „öffentlich" zwischen dem Landesrecht und zwischen dem Reichsrecht besteht. Die Sache ist außerordentlich difficil, und es ist im zweiten Ausführungsgesetz der Versuch gemacht, eine Brücke zu bauen zwischen dem „öffentlich" nach Landesrecht und nach Reichsrecht. Das Landesrecht erachtet: wenn der Zweck ein öffentlicher ist, haben wir es mit einem öffentlichen Institut zu thun; nach dem Reichsrecht ist aber davon ausgegangen, öffentlich ist eine Stiftung oder Anstalt noch nicht, wenn sie öffentliche oder im gewissen Sinne auch allgemeine Zwecke verfolgt, sondern sie muß organisch in den Staat, in die Gemeinde eingegliedert sein. Ich halte überhaupt für fraglich, ob das Reichsrecht den Begriff „öffentliches Recht" rc. zu bestimmen hat und ob diese Bestimmung für uns maßgebend ist. Was öffentlich ist, das hat die Landes­ gesetzgebung zu bestimmen, weil das öffentliche Recht der Landesgesetzgebung Vorbehalten ist. Schließlich bin ich ja auch damit zufrieden, wenn der Herr Ministerialkommissär sich am Schluffe seines Vortrages bereit erklärt hat, dazu beizutragen, damit die Härte in Wegfall kommt gegen Anstalten und Stiftungen des bürgerlichen Rechts, die nun das, was sie seit Jahrhunderten gehabt haben, verlieren sollen. Streichen Sie das Wort „öffentlich" in Artikel 90a und schreiben Sie blos „Wohlthätigkeitsanstalten u. s. w.", so ist doch dem Gedanken Rechnung getragen, daß wir Allen geben, den Einen, was sie noch nicht hatten, den Anderen wenigstens einen Ersatz für das, was sie verlieren.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Nach der letzten Aeußerung des Herrn Referenten glaube ich annehmen zu dürfen, daß wir einander sehr nahe gekommen sind; es handelt sich vielleicht nur um einen Ausdruck. Der Herr Referent hat angeführt, daß die Reichs­ gesetzgebung den Begriff einer Anstalt des öffentlichen Rechts anders auffaßt, als die bayerische Rechtsübung den Begriff einer öffentlichen Anstalt auslegt. Im Artikel 90a ist aber nicht von Wohlthätigkeitsanstalten des öffentlichen Rechts, sondern von öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten die Rede, und der Vorbehalt des Artikel 103 des Einführungsgesetzes, auf dem der Artikel 90 a beruht, spricht nur von Anstalten, welche auf Grund des öffentlichen Rechts zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet sind. Es braucht also nur die Verpflichtung auf dem öffentlichen Rechte zu beruhen. Eine Verpflichtung des öffentlichen Rechtes wird man bei allen denjenigen Wohlthätigkeitsanstalten

866

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

annehmen müssen, die im Sinne des bayerischen Rechts öffentliche Anstalten sind. Das öffentliche Recht verpflichtet sie zur Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Auf­ gaben und stellt sie unter die Aufsicht staatlicher Behörden, von denen sie er­ forderlichen Falles zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehalten werden. Sie sind deswegen öffentliche Wohlthätigkeitsanstalten im Sinne des Artikel 90 a, selbst wenn sie nicht Stiftungen des öffentlichen Rechtes im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches sein sollten. Wir dürfen aber auch als sicher annehmen, daß Anstalten, welche durch ein Privilegium das Recht erlangt haben, ihre Pfleglinge zu beerben, im Sinne des bayerischen Rechts öffentliche Wohlthätigkeitsanstalten sind, und ich habe keinen Zweifel, daß, wenn wir nach Bamberg die Anfrage richten, ob die Jbel'sche Dienstbotenstiftung, die nun genannt worden ist, zu den öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten gehört, diese Frage bejaht wird, daß die Stiftung entweder unter städtischer Verwaltung oder unter einer besonderen Verwaltung steht, die wie die anderen öffentlichen Stiftungen der staatlichen Stiftungskuratel unterstellt ist. Einer Privatanstalt können wir aber den Ersatz­ anspruch nicht geben, denn Privatanstalten sind nicht auf Grund öffentlichen Rechts verpflichtet, Unterhalt zu gewähren. Wenn man den Ausdruck „öffent­ liche Wohlthätigkeitsanstalten" im richtigen Sinne versteht, wird im wesentlichen dasjenige erreicht, was der Herr Referent wünscht; ich nehme deshalb an, die Bedenken des Herrn Referenten gegen den Artikel 90a als erledigt betrachten zu dürfen. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Nach der letzten Erklärung des Herrn Ministerialkommissärs wird man freilich auf eine Auslegung hinaus­ kommen; aber besser ist die Möglichkeit einer Auslegung, welche hindert, daß Anstalten Rechte, die sie gehabt haben, ohne Ersatz verlieren. Es hat sich Niemand sonst geäußert, und da weiß ich nicht, wie die Hohen Herren zu der Frage sich stellen; mein Zweck ist, ich möchte nicht, daß auf der einen Seite Anstalten, was sie bisher nicht gehabt haben, gegeben wird, auf der einen Seite sollen den Anstalten, die bereits Rechte hatten, diese belassen werden, mindestens sollte ihnen Ersatz gegeben werden. Die einen üben Wohlthätigkeit, die andern üben auch Wohlthätigkeit, infoferne ist jede Wohlthätigkeitsanstalt eine öffentliche, insoferne natürlich nach ihren Statuten die Wohlthätigkeit geübt wird, nicht mit einer Beschränkung auf gewisse, bestimmte Personen. Vorsitzender: Ich kann mich für das Erbrecht dieser Wohlthätigkeits­ stiftungen nicht erwärmen. Es ist eigentlich nichts, als eine erzwungene Zu­ stiftung, die man da von den Pfründnern verlangt. Unter Umständen kann es bei unsern jetzigen Verkehrsverhäliniffen sehr bedenklich werden und der Absicht des Gesetzgebers durchaus nicht entsprechen. Wenn ein reicher Ver­ wandter in Amerika stirbt und einen solchen Pfründner als Erben hinterläßt, so wird es über das Maß des Billigen gehen, was hier die Pfründestiftung lukrieren würde, wenn sie einfach erben und andere Verwandte von der Erb­ schaft ausschließen würde. Den Ersatzanspruch aber auch für Privatanstalten zuzuerkennen, ist meiner Ansicht nach aus dem Grunde schon unzulässig, weil ja die Privatanstalt vorausfetzt, daß das, was sie an Wohlthätigkeit gewährt, keiner Verpflichtung entspricht. Ich bin daher für die Regierungsvorlage.

Die Sache dürfte jetzt genügend erörtert fein, und wir schreiten zur Ab­ stimmung. Wenn kein weiterer Widerspruch erfolgt, so kann ich annehmen, daß Artikel 90a angenommen ist. Ebenso besteht gegen Artikel 90b keine Erinnerung; ich erkläre auch diesen Artikel für genehmigt.

Festsetzung deß Ertragswerths.

Artikel 91.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 91 handelt von der Festsetzung des Ertragswerths eines Gutes. Er lautet: (Wird verlesen.) Ich habe gegen den Artikel, der im Abgeordnetenausschuß unverändert angenommen wurde, nichts zu erinnern. Reichsrath Freiherr von Soden-Fraunhofm: Ich habe gegen den zweiten Satz des Absatzes 1, nach welchem durch Königliche Verordnung eine andere Verhältnißzahl bestimmt werden kann, einiges Bedenken. Ich kann mich aber dabei beruhigen, daß es hiebei verbleibt, indem ich auch hier annehme, daß der Landwirthschaftsrath gehört wird, ehe eine andere Verhältnißzahl fest­ gestellt werden will. (Der Herr Justizminister bejaht.) Die zweite Bemerkung, die ich zu machen habe, ist die, daß es sehr schwer ist, hier den Betrag des jährlichen Reinertrages festzustrllen. Er ist im fünf­ undzwanzigfachen Betrag, sohin der gesetzliche Zinsfuß von vier Prozent, an­ genommen; das könnte zu der Anschauung Veranlassnng geben, als ob die Landwirthe im Durchschnitt zur Zeit einen 4°/0 igen Ertrag hätten, was zweifellos in den meisten Fällen nicht der Fall ist. Der Landwirthschaftsrath hat sich trotzdem für diese Ziffer ausgesprochen; es war nicht wohl möglich, eine andere Ziffer festzusetzen, weil der eigentliche Zweck der Vorschrift vereitelt würde, wenn ein niederer Zinsfuß festgesetzt würde, und aus diesem Grunde muß auch ich die Bestimmung des Entwurfs zur Annahme empfehlen.

Vorfitzender: Der Artikel 91 gilt für genehmigt. Vermittlung der Auseinandersetzung eines Nachlasses oder eines Gesammtgutr. Artikel 94. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 94 lautet: (Wird verlesen.) Ich habe gegen diesen Artikel im wesentlichen eine zustimmende Haltung eingenommen und habe nur betont, daß im Abgeordnetenausschuß bezüglich der Lokalisierung der Notare eine Verschiedenheit der Meinungen hervorgetreten ist. Wenn wir nun bezüglich des Notariats Bestimmungen träfen, die für die seiner­ zeitige Gestaltung des Notariats präjudizierlich wären, so könnte das die Frage erschweren.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Die Vorschrift des Artikel 94 Absatz 2 greift in keiner Weise der von mehreren Abgeordneten in Aussicht genommenen Lokalisierung des Notariats vor. Es handelt sich hier nicht um die Lokalisierung, d. h. um die Begrenzung der Zu­ ständigkeit des Notars auf die seinem Bezirk angehörenden Angelegenheiten, sondern um eine Gerichtsstandsfrage, um den Zwang zur Einlassung auf das Vermittlungsversahren. Das Vermittelungsverfahren nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist so gestaltet, daß die ausbleibenden Betheiligten den Beschlüssen derjenigen, die erschienen sind, unter­ worfen werden. Darin liegt ein Zwang, vor dem zuständigen Beamten zu erscheinen, der einer örtlichen Begrenzung bedarf. Auch wenn die von mehreren Abgeordneten gewünschte Lokalisierung des Notariats nicht eingeführt wird, wenn die bestehenden Vorschriften über die Zuständigkeit der Notare im wesent­ lichen aufrechterhalten werden, müssen die Betheiligten dagegen geschützt werden,

868

IV. Abth. Ausführung-gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

daß das Verfahren bei einem anderen als einem im Bezirk oder am Sitze des zuständigen Gerichts aufgestellten Notar eröffnet wird, sie sollen nicht genöthigt werden können, sich anderswo auf das Verfahren einzulassen, als da, wo der Nachlaß ist, wie sie sich nicht bei einem andern Amtsgericht auf das Verfahren ein­ lassen müssen als bei dem Nachlaßgerichte. Andererseits würde die Lokalisierung, falls sie beschlossen werden sollte, nicht für alle Angelegenheiten in der gleichen Weise durchgeführt werden können, es bedürfte für die verschiedenen Angelegen­ heiten besonderer Vorschriften, für das Vermittlungsverfahren würde neben dem Artikel 94 Absatz 2 immer noch die Vorschrift, daß durch Vereinbarung nur ein Notar gewählt werden kann, in dessen Bezirk ein Betheiligter seinen Wohnsitz hat, oder eine ähnliche Vorschrift möglich bleiben. Die Lokalisierung könnte also beschlossen werden, ohne daß eine Aenderung des Artikel 94 Absatz 2 erforderlich werden würde. Die Absätze 2, 3 stehen aber mit dem Absatz 1 in einem so engen Zusammenhänge, daß es mißlich sein würde, sie von diesem zu trennen. Die Versetzung der Artikel 91 und 94 hinter den Artikel 95 möchte ich nicht befürworten. Der Herr Referent hat in seinem gedruckten Berichte die Versetzung angeregt, weil die beiden 9(rtitd das Familien- und das Erbrecht betreffen und mitten zwischen Vorschriften stehen, die theils dem Familienrechte, theils dem Erbrecht allein angehören. Die Artikel 94 bis 96 stehen aber in­ sofern in einem gewissen Zusammenhang, als sie alle von einer amtlichen Thätigkeit sprechen. Es würde auffallen, wenn dieser Zusammenhang durch die Vorschriften über die Feststellung des Ertragswerthes unterbrochen würde. Die richtige Anordnung war in der Regierungsvorlage gewählt, sie ist aber aus einer äußeren Rücksicht, der Rücksicht auf den Umstand, daß in den Artikeln 90, 90 a und 90 b von Anstalten die Rede ist, geändert worden. In der vorgeschlagenen weiteren 9lenderung vermag ich einen Gewinn nicht zu erblicken.

Vorsitzender:

Es ist also auch der Artikel 94 angenommen.

Wir kommen nun zu dem Abschnitt über die

Mitwirkung der Gemeindebehörden bei der Sicherung eines Nachlasses. Artikel 94 a.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Dieser Artikel ist vom Abgeordnetenausschusse unverändert angenommen worden, trotz der Abneigung dagegen, die Gemeindeverwaltung noch weiter zu belasten. Meinerseits besteht keine Erinnerung. Vorsitzender:

Artikel 94a ist angenommen.

Sicherungsmaßregeln bei dem Tode eines Beamten. Artikel 95. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 95 lautet: (Wird verlesen.) Dieser Artikel ist vom Abgeordnetenausschusse unverändert angenommen worden. Meinerseits besteht keine Erinnerung.

Vorsitzender: Artikel 95 ist angenommen worden.

Vollziehung einer Auflage von öffentlichem Interesse. Artikel 96.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 96 lautet: (Wird verlesen.) Dieser Artikel hat anfangs Beanstandungen erfahren, wurde aber schließlich doch angenommen. Ich beantrage Zustimmung. Vorfitzender: Artikel 96 ist angenommen.

Oeffentliche Sparkassen.

Artikel 97—109. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Diese Artikel handeln von den öffentlichen Sparkassen. Ich habe dagegen nichts zu erinnern — mit Ausnahme des Artikel 103. Ich habe da zur Erwägung gestellt, ob es sich nicht empfehle, die Veröffentlichung des Aufgebotes auch am Wohnorte des Antragstellers vorzuschreiben, wenn dieser Ort ein anderer ist als der des Sitzes der Kasseverwaltung. Es könnte möglich sein, daß, wenn so ein Buch verloren geht, daß es am ersten da zu finden wäre, wo der Antragsteller seinen Wohnsitz hat, und es wird gut sein, wenn man die Leute darauf aufmerffam macht.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Dem Bedenken des Herrn Referenten ist bereits durch den Absatz 2 des Artikel 103 Rechnung getragen, der den Vorstand ermächtigt, auch die Ein­ rückung in ein anderes Blatt anzuordnen. In der Begründung ist gesagt, daß die Einrückung in ein zweites Blatt insbesondere veranlaßt sein könne, wenn der Antragsteller von dem Orte, an dem sich der Sitz der Sparkasse befindet, entfernt wohnt. Andererseits wurde cs für bedenklich erachtet, die Veröffentlichung schlechthin vorzuschreiben, weil die Sparkassebücher nicht selten auf kleine Beträge lauten, bei denen die Kosten einer mehrmaligen öffentlichen Bekanntmachung unverhältnißmäßig groß sein würden. Deshalb hat der Ent­ wurf es in das Ermessen des Sparkassevorstandes gestellt, ob eine zweite Bekanntmachung erfolgen soll. Vorfitzender: Die Artikel 97—109 sind angenommen. Ansprüche ans Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechtes und Grundgefällen.

Artikel 110—114.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Von dem Abgeordneten­ ausschusse wurden sämmtliche Artikel angenommen, nachdem die Regierung nach­ träglich Modifikationen vorgeschlagen hatte. Meinerseits besteht keine Erinnerung. Vorfitzender: Die Artikel 110—114 in geordnetenausschusses sind angenommen. Hiemit schließe ich die Sitzung.

der Fassung des Ab­

Schluß der Sitzung Nachmittags 1 Uhr 14 Minuten.

870

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

IX. Protokoll des besonderen Ausschusses der Kammer der Reichsräthe zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetzentwürfe über den

Entwurf einer Ansfnhrungsgesetzes znm Bürgerlichen Gesetzbuch«. - Artikel 115 mit 125 a; Artikel 53. München, den 14. Februar 1899.

Gegenwärtig die Herren Reichsräthe: Graf Fugger von Glätt, Ritter von Küffner, von Auer, Vorstand, Dr. Ritter von Bechmann, Sekretär, Freiherr von Soden-Fraunhofen, Dr. Ritter von Schmitt, Exzellenz, Referent, Hessert. Von Seite des k. Staatsministeriums: Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod. Der k. Senatspräsident Dr. Ritter von Jacubezky. Der k. Ministerialrath, Kronanwalt Ritter von Schubart. Der k. Oberregierungsrath Krazeisen.

Die Sitzung wird um 3'/r Uhr durch den Herrn Vorsitzenden, Reichsrath von Auer, eröffnet.

Vorsitzender: Wir kommen zu dem Abschnitt über die

Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Artikel 115. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel lautet: (Wird verlesen.) Die nichtstreitige Rechtspflege ist nach der Reichsverfassung nicht innerhalb des Kreises der Reichslegislative gelegen. Allerdings hat schon das Bürgerliche Gesetzbuch einzelne Bestimmungen aus dem Gebiete der freiwilligen Rechtspflege in seinen Bereich gezogen, aber nur für einzelne Rechtsgeschäfte und nur deshalb, weil Bestimmungen über nichtstreitige Rechtspflege mit un­ zweifelhaft in das Bürgerliche Recht gehörigen Vorschriften über die Form der Rechtsgeschäfte zusammenhängen. Im ganzen ist die Zuständigkeit der Reichslegislative auf die nichtstreilige Rechtspflege erst ausgedehnt worden durch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Artikel 1. Die Reichs­ gesetzgebung hat auch reichlich von der ihr zugewiesenen Legislative über die nichtstreitige Rechtspflege Gebrauch gemacht; sie hat der Landesgesetzgebung im großen und ganzen wenig übrig gelassen, wenn von dem Notariat abgesehen wird. Was übrig blieb, das sind theils Bestimmungen in Bezug auf an sich landesrechtliche Materien, theils solche in Beziehung auf überhaupt nicht kodifizierte Materien. Außer den Normen nichtstreitiger Rechtspflege über an sich landesrechtliche Materien hat die Reichsgesetzgebung noch gestattet, daß landesrechtlich ergänzende Vorschriften zu den reichsgesetzlichen Bestimmungen getroffen werden.

Der Entwnrf enthält in dem Artikel 115 Bestimmungen über die Gerichts­ verfassung und das Verfahren in Bezug auf die an sich landesrechtlichen Materien. In den Artikeln 115a bis d sind Bestimmungen ergänzender Natur zu den Vorschriften des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und zu Artikel 115 des gegenwärtigen Entwurfs enthalten. Ich habe gegen den Artikel 115, der im Abgeordnetenausschusse unverändert an­ genommen wurde, keine Erinnerung. Nur das will ich noch bemerken, daß die hausgesetzlichen Sonderbestimmungen für die Mitglieder des Königlichen Hauses auch für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Geltung haben.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jambezky: Die letzte Bemerkung des Herrn Referenten ist richtig, der Entwurf hat den Borbehalt ausgenommen „soweit nicht ein anderes vorgeschrieben ist", und dieser Vorbehalt deckt neben anderen auch die eben erwähnten Vorschriften. Borfitzender: Artikel 115 ist angenommen.

Artikel 115a, b, c, d.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ursprünglich waren solche ergänzende Vorschriften nicht mit vorgeschlagen worden, es ist das erst nach­ träglich geschehen. Sie sind aber vom Abgeordnetenausschuß unverändert angenommen worden. Artikel 115a bezieht sich auf die Zwangsvollstreckung in personam, die übrigen Artikel beziehen sich auf die Kosten. Ich habe keine Erinnerung gegen diese Artikel. Man könnte allerdings die Frage aufwerfen, ob es nicht ein Uebelstand ist, wenn Reichsgesetze letztinstanziell von verschiedenen Gerichtshöfen, dem Reichsgericht und dem bayerischen Obersten Landesgericht angewendet werden; es könnte ja damit die Rechtseinheit Einbuße erleiden, infoferne auf solchem Wege differente Anschauungen zu Tage treten können. Allein nach meiner Erfahrung haben sich, obschon beinahe zwanzig Jahre verflossen sind, seitdem das bayerische Oberste Landesgericht und das Reichsgericht nebeneinander judizieren, Differenzen von Erheblichkeit nicht ergeben. Man hätte sogar manchmal wünschen können, und zwar im Interesse der Rechtspflege selbst, daß Differenzen entstanden wären, dann wäre man vielleicht auf richtigere Entscheidungen gekommen. Ich empfehle alle diese Artikel zur Annahme. Vorfitzender: Artikel 115a bis d sind angenommen.

Einficht des Grundsteuerkatasters, des Bergwerksverleihungsbuchs und der Fideikommißmatrikel. Artikel 122.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel 122 lautet: (Wird verlesen.) Es ist hier die Einsicht in gewisse öffentliche Bücher ge­ stattet. Der Artikel wurde mit einer Korrektur im Abgeordnetenausschuß an­ genommen, die von der Regierung selber ausgegangen ist. Es ist ja sehr erfreulich, daß die Regierung so liberal ihre Bücher zur Einsicht stellt. Ich empfehle die Annahme. Vorfitzender: Artikel 122 ist in der Fassung des Abgeordneten­ ausschusses angenommen.

Einstweilige Aufrechterhaltung von Vorschriften des LiegenschastsrechtS. Artikel 123.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel 123 nach der Regierungsvorlage lautet: (Wird verlesen.) Ich empfehle den Artikel zur An­ nahme mit dem von dem Abgeordnetenausschuß eingesügtcn Passus: „unbeschadet der Vorschriften des Artikel 59", da Artikel 59 vom Hohen Ausschuß bei­ behalten wurde. Vorsttzender: Artikel 123 ist in der Fassung des Abgeordneten­ ausschusses angenommen.

872

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Artikel 124. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel lautet: (Wird verlesen.) Es betrifft die Aufhebung von Vorschriften des Beamten­ rechtes, insbesondere des Postbeamtenrechtes, und steht im Zusammenhang mit dem Artikel 95 des gegenwärtigen Entwurfs. Ich habe dagegen keine Erinnerung.

Vorfitzender: Artikel 124 ist angenommen.

Artikel 125. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Nach Artikel 125 tritt der gegenwärtige Entwurf gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft; ich empfehle den Artikel zur Annahme. Vorfitzender: Artikel 125 ist angenommen.

Artikel 125a. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 125a lautet: (Wird verlesen.) Dieser Artikel ist implicite bereits bei der Debatte über den Gemeindewaisenrath angenommen. Vorsitzender: Artikel 125a ist angenommen. Wir kommen nun zurück auf den Artikel 53,

der zurückgestellt wurde.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Zunächst hätten wir uns, soferne die Regierung nicht mit der Vorlage des neuen Artikels beabsichtigt, faktisch auf die Wiederaufnahme des ursprünglichen Regierungsentwurfes — die subsidiäre Haftung des Staates — zu verzichten, darüber schlüssig zu machen, ob nicht diese ursprüngliche Fassung des Entwurfes anzunehmen sei.

Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Die k. Staatsregierung hat den neuen Artikel 53 mit Rücksicht darauf vor­ bereitet, daß schon bei der vorigen Berathung die Mehrheit der Hohen Herren sich nicht für die fubsidiäre Haftung aussprechen wollte; sie wird die alleinige Haftung des Staates aber nur Vorschlägen, wenn feststeht, daß die Regierungs­ vorlage die Mehrheit nicht zu erlangen vermag. Ich ersuche deshalb die Hohen Herren, sich nochmals über die Frage zu äußern. Vorsitzender: In der letzten Verhandlung über diesen Artikel hat sich keine Stimme für die subsidiäre Haftung des Staates ausgesprochen. Es war nur zweifelhaft, ob man nicht die Haftung des Staates, wenn auch kein Ver­ schulden des Beamten vorliegt, annehmen solle, und ob man die ausschließliche oder elektive Haftung den Berathungen zu Grunde legen soll. Ich glaube, daß ich die Bedingungen als eingetreten betrachten darf, unter welchen die Regierung die neue Fassung des Artikels 53 vorgeschlagen hat. Und wenn kein Widerspruch von Seite des Ausschusses erhoben wird, dann bitte ich die Herren, den Artikel 53 in der Fassung der Regierung den Berathungen zu Grunde zu legen.*)

Es wird kein Widerspruch erhoben. *) Prot. VII S. 13 Spalte 2 unten (hier S. 821).

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Des weiteren wird zu konstatieren fein, daß mit der Neufassung des Artikels 53 des gegenwärtigen Entwurfs seitens der k. Staatsregierung der Artikel 22 der Lanvesgrundbuchordnung zurückgezogen sein soll, denn der Artikel, der hier vorgeschlagen ist, ist für alle Beamte gedacht. Dann allerdings kommt die Frage der Vor­ entscheidung auch hier in Betracht; aus der jetzigen Diskussion scheidet sie aber aus; sie wird Gegenstand der Berathung des zweiten Entwurfs sein. Umfäng­ lich reicht der neue Artikel keineswegs so weit, als die ursprüngliche Regierungs­ fassung zu tragen schien. Er ist ausdrücklich beschränkt auf die Fälle, in welchen ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Damit scheiden die Fälle des § 827 des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus, diese wollen nun von zwei Hohen Ausschußmitgliedern hereingezogen, von einem der Hohen Herren will noch weiter gegangen werden. Ich für meinen Theil mußte mich aber dagegen aussprechen. Der § 827 1. c. enthält etwas besonderes, und wenn ich es recht sagen darf, enthält er eine gesetzgeberische Anomalie. Er verläßt den Grundsatz, daß keine Deliktsobligation ohne Verschulden denkbar ist. Eine solche Anomalie ist allerdings in das Bürgerliche Gesetzbuch ausgenommen worden, doch erst von der zweiten Kommission. Was das geltende Recht betrifft, so weiß von solchen Bestimmungen weder das gemeine Recht, noch das französische, noch das sächsische Gesetzbuch etwas. Der Dresdener Ent­ wurf hat dergleichen auch nicht. Ich würde es nicht bedauern, wenn die §§ 827, 829 überhaupt keine Aufnahme gefunden hätten. Für selbstverständlich halte ich endlich, daß der Fall ausscheidet, wenn der Beschädigte der Staat oder die Gemeinde selbst ist. Daß in diesem Falle zwar auch eine Ent­ schädigung für den Beschädigten stattfindet, ist richtig, aber unter die Fälle, um welche es sich hier handelt, kann man ihn ja nicht subsumieren. Das ist in dem neuen Vorschlag zum Ausdruck gebracht durch das Wort „Dritten". Endlich kommen wir an die Hauptfrage, das ist die Frage der Kon­ struktion des Verhältnisses. Wie ist zunächst das Verhältniß zwischen dem Staat und dem beschädigten Dritten zu denken? Man kann hier an dreierlei Konstruktionen denken, an die subsidiäre, an die elektive und an die alleinige Haftbarkeit des Staates. Bei der subsidiären Haftung ist von einem Rück­ griff auf den Beamten überhaupt nicht die Rede. Denn man kann sich erst an den Staat wenden, wenn gegen den Beamten nutzlos vorgegangen wurde. Bei der elektiveu Haftung ist der Rückgriff gegen den Beamten möglich, wenn der Staat wahlweise zuerst und allein in Anspruch genommen ist. Nach dem neuesten Vorschlag der Staatsregierung aber soll von dem Dritten der Staat allein in Anspruch genommen werden können. Da kann aber bei der Ersatz­ forderung des Staates an den Beamten weder von einer Obligation des Beamten aus einem Delikt die Rede sein, noch kann man von einem Rückgriff auf den Beamten reden. Der Beamte ist dem Staat nicht deshalb haftbar, weil er den Dritten beschädigt hat, sondern deshalb, weil er seine Amtspflicht verletzt hat. Diese beruht aber auf dem Dienstvertrag, gleichviel ob man diesen als Gebilde des Privat- oder öffentlichen Rechts betrachtet. Der Dienst­ vertrag ist unerfüllt geblieben, der Beamte hat gegen die Pflicht gehandelt, die ihm der Vertrag auferlegt. Infolgedessen ist er aus dem Vertrag haftbar und hat die Folgen der Verletzung der Amtspflicht zu tragen. Diese Folgen bestehen darin, daß dem Staat durch die Amtspflichtverletzung des Beamten eine Schuld gegenüber einem Dritten erwachsen ist. Es ist also das Ver­ hältniß zwischen dem Staate und dem Beamten ein ganz einfaches. Wir haben es hier nicht einem Delikt und nicht mit einem Rückgriff zu thun, sondern Becher, Materialien. IV. 56

874

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

einer Schadensersatzverpflichtung aus einem nicht erfüllten Vertrage. Zweifel­ haft ist mir nur geworden, ob man in Bezug auf dieses Schuldverhältniß auf die Vorschriften über die Verjährung der Ansprüche aus Delikten greifen soll. Wir haben es ja mit keinem Deliktsanspruch zu thun. Ich sehe nicht ein, warum man hier die kurze Verjährung einführen will. Nach meinem Dafür­ halten sind die allgemeinen Verjährungsvorschriften ausreichend und angemessen. In der Hauptsache aber, das heißt bei der Frage, ob diese Konstruktion vorzuziehen ist der Konstruktion mit elektiver Haftung des Staates und des Beamten gegenüber dem Dritten unter Vorbehalt der Haftung des Beamten gegenüber dem Staat, glaube ich mich aus formellen und materiellen Gründen für den neuesten Regierungsvorschlag erklären zu müssen. Aus formellen Gründen, weil dann die Unterscheidung zwischen Grundbuch- und anderen Beamten erspart wird, aus materiellen Gründen, weil die neue Konstruktion Ler Natur des Verhältnisses näher kommt. Wenn es sich um nichts anderes handelt, als um die Verletzung der Amtspflicht und des Dienstvertrags, so ist der Umstand, daß diese Verletzung unter Beschädigung eines Dritten statt­ gefunden hat, nur noch von Einfluß in Beziehung auf die Schadenshöhe. Ich muß daher mit der Anschauung des Herrn Ministerialkommissärs übereinstimmen, daß unter solchen Umständen von einem „Regreß" keine Rede sein kann, daß aber um so mehr die Rede sein muß davon, daß ein Anspruch des Staates besteht, nicht nur auf Entschädigung, soweit er den Dritten bereits befriedigen mußte, sondern auch vorher schon ein Anspruch auf Befreiung von dem Ansprüche des Geschädigten. Denn wir haben es mit einem ganz gewöhn­ lichen Obligationenverhältniß, bezw. mit einer Schadensersatzpflicht aus einem Vertrage zu thun, und diese Schadensersatzpflicht geht nach allgemeinen Be­ stimmungen dahin, die Lage wieder herzustellen, in welcher der Staat zu der Zeit war, ehe der Dritte geschädigt war. Dagegen wäre ich der Meinung, daß, nähme man freilich nur die elektive Haftung des Staates an (Staat rc. und Beamter Gesammtschuldner des beschädigen Dritten), dann könnte wohl von einem Rückgriff des Staates an den Beamten, aber doch nicht früher die Rede sein, als bis der Staat den Dritten befriedigt hat. Ich habe nicht gefunden, daß aus den §§ 426, 840 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die der Herr Ministerialkommissär seiner Zeit allegiert hat, für den Anspruch des Staates auf Befreiung von seiner Schuld an den Dritten durch den Beamten, ein solcher Satz zu entnehmen ist. Von einem solchen Befreiungsanspruche ist beim Gesammtschuldverhältniß keine Rede. Der Gesammtschuldner kann von dem anderen Gesammtschuldner an und für sich die Theilnahme an der Be­ friedigung des Gläubigers nicht verlangen. Er kann nur, wenn er an der Stelle des Andern den Gläubiger befriedigt hat, dafür wieder Ersatz verlangen und weiter nichts. So ist es auch bei der Bürgschaft. Derk. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jambezky: Ich glaube keine Veranlassung zu haben, auf die neulich von mir vertretene Ansicht wegen des Rückgriffs der Gesammtschuldner untereinander einzugehen. Ich halte das, was ich neulich gesagt habe, aufrecht, aber hier kommt es auf diese Frage nicht an. Im allgemeinen bin ich mit dem Herrn Referenten einverstanden. Er hat ja im Wesentlichen die Motive zu dem Vorschläge der Regierung dargelegt, der ohne Motive den Hohen Herren unterbreitet worden ist; was in einer Begründung würde zu sagen gewesen sein, das hat der Herr Referent ausgeführt. Bezüglich der Konstruktion des Rückgriffsrechts gehe ich von einer anderen Auffassung aus als der Herr Referent, der in der Verletzung der Amts-

Pflicht die Verletzung einer vertragsmäßigen Verbindlichkeit erblickt und die Schadensersatzpflicht des Beamten, der vorsätzlich oder fahrlässig die Amtspflicht verletzt, daraus ableitet, daß der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ver­ treten hat. Wenn man auch mit neueren Staatsrechtslehrern die Anstellung und die Annahme des Amtes als Eingehung eines Vertrags ansehen mag, so ist der Vertrag doch nicht ein Rechtsgeschäft des bürgerlichen, sondern ein Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechtes, die sich aus dem Vertragsverhältniß ergebende Amtspflicht nicht ein Schuldverhältniß, sondern eine Pflicht des öffentlichen Rechtes. Dies ist insbesondere auch von unserem bayerischen Staatsrechtslehrer von Seydel dargelegt worden. Für den Entwurf ist aber die Frage nicht von entscheidender Bedeutung, für den Gesetzgeber ist nicht die Konstruktion, sondern die Zweckmäßigkeit maßgebend. Der Satz 2 des Absatz 4 dürfte gerechtfertigt sein, auch wenn man die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Verletzung einer vertragsmäßigen Verbindlichkeit für anwendbar erachtet. Der Beamte soll nicht dadurch, daß der Staat ihm die Haftung dem Dritten gegenüber abnimmt, in eine schlechtere Lage kommen. Wenn es bei der Vorschrift des § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verbleibt, so kommt dem Beamten dem Dritten gegenüber die im § 852 bestimmte kurze Verjährung von drei Jahren zu statten. Der darin liegende Vortheil soll ihm nicht ent­ zogen werden. Die alleinige Haftung des Staates schützt den Beamten gegen die Nothwendigkeit, die Rechtmäßigkeit seiner Amtshandlung nicht nur gegenüber dem Staate, sondern auch gegenüber jedem Dritten, der durch die Amtshandlung in seinen Interessen beeinträchtigt zu sein glaubt, vertreten zu müssen. Die Frage, ob der Beamte rechtmäßig gehandelt hat, kann dem Beamten gegenüber nicht mehr von dem Dritten, sondern nur von dem Staate aufgeworfen werden, der Beamte wird vor der bei dem dermaligen Rechtszustande nicht selten vor­ kommenden Verfolgung mit Ansprüchen bewahrt, die aus Rachsucht zu dem Zwecke erhoben werden, um dem Beamten Ungelegenheiten zu bereiten und ihm Kosten zu verursachen, die er nie ersetzt bekommt. Die günstigere Lage, in welche die alleinige Haftung des Staates den Beamten bringt, soll von diesem nicht mit dem Verluste der kurzen Verjährung erkauft werden müssen. Dieser Gedanke ist für die Grundbuchbeamten sowohl von diesem Hohen Aus­ schüsse als auch von dem Ausschüsse der Kammer der Abgeordneten gebilligt worden, und soll nunmehr für alle Beamten zur Geltung gebracht werden. Reichsrath Dr. von Bechmann: Ich bin mit dem Vorschlag der k. Staats­ regierung in der Hauptsache vollkommen einverstanden. Auf die Konstruktions­ frage hier einzugehen, ist wohl keine Veranlassung, ich bemerke aber, daß mir neben der Konstruktion, die Seine Excellenz vorgetragen hat, eine andere ebenso nahe zu liegen scheint, nämlich die einer gesetzlichen Schuldübergahme oder richtiger Schuldüberweisung auf den Staat gegenüber dem Gläubiger. Ich will indeß, wie gesagt, darauf nicht weiter eingehen. Ich möchte nur einen Punkt weiter zu besprechen mir erlauben, den ich neulich bereits angeregt habe. Wenn wir einmal soweit sind, daß wir den Staat verantwortlich machen für deliktmäßige Verletzungen von Amtspflichten seitens der Beamten — ob nun diese Haftpflicht subsidiär, primär oder elektiv ist, ist hier gleichgiltig —, so scheint es mir konsequent zu sein, daß wir noch einen Schritt weiter gehen und den Staat auch für solche objektive Verletzungen der Amtspflicht seitens der Beamten haftbar machen, welche nicht im Zustande der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit (Bürgerliches Gesetzbuch § 827) begangen worden sind; es kommen hier von den im Bürgerlichen Gesetzbuch aufgeführten 56*

876

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesctzbuche.

Möglichkeiten eigentlich nur in Betracht der latente Zustand der geistigen Erkrankung und allenfalls einmal der Trunkfälligkeit, wobei immer zu beachten ist, daß unter Umständen der Betrunkene auch selbst verantwortlich ist, so daß also nur der Fall übrig bleibt, daß der Betreffende sich nicht freiwillig in den Zustand der Betrunkenheit versetzt hat. Wenn man noch weiter erwägt, daß der latente Zustand der Geisteskrankheit ein schwer zu beweisender ist, und daß diesen Beweis stets der Staat führen müßte, so wird auch praktisch der Unter­ schied kein sehr großer sein. Aber es liegt mir an der prinzipiellen Behandlung und Feststellung der Frage. Wenn man den Staat überhaupt für Delikte seiner Beamten verant­ wortlich macht, so hat man dabei bereits das Prinzip der Verschuldung, von dem Seine Excellenz vorher gesprochen hat, was den Staat anlangt, auf­ gegeben; denn der Staat begeht überhaupt kein Verschulden. Ein Verschulden können nur Menschen begehen, und solange man auf dem Prinzipe besteht, das das römische Recht in einer ganz einseitigen Weise aus­ gebildet hat, kann man zwar von einem Beamten zum andern gelangen, man kann bis zum Minister gelangen, dem man culpa vorwerfen kann, daß er den Beamten angestellt oder nicht zur rechten Zeit abgesetzt hat; aber an den Staat gelangt man ohne Fiktion niemals, und das ist der Grund, warum die Theorie auch in den Jahren, in welchen sich die Bewegung bereits geltend gemacht hatte, — schon vor 32 Jahren ist auf dem Juristentag hier die Frage besprochen worden — niemals eine Haftung des Staates konstruieren konnte, solange man auf der Basis der Verschuldung stehen geblieben ist. Dieses Prinzip der Verschuldung ist nun aber im neueren Recht schon vielfach auf­ gegeben worden. Das römische Recht kennt nur einen Fall, das ist das. receptum nautarum. Aber selbst hier sind die Römer von der Anschauung ausgegangen, daß die Wirthe sämmtlich Spitzbuben seien, daß man also immer Verschulden der Wirthe präsumieren könne. Privatrechtlich haftet sonst der Dienstherr selbst in obligatorischen Verhältnissen nur dann, wenn ihm selbst ein Verschulden nachgewiesen werden kann. Aber selbst hier ist man in neuerer Zeit über dieses Prinzip hinaus­ gegangen. Ich erinnere an die Haftung der Gemeinden für den Schaden, der bei Aufständen entsteht, ich erinnere an das Haftpflichtgesetz, wonach der Eisen­ bahnunternehmer für Zufälle haftet, und der Fabrikbesitzer für ein Verschulden seiner Bediensteten, für das er gar nichts kann. Ich erinnere an eine Reihe von Delikten des Bürgerlichen Gesetzbuchs, z. B. das Halten von Thieren, wobei der Thierhalter verantwortlich ist ohne Verschulden, und nur ein Ver­ schulden des anderen Theiles in Betracht kommt. Ein Fall dieser Art ist nun auch die Haftung des Staates gegenüber unschuldig Verurthnlten. Wir sind auch hier vom Verschuldungsprinzip zum Verursachungsprinzip übergegangen. Eine andere Anwendung desselben enthält der § 829 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs; es wird sich zeigen, was die Praxis aus diesem Paragraphen machen kann; es kann gut werden, es kann aber vielleicht auch ein totgeborenes Experiment sein. Daß § 829 auf unser Verhältniß nicht anwendbar ist, ist mir jetzt völlig klar, er ist zu eng und würde nicht alle Fälle treffen. Aber ich sage, wenn man soweit geht und dem Staate gegenüber erklärt: „Du haftest nicht, weil Du mitschuldig bist, — das ist ja ausgeschlossen — sondern durch Dein Dasein so zu sagen und durch die Beamten, die Du angestellt hast und die Du uns aufnöthigst, Du haftest deshalb als Verursacher und zugleich, weil Du die stärkeren Schultern hast", dann ist der Schritt, daß ich sage, er hastet auch für einen unzurechnungsfähigen Beamten, ein so nahe-

liegender, daß wir ihn machen müssen, und ich wiederhole, was ich neulich gesagt habe: „Für das Gerechtigkeitsgefühl des Laien ist es unverständlich, wenn der Staat sagt, er sei zwar für einen nüchternen, nicht aber für einen betrunkenen Polizeibeamten haftpflichtig." Der andere wird sagen: „Das ist mir glcichgiltig, der Beamte hat formell amtlich gegen mich gehandelt, und ich habe den Schaden davon." Also möchte ich wirklich Vorschlägen, diesen Schritt noch zu machen; ich freue mich übrigens, daß wir bereits soweit gediehen sind, das wäre noch vor einigen Jahren nicht zu erreichen gewesen. Wir brauchen das heute ja nicht fertig zu machen, und ich würde bitten, bis zur zweiten Lesung zu überlegen, ob wir den Schritt nicht noch machen wollen. Praktisch und finanziell wird die Sache ja nicht von sehr großer Bedeutung sein. Es könnte dabei auch das Vorentscheidungsrecht des Verwaltungsgerichtshofes natürlich vollkommen bestehen bleiben, nur müßte das betreffende Gesetz eine redaktionelle Aenderung erfahren. Der Verwaltungsgerichtshof müßte nicht nur über die Schuld zu entscheiden haben, sondern eventuell auch darüber, ob der Beamte objektiv im Zustande der Unzurechnungsfähigkeit eine Pflicht­ verletzung begangen hat. Der Schritt, den ich Vorschläge, ist ein kleiner Schritt, aber er ist nach meinem Dafürhalten konsequent, und wir bleiben auf neun­ zehntel Weges stehen, wenn wir ihn nicht machen. Es ist mir neulich auch der Gedanke gekommen, ob dieser Schritt nicht im Widerspruch steht mit der Grundbuchordnung. Allein das Reichsgesetz enthält, was die Grundbuch­ ordnung anlangt, nur das Minimum von Haftung und das Landesgesetz ist nicht verhindert, weitergehende Vorschriften zu geben (Art. 77 des E-G. z. B.G.B ). Es würde also auch für die Grundbuchbeamten die vorgeschlagene Erweiterung zulässig sein. Vorsitzender: Ich möchte mich ganz auf den Standpunkt des Herrn Vor­ redners stellen. Mit dem Verpflichtungsverhältnisse des Beamten kann man dessen Verantwortlichkeit der Partei gegenüber nicht konstruieren. Denn das Verpflichtungsverhältniß wirkt nur dem Staate, nicht aber dem Dritten gegen­ über, der bei dessen Ausübung zu Schaden kommt. Man muß daher noth­ gedrungen, um die primäre Haftung des Staates zu konstruieren, darauf zurückkommen, daß der Staat für den Schaden haftbar ist, weil er eine Ein­ richtung getroffen hat, die denjenigen, der von derselben Gebrauch machte und Gebrauch machen mußte, geschädigt hat. Ich habe das in der Samstagsitzung ohnedem schon ausgeführt und habe auf die neueren Gesetze exemplifiziert, namentlich das Haftpflichtgesetz. Wenn der Staat die Behörden organisiert, und wenn diejenigen zu Schaden kommen, die von dieser Einrichtung Gebrauch machen, so haftet er aus dem­ selben Grunde, wie der Eisenbahnunternehmer denjenigen gegenüber, welche die Eisenbahn benützen und dabei zu Schaden kommen. Ich würde es für einen außerordentlichen Fortschritt erachten, wenn in dieser Sache die k. Staats­ regierung entgegenkommen würde, und dann würden die Streitfragen auf ein Minimum reduziert werden. Dann wäre die elektive, primäre und subsidiäre Haftung über Bord geworfen, die Sache wäre klar und für den gemeinen Mann verständlich. Reichsrath Hessert: Ich kann mich diesen Grundsätzen anschließen. Es fällt mir das um so leichter, als wir in der Pfalz eine außerordentlich weitgehende Verantwortlichkeit hatten, und muß ich Ihnen sagen, in der Praxis ging sie uns manchmal noch nicht weit genug. Nach französischem Rechte hastet der Thäter oder, wer verantwortlich ist, für den leichtesten Grad der

878

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

culpa. Wie weit kommt man da, wenn man das im praktischen Leben verfolgt? Ich erinnere mich an Fälle, wo man nur unter Anwendung strenger Grund­ sätze von culpa sprechen konnte, und wir haben sie doch angenommen, weil wir das Gefühl hatten, es müsse auf diesem Wege geholfen werden. Nun gibt es Fälle, in denen ein Schaden verursacht ist, der Kläger aber das Ver­ schulden nicht vollauf beweisen kann. Da müßte der Beschädigte unterliegen! In einem anderen Falle hatte ein Kind von sechs Jahren einem andern Kinde beim Spielen das Auge ausgestoßen. Das Kind, das die Handlung begangen hat, ist das Kind reicher Eltern, Aufsichtsmangel lag nicht vor. Hier konnte ein helfender Grund nicht gefunden werden, und ich kann bestätigen, daß man in der Praxis nicht versteht, daß ein Schaden hingenommen werden muß, der von Personen, die Vermögen haben, und von denen Schadensersatz zu er­ langen wäre, verursacht ist. Nach meiner Ansicht versteht der gewöhnliche Mann das nicht, und da die Fälle außerordentlich wenig zahlreich sein werden, glaube ich, daß das, was noch nach dem Vorschlag der Staatsregierung übrig bleibt, nicht viel zu bedeuten hat. Wir sind in der Materie soweit vor­ geschritten, daß wir den letzten Schritt auch noch machen könnten; der Gedanke ist nun einmal ausgesprochen, und man kann sich ihm nicht wohl entgegen­ stellen. Von dem Gesichtspunkte aus betrachte ich den § 829 aus Billigkeits­ gründen als wahlberechtigt. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ausdrücklich war ja bisher der Grundsatz der Haftung des Staates überhaupt nicht ausgesprochen. Es ist also schon ein Fortschritt, daß jetzt ein klarer, positiver Satz diese Haftbarkeit des Staates anerkennt. Der Entwurf wollte ursprünglich nur die subsidiäre Haftbarkeit des Staates; der Abgeordnetenausschuß ist schon eine Stufe weiter gegangen und hat die elektive Haftbarkeit angenommen, noch eine Stufe weiter, und wir haben die alleinige Haftung des Staates. In subjektiver Beziehung ist man ebenfalls von Stufe zu Stufe zur Erweiterung der staat­ lichen Haftbarkeit gelangt. Zuerst kam die Haftung für die Beamten, dann für die Beamten im weiteren Sinne, für die Quasi-Beamten, die Gerichts­ vollzieher; die Haftung für die Notare wird auch noch kommen. Ja, wohin steuern wir denn? Wir wissen gar nicht, welche Haftung wir dem Staate auferlegen, und dann mache ich auf eines noch aufmerksam: man tröstet sich damit, daß wohl so viele Fälle nicht vorkommen werden. Ich erinnere aber daran, daß wir ein Grundbuch haben werden, nicht mehr ein bloßes Hypo­ thekenbuch. Da sind doch Fehler und Versehen in viel weiterem Umfange möglich. Unter solchen Umständen muß ich sagen: „Alles mit Maß und Ziel." Da ich auch der Meinung bin, es sei kein verkehrtes Prinzip, eine deliktsmäßige Haftung nur an ein Verschulden zu knüpfen, diesen Gedanken vielmehr als gesunden erachte, kann ich um so weniger dazu gelangen, andere Fälle herein­ zuziehen. Es handelt sich da um ein Unglück, und das muß der tragen, den es trifft. Das mag sehr hart sein, das gebe ich zu. Uebrigens, wenn auch in einigen Gesetzbüchern der Gedanke schon verwerthet ist, so ist er dort doch mit weiteren Beschränkungen verwerthet als in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch, und eine Mehrzahl von Gesetzen, namentlich das gemeine Recht, kennt diesen Satz überhaupt nicht.

Hingewiesen wurde auf eine Anzahl von einzelnen Fällen, in denen sich Anklänge finden, z. B. auf das Hastpflichtgesetz. Es haften ferner die Ge­ meinden, wenn bei einem Aufruhr Schaden zugefügt wird, es haftet der Thier­ halter u. s. w. Das sind ja lauter einzelne Fälle, eigentlich Abnormitäten, die

über dos Prinzip hinausgehen. Die Fälle an und für sich haben eine ganz verschiedene Natur. Nehmen Sie den Schaden, der durch Eisenbahnen gestiftet wird; hier läuft die Sonderbestimmung auf eine Beweiserleichterung hinaus. Darum möchte ich von dem Grundprinzipe nicht abgehen: „Keine Ersatzpflicht ohne Verschulden."

Reichsrath Dr. von Bechmann: Ich möchte bemerken, daß dann Seine Exzellenz sich konsequent überhaupt gegen die Haftung des Staates aus­ sprechen müßte. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In dem Artikel steht ausdrücklich „in Ausübung der ihm vom Staat anvertrauten Macht"; das ist etwas anderes als das „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen" des § 31 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dieser letztere Satz enthält schon eine Abweichung vom gemeinen Recht (Vertretungsprinzip). Aber das nun selbst auf den Fall der Ausübung von öffentlicher Macht durch den Beamten auszudehnen, halte ich für unräthlich; soweit möchte ich nicht gehen. Ich warne vor Gefahr: wir können gar nicht übersehen, in welchem Umfange wir den Staat rc. beschweren. Mir machen in dieser Beziehung ganz besondere Be­ denken: 1. die Gerichtsvollzieher, 2. die Notare und 3. die Grundbuchbeamten. Das Grundbuch ist etwas ganz anderes wie das Hypothekenbuch. Vorsitzender: Ich möchte mir bezüglich der Vermehrung der Haftbarkeit durch die Ausdehnung des Grundbuchs und die Vermehrung derjenigen Beamten, für welche der Staat die Verpflichtung zu übernehmen hat, zu be­ merken erlauben, daß ich der Anschauung bin, daß eine verhältnißmäßige Er­ schwerung der Hasipflicht des Staates daraus nicht entsteht. Wenn man sich erinnert, mit welcher Sorglosigkeit bis in die neueste Zeit die Hypothekenbücher geführt worden sind, so wird man außerordentlich staunen über die geringe Anzahl von Prozessen, die daraus entstanden sind, daß eine Partei durch die unrichtige Führung des Hypothekenbuches zu Schaden gekommen ist. Jetzt beim Grundbuche, wo solche präzise Vorschriften bestehen, wo die Ueberwachung leichter ist, wird dieser Kreis der Verantwortlichkeit dcs Staates nicht erweitert, er würde aber, wenn er erweitert würde, sicher am allermeisten bezüglich der­ jenigen Delikte erweitert, bezüglich deren Artikel 53 bezw. § 12 der Grundbuch­ ordnung ohnedem schon Vorsorge getroffen hat, nämlich bezüglich der vorsätz­ lichen und der aus Fahrlässigkeit verschuldeten Beschädigungen. Diejenigen Beschädigungen, die auf ein Verschulden nicht zurückzusühren sind, werden sicher in einem erheblichen Maße die Verantwortlichkeit des Staates nicht vermehren. Wie gesagt, der Hauptgrund, warum ich für die unbeschränkte Haftung dcs Staates eintrete, besteht darin, daß man die Haftung des Staates verständ­ licher macht, ohne daß dadurch diese Haftung selbst dem Staate in einer auf­ fälligen Weise lästig wird, und ich wäre sehr angenehm berührt, wenn auch diejenigen Hohen Herren des Ausschusses, welche über diese Frage ihre An­ schauung noch nicht kund gegeben haben, sich äußern würden, damit, wenn wir auch heute eine zutreffende Erklärung von Seite der Staatsregierung nicht erzielen sollten, wird dann doch für die Zukunft wenigstens die Grund­ lage für eine Aenderung der Gesetzgebung in der von uns gewünschten Richtung schaffen. Der k- Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Iacubezky: Ich möchte mir zunächst gegenüber dem Herrn Reichsrath von Bechmann die Bemerkung gestatten, daß die Regierungsvorlage dadurch, daß sie überhaupt eine Haftung des Staates anerkannt hat, das Verschuldungsprinzip noch nicht

880

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

aufgegeben hat. Die Vorschriften des ursprünglichen Entwurfs und der neuen Vorlage beruhen vielmehr, ähnlich wie der § 31 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auf einer Anwendung des Vertretungsgedankens, den insbesondere das franzö­ sische Recht in weitem Umfang auf unerlaubte Handlungen übertragen hat. Die Vertretung führt dazu, daß derjenige, für den ein anderer das Recht eines Dritten verletzt, für den Schaden so haftbar gemacht wird, als hätte er die rechtsverletzende Handlung selbst vorgenommen. Die Rechtsprechung, die im Gebiet des gemeinen Rechts die Haftung des Staates anerkannt hat, geht gleichfalls von dem Vertretungsgedanken aus, sie begründet die Haftung des Staates damit, daß durch den Beamten der Staat selbst gehandelt habe. Vermöge des Vertretungsverhältnisses wird die Handlung des Vertreters dem Vertretenen als eigene Handlung zugerechnet. Die Anerkennung des Ver­ tretungsgedankens läßt aber das Verschuldungsprinzip unberührt, solange daran festgehalten wird, daß in der Person des Vertreters ein Verschulden vorliegen muß, wie es im § 31 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschieht. Hätte das Bürgerliche Gesetzbuch den § 829 auf die Verletzungen der Amtspflicht für entsprechend anwendbar erklärt, im § 839 neben das Verschulden die Fälle des § 829 gestellt, so würde die Anerkennung des Vertretungsgedankens auch in diesen Fällen zu der Haftung des Staates führen. Es ist aber nicht ge­ schehen und man kann vielleicht sagen, daß dieselben Gründe, die dafür maß­ gebend waren, daß es nicht geschehen ist, auch gegen die Erweiterung der Haftung des Staates geltend gemacht werden können. Jedenfalls handelt es sich um eine Neuerung, die eingehender Erwägung bedarf. Die Hohen Herren, die sich der Neuerung geneigt gezeigt haben, gehen in der Bestimmung der Fälle, in welchen der Staat ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Beamten haften soll, auseinander; in dieser Beziehung besteht ein wesentlicher Unter­ schied zwischen dem Vorschläge des Herrn Reichsraths von Bechmann und den Ausführungen des Herrn Vorsitzenden. Herr Reichsrath von Bech­ mann stellt dem Verschulden des Beamten nur den Fall der Unzurechnungs­ fähigkeit des Beamten, insbesondere der krankhaften Störung der Geistes­ thätigkeit, gleich. Der Herr Vorsitzende will aber eine unbeschränkte Haftpflicht für fehlerhafte Amtshandlungen. Die Folgen, die sich aus einer solchen Haft­ pflicht ergeben würden, sind unübersehbar, die Annahme dieses Vorschlags scheint mir unmöglich zu sein. Der Staat müßte für eine Vollkommenheit der Führung der Amtsgeschäfte einstehen, die mit menschlichen Kräften nicht zu erreichen ist, er müßte auch den unverschuldeten Irrthum der Beamten ver­ treten. Und diese Haftung würde nicht nur den Staat treffen, bei dem man vielleicht geneigt sein möchte, sich über die Bedenken hinwegzusetzen, weil der Staat eine große Kasse hat, sondern auch die Gemeinden, von denen die meisten eine kleine Kasse haben, und eine solche Verantwortlichkeit nicht zu tragen vermögen. Es ist vielleicht zweckmäßig, die weitere Erörterung des Vorschlags des Herrn Reichsraths von Bechmann auszusetzen, um den Hohen Herrn und der k. Staatsregierung Zeit zu näherer Erwägung zu lassen. Für den weitergehenden Antrag bedarf die k. Staatsregierung keiner Bedenkzeit, sie kann sich ihm gegenüber nur ablehnend verhalten.

Reichsrath Dr. von Bechmann: Wenn zunächst Seine Excellenz gesagt haben: „Das ist Zufall und der muß zunächst von dem getragen werden, den er trifft," so ist das römisches Prinzip. Da heißt es casus a nullo praestatur oder casum sentit dominus. Aber ich muß dabei stehen bleiben, daß die heutige Richtung in der Rechtspolitik eine andere ist, daß die Ansicht zur

Geltung gelangt ist, daß der Zufall nicht gerade von dem getragen werden muß, den er trifft, sondern unter Umständen von dem, der ihn verursacht hat. Ich habe schon vorhin einige Beispiele anzusühren mir erlaubt. Ich möchte noch ein neues hinzufügen. Man hat im gemeinen Recht die Frage bestritten, ob jemand, der zu einer Mittheilung sich eines Boten bedient, für die Botschaft verantwortlich ist, wie sie überbracht wird, oder ob er sagen kann, ich habe ja die Botschaft nicht so aufgetragen, wie sie bestellt worden ist. Das ist bekanntlich noch in den letzten Dezennien sehr bestritten gewesen. Jetzt ist mit einer Abschwächung das Prinzip anerkannt worden, daß einer, der den Telegraphen oder einen Boten in Bewegung setzt, auch haftbar ist für die Resultate, die durch die Jnbewegungsetzung herauskommen. Ec ist für den Inhalt des Telegramms und der Botschaft verantwortlich (§§ 119, 120, 122 des B.G.B.). Auf die Details brauche ich nicht weiter einzugehen. Was aber die Bemerkung des Herrn Senatspräsidenten anlangt, so verhält es sich mit dem Vertretungs­ prinzip nach meinem Dafürhalten so, daß ein Unterschied gemacht werden muß; das Vertretungsprinzip haben wir unbedingt für obligatorische Verträge, der Schuldner haftet unbedingt für die Person, die er zur Verrichtung seiner Verbindlichkeiten anstellt. Soweit ein Verschulden desselben vorliegt, kommt ein weiteres Verschulden seinerseits nicht zur Sprache (§§ 278, 31, 89 BGB.). Das ist auch schon eine Neuerung; denn das römische Recht kennt nur die culpa in eligendo et inspiciendo und macht den Transporteur nicht ohne weiteres verantwortlich für den Schaden, den ein Gehille beim Transport verursacht. Wenn man aber das außerobligatorische Verhältniß zu Dritten in Betracht zieht, dann würde zunächst nur der § 831 in analoge Anwendung kommen. Wenn nun der Staat gleichwohl unbedingt haftet für die Hand­ lungen seiner Beamten dem Publikum gegenüber, dann sind wir über das Vertretungsprinzip des § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs schon hinausgegangen und bei dem Verursachungsprinzip angekommen, denn der Staat haftet dann für seine Beamten anders als der Kutscher, wenn sein Knecht Leute überfährt. Denn dieser haftet nur für eigene culpa in eligendo u. s. w. Vorsitzender: Ich möchte daraufaufmerksam machen, daß ich nicht richtig verstanden worden bin. Ich gehe nicht soweit, daß ich sage, „wenn bei Ge­ legenheit der Ausführung einer Beamtenfunktion ein Schaden entsteht, da haftet der Staat für diesen Schaden", sondern ich würde die Fassung des Artikel 53 vollständig beibehalten und auch sagen „verletzt ein Beamter". Es würde dann nur für den Schaden gehaftet werden, der durch die Verletzung der Amtspflicht entstanden ist, mag dies nun in verantwortlicher oder un­ verantwortlicher Weise geschehen sein. Es liegt doch ein objektiver Schaden darin, duß durch die Verletzung der Amtspflicht demjenigen, der die Hilfe des Staates in Anspruch genommen hat, ein Schaden zugefügt wurde. Die Fest­ stellung, wer verantwortlich ist und wieweit er verantwortlich ist, das wird nicht nöthig sein, um die Haftung des Staates zu begründen.

Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Zunächst möchte ich darauf Hinweisen, daß es sich nicht nur um die Haftung des Staates, sondern auch um die der Gemeinden und anderen Kommunal­ verbände handelt. Da die Kommunalverbände selbstverständlich nicht so leistungsfähig sind wie der Staat, so erscheint für sie die vorgeschlagene Er­ weiterung der Haftung auf jeden Schaden, den ein Beamter verursacht, auch wenn ihn ein Verschulden nicht trifft, um so bedenklicher. Im Ausschüsse der

882

IV. Abth. Aussührungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Kammer der Abgeordneten sind von mehreren Seiten mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Kommunalverbände schon gegen die vom Entwürfe vor­ geschlagene subsidiäre Haftung Bedenken erhoben worden.

Jedenfalls bitte ich darüber, ob die Haftung über den neuen Artikel 53 hinaus erweitert werden soll, erst bei der zweiten Lesung endgiltig Beschluß zu fassen. Ich bin noch nicht im Stande gewesen, eine Aeußerung der übrigen Ministerien darüber herbeizuführen, und kann mich daher über die Stellung der k. Staatsregierung jetzt nicht erklären. Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jaeubezkh: Ich möchte gegenüber dem Herrn Reichsrath von Bechmann bemerken, daß das Bürgerliche Gesetzbuch cs abgelehnt hat, auf dem Gebiete der unerlaubten Handlungen dcm Vertretungsgedanken Folge zu geben. Die Vorschriften, welche in den §§ 831 und 832 über die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn und des Aufsichtspflichtigen gegeben sind, zeigen, daß der Vertretungsgedanke nicht ausgenommen ist. Es ist allerdings der Antrag gestellt worden, sich in dieser Beziehung an den Code civil anzuschließen; er ist aber abgelehnt worden; das Gesetzbuch hat sich dem gemeinen Rechte angeschlossen und nur die Beweislast umgekehrt. Der uns beschäftigenden Haftung des Staates aber liegt allerdings der Vertretungsgedanke zu Grunde. Die Haftung des Staates für den Vertreter, die das Bürgerliche Gesetzbuch im § 89 nur für privatrecht­ liche Verhältnisse ausgesprochen hat, wird hier übertragen auf ein Verhältniß des öffentlichen Rechts, auf die Ausübung der öffentlichen Gewalt; der Staat, der die öffentliche Gewalt durch seinen Beamten ausüben läßt, soll, wenn der Beamte dabei schuldhast einem Dritten Schaden zusügt, für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Es handelt sich lediglich um eine erweiterte An­ wendung des Vertretungsgedankens, dessen Uebertragung auf das Gebiet der unerlaubten Handlungen das Bürgerliche Gesetzbuch abgelehnt hat, den aber andere Gesetzgebungen, insbesondere der Code civil, auch auf diesem Gebiete haben zur Geltung gelangen lassen. Vorsitzender: Ich möchte hervorheben, daß nicht die Rücksicht darauf, daß der Staat einen großen Säckel hat, dazu gefühlt hat, meine Ansicht zu begründen. Ich bin von der Anschauung ausgegangen, daß für den Staat große Opfer nicht entstehen werden, denn die meisten Fälle werden wirklich durch Fahrlässigkeit oder Vorsätzlichkeit des Beamten verursacht sein, und dem­ nach würde, wenn man meinen Vorschlag annehmen wird, die Haftung des Staates nicht wesentlich erhöht werden. Der Grund, warum ich darauf dringe, daß auf das Verschulden keine Rücksicht genommen wird, ist lediglich die Schwierigkeit des Beweises des Verschuldens, und ich bin der Ansicht, daß der Staat auf der einen Seite eine besondere Rücksicht nicht verdient, glaube aber auch nicht, daß es gerechtfertigt wäre, ihm Lasten aufzubürden, die nicht berechtigt sind.

Reichsrath von Küffner: Bezüglich des Wunsches des Herrn Vor­ sitzenden, allenfallsige Bemerkungen von anderer Seite hören zu wollen, glaube ich, daß hievon Umgang genommen werden kann, weil die Sache schon nach „Für" und „Wider" erschöpfend dargelegt erscheint und nichts Neues mehr zu sagen ist. Immerhin bin ich der Meinung, daß von demjenigen, was der Herr Vorsitzende ausgeführt hat, manches als zutreffend und an­ nehmbar erachtet werden könnte. Wie sonst im allgemeinen gedacht wird, das wird die Abstimmung über den Artikel 53 beweisen.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ich möchte gegenüber dem Herrn Reichsrath von Bechmann folgendes bemerken: Die Bestimm­ ungen, die im Bürgerlichen Gesetzbuch über die bezügliche Haftung stehen (§ 827), beruhen nach meiner Auffassung keineswegs auf Erwägungen der Gerechtigkeit, sondern auf Erwägungen der Billigkeit, und so war es bei allen Gesetzgebungen, die ftüher auf diesen Gedanken gekommen sind. Man hatte erwogen, daß es hart sei, daß ein reiches Kind, wenn es ein armes Kind in Schaden gebracht hat, nicht entschädigen müsse, obschon es bei seinem Reich­ thum dies sehr gut könne. Die letzte Bemerkung des Herrn Vorsitzenden hat mir erst recht be­ wiesen, wieweit er gehen will, und zwar, wie ich glaube, ziemlich unübersehbar weit. Er legt den Schwerpunkt ganz allgemein auf den Fall, wenn kein Ver­ schulden vorliegt. Aber das Bürgerliche Gesetzbuch spricht in den §§ 827, 829 nur von einzelnen, ganz bestimmten Fällen, so von dem Falle der Geistes­ krankheit, dem Falle des kindlichen und minderjährigen Alters. Die Unzurech­ nungsfähigkeit des Beamten muß bewiesen werden. Das werden aber bei weitem die wenigeren Fälle sein. Nach der Anschauung des Herrn Vor­ sitzenden soll für die Ersatzverbindlichkeit des Staates eine objektiv rechts­ widrige Handlung genügen. Da hätten wir ja mit einem Schlage die bekannte Frage der Entschädigung unschuldig Berurtheiltxr gelöst. Uebrigens will ich jetzt auch in Bezug auf die Verjährung des Anspruchs des Staates rc. gegen den Beamten erklären, daß ich meinen Widerspruch zurückziehe. Mich bestimmt die Erwägung, daß es äußere Gründe sind, welche die Anwendbarkeit der kurzen Verjährung bei Deliktsobligationen hierher aus­ gedehnt wissen wollen. Man muß eben einen sicheren Anfangspunkt haben. Früher nahm ich an, es sei der Passus beigefügt worden, um einen allenfallsigen Anspruch des Staates rc. auf Befreiung von der Haftung zu moti­ vieren, aber ich habe mich überzeugt, daß das nicht der Fall ist. Der Anspruch auf Befreiung besteht für sich, und hat damit keinen Zusammenhang.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jacubezky: Der Herr Vorsitzende sowohl als Herr Reichsrath von Küffner scheinen anzunehmen, daß die Frage sich sehr einfach lösen lasse, daß es genüge, in der Vorlage die Worte: „vorsätzlich oder fahrlässig" zu streichen. Bei dem Wegfall dieser Worte würde aber die Verweisung auf den § 839 des Bürger­ lichen Gesetzbuchs nicht mehr passen. Das ist indessen eine Fassungsftage. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß der das Verschulden ausschließende Grund, abgesehen von den Fällen, von denen Herr Reichsrath von Bech­ mann gesprochen hat, der Irrthum ist. Ich habe mir schon vorhin die Bemerkung zu machen erlaubt, daß es nicht angängig ist, den Staat dafür haftbar zu machen, daß nicht ein Schaden entsteht durch Amtshandlungen, die ein Verschulden enthalten würden, wenn der Beamte eine ihm ohne sein Verschulden unbekannt gebliebene Thatsache gekannt hätte. Wenn der Beamte sich in einem Irrthum befindet, den er trotz Anwendung pflichtmäßiger Sorgfalt nicht zu vermeiden vermag, so be­ findet sich in der Person des Beamten der Staat in unverschuldetem Irrthum, und die Haftung für solchen Irrthum können wir, weil wir mit menschlichen Kräften arbeiten müssen, nicht übernehmen. Man wird deshalb auf den Ge­ danken verzichten müssen, die Haftung des Staates auf einen Schaden zu erstrecken, der aus unverschuldeter Unkenntniß bestimmter Verhältnisse, aus unverschuldetem Irrthum über bestehende Thatsachen entsteht. Dann bleiben

884

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

als Gegenstand der weiteren Erwägung die Fälle übrig, von denen Herr Reichsrath von Bechmann gesprochen hat.

Borfitzendrr: Von Seite Seiner Exzellenz ist nahe gelegt worden, die Beschlußfassung über Artikel 53 auszusetzen bis zur zweiten Lesung, damit die Regierung Zeit und Gelegenheit findet, das was heute über den Artikel 53 gesprochen wurde, sich noch einmal zu überlegen und eventuell dem Artikel 53 eine andere Fassung zu geben. Ich glaube, es wird keine Erinnerung dagegen zu erheben sein, dann wäre der Artikel damit erledigt, und es wäre noch zum Schluß über den Eingang und die Ueberschriften des Gesetzes Beschluß zu fassen. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Gegen die Ueberschrift und den Eingang des Gesetzes habe ich keine Erinnerung; die Ueberschriften im einzelnen haben wir schon erledigt, nur bei einer einzigen Ueberschrift haben wir geändert, alle übrigen haben wir stillschweigend genehmigt.

Vorsitzender: Auch von Seite des Hohen Ausschusses wird gegen Ueberschrift, Einleitung und Schluß des Gesetzentwurfes eine Er­ innerung nicht erhoben. Damit ist dieser Gesetzentwurf vorläufig mit Ausnahme des Artikel 53 erledigt Schließlich konstatiere ich, daß Artikel 53 in der Fassung der Re­ gierung angenommen wurde, vorbehaltlich einer Aenderung des­ selben für den Fall, daß die k. Staatsregierung auf unseren Ge­ danken eingehen sollte, die Haftpflicht des Staates noch zu erweitern. Die Sitzung ist geschlossen. Schluß der Sitzung um 5 Uhr 7 Minuten.

Protokoll über die Sitzung der Redaktionskommission des besonderen Ausschusses der Kammer der Reichsräthe zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetzentwürfe. (Verhandl. d. Just.-Ges.-Ausschusses der K. d. Reichsräthe 1899.) München, den 6. März 1899. Gegenwärtig die Herren Reichsräthe: Ritter von Küffner, Vorsitzender, vr. Ritter von Bechmann, Sekretär, Dr. Ritter von Schmitt, Exzellenz. Von Sette des k. Staatsministeriums: Der k. Senatspräsident Dr. Ritter von Jacubezky. Der k. Oberregierungsrath Krazeisen.

Tagesordnung: Feststellung der Beschlüsse erster Lesung A. Zum Entwürfe eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Beilage A und E.). B.

............

A. Zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (in der Fassung der Beilage E) wurden folgende Beschlüsse gefaßt: 1. Artikel 1 Abs. 1 soll lauten: Neben dem Bürgerlichen Gesetzbuche bleiben die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, welche aus der Zeit vor der Erlassung der

Protokoll d. Sitzung d. Redaktionskommission des Just.-Ges.-Aussch. v. 6. März 1899.

885

Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 stammen, nur insoweit in Geltung, als sie in den Artikeln 56 bis 59, 69, 74 bis 76, 78, 80, 86 bis 89, 109, 111, 132, 133 des Einführungsgesetzes zum Bürger­ lichen Gesetzbuch und im § 16 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zur Civilprozeßordnung Vorbehalten sind. 2. Artikel la wird als Artikel 2a eingestellt. 3. Artikel 5 hat zu lauten: Zahlungen aus öffentlichen Kassen sind, soweit nicht ein Anderes bestimmt ist, an der Kasse in Empfang zu nehmen, welche die Zahlung zu leisten hat. 4. Die Ueberschrift vor dem Artikel 7 soll lauten: Bierlieferungs vertrag. 5. Der Abs. 3 des Artikel 7 wird gestrichen. 6. Der Artikel 10 soll lauten: Personen, die nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte sind oder unter Polizeiaufsicht stehen, kann die Polizeibehörde das Halten von Dienstboten unter achtzehn Jahren untersagen. Personen, welche nach § 361 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs polizeilicher Aufsicht unterstellt sind, dürfen Dienstboten unter einundzwanzig Jahren nicht halten. Die Entlassung von Dienstboten, welche diesen Vorschriften zuwider gehalten werden, kann von der Polizeibehörde erzwungen werden. 7. Der Artikel 13 soll lauten: Der Dienstbote ist der Dienstherrschaft zur Treue verpflichtet; er hat den Anordnungen der Dienstherrschaft oder ihres Vertreters in Ansehung der ihm nach dem Vertrag und der Sitte obliegenden Ver­ richtungen und der häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten, der Dienst­ herrschaft und ihrem Vertreter Achtung zu erweisen und sich anständig zu führen. In Fällen der Noth hat er vorübergehend auch solche seinen Kräften und seiner Stellung entsprechende Dienste zu leisten, die nicht zu seinen im Vertrage bestimmten Obliegenheiten gehören. 8. Der Artikel 14 Satz 2 wird gestrichen. 9. Der Artikel 14a wird gestrichen. 10. Der Artikel 17 soll lauten: Das Dienstverhältniß kann von jedem Theile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Kündigung ist auch schon vor dem Antritte des Dienstes zulässig. 11. Der Artikel 18 soll lauten: Abs. 1. Ziff. 1 bis 6 unverändert. 7. wenn der Dienstbote sich einer vorsätzlichen rechtswidrigen Sach­ beschädigung zum Nachtheile der Dienstherrschaft, ihres Vertreters, ihrer Familienangehörigen oder des Nebengesindcs schuldig macht; Ziff. 8, 9 unverändert. 10. wenn der Dienstbote zu den ihm obliegenden Dienstleistungen unfähig ist oder an der Verrichtung der Dienste durch anhaltende Krankheit oder eine mehr als eine Woche dauernde Freiheitsstrafe oder eine die Zeit von vier Wochen übersteigende militärische Dienstleistung verhindert wird; Ziff. 11 unverändert. Ila. wenn der Dienstbote sich verheirathet;

886

12.

13.

14.

15.

16.

IV. Abtb.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesctzbuche.

12. wenn ein unverheiratheter weiblicher Dienstbote sich im Zustande der Schwangerschaft befindet. Abs. 2. In den unter Ziff. 1 bis 9, Ila genannten Fällen ist die Kündigung wegen Thatsachen, die der Dienstherrschaft länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig. Der Artikel 19 soll lauten: Abs. 1. Ziff. 1, 2 unverändert. 3. wenn die Dienstherrschaft oder ihr Vertreter sich Thätlichkeiten gegen den Dienstboten zu Schulden kommen läßt oder es verweigert, den Dienstboten gegen Thätlichkeiten oder grobe Beleidigungen eines Familienangehörigen der Dienstherrschaft oder des Vertreters, eines anderen Dienstboten oder eines Angestellten zu schützen; Ziff. 4 bis 6 unverändert. Abs. 2. In den unter Ziff. 3 genannten Fällen ist die Kündigung wegen Thatsachen, die dem Dienstboten länger als eine Woche bekannt sind, nicht mehr zulässig. Der Artikel 20 Abs. 4 soll lauten: Diese Vorschriften finden auch in den Fällen des Artikel 10 Abs. 3, des Artikel 11 und des Artikel 19 Absatz 1 Ziff. 6 Anwendung. Der Artikel 21 soll lauten: Würde der Dienstbote durch den Antritt des Dienstes oder die Fortsetzung des Dienstverhältnisses verhindert, von der ihm gebotenen Gelegenheit zur Verheirathung oder zur Begründung eines eigenen Haus­ standes Gebrauch zu machen, so ist er zur Kündigung berechtigt. Die Kündigung ist nach dem Antritte des Dienstes nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig; sie hat spätestens am fünfzehnten des Monats zu erfolgen. Der Artikel 32 soll lauten: Ist die Verpflegung des Berechtigten ohne nähere Bestimmung ver­ einbart, so hat der Verpflichtete dem Berechtigten den gesammten Lebens­ bedarf in standesmäßiger und ortsüblicher Weise zu gewähren. Die Kosten der ärztlichen Behandlung fallen jedoch dem Verpflichteten, wenn dem Berechtigten gegenüber ein Dritter verpflichtet ist, sie zu tragen, nur insoweit zur Last, als die Bezahlung nicht von dem Dritten zu erlangen ist. Der Artikel 53 soll lauten: Verletzt ein Beamter des Staates, einer Gemeinde oder eines anderen Kommunalverbandes in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegen­ über obliegende Amtspflicht, so trifft dem Dritten gegenüber die im § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmte Ver­ antwortlichkeit an Stelle des Beamten den Staat oder den Verband, in dessen Dienste der Beamte steht. Bei den Amts­ geschäften der Gerichtsvollzieher gilt dies auch für die Ver­ letzung der Pflichten gegenüber dem Auftraggeber. Ausländern kann die Entschädigung, vorbehaltlich der Haftung des Beamten, verweigert werden, wenn nicht nachgewiesen ist, daß in dem Heimathstaate des Beschädigten eine der Vorschrift des Abs. 1 Satz 1 entsprechende Haftung Deutschen gegenüber anerkannt wird.

Die für einzelne Klassen von Beamten bestehenden besonderen Vor­ schriften bleiben unberührt. Der Beamte hat dem Staate oder dem Verband, in dessen Dienste er steht, den Schaden zu ersetzen, der dem Staate oder dem Verband aus der Verletzung der Amtspflicht entsteht. Die Vorschriften des § 852 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden mit derMaßgabeAnwendung, daß die dreijährige Verjährungs­ frist mit dem Zeitpunkte beginnt, in dem die Ersatzpflicht des Staates oder des Verbandes dem Beschädigten gegenüber an­ erkannt oder rechtskräftig festgestellt ist. 17. Der Artikel 60 Abs. 2 soll lauten: Der Eigenthümer des Grundstücks, von dem aus die Erhöhung erfolgt ist, kann dem Eigenthümer des andern Grundstücks die Benutzung des Aufbaus verbieten, bis ihm für die Hälfte oder, wenn nur ein Theil des Aufbaus benutzt werden soll, für den entsprechenden Theil der Bau­ kosten Ersatz geleistet wird. Ist der Bauwerth geringer als der Be­ trag der Baukosten, so bestimmt sich der zu ersetzende Betrag nach dem Bauwerthe. Die Ersatzleistung kann auch durch Hinterlegung oder durch Aufrechnung erfolgen. Solange das Verbietungsrecht besteht, hat der Berechtigte den Mehraufwand zu tragen, den die Unterhaltung der Mauer infolge der Erhöhung verursacht. 18. Der Artikel 69 soll lauten: Die im Artikel 60 Abs. 2, im Artikel 61, im Artikel 62 Abs. 2 und im Artikel 68 bezeichneten nachbarrechtlichen Befugnisse erlöschen durch Verzicht des Berechtigten. Der Verzicht erfolgt durch Erklärung gegen­ über dem Eigenthümer des Nachbargrundstücks. Die Erklärung muß im Falle des Artikel 68 in öffentlich beglaubigter Form ab­ gegeben werden. Ist das Grundstück des Berechtigten mit dem Rechte eines Dritten belastet, so finden die Vorschriften des § 876 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechende Anwendung. Im Falle der Belastung mit einer Reallast, einer Hypothek, einer Grundschuld oder einer Rentenschuld ist der Verzicht auf das im Artikel 60 Abs. 2, im Artikel 61 und im Artikel 62 Abs. 2 bezeichnete Verbietungsrecht dem Dritten gegenüber wirksam, wenn er erfolgt, bevor das Grundstück zu Gunsten des Dritten in Beschlag genommen worden ist. 19. Der Artikel 76 Abs. 1, 2 soll lauten: Zur Begründung einer Dienstbarkeit an einem Grundstücke, das im Grundbuche nicht eingetragen ist und nach den Vorschriften der Grund­ buchordnung nicht eingetragen zu werden braucht, ist die Einigung des Bestellers und des Erwerbers darüber, daß das Grundstück mit der Dienstbarkeit belastet werden soll, erforderlich. Die Erklärung des Bestellers muß in öffentlich beglaubigter Form abgegeben werden. Zur Aufhebung einer Dienstbarkeit an einem Grundstücke der im Abs. 1 bezeichneten Art ist die Erklärung des Berechtigten gegenüber dem Eigenthümer erforderlich, daß er die Dienstbarkeit aufgebe; die Erklärung muß in öffentlich beglaubigter Form abgegeben werden. Die Vorschriften des § 876 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden entsprechende Anwendung.

888

IV. Abth.

Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

C. Vorschlag für die Vereinigung der beiden Entwürfe. Entwurf eines Ausführungsgesetzes

zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

Im Name« Zkiaer Majestät des Königs.

Seine Königliche Hoheit Prinz Luitpold, des Königreichs Bayerns Verweser, haben nach Vernehmung des Staatsraths mit Beirath und Zu­ stimmung der Kammer der Reichsräthe und der Kammer der Abgeordneten und in Ansehung der Artikel 1221, 1225, 1226, des Artikel 122” Zisf. V und des Artikel 122" unter Beobachtung der in Tit. X § 7 bet Verfassungsurkunde vorgeschriebenen Formen beschlossen und verordnen, was folgt: Artikel 1 bis Artikel 122 des Entwurfs I. Ueberschrift „Aenderungen der seit 1818 erlassenen Gesetze" Artikel 1221 bis Artikel 122" — Artikel 1 bis 10, 12 bis 41 des Entw. II. Ueberschrift „ Schlußbestimmungen" Artikel 122“ — Artikel 42 des Entw. II mit folgendem Abs. 2: Die im § 7 Ziff. I lit. e der Verordnung vom 31. Juli 1817, die Organisation der Generaladministration der Posten betreffend, ent­ haltene Fristbestimmung für die Beschreitung des Rechtswegs fällt weg. Artikel 122“ — Artikel 125 des Entw. I. Artikel 123 des Entw. I. Artikel 125a des Entw. I. Artikel 125b — Artikel 45 des Entw. II. Der Artikel 124 des Entw. I mit der zugehörigen Ueberschrift und die Artikel 43, 44 des Entw. II fallen weg.

Anträge des Reichsrathes Dr. Ritter von Bechmann an den

besoaberrn Aasschaß der Kammer der Keichsräthr jur Kerathaag der durch die Eiaflihrang des Kargerlichea Gesetzbuchs veraalaßtra Gesetzentwürse, den

Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Bürgerlichen Gesetzbuche betreffend. (Verhandl. d. Just.-Ges.-Ausschusses der K. d. Reichsräthe 1899.)

Im Artikel 15 in der Fassung des Ausschusses der Kammer der Ab­ geordneten sei das Wort „grobe" vor „Fahrlässigkeit" zu streichen. II. Dem Artikel 53 Absatz 1 in der neuen Fassung der Regierungsvorlage (VII. Protokoll Seite 13) sei der Schlußsatz beizufügen — vorbehaltlich einer endgültigen Redaktion des ganzen Absatzes —: „Die Haftung des Staates, der Gemeinde und der Kommunal­ verbände wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beamte für den von ihm verursachten Schaden nach § 827 des Bürgerlichen Gesetz­ buchs nicht verantwortlich ist."

I.

München, den 6. März 1899.

Dr. von Dechmann.

Ausschußverhandl. d. K. d. ReichSräthe. — XIV. Protokoll.

889

XIV. Protokoll des besonderen Ausschusses der Kammer der Reichsräthe zur Berathung der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs veranlaßten Gesetzentwürfe über den

Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche. — 2. Lesung. — München, den 11. März 1899.

Gegenwärtig die Herren Reichsräthe: Graf Fugger von Glött, Ritter von Küffner, Referent, von Auer, Vorstand, Dr. Ritter von Bechmann, Sekretär, Dr. Ritter von Schmitt, Exzellenz, Referent, Freiherr von Soden-Fraunhofen, Hessert. Der Herr I. Präsident Graf von Lerchenfeld-Köfering. Der Herr II. Präsident von Fries. Von Seite des k. Staatsministeriums: Der k. Staatsminister der Justiz Dr Freiherr von Leonrod. Der k. Senatspräsident Dr. Ritter von Jacubezky. Der k. Ministerialrath, Kronanwalt Ritter von Schubart. Der k. Ministerialrath Hörmann. Der k. Oberregierungsrath Krazeisen. Der k. Regierungsrath Brettreich. Die Sitzung wird um 9 Uhr durch den Vorsitzenden, Herrn Reichsrath von Auer, eröffnet.

Vorsitzender: Wir treten in die zweite Lesung der Gesetzentwürfe, Beilage A und B, bezw. E und G, ein. Wir können auf zweierlei Wegen vorschreiten, einmal indem wir die für die Beschlußfassung zurückgestellten Artikel zuerst der Berathung unterstellen oder indem wir unsere Beschlüsse in erster Lesung, wie sie in dem Protokoll der Redaktionskommission vom 6. März niedergelegt sind, unserer Berathung zu Grunde legen, wodurch wir von selbst auf die zurückgestellten Artikel kommen werden. Ich erachte den letzteren Weg für den geeigneteren, weil dann die Berathung systematisch vor sich geht. Wenn die Hohen Herren eine Erinnerung gegen meinen Vorschlag nicht haben, so ersuche ich, an der Hand des Redaktionsprotokolls in die Berathung einzutreten, und ich rufe dem entsprechend zuerst auf die Beschlüsse

A. zum Entwürfe eines Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (in der Fassung der Beilage E)

und zwar zunächst den

Artikel 1 Absatz 1.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel 1 Absatz 1 ist bei der ersten Lesung einfach angenommen worden; die Redaktionskommission hat nun eine andere Fassung in Vorschlag gebracht; diese lautet, wie Sie dieselbe gedruckt vor sich liegen haben. Sie hat, glaube ich, den VoMg, daß sie plastischer und deutlicher sagt, was gesagt werden will. Die Fassung des Entwurfes legt den Schwerpunkt negativ darauf, welche älteren bayerischen Gesetze landesrechtlich in Fortfall kommen. Die neu vorgeschlagene Fassung sagt positiv, welche von diesen Gesetzen künftig aufrecht bleiben, also mit und neben dem Bürgerlichen Gesetzbuche bayerisch-bürgerliches Recht darstellen. Ich empfehle Ihnen die Fassung der Redattionskommisston zur Annahme. Reichsrath Hessert: Durch diesen Artikel 1 werden auch der code civil und alle entgegenstehenden früheren rheinischen Gesetze aufgehoben mit zwei Einschränkungen: bestehen bleibt, was öffentliches Recht ist, und was unter die Vorbehalte fällt. Nun hat die preußische Regierung mit Rück­ sicht auf das Rheinland, wo die Verhältnisse ähnlich liegen wie in der Pfalz, eine Reihe von Artikeln des code civil ausdrücklich aufrecht erhalten. Dazu möchte ich folgendes erwähnen. Becher, Materialien. IV.

57

890

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

Zunächst ist aufrecht erhalten Artikel 545. Derselbe spricht von der Expropriation und enthält das Prinzip, daß niemand gezwungen werden kann, zu öffentlichen Zwecken sein Eigenthum abzugeben, es sei denn gegen volle Entschädigung. Da sich die gleiche Bestimmung in unserer Verfassungs­ urkunde und in unserem Enteignuugsgesetz findet, ist es nicht nöthig, wie es in Preußen geschehen ist, den Artikel 545 zu erwähnen. Nun kommen aber zwei weitere Artikel, die Artikel 910 und 937. Die­ selben betreffen die Ermächtigung der Gemeinden zur Annahme von Schenkungen und Liberalitäten. Die Zuwendungen, welche durch Ver­ fügung unter Lebenden oder durch Testament zum Vortheile der Spitäler, der Armen einer Gemeinde oder gemeinnütziger Anstalten erfolgen, unterliegen der Genehmigung der vorgesetzten Verwaltungsbehörde. Diese Bestimmung fällt unter die Kategorie der sogenannten Amortlsationsgesetze. Hierin ist nun durch Artikel 86 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch eine Aenderung eingetreten, nachdem Zuwendungen an juristische Personen bis zu 5000 JH. keiner Genehmigung mehr bedürfen. Artikel 538 enthält den Begriff des domaine public und zählt auf, was alles zum domaine public gehört. Privatrechtlich steht das Eigenthum des Staates, der Gemeinde und der öffentlichen Anstalten bezüglich des Er­ werbs und der Belastung im allgemeinen dem Eigenthum der Privaten voll­ ständig gleich. Artikel 538 hat daher nur eine Bedeutung für das öffentliche Recht. Ferner hat Preußen noch den Artikel 674 aufrecht erhalten, der von den schädigenden Anlagen handelt, die von Nachbarn errichtet werden, wie Sitzgruben, Aborte, Salz- oder Salpeterniederlogen u. s. w. Von diesen ist gesagt, daß sie nur bei Herstellung gewisser Einrichtungen zulässig seien, welche die Schädigung des Eigenthums des Nachbars hintanzuhallen geeignet find. Nach § 909 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Eigenthümer eines Grundstücks verlangen, daß auf den Nachbargrundstücken nicht Anlagen her­ gestellt oder gehalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge hat. Genügt eine Anlage den landesgesetzüchen Vor­ schriften, die einen bestimmten Abstand von der Grenze oder sonstige Schutz­ maßregeln vorschreiben, so kann die Beseitigung der Anlage erst verlangt werden, wenn die unzulässige Einwirkung thatsächlich hervortritt. Ich glaube, daß neben dieser Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Artikel 6741. c. keinen Platz mehr hat. Weitere Artikel, deren Aufrechterhaltung in Frage käme, aufzuführen, bin ich nicht in der Lage. Ich glaubte, diese Bemerkungen mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache machen zu müssen und glaubte, daß hier dafür der geeignetere Ort wäre, da in der öffentlichen Sitzung diese Details nicht zur Sprache gebracht werden können. Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jambezky: Was die angeführten Artikel des Code civil anlangt, so habe ich dem, was Herr Reichsrath Hessert dargelegt hat, nur wenig beizufügen. Der Artikel 538 wird in dem preußischen Entwürfe in Verbindung mit dem Artikel 714 des­ wegen aufrecht erhalten, weil er durch eine Vorschrift des öffentlichen Rechtes ausschließt, daß an den Grundstücken, die er für Staatseigenthum (domaine public) erklärt, Privatrechte entstehen. Die französische Jurisprudenz ist in der Auslegung dieses Artikels getheilter Meinung: die einen legen ihn so aus, daß der Erwerb von Privatrcchten schlechthin ausgeschlossen ist, die anderen

AuSschußverhandl. d. K. d. Reichsräthe. — XIV. Protokoll.

891

lassen, ähnlich wie es für das gemeine Recht angenommen wird, nqch dem die öffentlichen Wege, Flüsse u. s. w. ebenfalls außerhalb des privatrechtlichcn Verkehrs stehen, den Erwerb von Privatrechten nur insoweit nicht zu, als durch das Privatrecht die öffentliche Zweckbestimmung beeinträchtigt werden würde, erachten dagegen den Erwerb eines Privatrechts für möglich, welches diese Zweckbestimmung unberührt läßt. Der Artikel 674, der sich auf die schadendrohenden Anlagen bezieht, wird von uns beseitigt, weil wir die nachbar­ rechtlichen Beschränkungen, die neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch noch gelten sollen, einheitlich regeln; nachbarrechtliche Beschränkungen, die weder im Bürger­ lichen Gesetzbuch noch in dem Ausführungsgesetz bestimmt sind, bestehen in Zukunft nicht mehr. Außer den von dem Herrn Reichtsrath Hessert angeführten Artikeln kommt meines Wissens noch der Artikel 648 in Betracht, nach welchem die Einfriedigung eines Grundstücks, das einem gegenseitigen Weiderechte unterliegt, die Folge hat, daß der E-genthümer sein Weiderecht nach dem Verhältnisse der Grundfläche, die er durch die Einfriedigung der Beweidung entzieht, verliert. Dieser Satz hat lediglich Bedeutung für bestehende Rechte; denn neue Weiderechte können in der Pfalz ebensowenig mehr begrünoet werden wie in den Landestheilen rechts des Rheins. Die bestehenden Rechte bleiben aber, abgesehen von den Aenderungen, die das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vornimmt und die in unseren Ueberleitungsvorschriften bestimmt werden, unberührt, sie behalten nach Artikel 184 des Einführungsgesetzes den sich aus den bisherigen Gesetzen ergebenden Inhalt, und infolgedessen bleibt auch der Artikel 648 für die bestehenden Weiderechte maßgebend. Vorsitzender: Herr Reichsrath Hessert stellt keinen besonderen Antrag. Wenn auch sonst kein Widerspruch erhoben wird, so darf ich annehmen, daß eine Erinnerung gegen den Beschluß der Redaktionskommission nicht besteht und demnach Artikel 1 Absatz 1 angenommen ist.

Artikel la. Reichsrath Dr. Don Schmitt als Referent: Artikel la soll als Artikel 2a eingestellt werden, weil das der Ordnung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs, welcher unser Entwurf im Ganzen folgt, mehr entspricht.

Vorsitzender: Es besteht keine Erinnerung. Artikel la wird als Artikel 2a eingestellt. Dann käme jetzt Artikel 4 an die Reihe, zu dem ein Antrag von meiner Seite vorliegt. Die Hohen Herren werden sich entsinnen, daß ich bei Gelegen­ heit der Berathung des Entwurfs B die Frage gestellt habe, ob es nicht zweck­ mäßig wäre, eine Definition in das Gesetz aufzunehmen, was unter einer öffentlichen Stiftung zu verstehen ist, weil nach meinen Erfahrungen im Laufe der Zeit die Anschauungen der Behörden in Boyern über diesen Begriff ver­ schieden gewesen sind. Es ist der Begriff der öffentlichen Stiftung bald enger bald weiter gefaßt worden; man war der Anschauung, daß jene Stiftungen, die für öffentliche Zwecke bestimmt waren, worunter man Wohlthätigkeit, Kultus und Erziehung verstand, schon vermöge ihrer Zwecksbestimmung unter den Begriff der öffentlichen Stiftung fallen. Dann fielen auch alle Privatstistungen unter den Begriff einer öffentlichen Stiftung, wenn sie auch nur für eine einzelne Familie bestimmt sind, vorausgesetzt, daß sie einem dieser drei genannten Zwecke folgen. Früher hat die Anschauung bestanden, daß solche Stiftungen nicht als öffentliche zu betrachten seien, wenn sie den Kreis der 57*

892

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Familie nicht überschreiten. Daß unter diesen Umständen eine gewisse Rechts­ unsicherheit eingetreten ist, wird wohl kaum zu läugnen sein, und in Verbindung damit sind Mißstände aufgetreten, deren Beseitigung ich lebhaft wünschen würde. Es ist aber auch noch nach einer zweiten Richtung eine gewisse Unsicher­ heit eingetreten, indem man auf die Frage, in welcher Weise eine Stiftung errichtet werden soll, auf die Analogie mit dem bürgerlichen Rechte angewiesen war. Jetzt tritt das bisher geltende bürgerliche Recht vollständig außer Wirk­ samkeit; demnach kann in Altbayern meiner Ansicht nach die Anwendung des codex Maximilianeus und in der Pfalz des code civil auf diese vorliegende Rechtsmaterie nicht mehr maßgebend sein. Mein Antrag bezweckt deßhalb, daß klipp und klar ausgesprochen werde, was unter Stiftung des öffentlichen Rechtes zu verstehen ist, und daß nach Einführung des Bürgerlichen Gesetz­ buchs die Bestimmungen, welche dasselbe hinsichtlich der Errichtung von reinen Privatstiftungm enthält, auch auf öffentliche Stiftungen Anwendung zu finden haben. Ich stehe mit dieser Anregung nicht allein da. Durch die Protokolle ist meine Anregung, die ich dortmals gemacht habe, in weiteren Kreisen bekannt geworden, und Herren, die sich mit dem Verwaltuugsrechte vielfach zu be­ schäftigen haben, sind an mich herangetreten mit der Bitte, die Sache weiter zu verfolgen und womöglich in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfes noch eine Bestimmung in das Gesetz zu bringen, welche den hervorgetretenen Be­ dürfnissen Abhilfe zu verschaffen geeignet ist. Ich habe daher den Antrag gestellt, der gedruckt in den Händen der Hohen Herren sich befindet. Artikel 4 soll als ersten und zweiten Absatz erhalten: Als Stiftungen deS öffentlichen Rechtes haben diejenigen Stiftungen zu gelten, welche einem öffentlichen Zweck gewidmet sind. Die Bestimmungen des § 80 Satz 1 und 3 sowie die §§ 81 bis 85 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind auf Stiftungen des öffentlichen Rechtes entsprechend anzuwenden. Dann würde der Text des Artikel 4 nach dem Beschlusse des Ausschusses der Kammer der Abgeordneten folgen. Ich erlaube mir hiebei zu erwähnen, daß ich auf dieser Formulierung des Antrags nicht bestehe und daß, wenn etwa eine bessere Formulierung ge­ funden würde, ich mich gerne dieser besseren Formulierung anschließe. Allein wie gesagt, ich glaube, daß man es nicht der Rechtsprechung überlassen soll, erst festzustellen, was eine öffentliche Stiftung ist, sondern daß jetzt die richtige Gelegenheit gegeben ist, gesetzlich diesen Begriff zu fixieren.

Der k. Staatsminister der Justiz Dr. Freiherr von Leonrod: Der Antrag des Herrn Reichsraths von Auer bezweckt eine authentische Interpretation der §§ 80—85 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und geht damit über den Bereich der Landesgesetzgebung hinaus. Soweit es sich bei dem Anträge um die Zuständigkeitsfrage handelt, hat die Landesgesetzgebung freie Hand. Die k. Staatsregierung erachtet es für zweckmäßig, über die Zuständig­ keit eine ausdrückliche Bestimmung zu treffen, und beantragt deshalb, folgenden Artikel 4a einzustellen: Hinsichtlich des Vollzuges von Stiftungsbestimmungen und der Handhabung der Aufsicht über die Stiftungen sind die Verwaltungs­ behörden zuständig, sofern nicht die Stiftung ausschließlich privaten Zwecken dient. Vorsitzender: Ich habe nicht die Befürchtung, die Seine Exzellenz geäußert hat, daß, wenn mein Antrag angenommen werde, wir in Kollision

mit dem Reichsgesetze kämen, daß wir uns damit eine authentische Interpretation desselben anmaßen würden. Wird mein Antrag nicht angenommen, dann bleibt es eben der Interpretation Vorbehalten, darüber zu bestimmen, was eine öffentliche Stiftung ist. Es werden dann in jedem einzelnen Falle die Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben, ob eine öffentliche Stiftung vor­ liegt und ob sie kompetent sind, über die Streitigkeit, welche in Bezug auf die Stiftung entstanden ist, zu entscheiden. Wenn die Verwaltungsgerichts­ behörden diese Berechtigung haben, dann sehe ich nicht ein, warum nicht auch der Staat, der die Verwaltungsgerichtsbehörden einsetzt, die Befugniß haben soll, zu erklären, was er unter einer öffentlichen Stiftung versteht. Es würde da nichts anderes vorliegen, als daß an Stelle der verschiedenen Entscheidungen eine wirkliche Vorschrift, an welche die Verwaltungsgerichtsbehörden gebunden sind, treten würde. Die Fassung, die Seine Exzellenz vorgeschlagen hat, betrachte ich als eine Abschlagszahlung, wenn ich mich so ausdrücken darf; vollständig befriedigt bin ich nicht. Denn hier wird lediglich die Kompetenz geregelt, die ohnedem niemand zweifelhaft sein kann. Es fehlt eben immer noch ein bestimmter Begriff, was eine öffentliche Stiftung ist.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Das bayerische Recht hat den Begriff einer öffentlichen Stiftung in einem besonderen Sinne ausgebildet. Es versteht unter öffentlichen Stiftungen die­ jenigen, deren Zweck ein öffentliches Interesse hat, und die wegen des öffent­ lichen Interesses der Zweckbestimmung Gegenstand einer besonderen staatlichen Fürsorge sind. Als Stiftungen von öffentlichem Interesse werden diejenigen angesehen, die Wohlthätigkeits- oder Kultus- oder Unterrichtszwecken dienen. Das öffentliche Interesse wird sehr weit gefaßt; denn es wird, wie schon der Herr Vorsitzende bemerkt hat, auch bei solchen Stiftungen angenommen» die einem der genannten Zwecke, insbesondere einem Wohlthätigketlszwecke, nur innerhalb des Kreises der Angehörigen einzelner Familien dienen oder die zunächst für andere Zwecke errichtet und nur für den Fall, daß diese weg­ fallen, einem Zwecke von öffentlichem Interesse gewidmet sind. Dieser Sprach­ gebrauch hat seinen Grund darin, daß das geltende Recht keinen Anlaß bietet, eine andere Unterscheidung zwischen den Stiftungen zu machen, als die zwischen den Stiftungen, deren Zweck von öffentlichem Interesse ist, einerseits und den übrigen Stiftungen, die als reine Privatstiftungen bezeichnet zu werden pflegen, andererseits. Die ersteren sind einer besonderen staatlichen Aussicht unterstellt und Streitigkeiten über den Vollzug der Verfassung einer solchen Stiftung gehören zur Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und in gewissen Fällen zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs. Für die reinen Privatstiftungen gelten lediglich die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes; für Ansprüche, die aus einer Bestimmung der Stiftungsverfassung hergeleitet werden, ist der Rechtsweg zulässig. Der Begriff der öffentlichen Stiftung in dem angegebenen Sinne ist nicht identisch mit dem Begriff einer Stiftung des öffentlichen Rechtes im Sinne des § 89 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Das Bürgerliche Gesetzbuch betrachtet eine Stiftung nicht schon deswegen als nicht zu seinem Bereiche ge­ hörig, weil die Landesgesetzgebung sie wegen eines öffentlichen Interesses, das sich mit dem Stiftungszwecke verknüpft, einer besonderen staatlichen Aufsicht unterstellt und Streitigkeiten über den Vollzug der Stiftungsbestimmungen den Verwaltungsbehörden zuweist. Wäre dies ausreichend, um eine Stiftung zu einer Stiftung des öffentlichen Rechtes zu machen, so würde die Anwendbarkeit der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Stiftungen davon abhängen,

894

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

welches Interesse die einzelnen Bundesstaaten an den Stiftungen nehmen, und da, wo regelmäßig Stiftungen die staatliche Genehmigung nur erhalten, wenn der Zweck ein öffentliches Interesse hat, so gut wie ausgeschlossen sein. Die Unterscheidung, die das Bürgerliche Gesetzbuch zwischen Stiftungen des bürger­ lichen Rechtes und Stiftungen des öffentlichen Rechtes macht, ist vielmehr dieselbe wie die zwischen den Körperschaften des bürgerlichen Rechtes und den Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es zwei Arten von juristischen Personen des bürgerlichen Rechtes, Körperschaften und Stiftungen. Die Körper­ schaften des bürgerlichen Rechtes, die der Entwurf I in Uebereinstimmung mit der in den Lehrbüchern gebräuchlichen Beziehung Körperschaften nannte, heißen im Bürgerlichen Gesetzbuche, das sich an den Sprachgebrauch des Lebens an­ geschlossen hat, Vereine. Die Landesgesetzgebung ist nicht gehindert, Vereine, deren Zweck ein öffentliches Interesse hat, unter besondere staatliche Aufsicht zu stellen und Streitigkeiten über den Vollzug der Vereinssatzung vor die Verwaltungsbehörden zu verweisen. Aber sie kann nicht dadurch, daß sie solche Vorschriften z. B. für die Wohlthätigkeitsvereine erläßt, alle Wohlthätigkeits­ vereine zu Körperschaften des öffentlichen Rechtes machen und die Begründung eines Wohlthätigkeitsvereins durch Eintragung in das Vereinsregister des Amts­ gerichts (§ 21 des B. G B.) ausschließen. Ein Wohlthätigkeitsverein bleibt, auch wenn solche Vorschriften getroffen werden, eine Körperschaft des bürger­ lichen Rechtes. Die im § 89 des Bürgerlichen Gesetzbuchs genannten juristischen Personen des öffentliche» Rechtes sind öffentliche Einrichtungen, die kraft des öffentlichen Rechtes die Eigenschaft eines selbständigen Rechtssubjekts haben. Bei den Körperschaften und den Anstalten des öffentlichen Rechtes unterliegt es keinem Zweifel, daß sie zu den öffentlichen Einrichtungen gehören; es gibt jedenfalls auch Stiftungen, die dieselbe Eigenschaft haben, und es ist nicht ein­ zusehen, warum bei den Stiftungen diese Eigenschaft nicht das entscheidende Merkmal sein soll. Das Merkmal der öffentlichen Einrichtung wird auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts für die Bestimmung des Begriffes einer öffentlichen Behörde und eines öffentlichen Beamten verwerthet. Ich beschränke mich auf die Anführung von zwei Urtheilen, in denen dieses Merkmal mit besonderem Nachdrucke betont ist. Ein Urtheil, das im Band 37 der Ent­ scheidungen in Civilsachen Seite 427 ff. abgedruckt ist, findet das Wesen einer öffentlichen Behörde darin, daß sie „eine in den allgemeinen Organismus der Behörden eingegliederte Amtsstelle" sei, daß sie „auf dem Staatsorganismus beruhe, wie dies bei Staats-, städtischen und Gemeindebehörden der Fall ist", daß sie ein „organischer Bestandtheil der Behördenverfassung" sei. Der Be­ griff des öffentlichen Beamten ist in einem Urtheile eingehend erörtert, das sich im Band 29 der Entscheidungen in Strafsachen (Seite 185 ff.) findet. Es war in einer bayerischen Sache die Frage zu entscheiden, ob der Widerstand eines Fabrikbesitzers gegen die Revision eines Dampfkessels durch eine« Techniker, der von einem Dampfkesselrevistonsverein angestellt ist, als Widerstand gegen die Staatsgewalt anzusehen sei. Die Frage wurde verneint. Das Reichs­ gericht hat ausgeführt, daß die Techniker der Dampfkesselrevistonsvereine, die nach der Bekanntmachung vom 24. Januar 1871 von der Kreisregierung zu Prüfungskommissären für die in dem Regierungsbezirke befindlichen Dampfkessel und Dampfapparate ernannt wurden, mit der Ernennung „in den Staats­ organismus eingefügt" waren und damit Beamte wurden. Anders verhalte es sich mit den Vereinstechnikern, die nach der Verordnung vom 28. Juni 1892 zu der Revision berufen sind. Nach der Verordnung kann den Vereinen

gestattet werden, die Revisionen durch die Vereinstechniker vornehmen zu lassen. Die Mitglieder sind von der Revision durch die amtlichen Prüfungskommissäre befreit, wenn der Verein die Revision durch seinen Techniker vornimmt. Das Reichsgericht untersucht, ob der Techniker nicht im mittelbaren Staatsdienste stehe, und verneint die Frage, weil dieser „die Herbeiführung staatlicher Zwecke durch ein dem Staate untergeordnetes, organisch in dessen Verfassung eingereihtes Mittelglied" erfordere, während hier der Staat einen Privatbeamten im Vertrauen auf dessen Zuverlässigkeit benützt habe, „um sich der eigenen Thätigkeit zu enthalten." Aehnlich verhalte es sich mit Privatlehranstalten, deren Prüfungen in gewissen Beziehungen, z. B. für die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst, die staatlichen Prüfunqen ersetzen. Solche Lehranstalten seien keine öffentlichen Anstalten, sondern Privatanstalten, aber sie erfüllten einen Zweck, den sonst nur staatliche Anstalten zu erfüllen be­ rufen seien. Bei den im § 89 genannten juristischen Personen mutzte das Bürgerliche Gesetzbuch sich auf Die dort gegebenen Vorschriften beschränken; die Entstehung, die Verfassung und das Erlöschen der juristischen Personen des öffentlichen Rechtes liegt autzerhalb des Bereichs des bürgerlichen Rechtes. Das bürger­ liche Recht hat sich mit diesen Gebilden des öffentlichen Rechtes nur insoweit zu befassen, als sie in den privatrechtlichen Verkehr, in vermögensrechtliche Beziehungen eintreten. Die besonderen Vorschriften, welche für sie als privat­ rechtliche Rechtssubjekte erforderlich sind, deren der privatrechtliche Verkehr ihnen gegenüber bedarf, sind im § 89 getroffen. Bei den juristischen Personen des bürgerlichen Rechtes ist die Regelung der Entstehung, der Verfassung und des Erlöschens Ausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Das Bürgerliche Gesetz­ buch regelt aber auch bei ihnen nicht alle Beziehungen, sondern nur die privat­ rechtlichen, nicht die des öffentlichen Rechtes. Das öffentliche Recht kann sie, wie ich schon bemerkt habe, einer besonderen Aufsicht unterwerfen, was nicht nur in Bayern, sondern auch in andern deutschen Staaten bei Stiftungen, die einem Zwecke von öffentlichem Interesse gewidmet sind, geschehen ist. Die Entwürfe des Einführungsgesetzes behielten die Vorschriften der Landesgesetze über die Beaufsichtigung juristischer Personen ausdrücklich vor; der Vorbehalt wurde aber als selbstverständlich gestrichen, weil der Artikel 55 des Einführungsgefetzes nur die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze aufhebt, das öffentliche Recht aber unberührt läßt. Der § 80 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der in Ansehung der Verfassung der Stiftungen auf die Landesgesetze verweist, erhält auch die landesgesetzlichen Vorschriften in Geltung, nach welchen Stift­ ungen von öffentlichem Jnieresse, sofern nicht ein besonderer Stiftungsvorstand bestellt ist, von öffentlichen Behörden verwaltet werden. Ebenso verbleibt es bei der landcsgesetzlichen Bestimmung der Zuständigkeit für den Vollzug der Stiftuntzsbestimmungen mit Einschlutz der Streitigkeiten über Ansprüche, die aus der Stiftungsverfassung hergeleitet werden. Der § 13 des Gerichts­ verfassungsgesetzes läßt der Landesgesetzgebung hierin freie Hand. Es werden also diejenigen Einrichtungen, welche bisher in Bayern die Grundlage für die Unterscheidung zwischen öffentlichen Stiftungen und reinen Privatstiftungen bildeten, in keiner Weise berührt, und cs steht nichts im Wege, auch in der Zukunft von öffentlichen Stiftungen in diesem Sinne zu sprechen. Die öffentlichen Stiftungen in diesem Sinne können sowohl Stiftungen des öffentlichen, wie Stiftungen des bürgerlichen Rechtes sein. Die Stiftungen des bürgerlichen Rechtes entstehen nach den §§ 80—84 des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Stiftungsgeschäft und die staatliche

896

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Genehmigung. Eine Stiftung des öffentlichen Rechtes kann nicht einfach nach den §§ 80—84 des Bürgerlichen Gesetzbuchs begründet werden; denn die Schaffung einer öffentlichen Einrichtung ist Sache der öffentlichen Gewalt. Der Entwurf I des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 62 Abs. 1) sprach deshalb von der Errichtung einer Stiftung „mittelst Staatsakts". Stiftungen des öffentlichen Rechtes können nicht nur vom Staat, sondern auch von einer Gemeinde errichtet werden. Dies geschieht nicht selten aus Anlaß einer letzt­ willigen Verfügung, durch die der Gemeinde Vermögen mit der Auflage zu­ gewendet wird, mit diesem Vermögen eine Stiftung zu errichten. Der Erblasser macht die Zuwendung zu dem Zwecke, damit eine Stiftung des öffentlichen Rechtes begründet wird; die Begründung der Stiftung erfolgt aber durch die Gemeinde. Es ist auch möglich, daß jemand ein Stiftungsgeschäft, sei es unter Lebenden oder von Todeswegen, zu dem Zwecke vornimmt, daß eine Stiftung des öffentlichen Rechtes zur Entstehung kommt. Er widmet z. B. zur Förderung der Naturwissenschaften ein Kapital für den Zweck, daß eine Akademie der Wissenschaften jedes Jahr eine Preisaufgabe stellt, die ein­ kommenden Arbeiten prüft und den Preis zuerkennt. Der Stifter kann nicht der Akademie der Wissenschaften, die eine staatliche Einrichtung ist, die Pflicht auferlegen, sich mit den von ihm gewünschten Preisaufgaben zu befassen; zur Entstehung der Stiftung genügt es daher nicht, daß sie durch staatliche Ge­ nehmigung Rechtsfähigkeit erlangt, sondern es muß noch etwas Weiteres hinzu­ kommen, die dem Stiftungszwecke entsprechenden Obliegenheiten müssen in den Kreis der Aufgaben der Akademie ausgenommen werden, und dies kann nur durch eine- staatliche Verfügung geschehen, die freilich mit der die Rechtsfähigkeit verleihenden Genehmigung verbunden und mit dieser stillschweigend getroffen werden kann. Das Stiftungsgeschäft ist auch in diesem Falle ein Rechts­ geschäft des bürgerlichen Rechtes; der einzelne handelt, indem er über sein Vermögen verfügt und es dem Stiftungszwecke widmet, nicht auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, sondern auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechtes, er nimmt das Stiftungsgeschäft des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor, das nicht deswegen ausgeschlossen ist, weil die Stiftung mit ihrer Entstehung zu einer öffentlichen Einrichtung gemacht wird. Die Landesgesetzgebung kann deshalb nicht, was nach der entgegengesetzten Auffassung möglich wäre, das Stiftungs­ geschäft von Todeswegen, das die Begründung einer Stiftung des öffentlichen Rechtes bezweckt, von den Formvorschriften befreien, die das Bürgerliche Gesetz­ buch für Verfügungen von Todeswegen gibt. Es kommt auch sonst vor, daß Privatrechtsgeschäfte zu einem Zwecke vorgenommen werden, der dem öffent­ lichen Rechte angehört. Die Steuerpflicht z. B. ist eine Pflicht des öffentlichen Rechtes, die auf eine Geldleistung gerichtet ist. Das Rechtsgeschäft, durch welches der Steuerpflichtige bei der Entrichtung der Steuer das Eigenthum an seinen Geldstücken auf den Staat überträgt, ist ein Rechtsgeschäft des bürgerlichen Rechtes, der Erwerb des Eigenthums an den Geldstücken durch den Staat bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Landesgesetzgebung kann darüber nicht Bestimmungen treffen. Ich kann meine Ausführungen dahin zusammensaffen, daß der Begriff der öffentlichen Stiftungen, wie er sich im bayerischen Recht ausgebildet hat, für die Beziehungen, für welche er bisher maßgebend war, unberührt bleibt und seine bisherige Bedeutung behält; daß der Unterschied zwischen Stiftungen des öffentlichen Rechtes und Stiftungen des bürgerlichen Rechtes derselbe ist wie zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechtes und Privatkörperschaften (Vereinen), und daß für das Stiftungsgeschäft, durch das der einzelne sein

Ausschußverhandl. d. S. d. RcichsrLthe. — XIV. Protokoll.

897

Vermögen einem Stiftungszwecke widmet, immer die Vorschriften des Bürger­ lichen Gesetzbuchs gelten.

Es bedarf deshalb nicht nur nicht einer landesgesetzlichen Vorschrift, welche die Vorschriften des § 80 Satz 1, 3 und der §§ 81 bis 84 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf ein Stiftungsgeschäft überträgt, das Vermögen zur Errichtung einer Stiftung des öffentlichen Rechtes widmet, sondern es ist für eine solche landesgesetzliche Vorschrift kein Raum. Von den deutschen Staaten hat deshalb keiner eine solche Vorschrift in den Entwurf seines Aus­ führungsgesetzes ausgenommen. Anders verhält es sich mit der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden in Stiftungssachen. In Bezug auf die Zuständigkeit hat die Landesgesetzgebung freie Hand. Da Zweifel darüber entstanden sind, ob der Begriff der Stiftung des öffentlichen Rechtes, der enger ist als der der öffentlichen Stiftung, nicht in Zukunft für die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Verwaltungs­ behörden und den Gerichten maßgebend sei, so wünscht die k. Staatsregierung, daß der Artikel 4a ausgenommen wird, den Seine Exzellenz dem Herrn Vorsitzenden übergeben hat. Das bayerische Recht hat nämlich einen geschriebenen Rechtssatz dieses Inhalts nicht. Der Artikel 8 Ziffer 35 des Gesetzes über den Verwaltungsgerichtshof setzt die Zuständigkeit der Ver­ waltungsbehörden voraus, er zieht nicht die Grenze zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden in Stiftungssachcn, sondern bestimmt, welche von den zur Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gehörenden Stiftungs­ sachen Verwaltungsrechtssachen sind, und spricht deshalb von Stiftungen schlecht­ hin, nicht von öffentlichen Stiftungen. Um nun der Rechtsübung, auf welcher die Bestimmung der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden beruht, eine feste Grundlage zu geben, soll der Artikel 4a ausgenommen werden, der lediglich das ausspricht, was schon jetzt geltendes Recht ist. Wenn der Herr Vor­ sitzende in der Fassung des Artikel 4a den Begriff der öffentlichen Stiftung vermißt, so glaube ich, er wird bei näherem Zusehen diesen Begriff darin sinden. Er ist insofern darin enthalten, als der Artikel diejenigen Stiftungen ausnimmt, die nicht zu den öffentlichen Stiftungen gehören. Der dem Artikel zu Grunde liegende Gedanke ist der, daß die Verwaltungsbehörden für die öffentlichen Stiftungen zuständig sind; dieser Gedanke wird dahin ausgedrückt, daß die Verwaltungsbehörden für alle Stiftungen zuständig sind, welche nicht ausschließlich privaten Zwecken dienen. Damit ist gesagt, daß alle Stiftungen, die nicht ausschließlich privaten Zwecken dienen, öffentliche Stiftungen im Sinne des bayerischen Rechtes sind. Die Fassung dürfte der des Herrn Vorsitzenden deswegen vorzuziehen sein, weil der in dieser gebrauchte Ausdruck „öffentlicher Zweck" zu Zweifeln Anlaß geben könnte. Die Zuständigkeit der Verwaltungs­ behörden bildet insofern thatsächlich die Regel, als verhältnismäßig wenige Stiftungen ausschließlich privaten Zwecken dienen, es ist deshalb gerechtfertigt, die Ausschließung der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bei diesen Stift­ ungen als Ausnahme hinzustellen.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ich kann mich nach den Ausführungen und Darlegungen des Herrn Ministerialkommissärs kurz fassen. Es kommt nach meinem Dafürhalten bei der uns vorliegenden Frage darauf an: 1. bringt uns eine solche Bestimmung praktisch weiter und 2. ist sie von einem Inhalte, zu welchem die Landeslegislative die Macht besitzt? Der Vorschlag des Herrn Vorsitzenden ist in zwei Absätzen niedergelegt. Der Absatz 1 sagt:

898

IV. Abtb.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Als Stiftungen des öffentlichen Rechtes haben diejenigen Stiftungen zu gelten, welche einem öffentlichen Zweck gewidmet sind. Der Absatz 2 sagt: Die Bestimmungen über Entstehung, Sitz und Verfassung der öffentlichen Stiftungen sollen dieselben sein wie sie reichsrechtlich für Privatstiftungcn gelten. Was den Absatz 2 betrifft, so, glaube ich, ist, was derselbe sagt, zulässig, und an sich ganz unbeanstandbar; was im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, kann auch auf öffentliche Stiftungen, die auf Privatakt beruhen, ganz gut ange­ wendet werden. Aber die Vorschrift des Absatzes ist zu eng, weil sie nicht erkennen läßt, daß ein Gleiches nicht gelten soll für Stiftungen, die auf Staatsakt beruhen, was ja unmöglich wäre. Den Absatz 1 halte ich für den bei weitem wichtigeren, da er eine Begriffsbestimmung der öffentlichen Stiftung geben will. Logisch enthält aber, was er sagt, keine Begriffsbestimmung. Der Begriffe, um die es sich hier handelt, ist eine Mehrzahl: Der Begriff der Stiftung, des Zweckes, des „öffentlich". Nun sagt der Vorschlag: Stiftungen, welche einem öffentlichen Zweck gewidmet sind, sollen öffentliche fein. Ich frage, was sind öffentliche Zwecke ? Das muß gesagt werden; so lange das nicht gesagt wird, werde ich von Pontius zu Pilatus gewiesen. Ich muß dann fragen, was sind denn eigentlich öffentliche Zwecke, und da liegt der Zankapfel. Sind als öffentliche Zwecke im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten z. B. alle Zwecke, die allen insgemein dienen oder bloß staatlichen die vom Staat innerhalb seiner Organi­ sation verfolgten Zwecke? Das ist die Frage, und das sagt uns die Be­ stimmung nicht. Also nach meinem Dafürhalten führt uns dieser Vorschlag praktisch gar nicht weiter. Allein der Vorwurf, den ich dem Vorschläge mache, trifft, wenn es ein Vorwurf ist, schon das Bürgerliche Gesetzbuch. Das sagt uns auch nicht, was öffentliche und was private Stiftungen sind, sondern es setzt voraus, daß dieser Begriff feststeht. Es macht nur Gebrauch von dieser anderweit bestehenden Unterscheidung und der Aufsatz von Seydels thut das Gleiche; ebenso der Vorschlag von Auer. Können wir denn in der That durch eine bayerische Gesetzesbestimmung etwas anderes setzen als das, was die Natur der Sache mit sich bringt? Es gibt Dinge, über die die Gesetzgebung voraussetzungsweise hinweggeht, so auch bei dem, was öffentlich, was staatlich ist u. dgl. Wir brauchen das nicht zu sagen, weil es die Natur der Dinge ergibt. Ich frage aber, wenn wir hier den Begriff „öffentlich" näher definieren wollten, könnten wir uns da beschränken auf die Stiftungen? Wir müßten sebr viel weiter gehen. Das ist aber weder möglich noch nöthig. Ich glaube also, es bringt uns der gemachte Vorschlag nicht weiter, und er ist insoferne bedenklich, als darin gefunden werden könnte, daß man in der That von dem abweichen wolle, was die Natur der Dinge mit sich bringt. Ich fasse „öffentlich" im Gegensatz zu „privat", das öffentliche Recht im Gegensatz zum jus privatorum. Das sind feststehende Grundbegriffe. Was nun den Vorschlag der k. Staatsregierung anlangt, so hütet sie sich wohl, eine Begriffsbestimmung des „Oeffentlichen" und des „Privaten" zu geben. Darum ist ihr Vorschlag jedenfalls nicht der Gefahr ausgesetzt, daß man ihm entgegenhalten kann: Du bestimmst hier etwas, was Du nicht bestimmen kannst. Er hält sich konkret an die Frage der Zuständigkeit und bezüglich dieser beschränkt er sich darauf, abzugrenzen, dazu sind wir aus­ drücklich kraft Reichsgesetzes befugt. Also in Bezug auf die Zuständigkeit

können wir Bestimmungen treffen. Was nun die Frage betrifft, wie die Zu­ ständigkeit vom Regierungsvorschlag geordnet ist, so können wir vielleicht sagen: das geht wohl etwas weit, wenigstens in Ansehung des Vollzuges der Stiftungsbestimmungen, keineswegs aber hinsichtlich der Aufsicht über die Stiftungen. Das muß so sein. Anlangend den Vollzug der Stiftung, so können wir deshalb die Verwaltungsbehörden für zuständig erklären, weil wir überhaupt die Zuständigkeit vertheilen können und in dieser Beziehung frei sind. Ich halte aber den Vorschlag der k. Staatsregierung nicht bloß für zulässig, sondern auch für praktisch. Er stellt fest, was bisher bestritten war, er bringt eine Klärung. Soweit es sich um den Vollzug von Stifiungsbestimmungen handelt uud soweit es sich um die Aufsicht von Stiftungen handelt, kann die Staatsverwaltung Vorschriften geben. Das liegt innerhalb ihres Berufs­ kreises und dann zweifle ich nicht, daß dabei der richtige Gegensatz von privaten und öffentlichen Stiftungen getroffen werden wird, obschon nicht darin steht, was eine private und was eine öffentliche Stiftung sei. Der Herr Ministerialkommissür hat Beispiele gebracht: Der Zweck der Wohlthätigkeit, des Kultus und des Unter­ richts. Es erschöpfen dieselben wohl nicht einmal den Begriff des „Oesfcntlichcn" ganz, aber der Charakter dessen, was hier als öffentlich angesehen werden soll, wird doch selbst durch diese Beispiele gekennzeichnet. Unter solchen Umständen würde ich dem Vorschläge der k. Staatsregierung zustimmen, ich wiirde glauben, man habe in der That etwas Praktisches gethan, wenn man denselben zum Gesetz erhebt. Reichsrath Dr. von Bechmann: Ich halte meinerseits auch, nachdem ich mich eingehender mit der Sache beschäftigt habe, den Absatz 1 des Vor­ schlages des Herrn Vorsitzenden für unzulässig, weil darin nach meiner Ueberzeugung eine authentische Interpretation des Reichsgcsetzes liegen würde, wozu wir nicht befugt sind, und was, wenn wir uns die Konsequenzen klar machen, allerdings dazu führen würde, daß wir ebenso bestimmen können, was unter „Korporation des öffentlichen Rechtes" zu verstehen ist, also z. B. daß politische Vereine als Korporationen des öffentlichen Rechts zu betrachten sind, und ihnen dadurch die Möglichkeit als eingetragene Vereine existent zu werden, entziehen. Den Vorschlag kann ich nicht annehmen. Auch muß ich Seiner Exzellenz dem Herrn Reichsrath Dr. von Schmitt zustimmen, daß sachlich mit dem Vorschläge nicht viel gedient ist, daß Unbekanntes nur durch Un­ bekanntes erklärt wird. Der Absatz 2 würde nach meinem Dafürhalten keinem Bedenken unter­ liegen; denn wir sind berechtigt, die Stiftungen des öffentlichen Rechtes zu regeln. Aber ich glaube, daß bei dieser Gelegenheit dazu keine Veranlassung gegeben ist, und daß vorläufig der Vorschlag der k. Staatsregierung voll­ ständig ausreicht, um etwaige Zweifel zu beseitigen. Es bleibt der Begriff „öffentliche Stiftung" wie bisher, und es werden nur Zweifel in Bezug auf die Zuständigkeit von vorneherein ausgeschlossen; Wohl aber scheint mir aus der ganzen Verhandlung hervorzugehen, daß ein Bedürfniß besteht, die Ver­ hältnisse der Stiftungen des öffentlichen Rechtes auch einmal gesetzlich zu normieren. Dazu sind wir kompetent und ich glaube, daß zu den mancherlei Gesetzen, die durch das Bürgerliche Gesetzbuch noch veranlaßt werden, auch ein solches gehört. Damit würden die Schwierigkeiten erledigt. Ich würde mich meinerseits für den Vorschlag der k. Staatsregierung aussprechen.

Vorsitzender: Ich erlaube mir, in kurzem meine Ansicht zu begründen. Der Herr Ministerialkommissür hat gesagt, daß die bisherigen Grund­ lagen in Bezug auf öffentliche Stiftungen unberührt bleiben. Ja, das ist eben

mein Zweifel, ich ftnde keine Grundlage. Die Grundlagen bestehen nicht, und was nicht ist, bleibt allerdings unberührt, und insoferne kann ich dem Herrn Senatspräsidenten zustimmen. Ich muß hervorheben, daß zu unter­ scheiden sein dürfte zwischen bestehenden und neu zu gründenden Stiftungen. Bezüglich der letzteren Kategorie hätte ich besondere Bedenken nicht. Diese Stiftungen sind immer von der Genehmigung der k. Staatsregierung abhängig, und diese kann erklären, daß eine Stiftung, die errichtet wird, als eine öffent­ liche betrachtet wird. Damit ist mein Bedenken vollständig beseitigt. Dann ist die Voraussetzung für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gegeben. Die große Mehrzahl der Stiftungen aber ist außerordertlich alt und reicht in eine trühe Zeit zurück. Bezüglich dieser, die auch unter anderen sozialen und rechtlichen Verhältnissen gegründet worden sind, bestehen Zweifel hinsichtlich ihrer Eigenschaft, ob sie öffentlicher oder privater Natur sind. Diese geben die Veranlassung zu diesen Streitigkeiten und diese Streitigkeiten abzuschneiden, bezielt mein Antrag. Wenn man erklärt, daß damit auch noch keine Definition geschaffen ist, weil man nicht weiß, was öffentlicher Zweck ist — ja wenn man eine Bestimmung über die Verwerthung des Holzes gibt, so kann man darin doch nicht noch eine Bestimmung dessen, was Holz ist, aufnehmen, und ich glaube, daß der Begriff des öffentlichen Zweckes so klar ist, wie der Be­ griff des Holzes. Ich bin daher der Anschauung, daß, wenn diese Bestimm­ ung in das Gesetz ausgenommen wird, meinen Bedenken vollständig Rechnung getragen wird, die ich geltend gemacht habe. Wird dieser Antrag, wie es allerdings scheint, abgelehnt, dann besteht eben der Zustand fort, oder die Grundlage, wie der Herr Senatspräsident sich ausgedrückt hat, die jetzt besteht, und in jedem einzelnen Fall müssen die betreffenden Behörden und Gerichte darüber entscheiden und sich schlüssig machen, ob sie eine öffentliche Stiftung als gegeben anerkennen, oder ob das nicht der Fall ist. Ich weiß ja, daß es jetzt das Prinzip der gegewärtigen Gesetzgebung ist, alles dem Richter zu überlassen. Dieser wird das Richtige schon finden. Zur Zeit kann uns niemand sagen, was eine öffentliche Stiftung ist. Wenn nun das niemand weiß, wenn das Gesetz eine Bestimmung darüber nicht trifft, bleibt nichts anderes übrig, als daß im einzelnen Falle der Richter sich den Begriff zurecht legt und erst nach Herbeiholung natürlicher und künstlicher Aufklärung zu einem bestimmten Begriffe kommt. Ich glaube doch, daß es richtig wäre, wenn man, anstatt dem Richter im einzelnen Falle diese Freiheit zu eröffnen, von Gesetzeswegen eine Bestimmung treffen würde und deshalb würde meiner Ansicht nach mein Antrag sehr wohl gerechtfertigt sein. Daß er an und für sich gerechtfertigt ist, zeigt auch die Aeußerung des Herrn Reichsrathes von Bechmann, daß die Regelung der Verhältnisse der öffentlichen Stiftungen

durch einen Gesetzgebungsakt dringend nothwendig ist. Wenn ich die geäußerten Anschauungen richtig aufgefaßt habe, so besteht eigentlich der Grund, warum man auf meinen Antrag nicht eingeht, nur in der Schwierigkeit, den Begriff zu fixieren. Die Nothwendigkeit, ihn zu fixieren, habe ich eigentlich nicht widerlegt gefunden und deshalb glaube ich, daß, wenn mein Antrag heute keinen Erfolg hat, derselbe nicht umsonst gestellt worden ist, da er die zwingende Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung dieser Frage dargethan hat. Der k.Ministerialkommissär,Senatspräsident Dr.von Zacubezky: Ich möchte, weil der Herr Vorsitzende besonderes Gewicht auf die Zweifel gelegt hat, die sich bei den bestehenden Stiftungen ergeben können, mir die Bemerkung gestatten, daß die Frage, ob eine bestehende Stiftung eine Stiftung

Ausschußverhandl. d. K. d. Reichsräthe. — XIV. Protokoll.

901

des bürgerlichen oder eine Stiftung des öffentlichen Rechtes ist, nur sehr selten praktisch werden wird. Der Satz des § 85 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, daß für die Verfassung einer Stiftung, soweit nicht gesetzliche Bestimmungen be­ stehen, die Stiftungsurkunde maßgebend ist, gilt, obwohl er im bayerischen öffentlichen Recht nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, zweifellos auch auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes. Die im § 86 für anwendbar erklärten Vor­ schriften kommen für die Stiftungen des öffentlichen Rechtes nur insoweit in Betracht, als sie nach dem § 86 auch für Stiftungen gelten, die unter der Verwaltung einer öffentlichen Behörde stehen. Dabei handelt es sich, abge­ sehen von dem § 31, der nach § 89 auch für die Stiftungen des öffentlichen Rechtes gilt, nur um die §§ 26, 30, die mit dem öffentlichen Rechte im Einklänge stehen. Nun kommen noch die Vorschriften der §§ 87, 88 über Umbildung und Aufhebung der Stiftung in Betracht. Umbildung und Auf­ hebung einer Stiftung sind ganz seltene Vorkommnisse, und außerdem haben wir gerade für die Stiftungen, bei denen es mitunter zweifelhaft sein mag, ob sie dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Rechte angehören, für die ört­ lichen, die Unterscheidung gegenstandslos gemacht durch die Aenderung der Gemeindeordnungen, in der Beilage B. Nach den Artikeln 25, 26 dieses Entwurfes sollen die Vorschriften des § 87 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch für die Stiftungen des öffentlichen Rechtes gelten. Ich glaube also, daß für die Praxis kein anderes Bedürfniß besteht, als dasjenige, dem durch den Vorschlag der k. Staatsregierung abgeholfen wird.

Vorsitzender: Ich möchte mich zum Schluß noch über den Vorschlag der k. Staatsregierung äußern: recht viel Werth lege ich diesem Vorschlag nicht bei, denn einmal wird damit nur festgestellt, was bisher ohnehin schon zweifel­ los war. Daß über die Rechtsverhältnisse öffentlicher Stiftungen die Ver­ waltungsbehörden zu entscheiden haben, darüber hat meiner Ansicht nach weder bei den Gerichten noch bei den Verwaltungsbehörden bisher ein Zweifel bestanden, damit werden eigentlich offene Thüren eingerannt. Allein, wie ge­ sagt, in Ermangelung von etwas Besserem werde ich mich zur Zustimmung zu diesem Antrag entschließen können. Wir schreiten nun zur Abstimmung. Mein Antrag ist der weiter gehende und er wird demnach zuerst zur Abstimmung zu kommen haben. Wenn er auch die Zustimmung des Hohen Ausschusses nicht erlangt, so wird er doch, wie ich schon bemerkt habe, jedenfalls zur Grundlage für eine weitere Ver­ folgung der in diesem Antrag liegenden Rechtsanschauung dienen können. Diejenigen Hohen Herren, welche für meinen Antrag sind, bitte ich, die Hand empor zu heben. (Geschieht.) Mein Antrag ist abgelehnt. Dann kommt der Antrag der k. Staatsregierung; ich bitte diejenigen Hohen Herren, welche mit demselben einverstanden sind, die Hand empor zu heben. (Geschieht.) Der Antrag ist einstimmig angenommen. Nun können wir weiter gehen. Artikel 5.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Artikel 5 hat zu lauten: Zahlungen aus öffentlichen Kaffen sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, an der Kasse in Empfang zu nehmen, welche die Zahlung zu leisten hat. Das ist der Wortlaut des Beschlusses der 1. Lesung. Vorsitzender: Dagegen wird nichts zu erinnern sein.

902

IV. Abth. Aussührungsgesctz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Artikel 7. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Artikel 7 wurde zu­ nächst die Ueberschrift abgeändert, indem statt der Mehrzahl die Einzahl gesetzt wurde; es ist auch dies entsprechend dem Beschlusse der ersten Lesung.

Vorsitzender: Es besteht keine Erinnerung. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel 7 Absatz 3 enthielt einen Zusatz, welchen der Ausschuß der Kammer der Abgeordneten beschlossen hat. Der Zusatz ging dahin: Der Wirth kann, unbeschadet des sich aus den allgemeinen Vor­ schriften ergebenden Rücktrittsrechts, von dem Vertrage zurücktreten, wenn der Brauer in einem Zeitraume von drei Monaten zweimal vertragswidrige Lieferungen gemacht und der Wirth ihm die mangel­ hafte Beschaffenheit des Bieres unverzüglich nach der Wahrnehmung des Mangels anqezeigt hat. In erster Lesung des Hohen Ausschusses wurde die Streichung des Absatzes beschlossen und hier ist nichts weiter vorgeschlagen. Der erste Präsident: Der Gedanke, welcher in Absatz 3 niedergelegt ist, ist ein vollständig richtiger, und ich kann in Paranthese beifügen, daß er in meinen Bierabgabeverträgen enthalten ist. Er ist nur falsch ausgedrückt. Der Fehler in diesem Absatz ist nach meiner Ueberzeugung, daß von „vertrags­ widrigen Lieferungen" die Rede ist. Der Begriff der vertragswidrigen Lieferung ist nicht bestimmt genug, er kann drshalb Widerspruch erzeugen. Bei meinen Verträgen ist die zweimalige Beschlagnahme des Bieres durch die Polizei­ behörde für das Ausfuhrrecht des Wirths unter der Zeit Bedingung. Es muß also das Bier als verdorben oder gesundheitsschädlich zweimal beschlag­ nahmt worden sein, dann kann der Wirth bei mir ausfahren unter der Zeit, wann er will; Streitigkeiten über die Voraussetzungen des Ausfuhrrechts des Wirths können so nicht wohl entstehen. Ich bin einverstanden, daß dieser Absatz wie er hier steht, gestrichen wird. Doch da habe ich noch ein Bedenken hinsichtlich des zweiten Absatzes. Es heißt dort, „so hat der bisherige Inhaber dafür einzustehen, daß der neue Inhaber in den Vertrag eintritt". Bisher war der Rechtsstandpunkt der, daß der neuübernehmende Wirth nicht berechtigt war, vor dem Ende des Sudjahres auszufahren; ich habe noch in der jüngsten Zeit darüber Streitigkeiten gehabt. Der juristische Grundsatz ist ja ein vollständig richtiger: nemo in alterum plus Juris transferre potest quam ipse habet: das war das bisherige Gesetz. Der Käufer eines Wirthsanwesens wußte bei dem Kaufe, daß er diese Pflicht über­ nahm. Nun ist dem Bräuer gar nichts gedient, wenn der bisherige Inhaber dafür einstehen muß, daß der andere seine Pflicht erfüllt; davon hat er nichts, wenn der andere nicht selbst verpflichtet ist. Nehmen Sie an, daß ein Wirths­ haus auf der Gant versteigert wird und auf den Dritten übergeht; Ent­ schädigung bekomme ich doch nicht. Es genügt also dieser 2. Absatz in dieser Form nicht.

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Der Absatz 2 hat diesen Inhalt erhalten, weil wir mehr nicht machen können, weil der Vorbehalt des Artikel 18 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch die Landesgesetzgebung nicht ermächtigt, weiter zu gehen'. Nach dem Artikel 18 kann die Landcsgesetzgebung nur Dispositiv-Vorschriften über den Inhalt des Vertrages, der zwischen dem Wirth und dem Bräuer abgeschlossen wird, geben,

Ausschußverhandl. d. S. d. Reichsräthe — XIV. Protokoll.

903

sie kann nur das sich aus dem Vertrag ergebende Schuldverhältniß zwischen dem Wirth und dem Bräuer für den Fall regeln, daß nicht besondere Ver­ einbarungen getroffen werden. Die Landesgesetzgebung kann nur den Vertrags­ willen der Parteien durch solche Bestimmungen ergänzen, welche die Parteien selbst durch Vereinbarung festsetzen können. Die Parteien können aber nicht durch einen auf Begründung eines Schuldverhältnisses gerichteten Vertrag eine Verbindlichkeit eines Dritten schaffen. Wenn nach dem geltenden Rechte der neue Inhaber des Geschäfts ohne weiteres an den Vertrag gebunden ist, so ist das nicht eine dem Vertrag als solchem zukommende Wirkung, sondern es beruht auf einer besonderen gesetzlichen Vorschrift. Diese füllt nunmehr weg, und wir können dem Vertrag keine andere Wirkung beilegen als eine solche, die die Parteien auch durch besondere Vereinbarung herbeiführen können. Die Haftung eines Sondernachfolgers, der das Geschäft erwirbt, gehört nicht zu den Wirkungen, die die Parteien vereinbaren können. Ist der Wirth Eigenthümer des Grundstücks, auf dem er sein Gewerbe betreibt, so kann er das Grundstück mit einer Sicherungshypothek oder etwa mit einer Reallast zu Gunsten des Brauers belasten und dann kommt der Satz „nemo plus Juris in alium transferre potest quam ipse habet“ zur Anwendung. Aber darum handelt es sich hier nicht, wir haben es lediglich mit einem Schuldverhältnisse zu thun, mit den Verbindlichkeiten aus einem Lieferungsvertrag, einem Kaufvertrag über eine erst herzustellende Waare. Eine solche Geschäftsverbindlichkeit geht auf den neuen Inhaber des Geschäfts nur unter den im § 25 des Handelsgesetzbuchs bestimmten Voraussetzungen über, für andere Fälle kann Haftung des neuen Inhabers weder durch Vertrag zwischen dem bisherigen Geschäftsinhaber und einem Dritten noch durch die Landesgesetzgebung bestimmt werden. Der Entwurf will, soweit es möglich ist, die Wirkung herbeiführen, die das bisherige Recht durch die nunmehr wcgfallende Vorschrift des § 12 des Gesetzes vom 23. Mai 1846 erreichte. Der Artikel 7 Abs. 2 führt allerdings nicht zum Ziele, wenn der bisherige Inhaber nichts hat, wenn von ihm nichts zu erlangen ist, er kann demjenigen nicht helfen, der sich mit einem zahlungs­ unfähigen Schuldner eingelassen hat. Aber wenn der Wirth zahlungsfähig ist, so ist er durch den Artikel 7 Absatz 2 gezwungen, bei der Veräußerung seines Geschäfts mit dem neuen Inhaber die Vereinbarung zu treffen, daß dieser in den Vertrag eintritt; denn andernfalls muß er Schadensersatz bezahlen. Er wird sich also ausbedingen, daß der Erwerber in den Bierlieferungsvertrag eintritt, und damit kommt auch der Bräuer zum Ziele. Das Auskunftsmittel des Artikel 7 Abs. 2 ist also nicht werthlos, wenn es auch in dem Falle versagt, daß der Wirth nichts hat. Im Falle des Konkurses ist übrigens der Konkurs­ verwalter schon jetzt nicht an den Vertrag gebunden, der Brauer kann, wenn der Konkursverwalter sich nicht für die Erfüllung des Vertrags entscheidet, nur seine Forderung auf Schadensersatz als Konkursgläubiger geltend machen. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Es sind zwei Fälle möglich: Der jetzige Inhaber des Geschäfts verpflichtet den Dritten durch Vertrag einzutreten, oder er unterläßt das. Unterläßt er das, so geht gegen ihn die Entschädigungsklage, also z. B. des Inhabers des Bräuhauses. Weiter können wir nichts machen, den Dritten können wir nicht binden, weil das Reichsgesetz uns nicht gestattet, so weit zu gehen. Unterläßt er das nicht, sondern nimmt er in seinen Abtretungsvertrag mit dem Dritten die Bedingung auf, daß dieser in den Bierlieferungsvertrag einzutreten hat, so kann die

904

IV. Abth. Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch«.

Brauerei auf Grund dieser Vertragsklausel allerdings gegen den Dritten klagen und diesen zwingen, daß er das Bier weiter von ihr abnehmen muß. Es handelt sich um den sogenannten Vertrag zu Gunsten Dritter. Weiter können wir nicht gehen.

Der erste Präsidmt: Ich habe bloß die Frage anregen wollen, weil mir die Sache sehr wichtig geschienen hat, natürlich die reichsgesetzliche Regelung des Handelsrechts ist mir nicht vollkommen klar gewesen; ich habe die Ansicht gehabt, daß die bisherige Bestimmung aufrecht erhalten werden kann, bei welcher jeder, der ein Wirthshaus kauft, weiß, daß er an den Bierlieferungsvertrag seines Besitzvorfahrers bis September des laufenden Jahres gebunden ist; wenn dies nicht möglich ist, muß ich mich fügen und bedauere nur lebhaft, daß wieder etwas verschlimmert werden soll. Vorsitzender: Gegen die Streichung des Artikel 7 Absatz 3 besteht keine Erinnerung. Wir gehen über zu Artikel 10.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Der Artikel 10 hat mehr­ fache Aenderungen erlitten. Derselbe war unverändert vom Abgeordneten­ ausschuß angenommen worden. Die Aenderung, die nun in erster Lesung dieses Hohen Ausschusses beschlossen worden ist, bezieht sich auf eine gewisse Klasse von Personen, welchen die Haltung von jugendlichen Dienstboten untersagt ist. Die Aenderung ist niedergelegt, in dem Absatz 2: Personen, welche nach § 361 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs polizeilicher Aufsicht unterstellt sind, dürfen Dienstboten unter einundzwanzig Jahren nicht halten. Das ist der wörtliche Beschluß in erster Lesung. Ich betone aber, daß die Worte „unter einundzwanzig Jahren" gewählt sind, und nicht das Wort „Minderjährige", weil es hier auf das natürliche Alter allein ankommen soll. In Absatz 3 ist gesagt, „welche diesen Vorschriften zuwider gehalten werden"; das entspricht ebenfalls dem Beschlusse in erster Lesung.

Vorsitzender: Es besteht weiter keine Erinnerung. Artikel 13.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Beim Artikel 13 ist der Beschluß der ersten Lesung einfach wiedergegeben. Im Redaktionsausschusse hat man sich entsprechend dem Beschlusse der ersten Lesung dahin verständigt, zu sagen: „Der Dienstbote ist der Dienstherrschaft zur Treue verpflichtet", weil man damit mehr ausdrücken wollte als nur die Treue, die bei jedem Vertrage zu wahren ist. Vorsitzender: Artikel 13 ist genehmigt. Artikel 14.

Reichsrath von Schmitt als Referent: Der Artikel 14 stellt die Vor­ schrift ans, daß, wenn der Lohn auf einen längeren Zeitabschnitt zu bezahlen ist, davon nach Verlauf von einem Vierteljahr die Hälfte des hierauf treffenden Lohnbetrages zu entrichten ist. Dazu ist ein Satz 2 vom Abgeordnetenausschuß angenommen worden, welcher jede vertragliche Aenderung hievon ausschließt; diesen Satz hat aber der Ausschuß der Kammer der Reichsräthe gestrichen. Der Satz ist hier einfach weggelaffen. Vorsitzender: Artikel 14 ist angenommen.

Artikel 14a. Reichsrath von Schmitt als Referent: Der Artikel 14a ist vom Abgeordnetenausschuß neu eingestellt, von dem Ausschüsse der Kammer der Reichsräthe aber gestrichen worden.

Vorsitzender: Genehmigt. Artikel 15.

Hierzu liegt der Antrag des Herrn Reichsraths Dr. Ritter von Bech­ mann vor, das Wort „grobe" zu streichen.

Reichsrath Dr. von Bechmann: Der Regierungsentwurf hat das Recht der Dienstherrschaft, ihren Anspruch wegen Pflichtverletzung durch den Dienst­ boten im Wege der Aufrechnung geltend zu machen, auf vorsätzliche Ver­ letzungen beschränkt. Der Abgeordnetenausschuß hat das weiter ausgedehnt auf grobe Fahrlässigkeit; ich habe dagegen bei der ersten Lesung Bedenken gehabt und beantragt, die Regierungsvorlage wieder herzustellen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden aus Gründen, die ich als überwiegend anerkennen muß. Ich möchte nun den andern Antrag stellen, das Wort „grobe" zu streichen. Es führen mich dazu praktische Erwägungen. Wir sind alle darin einig, daß der Dienstbote haftet für omnis culpa. Wenn man aber eine Unterscheidung macht in Bezug auf die Art der Geltendmachung dieser Ansprüche und für die grobe Fahrlässigkeit das Kompensationsrecht zuläßt, für sonstige Fahr­ lässigkeit aber nicht, sondern den Dienstherrn hier auf die Klage beschränkt, so ergibt sich die Möglichkeit und die Wahrscheinlichkeit der Mehrung der Prozesse. Man darf sich nur den Vorgang praktisch denken: Der Dienstherr macht einen Abzug wegen einer grobfahrlässigen Beschädigung — er wird das ja immer als Grund angeben — der Dienstbote läßt sich das nicht gefallen und klagt seinen Lohn ein. Der Dienstherr macht dann die Kompensation einredeweise geltend. Es wird Beweis erhoben, und nun sagt der Richter: „Eine Fahrlässigkeit liegt wohl vor, aber eine grobe Fahrlässigkeit war es nicht, Du mußt bezahlen." Es würde das Urtheil, soweit es die Fahrlässigkeit bejaht, keiner Rechtskraft fähig sein. Es müßte die Beweiserhebung über die Fahrlässigkeit wieder von vorne beginnen und es würden aus einem Prozesse zwei werden. (Zuruf: Widerklage.) Ja, ob ein Dienstherr, der keinen Rechtsanwalt hat, weiß, daß er Widerklage stellen kann und soll, das lasse ich dahingestellt. Es werden ferner auch die Kosten vermehrt. Ich sehe nicht ein, wenn man einmal von dem Prinzipe des Bürgerlichen Gesetzbuchs abgeht, warum man da bei der groben Fahrlässigkeit stehen bleibt. Wenn man den Artikel so faßt, wie ich Vorschläge, wird die Sache in einem Prozesse erledigt. Im Ausschüsse der Kammer der Abgeordneten ist gesagt worden, der Unterschied von grober und gewöhnlicher Fahrlässigkeit sei sehr einfach. Das muß ich bestreiten. Eine Definition von grober Fahrlässigkeit haben wir nicht; das Bürgerliche Gesetzbuch hat es unterlassen, eine solche zu geben. Wenn man sich aber die Sache praktisch denkt, dann werden die Parteien immer von ihrem Standpunkte geneigt sein, etwas als grobe Fahrlässigkeit anzusehen oder nicht, und schließlich hängt alles von der Anschauung des Richters ab; die Entscheidung ist oft sehr zweifelhaft, es wird die Sache aber sehr erschwert werden, und ich meine, daß man gerade die Dienstbotenstreitig­ keiten, die man bisher immer als summarische Sachen betrachtet hat, nicht in zwei Prozesse auseinanderreißen sollte. Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jarubezky: Ich halte es für bedenklich, soweit zu gehen. Der Entwurf wollte nur den Becher, Materialien. IV. 58

906

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

vorsätzlich zugefügten Schaden berücksichtigen. Die Zulassung der Aufrechnung bei jedem durch ein geringes Versehen verursachten Schaden würde zu be^ gründeten Klagen Anlaß geben. Es ist im Ausschüsse der Kammer der Ab­ geordneten von mehreren Mitgliedern betont worden, daß es nicht angehe, alle Fälle der Fahrlässigkeit hereinzuziehen, daß die Aufrechnungsbefugniß bei einfacher Fahrläfsigkeit zu offenbaren Unbilligkeiten führen würde. Würde sie gleichwohl zugelassen, so würde dem Dienstboten nichts anderes übrig bleiben als den Dienst zu verlassen, denn er will begrelflicherweise nicht umsonst dienen. Wir würden also zur Lösung von Dienstverhältnissen zwingen, die im Interesse der beiden Betheiligten besser bestehen bleiben. Streitigkeiten werden auch durch die Erweiterung der Aufrechnungsbefugniß nicht abgeschnitten, es wird nicht selten zweifelhaft sein, ob das Verhalten des Dienstboten, welches den Schaden herbeigeführt hat, überhaupt fahrlässig war. Ich habe im Ausschüsse der Kammer der Abgeordneten darauf aufmerksam gemacht, daß in den Fällen, in welchen Eile geboten ist, ein anderer Maßstab angelegt werden muß, als in den Fällen, in denen man Zeit zu ruhiger Ueberlegung hat. Macht der Dienstbote in der Eile eine ungeschickte Bewegung, die Schaden verursacht, so wird der Dienstherr geneigt sein, darin eine Fahrlässigkeit zu sehen, der Richter wird vielleicht anderer Meinung sein. Wir kommen nicht darüber hinweg, daß Streitigkeiten entstehen können, die vor Gericht ausgetragen werden müssen, und wir dürfen nicht, um die Zahl der Streitigkeiten zu vermindern, eine Vorschrift geben, die dem einen Theile gegenüber unbillig ist. Der Dienstbote hat gewöhnlich ein in Betracht kommendes Vermögen nicht. Er lebt von dem Lohne und dem Unterhalte, den ihm der Dienstherr gewährt, er braucht den Lohn zur Deckung aller derjenigen Lebensbedürfnisse, die nicht durch den ihm vom Dienstherrn gewährten Unterhalt gedeckt werden. Wenn wir ein so weit gehendes Recht zur Aufrechnung einführen, so entziehen wir dem Dienstboten das, worauf er angewiesen ist. Das läßt sich bei vorsätz­ licher Pflichtverletzung rechtfertigen und mag bei grober Fahrlässigkeit dazu dienen, den Dienstboten von frevelhaftem Leichtsinn, von Gleichgiltigkeit und Mangel an gutem Willen abzuhalten. Bei der einfachen Fahrlässigkeit handelt es sich aber sehr oft um das, was man im Leben ein Unglück nennt. Fahr­ lässige Beschädigungen lassen sich im Dienstverhältnisse nicht ganz vermeiden. Der tüchtigste und bravste Dienstbote ist hie und da an einem Tage oder in einer Stunde weniger aufmerksam als er sein sollte, und verursacht dadurch mitunter einen Schaden. Wenn man den Dienstherrschaften, die ja manchmal kleinlich und engherzig sind, eine solche Waffe in die Hand gibt, so ist zu befürchten, daß sie einen Gebrauch davon machen, der eine begründete Unzu­ friedenheit hervorruft, der zu einer Verbitterung führt und das Verhältniß zwischen Dienstherrschaften und Dienstboten im allgemeinen schädigt. Auf die grobe Fahrlässigkeit hat das Bürgerliche Gesetzbuch, obwohl nicht zu verkennen ist, daß der Begriff sich nicht ganz fest begrenzen läßt, bei vielen Verhältnissen abgestellt. In den Vorschriften über das Dienstverhältniß selbst schließt der § 617 den Anspruch des Dienstboten auf Verpflegung im Falle der Krankheit bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit aus. Von sehr großer Bedeutung ist der Begriff der groben Fahrlässigkeit insofern, als er für die Bestimmung des guten Glaubens maßgebend ist. Der gute Glaube setzt ein Nichtwissen voraus, das nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht; die Grenze des guten Glaubens liegt da, wo die grobe Fahrlässigkeit beginnt. Es wird deshalb den Vorzug verdienen, es bei dem früheren Beschlusse zu belassen. Reichsrath Dr.

von Bechmann: Was der Herr Senatspräsident

geltend gemacht hat, spricht eigentlich dafür, daß man die Haftung der Dienst­ boten auf grobe Fahrlässigkeit beschränken sollte- und wenn dies angenommen würde, so habe ich durchaus nichts dagegen. Das ist mir eigentlich ein sehr sympathischer Gedanke. Wogegen aber ich meinen Antrag stelle, das ist der Mißstand, daß, wenn man es bei der bisherigen Fassung beläßt, zweimal gestritten werden kann: Erstens einmal, ob eine Fahrlässigkeit vorliegt und zweitens über den Grad der Fahrlässigkeit. Ich möchte nur diese doppelten Prozesse vermieden wissen, da dies zu Unannehmlichkeiten und Chikanen führen kann. Beim zweiten Prozesse müßte man wieder vorne anfangen. Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. tum Zacubezky: Man würde wohl zu weit gehen, wenn man die Haftung des Dienstboten auf grobe Fahrlässigkeit beschränkte. Ich zweifle, ob dieser Vorschlag die Zu­ stimmung der dem Stande der Landwirthe angehörenden Mitglieder der Kammer der Abgeordneten finden würde. Ein nothwendiger Zusammenhang zwischen der Haftung und der Zulassung der Aufrechnung besteht nicht. Die Vorschrift des Artikel 15 erleichtert nur in einem gewissen Maße die Befriedigung des Dienstherrn. Ohne diese Vorschrift würde der Dienstherr die Aufrechnungsbefugniß überhaupt nicht haben. Der Artikel 15 gibt sie ihm für diejenigen Fälle, in denen der Gesetzgeber das Interesse des Dienstherrn dem des Dienst­ boten voranstellen zu sollen glaubt, durch eine Ausnahmevorschrift, die in der Wirkung einer besonderen Erleichterung der Zwangsvollstreckung gleichkommt. Darin, daß diese Erleichterung der Befriedigung bei dem Anspruch auf Ersatz des durch einfache Fahrlässigkeit verursachten Schadens nicht gewährt wird, liegt aber kein Grund, den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens überhaupt zu versagen. Was die zwei Prozesse anlangt, von denen der Herr Antragsteller gesprochen hat, so möchte ich darauf so großes Gewicht nicht legen. Der Dienstherr wird einen zweiten Prozeß nicht führen, wenn der Dienstbote nichts hat. Denn man führt Prozesse doch nicht zu dem Zwecke, damit ein Recht festgestellt wird, das sich nicht verwirklichen läßt, sondern damit man erlangt, was man zu fordern hat. Ist der Dienstbote vermögenslos, so wird der Dienstherr nicht die Kosten aufwenden, die erforderlich sind, um ein Urtheil zu erwirken, mit dem sich nichts anfangen läßt. Hat der Dienstbote Vermögen zu erwarten, so daß Aussicht auf Befriediguug besteht, so ist es für den Dienst­ herrn nicht nothwendig, einen zweiten Prozeß zu führen. Er kann ja Wider­ klage erheben, und ich glaube, der Amtsrichter, der nach § 503 der Civilprozeßordnung dahin zu wirken hat, daß die Parteien die sachdienlichen Anträge stellen, wird über die Stellung, die ihm das Gesetz anweist, nicht hinausgehen, wenn er den Dienstherrn gegebenen Falls veranlaßt, im Wege der Widerklage die Verurtheilung des klagenden Dienstboten zu beantragen. Dann wird die Sache in einem Prozeß erledigt und die Kosten werden nicht oder doch nicht wesentlich höher sein.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ich muß anerkennen, daß der Antrag von Bechmann zu Artikel 15 logisch und konsequent ist. Der Dienstbote soll für alle Fahrlässigkeit haften, aber der Lohnabzug nur dann gemacht werden können, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Das sind zwei Dinge, die sich schwer vereinigen lassen. Wenn man gleichwohl einen Mittelweg gegangen ist, so hat man den Erfolg einer Entschädigung ganz außer Betracht gelassen, man wollte dem Dienstherrn nur ein Drohmittel an die Hand geben, um den Dienstboten zur Wahrnehmung der ihm obliegenden 58*

908

IV. Abth. Aussührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche.

Sorgfalt besonders wirksam aufzumuntern. Darauf, daß der Abzug wirklich gemacht wird, wurde kein Gewicht gelegt. Wenn nun weiter gegangen und der Bereich von Haftung und Lohnabzug nur deshalb voll gleichgemacht wird, lediglich um den Streit über die Grenzen von grober oder geringer Fahr­ lässigkeit aus der Welt zu schaffen, so ist das zwar korrekt, doch wohl aber mit dem Wesen des Dienstbotenvcrhältnisses, eines Verhältnisses gegenseitiger Rücksichtnahme, schwer vereinbar. Ich würde es also doch beim Mittelwege zu belassen bitten. Die Regierung ist ursprünglich von ähnlichen Erwägungen ausgegangen, wie der Herr Antragsteller; sie fand bedenklich die Unbestimmtheit des Begriffes „grobe oder geringe Fahrlässigkeit;" sie kam aber zu einer anderen richtigeren Konsequenz: nur bei absichtlichen Verletzungen sollte Lohn­ abzug statthaft sein. Herr Reichsrath Dr. Ritter von Bechmann steht hin­ sichtlich der Motivierung ganz auf dem Standpunkte der k. Staatsregierung, hinsichtlich der Schlußfolgerung daraus ganz auf dem entgegengesetzten Stand­ punkte. Ich möchte nochmals darauf Hinweisen, daß es sich hier nicht um die Bezahlung handelt, sondern darum, daß man dem Dienstherrn ein Mittel in die Hand gibt, die Aufmerksamkeit des Dienstboten zu steigern. Deshalb bitte ich Sie, es bei dem Beschlusse der ersten Lesung zu belassen. Vorsitzender: Wenn niemand von den Hohen Herren mehr das Wort ergreifen will, schreiten wir zur Abstimmung und ich bitte diejenigen Hohen Herren, welche für den Antrag des Herrn Reichsrathes Dr. von Bechmann sind, die Hand empor zu heben. (Geschieht.) Der Antrag ist abgelehnt. Wir gehen über zu Artikel 17.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Dem Artikel 17 ist in der ersten Lesung ein Zusatz beigegeben worden: „Die Kündigung ist auch schon vor dem Antritte des Dienstes zulässig." Es ist daran von der Redaktions­ kommission kein Wort geändert worden. Vorsitzender: Der Artikel 17 gilt für genehmigt.

Wir gehen über zu

Artikel 18.

Absatz 1. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Artikel 18 ist von der Redaktionskommission bei Ziffer 10 statt der Worte „eine längere Freiheits­ strafe" gesetzt „eine mehr als eine Woche dauernde Freiheitsstrafe", während der Beschluß in erster Lesung gelautet hat: „eine die Zeit von einer Woche übersteigende Freiheitsstrafe." Vorsitzmder: Es besteht keine Erinnerung.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: Ziffer 12 ist in zwei Ziffern zerlegt: Ziffer Ila und Ziffer 12. 11a. „wenn der Dienstbote sich verheirathet" und 12. „wenn ein unverheiratheter weiblicher Dienstbote sich im Zustande der Schwangerschaft befindet." Sachlich ist der Beschluß erster Lesung nicht verändert.

Vorsitzender:

Es besteht keine Erinnerung; wir gehen über zu

Absatz 2. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Absatz 2 haben wir noch ein Citat hinzugefügt, nämlich das Citat „Ila."

Ausschußverhandl. d. ffi. d. Reichsräthk. — XIV. Protokoll.

909

Vorsitzender: Es besteht keine Erinnerung. Artikel 19.

Absatz 1. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Artikel 19 Absatz 1 Ziffer 3 wurden in erster Lesung nur die Worte „oder grobe Beleidigungen" gestrichen. In der Redaktionskommission wurde die Frage aufgeworfen, ob nicht infolge dieses Beschlusses im Schlußsatz auch eine sachliche Aenderung cinzutreten hat; wenn nicht, dann müßte die Fassung geändert werden, nämlich dahin: „oder es verweigert, den Dienstboten gegen Thätlichkeiten oder grobe Beleidigungen eines Familienangehörigen der Dienstherrschaft oder des Vertreters, eines anderen Dienstboten oder eines Angestellten zu schützen." Die Redaktionskommission hat geglaubt, nachdem in dieser Beziehung keine sachliche Aenderung in erster Lesung beschlossen wurde, nicht Vorschlägen zu sollen, daß hier auch eine sachliche Aenderung eintrete. Sie ist hiebei insbesondere davon ausgegangen, cs liege der Ton darauf, die Autorität der Dienstherrschaft zu stützen, und diese tritt schärfer hervor, wenn dem Dienst­ boten nicht das Recht zusteht, wegen einer groben Beleidigung seitens der Dienstherrschaft den Dienst zu verlassen, während der letzteren aber die Verpflichtung bleibt, den Dienstboten gegen grobe Beleidigungen anderer Personen zu schützen. Vorsitzender: Haben die Hohen Herren etwas dagegen einzuwenden? Das ist nicht der Fall. Der Beschluß der Redaktionskommission gilt für genehmigt.

Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Absatz 2 ist gegen­ über dem Beschluß in erster Lesung nichts geändert. Vorsitzender: Wir gehen über zu Artikel 20 Absatz 4. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: ist nur eine Ziffer berichtigt.

In Artikel 20 Absatz 4

Der k. Ministerialkommissär, Senatspräsident Dr. von Jaeubrzky: In der neuen Fassung des Artikel 20 Absatz 4 soll in der letzten Zeile das Wort „Absatz" die abgekürzte Form „Abs." erhalten, in der es sonst immer gebraucht wird. Vorsitzender: Es besteht keine Erinnerung. Artikel 21. Reichsrath Dr. von Schmitt als Referent: In Artikel 21 sind haupt­ sächlich mit Rücksicht darauf, daß int Artikel 17 ein zweiter Satz beigefügt wurde, einige Aenderungen vorgenommen. Es wurde gesetzt: „Würde der Dienstbote durch den Antritt des Dienstes oder die Fortsetzung des Dienstverhältmsses rc."; weiter: „so ist er zur Kündigung berechtigt"; ferner „die Kündigung ist nach dem Antritte des Dienstes nur für den Schluß eines Kalendermonats zulässig." Vorsitzender: Es besteht keine Erinnerung; der Beschluß der Redaktions­ kommission gilt für genehmigt. Wir können nun übergehen zu

Artikel 32.

910

IV. Abth.

Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen